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Spiritualität des Pilgerns

Kontinuität und Wandel

0402
1993
978-3-8233-5005-7
978-3-8233-4005-8
Gunter Narr Verlag 
Klaus Herbers
Robert Plötz

Der Begriff Spiritualität ist im Deutschen relativ neu und zu einem Modewort geworden, wenn auch das Lateinische und die romanischen Sprachen schon länger über ähnliche Begriffe verfügen. Die definitorischen Schwierigkeiten können auch die Beiträge dieses Sammelbandes nicht auf einer theoretischen Ebene lösen, jedoch von verschiedenen Perspektiven her eingrenzen. Von der Vorstellung ausgehend, dass gerade Formen der Frömmigkeit wie das Pilgern mit bestimmten geistigen Voraussetzungen und inneren Dispositionen in einem gegenseitigen Wechselverhältnis stehen, versuchen die Verfasser das Spannungsfeld zwischen Pilgerpraxis und theologischer Sicht aufzuzeigen. Dabei wird gleichzeitig die Geschichte der Pilgerfahrten allgemein und auch im regionalen Bezug - von der Spätantike bis heute - deutlich.

<?page no="1"?> Spiritualität.indd 1 Spiritualität.indd 1 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Spiritualität des Pilgerns <?page no="2"?> Spiritualität.indd 2 Spiritualität.indd 2 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 J akobus-Studien 5 im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von · Klaus Herbers und Robert Plötz <?page no="3"?> Spiritualität.indd 3 Spiritualität.indd 3 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Spiritualität des Pilgerns Kontinuität und Wandel herausgegeben von Klaus Herbers und Robert Plötz gnS'; l Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Spiritualität.indd 4 Spiritualität.indd 4 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Titelbild: Holzschnitt zu Geiler von Kaysersberg, Der bilger (L. Dacheux, Die ältesten Schriften Geilers von Kaysersberg, Freiburg/ Br. 1882, Tafel XVII). Die DeutscheBibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Spiritualität des Pilgerns : Kontinuität und Wandel / hrsg. von Klaus Herbers und Robert Plötz . - Tübingen: Narr 1993 Oakobus-Studien ; Bd. 5) ISBN 3-8233-4005-0 NE: Herbers, Klaus [Hrsg.]; GT © 1993 · Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 · D-7400 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier . Satz: Stabenau, Waiblingen Druck: Müller+Bass, Tübingen Verarbeitung: Braun+ Lamparter, Reutlingen Printed in Germany ISSN 0934-8611 ISBN 3-8233-4005-0 <?page no="5"?> Spiritualität.indd 5 Spiritualität.indd 5 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Inhalt KLAUS HERBERS/ ROBERT PLÖTZ Einführung: Spiritualität des Pilgerns im christlichen Westen ... . ...... .. . G1sELA MuscHIOL Zur Spiritualität des Pilgerns im frühen Mittelalter FRANCIS RAPP Neue Formen der Spiritualität im Spätmittelalter URSULA GANZ-BL ÄTTLER Zur Spiritualität in den Santiago-Berichten des 15. und 16. Jahrhunderts ..... . . . .... . GOTTFRIED W ENDLING Zur Spiritualität im 17. Jahrhundert: Christoph Gunzingers Pilgerbericht nach Santiago de Compostela aus dem Jahre 1655 JOSEF SUDBRACK Unterwegs zu Gott, obgleich schon stehend vor ihm A LBERTScHRÖDER Spuren der Jacobus-Verehrung im Bistum Münster Register der Orts- und Personennamen . . . . . . . 7 25 39 59 83 103 127 145 5 <?page no="6"?> Spiritualität.indd 6 Spiritualität.indd 6 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 <?page no="7"?> Spiritualität.indd 7 Spiritualität.indd 7 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Einführung: Spiritualität des Pilgerns im christlichen Westen KLAUS HERBERS und ROBERT PLÖTZ Der Titel der Tagung in Münster und des vorliegenden Sammelbandes hat für eine lebhafte Diskussion gesorgt, die in starkem Maße mit der Begrifflichkeit zusammenhing. Wenn man in den einschlägigen deutschen Lexika nachschaut, dann fehlt fast immer der Begriff Spiritualität, obwohl schon J. H. Zedler, vom Lateinischen ausgehend, gegen Mitte des 18. Jahrhunderts einen Versuch der terminologischen Festlegung unternommen hat, die einen erstaunlich aktuellen Bezug vorweist1. Bei weiterem Nachschlagen in verschiedenen Hilfsmitteln zeigt sich, daß sehr Verschiedenes unter diesem Begriff verstanden wird. Oft wird in den Lexika bei "Spiritualität" auf "Frömmigkeit" verwiesen. Sind beide Begriffe identisch? Was ist dann unter Frömmigkeit zu verstehen? Gibt es eine Spiritualität und eine Frömmigkeit, die über den einzelnen hinausgreifen, oder sind hier je individuelle Formen angesprochen? Der Jesuit Josef Sudbrack z . B. interpretiert als "Spiritualität" die "persönliche Aneignung der Heilsbotschaft Christi durch den je einzelnen Christen"2. Von der heutigen Sicht aus scheint die "mündige" Haltung eines Christen verständlich, der sich in einer säkularisierten Umgebung und teilweise unter Mißachtung der Forderung der Amtskirche "seinen" Ausdruck der Frömmigkeit selbst sucht. Aber warum tun wir uns so schwer, das vielseitige und, wenn man die verschiedenen Aneignungsversuche neuerer geistlicher Strömungen wie New Age, Hare Krischna, Scientology Church und die neue Welle der Meditationen, die an Volkshochschulen und Familienbildungswerken angeboten werden, sieht, das wohl auch schillernde Phänomen der Spiritualität einzuordnen und in Kontext mit der Frömmigkeit oder gar mit der wesentlich ausufernderen Volksfrömmigkeit zu bringen? Selbst das "Praktische Lexikon der 1 Unter "Spirituales Res", ein Begriff, den der Stichwortbearbeiter gegen "Res Communes" setzt, wird sehr stark ein Bezug zum Neuen Testament gesucht und die Spiritualität allgemein eingeordnet: "Denn geistliche Sachen sollen nach ihrer selbsteigenen Meinung diejenigen seyn, welche zum Wohlseyn der Seele gereichen" (Vniversal-Lexici XXXIIITheil, c. 210). 2 J. SUDBRACK, Spiritualität, in: Herders Theologisches Taschenlexikon 7 (1973) S. 117. Vgl. den im vorliegenden Band erschienenen Beitrag desgl. Verfassers, und den in etwas abgeänderter Form veröffentlichten Aufsatz "Pilgern gestern morgen, in: Jakobus in Franken. Unterwegs im Zeichen der Muschel (Würzburg 1992) S. 114-121. 7 <?page no="8"?> Spiritualität.indd 8 Spiritualität.indd 8 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Spiritualität", das der Benediktinerabt Christian Schütz 1988 herausgab, drückt sich bei der Definit ion des Hauptbegriffes um eine klare Stellungnahme und schreibt: " ... ,daß . .. der Begriff Spiritualität selbst sehr vage und die jeweils gemeinte Sache äußerst unscharf bleibt" 3• Könnte es sich hier nicht um des "Kaisers neue Kleider" handeln, um neue Moden zugleich? Noch bis vor kurzem hat man die Frömmigkeit als "Einheit von Sittlichkeit und Religion" 4 gedeutet, die sich bereits im 19. Jahrhundert auf das individuelle religiöse Verhalten bezog. Es war der evangelische Theologe Schleiermacher, der die innerseelischen Vorgänge im Denken und Fühlen des Menschen thematisiert hat, und in seinem Gefolge hat man die Frömmigkeit als das persönliche "Erleben des Abhängigkeitsverhältnissesder Menschen gegenüber Gott" 5 bezeichnet. Es sind die Strömungen der Romantik und des Pietismus, die "fromm" als religiöses Gefühl markieren und damit den bis dahin auch profanen Wortsinn ablösen . Einbezogen in diese Entwicklung wurde auch der Begriff Volksfrömmigkeit, der sich in der Diskussion der letzten Jahre aus seinem Objektbezug gelöst hat und heute in der Kulturanalyse in seinem "sozialen Kontext" und in seiner "Funktion für die Gesellschaft" zu untersuchen ist. Dabei ist es Voraussetzung, daß "die Sittlichkeit ein konstitutives Element der Frömmigkeit bildet, setzt sie irdische Not und Mitmenschen voraus, an denen sie sich aktiv ereignen kann" 6 • Diese bisher erarbeitete Begrifflichkeit soll nun zugunsten der aus dem Französischen ("spiritualite") übernommenen Eindeutschung "Spiritualität" aus der wissenschaftlichen und allgemeinen Lexik verschwinden, ohne daß eine größere Klarheit über Sachen und Inhalte gewährleistet wäre . Die umfangreiche Bearbeitung des Stichwortes "Spiritualite" in dem "Dictionnaire de Spiritualite ascetique et mystique"7 oder in der neueren Enzyklopädie von J. Riatt 8 verraten uns, daß 3 Praktisches Lexikon der Spiritualität, hg . von CHR.ScHÜTZ(Freiburg-Basel-Wien 1988) Sp. 1170. 4 Vgl. C.H. RATSCHOW, Von der Frömmigkeit. Eine Studie über das Verhältnis von Religion und Sittlichkeit, in: DERS.(Hg.) , Ethik der Religionen. Ein Handbuch. Primitive, Hinduismus , Buddhismus, Islam (Stuttgart-Berlin-Köln-Ma inz 1980) S. 11-77. 5 Vgl. S. AxTERS, Geschiedenis van de vroomheid in de Nederlanden 1 (Antwerpen 1950) S. XV. Vgl. hierzu und zum folgenden B. HAMM, Frömmigkeit als Gegenstand theologiegeschichtl icher Forschung, Zeitschrift für Theologie und Kirche 74 (1977) S. 464-497, S. 467. 6 CHR_DAXELMÜLLER, Volksfrömmigkeit ohne Frömmigkeit, in: Frömmigkeit. Referate der Osterreichischen Volkskundetagung 1989 in Graz, hg. von H. EBERHART, E. HöRAN- DERund B. PÖTTLER (Wien 1990) S. 21-48, hier S. 46. 7 Dictionnaire de Spiritualite ascetique et mystique , Bd. 14 (Paris 1990) Sp. 1142-1173. 8 Christian Spirituality. High Middle Ages and Reformation (World Spirituality 17, London 1987). Vgl. den Beitrag von Ganz-Blättler in diesem Band. 8 <?page no="9"?> Spiritualität.indd 9 Spiritualität.indd 9 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 auch die romanischen und angelsächsischen Kollegen ihre Schwierigkeiten mit der Einordnung und Terminologisierung des Begriffes haben . Der schon zitierte Pater Christian Schütz, der auf die "Schwammigkeit" des Terminus' "Spiritualit~t" hinwies, stellt ihn in einer erweiterten Interpretation als Überbegriff dar: "So besagt Spiritualität mehr als 'Frömmigkeit', welche generell die subjektive Seite der Religion ausdrückt, mit Innerlichkeit gleichsetzt und einer stark individualistischen und spiritualistischen Note versehen wird . Spiritualität will nicht verwechselt werden mit Religiosität, womit das Bedürfnis und die Fähigkeit des Menschen, sich in irgendeiner Weise zu einer höheren Instanz in Beziehung zu setzten, charakterisiert werden. Spiritualität erweist sich diesen Phänomenen gegenüber sowohl als umfassender wie auch als wiederum bestimmter" 9 • Eine weitere Klärung findet allerdings in befriedigender Weise nicht statt, weswegen man sich fragen muß, ob diese "Deutung" des Begriffs Spiritualität unseren Belangen weiterhilft. Vielleicht sollte man einfach versuchen, den mangelnden Konnex zu überbrücken und die Frömmigkeitsgeschichte als Geschichte gelebter Religion verstehen, wobei "Frömmigkeit/ Sittlichkeit als Steuermechanismus von sozialen Systemen und kulturellen Prozessen zu betrachten"10 sind. Da Frömmigkeit auf keinem Fall an der neuen Sittlichkeit kirchenferner oder gar kirchengegnerischer Gruppen, die sich für Humanität und Umwelt einsetzen, vorbeigehen sollte, würde sich für die Frömmigkeitsforschung ein neuer Bereich öffnen, der sich jenseits von Kirchenbesuch und der demonstrativen Teilnahme an der Liturgie in der Gestaltung des Alltags und auch der Pilgerfahrt ohne wahrnehmbare Riten und Zeremonien äußern würde. Spiritualität wäre dann in diesem Beziehungsgeflecht insofern nicht ausgeschlossen , im Gegenteil in seiner alten Rolle bestärkt, da sie sich auf die Geistigkeit, das geistliche Wesen der Frömmigkeitsäußerungen beziehen könnte, die innerhalb der christlichen Welt und ihrer Ausdrucksformen durch die verschiedenen Vorgaben der Religion und ihrer Liturgie geprägt wäre 11. Werfen wir nochmals einen Blick auf die These von Sudbrack hinsichtlich der "persönlichen Aneignung der Heilsbotschaft Christi" mittels der Spiritualität. Weitere Fragen werfen sich auf: Wie ist das Verhältnis des einzelnen Christen zur jeweiligen Gemeinschaft zu bestimmen? Wie verhält sich außerdem die Frömmigkeitstheorie zur Frömmigkeitspraxis? Geht es bei einer Untersuchung um die Frommheit einzel- 9 Praktisches Lexikon der Spiritualität (wie Anm. 3) Sp . 1171. 10 D AXELMÜL LER, Volksfrömmigk eit (wie Anm . 6) S. 47. 11 Ebenda S. 48. 9 <?page no="10"?> Spiritualität.indd 10 Spiritualität.indd 10 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 ner oder um die Interpretation des religiösen Verhaltens vieler? 12 Spiritualität und Frömmigkeit bedeuten auch immer die Verwirklichung bestimmter religiöser Wertvorstellungen, Ideen und Gebote, die eine individuelle bewußte Aneignung 13, aber auch eine eher unbewußte äußere Praxis einzelner oder vieler bedeuten kann, eine Bandbreite, die sich in der Polarität zwischen devotiound pietasausdrücken kann. Wenn aber Spiritualität und Frömmigkeit in vielen Aspekten unbewußt bleiben, dann entziehen sie sich auch einem direkten wissenschaftlichen Zugriff . Spiritualität ließe sich dann nur indirekt an den verschiedensten Äußerungen dieser inneren Einstellung ermitteln. Trotzdem hat sich auch eine Theorie der Spiritualität und der Frömmigkeit entwickelt; so gibt es Traktate, die vorschreiben, wie sich ein frommer, von "Spiritualität" erfaßter Mensch verhalten soll und/ oder zu einem solchen Verhalten anleitet. Man kann sogar in historischer Sicht von Mentalitäten sprechen 1 4, wenn im Rahmen der innerseelischen Vorgänge im Denken und Fühlen des Menschen die Frömmigkeit als persönliches Erleben für eine größere Bevölkerungsgruppe eingegrenzt werden kann. Die Mentalität bestimmter Bevölkerungsgruppen - Raum, Zeit und sozialer Stand spielen für die Differenzierung eine wichtige Rolle läßt sich bedingt an der eher äußeren Praxis, an kleinen unbewußten Bemerkungen, an Riten und Vollzugsformen religiöser Inhalte ablesen. Die verschiedenen Lebensformen und Verhaltensweisen, die sich beispielsweise im Kloster, in Bruderschaften, in der Heiligenverehrung allgemein oder in Pilgerfahrten speziell äußern, sind Ausdruck einer religiösen Mentalität und von spezifischen "spirituellen" Einstellungen geprägt. Aus der Praxis frommen Verhaltens muß der "sentiment religieux", wie Gabriel LeBras es genannt hat, herausdestilliert werden, wenn man die Aussagen Moellers ernst nimmt: "Die Menschen haben in der Regel keinen Anlaß, sich über ihr Frömmigkeitserleben unbefangen und sachlich zu äußern. Die Äußerungen, die es gibt, sind selten eindeutig, und das Wichtigste pflegt überhaupt verborgen zu bleiben" 15. 12 H . MoLITOR, Frömmigkeit im Spätmittelalter und früher Neuzeit als historisch-methodisches Problem, in: Festschrift E.W. Zeeden (1976) S. 1-20, S. 1. 13 Vgl. die in Anm. 2 zitierte Definition von SUDBRACK. 14 Vgl. F. GRAUS, Mentalität - Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung, in: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg. von DEMS. (Vorträge und Forschungen 35, Sigmaringen 1987) S. 9-48, sowie H. CH. EHALT, Volksfrömmigkeit von der Antike bis zum 18. Jahrhundert (Kulturstudien 10, Wien-Köln 1989) S. 9-10. 15 Zit. nach HAMM,Frömmigkeit (wie Anm. 5) S. 470. 10 <?page no="11"?> Spiritualität.indd 11 Spiritualität.indd 11 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Dies bedeutet: Will man gerade die Spiritualität früherer Zeiten erforschen, so müssen die verschiedensten Quellen befragt werden, die oftmals nur en passant die innere Haltung der jeweils betroffenen Menschen wiedergeben: Spiritualitätsgeschichte wäre dann Mentalitätsgeschichte mit allen ihren Reizen und methodischen Schwierigkeiten . Sie kann nur in dem Bewußtsein betrieben werden, daß in den Quellen vielleicht oftmals das für uns Wichtigste verborgen bleibt. Selbst so anscheinend individuelle Zeugnisse wie Pilgerberichte können sich als Werke entpuppen , die nur bestimmte literarische Trad itionen w eitergeben. Jedoch ist noch nicht unbedingt aufzugeben: Läßt sich aus der Art der Zusammenstellung nicht vielleicht doch die individuelle Intention und auch Spiritualität indirekt ermitteln? Gerade zur Thematik der Spiritualität des Pilgerns stellen sich folgende grundsätzliche Fragen: Gibt es eine besondere an das Pilgern gebundene Spiritualität? Wie hängt diese mit der allgemeinen Spiritualität der jeweiligen Zeit, bestimmter sozialer Gruppen oder auch mit bestimmten geographischen Determinanten zusammen? Finden wir sie nur in Zeugnissen von und über Pilger oder dürfen wir sie auch aus theologischen Traktaten herleiten? Liegt ihr Spezifikum in der Verehrung heiliger Stätten, der Heiligen und ihrer Gräber, im Unterwegssein? Es ist weder in diesem einleitenden Beitrag noch in den folgenden Aufsätzen möglich, alle mit dem Problembereich "Spiritualität" wichtigen Fragen zu stellen oder gar zu beantworten, aber das grundsätzliche methodische Problem sollte zumindest benannt werden und bewußt bleiben. Wichtig ist allerdings die Überlegung, daß die Formen des Pilgerns und der Pilgerfahrt schon fast selbstverständlich in den Bereich der Spiritualität, wie immer wir sie auch im einzelnen definieren, gehören . Die einschlägigen Nachschlagewerke behandeln deshalb in seltener Übereinstimmung auch die Pilgerfahrten im Zusammenhang mit größeren Überblicken zur Geschichte der Spiritualität 16 : Die Suche des Menschen nach einer Beziehung zum Übersinnlichen konnte sich im Kloster, im Einsiedlertum, in der Studierstube, aber eben auch im Unterwegssein ausdrücken. Deshalb ist die bisherige Erforschung des Pilgerns und der 16 So findet sich selbstverständlich in d em "Dictionnair e de Spiritu alit e" (wi e Anm . 7) ein ausführlich er Artikel zum Stichw ort "Pelerinages" (Band 12, Paris 1984, Sp . 888-940). Ähnlich auch in dem von A . V AUCHEZ., La spiritualite du Mayen Age occidental VIIIe-XIIe siecles (Paris 1975) verfaßten Ub erblick (S. 146-152). 11 <?page no="12"?> Spiritualität.indd 12 Spiritualität.indd 12 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Pilgerfahrten teilweise schon immer auch eine Erforschung ihrer Spiritualität gewesen 17• Wenn aber Pilgerfahrten eine Form sind, Spiritualität und Frömmigkeit zum Ausdruck zu bringen, so ist es den Versuch wert, einige Grundlinien dieser Einstellung sowie ihren Wandel im Laufe der Zeit zu charakterisieren. In diesem einleitenden Beitrag kann es nur darum gehen, einige wichtige Punkte zu benennen, die für die Entwicklung der Pilgerfahrten und der damit verknüpften Spiritualität im christlichen Traditionsbereich wichtig wurden 18. Hierzu gehören: Das Verlassen der vertrauten Umgebung, das Unterwegssein, die Ankunft am Ziel, die Heimkehr sowie im Zusammenhang damit die Motivationen der Menschen, die sich auf den Weg begaben. Alle angesprochenen Punkte sind eng miteinander verflochten, so kann beispielsweise das Angebot und die Ausgestaltung eines Zielortes nicht ohne Rückwirkung auf die Motivation bleiben. Die christliche Konzeption der peregrinatio durchlief im Mittelalter eine lange Entwicklung, vom Verständnis des Lebens als einer Pilgerfahrt, über die Vorstellung, freiwillig ins Exil aufzubrechen, wie es zum Beispiel das frühe Mönchtum propagierte, bis hin zu dem Wunsch, Christus spirituell auch an den Orten zu begegnen, an denen er als Erlöser leibhaftig zugegen gewesen war. In der biblischen Tradition gilt Abraham als erster Pilger, der sich zur Suche des verheißenen Landes auf den Weg machte. Der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten läßt sich ähnlich deuten 19. Im Neuen Testament kann der Weg der Jünger nach Emmaus als Weg der Heilssuche aufgefaßt werden . Ähnlich interpretierte man das Leben der Juden oder der Christen als Pilgerfahrt: der Einzelne als Fremder auf Erden in steter Suche nach Erlösung. Folglich treffen wir das Wort häufig als Bezeichnung für das mönchisch-asketi- 17 Vgl. die Nachweise in den weiteren Anmerkungen. 18 Sicher wäre es wünschenswert, auch vergleichend das "fromme Unterwegssein" in anderen Religionsgemeinschaften zu berücksichtigen; vgl. hi erzu als einen der ersten Versuche vergleichender religionsgeschichtlicher Betrachtung: M. SIMON(Hg.), Les pelerinages. De l'antiquite biblique et classique a l'occident m edieval (Paris 1973) mit Beiträgen zum Pilgerwesen im antiken Griechenland, zur Mekka-Pilgerfahrt und zur christlichen Tradition. - Vgl. auch die Ansätze von S. MACC0RMACK, Loca Sancta: The Organization of Sacred Topography in Late Antiquity, in: The Blessings of Pilgrimage, hg. von R. ÜUSTERH0UT (Illinois Byza ntine Studies 1, Urbana-Chicago 1990) S. 7-40 und die weiteren Abhandlungen dieses Sammelbandes. 19 Gn . 12 und Ex. 12,37 ff. Vgl. R. PLÖTZ, Peregrini- Palmieri - Romei, Untersuchungen zum Pilgerbegriff der Zeit Dantes , Jahrbuch für Volkskunde, Neue Folge 2 (1979) S. 103-134, hier S. 107-109; I. BAUMER, Wallfahrt als Metapher, in : Wallfahrt kennt kein e Grenzen (München-Zürich 1984) S. 55-64, S. 55; und letz tlich R. PLÖTZ,Homo Viator, Compostellanum 36 (1991) S. 265-281. 12 <?page no="13"?> Spiritualität.indd 13 Spiritualität.indd 13 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 sehe Leben, insbesondere in der Form des im 3. und 4: Jahrhundert verbreiteten Eremitentums 20 • Wenn auch im Mittelalter die ursprüngliche Bedeutung des Wortes zurücktrat, so dürfte sie als asketisches Prinzip auch noch im Hochmittelalter lebendig geblieben sein 21• Auch die biblischen Bezüge lassen sich später in den künstlerischen Darstellungen weiter verfolgen; so drückt die Emmausszene mit Christus als Pilger schon den Vollzug der linguistischen Verwandlung des Fremden (peregrinus) zum Pilger aus und steht am Anfang der Entwicklung einer Ikonographie des hl. Jakobus als Pilger 22 • Stärker verband sich mit dem Begriff Pilger jedoch die Vorstellung, gleichsam wie Mönche und andere Heilssucher sich freiwillig einer temporären oder auch lebenslangen Heimatlosigkeit zu unterziehen oder ins Exil geschickt zu werden. Dabei konnte sich auch das Ziel konkretisieren, um dem planlosen Umherirren in der Suche der "Heilig- 20 Vgl. hierzu B. KöTTING, Peregrinatio reli'giosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche (Forschungen zur Volkskunde 32-35, Münster 1950, 2. durchgesehene Aufl. Münster 1980) S. 302-307 und vor allem J. LECLERCQ, Mönchtum und Peregrinatio im Frühmittelalter, Römische Quartalschrift 55 (1960) S. 21-225 sowie PLÖTZ, Peregrini (wie Anm. 19) S. 109 ff. Allerdings hat die Vorstellung von Leben als Pilgerfahrt (vita es/ peregrinatio)noch über diese Zeit bis heute nachgewirkt, wie auch G. CONSTABLE, Monachisme et pelerinage au Moyen Age, Revu e historique 258 (1977) S. 3-27 (Nachdruck mit Originalpaginierung : ders ., Religious Life and Thought, London 1979, n . III) für den Zeitraum bis ins 12. Jh . nachgewiesen ha t. - Zu den Fahrten irischer Mönche auf der Suche nach d em verheißenen Land vgl. H . LöwE, Westliche Peregrinatio und Mission . Ihr Zusammenhang mit den länder- und völkerkundlichen Kenntnissen des frühen Mittelalters , in: Popoli e paesi nella cultura altomedievale (Settimane di studio del Centro italiano sull'alto Medio evo 29/ 1, Spoleto 1983, S. 327-376) S. 328 ff., dort auc h S. 337 f. zu den Missionaren als peregrini. 21 Vgl. hierzu PLÖTZ,Peregrini (wie Anm. 19) S. 103-107 und BAUMER, Wallfahrt als Metapher (wie Anm. 19) S. 56-59, sowie U. GANZ-BLÄTTLER, Andacht und Abent euer . Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320-1520)(Jakobus-Studien 4, Tübingen 2.Aufl . 1990) S. 1-12 und K. HERBERS, Spiritualite nouvelle ou mecanisme religieux a fin du Moyen Age? Le "pe lerinage spirituel", in: Les traces du pelerinage a Saint-Jacques-de-Compostelle dans la cultur e europeenne (Strasbourg 1992) S. 8-17, mit Beispielen aus dem 15. Jh . 22 Vgl. allgemein zur "Emmaus-Szene" H . FELDBUSCH, Stichwort "Emmaus", in : Lexikon der Christlichen Ikonographie Bd. 1 (Rom -Freiburg -Basel-Wien 1968) Sp. 622-626, zum Komplex 'Pilger und peregrinus' PLÖTZ,Peregrini (wie Anm. 19) S. 104-107; DERS, Strukturwandel der peregrinatio im Hochmittelalter, Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde 26/ 27 (1981/ 82) S. 129-151, hier S. 129 f.; zur "Emmaus-S ze ne" R. PLÖTZ,Imago Beati Jacobi, Beiträge zur Ikonographie des HI. Jacobus Maior im Hochmittelalter, in: Wallfahrt kennt kein e Grenzen (wie Anm. 19) S. 248-264, hier S. 254; vgl. zur Kunstgeschichte W. STECHOW, Stichwort "Emmaus", in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte Bd. 5 (Stuttgart 1967) Sp. 228-242; zur Muschel als Symbol des christlichen Pilgerns und als intersignaperegrinorum"vgl. den "Liber Sancti Jacobi" (ed. W.M. WH! TEHILL, Santiago de Compostela 1944, Bd. 1, S. 379 f.) und K. KöSTER, Pilgerzeichen und Pilgermuscheln von mittelalterlichen Santiago-Straßen. St. Leonhard-Rocamadour-St. Gilles-Santiago deCompostela. Schleswiger Funde und Gesamtüberlieferung, Ausgrabungen in Schleswig, Berichte und Studien2 (Neumünster 1983). 13 <?page no="14"?> Spiritualität.indd 14 Spiritualität.indd 14 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 keit'' entgegenzutreten. Aus dem Wunsch, Christus nachzufolgen, entsprang, wie schon oben angeführt wurde , gleichzeitig das Bedürfnis, auf den Spuren des Herrn zu wandeln und alle Orte zu besuchen, an denen der Erlöser leibhaftig zugegen gewesen war . Zudem suchte man nach Möglichkeiten, um durch einen Akt der Buße sein Seelenheil trotz der begangenen Sünden zu sichern. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts wurde solchen Pilgern auch der Erfolg ihrer Bemühungen vielfach bestätigt; sie konnten für ihre religiösen Übungen Ablässe erwerben 23 • Neben der peregrinatioproChristo und dem Wunsch nach Selbstheiligung darf als weiteres wichtiges Motiv für das "fromme Reisen" der Grab- und Reliquienkult gelten, der seit dem 6. Jahrhundert auch im Westen zunehmend an Bedeutung gewann 24 • Schon seit dem 4. Jahrhundert wurden den Überresten oder Reliquien von Heiligen übernatürliche Kräfte beigemessen 25, wenn dies auch erst im 8. Jahrhundert durch 23 Noch immer grundlegend N . PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bände (Paderborn 1922-1923)I S. 22 ff . und 132 ff.; knappe Einführung bei L. HöoL, Ablaß , in : Lexikon des Mittelalters Bd. 1 (München-Zürich 1980) Sp . 43-46. Einen wichtigen Beitrag zu r Gestaltung des Ablaßwesens leistete auch die Kreuzzugsidee, die zur Integration des Kriegerischen mit dem Pilgergedanken führte, und ab der zweiten Hälfte des 11. Jh.s auch die Reconquista begünstigte . Einen Anfang machten die Ablässe, mit denen Papst Alexander II. (1061-1073) die Eroberung von Barbastro (1064) förderte. Vgl. die immer noch unentbehrliche Arbeit von C. ERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Stuttgart 1935, Reprograf. Nachdruck Darmstadt 1974) und R. HIESTAND, Reconquista, Kreuzzug und heiliges Grab . Die Eroberung von Tortosa 1148 im Licht eines neuen Zeugnisses, in : Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens , Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 1. Reihe, Bd . 31 (Münster 1984) s. 136-157. 24 Vgl. stellvertretend : M. HEINZELMANN, Translationsberichte und andere Quellen des Reliquienkultes (Typologie des sources du Moyen Age occidental 33, Turnhout 1979) besonders S. 17-31. 25 Zum frühen Reliquienkult vgl. H. DELEHAY E, Les origines des cultes des martyrs (Brüssel 2. Aufl . 1933); knapper bei B. KöTTING, Reliquienverehrung , ihre Entstehung und Form en, Trierische Theologische Zeitschrift 67 (1958) S. 321-334, S. 321-327 (Nachdruck DERS.,Ecclesia peregr inans Bd . 2 (Münster 1988) S. 61-74; weiterhin N. HERR- MANN-MASCARD, Les reliques des saints. Formation coutumiere d'un droit (Paris 1975) S. 26-48; HEINZELMANN , Translationsberichte (wie Anm . 24) S. 17-20; P. GEARY, The Saint and the Shrine. The Pilgrims' Goal in the Middle Ages , in : Wallfahrt kennt keine Grenzen (wie Anm . 19) S. 264-273, hier S. 265-267; P. BROWN, The Cult of Saints. Its Rise and Function in Latin Christianity (Chicago 1981); F. CARDINI, Reliquie e pellegrinagg i, in : Santi e demoni nell'alto medioevo occidentale (secoli V-XI), Bd. 2 (Settimane di Studio de! centro italiano di Studii sull' alto medioevo36 , Spoleto 1989) S. 981-1037 (und die weiteren Studien in diesem Band); A. ANGENENDT, Der Kult der Reliquien, in : 14 Reliquien . Verehrung und Verklärung , hg. von A. LEGNER, Ausstellungskatalog (Köln 1989) S. 9-24; DERS., Der "ganze" und "unverweste Leib" - Eine Leitidee der Reliquienverehrung bei Gregor von Tours und Beda Venerabilis, in : Aus Archiven und Bibliotheken, Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag , hg . von H . MoRDEK (Freiburger Beiträge zur Mittelalterlichen Geschichte 3, Frankfurt-Bern 1992) S. 33-50; P. DINZELBACHER, Die "Realpräsenz" der Heiligen in ihren Reliquiaren und Gräbern nach mittelalterlichen Quellen, in : Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, <?page no="15"?> Spiritualität.indd 15 Spiritualität.indd 15 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 den siebenten Kanon des zweiten Konzils von Nizäa (787) indirekt bestätigt wurde 26• Während man im christlichen Westen zur Zeit der Spätantike die Gräber zumeist als unverletzlich respektierte, verbreitete sich im Orient der Brauch, die Leichname zu übertragen oder sogar aufzuteilen 27 • Im Okzident führten vor allem die Plünderung der römischen Friedhöfe durch die Ostgoten (537) und die Normanneneinfälle im karolingischen Frankenreich dazu, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Auf der Flucht nahm man die Reliquien mit und ließ dem Kloster, das Schutz gewährt hatte, einen Teil des hl. Leichnams zurück 28 • Die Weihe zahlreicher neuer Kirchen vornehmlich in karolingischer Zeit, mit denen der Feudaladel auch seine eigene Heiligkeit suchte (Eigenkirchenwesen), führte zusätzlich zu einem großen Bedarf an Reliquien, um die Altäre mit den Überresten der Heiligen zu versehen . Viele Romreisen hatten den Erwerb von Reliquien zum Ziel 29 • Für den mittelalterlichen Menschen galten die Reliquien eines Heiligen in der Regel dann als echt, wenn sie Wunder bewirkten. Deshalb lockten die an den Heiltumsstätten aufgezeichneten Wunderberichte zahlreiche Pilger auf den Weg. Daß hierbei Rivalität, Konkurrenz und Kultpropaganda eine wichtige Rolle spielten, ist mehrfach hervorgehoben worden 30 . Die sich im Christentum langsam entwickelnde Verehrung von Reliquien ging somit einher mit der Ausformung der jeweiligen hagiograhg. von DEMS.und D.R. BAUER, Ostfildern 1990) S. 115-174 (vgl. auch weitere Beiträge in diesem Band). Vgl. allgemein noch A. LÄPPLE , Reliquien . Verehrung, Geschichte , Kunst (1990). - Es kann hier nicht auf die umstrittene Frage eingegangen werden, inwieweit Heiligen- und Reliquienverehrung auf den antiken Heroenku lt zurückgehen . 26 C. J. HEFELE / H. LECLERCQ, Histoire des Conciles 3/ 2 (Paris 1910) S. 781 f. (mit der Vorschrift des Reliquienbesitzes für jede Kirche). - Für die päpstliche Haltung zum Reliquienwesen spielte wohl auch der Pontifikat Gregors des Großen (598-604) eine größere Rolle, vgl. M. McCULLOH,From Antiquity to Middle Ages: Continuity and Change in Papal Relic Policy from the 6th to the 8th Century, in: Pietas, Festschrift für B. Kötting (1980) S. 313-324. 27 Vgl. HEINZELMA NN,Translationsberichte (wie Anm. 24) S. 20-22. - Vor allem Gregor der Große schloß in der Frühzeit eine Translation der Körper völlig aus, vgl. besonders Epistola IV 30 (ed . P. EwALD, MGH Epistolae 1, S. 263-266; auch bei D. NoRBERG, Corpus Christianorum, Series latin a 140, Turnhout 1982, S. 248-250). 28 HERRMANN-MASCARD, Reliques (wie Anm. 25) S. 49-70. 29 Hierzu demnächst K. HERBERS, Papst Leo IV. (847-855) und das Papsttum in der Mitte des 9. Jahrhunderts (mit weiterer Literatur). 30 Zu den Mirakelsammlungen, deren Aufzeichnungen im 11.-12. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt erlebte, vgl. z. B. P. A. SIGAL,L'homme et Je miracle dans Ja France medievale (XIe-XIIe siede) (Paris 1985); C. RENDTELL, Hochmittelalterliche Mirakelberichte als Quelle zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte sowie zur Geschichte des Wallfahrtswesens, 2 Bände. (Phil. Diss. FU Berlin 1982, Düsseldorf 1985), sowie zu den Jakobus-Mirakeln des Liber Sancti Jacobi K. HERBERS, The Miracles of Saint James, in: The 'Co dex Calixtinus' and the Shrine of Saint James, hg. von J. WILLIAMS/ A. STONES 15 <?page no="16"?> Spiritualität.indd 16 Spiritualität.indd 16 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 phischen Traditionen bestimmter Heiliger, die einer bestimmten Vorstellung entsprachen, und der Anreicherung frommer Fahrten mit besonderen Riten und Zeichen . Als Quellenbasis für diesen Prozeß steht hierfür besonders ab dem 11./ 12. Jahrhundert umfangreiches hagiographisches Material zur Verfügung, das allerdings oft vor allem die Spiritualität der jeweiligen Aufzeichner weitergibt und nur indirekt weiter verbreitete Tendenzen einfangen kann, was bei Mirakelerzählungen wegen des angesprochenen Publikums jedoch zu vermuten ist. Daneben gibt es die jeweils individuellen Pilgerberichte, in denen nach neueren Forschungen auch häufig eine Vielzahl von Übernahmen und Topoi, weniger eigenes Erleben, ausgemacht werden kann. Bei der Behandlung hagiographischer Texte muß man immer das historische Umfeld in Betracht ziehen, da ältere Überlieferungen kontinuierlich den neueren Bedürfnissen, einer aktuelleren Spiritualität angepaßt wurden, bis eine endgültige schriftlich fixierte Fassung zustande kam, die meistens als "Legende" in den großen Sammlungen (Legendare) weitertradiert wurde . Mit Reliquienverehrung und der Suche nach dem Wunder, das Heilung für Körper, aber auch für die Seele des Menschen bedeuten konnte, waren bereits zwei wichtige Motivationen genannt worden, die den Aufbruch mittelalterlicher Pilger zu fernen Orten bestimmten. Diese Motive setzen jedoch alle in gewisser Weise voraus, daß man sich völlig freiwillig auf den Weg machte. Aus den zahlreichen Mirakelerzählungen des lateinischen Westens wird deutlich, daß sich Bitt- und Dankpilgerfahrten gegenüberstellen lassen , je nachdem, ob ein Wunder noch erfleht werden mußte oder vom Wunderhelfer schon an anderer Stelle als an seinem Grabesort gewährt worden war. Die Entwicklung der Ablässe seit dem 11. Jahrhundert hat die beiden mittelalterlichen Grundmotivationen Selbstheiligung und/ oder Gewährung von Wunderhilfe ergänzt , aber nie ganz verdrängt. Erst im späten Mittelalter werden häufiger Ablässe erwähnt, die aber in der Regel nicht als eine individuelle Motivation erscheinen . So vermerkt z . B. Hermann Künig, der 1495 einen Pilgerführer für deutsche Pilger verfaßte, ganz allgemein, man könne bei einer Pilgerfahrt "roemisch gnad und ablaß . .. verdienen" 3 1, ohne später hierauf weiter einzugehen . (Jakobus-Studien 3, Tübingen 1992) S. 11-36, und letzlich DERS.,Milagro y aventura, Cornpostellanurn 36 (1991) S. 295-321. 31 Vgl. die Facsirnile-Ausgabe des frühesten Drucks von 1495 bei K. HÄBLER, Das Wallfahrtsbuch des Herrnannus Künig von Vach und die Pilgerreis en der Deutschen nach Santiago de Cornpostela (Straßburg 1899) Vers 25 (unpaginiert). -Ein Neuausgabe soll 1993 ersche inen . 16 <?page no="17"?> Spiritualität.indd 17 Spiritualität.indd 17 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Den bisher hauptsächlich behandelten freiwillig unternommenen Pilgerfahrten lassen sich die von kirchlichen oder gar weltlichen Instanzen verordneten Buß- oder Strafpilgerfahrten gegenüberstellen, die zwar schon im Frühmittelalter bekannt waren, aber vor allem im Spätmittelalter gebräuchlich wurden 32.Auftrags-oder Delegationspilger, die für andere Lebende oder Verstorbene reisten, dürften außer der Bezahlung noch andere, wohl untergeordnete Motive gehabt haben. Aus vielen Testamenten erfahren wir von solchen Stiftungen, die Pilgerfahrten zum eigenen Seelenheil in ihr Testament schrieben. Diese Praxis führte mit der Zeit zur Ausbildung der "Delegationspilger", die im Spätmittelalter sprunghaft zunahmen und fast einen Gewerbezweig bildeten: es gibt sogar Nachweise von Mietpilgern, die diese Aufgabe von Generation zu Generation vererbten 33. Nicht nur rein religiöse Motive spielten eine Rolle, wobei man nicht vergessen darf, daß Religiöses und Weltliches sich im Mittelalter nicht in gleicher Weise wie heute scheiden lassen. Aber Reiselust, Fernweh, akute Sorgen in der Heimat und wirtschaftliche Motive dürften durchaus den Entschluß zu einer Pilgerfahrt gefördert haben. So erfahren wir aus einer Wundergeschichte des Jakobsbuches, daß eine Familie wegen der dort wütenden Pest im Poitou aufbrach 34; oder wir wissen von der Reise des Erzbischofs Hugo von Reims, die dieser 961 wohl auch unternahm, um einer erneuten Exkommunikation auf einem Konzil zu entgehen35. Ein verschuldeter Schneider aus der Picardie machte sich aus Angst vor seinen Gläubigern auf den Weg 36, und im 15. Jahrhundert besu ,chte der Ritter Georg von Ehingen Compostela nur, weil eine Schlacht gegen die Mauren in Südspanien, an der er sich beteiligen 32 Vgl. C. VOGEL, Le pelerinage penitentiel (Atti delIV Convegni de! Centro di Studi sulla Spiritualita Medievale. Pellegrinaggi e Culto Dei Santi fino alla la Crociata, Todi 1963) S. 39-94; L. CARLEN, Straf- und Sühnewallfahrten nach Rom, in: Recht und Geschichte, Festschrift Hermann Baltl zum 70. Geburtstag, hg. von H. VALENTINISCH (Graz 1988) S. 131-153. - Grundlegende Studie für den niederländischen Raum: J. VANHERWAARDEN, Opgelegde bedevaarten . Een studie over de praktijk van oplegen van bedevaarten in de Nederlanden gedurende de late Middeleuwen (1300-1550) (Assen 1978). Allgemein zu den rechtlichen Aspekten auch L. CARLEN, Wallfahrt und Recht im Abendland (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiet von Kirche und Staat 23, Freiburg/ Schweiz 1987); zu Buß- und Strafpilgerfahrten S. 70 ff. 33 Vgl. N. ÜHLER,'Zur Seligkeit und zum Troste meiner Seele'. Lübecker unterwegs zu mittelalterlichen Wallfahrtsstätten, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 63 (1983) S. 83-103 und L. ScHMUGGE, Der falsche Pilger, in: Fälschungen im Mittelalter V. Frömmigkeit und Fälschung . Realienfälschungen (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 33, V, Hannover 1988) S. 475-484. 34 Liber Sancti Jacobi, (wie Anm . 22) Bd. 1 S. 268 f. 35 Vgl. die Quellenstellen bei L. VAZQUEZDE PARGA/ J.M. LACARRA/ J.URiA Riu, Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, 3 Bände (Madrid 1948-1949) Band 1 S. 44 f. 36 M. DEBoNNAULT D'HOUET, Le pelerinage d'un paysan picard (Montdidier 1890) S. 2. 17 <?page no="18"?> Spiritualität.indd 18 Spiritualität.indd 18 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 wollte, nicht stattfand 37 . Vor allem Adelige unternahmen im späten Mittelalter zunehmend Pilgerfahrten als Zeitvertreib oder aus Prestigedenken; manche dieser Pilger muß man als Gelegenheitspilger bezeichnen. Die verschiedenen Pilgerorte genossen wohl ein unterschiedliches Ansehen, wenn auch zeitliche Verschiebungen in Rechnung zu stellen sind. Die Frage, inwieweit auch Sozialprestige als Motivation mittelalterlicher Pilger mitspielte 38, ist deshalb ein wichtiger Aspekt der Erforschung der Pilgermotive, die auch die Spiritualität einschließen. Die bisher unterschiedenen Motivationen galten natürlich grundsätzlich für alle Pilgerzentren. Nur stichwortartig seien einige Spezifika der Santiago-Pilgerfahrten erwähnt. Der besondere Ruf des Heiligen und seine Wundermächtigkeit dürften in jedem Fall eine sehr große Anziehungskraft ausgeübt haben. Neben Rom und bedingt auch Venedig konnte man zudem hier das einzige Apostelgrab des Westens verehren. Doch anders als im Fall von Rom, dem Sitz des Papstes, ging man doch zu einem weniger der Hierarchie verbundenen Ziel, was der "Popularität" zugute kam. Außerdem galt Jakobus als erster Märtyrer unter den Aposteln und, in Verdrängung von Jacobus Minor, als "apostolorum episcopus", was vielfach in den hagiographischen Traditionen hervorgehoben wird 39 . Die schon für das 11. Jahrhundert belegte gute Infrastruktur der Wege (Herbergen, Hospize, Brücken und Straßen) nach Compostela, die Unterstützung Bedürftiger durch verschiedene Institutionen, ließen zudem die weite Reise für viele, auch für weniger Bemittelte, durchaus als möglich erscheinen. In Santiago erreichte man aber auch den äußersten Westen der damals bekannten Welt; nicht ohne Grund besuchten spätmittelalterliche Pilger auch das wenige Kilometer von Santiago entfernt das finis terrae,das "Ende der Welt" . War man so nicht auch ein Stück der Ewigkeit näher gerückt? Damit hatten aber im 37 Ed. G. EHRMANN, Georg von Ehingen, Reisen nach der Ritterschaft, 2 Bände (Göppingen 1979) besonders Band 2 S. 85 f. und 93 ff. 38 Dies wurde jüngst von J. VANHERWAARDEN, Pilgrimages and Social Prestige . Some Reflections on a Theme, in: Wallfahrt und Alltag in Mittelalter und Früher Neu zeit (Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 14, Wien 1992) S. 27-79 untersucht ; vgl. auch die weiteren Arbeiten in diesem Band. - Vgl. auch DERS.,Hebben christelijke bedevaarten een status-veranderend effect gehad? Een commentaar op een antropoloogische beschouwing, Tijdschrift voor Geschiedenis 93 (1980) S. 247-254, in Auseinandersetzung mit den Forschungen von TURNER. 39 Vgl. S. MORALEJO ALVAREZ, EI patronazgo artistico de! arzobispo Gelmirez (1100-1140): su reflejo en la obra e imagen de Santiago, in: Pistoia e il Cammino de Santiago. Una dimensione europea nella Toscana medioevale, ed. L. GAI.(Atti de! Convegno Internazionale di Studi, Pistoia 28-29-30 settembre 1984, Perugia 1987) S. 245-272, hier S. 247-259. 18 <?page no="19"?> Spiritualität.indd 19 Spiritualität.indd 19 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Falle von Santiago de Compostela Weg und Ziel eine besondere Bedeutung erlangt, die sich auch auf die Spiritualität der Pilger auswirken konnte. Santiago de Compostela war an fast allen Epochen, Entwicklungsstufen und Strukturänderungen der christlichen Pilgerfahrten beteiligt. Die Ausbildung der spanischen Traditionen um den heiligen Jakobus 40 war zwar vor allem durch die Umgestaltungen in Spanien nach der Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Muslime, weniger durch eine bestimmte Pilgerspiritualität bestimmt; entsprach aber Tendenzen der Frömmigkeitsgeschichte im nördlichen Spanien dieser Zeit und allgemein im lateinischen Westen, denn, wie schon erwähnt, wurde seit dem 8. Jahrhundert die Verehrung von Reliquien im Westen immer bedeutender. Wichtig war in diesem Zusammenhang der Gedanke, daß Himmel und Erde am Grab eines Heiligen gleichsam zusammengeführt würden 41, daß es im intentionalen Beziehungsgefüge einen "Fixpunkt für Jenseitsbeziehungen" 42 darstellen würde. Sichtbares Zeiches hierfür 40 Vgl. unter anderen M.C. DiAZYDiAZ,La Literatura Jacobea anterior al C6dice Calixtino, Compostellanum 10 (1965) S. 283-305; 0. ENGELS, Die Anfänge des spanischen Jakobusgrabes in kirchenpolitischer Sicht, Römische Quartalschrift 75 (1980) S. 146-170, Nachdruck in: DERS., Reconquista und Landesherrschaft. Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görresgesellschaft, Neue Folge Heft 53, Paderborn 1989) S. 301-325; J. vANHERWAARDEN, The Origins of the Cult of St.James of Compostela, Journal of Medieval History 6 (1980) S. 1-35; R. PLÖTZ, Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 1. Reihe 30, Münster 1982) S. 19-145; L. VONES,Die "Historia Compostellana" und die Kirchenpolitik des nordwestspanischen Raumes 1070-1130 (Kölner Historische Abhandlungen 29, Köln-Wien 1980) S. 273-288 ; K. HERBERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der "Liber Sancti Jacobi" (Historische Forschungen 7, Wiesbaden 1984) S. 1-12; R. PLÖTZ, Traditiones Hispanicae beati Jacobi, in: Santiago de Compostela. 1000 Ans de Pelerinage Europeen (Gent 1985) S. 27-40; M.C. DiAZY DiAZ,Literatura Jacobea hasta el siglo XII, in : II Pellegrinaggio a Santiago de Compostela e Ja letteratura jacopea, ed . G. SCALIA(Atti de! Convegno Internazionale di Studi, Perugia 23-25 settembre 1983, Perugia 1985) S. 225-250; J. COCHEYRAS, Saint-Jacques de Compostelle (Grenoble 1985) (mit Vorsicht zu benutzen); R. PLÖTZ, Peregrinatio ad limina Sancti Jacobi, in : The 'Codex Calixtinus' (wie Anm . 30) S. 37-49 und: DERS. , 0 desenvölvimento hist6rico do culto de Santiago, in: I Congresso Internacional dos caminhos portugueses de Santiago de Compostela (Actas), Porto 10-11-12 de Novembre 1989 (Lissabon 1992) S. 53-66. 41 Vgl. hierzu ANGENENDT, Reliquien (wie Anm . 25) . Vgl. auch den Beitrag von G. Muschiol in diesem Band. 42 W. BRÜCKNER, Zur Phänomenologie und Nomenklatur des Wallfahrtswesens und seiner Erforschung. Wörter und Sachen in systematisch-semantischem Zusammenhang, in: Volkskultur und Geschichte. Festgabe für Josef Dünninger zum 65. Geburtstag, hg. von D. HARMENING, G. LUTZ,B. SCHEMMEL und E. WIMMER(Berlin 1970) S. 384-424, hier S. 422. 19 <?page no="20"?> Spiritualität.indd 20 Spiritualität.indd 20 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 war der "unverweste" Leib des Heiligen, wie zuletzt Angenendt herausgestellt hat 43 . Wenn sich auch in Santiago de Compostela diese Idee in besonderer Weise niederschlugman denke nur daran, daß der Pilgerführer des 12. Jahrhunderts darüber berichtet, daß nur einige wenige Leichname nicht aus ihren Sarkophagen bewegt werden könnten, wozu derjenige des hl. Jakobus zähle 44, so hatte sich hier eine seit dem Frühmittelalter langsam entwickelte Vorstellung in der Raum-/ Zeitkonstellation in gewisser Weise manifestiert, die gerade im 12. Jahrhundert von den "Kultagenten" in Compostela weiter ausgebaut wurde. Eine geradezu klassische Quelle zur Spiritualität des Santiagopilgers ist der Liber Sancti Jacobi, jenes Sammelwerk aus dem 12. Jahrhundert, das vielfach ausgebeutet dennoch in seiner Gesamtheit noch viele Rätsel aufgibt 45 • Es soll nicht verschwiegen werden, daß gerade unser thematischer Protagonist, der Pilger, hier eine etwas untergeordnete Rolle spielt, es scheint, als wäre er nur nützlicher Statist im "Machtkartell" der Prälaten. Von der Kompilation "Liber Sancti Jacobi" ging auch Jose Maria Lacarra aus, als er in einem wegweisenden Aufsatz erstmals Fragen der Spiritualität des Jakobus-Kultes expressis verbis thematisierte 46; weitere Studien haben diese Ansätze aufgenommen und vertieft 47 . Zwei Aspekte erwecken in diesem Zusammenhang unsere besondere Aufmerksamkeit. Neben wichtigen kirchenpolitischen Intentionen, wie der Schaffung einer eigenen Liturgie, ist vor allem eine Verbreitung der Mirakelgeschichten um den Apostel sowie die eindringliche Hervorhebung des Weges nach Santiago in einem eigenen Buchaber auch in einigen weiteren Kapiteln von Bedeutung 48: Kaum ein Zentrum verfügte in diese r Zeit über ein 43 Vgl. Anm. 25. 44 Gültige Edition der lateinischen Fassung bei J. VIELLIARD, Le Guide du Pelerin de Saint-Jacques de Compostelle (Mäcon-Paris 1938, mehrere Neuauflagen) S. 47; vgl. weitere Literatur und deutsche Ubersetzung bei K. HERBERS, Der Jakobsweg (Tübingen 4. Aufl . 1991) S. 113 . . 45 Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 22). Vgl. hierzu HERBERS; Jakobuskult (wie Anm. 40); M. C. DiAZYDiAZ(in Zusammenarbeit mit M.A. GARCiAPINEIROund P. DEÜROTR! GO) , EI C6dice Calixtino de Ja catedral de Santiago. Estudio codicol6gico y de contenido (Monograffas de Compostellanum 2, Santiago de Compostela 1988). Zu den Mirakeln K. HERBERS, The Miracles of St. James (wie Anm. 30) und DERS., Milagro y aventura (wie Anm. 30). 46 J.M. LACARRA, Espiritualidad de! culto y de Ja peregrinaci6n a Santiago antes de la primera cruzada, in: Pellegrinaggi e Culto (wie Anm. 32) S. 115-144. 47 Vgl. vor allem die in den Anm . 21 und 40 zitierte Literatur. 48 Buch V und vor allem I 17; vgl. zur Auswertung unter dem Aspekt der Spiritualität R. 20 PLÖTZ, Santiago-peregrinatio und Jacobus-Kult, in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, 31. Band (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, Erste Reihe, 31. Band, Münster 1984) S. 24-135, hier S. 27-36; K. HERBERS, Jakobuskult (wie Anm. 40) besonders S. 108-124 und 164-181. <?page no="21"?> Spiritualität.indd 21 Spiritualität.indd 21 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 solches Dokument, das damit gleichermaßen die Verehrung der Reliquien in der Liturgie durch Klerus und durch Pilger sowie den Weg dorthin als ein gleichsam religiöses und damit auch spirituelles Erlebnis thematisiert. Der Erfolg dieser "Kultpropaganda" ist im 12.Jahrhundert noch nicht unmittelbar ablesbar, aber weitere Identifikationsmöglichkeiten boten auch die künstlerischen Gestaltungen von Heiligenlegenden als "exempla" für die Laienmissionierung durch die Predigerorden, die das religiöse Empfinden vieler aufgriffen oder in gewisse Bahnen lenkten. Wenn für das Spätmittelalter auf die Pilgerberichte als Hauptquellen verwiesen wird 49, so lassen sich hier die verschiedensten Ausprägungen einer inneren spirituellen Disposition ermitteln, welche die Forschung in jüngster Zeit mehrfach in den Blick gerückt hat. Daß die Pilgerberichte oder die sonstigen Quellen nicht immer das hergeben, was den Pilgern selbst wichtig war, ist kein Phänomen vergangener Zeiten. Sie stellen uns jedoch wie auch die vielen verschiedenen paraliturgischen Devotionsformen der Zeit vor der Reformation 50, die den offiziellen kirchlichen Kontext sprengten einen bunten Strauß an Vorstellungen und inneren Einstellungen vor, die sich teilweise widersprechen, die aber auch deutlich machen, daß es sicher auch schon früher einer Zeit, die ärmer an individuellen Zeugnissen war vieles gab, was sich nicht so einfach auf einen Nenner bringen läßt. Dieser Vielfalt, die bis heute sicher grundsätzlich fortbesteht, muß bei allen Forschungen vor allem im Mentalitäts- und Frömmigkeitsbereich immer wieder Rechnung getragen werden. 