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Jakobus und Karl der Große

Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin

1006
2003
978-3-8233-7018-5
978-3-8233-6018-6
Gunter Narr Verlag 
Klaus Herbers

Karl der Große und Jakobus gehören zweifelsohne zu den wichtigen Gestalten, auf die sich viele beziehen, die die Wurzeln des mittelalterlichen Europas ergründen wollen. Das Bild Karls und Jakobus` wurde in den Schriften des sogenannten Pseudo-Turpin im 12. Jahrhundert auf eine kunstvolle Art und Weise zusammengeschweißt. Der Band behandelt die innere Struktur dieses ausgesprochen erfolgreichen Textes des hohen Mittelalters, geht auf Überlieferungskontexte sowie auf Facetten seiner Verbreitung ein. Damit entsteht das Panorama der vielschichtigen Verbindungen zwischen Jakobus und Karl dem Großen. Aus dem Inhalt: K. Herbers, Zur Einführung: Jakobus und Karl der Große Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin, M. Tischer, Tatmensch oder Heidenapostel. Die Bilder Karls des Großen bei Einhard und im Pseudo-Turpin, R. Plötz, De hoc quod apostolus Karolo apparuit. Die Traumvision Karls des Großen: Eine typisch mittelalterliche Version?, U. Mölk, Der hl. Roland: Französisches Rolandslied und lateinischer Pseudo-Turpin im Vergleich, L. Vones, Die Kanonisation Karls des Großen 1165, die Aachener Karlsvita und der Pseudo-Turpin, J. Ehlers, Der Pseudo-Turpin in den Grandes Chroniques de France, N. Jaspert, Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien, V. Honemann, Der Pseudo-Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters, K. Herbers, Karl der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen, Bemerkungen zum Tagungsort: E. Soder von Güldenstubbe, St. Jakobus und Fulda.

<?page no="1"?> Jakobus und Karl der Große <?page no="2"?> Jakobus-Studien 14 im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Berbers und Robert Plötz <?page no="3"?> Jakobus und Karl der Große Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin herausgegeben von Klaus Berbers ~ Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb .ddb.de> abrufbar. © 2003 · A. Francke Verlag Tübingen Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Informationsdesign D. Fratzke, Kirchentellinsfurt Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0934-8611 ISBN 3-8233-6018-3 <?page no="5"?> Inhalt KLAUS HERBERS Zur Einführung: Jakobus und Karl der Großevon Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 o o o o o 0 0 0 o 0 o o o o o VII MATTHIAS TISCHLER Tatmensch oder Heidenapostel: Die Bilder Karls des Großen bei Einhart und im Pseudo-Turpin 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 ROBERT PLÖTZ De hoc quod apostolus Karolo apparuit Die Traumvision Karls des Großen: Eine typisch mittelalterliche Version? 0 o 0 o 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 39 ULRICH MöLK Der hl. Roland: Französisches Rolandslied und lateinischer Pseudo-Turpin im Vergleich 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 79 LUDWIG VONES Heiligsprechung und Tradition: Die Kanonisation Karls des Großen 1165, die Aachener Karlsvita und der Pseudo-Turpin 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 89 }OACHIM EHLERS Der Pseudo-Turpin in den Grandes Chroniques de France 0 0 0 0 0 o 0 107 NIKOLAS }ASPERT Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 0 0 o 121 VOLKER HONEMANN Der Pseudo-Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters o o o 161 KLAUS HERBERS Karl der Große und Santiago: Zwei europäische Mythen 0 0 0 0 o o o o 173 <?page no="6"?> VI Inhalt Bemerkungen zum Tagungsort ERIK SODER VON GüLD ENSTUBBE St. Jakobus und Fulda ... . .......... . . .. . . .............. .. . 195 Resumenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Register der Orts- und Personennamen ................... .. .. 227 <?page no="7"?> Zur Einführung Jakobus und Karl der Große -von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin KLAUS HERBERS Wohl kaum ein Text wie der Pseudo-Turpin hat die Vorstellungen von Jakobus und Karl dem Großen im Mittelalter beeinflußt. Diese Erzählung, die angeblich der Erzbischof Turpin von Reims aufgezeichnet hat, gehört mit zu den faszinierendsten aus dem hohen Mittelalter. Literarische Gestaltungen, Fiktionen, Anekdoten sind oft wirkmächtiger 1 als die vermeintlichen "Fakten" 2 . Auf dem Umschlag des hier vorgelegten Sammelbandes findet sich eine in Variationen häufig dargestellte Vision, die Jakobus und den karolingischen Karl zusammen zeigt. Eine dieser Darstellungen findet sich als Relief am Aachener Karlschrein, und selbst dem nicht vorbelasteten Besucher wird schnell.gewahr, welche Bedeutung der ApostelJakobus offensichtlich für den Kult eines Heiligen Karl im hohen Mittelalter gewonnen hatte. Die im sogenannten Pseudo-Turpin erzählte Vision, in der Jakobus den Herrscher dazu aufforderte, sein vergessenes Grab in Galicien zu besuchen und damit den Strom der Pilger auszulösen und gleichzeitig gegen die muslimischen Feinde auf der Iberischen Halbinsel zu kämpfen, gehört woh l mit zu den eindrückliebsten Schlüsseltexten. In den weiteren Kapiteln des sogenannten Pseudo- Turpin berichtet der Verfasser über den Zug Karls des Großen, über sei- I Vgl. die grundlegenden Erkenntnisse der Soziologen Max Weber und Emile Durkheim: Max W EBER, Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: D ERS ., Gesammelte Aufsä tz e zur Wissenschaftslehre (Tübingen 5. Auf! . 1982) s. 146- 214, s. 17Sff. und Emile D URKHEIM, Les formes elementaires de Ia vie religieuse (Paris 61968) S. 603f. Vgl. jetzt auch: Fortschritt durch Fälschungen. Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli, hg. von Wilfried HARTMANN/ Gerhard SCHMITZ (MGH Studien und Texte 31, Hannover 2002). 2 Vgl. hierzu hinsichtlich der Geschichtsschreibung nun den Band: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, hg. von Johannes LAUDAGE (Europäische Geschichtsdarstellungen 1, Köln 2003). <?page no="8"?> VIII Klaus Herbers ne Ausstattung der Kirche von Santiago, danach über seine Kämpfe gegen muslimische Gegner, über seine Bekehrungsgespräche und über die Niederlage in den Pyrenäen bei Roncesvalles, schließlich über den Tod Rolands und Karls sowie die Aufnahme unter die Märtyrer. Dies alles kann und soll an dieser Stelle nicht im einzelnen nacherzählt werden 3. Der Text, der an die Ereignisse des Spanienzuges Karls 778 anknüpft, diese aber sehr frei weiter ausgestaltet\ gehört nicht nur zu den spannendsten, sondern auch zu den wohl einflußreichsten Erzählungen des Mittelalters. Auch deshalb ist schon seit Forschergenerationen gestritten worden, denn die Geschichte ist für die Entstehung und Verbreitung epischer Dichtung, für den Kult und das Nachleben Karls sowie für Einfluß und Verbreitung des Jakobuskultes von hoher Bedeutung. Im sogenannten Jakobsbuch, im Liber Sancti Jacobi, nimmt diese Passage durchaus eine Sonderstellung einS, und man hat gefragt, ob nicht schon vor der Zusammenstellung dieses Sammelwerkes in Compostela (etwa um 1160) eine Art "Urform" des sogenannten Pseudo- Turpin existiert habe. Diese Ansicht konnte auch deshalb vertreten werden, weil das in der Thematik teilweise verwandte Rolandslied schon einige Jahrzehnte früher (teilweise wohl um 1100) schriftlich aufgezeichnet worden ist 6 . Wurde er vielleicht in Frankreich, gar in Saint-Denis konzipiert und verfaßtl? 3 Auch in deutscher Sprache ist der Text d er A achener Überlieferung nachzulesen b ei Hans-Wilhelm KLEIN, Die Chronik von Kar! d em Großen und Roland: der lateinische Pseudo-Turpin in den Handschriften aus Aachen und Andernach (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 13, München 1986). 4 Vgl. Klaus HERBERS, Kar! der Große und Spanien- Realität und Fiktion, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen. Eine Festschrift, hg. von Hans MüL LEJ ANS (Aachen-Mönchengladbach 1988) S. 47-55. 5 Vgl. Liber Sancti Jacobi, ed . Klaus H ERBE RS/ Manuel SANT OS N OIA (Santiago de Compostela 1998) S. 199-229. Dies wird allein an der Überlieferung auch als Einzelstück deutlich, vgl. hierzu Adalbe rt HÄM EL , Üb erlieferung und Bedeutung d es Liber Sancti Jacobi und des Pseudo-Turpin (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1950, 2, München 1950) (mit Liste der wichtigsten Handschriften) und ausführlicher D E RS., Los manuscritos latinos del falso Turpino, in: Estudios dedicados a Menendez Pidal4 (Madrid 1953) S. 67-85. 6 Vgl. die neueste Zusammenfassung zu diesem Thema Friedrich WOL FZETT E L, Traditionalismus innovativ: zu neueren Tendenzen der romanistischen Chansons de geste- Forschung, in: Chansons de geste in D eutschland. Schweinfurter Kolloquium 1988, hg. von Joachim H EI NZ LE (Wolfram-Studien 11, Berlin 1989) S. 9-31 (vgl. auch den Beitrag von Ulrich MöLK in diesem Band, S. 79-87. 7 Vgl. die Zusammenstellung verschiedener Argumente bei Klaus BERBERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der "Liber Sancti Jacobi" . Studien z um Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter (Historische Forschungen 7, Wiesbaden 1984) S. 35-47; Elizabeth BROWN, Saint-Denis and the Turpin Legend, in: The Codex C alixtinus and the Shrine of St. James, hg. von John WILLIAMS/ Alison S TONE S Qakobus-Studien 3, Tübingen 1992) S. 51 - 88. <?page no="9"?> Zur Einführung IX Seit dem 19. Jahrhundert wurde hauptsächlich zunächst von der romanistischen, später auch von der historischen und mittellateinischen Forschung um diesen Text gestritten. Den wichtigsten Auftakt bildete die gelehrte Abhandlung De Pseudo Turpino des Gaston Paris8. Später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entwarf Joseph Bedier9 eine groß angelegte Theorie zu allen epischen Dichtungen, die auch den Pseudo-Turpin einschloss. Er erklärte die Entstehung dieser Werke vor allen Dingen mit Austauschprozessen auf den Pilgerstraßen. Diese Diskussion bettete sich auch in die Frage ein, inwieweit Traditionen um Karl den Großen auf mündlichem oder schriftlichem Wege vom 8./ 9. Jahrhundert bis ins 11. Jahrhundert gelangten. Der neuste Stand zu diesen Streitfragen hat sich in diesem Zusammenhang ausgesprochen verfeinert und kann hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden10. Von historischer Seite gewann der Text in zweifacher Hinsicht besondere Bedeutung: Im Zusammenhang mit der Indienstnahme Karls des Großen sowohl in Deutschland als auch in Frankreichhier sind die Orte Saint-Denis und Aachen als besondere Erinnerungsorte zu nennen 11. Sowohl für die Heiligsprechung Karls des Großen 1165 als auch im Zusammenhang mit dem Erstarken der französischen Monarchie und der Bedeutung des Klosters Saint-Denis boten diverse Kapitel im Pseudo-Turpin wichtige Bezugspunkte 12 . Diese begründeten die weite- 8 G aston PAR IS , De Pseudo-Turpino (Paris 1865) der eine Einteilung in zwei Teile verfocht. Vgl. H erbers, Jakobuskult (wie Anm. 7) S. 125 . 9 Joseph BE DI E R, Les legendes epiques. Recherehes sur Ia formation des chansons de geste 4 (Paris 1926-1929); vgl. zum Werk Kurt KLO OKE, J. Bediers Thesen über den Ursprung der Chansons de geste und die daran anschließende Diskussion zwischen 1908 und 1968 (Göppingen 1972). 10 Vgl. zu den neuen Diskussionen den Beitrag in den Kongressakten von Marco PIC- C AT, Una nueva interpretacion de las miniaturas epicas del C odice Calixtino? Una prueba de Ia existencia de un codice gemelo? , i~: EI Pseudo-Turpfn (wie unten Anm. 18) S. 229 - 252; den Beitrag v on Ulrich Mö LK, unten S. 79-87 , W OLFZETTEL , Traditionalismus (wie Anm. 6) sowie Andrew TAY LOR, Was there a Song of Roland, Speculum 76 (2001) S. 28-65 . II Vgl. Les Lieux de memoire, hg. von Pierre Nora, 7 Bände (Paris 1984-1992). Vgl. die ersten Bände des vergleichbaren Werkes Deutsche Erinnerungsorte 1-3, hg. von Etienne FRA N<; : Ois/ Hagen SC HULZE (München 2001-2002). Vgl. jetzt auch auf Europa bezogen: Bernd S CH NE IDM Ü LL E R, Europäische Erinnerungsorte im Mittelalter, Jahrbuch für Europäische G eschichte 3 (2002) S. 39-58. 12 Vgl. hierzu beispielsweise Manfred G ROTEN, Die Urkunde Karls des Großen für Saint-Denis v on 813 (D 286), eine Fälschung Abt Sugers? , Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 108 (1988) S. 1-36; J oachim EHLE RS, Kontinuität und Tradition als Grundlage mittelalterlicher Nationsbildung in Fr ankreich, in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin KINTZINGER/ Bernd SCHNE IDMÜLLER (Berliner Historische Studien 21, Berlin 1996) S. 288-324 und nun zusammenfassend Max KERNER, Kar! der Große. Entschleierung eines My th o s (Köln/ Weimar/ Wien 2001), bes. S. 134-135 mit der wichtigsten Literat ur aufS. 136-138; vgl. auch besonders die Beiträge von VONES und EHL ERS in diesem BandS. 89 - 105 und 107 - 11 9. <?page no="10"?> X Klaus H erbers re Wirkungso in spätmittelalterlichen Chroniken oder Urkunden. Schließlich ergab sich ein dritter Gesichtspunkt aus der Perspektive der Kultgeschichte des hl. J akobus. Weil der lateinische Text schon allein durch die Aufnahme in das Jakobsbuch mit dem Kult des Apostels in Santiago verbunden wurde, mußte er auch für dashagiographische Dossier und die Kultpolitik Campostelas im 12. Jahrhundert eine Rolle spielen. Dabei ist insbesondere interessant, daß einzelne Passagen Bezüge zu anderen mit Compostela zusammenhängenden Zeugnissen 13 sowie ZU einzelnen Kapiteln des Pilgerführers, dem fünften Buch des bekannten Liber Sancti Jacobi 1 4, bieten. Die Lage der Forschung auch hinsichtlich der Entstehung des Liber Sancti Jacobi ist im Wesentlichen_ folgendermaßen zu resümieren: Neben Vertretern einer Abfassung in Frankreich oder großem massiven französischen Einfluß steht die Position einer weitgehenden Entstehung in Santiago de CompostelalS. Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage galt es auf zwei Veranstaltungen einerseits die Anregungen der neueren Forschung zu Fragen von Rezeption, Erinnerung, Mythos und Kultgeschichte 16 auf die Bezüge zwischen Karl dem Großen und Jakobus anzuwenden. Notwendig war dazu aber andererseits auch, die oftmals nur in Auswahl herangezogenen Kapitel des Pseudo-Turpin nach verschiedenen Gesichtspunkten zu interpretieren. Dieses Ziel verfolgten ein Kongreß in Santiago de Compostela im September 2001 und eine anschließende Tagung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft in Fulda (Oktober 2001). Die bisherige Diskussion bediente sich vielfach des Pseudo-Turpins als Steinbruch, 13 Vgl. beispielsweise Fernando L6PEZ ALSINA, La ciudad de Santiago de Compostela en Ia alta edad media (Santiago de Compostela 1988) S. 128 und 183f.; Klaus HERBERS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des "politischen Jakobus", in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen PETER SOHN (Vorträge und Forschungen 43, Sigmaringen 1994) S. 177- 275, bes. S. 229-233 zu St-Dionyser Zeugnissen, bes. auch 231f. mit Anm. 283-286. 14 Vgl. z.B. die N achweise bei Klaus H ER BER S, Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela (Tübingen 1986, 7 2001) S. 120-122 mit Anm. 96. 15 Vgl. pro Frankreich zuletzt v or allem: Andre MOIS AN, Le Iivre de Saint Jacques ou Codex Calixtinus de Compostelle. Etude critique et litteraire (Paris 1992); zugunsten Compostelas: Manuel C. Dl AZ Y DlAZ, EI c6dice Calixtino de Ia catedral de Santiago. Estudio codicol6gico y de contenido (Santiago de Compostela 1988), vgl. die Zwischenbilanz bei Klaus H E RB E RS, Lexikon des Mittelalters 5, Sp. 1948 (vgl. auch s. v. Pseudo-Turpin und Turpin) und DE RS. , Jakobsw eg (wie Anm. 14) S. 23-36. Jüngst: Santiago L6pez Martinez-Mords, Epica y camino de Santiago. En torno al Pseudo Turpfn, A Coruiia 2002, mit Forschungsbericht S. 17-33, der in den Ergebnissen auch zu Recht teilweise zu Ergebnissen von G . Paris (Anm. 8) zurückkehrt. 16 Hierzu zum Beispiel Max KE RN ER, Kar! der Grosse. Entschleierung eines M ythos. Köln/ Weimar/ Wien 2001 (mit weiterer Literatur, und meinen Beitrag Kar! der Großevom Vorbild zum My thos, in: My then in der Geschichte (im Dru ck) ebenfalls mit weiteren Liter aturangaben. <?page no="11"?> Zur Einführung XI denn oft wurden nur einzelne Passagen oder Aspekte dieses Textes herausgegriffen, um die jeweiligen Theorien zu untermauern oder zu belegen. Deshalb sind die Fragen nach dem Wer, Wo, Wann, Wie für die überlieferten Fassungen des Pseudo-Turpin, wie sie uns heute vorliegen, kaum angemessen zu beantworten. Überdies fehlt noch vielfach eine Interpretation der verschiedenen Kapitel des Pseudo-Turpin jenseits der Fragen nach Entstehungszeit, Entstehungsort und möglichem Autor 17 . Außerdem ist es an der Zeit, die Verbindung von Jakobus und Karl dem Großen, wie sie in vielen Kapiteln des Pseudo-Turpin, aber auch in anderen Passagen des Liber Sancti J acobi angelegt ist, in den verschiedenen Facetten zu untersuchen. Die wichtigsten Gesichtspunkte dieser Diskussion sind nun in diesem Band dokumentiert, jedoch sind die weiteren Beiträge des internationalen Kongresses (in spanischer Sprache) ergänzend heranzuziehen 18. Von den Diskussionen sowohl auf dem Kongreß in Santiago de Compostela wie auf der Tagung in Fulda sind besonders zwei für die Pseudo-Turpin-Forschung wichtige Ergebnisse hervorzuheben: Die Trennung des Pseudo-Turpin in zwei Teile (Kapitell-S) und die darauf folgenden Kapitel) erscheint dem Hintergrund der verschiedenen Vorrechte Campostelas in Kapitel 5 und 19 besonders deutlich und deutet auf Abfassungszeiten mit unterschiedlichen Ambitionen des Apostelsitzes (um 1095, um 1120ff.). Die Einflüsse aus Santiago de Compostela auf diverse Kapitel müssen entsprechend zum zweiten insgesamt wesentlich höher als in den meisten bisherigen Interpretationen veranschlagt werden. Dies gilt zumindest für die Textfassung, wie sie im Liher Sancti Jacobi überliefert ist. Sowohl die genannten Ortsnamen, die Einzelinterpretation bestimmter Kapitel als auch weitere Aspekte deuten darauf hin, daß ein (vielleicht aus Frankreich importierter) Text zumindest in hohem Maße in Santiago bearbeitet und den entsprechenden Bedürfnissen angepaßt wurde. Der Rückgriff auf karolingische Traditionen bedeutete in diesem Zusammenhang vor allem, das Gewicht der apostolischen sedes in Compostela zu unterstreichen. Wenn eine oder mehrere "Urformen" des Textes außerhalb Galiciens zunächst verfaßt worden sein sollten, dürften diese anschließend im Compostellaner Milieu in hohem Maße adaptiert und "rekontextualisiert" worden sein19. 17 Vgl. die resümierenden Forschungsberichte in den folgenden Beiträgen sowie die Orientierungen in Anm. 5. 18 EI Pseudo-Turpin. Lazo entre el culto jacobeo y el culto de Carlomagno, Actas del VI congreso internacional de estudios jacobeos, hg. von Klaus HERBERS (Santiago de Compostela 2003) (im Druck). 19 Vgl. zu diesem Prozeß von Kulturtransfer und Rekontextualisierung: Peter BURKE, Kultureller Austausch (Erbschaft unserer Zeit 8, Frankfurt am Main 2000): Seit dem 1. April1999 arbeitet das Graduiertenkolleg 516 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unter dieser thematischen Perspektive. Vgl. auch mit weite - <?page no="12"?> XII Klaus H erbers Einige Aufsätze des vorliegenden Bandes thematisieren diese Problematik. Deshalb seien die wichtigsten Untersuchungsfelder und die Ergebnisse der einzelnen Beiträge hier kurz hervorgehoben. Die ersten drei Aufsätze stellen eine Untersuchung und Interpretation des Textes selbst sowie dessen Überlieferungszusammenhang in den Vordergrund. Mattbias Tischler vergleicht in seinem Beitrag das Bild Karls des Großen in der fast noch zeitgenössischen Biographie Einhards (von 828? ) mit dem Bild im Pseudo-Turpin und stellt den Tatmenschen bei Einhard dem Heidenapostel im Pseudo-Turpin gegenüber. Wichtige Argumente für die Rezeption dieser doppelten Facette des Karlsbildes ergibt die Überlieferung und Rezeption im 12. und 13. Jahrhundert, die besonders seit Ende des 12. Jahrhunderts auch in Saint-Denis einsetzte. Die eingehende Untersuchung der Texttradition führt auch zu der Ansicht, daß gerade der Pseudo-Turpin vor allem ein Kampfmittel Campostelas gewesen sei und somit eher eine Compostellaner Haustradition darstelle. Karl ist Santiagapilger und HeidenaposteL Die verschiedenen Spannungsfelder, in denen dieser Text stehe, führten jedoch gleichzeitig zu den Orten Saint-Denis mit einer Tradition zur angeblichen Jerusalemfahrt des Kaisers (Descriptio) sowie nach Aachen, wo Karl1165 heilig gesprochen wurde. Vor dem Hintergrund der Überlieferung glaubt Tischler, daß in Aachen mit der Vita zur Heiligsprechung Karls des Großen so etwas wie ein "Hypertext" aus diesen verschiedenen Traditionen angelegt wurde. Im Anhang bietet der Verfasser eine neue Ausgabe des Vorwortes des Priors Geoffroi de Vigeois zu dess en Pseudo-Turpin Ausgabe (BHL 1601). Robert Plötz geht vom Eingangskapitel des Pseudo-Turpin aus und untersucht die Stellung und literarische Tradition der dort beschriebenen Vision sowie der weiteren Texte um Karl den Großen. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem Motiv des Sternenweges und der Milchstraße. Er stellt die mythologischen Traditionen zusammen und vermutet von diesen Ergebnissen ausgehend als Autor bzw. Bearbeiter des Pseudo-Turpin vielleicht einen normannischen Kleriker, der aber wahrscheinlich nach Compostela gekommen sei. Die in der Vision angesprochene Belohnung Karls des Großen für seine Mühen mit der Krone (des Martyriums) bringt er in den Zusammenhang der sogenannten Pilgerkrönung20. renHin weisen Klaus H E RB ERS: "Europäisierung" und "Afrika ni sierung" - Zu m Problem zweier wissenschaftlicher Konzepte und zu Fragen kulturellen Transfers, in: Espaiia y el "Sacro Imperio". Procesos de cambios, influencias y acciones redprocas en la epoca de la "Europeizaci6n" (Siglos XI-XIII), hg. von Julio VA LDE 6 N/ Klaus HERBERS/ Karl RUDOLF (Valladolid 2002) 11-31, S. 24-28. 20 Vgl. bereits zur Interpretation dieser ikonographischen Darstellung Robert PL6T Z, "Benedictio perarum et baculorum" und "coronatio peregrinorum". Beiträge zu der Ikonographie des hl. J acobus im deutschsprachigen Raum, in: Volkskultur und H ei- <?page no="13"?> Zur Einführung XIII Ulrich Mölk untersucht den Pseudo-Turpin in vergleichender Perspektive mit dem Rolandslied. In vier Schritten geht er erstens auf die Forschung, zweitens auf die Interpretation des epischen Geschehens vor dem Schlachtbeginn und der Schlacht in Roncesvalles sowie auf die Frage nach Schuld und Heiligkeit ein. Danach folgt, drittens, ein Blick auf Parallelversionen zumal im Pseudo-Turpin und abschließend eine Behandlung von Rolands Heiligkeit. Insbesondere zum Aspekt von Schuld und Heiligkeit trägt der Verfasser neue Aspekte bei und erschließt das Spannungsverhältnis beider Begriffe durch eine detaillierte und subtile Interpretation des Rolandliedes. Außerdem kann er zur liturgischen Verehrung Rolands in Compostela ab etwa 1130 neue Aspekte einbringen. Die weiteren Beiträge betonen eher wenn auch keinesfalls ausschließlichdie Wirkung des Pseudo-Turpin. Mit der Frage von Heiligkeit; insbesondere im Sacrum Imperium, knüpft Ludwig Vones an Mölks Überlegungen an, obwohl hier eher der Aachener Kultakt von 1165 im Vordergrund steht. Der Verfasser bestimmt das Spannungsfeld zwischen Aachen und Saint-Denis und zeigt zugleich, wie weit die Aachener Karlsvita von 1170 eine nachträgliche Rechtfertigung der Heiligsprechung darstellte. Vielleicht wurde sie sogar verfaßt, um die Heiligsprechung gegen laut gewordene Vorwürfe zu verteidigen. Damit führt Vones Interpretationen von Matthias Tischler weiter, der diese Vita ja als einen "Hypertext" ansieht 21 . Fragt man, woher eine Bedrohung des durch die Staufer eingerichteten Karlskultes gekommen sein könnte, so sei am ehesten an den welfischen Hof zu denken, wo der Pfaffe Konrad nach dem Vorbild der Chanson de Roland das deutsche Rolandslied dichtete. Bei allen diesen Konkurrenzen zwischen Staufern und Welfen darf aber nicht vergessen werden, daß der eigentliche Gewinner der Heiligsprechung 1165, Aachen und das dortige Marienstift gewesen ist. Von hier aus nahmen in der Folge auch weitere Texte und Abschriften ihren Ausgang. Kann Vones vor allen Dingen die Bedeutung und weitere Verwendung und Instrumentalisierung des Pseudo-Turpin im Sacrum Imperimat. FS Josef Dünninger, hg. von Dieter HARMENING/ Erich WIMMER (Würzburg 1986) S. 339-376; DERS., Jacobus Maior. Geistige Grundlagen und materielle Zeugnisse eines Kultes, in: Der Jakobuskult in Süddeutschland, hg. von Klaus H ER - BERS/ Dieter R. BAUER Qakobus-Sudien 7 Tübingen 1995) S. 171- 232. einen Zusammenhang dieser Krönungsszenen mit dem Pseudo-Turpin habe ich bereits in meinem Werk Klaus HERBERS, Wol auf sant Jacobs straßen! Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskultes in Süddeutschland (Ostfildern 2002) S. 53-55 näher begründet. 21 Vgl. zu diesen Facetten der Intertextualität Gerard GENETTE, Palimpsestes: La litterature au second degre (Paris 1982); zu den Konsequenzen in der hagiographischen Forschung vgl. Monique GOULLET/ Martin HEIN ZELMANN, Avant-propos, in: La Reecriture hagiographique dans l'Occident medieval. Transformations formelle et ideologique, hg. von DENS. (Beihefte der Francia 58, Stuttgart 2003) S. 1- 14. <?page no="14"?> XIV Klaus H erbers um genauer nachzeichnen, so geht es Joachim Ehlers um die Rezeption und Verwendung in Frankreich. Die frühesten, besonders durch flandrische Familien in Auftrag gegebenen Übersetzungen des Pseudo-Turpin können fast allesamt als Defensivmaßnahmen gegen das expandierende französische Königtum angesehen werden. Aber auch die Kapetinger selbst verwendeten den Text bzw. die im Pseudo-Turpin dargestellten Ereignisse, nachdem die Theorie vom sogenannten Reditus regni Franeorum ad stirpem Karoli entwickelt worden war. Damit war der Anschluß der Kapetinger an die Karolinger hergestellt, der in den sogenannten Grandes Chroniques weiter entfaltet wurde. Ehlers stellt hier die vier verschiedenen Redaktionsstufen und die jeweils anvisierten Empfänger vor. Insgesamt brachten die Erzählungen des Pseudo-Turpin, so ergibt sich zusammenfassend, Königtum und Aristokratie, fränkische Vergangenheit und französische Gegenwart zusammen. Damit stiftete der Pseudo-Turpin Identität für den politisch notwendigen Konsens. Ähnliche Identifizierungsprozesse stellt Nikolas Jaspert in einem breit angelegten Aufsatz für den katalanischen Raum vor. Ausgangspunkt ist die Frage, warum der aus Ripoll stammende Mönch Arnaldus de Monte diesen Text aus dem Liber SanctiJacobi samt anderen Auszügen schon relativ früh (1172/ 73) für sein Kloster kopierte. Diese Abschrift führt den Verfasser dazu, die Bedeutung des Klosters Ripoll als geistliches und geistiges Zentrum näher zu untersuchen. In diesem Kloster wurden insbesondere die für das katalanische Selbstverständnis wichtigen Gesta corniturn Barcinonensium verfaßt, die mit einem deutlichen Bezug zu Flandern hin einen neokarolingischen Gründungsmythos enthielten, der gleichzeitig die Abgrenzung und Absetzung Kataloniens von Westfranken/ Frankreich legitimierte. In dieser Geschichtsschreibung spielte aber auch die Kreuzfahrt und der Kreuzzugsgedanke eine besondere Rolle; hier ergaben sich gewisse inhaltliche Berührungspunkte mit dem zeitgleich verfaßten Pseudo-Turpin, denn Karl der Große erscheint nicht nur als Pilger, sondern vor allem als Kämpfer gegen die Muslime. Diese Parallelität unterstreicht die Überlieferung der Handschrift in Paris (Bibliotheque Nationale lat. 5132). Insofern belegt die von Jaspert vorgestellte Geschichtsschreibung des Klosters Ripoll eine Anhindung an die Karolinger und gleichzeitig eine Favorisierung des Kreuzungsgedanken, zwei Anliegen, die gleichzeitig im Pseudo-Turpin thematisiert werden (S. 25). Ein letzter kurzer Abschnitt gilt der Funktion Karls des Großen als Fundator in Katalonien und schließt mit einigen tradierten Geschichten sowie der einzigartigen Nationalhymne Andorras, die den karolingischen Herrscher immer wieder evoziert. Volker Honemann zeigt mit seinem Blick auf die Rezeption des Pseudo-Turpin in der deutschen Literatur, daß es bisher vielfach noch an <?page no="15"?> Zur Einführung XV Handschriftenbeschreibungen und textgeschichtlichen Untersuchungen des Pseudo-Turpin fehlt. Die insgesamt in Deutschland geringere Rezeption des Werkes untersucht er vor allen Dingen an der Kaiserchronik und am Rolandslied. Ohne diese Ergebnisse im einzelnen hier würdigen zu können, bleibt auf einer allgemeinen Ebene wichtig, daß die Rezeption in Deutschland zwar sehr früh einsetzte, aber im Vergleich zu anderen Volkssprachen, insbesondere den romanischen, als ausgesprochen dünn und mager zu bezeichnen ist. Klaus Herbers faßt in einem abschließenden Beitrag einige wesentliche Facetten zu den Mythen um Jakobus und Karl zusammen, unterscheidet dabei zunächst die frühen Iegendarischen Traditionen im 9. Jahrhundert, danach deren Erweiterung im hohen Mittelalter unter europäischen Aspekten sowie schließlich die speziellen Ausformungen eines sogenannten "Landespatronates" des Apostels im 12./ 13. Jahrhundert. Dem werden fünf Facetten zur Entwicklung des "mythischen" Karl entgegengestellt, die von Einhards Vita Karoli, über mündliche Traditionen und epische Entwicklungen bis zum Bild des heiligen Karl und des zwischen Frankreich und Deutschland umstrittenen Herrschers reichen. In einem abschließenden Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse der Tagung in einem systematischen Zugriff zusammengefaßt. Sie brauchen deshalb an dieser Stelle nicht mehr einzeln vorgestellt werden22. Unter allgemeinen Gesichtspunkten zeigen die verschiedenen Beiträge, daß die Verbindung zwischen Karl dem Großen und Jakobus in einer Zeit Gestalt annahm, als die Iberische Halbinsel, aber auch Mitteleuropa von großen Umgestaltungen betroffen war. Auch die Indienstuahme in der Rezeption gestaltete sich oft in Zeiten der Krise und der Suche nach Legitimation. Damit schließt sich ein Kreis, und es ist künftigen Forschungen vorbehalten, Text- und Überlieferungsgeschichte des Pseudo-Turpin weiter zu untersuchen, denn vor allen Dingen in diesem Bereich dürften für die Verbreitung dieser historisch so folgenreichen Verbindung zwischen Karl dem Großen und Jakobus noch weitere Präzisierungen und Ergebnisse möglich sein2 3. Jedoch wird in mehreren Beiträgen deutlich, wie verschiedene Formen des Geschichtsbewußtseins24 an unterschiedlichen Orten dazu führten, den Text zu rezipieren, diesen aber zugleich in neue Kontexte einzupassen, sei es in Compostela, Staint-Denis oder in Aachen. Damit wird aber auch die Suche nach ei- 22 Vgl.AbschnittV,untenS .1 88-193. 23 Der Beitrag von Erik SODER VON GüLDENSTUBBE wird hier nicht im einzelnen vorgestellt, weil er vor allen Dingen auf die Traditionen des Tagungsortes Fulda eingehen sollte. 24 Vgl. hierzu Hans-Werner GO ETZ , Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis, Vorstellungswelten des Mittelalters 1, Berlin 1999); Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein im Spiegel nichthistoriegraphischer Quellen, hg. von DEMS. (Berlin 1998). <?page no="16"?> XVI Klaus H erbers nem "Urturpin" zum Teil obsolet, denn die vermeintliche Erzählung des Erzbischofs Turpin wird vor allem in seinen verschiedenen Stufen und Anpassungen ein Zeugnis für den sogenannten kulturellen Transfer25. Die verschiedenen Verwendungen zeigen zugleich, wie jeweils gegenwärtige Bedürfnisse und Vorstellungen gleichzeitig die Erinnerung an die Vergangenheit2 6, an Karl den Großen und Jakobus sowie an deren Zusammenwirken bestimmten. Vor diesem Hintergrund scheinen beide Personen bei der Verwendung eines "weiten" Mythenbegriffs gleichsam mythisch überhöht 27 und sich teilweise gegenseitig zu bedingen. Am Ende der Einführung ist es mir ein Anliegen, allen denen zu danken, die zum Abschluß des Bandes beigetragen haben: zunächst den Autoren, die für die Jakobus-Studien ihren Beitrag zur Verfügung gestellt haben, Frau stud. phil. Verena Mross und Herrn Dr. Nikolas Jaspert für die Revision der eingereichten Texte, die Korrekturen und für die Anfertigung des Registers, schließlich Frau MonikaJunghans für ihre Unterstützung im Sekretariat des Lehrstuhls. Die schon traditionellen spanischen resumenes der Reihe finden sich aus redaktionellen Gründen diesmal am Ende aller Beiträge, auch hier sei Dr. Nikolas Jaspert für die Durchsicht gedankt. 25 Vgl. hierzu oben Anm. 19. 26 Medieval Concepts of the Past. Ritual, Memory, Historiography, hg. von Gerd ALT- HOFF / Johannes FRIED/ PatrickJ. GEARY (Cambridge 2002) Johannes FRIED, Erinnerung und Vergessen. Die Gegenwart stiftet die Einheit der Vergangenheit, Historische Zeitschrift 273 (2001) S. 561-593 . 27 Vgl. meinen Beitrag, unten S. 173-193. <?page no="17"?> Tatmensch oder Heidenapostel Die Bilder Karls des Großen bei Einhart und im Pseudo-Turpin 1 MATIHIAS TISCHLER Der literaturwissenschaftliche Vergleich verschiedener mittelalterlicher Karlstexte, den ich auf den folgenden Seiten vornehmen möchte, ist keine künstliche Versuchsanordnung im Labor des heutigen Literatur- und Geschichtswissenschaftlers. Vielmehr ist die Zusammenbzw. Gegenüberstellung von früh- und hochmittelalterlichen Texten zu Karl dem Großen schon im Entstehungsjahrhundert des sogenannten Pseudo- Turpin, dem 12. Jahrhundert, nachweisbar, und wir werden sehen, wie wichtig die genaue Untersuchung dieser Überlieferungszusammenhänge ist. Die Interpretation von literarischen Werken des Mittelalters hängt ja ganz anders als die der modernen Literatur von der Beachtung des originalen handschriftlichen Überlieferungskontextes und jüngerer Traditionszusammenhänge ab, da viele mittelalterliche Texte nur im kontextualen Miteinander greifbar sind. Hinzu kommt das Problem, daß man oft erst mit großem Aufwand die älteste oder älteste erhaltene Fassung eines Textes bestimmen muß, um zur originalen Gestalt eines Werkes vorzudringen. Tatsächlich ist auch in dem sogenannten Codex Calixtinus von Santiago de Compostela aus dem 3. Viertel des 12. Jahrhunderts (Santiago de Compostela, Archivo de la Catedral, s. n.), in dem die Karlslegende des Pseudo-Turpin erstmals überliefert wird, ihre älteste Entwicklungsstufe aufgrundpartieller Überarbeitungen nur mit Einschränkungen greifbar. Immerhin spiegelt das Modell, nach welchem die einzelnen, nach Alter, Entstehung und Herkunft durchaus disparaten Textkomponenten des Codex Calixtinus inhaltlich wie chronologisch- I Der Aufsatz ist eine überarbeitete, mit Anmerkungen versehene Fassung meines Vortragsmanuskripts, das ich in Santiago de Compostela am 14. September 2001 und in leicht verkürzter Form in Fulda am 13. Oktober 2001 verlesen habe. Der Rededuktus wurde weitestgehend beibehalten. Ich habe nahezu gänzlich auf die Zitierung von Sekundärliteratur verzichtet. Nachgewiesen sind Handschriften und gedruckte Quellen. <?page no="18"?> 2 Mattbias Tischler genetisch aufeinander abgestimmt sind und ausnahmslos den Hl. Jakobus als Bezugspunkt haben 2 , auch im Hinblick auf die Intention des Pseudo-Turpin vielleicht den originalen, sicher aber den ältesten erkennbaren Kontext wider. Als viertes Buch des Codex Calixtinus bildet der Pseudo-Turpin das Schlußstück der teilweise chronologisch angeordneten historischen Jakobusbücher II-IV, die von einem zeitlosen liturgischkultischen Rahmen, bestehend aus Buch P, einem Messlektionar mit Hornelien und Sermones, einem Antiphonar, einem Missale und einem Tropar zu den verschiedenenJakobusfesten, und Buch V\ dem bekannten Pilgerführer, umschlossen werden. Der historische Kern des Codex Calixtinus beschreibt in Buch II 5 mit den zur Offiziumslektüre bestimmten 22 J akobusmirakeln, in Buch III6 mit den beiden Erzählungen der Translation des Hl. Jakobus von Jerusalem nach Santiaga de Compostela und in Buch IV mit der Ätiologie des in Compostela entstandenen Jakobuskultes den Entwicklungsgang der Jakobuspilgerschafrl, zu deren praktischer Umsetzung der Pilgerführer als Buch V folgt. Neben der Frage nach der ältesten Fassung eines mittelalterlichen Textes ist oft auch die Frage nach dem Autor und dem situationsbedingten Entstehungskontext nur ungenügend beantwortet worden. Tatsächlich ist die Forschungslage bei den beiden Karlstexten, die ich hier gegenüberstellen möchte, recht unterschiedlich. Während die Textgeschichte der karolingischen Karlsvita8 inzwischen weitestgehend geklärt 2 Auf fol. 1r der Handschrift heißt es geradezu programmatisch: Ex re signatur Iacobus liber iste vocatur. 3 Fol. 1r-139v; Liber SanctiJacobi. Codex Calixtinus, hg. von Klaus HERBERS/ Manuel SANTOS NOIA (Santiago de Compostela 1998) S. 7-154. 4 Fol. 192r-213v; hg. von Jeanne VIELLIARD, Le Guide du Pelerin de Saint-Jacques de Campostelle (Paris 5 1990) S. [1]-124; Paula GERSON ! Jeanne KROCHALIS / Alison STO- NE S, The Pilgrim's Guide to Santiago de Compostela 2 (London 1998) S. 10-90; Liher Sancti Jacobi (wie Anm. 3) S. 235-258. 5 Fol.140r- 155v; LiberSanctiJacobi(wieAnm.3)S.159- 177. 6 Fol. 155v-162r; Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 3) S. 185-191. 7 Fol. 162V-191V; hg. von Adalbert HÄMEL (t), Der Pseudo-Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Andre de Mandach (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1965, 1, München 1965) S. 37-102; Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 3) S. 199-2-29; Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus Liber IV, hg. von der Xunta de Galicia (Santiago de Com postela 2001) S. 11-61. Alle Pseudo-Turpin-Zitate erfolgen nach der Ausgabe von Adalbert HÄME L, bei der freilich aufS. 43 die Zeilenzählung um "5" zu hoch, aufS. 45 die Ziffer "175" und damit die weitere Zählung um eine Zeile nach oben verrutscht ist, während aufS. 63 die Ziffer "750" und damit die ganze folgende Zählung eine Zeile zu tief gerutscht ist. AufS. 83 ist der Zeilenspiegel um "5" zu niedrig und aufS. 90 die Ziffer "1580" und die folgende Zählung eine Zeile zu tief geraten. Um Verwechslungen zu vermeiden, wurde die irrige Zählung aber beibehalten. 8 Die Zitate der Vita Karoli erfolgen nach der Ausgabe MGH SS rer. Germ. [25] (Hannover 1911) S. 1-41. <?page no="19"?> Tatmensch oder Heidenapostel 3 sein dürfte, ist es nach wir vor vonnöten, in die Entstehungsgeschichte des hochmittelalterlichen Karlstextes weiteres Licht zu bringen 9. Freilich dürfen wir die Probleme, die der angedeutete Vergleich aufwirft, nicht außer acht lassen. Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der äußeren Form der Texte: Im Gegensatz zu Einharts Vita Karoli, einer allein auf den Herrscher konzentrierten Einzelbiographie, ist der Text des Pseudo-Turpin eine Doppelbiographie von Kaiser Karl und seinem Helden Roland. Karls Paladin taucht schon (nach zwei kurzen Erwähnungen in c. 8 und 1110) in c. 17 des 1. Buches auf, nachdem der Zweikampf zwischen ihm und dem Riesen Ferracutuseine spanische David und Goliath-Geschichtezunächst stets zugunsten des Giganten ausgeht11. Das 2. Buch des Pseudo-Turpin ist dann zu größeren Teilen Roland gewidmet. Problematisch erscheint auch der Vergleichzweier verschiedener literarischer Genres, ihrer Karlsbilder und der davon angesprochenen unterschiedlichen Leser- oder Hörerkreise. Während Einhart sein Karlsleben als paränetischen Beitrag zur Auseinandersetzung um das karolingische Kaisertum und die rechte fränkische Herrschaftsform in der Zeit Ludwigs des Frommen betrachteteauch wenn das Werk später zumeist als authentische Geschichtsquelle mißverstanden worden ist 12 -, 9 Es steht außer Frage, daß die umfassende kritische Entstehungs-, Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte des Pseudo-Turpin (wie die des noch zu nennenden Aachener Karlslebens) ein wesentliches Desiderat der Erforschung mittelalterlicher Karlstexte ist. 10 dux Milo, Rotolandi genitor (c. 8 S. 49 Z. 294) und Rotholandus dux exercituum, comes Cenomanennsis et Blavii domnus, nepos Karoli, filius ducis Milonis de Angleris, natus Bertae sororis Karoli, cum IIII milibus virorum belfatarum (c. 11 S. 53 Z . 424-427). 11 c. 17 S. 61 Z. 690- S. 64 Z. 779 und S. 66 Z. 861- S. 67 Z. 883. 12 Dies läßt sich aus den noch erhaltenen Kontextüberlieferungen der Vita Karoli ablesen - Herrscherspiegel in Biographieform: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Reg. lat. 339, 867 (? ) und Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod . 323 (1065), 9./ 10. Jahrhundert oder 1. Viertel des 10. Jahrhunderts; Vita mit Memorialcharakter: Handschriften der karolingischen Neuausgabe der Vita Karoli durch Walafrid Strabo, bald nach 840, nur in späten Codices überliefert: Zürich, Zentralbibliothek, C 363, 1480-1490; Kopenhagen, Universitetsbiblioteket, AM. 830 4°, um 1496; Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 468, 1497 und München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 28511, um 1500; karolingisches Kaiserdiptychon aus Einharts Vita Karoli und der Vita Hludowici des Astronomus, bald nach 840: St. Petersburg, Publicnaja Biblioteka M. E. Saltykova Scedrina, Ms.lat. F. v. IV. 4, 1. Drittel des 10. Jahrhunderts, und Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 529, Mitte des 10.Jahrhunderts, vielleicht 948; Herrschervita als Appendix zu einem Rechtscodex: Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 10758, frühestens 877, und Ms. lat. 4628 A, 10./ 11. Jahrhundert; Geschichtskompendien zu Kar! dem Großen seit dem 9. Jahrhundert: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 473, um 859, Montpellier, Bibliotheque de l'Ecole de Medecine, Ms. 360, 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts, und Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Co d. 510, letztes Viertel des 10. Jahrhunderts. <?page no="20"?> 4 Mattbias Tischler gehört die Karlslegende des Pseudo-Turpin in das Umfeld der zeitgenössischen epischen Dichtungen um Karl den Großen, ohne aber selbst eine solche zu sein. Die frühmittelalterliche Karlsbiographie mit der hochmittelalterlichen Karlsfiktion zu vergleichen heißt für uns heute, zwei gänzlich verschiedene biographische Konzepte und Erzählperspektiven gegenüberzustellen. Während Einhart ein umfassendes Lebensbild des Tatmenschen Karl entwirft, dessen gesamtes Denken und Handeln von der zentralen antiken Tugend des angeborenen Großmuts (magnanimitas, magnitudo animi, animositas) und ihren konstitutiven Eigenschaften Standhaftigkeit (constantia) und Geduld (patientia) bestimmt wird13, entfaltet der Pseudo-Turpin ein auf das Bild des christlichen Herrschers als Heidenapostel fokussiertes biographisches Programm in allen seinen Schattierungen. Diese unterschiedlichen Entwürfe erklären sich aus den gegensätzlichen Rezeptionsmodellen der Texte. Während der erste Adressat der karolingischen Karlsvita allein Ludwig der Fromme, der Sohn des Biographierten als Nachfolger in der Kaiserwürde, ist 14 und Einharts Lebensbeschreibung einen bedeutenden Beitrag zur Reform des in die Krise geratenen ludowizianischen Kaisertums darstellt, ist die Zielgruppe des hochmittelalterlichen Karlstextes vielmehr die Gesamtheit der Domkanoniker von Compostela sowie der von ihnen betreuten Santiagapilger und Kreuzzugsfahrer in Spanien. Dies liefert eine Erklärung dafür, warum die in einer antikisch orientierten Herrscherbiographie unüblichen moralisierenden Passagen in Einharts Vita Karoli fehlen, während sie im Karlstext des Pseudo-Turpin im 13 Kar! zeichnet seine Beständigkeit in allen Lebenslagen aus: Nam rex, omnium qui sua aetate gentibus dominabantur, et prudentia maximus et animi magnitudine praestantissimus (c. 8 S. 11 Z. 20-22); nec in adversis ... nec in prosperis ... solebat (ebenda Z . 26-28); cuius animi dotes et summam in qualicumque et prospero et adverso eventu constantiam ... dicere exordiar (c. 18 S. 21 Z. 20-24); er bezwingt die Unzuverlässigkeit der Sachsen: Sed magnanimitas regis acperpetua tam in adversis quam in prosperis mentis constantia nulla eorum mutabilitate vel v inci paterat v el ab his quae agere coeperat defatigari (c. 7 S. 10 Z. 12-15); die Halsstarrigkeit des Bayernherzogs Tassilo kann er nicht ertragen: Cuius contumaciam, quia nimia videbatur, animositas regis ferre nequiverat (c. 11 S. 14 Z. 10f.); er überwindet den Neid der byzantinischen Kaiser ob des erlangten Kaisertitels, ebenso deren Stolz: lnvidiam tarnen suscepti nominis, Romanis imperatoribus super hoc indignantibus, magna tulit patientia. Vicitque eorum contumaciam magnanimitate, qua e is procul dubio Longe praestantior erat (c. 28 S. 32 Z. 26-29); er erträgt mit mehr oder weniger großer Geduld den Tod seiner Kinder: Mortes filiorum ac filiae pro magnanimitate, qua excellebat, minus patienter tulit, pietate videlicet, qua non minus insignis erat, conpulsus ad lacrimas (c. 19 S. 24 Z. 12-14), und die manchmal überschwere Bürde der Gastfreundschaft: Ipse tarnen prae magnitudine animi huiuscemodi pondere minime gravabatur (c. 21 S. 26 Z. 15f.). 14 Dies ergibt sich aus der sogenannten Widmungsfassung der Vita Karoli von vermutlich 828. Die Handschriften dieser Redaktionstufe enthalten am Schluß des Textes ein Widmungsgedicht des Hofbibliothekars Gerward, das an Kaiser Ludwig den Frommen gerichtet ist (MGH SS rer. Germ. [25], [Hannover 1911,] S. XXIX Z. 24-29) . <?page no="21"?> Tatmensch oder Heidenapostel 5 Sinne der zeitgenössischen "hagiographischen Exegesecc der christlichen Unterweisung der Hörer oder Leser des Textes dienen. Entsprechend richten diese Auslegungen ihr Augenmerk auf den Armendienst und die Stiftertätigkeit der Santiagaverehrer einerseits 15 und auf die Rechtgläubigkeit und Glaubensstärke der Kreuzzugsfahrer andererseits 16 . Mehr als gewagt scheint es schließlich zu sein, einen mehr oder weniger authentischen zeitnahen Karlstext mit einer hochmittelalterlichen17 Karlsfiktion 18 und das Zeugnis eines zeitgenössischen, stammes- 15 Vgl. c. 7 S. 47 Z. 224- S. 48 Z. 257 (Moral: S. 47 Z. 255- S. 48 Z. 257): Bei falscher Verwendung von Almosen eines Verstorbenen droht die ewige Verdammnis; c. 13 S. 57 Z. 565- S. 59 Z. 615 (Moral: S. 58 Z. 600- S. 59 Z. 615): Armendienst ist für einen getauften Christen eine wesentliche Aufgabe. Ein Glaube ohne gute Werke ist tot; c. 32 S. 93 Z. 1680-1686 und S. 94 Z. 1723-1726 (Moral: S. 94 Z. 1723-1726): Wer eine Kirche stiftet, erwirbt sich das Himmelreich. 16 Vgl. c. 8 S. 48 Z. 258- S. 50 Z. 322 (Moral: S. 49 Z. 306- S. 50 Z. 322): Die Schlachtordnung, die Vorbereitungen hierzu und die blühenden Lanzen seien Symbole für den Kampf der Streiter Christi um ihr Heil, für die moralische Festigung und für das Heil beim Jüngsten Gericht; vgl. c. 12 S. 57 Z. 548-555; c. 14 S. 59 Z. 616- S. 60 Z. 649 (Moral: S. 59 Z. 643 - S. 60 Z. 649): Die Christen siegen in der Entscheidungsschlacht zwischen Karl und Aigoland, weil die lex christiana wegen ihrer bonitas alle anderen Glaubensrichtungen und -gesetze übertrifft. Jeder Christ wird dazu aufgefordert, den Glauben zu bewahren und gute Taten zu tun. Dann werde er in den Himmel erhöht; c. 15 S. 60 Z. 652-670 (Moral: S. 60 Z. 661-670): Die christlichen Leichenfledderer werden von Almanzor und den Sarazenen aufgelauert und getötet. Sie seien wie Rückfällige, die zu ihren alten vicia zurückkehren; c. 16 S. 60 Z. 671- S. 61 Z. 688 (Moral: S. 61 Z. 686-688): Auch ein bedeutender Mensch wie Karl kann Gottes Ratschluß nicht aufhalten. Nach der Schlacht mit dem Fürsten Furra von Navarra findet Karl die Ritter, die er sich von Gott zuvor als Gefallene zeigen ließ und die er zurückhielt, dennoch tot vor; c. 21 S. 74 Z. 1082- S. 76 Z. 1163 (Moral: S. 75 Z. 1140- S. 76 Z. 1163): Gott behandelt Sünder wie Gerechte gleich. Der Tod der Ehebrecher und Säufer in der Schlacht tilgt deren Schuld, der Tod der Gerechten hindert diese daran, in ihrer Heimat Sünden zu begehen. Männer, die in die Schlacht ziehen, sollen keine Ehefrauen oder andere Frauen haben, da sie eine Belastung für Seele und Körper seien. 17 Ein Hinweis darauf, daß der Autor erst im Hochmittelalter lebt, ist die Kenntnis einer Saint-Deniser Chronistik, die vor dem 12. Jahrhundert nicht existiert. Auch seine Dedikation an einen (fiktiven) Aachener Dekan, Träger eines Amtes, das erst seit dem späten 11. Jahrhundert nachweisbar ist, deutet auf das jüngere Alter des Textes hin. Man wies zudem auf den erst seit dem späten 11. Jahrhundert in Frankreich zweifelsfrei nachweisbaren Brauch der Festkrönungen hin, der der Schilderung des vierfachen spanischen Hoftages Karls des Großen in c. 20 (S. 72 Z. 1052-1055) zugrunde liegt, doch ist c. 20 ein jüngerer Zusatz zur Karlslegende des Pseudo-Turpin. 