49 Vgl. an jüngerer Literatur zu den Reise- und Pilgerberichten und zu den Schwierigkeiten der Auswertung : CH. HIPPLER, Die Reise nach Jerusalem. Untersuchungen zu den Quellen, zum Inhalt und zur literarischen Struktur der Pilgerberichte des Spätmittelalters (Europäische Hochschulschriften Reihe 1 Band 968, Frankfurt-Bern 1987); Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, hg. von K. HERBERS (Jakobus-Studien 1, Tübingen 1988); P. BRENNER, Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichtes, in: DERS.(Hg.), Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur (Frankfurt/ Main 1989) S. 14-49 (vgl. auch die weiteren Beiträge in diesem Sammelband); W. PARAVICINI, Die Preußenreisen des europäischen Adels, Teil 1 (Beihefte der Francia 17/ 1, Sigmaringen 1989); GANZ-BLÄTILER, Andacht (wie Anm. 21); P. CAUCCI VONSAUCKEN, La literatura odep6rica compostelana, in: EI Camino de Santiago. Curso de Verano de Ja Universidad Internacional de! Atläntico, coordinado por S. MüRALEJOALVAREZ, 10. bis 14. August 1987 (Santiago de Compostela 1990) S. 45-59 sowie die Beiträge in dem Sammelband: Reisen und Welterfahrung in der deutschen Literatur des Mittelalters, hg. von D. HuSCHENBETI und J. MARGETIS(Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 7, Würzburg 1991). 50 Vgl. hierzu den Beitrag von F. Rapp in diesem Band. 21 <?page no="22"?> Spiritualität.indd 22 Spiritualität.indd 22 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 In diese Vielfalt wollen die folgenden Beiträge einen Einblick vermitteln. Sie stellen den größten Teil der Vorträge dar, die auf der Jahrestagung der Jakobus-Gesellschaft in Münster (1990) gehalten und für den Druck überarbeitet wurden. Trotzdem läßt sich die Reichhaltigkeit der Auseinandersetzung nicht in einem Band vollständig dokumentieren. Auch die Diskussion in Gruppen darüber, was die eigene Spiritualität ausmachen könnte, kann in einem Druckwerk kaum angemessen wiedergegeben werden und bleibt ausgespart. G. Muschiol beleuchtet eine frühe Entwicklungsphase des Pilgerns und die Einflüsse, die der christliche Osten an den Westen weitergab, und fragt, inwieweit sie im Westen auf einen fruchtbaren Boden fielen. F. Rapp nimmt die Vielfalt der Erscheinungen im späten Mittelalter in den Blick; dabei läßt sich an Formen der Frömmigkeit auch eine Mannigfaltigkeit spiritueller Ausdrucksformen ablesen, die uns vielleicht heute verloren gegangen ist. Die Beiträge von U. Ganz-Blättler und G. Wendling schöpfen vor allem aus Selbstaussagen, den Pilgerberichten. Hier war kein direktes Bekenntnis der Autoren dieser Berichte über die eigenen Empfindungen und Vorstellungen zu erwarten, die Texte mußten demgemäß gegen den Strich gelesen werden, um halbwegs verläßliche Aussagen zur Spiritualität zu ermitteln. Der von G. Wendling analysierte (und völlig neue) Text verdankt seinen Reiz vor allem der Tatsache, daß hier ein vielleicht typischer Zeitgenosse der pietasAustriacaund des Barock zur Sprache kommt. Jedenfalls wird er als ein typischer Vertreter dieser Richtung interpretiert, und es wirft sich damit die Frage auf, inwieweit eine individuelle Spiritualität von den Zeitumständen abhängt und bedingt ist. Genauere Aussagen sind sicher nur möglich, wenn für eine Epoche vergleichbare Pilgerberichte vorliegen. J. Sudbrack schlägt schließlich den Bogen zur heutigen Zeit, indem er an eigene Kindheitserfahrungen anknüpft und Möglichkeiten beschreibt, Transzendenz in der Immanenz zu erleben. Seine theologischen Ausführungen werden schließlich durch einen vom Tagungsort Münster bedingten - Beitrag von A. Schröder ergänzt, der die Spuren eines Kultes räumlich beschreibt und in seiner Gesamtheit erfaßt. Da hier weniger Personen als Objekte eine Rolle spielen, ergibt sich die Frage, inwiefern auch solche Spuren noch Ausdruck der dahinter stehenden, zumeist unbekannten Menschen sind . Dies ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, und sogar ein Patrozinium kann hierzu in günstigen Fällen weitere Aufschlüsse versprechen. Ausgespart wurde bei diesem, zugegebenermaßen fragmentarischen Überblick das hohe Mittelalter, weil hierzu schon am meisten geforscht 22 <?page no="23"?> Spiritualität.indd 23 Spiritualität.indd 23 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 wurde, von den Studien zum Liber Sancti Jacobi war bereits die Rede. Dennoch sollte man bei der Lektüre der nachfolgenden Beiträge im Auge behalten, daß der Grund für den Erfolg der Jakobus-Pilgerfahrt im späten Mittelalter wohl vor allem im 12. Jahrhundert teilweise sogar schon früher gelegt wurde . Dies gilt auch für die künstlerischen Ausdrucksformen dieser Entwicklung, die in diesem Band sicher zu kurz kommen. Aber ohne das ikonographische Gesamtprogramm der Kathedrale von Santiago de Compostela und ohne einen Meister Mateo und dem von ihm geschaffenen "P6rtico de la Gloria" wüßten wir sicher weniger darüber, wie man sich am Heiligen Ort Santiago selbst verstand; und dieses Selbstverständnis war sicher nicht ohne Einfluß auf Vorstellungen und Spiritualität der Pilger, die seit dieser Zeit in Massen nach Santiago strömten; nicht nur, weil es vielleicht Mode war, sondern auch, weil hier ihre eigene Spiritualität einen angemessenen Ausdruck finden konnte. Wenn auch der Band sicher keine Definition des doch eher modischen Begriffes Spiritualität bieten kann, so hätte er schon sein Ziel erreicht, wenn er wenigstens Anlaß böte zu Fragen über die Methode weiterer Forschungen, zu Vergleichen mit anderen Pilgerzentren des Christentums und anderer Religionen und schließlich auch dazu, welche inneren Einstellungen und Motive heute noch immer zahlreiche Pilger auf den Weg zu fernen Orten treiben, und wie diese sich von denen früherer Menschen unterscheiden oder nicht. Zum Schluß bleibt uns noch die angenehme Aufgabe, uns für die Begleitung auf dem "Harten Weg" (Petrarca) der Pilgerfahrt durch die Zeit und deren Spiritualität zu bedanken: Bei den Autoren der Beiträge, beim Verleger, bei der Diözese Münster für wichtige finanzielle und strukturelle Hilfe und bei Manuel Santos (Santiago de Compostela/ Tübingen) für die Erstellung und Kontrolle der "resumenes" . Resumen: Los autores investigan el significado del termino "espiritualidad" dentro del concepto occidental cristiano e intentan determinarlo y relacionarlo con la historia de la devoci6n/ piedad y de la mentalidad. Llegan al resultado de que la investigaci6n hasta hoy realizada acerca de la tematica de peregrinos y peregrinaciones al mismo tiempo ha sido una investigaci6n de las distintas formas de espiritualidad . Tal finalidad se cristaliza en algunos nucleos importantes dentro de la investigaci6n, como son para el peregrino en el camino la condici6n de apatrida, de ser extranjero en este mundo, la llegada a la meta, el lugar santo, y la motivaci6n de la gente en el camino . El culto de reliquias y de 23 <?page no="24"?> Spiritualität.indd 24 Spiritualität.indd 24 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 las turnbas de santos, los rnilagros en el lugar santo o en el carnino y los relatos de los peregrinos entran de un u otro rnodo en el terna de la espiritualidad. Es tarnbien prop6sito de los autores present; : i.ren su reportaje sobre Ja investigaci6n los distintos grados de evoluci6n dentro del terna y en especial su irnportancia para Ja peregrinaci6n a Santiago de Cornpostela. La ultima parte de! articulo sirve de introducci6n para el contenido de! torno en cuesti6n. 24 <?page no="25"?> Spiritualität.indd 25 Spiritualität.indd 25 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zur Spiritualität des Pilgerns im frühen Mittelalter GISELA MUSCHIOL Über das frühe Mittelalter, wie es von Gregor von Tours geschildert wird, schreibt Peter Brown: "lt is a world of movement. We are often on the roads of Gaul and Italy" 1. Was trieb die Menschen "auf die Straße"? Mit welcher Motivation machten sich im frühen Mittelalter Männer und Frauen auf den Weg zu einem Heiligtum, auf eine Pilgerfahrt? Welches Gottes- und Weltverständnis "bewegt" zum Besuch heiliger Orte? Wie sieht eine "Spiritualität des Pilgerns" aus ? 1. Pilgerschaft und Spiritualität in der Antike und im Urchristentum Neben vielen anderen Autoren weisen Bernhard Kötting2 und zuletzt Dagmar Stutzinger1 darauf hin, daß Pilgerfahrt und Wallfahrt in der Antike zum religiösen Handeln gehörten und in der naturreligiösen Veranlagung des Menschen ihre Wurzeln haben. Heilige Orte, die Gläubige gleich welcher Religion anzogen, sind eine vertraute Erscheinung der Antike. Das Urchristentum allerdings, die Gemeinde des Neuen Testaments, kennt anfangs keinen heiligen Ort, zu dem irgendeine Form von Wallfahrt notwendig wäre. Im Gegenteil: Heilig ist jeder Ort, an dem sich die "Gemeinschaft der Heiligen" versammelt, um gemeinsam im Namen Jesu zu beten oder das Herrenmahl zu halten 4• Das Neue Testament übt zudem deutliche Kultkritik an der Idee des heiligen Ortes. l P. BROWN, Relics and Social Status in the Age of Gregory of Tours (The Stenton Lectur e 10, 1977) 5.10. 2 Vgl. B. KÖTIING,Peregrinatio religiosa . Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwes en in der alten Kirche (Forschungen zur Volkskunde 35/ 36, 2 1980) S. 12-15, passim. 3 Vgl. H. BECK/ P .C. BOL(Hg.) , Spätantike und frühes Christentum . Ausstellung im Liebieghaus Museum alter Plastik Frankfurt am Main (1983) S. 210 mit dem von D. STUTZINGER verfaßten Überleitungstext. 4 Zur Versammlung "im Namen Jesu" vgl. L. CLERICI , Einsammlung der Zerstreuten. Liturgiegeschichtliche Untersuchung zur Vor- und Nachgeschichteder Fürbitte für die Kirche in Didache 9, 4 und 10, 5 (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 44, 1966) S. 65-102. 25 <?page no="26"?> Spiritualität.indd 26 Spiritualität.indd 26 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Im Gespräch amJakobsbrunnen (Joh. 4, 20-24) über den richtigen Ort der Anbetung verwirft Jesus die Bindung der Verehrung Gottes an bestimmte Orte, die Bindung an Materie überhaupt und postuliert stattdessen die Anbetung im Geist und in der Wahrheit. Indem Christus im paulinischen und pseudopaulinischen Briefkorpus als neuer Tempel bezeichnet wird, ist für die frühen Christengemeinden jeder irdische Tempel ohne Bedeutung (vgl. Eph. 1, 23; Kol. 1, 18; 2, 9). Und schließlich spricht der Hebräerbrief deutlich davon, daß sich die Christen nicht auf einen irdischen, sondern auf einen jenseitigen Ort auszurichten haben (Hebr . 13, 14)5. Wohl gibt es den Gedanken des "Hinaufgehens nach Jerusalem", weil Jerusalem den Status der Muttergemeinde hat (Apg. 20, 16; 2 Kor. 8, lff.) . Jedoch ist dies nicht in erster Linie die Idee einer Wallfahrt zum heiligen Ort, sondern es ist der Zusammenhalt der Gemeinden untereinander, der hier seinen Ausdruck findet. Erst im zweiten Jahrhundert bildet sich eine Wallfahrt nach Jerusalem im Christentum 6, die sich gedanklich auf Ps. 131, 7 stützt: Adorabimus in loco, ubi steterunt pedes eius (Laßt uns anbeten an dem Ort, wo seine Füße gestanden haben) . Nach der konstantinischen Wende lebt die Wallfahrt nach Jerusalem und zu allen Orten des Heiligen Landes auf, an denen Jesus gelebt hat, den Tod erlitt und auferstand 7• Neben der Jerusalemwallfahrt, für die es schon in der Spätantike einige sehr wichtige Pilgerberichte gibt 8, entwickelt sich eine weitere Form der Pilgerfahrt sprunghaft: die Reise zu den Gräbern der Heiligen. Wie die nichtchristliche Antike bereits die Wallfahrt zu den Heroengräbern kannte, entwickelte sich in der frühen Kirche parallel zur Entfaltung des Heiligenkultes das Wallfahrtswesen 9• Auch hier findet sich, wie für die Jerusalemfahrt, eine biblische Begründung. Angeführt wird der Schluß des Markusevangeliums: 5 Vgl. dazu M. LATTKE, Art. Heiligkeit III. Neues Testament, in: Theologische Realenzyklopädie 14, 5.703-708, hier 706: "An die Stelle des Tempels als des heiligen Ortes der anrufbaren Präsenz Gottes ist unter diesem ekklesiologischen Aspekt die ökumenische Kirche aus 'Heiden' (vgl. Röm . 15, 16) und Juden getreten, die durch den Geist Gottes heilig ist (lKor. 3, 16f.)". 6 Vgl. KöTTING, Peregrinatio, S. 85. 7 Vgl. Bernhard KöTTING, Prinzipielles zu Wallfahrt, Heiligen und Bilderverehrung, in: DERS., Ecclesia peregrinans. Das Gottesvolk unterwegs. Gesammelte Aufsätze 2 (Münsterische Beiträge zur Theologie 54/ 2, 1988) S. 260-269, hier S. 262. 8 Vgl. H. DoNNER, Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4.-7.Jahrhundert) (1979) S. 29-32. 9 Vgl. KöTTING, Peregrinatio, S. 5. 26 <?page no="27"?> Spiritualität.indd 27 Spiritualität.indd 27 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Und durch die, die zum Glaubengekommen sind, werdenfolgende Zeichen geschehen: In meinem Namen werden sie Dämonenaustreiben; sie werden in neuenSprachenreden; wenn sie SchlangenanfassenodertödlichesGift trinken, wird es ihnen nicht schaden; und die Kranken,denen sie die Hände aufiegen, werdengesund werden. (Mk. 16, 17f.) Die Apostelgeschichte bestätigt diese Prophezeiung (Apg. 3, 1-10; 5, 12-16), und was für die Apostel gilt, gilt dann auch für die "Gemeinschaft der Heiligen". Zuerst ist das die Gemeinde als ganze, später sind es die besonders Herausgehobenen und Auserwählten: die Martyrer und Blutzeugen. Von ihnen erwartet man sich Heil, deswegen wählt man den Weg zu ihren Gräbern. Denn "mit dem Glauben an das Weiterleben nach dem Tod verband sich die Vorstellung, daß die Heiligen, die vor ihrem Tode als Gottes Werkzeuge Wunder gewirkt hatten, nun nach ihrem Verscheiden nicht geringere Macht besäßen" 10• Hier bereits wird sichtbar, was für das Frühmittelalter Angenendt so beschreibt: "Die Stätte, von der aus der Heilige am mächtigsten wirkt, ist sein Grab, denn hier bleibt er, der inzwischen bei Gott ist, leibhaftig auf Erden gegenwärtig; hier folglich muß man ihn aufsuchen. Immer sind Scharen von Bittstellern unterwegs, ständig ist das Grab umlagert" 11• Für die Antike ist Seleukia, die Hauptkultstätte der hl. Thekla, der früheste Heiligenwallfabrtsort in Kleinasien, damit wohl das früheste Pilgerziel zu einem Heiligen bzw . zu einer Heiligen überhaupt. Thekla wird Erzmartyrerin genannt, sie ist erst als Verstorbene Ziel frommer Besucher und Besucherinnen geworden. 12 Das Abendland kennt die früheste Wallfahrt zu einem Heiligen, der nicht Martyrer ist: zu Martin von Tours, dessen Verehrung schon zu Beginn des 5. Jahrhunderts einsetzt. Martin ist sogar bereits als lebende Person Ziel von Pilgern gewesen 13• In seiner Person spiegelt sich eines der beiden zentralen Themen, die die Wallfahrt und das Pilgern im frühen Mittelalter anstoßen, motivieren und geistlich gestalten: Martin ist der Gottesmann, dervir Dei. 10 KöTIING,Peregrinatio, S. 293. 11 A. ANGENENDT, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400-900 (1990) s. 187. 12 Vgl. R. ALBRECHT, Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla- Tradition. Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jahrhundert in Kleinasien (1986) S. 240-246; vgl. KöTIING,Peregrinatio, S. 82. 13 Sulpitius Severus, Vita Sancti Martini c. 25, ed . J. FoNTAINE, Sulpice Severe . Vie de Saint Martin (Sources Chretiennes 133, 1967) S. 308f., vgl. ebenfalls in den Dialogen an diversen Stellen . 27 <?page no="28"?> Spiritualität.indd 28 Spiritualität.indd 28 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 II. Theios aner vir Dei famula Dei Zu beginnen ist mit der männlichen Variante dieses heiligen Menschen, die insgesamt deutlich besser erforscht ist als die weibliche. Schon die Antike kennt den theiosaner, dessen Kennzeichen auch im frühen Mittelalter durchaus vergleichbar sind : - Schon vor seiner Geburt wird der theiosanerseinen Eltern als außergewöhnlicher Mensch angekündigt. - Er hat, zumindest in der Antike, oft ein außergewöhnliches Aussehen. - In der Antike kennzeichnet ihn sein Streben nach Wissen und Wahrheit, während im frühen Mittelalter sein ganzes Ziel Gott und die persönliche Heiligkeit sind. - Seine Fähigkeiten sind außergewöhnlich: Er kann Dämonen austreiben, Kranke heilen, Tote erwecken, Seuchen vertreiben, die Naturgewalten beruhigen und bezwingen. - Zuletzt ist sein Tod von ganz besonderer Art- und im frühen Mittelalter, wie noch zu zeigen sein wird, auch seine Existenz nach dem Tod. Die antiken Heroen und Philosophen unterscheiden sich vom christlichen Asketen nicht so sehr in ihren Taten als vielmehr in ihrem Verhältnis zum öffentlich-politischen Wirken: Während die Asketen in Abgeschiedenheit leben, greifen die Heroen und Philosophen in Erziehung und Politik bewußt und dauernd ein. Das Eingreifen des Asketen geschieht dagegen nur auf besondere Veranlassung hin, unter besonderen Umständen, meist sogar wider den erklärten Willen des Asketen 14. Ein besonderes Beispiel ist dafür Antonius der Einsiedler 15, der erste christliche Asket, von dem uns eine ausführliche Lebensbeschreibung vorliegt. Antonius flieht die Nähe der Menschen, nachdem er einen Bekanntheitsgrad erlangt hat, der ihm in seinem Streben nach Askese und Zurückgezogenheit lästig wird. Er zieht in die "innere Wüste", nach 14 Grundsätzlich zur Frage des theios aner vgl. L. BIELER, Theios Aner. Das Bild des "göttlichen Menschen" in Spätantikeund Frü h christentum ( 2 1936), zum hier angesprochenen Punkt besonders S. 18-22; zum Ganzen auch D. STUTZINGE R, Theios Aner. Die Vorstellung vom außergewöhnlichen, göttlichen Menschen, in: BECK/ BoL, Spätantike und frühes Christentum, S. 161-175. 15 Vgl. dazu B. STEIDLE, "Homo Dei Antonius". Zum Bild des "Mannes Gottes" im alten Mönchtum, in: DERS.,Antonius Magnus Eremita 356-1956 . Studia ad antiquum monachismum spectantia (Studia Anselmiana 38, 1956), S. 148-200. 28 <?page no="29"?> Spiritualität.indd 29 Spiritualität.indd 29 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Oberthebais, um abge .schieden leben zu können 16 • Schon vorher hatten erst Nachfragen und ausdrückliche Bitten, immer gepaart mit dem Glauben der Bittenden, dazu geführt, daß Antonius zum Heil bzw. zur Heilung der Menschen eingriff. Die Bitte des Offiziers Martinianus, der um Heilung seiner von einem Dämon besessenen Tochter fleht, ist ein Beispiel für einen Eingriff des Heiligen wider seinen erklärten Willen 17 • Bei der Heilung eines jungen Mädchens aus Tripolis verweist Antonius ausdrücklich auf seine reine Verkündigungstätigkeit, die deutlich weniger als eine Mittlerfunktion ist: "Denn nicht mein ist die gute Handlung, weshalb sie zu mir, dem armseligen Menschen kommen müßte, sondern die Heilung ist das Werk des Erlösers, der überall sein Erbarmen zeigt denen, die ihn anrufen. Und ihr hat der Herr auf ihr Gebet Gehör geschenkt, mir aber hat er seine Menschenfreundlichkeit geoffenbart, daß er das Leiden des Kindes, während es noch dort weilt, heilen will" 18. Antonius wirkt also durch sein Gebet und seine Askese an den Wundern mit; sein Biograph Athanasios betont jedoch, daß es eigentlich Christus selbst ist, der die Heilung vollzieht. Athanasios macht gleichfalls deutlich, daß zur Heilung notwendigerweise der persönliche Glaube des/ der zuHeilendengehört 19• NachAthanasios weiß auch Antonius um beide Bedingungen: Um bewußt von seiner Person abzulenken, bittet er zwei Freunde, ihn nach seinem Tod an einem geheimen Ort zu begraben, um nicht sein Grab zu einer Wallfahrtsstätte werden zu lassen 20 . Etwas anders als in der Vita Antonii zeigen sich nun die Umstände bei dem schon erwähnten Martin von Tours (t 397). Er ist Asket, hält auch nach seiner Berufung zum Bischof von Tours noch an seiner asketischen Lebensweise fest und versammelt in Marmoutiers bei Tours eine Schar von Asketen um sich, mit denen er in loser Organisation zusammenlebt21. Sulpitius Severus (t um 420) schreibt noch zu Martins Lebzeiten dessen Vita. Vorbild ist für ihn die Vita des Antonius. Auch Martin ist ein Asket, "der in seiner Abtötung das unblutige Martyrium erleidet, sich dadurch reinigt und bei Gott so sehr verdient macht, daß er dessen virtus erhält" 22 • Martin ist sich zwar, wie Antonius, bewußt, 16 Vgl. Athanasius, Leben des hl. Antonius c. 49 (Bibliothek der Kirchenväter 31, 1917) S. 60f., den griechischen Text der Vita in MIGNE,Patrologia graeca 26, Sp. 837-976. 17 Vgl. Bibliothek der Kirchenväter 31, c. 48, S. 59. 18 Ebd . c. 58, S. 69. 19 Vgl. ebd. c. 83, S. 91; c. 84, S. 91. 20 Vgl. ebd. c. 91, S. 97f. 21 Vgl. ANGENENDT, Frühmittelalter, S. 98. 22 Ebd. 29 <?page no="30"?> Spiritualität.indd 30 Spiritualität.indd 30 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 daß ihm die Kraft zu Heilungen und Wundern von Gott her zuwächst. Anders jedoch als bei Antonius ist die Intensität seiner Askese maßgeblich für die Intensität seiner Wunder. Sulpitius Severus schreibt "seinem" Heil igen zu, daß er über den Einsatz seiner virtus für oder gegen Menschen oder Dinge selbst entscheiden kann 23. Die Funktion des Heilsverkünders ist bei Martin bereits stärker zur Funktion des Heilsmittlers geworden. Martins Gebetskraft und seine leibliche Gegenwart sind es, die einen Toten nach und nach ins Leben zurückholen, während Martin spürt, wie der "Geist des Herrn ihm Wunderkraft zuströmen läßt" 24. Bei der Begegnung mit einem Leichenzug, den Martin von weitem für einen Gruppe von Götzendienern hält und durch Kreuzzeichen zum Stehen zwingt, sagt Sulpitius ganz deutlich, welche Kraft er Martin zumißt: Martins Wille hat den Zug zum Halten gezwungen und sein freies Ermessen das Weiterziehen ermöglicht 25• Selbst "Fernheilungen" gibt es: Der Präfekt Arborius legt seiner kranken Tochter einen Brief Martins auf die Brust, und schon ist sie geheilt 26 . Wie sehr jedoch alle Wunder vom Maß der Askese Martins abhängig sind, überliefert Sulpitius in den Dialogen . Martin selbst habe geäußert, daß ihm während der Zeit seines Bischofsamtes weniger virtus zur Verfügung gestanden habe als in der früheren Zeit seines mönchischen und asketischen Lebens 27 • Ähnliche Beispiele, wie sie von Martin überliefert sind, finden sich in den meisten Heiligenviten des frühen und sogar des hohen Mittelalters. Selbst noch in der Lebensbeschreibung des Bernhard von Clairvaux wird berichtet, daß das Volk von Mailand unbedingt mit ihm in Berührung kommen möchte, ihm Fäden aus seinen Kleidern reißt, um durch die Heiligkeit des Gottesmannes für sich selbst Heil zu erlangen 28. Jedoch sind es nicht nur Gottesmänner, die schon als Lebende Heil für diejenigen erwirken können, die zu ihnen pilgern . Gerade im frühen Mittelalter und besonders in der irischen Kirche sowie in der ir,isch 23 Vgl. ebd. 24 Sulpitius Severus, Vita Martini c. 7 (Sources chretiennes 133, 1967) S. 266-268: Et cum aliquandiuorationiincubuissetsensissetque perspiritum Dominiadessevirtutem,... 25 Ebd. c. 12, S. 278: Ita eoset, cum voluit, stareconpulitet, cum libuit,abirepermisit. 26 Ebd. c. 19, S. 292 . 27 Sulpitius Severus, Dia! . II, c. 4, ed . K. HALM (Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum 1, 1866) S. 184: ... nequaquamsibiin episcopatueam virtutum gratiamsuppetisse, quamprius se habuissememinisset. 28 Vita S.anctiBernardi prima , Liber II auctore Ernaldo, MIGNE Patrologia latina 18q, Sp. 274 . Ahnliches wird schon von Simeon dem Styliten überliefert, das Volk zieht Fäden aus dem Gewand, zum Pilgerandenken , vgl. B. KörrrNG, Wallfahrten zu lebenden Personen im Altertum, in: DERS., Ecclesia peregrinans 2, S. 270-286 , hier S. 282. 1 30 <?page no="31"?> Spiritualität.indd 31 Spiritualität.indd 31 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 beeinflußten Klosterbewegung auf dem Kontinent im 7. Jahrhundert finden sich zahlreiche heilige Frauen, die den Gottesmännern in keiner Weise nachstehen. An erster Stelle ist die heilige Genovefa zu nennen, Schutzpatronin der Stadt Paris und angesichts der Hunnengefahr im 5. Jahrhundert die "Bürgermeisterin für Soziales" in der Stadt. Ihr erstes Wunder erreicht Genovefa noch als kleines Mädchen. Von der Mutter nicht mit zum Gottesdienst genommen, zetert sie solange, bis sie sich eine Ohrfeige einhandelt. Die Mutter verliert genau in dem Augenblick, da sie ihrer Tochter die Ohrfeige gibt, ihr Augenlicht. Doch holt Genovefa schließlich Wasser aus einem Brunnen, das die Mutter heilen soll. Unter Genovefas Gebet und mit Hilfe eines von ihr durch ein Kreuzzeichen gesegneten Tuches erhält die Mutter schließlich ihr Augenlicht wieder2 9• Auf einer Reise wird Genovefa in Laon zu einem gelähmten Mädchen geholt. Sie betet und berührt die gelähmten Glieder des Mädchens mit ihren Händen. Daraufhin erhebt sich das Mädchen allein von seinem Bett und ist geheilt 30• Fast alle Heilungen Genovefas geschehen durch Gebet, Segnung mit dem Kreuzzeichen und unter Berührung der kranken Glieder durch Genovefas heilende Hand. Genovefa muß, vergleichbar dem vir DeiMartin, von Zeit zu Zeit ihre virtus regenerieren. Sie läßt sich deshalb von Epiphanie bis Gründonnerstag in ihrer Zelle einschließen, um sich Gott ganz in Gebet und Nachtwachen zu widmen. Natürlich ruft sie durch diesen Rückzug die Neugier anderer hervor. Eine mit ihr lebende Religiose, die durch das Schlüsselloch schaut, möchte wissen, was Genovefa in ihrer Zelle tut, wie sich die ihr innewohnende göttliche virtus wieder "auflädt" 31 • Für ihre Neugier wird die Religiose mit Blindheit gestraft3 2, doch am Ende der Fastenzeit erhält sie durch Gebet und Kreuzzeichen der Genovefa ihr Augenlicht wieder. Gleichzeitig tritt der Autor der Vita mit dieser Geschichte den Beweis dafür an, daß nach der langen Phase der Rekreation die Wunderkraft Genovefas tatsächlich wieder unvermindert vorhanden ist. Schließlich wirkt Genovefa sogar in Tours, d.h. in der Nähe des Martinsgrabes, ein Wunder3 3• Monegundis, die im 6. Jahrhundert in einem Frauenkloster im Vorhof der Martinskirche in Tours lebt, gilt ebenfalls als besonders wirkmäch- 29 Vita Genovefae c.7, MGH 55 rer. Merov. 3, S. 217f. 30 Ebd . c. 25, S. 225f. 31 Ebd . c. 34, S. 229. 32 Die Strafe entspricht hier übrigens genau dem Vergehen: Die Augen haben gesündigt, die Augen werden gestraft. 33 Vita Genovefae c. 46, S. 234. 31 <?page no="32"?> Spiritualität.indd 32 Spiritualität.indd 32 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 tige fromme Frau . Eine blinde Frau bittet um Heilung unter Gebet und Handauflegung. Monegundis hält sich jedoch für unwürdig, besonders angesichts des nahen Martinsgrabes . Die blinde Frau hält hartnäckig daran fest, daß Monegundis in der "Verwaltung der göttlichen Gnade" allen überlegen sei. Schließlich fügt sich die famula Dei,Dienerin Gottes genannte Monegundis, legt der Bittstellerin die Hände auf, und die blinde Frau ist geheilt. Die virtus der Monegundis übertrifft in dieser Geschichte , w ie schon bei Genovefa, die virtus des Martin 34 • Auch der vierten Äbtissin von Arles, Rusticula, wird mehrmals in den Quellen deutlich die Mittlerfunktion der advocatrixzugesprochen 35• So wie der vir Dei als betender und asketisch lebender Mann die Gotteskraft erhält und erwirbt, so ist auch die femina Deioder famula Dei diejenige, die durch ihr aktuelles Gebet und ihre ständige Askese jene Wunder erreichen und verteilen kann. Die irische Äbtissin lta besitzt eine solch große Wunderkraft, daß Äbte, Bischöfe und Priester zu ihr pilgern, um von ihr den Segen zu erhalten. Ein befreundeter Abt läßt sie in seiner Todesstunde zu sich bitten, da er mit ihrem Gebetsbeistand sicher sein kann, sein himmlisches Pilgerziel zu erreichen 36 • Sowohl der vir Dei als auch die famula Dei sind damit religionsgeschichtlich als Heilsmittler und Heilsmittlerin zu sehen. "Der Kontakt <eines einzelnen Bittstellers, d. Vfin.> kommt nicht unvermittelt zustande, sondern dank bestimmter Mittelspersonen, die durch ihre eigene Gottverbundenheit auch für andere den Gotteszugang ermöglichen" 37 • Der vir Dei und die femina Dei als Mittler und Mittlerin zwischen Gott und den Menschen sind damit in einer Rolle, die vom Neuen Testament her nur Christus zukommt. Indem die Heilungsszenen mancher Viten parallel zu ihren neutestamentlichen Vorbildern gestaltet und geschildert wurden, wird die Absicht der Vitenschreiber und -schreiberinnen sichtbar : Der vir Dei gilt als alter Christus. Nicht allein Christus ist der mediatorinter Deum et homines,sondern der vir Dei übernimmt die Rolle des mediatorbzw. die femina Dei die Rolle der mediatrix. 34 Vita Monegundis c. 1, Greg . Tur. Lib . Vitae Patr. XIX,MGH SS rer. Merov . 1 / 2, S. 287. 35 Vita Rusticulae sive Marciae c. 29, MGH SSrer. Merov . 4, S. 351. Vgl. da zu G . MuSCHIOL, Famula Dei. Zur Liturgie in merowingischen Frauenklöstern (Diss . masch . 1990, erscheint in : Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Ben ediktinerorden s 1992) S. 503f. 36 Vita lte c. XIII, ed . C. Pl.UMMER, Vitae Sanctorum Hibemiae 2 (1910) S.120; vgl. Mu - SCHIOL, Famula Dei, 5. 506-509. 37 AN GENENDT, Frühmittelalt er, 5. 190. 32 <?page no="33"?> Spiritualität.indd 33 Spiritualität.indd 33 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Wenn schon die lebenden Heiligen im frühen Mittelalter eine derartige Rolle einnehmen und Pilger aller Gegenden anziehen 38, so ist es einleuchtend, daß der tote Heilige und die tote Heilige erst recht mit einer großen Anhängerschar rechnen können. Mußten die lebenden Heiligen mitunter essen, schlafen und beten, um überhaupt für Wunder zur Verfügung stehen zu können, so sind die toten Heiligen für alle Pilger und Pilgerinnen rund um die Uhr präsent 39 • III. Reliquien oder "der unverweste Leib" Die Vorstellung von der Präsenz der Heiligen an ihrem Grab ist für die Pilger ebenso real wie die Vorstellung der gleichzeitigen Präsenz der Heiligen im Himmel. Leib und Seele, irdischer und himmlischer Leib, existieren nicht in völliger Trennung voneinander, sondern bleiben "in Kontakt". Das Grab als Ort des irdischen Leibes ist damit die Verbindungsstelle zur Seele im Himmel. Diese Idee der besonderen Präsenz der Heiligen am Grab kulminiert nun im "unverwesten Leib", im corpus incorruptum. An dieser Stelle ist ein Rückgriff auf die Vorstellungen des Urchristentums notwendig. Angenendt 40 hat dargelegt, welche gewandelte Rolle dem irdischen Leib in der frühen Christenheit zukommt. Die Christen antworteten mit 2 Kor. 15, 44 (Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib) auf die Erfahrung der Verweslichkeit des Leibes: Nicht die Wertlosigkeit des irdischen Leibes, sondern die Verwandlung in einen überirdischen Leib nach dem Tod war Ansatz ihrer Hoffnung. Der irdische Leib aus Staub kehrte wieder zu Staub zurück, während der überirdische Leib das ewige Leben bedeutete. Eine Verehrung toter Leiber oder gar "knöcherner Reliquien" hatte in diesem Menschen und Gottesbild keinen Ort 41• Diese Auffassung änderte sich in der Auseinandersetzung des Christentums mit der Gnosis. Weil die Gnosis alle Leiblichkeit als ungeistig und verderblich ablehnte, begann 38 Vgl. L. PIETRI, La_Ville de Tours du IVe au VIe siede: naissance d'une cite chretienne (Collection de l'Ecole Frarn; aise de Rome 69, 1983) S. 553 mit der Karte der Herkunft der Wunderpilger nach Tours zum Martinsgrab. 39 Vgl. die Sorge von Monegundis bzw. ihren Schwestern für die Zeit nach dem Ableben der Heiligen, Vita Monegundis c. 4, S. 289f. 40 Vgl. A. ANGENENDT, Der Kult der Reliquien, in: Reliquien. Verehrung und Verklärung. Katalog zur Ausstellung der _KölnerSammlung Louis Peters im Schnütgen-Museum (1989) S. 924. Die folgenden Uberlegungen stützen sich auf diesen Aufsatz und sind aus der Beschäftigung mit ihm entstanden. 41 Vgl. ANGENENDT , Reliquien, s. 9. 33 <?page no="34"?> Spiritualität.indd 34 Spiritualität.indd 34 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 man im Christentum nun, entgegen der gnostischen Verflüchtigung, einen Zusammenhang von irdischem und himmlischem Leib zu sehen: Der neugeschaffene Auferstehungsleib setzte am irdischen Leib an. "Maßgeblich wurde dabeiein Wort aus dem Buch Hiob, dessen Version nach der Vetus Itala (der altlateinischen Bibelübersetzung) wie auch nach der Vulgata (der von Hieronymus geschaffenen Übersetzung) lautet: Ich werde wieder mit meiner Haut umgeben, und in meinem Fleisch werde ich Gott schauen (Hiob 19,26). Nach heutiger Exegese ist freilich genau anders zu übersetzen: Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen 42 • Von nun an gewann im Christentum das Grab als Ort der körperlichen Überreste eine neue Qualität. Konkret bedeutete dies: Die Gräber der viri Deiund der famulae Dei rückten in den Mittelpunkt der Verehrung, denn diese Heiligen (Martyrer und Martyrerinnen, Asketen und Asketinnen) waren zwar bereits zur Anschauung Gottes gelangt, gleichzeitig waren sie aber in ihren irdischen Resten der Erde verbunden. Das Grab schließlich durfte nicht an einem beliebigen Ort sein, sondern lag unmittelbar am Altar. Die theologische Erklärung verwies auf den Ort der gerechten Seelen im Himmel: Diese befänden sich, nach Apk. 6, 9, am Fuß des himmlischen Altares . Wenn die Seelen im Himmel diesen Ort einnahmen, so hatte der irdische Leib, d. h. die irdischen Überreste, seinen Platz am Fuß des irdischen Altars zu erhalten 43 • Daraufhin wurden Translationen notwendig, Erhebungen der Heiligen an den Altar oder in eine Kirche. Die Begräbnisorte heiliger Frauen, wie sie in frühmittelalterlichen Viten geschildert werden, weisen auf genau diese Tatsache hin. Radegundis, Rusticula, Gertrud und Sigolena werden am Altar oder in unmittelbarer Nachbarschaft des Altares beigesetzt 44 . An den Grabkirchen bildeten sich überall Kleriker- oder Nonnengemeinschaften, die eine aufwendige Liturgie feierten. Sowohl wegen der Heiligen als auch wegen der zu ihrer Verehrung gefeierten Liturgie, wegen der "Gebete ohne Unterlaß", strömten die Pilger und Pilgerinnen zu diesen Grabkirchen. Sie erhofften "Heil" durch die Heiligen selbst, aber auch durch das dauernde Gebet der geistlichen Gemeinschaften. 42 Ebd. S. 10. 43 Vgl. ebd. S. lOf. 44 Radegundis: Greg. Tur . Lib. Glor. Conf. c. 104, MGH SS rer. Merov. 1/ 2, S. 365; Rusticula: Vita c. 25, S. 350; Gertrud: Virtut. Geretrudis c. 2, MGH SS rer. Merov. 2, S. 465; Sigolena: Vita c. 34, AASS 24 Jul. V, S. 636. - Für die heiligen Frauen gibt es eine über den Seele-Leib-Parallelismus noch hinausgehende Gleichsetzung: Der Platz einer Jungfrau im Himmel ist der Chor der Jungfrauen unter der Führung Mariens, zur Rechten Christi sitzend. Auf Erden wird dies ausgedrückt durch den Ort der Bestattung an der rechtenSeite des Altars, vgl. dazu MuscHIOL,Famula Dei, S. 472-481. 34 <?page no="35"?> Spiritualität.indd 35 Spiritualität.indd 35 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Und es war nicht irgendein Leib, dem die Pilger ihre besondere Aufmerksamkeit erwiesen, sondern zusätzliche Anziehungskraft erhielten die Gräber von Heiligen nach einer Erhebung, Translation und der damit meist verbundenen Öffnung: Wenn sich der oder die Heilige als unverwest, als unzerstörten Leibes erwiesen hatten, als sogenannter corpusincorruptum oder corpusinlaesum,dann erwies sich der Ort von doppelter Attraktion für Pilgernde . Angenendt hat diesen Zusammenhang klar aufgezeigt: Religionsgeschichtlich bedeutet der unverweste Leib die Voraussetzung jeglichen Weiterlebens im Jenseits, christlich wurde daraus mit Ps. 16, 10 der Gedanke, daß Gott seine Heiligen die Verwesung nicht schauen lasse 45 • Erster, energischer und auch vielmaliger Zeuge für die Propagierung dieser Idee des corpus inlaesum ist Gregor von Tours mit zahlreichen Translationsberichten, oft bis in die Details z. B. von Aussehen und Duft der Heiligen ausgeschmückt. Gregor untermauert diese Idee auch theologisch: Die unverwesten Heiligen stehen in der besonderen Gnade Gottes 46 • Damit ist deutlich, welche Konsequenz diese "Leitidee des Reliquienkults" 47 hervorruft: Pilger und Pilgerinnen ziehen zu solchen "unversehrten" Heiligen; die Idee des corpusincorruptum wird zu einer Leitidee wallfahrender, pilgernder Spiritualität . Wenn die Heiligen in den Reliquien präsent sind, so auch Patrick Geary 48, so war es tatsächlich am wirkungsvollsten, das Grab aufzusuchen. Hier war das himmlische Heilsangebot vollkommen 49 • Martin von Tours z.B. teilte seine helfende Fürsorge nach Überzeugung der Pilger und Pilgerinnen am sichersten dort mit, wo sein Grab war, wo sie jene Gegenstände berührten, die er zu Lebzeiten selbst benutzt oder berührt hatte oder die sich in unmittelbarer Umgebung seines Grabes befanden50. Es gab in Tours eine regelrechte religiös-medizinische Praxis 51 • Gregor von Tours berichtet darüber, daß das Martinsgrab besondere Heilmittel gegen Darmkrankheiten anbot: 45 ANGENENDT, Reliquien, 5. 12. 46 Vgl. ebd . S. 13. 47 Ebd. Vgl. da zu auch A. ANGENENDT, Der "ganze" und "unverweste " Leib eine Leitidee der Reliquienverehrung bei Gregor von Tours und Beda Venerabilis , in : H . MüRDEK(Hg .), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag (1992) S. 33-50. 48 P. J. GEARY , Furta sacra . Th efts of Relics in the Central Middle Ages (1978) S. 162. 49 In diesem Zusammenhang weist ANGENENDT, Reliquien, S. 16, darauf hin , daß die Verehrung der Reliquien im Mittelalter immer unmittelbar der Person galt , niemals nur irgendwelchen "toten Knochen ". 50 Eines dieser Beispiele ist der bereits genannte Brief, der die Tochter des Arborius heilt. Diesen Brief hatte Martin sogar noch selbst berührt, vgl. Anm. 23. 51 Vgl. KöTTI NG, Peregrinatio , S. 270f. 35 <?page no="36"?> Spiritualität.indd 36 Spiritualität.indd 36 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 - Staub, vom Grab abgeschabt und mit Wasser getrunken; - Öl zum Einreiben, aus der Lampe, die am Grab brannte; - Wasser, mit dem das Grab vor Ostern abgewaschen wurde, als Trank; - Wein, ebenfalls mit Staub vom Grab vermischt und getrunken 52 • Schon Kötting weist daraufhin, daß die Pilger diese Dinge mit der gleichen Selbstverständlichkeit benutzten, mit der heute Medikamente aus der Apotheke gebraucht werden 53 • Für die Wirksamkeit der Heilmittel war es Bedingung, daß sie unmittelbar am Grab erworben oder mit ihm in Berührung gekommen waren. Zu diesem Zweck mußte man sich zum Grab hinbewegen. Daneben wurden diese Heilmittel, die im Sprachgebrauch der Zeit übrigens auch "Reliquien" genannt werden, von den Pilgern und Pilgerinnen auch mitgenommen, um sie reiseunfähigen Verwandten in der Heimat mitzubringen. Allerdings war in diesen Fällen nicht immer die gleiche Wirksamkeit garantiert, die im Besuch des Heiligengrabes selbst zu finden war . Allein deswegen schleppte ein Vater seinen gelähmten Sohn in seiner Handkarre von Gallien bis nach Rom, von dort nach St. Gallen zum Grab des hl. Gallus, wo der Sohn schließlich geheilt werden konnte 54 • IV. Spiritualität des Pilgerns Welche Schlußfolgerungen für eine Spiritualität des Pilgerns lassen sich aus diesen Zusammenhängen ziehen? Zuerst ist in diesem Kontext grundsätzlich besser von einer Spiritualität der Pilger und Pilgerinnen zu sprechen als von einer Spiritualität des Pilgerns, denn selbst in einer stark kollektiv denkenden Gesellschaft wie der des frühen Mittelalters braucht es eine persönliche Motivation von Pilger und Pilgerin. Pilger im frühen Mittelalter wissen um ihre eigene Sündigkeit und ihre Heilsbedürftigkeit. Sie benötigen eine Fürbitterin oder einen Fürbitter im Himmel, die gleichzeitig mit den irdischen Problemen vertraut sind bzw. waren, die in jedem Fall schon zu Lebzeiten die Anliegen ihrer Mitchristen bei Gott vermittelt haben . Einen Heiligen oder eine Heilige als Mittler oder Mittlerin zu gewinnen, ist ein durchgehend mittelalterlicher Zug. Könige und Bettler, Päpste , Äbtissinnen, Knechte und Mägde 52 Vgl. Greg . Tur. Virt. Mart. II, c. 51, MGH SS. rer. Merov. 1/ 2, S.626. 53 Vgl. KöTIING, Peregrinatio, S. 271. 54 Vita Galli, auctore Walahfrido Liber II, c. 26, MGH SSrer. Merov .4, S.329f. Den Hinweis auf diesen Fall verdanke ich DDr. Thomas Sternberg, Münster . 36 <?page no="37"?> Spiritualität.indd 37 Spiritualität.indd 37 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 suchten sich ihren Patron und ihre "Patronin" (Matrona). Und die erhoffte Hilfe erschien bei jenen am sichersten gewährleistet, die als vir Dei oder famula Dei radikal asketisch gelebt hatten und die gleichzeitig in ihrem Grab personal anwesend waren, am besten als heiliger, unverwester Leib. Besonders ausgeprägt ist diese Suche nach dem Heilsmittler oder der Heilsmittlerin, verbunden mit der Pilgerfahrt zu heiligen Stätten, in der irischen und angelsächsischen Kirche gewesen. Die irischen Viten weisen genau diese zwei Leitbilder auf: den peregrinus(den in der Fremde weilenden) und den vir Dei oder die famula Dei. In der peregrinatioder irischen Mönche 55 und der Rom wallfahrt zahlreicher englischer Könige, deren Ideal es war, am Petrusgrab zu sterben 56, manifestieren sich diese Leitbilder. Schließlich hatte die Tatsache, daß nicht unbedingt der geweihte Priester derjenige war, der zwischen Gott und Mensch vermitteln konnte, sondern daß für die Pilger und Pilgerinnen die persönliche Askese des Heiligen und der Heiligen die größere Nähe zu Gott versprach, offensichtlich unmittelbare Folgen für das Amtsverständnis der Kirche . Die sich entwickelnde Theologie sah eine Notwendigkeit, ein solches Amtsverständnis möglichst objektiv und unangreifbar zu formulieren . Die Bereiche, auf die die Spiritualität von Pilgern im Frühmittelalter direkte Auswirkungen hatte, sind somit umfassender , als es die Fragestellung vermuten läßt. Die Pilger des Mittelalters hatten solche Fragen des Amtsverständnisses allerdings nicht im Blick. Für sie war vor allem das Ziel das Motiv ihres Aufbruchs: die Heiligen und ihre Gräber und das dort zu erlangende Heil. Wenn sich im hohen Mittelalter diese Perspektive etwas verschiebt und auch der Weg zum Pilgerort mit einem eigenständigen Wert in den Blick kommt, so bleibt doch für die Menschen des frühen Mittelalters im Westen, die teilweise noch nicht lange Christen und insgesamt archaischen Denkformen noch durchaus verhaftetet waren, die große Aura eines vir Dei oder einer famula Dei und der Ort ihrer Gräber jenes Heiligen, zu dem es sich aufzubrechen lohnte. 55 Vgl. H .J. VOGT, Zur Spiritu alität des frühen irisch en Mönchtums , in: H . L ÖWE (Hg .), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter , Bd . 1 (1982) S. 26-51, hier S. 46f.; da zu vor allem auch A . ANGENENDT, Die irische Per egrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontin ent vor dem Jahre 800, in: H. LÖW E (Hg. ), ebd. , S. 52-79, hier S. 78f. 56 Vgl. ANGENENDT,Frühmittelalter, S. 232 sowi e ausführlich DERS. , Irische Peregrinatio , S. 72-76. 37 <?page no="38"?> Spiritualität.indd 38 Spiritualität.indd 38 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Resumen: El articulo se plantea la pregunta de los motivos que tenian los hombres y las mujeres de la temprana edad media para emprender una peregrinaci6n a distintos santuarios, es decir trata de aclarar la espiritualidad de los peregr inos . La idea de 'lugar sagrado' se convierte en motivo central durante los primeros siglos del cristianismo. En la gestaci6n de esta idea actuan motivos religiosos de la antigüedad pagana junto con el desarrollo de la peregrinaci6n en el cristianismo primitivo . 'Lugar sagrado' era ya en la antigüedad pagana y mas tarde en el cristianismo primitivo el sepulcro de un heroe o de un santo . En la temprana edad media es tangible de manera especial la importancia de un hombre de Dios vir Dei-y su sepulcro en la figura de S. Martin de Tours , cuya 'Vita' pres enta ya caracterfsticas muy distintas de las de la 'Vita' de Antonio el Ermitafio, la primera descripci6n biografica que conocemos de un asceta cristiano. El poder intercesor atr ibuido a san Martin ya durante su vida y sobre todo en su tumba despues de su muerte va a tener aspectos paralelos en las peregrinaciones a los sepulcros de algunas santas , que en sus 'Vitae' suelen ser designadas como famulae Dei. En algunas biografias de mujeres santas de la Francia merovingia se manifiesta de manera ejemplar la confianza en suintercesi6n salvadora al mismo tiempo que se resalta Ja idea de Ja peregrinaci6n . EI santuario de un santo, su sepulcro , aumenta de categoria por medio de! corpus incorruptum o corpusinlaesum.Un cuerpo incorrupto de un santo o de una santa refuerza el poder de atracci6n de! 'lugar santo' tanto como cada milagro alli realizado . EI peregrino de Ja temprana edad media cree que el santo agraciado con el don de incorrupci6n esta especialmente cerca de! cielo, mas exactamente cerca del altar celestial , y de esta manera espera de el un especial poder de intercesi6n. La busca de intercesores poderosos, la busqueda de una intercesi6n ante Dios , resulta ser uno de los motivos mas importantes de los peregrinos de Ja temprana edad media . 38 <?page no="39"?> Spiritualität.indd 39 Spiritualität.indd 39 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Neue Formen der Spiritualität im Spätmittelalter FRANCISRAPP Vom Mittelalter läßt sich der Pilger nicht wegdenken. Wallfahrten gehören zum Bild, das sich der moderne Mensch vom mittelalterlichen gemacht hat. Doch ist die peregrinatioreligiosaviel älter als unser christliches Abendland und es gibt kaum eine Kultur, gleich ob primitiv oder hochentwickelt, die diesen Ausdruck der Sehnsucht nach dem Sakralen, dieses Bedürfnisses, mit dem Heiligen an einem bestimmten Ort Kontakt aufzunehmen, nicht kennt. Das Christentum hat das Wallfahren übernommen, wohl nicht ohne Zögern, und hat es seiner eigenen Anschauung einverleibt. Es wurde zum Bestandteil der christlichen Frömmigkeit. Diese Frömmigkeit jedoch ist nicht in hieratischer Unveränderlichkeit erstarrt. Sie macht Veränderungen durch; die Akzente verschieben sich, vergleichsweise könnte man von Tonarten oder Stilen sprechen, von neuen Schattierungen der Pietät. Wie die Spiritualität als Ganzes muß sich auch das Pilgerwesen verwandeln und dem Neuen anpassen. Dieser Vorgang geschieht nicht ohne Schwierigkeiten, es entstehen Mißtöne. Alte Formen bleiben bestehen, werden aber oft von den Initiatoren des Wechsels als verkümmert, verkehrt oder gar zerfetzt angeprangert, manchmal mit Recht. Auch die Wallfahrt muß, wie so viele religiöse Bräuche, manchmal entschlackt werden, und dieser Reinigungsprozeß geht mit einer eventuell unmäßig polemischen Härte vor. Er hat in den meisten Fällen das Verdienst, das ursprünglich Religiöse wieder mit dem spezifisch Christlichen enger zu verbinden. Das Spätmittelalter bietet uns die Gelegenheit, einen derartigen Prozeß zu beobachten. Mein Artikel soll aus drei Teilen bestehen. Erstens werden wir uns den neuen Formen der Spiritualität zuwenden, zweitens die kritische Haltung, die dadurch den Wallfahrten und Wallfahrtsbräuchen gegenüber entstand, untersuchen, drittens werden wir aber auch die Übertragung der neuen Spiritualitätsformen auf die Wallfahrten herauszufinden versuchen. 39 <?page no="40"?> Spiritualität.indd 40 Spiritualität.indd 40 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 1. Wenden wir uns zuerst der Spiritualität zu. Ich bin mir bewußt, daß es ein Wagnis für mich bedeutet, in einigen Minuten ein so reiches, von so vielen Historikern durchgeackertes Gebiet charakterisieren zu wollen. Die Vogelperspektive erlaubt es zwar, die Hauptlinien einer Landschaft zu erkennen. Es besteht aber auch die Gefahr dabei, die für den Menschen oft so schwerwiegenden Details zu übersehen und die Wirklichkeit zu vereinfachen oder gar zu verzerren . Doch ist es unbedingt notwendig, dieses Hypothesengewebe herzustellen, um die Fakten einfangen zu können. Die einer Epoche eigenen Züge zu erkennen, ist besonders schwierig, weil die Wandlungen der Spiritualität die Grundlagen des christlichen Glaubens und des christlichen Lebens nicht verändern, sondern nur neue Abtönungen, eine originelle Akzentuierung eines in seinen Grundprinzipien unwandelbaren religiösen Verhaltens darstellen. Dazu kommt, daß der von so zahlreichen Asketen und Denkern angesammelte Schatz von Erfahrungen und Erkenntnissen beinahe unübersehbar ist und daß die Gefahr besteht, bereits seit langem ausgesprochenes als neuartig zu beschreiben. Schließlich darf ich nicht vergessen, daß die geistlichen Entwicklungen meistens langsam vor sich gehen. Die Wurzeln der für das spätere Mittelalter charakteristischen Spiritualität reichen bis ins 11. Jahrhundert hinauf. Damals begannen die religiösen Bewegungen, die H . Grundn~.ann meisterhaft geschildert hat 1• Die Vielfalt ihrer Ausgangspunkte und ihrer Ziele darf man nicht übersehen, doch haben jedenfalls die Strömungen, die sich in die kirchlichen Institutionen einbetten ließen, folgende vorherrschende Absichten gehegt. Die Ziele, denen sie zustrebten, wurden bis ins Spätmittelalter hinein, ja bis zur Schwelle der Neuzeit nicht mehr aus den Augen verloren. Um dem Vorwurf zu entgehen, die Heilsbotschaft zu verfälschen, übernahm das Papsttum das Motto der evangelischen Strömungen und verarbeitete es gewissermaßen zu einem bleibenden Regierungsprogramm in den Konzilbeschlüssen, besonders des 4. Laterankonzils2. Die zahlreichen und vielfältigen Pastoralinstitutionen verbreiteten im 13., 14. und 15. die Ideale des 11. und 12. Jahrhunderts. Die Popularisierung zog eine gewisse emotionale Verflachung mit sich; das Gefühlsmäßige, das Populäre par excellence, überwog in der Volksfrömmigkeit, vermengte das Zärtliche mit dem Heftigen, wie Huizinga sagt, 1 H. GRUNDMANN, Religiöse Bewegungen im Mittelalter (Darmst ad t 4 1977). 2 R. FOREVILLE, Latran I, II, III et IV (Histoire des conciles oecumeniques, Paris 1965). 40 <?page no="41"?> Spiritualität.indd 41 Spiritualität.indd 41 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 den Duft der Rosen mit dem Geruch des Blutes 3• Doch der Kern blieb intakt. Woraus bestand er? Folgende Absichten scheinen vorherrschend gewesen zu sein. Weder Zeremonien noch geistliche Übungen, wenn sie auch bestimmt nicht unnütz sind, machen das Wesen des Christentums aus, ob es sich um die einzelnen Getauften oder um die Gesamtkirche handelt. Alle Getauften sind vor allem dazu berufen, der ganzen Welt die Frohbotschaft zu verkünden. Der durch das Evangelium und Christi-Leiden geoffenbarten Liebe Gottes soll der Mensch mit seiner Umkehr die einzig gediegene Antwort geben. Diese Wendung bringt ihn auf den Weg, der ihn zur Seligkeit führen kann. In der Nachfolge des Heilands, sequela Christi,Nudus nudum sequi,nackt, aller irdischen Güter entledigt, soll der Christ seinem aller irdischen Macht und himmlischer Pracht entblößten Herrn folgen. Die bereits von den Mönchen in den Reformklöstern gepriesene vita vereapostolicaist ohne die ernst genommene Pflicht, arm zu sein, unvollständig. Auf jeden Besitz zu verzichten, ist notwendig, nicht nur, weil der arme Mensch sich der Fürsorge der Vorsehung ausliefert, sondern weil er jede Gelegenheit mit seinen Mitmenschen um Vergängliches zu streiten, aus seinem Wege räumt. Kann doch die Nächstenliebe durch die Sucht nach Reichtum eingeengt und oft genug ausgelöscht werden. Das Ringen um eine rechte Armut ist ein das ganze bekehrte Leben währender Kampf, der allmählich den Menschen verwandelt, ja bis zu einem gewissen Grade verklärt. Den perfekten Ausdruck dieses Strebens hat Franz von Assisi seinen Mitmenschen geboten, aber bereits im 12. Jahrhundert wurde diese Richtung eingeschlagen, nennen wir nur Robert d' Abrisse! und Etienne de Muret4. Daß das hochgesteckte Ziel nicht unerreichbar war, bewiesen die Heiligen, deren Beispiel den Christen neuen Mut einflößen sollte. Auf die gütige, langmütige Hilfe der Mutter Gottes, deren Kult im 12. und 13. Jahrhundert aufblühte, durften auch die elendsten Sünder zählen 5• Die Bekehrung am Anfang und das sich Wiederaufraffen nach dem Fall unterwegs gaben Gelegenheit zu auffälligen Gebärden; denken wir an die Trennung des heiligen Franz und seines Vaters in Assisi. Auch pflegte man die Versuchungen mit harten Kasteiungen fernzuhalten und zu bekämpfen. Doch handelte es sich nur um Mittel, die dazu 3 J. HUIZINGA, Herbst des Mittelalters (Stuttgart 1961), S. 29. 4 R. MANSELLI, San Francesco d' Assisi (Rom 1980); J. DALARUN, L'impossible saintete: la vie retrouvee de R. d'Abrissel (Paris 1985); J. BECQUET, Etienne de Muret, in: Dictionnaire d'histoire et de geographie ecclesiastiques 15 (Paris 1963), Sp . 125f. 5 W . DELIUS, Geschichte der Marienverehrung (München-Basel 1963). 41 <?page no="42"?> Spiritualität.indd 42 Spiritualität.indd 42 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 dienten, das Fleisch zu bändigen und dem Geist mehr Raum zu verschaffen, denn auf den Geist kam es an. Im Inneren des Menschen spielte sich der entsche idende Kampf ab, und die wirklich guten Werke waren nur Ausdruck eines wahrlich frommen Herzens. Innerlichkeit wird gefördert durch Stille. Im Kämmerlein zurückgezogen, beten, lesen und meditieren, sind fortan Übungen, die den Freunden Gottes, Laien wie Religiosen, gebühren. Einer mit echter Frömmigkeit durchdrängten Seele steht es nicht an, die Zeit in zwei Teile zu teilen, das Weltliche vom Geistlichen zu trennen. Sie läßt das Religiöse ins Alltägliche tief eindringen und formt es um 6 • Der bescheidensten Arbeit hat die Gottesliebe ihren Stempel aufgedrückt, und auch hinter der verbissenen Miene des verbitterten Bettlers erkennt ein aufgeschlossener Christ das Antlitz seines Herrn . Dem Evangelium zu gehorchen, wird zum persönlichen Erlebnis. Doch gelingt es keinem Einzelgänger. Nur in der Gemeinschaft kann es gedeihen. Die meisten Anhänger der religiösen Bewegungen, die sich gegen die Autorität der Prälaten aufgelehnt haben, haben gewissermaßen Gegenkirchen gebildet, mit Ritual und Hierarchie, Waldenser und Katharer insbesondere; und auch die pan theistischen Schwärmer, die der Historiker nicht leicht fassen kann, haben wohl auch kleine Gemeinden gebildet7. Die der römischen Kirche Treugebliebenen haben .auf die, von den Ketzern scharf angegriffenen Sakramente großen Wert gelegt und fühlten sich dadurch mit Gott und aufh mit dem ganzen christlichen Volk gewissermaßen organisch verbunden . Die Eucharistie nahm in der Frömmigkeit einen zentralen Platz ein. Aus Ehrfurcht und Angst vor dem Sakrileg wurde die häufige Kommunion vermieden; die tatsächliche, sakramentale Kommunion nur, denn die geistliche dagegen wurde gepflegt, und beide wurden sorgfältig vorbereitet, besonders durch die Beichte. Das Sakrament der Buße gewann noch mehr an Bedeutung . Es wurde ja bekanntlich 1215 zur Pflicht. Es fehlt nicht an Zeichen, die auf eine ziemlich häufige Beichte schließen lassen 8. Daß mit der Absolution die Schuld vergeben war, die Strafe jedoch bestehen blieb, dessen waren sich die meisten Gläubigen bewußt, wurden sie 6 B. MÖLLER, Das Spätmittelalter, in: Die Kirche in ihrer Geschichte II, 8, hg . v. B. MÖLLER (Göttingen 3 1978), S. 34f. 7 H. GRUNDMANN, Ketzergeschichte des Mittelalters, in : Die Kirche in ihrer Geschichte II, 1, hg. v. B. MÖLLER(Göttingen 3 1978). 8 E. BERTRAND , Devotion eucharistique, in: Dictionnaire de spiritualite 4, 2 (Paris 1%2), S. 1621-1637; die Arbeiten von P. BROWE, u .a ., Die Verehrung der Eucharistie im Mittelalter (München 1933); GROUPEDELABUSSIERE, Pratiques de Ja confession (Paris 1983),S. 73-139. 42 <?page no="43"?> Spiritualität.indd 43 Spiritualität.indd 43 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 doch darüber belehrt. Auch über die Mittel, die es erlaubten, diese Strafen zu erleichtern, wurden sie unterrichtet. Die Ablaßpraxis nahm im Laufe des Spätmittelalters größere Ausmaße an. Nach 1200 hatten auch die Scholastiker das Konzept Fegefeuer ziemlich scharf umrissen. Das Solidaritätsgefühl, das die Lebenden und die Toten verband, gewann sehr an Stärke durch diese genauere Geographie des Jenseits. Der mit den Verdiensten der Heiligen und des Heilands gespeiste Gnadenschatz war der Ort, wo sich die organische Verbundenheit der triumphierenden, der leidenden und der streitenden Kirche kristallisierte 9 • Zu diesen Erkenntnissen hätte sich das Volk nicht durchringen können, hätte es nicht die Lehre genossen, die ihm immer systematischer zuteil wurde. Am Anfang des 13. Jahrhunderts schien es, als ob der Ansturm der Häresie unwiderstehlich sein sollte. In der Nähe des Lateran in Rom besaßen die Ketzer eine Schule, im Languedoc waren sie nahe daran, die Gewalt an sich zu reißen. Der Graf von Toulouse war ihnen nicht abhold. Die christliche Gesellschaft reagiert brutal. Kreuzzüge konnten die politische Gefahr bannen, die Inquisition das Wachsen der Ketzerei eindämmen. Für das Gedeihen des Weizens im Acker des Herrn waren derartige Mittel nicht angebracht 10• Die Heilsbotschaft mußte lauter und wärmer verkündet werden. Die Seelsorge wurde zur ersten Pflicht der römischen Kirche. Das Wort, das gesprochene von der Kanzel, das geflüsterte im Beichtstuhl, das schwarz auf weiß nach Haus getragene, geriet in den Mittelpunkt des kirchlichen Handelns. Aktive Ordensgemeinschaften wurden gegründet. Mit den Karmelitern und den Augustinern bildeten die Franziskaner und die Dominikaner das solide Viereck der Mendikantenorden 11• Das Wachstum dieser neuen Familien war so kraftvoll, daß ihre Niederlassungen über ganz Europa ein weites Netz spannten. Es gab kaum eine Stadt, die nicht mindestens eine Mendikantengemeinschaft aufnahm. Im 14.Jahrhundert erschlaffte zwar diese Bewegung, und die Brüder ließen sich schwere Fehler zuschulden kommen. Aber bereits vor 1400 bildeten sich innerhalb der Orden Reformkongregationen, die entweder die bestehenden Klöster sanierten oder neue gründeten. In Italien zogen die Observanten die 9 G .A . BENRATH, Ablaß, in: Theologische Realenzyklopädie 1 (Berlin-New York 1977), S. 347-364; N. PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde . (Paderborn 1922- 1923). 10 Darüber die ganze Reihe der Cahiers de Fanjeaux : Collection d'histoire religieuse du Languedoc au XIIIe et au debut du XIVe siede (Toulouse 1965ff.). 11 H. WOLTER, Die Bettelorden, (Handbuch der Kirchengeschichte III, 2, hg. v. E. ISERLOH, Freiburg 1968), S. 214-229 . 43 <?page no="44"?> Spiritualität.indd 44 Spiritualität.indd 44 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Maschen des Niederlassungsgewebes viel enger zusammen 12• Überall und stets legten die Mendikanten auf die sorgfältige Bildung von Predigern und Beichtvätern den größten Wert. Ihren Einfluß übten sie besonders in den Städten aus; die ihnen unterstellten Frauenklöster, die Beginen und Tertiarier sowie von ihnen geleiteten Bruderschaften verbreiteten und vertieften die Wirkung der Predigten und der Ratschläge 13• Die Ordensleute waren eine Elite. Die Massen stellten der Säkularklerus, Pfarrer und Pfarrverweser . Ihr intellektuelles und geistliches Niveau zu heben, war aus verschiedenen Gründen eine äußerst schwierige Aufgabe, deren Verwirklichung erst nach dem Konzil von Trient große Fortschritte machte. Aber bereits vor der Reformation wollten die tüchtigsten Weltkleriker den Mendikanten nacheifern . Eine wichtige Rolle kam dabei den Universitäten zu, deren Zahl im 14. und 15. Jahrhundert bedeutend wuchs, besonders im Reichsgebiet, so daß in deutschen Bistümern um 1500 ein Drittel der Geistlichen, in Stadt und Land, studiert hatte, und wenn es nur zwei oder drei Semester waren. Die 1 ehemaligen Zöglinge der almamaterwaren nur ausnahmsweise Theologen. Doch schon ein magisterartium gehorchte einem gewissen Wissensdrang, der nach dem Verlassen der Fakultät nicht unbedingt nachließ . Direkt oder indirekt wirkte auf viele Studenten der Einfluß der occamistischen Richtung. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert war der sogenannte Pastoralnominalismus in zahlreichen Universitäten stark vertreten 15 . Er machte es den Wissenschaftlern zur Pflicht, ihr möglichstes zu tun, damit das christliche Volk aufgeklärt werde und die Wege zum Heil erkenne . Der berühmteste dieser Professoren war der Pariser Kanzler Gerson, den man den Kirchenvater des Spätmittelalters nannte, und der viele Schriften verfaßte, die die Unterweisung des gemeinen Mannes und die Arbeit des einfachen Seelsorgers erleichtern sollten 16 . Viele Predigtsammlungen kamen zustande, die zuerst handschriftlich und nach 1460 durch die Druckerei verbreitet wurden, und die auch den 12 K. ELM(Hg.), Reform und Observanzbe strebungen im spätrnittelalterlichen Or de nswesen (Berliner Historische Studien 9; Ordenstudien 6, Berlin 1989). 13 W0LTER(wie Anm. 11), S. 223f. 14 R.C. ScHWINGES,Universitätsbesuch im Reich vorn 14. zu m 16. Jh., Wachstum und Konjunkturen (1984), S. 5-30; F. RAPP, Les origines rnedievales des l'Allernagne m oderne. De Charles IVa Charles Quint (Paris 1989), S. 196-204, 247-255. 15 HA. ÜBERMAN, The Harvest of Medieval Theology (Harv ard 1963). 16 C. BuRGER, Gerson, in : Theologische Real enzy klopädie 12 (Berlin-New York 1984), S. 532-538; A. GR0ETEKEN, Der älteste deutsche , gedruckte Katechismus und die niederdeutschen Volksbücher des D.Kolde, Franziskanische Studien 37 (1955); H . V0LZ,Bibel und Bibeldruck in Deutschland im 15. und 16. Jh . (Mainz 1960). 44 <?page no="45"?> Spiritualität.indd 45 Spiritualität.indd 45 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Dorfpfarrern vor der Reformation große Dienste leisteten. Versuche, eine katechetische Literatur zu verwirklichen, wurden angestellt. Im Norden Europas darf die Tätigkeitder Brüder des Gemeinsamen Lebens (Fraterherren oder Kugelherren) und ihrer Schutzherren, der Regularkanoniker von Windesheim, nicht unterschätzt werden. Sie legten den Akzent auf die Verinnerlichung des christlichen Lebens, kümmerten sich auch um die Wirksamkeit der Lehren. Wo es ging, vereinfachten sie die Darstellung des Lehrstoffs und klügelten Methoden aus, die ihn einprägsam gestalteten. Diese ihre Art wurde devotiomoderna genannt. Zuerst sorgten sie für gute, billige Lektüre und schrieben Bücher ab. Der Bucherfolg der Imitatio, die aus ihrem Kreise stammt, stellte sich später ein. Als die Druckerei diese ihre erste Aufgabe übernahm, stellten sie sich um und gaben sich mit armen Schülern ab 17 • Die späteren Gymnasien verdanken ihnen viel. Auch die Kartäuser haben die Exerzitienliteratur bereichert, so zum Beispiel Ludolf von Sachsen mit der berühmten Vita Christi 18• In den letzten zwei Jahrhunderten des Mittelalters hatte sich ein weit verzweigter Apparat gebildet, der in sehr verschiedenen Arten für die religiöse Erziehung der Gläubigen funktionierte. Der Motor, der diese Mechanismen antrieb, war die pädagogische Leidenschaft, der feurige Wille, dem Volke den rechten Weg zu weisen und es darauf voranzutreiben. Eine Hauptsorge der Pädagogen bestand darin, die ohne Gefühl, berechnend oder gewohnheitsmäßig vollbrachten Werke und geleierten Formeln, die rein äußerlich bleiben, anzuprangern. Sie bemühten sich, zu Herzen gehende Worte zu finden und ergreifende Bilder zu benutzen, um die emotionale Seite der Volksseele zu rühren. Mit derselben Eindringlichkeit warnten sie die Christen vor trügerischen, abergläubischen Gebräuchen. Die Pilgerfahrten boten ihnen oft genug zu ätzender Kritik Anlaß. 17 E. BRUNEITE, R. MAKROSCH, Devotio moderna, in: Theologische Realenzykolpädie 8 (Berlin-New York 1981), S. 605-616; I. CRUSIUS, Die Brüder vom gemeinsamen Leben in Deutschland (Göttingen 1961). 18 J. KLAPPER, Der Erfurter Kartäuser J. Hagen. Ein Reformtheologe des 15. Jhs ., 2 Bde. (Leipzig 1960-1961); D. MERTENS, Jacobus Carthusiensis. Untersuchungen zur Rezeption der Werke des Kartäusers J. von Paradies (Göttingen 1976); H. RüTHING,Der Kartäuser H. von Kalkar (Göttingen 1961). 45 <?page no="46"?> Spiritualität.indd 46 Spiritualität.indd 46 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 II. Im Spätmittelalter war die Wallfahrt ein sehr verbreiteter und sehr beliebter Ausdruck der Religiosität. Die drei bekanntesten Stätten und Ziele der peregrinatioreligiosa,das Heilige Land, Rom und Compostela, die 1497 der Borgia-Papst Alexander VI. als gleichrangig bezeichnete, erfreuten sich eines großen Zulaufs 1 9• Das klägliche Ende der Kreuzzüge hatte eine Zeitlang die Reisen nach Jerusalem unterbrochen; im späten 14. Jahrhundert wurden sie wieder unternommen; wenn auch die Bedingungen oft heikel waren und die Kosten groß, die Berichte, die wir besitzen, z.B. diejenigen des Dominikaners Fabri, zeigen, daß die Pilger, besonders aus gehobenem Milieu, zahlreich waren 2°.Die Hauptstadt der Christenhe it, Romafelix quaeduorum principumes consacratagloriososanguine,hatte auch während der Abwesenheit der Avignon-Päpste keineswegs ihr Ansehen eingebüßt; bei jedem Schritt traf man auf Heiligtümer, und nach 1300 verstärkte der vollkommene Ablaß der Jubeljahre noch die Anziehungskraft der Urbs21. Daß die Besucherzahlen wahrscheinlich übertrieben sind, braucht man nicht zu betonen. Sicher ist, daß die Menschen massenhaft nach Rom strömten. Auffallend ist der Erfolg des 1450 ausgeschriebenen Jubiläums, nachdem das Papsttum eine so lange und so dramatische Krise erduldet hatte. Der hl. Jacob war keineswegs vereinsamt. Greifen wir nur zwei Zahlen aus der vorliegenden Dokumentation heraus: der Stralsunder Patrizier Wessel erzählt, daß auf dem Schiff, das ihn nach Spanien führte, 150 Pilger Platz genommen hatten, "Frauen und Mädchen nicht mitgezählt"22.1439 hatte die englische Krone 2310 ihrer Untertanen die Erlaubnis erteilt, nach Compostela zu fahren 23. Von jeher gab es in den meisten Gegenden Europas viele andere Orte als die eben erwähnten, die als Wallfahrtsorte galten. Aber im 14., im 15. und bis 1520 im 16. 19 K. HÄBLER(Hg.) , Das Wallfahrtsbuch des Hermannus Künig von Vach und die Pilgerreisen der Deutschen nach Santiago de Compostela (Straßburg 1899), S. 16. 20 M . SoMMERFELD, Die Reisebeschreibungen der deutschen Jerusalempilger im ausgehenden Mittelalter, Deutsche Vierteljahresschrift für Literatur u . Geistesgeschichte 2 (1924), S. 816-851; J. RICHARD, Les recits d e voyages et de pelerinages (Turnhout 1981); C.D . HASSLER(Hg .)., Fratris Felicis Fabri evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem, 3 Bde. (Stuttgart 1843-49). 21 H . JEDIN,Die deutsche Romfahrt von Bonifatius bis Winckelmann (Bonner Akadem. Reden, Krefeld o.J.); R. RAPP, Les pelerinages dans Ja vie religieuse de l'Occident medieval aux XIVe siecles, in : Les pelerinages de ! ' Antiquite biblique et classi que a I'Occident medieval (Paris 1973), S. 120-138. 22 P. DOLLINGER, La Hanse (Paris 1988), S. 228. 23 L.VAZQUEZDE PARGA, J. M. LACARRA, J. U. Rfu, Las per egri naciones a Santiago de Compostela 1 (Madrid 1948), S. 81-91. 46 <?page no="47"?> Spiritualität.indd 47 Spiritualität.indd 47 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Jahrhundert schossen sozusagen Dutzende von neuen Heiligtümern aus dem Boden 24• Allein im Elsaß lassen sich mit Sicherheit mehr als 30 solcher sacralocain den Archivalien auffinden; viele davon bestehen übrigens heute noch 25• Ähnliche Verhältnisse können wir in anderen Provinzen des damaligen Reichs feststellen. Auch für diese neuen Wallfahrtsorte, die nur lokal oder höchstens regional bekannt waren, verfügen wir über Zahlen, die beweisen, daß es dort nicht an Besuchern fehlte. In Maria Altbronn, bei Straßburg, kamen am 8. September etwa 500 Pilger zusammen; das zeigen uns die Rechnungen des Verwalters und des Wirts 26 . 1520wurde der kleine Ort Hunaweiher, unweit von Colmar, geradezu von der Volksmenge überflutet, es sollen 20.000 gewesen sein, die der Erhebung der Reliquien der Ortspatronin beiwohnen wollten 27 . Schließlich muß eine andere Art der peregrinatioreligiosaerwähnt werden, die es vermutlich im Früh- und Hochmittelalter schon gab, die aber im späten Mittelalter besser bekannt ist und die Zeitgenossen beeindruckt hat: die Fahrten, die plötzlich große Scharen von Christen unternahmen, um ein Heiligtum zu besuchen, in dem auf wunderbare Weise ein bevorstehendes Übel abgewendet werden sollte. Wer die Bewegung ausgelöst hatte, ließ sich häufig nicht ermitteln; oft sprach man von Prophezeiungen oder Visionen. Einen tiefen Eindruck erweckten die Kinderwallfahrten, die dem Mont St. Michel zustrebten, 1393 und 1442 aus Südfrankreich, 1457-1459aus dem Rheinland und der Schweiz 28• Der Erzengel sollte sich sowohl dem englischen Eroberer als auch dem Türken, der sich des zweiten Roms bemächtigt hatte, entgegenstellen. Die Vitalität der Wallfahrtsbräuche war nicht geringer als die Anziehungskraft der Wallfahrtsorte. Die für das 15. und 16. Jahrhundert zahlreichen und ausführlichen Berichte liefern dazu viele Beweise, die in zahlreichen Fällen durch Rechnungen sehr präzise ergänzt werden können . Erwähnen wir nur den Brauch, unterwegs zumindest eine 24 H . KüHNEL,Integrative Aspekte der Pilgerfahrten , in : Europa 1500, hg. v. F. SEIBT,W. EBERHARDT (Stuttgart 1987), S. 496-505; J. STABER,Volksfrömmigkeit und Wallfahrtswesen des Spätmittelalt ers im Bistum Freiburg (München 1955). 25 RAPP(wie Anm . 21), S. 139-160. 26 RAPP(wie Anm . 21), S. 151f. 27 F. CONRAD, Reformation in der bäuerlichen Gesellschaft. Zur Rezeption reformatorisch er Theologie im Elsaß (Stuttgart 1984). 28 V. CHOMEL, Pelerins languedociens au Mont Saint Michel a Ja fin du moyen äg e, Annale s du Midi 70 (1958), S. 230-239; L.PFLEGER,Le Mont Saint Michel et Jes pelerinages d'enfants alsaciens au 15e siede , Revue Catholique d 'Alsace N.S. 34 (1919), S. 218-227; U. GÄBLER, Die Wallfahrten aus Deutschland und der Schwei z zum Mont St. Michel , Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte (1969), S. 221-331. 47 <?page no="48"?> Spiritualität.indd 48 Spiritualität.indd 48 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 gewisse Strecke vom Pferd herabzusteigen und zu gehen 29; oder nach Ankunft am Wallfahrtsort mit dem Heiligtum einen physischen Kontakt herzustellen und, wie es Rieter für Jerusalem zu erzählen weiß, im Sinne der früheren incubatiodrei Nächte beim Heiligen Grab zu verbringen 30; schließlich, ein Opfer darzubieten, ein Opfer, das neue Formen annahm: in Compostela ließen die Nürnberger Patrizier ihr Wappen und ein Familienbild aufhängen 31; in ländlichen Pilgerorten kamen die ersten "taferln" auf. Geld und lebende Opfer verloren nicht an Beliebtheit: in Altötting brachten die Gläubigen zwischen 1489 und 1492 Münzen im Wert von 8.000 Pfund, 3692 Hühner und 64 Stück Rindvieh dar3 2 • Die St. Jakobus-Bruderschaften blühten auf und nahmen in zahlreichen Städten Hunderte von Mitgliedern auf3 3 • Einstimmigkeit herrschte jedoch nicht in der Christenheit, wenn das Thema Wallfahrt angeschnitten wurde. Daß die Gegner der sogenannten Werksheiligkeit die Wallfahrten angriffen, ist nicht zu verwundern. Die Häresiarchen des 14. und 15. Jahrhunderts versäumten es nicht, gegen dieses unnütze und für die guten Sitten gefährliche Herumtreiben zu schimpfen 34 • Aber nicht nur erbitterte Feinde der Kirche, sondern auch Prälaten und Doktoren gerieten in Harnisch über die Mißbräuche der peregrinatioreligiosa.Sie billigten prinzipiell die Wallfahrt; doch betrachteten sie es als ihre Pflicht, das Volk vor falschen Heiligtümern zu warnen und gegen schlechte Pilger ins Feld zu ziehen. Verweilen wir einige Augenblicke bei dem ersten Punkt. Solange die Wallfahrtsorte mit Heiligengräbern zusammenfielen, wurde die Frage der Authentizität kaum aufgeworfen. Im Spätmittelalter war es in den meisten Fällen nicht mehr eine Grabstätte, die die Gläubigen anzog. Die Seligen, welche in den vielen neuen Heiligtümern verehrt wurden, besonders in den kleinen, im Lande verstreuten, lagen nicht dort begraben; sie hatten auch dort nicht gelebt; man hatte sich nicht einmal Reliquien von ihnen beschaffen können. Nur ein Bild, oft nur ein schlichtes Bild, wurde in diesen Kapellen, die manchmal erst spät zu großen Kirchen erweitert wurden, verwahrt. Es waren aber wundertätige Bilder, Statuen, aus deren Augen Tränen geflossen waren, oder die an 29 J.A. ScHMELLER(Hg.), Des böhmischen Herren Leo von Rozmital Reise durch das Abendland (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 7, 1844), S. 81. 30 R. RÖHRICHT, H. MEISNER(Hg.), Das Reisebuch der Familie Rieter (Bibliothek des litterarischen Vereins Stuttgart 168, 1884), S. 19. 31 RÖHRICHT (wie Anm. 30), s. 12f. 32 I. GIERL, Bauernleben und Bauernwallfahrt in Altbayern (München 1960). 33 A. GEORGES , Le pelerinage de Compostelle en Belgique et dans Je Nord de Ja France (Academie Royale, Cl. Beaux-Arts, 2° 5., 13, Brüssel 1971), S. 108-140. 34 So zum Beispiel J. Hus : M. SPINKA, John Hus, A Biography (Princeton 1968), S. 67f. 48 <?page no="49"?> Spiritualität.indd 49 Spiritualität.indd 49 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 einem Ort aufgefunden worden waren, an denen man sie nicht erwartet hätte 35• Im frühen Mittelalter bestand zuerst die Wallfahrt, und seinen Besuchern schenkte der Heilige die Wunder. Am Ende des Mittelalters dagegen geschah zuerst das Wunder und am Platz, wo es geschehen war, entwickelte sich eine Wallfahrt. Dieselbe entscheidende Rolle spielte das übernatürliche Eingreifen in das Alltägliche bei der Auslösung einer Bewegung wie derjenigen, welche die Kinder zum Mont St. Michel trieb 36 . Da fühlten sich die kirchlichen Behörden dazu aufgefordert, die Authentizität der angegebenen unerklärlichen Fakten zu prüfen, denn das Wundersame konnte mit dem Wunderbaren verwechselt werden. Die Illusion konnte des Teufels Werk sein, die frommen Gesten ins Sakrileg verkehrt werden. In einigen Synodalstatuten des frühen 16. Jahrhunderts wurde die Kontrolle der Wallfahrtsorte eingeführt. Das berühmteste Beispiel der heftigen und langwierigen Kontroversen, die um solche Heiligtümer entbrannten, bietet uns das Wilsnacker Hostienwunder, das 1383beobachtet wurde 37 . Befürworter und Gegner bekriegten sich während mehr als 60 Jahren mit wechselhaftem Erfolg. Im Lager der Gegner trifft man nicht nur Johannes Hus, sondern auch Nikolaus von Cues. Verteidiger der Wilsnacker Wallfahrt waren nicht nur Franziskaner, darunter Johann von Capistran, sondern auch die Kurfürsten von Brandenburg. Die Schriften des Theologen H. Toke, der in der Nähe von Wittenberg das Verbot einer ähnlichen Devotion erwirkt hatte, ließ sich hauptsächlich von pastoralen Rücksichten leiten. Dem Gläubigen sollte man unbedingt Irrwege versperren. Der südfranzösische Bischof von St. Papoul hatte 1443 einen einfachen Fall gelöst: ein Ochse war vor einem Tümpel in die Knie gefallen, und die Bauern der Umgegend hatten begonnen, das Wasser des Teiches, das als wundertätig galt, zu trinken, was ihnen verwehrt wurde 38• 1468 gebot der Konstanzer Bischof den Ravensburger Karmelitern, ein Marienbild zu entfernen, das angeblich Tränen vergoß 39 . Einige Theologen und Humanisten, so der Benediktiner Trithemius, fanden es nicht angebracht, mit allzu großer Strenge die Wallfahrtsbräuche läutern zu wollen; man lenke das Volk von der Frömmigkeit überhaupt ab. Also war auch auf dieser Seite der pastorale 35 H . TüCHLE, Kirchengeschichte Schwabens 2 (Stuttgart 1954), S. 401ff. 36 F. FALK, Die große Kinderwallfahrt nach dem Michaelsberg in der Normandie , Historisch-politische Blätter 96 (1885), S. 195ff.; H. H AUPT, Geschichte der Kinderwallfahrt en der Jahre 1455-59, Zeitschrift für Kirchengeschichte 16 (1896), S. 672ff. 37 H . BOOKMANN,Der Streit um das Wilsnacker Blut. Zur Situation des deutschen Klerus in der Mitte des 15. Jhs., Zeitschrift für historische Forschung 9 (1982), S. 672ff. 38 CHOMEL(wie Anm. 28), S. 236. 39 TüCHLE(wie Anm. 35), S. 408. 49 <?page no="50"?> Spiritualität.indd 50 Spiritualität.indd 50 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Standpunkt vorherrschend. Die Kinderwallfahrten gaben zu heftigen Debatten Anlaß. Die einen sahen in diesen Zügen eine Mahnung der Jugend an die Erwachsenen, welche den Ernst der Lage Europas nicht richtig einschätzten. Der Heidelberger Professor Nikolaus von Wachenheim war dagegen überzeugt, daß nur der Teufel ein so unvernünftiges Unternehmen anregen konnte 40 . Nicht nur die Wallfahrt konnte für die frommen, unbefangenen Menschen eine Täuschung mit schlimmen Folgen sein. Die Wallfahrer konnten sich selber täuschen und authentische Heiligtümer besuchen, ohne irgend einen Nutzen für ihre Seele daraus zu ziehen. Über diesen schlechten Gebrauch des Pilgerns kamen viele Redner und Schriftsteller in Harnisch. An Gelegenheiten fehlte es ihnen nicht. Wie oft wurden die Wallfahrten ohne die richtige seelische Haltung unternommen. Aus manchen Berichten des 15.Jahrhunderts klingt so etwas wie ein mondäner Ton; Rozmital, der böhmische Edelmann, und sein Begleiter, der Nürnberger Patrizier Tetzel, vermischten Anekdoten, die für eine Kavalierstour passen würden, mit Begebenheiten, die das Religiöse betreffen41. Der Nürnberger Arzt Münzer unterläßt es nicht, Beobachtungen anzustellen, die den Geographen, den Naturwissenschaftler, sogar den Geschäftsmann in ihm verraten 42. Daß auf solchen Reisen mit der Moral oft gefährlich gespielt wurde, ist nicht nur ein Topos. Arnold von Harff hat in seinem Büchlein notiert, wie man in baskischer Sprache ein schönes Fräulein zum Beischlaf einlädt 43. Eine Fahrt nach Santiago konnte den Einsatz für eine Wette darstellen; wer sie verlor, mußte gehen. Tatsächlich hatten viele Wallfahrer nicht freiwillig den Pilgerstab ergriffen . Eine Kuriosität war wahrscheinlich die Entscheidung, die eine Schiffsbesatzung traf, die sich in Gefahr befand: kam sie mit heiler Haut davon, sollten die Würfel denjenigen bestimmen, der zum Dank nach Compostela wallfahren mußte. In den Niederlanden war es bis spät ins 15. Jahrhundert hinein Sitte, in Friedensverträgen oder in gerichtlichen Entscheidungen Fernwallfahrten als Strafe Menschen aufzuerlegen, die nicht alle gewillt waren, daraus ein christliches Werk der Buße zu 40 PFLEGER (wie Anm . 28), 5..224. 41 Ed. J.A . ScHMELLER, Des böhmischen H errn Leo's von Rozmithal Ritter-, Hof- und Pilger-Reise durch die Abendlande 1465-1467 (1844), S. 145-212; HÄBLER(wie Anm . 19), s. 44, 47. 42 L. PFANDL, Itinerarium hispanicum Hieronymi Monetarii , Revue hispanique 48 (1920), S. 1-179. 43 A . VON GROOTE, Die Pilgerfahrt des Arnold von Harff (Köln 1860), 5. 227. 50 <?page no="51"?> Spiritualität.indd 51 Spiritualität.indd 51 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 machen 44 • Immer häufiger kam es in einer mit der Geldwirtschaft vertrauten Gesellschaft vor, daß die Unkosten der Reise als gültiger Ersatz für die Wallfahrt angesehen wurden . In der Pariser Jakobsbruderschaft wurden am Ende des 15. Jahrhunderts diejenigen aufgenommen, die nicht nach Compostela gegangen waren, aber eine den Fahrtkosten entsprechende Summe in die Kasse der Gesellschaft eingezahlt hatten 45• Sehr oft verpflichteten die Erblasser ihre Erben dazu, entweder selbst zu pilgern oder einen Stellvertreter zu dingen, für dessen Lohn sie aufkommen mußten. Aber auch gesunde Christen, die verhindert waren, persönlich den Pilgerstab zu ergreifen, schickten einen solchen Verweser nach dem gewählten heiligen Ort. Für ihren geisteskranken Mann, Karl VI. von Frankreich, stellte die Königin Isabella einen "pelerin du roi" an, der das ganze Königreich durchreiste und nach Santiago wanderte, damit der König wieder genese 46 • In England wurde der Lohn dieser Verweser offiziell festgesetzt 47 • Das Pilgern wurde zum Erwerbsmittel. Diese Berufswallfahrer waren manchmal nicht zuverlässig . Schließlich verkamen sie und benahmen sich wie Landstreicher. Muschelträger, coquillard,war in Frankreich die übliche Bezeichnung für den Strolch 48 . Im südfranzösischen Raum und in Spanien, wo die Pilger, die echt frommen wie die berufsmäßigen, zusammenströmten, entwickelte sich, leicht verständlich, ein Argwohn den Wallfahrern gegenüber. Über die Wallfahrtsbräuche wurde in Santiago gespottet, und Arnold von Harff gab seiner Enttäuschung freien Lauf: "Es ist eine Bettlerwallfahrt" 49 • In der Zeit, die, wie der Libervagatorumbeweist, die Angst vor den Unterschichten der Gesellschaft anschwoll, war das keine beruhigende Feststellung-50! Die Behörden versuchten, den Mißbrauch des Pilgerns zu verbieten. Die Gelehrten, die sich mit G. BielGedanken darüber gemacht hatten, wie man die wirklich wundertätigen Bilder sicher erkennen könnte, rangen sich manchmal zur Ansicht durch, daß es gar nicht so ratsam war, eine Wallfahrt zu unternehmen 51 • Thomas a Kempis, dessen 44 E. vANCAUWENBER GH,Les pelerin a g es expiatoires et judici aires dan s le droit co mmunal de la Belgique au moyen äg e (Louvain 1922); J. VANHEERWARDEN, Opgelegde Bedevaarten . Een studie over de praktijk von opleggen van bedevaarten in de Nederlanden gedurende de middeleeuwen (Amsterdam 1978). 45 GEORGES(wie Anm. 33), 5 . 115. 46 A. SIGAL, Les marcheurs de Dieu (Paris 1974), S. 46. Sieh e a u ch F . AUTRAND, Charl es IV (Paris 1986), S. 324. 47 J. J. JuSSERAND, Les Anglais au moyen äg e . La vie nomade et les routes d ' Angleterr e au XIVe siede (Paris 1884), S. 207,222,232. 48 GEORGES (wie Anm. 33), 5 . 64. 49 E. VAN GROOTE(wie Anm . 43), 5 . 234 . 50 F . lRSIGLER, A. LASSOTA,Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker (Köln 1984). 51 TüCHLE(wie Anm . 35), 5. 408. 51 <?page no="52"?> Spiritualität.indd 52 Spiritualität.indd 52 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Sorge vor allem der Erbauung der Christen galt, kam zu dem Schluß, daß selten ein Pilger der Seligkeit entgegen gehe 52• So scharf erschien ihm U: ndvielen anderen der Gegensatz zwischen der Wallfahrt als äußerliches Werk und der von ihm gepriesenen verinnerlichten Pietät. III. Doch diese kritische Haltung war bei weitem nicht immer berechtigt. Die Wallfahrer haben sich auch den Werten der spätmittelalterlichen Spiritualität aufgeschlossen gezeigt. Von Anfang an war die christliche Wallfahrt mit der Buße eng verbunden. Am Ende des Mittelalters nahm dieser Zusammenhang neue Formen an. Das Sakrament erschien den Pilgern als ein wichtiger Bestandteil ihres Ganges. Kamen sie in Rom an, waren sie sicher, einen Beichtvater zu finden, der ermächtigt war, ihnen ihre Sünden zu vergeben . Er mußte zuerst ihr Geständnis verstehen. Die Engländerin Margery Kempe traf keinen Landsmann, ein deutscher Priester nahm ihre Beichte ab 53• In Compostela hatten sowohl der Franzose Jean de Tournai wie der böhmische Edelmann Rozmital die Mög lichkeit, in ihrer Sprache ihre Beichte abzulegen 54 • Daß man ohne vorherige Absolution nicht würdig war, den geheiligten Ort zu betreten, sollten Erzählungen von übernatürlichen Warnungen an mit Sünden behafteten Pilgern den Besuchern einprägen. Die Mönche von Montserrat erfaßten, daß ihre vielbesuchte Wallfahrt ihnen die Möglichkeit gab, tiefgreifend auf das seelische Wohl der Wallfahrer einzuwirken. Sie boten ihnen Wallfahrtsbüchlein an, die Beichtspiegel enthielten und Erbauungsschriften waren 55. Eine in die Zukunft weisende Initiative! Die spätmittelalterlichen Menschen kümmerten sich nicht nur um die Hauptsache der Beichte, die Vergebung der Schuld; sie waren auch darauf bedacht, die Strafe zu erleichtern und den Aufenthalt im Fegefeuer zu verkürzen. Mit dem Aufhören der Kreuzzüge war eine Möglichkeit, den vollkommenen Ablaß zu verdienen, ausgefallen. Vier Jahre später bereits, 1295,strömten Menschenmassen in Assisi zusammen, um den Portiuncula-Ablaß zu erlangen 56 • Bekanntlich entschloß sich Bonifaz 52 Imitatio, I. Buch, Kap. 23, französische Üb e rsetzung L. BAUDRY(Par is 1951), S. 41, 83. 53 G.B. PARKS,The English Traveler to Italy, The Middle Age I (Rom 1954), S. 548f. 54 Vgl. ScHMELLER(wie Anm. 29), S. 176; P. BARRET, Priez pour nous a Compostelle . La vie des pelerins sur ! es chemins de Saint Jacques (Paris 1978), S. 231. 55 E. DELARUELLE, L' Eglise au temps du Grand Schisme et de Ja crise conciliair e (Histoire de l'Eglise, hg. v . FLICHE-MART IN 14, 2, 1964) 5 . 802 . 56 PAULUS(wie Anm. 9), S. 141f., 312ff. 52 <?page no="53"?> Spiritualität.indd 53 Spiritualität.indd 53 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 VIII. erst am 22.2.1300 den Jubiläumsablaß einzusetzen, von dem Abertausende von Pilgern behaupteten, man hätte ihnen gesagt, daß er ihnen erteilt werden sollte 57• Das Bedürfnis danach war so groß, daß das Heilige Jahr schließlich drei Mal innerhalb eines Jahrhunderts gefeiert wurde. Die Popularität der römischen Wallfahrt nahm kolossal zu. Ein deutscher Priester erzählt, daß er 1450 3500 zu Tod erschöpfte Pilger bestattete 58• Auch auf diese Weise konnte der Ablaßhunger nicht gestillt werden. Ad instarjubileiverlieh der Papst den Kirchen der Christenheit, die einer Hilfe bedürftig waren, auf Zeit den vollkommenen Ablaß. Berühmte Wallfahrtsziele ließen sich ein solches Privileg ausstellen, Santiago 1445 und 1475, dort wurde auch behauptet, daß dieser Ablaß älter als der römische sei. In Le Puy gewannen die Pilger denJubiläumsablaß, wenn der Karfreitag mit dem 25. März zusammenfiel 59 . War es auf keine Art möglich, den vollkommenen Erlaß der Strafe zu erreichen, verkürzten die Christen die Zeit der Läuterung, indem sie Teilablässe anhäuften. Am Kirchturm der kleinen Wallfahrtsorte wurden "Ablassfenlin" ausgesteckt, an Tagen, an denen Teilablässe erteilt wurden 60 • Die Pilgerreisen führten die Wallfahrer von einer an Ablässen reichen Stätte zur anderen. Das beweist eindeutig der Bericht des Venezianers Fontana61.Rom war auch außerhalb der Heiligen Jahre so außerordentlich reich an Teilablässen das Schweißtuch der Veronika zu betrachten, verschaffte etwa 12.000 Jahre-, daß der Dominikaner Fabri deshalb Rom als die heiligste aller Wallfahrten bezeichnete 62 • Nicht allein um Hilfe in ihrer seelischen wie auch körperlichen Not zu erflehen, pilgerten bereits im Früh- und Hochmittelalter die <; hristen zu Hl. Orten, orandicausasagt von diesen Wallfahrern das Mirakel buch von Santiago im 12. Jahrhundert 63. Im Spätmittelalter ist die Wallfahrt auf eine der Zeit eigenen Art, auf die Devotion, abgestimmt worden. Das Pilgern konnte die Zeit der Trennung vom Weltlichen, der Besinnung und sequelaChristiwerden. Der christozentrische Zug wurde ausgeprägter. Nur verhältnismäßig wenigen Gläubigen war es gegeben, das Heilige Land zu erreichen, wenn auch, trotz der türkischen Besetzung, die 57 P. BREZZI, Storia degli anni santi (Rom 1950) . 58 JEDIN(wie Anm. 21), S. 35. 59 HÄBLER(wie Anm. 19), S. 38f .; R. PERNOUD, M .V. CuN, Jeanne d' Are (Paris 1986), S. 58f . 60 RAPP(wie Anm. 21), S. 145 . 61 M. PETROCCHI, Una "devotio moderna" nel Quattrocento italiano? ed altri studi (Floren z 1961), S. 81-100. 62 C. HUELSEN(ed.), Mirabilia Romae. Ein römisches Pilgerbuch des 15. Jhs. in deutscher Sprache (Berlin 1925); RAPP (wie Anm. 21), S. 134ff. 63 M. DEMENACA,Histoire de Saint Jacques et de ses miracles au moyen äge (Nantes 1987), S. 328 (7. Wunder, 1101). 53 <?page no="54"?> Spiritualität.indd 54 Spiritualität.indd 54 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zahl der Wallfahrten im 15. Jahrhundert zunahm 64 . Es ist bezeichnend für die Sehnsucht nach dem: Heiligen Land, daß dieses gewissermaßen den auf dem nördlichen Mittelmeerufer lebenden Christen entgegen kam: 1473 wurde zum ersten Mal die Tradition niedergeschrieben, der zufolge die Engel die Santa Casa von Nazareth nach Loreto getragen hätten 65 • In Trier wurde 1512 der Heilige Rock der Verehrung der Christen dargeboten, und das geschah nach 1515 alle 7 Jahre 66 • In Rom war nicht nur der Boden mit dem Blut der Märtyrer getränkt ; so viele heilige Gegenstände, die aus Palästina herüber gebracht worden waren, konnte man sehen, daß ein Engländer 1474 ausrief: "Ist es wirklich notwendig, nach Jerusalem zu pilgern? In Rom gibt es so viele Reliquien! " 67 Mit Jesus Christus eng verbunden in derselben innigen Frömmigkeit war die Person, die ihm am nächsten stand, Maria. Auffallend zahlreiche Wallfahrten, die der Mutter Gottes geweiht waren, kamen im Spätmittelalter auf. Allerdings auch große Wundertäter, Leonhard oder Blasius z.B., wurden angerufen und, 1445, erschienen zum ersten Mal die 14 Nothelfer in Franken, um gemeinschaftlich den leidenden Menschen den Beistand ihrer verschiedenen Spezialitäten bereitzustellen 68• Die beliebtesten Heiligen gehörten der Verwandtschaft des Heilands an. Der Kult der hl. Anna blühte auf; der hl. Josef wurde aus dem Halbdunkel, in dem er vereinsamt war, hervorgerufen 69 . Die Popularität des hl. Jakobus galt auch dem "Bruder Christi", für den man ihn hielt. Die Fürsprecherin aber, die man in allen Fällen anrufen durfte, war Unsere Liebe Frau, "Maria Hilf", "Notre Dame du Bon Secours" 70 • Auf ihre Fürbitte konnte man deswegen zählen, weil ihr göttlicher Sohn ihr Gehör schenkte. Nicht nur um sie anzuflehen, kamen die Pilger zu ihr. Auch orandicausa! 64 Die meisten Berichte werden von Pilgern aus gehobenen Ständen verfaßt (SoMMERFELD, wie Anm . 20); doch darf man daraus nicht unbedingt schließen, daß es kein e anderen gab; arme Leute hätten ihre Erinnerungen nicht schriftlich verfassen und verbre iten können. 65 R. BÄUMER, Loreto, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (Freiburg 1961), Sp. 1144. 66 K. HOFMANN, Heiliger Rock, in: Lexikon für Theologie und Kirche 8 (Freiburg 1963), Sp. 1348f. 67 PARKS(wie Anm. 53), S. 594. 68 G. ScHREIBER, Vierzehn Nothelfer in Volksfrömmigkeit und Sakralkultur (Innsbruck 1959). 69 B. KLEINSCHMIDT, Die heilige Anna. Ihre Verehrung in Geschichte, Kunst und Volkstum (Düsseldorf 1930); R. GAUTHIER, Saint Joseph (dans l'histoire de la spiritualite), in : Dictionnaire de spiritualite 8 (Paris 1974), S. 1308-16.Siehe auch RIETER, Reisebuch (wie Anm. 30), S. 28: "das Haus S. Annen, die sehne! do unse liebe frau d ie geschrift lernt". 70 F. RAPP, Laplace de Notre Dame dans la piete populaire au moyen äge, in: Marie Mere de Dieu (Venasque 1989), S. 187-214. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß deutsche Santiago-Pilger den Umweg überMontserrat und Guadelupe (Muttergotteswallfahrten) machten: Müntzer (wie Anm. 42), S. 13-17, 105-115; Tet ze l (wie Anm. 41), S. 185f. 54 <?page no="55"?> Spiritualität.indd 55 Spiritualität.indd 55 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 "Per Mariam ad Jesum." Äußerst selten, wenn überhaupt, war Unsere Liebe Frau allein abgebildet. Fast immer hielt sie ihr Kind in dem Arm oder auf dem Schoß. Pilgerten die Gläubigen, so wie Jeanne d' Are und ihre Gefährtinnen aus Domremy es am Samstag oder im Monat Mai zu tun pflegten, nach einer Marienkapelle, wie Bermont oberhalb Domremy, so wurden die Blumen, die sie brachten, Jesu und Mariä zugleich dargereicht71. An der Paternosterschnur, die jetzt zur Ausrüstung der Wallfahrer gehörte, wurden die Ave Maria des Rosenkranzes gezählt, und die Anrufung an die Mutter mit der Meditation des Lebens ihres Sohnes eng verflochten 72• So kam es, daß in einigen Wallfahrtsorten, so z. B. in Dusenbach bei Rappolsweiler im Elsaß , neben dem ursprünglichen Unserer Lieben Frau geweihten Heiligtum ein zweites entstand, in dem die Pilger die Möglichkeit hatten, sich in die Besinnung über Christi Leiden zu versenken 73 . Die Pilger, die in den letzten Jahren des 15.Jahrhunderts nach Dusenbach gingen, erwarteten die Stationen der via dolorosaauf der letzten Etappe der Reise. Dies führt uns zu einem letzten Standpunkt, der es uns erlauben wird, noch eine Besonderheit der spätmittelalterlichen Wallfahrt zu betrachten. Vielen Christen war es nicht erlaubt, oder aus irgend einem Grund nicht möglich, in die Feme zu gehen, unter anderen den Klosterfrauen . Um sie zu trösten, gaben ihnen ihre Beichtväter den Rat, in ihrem Klostergang das Leiden des Herrn im Geiste zu erleben. Damit ihre Meditation über einen Halt verfügen konnte, wurden an den Pfeilern des Kreuzganges Täfelchen angebracht, auf denen flüchtige Zeichnungen an die Hauptphasen der Passion erinnern sollten 74 . Später wandten sich die Nonnen an große Künstler, die für die jetzt herkömmliche Übung Bilder malten, so Holbein der Ältere für Augsburger Dominikanerinnen . Laien, die nach ihrer Fahrt ins Heilige Land die Erinnerungen an die Stätten erhalten wollten, ließen in Landschaften, die mit denen Palästinas Ähnlichkeit aufwiesen, den Ölberg, Pilatus' Palast, Golgatha und das Heilige Grab nachbilden und am Pfad, der von einem Denkmal zum anderen führte, Steine aufrichten, die die Stationen des Leidenswegs darstellten. Der Monte Sacro, bei Varallo in Italien, der Kreuzweg, den der Nürnberger Bildhauer Kraft verwirklichte, sind 71 PERNOUD, CuN (wie Anm . 59), S. 247. 72 A. WALZ,Rosenkranz , in: Lexikon für Theologi e und Kirche 9 (Freiburg 1964), Sp. 46-48. 73 P. LINCK,Die Topographie der Du senbacherkapellen bei Rappoltsweiler, Archives d e l' Eglise d ' Alsace 47 (1988), 87-95. 74 E. LuCCHESI-PALLI, Kreuzweg, in : Lexikon für Theologie und Kirche 6 (Freiburg 1961), Sp . 627-630; H ÄBLER(wie Anm. 19), S. 52; (Felix Fabri verfaßte für die Dominikanerinnen eine geistliche Pilgerfahrt) . 55 <?page no="56"?> Spiritualität.indd 56 Spiritualität.indd 56 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 berühmt geworden 75 . So dauerte die Wallfahrt nicht länger als ein Spaziergang. Schließlich konnte man in seinem Zimmer bleiben und beim Betrachten von Holzschnitten und Kupferstichen, man denke an die Passionen Schongauers und Dürers, beten 76 . Denn die Hauptsache war ja die Andacht. Ob man, wie Gerson es 1423 vorschlug, täglich 10 Vaterunser lispelte wie der Pilger 10 Meilen zurücklegte, oder ob man, wie in den Dominikanerklöstern der Observanz, für jede Phase der geistlichen Pilgerfahrt im Heiligen Land bestimmte Exerzitien sich auferlegte, war nicht von Belang 77 . Wichtig war nur die geistliche Konzentration auf das Mysterium der Erlösung. Das Wallfahren hatte sich in die allegorische Kleidung des Gebets umgewandelt. Es war nun ganz verinnerlicht. Statt für längere Zeit in die Fremde zu ziehen, um die Strapazen des Wanderers, die Einsamkeit des peregrinusauf sich zu nehmen, aber nur einmal oder selten, hatte der fromme Christ die Gelegenheit des öfteren, ja man möchte sagen täglich, sich aus den weltlichen Sorgen und Versuchungen loszulösen, einen Kreuzweg entlang bis zur nahen Kapelle zu gehen oder gar nur im Geiste Christus auf der via dolorosazu begleiten. Am Anfang des 15. Jahrhunderts war der Ostpreuße Lubbe nach Compostela gegangen; sein ganzes Leben lang pilgerte er zwei Mal im Jahr zum nahen Wallfahrtsort Marienburg 78 . Die Wallfahrt war in gewisser Hinsicht mit dem täglichen Leben verwoben. Einen Schritt weiter in dieser Richtung ging Erasmus, der übrigens mit seinen Gedanken vielleicht an "Le Roman des 3 Pelerinages" des Zisterziensers Guillaume de Degulleville 79 anknüpfte, und die Erfüllung der Standespflichten als die wirksamste peregrinatioreligiosabezeichnete . Die Wallfahrt im ursprünglichen Sinne war sozusagen im devoten Leben des Alltags ganz aufgegangen. Es gab nun Pilger ohne Weg! Erasmus hat die Wallfahrt nicht nur so radikal vergeistigt, daß sie sich im täglichen Leben auflöste, er hat ihre überliefe rten Formen mit beißender Ironie angegriffen, gefragt, wie es denn dem guten Sankt Jakob ginge, Unsere Liebe Frau bemitleidet, weil jeder beliebige Matrose sie 75 A. LIPINSKY, Ferrari (d er Meist e r der Kreuzwegstation en de s Sacro Monte Varallo), in: Lexikon für Theologie und Kirch e 4 (Freiburg 1960), Sp. 88f. 76 Daß Dürer durch den Verkauf von Ablaßbildern se in e n Haushal t während seiner Italienreis en finanzieren konnte, zeigt F. ANZELEWSKY, Dür er, Vie e t ceuvres (Fre iburg - Paris 1980). 77 E. DELARUEL LE, La piete populaire au moy en äge (Turin 1975), S. 555-561. 78 H ÄBLER(wie Anm. 19), S. 36f. 79 M. STANDAERT, Guillaume de Deguellevill e, in: Dictionnai re de spiritualite 6 (Pa ris 1965), 1201ff. 56 <?page no="57"?> Spiritualität.indd 57 Spiritualität.indd 57 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 stören durfte 80• Die meisten Humanisten haben ihren Fürsten nachgeäfft und den Reformatoren für ihre Frontalangriffe Munition geliefert. Das beginnende 16. Jahrhundert war für Wallfahrten eine schlimme Zeit. Wie in den meisten Bereichen des kirchlichen Lebens hat auf dem Gebiet der Pietät, und also auch des Pilgerns, das Konzil von Trient den goldenen Mittelweg eingeschlagen, mit den Mißbräuchen aufgeräumt und das Positive ins helle Licht gerückt. Die Jesuiten haben dabei wohl eine wichtige Rolle gespielt, die Jesuiten, deren Gründer sich in seiner Autobiographie als "pellegrino" bezeichnete. Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß die vor der Reformation unternommene Anpassung des Wallfahrtswesens an die erneuerte Spiritualität dazu beigetragen hat, das Pilgern vor dem Untergang im Sturm zu bewahren und es tiefer in das christliche Leben einzuwurzeln. Resumen: La instituci6n de la peregrinanon forma parte constitutiva d e la espiritualidad cristiana. Por eso tiene siempre que adaptarse a los cambios experimentados por esta. EI medioevo tardio ofrece la oportunidad de observar este proceso de adaptaci6n . No todos los movimientos religiosos surgidos durante los siglos XI y XII desembocaron en organizaciones antieclesiales; al contrario, algunos de ellos contribuyeron a la fundaci6n de nuevas 6rdenes religiosas, y el papado supo transformar el lema inicialmente revolucionario de estas corrientes evangelicas en un programa de gobierno. Se hizo hincapie en la necesidad de la imitaci6n de Cristo y en la interiorizaci6n de las buenas obras . Debido a estas tendencias espiritualizantes predomina una actitud crftica frente a las peregrinaciones . Al pueblo se le inculca precauci6n ante los falsos santuarios y se censura los abusos en la practica de la peregrinaci6n ante los falsos santuarios y se censura los abusos en Ja practica de la peregrinaci6n . Se insiste en la diferencia entre lo puramente prodigioso y lo autenticamente milagroso . Y al mismo tiempo se pone de relieve la importancia de una actitud interior recta, sin la cual nada bueno se puede esperar de la obra de Ja peregrinaci6n. Esta critica a veces formulada de un manera caustica y agresiva no logr6 sin embargo frenar la masiva afluencia de fieles a los centros de per eg rinaci6n ya existentes, ni impedir la formaci6n de otros nuevos . Por otro lado los peregrinos se muestran capaces de asimilar los valores tipicos de la espiritualidad de Ja baja edad media, de forma quese une peregrinaci6n con penitencia, al mismo tiempo que los rasgos cristocentricos tipicos de esta espiritualidad se manifiestan en una concentraci6n de la peregrinaci6n en motivos marianos : Asi peregrinaci6n es tambien una visita a la Madre de Dios, con frecuencia a la "Pieta", o a 80 Zitat in L. CHATELLIER, Pelerins des temps modernes, in: A. DuPRONT (Hg.), Saint Jacques de Compostelle (Turnhout 1985), S. 96. 57 <?page no="58"?> Spiritualität.indd 58 Spiritualität.indd 58 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 otros santuarios dedicados aJ recuerdo de Ja Pasi6n de Cristo. La interiorizaci6n de Ja vida religiosa condiciona una espirituaJizaci6n e interpretaci6n aJeg6rica de Ja peregrinaci6n: eJ peregrinar se convierte asi en un rnanto aJeg6rico de oraciones e incluso en Ja Jabor cotidiana realizada con devoci6n. 58 <?page no="59"?