18 Hier ist auf folgende Merkmale hinzuweisen: Der Text schildert, qualiter imperator noster Jamosissimus Karalus magnus tellurem yspanicam et gallecianam a potestate Sarracenorum liberavit (Prolog S. 37 Z. 13f.). Die Wendung imperator noster wird noch zweimal verwendet (c. 18 S. 67 Z. 886 und ebendaS. 69 Z. 943). Der Pseudo- Turpin nennt das Heer Karls des Großen exercitus noster (c. 7 S. 47 Z. 251; c. 18 S. 68 Z. 908, 92lf. und ebendaS. 69 Z. 950), dessen Soldaten milites nostri (c. 18 S. 68 Z. 899 und 904), nostri omnes (ebenda Z. 927) oder nur nostri (c. 21 S. 75 Z. 1125 und 1127). <?page no="22"?> 6 Mattbias Tischler gleichen Augenzeugen mit dem Konstrukt eines hochmittelalterlichen, ausländischen Autoren vergleichen zu wollen19. Jedoch haben die Leser und Hörer des 12. Jahrhunderts sicher nicht mehr gewußt, in welchem konkreten Kontext Einharts Bild vom Idealherrscher entworfen wurde. So dürften sie auch die Unterschiedlichkeit der beiden Karlstexte als weniger dramatisch wie wir heute empfunden haben. Dies zeigen nicht zuletzt die in den verschiedensten sozialen Milieus anzusiedelnden ältesten Zeugnisse der lateinischen Rezeption des Pseudo-Turpin, die den aktuellen Karlstext neben Einharts ehrwürdiger Karlsbiogaphie als eine willkommen neue, wegen seiner autoritativen Herkunft aus dem Codex Calixtinus auch als zuverlässige biographische Quelle verstanden. Die Übernahme des neuen Karlstextes in eigene biographisch-historiographische Werke ist daher von Anfang an weniger ein Beitrag zur "Historisierung" der Karlslegende des Pseudo-Turpin als der ersehnte Beitrag Er bezeugt mehrfach seine Augenzeugenschaft (PrologS. 37 Z . 9 und S. 38 Z . 16f.) und seine Tätigkeit als Beichtvater aller Heidenkämpfer bzw. als Teilnehmer des Spanienfeldzuges, der oft selbst z ur Waffe gegriffen habe (c. 11 S. 53 Z. 415-418 bzw. 421-424). Er sei in der Schlacht gegen Ebrahim und Almanzor dabei gewesen (c. 18 S. 67 Z. 886- S. 69 Z. 944). Ferner habe er auf dem Kirchenkonzil von Co mpostela mit 60 Bischöfen auf Bitten Karls Basilika und Hauptaltar des Hl. Jakobus am 1. Juni geweiht (c. 19 S. 70 Z. 968-971 ). In Roncesvalles sei er bei der Nachhut dabeigewesen (c. 21 S. 75 Z. 1119f. und 1135). Er habe nach der Schlacht am 16. Juni die Totenmesse gehalten (c. 25 S. 82 Z. 1368- S. 83 Z. 1365). Nach der Bestattung Rolands in Blois sei er mit Kar! nach Arles gezogen (c. 29 S. 88 Z. 1518- 1520), wo er weitere Gefallene auf den Alyscamps bestattet habe (ebenda Z. 1524-1529). Dann sei er mit Kar! gemeinsam nach Vienne weitergezogen und sei dort alleine, bedrückt von den Leiden, die er auf dem Spanienfeldzug erfahren habe, zurückgeblieben (c. 30 S. 88 Z. 1536-1538). Schließlich habe er in Vienne nach der Trennung der Wege (c. 32 S. 93 Z. 1687f.) in einer wundersamen Vision vom Tode Karls und seiner Errettung durch den Hl. Jakobus erfahren, wie dieser in die eine Schale der Seelenwaage so viele Steine und Balken der von Kar! errichteten Jakobskirchen gelegt habe, daß sich die andere zugunsten Karls gehoben habe (ebenda Z. 1680-1683). 19 Folgende Merkmale für die geographisch-politische Perspektive eines französischen oder zumindest französisch beeinflußten Autors sind zu verzeichnen: Die Heerschar Karls wird als gens gallica bezeichnet (c. 2 S. 43 Z. 97f.). Hier wird dieses Volk mit positiven Attributen belegt, zudem wird Roland als das decus Gall(i)orum bezeichnet (c. 25 S. 83 Z. 1387). Der Autor unterscheidet zwischen reges galli und imperatores theutonici (c. 3 S. 45 Z. 161f.). Er nennt Frankreich Gallia (c. 6 S. 46 Z. 218; c. 8 S. 49 Z. 304; c. 9 S. 51 Z. 359; c. 11 S. 52 Z. 400 und 402). Kar! der Große ist für ihn imperator Romanorum, Galliorum et Theutonicorum ceterarumque gencium (c. 1 S. 41 Z. 37f.), rex Galliorum et imperator Rarnanorum (c. 11 S. 54 Z. 468f.) und Galliorum rex (Appendix D S. 101 Z. 1906). Die Franzosen sind Franci, die Deutschen Theutonici (c. 18 S. 69 Z. 949 bzw. 953 und 952). Das meiste von Kar! in Spanien erworbene Gold und Silber der Sarazenen findet nur für Kirchen nördlich der Pyrenäen Verwendung (c. 5 S. 46 Z. 205-215). Der Autor streicht auch die Überlegenheit d er Franzosen und ihres Imperiums heraus: Quapropte'r Francus liber dicitur, quia super omnes gentes alias decus et dominatio illi debetur (c. 30 S. 89 Z. 1567-1569), und betont, daß die <?page no="23"?> Tatmensch oder Heidenapostel 7 zur Erweiterung des hochmittelalterlichen Themenspektrums rund um Karl den Großen20. Als erste lateinisch schreibende Autoren haben die Kleriker des Aachener Marienstifts, denen die Pflege des lokalen Karlskultes oblag, für die gefälschte Karlsurkunde D 295 21 und das nach der Kanonisation Karls des Großen (29. Dezember 1165) verfaßte neue Aachener Karlsleben22 den Pseudo-Turpin hinsichtlich der zentralen Herrschaftsorte des Karlsreiches, des ersten Spanienzuges Karls des Großen und seines darauffolgenden Krieges gegen den Sarazenenfürsten Aigoland verwertet. Von der Neuheit und Verlässlichkeit des spanischen Karlstextes sind auch der Ripoller Mönch Arnaldus de Monte, der Prior von Vigeois Geoffroi de Breuil (1178mind. 1184), Mönch Wibert von Gembloux (['~1124/ 1125] ? -1213) und Graf Balduin V. von Hennegau (['~1150] 1171-1195) überzeugt gewesen. Arnaldus kopiert 1172/ 1173 große Teile des Codex Calixtinus, um die karolingischen Traditionen seiner Abtei in dem drängenden Legitimierungsprozeß des Barceloneser Grafen- Einwohner der spanischen Halbinsel im christlichen Glauben wankelmütig seien (c. 3 S. 45 Z. 162f.). In der Darstellung des Pseudo-Turpin sind keine spanischen Ritter an den Kämpfen Karls des Großen beteiligt. Der Autor benutzt Hispania bzw. Hispani im umfassenden Sinn, um Karls historische Leistung umso mehr herauszustreichen. Auch die geographisch-politischen Kenntnisse des Autors über Spanien sprechen eher für einen Landfremden. Auffallend ist schließlich, daß der Autor gerne für "Waffenstillstand" anstelle des mittellateinischen treuga die Wortform treba verwendet (Z. 494, 558, 567, 732, 743 und 748f.). Abzüglich der durch spanischen Betazismus der Kopisten verursachten Schreibung mit -bdeutet das romanische Subtrat auf einen Franzosen hin: Das Wort hat sich zu französisch ",a treve", katalanisch "treva" weiterentwickelt, spanisch heißt es aber "tregua". 20 Als der früheste Beleg für di ese Rezeptionshaltung kann das weiter unten angesprochene Aachener Karlsleben gelten, das (außer der spätkarolingischen Karlslegende des Notker Balbulus) ausgewählte Passagen aus allen damals wesentlichen Te xten zu Kar! dem Großen in sich vereinigte: aus den Annales regni Franeorum und Annales qui dicuntur Einhardi, aus Einharts Vita Karoli und dem Chronicon Anianense, aus Thegans Gesta Hludowici imperatoris und Reginos Chronicon, aus der Vita S. Aegidii und der Saint-Deniser Descriptio qualiter Karolus Magnus clavum et coronam Domini a Constantinopoli Aquisgrani detulerit, aus Hugos von Fleury Historia ecclesiastica und eben aus dem Pseudo-Turpin. 21 MGH DD Karo! . 1 (Hannover 1906) S. 441-443 Nr. 295, hier S. 442 Z. 14-35 und ebenda Z. 39- S. 443 Z. 1; hg. von Erich M EUTHEN, Aachener Urkunden 1101-1250 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 58, Bonn 1972) S. 113-115 Nr. 1, hier S. 114 Z. 55- S. 115 Z. 81 und S. 115 Z. 86-91 (nach c. 19 bzw. 30). 22 Und zwar in III 1-7 den Leoprandusbrief sowie c. lf., 4f. und 7f .; hg. von Gerhard RAUSCHEN, Die Legende Karls des Großen im 11. und 12 . Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 7, Leipzig 1890) S. 17-93, hier s. 67-74. 23 Vgl. Nikolas]ASPERT, Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien, im vorliegenden Band. Die Kopierarbeit hat sich mit Barcelona, Archive de Ia Corona de Arag6n, Ripoll 99 erhalten. <?page no="24"?> 8 Mattbias Tischler hauses zu stärken 23 . Geoffroi bringt sich zwischen 1178 und 1184 mittels seiner Mutterabtei Saint-Martial in den Besitz einer korrigierten und überarbeiteten Kopie der Doppelbiographie Karls und Rolands 24. Wibert von Gembloux fertigt bei seinem ersten Aufenthalt in Marmoutiers bei Tours 1180/ 1181 eine Kopie mit den Jakobusmirakeln und dem Pseudo-Turpin an 25 . Der große Karlsverehrer Balduin von Hennegau schickt zwischen 1180 und 1189 Kleriker nach Cluny, Toursund Saint- Denis, um die wahre Geschichte Karls des Großen zu finden und zu kopieren26. Mehr aus moralischen Gründen interessiert den Kleriker Wal- 24 Vgl. das Vorwort in einer spätmittelalterlichen Kopie dieser Pseudo-Turpin-Handschrift: Gaufredus prior vosiensis. sacro marciaLis conventui et universo clero Lemovicensi . climatis gaudiis sempitemis perfrui . Egregios invicti regis karoLi triumphos ac preceLsi comitis rotoLandi predicandos agones in hyspania gestos nuper ad vos ex esperia deLatos gratanter excepi et ingenti studio corrigens scribere feci. Maxime quia apud nos actenus ista latuerant nisi que iocuLatores in suis preferebant cantilenis . Quia vero scriptura ipsa scriptorum vicio deprivata (! ) ac pene deLeta fuerat non sine magno studio decorando correxi non superflua addens. Sed que minus erant neccessaria subtrahens ... (Paris, Bibliotheque Nationale, Ms.lat. 5452, fol. 115r). Die Ausgaben des Vorwortes des Geoffroi von Fran«ois ARBELLOT, Etude historique et bibliographique sur Geoffroy de Vigeois, Bulletin de Ia Societe archeologique et historique du Limousin 36 (1888) S. 135-161, hier S. 159f., von den Bollandisten, Catalogus codicum hagiographicorum latinorum antiquiorum saeculo XV1 qui asservantur in Bibliotheca Nationali Parisiensi 2 (Brüssel1890) S. 466, und von Cyril MEREDITH-} ONES, Historia Karo Ii Magniet Rotholandi ou Chronique du Pseudo-Turpin (Paris 1936) S. 350, sind fehlerhaft, weshalb ich aus der Handschrift selbst zitiere. Eine Neuausgabe des Vorworts gebe ich im Anhang zu diesem Aufsatz. 25 Das bezeugt er in einem Ende 1183 nach Marmoutiers geschickten Brief (Brüssel, Bibliotheque Royale, Ms. 5527-34, fol. 120r-126v): ... Nam ex Lectione librorum, quos de miracuLis sancti lacobi apostoLi et de prodigiis circa corpus beati Martini, cum ob irruptiunem paganorum Burgundie illatum ibi detineretur veL in Turoniam referretur, ostensis, de bellis quoque in Hispania a KaroLo Magno gestis et martyrio Rollandi ducis sociorumque eius, et ex reLatu vel auditu ceterorum, que apud vos commorans transcripsi, tantus admirationis affectus, tanta v irtutis emuLatio nonnullis nostrorum excitatur, ut et exempLaria certatim ad transcribendum a compLuribus rapiantur, et in venerationem sanetarum de quibus sermo est, et ad eorum suffragia promerenda Legentium et audientium <corda>mira devotione moveantur, hg. von Albert DEROLEZ, Guiberti Gemblacensis epistolae ... pars 1 (CC Cont. med. 66, Turnhout 1988) Nr. XII S. 180-197, hier S. 183 Z. 122-132; ersetzt sind hierdurch die Teilausgaben der Bollandisten in: Catalogus codicum hagiographicorum Bibliothecae Regiae Bruxellensis 1,1 (Brüssel1886) S. 538, und von Reinhart DOZY, Recherehes sur l'histoire et Ia Iitterature de l'Espagne pendant le moyen age 2 (Leiden 31881) S. 430 Anm. 2 (bei DEROLEZ nicht verzeichnet). 26 Li bons Baudoins, Li cuens Chainau, si ama malt Karlemaine, si n 'en veut onques croire chose que L'om en chantast. Ainz en fit cerchier totes Les bones abeies de France e esgarderper toz Les armaires, per saver si L'om i trouveroit La veraie istoire, ni onques trover ne Li porent Li clerc ..., hg. von Andre DE MANDA C H, Chronique dite Saintongeaise. Texte franco-occitan inedit ,Lee'. A Ia decouverte d'une chronique gasconne du xmeme siede et de sa poitevinisation (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 120, Tübingen 1970) S. 256 Z. 9- 12. Die erfolgreiche Suche bezeugt ein lateini- <?page no="25"?> Tatmensch oder Heidenapostel 9 ter Map (um 1130/ 1135-1209/ 1210) um 1181/ 1182 (? )die neue Karlslegende. Auch wenn er den gesamten Text zu kennen scheint27, ist für seine Rezeption eines Kapitels hieraus nicht der Karolingerkaiser als vielniehr die beiläufige Erzählung einer falschen Verwendung von Almosen eines Verstorbenen und ihrer fatalen Folgen das Hauptmotiv gewesen 28 . Kuriosität mag hingegen den Rechtsgelehrten Gervasius von Tilbury (nach 1150nach 1221) um 1210 zu seiner Pseudo-Turpin-Rezeption veranlaßt haben, wenn er in seinem Kapitel De causa diluvii im Kontext hünenhafter Wesen der Menschheitsgeschichte auf die Riesenhaftigkeit Karls des Großen und des Giganten Ferracutus zu sprechen kommt 29 . scher Brief Balduins an Friedrich Barbarossa: Aliam quoque vobis Damno utique meam transcribo peryocam, a domno Remensi archipresule Tilpino, de his que magnificus imperator Karalus in Hispania gessit, luculenter conscriptam, ut habeat maiestatis imperatorie veneranda sublimitas, quibus laudum preconiis erudiatur et ad magnificum probitatis apicem per maiorum vestigia dirigatur. ... congruam destinavi peryocam, quarum ... posterior vero, de magnificis domni Karoli gestis conscripta, sue recordationis affectu vires corporis ad magnificentie et Iaudis preconium inflammat et erigit. ... Noverit imperialis vestra maiestas codicis huius exemplar undecumque per clericos et notarios meos summi laboris impendio a me quesitum partim Cluniaci partim Turonis partim in bibliotecha beati Dionisiifuisse compositum; nec huius operis me quempiam fecisse participem preter domnum meum magnificum imperatorem, hg. von Barnilton M. SMYSER, The Pseudo-Turpin edited from Bibliotheque Nationale, Fonds Latin, MS. 17656 (The Mediaeval Academy of America Publication 30, Cambridge/ Mass. 1937) S. 110 Z. 12-16, 18-21 und 24-28; Adalbert HÄMEL, Die Entstehungszeit der Aachener Vita Karoli M agni und der Pseudo-Turpin, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 32 (1942) S. 243- 253, hier S. 245f. Dieser Brief wurde 1928 von Adalbert Häme! in der Madrider Handschrift Biblioteca N acional, Ms. 1617 auf fol. 2r-3r entdeckt, deren Pseudo-Turpin-Text derselben Familie wie etwa der Text in Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 17656 angehört; von dieser Textgruppe überließ Balduin bei seinem Tod (1195) seiner Schwester Yolanda von Saint-Pol ein Exe mJ? .lar mit dem Auftrag zur Übersetzung ins Französische. Diese älteste französische Ubertragung des Pseudo-Turpin von etwa 1200 liegt der oben genannten Chronique dite Saintongeaise zugrunde. 27 Karalus enim magnus, cum terram illam a Sarracenis conquisisset, omnia preter municiones et castella pro Christo dedit archiepiscopis et episcopis, quos per civitates conversas instituit, Liber de nugis curialium V 5, hg. von Montague Rhodes JAMES / C hristopher Nugent Lawrence BROOKE / Roger Aubrey Baskerville MYNORS, Walter Map, De nugis curialium. Courtiers' trifies (Oxford Medieval Texts, Oxford 1983) S. 450 Z. 17-20. 28 ... In libro Turpini Rem ensis archiepiscopi de gestis Karoli Magni, cuius ipse coadiutor individuus usque ad martern fu erat, scripturn repperi (es folgt eine in den Details stark abweichende, offenkundig aus dem Gedächtnis nacherzählte Fassung von c. 7), Liber de nugis curialium II 29, hg. von }AM ES/ BROOKEIMYNORS, Walter Map (wie Anm. 27) S. 204 Z. 15- S. 206 Z. 2. 29 Otia imperalia I 23, hg. von Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, Scriptores rerum Brunsvicensium .. . 1 (Hannover 1707) S. 906 Z. 19-26 (nach c. 20) und 27-32 (nach c. 17); MGH SS 27 (Hannover 1885) S. 368 Z. 27-34 (nur die Stelle zu Kar! dem Großen); Shelagh E. BANKS! James Wallace BINNS, Gervase of Tilbury, Otia Imperialia. Recreation for an Emperor (Oxford Medieval Texts, Oxford 2002) S. 148 Z. 29- S. 150 Z. 9 und ebenda Z. 12- 18. <?page no="26"?> 10 Mattbias Tischler Bei den jüngeren französischen Bio- und Historiographen des späteren 12. und des 13. Jahrhunderts steht hingegen wieder Karl der Große im Vordergrund, wenn sie die längst zu einem europäischen Grundtext gewordene spanische Karlslegende für ihre biographischen Abschnitte über Karl den Großen heranziehen. Der Kanoniker Ägidius von Paris (um 1160um 1224) ist der erste Autor, der um 1195/ 1196 einige wenige, aber gezielt ausgewählte Bausteine dieses Textes zu dem historischen Spanienfeldzug Karls des Großen versifiziert und in seinen metrischen Herrscherspiegel für den jungen französischen Kronprinzen Ludwig (VIII.) einflechtet 30 . Einen Schritt weiter geht dann ein anonymer Schriftsteller, der um 1200 den gesamten Pseudo-Turpin in Hexameter umsetzt 31 . In den ersten Dezennien des 13.Jahrhunderts wird der Pseudo-Turpin mehr oder weniger umfassend in den aktuellen Geschichtskompilationen verwertet 32 . Während der Verfasser im ersten Teil der sogenannten Annales Marbacenses (a. 631-1200) aber nur schlaglichtartig seine Pseudo-Turpin-Kenntnis aufscheinen läßt, indem er die im Aachener Karlsleben stark reduzierte Aigoland-Erzählung durch deren ausführlichere Vorlage abrundet33, und während ein Kanoniker von Saint-Martin in Tours, vielleicht Pean Gatineau, in seinem Chronicon Turonense vön vor 1225 nur ausgewählte Versatzstücke vom Ende der Karlslegende in seine Vorlage einfügt34, haben sich der unbekannte, wahrscheinlich in der Pariser Abtei Saint-Germain-des-Pres tätige Kompilator der Historia regum Franeorum (bis 1214)35 und der Zister- 3 ° Karolinus II, V. 342-346 und 370-379, hg. von Marvin L. COLKER, The ,Karolinus' of Egidius Parisiensis, Traditio 29 (1973) S. 199-325, hier S. 272 (nach c. 3 und 8) und S. 273 (nach c. 23 und 29). 31 Karuldlus, hg. von Paul Gerhardt ScHMIDT, Karolellus atque Pseudo-Turpini Historia Karoli Magni et Rotholandi (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Rarnanorum Teubneriana, Stuttgart- Leipzig 1996), S. 1- 197 und 202. 32 Bemerkenswert sind hier ferner die 1233 vollendeten Vita et actus S. Dyonisii, in die eine Auswahl von ins Lateinische rücküberse tzt en Textpassagen einer erweiterten französischen Pseudo-Turpin-Fassung eingefügt worden ist. Das Textstück zum Tod Karls des Großen in der Vision Turpins ist ediert von Elizabeth Ann R. BROWN, Saint-Denis and the Turpin legend, in: The Codex Calixtinus and the shrine of S. James, hg. von John WILLIAMS / Alison STONES Qakobus-Studien 3, Tübingen 1992), S. 51-88, hier S. 75f. (=Appendix II . C.; nach Paris, Bibliotheque Nationale, Ms.lat. 2447, fol. 134r-135r und Ms. nouv. acq.lat. 1509, S. 267 [277]- 269 [279]). 33 MGH SS rer. Germ. [9] (Hannover - Leipzig 1907) S. 15 Z. 12-16 (nach c. 11 und 14ff.). 34 Und zwar Karls Wohltaten gegenüber den Armen in Erinnerung an die Gefallenen von Roncesvalles (c. 29), Turpins Vision von Karls Tod (c. 32) und Turpins Ableben und Translation (Appendix A). Diese Stücke sind in der Ausgabe von Andre SAL- MON, Recueil de chroniques de Touraine (Societe archeologique de Touraine. Collection de documents sur l'histoire de Touraine 1), Tours - Paris 1854, S. 64-161, nicht berücksichtigt. 35 In seinem Vorwort nennt er unter den benutzten Quellen auch eine gewisse historia <?page no="27"?> Tatmensch oder Heidenapostel 11 zienserchronist Helinand von Froidmont (1160/ 1170nach 1229) um 120436 des Textes bereits in umfänglichem Maße bedient. Neben dem Pseudo-Turpin selbst greifen auf Helinands Arbeit während des zweiten Jahrhundertviertels in geringem Maße der zweite bedeutende Zistersienserhistoriker seiner Zeit, Alberich von Trois-Fontaines (t um 1252), zwischen 1227 und 1241 bzw . um 1251/ 1252 37 und in großem Stil der quae nomine Turpini intitulatur, hg. von Natalis DE WAILLY, Examen de quelques questionsrelatives a l'origine des chroniques de Saint-Denys (Memoires de ! 'Institut Royal de France. Academie des Inscriptions et Belles-Lettres 17, 1, Paris 1847) S. 379-407, hier S. 404 Z. 29. Die Geschichtskompilation ist bislang nur in Auszügen ediert, nicht aber in den hier betroffenen Teilen. In dem unter anderem im Codex Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 14663 auf fol. 194r-246r überlieferten Text standen bzw. stehen die Pseudo-Turpin-Exzerpte auf den ausgefallenen fol. 215r_217v (alte fol. 201 r-203v): c. lf., 5-10 (. . . et frondibus], S. 51 Z. 381), und auf fol. 218r-226v (alte fol. 204r-zt2v): c. 10 ([decoratas invenerunt ... , S. 51 Z. 381), 11-18 und 21-29. 36 Chronicon, hg. von Jacques-Paul MIGNE (Patrologia Latina 212, Paris 1855) Sp. 771-1082. Helinand liefert die erste kompakte Zusammenfassung des Pseudo-Turpin in einer Chronik. Er reichert damit den traditionellen Karisstoff mit der Karlslegende an. Auf Sp. 838 Z. 41- Sp. 839 Z. 24; Sp. 840 Z. 21-25 und 27-39; ebenda Z. 57- Sp. 841 Z. 6; Sp. 847 Z. 37- Sp. 849 Z. 36 und Sp. 850 Z. 25- Sp. 851 Z. 43 stehen folgende Pseudo-Turpin-Stellen: c. 20 S. 72 Z . 1028-1038; ebenda Z. 1040- S. 73 Z. 1063; ebenda Z. 1065-1069 und Z. 1072f.; c. 30 S. 89 Z. 1570f. und 1574-1577; c. 33 S. 95 Z. 1734-1743 und 1749-1751; ebendaS. 96 Z. 1767-1769; ebendaS. 95 Z. 1745 und 1751; c. 18 S. 69 Z. 948-954; c. 1 S. 41 Z. 39- S. 42 Z. 75; ebenda Z. 79-81; c. 2 S. 42 Z. 85-87; ebendaS. 43 Z. 90-97, 105-107 und 113f.; c. 3 S. 43 Z. 117-121 (paraphrasiert; herausgehoben Z. 120f.); ebenda Z. 121 - S. 44 Z. 148 (paraphrasiert; herausgehoben S. 44 Z. 131, 137 und 138-142); ebendaS. 43 Z. 148-160; ebendaS. 45 Z. 169-172; c. 4 S. 45 Z. 176- S. 46 Z. 198; c. 5 S. 46 Z. 201-215; c. 6 S. 46 Z. 218-223; c. 7 S. 47 Z. 228-254; c. 8 S. 48 Z. 268 - S. 49 Z. 284; ebenda S. 48 Z. 263-265 und 267 sowie ebenda S. 49 Z. 284-294 und 296-304. Helinands redaktionelle Bemerkung Hanc totam terram Hispaniae quomodo Carolus acquisierit, postea narrabimus in loco competenti (Sp. 841 Z. 6-9) läßt an eine vollständige Ausschreibung des Pseudo-Turpin ab c. 9 denken, auf deren Wiedergabe leider der Editor des Textes Dom Tissier verzichtet hat: "Quae sequebantur de bello Aigolandi, de Ferracuto gigante, de nece Franeorum in Runciavalle, etc., ex Turpino, seu vero, seu ficto, omisimus, utpote fabulosa, et a doctis reprobata. Quanquam et quaedam jam ante allata sunt fabulis respersa. Sed illa permisimus, ut specimen aliquod, ne nobis vitio verteretur omissio reliquarum fabularum" (Sp. 851f. Anm. 34). 37 Chronica, MGH SS 23 (Hannover 1874) S. 674-950. AufS. 716 Z. 12f., 13f., 15f. und 18-26; S. 717 Z. 38-40; S. 718 Z. 7-13 und 46-48; ebenda Z. 49- S. 719 Z. 14; ebenda Z. 15f. und 31-39; S. 721 Z. 41f.; S. 723 Z. 18-30,35-38,42-45 und 48-50; ebenda Z. 51- S. 724 Z. 26; ebenda Z . 32--66; S. 725 Z. 5-16, 17f. und 25f.; S. 727 Z . 37-46 und S. 728 Z. 11-22 stehen folgende Pseudo-Turpinbzw. Helinand-Stellen: PrologS. 37 Z. 8- 10; ebenda Z. 15 - S. 38 Z . 18; c. 1 S. 41 Z. 31-51 (paraphrasiert); ebendaS. 42 Z. 80-82; c. 2 S. 42 Z. 85 - S. 43 Z. 92 (paraphrasiert); ebenda S. 43 Z . 105-108, 110 und 113f.; c. 3 S. 43 Z. 117- S. 44 Z. 148 (paraphrasiert); ebendaS. 44 Z. 148-152 und 154f .; ebendaS. 45 Z. 170-172; c. 4 S. 45 Z. 176-179 und 181f.; c. 5 S. 46 Z. 201-203; Helinand, Sp. 840 Z. 27-39 (paraphrasiert und um Einzelinformationen erweitert); c. 20 S. 72 Z. 1029f., 1033- 1036 und 1048-1051; ebendaS. 73 Z. 1056-1063 und 1065-1073; Helinand, Sp. 840 Z. 20-25; c. 5 S. 46 Z. 207-214; c. 6 S. 46 Z. 218-220 und 222f.; He linand, Sp. 850 Z. 31; c. 7 S. 47 Z. 228- 243 (teilweise paraprasiert), 244f. (paraphra- <?page no="28"?> 12 Mattbias Tischler bekannte Dominikanerenzyklopädist Vinzenz von Beauvais (t 1264) spätestens 1257/ 125838 zurück. Auch Vinzenz' Ordensbrüder Stephan von Bourbon (um 1185/ 1190-1260/ 1261), Humbert von Romans (um 1200-1277) und Jacobus de Voragine (1226/ 1230-1298) sind mit der Karlslegende des Pseudo-Turpin vertraut. Während Stephan von Bourbon in seinem ab etwa 1249 zusammengestellten Predigthandbuch Karls siert), 247f. und 250-254; c. 8 S. 48 Z. 262-269; 272f. und 276-282; ebenda S. 49 Z. 284f., 289f. und 293f.; c. 6 S. 46 Z. 223; ebendaS. 49 Z. 296-304; Helinand, Sp. 840 Z. 27-39 (paraphrasiert) und 54f.; c. 9 S. 50 Z. 325 und 327-332; ebendaS. 51 Z. 360f., 365f. und 368f.; c. 10 S. 51 Z. 372 und 376-379; ebendaS. 52 Z. 385f.; ebendaS. 51 Z. 379-381 (paraphrasiert); ebendaS. 52 Z. 386 und 392-394; c. 11 S. 52 Z. 388-400; c. 20 S. 73 Z. 1073-1076; c. 11 S. 52 Z. 398- S. 53 Z. 416 (paraphrasiert; herausgehoben Z. 401 und 414f.); ebendaS. 53 Z. 418- S. 54 Z. 446; ebenda Z. 447-464; ebenda Z. 471- S. 55 Z. 482; c. 12 S. 55 Z. 499f.; ebendaS. 56 Z. 509f.; ebenda Z. 511-539 (paraphrasiert); ebenda Z. 540 und 542~546; ebendaS. 57 Z. 555-557; c. 13 S. 57 Z. 567- S. 58 Z. 598 (paraphrasiert); c. 14 S. 59 Z. 618-624,631, 633f. und 636-639; c. 15 S. 60 Z. 655-661 (paraphrasiert); c. 16 S. 60 Z. 673f.; ebendaS. 61 Z. 683f., 679-681, 678, 685f., 681f. und 685; c. 17 S. 61 Z. 693-697; ebendaS. 62 Z. 705- 707; ebendaS. 61 Z. 701 - S. 62 Z. 704 (paraphrasiert); ebenda Z. 708-712 (paraphrasiert); ebenda Z. 715 - S. 67 Z. 883 (paraphrasiert); c. 18 S. 67 Z. 887, 889-891, 893-895 und 885; ebendaS. 68 Z. 900-906, 915f. und 919-924; ebenda Z. 925-929 (paraphrasiert); ebenda Z. 934- S. 69 Z. 938; ebenda Z. 940-944 und 946-952; c. 19 S. 69 Z. 961 - S. 70 Z. 968 (paraphrasiert); ebenda Z. 968-971; ebenda Z. 983-993 (paraphrasiert); c. 21 S. 74 Z. 1085, 1087-1099 und 1101-1104; ebenda Z. 1109- S. 75 Z. 1116; ebenda Z. 1120f., 1127-1130 und 1134f.; c. 22 S. 76 Z. 1174f.; ebendaS. 77 Z. 1192-1196, 1202 und 1204- 1207; ebendaS. 78 Z. 1211f., 1214f. und 1240-1243; c. 23 S. 79 Z. 1251-1257, 1266 und 1269-1273; ebendaS. 80 Z. 1280-1282; c. 25 S. 82 Z. 1368- S. 83 Z. 1370; ebenda Z. 1376-1382; ebendaS. 84 Z. 1403; c. 26 S. 84 Z. 1422-1428 (paraphrasiert) und 1419; ebendaS. 85 Z. 1432 und 1434-1437; ebenda Z. 1440-1453 (paraphrasiert); c. 27 S. 85 Z. 1455f.; c. 28 S. 86 Z. 1471-1478; c. 29 S. 86 Z. 1482 und 14ll4-14! ! 6; ebendaS. 87 Z. 1488f. und 1491-1499; ebendaS. 88 Z. 1519f., 1524-1529,1520-1522 und 1529f.; c. 30 S. 88 Z. 1536; ebenda Z. 1539- S. 89 Z. 1570 (paraphrasiert); c. 32 S. 92 Z. 1667f. und 1669-1671; ebenda Z. 1673- S. 93 Z. 1677; ebendaS. 92 Z. 1668f.; S. 93 Z. 1678- 1682, 1694-1696 und 1698-1706; ebendaS. 94 Z. 1723f.; Appendix B S. 98 Z. 1824f., 1827-1830 und 1838; ebenda Z. 1835- S. 99 Z. 1824; ebenda Z. 1844-1848, 1852f., 1857-1859, 1861f. und 1869 sowie ebendaS. 100 Z. 1873-1875 und 1877f. 38 Speculum historiale, Bibliotheca Mundi seu Speculi Maioris Vincentii Burgundi praesulis Bellovacensis ... tomus quartus (Douai 1624). Auf XXIV 1 S. 962 Sp. a Z. 21-44; XXIV 6 S. 964 Sp. b Z. 41 -XXIV 9 S. 966 Sp. a Z. 12; XXIV 12 S. 966 Sp. b Z. 38- XXIV 22 S. 970 Sp. b Z. 8 und XXIV 25 S. 971 Sp. a Z. 47-71 stehen folgende Helinand-Stellen (ab XXXIV 12 können wegen der in Anm. 36 geschilderten Editionslage nur die entsprechenden Pseudo-Turpin-Passagen zitiert werden): Sp. 838 Z. 40 - Sp. 839 Z. 8; Sp. 847 Z. 36- Sp. 849 Z. 36; Sp. 850 Z. 24- Sp. 851 Z. 43; c. 9 S. 50 Z. 325-343; ebenda Z. 345- S. 51 Z. 351; ebenda Z. 353c. 10 S. 51 Z. 376; ebenda Z. 378- S. 52 Z. 386; ebenda Z. 389f. und 393f.; c. 11 S. 52 Z. 398-400 und 402-406; ebenda Z. 408- S. 53 Z. 414; ebenda Z. 418-435; ebenda Z. 440- S. 54 Z. 447; ebenda Z. 450-453, 455-459 und 471-474; c. 12 S. 56 Z. 509f.; ebendaS. 55 Z. 494-496; ebenda S. 56 Z. 536-538; ebenda Z. 541 - S. 57 Z. 548; ebenda Z. 555-561; c. 13 S. 57 Z. 567-571 und 573; ebendaS. 58 Z. 582-588, 592f. und 588-600; c. 14 S. 59 Z. 618, 633f., <?page no="29"?> Tatmensch oder Heidenapostel 13 Verfluchung mehrerer spanischer Städte erwähnt 39 , erzählt Humbert von Romans in seinem bald nach 1266 verfaßten Traktat zur Kreuzzugspredigt, im guten Glauben, eine historische Quelle vor sich liegen zu haben, unter anderem die zu Beginn des Pseudo-Turpin geschilderte Jakobus- Vision nach 40. Das Rezeptionsverhalten des J acobus de Voragine in seiner zwischen 1263 und 1267 redigierten bekannten Legendensammlung verrät je nach Erzählkontext einmal mehr seine moralisierende, dann seine fabulierende Ader41. Jeweils unterschiedliche Interessenslagen haben die Pseudo-Turpin-Rezeption in den Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam, der zwischen 1237 und 1255 entstandenen legendenhaften Klostergründungsgeschichte des südwestfranzösischen Benediktinerklosters Lagrasse, im 1236 vollendeten Chronicon mundi des Leoneser Diakons von San Isidro und späteren galicischen Bischofs Lucas von Tuy ([>: ·? ] 1239-1249), in der im April1243 abgeschlossenen Historia de rebus Hispanie des Erzbischofs von Toledo Rodrigo Ximenez de Rada ([''um 1170] 1209-1247) und im Karlswerk des Zürcher Kantors Konrad von Mure (um 1210-1281) von frühestens 1244 beein- 636f., 639-641 und 637-639; c. 15 S. 60 Z. 655-661; c. 16 S. 60 Z. 673- S. 61 Z. 675; S. 61 z. 677-685; c. 17 s. 61 z. 693s. 62 z. 723; c. 22 s. 78 z. 1211; c. 17 s. 62 z. 723s. 63 Z. 745; ebenda Z. 750-756; ebenda Z. 760- S. 66 Z. 859 (paraphrasiert); ebenda Z. 861 c. 18 S. 67 Z. 887; ebenda S. 68 Z. 898-907; ebenda Z. 920- S. 69 Z. 940; ebenda Z. 942-948 und 954f.; c. 19 S. 69 Z. 958- S. 70 Z. 966; ebenda Z. 968-976, 978-980, 983-985 und 988-998; c. 21 S. 74 Z. 1088-1101; ebenda Z. 1105- S. 75 Z. 1113; ebenda Z. 1120-1129, 1114-1117 und 1134-1136; c. 22 S. 76 Z. 1167 - S. 77 Z. 1190; ebenda Z. 1192- S. 78 Z. 1220; ebenda Z. 1241 - 1243; c. 23 S. 79 Z. 1251-1254, 1256-1259 und 1261f.; ebenda Z. 1264- S. 80 Z. 1281; ebendaS. 81 Z. 1314f., 1309f. und 1316-1324; c. 25 S. 83 Z. 1364f.; ebendaS. 82 Z. 1368-1371 und 1376-1383; ebendaS. 84 Z. 1409c. 26 S. 85 Z. 1437; ebenda Z. 1440-1453 (paraphrasiert); c. 28 S. 86 Z. 1471-1477; c. 29 S. 86 Z. 1482 -S. 87 Z. 1489; ebenda Z. 1491-1506 und 1508-1513; ebendaS. 88 Z. 1519f. und 1524--1533; c. 30 S. 88 Z. 1536; ebenda Z. 1539- S. 89 Z. 1572; c. 32 S. 92 Z. 1667- S. 93 Z. 1684; ebenda Z. 1702-1706 und 1695 - 1701 sowie ebendaS. 94 Z. 1723f. 39 Tractatus de di ve rsis materiis praedicabilibus ordinatis et distinctis in VII partes secundum VII dona spiritus sancti, hg. von Albert L ECOY DE LA MARC H E, Anecdotes historiques, legendes et apologues tires du recueil inedit d'Etienne de Bourbon, dominicain du xme siede (Societe de l'Histoire de France 185, Paris 1877) S. 261 Z. 27- S. 262 Z. 2 (nach c. 3 S. 45 Z. 169-172). Inzwischen ist durch den ersten Band der kritischen Ausgabe des Werkes auch die Verwertung von c. 7 S. 47 Z. 228- S. 48 Z. 257 und c. 8 S. 48 Z. 281 - S. 49 Z. 292 des Pseudo-Turpin nachgewiesen; vgl. Jacques BERLioz/ Jean-Luc EI CH ENLAUB (Hg.). Stephani de Borbone, Tractatus de diversis materiis predicabilibus [1] (CC Cont. med 12 4, Turnhout 2002) S. 17 9 Z. 1166- S. 180 Z. 1183 und S. 216 Z. 667-674. 40 De predicatione crucis contra Sarracenos c. 36. Auf weitere Pseudo-Turpin-Exzerpte in dem Traktat weist hin Valmar CRAM E R, Humbert von Romans' Traktat ,Über die Kreuzpredigt', Das Heilige Land 79 (1935) S. 132-153 und ebenda 80 (1936) S. 11-23, 43-60 und 77-98, hier 80 (1936) S. 19 und 81. 41 Legenda aurea c. 159 und 177, hg. von Giovanni Paolo MA GG IONI, Iacopo da Varazze, Legenda aurea 2 (Florenz 1998) S. 1129 V. 234--239 (nach c. 7) und S. 1272f. V. 241 - 246 (teils n ac h c. 20). <?page no="30"?> 14 Mattbias Tischler flußt. Der Chronist von Lagrasse .bettet die Gründungslegende seines Klosters in den allgemeinen Kontext der Erzähltradition des Pseudo- Turpin ein 42 . Lucas von Tuy hingegen akzeptiert Pseudo-Turpins Darstellung einer französischen Reconquista Karls des Großen 43 , während sie der Metropolit von Toledo und Gegner Santiagas de Compostela Rodrigo Jimenez de Rada zugunsten einer ausschließlichen Führungsrolle der Spanier ablehnt 44 . Konrad von Mure seinerseits bereichert die Geschehnisse nach dem Tod Karls des Großen um einige weitere Begebenheiten aus der Karlslegende45. Das Aufeinandertreffen der beiden Karlstexte in verschiedenen zeitgenössischen Überlieferungskontexten46 macht deutlich, daß die Kompilatoren und Redakteure die beiden Werke als gegenseitige Ergänzung verstanden. Aus den handschriftlichen Zeugnissen ist ein noch kaum systematisch untersuchtes authentisches Textverständnis für den Pseudo-Turpin ableitbar. Natürlich ist im Augenblick der Herauslösung des Textes aus dem originalen Überlieferungskontext des Codex Calixtinus und mit der Einbindung in neue Überlieferungszusammenhänge mit einer Verschiebung der Textwahrnehmung zu rechnen. Jedoch kann man auf diesem Wege die Milieus und ihre jeweilige Motivation zur frühen Rezeption des Pseudo-Turpin rekonstruieren. Es leuchten hier jeweils neue Facetten des seit dem 12. Jahrhundert wie nie zuvor schillernden Karlsbildes auf 47 . Zuerst wird ein bereits existierendes hennegauisches Karlskompen- 42 Der Text verrät die Kenntnis zahlreicher Namen, die im Pseudo-Turpin Erwähnung finden; hg. von Friedrich Eduard SCHNEE G ANS, Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam (Romanische Bibliothek 15, Halle a.d.S. 1898), S. 4-240; Christian HEITZMANN, Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam. Untersuchungen und Neuedition (Millennio medievale. Testi 4, Florenz 1999) S. 3-90. 43 Chronicon mundi ab origine mundi usque ad eram 1274 ad. a. 828, hg. vonJuan DE MARIANA, in: Hispaniae illustratae ... scriptorum auctores varii chronologi, historici 4, hg. von Andreas S CHOTT (Frankfurt am Main 1608) S. 1-116, hier S. 75 Z. 22-49; Emma FALQUE, Lucae Tudensis Chronicon mundi (CC Cont . med. 74, Turnhout 2003) S. 235 Z. 1 - S. 236 Z. 37. 44 Historiade rebus Hispanie IV X und IV XI, hg. von Juan FERNANDEZ VALVERDE, Roderici Ximenii de Rada Opera omnia pars 1. Historia de rebus Hispanie sive Historia Gothica (CC Cont. med. 72, Turnhout 1987) S. 128 Z. 61-69 und S. 130 Z. 43-52. 45 Der Text ist in Bruchstücken erhalten in der Handschrift Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 245 (335), fol. 1r-8r . Die sprachlich überarbeiteten Pseudo-Turpin-Exzerpte nach c. 33 und Appendix B stehen hier auf fol. 7v-8r . 46 Zu nennen sind hier einerseits historiograpische und hagiographische Handschriften, andererseits Codices mit epischen Legenden. Eine künftige Überlieferungsgeschichte des Pseudo-Turpin muß insbesondere eine möglichst exakte Datierung und Lokalisierung der ältesten Sammelhandschriften im Auge haben. 47 In keiner der im folgenden zu nennenden französischen Handschriften ist eindeutig zu erkennen, daß die inzwischen erfolgte Kanonisation Karls des Großen, die durch den Pseudo-Turpin und insbesondere durch das Aachener Karlsleben unterstützt wurde, im kapetingischen Königshaus und in den nordfranzösischen Adelsfamilien eine besondere Rolle für das jeweilige Selbstverständnis spielte. <?page no="31"?> Tatmensch oder Heidenapostel 15 dium, bestehend aus dem neuen Aachener Karlsleben und Einharts Vita Karoli (Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. nouv. acq.lat. 264), im Umfeld der französisch-hennegauischen Hochzeit von 1180 zwischen Philipp II. Augustus und Balduins V. Schwester Elisabeth um die spanischen Heldentaten Karls des Großen erweitert und nach Paris vermittelt (Paris, Bibliotheque Nationale, Ms.lat. 17656). Dieses neue Karlskompendium ist dann Ausgangspunkt für weitere Kopien geworden, die im Besitzerumfeld des französischen Königshauses und einer eng verwandten ostfranzösischen Hochadelsfamilie anzusiedeln sind, so für eine Abschrift, die vermutlich im Dunstkreis des königlichen Vertrauten, Erziehers und gelehrten Bischofs Stephan von Tournai W"1135] 1192-1203) im Benediktinerkloster Saint-Martin gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstanden ist (Brüssel, Bibliotheque Royale, Ms. II 2541) und für eine weitere Kopie, deren Entstehung zwischen 1180 und 1210 (? ) am Ort der Grablege des seit 1152 mit dem französischen Königshaus verwandten Grafengeschlechtes von Braine in der Prämonstratenserabtei Saint-Yved in Brainesur-Vesle anzunehmen ist (London, British Library, Add. 39646). Erst im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts fällt der Startschuß zur Eingliederung des Pseudo-Turpin in die offizielle Geschichtskompilation der französischen Krönungs- und Begräbnisstätte Saint-Denis, wofür neben einer noch unerkannten Pariser Handschrift, die für den champagnesischen Grafenhof hergestellt worden sein könnte (Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 5943 B), die lateinischen Urcodices der überaus erfolgreichen Grandes Chroniques de France des Mönches Primat von Saint-Denis die bekanntesten Beispiele sind (Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Reg. lat. 550 und die Abschrift Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 5925). Der Codex Vaticanus hat aber möglicherweise schon dem Pariser Kanoniker Ägidius von Paris als Vorlage für dessen metrischen Fürstenspiegel Karolinus gedient 48 und dürfte damit schon 1195/ 1196 existiert haben. Demgegenüber sind die wenig bekannten Zusammenstellungen von Einhartsund Pseudo-Turpins Karlsbiographien in einer frühestens 1206 nach burgundischen (und südfranzösischen? ) Vorlagen hergestellten Handschrift Bischof Diegas von Osma w·11 ? ? ] 1201-1207) (Burgo de Osma, Archivo Capitular [früher Catedral], Ms. 126) sowie im Verbund mit weiteren Jakobustexten in einer Handschrift aus Saint-Geraud d' Aurillac von frühestens 1227 (Montpellier, Bibliotheque de l'Ecole de Medecine, Ms. 142) wohl als individuelle Neuschöpfungen im Kontext der südfranzösisch-nordspanischen Santiago-Pilgerschaft zu verstehen. Literaturgeschichtlich betrachtet ist der Karlstext des Pseudo-Turpin ein propagandistisches Erzeugnis, das im Dienste der J akobuspilgerschaft und des französisch-spanischen Spanienkreuzzugs gegen die 48 Wie Anm. 30. <?page no="32"?> 16 Mattbias Tischler muslimische Vorherrschaft steht, die durch Karl den Heidenkämpfer und Kreuzzugshelden einen völlig neuen Stellenwert bekommen. Im Hintergrund des Textes steht der seit dem Episkopat von Diego Gelmfrez (1098/ 1101-1140) ab 1120 gesteigerte Jakobuskult und das damit einhergehende Pilgerwesen; nach der bisherigen Forschungsmeinung seien damals die daraus resultierenden Interessen Campostelas an einer Reorganisation der Kirchenverfassung in Nordwestspanien und des auf die gesamte Iberische Halbinsel einwirkenden burgundischen Klosters Cluny übereingekommen. Ziel des Pseudo-Turpin wie des gesamten Codex Calixtinus ist einerseits die Stilisierung des Hl. Jakobus zum Apostel Spaniens, die Glorifizierung seiner Begräbnisstätte und der Pilgerfahrt dorthin. Der Pseudo-Turpin ist aber andererseits, wie die etwas ältere, im Auftrag Diego Gelmfrez' verfaßte urkundliche Bistumsgeschichte Compostelas, die Historia Compostellana49, auch ein literarisches Ergebnis jener französischen Einflußnahme in Nordspanien, die den Heidenkreuzzug auf der Pyrenäenhalbinsel aus der fränkisch-französischen Perspektive schildert und fördert. Der Text versteht sich nach dem bereits zum Urtext gehörenden Vorwort, dem sogenannten Leoprandus-Brief, als vierte Handschrift des Hl. Jakobus zur Heerfahrt nach und Bekehrung von Spanien und Galicienso. Er schildert, wie "unser weltberühmter Kaiser Karl der Große den spanischen und galicischen Boden von der Gewaltherrschaft der Sarazenen befreit hat", mithin also "die ruhmreichen Siege über die Sarazenen in Spanien"51. Dem Autor des Pseudo-Turpin können aber noch weitere Übertragungsleistungen gutgeschrieben werden, die allein im originalen Überlieferungskontext des Codex Calixtinus ihren vollen Sinn entfalten. Die 49 Hg. von Emma FALQU ERE Y, Historia Compostellana (CC Cont. med. 70, Turnhaut 1988) S. 3-530. Die Bistumsgeschichte ist im wesentlichen in zwei Bearbeitungsschritten entstanden. Die 1. Textschicht (I 1-45) stammt vom Compostelaner Thesaurar Nuiio Alfonso und ist um 1109/ 1110 anzusetzen; die 2. Textschicht (I Prolog, I 46 - 99, 101 - 117, II Prolog, II 1- 56, 59 -6 2 und 63 Nr. lf.) geht auf den au s Be auva is stammenden Magister Giraldus zurück und wird auf 112111124 datiert. Giraldus zeichnet sich durch Sprachbeherrschung, Belesenheit in antiken und christlichen Quellen und seine philosophischen Kenntnisse aus. Die 3. Textschicht von 1145/ 1149 (I 100, II 57f., 61, 63 Nr. 3-94 und III) gehört vermutlich dem Kanoniker Pedro Marcio. Die Chronik diente in ihrer vollendeten Fassung vornehmlich der Absicherung des 1120/ 1124 erlangten Metropolitanstatus' der Jakobuskirche. Wahrscheinlich sollte sie sogar den auf der Apostolizität der sedes gründenden Anspruch Campostelas auf Vorrangstellung innerhalb der spanischen Kirche geg enüber Toledo formulieren und ferner den Kampf um den Patriziat der galicischen Metropole über die westlichen Kirchen vorbereiten helfen. 50 Fol. 162 v: lncipit Codex nntu s sancti]acobi de expedimento et conversione Yspanie et Galleeie (PrologS. 37 Z. 2f. ). · 51 . . . qualiter imperator noster Jamosissimus Karalus m agnus tellurem y spanicam et gallecianam a potestate Sarracenorum liberavit ... laudanda super yspanicos.Sarracenos tr ophea (S . 37 Z. 13f. und ebenda Z. 15 - S. 38 Z. 1) . <?page no="33"?> Tatmensch oder Heidenapostel 17 bislang kriegerische geste des schon im 11. Jahrhundert als Heidenkämpfer und Kreuzzugshelden Spaniens beschriebenen karolingischen Herrschers wird in diesem Text nämlich konsequent theologisch gedeutet. Durch die Verschmelzung der älteren epischen Traditionen mit der schon im 11. Jahrhundert nachweisbaren kriegerischen Orientierung des spanischen Jakobuskultes wird somit der im Pseudo-Turpin umschriebene Glaubenskrieg in Spanien offen als heiliger Krieg der Kirche propagiert. Die Eroberung Spaniens wird zum heiligen Krieg, Karl neben seinen Streitern5 2, insbesondere von Roncesvalles (hier in erster Linie Roland), durch seine Wunder und Leiden auf dem Spanienfeldzug und seinen später dadurch auch verursachten Tod zu einem von Gott inspirierten Martyrer und Heiligen 53. Neu gegenüber der Historia Compostellana ist im Pseudo-Turpin auch die Übertragung des vollentwickelten Pilgergedankens auf die allgemeine Reconquista Spaniens. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Kaiser der Römer, Franzosen und Deutschen 54 zum Entdecker des Apostelgrabes 55 , ersten Santiagapilger und Förderer Campostelas als 52 Schon im Rolandslied werden Karls Krieger (V. 1132-1138 und 1521-1523) bzw. Roland (V. 2392-2396) zu Martyrern. 53 Als Martyrer werden bezeichnet Milo (c. 8 S. 49 Z. 294f.), Roland (c. 23 S. 81 Z. 1338 und 1339f.; c. 25 S. 83 Z. 1397- S. 84 Z. 1398), Kar! der Große (c. 32 S. 94 Z. 1721-1723), Turpin (Appendix A S. 97 Z. 1783) sowie alle christlichen Krieger auf den Spanienkreuzzügen (c. 8 S. 49 Z. 285f.; c. 10 S. 52 Z. 382 und 385; c. 16 S. 61 Z. 687f.; c. 23 S. 81 Z. 334f.; c. 29 S. 87 Z. 1513; c. 30 S. 89 Z. 1556; c. 32 S. 93 Z. 1696-1698; Appendix A S. 97 Z. 1793f. und 1795f.). Gleichwohl wird diese Martyrer- Vorstellung auch auf alle gegenwärtigen Kreuzfahrer in Spanien und im Heiligen Land übertragen (Appendix A S. 98 Z. 1813-1815 und Appendix D S. 101 Z. 1911-1914 und 1921-1930). 54 imperator Romanorum, Galliorum et Theutonicorum (c. 1 S. 41 Z . 37f.). 55 Die Entdeckung des Apostelgrabes wird mit der Zeit Karls des Großen erst in folgenden drei Compostelaner Quellen in Verbindung gebracht: 1. im Chronicon Iriense, bis 1080: Et Theodemirus, quindecim, factus est primus pontifex in sede beati Iacobi apostoli, diebus Caroli regis Francie et Adefonsi Hyspanie casti regis. Deinde Adefonsus castus in Asturias reversus, ut videret se cum Carolo magno rege Francie, mortuus est, hg. von Manuel-Ruben GARCfA ALVAREZ, EI Chronicon Iriense. Estudio preliminar, edici6n crftica y notas hist6ricas (Memorial Hist6rico Espaiiol. Colecci6n de documentos, opusculos y antigüedades que publica Ia Real Academfa de Ia Hist6ria 50, Madrid 1963) S. 1-240, hier S. 110 Z. 22- S. 111 Z. 3; 2. in der Historia Compostellana I II, 1, 1109/ 1110: Prenotatis autem episcopis fertur successisse Theodomirus eadem cathedra divina disponente gratia sublimatus, in cuius tempore divine maiestatis omnipotentia Occidentalem ecclesiam, sepulcro tanti Apostoli revelato, visitare et illuminare dignata est. ... Hoc autem sub tempore Karoli magni factum fuisse multis referentibus audivimus, Historia Compostellana, hg. von FALQUE REY (wie Anm. 49) S. 9 Z. 3-7 und 25-27; 3. im "Privilegium" des Diego Gelmfrez für das Compostelaner Kloster San Martfn Pinario vom 15. April1115: Postquam vero Teodomiro reverendissimo lriensi episcopo beatissimi la cobi apostoli sacratissima revelatio et sancta tumulatio apud Compostellam, tempore principis domni Adefonsi Casti, qui post <?page no="34"?> 18 Mattbias Tischler apostolischer Stätte stilisiert. Hier ist ein engeres, santiagazentriertes Karlsbild entworfen, das den Frankenherrscher im Verhältnis zum Hl. Jakobus umschreibt. So kommt es nicht von ungefähr, daß der gesamte Text durch die wenigen, aber gezielt plazierten "Begegnungen" Karls des Großen mit dem Apostelheiligen Campostelas nicht nur umrahmt56, sondern auch gegliedert 57 wird. Bereits im Anfangskapitel des Pseudo-Turpin wird deutlich, daß sein Karl im Gegensatz zu Einharts Kar158 einen präferierten Heiligen besitzt. Als nach ihrer Missionierung durch den ApostelJakobus die Galicier wieder in ihren alten Ab erglauben zurückfallen 59 und Karl nach der Niederwerfung diverser Königreiche60 den Sarazenen unzählige Länder und Städte entreißt61, träumt der Kaiser mehrfach von einer von Friesland bis Galicien reichenden Sternenstraße, die bis zu jenem Land reicht, in dem der Leib des Hl. Jakobus an damals unbekanntem Ort ruht62. Dann erscheint der Heilige Campostelas dem Herrscher dreimal in der Nacht persönlich63 und präsentiert sich als Apostel Galiciens, das noch immer von den Sarazenen unterdrückt werde64. Er wundert sich, daß Karl sein Land noch nicht von den Sarazenen befreit habe 65 und erklärt ihm die Sternenstraße als Symbol für das Heer, mit dem er Galicien erobern werde, bis er an den Ort der Kirche mit seinem Sarkophag gelangen werde, so daß auf diesem Weg alle Völker seines Herrschaftsraumes folgen werden66. Jakobus gibt sich dabei als Karls Helfer und Fürsprecher in allen Lebenslagen zu erkennen67. Der Text schildert in der Folge Karls kriegerische Pilgerfahrt aus der facettenreichen Perspektive eines Kreuzzugs nach Spanien. Viele der hier berührten Themenkreise sind dem frühmittelalterlichen Karlsbio- Sarracenorum ingressum construxit Ovetum, his diebus quibus Carolus Magnus Franciae dominabatur tune dignis illustrium episcoporum testimoniis, cognita et reperta, presente eodem principe, honorifice consecratur et ubique divulgatur .. ., hg. von Antonio L6PEZ FERREIRO, Historia de Ia Santa A.M. Iglesia de Santiaga de Campostela 3 (Santiago de Compostela 1900) Appendix XXXIII S. 97-104 (unvollständig), hier S. 97. 56 Jakobus-Visionen in c. 1 und 32. 57 Jakobus-Kult in c. 5 und 19. 58 Vgl. allenfalls Karls besonderes Verhältnis zu St. Peter in Rom (wie Anm. 70). 59 c. 1 S. 41 Z. 36-39. 60 Ebenda Z. 39--45. 61 Ebenda Z. 42--44. 62 Ebenda Z. 47-51. 63 EbendaS. 42 Z. 79f. 64 ... cuius corpus in Gallecia, quae a Sarracenis adhuc turpe opprimitur, incognitum requiescit, ebenda Z. 60f. 65 Ebenda Z. 61-63. 66 Ebenda Z. 67-72. 67 Ebenda Z. 76-78. <?page no="35"?> Tatmensch oder Heidenapostel 19 graphen Einhart zwar nicht fremd, doch spielen sie in seinem Wahrnehmungsschema kaum eine Rolle. So mischen sich in die Erzählung des Pseudo- Turpinetwa bei der wundersamen Eroberung der zuvor vergeblich belagerten Städte Pamplona und Luiserne, deren unüberwindbare Mauern nach einem Gebet zu Gott und dem Hl. Jakobus von selbst einstürzen 68 auch legendenhafte und wundersame Züge, die in Einharts Karlsbild wie Fremdkörper wirken würden6 9. Vertrauter hingegen ist dem von Einharts Karlsvita geprägten hochmittelalterlichen Leser das Bild des Kirchenstifters und -förderers Karl gewesen. Freilich wird diese von Einhart nur mit knappen Worten skizzierte Seite des Frankenherrschers, der insbesondere die Peterskirche in Rom und die Aachener Marienbasilika gefördert habe70, gleich um die Stiftung diverser Jakobuskirchen und unzähliger Klöster im Reich erweitert, die Karl mit Hilfe des spanischen Goldes und Silbers ermöglicht haben soll 71 . Doch auch hier ist die Santiago-Perspektive des Textes eindeutig: Reicher als die Grabstätte Rolands in der Basilika des Seligen Romanus in Blaye, in der die einst von Karl eingerichtete Kanonikergemeinschaft das Gedächtnis der in Roncesvalles Gefallenen feiern soll 72, wird nur die Kirche des Hl. Jakobus in Santiago gefördert. Hier installiert Karl sogar einen Bischofssitz und eine Kanonikergemeinschaft und wird somit zum Gründer des Domstifts von Santiago, das die Jakobusmemoria sichern soll 73 . Am deutlichsten ist die Jakobus-Zentrierung des Textes bei der Schilderung jenes legendären Kirchenkonzils von Santiago, auf dem Karl vor dem versammelten Bischofs- und Fürstenkollegium bestimmt, daß alle christlichen Bischöfe, Fürsten und Könige Spaniens und Galiciens aus Liebe zum Seligen Jakobus dem Bischof von Santiago gehorchen sollen 74 . Dann unterstellt er der Kirchenmetropole ganz Spanien und Galicien und macht ihr gegenüber jeden Hausbesitzer dieser Länder steuerpflichtig 75 . Er ernennt Compostela zur sedes apostolica 76 des Hl. Jakobus, an der regelmäßig die spanischen Bischofsversammlungen abgehalten und die Bischofsstäbe und Königskronen durch den Bischof 68 c. 2 S. 42 Z. 85- S. 43 Z. 92 und c. 3 S. 44 Z. 154-158. Vgl. auch c. 33 S. 95 Z. 1751- S. 96 Z. 1768 (Roland vor Grenoble). 