> Spiritualität.indd 59 Spiritualität.indd 59 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zur Spiritualität in den Santiago-Berichten des 15. und 16.Jahrhunderts URSULA GANZ-BLÄTILER Denn alle, die vom Geist Gottes geleitet werden, sind Kinder Gottes. Römerbrief 8, 14 Der Geist Gottes, das ist der spiritus Dei, der (nebst anderen) auch den Pilger leitet - oder treibt, je nachdem. Zum Begriff der Spiritualität: Was auf italienisch (spiritualita), auf französisch (spiritualitl) und auf englisch (spirituality) so frappant ähnlich klingt, ist nicht in jedem Wortschatz zwangsläufig dasselbe. Die "Spiritualität" gehört zu jenen Begriffen, denen man zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturkreisen ganz unterschiedliche Bedeutung zugemessen hat. Er läßt sich nicht einfach übersetzen und noch weniger eindeutig definieren es geht vielmehr darum, ihn zu interpretieren . Die traditionelle kirchenhistorische Begriffsbestimmung, wie sie etwa der französische "Dictionnaire de spiritualite" vornimmt, beruft sich mit Vorliebe auf die Synonymität der Begriffe in den genannten europäischen Kultursprachen . Die Definition geschieht dabei so, daß eine Sammlung von Definitionen angelegt wird: Es werden führende Theologen der einzelnen historischen Epochen zitiert, die den Begriff für ihre Zeit neu umschreiben . Wobei im Zentrum unausgesprochen und selbstverständlich die christliche Spiritualität steht . Die so zusammengetragenen zeittypischen Begriffsporträts sind häufig von ausschließendem Charakter : "Spiritualität" wird eingegrenzt, indem ausgegrenzt wird, was ganz gewiß nicht darunter zu verstehen sei1. 1 Dictionnaire de Spiritualite ascetique et mystique, doctrine et histoire , Bd. 14 (Paris 1988) Sp. 1142-1173 (Stichwort "spiritualite") . Als Beispiel Sp. 1146: Es wird Thomas von Aquin zitiert, der die spiritualitasin einem asketischen Sinn verstanden gegen die carnalitasausspielt, wobei er das Religiöse gegen das Weltliche, hier verstanden als die eitlen Versuchungen des Fleisches , ganz klar absetzt. 59 <?page no="60"?> Spiritualität.indd 60 Spiritualität.indd 60 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Demgegenüber hat eine eben erschienene umfassende Kulturgeschichte der Spiritualität, die der Geschichte der christlichen Spiritualität nu r gerade drei von siebzehn Bänden einräumt, einen betont praxisorientierten Ansatz: Es geht hier nicht um die Suche nach einer allgemeingültigen und verbindlichen Definition des Begriffes "Spir itualität"; die Aufgabe bleibt vielmehr den Autoren und Autorinnen der einzelnen Beiträge übertragen, den Begriff jeweils für ihre eigene Kultur neu zu interpretieren. Allerdings findet sich ein vorsichtig formulierter - Leitgedanke, der auch den nachfolgenden Ausführungen leitbildhaft zur Seite stehen mag : "Die Enzyklopädie legt ihr Augenmerk auf die innere Dimension des Indiv iduums . Diese wird in einigen Traditionen als die 'geistige' umschrieben . Dieses spirituelle Feld umfaßt das tiefste Zentrum des Individuums: Es ist hier, wo das Individuum sich öffnet für Transzendentes; und es ist hier, wo das Individuum mit seinem existenziellen Dasein konfrontiert wird . Die Enzyklopädie erforscht die Entdeckung dieses Feldes , die dynamischen Prozesse der Entwicklung und die Reise hin zum letzten Ziel. Sie handelt vom Beten, von der geistigen Ausrichtung , von den verschiedenen Entwürfen der spirituellen Reise und von den unterschiedlichen Möglichkeiten des Weiterkommens .beim spirituellen Aufst ieg2." "Spiritualität" wird hier nicht als einer bestimmten Religion oder Weltanschauung zugeordnet betrachtet. Einzelne Bände befassen sich mit den monotheistischen Religionen, weitere mit asiatischen , afrikanischen und anderen Traditionen, endlich auch mit dem kulturellen Dialog der verschiedenen Religionen in der Neuzeit - und mit den "Modem Esoteric Movements" in einem gesonderten Band. Und doch findet sich offenbar ein gemeinsamer Nenner, ein Sinnbild, das für die zielgerichtete Bewegung in allen Kulturen gleichermaßen stehen kann - " .. . the journey to the ultimate goal", die "Reise zum letzten Ziel". Da finden wir sie, und sie ist durchaus universal verständlich: die Pilgerfahrt, und im übertragenen Sinn das "Leben als Pilgerreise" . 2 Vgl. E. COUSI NS, in: J. RIATI (Hg.), Christian Spirituality, High Middle Ages and Reformation (World Spirituality 17, London 1987),Vorwort, S. XII: "The series focuses on that inn er dimension of the person called by certain traditions 'the spirit' . This spiritual core is the deepest center of the person. lt is here that the person is open to the transcendent dimension; it is here that the person experiences ultimate reality . The series explores the discovery of this core , the dynarnics of its development, and its journey to the ultimate goal. lt deals with prayer, spiritual direction, the various maps of the spiritual journey , and the methods of advancement in the spiritual ascent ." 60 <?page no="61"?> Spiritualität.indd 61 Spiritualität.indd 61 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Wo sich Spirituelles manifestiert, geschieht dies offenbar in erster Linie als Ausdruck einer Suche, beispielsweise nach dem Sinn - und erst in zweiter Linie auch des Findens . Es geht im folgenden um die Spiritualität in einem vergleichsweise eng umgrenzten Zeitraum, und es geht um die christliche, präziser : die abendländisch christliche Pilgerfahrt in der Umbruchsphase der Reformation . Mit den einleitenden Worten sollte aber doch auf das breite Bedeutungsspektrum verwiesen werden, das dem schillernden, schwer faßbaren Begriff der "Spiritualität" innewohnt. Was das 15. Jahrhundert betrifft (das erste, aus dem sich eine annähernd kontinuierliche Berichterstattung europäischer Santiago-Pilger erhalten hat), so ist davon auszugehen, daß das asketische Ideal des "Lebens als Pilgerfahrt", wie es in frühchristlicher Zeit geprägt wurde, in der Praxis einige Veränderungen erfahren hat. Spirituelles und Profanes wurde unterwegs als unmittelbar verknüpft erlebt, und zur spirituellen Suche gesellte sich ganz selbstverständlich die Suche nach weltlichen Entzückungen. Der Weg hatte gegenüber dem Ziel eine eigenständige Bedeutung gewonnen : Man schaute sich unterwegs nach Neuem um und erkannte, daß es in der Fremde des (Pilger-)Daseins neben den heiligen Dingen und Gräbern auch noch manch anderes Interessantes zu entdecken gab . , Der Santiago-Pilger Johann Othinger gab 1417 als Rechtfertigung seiner Bitte um einen Passierschein an, .. . andereHeiligtümerbesuchenzu wollen,dieLänder, Leuteund Sitten kennenlernenzu wollen 3 • Die Neugierde als Pilgermotiv kommt da recht unverblümt zum Ausdruck, und sie bezieht sich auf das Säkulare genauso wie auf das explizit Religiöse. Wer im Mittelalter auf Pilgerfahrt ging, mochte dies aus verschiedenen Motiven tun. Vielleicht erlag man -wie Johann Othinger-dem Reiz, ... Länder,Leuteund Sitten kennenzulernen. Und suchte so, probehalber und auf Zeit, die Erfahrung einer ganz anderen sozialen Realität zu machen . Oder es gab triftige Gründe, die eigene engere Heimat eine Zeitlang zu meiden : Flucht vor einer drohenden Seuche beispielsweise oder auch vor aufdringlichen Gläubigern spielte als Beweggrund mit Sicherheit eine größere Rolle, als in den überlieferten Quellen auszumachen ist. 3 Zit . nach : P . BARRET / J.-N . GURGAND, Unterwegs nach Santiago , Auf den Spur en der Jakob spilger (Freiburg / B. 1982) S. 27. 61 <?page no="62"?> Spiritualität.indd 62 Spiritualität.indd 62 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Aber in erster Linie suchte man doch den Kontakt mit dem Numinosen, mit heiligen Orten und heiligen Objekten. Dieses Motiv war und blieb zentral; es ist auch dann nicht aus den Augen zu verlieren, wenn wir angesichts des zunehmend inflationären Ablaß- und Reliquienwesens damals zu fragen geneigt sind, was denn an dem ganzen Pilgertreiben noch wahrhaft "fromm" gewesen sei. Die Frage ist schon deshalb zu differenzieren, weil sich eine scharfe Trennung des Religiösen vom Profanen für den Reisenden und sein Welt- oder Gottesverständnis nicht aufdrängte . Das mittelalterliche Wallfahrtswesen ist, wie bereits von Francis Rapp (vgl. den Aufsatz in diesem Buch) dargelegt, ein Phänomen der Volksreligiosität. Was hier alles mit hineingehörte, besaß für den oder die Pilger gerade auch im späten Mittelalter eine zentrale Bedeutung: streng strukturierte Rituale, wie sie sich in der romanischen und gotischen Wallfahrtsarchitektur spiegeln; Reliquien als die heiligen Dinge, die man berühren oder auch (so man Geld und Einfluß besaß) getrost nach Hause tragen konnte; Ablässe schließlich, die für ein etwas annehmlicheres Leben nach dem Tode eine gewisse Gewähr boten . Dazu zählen aber auch die eigentümlichen Verflechtungen von Liturgie und biblisch-ursprünglichem Brauchtum mit Legenden und anderen Zusätzen aus späterer Zeit. Bob Scribner, der sich neben anderen mit Ritualen in der populären Religion in Deutschland zur Zeit der Reformation auseinandergesetzt hat, hat dafür den hübschen Begriff der "paraliturgical celebrations" der "paraliturgischen Phänomene", verwendet4. Damit wird umschrieben, was neben den regulären, sprich: altüberlieferten Bestandteilen des Gottesdienstes im Lauf der Zeit liturgische Funktion gewann, ohne daß sich von Fall zu Fall eindeutig das Neue von dem Alten, das (womöglich) Irreguläre von den ursprünglichen, den kirchlich sanktionierten Kultelementen trennen läßt. Was die Ablässe betrifft, so spielen sie für das 15. und auch noch für die nachfolgenden Jahrhunderte eine wichtige Rolle, was sich auch in einigen Pilgerberichten niederschlägt. Man ging dahin und dorthin, um Ablaß zu erlangen oder Ablässe, so man sie in Massen erwarb, zu sammeln . In diesem Zusammenhang ist auf die im späten Mittelalter verbreitete Ansicht hinzuweisen, wonach schon Papst Calixtus II. (1119- 1124) der Stadt Santiago de Compostela einen vollkommenen Ablaß 4 R.W. ScRIBNER, Ritual and Popular Religion in Catholic Germany at the Time of the Reformation, Journal of Ecclesiastical History 35,1 (1984) S. 47-77, hier S. 52. 62 <?page no="63"?> Spiritualität.indd 63 Spiritualität.indd 63 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 zugestanden habe, der Gültigkeit besaß für alle die "heiligen" Jahre, in welchen der Jakobstag (der 25. Juli) auf einen Sonntag fiel. Dazu existieren keine direkten Quellen . Eine Bulle von 1179 spricht zwar von päpstlichen Bestätigungen des Sachverhalts, doch muß es sich bei diesem datierten Dokument um eine fromme Fälschung handeln, denn der darin erwähnte Jubiläumsablaß von Rom ist nachweislich erst 1300 eingeführt worden. Erste Erwähnungen von Teilablässen sind hingegen für die Zeit um 1198 bezeugt zusätzliche Ablässe für Santiago de Compostela sind wohl im Verlauf des 14. Jahrhunderts dazugekommen5. Die Geschichte der Santiago-Wallfahrt läßt sich grob in drei Abschnitte unterteilen . Einer Phase der Kultbildung, die vor allem den Hochadel betraf und in die Kreuzfahrerzeit (Reconquista und Nachfolgezeit) fällt, folgte eine eigentliche Blütezeit (13.-15. Jahrhundert). Immer mehr Men schen pilgerten aus einem immer weiteren Einzugsgebiet nach Santiago de Compostela, wobei die international wachsende Bedeutung der Städte als wirtschaftliche und kulturelle Zentren eine wichtige Rolle spielte. Es waren insbesondere Bürger, die sich auf die lange, beschwerliche Reise bis ans Ende der Welt einließen. Schließlich ist eine Spätphase auszumachen, in der einerseits von einflußreichen kirchlichen Kreisen eine Verinnerlichung von spirituellen Erfahrung angestrebt wurde~ die Kritik am Pilgern ging soweit, Alternativen einer bloß theoretischen Reise, der sogenannten "Pilgerfahrt im Geist", zu entwerfen - und gleichzeitig ein Prozeß zunehmender Polarisation stattfand. Während das Interesse an den Fernpilgerzielen (vorläufig) stagnierte, gewannen lokale Wallfahrtsziele an Bedeutung 6• Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Prozeß der Verinnerlichung ist das Stichwort der DevotioModerna zu nennen : Spiritualität wurde hier als verinnerlichtes Erleben verstanden und fand Erfüllungbeispielsweiseim geistigen N achvollzug des Lebens Christi oder in der 5 Zu Mythos und Geschichte der Santiago-Ablässe vgl. N. PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter vom Ursprunge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts , Bd. 2 (Paderborn 1923)S. 324-325und 285-286. 6 Nach J. vANHERwAARDEN, Le pelerinage a Saint-Jacques de Compostelle (XII•au XVIII" siede), in: Santiago de Compostela, 1000ans de pelerinage europeen (Ausstellungskatalog, Gent 1985) S. 71-83. Zur Entwicklung im Spätmittelalter auch I. MIECK,Zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela zwischen 1400und 1650. Resonanz, Strukturwandel und Krise, in : Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 29 (Münster 1978)S. 483-534. 63 <?page no="64"?> Spiritualität.indd 64 Spiritualität.indd 64 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 betonten Verehrung der Gottesmutter Maria. Verschiedene weitere mystische Bewegungen gehören hier ebenfalls mit hinein 7• Was das Pilgerwesen betraf, so wurde den zunehmend veräußerlichten Formen des Ablaß-und Reliquienkultes die Meditation, das "In-sich- Gehen", als eine alternative Form des Unterwegsseins entgegengesetzt. Ein Zitat des wohl bekanntesten Vertreters der Imitatio Christi,Thomas a Kempis, besagt: Quidpotesalicubividere,quodhienon videas? Eccecaelum + terram+ omniaelementa: nam ex istis omniasunt [acta. Quid potesalicubi videre,quoddiu potestsubsolepermanere? Was frei zu übersetzen wäre mit: Wasmagstdu anderswoentdecken,wasdu zuhausenichtauchentdeckst? Sind dochderHimmel, die Erdeund alleElementeüberallgleichund der Ursprung allerDinge. Wasalsowillst du anderswoerfahren,dasbeiTageslichtbesehen - Bestandhat? 8 Im vertrauten Teil der Erde sei das Unbekannte mit enthalten, da doch das eine wie das andere als Teil der Schöpfung Gottes aufzufassen sei, meint Thomas a Kempis . So gesehen, vermittelt das Reisen keine neuen Erfahrungen, sondern lenkt im Gegenteil von den wesentlichen Dingen ab und birgt (wie schon Thomas Aquin oder auch Bernhard von Clairvaux mahn ten) die Gefahr der weltlichen Versuchung , des eitlen und selbstzweckhaften Amüsements, in sich. Damit zu den Pilgern selbst zumindest zu jenen Pilgern, die im 15. oder 16. Jahrhundert ein schriftliches Dokument ihrer Santiago-Reise verfaßt haben oder in Auftrag gaben 9• Dazu gehörten, mit wenigen Ausnahmen, die Angehörigen lokaler Adelssippen oder städtischer Patrizierfamilien. Womit sich die Frage stellt, inwieweit diese Vertreter der Oberschicht überhaupt als relevante Zeitzeugen für ein derart verbreitetes volksreligiöses Brauchtum in Betracht zu ziehen sind. Tatsächlich stand die spätmittelalterliche Santiago-Wallfahrt allen Schichten offen: Es gab, anders als etwa bei der ausgesprochen kosten- 7 Zum Begriff der "Devotio Moderna" vgl. E. DELARUELLE, La sp iritualite aux XIV"et xv• siecles, in : DERS., La piete populaire au m oyen äge (Turin 1980) S. 401-412. Und (ebenda): DERS., Le Pelerinage interieur au XV• siede , S. 6-12. 8 Zitiert nach J. HAHN, The Origins of the Baroque Concept of Peregrinatio (Univ . of No rth Carolina , Studies in the Romance Languages and Literature s 131, Chapel Hill 1973) S. 26. Vgl. auch : S. WENZEL, The Pilgrimage of Life as a Late Medieval Genre, Medieval Studies 35 (1973) S. 370-388. 9 Zusammenstellungen spätmittelalterlicher Santiago-Berichte finden sich bei I. MIECK, Les temoignages oculaires du pelerinage a Saint-Jacques de Compostelle, Etude bibliographique, Compostellanum 22 (1977) S. 203-232; bei P.G.C. VONSAUCKEN u.a ., I testi italiani de! viaggio e pellegrinaggio a Santiago de Compostella (Pubblicazioni de! Centro italiano di studi compostellani 1, Perugia 1982); auch bei U . GANZ-BLÄTILER , Andacht und Abenteuer, Berichte europäischer Jerusalem - und Santiago-Pilger (Jakobus-Studien 4, Tübingen 1990). 64 <?page no="65"?> Spiritualität.indd 65 Spiritualität.indd 65 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 und zeitaufwendigen Heiligland-Seereise, keinen strukturell bedingten restriktiven Zugang. Fahrende Ritter, hochgestellte Geistliche und reiche Kaufleute dürften, insgesamt gesehen, in der Minderzahl gewesen sein was nicht zuletzt auch den mangelnden Bedarf und Absatz an (schriftlichen) Pilgerführern erklärt. Und doch gingen sie alle denselben Weg, besuchten dieselben heiligen Orte und kehrten (wenn auch nicht immer) in den gleichen Gaststuben und Wirtshäusern ein. So oder so darf die eingehende Beschäftigung mit den Santiago-Pilgerschriften die privilegierte Stellung der Autoren nicht außer Acht lassen, denn es ist zu erwarten, daß manches unterwegs anders als vom Gros der Pilger wahrgenommen und beurteilt wurde. Die zentralen spirituellen Erfahrungen allerdings dürften davon nur bedingt betroffen gewesen sein. Wer im 15. oder im 16. Jahrhundert als Pilger nach Santiago de Compostela reiste, tat dies allein oder in der Gruppe. Die Darstellungen in frühen Holzschnitten und Wiegendrucken porträtieren einfache Menschen: Einzelgänger, Pilgerpaare, ganze Familien mit Frau und Kind. Gestalten sind darunter, denen von weitem anzusehen ist, daß sie Getriebene oder auch Vertriebene sind, Heimatlose jedenfalls - "Pilger" somit, die auf die Mildtätigkeit anderer in besonderer Weise angewiesen waren 10• Im Vergleich dazu nimmt sich das Porträt des Arnold von Harff, das ihn in der Umzeichnung einer Federzeichnung aus einer frühen Berichtkopie mitsamt seinen Insignien des Pilgers (und dem Wappen des Ritters) darstellt, geradezu hochherrschaftlich aus 11• Im Gegensatz zu diesem stolzen pylgrum, weechwijser(Wegweiser)ind dichter,wie er sich im Schlußwort seines Berichts (S.260) nennt, scheinen jedenfalls nur die wenigsten unter den Santiagofahrern das Bedürfnis verspürt zu haben, der Nachwelt ein (schriftliches) Zeugnis von ihrer Reise zu hinterlassen. Bezeichnend auch, daß, wer schreibend in unser Bewußtsein tritt, fast durchwegs in mehrfacher Mission unterwegs war. Kaufleute im Sold großer Handelshäuser finden sich ebenso darunter wie fahrende Ritter und Diplomaten mit politischen (Geheim-)Aufträ- 10 Drastische Beispiele einer Umfunktionierung der spätmittelalterlichen Santiago-Fahrt zur aus (materieller) Not absolvierten Bettelreise bei 1.MIECK(wie Anm. 6) S. 509 ff. Wenn Mieck in diesem Zu sammenhang von einer Dekadenz der Santiago-Pilgerfahrt spricht , so ist der von ihm angesprochene Prozeß in erster Linie als ein qualitativer und (noch) nicht als ein quantitativer zu begreifen . 11 Vgl. E. VON GROOTE(Hrsg .), Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff von Cöln durch Italien, Syrien , Ägypten , Äthiopien , Nubien , Palästina , die Türkei , Frankreich und Spanien (Köln 1860) S. 1. 65 <?page no="66"?> Spiritualität.indd 66 Spiritualität.indd 66 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 gen. Oder auch hochgestellte Adlige, rastlos unterwegs von Hof zu Hof wie Leo von Rozmital, der (wie es schon der gemeinsame Titel der von zwei Begleitern verfaßten Reisebeschreibung sagt) zu gleichen Teilen eine "Ritter-, Hof- und Pilgerreise" unternahm 12 • Es ist anzunehmen, daß sich diese respektheischende Minderheit unter den Santiagopilgern doch zumindest in einigen Erwartungen unterwegs getäuscht sah. Wenn man annahm, es wären in der Stad t des Jakobus ritterliche Ehren zu holen so wie in Jerusalem, wo am Heiligen Grab regelmäßig der Ritterschlag verliehen wurde -, so folgte umgehend die Ernüchterung . Liest man zwischen den Zeilen, so scheint der "Kulturschock " für einige der Autoren unerwartet groß gewesen zu sein . Entsprechend kurz angebunden geben sich ihre Berichte. Aufgrund dieser relativierenden Vorbemerkungen läßt sich bereits der Schluß ziehen, daß eine Suche nach Spuren spätmittelalterlicher Spiritualität nicht primär auf die Aussagen schreibender (Santiago-)Pilger abgestützt werden sollte. Andere und aussagekräftigere Quellen sind beizuziehen: die Pilgertestamente etwa (es haben sich Beispiele schon seit dem hohen Mittelalter erhalten) 13 oder Pilgerzeichen, wie sie sich noch immer im Fries alter Kirchenglocken wiederfinden lassen. Ihre Verbreitung sagt doch einiges aus über das Einzugsgebiet eines Kultortes - oder die fromme Absicht eines Stifters. Grundsätzlicher noch stellt sich die Frage, inwiefern sich "Spirituelles" überhaupt aus einem schriftlich aufgesetzten Reisebericht als einer (gebrauchs-)literarischen Quelle herausdestillieren läßt. Zwar besagt ein altes Sprichwort: WesdasHerz vollist/ DemgehtderMund über(Sebastian Franck). Dem ließe sich mit demselben Recht entgegenhalten: "Wem das Her~ voll ist, dem verschlägt es die Sprache." Beides ist denkbar, und zwar im 15. und 16. genauso wie noch im 20. Jahrhundert. Zur Illustration das Beispiel eines zeitgenössischen Reiseberichts, verfaßt von einer Vierzehnjährigen, die 1972 in Begleitung ihrer Familie nach Jerusalem zog. Der Bericht war ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt und sollte in erster Linie als Gedächtnisstütze für den Privatgebrauch dienen 14. 12 L.A. ScHMELLER (Hg.) , Des böhmischen Herrn Leo's von Rozmita l Ritter-, Hof- und Pilger-Reise durch die Abendlande 1465-1467,beschrieben von zweien seiner Begleiter (Bibliothek des Literarischen Vereins 7, Stuttgart 1844). 13 Ein Beispiel : A.M .DESANCHEZ RrvERo(Hg .), Da Venexia per an dar ce meser San Zacomo deGalizia p erla viadeChioza, Principe de Viana28 (1967)S. 441-514. Darin 5. 512-514: Testamento de Beta Pencin (19 febrero 1357) antes de irse peregr inar a Santiago de Galicia . 14 Privatarchiv U. Ganz-Blättler. 66 <?page no="67"?> Spiritualität.indd 67 Spiritualität.indd 67 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zu Beginn heißt es da: Am Morgensteheichum 3 Uhr45 auf.Ichfreue mich wahnsinnig! Die Emotion, die Freude über den bevorstehenden Aufbruch ist hör- und spürbar . Ausgerechnet jene Passage aber, die sich auf den Höhepunkt der Reise in diesem Fall den Aufenthalt im Heiligen Land bezieht, fällt im Gegensatz dazu seltsam dürr aus. Ein Auszug: Um vier Uhr stehen wir auf. Das Schiff kommt jedoch erst um neun Uhr (gemeint: in Haifa) an. Wir fahren sofort bis Jerusalem.Wir haben einen Campingplatzin Aussicht, derjedochschlechtist. Wirfinden aberUnterkunft in einem Kloster mitten in der Stadt. Sogar eine Messe wird extra für uns abgehalten. Den ganzen Tag besichtigenwir Jerusalem: Damaskustor,Felsendom,Todesangst- , Gethsemane-, Grabeskirche, Knesset, Israel-Museum, El-Aksa-Moschee. Am Abendein Wunder: Wir bekommenam RadioBerornünstert1 5 Am nächsten Tag geht es entsprechend weiter: Auch heuteBesichtigungen, nachdemwir im Bazarherumspaziertsind. Kennedy-Memorial, Johannes-Kirche,Abendmahlssaal, Bethlehem,Chagall-Fenster in einemKrankenhaus,Davidsgrab... Undsofort. Man mag einwenden, daß es sich in diesem Fall doch offensichtlich um eine stilistisch ungelenke halbwüchsige Touristin handelte, der es ziemlich gleichgültig gewesen sei, wo sie gerade was zu besichtigen hatte. Dem ist immerhin entgegenzuhalten, daß dieselbe reiselustige Touristin die frühen Heiligland-Eindrücke mit zum Anlaß genommen hat, Jahre später intensiver über das Thema der Fernpilgerfahrteri - und insbesondere die spätmittelalterlichen Pilgerschriften nachzudenken. Ein Beispiel aus früherer Zeit, nämlich von 1446, klingt ganz ähnlich wie die Schweizer Pilgerin von 1972. Es stammt von Sebastian Ilsung : Darnachzochich in daz kinrichvon Kastilliadurchvil stet und kam da in die habstat,genantLeywo.Ist aingroseguotestat, ist korellenund agstain(=Edelsteine) wolfail.Dar nachkamm ich in die stat, da daz zaichenist beschenn,da die bratennhenerlebetigwordenn(gemeint ist Santo Domingo de la Calzada) . Da sagt man noch,daz die hener,die sa send, die seiendvon den gebraten henerkomenn. Die han ichachgesechen,in derkirchennsend sy erbor,und ist ain bisttumm da. Dar nachkam ich in daz land Galyciaachdurch vil stetlach und kam in die stat zuo Komboststell,da leit der liebher sant Jacobleibhefftig hinderdem altar. Und sant Jacobskirch ist vorzeiten ain grosserhaidinscher tempelgeuessenn,wervil darvon zuo sagen,wen man speishat. So magin noch nemat gewinen, alz fest ist sant Jacobskirch. Und mag eiderman gan uf der kirchenzu abergost , da stat ein kricz, ist von himellher ab komenn.Da ist die grestfart, die in derkristenhaidist, an zuo demhalgengrab.Und besehenaltag grosezaichenn.Es komengar vil bilgerinzuo fuos daheinund weing zuo ros, den es komt herterhan. Ich kamda hein an unsserherenfronlichnamsabetund 15 Schweizer Landessender, in der Nähe von Luzern gelegen . 67 <?page no="68"?> Spiritualität.indd 68 Spiritualität.indd 68 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 was da in derfesper.Da ist ain erczbischoff und ain grosertomm. Und wer da hein komt, derpflichtzuo beichtennund wirt im groshaltum dagezaiget.Und wer vil davonzuo sagen,las ichvon kircz wegenan stan 16• Es folgt ein geradezu auffällig langer und detaillierter Bericht von der Visite beim Erzbischof, die selbst ein angeregtes Privatgespräch der beiden über wappenkundliche Fragen nicht ausläßt1 7• Kurzschließen sollte man auch hier nicht, daß sich Sebastian Ilsung eben mehr für Heraldik als für die heiligen Dinge in der Kathedrale interessiert hätte. Doch muß man das eine Interesse im Gegensatz zum anderen zwischen den Zeilen des spröden, sachkundlichen Berichts herauslesen. Für die Sprödigkeit der Aussagen zum Pilgerziel Santiago de Compostela gibt es in den Reiseberichten des 15. und 16. Jahrhunderts beliebig viele Beispiele, die sich zitieren ließen. Kurz faßt sich auch Bartolomeo Fontana aus Venedig (1538),der im wesentlichen auf die zu erwerbenden Ablässe und die zu besehenden Reliquien eingeht: In derStadt Compostelaist eineschöneKircheausMarmor,demHeiligenJakob geweiht; dagibt esaußerordentlichhoheAblässe.Und ichsahan einemOrt, der "HeiligeKammer"genannt wird, unter anderemein Stück Holz vom Heiligen KreuzunseresHerrn,einederDornenaus derKrone,mit derergekröntwurde, Milchvon derJungfrau,unsererHerrin,denKopfdesJacobusMinor und andere frommeDinge,diejedenMorgenbeiderEucharistiefeier, beiderMessealso,den Pilgerngezeigtwerden.Und wenn sie sie zeigenwollen,gebensie das Zeichen mit einerGlockein derKirche.Und sobalddie Pilgerin derHeiligenKammer versammeltsind, machtsie ein Priesteraufmerksamauf alles,was da zu sehen ist, indemereineReliquienachderanderenberührtund dazu Erläuterungenin spanischer, französischer, deutscherund italienischerSpracheabgibt 18• Anzufügen bleibt, daß die vorausgehende Beschreibung von Finisterre, an der Meeresküste gelegen, einen geradezu "humanistischen Touch" besitzt, indem hier nicht-wie vordem üblichauf das schon im Namen 16 Ed . V. HONEMANN, Sebastian Ilsung als Spanienreisender und Santiagopilger, in: K. HERBERS (Hg.), Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte (Jakobus-Studien 1, Tübingen 1988) s. 90. 17 Ebenda, S. 91. 18 A. FuCELLI (Hg.), L'itinerario di Bartolomeo Fontana (Pubblicazioni de! Centro italiano di Studi Compostellani 6, Perugia 1987) S. 116-117: Nellacittade Compostella e una bella ehiesade marmo,dedicataa S. Iaeobo,dove sonno·grandissimeindulgentieein quella,in un loeoehe si dice ehamerasanta,fra le altre reliquevidi de! legnodellasanta crocede! nostro Signore,una dellespine dellacorona,con ehe lui fu coronato,de! latte della Verginenostra Signora,la testade S. Iaeobominoree altre eosedivote, le queliogni mattina, allaelevatione des eorpode Christo,allemessagrande,si mostranoa peregrinie, quandolo volenomostrare, dannosegnasonandoun eampanellonellaehiesae, redutti li peregriniin eamerasanta, uno prete li fa cauti de cio ehe li mostra, toeeandole reliquiea una per una, con una verzeella, parlandoin linguahispana,franeesca,allemanae italiana. 68 <?page no="69"?> Spiritualität.indd 69 Spiritualität.indd 69 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 angelegte Ende der (bewohnten) Welt verwiesen wird, sondern explizit auf das "Ende Europas". Fontana vergißt auch nicht, die antike Legende von der phönizischen Königstochter Europa anzufügen, die - ... la qual per la sua troppabelezza fu da Gioveamatae fatta pregnantedem Göttervater Jupiter so sehr gefiel, daß er mit Erfolg um sie warb 19• Zwei anonyme florentinische Berichte, der eine 1477, der andere gleichfalls in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufgeschrieben, sind als (mit persönlichen Bemerkungen durchsetzte) Itinerare, also Orts- und Distanzenregister, konzipiert worden . Zu den Etappenorten findet sich jeweils der Zusatz, ob es sich-aus der Sicht des Schreibenden um eine kleine, eine große, eine schöne oder leider eher unansehnliche Stadt gehandelt habe. Santiago de Compostela nimmt in dem einen Text nicht mehr als vier Zeilen Platz ein 20; in dem anderen, der etwas ausführlicher ist, erscheint die Stadt zunächst als klein und "porcinosa".Der galicische Ort, fernab der großen Handelsstraßen, hat dem Florentiner offensichtlich wenig Eindruck gemacht: Es gebe hier wenig an Kunst zu besichtigen, dafür aber Ablässe und Reliquien, schreibt er2 1. Ein auf den Ablaß und die Reliquien beschränktes Interesse läßt sich auch bei anderen Berichtautören der Zeit beobachten. Lucas Rem liefert demgegenüber das Beispiel eines "Nebenher" -Pilgers, der eine Handels expedition dazu nutzte, unterwegs das berühmte Pilgerziel Santiago de Compostela aufzusuchen. Der Augsburger geriet während seiner ausgedehnten Geschäftsreisen zweimal in die Nähe von Santiago . Das eine Mal, 1508,reichte die Zeit immerhin zu einem Blitzbesuch: adj. 20 Ottobr rit ich von Coromhagen Compostelazuo dem hailigenhern St. Ja<! '. mit meim schifhern,hochpotzmanund stiurman, kamdenselbenaubenddarund belibbis adj. 22 dito.fruo rit ich a la Coromhaund kam denselbenaubent dar,fandten widerwind2 2 • 19 Ebenda , S. 115. 20 R. DELFIOL(Hg .), Un altro "itinerario" tardo-quattrocentesco da Firenze a Santiago di Compostella, Archivio storico italiano 502, 4 (1979) S. 599-613. Hier S. 612: Colnome di Diosi giugnea santoIacopo; et bellacittiichiamataCampostellae nellachiesaet avi la testa di santoIacopo; cosidiconohaverviel corpoDa SanctoIacopoallaBeulla (Boullon) . . . . 21 Vgl. M. DAMONTE(Hg.), Da Firenze a Santiagodi Compostella , ltinerario di un anonimo pellegrino nell'anno 1477, Studi medievali 3. ser . 113 (1972) S. 1043-1071. Hier S. 1063: Champostella, una ciptiipiccholaet drentoporcinosa; e pochiartigiani; e qui eil perdonoa chi va a SanctoIacopo. E nellachiesadi SanctoIacopo, bellachiesasechondola ciptii, ein detta chiesae latestadi sanctoIacopoMinore, edein una sacrestiaehe salechondue schaledi prieta; ein dettasagrestiaenemoltebellereliquie; e llachiesae uficiatadapreti; bellachericheria , molti chalonachi. Zum Vergleich : Toulouse erscheint im selben Text (S. 1057) als eine schöne und große Stadt, ... unabellaegrandecittiipienad'artefichid'ongniarte, e moltomerchantil e. 22 B. GREIFF (Hg.), Tagebuch des Lucas Rem aus den Jahren 1494-1541, Ein Beitrag zur Handelsgeschichte der Stadt Augsburg, in : 26. Jahresbericht des hist. Kreis-Vereins im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg (1860) S. 9. 69 <?page no="70"?> Spiritualität.indd 70 Spiritualität.indd 70 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Die Reise führte weiter nach Großbritannien; im Januar dann kehrte Lucas Rem zurück nach Augsburg . Im Jahr darauf weilte er während einer Italienreise in Loreto und Rom und sah sich anschließend durch einen scharfenBrief der Welser dazu gezwungen, so rasch als möglich nach Lissabon zu fahren. Unterwegs blieb keine Zeit für Pilgerfahrts-Abstecher : Fuorn also bis adj 2 Augusto; sach wir Galizia, und war der windt ganz sudwest, dz wir mit Marter adj. 3 Aug°. gen Ferreria,bey Scta.Martha kamen, ad.4 . gen Vivero. Da plib ich,und unmals ungern,auf windt wartend bis adi. 12 dito. was nur 12 meyl von Sant Jacob,und dorft nit dar raissen, sorgendetwaz versaumen 23 • Und doch tritt auch in diesem Werk, das doch in erster Linie als privates Familien- und Geschäftstagebuch konzipiert war, die Absicht des Autors, gottgefällig zu handeln und den Nachkommen ein erbauliches Exempel zu liefern, offen zutage-in der Einleitung gleich nach dem Inhaltsverzeichnis, die mit den zwei in großen Lettern gemalten, von zwei Kreuzen eingefaßten Namen +Jhusmaria+beginnt. Etwas anders präsentieren sich die Verhältnisse bei Eustache de la Posse, einem Kaufmann aus dem flämischen Tournai, der einen Bericht von seiner außerordentlich abenteuerlichen Handelsreise, die er 1479/ 1480 absolvierte, hinterließ. Bei diesem Werk tritt das Exemplarische nicht so sehr als das Gottgefällige in Erscheinung, sondern vielmehr um beim Bild zu bleiben als das Selbstgefällige. De la Posse nämlich war Sklavenhändler und geriet als solcher in portugiesische Gefangenschaft, weil er es unterließ, in dieser Zeit politischer Spannungen eine gültige Handelslizenz zu lösen. Vor dem Tode rettete ihn allein die Flucht auf spanisches Hoheitsgebiet, wo er fortan als mittelloser "Pilger" auf die Mildtätigkeit anderer Reisender angewiesen war. Aus purer Not hat er sich einem anderen, einem vermögenden Händler aus Brügge angeschlossen, der ihn (im Originalton Eustache de la Posse) .. . unter Tränenbat, ihn nicht zu verlassen. Er meinte, der Tod in den Wäldernsei ihm gewiß, wenn ich ihn verlassenwürde. Er kenneja auch die Sprachedes Landesnicht. Er batmich, ihn nachSt.Jakobzu begleiten; er kommefür meine Reisespesenund mein Pferdauf. Und so tat ich es24. 23 Ebenda, S. 12. 24 R. FOULCHE-DELBOSC (Hg.), Eustache de Ja Fosse , Voyage a Ja cöte occidentale d' Afrique, en Portugal et en Espagne (1479-1480), Revue Hispanique 4 (1897) S. 174-201 . Hier S. 201: Et quand nous devions partir l'ung de l'autre, il commenqaa plorer disant sy je l'habandonnoyequ'il moroitpar/ es champs, et qu'il ne sqavoitpoint lelangaigeet me priaque le voulsissecompaignera SaintJacqueset qu'il me paieroitmes despenset de mon cheval, ehe queje feiz. 70 <?page no="71"?> Spiritualität.indd 71 Spiritualität.indd 71 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Pilgerpaar bei der Rast (Holzschnitt von Lucas van Leyden, um 1508) Pilgerfamilie (Holzschnitt von Hans Burgkmair, um 1508) Pilger unterwegs (Holzschnitt von Hans Schäufelein, um 1510) ~; ~~-: : ~ ; )ti,~ t,tr$ ~ ~ ',: ~~ ~· ·1,.~ ~i ~ ·.: .t ~c--' ·1i"": . ✓ ..... F' • . ") , ' Arnold von Harff kniend vor St. Jakob (HS. 268 der Bibliothek der Abtei Maria Laach, BI. 17r) 71 <?page no="72"?> Spiritualität.indd 72 Spiritualität.indd 72 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 In Begleitung dieses Landsmannes und Jakobspilgers also besuchte er zur Jahreswende 1479/ 1480 mitten im Winter! - Santiago de Compostela, ohne jedoch die Stadt oder den Aufenthalt hier mit mehr als einer kurzen Bemerkung zu Ankunft und Abreise zu würdigen 25• Anschließend kehrte der sonst so mitteilfreudige, weit umgetriebene "Odysseus" so rasch als möglich zu seinen Geschäften nach Tournai zurück. Und so habeichmeineReisegesund und sicherhinter michgebracht, allerdingsunter Verlust sämtlicherGüter.Danksei Gott, Amen 26• Die Pilgerals eine (ebenfalls berufsbedingte) Ritterreise klingt beim burgundischen Edelmann Ghillebert de Lannoy mehrmals in seinem Reisebuch, das ein halbes Leben umfaßt, an. Den ersten Aufenthalt in Santiago de Compostela hat der im Sold des Herzogs Philipp des Guten stehende Burgunder, der auch mehrfach den Orient bereiste und dabei Informationen über die Chancen und Risikos weiterer Kreuzzüge einzuholen bemüht war, mit einem knappen: Ich war da abgehakt 27 • Das andere Mal nennt er immerhin den Grund seines Aufenthaltes: Ich ging nachSantiagoin Galicien,überLand,um das Gelübdezu erfüllen,welchesich beimHinscheidenmeinerFrauablegte2 8• Der unmittelbare Anlaß zu dem Abstecher nach Santiago de Compostela war also offenbar ein Versprechen, das er gegenüber seiner Frau auf dem Totenbett ablegte-er gelobte dabei wohl, für ihr Seelenheil zu beten. Bei einer bloßen Erwähnung des Pilgerziels beläßt es auch der Servitenmönch Hermannus Künig von Vach, der doch in seinem ausführlichen, um 1495 mehrfach gedruckten Pilgerführer dem ersten in deutscher Sprache sämtliche übrigen Etappen der Reise mit einigen beschreibenden Worten würdigt. Als hauptsächliches Motiv der Jakobspilger wird eingangs die Absicht genannt, Römischgnad und ablaßzu 25 Ebenda: Tellementallasmesquenousfumes lejour deNoela VylleFrancque(Villafranca de! Bierzo) ouon boit/ esbonsblanczvyns etfumes lejourdelafestedelasepul~uredu bonseigneur Saint Jacquesaudit lieu de Saint Jacquesen Compostellequy eschetle 6eme jour apresNoel, l' endemaindu jour sainctThomasde Cantorbye(Thomas von Canterbury), et y fumes 4 ou 5 jours. 26 Ebenda, Schluß: Et parainssyfut achevemonvoiaigesaulvementdecorpz,maistous! esbiens perdus.Deogratias,Amen. 27 C. PoTVIN(Hg.), CEuvres de Ghillebert de Lannoy, voyageur, diplomate et moraliste (Louvain 1878) S. 14: Item,au departirdeladittearmee,alaydeversle royde Portugal,lequel me recueillagrandementet payatous mes despensparmyson royaume.Item, deliim'en alayii Saint-Jacqueset revinsparNavarre,oiije trouvaile roy mal/ adeau lit. 28 Ebenda, S. 173-174: L'an trente et cincq,le vingtiemejour defebrvrier,partisd'Arras apres leparlementet lapaixd'Arras,et m'en alayii Saint-Jacques eenGalice,parterre,pouracomplir le veu quej'avoyefait au trespasde mafemme. Et ii man retourdudit voyaige,je vins devers man seigneurle duc, qui estoitau siegede Callaizet le encontrayen armesentre Saint-Omer et Gravelinghes . 72 <?page no="73"?> Spiritualität.indd 73 Spiritualität.indd 73 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 verdienen 29• Nähern sich die in der Wir-Form angesprochenen Pilger ihrem Ziel, so freuen sie sich, die Stadt des Jakobus von ferne zu erblicken. Das Ziel ist, wie Künig von Vach auch schon bei anderer Gelegenheit mahnt, mit Andacht zu finden 30 • Es scheint, als hätte der schriftliche Reiseführer mit der sicheren Ankunft der Pilger bereits seinen Zweck erfüllt. Hermann Künig von Vach widmet sich dann auchnach einem kurzen Verweis darauf, daß die Pilgerreise letztlich zu höheren (Lebens-) Zielen führe mit derselben Sachkenntnis wie zuvor der Beschreibung einer anderen Wegroute für den Rückweg. Zu den eher seltenen Reiseschriftstellern, die ihr Herz auf der Zunge trugen und sich auch in der Beschreibung des Pilgerziels Santiago keinerlei Beschränkungen auferlegten, gehört der junge niederrheinische Ritter Arnold von Harff, der an eine ausgedehnte, 1496 begonnene Nahostreise die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela anhängte. Bei ihm nistet sich sogar Kritik ein, und zwar dort, wo er die Kathedrale von Santiago de Compostela beschreibt und sich erinnert, wie er den Leichnam des Heiligen zu sehen wünschte-was man ihm unter Berufung auf seinen Glauben, der doch nicht auf sichtbare Beweise angewiesen sein sollte, verweigerte. Hätte er auf seinem Wunsch bestanden (und damit unweigerlich den Heiligen oder Klerus beleidigt), so beschied man ihm wäre er von Stund' an ... tollwütig wie ein rasenderHund geworden. Bloß hatte der Weitgereiste den Leib _des Jakobus maior (meirre) bereits in Toulouse gesehen, und es war längst nicht das erste Mal, daß er unterwegs heilige Gegenstände vorgesetzt bekam, die man ihm bereits anderswo zu zeigen vorgab. Diese theologischenStreitereiensollen andereschlichten,notierte er sich jeweils in solchen Fällen. Diesmal läßt er es bei einem vielsagenden Damit hatte ichgenug gehörtbewenden 31 • 29 K. HÄBLER (Hg.), Das Wallfahrtsbuch des Hennannus Künig von Vach u_nd die Pilgerreisen der De_utschen nach Santiago de Compostela (Straßburg 1899)S. 91 (fortlaufend nummeriert): Zuo dem ersten wan du wilt ußgan / So saltu got syner hulff ermanen/ Dar nachMarienallergnadeneyn schryn/ Dasse dir wollenfrölichhelffen da hyn / Da du sant Jacobmögestmit andachtfinden/ Marienmit jrem liebenkinde/ Römischgnad und ablaßzuo verdienen.Etc. 30 Ebenda, S. 107 (fortlaufend numeriert) : By eym crütz dadan lygt eyn größhauffsteyn / Nü wollevns helffenMariadiejungfraw reyn / Mit jrem liebenkynde / Daß wir sant Jacobmit andachtmögenfynden / daßwir nachdißem lebenmögenfynden dasIon/ Und mögenenpfaen diehymelschekrön/ Diegot santJacobhatgegeben/ Undalleheiligendiedasynt jn demewigen leben/ Amen. 31 Vgl. E. VON GROOTE(Hg .), Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff (wie Anm .11) S.233: Item man wilt sagendat der lijchanamsent Jacobsdes meirrerapostelsulde sijn ader lijgenin demehoigenaltaer.etzlichesagen,waerafftichneyn,aserlijchtzo TolosainLangedock, dae van ich vur geschreuenhane.dochich begeertmit groisserschenckongedat man mir dat heiyligecorpertzoenenweulde.mir waertgeantwort,soewernyet gentzlich geleufft, dat der 73 <?page no="74"?> Spiritualität.indd 74 Spiritualität.indd 74 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Aber auch Arnold von Harff, der sich bisweilen doch, so scheint es, als ein recht ungläubiger Thomas gebärdete, beendet seinen Bericht mit den Worten: Bidt got vur den pylgrum weechwijser ind dichter.Amen. Er entwirft zu guter Letzt ein frommes Selbstbild, das in den Augen Arnolds und seines ebenfalls adligen Zielpublikums in keiner Weise in Widerspruch gestanden haben dürfte zu den mannigfaltigen (und mit viel Liebe zum Detail geschilderten) Reiseabenteuern eines fahrenden Ritters und Lebemannes. Leo von Rozmital und seine beiden Berichterstatter seien hier nur kurz zitiert nicht zu ihrem Santiagobesuch, der von lokalen kriegerischen Ereignissen überschattet war, sondern zum Ort Padr6n, wo das steinerne Schiff mit Jakobus und seinen Jüngern angeschwemmt worden sein soll. Der Stein, in dem noch der Abdruck des Apostels sichtbar gewesen sei, wird von dem Nürnberger Gabriel Tetzel folgendermaßen umschrieben: Auf dem selbenstein hat der liebherrJacobauf dem mergefaren,und ist sein schiffgewest,und derstein ist obgeschwummen.Do sieht man nochheutstags innen sein fußtritt. Do jm sein haubt und leibgelegenist, hat er in den stein 'wun' gedrucktals in ein wachs. Et/ ich meinen, das sant Jacobauf dem stein gestorbensey und daser auf dem mer kumen sey an die stat Patron, und et/ ich meinen,daserzu Jerusalemgemartertund gestorben sey3 2. In Frage gestellt wird das wunderbare Ereignis der Überfahrt nicht, doch ist Tetzel aufgrund unterschiedlicher Informationen nicht ganz sicher, ob nun Jakobus als Lebender oder Toter auf dem schwimmenden Stein nach Spanien gelangte. Hieronymus Münzer, ein gelehrter Nürnberger Wissenschaftler und Humanist, der gerne den Überblick behielt und deshalb unterwegs auf jeden höheren Kirchturm stieg, hat demgegenüber ähnlich wie Arnold von Harff immer wieder seine Skepsis in gewissen Dingen des Glaubens geäußert. Zum massenhaften Pilgerbetrieb in der Kathedrale des heiligen Jakobus äußert er deutliche Mißbilligung: Und dauerndist ein solchesVolksgeschrei in derKirche,daßmanesnichtfür möglichhaltenmöchte. Mäßig ist dadieEhrfurcht 33 • Seiner Ansicht nach widerfuhr dem Heiligen heyligecorpersentjacobsdesmeirreapostel in demehoigenaltaerleegeind daean tzwyuelt ind dat corperdan sien wurde,van stunt an moisteer vnsynnich werdenwie eyn raesenhunt. dae mit hat ichdermeynonghegenoichind vir gyngen voertvif diesacrastie. 32 L.A. ScHMELLER (Hg .), Des böhmischen Herrn Leos von Rozmital Ritter-, Hof - und Pilger-Reise (wie Anm. 12) S. 178. 33 LUDWIG PFANDL (Hg.), Itinerarium Hispanicum Hieronymi Monetarii, 1494-1495,Revue Hispanique 48 (1920) S. 1-179. Hier S. 98: Et .continuo tantus clamorest in ecclesia populi,ut nundinascrederes. Modicaibidevotioest. 74 <?page no="75"?> Spiritualität.indd 75 Spiritualität.indd 75 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 nicht der gebührende Respekt; die Profanierung des Sakralen durch jene, die nicht "würdig" genugnämlich still und schweigend - Einkehr hielten und stattdessen ihre Bewegung ungehemmt laut kundtaten, ging dem weltgewandten Intellektuellen gegen den Strich. Er fährt weiter fort, daß den Leib des Heiligen noch keiner gesehen habe. Auch als der kastilische König zu Besuch weilte im Jahr 1487 habe man ihm die Reliquien nicht gezeigt. Schon beinahe sarkastisch dazu sein Kommentar: Vertrauensvollglauben wir, was uns Menschen rettet34. Soweit also der Überblick, der zunächst einmal ernüchtert. Wo sind sie denn nun, die Spuren gelebter, erlebter Spiritualität; und wo läßt sie sich fassen die Ergriffenheit, die doch die Menschen als glücklich Angekommene erfaßt haben muß? Zwei Hoffnungsträger lassen sich indes unter den Berichtautoren aus dem 15. und 16. Jahrhundert doch ausmachen. William Wey, ein englischer Geistlicher, der in jungen Jahren das vom König Heinrich VI. persönlich geförderte Eton College besuchte, reiste 1456 nach Santiago de Compostela und zweimal, 1458 und 1462, nach Jerusalem. Er schrieb über die Reisen nach beiden Zielen Berichte, die in erster Linie als systematische Aufzählungen all dessen, was in seinen Augen für die Pilgerfahrt von Relevanz war, aufzufassen sind. Er hat Listen angefertigt von den Ablässen und den Reliquien in Santiago de Compostela, aber auch von den kirchlich-hierarchischen Verhältnissen in der blühenden Bischofsstadt bis hin zu den abgestuften Gehältern der bischöflichen Entourage. Und zwar in derart umfassender, akribischer Weise, daß man seinen Text in bezug auf die Ablässe und Reliquien ohne weiteres als liturgische Vorgabe, als Anleitung zum spirituellen Nachvollzug der vor Ort üblichen Messen und Prozessionen im Geiste, verstehen und benutzen könnte. Daneben hat es sich Bruder William auch nicht nehmen lassen, persönliche Notizen zu Orten, die er besuchte, oder zu Begegnungen, die ihm unterwegs von Interesse schienen, mit in sein Pilgerkompendium einzubauen. So erwähnt er eine von einem Landsmann gehaltene Predigt zum Thema: Du hast mich gerufen, hier bin ich! , und er beschreibt Wunder, die er selber bezeugen kann oder von denen er unterwegs hörte. Ein Beispiel: Ein junger englischer Pilger, der hoffte, in Santiago 34 Ebenda : Corpusautema nullovisum est.EtiamannoDomini1487, dum Rex Castelleibiesset, non vidit. Solafide credimus,que salvatnos homines. 75 <?page no="76"?> Spiritualität.indd 76 Spiritualität.indd 76 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 de Compostela von einer schweren Krankheit geheilt zu werden, bat Bruder William im Hafen von Plymouth um Rat, weil er fürchtete, die beschwerliche Seereise nicht zu überleben. Er fragte ihn, ob es nicht klüger wäre, umzukehren und nach Hause zu fahren . William Wey riet ihm, die gelobte Pilgerfahrt nach Santiago zu vollenden, und der kranke Pilger nahm den Rat an. Prompt wurde er gesund und konnte die Seereise als Geheilter antreten 35• Außergewöhnlich bei diesem in lateinischer Schrift abgefaßten Santiago-Bericht ist , daß die unterwegs zu erwerbenden Ablässe nicht bloß erwähnt, sondern in extenso aufgelistet werden . Und das klingt so: Wer immer irgendwannals Pilgerzur Kirchedes seligenJakobusZebedäus gelangt,dem ist ein Drittel allerseiner Sünden vergeben.Und wenn er unterwegs bei Hinreise, Aufenthalt oder Rückreise in Reue über die begangenen Sünden sterbensollte,so sind ihm allevergeben. Ebensobekommenalle,dieam Tag desHerrn an derProzessionin derKathedraleteilnehmen,für jedeProzession und jede HeiligeMesse 40 TageAblaß, und sofür die ganze Woche. (...) Ebensoerhältjeder, der die Messe am Jakobusaltarhört bei einem Erzbischof , einem BischofoderKardinal,200 TageAblaßfür jede Messe, nebst den schon genanntenAblässen, die in der vorgenanntenArt den Pilgerndie gebeichtet haben- und wahrhaftBußfertigengewährt werden,wie es in den Bullen der HeiligenVätervom apostolischenStuhl bestätigtwird. Etc 36. Bruder William erwähnt hier auch den umstrittenen Vollablaß, den schon Papst Calixtus II. gewährt haben soll, und er weist alle, die an dessen Rechtmäßigkeit zu zweifeln wagen, nachdrücklich auf die drohende Gefahr einer Exkommunikation hin 37 • Auf dem Weg über das Rituelle also lassen sich hier Spuren einer (kollektiv erlebten, allenfalls kollektiv nachvollziehbaren) Spiritualität indirekt fassen. Der Text selbst bleibt der reinen, gelegentlich kommentierenden Beschreibung treu das Transzendente manifestiert sich, für 35 B. BANDI NEL(Hg .), The ltineraries of William Wey, Fellow ofEton College to Jerusalem , A.D. 1458 and A.D. 1462, and to Saint James of Compostella, A.D. 1456 (London 1856) S. 155-156. Andere Wundererzählungen folgen . Ein Mitreisender vermißte unterwegs auf dem Schiff seine Brieftasche mit allen Wertsachen . Kaum hatte er gelobt, nackt zum Heiligen Jakobus zu pilgern, wurde die Brieftasche bei einem Reisegefährten gefunden. 36 Ebenda , S. 159-160: Quicunqueveneritin peregrinacionead ecclesiambeatiJacobiZebedeiin quocumquetempore est ei remissa terciapars omnium peccatorumsuorum, et si veniendo, stando vel redeundo decesserit , habit penitenciade commissis, omnia sunt ei remissa. Item omnes,qui inceduntomnibusdiebusDominicisad processionemecclesi e beatiJacobi , habent pro qualibetprocessioneet sacrationequadragintadies indulgencie, et sie per totamseptimanam; (.. .)Itemomnesaudientesmissamabarchiepiscopo , episcopo,aut cardinaliin altarisanctf Jacobihabent ducentosdies indulgenciepro qualibet missa, ultra predictasindulgencias,que omniapredicta confessisperegriniset vere penitentibus sancti Jacobisunt concessapredicto modoper bullassanctorumpatrumsedisapostoliceet confirmata. 37 Ebenda . 76 <?page no="77"?> Spiritualität.indd 77 Spiritualität.indd 77 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 uns paradox, hauptsächlich in der Häufung von Orten und dazugehörigen Ablaßquantitäten. Geradezu revolutionär mag es uns gerade im Vergleich mit den zuvor genannten, allesamt kühl rapportierenden Texten erscheinen, wenn ein pilgerndes Wesen erzählend und reflektierend sein Innerstes preisgibt und dabei durchaus Spuren einer individuell erlebten Spiritualität zu erkennen gibt. Das "Wesen" hieß Margery Kempe. Sie war eine vielbeschäftigte Haus-und Geschäftsfrau aus Lynn, verheiratet, hatte 14 Kinder - und nennt sich in der (diktierten) Beschreibung ihrer zahlreichen Reisen, die als die erste volkssprachliche Autobiografie in die englische Literaturgeschichte eingegangen ist, nicht anders als so : this creature3 8• Die Patrizierin aus gutem Haus und Tochter des einflußreichen Lynner Bürgermeisters John Brunham brachte den Ehrgeiz des aufstrebenden Stadtbürgertums mit sich und ein gesundes Selbstbewußtsein. Doch in der von der geltenden Ständeordnung vorgegebenen Rolle einer gehorsamen Ehefrau und Mutter erkannte sich Margery offenbar nur unzureichend wieder. Visionen, in welchen Jesus und die Gottesmutter Maria auftraten, um mit ihr Zwiesprache zu halten, enthüllten ihr endlich die wahre Bestimmung; ihre Berufung zur Pilgerin auf Lebenszeit. Margery Kempe hatneben vielen anderen Wallfahrtsorten in den Jahren 1413 bis 1414 Jerusalem besucht und 1417 Santiago. Zu den abenteuerlichen Reiseerlebnissen, die zwei Geistliche (der eine höchstwahrscheinlich ihr Sohn) für sie niedergeschrieben haben, zählen ungezählte visionäre Begegnungen mit Heiligen unterwegs . Sie scheint in ihren weltlichen Ansprüchen für ihre Begleiter und für ihr Dienstpersonal unterwegs eine wahre Plage gewesen zu sein. Und jedesmal, wenn sie von einer ihrer Reisen glücklich nach Hause zurückkehrte, wurde sie derart krank und von unerklärlichen Anfällen geschüttelt, daß eine neuerliche und schleunigst angetretene Pilgerfahrt unbedingt ratsam erschien. Mystisches Erleben wird in dem autobiografischen Text der Margery Kempe in einer Weise faßbar, die das Verständnis nicht immer leicht macht. Mit der unbequemen, impulsiven, selbstbewußten Frau und 38 S.B.MEECH/ H.E. ALLEN(Hg.), The Book of Margery Kempe (Early English Text Society 212, London 1940).Literatur dazu (Auswahl) : C.W . ATI<INSON, Mystic and Pilgrim, The Book and the World of Margery Kempe (Ithaca, N.Y. / London 1983); L. Cmus , The Apprentice Saint (London 1964), zu deutsch auszugsweise erschienen als: Leben und Pilgerfahrten der Margery Kempe, Erinnerungen einer exzentrischen Lady (Berlin 1986). 77 <?page no="78"?> Spiritualität.indd 78 Spiritualität.indd 78 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Pilgerin hatte nicht allein die unmittelbar betroffene Umwelt ihre Mühe, sondern hatte {und hat! ) auch die Nachwelt gewisse Akzeptanzprobleme . Sie haben sich in einer reichen kommentierenden und analysierenden Literatur niedergeschlagen. Als Hysterikerin hat man sie bezeichnet oder auch als Psychopathin. In neuerer Zeit, nicht zuletzt in Zusammenhang mit einer Geschichtsschreibung, die sich die differenzierte(re) Betrachtung von Frauengestalten und Frauenbildern jener Zeit zum Ziel gesetzt hat, werden Margery Kempe und ihr Werk ernster als bisher genommen . Versetzt man (oder frau) sich an Margerys Stelle und macht sich das Realitätsempfinden der praktizierenden Mystikerin zu eigen, so enthüllen die Stimmen und Visionen, die sie über Jahre hinweg als Kommunikationsmittel himmlischer Botschaften und Bestätigung ihres Sendungsbewußtseins wahrnahm, höchst interessante Dimensionen der schon erwähnten Devotio Moderna. Die diktierte Lebensgeschichte dieser reiselustigen Engländerin enthält dabei so manche Passage, die spirituelles Erleben unmitte lbar wiedergibt: als eine Folge gewaltsamer Empfindungsstürme, die sich in Konvulsionen, Zuckungen, Schrei- und Weinkrämpfen äußern konnten . Margery Kempe scheint die Grundidee des Lebens als Pilgerfahrt soweit verinnerlicht zu haben, daß sie ihr Leben zu einer solchen ausgestaltete und gleichzeitig das Sprichwort von der "Erde als Jammertal" zu hundert Prozent wörtlich nahm . Zwei Textbeispiele aus Margery Kempe, die sich auf die (vergleichsweise kurz abgehandelte) Passage der Reise nach Santiago de Compostela beziehen, mögen dies illustrieren : DawardieserreicheMann ausBristol, derwolltedievorgenannteKreaturnicht ins Schiffhineinlassen,denn er hieltsiefür keinegute Frau.Dasagtesiezu dem reichenMann: "Sir, wenn Ihr mich von dem Schiffaussperrt,wird mein Herr JesusEuchaus demHimmelaussperren.Denn ichsageEuch: UnserHerrJesus hat kein Erbarmenmit einem reichenMann, außer er werde ein guter und demütigerMann." Und so sagte sie noch manches scharfeWort zu ihm ohne KomplimentoderSchmeichelei , und endlichsprachderHerrzu ihrin ihrerSeele: "Du sollst Deinen Willen haben und gemäß Deinem Wunsch nach Santiago ziehen" 39 • 39 Ebenda, S. 108-109 : ThanwastherriehemanofBristowewheehwolde not latetheseydereatur seyleninthatsehip,for heheldhir nogoodwoman.And thanseheseydto thatryeheman, "Syr, yf ye put meowt of thesehip, my LordIhesuxalput yow owt ofHeuyn,for I telleyow,ser, owr LordIhesu hath no deynte of a ryeheman / es than he wil bea goodman and a mekeman." & so seheseydemany seharpwordys on-to hym wyth-owtyn any glosyng erflateryng . & than owr Lordseyd to hir in hir sowie,"Thowxalt han thy wylle & gon to Seynt Jamysat thi desyr. 78 <?page no="79"?> Spiritualität.indd 79 Spiritualität.indd 79 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Wie man sieht, war Margery äußerst schlagfertig. Sie ließ sich auch nicht so rasch entmutigen, wenn man ihr Steine in den Weg legte. (.. .) Und so nahm sie ihr Schiff im Namen Jesu und segeltevoran mit ihren Gefährten,denen Gott guten Wind und gutes Wetter sandte, so daß sie am siebtenTagin Santiagoankamen. Undjene,diederartgegensiewarenin Bristol, warennun freundlichzu ihr. So verbrachtensie vierzehnTagein diesemLand, und es widerfuhr ihr da große Gnade,an Leib und Seele,hoheDevotion und manchergroßartigeWeinkrampfim Gedenkenan die PassionunseresHerrn, mit ausgiebigenTränen des Mit~fühls. Und von dort gelangten sie wieder zurück nachBristolin fünf Tagen . Deutlich tritt hier, trotz des beschränkten Raumes, den Margery Kempe dieser einen unter ihren vielen Pilgerreisen zugesteht, eine Mitteilsamkeit gerade in den spirituellen Dingen zutage, wie sie uns bis anhin nicht begegnete. Hier spielt sich verinnerlichtes Erleben gewissermaßen vor aller Augen ab, wobei es sich ausgerechnet in einer extremen Form der Veräußerlichung präsentiert. Margery weint und schreit, für alle sieht- und hörbar: Wieviel erst muß sich da an gefühlsmäßiger Erschütterung unterhalb der Oberfläche abgespielt haben? Den absolut verinnerlichten Bericht einer Santiago-Pilgerfahrt liefert schließlich einer, der vielleicht gar nie in Santiago de Compostela war: Felix Fabri. Dieser zweifache Jerusalempilger, ein wortgewandter Ulmer Dominikaner, verfaßte neben Predigten und Traktaten gleich mehrere ausführliche Beschreibungen seiner 1480 und 1483 unternommenen Orientreisen. Neben einer besonders extensiven lateinischen und zwei deutschen Berichtversionen existiert auch eine streng stilisierte deutsche Fassung, die das Erlebnis der Pilgerfahrt zu einem symbolhaften Spiel, inklusive einer explizit zu liturgischen Zwecken verfaßten eigentlichen Spielanleitung, ~ondensiert. In dem anonym verfaßten Auftragswerk mit dem Titel "Die Sionspilgerin", findet sich eine Reise nach Santiago mit verarbeitet. Die "Sionspilgerin" richtete sich konkret an Nonnen, die selber nicht auf Pilgerfahrt gehen konnten beziehungsweise durften und lesend wenigstens an den spirituellen Abenteuern und Segnungen einer Pilgerreise Anteil zu nehmen hofften. Der Autor dieser '.'Geistlichen Pilgerfahrt", die auch nach Rom und zu weiteren größeren Pilgerzielen Euro- 40 Ebenda, S. 110: & sosehetokehir sehipin thenameofIhesu & seylydforth wyth hirfelasehip, whom Godsentfayr wynde & wedyrso that theieomyn to Seynt Iamys on the seuenythday. And than theithat weryna-yenhir whim theiwerat Bristowenow theimadehirgoodeher.& so theiabedyntherxiiijdaysin thatlond, & therhadsehegret eher,bothynbodily & gostly, hy deuocyon (= high devotion), & many gret eryes in the mendeof owr LordysPassion,wyth plentyuowsterysof eompassyon. & sithyn theieomehoma-geynto Bristowein v days. · 79 <?page no="80"?> Spiritualität.indd 80 Spiritualität.indd 80 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 pas führt, bestärkt diese Hoffnungen seines weiblichen Zielpublikums, indem er versichert, die Pilgerfahrt im Geiste sei hailigerals die reale und gebe we~t weniger zu einer gefährlichen leiplichaus schweifungAnlaß 41 • Zu Santiago (und Rom) allerdings merkt Fabri an, er habe ... bessren fleiss(...)getan ze ordnendiepilgerfartJerusalemdesshailigenlands,denngen Rom oderzu Sant Jacobvon dess wegen, daz die stett des hailigenlands me arweckendenmenschenzu andachtund sind hailiger... 42 Es fragt sich, woher diese Ansicht Fabris stammt, und ob sie einer in Theologenkreisen weitverbreiteten Meinung entsprach . Es scheint tatsächlich, als hätte sich die Frage der Frömmigkeit, verstanden als die "rechte Gesinnung" der Gläubigen, im Zusammenhang mit dem Pilgerwesen zu diesem Zeitpunkt erneut als ein theologisches Problem gestellt. Sie findet ihren Niederschlag in mehreren solchen Angeboten literarischer (oder auch: architektonischer) Ersatzwallfahrten, die in in der Übergangszeit vom 15. zum 16. Jahrhundert Verbreitung fanden und später, in der Zeit der Gegenreformation, von kirchlicher Seite bewußt gefördert wurden. Ein Ausblick ins 16., 17. und 18. Jahrhundert belegt, wie sehr in späterer Zeit auch allgemeine theoretische Werke zur Frage der rechten spiritualitasin Mode kamen. Von 1606 etwa datiert eine Untersuchung von dem Jesuiten Jacob Gretser 43 • Spätere Beispiele für die Suche nach der wahren, der unverfälschten Spiritualität liefern Jean de Lessot, der 1660 die Frage nach dem Unterschied zwischen der spiritualiteder Welt (= mondaine)und derjenigen Gottes aufwarf, sowie CharlE'sde Brion, der 1728 ein "Traite de la vraie et de la fausse spiritualite" verfaßte 44 • Wobei nicht zu vergessen ist, daß diese religionsgeschichtlich geschulten Autoren, gerade, was das Pilgerwesen betraf, stets auch auf die ältere, niemals abreißende Kritik an den Fernpilgerfahrten und insbesondere am Ablaß- und Reliquienwesen, zurückgriffen - und darin ihren reformierten Kollegen durchaus ähnlich waren. Wir haben gesehen, daß die Trennung zwischen dem Spirituellen und dem Profanen für das Gros der spätmittelalterlichen Pilger nicht galt. Was die schreibenden Santiago-Pilger betrifft, so klammerten sie das 41 R. RÖHRICHT/ H. MEISNER(Hg.), Felix Fabris Sionspilgerin, in: DIES., Deutsche Pilgerreisen (Berlin 1880) S. 278-296 (nur Auszüge) . Hier S. 278. 42 Ebenda, S. 288. 43 Vgl. HERWAARDEN, Le pelerinage (wie Anm. 6) S.82. 44 Beispiele aus: Dictionnaire de spiritualite (wie Anm. 1) Sp . 1147-1148. 80 <?page no="81"?> Spiritualität.indd 81 Spiritualität.indd 81 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Erlebnis der Ankunft am Pilgerziel weitgehend aus und legen in ihren Kommentaren eine auffällige Scheu gegenüber den "heiligen Dingen" an den Tag. Das erschwert die Spurensuche nach dem Spirituellen an sich, fordert dafür aber zu Befragungen gemäß einem etwas allgemeineren nämlich dem mentalitätsgeschichtlichen - Forschungsansatz heraus. Die Forderung ist mittlerweile schon mehrfach erhoben worden, Reiseberichte nach ihrem mentalitätshistorischen Gehalt zu untersuchen: Was sagen solche Texte aus über den Menschen, der reiste und seine Erlebnisse, stellvertretend für andere, niederschrieb? 45 Auch wenn sich Mentalitäten als kollektive Phänomene wie die Volksreligiositätaus Berichten einzelner stets nur ansatzweise herausdestillieren lassen, legen sie doch, in mehr oder weniger beredter Weise, Zeugnis ab von den Erwartungen, die von einem Kulturkreis an einen anderen gestellt w~rden 46 • Oder, wie es der deutsche Journalist, Satiriker und scharf beobachtende Moralist Kurt Tucholsky selbst ein passionierter Reisender in seinen Anmerkungen zu einem vielstrapazierten Genre formuliert hat : Eine Reisebeschreibungist in ersterLiniefür den Beschreibercharakteristisch , nichtfür die Reise. WorüberderAutor sich wundert, und nochmehr, worüber er sich nicht wundert denn nichts ist für den Menschenso bezeichnendwie das, was ihm selbstverständlicherscheint-, worüberer lacht, und worüberer traurigist, seinescherzhaftenund seinepathetischenBemerkungen, seineLandschaftsschilderungen: dieseDingeenthüllenzunächsteinmalihn selber. 47 Tucholsky hat recht. Bleibt darauf hinzuweisen, daß (wie bei allen autobiografischen Schriften, zu denen die Reisebücher ja ihrer Anlage nach zu zählen sind) das, was den Autor und sein individuelles und/ oder kollektives Reiseerlebnis auszeichnet, in den weitaus häufigeren Fällen zwischen den Zeilen zu lesen ist. Das gilt auch und insbesondere für das spirituelle Reiseerlebnis. 45 Vgl. M. HARBSMEIER, Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen ,in : A. MACZAK/ H.J . TEUTEBERG (Hg .), Reiseberichte als Quelle europäischer Kulturgeschichte (Wolfenbütteler Forschungen 21, Wolfenbüttel 1982) S. 1-31, und P .J. BRENNER, Die Erfahrung der Fremde , Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts, in: DERS. (Hg.), Der Reisebericht (Frankfurt / M . 1989) S. 14-49 . 46 Dazu F. GRAUS,Mentalität - Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung , in : DERS.(Hg .), Mentalitäten im Mittelalter , Methodische und inhaltliche Probleme (Sigmaringen 1987) S. 9-48. 47 K. TucHOISKY, Horizontaler und vertikaler Journalismus , in : Gesammelte Werke, Bd. 4 (Reinbek bei Hamburg 1975) S. 13-17. 81 <?page no="82"?> Spiritualität.indd 82 Spiritualität.indd 82 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Resumen: No pocos obstaculos dificultan sensiblemente la busqueda de las huellas de una espiritualidad de caracter individual en los informes de peregrinos de la baja edad media. Dado que los peregrinos, que escribieron sobre su viaje a Santiago, pertenedan a la elite intelectual, s6lo con ciertas restricciones pueden ser considerados como cronistas de fen6menos tipicos de la religiosidad popular. Por lo demas surge la pregunta fundamental de hasta que punto unas vivencias personales encuentran cabida en una producci6n literaria concebida para un publico de lectores. Por otro lado ; ,vale en este caso el dicho popular aleman de que 'un coraz6n lleno se desborda por la lengua', o hay que partir mas bien del hecho de que una vivencia intensiva suele trabarnos la lengua? Entre los textos de peregrinos de los siglos XV y XVI hay dos que dejan entrever formas individuales o colectivas de espiritualidad y que al mismo tiempo pretenden animar a sus lectores a emprender una especie de peregrinaci6n espriritual. EIprototipo de esta 'peregrinaci6n espiritual' nos lo ofrece Felix Fabri con su 'Sionspilgerin' ('Peregrina de Sion') escrito a ruegos de unas monjas. Hay que tener en cuenta que en el caso de estas expresiones de espiritualidad serfa mas bien oportuno el plantearse la pregunta de la 'mentalidad'. 0 en expresi6n de Kurt Tucholsky: "La descripci6n de un viaje nos dice mas sobre el autor mismo que sobre el viaje en sf'. En este sentido cabe esperar que de los escritos de los peregrinos medievales se puedan sacar conclusiones interesantes sobre la experiencia que los hombres de antafio tenfan de si mismos y (quiza) tambien sobre su experiencia de Dios . 82 <?page no="83"?> Spiritualität.indd 83 Spiritualität.indd 83 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zur Spiritualität im 17. Jahrhundert: Christoph Gunzingers Pilgerbericht nach Santiago de Compostela aus dem Jahr 1655 GOTTFRIED WENDLING Die Grundlage meiner Ausführungen bildet Christoph Gunzingers Buch über seine Pilgerreise nach Compostela 1, ein Buch, das seit seinem Erscheinen 1655 in Wien nie wieder aufgelegt wurde, in Vergessenheit geriet und heute sehr selten geworden ist 2• Ich befasse mich mit Aspekten der Frömmigkeit des Pilgers und Autors, die uns in seinem Text nicht nur als individuelle Frömmigkeit eines Geistlichen entgegentreten, sondern ebenso die allgemeinen religiösen Tendenzen seiner Zeit, des gegenreformatorischen Österreich um die Mitte des 17. Jahrhunderts, veranschaulichen 3 • Als Christophorus Gunzinger vermutlich am 1. März 1654 auf seine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela aufbrach, war er 40 Jahre alt4. Er stammte aus einem kleinen Dorf nordöstlich von Salzburg, aus dem sogenannten Innviertel, das heute zu Österreich, damals aber noch zum 1 Der vollständige Titel lautet : Peregrinatio Compostellana . Wallfahrt vnd Weegweiser zu dem ferren S. Jacob in Gallicia. Gott vnd seinen Heyligen zu Ehren: Denen Wallferttigen zu nutzen: Anderen zu Christlichem Trost: Geschehen/ vnd beschriben auff heuriges Iubileum Compostellanum 1655 von Magistro Christophoro Guntzinger / Beneficiato Neostadij Austriae .- Die Schreibung des Familiennamens ist im Buch nicht einheitlich (fol. A5r: Gunzinger), ich folge dem einzig mir bekannten Autograph Gunzingers, der an den Wiener Bischof Philipp Friedrich Graf Breuner gerichteten Demission von der Pfarrei Ottakring vom 27. Januar 1651 (Diözesanarchiv Wien , Stadtpfarren: 1NienXVI.Altottakring 1309-1779)und schreibedurchgängigGunzinger. 2 Während in Osterreich 3 Exemplare bekannt sind, konnte das Buch in deutschen Bibliothek_enbis jetzt überhaupt nicht nachgewiesen werden. Benutzt wird das Exemplar der Osterreichischen Nationalbibliothek Wien, die dankenswerterweise einen Mikrofilm zur Verfügung stellte. Die Seitenangaben werden nach dieser Ausgabe direkt im Text gegeben. 3 Eine umfassendere Betrachtung des Textes ist für die geplante kommentierte Neuedition vorgesehen. 4 Der Text gibt das genaue Abreisedatum nicht an. Am 8. Tag der Reise erreicht Gunzinger die österreichisch-venezische Grenze in Pontebba (S. 5) und am 13. März die Stadt Venedig (S.8), woraus sich der 1. oder 2. März 1654als Tag der Abreise ergibt. Der 1. März fiel auf einen Sonntag und kann daher als wahrscheinlicher Beginn der Pilgerfahrt angesehen werden. - Zum Alter siehe fol. A7v . 83 <?page no="84"?> Spiritualität.indd 84 Spiritualität.indd 84 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Herzogtum Bayern gehörte 5 • 1629, im Alter von etwa 15 Jahren, ging er nach Graz in der Steiermark, besuchte dort das Gymnasium und die Universität, die beide von den Jesuiten geleitet wurden, und machte 1634 seinen Abschluß als Magister der Philosophie 6• Anschließend erfolgte die Ausbildung zum Priester und nach der Weihe, vermutlich im Jahr 1637, arbeitete er als Pfarrer 7. 1651 gelang es ihm, eine Benefiziatenstelle, eine Domherrenstelle, an der Kathedralkirche des Bistums Wiener Neustadt in Wiener Neustadt zu erhalten, die er bis an sein Lebensende 1673 innehatte 8• Im Frühjahr 1654 also bricht er zur Pilgerfahrt nach Spanien auf. Sein Weg führt ihn von Wiener Neustadt über die Alpen nach Venedig und weiter über Mailand nach Genua, wo er fast sieben Wochen auf ein Schiff nach Spanien warten muß. Nach stürmischer und von Piraten gefährdeter Überfahrt gelangt er schließlich am 7. Juni nach Alicante. Von hier schlägt er nicht den direkten Weg nach Santiago ein, sondern besucht zuerst den südwestlich von Alicante gelegenen Wallfahrtsort Caravaca, um dann in nördlicher Richtung nach Madrid zu gelangen. Weiter geht es durch die altkastilische Meseta Richtung Nordwesten bis er beim Hospital in dem Ort El Ganso, westlich von Astorga, den traditionellen Pilgerweg der mitteleuropäischen Santiagopilger, den Camino frances, erreicht. Diesem folgt er nun getreulich bis nach Santiago de Compostela, wo er am 21. Juli 1654 eintrifft, rechtzeitig genug für die Feierlichkeiten zu Ehren des Apostels Jacobus 9• 5 Gunzingers Testament von 1666 bezeichnet Lengau (Oberösterreich) als seinen Heimatort. Stadtarchiv Wiener Neustadt Scrin. LX/ 15-1, fol. 3r . - Bei seiner Immatrikulation an der Universität Graz (23. Februar 1629)wird er als "Bauarus, Friburgensis" eingeschrieben; gemeint ist vermutlich das etwa 2 km von Lengau entfernte - Dorf Friedburg. Die Matrikeln der Universität Graz 1 (1586-1630), bearb . von J. ANDRITSCH (Graz 1977) S. 88, Matr. Nr. 1629/ 52 . 6 Zur Immatrikulation vgl. Anm. 5. - Promotion zum Mag ister der Philosophie am 11. Juli 1634. Die Matrikeln der Universität Graz 2 (1630-1662), bearb. von J. ANDRITSCH (Graz 1980) S. 137, Promotionsnummer P 253. 7 Tatsächlich ist Gunzinger erst wieder 1643 dokumentarisch faßbar, als Pfarrer in Hernals (17. Bezirk der Stadt Wien). Von 1647 bis 1650 ist er Pfarrer in Ottakring (16. Bezirk) . Diözesa narchiv Wien, Wien - Kurrenden 1620-1693. 8 Zur Demission von der Pfarre Ottakring 1651 vgl. Anm. 1. - Gunzinger stirbt am 22. Februar 1673. Totenbuch der Pfarrei Wien er Neustadt 1656-1682, fol. 83r. 9 Zu allen Aspekten der Jakobus-Pilgerfahrt ist noch immer unentbehrlich : L.VAZQUEZ DEPARGA/ J.M. LACARRA/ J.URiA Riu, Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, 3 Bde . (Madrid 1948/ 49). Der neuere Forschungsstand mit weiterführender Bibliographie in: Santiago de Compostela. 1000 Ans de Pelerinage Europeen (Ausstellungskatalog Gent 1985). - Vgl. speziell zu Osterreich: L. ScHMIDT: Die Volksverehrung des hl. Jacobus major als Pilgerpatron mit besonderer Berücksichtigung Osterreichs, Osterreichische Zeitschrift für Volkskunde N. S. 31, Gesamtserie 80 (1977) S. 69-99. 84 <?page no="85"?> Spiritualität.indd 85 Spiritualität.indd 85 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Bevor er sich auf seine Heimreise begibt, unternimmt Christoph Gunzinger noch eine wie er es nennt - Mittelsraiß an die äusserste Gräntzen Hispaniaevnd zugleich Europae,gehn Finisterre (S. 91). Dabei besucht er die Marienheiligtümer von Finisterre und Muxia, nicht aber die für Jakobspilger so attraktiven Stätten von Padr6n. Am 4. August, genau 2 Wochen nach seiner Ankunft, reist er endgültig aus Santiago ab. Er wendet sich nach Norden, benutzt nicht den Camino frances, sondern den sogenannten Küstenweg, um den Heiltümern in der asturischen Stadt Oviedo einen Besuch abzustatten, wo er Ende August eintrifft. Nach vier Tagen Aufenthalt geht es zum Marienheiligtum in Covadonga, von dort zu dem ehrwürdigen, mit einer berühmten Hl. Kreuz-Reliquie versehenen Benediktinerkloster S. Toribio de Liebana und weiter nach Burgos . Er bleibt ein Stück auf dem Camino frances, weil er unbedingt nach Sto. Domingo de la Calzada möchte, an den Ort des bekannten Galgen- und Hühnerwunders . Über den S. Adrians-Paß geht es weiter nach San Sebastian und nach Frankreich: Bayonne, Toulouse, Lyon und schließlich Genf. In der Schweiz folgt Gunzinger anfangs der großen Verbindungsstraße Richtung Deutschland über Lausanne, Solothurn, Aarau nach Zürich und begibt sich zum Benediktinerkloster Einsiedeln mit der berühmten Liebfrauenkapelle. Danach folgen St. Gallen, Lindau, Memmingen, Augsburg und schließlich der Heilige Berg Oberbayerns, das Kloster Andechs mit den verehrten Hostien und Gnadenbildern der Maria. Nur eine Tagesreise weiter kommt er in die Residenzstadt München, und von dort erreicht er den Marienwallfahrtsort Altötting am 30. November. Er befindet sich jetzt in seiner Heimatgegend und verbringt die Adventszeit und Weihnachten in Burghausen an der Salzach bei Freunden und Verwandten. Das letzte Wegstück seiner langen Reise führt ihn zu Jahresbeginn 1655, also mitten im Winter, nochmals in die Alpen, über St. Wolfgang und Bad Ischl hinüber in die Steiermark zu Österreichs wichtigstem Wallfahrtsort Mariazell. Am frühen Abend des 24. Januar 1655 kehrt er wohlbehalten nach Wiener Neustadt zurück. Noch im gleichen Jahr wird sein Buch über die Pilgerfahrt veröffentlicht und damit legt Gunzinger zum erstenmal seit über 150 Jahren, nämlich seit Hermann Künigs: Die walfartvnd Straß zu sant Jacob 10 wieder einen 10 Künig verfaßte seinen in mehreren Auflagen verbreiteten Pilgerführer 1495. Einen Nachdruck besorgte K. H ÄBLER, Das Wallfahrtsbuch des H errnannus Künig von Vach und die Pilg erreisen der Deutschen nach Santiago de Cornpost ela (Druck e und Hol z schnitte des XV. und XVI. Jahrhundert s in getr euer Nachbildung 1, Straßburg 1899). 85 <?page no="86"?> Spiritualität.indd 86 Spiritualität.indd 86 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Pilgerführer nach Compostela in deutscher Sprache vor, ein Buch also, das mehr sein will als nur der Bericht seiner eigenen Pilgerfahrt, sondern explicit Handlungsanweisungen und Ratschläge an andere, spätere Jakobspilger erteilt 11. Die praktischen oder wenn ich es einmal so ausdrücken darf weltlichen Ratschläge für Reisende treten verstreut im Text auf , oft durch ein am Rand gedrucktes großes "N" (Nota) für Warnung gekennzeichnet, und werden am Ende des Buches im Zusatz von etlich wenig/ doch trewhertzigenWahrnungenfür privat-Raisende(S. 201-206) zum Teil noch einmal zusammengefaßt. Sie werden uns hier nicht weiter beschäftigen . Auch im religiösen Bereich gibt unser Autor bestimmte Hinweise, indem er an der jeweiligen Stelle einen Stern am Rand des Textes vermerkt. Er kennzeichnet damit nach eigener Aussage (S. 1) eine Wallfahrt oder ein namhaftes Gotteshaus. So schreibt er z.B. in Genua: Die Vortrefflichkeit vnd magnificenz derenGottshäusernbelangend/ deute ichnur ein wenigan die S.LaurentijThumbkirch[ * ]: worinnenein von weißMarmor eingefangenstattliche CapellenS.Ioannis Baptistae: in welcher desselbigen heiligenLeibsAschen/ sambteinemBeinaußdemArm/ [d.i. ein Knochen des Arms] welche sogrossereliquiae[*]zu gewissenzeiten/ auch mit gewissem Glocken-Geleut mannichmalextraordinarievorgewisenwerden (S. 18). Ähnlich werden Wallfahrten nach Caravaca (S. 57), Oviedo (S. 103), nach Andechs (S. 177) und Altötting (S. 184) durch einen Stern hervorgehoben oder auch die Marienkirche, die Augustinerkirche und die Jesuitenkirche in München (S. 182). Insgesamt verteilt Gunzinger 40 solcher Sterne . Das Erstaunliche dabei: 14 davon, also mehr als ein Drittel, zeichnen Marienheiligtümer und Marienwallfahrtsorte aus. Dazu gehören unter anderem Brescia und Savona, die schon genannten Marienheiligtümer an der galicischen Atlantikküste ebenso wie Covadonga, Eins iedeln oder Mariazell. Manchmal berichtet er etwas ausführlicher über eines der Heiligtümer: Zuletzt zu Künig: K. HERBERS, Der erste d eutsche Pilgerführer: Herm ann Künig von Vach, in : Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, hg. von K. HERBERS (J akobus-Studien 1, Tübingen 1988) S. 29-49. 11 Einen Überb lick über alle seinerzeit bekannten Pilgerberichte nach Compostela bringt: 1. M! ECK, Les temoignages oculaires du p elerinage a Saint -Jacque s de Compostelle . Etude bibliographique du XIIe au XVIIIe siede, Compostellanum 22 (1977)S. 203-232. Für das Spätmittelalter neuerdings: U. GANZ-ßLÄTILER, Andacht und Abenteuer . Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320-1520) (Jakobus-Studien 4, Tübingen 1990). - Die Charakteristika für einen Pilgerführer zusammengestellt bei: P.G.CAuc c1VONSAUCKEN, La litterature de voyage et de pelerinage a Compostelle, in: Santiago de Compostela (wie Anm .9) S. 174. 86 <?page no="87"?> Spiritualität.indd 87 Spiritualität.indd 87 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 den 12. [Mai] giengen wir ein Meil weegs hinauß zu vnser LiebenFrawen Kirch/ welchegestifft auß vrsachwunderbarlicherErscheinung/ so Anno 1536 Antonio einem Bauren am morgensfrühe bey einem Bächleinbegegnet: Die Mutter derBarmhertzigkeiterzaigtesichihme/ mit befelch: vmb daßGOtt über Savona/ dero Gottlosen Wandels halber/ ergrimmet/ selbiges in eusserstes verderbenzu stürtzen/ vorhabens/ solleer hingehen/ vnd sie zur Bueß ermahnen. DervölligeVerlaufist bekandt/ oderdochbeydenenHistoricisaußführlich zu finden. Vrsachenhalberanjetzoeinsehrvornehmesvnnd mit vilenMiraculis geziertesGottshaußan selbigerStelle/ dafast allevnsereCompagniagebeichtet vnd communiciret (S. 27 / 28) 12• Ob ein schöneStatua V.L. Frawenmit demKindlauf demRöhrbrunnen(S. 173) in Mindelheim, ob einansehnlichhochauffgerichte StatuaderVnbefleckt empfangenenEngelrainert Mutter Gottesvnd JunckfrawenMariae (S. 182) in München oder der Besuch der Wallfahrtskirche Mariazell in der Steiermark kurz vor dem Ende seiner Pilgerfahrt: die Beispiele ließen sich nahezu beliebig fortsetzen. Gunzingers Verehrung der Mutter Gottes, der GroßmächtigstenHimmelskönigin(S. 194), der übergebenedeytenAllerseeligstenJungfrawen(S. 169) ist evident erstaunlich ist sie nicht. Im 17.Jahrhundert erfuhr die marianische Frömmigkeit in den bayrischwittelsbachischen und den Österreich-habsburgischen Gebieten in Gunzingers Lebensbereich also einen ungeheuren Aufschwung, der von der politischen und kirchlichen Geschichte bestimmt war 13 • Grundlegende Basis war die Entscheidung des habsburgischen Herrscherhauses zugunsten des Katholizismus, was entsprechend den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 eigentlich automatisch den katholischen Glauben für alle Untertanen bedeutet hätte, in der Realität aber erst allmählich durch die Gegenreformation durchgesetzt werden konnte. Hinzu traten als Grundlage der inneren Reform der Katholischen Kirche die Beschlüsse und Dekrete des Trienter Konzils ebenfalls aus der Mitte des 16. Jahrhunderts-, die wesentlich durch die Orden, wie z.B. die Jesuiten umgesetzt wurden. In diesem Kontext entwickelte sich die Verehrung der Maria. Gefördert in erster 12 Es handelt sich um die Wallfahrtskirche Nostra Signora della Misericordia bei Savona in der Nähe Genuas, die auf eine Marienerscheinung von 1536 zurückgeht. Vgl. F. NOBERASCO, La Madonna di Savona (Savona 1936). 13 Zu Österreich: R.J.W. EvANS,Das Werden der Habsburger Monarchie 1550-1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6, Wien/ Köln 1989). - Zur Marienverehrung: Handbuch der Marienkunde, hg. von W. BEINERT und H . PETRI(Regensburg 1984). L. HüTTL,Marianische Wallfahrten im süddeutsch-österreichischen Raum (Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 6, Köln/ Wien 1985).- Die genannten Werke erschließen leicht die weitere Literatur. 87 <?page no="88"?> Spiritualität.indd 88 Spiritualität.indd 88 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Linie von der Dynastie der Habsburger und dem katholischen Adel wird sie zur Siegerin über alle Feinde des Glaubens und Überwinderin der Häresie stilisiert. Die Siege gegen die Türken wurden in ihrem Namen und unter ihrem Zeichen erfochten, ebenso die Erfolge gegen die Protestantische Union im Dreißigjährigen Krieg: Maria wurde zur Repräsentantin siegreicher Konfession und Politik. Dabei bleibt festzuhalten, daß es sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinein um eine bewußte Förderung der Marienverehrung durch den katholischen Adel und die Orden handelte. Die Verehrung der Maria, als Maria vom Siege z. B. und später dann der Maria Immaculata, ist Teil einer umfassenderen Frömmigkeit, die für das habsburgische Österreich dieser Zeit als "Pietas Austriaca" bezeichnet werden kann 14 • Was nun den Verfasser unseres Buches angeht, so ist es nur selbstverständlich, daß die Marienverehrung in seinem Pilgerbericht einen herausragenden Platz einnimmt. Durch seine Ausbildung an der Jesuitenuniversität Graz und daran anschließend im Priesterseminar sowie sein Wirken als Pfarrer und Domherr ist er selbst Teil der die "Pietas Austriaca" formenden und verbreitenden Schichten der Geistlichkeit in Österreich . Das vielleicht wichtigste Anliegen der herrschaftlichen "Pietas Austriaca" war die "Pietas Eucharistica", die Verehrung des Leibes und Blutes Jesu im Sakrament1 5• Auch hier schufen die Beschlüsse des Konzils von Trient die Basis. Dazu kam eine bei den Habsburgern schon lange vorhandene besondere Eucharistieverehrung, die sich bis ins 13. Jahrhundert, bis auf den Gründer der Dynastie, Rudolf von Habsburg, zurückverfolgen läßt und nun zur höchsten Blüte gelangte. Der Opfercharakter der hl. Messe und die Realpräsenz Christi in der Eucharistie als zentrale Anschauungen gegen die Ansicht der Reformatoren wurden wiederum am stärksten durch den Jesuitenorden betont, von ihnen wurde die Verehrung des Sakraments gefördert. Dies geschah am offensichtlichsten in Prozessionen, bei denen das Allerheiligste in der Monstranz mitgeführt wurde: innerhalb der eucharistischen Frömmigkeit der Habsburger sowie der "Pietas Austriaca" insgesamt stellen die Sakramentsprozessionen zu Fronleichnam einen Höhepunkt dar. Am Fronleichnamstag 1654 sieht Gunzinger vom Schiff aus zum ersten Mal das spanische Festland und beobachtet nach der Landung in 14 Hierzu grundlegend: A. COR ETH, Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock (München 2. Aufl. 1982). Zur Verehrung der Maria bes . S. 45-62. 15 Zum folgenden: CORETH (wie Anm . 14) S. 18-32. 88 <?page no="89"?> Spiritualität.indd 89 Spiritualität.indd 89 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 dem kleinen Dorf Javea, zwischen Valencia und Alicante gelegen, die Fronleichnamsprozession: Vmb halbenAbendt thätensichallerleyMaßqueren herfür/ mit Kläpperleinjnn Händen/ nebensTrummelschlägervnd Schallmayern: welcheerstlichenin der Hauptkirchevor dem HochwürdigenSacrament einen Tantz thäten/ wie dann auch nachmahlensie mit gleichmässigen Gebärtenin allenvornehmenGassenvnd Ecken/ vnaußsätzlichTanzendt vnd springend/ ein Frewdenfestmachten.Es kamenauchetlichein gestaltDrachen vnd sonst häßlicherBestienfür/ etc. Endlichenein Stund vor Nachts gieng allererstdieProcessionan/ darinndashöchsteGut/ von Herren/ Bruderschafft vnd Zunfften beglaitet/ von der Priesterschafftgetragenward/ welchedurch etliche stationes andächtigePsalmen und Hymnos sangen (an statt der 4 Evangelien/ so anderstwogebräuchlich)/ mit hinzwischencontinuirendt/ vor vnd vnterlauffendemPfeiffen/ Springen/ vnd Dantzen. Nach alsoverrichtem Vmbgang/ nahmenwir/ vnser in HispaniamersteNachtmahlzeitmit Frewden ein (S. 44/ 45). Trotz aller folkloristischen Unterschiede entspricht Gunzingers Bericht in seinem Gehalt der Gestaltung der Fronleichnamsprozessionen in seiner Heimat. Auch dort waren sie Umgänge um Flur oder Stadt, unterbrochen durch die Segnungen in den vier Himmelsrichtungen und begleitet von Sängern, Spielleuten usw . 16• Gunzingers interessierte Beschreibung der Fronleichnamsprozession in Spanien ist nicht nur ein Beleg für seine Verehrung der Euchar.istie, sondern ebenso Hinweis auf Teilhabe an traditioneller "Volksfrömmigkeit" 17 . Auch die "Pietas eucharistica" tritt uns in Gunzingers Text mehrfach entgegen. So berichtet er vom Cebrero-Paß das bekannte Wunder der Verwandlung der Hostie in wirkliches Fleisch und des Weines in wirkliches Blut Christi (S. 75), und als er auf der Rückreise durch die Reichsstadt Augsburg kommt, schreibt er mehr über die wunderbarliche Hosty 16 Vgl. hier zu: L.A. VEIT/ L. LENHART, Kirche und Volksfrömmigkeit im Zeitalt er d es Barock (Freiburg 1956) S. 83-88. - Zu den spanisch en Prozessionen: L. PFANDL, Spanische Kultur und Sitte d es 16. und 17. Jahrhundert s (München 1924) S. 90-93 und S. 149-154. 17 Zur Diskussion des Begriffs "Volksfrömmigkeit " vgl. besonders di e grundl egend en methodischen und terminologischen Ausführung en von P. BOHAUMILIT ZKY/ I. N ÄCL, Sexualität und Volksfrömmigkeit in Europa, in : Volksfrömmigkeit . Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert, hg. von H.Ch . EHALT (Kulturstudien 10, Wien / Köln 1989) S. 143-189. "' Volksglaube' ist keineswegs, wie der Ausdruck vorspiegeln könnt e, nur ein Unterschichtphänomen , zu etwa gleichen Teilen gemischt aus innig-naiver Hingabe an das Numinose , mangelnder Bildung und ein em gewissen Grad halsstarrigen Beharrungswillens auf hanebüchenen Anachronismen" , sondern es haben "alle Gesellschaftsschichten, von Päpsten über den kirchlichen und weltlichen Hochadel bis zum ärmsten Tagelöhn er, an religiö sen Vorstellungen und 'frommen' Praktiken gleichermaßen Anteil. " Genau dafür bietet Gun zinger mit seinem Pilgerbericht ein gut es Beispiel! 89 <?page no="90"?> Spiritualität.indd 90 Spiritualität.indd 90 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 in der Heilig-Kreuz-Kirche und über sich dort ereignenden Mirakel als über die berühmten Ulrichs- und Afra-Reliquien (S. 175-176). Zu den bis jetzt erwähnten typischen Merkmalen der "Pietas Austriaca", die Verehrung der Gottesmutter sowie der Eucharistie, denen wir im Text unseres Pilgers begegnet sind, müssen noch weitere Aspekte genannt werden: die Verehrung des Hl. Kreuzes sowie die Verehrung der Heiligen im allgemeinen und des Hl. Joseph im besonderen. Ich jrrete in dickem Wald/ neugefallentieffem Schnee: vnd ward mir bey einfallenderNacht bang/ als der ich ohneGewährder Thierhalber/ vnd Kälte halberübelangethan: nicht wissend wo ein oderauß/ bettetedie Litaney von S.Josephi.Hett es kaum vollendt/ da stehet ein lang ehrbarerMann bey mir/ weisetemich abseyts/ dahin ichgar nicht gedachte: der verluhresich/ ichaber kambauß dem Holtz/ ersaheLiechterin einem Dorffldeme ichdann zugieng/ vnd Herbergfand (S. 176/ 177). Soweit eine bezeichnende Episode von Ende November auf dem Weg zwischen Augsburg und Andechs. Der Hl. Joseph, der Nährvater Jesu, ist für Gunzinger so etwas wie sein persönlicher Nothelfer. Wenn er auf seiner Reise besondere Probleme hat, oder in großer Gefahr schwebt, betet er zu Joseph und bittet ihn um Vermittlung vor Gott. Besonders deutlich wird das bei der Überfahrt von Genua nach Spanien, während der das Schiff in ein schweres Unwetter gerät. Die brausendgrausamblichtobbendeWind/ ins gesambt derenstossendenMeerwellen/ waltendasbetrangteSchiffvmb vnd vmb/ vnten vnd oben/ wüttig zu bestürmenkein End machen(S. 32). Bald schweben die Passagiere in höchster Todesangst, werfen sich zu Boden mit hellem weinenzu Gott vmb Barmhertzigkeitruffend (S. 34). Weilendann ein jeder/ was er je betten oderguttes ersinnen kundte vnd möchte/ allberaitbeygebracht/ fihle mir nichtsabsonderlichsmehrein/ ohnedie Litaney von S. Josephodem heiligstenNähr Vatter Christi/ als welcherein sonderbarerReyß-Patron,vnd demeichs/ nechstGottvnd deroJungfräwlichen Mutter/ alleinzu höchstschuldigenEhrenvnverhaltenwollegeschribenhaben: SolcheLitaneydannkondteich/ auß vrsachvorgangenerReyßübung/ außwendig: Sprachesie/ so deutlich/ vnd lauth/ als ichkondte/ vor: Kyrieeleison&c. Paterde caelisDeus &c. SancteJoseph,amatorcastitatis&c. SancteJoseph,Patrone,defensor,advocatenosterdulcissime&c. Die Versammletenantwortetenzugleicheyfferigvnd kläglich: Misererenobis, orapro nobis,ora&c. 90 <?page no="91"?> Spiritualität.indd 91 Spiritualität.indd 91 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Diseswarkaumbverbracht/ alsbaldvermögZeugknußdeßgantzen Schiffes/ liessen die wandelsichtige/ vnbeständig/ hefftige Contrari-Wind nach/ vnd erfolgeteein bleiblichwehrhafftvnd sanffterWind ... (S. 35-36). Gunzingers sonderbarerReyß-Patron, sein besonderer, persönlicher Reisepatron ist der Hl. Joseph. In seinem, das Buch beschließenden Zusatz mit Warnungenfür privatRaisende(S. 201-206) gibt er folgenden Rat: Vorderst[vor allem] erwöleer ihm [sich selbst] gewisseRaißHeyligen zu täglichenAdvocaten,vnd macheihm GOTT selbstenholdt durch eyfferig raines Gebett. Zu welchem intento dann allein ich obversprocheneLitaney verteutschetübergesetztbeybringe(S. 206) - und das ist die uns nun schon bekannte Litaney zum Hl. Joseph. Er überläßt es seinen Lesern, wen sie sich als Beschützer ihrer Reisen erwählen, hebt jedoch durch die Schilderungen in seinem Buch und besonders durch den Abdruck der Josephslitanei den Hl. Joseph als Reisepatron und Fürsprecher vor Gott besonders hervor. Tatsächlich war Joseph im 16. und 17. Jahrhundert unter anderem auch der Schutzpatron der Herbergen und Herbergssuchenden, und wurde in der Ikonographie als Wanderer mit Stab dargestellt, in Anspielung auf die Flucht nach Ägypten. Bemerkenswerterweise hatten wiederum die Jesuiten einen großen Anteil an der Verbreitung der Josephsverehrung, wobei sie 'die Vermittlerfunktion zwischen dem bittenden Gläubigen und Gott besonders betonten 18. Innerhalb der "Pietas Austriaca" erreicht die Verehrung des Nährvaters Jesu einen sichtbaren Höhepunkt, als Kaiser Leopold I. 1675 zuerst seine Erblande und kurz darauf das gesamte Reich unter das Patronat des Hl. Joseph stellte 19 • Erstaunlich an dem Bericht Gunzingers ist, daß der Apostel Jacobus als Schutzheiliger des Weges, bzw. der Pilgerfahrt eine recht untergeordnete Rolle spielt. Sicherlich, in Santiago de Compostela schreibt Gunzinger ausführlich über den Apostel, die Feierlichkeiten anläßlich des 25. Juli, die diversen Reliquien in der Kirche und die Rituale der Pilger (S. 79~90). Aber unterwegs, auf dem Pilgerweg begegnet uns der Apostel kaum. Diese in einem Pilgerführer nach Compostela doch eigenartige Absenz - oder sagen wir besser Vernachlässigung des Hl. Jacobus läßt sich an einigen Stellen des Textes gut veranschaulichen. So begibt sich 18 Zur Entwicklung der Josephs-Ikonographie: G. KASTER, "Joseph von Nazareth" in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. von W. BRAUNFELS (Freiburg 1974) Sp. 210-221. 19 Zur Bedeutung des HI. Josef innerhalb der "Pietas Austriaca" vgl. CORETH(wie Anm. 14) S. 75. 91 <?page no="92"?> Spiritualität.indd 92 Spiritualität.indd 92 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Gunzinger auf der schon erwähnten Mittelsraißan die galicische Atlantikküste (S. 91-97) nicht nach Padr6n, obwohl er im Abschnitt über Compostela sehr genau schreibt, daß viele Pilger mit gefliessenemEyfer dort das Schiff verehren, in welchemsein [des Apostel Jakobus] zu Jerusalem enthaupterheiligerLeibüberMeer/ wunderbarlicherweiß hierangelendet (S. 87). Er selbst besucht die Marienheiligtümer in Finisterre und Muxia beides auch von anderen Jakobspilgern aufgesuchte Stätten - und nennt die jeweils verehrten Gnadenbilder: in Finisterre das Mirackel würckendegar holdseligevnser FrawenBildt im Hochen Altar sowie in dem Seyten Altar zur Linckenein überaußanmütiges Crucifix (S. 92). In Muxfa beschreibt Gunzinger ausführlich das Wunder mit den Schnecken 20 sowie das steinerne Schiff der Gottesmutter Maria (S. 94-96) 21 • Den für die Jakobsverehrung interessanten Aspekt der galicischen Legende, daß die Gottesmutter hier dem Apostel Jakobus erschien, kennt unser Autor nicht, bei ihm transportierte das steinerne Schiff ein Gnadenbild der Maria, und eine Verbindung zum Pilgerapostel fehlt völlig. In der ausführlichen Darstellung des berühmten Galgenwunders 22 in Santo Domingo de la Calzada ist nicht der Apostel Jakobus allein der Retter des unschuldig gehenkten Pilgers, sondern auch die Hl. Jungfrau Maria wird genannt , sogar als erste, wodurch sie zur Hauptverantwortlichen dieses Mirakels wird. In der Überlieferungsgeschichte des Galgenwunders ist die Bevorzugung Marias seit dem frühen 16. Jahrhundert bekannt2 3 und wird mit der anwachsenden Marienverehrung zu- 20 Siehe unten S. 100 f. 21 Das steinerne Schiff wird auch im Reisebericht des Bartolomeo Fontana beschrieben , der am 11. September 1539 in Muxia war. Das Wunder mit d en Schnecken erwähnt er jedoch nicht. A. FuCELLI, L'itinerario di Bar tolomeo Fontana (Perugia 1987) S. 115. Ebenso im Bericht von Erich Lassota von Steblau, der sich am 6. Oktober 1581 in .Muxia aufhielt. Das Tagebuch des Erich Lassota von Steblau, hg. v . R. ScHOTTIN (Halle 1866) S.50f. 22 Zu Entstehung und Überlieferung des Galgenbzw. Hühnerwunders vgl. besonders: R. PLÖTZ,'der hunlr hinder dem altar saltu nicht vergessen'. Zur Motivgeschichte eines Flügelaltars der Kempener Propsteikirche, in : Epitaph für Gregor Hövelmann. Beiträg e zu r Geschichte des Niederrheins (Geldern 1987) S. 119-170. Danach hat sich di e vollständige Ausgestaltung des Mirakels etwa zu Beginn des 15. Jahrhunderts vollzogen. 23 Zuerst wohl bei L.M. S1cuws, Opus de rebus Hispaniae memor abilibus (Compluto 1533). Weite Beachtung erfuhr dieses Werk durch die Aufnahme in die Sammlung des A. ScHOTT, Hispaniae Illustratae (Frankfurt 1603ff). - Die herausragende Rolle Marias bei der Errettung des unschuldig gehenkten Pilgers in den Cantigas de Santa Maria von König Alfons X. (1223-1284) ist wohl einem anderen Traditionszusammenhang zu zurec hn en .Cantigas de Santa Maria, Ed. der Real Academia Espafiola, Bd. 2 (Madrid 1889) S. 247, Cantiga 185. Vgl. auch: VAZQUEZ DEPARGA(wie Anm. 9) Bd. 3, S. 154-156 (Text der Cantiga 185) und Bd. 1 S. 525f. (Erläuterung). 92 <?page no="93"?> Spiritualität.indd 93 Spiritualität.indd 93 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 nehmend tradiert2 4 • Gunzinger macht darin keine Ausnahme, der Apostel Jakobus ist deutlich hinter die Gottesmutter und auch wie wir bereits sahen hinter den Hl. Joseph zurückgesetzt. Wir befinden uns in einer etwas paradoxen Situation: Bei unserem Pilger sind kaum Anzeichen einer besonderen, herausragenden Verehrung des Pilgerapostels bemerkbar, warum begibt er sich dann überhaupt auf die lange Pilgerfahrt nach Galicien? Glücklicherweise erteilt er selbst Auskunft: Mein liebeMutter überkambetwann von einemSt. Jacobs Bilgramein Muschel: ich als noch vngefährein sechsJährigesKnäbl lag mit hitzigerKranckheitbehafft: sie natürlichenMitteln entsetzet/ raichtemir auß selbigerSchallenein lautteresBrunnwasserzutrincken: vnd in wahrheitselbigen AugenblickverschwandalledieHitz und Kranckheit.Zwange mich demnachvnablässigeBegierdte/ beySt. Jacob/ alseinemvor GOTT vngezweyfelten erwerbermeines Lebens/ aldaselbstenzu Compostell,wenigistensdermahlen allerschuldigistauffwarttendtmicheinzustellen(Vorrede an den Leser, fol. A7r-v) . Gunzingers Pilgerreise nach Santiago war also eine Dankeswallfahrt zum Hl. Jakob für eine in der Kindheit geschehene wunderbare Heilung. Eine darüber hinausgehende besondere Verehrung des Jacobus entsprang diesem Erlebnis nicht. Dankeswallfahrten waren in diesen Zeiten nichts ungewöhnliches, Volk und Fürsten der habsburgischen Lande eilten fast von einem Wallfahrtsort zum nächsten, bevorzugt war die Verehrung der Gottesmutter: gegen Ende des 17. Jahrhunderts zählte man allein in Oberösterreich über 200 Mariengnadenstätten 25 . Die Pilgerfahrten nach Santiago jedoch gingen stark zurück, begründet zum Teil in äußeren Faktoren wie Kriegen, Unruhen, Bandenwesen und zunehmenden staatlichen Einschränkungen. Die innere Wandlung der Pilgerschaft seit dem 15. Jahrhundert 24 Der Philosophie- und Theologieprofessor an der Ingolstädter Jesuitenuniversität J. GRETSERzitiert MARl NEUSausführlich in dem Abschnitt: "De peregrinatione ad S. Iacobum Apostolum" seines Buches: De sacris et religiosis peregrinationibus libri quatuor (Ingolstadt 1606) 2. Buch, Kapitel 16. Das Galgenwunder wörtlich nach MARI- NEUS, S. 280-282. - Das Buch des berühmten Gelehrten und Kontroverstheologen blieb lange Zeit die argumentative Grundlage der katholischen Kirche in der Auseinandersetzung um die Heiligenverehrung und das Wallfahrtswesen, obwohl es seinerseits weitgehend auf den 1586/ 93 erschienenen "Controversen" des R. BELLARMIN beruht : De controversiis Christianae fidei adversus hujus temporis haereticos (Neuausgabe Neapel 1871; wichtig das 8. Kapitel des 3. Buches der 4. Generalkontroverse: "de peregrinationibus"). Vgl. hierzu : G. RElTER, Heiligenverehrung und Wallfahrtswesen im Schrifttum von Reformation und katholischer Restauration (Würzburg 1970) S. 61-80. 25 G. GUGITZ, Die Wallfahrten Oberösterreichs . Versuch einer Bestandsaufnahme mit besonderer Hinsicht auf Volksglauben und Brauchtum (Schriftenreihe des Instituts für Landeskunde von Oberösterreich 7, Linz 1954) bes . S. 3-18. 93 <?page no="94"?> Spiritualität.indd 94 Spiritualität.indd 94 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 trug ebenso zum Niedergang bei wie die Reformation. Dies alles ist bekannt2 6 • In Gunzingers Pilgerbericht scheint mir noch ein weiterer Aspekt angedeutet: im Rahmen einer vom Volk schließlich angenommenen "Pietas Austriaca" war der Apostel Jacobus völlig hinter die bevorzugten und geförderten habsburgischen Gnadenbilder zurückgetreten. Die Pilgerfahrt nach Compostela war zusätzlich zu den genannten Gründen nun auch aus spirituellen Gründen nicht mehr zeitgemäß 27 . Christoph Gunzinger, der Pilger nun, er war verpflichtet, seinen Dank für die Genesung in seiner Kindheit beim Apostel abzustatten und zudem bestärkte ihn wohl auch eine gewisse Reiselust zu dieser weiten Fahrt2 8• Eine besonders hervorstechende Verehrung des Hl. Jakob können wir in seinem Text nicht bemerken. So ist es nur folgerichtig, daß er am Ende seines langen Pilgerweges unbedingttrotz des tiefen Winters nach Mariazell in der Steiermark gehen muß, um in Österreichs bedeutendsten Wallfahrtsort der Mutter Gottes Dank zu sagen: Für mein vnwürdigste Persohn/ erkente ichs höchste Schuldigkeitzuseyn/ in solchem Gnaden-Saalder GroßmächtigstenHimmelKönigin/ mit danck vmb meine glücklichenzum end lauffendeBilgerfarth/ michallervnterthänigisteinzustellen (S. 194) 29• 26 G. ScHREIBER, Strukturwandel der Wallfahrt, in: DERS.: Wallfahrt und Volkstum in Geschichte und Leben (Forschungen zur Volkskunde 16/ 17, Düsseldorf 1934) S. 1-183; VAZQUEZ DEPARGA(wie Anm. 9) Bd. 1 S. 111-117; I. MIECK, Zur Wallfahrt nach Santiago deCompostela zwischen 1400 und 1650. Resonanz, Strukturwandel und Krise, Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 29 (1978) S. 483-533. 