69 Allenfalls die in c. 32 (S. 36 Z . 3- S. 37 Z. 16) geschilderten wundersamen Vorzeichen auf Karls Tod sind hiermit vergleichbar. 70 c. 27 S. 32 Z. 3- 15; c. 33 S. 40 Z. 20f. (Peterskirche); c. 17 S. 20 Z. 13- 16; c. 31 S. 35 Z. 19- 22 (Aachener Marienbasilika); c. 17 S. 20 Z. 26 - S. 21 Z. 2 (Sakralgebäude im Reich). 71 c. 5 S. 46 Z. 205-215. 72 c. 29 S. 86 Z. 1480- S. 87 Z . 1490 und ebenda Z. 1499-1517. 73 c. 5 s. 46 z. 201-205. 74 c. 19 s. 69 z. 963 s. 70 z. 966. 75 Ebenda Z. 971-974. 76 Ebenda Z. 976. <?page no="36"?> 20 Mattbias Tischler von Santiaga zur Zierde des Apostels Jakobus überreicht werden sollen77. Zudem solle der neue Metropolit "die führende Stellung in der Glaubensaufsicht und-wahrungüber ganz Spanien innehaben 78 . Gerade dieses Kapitel schildert einen Anspruch, den Compostela zur Entstehungszeit des Textes im Hinblick auf seine Stellung innerhalb der kirchlichen und weltlichen Machtstrukturen formulierte. Compostela beanspruchte damals die Spitzenstellung im spanischen Epikopat und eine herausgehobene Position gegenüber dem Königtum. Ein erster konkreter Schritt dahin war, daß Bischof Diego Gelmirez von Papst Calixt Il. die Erhebung Campostelas zum Erzbischofssitz (1120 und 1124) erreichte7 9. Vor diesem Hintergrund muß man das Bestreben des Pseudo-Turpin sehen, in dem genannten Kapitel die eigentümliche drei-sedes-Lehre des Magisters Giraldus in der Historia Compostellana weiter auszubauen80, wonach gemäß Matth. 20, 20-2881, daß der eine Jünger Christus zur Rechten, der andere aber zu seiner Linken sitzen dürfe, der Hl. Jakobus neben seinem Bruder, dem EvangelistenJohannes im Osten des Reiches Gottes zu Ephesus, zum Apostel des Westens aufsteigt 82 . Mit der ranghöchsten sedes des Hl. Petrus zu Rom in der Mitte gäbe es drei apostolische Sitze83, weil diese drei Apostel vor den anderen einen Vorrang hätten84. In diesem Zusammenhang muß ich nochmals auf die schon mehrfach beschriebene Parallelität zwischen dem eben genannten Kapitel und c. 30 desselben Textes abheben, in dem mit auffallend ähnlichen Worten ein nach der Rückkehr aus Spanien v on Karl nach Saint-Denis einberufenes Konzil geschildert wird, auf dem Karl ganz Frankreich dem Hl. Dionysius zu Lehen gibt und befielt, daß alle Könige und Bischöfe Frankreichs diesem Hirten gehorchen sollen, ohne seine Zustimmung weder gekrönt noch geweiht werden dürfen und jeder Hausbesitzer Frankreichs für den Bau der Kirche von Saint-Denis tributpflichtig sei. Man hat nicht zuletzt aufgrund dieser Passage implizit wie explizit die These von der möglichen Entstehung des gesamten Pseudo-Turpin-Textes in Saint-Denis zur Zeit Abt Sugers entwickelt (und damit indirekt eine originäre Überlieferung des Textes im Codex Calixtinus in Frage ge- 77 Ebenda Z. 975-980 . 78 Ebenda Z. 980 - 983 . 79 Historia C ompost ellana II XV, 1- 3 und II LXIV, 3- 7, H istoria Co mpostellana, hg. von FALQUE REY (wie Anm. 49) S. 249-251 und 350-356 . 80 Ebenda II III, 2, Historia Compostellana, hg. von FALQ U E REY (wie Anm. 49) S. 223 z. 35-40. 81 Vgl. auch Luc. 22, 24-27 und Mare. 10, 35-45 82 c. 19 s. 70 z. 983-993 . 83 Ebenda Z. 993-995 . 84 Ebenda Z. 995 - S. 71 Z. 1003. <?page no="37"?> Tatmensch oder Heidenapostel 21 stellt) 85 . Freilich kann man diesen Befund auch anders deuten: Die Parallelität der beiden Erzählungen, die übrigens jeweils am Ende der Einzelbiographien Karls und Rolands stehen, kann auch eine indirekte "historische" Legitimation des aus der Perspektive Campostelas eingeforderten Status als Kirchenmetropole Spaniens sein, ohne daß der Apostelstatus des Hl. Jakobus und die daraus resultierende Pilgerschaft durch das Konstrukt eines entsprechenden Ranges beim Hl. Dionysius beeinträchtigt werden sollte, zumal sich das Kirchenkonzil von Saint- Denis wegen der Chronologie der Ereignisse an den Inhalten der Compostelaner Versammlung zu orientieren schien. Die Parallelität der gedanklichen Struktur verrät ein Argumentationsschema, nach welchem die eine "historische" Vorgehensweise Karls die andere "historische" bestätigt und legitimiert. Der rätselhafte Pseudo-Turpin dürfte also die etwas älteren Bemühungen vergleichbaren Zuschnitts in der gleichfalls zum Pilgerzentrum gewordenen Königsabtei Saint-Denis gekannt haben, zumal seine postulierte Stellung als religiöses Zentrum des Königreichs Frankreich auch in anderen Ländern Europas imitiert worden ist. Da aber die literarischen Bestrebungen von Saint-Denis, den eigenen Klosterpatron in Konkurrenz zum Heiligen des traditionellen Krönungsortes der französischen Könige, Remigius von Reims, zum neuen sakralen Mittelpunkt des Königreiches, ja zum Apostel Frankreichs 86 zu stilisieren und damit das Sakralrecht zur Krönung des französischen Königs auf die eigene Seite zu ziehen, in den Zeitraum von 1127 bis Anfang 1129 zu datieren sind, kann der Pseudo-Turpin frühestens auf 1127/ 1129 datiert werden87. Das Neue an dem Karlstext des Pseudo-Turpin besteht also auch darin, daß das zu seiner Zeit längst bekannte Engagement Karls des Großen und seiner fränkischen Mitstreiter in Nordspanien 88 systema- 85 Dies hatte auch damit zu tun, daß die Forschung teilweise das in Saint-Denis gefälschte Karlsprivileg von 813 nahezu gleichen Inhalts (MGH DD Karo! . 1 [Hannover 1906] S. 429f. Nr. 286) als Vorlage von c. 30 des Pseudo-Turpin betrachtet. 86 Vgl. ... omnem Franciam ecclesiae eius [sc. S. Dionisit] in praedio dedit [sc. Karalus magnus] sicut beatus Paulus apostolus et Clemens papa beato Dionisio apostolatu antea illam praebuerat, c. 30 S. 88 Z. 1542- S. 89 Z. 1544. 87 Diese zeitliche Eingrenzung steht einerseits im Einklang mit der Erwähnung des Texephinus rex Arabum (c. 9 S. 50 Z. 327), des Almoravidenemirs Texufin (1126- 1137/ 1138); andererseits widerspricht sie nicht der Haltung, daß Bayonne zu den spanischen Städten gezählt wird (c. 3 S. 44 Z. 130f.), was auf die Herrschaftsverhältnisse Königs Alfons I. von Aragon-Navarra zwischen 1131 und 1134 hinweist. 88 Der älteste und die davon abhängigen Texte berichten von einigen Sarazenen, die (wegen der rebellischen Muslime im Norden Spaniens) Kar! in Paderborn aufsuchen (und sich ihm unterwerfen). Kar! zieht nach Pamplona, dann nach Zaragossa, das vom gesamten Heer belagert wird; auf dem Rückweg wird Pamplona geschleift, die Spanier, Basken und Navarrer werden unterworfen (Annales regni Francorum, MGH SS rer. Germ. [6] [Hannover 1895] S. 48 Z. 9f. und 14- 18 sowie S. 50 Z. 5- 15; <?page no="38"?> 22 Mattbias Tischler tischzur Legitimierung des Compostelaner Jakobuskultes herangezogen wird und dabei im Unterschied zur etwas älteren Historia Compostellana die Begründung der Metropolenstellung der Apostelstätte Compostela ohne päpstliche Hilfe allein auf die Initiative Karls des Großen zurückgeführt wird. Die Erinnerung an das karolingische Ereignis von 778 ist also für den Jakobuskult, seine Pilgerschaft und die daraus angeblich resultierende kirchliche Präponderanz Campostelas erstmals funktionalisiert, mit der Bezugnahme auf den fränkischen Herrscher die Jakobuspilgerfahrt aber auch mit dem ehemals karolingischen Herr- Annales Tiliani, MGH SS 1 [Hannover 1826] S. 220 Sp. b Z. 57f. und 60-62 sowie ebenda Z. 65- S. 221 Sp. a Z. 2; Annales Fuldenses, MGH SS rer. Germ. [7] [Hannover 1891] S. 9 Z. 30-32 und 37-40; Annales qui dicuntur Einhardi, MGH SS rer. Germ. [6] [Hannover 1895] S. 49 Z. 8-10; ehenda Z. 21- S. 51 Z. 1 und ebenda Z. 5-15). Allein von der Eroberung Pamplonas und dem Vormarsch bis Zaragossa berichten die Annales Laureshamenses (hg. von Eberhard KATZ, Annalium Laureshamensium editio emendata secundum codicem S. Paulensem XXV. c/ 32 Uahresberichte des öffentlichen Stifts-Untergymnasiums zu St. Paul in Kärnten 1889, St. Paul 1889], S. 32 Z. 1-5), das Chronicon Laurissense breve (MGH SS 1 S. 31 Z. 13- 16; hg. von Hans SCHNORR VON CAROLSFELD, Das Chronicon Laucissense breve, Neues Archiv 36 [1911] S. 13-39, hier S. 31 Z. 25-27), das Chronicon Moissiacense (MGH SS 1 [Hannover 1826] S. 296 Z. 13-15) und das Chronicon Anianense (hg. von Edmond MARTENE/ Ursin DURAND, Veterum scriptorum et monumenterum ... amplissima collectio 5, [Paris 1729] S. 895 Z. 22 und 25f.; hg. von J acques-Paul MIGNE, Patrologia latina 98 [Paris 1851] Sp. 1411-1434, hier Sp. 1419 Z. 14- 19); allein von der Eroberung Pamplonas ist die Rede in den Annales Petaviani (MGH SS 1 [Hannover 1826] S. 16 Z. 31), allein von Karls Anwesenheit in Zaragossa in der Annalium S. Amandi Continuatio altera (ebendaS. 12 Z. 24) und in der Annalium Laubacensium Continuatio altera (ebendaS. 13 Z. 26). Karls Spanienzug erwähnen ferner die Annales Sangallenses maiores (hg. von Carl H ENKING, Die annalistischen Aufzeichnungen des Klosters St. Gallen, Mittheilungen zur Vaterländischen Geschichte 19 [1884] S. 195-386, hier S. 270 Z. 19), die Annales Sangallenses Baluzii (hg. von HENKING, ebendaS. 204 Z. 6f.), die Continuationes zu den Annales Alamannici, Annales Guelferbytani und Annales Nazariani (MGH SS 1 [Hannover 1826] S. 40 Sp. a Z. 30; ebenda Sp. b Z. 30 und ebenda Sp. c Z. 30f.), die Annales Augienses (ebenda S. 67 Z. 33) und die Annales Colonienses (ebendaS. 97 Z. 28). Die Überredungskünste der muslimischen Fürsten lassen in Kar! die Hoffnung keimen, in Spanien etliche Städte zu erobern (Annales qui dicuntur Einhardi [wie oben] S. 51 Z. 5-7; Poeta Saxo, MGHPoet.lat. 4, 1 [Berlin 1899] S. 15 V. 362-364). In einer etwas späteren und den davon abgeleiteten Quellen wird Karls Spanienzug zusätzlich durch die in Nordspanien von den Sarazenen bedrückten Christen motiviert (Annales Mettenses priores, MGH SS rer. Germ. [10] [Hannover- Leipzig 1905] S. 66 Z. 14-16; vgl. Annales Mettenses posteriores, ebenda S. 99 Z. 14f.; Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c. 2, MGH SS rer. Germ. 64 [Hannover 1995] S. 286 Z. 16f.). Ein Heerteil marschiert durch Septimanien bis Barcelona, ganz Spanien wird durch die Armeen erschüttert (Annales Mettenses priores [wie oben] S. 66 Z. 19- S. 67 Z. 1). Auf dem Rückzug über die Pyrenäen wird (an dem erst später überlieferten Ort Roncesvalles) Karls Nachhut von Basken überfallen und aufgerieben (Annales qui dicuntur Einhardi [wie oben] S. 51 Z. 15- S. 53 Z. 2; Einhart, Vita Karoli c. 9 [wie Anm. 8] S. 12 Z. 6-26, hieraus im Chronicon Anianense [wie oben] S. 895 Z . 43 - S. 896 <?page no="39"?> Tatmensch oder Heidenapostel 23 schaftshereich verknüpft und in den okzidentalen Rahmen eingebunden worden. Damit ist der Text des Pseudo-Turpin ein raffiniertes Kampfmittel zur Erlangung des kirchenliehen Primats über Spanien mittels einer von Karl authentisierten sedes apostolica. Nicht erkennbar ist bislang, ob der eben geschilderte Entwurf aufgrund der allgemeinen Konkurrenzsituation auch zur Abgrenzung der Jako buspilgerschaft von anderen internationalen Pilgerfahrten des 12. Jahrhunderts vorgenommen wurde. Es ist aber wegen der bereits erwähnten Saint-Deniser Einflüsse auf den neuen Karlstext durchaus Z. 7; Jacques-Paul MIGNE, Patrologia latina 98 Sp. 1419 Z. 33-53; Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c. 2 [wie oben] S. 288 Z. 11-13; Poeta Saxo [wie oben] S. 16 V. 377-400). Karl unterhält Kontakte zu Alfons II. den Keuschen (in Oviedo) (Einhart, Vita Karoli c. 16 [wie Anm. 8) S. 19 Z. 3-6). Er hat Spanien freilich nur bis zum Ebro unterworfen (ebenda c. 15, ebendaS. 18 Z. 7-10). Erst im 11. Jahrhundert wird erzählt, Karl der Große habe den Mauren Spanien bis Cordoba entrissen: Tenuitque domnus Carolus, Deo largiente, in potestate sua omnem terram de monte Gargano usque in Cordubam civitatem Hispanie (Ademar von Chabannes, Chronicon II 1, hg. von Pascale BOURGAIN/ Richard LANDES/ Georges PoN, Ademari Cabannensis Chronicon [CC Cont. med. 156, Turnhout 1998) S. 77 Z. 88-90: nachweisbar in den Fassungen ß und y sowie in der Handschrift Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Reg.lat. 692, fol. 8Jrb, hg. von Paolo GATT! , Intorno al "Chronicon" di Ademaro di Chabannes, Studi Medievali III, 21 [1980) S. 347-365, hier S. 357 Z. 3-5; der bei BOURGAIN LANDES PON [wie oben) S. 244, irrtümlich unter "Ill, 1, 90" abgedruckte Kommentar gehört aufS. 218); vgl. Miracula S. Genulfi II 5: qua a monte Gargano usque Cordubam Hispaniae civitatem dominatus est (MGH SS 15, 2 [Hannover 1888] S. 1206 Z. 9). Zu nennen ist ferner die erst im Sommer 1953 aufgefundene Nota Emilianense in der Handschrift Madrid, Real Academia de la Historia, Aemil. 39, fol. 245r aus San MilLin de la Cogolla, ca. 1065-1075, eine lateinische Kurzfassung des wenig später im Rolandslied verarbeiteten Stoffes (hg. von Dirnaso ALONSO, La primitiva epica francesa a la luz de una "nota emilianense", Revista de filolog fa espaiiola 37 [1953) S. 1-94, hier S. 9). Der noch nicht sicher verortete Autor der sogenannten Historia Silense, bislang um 1115 datiert, relativiert hingegenmit Kenntnis historischer Qu ellen vehement die fränkischen Erfolge und Verdienste in Spanien: Sed neque Carolus, quem infra Pireneos montes quasdam civitates a manibus paganorum eripuisse Franci falso asserunt ... Inde cum Cesaraugustam civitatem accessisset, more Franeorum auro corruptus, absque ullo sudore pro eripienda a barbarorum dominatione santa ecclesia, ad propria revertitur ... Porro, cum in reditu Panpiloniam, Maurorum opidum, destruere conaretur, pars maxima exercitus suy in ipso Pireneo jugo magnas exsolvit penas. Siquidem cum agmine longo, ut angusti loci sytus permitebat, porrectus iret exercitus, extremum agmen quod precedentes tuebatur, Navarri desuper incursantes agrediuntur. Consertoque c um eis prelio, usque ad unum interficiunt. In quo bello Eggihardus, mense Caroli regis prepositus, Anselmus, sui palatii comes, et Rotholandus, Britanicus prefectus, cum aliis conpluribus ceciderunt. Quod factum usque in hodiernum diem inultum permansit, hg. von Justo PEREZ DE UR- BEL/ Atilano Gonzalez Rurz-ZORRILLA, Historia Silense (Consejo Superior de Investigaciones Cientfficas. Escuela de Estudios Medievales. Textos 30, Madrid 1959) S. 129 Z. 18- S. 131 Z. 2. Es scheint sich hier um eine Reaktion auf die Darstellung des Pseudo-Turpin, nicht auf die der zeitgenössischen französischen Epik, zu handeln. <?page no="40"?> 24 Mattbias Tischler denkbar, daß die in diesem Kloster bald nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zu einem Text geronnene ältere Idee der Kreuz- und Pilgerfahrt Karls des Großen nachJerusalem89 Pate gestanden hat9 0. Insofern wäre die Frage zu stellen, ob nicht die Saint-Deniser Descriptioeine "Gründungsurkunde" für die Idee der bewaffneten Pilgerschaftdem anonymen französischen Autor des Pseudo-Turpin den Anstoß zu ihrer Übersteigerung gegeben hat, insofern Karls Pilgerschaft nach Santiaga nicht allein zur Auffindung und Wegführung von Reliquien, sondern zur festen Einrichtung eines apostolischen Sitzes geführt hätte. In jedem Falle scheint der Pseudo-Turpin eine Mischung aus nordfranzösischem Kulturimport und nordspanischen Haustraditionen zu sein. Er steht am Anfang der lateinischen Einflußnahme der französischen Milieus auf die spanische Kreuzzugspropaganda im früheren 12. Jahrhundert. Das eben skizzierte engere, santiagazentrierte Bild des ersten Jakobuspilgers wird in dem Text des Pseudo-Turpin auch von einem umfassenderen, von Santiaga losgelösten Bild des Heidenapostels der Spanier umschlossen 91 . Das politische Konzept des Herrschers als Apostel einer Völkerschaft spielt in Einharts Karlsbild noch keine Rolle . In seiner Herrscherbiographie haben nahezu alle religiösen Aspekte in Karls Leben, seine Kontakte mit den Päpsten und seine Rombesuche 92 sowie seine Sorge um die Kirchen des Reiches, insbesondere um die Aachener Basilika93, einen oft persönlichen, fast privaten Charakter. Einharts Karl ist nicht der Streiter Gottes, der dem christlichen Glauben mit Waffengewalt oder Kirchenpolitik unter dem Schutz Gottes, der Engel und Heiligen zum Sieg verhilft. Selbst die Protektion der heiligen Stätten in Jerusalem bekommt Karl von Harun al-Raschid mehr aus freundschaftlichen denn politischen Gründen übertragen9 4 • Während Einhart den religiösen Handlungen des Frankenherrschers auch den letzten Hauch einer kirchenpolitischen oder gar papstbezogenen Dimension nehmen möchte, um zu zeigen, daß Karls Herrschaft nicht wie das geistlich über- 89 Descriptio qualiter Karolus Magnus clavum et coronam Domini a Constaminopoli Aquisgrani detulerit ..., hg. von RAUSCHE N, Legende Karls des Großen (wie Anm. 22) S. 103-125. Ein von Rauschen ebendaS. 123, ausgelassenes Textstück ist ediert von Jacques NOTHOMB, Manuscrits et recensions de l' It er Hierosolimitanum Caroli Magni, Romania 56 (1930) S. 191- 211, hier S. 208-211. 90 D er eingehende Vergleich beider Karlstext e bleibt ein Desiderat, das hier nicht eingelöst w erden kann. 91 Ut enim Dominus noster Ihesus Christus una cum duodecim apostolis et discipulis suis mund um adquisivit, sie Karalus rex Galliorum et imperator Rarnanorum cum his pugnatoribus Yspaniam adquisivit ad decus nominis Dei, c. 11 S. 54 Z. 466-470. 92 c. 10 S. 13 Z. 23 -S. 14 Z. 2; c. 19 S. 24 Z. 14- 17; c. 23 S. 28 Z. 9-12 und c. 27 S. 32 Z. 3-15. 93 c. 17 S. 20 Z. 13-16; c. 26 S. 30 Z. 25 - S. 31 Z. 13 und c. 31 S. 35 Z. 19- 22. 94 c. 16 S. 19 Z. 11 - 26. <?page no="41"?> Tatmensch oder Heidenapostel 25 höhte Kaisertum Ludwigs des Frommen eine spiritualisierte Einrichtung war und Karls Fürsorge für die Kirche und ihre Gläubigen weniger aus der Verpflichtung eines Amtes, als vielmehr aus der persönlichen Frömmigkeit herrührte, entfaltet der Pseudo-Turpin die ganze Bandbreite eines apostelgleichen herrscherliehen Handelns. Karlist milde gegenüber den taufwilligen Sarazenen, aber hart gegenüber den Widerspenstigen95. Er besucht das Grab des Hl. Jakobus und dankt für dessen Beistand96. Er läßt die Abtrünnigen im Glauben durch eine erneute Taufe stärken, die neuen Konvertiten erstmals taufen und die Abtrünnigen entweder köpfen oder gefangennehmen97. Er zerstört Götzenbilder 98 und baut Kirchen und Klöster99. Nach seinem erneut erfolgreichen Feldzug setzt er in den Städten Bischöfe und Priester ein 100 . Zentrale Bedeutung kommt dem Bild des Heidenapostels inbesondere durch die Schilderung einer gelehrten Disputation zwischen Karl und dem Sarazenen Aigoland in c. 12 zu101. Aus Einharts wortlosem Karlist ein intellektueller Diskutant geworden. Doch in Wahrheit ist die Disputation ein Religionsgespräch und damit nur die Kehrseite des sonst mit dem Schwert ausgetragenen Heidenkampfes. Die Rollen sind klar verteilt, und der für Karl erfolgreiche Ausgang des Gesprächs ist vorherzusehen. Karl sitzt gleichsam zu Gericht1 D 2, und ausgerechnet die Pilgerstraße nach Santiago de Compostela trennt die beiden feindlichen Heere 103 . Auslöser des Gesprächs ist Karls Frage, warum Aigoland sein Land auf betrügerische Weise weggenommen h abe1°4. In typisch orientalischer Manier bezweifelt Aigoland unter Verweis auf Karls Ahnenreihe dessen territoriale Besitzrechte1 05. Die Legitimation zu seinem Handeln erlangt Karl durch Christus, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der das Christenvolk über alle, also auch über das Sarazenenvolk gesetzt habe, woraus sich der Missionsauftrag ergebe 10 6. Das gegenseitige Aufwiegen der Glaubensargumente führt zu nichts. Daher muß die Entscheidung 95 c. 2 S. 43 Z. 92-94 und Z. 1 08-113; c. 19 S. 69 Z. 959-961. 96 c. 2 S. 43 Z. 105-108. 97 Wie Anm. 95. 98 c. 4 s. 45 z. 176f. 99 c. 5 s. 46 z. 199 - 215 . 1oo c. 19 S. 69 Z. 961f. 101 V g l. di e parall ele Sc hild e rung der Di sputa ti on zw is chen Fer racutus und Rola nd z um christlichen Gl a ub en und di e T rinitä t als P roblem für den Mu s lim en in c. 17 S. 63 Z. 764- S. 64 Z. 779 und der weiter explizierend e Einschub ebendaS. 64 Z. 781 - S. 66 Z. 859. 102 ante Karoli tribunal (c. 12 S. 55 Z. 496). 103 Via iacobitana dividebat utrumque exercitum (eb e nd a Z. 499f .). 104 Eb e nda Z. 501f. 105 c. 12 s. 56 z. 512-514. 106 EbendaZ. 514-51 9. <?page no="42"?> 26 Mattbias Tischler im Zweikampf als Gottesentscheid fallen. Wer gewinnt, hat den besseren Glauben und führt den Unterlegenen zur Taufe. Es kommt zu einer Abfolge von Kämpfen mit jeweils gesteigerter Teilnehmerzahl (20, 40, 100,200 und 1000), wobei immer die christliche Seite gewinnt 107 . Nach diesem Ausgang sieht Aigoland ein, daß das Christentum besser ist und will die Taufe für sich und sein Volk. Neu sind gegenüber E i nharts vertrautem Karlsbild, das behutsam übernommen und weiterentwickelt wird108, auch die weiteren Eigenschaften Karls des Großen im Pseudo-Turpin. Es sind die Facetten des Idealherrschers der hochmittelalterlichen Feudalherrschaft. Der Frankenherrscher wird nicht allein als unbezwingbarer Ritter 109, sondern auch als weitsichtiger, erfahrener Diplomat und gerissener Heerführer 107 Bemerkenswert ist hier die moralisierende Auslegung der 100 positiven (= siegreichen) und 100 negativen(= fliehenden) christlichen Kämpfer, c. 12 S. 57 Z. 548-555. Vgl. c. 8 S. 49 Z. 306- S. 50 Z. 322 . 108 Im Vergleich zu Einharts Kar! (c. 25 S. 30 Z. 1-7) ist die Sprachkompetenz des Frankenherrschers noch um die Beherrschung des Arabischen erweitert, das er in seiner Jugendzeit in Toledo gelernt haben soll (c. 12 S. 56 Z. 509-511). Auch der Kar! des Pseudo-Turpin zeigt menschliche Züge, denn er weint über den Tod Rolands (c. 25 S. 83 Z. 1386- S. 84 Z. 1406) wie Einharts Kar! beim Tod seiner Kinder (c. 19 S. 24 Z. 12-14). Zudem ist er wie Einharts Kar! ein Förderer Aachens (c. 30 S. 89 Z. 1569-1578): Er läßt die heißen und kalten Quellen fassen (vgl. c. 22 S. 27 Z. 13-21), die Basilika der Hl. Maria mit Gold, Silber, allem kirchlichen Zierat und Bildern aus dem Alten und Neuen Testament schmücken (vgl. c. 17 S. 20 Z. 14 - 16 ; c. 26 S. 30 Z. 25 - S. 31 Z. 13 und c. 31 S. 35 Z. 19-22) und den Palast unter anderem mit Szenen aus den spanischen Feldzügen und den sieben Freien Künsten ausmalen. Letztere werden dann in c. 31 S. 90 Z. 1579- S. 92 Z. 1663 auf zwei im Codex Calixtinus Anfang des 13. Jahrhunderts eingefügten Blättern geschildert. Wie bei Einhart (c. 32 S. 36 Z. 3- S. 37 Z. 16) weisen Vorzeichen auf den nahen Tod Karls des Großen hin (c. 32 S. 93 Z. 1706- S. 94 Z. 1721) . Nicht zum originalen Textbestand des Pseudo-Turpin gehört c. 20, für das bezüglich S. 72 Z. 1028-1040 sicher Einharts äußere Beschreibung Karls des Großen in c. 22 (S . 26 Z. 19 - S. 27 Z. 3), bezüglich S. 72 Z. 1040f., 1041-1045 und 1051f. vermutlich die Folgekapitel23, 24, 27,24 und 25 zu Karls Privatleben Anregungen gegeben haben. 109 Kar! und Milo stellen den heidnischen afrikanischen König Aigoland, der die durch Kar! christlich gewordenen Städte Spaniens in seine Macht bekommt (c . 6 S. 46 Z. 218-222), in einem erneuten Feldzug (c. 8 S. 48 Z. 260 -268). Ab diesem Zeitpunkt schildert der Text einen ritterlichen Zweikampf zwischen dem Heiden- und dem Christenherrscher an wechselnden Schauplätzen (in südwestfranzösischen und nordspanischen Städten). Die jeweils in gleicher Stärke gegeneinander ausgetragenen Kämpfe zwischen den Sarazenen Aigolands und Karls Männern enden nahezu ausschließlich mit dem Tod der Heiden (ebenda Z. 269-278). Kar! selbst kämpft, nachdem sein Pferd getötet wurde, zu Fuß mit seinem Schwert Gaudiosa weiter und tötet viele Sarazenen (ebendaS. 49 Z. 296-299; vgl. auch c. 10 S. 52 Z. 386-388 und c. 18 S. 68 Z. 933 - S. 69 Z. 938). Der Schlachtausgang bleibt offen, Aigoland flieht aber am nächsten Tag nach Le6n, als Kar! Verstärkung aus Italien bekommt (ebenda Z. 299- 303). <?page no="43"?