27 Bei CORETH(wie Anm. 14) wird der Apostel Jakobus nicht einmal im Kapitel: "Verehrung der Heiligen " (S. 73-78) in die "Pietas Austriaca" einbezogen. Auch G. KAPNER, Barocker Heiligenkult in Wien und seine Träger (München 1978) erwähnt den Pilgerpatron nicht. Die Untersuchung über die barocken Bildsäulen in Wien G. KArNER, Freiplastik in Wien (Wiener Schriften 31, Wien/ München 1970) S. 10-22 und Katalog S. 77-147) mit dem gleichem Ergebnis: Keinerlei Anzeichen für eine besondere Jakobsverehrung. Zieht man die volkskundlichen Arbeiten von G. Guc: ; ITZüber die österreichischen _Gnadenstätten heran, bestätigt sich die Tendenz . "In Osterreich hat er [d.h. Jakob d .A.] 20 zum Teil wohl vergessene und nur loka_laufgesuchte Kirchfahrten erzielt" (G. GuGITZ,Fest- und Brauchtumskalender für Osterreich , Süddeutschland und die Schweiz. Wien 1955, S. 88). 20 von weit über 1000 von GuGITZerfaßten Wallfahrtsstätten in Österreich, deren dort gepflegte Jakobsverehrung seit dem 17.Jahrhundert oftmals vom Marienkult überlagert wurde. Vgl. hier zu die Einzelnachweise in G. GuGITZ, Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch, 5 Bände (Wien 1955-58). Auch die Studie von L. ScHMIDT(wie Anm. 9) kann für das hier interessierende 17. Jh. nahezu keine Belege eines Jakobus-Kultes in Österreich bringen. 28 Eine Textpassage (Vergleich zwischen Einsiedeln und Loreto , S. 167) könnte darauf hindeuten, daß unser Autor vor der Pilgerfahrt nach Compostela schon einmal in Loreto war. - Vgl. auch Anm. 36. 29 Zur Bedeutung des etwa 100 km südwestlich von Wien gelegenen habsburgischen Staats-und Hauptwallfahrtsortes Mariazell für die "Pietas Austriaca" vgl. CORETH(wie Anm. 14) S. 59f. 94 <?page no="95"?> Spiritualität.indd 95 Spiritualität.indd 95 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Allmählich bekommt das Bild schärfere Konturen . Die herausragende Verehrung der Maria, dazu die Verehrung Josephs als Vermittler , die Eucharistie als wesentliches Zentrum des Glaubens, dies alles zeigt uns Christoph Gunzingers Pilgerführer, und gleichzeitig erkennen wir es als Teil der "Pietas Austriaca" des 17. Jahrhunderts. Es bleibt ein letzter wesentlicher Aspekt: Die Verehrung des Hl. Kreuzes 30 • Auch hier gab es für die Habsburgermonarchie einige legendäre Anknüpfungen an ihren Vorfahren Rudolf 1.Man sah die eigene Dynastie unter den besonderen Schutz des Kreuzes gestellt, des siegreichen Kreuzes natürlich, unter dessen Führung und zu dessen Verteidigung man an beiden Enden des großen Habsburgerreiches gegen den Islam kämpfen mußte . Auch im Innern wurde der Glaubenskampf gegen die Nichtkatholischen geführt . Wenn die Verehrung des Hl. Kreuzes im Verlauf des 17. Jahrhunderts zunehmend von der Marienverehrung überstrahlt wurde, so bleibt bei unserem Jakobspilger dieser Aspekt der Frömmigkeit durchaus bemerkbar, wenn auch in einer etwas anderen Ausformung . Als äußerliches Merkmal von Gunzingers Kreuzverehrung soll noch einmal die Verteilung der Sterne dienen, immerhin achtmal werden gnadenwirkende Kreuze, Kruzifixe oder Kreuzreliquien damit ausgezeichnet, beispielsweise El santissimoChristodelperdonin Madrid (S. 66), der Santo Christode Aguilar de Campoo(S. 128) nördlich von Burgos , dort die berühmte Christusfigur des Augustinerklosters (S. 131), die sich heute in der Kathedrale befindet3 1. Besonders aussagekräftig sind die Textstellen zu Oviedo, S.Toribio de Liebana und Caravaca . EIque va a Sant Iago, y deja Sant Salvador, Tomael criado,y dejael Sennor (S. 97). Mit diesem bekannten Spruch verläßt Gunzinger Santiago und begibt sich nach Oviedo. Dort angekommen, zeigt er sich überwältigt von der Fülle der verschiedenen Reliquien, quorum numerum solus Deus novit, und die in einerTruchenvonvnverweßlichemHoltz (welchedieApostelJünger gemacht) (S. 105) aufbewahrt werden 32• Am meisten beeindruckt ihn 30 Zum folgenden : CORETH (wie Anm . 14) S. 38-44. 31 Der Santo Christo wurde 1835 in die Kathedrale übertragen. Vgl. VAZQUEZDE PARGA (wie Anm . 9) Band 2 S. 194-196. 32 Gemeint ist die berühmte und verehrte Arca Santa de las r eliquias , die sich in der Camara Santa in der Kathedrale befand . Vgl. hier zu und zum Salva tor-Gnadenbild: VAZQUEZDEPARGA(wie Anm. 9) Band 2 S. 479-492. Das von Gun zinger hochgesch ä tz te Kreuz wird dort nur kur z erwähnt (S. 484); es handelt sich um das im Jahre 808 von Alfons II. gestiftete "Engelskreu z". 95 <?page no="96"?> Spiritualität.indd 96 Spiritualität.indd 96 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 jedoch das sogenannte Engelskreuz, von dem er auch die Entstehungslegende mitteilt (S. 103-104). Von der Verehrung des Salvator-Bildes ist überhaupt keine Rede und es scheint, daß er nur des Kreuzes wegen nach Oviedo gepilgert ist. Nach kurzem Abstecher zur Hl. Maria von Covadonga wandert er weiter zum Benediktinerkloster S. Toribio de Liebana. Dabei benutzt er einen ungewöhnlichen und sicherlich wenig begangenen Weg durch das Gebirge 33, und es ist vermutlich auch nicht der leichteste: Von hier gieng ein gar enger Weegan/ obwohlennit sehr gächf doch über die massen schroffig/ an tieffemThalher/ von vil dickengrossenStainblatten/ dawedermit Pferdt noch Eselfortzukommen (S. 107). Ein Stück weiter heißt es: Von dannenabwertsvnseglichgrob: vnd dann zur Linckenhandabermahlin rauches Gebürghinein/ durch grobeSchlägvrtd Stainwändte/ vngefährauff ein Meil/ rechterMordweg (S. 109). Aber sein Ziel ist verlockend: El bracoizquierdo de la Cruz, den ThaildesH.Creutzes/ daranderlinckeArmb vnsersgebenedeyten Haylandts angenageltward (S. 121). In aller Ausführlichkeit beschreibt er, was es mit dieser Kreuzreliquie auf sich hat: Nach beschehenobvermelt FreytäglicherProcessionwird ernannt H. Creutz-Armb/ so mit Goldt vnd Edelgestainin CreutzesFormbeingefast/ am HochenAltar auff ein RothsammetesKüßgeleget/ dieauchernannteCreutzleinnacheinanderdurchdasheilige Nagellochgelassen/ vnd ,alsomit dem allerheiligistenCreutz fleissig vnd andächtig/ ichberühret(S. 122). Die genannten kleinen Kreuzlein können von den Pilgern und Durchreisenden in den umliegenden Dörfern gekauft werden und erhalten durch das beschriebene Ritual den Charakter einer Berührungsreliquie. Gunzinger erzählt dazu d ie Ursprungslegende mit der Vision des Hl. Toribio, auf den der Brauch und die drei Schutzfunktionen der Devotionalien zurückgehen sollen: Erstlich/ wider allerley Wetter/ Hagel/ vnd Donnerstraich. Andertens/ widerallerhandAnfächtungen 33 Gunzingers Wegführung quer durch die Picos de Europa ist mir weder aus Pilgerberichten noch aus den einschlägigen Werken üb er die Pilgerfahrt nach Compostela bekannt. Unterwegs nennt er folgende Ortschaften: Covadonga, Puertas, Arenas, Sotres, Pembes, S.Toribio de Liebana (S. 106-110) . E.G. ARRONDO , Rutas Jacobeas. Historia , Arte, Caminos (Estella 1971) S. 135 beschr eibt den Weg der Pilger von S.Toribio de Liebana nach Covadonga über Potes, Lebefia, Piasca und dan11dem Lauf des Rio Cares folgend über Cabrales nach Covadonga, also ein Weg, d er die Ubersc hrei tung des Gebirges vermeidet. Die Existe11z einer die Picos de Europa querenden Römerstraße zeigt jedoch, daß eine solche Uberschreitung nicht ungewöhnlich gewesen sein mag . Von der großen Verbindungsstraße Leon-Tarragona abzweigend führte dieser Weg über Riafio, den Paß Pandetrave, und Espinama zu den Picos de Europa, um über Aliva, Sotres und Ortiguero di e Ortschaft Llanes an der Atlantikküste zu erreichen. Es ist d enkbar , daß Gunzingers Weg zum Teil mit dem Verlauf der alten Römerstraße übereinstimmt. Vgl. C. SANCHEZ-ALBORNO Z, Estudio s criticos sobre Ja historia de! reino de Asturias (Origenes de Ja naci6n Espafiola 1, Oviedo 1972) S. 110 . Für diesen und andere Hinweise danke ich R. Plöt z . 96 <?page no="97"?> Spiritualität.indd 97 Spiritualität.indd 97 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 deß bösenFeinds/ Trübsall/ jnnerliche Creutz vnd Anligen deß Menschen. Drittens/ widerallerleysowoldeß Leibsals der SeelenKranckheiten (S. 123), und er fügt an, daß die Kreuze sogar noch darüber hinaus wunderwirkend sind: Wann mans beysich traget/ oderwohineinenjedensein Zuvertrawen treibet/ von GOTT hierdurchHilffe zuerlangen/ erfahretmans: Vil Persahnen mit Kugelgeschossen/ bleibenvnverletzt: An besessenenLeuthen/ in Fewersnöthen/ gefährlichenSchiffarten/ tausenterleyvngemach/ ein kräfftig bewährtesMittel auffrechterChristen (S. 124) . Bei einem so fabelhaft wunderwirksamen Kreuz ist es nur verständlich, daß Gunzinger sich von den schwierigen und gefährlichen Gebirgspfaden nicht abhalten läßt! Auch im übertragenen Sinn wandelt er auf einem schmalen Grad zwischen katholischer Reliquienverehrung und magischer Attraktion. Und: er schreibt nicht nur voller Achtung über die mirakulösen Fähigkeiten der kleinen Holzkreuze, sondern erwirbt sie auch und bringt sie mit in seine Heimat. Sein 1666 verfaßtes Testament 34 zeigt, daß die Wertschätzung eines aus S. Toribio mitgebrachten Buchsbaumkreuzes auch mehr als zehn Jahre nach seinem dortigen Aufenthalt nicht nachgelassen hatte. Genauso verhält es sich mit zwei anderen Devotionalien, mit zwei Kreuzen, die er aus Caravaca mitgebracht hat. Erinnern wir uns: Um dorthin zu kommen, verläßt er die normale Route, die von der Hafenstadt Alicante nach Compostela führt. Er sagt ausdrücklich: Von Alicante zwar nacherS. Jacob,soll dergeradeWeegdurch Villena,Toledo,Medina del Campo &c. gehen: ichaberverraistevmb willen deßH. Creutzeszu Caravaca (S. 53) 35 • Daß er überhaupt von Genua nach Alicante segelt, liegt meiner Meinung nach nur an seinem Wunsch, Caravaca zu besuchen, wie viel näher wäre es doch gewesen, ein Schiff nach Barcelona zu nehmen, und von dort den Weg über die berühmten Marienwallfahrtsorte Montserrat und 34 Stadtarchiv Wiener Neustadt, Scrin . LX/ 15-1, 1666 IX 28 Christoph Gunzingers Testament (Kopie) fol. 2v. 35 Die Kenntnis des direkten Weges von Alicante nach Compostela hat Gunzinger aus: M . ZEILLER, Itinerarium Hispaniae oder Raißbeschreibung durch das Königreich Hispanien und Portugal (Ulm 1643) S. 489f.: Wie man von Alicante ... gantz vbertzwerchnach S.Jacob/ oderCompostell/ ... raisenkönne/ das findet man bey ... Ambrosiade Salazar,dessen Almonedagenera/ ,InventariumHispaniae,... Vnd rechnetgemelterSalazarvon Alicanteaus/ durch Villena,Montalegre,Roda, Toledo,Escalona,Madinade/ Campo,Villalpando, Astorga, vnd von dar auß den nächst oben verzeichnetenWeg nach/ 178 SpanischeMeilen. ZEILLER verweist auf: A . DESALAZAR,Almoneda general de las mas cvriosas recopilaciones de los Reynos de Espaf\a (Paris 1612). Dort findet sich auf fol. 195v-196v das genaue Itinerar, allerdings von Compostela aus nach Alicante: Santiagopara Alicante ay 178 leguas (fol. 195v). 97 <?page no="98"?> Spiritualität.indd 98 Spiritualität.indd 98 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zaragoza in Richtung Compostela fortzusetzen 36 • Aber nein, Gunzinger will unbedingt nach Caravaca zum Hl. Kreuz. Das wunderbarlicheCreutz ist einer vorderenSpannlang/ von Stänglein eineszwerchfingerbreit/ an Farbbraunlicht.Man legtees vns Knyendenauff den Kopf[! vnd liesse die erkauffte Creutzlein gar willig berühren: Selbige werden an Formbgleich/ an Materi vnd grösseabervnderschidlichnachgemacht/ vnd berühret/ auch zu Wasservnd Landt in allerleyGefahr/ bevorab Wetters vnd Straalen/ GottsförchtigenChristenein hülffreichesTrostm'ittel/ bewehrterfunden (S. 57-58). Wie bereits gesagt, bringt Gunzinger zwei erkauffteCreutzleinvon hier mit nach Hause 37• DieseCaravaca-Kreuze 38 -auch unter dem Namen Spanische Kreuze bekannt-waren im 16. und 17. Jahrhundert in Mitteleuropa sehr beliebt und dienten besonders als Schutz gegen Gewitter, wurden daher in Flurkreuze eingeschlossen, an Haustüren befestigt usw. Als echte Devotionalien waren sie mit päpstlichen Ablässen versehen, und es ist nicht uninteressant, daß es wieder die Jesuiten waren, die sich um ihre Verbreitung und Anerkennung verdient machten 39 • So widmete sich bereits 1598 Jakob Gretser der Geschichte und der Verehrung des Caravacakreuzes40. Weiterhin wurde auf Veranlassung der Jesuiten eine 1615 in Madrid erschienene Schrift über die Geschichte des Hl. Kreuzes in Caravaca aus dem Spanischen ins Lateinische übertragen und 1619 in Augsburg veröffentlicht 41 • Ich bin überzeugt, daß Gunzinger diese Werke während seines Studiums an der Grazer Jesuitenuniversität kennen- 36 Tatsächlich wollte Gunzinger später noch einmal über Montserrat nach Compoptela pilgern. Im Stadtarchiv Wiener Neustadt hat sich der Entwurf zu einem Reisepaß für ihn erhalten (Scrin. S, Nr. 38/ 29 vom 1. Oktober 1666): ... · ChristophoroGunzinger CanonicoEcclesiaeCathedralisnostraehinc ex Ciuitate nostra in Hispanias ad Montem Seratum et Compostellamac a/ iapia / ocavisitandaperegrinanti... Das bereits erwähnte Testament (wie Anm. 5) verfaß te Gunzinger nach alter Pilgersitte kurz vor seiner geplanten Abreise, nämlich am 29. September 1666. Ob er wirkljch ein zweites 1 Mal nach Compostela gelang te, erschein t zweifelhaft. Die Eintragung im Neustädter Totenbuch (wie Anm .8) Virmagnaedeuotionis, singulariannofuit AddictusS.JacoboApostolo, in cuius honoremsemel ibatCompostellam ... läßt nicht darauf schließen. 37 Laut Aussage des Testaments von 1666 (wie Anm . 5) fol. 2r und 2v. 38 Zum folgenden : H.O. MüNSTERER, Das Caravacakreuz und seine deutschen Nachbildungen , in: Ders ., Amulettkreuze und Kreuzamulette. Studien zur religiösen Volkskunde (Regensburg 1963) S. 69-94. Erstmals in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1951, s. 32-46. 39 Dazu Mü NSTERER (wie Anm. 36) S. 78-79 und S. 84. 40 J. GRETSER, De cruce Christi, Teil 1 (Ingolstadt 1598). 41 J. DEROBLES, Historia de! mysterioso Aparecimiento de Ja Santissima Cruz de Carabaca (Madrid 1615). Ins Lateinische übersetzt von Melchior Trevinnius SJ: Historia de sanctissima cruce caravacensi (Augsburg 1619). Widmung an Johann Ernst Fuggerivon Georg Mayr SJ, Imprimatur durch Christophorus Grenzing, Provincial der Oberdeutschen Provinz des Jesuitenordens. Bereits 1621 erschien eine 2. Auflage. 98 <?page no="99"?> Spiritualität.indd 99 Spiritualität.indd 99 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 gelernt hat. Interessant erscheint auch, daß seit 1620 in Altötting, wo im übrigen die Jesuiten die Wallfahrtsseelsorge übernommen hatten, ein Caravaca-Kreui verehrt wurde, mit dem die siegreichen Truppen der Katholischen Liga vor der entscheidenden Schlacht gegen die Protestantische Union am Weißen Berg bei Prag vom 8. November 1620 gesegnet worden waren 42 • Hier tritt uns die Verehrung des Kreuzes im Rahmen der habsburgisch-herrschaftlichen "Pietas Austriaca" ganz unverstellt entgegen: nicht nur als religiöse Verehrung, sondern auch in ihrer politischen Dimension. Gunzingers Beschreibung seiner Kreuzverehrung ein knappes halbes Jahrhundert nach diesen Ereignissenläßt sich nicht mehr allein mit den Aspekten der "Pietas Austriaca" erklären. Zu nahe kommt seine Begeisterung für die aus Spanien mitgebrachten Kreuze und deren vielfältige Wirkungen der magischen Vorstellung von Amuletten und zeigt uns damit einen Aspekt der "Volksfrömmigkeit" des 17. Jahrhunderts. Zu verräterisch der Satz: Vil Persohnenmit Kugelgeschossen/ bleibenvnverletzt (S. 124), wenn sie nur von einem Toribio-Kreuz geschützt seien. Das entsprach nun nicht mehr der Reliquien- oder Heiligenverehrung in der nachtridentinischen katholischen Kirche. Die Auswüchse des "Volksglaubens", die bereits von den Reformatoren angeprangert worden waren, wollte auch die katholische Kirche im 17.Jahrhundert unterbinden. Die Verehrung und Anrufung der Heiligen bzw. deren Reliquien war erlaubt, solange sie eine Vermittlung zu Gott erbat. Nicht die Gnadenbilder waren ·nach Auffassung der Theologen verehrungswürdig, sondern die Persönlichkeiten, die in den Bildern dargestellt wurden. Devotionalien sollten als Gebrauchsgegenstände die Andacht und Frömmigkeit seiner Besitzer erhöhen, abgelehnt wurde aber ihre Verwendung als Amulette, von denen der Besitzer oder Träger sich magische Wirkung erhoffte. Was Gunzingers begehrte Caravaca-Kreuze angeht: im Jahr 1678, also nur fünf Jahre nach seinem Tod, wurde ihre Verehrung nach vorhergehenden Einschränkungen vom Papst völlig untersagt, und sämtliche Ablässe für apokryph erklärt 43 • Gerade dies läßt aber auf eine im Volk durchaus stark empfundene bzw. gewünschte Schutzfunktion der kleinen Kreuze rückschließen, die von der Amtskirche nicht mehr toleriert werden wollte. 42 H.O . MüNSTERER, "Caravaca-Kreuz" in: Lexikon für Theologie und Kirche 2 (Freiburg 2.Aufl . 1958) Sp. 936. 43 MÜNSTERER (wie Anm. 36) s. 80. 99 <?page no="100"?> Spiritualität.indd 100 Spiritualität.indd 100 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Unser Pilger zeigt in seinem kleinen Buch also nicht nur die Ausformungen der herrschaftlichen "Pietas Austriaca", die ja für die gesamte Bevölkerung ein verbindliches und auch angenommenes Leitbild war. Als Weltgeistlicher mit jesuitischer Ausbildung, als Magister der Philosophie, hat er selbstverständlich Teil an den Formen der Frömmigkeit im habsburgischen Österreich. Gleichzeitig erfahren wir in seinem Text von ihren mag ischen Aspekten, die ich als fortwährende und weiterreichende Formen einer durchaus mittelalterlichen Frömmigkeit bezeichnen möchte . Wie anders wäre die Beschreibung des "Regenzaubers" in Oviedo zu verstehen: In meinem anwesen/ gegen endt Augusti, war grosse Dürre/ deßwegendieGeistlichkeit dasCorpusderheiligenEulaliae, schöngezieret/ auß der Haylthumbkammerherfür thäte/ mit andächtigemGesängvnd Gebräng herumb trueg/ vnd auf! den Hohen Altar stellete/ darvor den Gottsdienst zuverrichten: So erfolgtewarhafftiggleichgnugsambfruchtbahrerRegen (S. 105). Ich möchte meine Ausführungen mit einem letzten Zitat 44 aus Gunzingers Buch abschließen, das uns noch einmal nahezu alle Aspekte seiner Frömmigkeit vor Augen führt: Die Verehrung des Kreuzes und der Eucharistie, seine Verbundenheit mit den Jesuiten, nicht zuletzt seine tiefe Gläubigkeit allen Wundern des Herrn gegenüber, aber zugleich auch seine Wundergläubigkeit. An vilendickvnd breitenStainblatten/ mehr erwentenMeer=Vfersfinden sich vil Tausentwintzige Schneggleinin Häußlein nit gar einerArbeißsonderLinsengroß/ welchenebeneinanderhafftend/ von Tagzu Taganderstankleben: Beynebenstallerhandlährespatialassend/ Täglich andere Figuren machen/ welche meistentheils Creutz einfach oder doppelte/ dem Creutz Christi S.Petri, oderS.Andreae, wol auch dem Namen IHS gleichgestältig: Hinzwischen runde Scheüblein/ in form vnd größ deren Hostien/ ja so gar auch Ciborien,Kelchen/ vnd dergleichen.Vade/ sprichtder WeiseProv.6.v.6. adformicam, o piger, & consideravias ejus, & discesapientiam. 0 stulte, sprichtdie Weißheitselbsten/ Luc.24.v.25. & tardead credendum! 0 du träger/ sag ich/ vnd zuglauben langsammerKetzer/ gehe hin zu disen Schnegglein/ ad has cochleolas, o haeretice! Annebens deme/ verbringen dise/ deß vnermessen ihres großmächtigen Schöpfferskleineste Creaturen vndereinanderein sittsammes Getöß vnd gleichsambartliches Gewispelim 44 Er macht diese Beobachtung am Ufer d es Atlantischen Ozeans in dem Dorf Muxia , wo er den Heiltumsort Nuestra Seflora de la Barca aufgesucht hatte. Erst in Compostela hatte ihn ein Geistlicher auf dieses Wunder hing ewiesen (S. 95-96). In der eins chlägig en Literatur zur Jakobus-Pilgerfahrt konnte ich bis jetz t keine Parallelen da zu finden . 100 <?page no="101"?> Spiritualität.indd 101 Spiritualität.indd 101 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Werckerweisend/ das alleswas Athem hat/ oderim Gewaessersich regetvnd beweget/ GOTT den HErren Preysenvnd nach vermögenEhrensoll: Omnis Spiritus, omniaquaemoventur in aquis. Resumen: Durante los aflos 1654-55 el clerigo Christoph Gunzinger (1614-1673) emprende una peregrinaci6n desde Wiener Neustadt (cerca de Viena) hasta Santiago de Compostela . Su camino le lleva por Venecia y Genova hasta Alicante , para seguir por Caravaca y Madrid en direcci6n a Santiago, a donde llega el dia del Ap6stol de 1654. Despues de una visita a Finisterre sigue por Oviedo, Covadonga, Santo Toribio de Liebana y Burgos hasta Santo Domingo de la Calzada . Por ultimo llega por Bayona, Toulouse y Lyon a Ginebra, atraviesa Suiza y despues de haber visitado todavia otros santuarios (Einsiedeln, St. Gallen , Andechs, Altötting y Mariazell), regresa a su ciudad en enero de 1655. El informe de su peregrinaci6n ('Peregrinatio Compostellana . Wallfahrt vnd Weegweiser zu dem ferren S. Jacob in Gallicia etc' ), publicado en Viena en el aflo 1655, permaneci6 practicamente desconocido . Tomando su texto por base se hace aqui una exposici6n de las tendencias mas importantes de la espiritualidad de la contrareforma en Austria alrededor de la mitad del siglo XVII. La veneraci6n de la Virgen Maria y el culto de la eucaristia constituyen los elementos fundamentales de la asi llamada 'pietas austriaca'. Tambien juegan un papel importante el culto de la Santa Cruz, el de los santos en general y de manera especial el culto de San Jose. Estos motivos religiosos aparecen muy acentuados en el informe de Gunzinger, mientras que el ap6stol Santiago , el ap6stol de los peregrinos, queda sorprendentemente en un segundo plano . Cristoph Gunzinger es debido a sus estudios con los jesuitas en Jauniversidad de Graz y a su formaci6n en el seminario diocesano asf como por su actividad como parroco y can6nigo un representante tipico de! clero encargado de formar y difundir Ja 'pietas austriaca' . Al mismo tiempo hay en su texto numerosos elementos, que hoy calificarfamos como magia y susperstici6n y que podemos considerar como formas persistentes de u na espiritualidad medieval. 101 <?page no="102"?> Spiritualität.indd 102 Spiritualität.indd 102 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 <?page no="103"?> Spiritualität.indd 103 Spiritualität.indd 103 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Unterwegs zu Gott, obgleich schon stehend vor ihm JOSEF SUDBRACK Fremdlingeund Zugewanderte sind wir auf Erden (Hebr. 11,13) Besonders die Spätschriften des Neuen Testaments, der Hebräer- und der 1. Petrus-Brief sprechen vom Menschen als Fremdling, als Pilger auf Erden. Solche Sätze haben für viele theologisch engagierte Christen von heute einen hinterwäldlichen oder gar unchristlichen Beigeschmack: Mit ihnen werde das Ja Gottes zur Welt und zur Weltaufgabe des Christen neuplatonisch verfremdet; solche Ideen würden der Frohbotschaft Jesu das platonische Denk-Schema vom Leib als Gefängnis der Seele, von der Welt als Verbannungs-Ort des Menschen überstülpen . Man hört nicht gerne, was auch schon der 2. Korintherbrief lehrt; daßwir fern vom Herrn in derFremdeleben,solangewir in diesemLeibzu Hausesind; dennals Glaubendegehenwir unserenWeg, nichtals Schauende. Weilwir aber zuversichtlichsind, ziehenwir es vor,aus dem Leibauszuwandern und daheim beimHerrn zu sein 1. Daß aber solche Gedanken in der christlichen Tradition zuhause sind, muß ich in dieser Versammlung nicht erst belegen. Vor mir liegt das Dictionnairede Spiritualite,mit 60 Spalten über "Pelerinages". Dort wird zur Wallfahrt im abendländischen Mittelalter bemerkt: "Die Bibliographie ist riesig; es ist unmöglich sie erschöpfend wiederzugeben 2." Im Wallfahrenerfuhr der Christ aller Zeiten seine so zu nennende Doppelexistenz von Noch-auf-Erden, obgleich er .schon bei Gott ist. Man muß nicht in die Vergangenheit der christlichen Überlieferung zurückgehen, um den existentiellen Wahrheitsgehalt der biblischen Äußerungen vom Menschen als Pilger, als Fremdhng auf Erden aufzuspüren. Im Wust der modernen Publikationen, die man unter dem Namen "Lebenshilfe" esoterisch und nicht-esoterisch zusammenfaßt, findet sich all das wieder, was eine blinde Fortschrittsideologie und 1 2 Kor. 5, 6-8. 2 Dictionnaire de Spiritualite , ascetique et mystique (Paris 1932 ff.), Bd. XII, Sp. 888-940. (A. SoLIGNAC, P. RIETSCH, P. MARAVAL , V. SAXER, P.A. SIGAL, J. VINATIER). 103 <?page no="104"?> Spiritualität.indd 104 Spiritualität.indd 104 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 eine transzendenzlose Diesseitsbejahung dem Christentum vorwerfen möchte. An dieser Literatur läßt sich das Gefühl unserer Zeit, die Grundstimmung des modernen Menschen ablesen . Über die naiven Bejahungen der Welt und das Kreisen ums eigene Selbst hinaus , für die z . B. die humanistische Psychologie stehen mag, finden sich im heutigen Zeitgefühl eine Fülle von Tendenzen, die den biblischen und traditionellen Zeugnissen vom Pilgerstand des Menschen entsprechen : Fremdsein in der Körperwirklichkeit deshalb setzt die Anthroposophie R. STETNERS auf die Reinkarnationslehre, die der menschlichen Seele neue und im mer bessere Körperhüllen verheiß t3; oder Suchen nach der wahren Heimat nach dem anderen, wesenhaften Ursprung des Menschen, wie es in KARLFRIED GRAFDüRCKHEIMS Lehre vom "doppelten Ursprung des Menschen" zu finden ist4; T. DETHLEFSE N, der in der gehobenen esoterischen Szene einer der wichtigsten Autoren, wenn nicht gar der wichtigste Autor und Praktiker ist, deutet in seinem letzten Buch "Ödipus der Rätsellöser der Mensch zwischen Schuld und Erlösung" den antiken Mythos als Weg, als Pilgerschaft des Menschen vom kindhaften Stadium über das Ich-Bewußtsein der Männlichkeit bis zur Heimat des Ganzsein; und dieser letzte Schritt wird erst im Sterben der mythischen Gestalt offenbar: " Er ist nun bereit zur letzten großen Vereinigung mit der Mutter, der Mutter Erde . .. Die Welt der Unsterblichen öffnet sich ihm und macht ihn selbst unsterblich. Der Mensch wird zu Gott. Ödipus hat das Rätsel gelöst. Er hat das Geheimnis des Menschseins verwirklicht 5 ." Nur erwähnt werden muß, daß das breite Einströmen ostasiatischer Spir itualität in den europäischen Raum trotz aller kapitalistischen Amerikanisierung dieser großen Religiosität auch begleitet ist von deren grundsätzlichen Übersteigen aller Diess_eitigkeit. Ich muß gestehen : Vor solchen Zeugnissen der heutigen Vision vom Menschen als Pilger kommt mir manche einseitig weltorientierte Theologie regelrecht weltfremd vor; sie beharrt auf dem einen Pol des Mensch- und Christseins, daß diese Welt unsere Welt ist, schließt aber die Augen vor dem anderen, daß diese unsere Welt eine Verheißung in sich trägt, die sie übersteigt. Zwar ist die Auseinandersetzung damit nicht unser primäres Thema . Doch erst auf dem Hintergrund der vielen nicht-christ lichen Zeugnisse der "transzendenten" , seine Existenz über- 3 Vgl. zu Rud olf Stein er: B. GR OM, Anthropo sophie und Chri stentum (München 1989). 4 K. GR AF D ü RCKHEIM, Vom dop pe lten Ursprung des Mensch en. Als Verheißun g, Er fahrun g, Auftr ag (Freibur g 1973). 5 T. DETHLE FSEN, Odipus der Rätsellös er d er Mensch zwi sch en Schuld und Erlö sung (Münch en 1990), S. 184. 104 <?page no="105"?> Spiritualität.indd 105 Spiritualität.indd 105 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 steigenden Wahrheit des Menschen bekommt das Nachsinnen über den Sinn des Wallfahrens seine Dringlichkeit. Ich muß auch gestehen, daß die kurz erwähnten Tendenzen vergangener und die eben berührten modernen Zeugnisse mich auch deshalb so ansprechen, weil sie trotz mancher offensichtlichen Unchristlichkeit und Unsinnigkeit eine Grunderfahrung meiner eigenen Religiosität Wort geben; und auf die vielen Zeugnisse gestützt vermute ich, daß sie auch die Religiosität von vielen anderen Menschen ins Wort bringen: Fremdlingeund Zugewandertesind wir auf Erden! 6, weiß der Hebräerbrief. In mir weckt dieser Satz eine wichtige Kindheitserfahrung. Die Erfahrung des Unterwegsseins Der Wallfahrtsort für meine Heimatgegend, Trier an der Mosel, ist die Augustinerkirche in Eberhards-Klausen 7, bei Wittlich-W engerohr, etwa 10 km von Mosel weg in der Eifel liegend. Mein Vater hatte für seine glückliche Heimkehr aus dem ersten Weltkrieg das Versprechen abgelegt, jedes Jahr einmal dorthin zu wallfahren. Prägende Erinnerungen sind für mich mit diesen Familien-Wallfahrten verbunden. Die wichtigste aber rührt von einer Dorfwallfahrt her, die ich zusammen mit meinem Großvater, der im Moselort Zeltingen eine angesehene Stellung innehatte, machen durfte. Aufgrund des Ansehens meines Großvaters konnte ich als kleiner Junge (wie alt ich war, weiß ich nicht mehr) inmitten der Männergruppe nach Klausen wallfahren. Allein schon das Hineingenommensein in den Wallfahrtsschritt der Männer! Es ist etwas völlig anderes als das Marschieren in einer soldatischen Marschkolonne, das ich später auch mitmachen mußte. Der ruhige Rhythmus eher einem Reigen als einem Marsch zu vergleichen schenkte die polare Erfahrung von Geborgensein inmitten eines Unterwegsseins, anders ausgedrückt: von Zu-Hause-Sein im Noch-Nicht-Zuhause-Sein. Das Rosenkranzgebet der Männer, das durch die Ordner mit ihren langen, in ein Kreuz auslaufenden Stäben wechselnd nach rechts und nach links weitergegeben wurde, glich eher einem tiefen Gemurmel als einem artikulierten: Gebet. Aber gerade dieser lebendige Ton nahm den kleinen Jungen in sich auf und konnte ihn ins eigene Innere hinein befreien. An der Südspitze von Taiwan, in einem buddhistischen Kloster 6 Hebr . 11, 13. 7 Vgl. P. DoHMS, Das frühere Eberhardsklausen mit der Wallfahrtskirche Klausen bei Wittlich (München 1989). 105 <?page no="106"?> Spiritualität.indd 106 Spiritualität.indd 106 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 habe ich vor kurzem im Gebet der dortigen Mönche ähnliches erfahren. Es ist die Faszination des hinduistischen Urlauts Ohm, gesprochen A-U-H-M, aber nun in das Ausschreiten und Unterwegssein hineingelegt, die geschichtliche Existenz des Menschen mithineinnehmend in den Urlaut. Das ist mehr als nur billige Suggestion, es berührt die Tiefe der menschlichen Existenz. Ich erinnere mich noch, wie ich damals auf dem Weg von Zeltingen nach Klausen meine Schritte zählte, die ich mal lang, mal kurz machte; wie in mir Lebenssituationen vom Wettlauf, vom Geachtetwerden usw. wach wurden; wie ich Tagträume in die Zukunft schicken konnte. Man sollte weithin Pilgern als Psychotherapie empfehlen; man kennt heute Wander-Meditationen, aber Pilgern ist intensiver als Wandern, es nähme unter den unzähligen angepriesenen psychologischen Therapien einen recht guten Platz ein. Natürlich gehört zu einer christlichen Wallfahrt das Ziel. Die gotische Marienkirche von Klausen erhebt sich über ein Gnadenbild der schmerzhaften Muttergottes, das der Klausner Eberhard in einem Baum -wieder eines der Ursymbole der Wallfahrten gefunden haben soll. Die umliegenden Bauern und Winzer, die ihm beim Bau der Kirche halfen, löschten den Durst nach Landessitte mit Wein . Als dieser ausging, erbat der Klausner Eberhard ein Wunder, und das Faß floß weiter heute noch trägt der Kirchturm zum Dank dafür auf seiner Spitze ein Weinfaß . Wie tief in Kultur und Brauchtum hineinverwoben ist doch das Wallfahren! Wir Kinder statteten mit den Eltern nach der Ankunft beim Heiligtum der Wallfahrtskirche einen zweimaligen Besuch ab; zuerst gingen wir zum Gebet vor dem Gnadenbild in die Kapelle; und später dann wohnten wir im Hauptschiff mit dem wunderbaren spätgotischen Schnitzaltar dem Hochamt bei . Zwischendurch gab es ein deftiges Bauernfrühstück bei einem Kriegskameraden meines Vaters . Und zum Schluß durften wir uns etwas natürlich Kitschiges an einer der Andenkenbuden rings um die Kirche herum kaufen . Ich möchte keinen der Züge missen, die in diesem Wallfahrtserleben zusammenlaufen: Das Gehen, Wandern, Pilgern; das Hineingenommensein in die Gemeinschaft; das Murmeln des Betens; das Ziel, das schon von weitem durch den Kirchturm den Pilgern entgegen winkt; die erst mehr kontemplativen , dann liturgischen Feierlichkeiten in der Kirche, das Bauernfrühstück und auch das kleine Wallfahrtsandenken . Für das Kind war dies alles ein Fest, das sich tiefer eingeprägt hat als Belehrung und kluge Bücher. Man kann aufgrund heutiger psychologischer Kenntnisse keinen Zweifel daran haben: Dies alles schlägt eine so 106 <?page no="107"?> Spiritualität.indd 107 Spiritualität.indd 107 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 tiefe Wurzel im eigenen Bewußtsein, weil es eben einer tief-menschlichen Wirklichkeit entspricht. C.G. JuNGkönnte sagen (und vielleicht hat er es auch getan) : In Pilgerschaft und Wallfahrt findet eine archetypische Ahnung ihre sichtbare Gestalt. Das ganze Erleben doch ist in die Polarität eingespannt zwischen dem Unterwegssein, Noch-Nicht-Angekommen-Sein, und der Geborgenheit der Gruppe, des Murmelns, des Gehens, des Gesangs, des Kirchenraums. Man muß fragen, ob diese beiden Pole isoliert voneinander, jeder für sich, realisiert werden dürfen; ob nicht das "Zu-Hause-Sein" in dieser Welt nur im "Unterwegs-Sein" zum "Mehr-als-diese-Welt" Sinn und Berechtigung hat . Aus dem Buch der Geschichte Von Buddha wird ein Wort an seinen Lieblingsjünger Ananda überliefert: Es gibt, o Ananda, vier Orte, die ein gläubigerSohn mit tieferBewegung besuchen muß. Welches denn sind diese Vier? Es sind die Orte, wo man folgendes sagen kann: Hier ist es, wo der Vorherbestimmte geboren wurde [Lumbini].. . Hierist es, woderVorherbestimmtedashöchsteund vollkommene Erwachenerreichthat [BodhGaya]... Hier ist es, wo der Vorherbestimmtedas Rad seines Schicksalsgewendethat [Sarnath]... Hier ist es, wo der Vorherbestimmte ins Nirvanaeingetretenist,Ausruhen , ohneRückkehr[Kushinagaraf. Das Lexikon der östlichen Weisheitslehren unterrichtet uns, daß diese Worte die vier heiligen Wallfahrtsstätten des Buddhismus repräsentieren9. Also selbst die Religion, der die irdische Wirklichkeit wie Schein und Betrug vorgespiegelt ist, kennt das Wallfahren zu ganz konkreten irdischen Orten . Das erwähnte Lexikon berichtet von dem mehr oder weniger dichten Besuch dieser Wallfahrtsstätten .Hat nicht auch Buddha selbst nach seiner Erleuchtung ein Wanderleben geführt! Man kann nun Religion für Religion aufblättern; in jeder lebt das Motiv oder der Archetyp des Pilgers sei es zu einer berühmten Erinnerungsstätte, sei es als Ausdruck des "Noch-Nicht-Angelangt-Seins", oder sei es gar als Verwirklichung eines Zustandes, in dem der Erleuchtete jetzt schon das Jenseits der Raum-Zeit-Wirklichkeit irdischer Existenz erreicht hat und nur noch in halbwirklicher Vorläufigkeit dieses 8 Dictionnaire de Spiritualite (wie Anm. 2), Sp . 893. 9 Lexikon der östlichen Weisheitsl ehren, Buddhismus , Hinduismus , Taoismus , Zen (Bern, Münster , Wien 1986), jeweils zu den Stichworten. 107 <?page no="108"?> Spiritualität.indd 108 Spiritualität.indd 108 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 irdische Dasein zu Ende lebt. So will es das hinduistische Ashram-Ideal. Es führt in vier Stufen zu diesem letzten Zustand : Zuerst ist man Schüler bei einem Meister, dann verwirklicht man seine Weltaufgabe der Familiengründung ; wenn dies getan ist, geht man in ein Kloster, um als Mönch zu leben; doch der Gipfel ist erreicht, wenn man als Bettel-Mönch alles aufgegeben hat und einsam am Wegesrand, im Tempel oder im Wald von den guten Gaben frommer Hindus lebt oder auch stirbt. Der Mönch hat spirituell diese Welt, in der er nur Fremdling ist, schon verlassen; seine Leiblichkeit existiert nur noch wie unwirklich. Der "Pilger" hat den Wesenszustand erreicht, in dem alles Sichtbare nur "pilgerhaft", nur vorübergehend existiert; denn die wahre Heimat liegt im Jenseits. Auch die Benediktusregel verweist nach ihren großen Kommentatoren der Vergangenheit in ein ähnliches Einsiedlerdasein, wenn sie am Schluß das Leben im Kloster als nur anfängerhaft schildert: Wenn du alsodem himmlischen Vaterlandentgegeneilst,wer immer du bist, verwirklichemit der Hilfe Christi diesekurze Regel,diefür Anfänger geschriebenist 10. Im Islam hat die berühmte Pilgerreise nach Mekka fast den entgegengesetzten Sinn: nicht Ablösung von der vergänglichen Welt, sondern Hineilen zum heiligen Ort: Einmal im Leben wallfahrtet der fromme Muslim, der Hadschi, zur Ka' aba, zum Haus Gottes, nach Mekka . Für die Reise dorthin nimmt er strenge aszetische Enthaltungen auf sich; und bei der heiligen Ka' aba unterwirft er sich den genau vorgeschriebenen Riten. In der Wallfahrt erkennen die islamischen Theologen einen vielfachen geistlichen Sinn, einen gestaffelten Bezug : den ers ten zum paradiesischen Zustand von Adam und Eva; dann einen zu Abraham, dessen Pilgerschaft auch mit diesem Ort verbunden wird; zule tzt einen zu Mohammed, der gegen Ende seines Lebens ganz bewußt die Gebetsrichtung von Jerusalem weg und hin nach Mekka wandte. Es ist typisch für die abrahamitischen Religionen, daß ihre Auffassung von der menschlichen Pilgerschaft das konkrete Ziel mit seiner historischen und spirituellen Grundlegung stärker im Auge haben, als es in den aszetischen Religionen Indiens geschieht. In letzteren ist man trotz aller konkreten Wallfahrtsziele erhaben über historisch-geographische Bezüge; das Nirgendwo-Fest-Bleiben und Heimatlos-Umherwandeln ist dort der Gipfel des Pilger-Ideals; d ie Bindung an historischgeographische Ziele wird von den Großen dieser Spiritualität eher als 10 Die Benedi k tusreg el, Eine Anleitung zum christlichen Leben , hg . von G. H OLZHERR (Zürich, Einsiedeln, Köln 2 1982), Kap. 73, 8, S. 330. 108 <?page no="109"?> Spiritualität.indd 109 Spiritualität.indd 109 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 ein Zugeständnis an das Niveau der breiteren Massen angesehen. Aber Wallfahren, Pilgern kennen alle. Zwischen diesen beiden Typen: ein Ort, ein Gegenstand, ein Ritus als Ziel, und: Erhaben-Sein über die irdisch-welthafte Konkretheit und deshalb als Pilger, als Narr Christi Unterwegs-sein, lassen sich die christlichen Zeugnisse in ihrer Vielfalt ansiedeln. Auch da gibt es auf der einen Seite Wallfahrten zu konkreten, ehrwürdigen Ortensei es Jerusalem, die Stadt des Herrn, sei es eine Heiligen -Reliquie oder ein Gnadenbild, sei es der Ort einer Muttergotteserscheinung oder ein charismatischer Mensch, wie es Padre Pio 11 war. Neben Pilgermönchen, die gleichsam eine missionarische Wallfahrt unternahmen, um fremde Völker Christus entgegenzuführen, gab es eine "Peregrinatio" der iroschottischen Mönche, für die die germanischen Gefilde eher weltverneinende Bußstätten und die daraus sich ergebende missionarische Tätigkeit nur eine eher zufällige Begleiterscheinung waren. Der Einsiedlerkardinal Petrus Damiani unterscheidet daher Aszeten, die in einer Zelle abseits der Welt leben, und Aszeten, die "ziellos in der Wüste ihres irdischen Erbes umherirren" 12 • Auch im Christentum gibt es ein Pilgersein, das kein Ziel hat, sondern die Heimatlosigkeit des Christen auf dieser Erde realisieren will der berühmte "Aufrichtige Bericht" eines russischen Pilgers trägt etwas davon mit sich; in der westlichen Kirche steht für diesen Typus der Heilige Benedikt -Josef Labre, der nach vergeblichen Versuchen, bei den Kartäusern, den Zisterziensern, den Trappisten einzutreten, das Leben eines heimatlosen, unbekannten Pilgers führte und Frankreich, Spanien, Italien, die Schweiz und Deutschland durchwanderte (t 1783). Und dann gibt es natürlich auch eine Imitatio Christi mit der viel zitierten Warnung - Meister Eckhart nachfolgend und Johannes vom Kreuz vorbereitend - : Die viel wallfahren,werdenselten heilig 13 • Mit diesem weit verbreiteten Andachtsbuch haben wir einen wieder anderen Pol des Wallfahrtsverständnisses erreicht. Denn die Imitatio Christo warnt zwar vor dem nur-äußerlichen Wallfahren, kommt aber immer wieder auf den inneren, den geistlichen Sinn des Wallfahrens und Pilgerseins zu sprechen: 0 Jesus,betet sie, Glanz der ewigen Glorie,Trost derwallfahrendenSeele; dennfür die,diean Christusglauben,ist die Erdenur Pilgerstätte 14 • 11 Pio da Pietrelcina OFMCap, 1887-1968,stigmatisierter Mystikerin S. Giovanni Rotondo (Prov. Foggia), Italien. 12 Dictionnaire de Spiritualite (wie Anm. 2), Sp . 917. 13 De Imitatione Christi Concordantia , hg . von R. ST0RR(London 1911), ad vocem. 14 Ebd. 109 <?page no="110"?> Spiritualität.indd 110 Spiritualität.indd 110 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Daß Pilgersein, Wallfahren, in die Fremde-Gehen im religiösen Bereich nur sinnvoll ist, wenn es mit innerem Sinn erfüllt ist, wird von ihr herausgestrichen. Aber dieser innere Sinn kann sehr verschieden sein - und da geht die Imitatio mit den Wallfahrten zu heiligen Orten sicherlich zu scharf und einseitig ins Gericht. Ignatius von Loyola, ein begeisterter Leser der Imitatio Christi, wallfahrte bewußt zu den historischen Orten Jesu Christi. So sehr war er von ihrer Greifbarkeit in Jerusalem ergriffen, daß er sein Leben aufs Spiel setzte, nur um sich einen konkreten Zug einer altehrwürdigen Stätte tief einzuprägen. Es ist keine devote Verbeugung vor der Kirche, sondern innere Überzeugung eines Heiligen, der von der Konkretheit göttlicher Mensch-Fleisch-Welt-W erdung ergriffen ist, wenn er in der sechsten Regel des "Spürens mit der streitenden Kirche" schreibt: Reliquienvon Heiligenloben,wobeimanjene verehrt und zu diesenbetet: DabeiStationskirchen, Wallfahrten,Ablässe, f ubiläen, Kreuzzugsbullenund angezündeteKerzenin den Kirchenloben 15• Eine Phänomenologie der Pilgerschaft Um tiefer in den geistigen Sinn des Pilgerns einzudringen, lohnt es so wie ich es in meiner Kindheitserinnerung angedeutet habe-, das äußere Erleben des Pilgerns und Wallfahrens als Symbol, Zeichen für Wesenszüge des Menschen zu betrachten. Das aber kann geschehen, indem einfachhin die humane Sinnfülle des Pilgerseins aufgeblättert wird . a) Man kann ansetzen bei der Erfahrung von Weite, von Raum, von Unendlichkeit. Dem deutschen Gemüt sagt man ja gerne eine Art von "Fern-Weh" nach . Die Lieder und die Bilder der Romantik schweifen in eine verlockende Weite. Der eine Zug dieses Erlebens, der oftmals bittere Abschied vom Vertraut-Sein mit der Heimat und mit denen, die man liebt, wird überstiegen hinein in die Erwartung von Grenzen losigkeit, die sich den Schritten des Pilgers öffnet. Ich habe vor Augen Gemälde von Caspar David Friedrich, bei denen die Weite des Raums, die Horizontlosigkeit der Meeresfläche etwas Göttliches verheißen möchten . Sicherlich liegt im Archetyp des "Pilgers" auch diese faustisch zu nennende Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Unendlichen, dem Göttlichen, nach dem Eintauchen in die Unergründlichkeit von Raum und 15 Ignat ius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternd e Texte. hg . von P. KNAUER (Gra z, Wien, Köln 1978), Nr. 358, S. 150. 110 <?page no="111"?> Spiritualität.indd 111 Spiritualität.indd 111 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Zeit. Durchwandern der Landschaften über unendliche Wege hinweg wird zu einer kontinuierlichen Berührung mit dem Je-Anderen, Je- Größeren, Je-Weiteren. Man muß nur dem Wortsinn und der Interpretationsmöglichkeit der Orte der Jakobus-Wallfahrt nachgehen: Campus Stellae, Feld-Weiler der Sterne, am Finis Terrae - Ende der Welt. Dies ist ein Realsymbol für die Begegnung mit Gott, dem je größeren, je anderen, dem "semper maior". Wahre Gotteserfahrung trägt stets dieses Element der Bewegung zum noch größeren, anderen in sich. Doch wenn es alles wäre, fände sich nur in philosophischer Terminologie gesagt- HEGELS"Schlechte Unendlichkeit" 16 darin wieder. b) Dicht daneben liegt die Abenteuerlust, die zweifelsohne ein wichtiger Antrieb war für den antiken wie für den mittelalterlichen, aber auch für manchen der modernen Pilger. Auch sie zeigt ein Doppelantlitz: Angst vor dem Unbekannten und Neugier auf das Noch-nicht-Gewußte. Hier läßt sich leicht der Schritt ins Geistig-Religiöse vollziehen. "Abenteuer mit Gott", "Das Abenteuer Gottes" so lauten moderne Buchtitel. S1MONE WEIL,eine französische Mystikerin, die als Jüdin in ihrem Herzen zugleich von Jesus gefangen war, die als Philosophin sich ebenso im Partisanenkampf gegen die Nazi-Besetzung wie im sozialen Kampf gegen die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus engagierte, spricht von diesem "Abenteuer mit Gott" 17; man könnte das gleiche Wort auf die recht ähnlich zu verstehende, tief konservative und zugleich sozialistische US-Amerikanerin DoROTHYDAY 18 übertragen. Gottesbegegnung ist immer ein Abenteuer. Und wenn jemand über dieses "Abenteuer" hinaus zur genießenden Ruhe gelangt sein will, darf man ihm auf den Kopf zusagen: Du hast nicht Gott, du hast höchstens dich selbst erfahren! Gotteserfahrung ist auch ein Abenteuer, das wie im Jakobskampf am Jabbok 19 den Menschen verwundet zurückläßt. Das sind Züge, die im modernen Selbstfindungsboom vergessen werden. Von diesem Zug des Abenteuers, das sich aus dem behüteten Bereich hinausbegibt in die Unwägsamkeit des Unbekannten, bekommt 16 Die schlechte "empirisch äußerliche U., welche das Andere ihrer selbst immer außer sich hat", und die wahre (U.), das ist der Geist, der "auf eine einfache Weise die U. in sich (hat) , so daß der Gegensat z sich unmittelbar aufheben muß" (nach der Jenenser Realphilosophie I, 5. 195ff.). 17 S. WElL,besonders in: Attente de Dieu (Paris 1950) und: La Pesanteur et Ja Grace (Paris 1948). 18 J. FOREST, Dorothy Day. Das Maß der Liebe (Zürich 1989). 19 Gen . 32, 23-33. 111 <?page no="112"?> Spiritualität.indd 112 Spiritualität.indd 112 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 auch das unstete Pilgerdasein eines Benedikt Labre 20 und vielleicht auch das Bettlerdasein des hinduistischen Ashram -Ideals einen tief menschlichen Sinn, der sich zum christlichen Gott öffnet. c) Wallfahren ist- und dies liegt auch schon im Abenteuer der Gotteserfahrung weiterhin ein Ganzheitserleben. In einem Zeitalter meditativer Religiosität muß betont werden, daß die Ganzheitserfahrung , die eine Bewegung erbringt, doch tiefer und menschlicher ist als eine Ganzheitserfahrung, die nur in Ruhe und Ablösung besteht. Erst im Rhythmus von Ruhe und Bewegung verwirklicht der Mensch seine ganze Körperlichkeit, seine Existenz. Als Jugendlicher habe ich die Echternacher Springprozession mitgemacht: Drei ? chritte vor, zwei zurück, während der große Zug zur Willibrord-Kathedrale den normalen Prozessionsschritt ging 21• Das war besonders an Sonnentagen nicht ohne Schweiß und Atemlosigkeit möglich. Ähnliches haben die mittelalterlichen Pilger erlebt, wenn sie nach der Mühe des Tages erschöpft im Quartier auf die harten Lagerstätten niederfielen, aber diese Ermattung als Ganzheitserfahrung erlebten. Und dies ist wiederum ein Grunderlebnis menschlicher Existenz! Und es ist auch ein Protest gegen die Flut der leicht-gemachten Seins- Absolutheits-Ganzheits-Erfahrungen, die heute angeboten werden. Man sollte sich allerdings diesbezüglich nicht in den östlichen Meditationsangeboten täuschen : Die echten Meister kennen die Härte der Erfahrung, welche Ganzheitlichkeit, Aszese und Mühe miteinschließt. Ihre "Meditationen" stehen oft dem sportlichen Training, das einen Menschen an den Rand seiner körperlichen Möglichkeiten treibt und ihm aber dadurch ein befreiendes Selbsterleben schenkt, viel näher als den betulichen Massage-Bad-Musik-Erfahrungen in psychologischen Workshops für Selbstwerdung. Das Wallfahren könnte unsere heutige Sehnsucht nach Begegnung mit Gott lehren, daß wahre Ganzheit Bewegung und Aktivität, Mühe und Schweiß einschließt. d) Das Gehenist es, was dem nur-zuschauenden Beobachter beim Pilgern zuerst auffallen mag. Ich möchte Sie hier nicht mit der Fülle der symbolischen und mythischen Beziehungen überschütten, die sich mit den Füßen und ihrem Voranschreiten verbinden. Schon Aufrechtstehen 20 S.o.; die Dichterin Elisabeth Langgässer hat ihm in "Das unauslöschbare Siegel (au ch ein Pilgerroman) schöne Seiten gewidmet. 21 Die Echternacher Springprozession am Pfingstdienstag ist wohl im Ursprung ein Dankfest für das Aufhören des Veitstanz es. 112 <?page no="113"?> Spiritualität.indd 113 Spiritualität.indd 113 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 und -gehen auf den Füßen - "horno erectus" nennt es E. BLOCH 22 und greift dabei christliche Bilder auf ist ein Symbol für die Würde des Menschen. Nach der jüdischen Mythologie wurde die Paradieses- Schlange für iher Verführungskünste damit bestraft, daß sie nun ohne Füße mit dem Bauch auf der Erde kriechen mußte. Und im griechischen Mythos ist es Ödipus übersetzt "Sehwellfuß", Hinkender -, der das Rätsel der Sphinx vorn Zwei- und Drei- und Vier-Fuß lösen kann und dadurch Theben rettet . Statt mythischer Erinnerung möchte ich Ihnen das Bild eines Babies vor Augen stellen; wie das Kleinkind sich zum erstenmal stolz auf die Füße erhebt, die ersten Schritte tut , wieder hinfällt, aber sich nichts daraus macht, sondern weiter den aufrechten Gang trainiert. Lesen Sie nur einmal aufmerksam die Psalmen unter dem Blickpunkt: Aufrecht, nach oben Stehen und Gehen, vorwärts - Sie werden bald spüren, daß das Gehen des Pilgers mehr ist als nur eine zufällig, durch Auto und Eisenbahn zu ersetzende Ortsveränderung. Gehen ist Vollzug des wachen Menschseins . Nicht umsonst gehört auch zum echten Zen das ganzheitliche Schreiten, Kin-hin. Gehen realisiert etwas von der Würde des Menschen, die z. B. im Johannesevangelium sich durch die Grundausrichtung: "Von Oben nach oben" 23 ausgedrückt wird . e) Pilgerschaft schenkt dieErfahrungvon Gemeinschaft. Es ist eine Binsenwahrheit: Echte Gemeinschaft bildet sich in Grenzsituationen von Not und Gefahr, von Abenteuer und Unterwegssein. Und hier sollte man wiederum die eigene Erfahrung befragen. Man kann aber auch die großen Abenteuerromane lesen, die fast immer auch um eine Gemeinschaft, eine Kameradschaft kreisen, die im Bestehen von Gefahr erwachsen ist. Gewiß, man darf nun das Wallfahrtsgeschehen nicht dramatisieren. Aber dieser Zug der Gemeinschaftlichkeit ist für das Phänomen wesentlich: Gemeinsame Erfahrungen addieren sich nicht nur, sondern potenzieren sich in jedem, der sich in die Gemeinsamkeit der Erfahrung hineinbegibt, und schaffen dadurch von neuem Gemeinschaft. Nicht von ungefähr ist es, daß viele christliche Ordensgerneinschaften aus solchen Pilger-Erfahrungen erwachsen sind. 22 Sein berühmtes Wort vorn "Aufrechten Gan g" als Würd e de s Men schen (Das Prin z ip Hoffnung , 1954-1959) gr eift die patristische und mittelalt erliche Typologie d es homo erectus (auch noch Martin Luther) auf. 23 Joh . 