> Tatmensch oder Heidenapostel 27 geschildert 110. Er ist auch ein Herrscher des Rechts und des Friedens 111 , ein gerechter und strenger Richter 112, Grundherr 1 13 und Förderer aller Stände 114. Werfen wir abschließend noch einen Blick auf alte und neue Fragen der Pseudo-Turpin-Forschung: Die zentrale Frage, warum sich der Autor eines in den Quellen recherchierbaren Reimser Pseudonyms115 bedient und seinen Widmungsbrief an Leoprandus, den vorgeblichen Dekan der Aachener Marienkirche, schickt, ist noch nicht schlüssig beant- 110 Als Bote verkleidet begibt sich Kar! zu Aigoland in Agen, spioniert auf diese Weise die Befestigung der Stadt aus und erobert sie nach längerer Belagerung (c. 9 S. 50 Z. 341- S. 51 Z. 367). Aigoland war zuvor schon geflohen (ebendaS. 51 Z. 363f.; vgl. c. 10 S. 52 Z. 392f. zu Saintogne). In der Schlacht gegen die Geistermasken von Ebrahim und Almanzor läßt Kar! seinen Pferden die Augen verhüllen und die Ohren verstopfen, damit sie nicht scheuen (c. 18 S. 68 Z. 920-929). 111 Kar! befreit alle Sklaven in Frankreich samt ihrer Nachkommenschaft, auch im Hinblick auf die bewaffnete Pilgerschaft gegen die Heiden in Spanien (c. 11 S. 52 Z. 402-408). Er befreit die Gefangenen, beschenkt die Armen (vgl. c. 32 S. 93 Z. 1698-1700), befriedet die Störenfriede, setzt die Würdenträger wieder in ihre Ehren ein, organisiert alle Waffenkundigen und -fähigen und gewinnt die aus seiner Gnade Gefallenen wieder (c. ii S. 52 Z. 408- S. 53 Z. 414). 112 Kar! findet den Verrat des Ganalon durch einen Stellvertreterzweikampf heraus und läßt ihn vierteilen (c. 26 S. 85 Z. 1439-1453). 113 Nach dem Sieg über Ebrahim und Almanzor verteilt Kar! die Länder und Provinzen Spaniens (c. 18 S. 69 Z. 946-954). 114 Vgl. allgemein c. 13 S. 57 Z. 565- S. 58 Z. 600: Vor der Taufe Aigolands kommt es zum Gespräch über die verschiedenen Stände, die an Karls Tafel speisen: Soldaten, Mönche, Kanoniker, Kleriker und andere. Kar! erläutert Aigoland die Gesellschaftsordnung. Die 13 schlecht gekleideten Armen, die auf der Erde sitzend ohne Tisch und Decke wenig Essen und Trinken bekommen und die symbolisch für die Apostel stehen, sind für Aigoland der Anlaß, die Taufe zu verweigern, weil die Religion falsch sein muß, die die Armen nicht versorgt. Daraufhin läßt Kar! alle Armen in seinem Heer sorgfältig kleiden und verpflegen. 115 Der Reimser (Erz)Bischof Tilpin wird in folgenden Quellen erwähnt: Die einzige zeitgenössische und nichtreimsische Quelle ist 1. diejenige des römischen Konzils von 769, an dem Tilpin teilgenommen hat: MGH Conc. 2, 1 (Hannover - Leipzig 1906) S. 74-92 Nr. 14, hier S. 75 Z. 13 (und S. 80 Z. llf .). Fast alle weiteren Quellen liefern Versatzstücke eines rekonstruierten Tilpin-Bildes Hinkmars von Reims und der von ihm abhängigen Reimser Literatur. Als Deutungsmuster für die eigene Gegenwart wird Tilpin zum Reparator des Enteignungsfrevels Kar! Martells und zum ersten wieder handlungsfähigen Reimser Bischof des 8. Jahrhunderts stilisiert: 2. In dem frühestens um die Mitte des 9. Jahrhunderts (852) gefälschten bzw. interpolierten Brief Papst Hadrians I. an Tilpin GE Nr. 2411; hg. von Emile LESNE, La lettre interpolee d'Hadrien I a Tilpin et l'eglise de Reims au rxe siede, Le Moyen Äge 26 [1913] S. 325-351 und 389-413, hier S. 349-351), der teilweise in c. 14 der Reimser Vita Rigoberti episcopi Remensis von etwa 888 integriert ist (MGH SS rer. Merov. 7 [Hannover - Leipzig 1920] S. 58-78, hier S. 71 Z. 1-13; Tilpin S. 70 Z. 31 genannt) und über diese Lebensbeschreibung in Flodoards Historia ecclesiae Remensis von 948/ 954 gelangt ist (II 13, MGH SS 36 [Hannover 1998] S. 162 Z. 26 - S. 163 Z. 10; <?page no="44"?> 28 Mattbias Tischler wortet. Da es sich um einen Karlstext handelt, ist seine vorgetäuschte Zusendung nach Aachen, dem Begräbnis- und Memorialort Karls des Großen, einleuchtend. Das Pseudonym des in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts tatsächlich nachweisbaren Reimser Erzbischofs verstärkt die Authentizitätsbemühungen des anonymen Autors, der sich als sedulus Karoli magni imperatoris in Yspania consocius116 bezeichnet, der die wundersamen Taten und den Triumphzug Karls des Großen im sarazenischen Spanien mit eigenen Augen gesehen habe: quae propriis occulis Tilpin S. 162 Z. 24 genannt), wird zugunsten Tilpins die definitive päpstliche Bestimmung der institutionellen Privilegien der Kirchenprovinz und des Metropoliten von Reims festgehalten. Weitere eigenständig überlieferte Bruchstücke dieses Papstbriefes stehen in II 16 S. 167 Z. 14-22 (Tilpin ebenda Z. 13 genannt) und II 17 S. 168 Z. 5-10 (Tilpin ebenda Z. 6 genannt) sowie ebenda Z. 12- S. 169 Z. 35. 3. Hierauf bezieht sich Hinkmars Opusculum LV capitulorum 16 von 870: Sed et Adrianus papa Tilpino praedecessori nostro talia suae auctoritatis privilegia, et sibi commissae ecclesiae dedit, sicut scripta quae habemus demonstrant Qacques-Paul MIGNE, Patrologia latina 126 [Paris 1852] Sp. 282-494, hier Sp. 339 Z. 25-28). 4. Hinkmar läßt in seiner Vita (II) S. Remigii episcopi Remensis von etwa 878 Pippin den Jüngeren Reimser Kirchengut restituieren und Tilpin zum Bischof einsetzen (MGH SS rer. Merov. 3 [Hannover 1896] S. 250-341 , hier S. 252 Z. 6-8). 5. Aus HinkmarsGestade villa Noviliaco von vermutlich März/ August 876 geht hervor, daß Tilpin im 23. Jahr nach der Schenkung Karlmanns (771 ? ) gestorben sei (MGH SS 15, 2 [Hannover 1888] S. 1167-1169, hier S. 1168 Z. lf.; hg. von Hubert MORDEK, Ein exemplarischer Rechtsstreit. Hinkmar von Reims und das Landgut Neuilly-Saint-Front, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rec ht sgeschichte. Kanonistische Abteilung 83 [1997] S. 86- 112, hier S. 103 Z. 14f.). 6. In Hinkmars Versepitaph auf Tilpin, das in Flodoards Reimser Kirchengeschichte II 17 erhalten ist, wird vermerkt (V. 3f.), daß Tilpin zunächst Mönch in Saint-Denis gewesen sei (MGH Poetae 3 [Berlin 1886-1896] S. 409f. Nr. IV; MGH SS 36 [Hannover 1998] S. 171 Z. 16-25; vgl. auch ebendaS. 168 Z. 3). 7. In Flodoards Historia ecclesiae Remensis II 17 steht ferner, daß Tilpin Kirchengut (zurück)erworben (MGH SS 36 [Hannover 1998] S. 169 Z. 36- S. 170 Z. 4 und S. 171 Z. 12f.), in Saint-Remi Mönche angesiedelt (ebendaS. 170 Z. 6-9) und von den fränkischen Königen die Immunität seiner Kirche bestätigt und andere Privilegien verliehen bekommen habe (ebenda Z. 9- 15 und S. 171 Z. 6- 8; S. 170 Z. 15- 23; ebenda Z. 24 - S. 171 Z. 3; ebenda Z. 8-11; vgl. III 20 S. 267 Z. 5-11) sowie im 47. Jahr seines Episkopats gestorben sei (ebenda S. 171 Z. 13f.). Auf Bitten Karls des Großen soll Tilpin das Pallium verliehen bekommen haben (II 17 S. 168 Z. 6-10; vgl. auch ebendaS. 171 Z. 4-6). 8. In II 18 steht, daß Wulfar Tilpins Nachfolger gewesen sei (ebendaS. 172 Z. 2). 9. In der Passio SS. Timothei et Apollinaris martyrum in der Redaktion des Flodoard steht, daß Tilpin die Reliquien dieser Martyrer erhoben habe (I 4, ebendaS. 69 Z. 31f.). 10. Die wohl unter Abt Odbert von Saint-Bertin (986-1007) entstandene Reichsannalenhandschrift Saint-Omer, Bibliotheque municipale, Ms. 706 hat im Jahresbericht zu 789 folgenden Zusatz: Hoc vero anno, ut computatum est, despositio fuit Tilpini episcopi III Non. Septembr. (MGH SS rer. Germ. [6] [Hannover 1895] S. 84 Z. 25f.). Es fällt auf, daß es unter diesen (vorgeblich) historischen Quellen keinen einzigen zeitgenössischen oder aus dem 9. -10 . Jahrhundert stammenden Saint-Deniser Text zu Tilpin gibt, während dasselbe Kloster im 11. Jahrhundert mit einer Quelle aufwarten kann, die Turpin bereits mehrfach im Kontext der Karlslegende erwähnt (vgl. Anm. 118). 11 6 Prolog S. 37 Z. 9. <?page no="45"?> Tatmensch oder Heidenapostel 29 intuitus sum 117 . Freilich mußte der anonyme Autor des 12. Jahrhunderts die Verknüpfung der Augenzeugenschaft Tilpins/ Turpins mit dem Spanienfeldzug Karls des Großen und Rolands nicht mehr leisten. Als Begleiter Karls und Rolands war der Reimser Erzbischof Tilpin/ Turpin schon in der nordspanischen Nota Emilianense von 1065/ 1075 und der hierauf fußenden ältesten Fassung des bekannten nordfranzösischen Rolandsliedes von etwa 1100 (Chanson de Roland) eingeführt worden118, auch wenn er hier jeweils mit der fränkischen Nachhut in Roncesvalles untergegangen ist, was der Pseudo-Turpin nun nicht mehr behaupten konnte, weil ihm sonst sein fiktiver Augenzeuge abhanden gekommen wäre. Der gleichfalls unbekannte Autor des Rolandsliedes muß wegen seiner Kenntnis des Jahres 778 um die Gleichaltrigkeit Til- 11 7 EbendaS. 38 Z. 1. 118 1. Nota Emilianense: episcopo domni torpini, hg. von ALONSO, La primitiva epica francesa (wie Anm. 88) S. 9. 2. Chansonde Roland (sog. Rolandslied), V. 170-2963, hg. von Ian SHORT, La Chansonde Roland (Le Iivre de poche. Lettres gothiques 4524, Paris 2 1990) S. 38- 200. Ohne ausdrückliche Nennung der Roncesvalles-Episode ist der legendäre Turpin auch in folgenden Texten nachweisbar: 3. In der in Saint-Denis um 1053/ 1054 entstandenen Descriptio wird er dreimal erwähnt, hg. von RAUSCHEN, Legende Karls des Großen (wie Anm. 22) S. 103-123, hier S. 108 Z. 9; S. 121 Z. 24f. und NoTHOMB, Manuscrits et recensions (wie Anm. 89) S. 209 Z. 2. 4. In einer um 1090 gefälschten Karlsurkunde aus dem Kanonikerstift Saint-Yrieix-de-la-Perche (südlich von Limoges) wird die Gründung des Klosters mit Pippin dem Jüngeren und dem nach Spanien ziehenden Kaiser (! ) Karl den Großen in Verbindung gebracht. Turpin wird unter den Zeugen genannt. Das auf 794 datierte Falsifikat ist eine Klostergründungslegende in Urkundenform. Ihre Quelle war ein mit der Nota Emilianense verwandter Text (MGH DD Karo! . 1 [Hannover 1906] S. 356f. Nr. 251). 5. In einer weiteren, vermudich durch den Pseudo-Turpin (c. 5 S. 46 Z. 212) angeregten urkundlichen Klostergründungslegende der am französischen Jakobspilgerweg gelegenen Benediktinerabtei Saint-Jean-de-Sorde (südlich von Dax), die wohl in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gefälscht worden ist, wird Turpin noch nicht genannt. Die Legende berichtet, Karl habe das Kloster gegründet, um sich der göttlichen Gnade und des Beistands des Hl. Johannes Bapstista im bevorstehenden Kampf gegen die Sarazenen zu vergewissern. Wegen der Nennung des Jahres 778 muß der Fälscher auch eine historische Quelle zum Geschehen von Roncesvalles (wie Anm. 88) gekannt haben (MGH DD Karo! . 1 [Hannover 1906] S. 314f. Nr. 230). 6. In einer etwas jüngeren Karlsurkunde für Saint-Jean-de-Sorde von angeblich 800 soll zusätzlich der Beweis angetreten werden, daß Karl und Turpin eigenhändig die Altäre der Abtei geweiht haben und Karl den gefallenen Turpin nach der Rückkehr aus Spanien in diesem Kloster bestattet habe. Letztere Nachricht setzt die Kenntnis d es Rolandsliedes voraus, das im Gegensatz zum Pseudo-Turpin den Tod des Reimser Erzbischofs vor Karls Ableben berichtet (ebendaS. 567f.). 7.-10. Weitere gefälschte Karlsurkunden des 12. Jahrhunderts sind die Saint-Deniser Privilegien D 282 (ebendaS. 421f.; a. 812) und D 286 (ebendaS. 429f.; a. 813), in denen Turpin jeweils in der Zeugenliste als Erzbischof von Reims erscheint, dann D 264 (ebendaS. 384f.; a. 802) aus San Pietro in Monte Piciaculi, in dem der archipraesul Turpin als Kanzler fungiert, und schließlich D 284 (ebendaS. 425f.; a. 813) aus Saint-Remi, das als einzige Urkunde die historische Reimser Namensform Tilpin (Thilpini) verwendet. <?page no="46"?> 30 Mattbias Tischler pins und Karls des Großen gewußt haben. Es besteht heute allgemeiner Konsens darüber, daß die Chanson de Roland dem 2. Buch des Pseudo- Turpin inhaltlich wie konzeptionell zugrunde liegt 11 9. Dieser Rolandsstoff wird nun aber für die in Santiago bereits virulente Jakobustradition neu aufbereitet, insofern das dramatische Geschehen von Roncesvalles in eine Doppelbiographie Karls und Rolands eingebettet wird, deren Ziel der Nachweis der historischen Begründung des Jakobuskultes durch den ersten Reconquistadar und Pilger Karl den Großen ist. Die älteste Fassung des Rolandsliedes enthält nämlich keinerlei Hinweis auf den Hl. Jakobus oder dessen Kult in Spanien, während etwa zur selben Zeit (1077/ 1081) bereits das Annolied den Heiligen nennt (5, V. 11f.)120. Vielmehr ruft Karlvielleicht angeregt durch Einharts Karlsleben121 den Hl. Petrus an, als er gegen die Ungläubigen in den Kampf zieht und als er Rolands Tod vernimmt122. Erst in den jüngeren Versionen des französischen Rolandsliedes und in anderen Chansons de geste erhält der Hl. Jakobus unter dem Einfluß des bereits verbreiteten Pseudo-Turpin seinen Platz. Der anonyme Autor der Doppelbiographie von Karl und Roland ist also der Erfinder der fiktiven Jakobusverehrung Karls des Großen, der in dem Heiligen Campostelas seinen Schirmherrn im Kampf gegen die Sarazenen erblickt. Ein Auslöser für die Konzeptualisierung des Rolandsliedes und anderer Chansons de Geste des 11. Jahrhunderts im Dienste der spanischen Kreuzzugsidee könnte die Saint- Deniser Descriptio gewesen sein. Damit baut der unbekannte Autor die 119 Der Motivschatz des Rolandslieds war um die Mitte des 12. Jahrhunderts schon weit verbreitet. Wibald von Stablo weiß etwa, daß Roland von den zeitgenössischen Sängern als Sohn der Schwester Karls des Großen bezeichnet wurde; vgl. seine Notiz in den sogenannten Steinfelder Glossen zu der bekannten Roland-Stelle in Einharts Vita Karoli c. 9: De hocnostri cantores multa in carminibus cantant · dicentes eum fuisse filium sororis karoli regis, Vita Karoli (wie Anm. 8) S. 12 Z. 29f. (nach London, British Library, Add. 21109, fol. 30v). Unklar ist, auf welche Lieder sich die ins frühe 11 . Jahrhundert zu datierende Notiz in Paris, Bibliotheque Nationale, Ms.lat. 5354, fol. 61 va am Ende von Einharts Karlsleben bezieht: Reliqua actuum eius gesta · seu et que in carminibus vulgo canuntur de eo · non hic · pleniter sunt descripta · sed require in vita quam alchuinus de eo scribit; Explicit. Für die berühmte Schlacht von Hastings 1066 bezeugt der englische Chronist Wilhelm von Malmesbury um 1125, daß die Normannen ein Rolandslied gesungen haben: Tune cantilena Rollandi inchoata, ut martium viri exemplum pugnaturos accenderet, inclamatoque Dei auxilio prelium consertum bellatumque acriter, neutris in multam diei horam cedentibus, Gesta regum Anglorum III 242, 2, hg. von Roger Aubrey Baskerville MYNORS (t) / Rodney Maieolm THOMSON/ Michael WINTERBOTTOM, William of Malmesbury, Gesta regum Anglorum. The History of the English kings 2 (Oxford Medieval Texts, Oxford 1998) S. 454 Z. 12-15. 120 seinte lacobus in Hierusalem,lnu is her dar in Gaticia bisten, hg. von Eberhard NELL- MANN , Das ,Annolied'. Mittelhochdeutsch und neuhochdeutsch ([Reclam's] Universalbibliothek 1416 [3], Stuttgart 31986) S. 10. 121 Vgl. c. 31 S. 32 Z. 3-6 und 10-15; c. 33 S. 40 Z. 17-21. 122 Hg . von SHOR T, La Chansonde Roland (wie Anm. 118) S. 202 V. 2998. <?page no="47"?> Tatmensch oder Heidenapostel 31 schon seit dem späten 11. Jahrhundert in Santiago nachweisbare Tradition der Auffindung des Jakobus-Grabes während der Herrschaftszeit Karls des Großen weiter aus. Um freilich seiner lateinischen Quelle zusätzliche Authentizität zu verleihen, mußte als Augenzeuge nicht mehr nur des Scharmützels von Roncesvalles, sondern des gesamten Geschehens der Erzbischof von Reims herhalten, dessen Zeugenrolle durch den literarischen Rahmen am Anfang und Ende des Textes unterstrichen wird. Auslöser der Anfrage des Leoprandus sei gewesen, daß er Karls Großtaten in Spanientrotz ihrer weiten Verbreitung in der Königschronik von Saint-Denis nicht vorfand: Etenim magnalia divulgata, que rex in Yspania gessit, sancti Dionisii cronica regali, ut michi scripsistis, repperiri plenarie auctoritas vestra nequivit123. Welchen Text hat der Pseudo-Turpin mit dieser sancti Dionisii cronica regalis gemeint? Hat er ungeachtet aller Fiktivität an eine der ältesten Saint-Deniser Textsammlungen, wie sie etwa in der Handschrift Paris, Bibliotheque Mazarine, Ms. 2013 erhalten ist, gedacht? Immerhin verrät die Kenntnis einer königlichen Chronistik in Saint-Denis den rätselhaften Autor als Mann des 12. Jahrhunderts, da bis heute keine historiographische Tätigkeit größeren Stils aus Saint-Denis vor dem Abbatiat Sugers bekannt geworden ist. Dies könnte ein Fingerzeig darauf sein, daß der Autor in Nordfrankreich nach geeigneten Quellen für sein Vorhaben Ausschau gehalten oder als nordfranzösischer Gelehrter Kenntnis der Quellen seiner Heimat gehabt hat. Hier drängt sich die Frage auf, aus welchen Quellen der Pseudo-Turpin etwas über Leoprandus erfahren konnte und an welchen Orten diese Quellen verfügbar waren. Die vorgetäuschte Widmungssituation fügt sich hervorragend in das Selbstverständnis des zeitgenössischen Aachener Marienstifts, das für seine erst 1165 nachweisbaren und am Ende dieses Jahres zum Abschluß gekommenen Bemühungen um die Kanonisation des in der eigenen Kirche liegenden Herrschers für jeden neuen Karlstext dankbar war und das nicht von ungefähr den neuen spanischen Karlstext so früh124 im ei- 123 Prolog S. 38 Z. 19-21. 124 Einen Hinweis auf die Rezeptionsumstände dürfte dabei die leicht veränderte Gestalt des in den Prolog zu Buch III des Aachener Karlslebens übernommenen Leoprandus-Briefes geben: In presentiarum igitur tercie huius distinctionis inicium ab ea epistola assumemus, quam Tulpinum Remensem archiepiscopum L eobrando Aquisgranensi decano transmisisse in chronicis Franeorum apud Sanctum Dyonisium in Fran cia repperimus, hg. von RA USCHEN, Legende Karls des Großen (wie Anm. 22) S. 67 Z. 11-15. Im Leoprandus-Brief des Pseudo-Turpin hieß es noch: Etenim magnalia divulgata, que rex in Yspania gessit, sancti Dionisii cronica regali, ut michi scripsistis, repperiri plenarie auctoritas vestra nequivit, Prolog S. 38 Z. 19-21. Es liegt wohl keine Identität zwischen der sancti Dionisii chronica regalis und den chronica Franeorum apud Sanctum Dyonisi um in Francia vor. Der Autor des Aachener Karlslebens meint wohl, daß er seine Fassung des Pseudo-Turpin au s der Saint-Deniser Chronistik gezogen hat. <?page no="48"?> 32 Matthias Tischler genen Aachener Karlsleben rezipiert hat. Nicht geringen Anteil an dieser raschen Rezeption des spanischen Karlstextes hatte die Übertragbarkeit seines politisierten Bildes von Karl dem Großen auf die machtpolitischen Interessen Friedrich Barbarossas. Vielleicht hatte diese früheste literarische Reaktion ausgerechnet am Karlsort Aachen aber auch einen ganz pragmatischen Grund. Mußten die Kleriker der Aachener Marienkirche nicht seit der Veröffentlichung des Pseudo-Turpin-Textes eine Konkurrenzsituation mit Compostela befürchten, das zwar keine Karlsreliquien besaß, aber durch den neuen Karlstext die internationale Jakobspilgerschaft auf die Initiative Karls des Großen zurückführte und ihn zum Apostel der Spanier und Martyrer im Heidenkreuzzug stilisierte und damit den nordwestspanischen Bischofssitz zu einem gefährlichen Konkurrenten um die gegenwärtige Karlsmemoria machte? Bewußt an den Anfang seines Textes hatte ja der Pseudo-Turpin die schon angesprochene Jakobus-Vision gesetzt und in ihr jene Sternenstraße beschrieben, die mit ihren beiden äußersten Polen Aachen und Campostela zwischen Friesland und Galicien die angeblichen Zentren der Karlsverehrung und -memoria, sozusagen die beiden Schwerpunkte in der äußersten Erstreckung des Karlsreiches verbände: a mari usque ad mare 125 . Zudem war im Vorwort des Textes ein Austauschverhältnis zwischen dem Reimser Erzbischof Turpin und dem Aachener Dekan Leoprandus geschildert worden, dessen Gegenstand - Karl der Große zwei weitere Zentren einer bereits karolingischen Karlsmemoria vereinte, zugleich aber die Unwissenheit Aachens bezüglich der spanischen Heldentaten Karls des Großen herauszustreichen vermochte. War demnach der Pseudo-Turpin ein Text, der alle wichtigen Zentren der hochmittelalterlichen Karlsmemoria in Beziehung zueinander setzte und somit die Idee eines umfassenden Karlsreiches formulierte, und spielte auch in dem neuen Karlstext bezüglich der Begründung des galicischen Karlskultes Compostela eine fiktive historische Rolle, so ist doch zu fragen, ob nicht gerade deshalb die Kanonisation des in Aachen liegenden Herrschers der unumstößliche kirchenrechtliche Versuch einer unüberbietbaren Überbietung Campostelas gewesen ist und kongenial dazu das Aachener Karlsleben als der literarische Versuch interpretiert werden sollte, durch eine umfassende, nahezu vollständige Berücksichtigung aller damals verfügbaren Karlstexte aus der neuen Perspektive des zeitgenössischen Heiligkeitsideals eines Herrschers einen "Hypertext" zu Karl dem Großen in den Raum zu stellen. Nicht von ungefähr hat d er Aachener Autor aus seinen Karlsquellen zielsicher die für seinen Text geeigneten Aspekte auszuwählen verstandenl26. Das Aachener Karlsle- 125 c. 1 S. 41 Z. 42f. und ebenda S. 42 Z. 72. 126 Es ergibt sich das hier gleichfalls nicht einzulösende Desiderat, die literarische Auswahltechnik und d amit verbundene Persp ektive des Aut o rs d es Aach ener Karls- <?page no="49"?> Tatmensch oder Heidenapostel 33 ben wäre also eine bewußt zusammenfassende, zugleich aber fokussierende Antwort auf nahezu alle im 12. Jahrhundert verfügbaren Karlstexte, insbesondere aber auf den neuesten spanischen Karlstext gewesen, eine Antwort, die dann tatsächlich den Abschluß der Herausbildung eigenständiger größerer Karlsbiographien seit dem 9. Jahrhundert bildete. Der Frankenherrscher als Apostel einer Völkerschaft, hier der Spanier bzw. Galicier, kam den Bedürfnissen der an Karls Kanonisation beteiligten Personen entgegen, da der gerade initiierte Karlskult für den Stauferkaiser Friedrich Barbarossa eine politische Funktion bekommen sollte. Die Apostolizität des Vorfahren im Amte wurde daher in Barbarossas feierlichem Privileg vom 8. Januar 1166 für die Stadt Aachen 127 , aber auch im Aachener Karlsleben umfassend auf die Gesamtheit der von ihm bekehrten heidnischen Völkerschaften ausgedehnt128. Zudem war bereits im Karlsleben des Pseudo-Turpin mit dem Motiv der Martyrerschaft Karls des Großen im spanischen Heidenkampf1 29 ein weiteres Argument für die Aachener Heiligsprechung geliefert worden, das dann tatsächlich im Barbarossa-Privileg 130 dokumentiert worden ist. Und schließlich hat wohl das falsche, den miteinander korrespondierenden c. 19 und 30 des Pseudo-Turpin zugrunde liegende Saint-Deniser Karlsprivileg D 286, das die Abtei im Norden von Paris zum Zentrum Iebens näher zu untersuchen. Beispielsweise wird bei der Rezeption der Descriptio im Aachener Karlsleben der Text nur bis zur Translation der Passionsreliquien nach Aachen übernommen. Die weitere Überführung nach Saint-Denis zur Zeit Karls des Kahlen ist fortgelassen. 127 In fide quoque Christi dilatanda et in conversione gentis barbarice fortis athleta fuit et verus apostolus, sicut Saxonia et Fresonia atque Westphalia, Hispani quoque testantur et Wandali, quos ad fidem catholicam verbo convertit et gladio, MGH DD F I (Hannover 1979) S. 432-434 Nr. 502 , hier S. 432 Z. 35-38. 128 Zwar hat hier die Pseudo-Turpin-Rezeption in III 1-7 allein die Spanier im Blick, doch werden schon in III 1 S. 68 Z. 15-20 (nach c. 1 S. 41 Z. 39-45) die von Kar! dem Großen unterworfenen und dem Christentum zugeführten Länder aufgezählt. III 11 S. 78-81 ist gar mit De venerabili apostolatu cari Deo Karoli magni überschrieben, es werden die Sachsen, Spanier, Friesen, Wenden und viele andere Völker genannt (S. 78 Z. 27- S. 79 Z. 1), und Kar! wird beimJüngsten Gericht als Apostel der Sachsen und zahlreicher weiterer Gegenden einziehen (S. SO Z. 26-32). Vgl. auch III 16 S. 89 Z. 38 - S. 90 Z. 2: . .. devotio tarnen consecravit in confessorem, quem Saxonum populus caractere fidei ipso auctore insignitus una cum aliis quampluribus apostolice dignitatis consortem praedicavit. 129 Wie Anm. 53. 130 Licet etiam ipsius animam gladius non pertransierit, diversarum tarnen passio num tribulatio et periculosa certamina et voluntas moriendi cotidiana pro convertendis incredulis eum martyrem fecit, MGH DD F I (Hannover 1979) S. 432 Z. 38-40. Geradezu eine Gegenposition zum Pseudo-Turpin nimmt das Aachener Karlsleben III 16 ein: Quem [sc. Karo/ um] etsi tortura penarum non efficit martirem, hg. von RAUSCHEN, Legende Karls des Großen (wie Anm. 22) S. 89 Z. 37f. <?page no="50"?