3, 31; 8, 23; 16, 25-28 etc . 113 <?page no="114"?> Spiritualität.indd 114 Spiritualität.indd 114 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Auch die so sachlich aussehende Gemeinschaft der Jesuiten entstand aus den vielen Wegen und Erlebnissen, welche die Gefährten um Ignatius gemeinsam machten . Und die franziskanische Gemeinschaft ist sicherlich auch im Gegensatz zu stabilitaslocides klassischen Ordens der Benediktiner zusammengewachsen aus einer "Wander" -Gemeinschaft. f) Den Klangdes Betensund Singenshabe ich schon im Bericht über mein Kindheitserleben in Erinnerung gerufen. Gerade hier nun kann man das typisch Christliche oder Biblische erspüren, das sich in der "Wallfahrt"- Musik niederschlägt . Einer der prominentesten Esoteriker in Deutschland, der Jazz-Spezialist J.-E. BERE NDT,pflegt die meditative Kunst des Hörens: "Nada Brahma die Welt ist Klang" , "Das dr itte Ohr" heißen seine Bücher. Im letzten, "Ich höre also bin ich" 24 gibt er praktische Anweisung zum Hören, die dem recht ähnlich sind, was ich als Kind erleben durfte und mir vor kurzem beim Hören der Gregorianik H1LDE - GARDSVONBINGENwieder in Erinnerung kam: Werdeganz und gar eins mit dem Ton. Höre die Fülle der Obertöne, die er entfaltet: ganze Akkorde von Obertönen-ständig wechselnd,irisierend, changierend-alswürdenvieleTöne gespielt- und dennochist es immer nur der eine Ton .. . Aus dem Ton wird Klang.Nimm den Ton in dichauf. WerdedieserTon. WerdeKlang 25• Doch der Unterschied zum Rosenkranzbeten der wallfahrenden Dorfgemeinschaft und auch zum Jesus-Gebet des russischen Pilgers ist wesentlich und zeigt die Motivation des christlichen Wallfahrers: Der Urklang, den BERENDT einüben läßt, bleibt in sich ruhen, dient dem ästhetischen Genuß des Harmonischen. Der Klang der Ur-Tons, der mir vom Rosenkranzbeten im Ohr geblieben ist, weist nach vorwärts, ergreift meine eigene Personalität, will befreien zur Hinwendung auf Gott : zum Meditieren der Rosenkranzgesätzlein, zum Schauen auf Jesus, zum Wallfahren hin zum Gnadenbild. Das dem hinduistischen Ohm-Singen recht ähnliche Rosenkranzgebet der pilgernden Gemeinde ist gleichsam nur das Gewölbe, unter dem die einzelnen und die Gruppe ihr persönliches Beten finden. Dies erleben die Pilger in der Wallfahrtskirche, in der ihr Pilgern die Krönung findet. Man kann und soll auch den meditativen Wert der gotischen Architektur erfahren: Das Gewölbe, in dem der Klang gleichsam ausruht und das meine Stimmung sich weiten oder nach oben sich 24 J.-E. BERENDT, Nach Brahms (rororo Sachbuch 7949); DERGL. , Das Dritte Ohr (rororo Sachbuch 8418); und DERGL., Ich höre-also bin ich (Freiburg 1989). 25 Ebd. 114 <?page no="115"?> Spiritualität.indd 115 Spiritualität.indd 115 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 erheben läßt; oder der Raum um das Gnadenbild, in dem das Gebet von Jahrhunderten und von tausenden von Menschen gleichsam aufgehoben ist und im Licht der vielen flackernden Kerzen symbolisch sichtbar wird. Aber all diese Erfahrungen sollen nur den Raum bereiten , in dem ich, der Wallfahrer, zu Gott bete, mich hinrichte auf seine Güte. Im katholischen Verständnis steht genau dort der Tabernakel oder das Wallfahrtsbild. Berendts Metaphysik des Klangs wirkt auf diesem christlichen Hintergrund wie die Produktion eines Klangs ohne Richtung, eines ~'Gebets-Raums" ohne "Beten", einer Frömmigkeit ohne Gott, einer Liebeserfahrung ohne Du . g) Mit diesemZiel des Wallfahrens aber sind wir zu der wichtigsten und auch unterscheidenden Erfahrungskomponente des christlichen Pilgerseins und Wallfahrens gekommen. Damit stehen wir im Zeugnis des Neuen Testaments, das besonders der 1. Petrusbrief gibt: Wandelt in FurchtwährendderZeit euererPilgerschaft! 26 Die typisch christliche Wallfahrt hat nämlich ein Ziel; und in ihm kommt die Polarität des Pilgerarchetyps wieder in Erinnerung . Sie ist zwar auch in anderen Religionen zu finden, steht aber im Monotheismus, der sich durch den Glauben an die Menschwerdung Gottes noch verdichtet hat, nun ganz prägnant vor uns: Unterwegssein und Ankommen werden eins diese polare, nicht auflösbare Spannung schlägt sich im konkreten Wallfahren nieder: Man erlebt den Ort der Gegenwart Gottes, und erfährt zugleich, daß man noch nicht zu Hause ist. Schon das Judentum kennt die Wallfahrtnach Jerusalem, dem Ort der Gegenwart Gottes. In den sogenannten Wallfahrtspsalmen hat sich dies in ergreifender Weise niedergeschlagen : Ichfreute mich,alsman mir sagte: 'Zum Haus desHerrn wollenwir pilgern.' Schonstehenwir in deinen Toren, Jerusalem: Jerusalemdu starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt. Dorthin ziehendie Stämmehinaus, die StämmedesHerrn, wie es Israelgebotenist, den Namen desHerrn zu preisen. Denn dort stehenThronebereitfür das Gericht, die ThronedesHausesDavid 27 • Auch für den Muslim gehört die einmalige Pilgerfahrt nach Mekka, die Hadsch , zu den fünf Grunderfordernissen des Glaubens. Auf dem Hintergrund des Glaubens an die Inkarnation Gottes verstärkt sich der Zug, daß Wallfahren zu einem Ziel hinführen muß, und relativiert sich zugleich in seiner Ortsgebundenheit. Einerseits weiß der 26 1 Petr. 1, 17. 27 Ps. 122. 115 <?page no="116"?> Spiritualität.indd 116 Spiritualität.indd 116 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Glaube, daß Gott tatsächlich substantiell diese unsere Welt berührt hat. Den Orten und Gestalten dieser Berührung Gottes mit unserer Welt, also Palästina, kommt damit zwangsläufig eine Bedeutung zu, die sie vor allen anderen Wallfahrtszielen heraushebt. Andere Wallfahrtsorte werden relativiert: Nur hier, in Palästina, lebte der menschgewordene Gott. Wenn Wallfahren, dann dorthin! In dieser Relativierung liegt schon ein erstes Unterscheidensmerkmal christlichen Pilgerns zu allen anderen Wallfahrten. Wo die Relativität des Wallfahrens zu Orten von Heiligen, von Muttergotteserscheinungen, von Reliquien, von Gnadenbildern usw. nicht gesehen ist, geht ein Grundzug des Christentum verloren. Diese Relativität des Wallfahrenswird noch einmal verstärkt. Schon aus den johanneischen Schriften lassen sich die Warnungen vor eine r zu hohen Einschätzung des Pilgerns heraushören. So wenn der Auferstandene den Apostel Thomas tadelt. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben 28• Ein solcher Satz ist der Niederschlag der johanneischen "Geisttheologie", in der die Sichtbarkeit Jesu aufgehoben wird in Glauben, in das Eindringen in die ganze Wahrhe it Kraft des Geistes Jesu Christi und in das Leben der Liebe im kirchlichen Einssein aller, die diesen Jesus gefunden haben . Deshalb muß beim christlichen Wallfahren in dem konkreten Ziel der Wallfahrt immer auch zugleich erfahrbar werden, daß dieses Ziel nur ein Symbol, nur ein vorläufiges, nur ein zeichenhaftes Ziel gegenüber dem eigentlichen Ziel sein darf. Und das gilt auch für die Stätten , an denen Jesus gelebt hat. Die "Imitatio Christi" schärft es ein. Der theologische Ort Aus der alten Christenheit nicht nur aus der Einsiedler-Mentalität der Wüstenmönche, die sich bis in die "Imitatio Christi" fortgesetzt hat ertönen deshalb die Warnungen vor dem Wallfahren . Ja, die große Monographie von Körr1Nc2 9 hat wohl gezeigt, daß die warnenden Stimmen aus den Theologenkreisen der alten Christenheit lauter ertönen als die volkstümlichen Berichte über konkrete Wallfahrten. Auf dem Hin tergrund des spät-hellenistischen Aberglaubens und der lateinisch-griechischen Volksfrömmigkeit sind diese Warnungen recht verständlich. Drei Gegenpositionen werden aus ihnen hörbar: Warum Wallfahren, 28 Joh 20, 29. 29 B. KöTIING,Pe regrinatio religiosa , Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in d er alten Kirche (Regensb urg-München 1950). 116 <?page no="117"?> Spiritualität.indd 117 Spiritualität.indd 117 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 wenn doch Gott in der kirchlichen Gemeinde anwesend ist, wenn er im gläubigen Herzen lebt, und wenn wir Menschen nur im Glauben, nicht in der Sichtbarkeit ihn erkennen? Drei Zitate mögen diese Vorwürfe aufzeigen, ohne daß man sie nun als verschiedene Ansätze deutlich voneinander abgrenzen kann: Der Kirchenlehrer CHRYSOSTOMOS, der sich durch pastorale Klugheit und volksnahe Frömmigkeit auszeichnete, hebt die sakramentale Wirklichkeit der Kirche hervor; ihre Kraft ist überall, wo Kirche existiert, wirksam - und nicht nur in letztlich doch zufälligen geographischen, historischen Stätten: Viel vermagdie GemeinschaftderKirche,wenn wir mit zerknirschtemHerzenzu GottGebeteemporsenden. Esist nichtnotwendig,daß man übersMeerfährt, daß man einelange Wallfahrtmacht; in derKircheund zu Hauselaßt uns eifrigzu Gott beten,und er wird die Bitten erhören 30. Aucusn Nus hingegen predigt auf dem Boden seiner typischen Innerlichkeitsspiritualität von Gott-in-der-Seele: Derdicherhört,ist nicht außer dir. Gehe nicht in weite fernen, steige nicht in die Höhe, als ob du ihn so gleichsammit Händengreifenkönntest 31• HIERONYMUS, der doch selbst die geographische Nähe zu den heiligen Stätten Palästinas suchte, faßte mit einem Verweis auf die Wahrheit des Glaubens diese Argumente zusammen: Es ist nicht recht,daß du meinst, deinemGlaubenfehleetwas,weildu Jerusalemnichtgesehenhast,und du sollst · uns nicht für besserhalten, weil wir uns des Aufenthaltes an diesem Orte erfreuen3 2• Nur auf dem Hintergrund dieser Relativierung des Wallfahrens können einige theologische Grundsätze dazu aufgestellt werden. a) Gottes Gnadewirkt unabhängigvon Raum und Zeit hinein in Raum und Zeit. Die Wahrheit, daß Gottes Wirken unabhängig ist von raum-zeitlichen Festlegungen, muß Voraussetzung einer jeden Wallfahrtstheologie und Pilgerpraxis sein. Bewußt oder unbewußt baute auch die Vätertheologie ihre Kritikam abergläubischen Wallfahren darauf auf. Man kann Gottes Wirken nicht an die menschlichen Voraussetzungen ketten. LUTHERS berühmte Wallfahrtskritik3 3 beruht auf dieser Einsicht, an der kein Christ zweifeln kann . Im Religionsdekret des II. VatikanischenKonzilsist dieses 30 Chrysostomos, Homilia ad populum Ant. 3, 2; Pg, 49, 49 (nach K öTI ING). 31 Augustinus, Tractatus in Joanum X, 1, in: MIGNE, PL 35, Sp. 1467 (nach KöTIING). 32 Hieronymus, Ep. 58, 4, in: CSEL 54, 532 (nach KöTIING). 33 Luther: Hat aberjemand ein Gelübdegetan, zu Sankt Jacobzu reisenoderan andereOrte,der laßesfahren! Es ist ein GelübdewiderdeineSeligkeit(WA 17/ II, S. 465). 117 <?page no="118"?> Spiritualität.indd 118 Spiritualität.indd 118 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 universale Grundprinzip christlicher Wahrheit selbst zur Beurteilung außerchristlicher Religiosität offiziell festgeschrieben worden 34 • Gottes Gnade reicht weit über den in seiner Kirche errichteten Raum der Offenbarungswahrheit hinaus. Aber aus dieser Aussage taucht zugleich die Gegenaussage auf; Gott hat sich in der Menschwerdung Gottes abhängig gemacht von Raum und Zeit; Gottes Gnade nimmt das Eingebundensein des Menschen in Raum und Zeit ernst. An einer Frage, die eng mit dem Wallfahren verbunden ist, kann die Brisanz und offene Dialektik dieser selbstverständlichen christlichen Einsicht deutlich werden. Es geht um das Bittgebet. Wir kennen die so dringlichen Bitten in den so typischen Pilgerlitaneien: "Maria hat geholfen, Maria wird immer helfen". Entwürdigt eine solche Dringlichkeit das Bittgebet nicht zur magischen Verfügung über Gottes Hilfe? Und dies sogar delegiert an eine Heilige, mag sie auch die Mutter des Herrn sein? Wird hier Gottes Freiheit nicht an menschliches Tun gebunden? Lassen wir die offensichtlichen Mißbräuche einmal beiseite und versuchen, den theologischen Hintergrund solcher Bitten zu ergründen. Evangelische Mitchristen seien von vornherein darauf aufmerksam gemacht, daß es nun tatsächlich manchen Mißbrauch in der katholischen Frömmigkeit gab und auch noch gibt, in dem Bitten zu einem magischen Gott-Zwingen entartet. In diesem Gott-Zwingen, dem Deum-Cogere, trifft sich aber überraschenderweise manche hoch-mystische Aussage mit der vermeintlichen niederen Volksfrömmigkeit; Bitt-Gebet und Einswerden-mit-Gott haben sehr verwandte Züge. Meister Eckharts Gott-muß... , Deumcogeredarf aber keineswegs als magisches Gott-Zwingen verstanden werden -ähnliches gilt auch vom populären dringlichen Bittgebet, das sich übrigens auf das Jesus-Wort vom "unverschämten Bitten" stützen kann. Das gesunde Wallfahrtsgebet, das man an vielen Orten durchgängig erlebt, verbindet in überraschend deutlicher Art die rational kaum zu reflektierende Einheit von jenseitiger Freiheit Gottes und diesseitiger vertrauter Nähe zu ihm. Was hat denn eine Mutter erlebt, die mit einer dringlichen Bitte für ihre schwerkranke Tochter zum Gnadenbild wallfahrtet, keine Erhörung geschenkt bekommt, und dennoch getröstet nach Hause zurückkehrt? Ihr wurde die Erfahrung der unmittelbaren Nähe Gottes und zugleich die seines weltüberlegenen Wissens und 34 II. Va tik anisches Konzil, Decreturn de Ecclesiae Habitudine ad Religiones Non-christi a nas. 118 <?page no="119"?> Spiritualität.indd 119 Spiritualität.indd 119 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 seiner souveränen Freiheit zuteil urtd beides vereint erlebte sie in ihrer betenden Hinwendung zu Gott. Zuerst mag die Gewißheit: Gott wird Heilung schenken, weil ich ihn, weil ich seine Mutter so dringlich bitte, wie magischer Aberglaube aussehen. Bei der Frau aber zeigt die Tatsache, daß sie trotz der Nichterfüllung der direkten Bitte eine tiefere Erhörung erfahren durfte, daß ihre dringliche, so an die Erfüllung in Raum-und-Zeit gebundene Bitte sich zugleich übersteigt in das Geheimnis des "je-größeren Gottes". Im bittenden Umgang mit diesem Gott nämlich durfte sie die Nähe des "je-größeren Gottes" erfahren und genau dies gab ihr den Trost, der das echte Wallfahren ausmacht. Was da geschieht, läßt sich nicht mehr in kausal-naturwissenschaftlicher Begrifflichkeit, sondern nur in personaler Einfühlung sagen. b) JesusChristwurde- Gottbleibendin Transzendenzganz und garMensch. Das Paradox des Bittgebets weder Ergebung in ein transzendentes Schicksal, noch Herbeizwingen der göttlichen Kraft in die Immanenz ruht oder gipfelt in dem Paradox der Menschwerdung Christi. Auch im Menschen Jesus läuft ein weltimmanentes Schicksal ab, das erbarmungslos diesen Mann aus Nazaret zermürbt und ihn gnadenlos dem grausamen Kreuzestod ausliefert. Man muß die Rufe der Gaffer vor dem Kreuz im Ohr haben: ... rettedich selbstund steigeherabvom Kreuz, wenn du der Sohn Gottesbist 35 • Aber zugleich weiß der Glaube, daß in diesem Menschen, der ganz und gar hilfloser Mensch bleibt, Gottes Ewigkeit und Gottes Allmacht lebt. Das ist und bleibt Glaube; denn auch der Sieg der Auferstehung wird nur im Glauben lebendig, der nicht zu beweisen ist, sondern aus dem Zeugnis der Apostel, der Erst-Glaubenden, lebt. Dieser Jesus Christus des Glaubens läßt sich geradezu definieren als die "immanent gewordene Transzendenz", in der die Immanenz nicht aufgehoben, sondern gesegnet, gerettet und erlöst wird. Das chalcedonensische Dogma: unvermischt und ungetrennt, bringt dies zur Sprache36. Eben diese Dialektik erfährt auch die Mutter im oben erwähnten Beispiel: Sie begegnet in ihren Bitten Gottes Transzendenz löst aber damit den geschichtlichen Prozeß der Immanenz nicht auf, sondern erlöst ihn. 35 Mt. 27,40. 36 Konzil von Chalcedon (Kleinasien): 451. Dogma, in: Acta Conciliorum Oecomenicorum, hg. von E. 5cHWARTZ (Berlin 1914ff.), hier Bd. 2, 5. 128ff. 119 <?page no="120"?> Spiritualität.indd 120 Spiritualität.indd 120 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 In der konkreten Alltagssprache ausgedrückt heißt dieses bisher in metaphysischer Abstraktheit Gesagte : Der Mensch begegnet Gottes ewigem Du in dem geschichtlich sichtbaren Jesus . JOHANNE Ssagt: Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns 37; bei den Synoptikern wird diese immanent gewordene Transzendenz zum Beispiel in den radikalen Nachfolgeworten Jesu hörbar; deren unbedingte Härte ist ethisch nur vertretbar und human zu verstehen, wenn sie in ihrer hörbaren Eindeutigkeit aus Gottes Absolutheit stammt. Diesem Du Gottes in Jesus Christus begegnet die Frau mit ihrer Wallfahrtsbitte; sie konnte deshalb auch in der äußeren Nicht-Erhörung inneren Trost und Heilung finden, weil sie in der raum-ze itlichen Konkretheit dem transzendenten Geheimnis Gottes begegnet ist. Gibt es d enn keine nun auch immanent sichtbaren Erhörungen des Bittgebets? keine Heilungen in Lou rdes und Fatima? kein Aufbrechen der Immanenz, damit die Transzendenz leuchten kann? Nun, auch die biblischen und die späteren Wunder erhalten ihre volle Evidenz erst im Glauben . Ohne Glaube kann die Wissenschaft, die Empirie höchstens feststellen: Wir haben sie sagt dazu: noch keine Erklärungsmögl ichkeiten. Erst im Glauben rundet sich ein überraschendes Geschehen zur Wunderheilung ab. Erst im Glauben wird auch sichtbar, daß es um Gottes allmächtiges Du geht und nicht um innerweltliche Kausalitäten . c) Wallfahrtals Zeichender Geschicht e gewordenenTranszendenzGottes Die Glaubenssicht von immanenter, also Geschichte gewordener Transzendenz muß mit Jesus Christus Angelpunkt alles weiteren Nachdenkens über Gott und Welt bleiben; nur so führt sie in das Verständnis des konkreten Wallfahrens hinein . Wie in der formulierten Bitte kommt in ihm zum Ausdruck, daß Gottes Wirken geschichtlich sichtbar wird was aber nicht mit Beweisen usw., sondern nur im Glauben zu greifen ist. Man kann überall im Kosmos die Anwesenheit Gottes erspüren . Doch die Mitte ist einfachhin Jesus Christus. Und selbst dort, wo Gott substantiell-personal ein Stück dieser Welt geworden ist, braucht es den Glauben, um in diesem irdischen Leib die Transzendenz Gotte s zu erkennen. Um diese Mitte schlagen sich viele Kreise, innerhalb derer mehr oder weniger direkt Gottes Transzendenz in der Immanenz, in der Geschichte sichtbar wird . Wenn man der großen Vätertheologie folgt, ist alles Irdische ein Bild des lebendigen Gottes; aber dies nicht in ständig glei - 37 Joh. 1, 14. 120 <?page no="121"?> Spiritualität.indd 121 Spiritualität.indd 121 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 eher Weise, sondern verschieden, je nach Eigengestalt und Auftrag Jesu Christi. Das inspirierte Wort der Bibel bewahrt gültig bis ans Ende der Zeitendas lebendige Wort Gottes inJesu. In den Sakramenten ist, wie es K. KocH vor kurzem formulierte, ebenso gültig bis ans Ende der Zeiten die in Jesus Christus menschgewordene "Zärtlichkeit Gottes" sichtbar und erfahrbar für uns geworden 38• Heilige bringen das immer neue Geistwirken Gottes unter uns zur Erscheinung. Festzeiten lehren uns die heilige Ordnung Gottes, in der wir leben. Orte aber, wie die Wallfahrtsstätten, erinnern uns daran, daß die Erde mit ihren Kontinenten und Inseln vor Gott und vor den Menschen keine konturlose Einheitsfläche darstellt, sondern in ihrer Vielfalt etwas von der Ordnung Gottes repräsentieren soll. Wallfahrtsorte und Pilgerwege sind-wie auch andere geographische Punkte-Strukturen, die der Schöpfung Gottes das Gesicht der Ordnung Gottes geben sollen. Äußerlich gesehen sind sie zufällig entstanden. Aber in dieser Kontingenz schlägt sich Gottes Führung nieder. Der Mensch in seiner archetypischen Wesensstruktur des Pilgers gibt auch den Landschaften seiner Erde die Struktur von Wallfahrtsstätten und Pilgerorten. Wer die Schöpfung Gottes also als "Sichtbarmachen" Gottes oder als "Immanenz gewordene Transzendenz" in eben dieser archetypischen Pilgerschaftsgestalt begreifen will, muß allerdings auf die bleibende Dialektik achten . Zuerst: daß tatsächlich etwa vom transzendenten Bezug des Menschen auf Gott sichtbar-erfahrbar werden soll; dann aber, daß diese Erfahrbarkeit nicht in sich fixiert werden darf, sondern untrennbar auf den transzendent und frei bleibenden Gott bezogen ist. Ein Blick auf die Situation von heute Eine Besinnung auf den Sinn von Wallfahrten in unserer Zeit muß bedenken, daß Wallfahrt in der Geschichte des Christentums vielfältige Gestalten angenommen hatte. a) Mittelalterals Blütezeitder Wallfahrt Die weit ausgreifende französische Untersuchung von J. CHELINI und H . BRANTHOM E über "Die Wege Gottes. Geschichte der christlichen Wall- 38 K. KOCH, Erfahrungen der Zärtlichkeit Gottes. Mit den Sakram ent en leben (Einsi ed eln 1990). 121 <?page no="122"?> Spiritualität.indd 122 Spiritualität.indd 122 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 fahrten von Beginn bis in unsere Tage" überschreibt das Mittelalterkapitel mit "Die Blüte der Pilgerfahrt" 39 • Viele Gründe hat diese gut zu belegende Tatsache. Einer davon ist die Geschlossenheit des Raums christlicher Weltanschauung. Die Warnung der Kirchenväter vor Wallfahrten usw. gründete noch auf einer Konkurrenz-Situation zum Heidentum. Dort gab es ähnliche Bräuche, die als Götzendienst bekämpft wurden; die Gefahr bestand, daß der heidnische Aberglaube sich über die Ähnlichkeit der Gebräuche ins Christentum einschleichen könne. Im geschlossenen christlichen Mittelalter nun konnte man diesen so menschlichen Ausdrucksformen der Frömmigkeit wie Reliquien- und Heiligen-Verehrung, Wallfahrten usw. ohne große Angst Raum geben. Tiefer führt ein anderer Grund. Im mittelalterlichen Christentum, das vom keltisch-germanischen Geist geprägt war, entwickelte sich ein neuer, nun konkreter, Bezug zur Wirklichkeit. Sprach- und kulturgeschichtlich spricht man von der Ablösung des symbolisch -gradualistischen Denkens durch den Realismus der in die Modeme führenden Naturwissenschaften; am Ende des Mittelalters mündete er sogar in den Nominalismus, der keine übergreifende Begrifflichkeit, sondern nur noch Einzelrealitäten zulassen wollte. Man frug also nicht mehr, was bedeutet dieses Ding, in welchem übergeordneten, auf Gott hinweisenden Zusammenhang steht es, sondern man untersuchte es in sich. AucusT1Nus kennt z.B. eine Schwerkraft der Liebe und sieht einen inneren Bezug zwischen der Schwerkraft der Dinge, die nach unten zieht, und der Liebe, die nach obenfällt, in die Ewigkeit Gottes hinein 40; im Mittelalter beginnt man, den Stein physikalisch zu analysieren, und später findet man die physikalische Gesetzlichkeit seiner Schwerkraft. Dieser "Realismus" aber ergreift auch das Religiöse. So verfestigte sich z.B. im Mittelalter die alte allegorisch-symbolische Ausdeutung der Schrift zu formalistischen, real-sein-wollenden Spielereien, bis sie dann abgelöst wurde durch LUTHERS neuen Zugang zum Wort, zur Schrift in ihrer Sachaussage, was im neunzehnten Jahrhundert zur historisch-kritischen, realistischen Exegese führte . In diesem wachsenden realistischen Fühlen wurde auch die Frömmigkeit immer "realistischer" verfestigt. Man wollte die Hostie mit der Realpräsenz Jesu während der Wandlung und in der Prozession an - 39 J. CHELINI/ H.BRANTHOMME, Les chemins de Dieu. Histoiredes pelerinag es des origines a nos jours (Paris 1982). 40 Es kehrt ständigbei vielen kirchlichen Schriftstellern bis in die Barockzeitwied er mit dem Gegenzitat aus Sap. 9, 4 (lat): Corpusquodcorrumpitur, aggravatanimam. 122 <?page no="123"?> Spiritualität.indd 123 Spiritualität.indd 123 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 schauen (im symbolisch-mystisch bleibenden Fühlen der Ostkirche bleibt sie hinter der Ikonostase verborgen). Ein konkreter, fürbittender Heiligenhimmel legte sich um Gott herum (aus den Bildern der Herrlichkeit Gottes wurden herrliche Heilige, die um Gottes Thron herumstehen). Greifbare Wunder (bis zu den Stigmata, die erst zur Zeit des FRANZISKUS auftreten) und verehrungswürdige Reliquien gewannen immer mehr Ansehen. In dieser Zeit nun wuchs auch die Sehnsucht, an den heiligen Stätten selbst die Konkretheit der Welt-Immanenz Gottes zu erleben; die Wallfahrten blühten aufmit all der Gefahr, ob der Immanenz Gottes nun seine bleibende Transzendenz zu mißachten. Da der Weg ins Heilige Land versperrt wurde, gab es in Europa eine Blüte von Wallfahrtsorten und Wallfahrtswegen angefangen vom Kreuzweg, der den historischen Gang Jesu nach Golgatha auf einen der vielen "Kreuzberge" übertrug, bis hin zur Wallfahrt nach Compostela, gleichsam an das Ende der Welt, wo das Urmeer des Schöpfungsmorgens zu branden schien. b) Wallfahrenheute Aus der mittelalterlichen Situation heraus kann nun die Gegenwart reflektiert werden. (1) Von einer "Wiederverzauberungder Welt" 41 nach M. WEBERS "Entzauberung der Welt" zu sprechen, mag übertrieben sein. Aber richtig an dieser Diagnose ist, daß die radikale Ablehnung aller transzendenten Bezüge, die aus der realistisch werdenden Weltsicht des Mittelalters folgte, eine neue Zeit des Wissens um Transzendenz, um Überschreiten des logisch-empirischen Realismus, gefolgt ist. Anders ausgedrückt: Nach einer ständig wachsenden Entfernung des Religiösen gab es die Öffnung zur Transzendenz; in der wissenschaftlichen und politischen Öffentlichkeit ist das religiöse Anliegen des Menschen wieder neu und dicht bewußt geworden. Ich glaube nicht, daß unser Christentum sich dieser Chance einer neuen Religiosität schon voll bewußt geworden ist. Für unser Thema Pilgerschaft bedeutet dies: Man muß auf seinen bleibend-gültigen Strukturen ein modernes Verständnis und einen heutigen Vollzug des Wallfahrens aufbauen. Daß dies nicht einfachhin im Realismus des Mittelalters geschehen kann, ist klar. Ich erinnere mich z.B. an die Diskussionen um die Verehrung des "Heiligen Rocks" in der 41 M. BERMAN, Wiederverzauberung der Welt. Am Ende des Newton'schen Zeitalters (München 2 1984). 123 <?page no="124"?> Spiritualität.indd 124 Spiritualität.indd 124 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Trierer Domkirche, die den Kontroversen um das Turiner Leichentuch recht ähnlich sind. Wie die historisch-kritische Methode manchen naiven Zugang zur Heiligen Schrift grundsätzlich verschlossen hat, ist auch mancher "historisch-fundamentalistischer" Zugang zu Wallfahrtstrad itionen nicht mehr legitim. Doch der Glaube weiß: Pilgerseinist ein Konstitutivum des Menschen: Wir streben nach einer besserenHeimat, nämlich der himmlischen. Darum schämt sich Gott [unser] nicht, er schämt sich nicht [unser] Gott genannt z u werden; denn er hat für [uns] eine Stadt vorbereitet 42 • Es gilt, von den Humanwissenschaften her, die das Zitat aus dem Hebräerbrief in mannigfacher Weise bestärken, ein modernes Verständnis des Wallfahrens aufzubauen. Auf dieser Basis muß manches offen entmythologisiert werden; aber zugleich kann ein tieferes Verständnis des Wallfahrens wachsen . Doch damit trage ich Eulen nach Athen, weil in dieser Hinsicht vieles geschieht. (2) Die Dialektik des "Jetzt-schon" und "Noch-nicht" muß in der Wallfahrtskonzeption eine zentrale Rolle spielen. Hierbei gilt es, das symbolisch-allegorische Weltbild der Vätertheologie in die heutige Weltsicht zu integrieren . Auch dazu ein kurzer Hinweis: Die ostkirchliche Frömmigkeit, in der das altchristliche Symbolverständnis des Glaubens bis heute in weitem Maße lebendig geblieben ist, hat eine, für uns oft schwer verständliche Deutung der Ikonen-Gegenwart des Abgebildeten: Weder "realistisch" im Sinne eucharistischer Realpräsenz", noch rein nomina listischer als sei es "nur-Bild". Wenn man diesem Verständnis nachgeht, spürt man, daß viele "humane" Faktoren diese "Ikonen-Gegenwart" tragen: Die Frömmigkeit des Malers; die lange Überlieferung des Bildtypus; die Verehrung der Gläubigen vor diesem Bild. Ich glaube, auf entsprechenden Wegen ließe sich die dialektische Spannung von "hier-schon" und "noch-nicht" theologisch ausdrücken und vollzugsmäßig gestalten. Nur anmerken möchte ich, daß eine solche Wallfahrtstheologie wie von selbst dasjenige reflektieren und ins Christentum einbringen könnte, was oben mit dem" Archetypus" des Pilgers berührt wurde. (3) Erweitertwerdenmuß dieserArchetyp in einer doppelt geprägten Richtung: Zuerst sei an den ostkirchlichen Narren in Christo erinnert, der gerade als Pilger erscheint. In PuscHKINSDrama: "Boris Godunow", das 42 Hebr. 11, 16. 124 <?page no="125"?> Spiritualität.indd 125 Spiritualität.indd 125 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 durch die gleichnamige Oper Mu ssoRGSKI JS(Rimskij-Korssakows, Schostakowitschs) bekannt wurde, ist es der Bettel-Mönch und Narr in Christo, Nikolka, der die russische Volksseele gegen den falsch en Zaren repräsentiert. Und die Literaturhistoriker zeigen, daß die se Figur d em Hofnarren, dem "fool" Shakespeares nachgestaltet wurde. Unser e Phänomenologie des Pilgers muß um das paulinische "Narr-Sein" in Christo erweitert werden 43 • (4) Die andere Erweiterung aber ergibt sich beim Blick auf das bleibende Flüchtlingselendunseres - und wohl auch des nächsten - Jahrhund er ts: Pilgersein heute darf daran nicht vorübergehen . Erst im Gegenüber zum konkreten Flüchtlingselend unserer Zeit kann sich der christliche Archetypus "Pilgersein" bewähren. Die christologische Mitte Der begrenzte Raum gestattet nicht, in einem N euansatz nun noch einmal "Torheit" des Pilgerdaseins nachzugehen: Im Protest wie bei PuscHKINoder in Teilnahme am Flüchtlingselend, wie es die heutige Zeit nahelegt. Auch diese beiden Züge aber haben ihre Basis in Jesus Christ us , dem Pilger Gottes, dem pilgernden Gott auf Erden: DieFüchsehaben ihreHöhlenund die VögelihreNester; der Menschensohnaberhat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegenkann 44 • Augustin greift diese christologische Begründung des Pilgerseins auf und deutete es aus für die allgemein menschliche Existenz. Ich kann mir keinen besseren Schluß dieser Betrachtungen denken, als dies es sein Zitat: Christus ist ebensoden Pilgern Weg,wie er den Engeln Heimatist. Ermahnen wir uns alsogegenseitig,Freunde,und laden uns in wahrerLiebeunaufhörlichein, den schmalenund engerenWegzu erwählen; auf ihm verdienenwir es, in die Weite des Paradieseszu gelangen.Der Weg aber,derfür kurze Zeit breitist, pflegt seineLiebhaberin den Abgrund der Unterwelthinabzustürzen. Ihn müssen wir, so gut wir können, mit Gottes Hilfe meiden und verachten. Schlagenwir nicht den linken Wegdes Unglücksein; an seinem Endesteht nur Leere.Folgenwir dem rechtenWeg,derzum ewigenLebenführt. Zu [hmsollen wir gelangen,der der Weg, das Lebenund die Wahrheit ist. Es ist doch nicht 43 Dazu die gute Darstellung von: M. EVDOKIMOV, Russische Pilger, Vagabunden und Mystiker (Salzburg 1990). 44 Lk. 9, 58. 125 <?page no="126"?> Spiritualität.indd 126 Spiritualität.indd 126 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 verwunderlich,wenn wir glaubendbeiebendemselbenankommen,auf demwir auchgläubigwandeln. Denn er ist der Weg,auf dem wir eilen,und er selbstist das Vaterland,die VollendungunseresLaufes,wohin wir gelangen. Wie er in seiner Gottheit Ruhe und Vaterland der Engel ist, wurde er in seinemMenschseinzum Pilgerweg.Als Ruhe und Heimat der Engelund aller Gläubigenheißt es: Im Anfang war das Wort, und das Wortwar beiGott, und es war Gott, das Wort. Als Pilgerwegabersteht geschrieben: Das Wortwurde Fleischund wohnte unter uns 45• Resumen: Desde un terreno ne tamente cristiano, pero al mismo tiempo con h1 mirada puesta en otras formas de religiosidad, el presente articu lo pr ctendc ofrecer una fenomenologia de la peregrinaci6n; con ello quicre tener en cucnta la hoy en dia creciente afioranza por una dimensi6n de transcendencia, por un mundo del mas alla. Despues de recordar algunas vivencias del autor y de echar una mirada sobrc las diferentes posibilidades de experimentar Ja peregrinaci6n, que son comuncs a todas las religiones, se enumeran las siete caracteristicas mas importan tcs de Ja peregrinaci6n, a saber: Lejania aventura experiencia de la totalidad caminar comunidad sonido meta. Estas vivencias tfpicas son somct idas a continuaci6n a una interpretaci6n cristiana: Dios es por un lado pura transccn dencia, es decir jamas se le p u ede aprisionar en categorias humanas; y Dios por otro lado se hizo inmanente den tro de un horizonte de espacio y tiempo; crcaci6n yen su sentido cristiano redenci6n son las <loscategorias correspondicntes. La figura deJesucristo es en la interpretaci6n de la dogmatica cristiana la cumbrc y al mismo tiempo el testimonio de esta tensi6n: Hombre y Dios. Y csto es precisamente lo quese experimenta en la peregrinaci6n : Dios esta aquf presentc y sin embargo nos encon tramos en camino hacia EI. Por ultimo, partiendo de las necesidades espirituales de hoy se da una vcrsi6n actualizada de esta idea central de la teologia de la peregrinaci6n . 45 Augustinus, Sermo (aus dem Anhang) LXVII, 3, in: MIGNE, PL 39 (1874). 126 <?page no="127"?> Spiritualität.indd 127 Spiritualität.indd 127 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Spuren der Jacobus-Verehrung im Bistum Münster ALBERT ScHRÖDER Um es gleich vorweg zu sagen: Wer an dieser Stelle einen ausführlichen Bericht über die Spiritualität des Jacobus-Kultes im Bistum Münster erwartet, muß leider enttäuscht werden, so wie ich auf meiner langen Suche nach Quellen, die Aufschluß geben über Motiv, Anlaß und innere Einstellung von Münsteraner Jacobus-Verehrern enttäuscht worden bin . Zu dürftig ist die Quellenlage oder zu "profan" die jeweiligen Anmerkungen über ein Ereignis, das im Zusammenhang steht mit der Jacobus- Devotion. Nur ein sehr zeitaufwendiges und intensives Durchforsten aller Akten und Urkunden im Staats- und Bistumsarchiv oder in den Pfarrarchiven könnte vielleicht einen brauchbaren Pilgerbericht o. ä. zu Tage f9rdern, der dann auch einen Einblick gibt in die Spiritualität der westfälischen Jacobus-Verehrung . Die Suche nach den äußeren Anzeichen des Jacobus-Kultes und der Jacobus-peregrinatio gestaltet sich dagegen unkomplizierter-vor allem Dank volkskundlicher Arbeiten innerhalb der Patrozinienforschung 1• Mit ihrer Hilfe lassen sich zumindest "Spuren" einer Jacobus-Verehrung im Bistum Münster sichtbar machen 2 und manchmal darüberhinaus Schlußfolgerungen ziehen über die hinter jedem sichtbaren Kult verborgene Spiritualität, die ja stets der eigentliche Antrieb zur Gestaltung eines jeweiligen Heiligenkultes war. Da es sich bei der Jacobus-Verehrung zunächst ganz allgemein um eine Heiligenverehrung handelt, bietet sich die Möglichkeit an, in einem ersten Schritt der Frage nachzugehen, wie und wo denn der heilige Jacobus im Laufe der Geschichte im Bistum Münster3 verehrt wurde. In 1 Es kann hier nicht der Ort sein, die Patrozinienkunde mit ihrem vielver_zweigten Aufgabengebiet zu behandeln. Einen kritischen forschungsgeschichtlichen Uberblick dazu bietet W. DEINHARD, Patrozinienkunde, Historisches Jahrbuch 56 (1936) S. 174- 203. 2 Besonderer Dank gilt DDr. A. Schröer und seinen Mitarbeitern am Institut für religiöse Volkskunde an der Westfälischen-Wilhelms-Universität, Münster, für die freundliche Hilfe, besonders für die Gestattung der Einsichtnahme in ihr Manuskript zu einer Veröffentlichung über die "Kirchen- und Altarpatrozinien in Westfalen von den Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches (1806)", welches in Kürze erscheinen soll. 3 Den Vorschlägen W. DEINHARDTs (wie Anm . 1) S. 183 folgend soll das zu behandelnde Gebiet auf das Bistum Münster beschränkt bleiben. Um einen möglichst einheitlichen 127 <?page no="128"?> Spiritualität.indd 128 Spiritualität.indd 128 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 einem zweiten Schritt können wir dann versuchen herauszufinden, ob diese Verehrung in irgendeinem Zusammenhang steht mit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela. Hinweise auf einen Jacobus-Kult gibt es im Bistum Münster zur Genüge . Aber auch hier gilt: es gibt bedeutende, vielversprechende Hinweise und weniger aussagekräftige. Den wohl wertvollsten Beitrag zur Spurensuche der Jacobus-Verehrung bieten die Jacobus-Kirchen, -Kapellen und -Altäre. Über die Bedeutung der Kirchenheiligen für die Kultforschung schrieb bereits Ende des letzten Jahrhunderts der Volkskundler G. Bos- SERT: "Sie bilden den klar erkennbaren Niederschlag der verschiedenen Geistesströmungen und den scharf ausgeprägten Exponenten der eigenthümlichen Zeiterscheinungen in der mittelalterlichen Kirche. Was die Steinmetzzeichen in der Geschichte der Baukunst, sind die Kirchenheiligen in der Geschichte des mittelalterlichen Volkslebens" 4• Die Wahl eines Patrons für eine Kirche, Kapelle oder auch für einen Altar ist also jeweils die Antwort des Menschen auf bestimmte geschichtliche Ereignisse und Geistesströmungen. Von der Auffindung und Häufigkeit solcher Jacobus-Patrozinien kann also auf die Jacobus- Verehrung rückgeschlossen werden . Weitere Hinweise für die Darstellung eines Heiligenkultes geben Reliquien 5• Sie waren im Mittelalter der besondere, "greifbare" Gegenstand der Devotion. Man ließ sie entweder in Altäre ein, oder sie wurden oft regelmäßig in Reliquienschreinen bei Prozessionen umhergetragen bzw. auf Altären zur Verehrung ausgesetzt. Auch andere Verehrungsformen können wichtige Informationen liefern. Vor allem die spätmittelalterliche Religiosität , nach der sich der Mensch in vielfältigster Weise dem Schutz der Heiligen anvertraute, brachte sogenannte Sonderpatrozinien hervor, d.h. für bestimmte Gegenstände, Situationen und gesellschaftliche Gruppen übernahmen Untersuchungsraum innerhalb des sich durch die Geschichte hin veränderten Territoriums zu bewahren, folge ich den Abgrenzun: P.en von H. BöRSTING/ A . ScHRÖER, Handbuch des Bistums Münster, 2 Bde. (Münster 1946) hier Bd. 1, S. 130f, insofern, als für die vorliegende Arbeit lediglich das Oberstift Münster behandelt werden soll, d.h . das zum Bistum Münster gehörende friesische Gebiet sowie das Niederstift Münster bleiben unbeachtet. Dieser relativ homogene Raum ist aber auch zeitlich zu begrenzen. Der Beginn des Untersuchungszeitraums ist mit dem Beginn der Bistumsgeschichte unter Bischof Liudger (804-809)identisch. Als zeitlicher Abschluß ist die Grenze 1800 fixiert , vgl. dazu : W. ÜEINHARDT (wie Anm. 1) S. 203f. 4 G. BossERT, Die Kirchenheiligen in ihrer Bedeutung für die Ges chichtsforschung (54 Thesen), Korrespondenzblätter des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 41 (1893) S. 99f., hier These 1. 5 Vgl. dazu : W. ÜEINHARDT (wie Anm. 1) S. 192ff. 128 <?page no="129"?> Spiritualität.indd 129 Spiritualität.indd 129 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Heilige eine Schutzfunktion und wurden zu Patronen. Unter ihnen auch der heilige Jacobus. Desweiteren zeugen bildliche und figürliche Darstellungen des Heiligen von dessen Verehrung. So sind beispielsweise Epitaphien, Altargemälde und Altarfiguren sehr aufschlußreich. · Schließlich spiegeln auch Eintragungen in Festkalendarien sowie Vermerke über Jahrmarkt-, Schützenfest-, Ablaß- und Abgabentermine, die zu Ehren des heiligen Jacobus festgesetzt wurden, seine Verankerung im liturgischen und gesellschaftlichen Leben wider. Erste Zeugnisse einer Jacobus-Verehrung im Bistum Münster Für das Bistum Münster findet sich nach den vorliegenden Quellensammlungen vor der Mitte des 11.Jahrhunderts kein Niederschlag eines Jacobus-Kultes. Die erste direkte Kultnotiz begegnet in einer Ende des 11. oder Anfang des 12. Jahrhunderts niedergeschriebenen urkundlichen Nachricht über die neue Einweihung des wiederaufgebauten Klosters Liebfrauen-Überwasser (Münster-Stadt) und der Kirche durch Bischof Erpho von Münster (1085-1097). Bei den zwischen 1085 und 1088 vorgenommenen Weihehandlungen wird für den 25. März 1085 anläßlich der Weihe der sogenannten Jerusalemkapelle unter anderem eine Jacobus-Reliquie genannt6. Obwohl nicht näher gekennzeichnet, legt ihre Aufzählung direkt nach Johannes die Vermutung nahe, daß es sich umJacobus maior, den Bruder des Johannes, handelt. Eine zweite Notiz derselben Urkunde über die Weihe der Nordkapelle zu Überwasser, geschehen am 1. Februar 1088, schafft bereits klarere Verhältnisse. Diese führt als Nebenpatrone der Kapelle die Namen Jacobi fratris Domini und Jacobi fratrisJohannis 7 an. 6 .. . in capellaquae uocaturIherusalem... In qua continentur relliquiae ... Jacobi... , H .A. ERHARD (Hg.), Regesta Historiae Westfaliae accedit Codex Diplomaticus (Westfälisches Urkundenbuch), 2 Bde. (Münster 1847/ 51) hier Cod. Dipl. Nr. 134. VgL auch: ebd., Reg. 1224. 7 Ebd. 129 <?page no="130"?> Spiritualität.indd 130 Spiritualität.indd 130 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Diese frühesten Kultnotizen reihen sich etwa ein in den Zeitraum des allgemeinen Bekanntwerdens der peregrinatio nach Compostela 8, besonders auch im deutschsprachigen Raum 9• Die ersten gesicherten Nachrichten über Jacobus-Kirchenpatrozinien können nicht vor Ende des 12. Jahrhunderts nachgewiesen werden. J acobus-Kirchenpa trozinien Die Pfarrkirche zu Winterswijk, die ursprünglich zum Bistum Münster gehörte, aber 1823 an die Diözese Utrecht abgetreten wurde 10, gilt allgemein als die älteste Jacobus-Kirche des Bistums Münster. Winethereswikwirdals eine von VIparrochiae1152 erstmals urkundlich genannt 11. Dennoch vertreten die meisten Forscher die Ansicht, Winterswijk sei bei: eits eine Gründung Bischof Liudgers aus dem 8. Jahrhundert12.Wenn dem auch so ist, stellt sich trotzdem die Frage, ob die Kirche auch von Anfang an eine Jacobus-Kirche war, oder ob Jacobus erst später zum Patron ernannt wurde was durchaus im Bereich des Möglichen ist. Den einzigen urkundlichen Anhaltspunkt dafür, daß die Kirche eine Jacobus-Kirche war, gibt ein nicht mehr erhaltenes Manuskript aus dem 18. Jahrhundert. Dort wird Jacobus als patronus der Winterswickschen Kirchen 13 genannt. Angaben darüber, seit wann er Patron war, fehlen. Die Antwort auf diese Frage kann man nur als Vermutung äußern: Diejenigen, die die Ansicht vertreten, die Pfarrkirche zu Winterswijk sei bereits eine Gründung Liudgers aus dem 8. Jahrhundert , votieren auch 8 Vgl. dazu: R. PLÖTz,Santiago-peregrinatio und Jacobus-Kult mit besonderer Berücksich tigung des deutschen Frankenlandes, in: Spanische Forschung en der Görresgesellschaft, 1. Reihe, Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 31 (Münster 1984) S. 25-135 und Y. BoTIINEAU, Der Weg der Jakobspilger , hg. von K. H ERBERS (Bergisch Gladbach 1987). 9 Vgl. da zu : H.J. HüFFER, Die spanische Jakobusverehrung in ihren Ausstrahlungen auf Deutschland, Historisches Jahrbuch 74 (1954) S. 124-138. 10 Vgl. H. BöRSTING/ A. ScHRÖER(wie Anm. 3) S. 132f. 11 Vgl. H.A. ERHARD(wie Anm. 6) Cod. Dip l. Nr. 284. 12 So z.B. H. BöRSTING/ A. ScHRÖER(wie Anm . 3) S. 408 und A.K. HöMBERG, Studien zur Entstehung der mittelalterlich en Kirchenorganisation in Westfalen, Westfälische Forschungen 6 (1943-1952) S. 46-108. J. PRINZ,Die Paro chia des heilige n Liudger. Die räumlichen Grundlagen des Bistums Münster (Westfalia Sacra . Quellen und Forschungen zur Geschichte Westfalens, Bd. 1, Münster 1948) S. 1-83, hier S. 70f. datiert die Gründung bereits in die Zeit Abt Bemrads. 13 Zit. nach : A. Trnus, Gründungsgeschichte der Stifter, Pfarreien, Klöster und Kapellen im Bereiche des alten Bisthums Münster mit Ausschluß des ehemaligen friesischen Theils (Münster 1867-1885)S. 1104. 130 <?page no="131"?> Spiritualität.indd 131 Spiritualität.indd 131 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 für die Ursprünglichkeit des Jacobus-Patroziniums. Zur Begründung wird angeführt, Liudger selbst sei im Besitz von Apostelreliquien gewesen "und zwar zu dem Zweck, um sie für die Einweihung der von ihm zu gründenden Kirchen zu verwenden" 14. Trifft dies im Falle der Jacobus-Kirche von Winterswijk zu, dann läge das Motiv zur Wahl des Jacobus als Kirchenpatron vor allem in seiner Funktion als Apostel und Märtyrer und stünde noch in keinem Zusammenhang mit der Wallfahrt nach Compostela, da diese erst im 9. und 10. Jahrhundert bekannt wird . Wahrscheinlicher ist aber m .E., daß aufgrund wachsender Beliebtheit des Pilgerpatrons, Jacobus in späterer Zeit vielleicht im 12. oder 13. Jahrhundert einen anderen Patron in Winterswijk verdrängte , weil jener nicht mehr "modern" war 15 . Für die Jacobus-Kirche in Ennigerloh stellen sich etwa die gleichen Schwierigkeiten. Auch für Ennigerloh wird vermutet, das Jacobus-Patrozinium stamme von Liudger selbst mit der gleichen Begründung wie schon im Falle der Kirche zu Winterswijk: Liudger sei im Besitz von Jacobus-Reliquien gewesen 16• Eine Gründung der Stifter des Klosters Freckenhorst während der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ist für die meisten Forscher jedoch wahrscheinlicher 17• Ein Dorf Anigeralo gibt es urkundlich belegt erst im 11. Jahrhundert 18 und als Pfarrei wird Ennigerloh erstmals 1217 erwähnt 19 . Da es urkundlich für die Pfarrei Ennigerloh keine Anhaltspunkte für die Einsetzung des heiligen Jacobus als Patron gibt, kann nur auf sekundäre Hinweise zurückgegriffen werden. Ein wichtiges Indiz für das Jacobus-Patrozinium ist der noch heute vorhandene Taufstein der um 14 Ebd . S. 712. Vgl. auch : ebd . S. 1159. 15 Zum Phänomen de s Patrozinienwechsels vgl. : G. ZIMMERMANN,Patro zinienwahl und Frömmigkeitswandel im Mittelalter dargestellt an Beispielen aus dem alten Bistum Wür zburg , 1. Teil, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 20 (1958) S. 24-126, hier S. 35. 16 Vgl. A. Trnus (wie Anm . 13) S. 710ff. 17 Vgl. H . BöRSTI NG/ A. ScHRÖER(wie Anm. 3) S. 170; A.K. HöMBERG(wie Anm . 12) S. 83; W. KOHL, Das Bistum Münster 3. Das (freiweltliche) Damenstift Freckenhorst (Germania Sacra N.F . 10. Die Bistümer der Kirchenprovin z Köln, Berlin-New York 1975) S. 107f. 18 Vgl. E. FRIEDLÄNDER(Hg.), Die Heberolle des Klosters Freckenhorst (Codex Traditionum Westfalicarum I, Münster 1872) S. 52. 19 Vgl. R. WILLMANS,Westfälisches Urkundenbuch 3. Die Urkunden des Bisthums Münster vom J. 1201-1300,hg . von d em Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens (Münst er 1859-1876)Nr. 111. Dana ch gehört Ennigerloh zu den Pfarreien , die als Archidiakonat 1193 durch Bischof Hermann II. an den Probst von St. Martini überwiesen wurden. Eine entsprechende Urkunde aus dem Jahre 1193 konnte ich allerdings nicht ausfindig machen. 131 <?page no="132"?> Spiritualität.indd 132 Spiritualität.indd 132 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 1200 erbauten Pfarrkirche 20• Es dürfte sich bei dem auf einem Relief dargestellten Jacobus maior mit großer Sicherheit um den Patron der Kirche handeln . Die Bauzeit der Kirche um 1200 legt nahe, daß der Taufstein bereits seit dieser Zeit zur Ausstattung der Kirche gehörte 21 • Dies bedeutet aber auch, daß die um 1200 erbaute Kirche entsprechend der Reliefdarstellung eine Jacobus-Kirche war. Was vor dieser Zeit war, kann man nicht mit Sicherheit beantworten. Festzuhalten bleibt aber, daß parallel zur ersten Blütezeit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela gegen Ende des 12.Jahrhunderts auch in Ennigerloh eine lebendige Jacobus -Verehrung sichtbar wird wie der Taufstein der Pfarrkirche beweist. Bei der Jacobus-Kirche in Coesfeld sind die Patrozinienverhältnisse eindeutig. Als bischöfliche Eigenkapelle wird sie in einer Urkunde aus dem Jahre 1195 wie folgt genannt : capellasanctiJacobiin Villa quedicitur Cosuelt 22. Erbauer dieser Kapelle, die bereits 50 Jahre später zur Pfarrkirche erhoben wurde, ist allem Anschein nach Bischof Hermann II. von Münster (1174-1203) 23 • Eine weitere Jacobus-Kirche befand sich in Münster auf dem heutigen Domplatz . Sie diente bis zu ihrem Abriß 1812 als Pfarrkirche der innerhalb der Domimmunität wohnenden Laien 24 . 1207 wird erstmals ein Priester sancti Jacobiin Monasterio 25 genannt. Auch hier ist die Errichtungszeit der Kirche unter Bischof Hermann II. anzusetzen 26• Sucht man den äußeren Anlaß, der Bischof Hermann II. bewog, den heiligen Jacobus als Patron für die Kirchen in Coesfeld und Münster einzusetzen, so dürfte hierfür sehr wahrscheinlich das Bekanntwerden der Wallfahrt nach Santiago de Compostela in Betracht kommen. Eine genaue Rekonstruktion des Einzugs der compostellanischen Jacobus- Tradition in das westfälische Bistum Münster ist aufgrund der dürftigen 20 Vgl. dazu : A . LUDORFF, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Beckum (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd . 6, Münster 1897) S. 37 und die dazugehörig e Abbildung Tafel 28.2. 21 Dies bestätigt F. HELMERT, Ennigerloh. Chronik einer münsterländischen Gemeinde , hg. von S. ScttMIEDERund F. HELMERT(Ennigerloh 1983) S. 492: "Von der frühesten Innenausstattung der Kirche blieb nur der romanische Taufstein aus der Bauzeit erhalten." 22 F. NIESERT (Hg .), Münsterische Urkundensammlung (Coesfeld 1826-1837)Bd . 2, S. 292. H.A. ERHARD(wie Anm. 6) Reg. 2344 zweifelt die Echtheit der Urkunde allerding s an. 23 Vgl. H . BöRSTING/ A. 5cHRÖER(wie Anm . 