> 34 Mattbias Tischler des Königreichs Frankreich machen sollte und mittels c. 19 des Pseudo- Turpin Gleiches für Santiaga de Compostela in Spanien postulierte, dafür gesorgt, daß in der gefälschten Aachener Karlsurkunde D 295131, welche im Aachener Barbarossa-Privileg inseriert ist132, und im Aachener Karlsleben 133 der wichtigste Memorialort Karls des Großen zur Hauptstadt des von ihm begründeten Reiches aufsteigen sollte134. Im Unterschied zu Saint-Denis und Santiaga de Compostela ist in Aachen freilich Karl der Große selbst der Heilige gewesen, auf den die Haupt stadt-Idee des Reiches zentriert war 135 . Dies erklärt, warum die Formulierung dieser Reichsidee in unmittelbarer Korrelation zu r Heiligsprechung Karls des Großen stand. Das hier erkennbare mehrschichtige Herrscherbild des Pseudo-Turpin scheint also sowohl in der Aachener Barbarossa-Urkunde wie im neuen Aachener Karlsleben auf. Man kann daher mit Fug und Recht behaupten, daß die in ihrer Komplexität sicher neuartige Karlsphysiognomie des Pseudo-Turpin die Entwicklung des Frankenherrschers zum politischen Heiligen des Reiches, die durch die Kanonisation 1165 einen gewissen Abschluß fand, maßgeblich befördert hat. Appendix Bereits an anderer Stelle konnte ich auf die Notwendigkeit einer Neuausgabe des Vorworts des Priors Geoffroi de Vigeois zu seiner Pseudo-Turpin-Ausgabe (BHL 1601) hinweisen, das in der spätmittelalterlichen Handschrift Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 5452 auf fol. 11 y / v überliefert ist ( = P) 13 6. Den Anfang dieser Praefatio hatten im 17. Jahrhundert bereits A. Oihenart (= 0)137 und hiernach P. Bayle (= 131 MGH DD Karol. 1 (H annover 1906) S. 441-443 Nr . 295; M EUT HEN, Aachener Ur kunden (wie Anrn. 21) S. 113 - 115 Nr . 1. 132 Vgl. MGH DD F I (Hannover 1979) S. 433 Z. 18. 133 Als sogenannte Pragmatica sanctio ist das gefälschte Karlsdiplom ab S. 441 Z. 44 hier in I 16 integriert, hg. von RAUSC HEN, Legende Karls des Großen (wie Anm. 22) S. 41 z. 2s. 43 z. 21. 134 MGH DD Karo! . 1 (Hannover 1906) S. 442 Z. 14-35 und ebenda Z. 39- S. 443 Z. 1; M EUTH E N, Aachener Urkunden (wie Anm. 21) S. 114 Z. 55- S. 115 Z. 81 und ebenda Z. 86-91 sowie RAU SC HE N, Legende Karls des Großen (wie Anm. 22) S. 41 Z. 24- S. 42 Z. 18 und ebenda Z. 23-28 . 135 Le,tetur igitur et exultet ineffabili gaudio Aquisgranum caput civitatum .. . quod . .. in capite corone,positum . .. illo singulari et corporali gaudet patrono, qui christiane,fidei illustratione et legis, qua unusquisque vivere debeat, Romanum decorat imperium, MGH DD F I (Hannover 19 7 9) S. 433 Z. 19-23 . 136 Matthias Martin TISC HLER , Einharts Vita Karoli. Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption (MGH Schriften 48, II, Hannover 2001) S. 1271 Anm. 1117 . 137 Arnaud ÜI HENART , N otitia utriusque Vasconiae ... (Paris 1638) S. 397f. <?page no="51"?> Tatmensch oder Heidenapostel 35 B) 138 veröffentlicht. Die ersten nicht ganz fehlerfreien Gesamtausgaben legten F. ArbeHot im Jahr 1888 (= A) 139 und ohne Kenntnis dieser die Bollandisten zwei Jahre später (= I) vor140. Ohne diese Editionen zu erwähnen publizierte C. Meredith-Jones das Vorwort 1936 mit zahlreichen Lesefehlern 141 erneut(= M)142. An der schon erwähnten Stelle habe ich schließlich den Anfang der Praefatio unmittelbar nach der Handschrift veröffentlicht143. Ich drucke hier nun den vollständigen Text unter Beibehaltung der originalen Graphien und Interpunktion ab: (fol. 11sr) Gaufredus1 prior2 vosiensis3 . sacro marcialis4 conventui et universo clero5lemovicensi6 . climatis gaudiis sempiternis perfrui . Egregios invicti regis7 karoli8 triumphos ac precelsi9 comitislO rotolandill predicandos 12 agones in hyspania13 gestos14 nuper ad voslS ex esperia16 delatos gratanter excepi et ingenti studio corrigens scribere feci . Maxime17 quia 18 apud nos actenus 19 ista latuerant20 nisi que21 ioculatores 22 in suis preferebant23 cantilenis . Quia vero scriptura ipsa scriptorum24 vicio25 depravata26 ac pene 27 deleta fuerat non sine magno studio decorando correxi non superflua addens . Sed28 que 29 minus30 erant neccessaria subtrahens31 Ne32 quis me putet reprehendere33 inclite34 laudis turpinum35 qui se ipsa36 scripsisse fatetur ego37 tanti pontificis38 oratibus39 mihi40 a iudice41 pio dari veniam opto42. Hic et enim43 gedeonis44 gladio usus est in principis milicia45 qui gladium non perhibuit46 domini47 a peccatoris 48 sanguine 49 vel <ad>50 resectanda 51 vicia 52 . Miror tantum plurimum quod 53 in eisdem 54 gestis mencio 55 fit56 de urbe que57 dicta 58 est acquitania59 presertim60 cum61 in actibus doctoris acquitanorum62 marcialis63 vel temporum64 annalibus nusquam reperiatur . In vita perinde65 sanetarum (fol. 11sv) iusti66 ac valerici67 . elegii68 atque pardulphi69 qui non procul ab illa ortilO vel conversati fuerell prorsus de72 ipsius nomine recitetur 73 . Verumptamen 74 dum ergo75 iussu76 egregii abbatis 77 petri78 cui domnus 79 yzembertus8° successit subterranee81 degerem82 a multis multa de hac urbe narrare audivi locum eciam civitatis olim famo- 138 Pierre BAYL E, Artikel Turpin, in: Dictionnaire historique et critique 3 (31715) S. 765f., hier S. 766 Anm. B § d. Die 1. und 2. Auflage des Lexikons standen mir nicht zur Verfügun g. 139 Fran~ois A RBELLOT, Etude historique et bibliographique sur Geoffroy de Vigeois, Bulletin de Ia Societe archeologique et historique du Limousin 36 (1888) S. 135-161 , hier S. 159f. 14 ° Catalogus codicum hagiographicorum latinorum antiquiorum saeculo XVI qui asservantur in Bibliotheca Nationali Parisiensi 2 (Brüssel1890) S. 466. 141 Vgl. Adalbert HÄMEL, Rezension zu C. MEREDITH-JONES, Historia Karoli Magniet Rotholandi ou Chronique du Pseudo-Turpin, Paris 1936, Speculum 13 (1938) S. 248-252, hier S. 251. 142 Cyril MEREDITH-JONES, Historia Karoli Magni et Rotholandi ou Chronique du Pseudo-Turpin (Paris 1936) S. 350. 143 Wie Anm. 136. <?page no="52"?> 36 Mattbias Tischler sissime 83 prope briderium 84 et escopiac85 que86 duo castra unus pene87 continet locus88 ad ortum solis versus ecclesiam sancti89 petri90 de nave91 que 92 subterranensi 93 preposito94 noscitur obedire95 argenti auri plumbi ac ferri portiuncule 96 quedam 97 a pastoribus98 aliquociens99 ibi repertelOO sunt. BuxeilOl generis arbusta olim102locus retinet multa in cuius103 virgula104 quondam 105 anulus 106 fulvii 1 07 metalli reperitur108 narratur lapides109 eciam 11 0 illic reperiebantur qui igne decocti in calcem vertuntur cuius 111 genus lapidis de longe illic fuisse delatum ipsa asperitas loci testatur . Verumptamen 112 acquitanie1 13 tantum 114 urbis ac provincie115 utrum rex ille de quo mencio116 fit in vita beati leonardi 117 extiteret118 nescitur. Fieri tantum 119 potuit ut rex et urbis120 esset et tocius12t provincie122 sicut 12 3 richardus124 comes pictavensis125 dux est lemovicensis126. ac tocius 127 gasconie 12 8 vel acquitanie129 huius130 itaque civitatis ducis engelerii131 originem actus132 finemque ac urbis desolationem subsequens pagina breviter declarabit . Scribantur ergo hec133 in generationel34 alteral35 et populus qui creabitur136laudabit dominum137. 1 Gaufridus M. 2 Pri or 0. B. 3 Vosiensis 0. B. I. 4 Marcialis 0. B. A. Martialis M. 5 Clero 0 . B. 6 Lemovicini 0 . B. Lem[ovicini] A. Lemovicensis I. 7invincti regis P. Regis 0. B. regis om. A. 8 Caroli 0. B. A. Karoli I.M . 9 praecelsi 0. B. I.M. 10 Comitis 0. B. 11 Rotholandi 0. B. RotolandiA. I.M. ! 2 praedicandos 0 . B. I .M. 13 Ispania 0. B. Hispania I. HyspaniaA. M. 14 gestis P. I.M. 15 nos 0. A. ! 6 Esperia 0 . B. Hesp[er]iaA. Hesperiai. 17 maxime 0. B. maxime A. I.M. 18 quod 0 . B. 19 hactenus A. I. 20 ista latuerant hactenus 0. B. 21 nisique P. nisi quae 0. B. ubique marg. nisi quae? I. nisi quae M. 22 joculatores B. A. I. 23 proferebant I. praeferebant 0. B. M. 24 Scriptorum 0. B. 25 vitio 0. B. A. I. 26 ita 0. B. A . I . M. deprivata P. 27 paene I. 28 sed A. M. 29 quae I. M. sed nec que coni. Gaston PARIS, De pseudo- Turpino, Paris 1865, S. 42. 30 nimis M. 3! non superflua subtrahens, sed quae necessaria aderant, addens 0. B. 32 ne 0. B. 33 reprehende[re] A. 34 inclitae 0. B. I. 35 Turpinum 0. B. A. I.M. 36infrascripta 0. B. 37 . Ego 0 . B. I . 38 Pontificis 0 . B. 39 orati[oni]bus A. 40 m[ihi] A. 41 judice B. A. I. 42 hucusque 0. B. 43 et[enim] A. etenim I . et ei M. 44 GedeonisA. I .M . 45 militiaA. 46 prohibuitA. I . 47 dum m[odo] A. Domini I.M . 48pec[cat]oris A. prioris M. 49 [abstineatur] add. A. 50 [ad] add. I. 51 ita P. resecanda A. I. resertanda M. 52 vitia A. I . [ eo utatur] ad d. A. 53 Mirorum ... quidem M. Miror tarn[en] . .. quod A. Miror tarnen .. . quod I . 54 ejusdem I. 55 mentio I . 56 fi[a]t A. 57 quae I. M. 58 dicata M. 59 Aquitania A. I . M. 60 praesertim I . M. 6! quod A. 62 Aquitanorum A. I. M. 63 Marcialis A. I. M. 64 temporis (ms. tempore) A. 65 proinde I. 66 Justi A. I. 67 Valeria[e] I . Valerici A. M. 68 ElegiiA. I .M. 69 ParduphiA. Pardulphi I. Pandulphi M. 70 orte M. 71 fue[re] A. 72 te M. 73 reticetur I. 74 Verumtamen I. Derumptum M. 75 ita P. M. ego A. I. 76 jussu A. I . 77 Albertis M. 78 PetriA. I.M. 79 dominusA. 80 YzambertusA. Yzembertus I. Yrenibertus M. 81 Subterranee A. subterraneae M. 82 ita A. de gentem P. M. 83 post corr. P. famosissimae I. M. 84 Briderium A. I. M. 85 Escopiac A. I. M. 86 qui A. quae I. M. 87 paene I . 88 . Locus A. 89 Sancti I .. Etiam [in territorio] sancti A. 90 Petri A. I.M. 91 Na ve A. I . M. 92 quae I . qui A. M. 93 ita M. Subt[erre]anensiA. sub stannensi ante corr. P. sub Stannensi I. 94 praeposito I. M. 95 oboedire I . 96 porc[iunc]ule A. portundere P. portunderae I. portendere M. 9l q[uon]dam A . quaedam I. 98 pastorale M. 99 aliquotiens I. 100 repertae I. reperire M. 101 Hurci M. 102 oli[m] A . ! 03 cujusA. I. 104 ungulaA. 105 quondam om. A. 1 06 an[n]ulusA. 107 fulvi A . I . 108 [ut] add. I. 109 Lapides I . 11 0 etiam I . . Narratur etiam [quod] Iapides A. II! cujus A. I. 112 acquisio fit add. et del. P. Verumpt[ame]n A. Verumtamen I . Derumptum M. 113 Aquitanie A . Aquitaniae I. M. 114 tarnen 0. B. I. M. tarn A. 115 provinciae I. M. <?page no="53"?> Tatmensch oder Heidenapostel 37 116 mentio A. I. 117 Leonardi A.I. M. 118 extiterit I. 119 tarnen 0. B. A. I.M. 120 urb[is] A. 121 post corr. P. totius A. I. 122 provinciae M. 123 . Sie A. 124 Richardus A. M. 125 Pict[avie] A. Pictavensis I. putatus M. 126 Lem[ovice] A. Lemovicensis I.lemovicis M. 127 totius A.I. 128 Gasconie A . Gasconiae I. Gasconicae M. 129 Aquitanie A. Aquitaniae I.M . 130. Hujus A .. Huius I. 131 Engelerii A.I. M. 132 act[us] A. 133 h[ec] A. haec I. hic M. 134 ingeneratore M. 135 in altera I. 136 cirabitur M. 137 Dominum 0. B. A.I. M. <?page no="55"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit Die Traumvision Karls des Großen: Eine typisch mittelalterliche Vision? ROBERT PLöTZ I. Der historische Hintergrund der Karlsvision Der Zugang zur Karlsvision im Pseudo-Turpin kann auf zweierlei Weise in Angriff genommen werden. Man kann mit der literarischen Endform, mit der ideologisch ausformulierten mythischen Realität beginnen, oder mit dem, was uns an gesicherter historischer Überlieferung auf Textbasis bekannt ist. Was also ereignete sich tatsächlich? Eine erste Annäherung an das Thema sollte demgemäß mit dem beginnen, was wir zu wissen meinen, also mit den zeitgenössischen Berichten 1: Mit einem Freitagsgebet fing alles an, aber das kennen wir ja von der islamischen Welt. Im Jahr 773 zerbrach die islamische Einheit, als der Omayyade 'Abd al-Rahman I. als Emir in C6rdoba (756-788) die Anwendung von Gebetsformeln des abbasidischen Kalifen verbot, mit der Intention, ein eigenes Kalifat einzurichten. Dies diente unter anderem dem muslimischen Gouverneur von Zaragoza, Sulayman al-A'rabf, zum Anlaß, wegen dieser Nichtachtung der religiösen Autorität der östlichen Kalifen einen Aufstand gegen 'Abd al-Rahman I. zu wagen. Sulayman al-A'rabf zog mit einer Kommission nach Paderborn, um Karl einzuladen, in die religiösen Dispute auf der Iberischen Halbinsel einzugreifen2. Aufgrund verschiedener politischer Konstellationen, die zu einem 1 Zu den Ereignissen u.a. Karl-Ernst GEITH, Kar! der Große, in: Herrscher, Helden, Heilige, Mittelalter Mythen 1, hg. von Ulrich MüLLERund Werner WUNDERLICH (St. Gallen 22001) S. 87-100. 2 Annales Regni Francorum, hg. von Friedrich KURZE (MGH SS in usum schol, Han nover 1895) S. 51. Zu den Vorgängen vgl. Klaus HERBERS, Kar! der Große und Spanien - Realität und Fiktion, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen, hg. von Hans MüLLEJANS (Mönchengladbach 1988) S. 47-55. Herbers geht auch dezidiert auf die Rezeption der mitteleuropäischen Karlstradition in den spanischen Quellen ein, deren Eigenverständnis und Selbstbewußtsein einer spanischen Priorität in den Kämpfen gerade der beginnenden Reconquista andere, eigenleistungsbezogene Interpretationen bevorzugte (Historia Silense, Historia de rebus Hispanie sive Historia <?page no="56"?> 40 Robert Plötz Einigungsprozeß unter dem Bagdader Kalifen Muhammad al-Mahdf um 777/ 778 führte, war eine Intervention von Seiten Karls nicht mehr nötig. Dieser verfolgte jedoch seine eigenen politischen Ziele und zog mit einem großen Heer über die Pyrenäen. Die Truppen Karls des Großen wurden geteilt und erreichten auf zwei Wegen Zaragoza, indem sie das römische Straßennetz in seinen noch intakten Teilen benutzten: das von Narbonne-Tarragona-Zaragoza vom Osten des Reiches und das von Bordeaux-Pamplona-Astorga für den Westen. Zaragoza konnte oder sollte wohl nicht eingenommen werden, aber nichtsdestoweniger betreute Sulayman al-A'rabf Karl während seines spanischen Aufenthaltes vorzüglich, stellte einige Geiseln zur Verfügung und geleitete ihn mit vielen Geschenken versehen zurück bis zur Grenze des Frankenreiches. Dabei wurde der baskisch-navarresische Vorort Pamplona eingenommen und zerstört. In den Pyrenäen geriet die Nachhut in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Anführer Hruodland aufgerieben. So berichten es die späteren Annales regni Franeorum (1057-1270)3, die Überarbeitung der Reichsannalen, die früher irrtümlicherweise Einhard (t 840) zugeschrieben wurden, aus dessen Feder höchstwahrscheinlich die Vita Karoli stammt 4• Die fränkischen Kontingente passierten der Überlieferung nach die Pyrenäen über den "port de Cize" (Ibaiieta) bei Roncesvalless, in der, zumindest seit der Zeit um 1100, das so genannte Ro- Gothica von Rodrigo Jimenez de Rada, etc.). Allgemein zu den Beziehungen Karls zum arabischen Spanien vgl. Jacques FONTAINE, Mozarabie hispaniqu e et monde carolingien. Les echanges culturels entre la France et l'Espagne du Vllle au xe siede, Anuario de estudios medievales 14 (1984) S. 17-46. 3 Geschrieben nach August POTTHAST (Bibliotheca Historica Medii Aevi 1 [ND der 2. Aufl. Berlin 1896, Graz 1957] S. 87, 554f.) von Guilelmus de Nangiaco (St-Denis). 4 Einhardi Vita Karoli Magni, hg. von Georg WArTZ/ Oswald HOLDER-EGG ER (MGH SS. rerum Germ. in usum schal. separatim editi 25, Hannover 1911, Neudruck 1947 und 1965). 5 Ein anderer Text erwähnt als Pyrenäenübergang Somport: Oxama teneat de furca usque ad Aylanzon, quomodo currit in Camino S. Petri, qui vadit ad S. ]acobum. Caminus (Via, iter; Italis et Hispanis Camino, Gallis Chemin. Notitia Episcopatuum Hisp. a Wamba rege confecta, in: z.B. Charles Du FRESNE Du CANGE, Glossarium mediae et infimae latinitatis, EditioNova 2 (Niort 1884, unveränderter Nachdruck Graz 1954) S. 52 . Es dürfte sich hier um die Pyrenäenpaß-Straße handeln, die über das zu Beginn des 12. Jahrhunderts erstmals erwähnte Pilgerhospital von Santa Cristina de Samport führt. Eine Veröffentlichung von 1618 schreibt die Gründung des Hospitals Wamba zu (Lufs VAZQUEZ DE PARGA! Jose Marfa. LACARRAIJuan UR! A Rfu, Las Peregrinaciones a Santiaga de Compostela 2 [Madrid 1949] S. 416, Anm. 16). Man muß hinzufügen, daß von Wamba, dem letzten großen Westgotenkönig (672-680), zwar Inschriften bekannt sind, die aber an den Mauern Toledos, das damit unter den Schutz seiner Märtyrer gestellt wurde, angebracht waren. Vgl. u.a. Jose Marfa LA- CARRA, Los pasos del Pirineo y el camino de Santa Cristina a Puente la Reina, Pirineos 10 (1954) und A. HIDALGO, A Santiaga por la ruta del Somport, Zaragoza 21 (1965) S. 223-275. Einen guten thematischen Uberblick gibt neuerdings U lrich MüL- LER, Roland, in: Herrscher, Helden, Heilige (wie Anm. 1) S. 305-325, hier S. 306-308. <?page no="57"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 41 Iandslied dort das Geschehen fixierte. Der Kampf zwischen den Basken und der fränkischen Reiterei ereignete sich am 15. August 7786. Da immer wieder die Rolle des römischen Straßennetzes für die spanischen Verkehrs- und Militärwege im Mittelalter diskutiert wird 7, scheint es angebracht auf dieses Thema, das eng mit dem iter stellarum verbunden ist, einzugehen. Die Legende schreibt dem späteren Kaiser die Befreiung des J acobus-Weges zu. Als J acobus Karl erschien, stachelt er ihn auf ad preparandum iter meum ... ad liberandum iter meum 8, erteilt also zwei Aufträge auf einmal. Der erste konkrete, wenn auch etwas vage Hinweis auf den Wegverlauf befindet sich in der sogenannten Historia Silense, die gegen 1110 abgefaßt wurde. Sie sagt aus, als die Rede auf die große aragonesische Herrschergestalt Sancho III. (el Mayor) 9 kommt: ab ipsis namque Pirineis iugis adusque castrum Nazara quidquid terre infra continetur a potestate paganorum eripiens, iter Sancti lacobi quod barbarisco timore per devia Alave peregrini declinabant absque retractionis obstaculo currere fecit 10. Diese Passage wiederholt sich in späteren Textsammlungen und Chroniken wie den Genealogias Najerenses, der Cr6nica Najerense und der Tudense11. 6 Vgl. u.a. Barton SHOLOD, Charlemagne in Spain. The Cultural Legacy of Roncesvalles (Genf 1966); Robert-Henri BAUTIER, La campagne de Charlemagne en Espagne (778). La realite historique, Bulletin de Ia Societe des Sciences, Lettres et Arts de Bayonne 135 (1979) S. 1-51; Jules HORRENT, La Peninsule Iberique et Je chemin de Saint-Jacques dans Ia chanson d'Ansels de Cartague, in: La Chansondegeste et le mythe carolingien. Melanges Rene Louis 2 (Saint-Pere-sous-Vezelay 1982) S. 1133- 1150 und Jose Marfa }IMENO }URlO, EI mito del camino alto entre Roncesvalles y SaintJean Pied de Port, Prfncipe de Viana 34 (1973) S. 85-175. Für Navarra Clement URRUTIBEHETY, Voies d'acces en Navarre et carrefour des ehernins de Saint-Jacques, Bulletin du Musee Basque (1965 S. 97-132. Zum Pilgerwegkomplex allgemein: Europäische Wege der Santiago-Pilgerfahrt, hg. von Robert PLöTZ Gakobus-Studien 2, Tübingen 21993). 7 Einige spanischen Forschungen legen die Pyrenäenüberquerung in das Tal von Baztin und dem Velate-Paß (vgl. http: / / www.intercom.es/ mediaint/ Santiago/ ales/ h_roldan.htm, S. 2). 8 Ich zitiere aus der grundlegenden Arbeit von Adalbert HÄMEL, Der Pseudo-Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß hg. von Andre DE MANDACH (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1965, 1, München 1965) S. 42. (= Ed. Pseudo-Turpin) 9 Vgl. Ludwig VONES, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter 711-1480. Reiche, Kronen, Regionen (Sigmaringen 1993) S. 68, 70- 73. lO Historia Silense, ed. Francisco SANTOS Coco (Madrid 1921) S. 63f. In der Übersetzung: "von den Pyrenäen bis zur Burg von Najera nahm er den Heiden soviel Land weg als dazwischen lag und machte ohne Verzug den Weg nach Santiaga frei, von dem die Pilger aus Angst vor den Heiden abwichen, um einen Umweg über Alava zu machen". 11 VAZQUEZ DE PARGA/ LA CARRAI URlU Rlu, Peregrinaciones 2 (wie Anm . 5) S. 11ff., bes. S. 12. Ebd., S. 12. Vgl. auchJose Ignacio RUIZ DE LA PENA SOLAR, De los puertos pirinaicos a Galicia: el "camino frances " y sus derivaciones trasmontanas, in: XXVII Semana de Estudios Medievales Estella, 17 a 21 de julio de 2000 (Pamplona <?page no="58"?> 42 Robert Plätz Vazquez de Parga, Lacarra und U riu Rfu schließen in ihrem Beitrag über die Genese des Jacobus-Weges, der vor allem auf die Bedeutung des alten römischen Verkehrsnetzes eingeht, bei Karl dem Großenaufgrund derbesonderen Bündnislage die Nutzung des Weges Jaca-Zaragoza aus, wobei sie der Möglichkeit Raum geben, daß der Weg von den aragonesischen Pyrenäen nach Navarra entlang des Flusses Aragon benutzt worden sein könnte12. Welchen Weg mag wohl Godescalcus, einer der ersten bekannten Pilger aus der Mitte des 10. Jahrhunderts 13 , genommen haben? Ist er bei Somport über die Pyrenäen gekommen, auf den Römerstraßen über Jaca nach Zaragoza weiter-, und von dort den Ebro entlang über Calahorra und Tricio nach Briviesca gegangen, um der anderen Römerstraße, die Astorga mit Bordeaux verbindet, zu folgen? Bei Benutzung dieses Wegverlaufes wäre er zwangsläufig über muslimisches Territorium gekommen. Aufgrund der politischen Zustände und der wechselnden Orientierung der muslimischen Herrscher Zaragozas sollte man diese Möglichkeit bedenken. Es ist auch möglich, daß damals der Flußweg des Aragon schon in Gebrauch war, eine Naturtrasse, die von den aragonesischen Pyrenäen bis zur navarresischen Ebene führte14. Nach der wenig erfolgreichen Spanienexpedition von 778 gab der junge König Karl seine offensive Spanienpolitik auf, die Sicherung der Grenzen betrieben vor allem sein Sohn Ludwig als aquitanischer Unterkönig sowie Graf Wilhelm von Toulouse (alias Guillaume d'Orange). Die unter karolingischer Herrschaft stehenden Grenzländer des östlichen Pyrenäenraums bezeichnete man später als spanische Mark15. Ein 2001) S. 393-457. Für die mittelalterliche Entwicklung vgl. u.a. Europäische Wege der Santiago-Pilgerfahrt (wie Anm. 6); ferner Giovanni CHERUBINI, Santiago di Compostella. Il pellegrinaggio medievale (Siena 1998) . 12 VAZQUEZ DE PAR GA/ LA C ARRA/ URfU Rfu, Penigrinaciones 2 (wie Anm. 5) S. 11ff., bes. S. 12. 13 Godescalcus war Bischof von Le Puy und l egte seine Reise absichtlich über das Kloster San Martin de Albelda in der Rio ja, um dort d en Traktat De Virginitate Beatae Ma riae des westgotischen Bischofs Ildefons kopieren zu lassen. Im Prolog weist der Kopist, der Mönch G6mez, kurz auf die Reise und ihre Koordinaten hin: gratia orandi egressus a partibus Aquitanie devotione promtissima ... ad finem Gallicie pergebat concitus Dei misericordiam sanctique Iacobi apostoli suffragium humiliter imploraturas (Manuel Cecilio DfA Z Y DfAZ, Noticia de la peregrinaci6n de Godescalco, in: Santia go, Camino de Europa. Culto y Cultura en la Pe regrinaci6n a Compostela, hg. von Serafin MORALEJO/ Fernando L6P EZ ALSINA, Ausstellungskatalo g [Santiago de Compostela 1993] S. 265, Nr. 14) ; vgl. generell DENS., Libros y libreri as en la Rioja alromedieval (Logrofio 1979) S. 55-62. 14 Vgl. die Karte (Abb . 1) bei Klaus HERBERS, Viaperegrinalis, in : Europäische Wege (wie Anm. 6) S. 1-25, speziell S. 7. 15 Vgl. die Zusammenfassung bei HERB ERS , Karl der Große und Spanien (wie Anm. 2) S. 48f. Zum Begriff der "Spanischen Mark" vgl. Odilo E NGELS, Schutzg e danke und Landesherrschaft im östlichen Pyrenäenraum (9 .- 13. Jh.) (Spanis c he Forschungen der Görres gese llschaft 2.14, Münster 1970) S. 7- 26. <?page no="59"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 43 weiterer, zweiter Berührungspunkt ergab sich dann durch die Kontakte Karls zu Alfons li. von Asturien, bei denen im Rahmen der Auseinandersetzungen mit dem Adoptianismus Fragen des rechten christlichen Glaubens im Vordergrund standen16. Und Aachen wurde zum neuen Rom! Es war höchstwahrscheinlich Einhard, der Karls Aktivitäten in Spanien schon bald (gegen 830) leicht idealisierend thematisierte und Karl in erstmaliger Wiederbelebung des epischen Kunstprinzips Vergils zum neuen Augustus und einem Aeneas gleichen Helden stilisierte (Vita Karoli Magni), und es war der St. Gallener Mönch Notker der Stammler, der in den Gesta Karoli Magni lmperatoris1 7 Karl-ebenfalls noch im 9. Jahrhundertmythisch18 erhöhte. 16 Vgl. z ur Regierungszeit Alfons li. die kurze Zusammenfassung von Jose lgnacio RuiZ DE LA P ENA SOLAR, La monarqufa asturiana (718-910) (Cangas de Onfs 2000) S. 67-70, der auch auf die Bezüge Alfons' z um karolingischen Herrscher eingeht. Zum Verhältnis Karls und Alkuins zum Königreich Asturien vgl. Marcelin DEFOUR- NEAUX, Charlemagne et la monarchie asturienne, in: Estudios sobre la monarqufa asturiana (Oviedo 1949, 21971) S. 89-114. 