3) S. 202. 24 Vgl. M. GEISBERG, Die Stadt Münster, 6 Bde . (Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 41, Münster 1932-1941), hier Bd. 6, S. 317. 25 R. WILLMANS(wie Anm. 19) Nr. 45. 26 Vgl. H . BöRSTING / A. 5cHRÖER (wie Anm . 3) S. 144 und J. PRINZ, Mimigernaford - Münster. Die Entstehungsgeschichte einer Stadt (Geschichtliche Arbeiten zur We stfälischen Landesforschung 4, Münster 1960) S. 146f. 132 <?page no="133"?> Spiritualität.indd 133 Spiritualität.indd 133 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Quellenlage nur bedingt möglich. Einen ersten Hinweis auf eine peregrinatio nach Compostela bringt der sogenannte "Libellus Monasteriensis de miraculis s. Liudgeri" 27 • Dieser schildert die Wunder, die sich beim Reliquienkreuz des heiligen Liudger in Münster bzw. in Elte ereigneten. Er nennt u.a. einen unbekannten Armen, der, nachdem er mißhandelt worden war, unter Anrufung des heiligen Liudger seine Gesundheit wiedererlangte. Die Wundererzählung endet mit dem Satz: Ubicompleta oracionesuaseipsumobtulitet quartaferiasequentisseptimaneiteradsanctum Jacobumperegrearripuit 28 • W. DIEKAMP datiert die Abfassung des "libellus" in die Regierungszeit des Bischofs Ludwig von Münster (1169-1173) 29• Der Verfasser selbst ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Münsteraner Priester3°. Als Fixpunkt des Bekanntseins der peregrinatio nach Santiago de Compostela im Bistum Münster darf also die Zeit zwischen 1169 und 1173 angesehen werden. Für die Zeit davor gibt es keine direkten Belege. Möglich wäre, daß bereits seit dem zweiten Kreuzzug (1147-1149)die Tradition der Jacobus-Wallfahrt in das Bistum Münster eingezogen ist. Die von Dartmouth aus den Seeweg benutzenden Kreuzfahrer besuchten auch das Heiligtum in Compostela und zogen von dort aus gegen das von den Mauren besetzte Lissabon. Unter diesen Kreuzfahrern befanden sich nachweislich auch Westfalen, die somit in näheren Kontakt mit dem Jacobus-Kult kamen und ihn möglicherweise nach ihrer Rückkehr in Westfalen verbreiteten 31 • Für die Einsetzung der Jacobus-Patrozinien in Coesfeld und Münster unter Bischof Hermann II. dürften aber neben dem allgemeinen Bekanntsein der Jacobus-peregrinatio vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend gewesen sein: 1. Die Pilgerfahrt seines Zeitgenossen und Amtsbruders, des Bischofs Anno von Minden (1170-1185), nach Santiago und 2. die Beziehung Bischof Hermanns zu Kaiser Friedrich Barbarossa (1152-1190). 27 Abgedruckt bei W. DIEKAMP(Hg.), Die Vitae sancti Liudgeri (Die Geschichtsquellen des Bistums Münster, Bd. 4, Münster 1881) S. 237-249. 28 Ebd. S. 246. 29 Vgl. ebd . S. XCIV. 30 Vgl.ebd . 31 Vgl. F. KURTH, Der Anteil niederdeutscher Kreuzfahrer an den Kämpfen der Portugiesen gegen die Mauren, Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 8. Erg. Bd. (Innsbruck 1911) S. 131-252, spez. S. 133ff. 133 <?page no="134"?> Spiritualität.indd 134 Spiritualität.indd 134 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Bischof Anno unternahm die Reise um die Jahrhundertwende 1174/ 1175. Das praktische Ziel seiner Wallfahrt bestand darin, durch Verbrüderungsverträge eine dauerhafte Beziehung zwischen seiner Diözese und der Kirche von Santiago de Compostela und anderen an der Pilgerroute liegenden Kirchen und Klöstern herzustellen 32 . Die Bedeutung der Verbrüderungsverträge und ganz allgemein der Compostela-Wallfahrt des Mindener Bischofs zeigt sich vor allem darin, daß diese Ereignisse später noch "zum Kernbestand der Überlieferung der Mindener Kirche" 33 gehörten. Hatte diese Reise wirklich solche Auswirkungen, dann kann Bischof Anno nicht nur als einer der Hauptträger der compostellanischen Jacobus-Tradition angesehen werden, sondern darüberhinaus auch als der Initiator einer dauerhaften Bindung zwischen Minden/ Westfalen und Compostela. Die Einsetzung der Jacobus-Patrozinien in Coesfeld und Münster durch Bischof Hermann II. sind m. E. die Folge gerade dieser Aktivitäten des Mindener Bischofs. Daß Hermann II. Zeuge der beeindruckenden Reiseschilderungen war, ist mehr als wahrscheinlich, da nachweislich rege Kontakte zwischen den beiden Bischöfen bestanden 34 • Aber auch die Beziehungen Hermanns II. zu Kaiser Friedrich Barbarossa legen eine direkte Vermittlung der compostellanischen Tradition nahe. Daß Friedrich Barbarossa ein glühender Verehrer des Ritterpatrons Jacobus war, ist unumstritten 35• Dies konnte auch Bischof Hermann nicht entgangen sein .Gelegenheit zum Austausch hat es zwischen den beiden genug gegeben . Die besondere Beziehung Barbarossas zum Bischof von Münster wird beispielsweise daran deutlich, daß Hermann bei dem Friedensschluß von Konstanz 1183 zu den engsten Vertrauten des Kaisers zählte. Auch gehörte Hermann zu den Teilnehmern des 32 Anno igitur incarnationisDomini M.C.LXX. V. Indictioneoctaua,cum pro peccatisnostris redimendisperegrebeatiJacobiapostoliliminauisitaremus,ad Gorziensemecclesiam, Cluniacum,ad sanctumEgidium,TuronisadecclesiambeatiMartini,et reliquasinfrapositasuenimus ecclesias, et fraternitatis societatemsimulque orationum mutuam uicissitudinemnobis et ecclesienostreMindonensidonaripostulauimus.. ., H.A. ERHARD(wie Anm. 6) Cod . Dipl. Nr. 373. Der Vertrag mit Compostela erfolgte am 21. Februar 1175, abgedruckt bei: S.A. WüRDTWEIN (Hg .), Subsidia diplomatica X (Francofurti et Lipsiae 1777). 33 D . POECK, Zur Reise des Bischofs Anno nach Santiago (1175), An Weser und Wiehen. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Landschaft, Fs. für W. Brepuhl (Minde ner Beiträge 20, Minden 1984) S. 101-108, hier S. 105. 34 Sichtbar wird dies u.a. an verschiedenen Zeugenlisten, in denen sowohl Bischof Hermann als auch Bischof Anno genannt werden, vgl. H.A. ERHARD(wie Anm. 6) Regg . 2004, 2061, 2098. Einen guten Einblick in die Mobilität Bischof Hermanns gibt der Aufsatz von HECHELMANN, Leben und Wirken Bischof Hermanns II. (1174-1203), Westfälische Zeitschrift 25 (1865) S. 1-88. 35 Vgl. da zu : H .-W. KLEIN, Karl der Große und Composte la, in: Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte (Jakobus-Studien 1), hg . von K. HERBER S (Tübingen 1988) S. 133-148 . 134 <?page no="135"?> Spiritualität.indd 135 Spiritualität.indd 135 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 ..... w u, 0 b ! ~ 0 f= Bistumsgrenze KULTORTEDES HL. JACOBUS Ki rc henpat rozinium Kapel l e npatrozin i um Al ta r patrozin i um Reli qu i en Volkstümliche Jacobus-Vere hrung (Pr o z e ssionen, Figuren, Al t arbi l der, bes. Fe s t tage et c . ) ENSCHEDE f= WETTRINGEN f= ~ / -fi: ._- \fil AlsT .H )! \i! BER 1 1 I I I I 1 \ STADT IIÜNSTER ---; r---, ~p ~ s; @ H ~I ST. LAHBERTII UL p 1 ! .JAK.OBI / ~ ST. SERVATII / / / ....__ ST.LUDCERI / ---- / / NIENB0RG HETELEN --✓ 0 100 200m .__.___. l0Km ~ @b AHAUS VREDEN , . b0 WINTERSWIJK ~f= ~ ~CHOLT P 1 ~ RHEDE l; ; ADTLOHN ftoEDING r; ; ; -RKEN DORSTE N ST. $STBEVER~ ' · NIENBERGE MAURITZ t l= L3 p Fe @. I; ELGTE .L3 COESFELD b LV ROXEL MÜNSTER b A LJ? . / N0TIULN / 'l! ~ RORUP @ WOLLBECK EVERSWINKEL IIAREND0RF p APPELHÜLSEN b \ ~ i ·· ENNIGERLOH DOLMEN 1 @ LÜDIN~USEN F ~LLERN p: : : ; ; jJ ' - - - ' ) ! : : : ? "LV / WADERSLO! f BEC; ~&~ ; __ LIPPBORG~ ~ LIESB0RN <?page no="136"?> Spiritualität.indd 136 Spiritualität.indd 136 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 dritten Kreuzzugs (1189-1192)unter Führung Barbarossas 36 • Gerade das ritterliche Moment in den Jacobus-Erzählungen dürfte den Stellenwert des "Jacobus Miles Christi" im Bewußtsein des Münsteraner Bischofs nachhaltig geprägt haben . Zusammenfassend läßt sich sagen: Ausgehend vom allgemeinen Bekanntwerden der Wallfahrt nach Santiago de Compostela in der Mitte des 12. Jahrhunderts hält der heilige Jacobus vor diesem Hintergrund unter dem Einfluß des Bischofs Anno von Minden und des Kaisers Friedrich Barbarossa im letzten Viertel des 12.Jahrhunderts auch Einzug in die Patrozinienlandschaft des Bistums Münster. Mit den Jacobus-Kirchen in Winterswijk, Ennigerloh, Coesfeld und Münster findet die Einsetzung des heiligen Jacobus als Kirchenpatron im Bistum Münster einen endgültigen Abschluß. In den Jahrhunderten danach wurden keine weiteren Kirchen mehr unter den Schutz des Pilgerpatrons gestellt mit einer Ausnahme: der Kapelle in Oeding bei Südlohn. Diese hat das Jacobus-Patrozinium allerdings von der Kirche des nahegelegenen Winterswijk übernommen, da die Kirche von Winterswijk 1674 von französischen Besatzern für die Katholiken geschlossen wurde 37 • Von einem neuen Jacobus-Patrozinium kann also im Falle der Kirche von Oeding nicht die Rede sein. Allerdings zeugt die Übernahme des Jacobus-Patroziniums von Winterswijk nach Oeding von der Festigkeit und Akzeptanz der Jacobus-Tradition. Die Frage, warum es im Bistum Münster nur so wenig Jacobus-Kirchen gibt, ist nicht leicht zu beantworten. Mit nur vier Kirchenpatrozinien, von denen zwei, wenn nicht sogar drei (zählt man die um 1200 erbaute Kirche in Ennigerloh hinzu), auf die Initiative eines einzigen Bischofs zurückgehen, bleibt das Bistum Münster weit hinter ande ren Diözesen zurück. Dafür gibt es m.E. folgende Gründe : Bei der Betrachtung der Gründungszeiten der Kirchen im Bistum Münster lassen sich drei Perioden erkennen, in denen die meisten Kirchen errichtet wurden. Zum einen ist dies die Gründungszeit des Bistums etwa zwischen 760 und 860zu einer Zeit also, in welcher sich ein spezieller Jacobus-Kult erst noch entwickelte und noch keine europäische Dimension erreicht hatte 38 • Eine zweite Gründungsphase liegt im 12./ 13 . Jahrhundert. Der Hauptgründerbischof dieser Zeit war Hermann II. Die Jacobus-Wall- 36 Vgl. H ECHELMANN (wie Anm. 34) s. 14ff.; vgl. auch : H. BöRSTING/ A. ScHRÖER(wie Anm . 3) S. 90-100. 37 Vgl. A. LUDORFF , Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Ahau s (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 9, Münster 1900) S. 73f. 38 Vgl. H. BöRSTING/ A. ScHRÖER(wie Anm . 3) 5. 894ff. 136 <?page no="137"?> Spiritualität.indd 137 Spiritualität.indd 137 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 fahrt war bereits europaweit bekannt und auch das Bistum Münster nahm an dieser Jacobus-Tradition teil3 9• Schließlich gab es noch im 15./ 16. Jahrhundert zahlreiche Neuerrichtungen . Zu dieser Zeit stand jedoch die Verehrung lokaler Heiliger so stark im Vordergrund 40, daß der hl. Jacobus offensichtlich nicht mehr zum Zuge kam. Stattdessen wurde er gerade in dieser Zeit in anderen vielfältigen Formen verehrt (s.u.). Aber auch die geographische Lage des Bistums hat dazu beigetragen, daß Jacobus in seiner Bestimmung als Kirchenpatron nur sehr wenig Beachtung fand. Welche Bedeutung die geographische Lage für die Verbreitung eines Heiligenkultes hat, wird besonders an dem Phänomen der Fernwallfahrten deutlich . Diese spielten sich fast ausschließlich an den großen Fernhandelsstraßen ab, an denen sich dann vermehrt entsprechende Kultstätten befanden 41. Auch von Santiago-Pilgern wurden Fernstraßen bevorzugt benutzt. Im norddeutschen Raum waren dies vor allem eine Nord-Süd-Verbindung von Dänemark über Stade, Minden, Herford und Mainz bis nach Straßburg und eine Ost-West-Verbindung von Höxter über Paderborn, Soest und Dortmund nach Aachen, also den Hellweg entlang. Von Straßburg oder Aachen aus zogen die Pilger dann die bekannten Wege weiter nach Santiago de Compostela42.Da aber das Bistum Münster aufgrund seiner geographischen Lage nur im äußeren Einflußbereich dieser Fernhandelsstraßen lag, konnte sich auch aus diesem Grunde eine Verbreitung des Jacobus-Kultes dort nicht so durchsetzen wie anderswo. Jacobus-Altäre In spätmittelalterlicher Zeit hatten die meisten Pfarrkirchen neben dem Hauptaltar zahlreiche Nebenaltäre. Die an diesen Altären angestellten Geistlichen hatten die Aufgabe, für das Seelenheil der Stifter und ihre Pfründe Messen zu lesen . Unter den vielen Altären, die im Laufe des 14. bis 17. Jahrhunderts gestiftet wurden, befanden sich auch einige, die dem heiligen Jacobus geweiht waren. Urkundlich belegt sind Altarpa- 39 Vgl.ebd. .. 40 Vgl. ebd. Ein en guten Uberblick darüber bietet A. ScHR ÖER, Die Kirch e in Westfalen vor der Reformation . Verfa ssung und geistliche Kultur, Mißstände und Reformen , 2 Bde. (Münster 2 1987), spe z. Bd. 1, S. 276-388. 41 Vgl. da zu: G. ScHREIB ER, Kultwanderungen und Frömmigkeitsw ellen im Mittelalter , Archiv für Kulturgeschichte 31 (1942) S. 1-40. 42 Vgl. L. ScHüR ENBERG, Die Bedeutung der Pilgerstraßen für die westfälische Architektur, Die Heimat 9 (1927) S. 210-214. 137 <?page no="138"?> Spiritualität.indd 138 Spiritualität.indd 138 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 trozinien dieses Heiligen in Münster an St. Liudgeri 43, St. Martini 44, St. Lamberti 45 und Liebfrauen-Überwasser 46• Desweiteren im Kloster St. Clara in Bocholt 47, St. Johannes Baptist in Werne 48, St. Georg in Bocholt 49 und in den Pfarrkirchen zu Everswinkel 50, Rohrup 51, Metelen 52, Ahaus 53, Lippborg 54 sowie Liesborn 55• J acobus-Reliquien Neben den bereits oben genannten Reliquien in der Kirche Liebfrauen- Überwasser in Münster5 6, die zu den frühesten Zeugnissen einer Jacobus-Verehrung im Bistum Münster zählen, gab und gibt es nachweislich in folgenden Kirchen und KapellenJacobus-Reliquien: Im sogenannten Erphokreuz der St. Mauritz-Kirche in Münster5 7 und in einem nicht näher bestimmten silbernen Kreuz der Pfarr- und Kollegiatskirche St. Martini in Beckum 58• Desweiteren im Zisterzienserkloster Marienfeld 59, in der Kirche der Augustinerschwestern zu Marienthal-Niesing (Mün- 43 Staatsarchiv Münster(= StAM) Msc. VII Nr. 1011, BI.102 (nach alter Zählweise BI.133) für das Jahr 1327 und Bistumsarchiv Münster(= BAM) GV Hs 164, f. 100, 490gestiftet 1485. 44 Vgl. H. BöRSTING, Inventar des Bischöflichen Diözesanarchivs in Münster (INA, Beibd . 3, Münster 1937) Reg. 136, S. 20gestiftet 1330. 45 BAM GV Münster-St. Lamberti A 24 gestiftet 1503. 46 Vgl. R. ScHULZE, Das acilige Frauen- (Kanonissen-) Stift der HI. Maria (1040-1773)und die Pfarre Liebfrauen-Uberwasser zu Münster Westfalen (gegründet 1040). Ihre Verhältnisse und Schicksale (Münster 2 1952) S. 98gestiftet 1485. 47 BAM GV St. Georg Urk. 90, 91 gestiftet 1423; vgl. auch : H . BöRSTING(wie Anm. 44) S. 134. 48 StAM Kl. Kappenberg Urk. A181gestiftet 1468. 49 BAM GV Bocholt-St. Georg A61 gestiftet 1491; vgl. auch: H. BöRSTING(wie Anm . 44) S. 130. 50 Pfarrarchiv(= PfA) Everswinkel A19-gestiftet vor 1523. 51 BAM GV Rohrup A9-gestiftet 1494. 52 BAM GV Metelen A13gestiftet 1509. 53 Vgl. B. SEGBERS , Ahaus. Kirche und Stadt im Wandel der Zeiten (Ahaus 1971) S. 181gestiftet 1521. 54 BAM GV Lippborg A9gestiftet 1666; vgl. auch: H. BöRSTING(wie Anm. 44) S. 246. 55 Vgl. H. MÜLLER, Das Bistum Münster 5. Das Kanonissenstift und Benediktinerkloster Liesborn (Germania Sacra N.F. 23. Die Bistümer der Kirchenprovin z Köln, Berlin-New York 1987) S. 22gestiftet 1680. 56 Vgl. Anm. 6. 57 Vgl. M. GEISBERG (wie Anm. 24) Bd. 6, S. 83f. 58 Vgl. H. BöRSTING, Liudger, Träger des Nikolauskultes im Abendland, Gründer de r ersten Nikolauskirchen nördlich der Alpen, in : Westfalia Sacra. Quellen und Forschungen zur Geschichte Westfalens, Bd. 1 (Münster 1948) S. 139-182, hier S. 168. 59 Vgl. F. ZuRBONSEN(Hg.) , Das "Chronicon Campi S. Mariae " in der ältesten Gestalt (1185-1422) (Paderborn 1884) S. 28. 138 <?page no="139"?> Spiritualität.indd 139 Spiritualität.indd 139 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 ster)6°, in der Benediktinerabtei Liesborn 61, in den Pfarrkirchen von Lüdinghausen 62, Vreden 63 und Appelhülsen 64 und natürlich im Dom zu Münster, wo mehrfach vonJacobus-Reliquien die Rede ist 65. Für das ganze Kapitel der Reliquien muß allerdings folgendes bemerkt werden: Die aufgeführten urkundlich genannten Jacobus-Reliquien sind nicht unbedingt die einzig vorhandenen im Bistum Münster. Gerade für diese Diözese ist eine lückenlose Zusammenstellung und Auflistung aller Reliquien unmöglich, da vor allem zur Zeit der Wiedertäufer (1534-1535)viele Reliquienbehälter entleert und zerstört wurden und deshalb die Kenntnis über deren Inhalte verlorenging. Auch eine genaue Datierung, wann die genannten Reliquien erworben wurden, ist nicht immer möglich, da sie meist nur in Visitationsprotokollenaus dem 17./ 18.Jahrhundert erwähnt werden und zu diesem Zeitpunkt oft nichts mehr über die Herkunft bekannt ist. Wenden wir uns zum Schluß noch kurz der "bodenständigeren", volksnahen Jacobus-Devotion zu. Gerade im Spätmittelalter treffen wir vermehrt Frömmigkeitsformen an, die auf unterschiedlichste Weise der Verehrung des Pilgerpatrons Ausdruck verliehen . Jacobus in der volkstümlichen Heiligenverehrung Besonders erwähnenswert sind figürliche Darstellungen des heiligen Jacobus als Pilger mit Hut, Stab, Tasche, Mantel und Trinkflasche; Mantel und Hut sind mit der charakteristischen Muschel verziert. Solche Figuren findet man in Coesfeld 66, Nienborg 67, Vellern 68, Wadersloh 69, 60 Vgl. W . KOHL,Das Bistum Münster 1. Die Schwesternhäuser nach der Augustinerregel (Germania Sacra N .F. 3. Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln, Berlin 1967) S. 164. 61 PfA Liesborn Hs . 10 f. 58 . 62 BAM GV Lüdinghausen AL 63 Vgl. H . SowADE,Urkundenregest Pfarrarchiv St. Georg 1330-1745 (Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde 23, Vreden 1982) S. 144. 64 BAM GV Hs . 139 f. 77. 65 Zur Problematik der Reliquien des Münsterischen Domes vgl. W. KOHL, Das Bistum Münster 4, 1. Das Domstift St. Paulus zu Münster (Germania Sacra . Historisch-statistische Beschreibung der Kirche des alten Reiches N .F. 17, 1. Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln , Berlin~New York 1987) S. 474-481; vgl. auch: M. GEISBER G (wie Anm . 24) Bd . 5, S. 414. 66 Vgl. A. LUDORFF , Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Coesfeld (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen , Bd . 36, Münster 1913) S. 48-50 und Tafel 25. 67 Vgl. A . LUDORFF (wie Anm. 37) S. 53. 68 BAM GV Vellern Al. 69 Vgl. F. HELMERT, Wadersloh . Geschichte einer Gemeinde im Münsterland , Bd. 1 (Münster 1963) S. 79. 139 <?page no="140"?> Spiritualität.indd 140 Spiritualität.indd 140 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Rhede 70, Westbevern 71 undMünster 72 . Auch auf fünfEpitaphienim Dom zu Münster befinden sich Jacobus-Darstellungen. In allen genannten Fällen ist Jacobus als typischer Pilger dargestellt7 3 • Die Verankerung des Jacobus in der spätmittelalterlichen Gesellschaft kommt in den Epitaphmotiven deutlich zum Ausdruck. Der Pilgerheilige wird zum Patron für die Sterbestunde, für die letzte Pilgerreise. Möglicherweise deutet eine solche Jacobus-Darstellung sogar auf eine vollzogene Wallfahrt nach Santiago de Compostela hin 74 • Es gab auchJacobus-Bruderschaften im Bistum Münster. Eine davon befand sich an St. Jakobi in Coesfeld 75 • Ihre Aufgabe bestand darin, vorbeiziehende Pilger zu betreuen. Im Turm der Jakobikirche soll es sogar eine Pilgerherberge gegeben haben 76• Überhaupt wurde in Coesfeld die Jacobus-Tradition intensiv gepfleg t, wie die Ausstattung der Kirche mit Jacobus-Figuren und einer Jacobus-Glocke zeigen 77. Desweiteren bestanden Jacobus-Bruderschaften in Beckum 78, Bocholt 79 und Rhede 80 • In Warendorf war Jacobus Patron der Schneidergilde 8 1• Auch der Festtag des heiligenJacobus, der 25.Juli,war im Bewußtsein der spätmittelalterlichen Westfalen fest verankert und galt aus vielerlei Gründen als ein besonderer Tag. Dies bezeugt z.B. die rote Tageseintragung im Nekrolog des Kartäuserklosters Marienburg bei Weddern 82 70 Vgl. W. RAvE,Kreis Borken (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 46, Münster 1954) S. 426. 71 Vgl. A. LUDORFF , Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Münster-Land (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 5, Münster 1897) S. 187 und Tafel 117. 72 Daß Jacobu s auch im westfälischen Adel Verehrung fand, be ze ugen Reliefdarstellungen auf einer Schranktür des ehemaligen Rittergutes Osser, genannt Ruhr, bei Münster sowie auf einem Pokal des Rittergutes Hülshof in Roxel (vgl. ebd . S. 48f. mit Tafel 24 u . 28, 2 sowie S. 159 mit Tafel 101). 73 Vgl. M . GEISBERG (wie Anm . 24) Bd. 5, S. 266-271 und S. 312-322. 74 Weitere Forschungen in dieser Richtung wären sicher lohnenswert. 75 Vgl. F.T. DRACHTER/ H. HüER,Die Bruderschaften Coesfelds, mit beson derer Berücksichtigung der Antonius-Bruderschaft, Heimatblätter für das Nord-Münsterland 7 (26.1.1921). 76 Ich danke Pfarrer D. Frintrop , Coesfeld, für die freundliche Mitteilung. 77 Vgl. A. LUDORFF (wie Anm. 66). 78 Vgl. S. 5cHMIEDER, Die Ackerbürgerstadt, in : S. SCHMIEDER / E. AHLMER/ W. WINKEL - MANN, Stadt Beckum . Ereignisse und Entwicklung in 750 Jahren und Berich_t über die Ausgrabung des sächsischen Fürstengrabes, hg. von der Stadt Beckum (Beckum 1974) S.11-174,hierS . 143. 79 Vgl. E. BRöKER, Die Bocholter Fleischhauergilde 1386-1811, Unser Bocholt. Monatsschrift für Kultur- und Heimatpflege 1 (1950) S. 223-227. 80 Vgl. C. BECKER, Von der St. Jakobi- und der St. Johannisschütterei in Altrhede, Heimatkalender der Kreise Borken und Bocholt 3 (1926) S. 46-50. 81 Vgl. W. ZuHORN, Kirchengeschichte der Stadt Warendorf, 2 Bde . (Warendorf 1918-20) hier Bd. 1, S. 326. 82 StAM Msc. I Nr. 93. 140 <?page no="141"?> Spiritualität.indd 141 Spiritualität.indd 141 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 oder die Eintragung im Festkalender von St. Mauritz in Münster 83 • Im Schwesternhaus Maria Rosa in Ahlen war der Jakobstag ein hoher Feiertag84.Ab dem 13. Jahrhundert setzte es sich mehr und mehr durch, wichtige Urkunden nach dem Festkalender zu datieren. Ein Vergleich der Urkundendatierungen nach dem münsterschen Festkalender 85 zeigt eine außerordentlich hohe Anzahl von Urkunden, die am Tag des heiligen Jacobus verfaßt wurden. Neben dem Martinstag (11. November) war der 25. Juli am Dom hierfür ein Haupttermin. Als Ablaßtermin war der 25. Juli in Vreden bekannt. Dort gewährte man 1488 jedem Gläubigen, der die Antoniuskapelle am Tag des heiligenJacobus besuchte, 100 Tage Ablaß 86 . Renten- und Almosenstiftungen erfolgten an diesem Tag in Wadersloh 87 und Warendorf8 8 • An St. Martini in Münster fand auf Jakobi die alljährliche Pfründenkornverteilung statt8 9• Dieser Brauch hängt wahrscheinlich zusammen mit der volkstümlichen Meinung, daß Jacobus "den Fruchtsegen bringt, weshalb man seinen Tag oder die Zeit um diesen als Beginn des ersten Kornschnittes wählte" 90 . Ebenfalls auf volkstümliche Vorstellungen, nach denen Jacobus als Brunnen- und Wasserheiliger verehrt wurde 91, dürfte die Segnung des Weihwassers, die "benedictio aquae", für den Dom zu Münster zurückzuführen sein. Sie fand auch noch im 16.Jahrhundert öffentlich amJakobstag und zwar in der Jakobikirche auf dem Domplatz statt 92 • In Bocholt galt der Jakobstag mit Einschluß der drei vorangehenden und der drei nachfolgenden Tage als Jahrmarkttermin 93, und in Werne feierte man an diesem Tag Kirmes 94 . 83 StAM Msc. I Nr. 69, f. 18'. 84 Vgl. W. KOHL(wie Anm. 60) S. 326. 85 Vgl. dazu: J.W. GREWE, Die Urkundendatierung nach dem münsterschen Festkalender, Westfälische Zeitschrift 96 (1940) S. 1-37. Insgesamt ist der 25. Juli 111-mal bezeugt, erstmals 1258 (ebd. S. 11). 86 Vgl. F. TENHAGEN, Gesammelte Abhandlungen zur Vredener Geschichte (Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Vredens und seiner Umgebung, Bd. 1, Vreden 1939) S. 131. 87 Vgl. F. H ELMERT (wie Anm . 69) S. 20. 88 Vgl. W . ZUHORN(wie Anm. 81) 5. 115. 89 Vgl. F. NIESERT(wie Anm. 22)_Bd. 7, S. 41lf. 90 A. WREDE, Art. "Jakobus der Altere", Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. von H . BÄCHTOLD-STÄUBLI (Berlin-New York 1987, unveränderter photomechanischer Nachdruck der Ausgaben von 1927-1942) Bd. 4, Sp. 620-629, hier Sp. 624. 91 Vgl. ebd. Sp. 622. 92 Vgl. W. KOHL(wie Anm. 65) S. 404. 93 Vgl. F. REIGERS , Beiträge zur Geschichte der Stadt Bocholt und ihrer Nachbarschaft (Bocholt 1891) S. 729. 94 Vgl. J.W . GREWE(wie Anm . 85) S. 18, Anm. 53. Das Datum ist hier allerdings mit einem Fragezeichen versehen . 141 <?page no="142"?> Spiritualität.indd 142 Spiritualität.indd 142 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Sicher war die Palette der volkstümlichen Jacobus-Verehrung noch weitaus umfangreicher als hier vorgestellt werden konnte . Vieles kann noch in den Archiven entdeckt werden, vieles ist aber auch nie irgendwo erwähnt worden und bleibt deshalb unbekannt. Was schließlich die Pilgerfreudigkeit der Münsterländer betrifft, standen dabei nicht die Fernwallfahrten im Vordergrund, sondern Prozessionen zu lokalen Heiligtümern fanden wesentlich größeren Anklang 95 • Die Nachrichten über Santiago-Wallfahrten sind spärlich. Den einzigen Hinweis auf eine Pilgerreise erhielt ich in einer Urkunde, die mit dem 4. März des Jahres 1500 datiert ist. Darin empfiehlt der Pfarrer der Kirche in Werne, Ludolf Hövel, sein Gemeindemitglied, einen gewissen Leonard up der Radbeke, allen Christgläubigen, da dieser zur Erfüllung eines Gelübdes ad limina beatiJacobipilgern will 96 • Zusammenfassend läßt sich folgendes Resümee ziehen : 1. Das Interesse an Jacobus als Kirchenpatron war relat iv gering. Man muß klar erkennen, daß die Jacobus-Verehrung, obwohl sie die Geistesströmung der Wallfahrt nach Santiago de Compostela reflektierte, keine so wichtige Rolle im Bistum Münster spielte, als daß sie sich in Form von Jacobus-Kirchen oder -Kapellen hätte exponieren können. Westfälische Lokalheilige kommen als Kirchenpatrone im he imatverbundenen Münster land wesentlich besser zum Zuge . Aber dennoch: Mit der ersten großen Blütezeit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela im 11. und 12. Jahrhundert gibt es auch im Bistum Münster erkennbare äußere Zeichen für eine gezielte Verehrung dieses Heiligen. Abgesehen von den unklaren Patrozinienverhältnissen im Falle der Kirchen von Winterswijk und Ennigerloh zeigt sich diese Verehrung besonders in den Jacobus-Kirchen von Coesfeld und Münster, deren Patrozinienvergabe eng mit der Person des Münsteraner Bischofs Hermann II. (1174-1203) verknüpft ist. Daß die Pilgertradition nach Santiago de Compostela bereits im 12. Jahrhundert im Bistum Münster bekannt war, beweist die Nachricht über die Wallfahrt eines unbekannten Armen in den Mirakelerzählungen der Liudgeri-Vita, welche zwischen 1169 und 1173 geschrieben worden sein dürfte. 95 Vgl. da zu: A. ScHRÖ ER (wie Anm. 40) und: ders., Die Kirch e in Westfalen im Zeichen der Erneuerung (1585-1648) 2 Bde. (Münster 1987) spe z. Bd. 2, S. 293ff. 96 Ge genwärtig e Signatur: StAM Fürstbistum Münster, Gerichte , Urk . 1500 Mär z 4. 142 <?page no="143"?> Spiritualität.indd 143 Spiritualität.indd 143 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 2. Das Interesse anJacobus als Altarpatron war lebhafter. Geht man von den bis heute nachweisbaren 15 Jacobus-Altären im Bistum Münster aus, so wird zumindest quantitativ ein solches Interesse sichtbar. Ursache dafür dürfte die volkstümliche Verehrung des Heiligen als Patron für die Sterbestunde sein, da die Stiftung von Altären im Mittelalter in erster Linie dem Wunsch nach Sicherung des Seelenheiles der Verstorbenen entsprang und an eben diesen Altären Messen für die Verstorbenen gelesen wurden. 3. Was die Reliquien betrifft, so sind vor allem im 17. Jahrhundert zahlreiche Nachrichten über vorhandene Jacobus-Reliquien belegt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die erste gesicherte Nachricht über einen Jacobus-Kult im Bistum Münster einem Reliquienverzeichnis von 1085 zu entnehmen ist. 4. Ergiebiger zeigt sich die Jacobus-Verehrung in den vielfältigen Formen der spätmittelalterlichen Volksfrömmigkeit. Von großer Aussagekraft sind die Jacobusdarstellungen auf den Epitaphien im Dom zu Münster sowie in Form einzelner Jacobus-Figuren. Hier wie dort nimmt der heilige Jacobus die Rolle des Fürsprechers und Mittlers ein, unter dessen Schutz sich die Betenden stellten . 5. Die intensivste Förderung des Jacobus-Kultes begegnet an St. Jakobi in Coesfeld. Das Vorhandensein einer Pilgerherberge zusammen mit einem besonderen Dienst an den Pilgern durch eine Jacobus-Bruderschaft ist soweit nachweisbar im Bistum Münster einzigartig. Auch in künstlerischer Hinsicht ist hier eine lebendige Jacobus-Tradition sichtbar. Weitere intensive Forschung wäre sicher lohnend. Spezielle Hochburgen der Jacobus-Verehrung sind außer in Coesfeld im allgemeinen nicht zu erkennen. Erwähnenswert ist vielleicht die Stadt Bocholt, in der es zwei Jacobus-Altäre, eine Jacobus-Gilde und einen Jahrmarkt am Jakobstag gab. In Münster befanden sich neben der Jakobikirche auf dem Domplatz bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts in fast allen großen StadtkirchenJacobus-Altäre. Wenn auch die schwierige Quellenlage eine detaillierte Darstellung der Rezeption des Jacobus-Kultes während des genannten Zeitraums (800- 1800) nur bedingt zuläßt, kann doch festgestellt werden, daß dieser Heilige in der Sakrallandschaft des Bistums Münster einen festen Platz 143 <?page no="144"?> Spiritualität.indd 144 Spiritualität.indd 144 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 innehatte, den er, ausgehend von einschneidenden Ereignissen im 12. Jahrhundert, noch bis weit in die nachreformatorische Zeit behielt. Resumen: En la di6cesis de Münster hay relativamente pocos patrocinios de Santiago. A pesar de ello con el primer apogeo de la peregrinaci6n a Santiago en los siglos XI y XII se pueden constatar en esta di6cesis claras seftales de un culto jacobeo. Prescindiendo de algunos patrocinios un tanto dudosos , como pudieran ser los de las iglesias de Santiago en Winterswijk y Ennigerloh, hay que resaltar que los patrocinios de Santiago en las iglesias de Coesfeld y Münster son una clara prueba del influjo del culto jacobeo y de la peregrinaci6n a Santiago en esta regi6n . En la difusi6n del culto jacobeo jug6 un papel especial el obispo de Münster Hermann II (1174-1203). La primera noticia segura sobre el culto de Santiago la encontramos en una lista de reliquias de finales del siglo XI o de comienzos del XII.La peregrinaci6n a Santiago es conocida en Münster todo mas tarde a partir del 1173. Tenemos noticias de 15 prebendas en altares dedicados a Santiago, y sabemos que en 10 distintos lugares de la di6cesis de Münster se veneraban reliquias de Santiago. Sobre todo en la baja edad media el 'santo de los peregrinos ' era objeto de una devoci6n popular muy difundida . De ello dan claro testimonio numerosos epitafios de la catedral de Münster y otras representaciones iconograficas de Santiago . Aunque la escasez de fuentes hacen muy dificil una detallada exposici6n de la recepci6n del culto jacobeo, se puede sin embargo afirmar que Santiago tuvo en el universo sagrado de esta di6cesis un lugar preponderante, que conserv6 desde los acontecimientos decisivos del siglo XII hasta la epoca de la post-reforma. 144 <?page no="145"?> Spiritualität.indd 145 Spiritualität.indd 145 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Register der Orts- und Personennamen bearbeitet von REGINA HOLZINGER In diesem Register sind neben dem Haupttext auch Namen aus Anmerkungen erfaßt, sofern es sich nicht um bibliographische Angaben handelt. Mittelalterliche Personen (bis Anfang 16. Jh.) werden unter dem Vornamen aufgeführt. Namen aus Quellenzitaten werden kursiv angegeben . Dabei wird auf das Hauptstichwort verwiesen. Ebenso werden alternative Schreibweisen aufgeführt. Namen, die mit Sankt, Santo, San etc. zusammengesetzt sind, erscheinen unter dem Hauptstichwort. Orte werden nur erläutert, wenn sie nicht im Duden, Wörterbuch geographischer Namen (Mannheim 1966) aufgeführt sind. Für Orte in Westfalen vgl. auch die Karte auf S. 135. Datenangaben bei weltlichen und geistlichen Amtsträgern beziehen sich auf die Regierungszeit, bei anderen Personen auf die Lebensdaten. Aachen 137 Aarau 85 Abraham, bibl. Gestalt 12, 108 Abrissei, s. Robert d' Abrissei Adam, bibl. Gestalt 108 S. Adrian, Paß im Baskenland 85 Afra, HI. (4. Jh.) 90 Afrika 60 Aguilar de Campos (Aguilar de Campoo), Ort bei Burgos 95 Ägypten 12 Ahaus 138 Alexander II. (Anselm von Lucca), Papst (1061-1073) 14 Alexander VI. (Rodrigo de Borgia), Papst (1492-1503)46 Alfons II., el Casto, König von Asturien (791-842) 95 Alfons X. der Weise, König von Kastilien-Le6n (1252-82)92 Alicante 84, 89, 97, 101 Aliva, Ort nördl. von Llanes in Asturien 96 Altötting 48, 85, 86, 99, 101 Ananda, Jünger Buddhas 107 Andechs 85, 86, 90, 101 Andreas, HI., 100 Anigeralo, s. Ennigerloh Anna, HI., Mutter Marias 54 Anno I., Bischof von Minden (1170- 1185) 133,134,136 Antonius, Einsiedler, HI. (251/ 52- 356) 28-30, 38, 141 Appelhülsen, s. Karte 139 Aquin, s. Thomas von Aquin Arborius, Präfekt 30, 35 Arenas 96 Arnold (von) Harff, Santiagopilger (1471-1505)50, 51, 65, 71, 73, 74 Asien 60 Assisi 41, 52 Astorga 84 Asturien 85 Athanasios, Kirchenvater, Verfasser der Vita des Antonius (ca. 295- 373) 29 Augsburg 55, 69, 70, 71, 85, 89, 90 Augustinerkirche in München 86 Augustinerkloster in Burgos 95 Augustinus, s. Aurelius Augustinus Aurelius Augustinus, HI., Kirchenlehrer (354-430) 117, 125 Bad Ischl 85 Barbastro 14 Barcelona 97 Bartolomeo Fontana, Rom- und Santiagopilger (15. Jh.) 53, 68, 69, 92 145 <?page no="146"?> Spiritualität.indd 146 Spiritualität.indd 146 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Bayern84 Bayonne 85, 101 Becket, s. Thomas Becket Beckum 138, 140 Berendt, Joachim Ernst, Jazzschriftsteller und Jazzproduzent (*1922) 115, 114 Bermont, Ort bei Domremy-la- Pucelle 55 Bernhard von Clairvaux, Kirchenlehrer, Abt (1115-1153)30, 64 Bethlehem 67 Beula,s. Boullon Biehl, s. Gabr iel Biehl Blasius, HI. (t ca. 316) 54 Bloch, Ernst, Philosoph (1885-1977) 113 Bocholt 138, 140, 141 Böhmen50 Bonifaz VIII. (Benedetto Gaetani), Papst (1294-1303)52f. Boris Godunow, Figur in einem Drama Puschkins 124 Boullon, (Beula), Ort 69 Brescia 86 Bristol (Bristowe)78 Bristowe,s. Bristol Brügge 70 Brunham, s. John Brunham Buddha (ca. 560-ca. 480 v. Chr .) 107 Burghausen 85 Burgkmair, Hans, Zeichner und Holzschnittentwerfer (1473-1531) 71 Burgos 85, 95, 101 Burgund 72 Byzanz47 Cabrales 96 Calixt II. (Guido von Vienne), Papst (1119-1124)62, 76 Calais (Callaiz)72 Callaiz,s. Callais Calycia,s. Galicien Caravaca, Ort in Asturien 84, S6, 95, 97-99, 101 Cebrero, Paß in Galicien 89 146 Chalcedon 119 Christus, s. Jesus Christus St. Clara, Kloster in Bocholt 138 Cluny 134 Coesfeld 132, 134, 136, 139, 140, 142- 144 Coromha,s. La Corufla 69 Covadonga, Marienheiligtum nördl. von Llanes in Asturien 85, 86, 96, 101 Damiani, s. Petrus Damiani Dänemark 137 Dartmouth 133 David, bibl. Gestalt 115 Day, Dorothy (1897-1980) 111 de Brion, Charles, Theologe (Anfang 18. Jh.) 80 de la Fosse, s. Eustache de la Fosse de Lessot, Jean, Priester, Theologe (17. Jh.) 80 de Muret, s. Etienne de Muret Dethlefsen, T. 104 Deutschland 85, 109 Santo Domingo de la Calzada, Ort östl. von Burgos 67, 85, 92, 101 Domremy-la-Pucelle 55 Dortmund 137 Dürckheim, Karlfried Graf (1896- 1990) 104 Dürer, Albrecht, Maler, Grafiker (1471-1528)56 Dusenbach, Ort bei Rappolsweiler 55 Eberhard, HI. 106 Eberhards-Klausen, Ort bei Trier, s. auch Klausen 105 Echternach 112 Eckhart (Meister E.), Mystiker (ca. 1260-1328) 109,118 St. Egidi 134 Ehingen, s. Georg von Ehingen Eifel 105 Einsiedeln, Kloster 85, 86, 94, 101 EI Ganso, Ort bei Astorga 84 Elsaß 47, 55 Elte, Ort südöstlich von Rheine 133 <?page no="147"?> Spiritualität.indd 147 Spiritualität.indd 147 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Emmaus 12, 13 England 37, 46, 47, Si, 70 Ennigerloh (Anigeralo)131, 136, 142, 144 Erasmus, Desiderius, Humanist (1466/ 69 -1536) 56 Erpho, Bischof von Münster (1085- 1097) 129 Espinama, Ort nördl. von Llanes in Asturien 96 Etienne de Muret , s. Stephan von Tiers Eton 75 Eulalia, HI. (t 304) 100 Europa 69 Eustache de la Posse, Kaufmann aus Tournai (Ende 15. Jh.) 70 Eva, bibl. Gestalt 108 Everswinkel 38 Fabri, s. Felix Fabri Fatima 120 Felix Fabri, Jerusalem- und Santiagopilger (15. Jh.) 46, 53, 55, 79, 80, 82 Ferdinand II. der Katholische, als F. V. König von Kastilien-Leon (1474-1516) 75 Ferreira (Ferreria), Ort in Lugo 70 finis terrae,s. Finisterre Finisterre (Kap Finisterre) (finis terrae)18, 68, 85, 92, 101, 111 Florenz 69 Fontana, s. Bartolomeo Fontana Franck, Sebastian, Theologe (1499- 1542/ 43) 66 Frankreich 47, 51, 85, 109 Franz von Assisi, s. Franziskus von Assisi Franz Wessel, Stralsunder Patrizier, Santiagopilger (Pilgerfahrt 1506) 46 Franziskus (Franz) von Assisi (Giovanni Bernardone), HI. (1181/ 82- 1226) 41, 123 Freckenhorst, Kloster 131 Friedburg, Ort in Oberösterreich 84 Friedrich Barbarossa, Kaiser (1152- 1190) 133,134,136 Friedrich, Caspar David, Maler (1774-1840) 110 Gabriel Biehl, Philosoph und Theologe (ca. 1410-1495) 51 Gabriel Tetzel, Nürnberger Patrizier, Begleiter des Leo von Rozmital, Verfasser eines Reiseberichts (15. Jh.) 50, 74 Galice, s. Galicien Galicien, (Calycia,Galizia,Galice,Galicien,Galizien) 25, 67, 70, 72, 92, 93 Galizia, s. Galicien Galizien, s. Galicien Gallien 36 St. Gallen 36, 85, 101 Gallus, HI. (ca. 560-ca. 640) 36 Genf 85,101 Genovefa, HI. (ca. 422-ca. 512) 31, 32 Genua 84, 86, 87, 90, 97, 101 Gerson, s. Johannes Gerson Georg von Ehingen, Ritter (15. Jh.) 17 St. Georg, Kirche in Bocholt, 138 Gertrud (von Nivelles), HI. (t 659) 34 Ghillebert de Lannoy, Santiago- und Orientreisender (1386-1462) 72 Golgatha, 55, 123 Golgotha, s. Golgatha Gorze, Reformkloster in Lothringen 134 Gravelingen (Gravelines, Gravelinghes) 72 Graz 84, 98, 101 Gregor 1.,der Große, Papst (590-604) 15 Gregor von Tours, Bischof, Geschichtsschreiber (538/ 539- 594) 25, 35 Gretser, Jacob, Jesuit (1562-1625)80, 93,98 Guillaume de Degulleville, Verfasser der "Pelerinage de Jesus-Christ " (ca. 1295-nach 1358) 56 Gunzinger, Christoph, Santiagopilger (1614-1673) 83-101 147 <?page no="148"?> Spiritualität.indd 148 Spiritualität.indd 148 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Haifa 67 Harff, s. Arnold (von) Harff Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Philosoph (1770-1831) 111 Heiliges Land, s. Palästina Heinrich VI., König von England (1422-1471) 75 Heinrich Toke, Theologe (ca . 1390nach 1455) 49 Herford 137 Hermann II., Bischof von Münster (1174-1203) 131-34, 136,142,144 Hermann Künig von Vach, Verfasser eines Pilgerführers (15. Jh.) 16, 72, 73,85 Hermannus, s. Hermann Künig von Vach Hernals, 17. Bezirk Wiens 84 Hieronymus, Hl., Kirchenlehrer (ca. 347-419) 34, 117 Hieronymus Münzer, s. Münzer, Hieronymus Hildegard von Bingen, Hl., Mystikerin (1098-1179) 114 Hispania,s. Spanien Holbein, Hans der Ältere, Maler und Zeichner (ca. 1465-1524) 55 Höxter 137 Hugo von Reims, Erzbischof (925- 932, 940-946) 17 Hülshof, Rittergut Ort bei Roxel 40 Hunaweiher, Ort bei Colmar 47 Hus, s. Johannes Hus Jerusalem, s. Jerusalem Ignatius von Loyola, Ordensstifter (1491-1556) 110 Ilsung, s. Sebastian Ilsung Indien 108 Ingolstadt 93 S. Ioannis Baptistae, Kirche in Genua 86 Irland 30, 32, 37 Isabella von Bayern, Frau von Karl VI. (1370-1435) 51 Ita, Hl. (t 570/ 77) 32 148 Italien 25, 43, 55, 70, 109 Sant Jacob,s. Jakobus der Ältere Jacobus, s. Jakobus der Ältere Jacobus ma ior, s. Jakobus der Ältere Jacobus minor , s. Jakobus der Jüngere Jacobus Zebedäus, s. Jakobus der Ältere St. Jacob, s. Santiago de Compostela Saint-Jacques, s. Santiago de Compostela Jakob, bibl. Gestalt 111 Jakobus der Ältere (maior,dermeirre, sant Jacob, Zebedäus),Hl., Apostel (1. Jh.) 13, 18-20, 46, 48, 51, 54, 56, 63, 66, 67-70, 73, 74, 76, 84, 91, 92- 95, 127-129, 131, 132, 134, 136-143 Jakobus der Jüngere (minor) , Apostel (1. Jh.) 18, 68 Javea, Ort bei Valencia 89 Jean de Tournai, Santiagopilger (1489 belegt) 52 Jeanne d' Are, Hl. (1410/ 12-1431) 55 Jerusalem (Jerusalem) 26, 46, 48, 54, 55, 66, 67, 74, 75, 77, 79, 80, 92, 108, 110, 115 Jesuitenkirche in München 86 Jesus Chr istus 7, 9, 13, 14, 25, 26, 32, 34,41,54,55 ,5 7,58 , 70,78,79 , 89- 91, 100, 109-111, 118-120, 122, 124, 125 Johann Othinger, Santiagopilger (1417 belegt) 61 Johannes, Evangelist 120, 113 Johannes Chrysostomos, Hl., Kirchenlehrer (344/ 54-407) 117 Johannes Gerson (Jean Charlier de Gerson), Kanzler der Sorbonne (1395-1397) 44, 56 Johannes Hus, tschech . Kirchenreformer (ca. 1370-1415) 49 Johannes vom Kreuz, span. Mystiker und Dichter (1542-1591) 109 Johannes von Capistran, Hl., Prediger (1386-1456) 49 St. Johannes Baptist, Kirche in Werne 138 <?page no="149"?> Spiritualität.indd 149 Spiritualität.indd 149 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 John Brunham, Bürgermeister von Lynn, Vater von Margery Kempe (14. Jh.) 77 Josef, s. Joseph Joseph, HI. 54, 90, 91, 93, 95, 101 Jung, C.G., Psychologe und Psychiater (1875-1961) 107 Jupiter, gr. Gott 69 Karl VI., König von Frankreich (1380-1422) 51 Kastilien 67, 75 Kempe, s. Margery Kempe King's Lynn 77 Klausen, Ort bei Trier, s. auch Eberhards-Klausen 106 Kompostell, s . Santiago de Compostela Konstanz 49, 134 Kraft, Adam, Bildhauer (ca. 1460- 1508/ 09) 55 Labre, Benedikt-Josef, HI. (1748-1783) 109, 112 La Corui\.a 69 St. Lamberti, Kirche in Münster 138 Langgässer, Elisabeth, Schriftstellerin (1899-1950) 112 Languedoc 43 Lannoy, s. Ghillebert de Lannoy Laon31 Lassota von Steblau, Erich, Verfasser einer Reisebeschreibung (16. Jh.) 92 Laurentij, s. S. Laurenzius S. Laurentius (Laurenti; ), Kirche in Genua86 Lausanne 85 LePuy53 Lebei\.a, Ort nördl. von Llanes in Asturien 96 Lengau 84 Leo von Rozmital, Santiagoreisender (15. Jh.) 50, 52, 66, 74 Le6n (Leywo) 67, 96 Leonard up der Radbeke, erwähnt in Urkunde aus Werne (Anfang 16. Jh.) 142 Leonhard, HI. (wohl 6. Jh.) 54 Leopold 1.,Kaiser (1658-1705)91 Leywo,s. Le6n Liebfrauen-Überwasser, Kloster in Münster 129, 138 Liesborn 138, 139 Lindau 85 Lippborg, s. Karte 138 Lissabon 70, 133 Liudger, Bischof von Münster (804- 809) 128,130,131,133,142 St. Liudgeri, Kirche in Münster 138 Llanes, Ort in Asturien 96 Loreto 54 70, 94 Lourdes 120 Loyola, s. Ignatius von Loyola Lubbe, Santiagopilger (*1400,Pilgerfahrt 1420) 56 Lucas Rem, Kaufmann, Reisender (16. Jh.) 69 Lucas van Leyden, holl . Maler und Graphiker (1494-1533)71 Lüdinghausen 139 Ludolf Hövel, Pfarrer in Werne (Anfang 16. Jh.) 142 Ludolf von Sachsen, Kartäuser, Verfasser der Vita Christi (ca. 1295/ 1300-1378) 45 Ludwig 1.,Bischof von Münster (1147-1173) 133 Luther, Martin, Reformator (1483- 1546) 117,122 Lynn, s. King's Lynn 77 Lyon 85,101 Madina, s. Medina del Campo Madrid 84, 95, 98, 101 Mailand 30, 84 Mainz 137 Margery Kempe, Pilgerin (15. Jh .) 52, 77-79 Maria, Mutter Jesu 34, 54-57, 68, 70, 73, 77, 85-88, 90, 92-94, 96, 97, 101, 106, 118 vgl. auch Liebfrauen, Nostra Signora Maria Altbronn, Ort bei Straßburg 47 149 <?page no="150"?> Spiritualität.indd 150 Spiritualität.indd 150 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Maria Rosa, Schwesternhaus in Ahlen 141 Mar iazell 85, 86, 87, 94, 101 Marienburg, Kartäuserkloster bei Weddern 56, 140 Marienfeld, Zisterzienserkloster bei Münster 138 Marienkirche in München 86 Marienthal-Niesing, Kloster bei Münster 138 Marineus, Lucas, Geschichtsschreiber (t 1537) 93 Markus , Evangelist 26 Marmoutiers, Ort bei Tours 29 Martin von Tours, HI. (316/ 17-397) 27, 29-33, 35, 38, 134, 141 Martinianus, Offizier 29 St. Martini, Kirche in Münster 138, 141 St. Mart ini, Kirche in Beckum 138 Mateo, Schöpfer des P6rtico de la Gloria in der Kathedrale von Santiago de Compostela (12. Jh.) 23 St. Mauritz, Kirche in Münster 138, 141 Medina del Campo (Madina)97 Mekka 108, 115 Memmingen 85 Metelen 138 Michael, Erzengel 47 Michel Zeiller, s. Zeiller, Michael Mindelhe im 87 Minden 133, 134, 136, 137 Mohammed , Begründer des Islam (ca. 570-632) 108 Monegundis , HI. (6. Jh.) 31-33 Mons Serratus, s. Montserrat Mont Saint-Michel 47, 49 Monte Sacro, Ort in Piemont 55 Montserrat (Mons Serratus),Benediktinerkloster 52, 97, 98 Mugia (Muxia) , Wallfahrtsort 85, 92, 100 München 85-87 Münster 127, 128, 130, 132-134, 136- 140, 142, 144 150 Münzer (Müntzer), Hieronymus, Nürnberger Ar zt, Santiagoreisender (Ende 15. Jh.) 50, 74 Mussorgskij, Modest Petrowitsch, russ. Komponist (1839-1881) 125 Muxia, s. Mugia Navarra (Navarre)72 Navarre,s. Navarra Nazareth 54, 119 Nicäa, s. Nizäa Niederlande 50 Nienborg, s. Karte 139 Nikolaus von Cues (Nikolaus Chryfftz ), Philosoph und Theol oge (1401-1464)49 Nikolaus (Cral) von Wachenheim, Rektor der Universität Heidelberg (erstmals 1436, letztmals 1472) 50 Nikolka, Figur aus Pu schkins Drama "Boris Godunow" 125 Nizäa 15 Nostra Signora della Misericord ia, Marienheiligtum bei Savona 87 Nürnberg 48, 55, 74 Oberthebais , Gebiet in Ägypten 29 Occam, s. Wilhelm von Occam Ödipus, gr . Sagengestalt 104, 113 Oeding, Ort bei Südlohn 136 Saint-Omer 72 Ortiguera 96 Osser, Rittergut bei Münster 140 Österreich 22, 88, 95, 99, 100 Othinger, s. Johann Othinger · Ottakring, 16. Bezirk Wiens 84 Oviedo 85, 86, 95, 100, 101 Paderborn 137 Padr6n (Patron), Wallfahrtsort 74, 85, 92 Palästina (Heiliges Land) 26, 46, 53- 56, 65, 80, 123 Pandetrave, Paß 96 Saint-Papoul , Ort östlich von Toulouse49 <?page no="151"?> Spiritualität.indd 151 Spiritualität.indd 151 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Paris 31, 51 Patron,s. Padr6n Paulus, HI. (1. Jh .) 26, 125 Pembes, Ort bei Llanes in Asturien 96 Petrarca, Francesco, ital. Dichter, Humanist (1304-1374) 23 Petrus, HI. (1. Jh.) 37, 100, 103 Petrus Damiani, HI., Kardinal (ca. 1007-1072) 109 Petrus Soybert, Bischof von St. Papoul (1427-1443) 49 Philipp Friedrich Graf Breuner, Bischof von Wien (1639-1669) 83 Philipp II. der Gute, Herzog von Burgund (1419-1467) 72 Piasca, Ort bei Llanes in Asturien 96 Picardie 17 Picos de Europa 96 Pietrelcina, Pio da, Mystiker (1887- 1968) 109 Plymouth 76 Poitou 17 Pontebba 83 Portugal 70, 72 Potes 96 Prag 99 Puertas, Ort bei Llanes in Asturien 96 Puschkin, Aleksandr Sergejewitsch, russ. Dichter (1799-1837) 124, 125 Radegundis, HI. (518-587) 34 Ravensburg 49 Reims 17 Rem, s. Lucas Rem Rhede 140 Rheinland 47 Riafto, Ort in Le6n 96 Rieter, s. Sebald Rieter Rimskij-Korssakow, Nikolaj Andrejewitsch, russ. Komponist (1844- 1908) 125 Robert d' Abrisse! , Prediger (1055/ 60- 1117) 41 Rohrup, s. Karte 138 Rom 18, 36, 37, 43, 46, 52, 53, 70, 80 Roxel, s. Karte 140 Rozmital, s. Leo von Rozmital Rudolf I. von Habsburg, König (1273- 1292) 88, 95 Rusticula, Äbtissin von Arles 32, 34 Sachsen45 Salazar, A. de, Verfasser einer Reisebeschreibung für Spanien (17. Jh.) 97 Salzburg83 Santiago de Compostela (Kompostell, Saint-Jacques, St. Jacob,Saint-Jacques, Seynt Iamys) 17-20, 23, 24, 46, 48,50-53,56,62,63-65,67,69, 70, 72, 73,75-80,82-86,91-95,97,98, 100,101,111,117,123,128, 130- 134, 136,137,140,142 Savona 86, 87 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Theologe und Philosoph (1768-1834) 8 Schongauer, Martin, Maler und Kupferstecher (ca. 1450-1491) 56 Schostakowitsch, Dmitrij Dmitrijewitsch, russ. Komponist (1906- 1975) 125 Schweiz 47, 101, 109 Sebald Rieter, Jerusalempilger, Patrizier aus Nürnberg (15. Jh .) 48 Sebastian Franck, s. Franck, Sebastian Sebastian Ilsung, Santiagopilger (15. Jh.) 67, 68 San Sebastian 85 Seleukia 27 Seynt Iamys, s. Santiago de Compostela Shakespeare, William, engl. Dramatiker (1564-1616) 125 Sigolena, HI. (7. Jh.) 34 Soest 137 Solothurn 85 Sotres, Ort bei Llanes in Asturien 96 Spanien (Hispania)19, 70, 84, 85, 88- 90, 98, 99,109 Stade 137 Steiermark 84, 85, 87, 94 Steiner, Rudolf, Begründer der Anthroposophie (1861-1925) 104 151 <?page no="152"?> Spiritualität.indd 152 Spiritualität.indd 152 21.09.22 16: 31 21.09.22 16: 31 Stephan von Thiers (Etienne de Muret), Hl., Ordensgründer (1048-1124)41 Stralsund 46, 137 Südlohn, Ort westl von Coesfeld 136 Sulpitius Severus, Kirchenschriftsteller (ca. 363-ca. 420) 29, 30 Taiwan 105 Tarragona 96 Tetzel, s. Gabriel Tetzel Thebais, s. Oberthebais Theben 113 Thekla, Hl. (1. Jh.) 27 Thomas, Apostel 116 Thomas a Kempis (Thomas Hemerken), Augustinerchorherr , Mystiker (1379/ 80-1471) 51, 64 Thomas von Aquin, Theologe und Philosoph (ca. 1225-1274)59, 64 Thomas Becket (Thomasde Cantorbye),Hl. (1118-1170)72 Thomasde Cantorbye, s. Thomas Becket Toke, s. Heinrich Toke Toledo97 Toribio, Hl. (5. Jh.) 96, 99 S. Toribio de Liebana , Benediktinerkloster 85, 95-97, 101 Toulouse 43, 69, 73, 85, 101 Tournai 70, 72 Tours 27, 31, 33, 134 Trient 87, 54 Trier 105, 124 Tripolis29 Trithemius, Benediktiner, Theologe (1462-1516)49 Tucholsky, Kurt, Schriftsteller (1890- 1935) 81, 82 Ulm79 Ulrich, Hl. (923-73) 90 Valencia 89 Vellern, s. Karte 139 152 Venedig 18, 53, 68, 83, 101 Veronika, Hl. 53 Villafranca del Bierzo (Vylle Francque)72 Villena, Ort in Alicante 97 Vivero, Ort in Lugo 70 Vreden 139, 141 VylleFrancque,s. Villafranca del Bierzo Wadersloh 139 Wachenheim, s. Nikolaus von Wachenheim Warendorf 140 Weber, Max, Volkswirtschaftler und Soziologe (1864-1920) 123 Weddern , Ort in Westfalen 140 Weil, Simone, frz . Philosophin (1909- 1043) 111 Weißer Berg, Ort bei Prag 99 Werne 138, 141 Wessel, Franz, s. Franz Wessel Westbevern 140 Wey, s. William Wey Wien 83, 94, 101 Wiener Neustadt 84, 85, 98, 101 Wilhelm von Occam, schott. Philosoph und Theologe (ca. 1285zw . 1347 und 1350) 44 William Wey, Santiagopilger (15. Jh.) 75,76 St. Willibrord, Kirche in Echternach 112 Wilsnack49 Windeshe im, Ort bei Zwolle 45 Winterswijk 130, 131, 136, 142, 144 Wittlich-Wengerohr 105 St. Wolfgang 85 Zaragoza 98 Zeiller, Michael, Verfasser einer Reisebeschreibung für Spanien und Portugal (1589-1661)97 Zeltingen, Eifel 106 Zürich85