17 Notker von St. Gallen, Gesta Caroli Magni imperatoris, hg. von Hans F. HAEFELE (MGG SS rerum Germ. n. s., Berlin 1959). 18 Bei dem Begriff mythisch / My thus orientiere ich mich an raum-/ zeitadäquaten Einordnungskriterien der europäischen Erzählforschung ethnologischer Ausrichtung, die unter Mythen im engeren Sinn eine Darstellung der Taten und Leiden von Göttern und Helden versteht, ähnlich also dem De ortu et obitu Patrum- Katalog der Apostelverzeichnisse der frühen Kirche. In der terminologisch-thematischen Auseinandersetzung wurden folgende Werke konsultiert: Andre }OLLES, Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 15, Tübingen 71999) S. 91-123; Handbuch philosophischer Grundbegriffe 4 (Studienausgabe), hg. von Herrmann KRINGS/ Hans Michael BAUM GARTNER/ Christian WILD (München 1973) S. 948-956; Ulrich MüLLER/ Werner WUNDERLICH, Mittelalter-Mythen. Zu Begriff, Gegenstand und Forschungsprojekt, in: Herrscher Helden Heilige, Mittelalter Mythen 1, hg. von DENS., (St. Gallen 22001) S. IX-XIV; Karl BETH, Mythologie und Mythos, in: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens 4 (Berlin-Leipzig 1934/ 35) Sp. 720-752; Jacob GRIMM, Deutsche Mythologie(= Uhlstein Materialien 1, Gütersloh 1981, unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1835). Auch wenn Max Lüthi noch die Grimmsehe Interpretation der Mythen als eine Darstellung der Taten und Heiligen von Göttern bezeichnet, denen als Prototyp der kosmographische Mythus zugrunde liegt, der eine Wirklichkeit beinhaltet, die nachvollzogen werden muß, für richtig hält (Max LüTHI, Märchen. [Realienbücher für Germanisten, Abt. D, Stuttgart 31964]), erwä hnt die neuere amerikanische Forschung die Deutsche M yt hologie von Jacob Grimm nicht einmal mehr, obwohl im Internet sogar eine anspruchsvolle englische Übersetzung "downgeloaded" (! ) werden kann. Aber Begriffsveränderungen reimportierter europäischer Lexika aus dem Kulturbereich sind ja sowieso gang und gäbe, wie es die Beispiele Legende (legend), Philosophie (filosofy) und Model (model) zeigen. Die verschiedenen terminologischen Ansätze zur Exegese des Begriffs Mythus von ethnologischer Seite her werden im Wörterbuch der Deutschen Volkskunde, hg. von Richard und Klaus BE ITL (Stuttgart 3 1974) S. 583f. überblicksartig bear- <?page no="60"?> 44 Robert Plätz Am Ende des 10. Jahrhunderts ließ Kaiser Otto III., für dessen Zeit Karl der Große bereits als mythisch überhöhter Kaiser der ganzen Christenheit galt, sein Grab im Aachener Dom öffnen19. Was hat das alles mit der Frage zu tun, ob die Vision Karls im Pseudo-Turpin eine typisch mittelalterliche Vision sei? Mir wurde von der Kongreßorganisation die Aufgabe gestellt, unter Berücksichtigung eines relativ kurzen Textes ein Umfeld zu bearbeiten, das alles andere als einheitliche Strukturen aufweist. Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, daß es in diesem Rahmen unmöglich ist, für ein mit so vielen Vorstufen und Tradierungen behaftetes, dazu noch in einem großen Rahmen stehendes Thema einen Motiv-Index hinsichtlich der Typologie mittelalterlicher Normen, Mentalitäten und Traditionen jeglicher Art fächerübergreifend und überhaupt zu erstellen. Auch die Frage der Handschriftenüberlieferung und der Verfasserschaft kann hier nur themenimmanent angeschnitten werden, wie auch generell innerhalb dieser Thematik noch ein großer Forschungsbedarf besteht. Aber halten wir zunächst einmal an der Epochenschwelle um 900 inne, informieren wir uns über den Visionstext und seine Inhalte, bevor beitet. Die auch heute noch lesenswerte Analyse weist besonders auf den "vieldeutigen Sprachgebrauch" der letzten Jahre hin. Dem ist auch in Bezug auf die neuesten Definitionsversuche von Seiten des "International Congress on Medieval Studies", den das Medieval Institute der Western Michigan University in Kalamazoo 1995 durchführte, nichts hinzuzufügen. Speziell zumJacobus-Mythos: Emilio GON ZA L EZ L6PEZ, The Myth of SaintJames and his Functional Reality, in: Americo Castro and the meaning of Spanish civilization (Berkeley-London 1976) S. 91-111. Vor allem den polemischen Auseinandersetzungen zwischen dem Historiker Claudio Sanchez Albornoz und dem konservativen Literaturwissenschaftler und Kritiker Americo Castro (1885-1972), der sich in seinen Höhepunkten zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts abspielte, geht Raphaela AVERKORN in ihrem Artikel "Der Jakobus- Mythos, Die En twicklung eines Mythos vom Mittelalter bis zur Gegenwart", in: Herrscher Helden Heilige (wie oben) S. 525-541 ein. Sie weist dem Esoterik-Anhänger, Event- und N ew Age-Journalisten und Filmemacher (TV) Sanchez Drag6 eine entscheidende Rolle in der Rezeption eines modernen Mythos-Verständnis zu, die in einer ideologisch orientierten "magischen Mischung" auf Grundlage der Werke von niemanden geringeren als Plato, Nietzsche und Jung beruhen soll (S. 528), eine Rolle, die diesem m. E. nicht zukommt (ich war mit ihm 1982 in einer vierstündigen Fernsehdiskussion in dem Programm "La Clave", 2• Cadena). Zu den historischen Dimensionen der Mythenbildung um Jacobus vgl. die Arbeiten von Klaus B ERBERS , Karl der Große und Spanien (wie Anm. 2) S. 47- 55. Weitere wegweisende Literatur über Mythen bei AVERKOR N, Jakobus-Mythos (wie oben) S. 525, Anm. 4. 19 Vgl. zum Karlsgrab Knut G6RICH, Otto 111. öffnet das Karlsgrab in Aachen. Überlegungen zur Heiligenverehrung, Heiligsprechung und Traditionsbildung, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen (Vorträge und Forschungen 46, Sigmaringen 1998) S. 381-430, neuerdings DERS., Kaiser Otto 111. und Aachen, in: Europas Mitte um 1000, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie 2 (Stuttgart 2000) S. 786-791, und allgemein Gerd ALTHOFF, Otto 111 ., in: Gestalten des Mittelalters und der Renaissance, h g. von Peter HERDE (Darmstadt 1996) speziell S. 148-150. <?page no="61"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 45 wir diesen einer kurzen Gattungs- und Motivanalyse unterziehen, die nach 900 einsetzt und bis ins letzte Drittel des 12. Jahrhunderts reicht. II. Visio Karoli Magni im Pseudo-Turpin Welche Aussage oder welche Botschaft will die Visio Karoli Magni im Pseudo-Turpin vermitteln? Nach zahlreichen Eroberungen, Schlachten und Mühen gönnte sich Karl der Große eine Erholungspause und hatte ein Traumgesicht: "Da sah er plötzlich am Himmel eine Sternenstraße. Sie begann am friesischen Meer und führte über Deutschland und Italien, Gallien und Aquitanien, durchquerte in gerader Linie die Gascogne, das Baskenland, Navarra und Spanien bis nach Galizien, wo damals der Leichnam des seligen Jacobus unbekannt ruhte. Nachdem Kar! diese Straße in mehreren Nächten nacheinander erblickt hatte, fragte er sich immer wieder, was das bedeuten solle. Als er nun eifrig über all das nachdachte, erschien ihm nachts im Traum eine über die Maßen schöne Heldengestalt und sagte: ,Was tust du, mein Sohn? ' Er aber sprach: ,Wer bist du, Herr? '- ,Ich bin', sagte jener, ,der ApostelJacobus, der Jünger Christi, Sohn des Zebedäus, Bruder von Johannes dem Evangelisten, den aufgrundseiner unaussprechlichen Gnade der Herr sich herabließ ihn zu erwählen, die neue Lehre am Meer von Galiläa den Völkern zu predigen; den König Herades mit dem Schwert töten ließ, und dessen Leib unentdeckt in Galicien ruht, das immer noch schändlicherweise von den Sarazenen unterdrückt wird. Darum bin ich höchlichst erstaunt, daß du bislang mein Land noch nicht von den Sarazenen befreit hast, du, der du so viele Städte und Länder erobert hast. Daher lasse ich dich wissen, daß der H err dich unter allen anderen ausgewählt hat, meinen Weg zu bereiten und mein Land aus den Händen der Musulmanen zu befreien, wie er dich auch zu dem mächtigsten aller Könige dieser Erde gemacht hat. Dafür wird er dir die Krone unvergänglichen Ruhms gewähren. Die Sternenstraße, die du am Himmel gesehen hast, bedeutet, daß du mit Heeresmacht zum Kampf gegen das ungläubige Heidenvolk, zur Befreiung meiner Straße und meiner Erde und zum Besuch meiner Kirche und meines Grabes aus dieser Gegend nach Galicien ziehen sollst. Und nach dir werden alle Völker, von Meer zu Meer wandernd und Vergebung ihrer Sünden vom Herrn erflehend, dorthin ziehen, und sie erzählen das Lob Gottes und seine Macht und die Wunder, die er tat. Sie werden ziehen von deiner Lebenszeit an bis zum Ende dieser irdischen Welt. Breche jetzt auf, so früh als möglich. Ich werde dir in allem zur Seite stehen; und für deine Mühen wird der Herr im Himmel dir eine Krone erlangen, und bis zum Ende der Zeit wird dein Name gerühmt werden'. Desgleichen erschien der heilige Apostel Uacobus] Kar! dem Großen dreimal. Nachdem Kar! dies vernommen hatte, vereinigte er im Vertrauen auf die apostolischen Versprechungen viele Heere um sich, brach in Spanien ein, um die Ungläubigen zu bekämpfen"20. 20 Statimque intuitus est in celo quendam camin um stellarum incipientem a mari Frisie et tendentem inter Theutonicam et Ytaliam, inter Galliam et Aquitaniam, rectissime transeuntem per Gasconiam, Basciamque, Navarram et Yspaniam usque ad Galleciam, qua beati lacobi corpus tune temporis latebat incognitum. <?page no="62"?> 46 Robert Plätz Gattung Vision Der nächste Schritt dient einer begrifflichen Klärung. Wie ist nun die Karlsvision in den Begriffskoordinaten einzuordnen, d.h. um welche Art der Vision handelt es sich? Bei der Vision handelt es sich, folgt man dem Schema von Dinzelbacher, um eine apparitio, ebenfalls auch um eine revelatio und visio 21 . Dieses Phänomen besteht in der visuellen Wahrnehmung von natürlicherweise nicht im normalen U mraum befindlichen oder dort sonst nicht sichtbaren Personen oder Sachen bei gleichzeitiger Fortdauer der normalen Perzeption dieses Umraumes. Dieser Einbruch des Übernatürlichen in die Alltagswelt des Sehers ist wie die Vision mit einer Offenbarung verbunden, die für gewöhnlich von der Stimme des erscheinenden Wesens übermittelt wird. Quem cum Karalusper singulas noctes sepe perspiceret, cepit sepissime premeditari quid significaret. Cui hec summo studio cogitanti heros quidam obtimam ac pulcherrimam ultra quam dici Jas est habens speciem nocte in extasi apparuit dicens: Quid agis, fili mi? At ille inquit: Quis es, domine? Ego sum, inquit, lacobus apostolus, Christi alumpnus, filius Zebedei, frater lohannis evangeliste, quem Dominus supra mare Galilee ad predicandos populos sua ineffabili gratia eligere dignatus est, quem Herades rex gladio peremit, cuius corpus in Gallecia, que a Sarracenis adhuc turpe opprimitur, incognitum requiescit. Unde ultra modum miror, cur terram meam a Sarracenis minime liberasti, qui tot urbes tantasque terras adquisisti. Quapropter tibi notifico, quia sicut Dominus potenciorem omnium regum terrenorum te f ecit, sie ad preparandum iter meum et deliberandum tellurem meam a manibus Moabitarum te inter omnes, ut tibi coronam eterne retribucionis exinde preparet, elegit. Caminus stellarum quem in celo vidisti, hoc significat, quod tu cum magno exercitu ad expugnandam gentem paganorum perfidam, et liberandum iter meum et tellurem, et ad visitandam basilicam et sarcofagum meum, ab his horis usque ad Galleciam iturus es, et post te omnes populi a mari usque ad mare peregrinantes, veniam delietarum suorum a Domino impetrantes, illuc ituri sunt, narrantes Iaudes Domini et virtutes eius, et mirabilia eius que fecit. A tempore v ero vite tue usque ad finem presentis seculi ibunt. Nunc autem perge quam cicius poteris, quia ego ero auxiliator tuus in/ omnibus, et propter Labores tuos impetrabo tibi coronam a Domino in celestibus, et usque ad novissimum diem erit nomen tuum in Laudei Taliter beatus apostolus tribus vicibus Karolo apparuit. His itaque auditis, Karalus apostolica promissione fretus coadunatis sibi exercitibus multis, ad expugnandas gentes perfidas Yspaniam ingressus est (Capitulum I des Liber IV: Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, ed. Klaus H ER - BERS / Manuel SANTOS NorA [Santiago de Compostela 1999] S. 201, mit ausführlichen Index Bibliograficus aufS. 285- 301. Dt. Übersetzung vom Verfasser). Zur Ms.-Tradition vgl. auch Th e Codex Calixtinus and the Shrine of St. James, hg. vonJohn WIL- LIAMS/ Alison STONES Qakobus-Studien 3, Tübingen 1992); Manuel C. DfAZ Y DlAZ, EI Codice Calixtino de Ia Catedral de Santiago. Estudio codicol6gico y de contenido (Monografias de Compstellanum, Santiago de Compostela 1988). 21 Vgl. zu der Thematik Ernst BENZ, Die Vision. Erfahrungsformen und Bilderwelt (Stuttgart 1969); Peter DINZELBA C HER, Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie (Darmstadt 1989) speziell S. 1-14, und DENS., "Revelationes" (Typologie des sources du Moyen Age Occidental 57, Turnhout 1991) speziell S. 16-21. <?page no="63"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 47 Erscheinungen werden zumeist bei vollem Wachbewußtsein erlebt, d.h. ohne daß die normalen psycho-physischen Funktionen irgendwie suspendiert wären, seltener in tranceartigen Zuständen. Sie können auch im Schlaf vorkommen, wenn der Träumende eine Person an sein Lager herantreten sieht22. Die vor- und nichtchristliche griechische Kultur kannte sehr wohl die Aufzeichnung von Offenbarungserlebnissen, jedoch sind uns kaum Textbeispiele überliefert worden, die zudem noch in anderen Textsorten eingefügt worden waren. Das bekannteste Beispiel ist die Jenseitsvision des Pamphyliers Er, mit der Plato das letzte Buch der Politeia abgeschlossen hat 23 . Es ist auffallend, daß die Römer für Aufzeichnungen von Erlebnissen dieser Art kein Interesse besessen haben. Zwar findet man bei den Historikern der Kaiserzeit jede Menge mantischerTräume erwähnt, wie es auch zahlreiche diesbezügliche Inschriften auf ex visu gesetzten Altären gibt, sie erlangten aber keine eigene Literarizität, Ciceros Somnium Scipionis24 ist eine rein fiktive Kontrafaktur zum Er-Mythos Platons, die Unterweltfahrten des Aeneas in Vergils Epos oder in der Culex in der Appendix Vergiliana Schöpfungen rein poetischer Natur25. Auch wenn es in der griechischen Antike ekstatische Visionen gab, die inhaltlich durchaus den Jenseitsvisionen des Mittelalters entsprachen, und in ähnlichen Formen aufgezeichnet wurden, läßt sich doch sagen, daß Parallelen zu den mystischen Schauungen des Mittelalters sowie Tradierung von Offenbarungserleben durch Frauen in der Antike nicht vorhanden waren. Wesentlich wichtiger vor allem für die späteren Epochen waren Offenbarungsschriften, die im Bereich der jüdischen Kultur zwischen zweihundert vor und zweihundert nach Christi entstanden. Jenseitswanderungen fehlen allerdings ganz. Besonders ab dem Einsetzen der apokalyptischen Literatur ändert sich das, zahlreiche Motive der meist in Griechisch oder Hebräisch verfaßten Texte präfigurieren Szenen mittelalterlicher Jenseitsvisionen2 6, z.B. Führerengel, Gottes- 22 Dazu vgl. DENS., Körperliche und seelische Vorbedingungen religiöser Träume und Visionen, in: I sogni nel medioevo. Seminario internazionale, Roma, 2-4 ott. 1983 (Lessico intelettuale Europeo 35, Roma 1985) S. 57-86. 23 Er, Sohn des Armenios, aus Pamphylien offenbart in seiner Vision im Endmythos der Politeia (10, 614b ff.), als er am zwölften Tage seines Schlachttodes wieder zum Leben erwac ht war, die Geheimnisse der Unterwelt. Vgl. Ca rlo PAS C AL, Le Credenze d'Oltretomba nelle opere Ietterarie dell'antichita classica (Catania 1912) S. 34ff. 24 Cicerone Somnivm Scipionis. Indroduzione e commento di Alessandro RoNCONI (Firenze 1961). 25 DIN ZELBACHER, Revelationes (wie Anm. 21) S. 23. 26 Für die Visionstexte vor D ante vgl. August RüEGG, Die Jenseitsvorstellungen vor Dante und die übrigen literarischen Voraussetzungen der Divina Commedia 1 (Einsiedeln-Köln 1945). <?page no="64"?> 48 Robert Plötz thron, Paradiesberg, die sieben Himmel mit ihren Wundern und Strafen, etc. Das 12. Jahrhundert ist Höhepunkt und Epochenschwelle der mittelalterlichen Offenbarungsliteratur zugleich. Der ApostelJacobus Maiar hat gerade in diesem Jahrhundert, in das auch die erste europäische Blütezeit seines Kultes und der Jacobus-peregrinatio fiel, im visionären Geschehen der revelationes eine wichtige Rolle gespielt. Außerhalb des Kontextes des Codex Calixtinus tritt Jacobus in der Historia Silense (1115), in der Visio Henrici de Aharin (um 1130) und in der Visio Thurkilli (1206) 27 in Erscheinung2 8. In der Historia Silense, die sich auf die Einnahme von Coimbra am 9. Juli 1064 durch Ferdinand I. von Le6n29 bezieht, erscheintJacobus am Himmel zu Pferd 30 , im Pseudo-Turpin erfolgt durch Jacobus eine Weisung, und in den beiden letzten Texten führt Jacobus durch dasJenseits und vermittelte Aufträge und Botschaften. In der Karlsvision nimmt der Apostel gar die Stelle des Verkündigungsengels Gabriel ein, der in der Chanson de Roland noch oder wieder vorhanden war 31 . Gabriel ist der neben Michael bedeutendste Erzengel und erscheint in den neutestamentlichen Erzählungen der Verkündigung an Zacharias (Lk 1,11-20) und an Mariaals Götterbote32. In 27 Dazu Die Vision des Bauern Thurkill, Vision Thurkilli mit deutscher Übersetzung, hg. von Paul Gerhard SCHMIDT (Acta Humaniora, Weinheim 1987). 28 Vgl. zu allen erwähnten Visionen Robert PLäTZ, Vision y realidad, Compostellanum 40 (1995) S. 339-365, und speziell zu Heinrich von Ahorn: DENS./ Hedwig RöCKE- LEIN, Die Vision des Heinrich von Ahorn und das Kloster St. Georgenberg, in: Stadt und Pilger. Soziale Gemeinschaften und Heiligenkult, hg. von Klaus HERBERS Gakobus-Studien 10, Tübingen 1999) S. 29-68, sowie vorher schon Eberhard DÜNNINGER, Politische und geschichtliche Elemente in mittelalterlichen Jenseitsvisionen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (Phi! . Diss., München 1962), besonders die Zusammenfassung aufS. 74-77. 29 Wahrscheinlich wegen der längeren Dauer nahm Ferdinand mit seiner ganzen Familie an der Belagerung teil: una cum uxore sua filiisque et filiabus circumdabit eam (Portugaliae monumenta historica 1 [Olisipone 1856] S. 383f.) 30 Vgl. zur Notiz in der Silense: Manuel Cecilio DlAZ Y DlAZ, Visiones del mas alla durante Ia Edad Alta Media, (Santiago de Compostela 1985) S. 122-144, und PLäTZ, Vision y realidad (wie Anm. 28) S. 345ff. 31 Das altfranzösische Rolandslied nach der Oxforder Handschrift, hg. von Alfons HIL- KA (Sammlung romanischer Übungstexte 3/ 4, Tübingen 7 1974) v. 2262, 2395, 2526, 2847, 3610 und 3993. Gabriel hat hier zwei Funktionen: Er erscheint Kar! dem Großen und führt die Seelen der gefangenen Helden zum Himmel. 32 Weitere mächtige Engel als Führer sind Michael, Uriel und Raphael. Für die Traditionen dieser führenden Engel spielt das apokryphe äthiopische Henochbuch eine zentrale Rolle, Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit V/ 6, hg. von Siegbert UHLIG (Gütersloh 1984) cap. 20, S. 1-8; vgl. PLöTZ/ RöCKELEIN, Die Vision des Heinrich von Ahorn (wie Anm. 28) S. 39f. Allgemein zu den Engeln als Offenbarungsträger in frühen Visionsberichten: Enzyklopädie des Märchens 3 (Berlin/ New York 1999) Sp. 1414- 1430, unter Einbezug der islamischen Traditionen, Sp. 1417. <?page no="65"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 49 Zusammenhang mit Gabriel wird auch zum ersten Mal im deutschen Sprachraum der Karolingerzeit das Motiv des Sternenweges angesprochen, allerdings ohne mit der Nachricht des Pseudo-Turpin über den Sternenweg und den Auftrag an Karl zu korrespondieren, nach Galicien zu ziehen. Im Szenenrahmen der Verkündigungsdarstellung bringt Otfrid von Weißenburg33 in seinem Evangelienbuch34 als Szeneneinleitung das gewaltige Bild des durch den Kosmos fliegenden Himmelsboten: Floug er sunnen pad, sterreno straza, wega wolkono ... 35 . Nach Verkündigung des Heilsgeheimnisses kehrt der Engel wieder zum Thron Gottes zurück3 6. Hinter dieser Szene dürften letztendlich Schilderungen von Götterboten stehen, die offenbar früh in die christliche Vorstellungswelt übernommen wurden37. Als konkrete Vorlage für die Verkündigungsszene macht Haubrichs einen Weihnachtssermo ausfindig, der ursprünglich Augustinus zugeschrieben wurde 38 . Als eigentlichen 33 Otfrid von Weißenburg (ca. 800 bis nach 870) gilt als erster namentlich bekannter deutschsprachiger Dichter, der als magister scholae im Kloster Weißenburg gewirkt und dort zwischen 863 und 871 ein Bibelepos in süd-rheinfränkischer Mundart geschrieben hat. Biobliographische Daten bei Wolfgang HAUBRICHS, Die Anfänge: Versuche volkssprachlicher Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700-1050 / 60) (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit 1, Tübingen 2 1995) S. 383, und Otfrid von Weissenburg. Evangelienbuch. Auswahl Althochdeutsch/ Neuhochdeutsch, hg., übers. und kom. von Gisela VO LL MANN-PROFE (Stuttgart 1987) unter Literaturhinweise. Di e entsprechende Textstelle aufS. 56/ 57 in Textgegenüberstellung. 34 Oskar ERDMANN/ Ludwig W OLFF , Otfrids Evangelienbuch (Germanistische Handbibliothek 5, Halle 1882) . 35 Ebd., I, 5,5 . 36 Ebd . Vgl. dazu Wolfgang HAUBRI C HS, Otfrieds Verkündigungsszene, Zeitschrift für deutsches Altertum 97 (1968) S. 176-189, hier S. 180 . Zitat auch bei Jaco b GRIMM, "Strasze", in: Deutsches Wörterbuch 19 (Leipzig 1941, Reprint München 1984) Sp. 902 . Der Bearbeiter des 6. Bandes des Deutschen Wörterbuches (Leipzig 1885), Dr. Moriz He yne, hat das Zitat v on Widukind v on Corvey zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt eingefügt oder einfügen lassen, als zu dem, an dem die Deutsche Mythologie von Jacob Grimm publiziert worden ist. Darum wird sie dort wahrscheinlich auch nicht aufgeführt, zu Grimm vgl. Ludwig DENEC KE, Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm (Realienbücher für Germanisten, Abt. D , Stuttgart 1971). 37 Vgl., Evangelienbuch (wie Anm. 33), Kommentar zu S. 56/ 57; vgl. dazu auch Reinhildis HART MA NN, Allegorisches Wörterbuch zu Otfrieds von Weissenburg Evangeliendichtung (Münstersche Mittelalter-Schriften 26, München 1975), bes. S. 413 , 419. Auch in anderen, allerdings etwas späteren Textzusammenhängen d er epischen deutschen Literatur wird der " Gott esbote" erwähnt, wie z.B. im Stricker: da scheint ein lieht als ein tac; dar inne quam ein bote von dem oberesten gote, ein enge! also lobesam (Kar! der Große von dem Stricker, hg. von Kar! BARTSCH [Texte des Mittelalters: Deutsche Neudrucke, Berlin 19 65) S. 9, vv 318-321). Der Text ist gegen 1240 entstanden. 38 HA UB RI C HS, Otfrids Verkündigungsszene (wie Anm. 36) S. 176-189. Text der pseudo -augustinischen Sermo 208 In fe sto Assumptionis Beatae Mariae in: PL 39, Sp. 2129-2134, ein Bruchs tü ck desselben sermo auch in: PL 89, Sp. 1275-1278. <?page no="66"?> 50 Robert Plätz Verfasser der pseudo-augustinischen Sermo führt L. Scheffczyk den französischen Theologen Ambrosius Autpertus (': in Gallien- 784) an39, der als bedeutender theologischer Schriftsteller gelte40, und der neben seinen Schriften auf exegetischem und aszetischem Gebiet auch marianische Homilien geschrieben habe 41, darunter den oben erwähnten Sermo. Von großem Interesse für uns sind die beiden ersten Visionen in der Historia Silense und im Codex Calixtinus, da sie unmittelba r mit dem Krieg gegen die Muslime, gegen die Heiden, zu tun haben. Auf sie werde ich noch zurückkommen . Auch die Chanson de Roland lasse ich in diesem Zusammenhang außer acht, da sich meinesErachtenseine voneinander unabhängige Entwicklung beider Überlieferungen feststellen läßt. Eine Schlüsselstellung für die Interpretation dieser Fragestellung dürfte dieN ota Emilianse (gegen 1065-1 068) 42 innehabenein Text, der eine lateinische Kurzfassung der Elemente des Chanson beinhaltet 43 . 39 VgL Leo S CHEFFCZYK, Pseudo-Augustinus, in: Marienlexikon 5, hg. von Remigius BÄUMERILeo SCHEFFCZYK (St. Ottilien 1993) S. 366f., und DENS., Ambrosius Aut pertus, ebd. 1 (St. Ottilien 1988) S. 124f. 40 Le plus illustre ecrivain qu'ait produit La France en ce siede d'ignorance, in: Histoire litteraire de la France 4 (Paris 1738) S. 141; vgL auchJaques WrNANDY, L'a: uvre litteraire d'Ambroise Autpert, moine et theologien (Paris 1953). 4 1 SC HEFFCZYK, Ambrosius Autpertus (wie Anm. 39) S. 124. Haubrichs sieht eher in dem pseudo-augustinischen Sermo Thalamos marie et secreta coniuga ... eines unbekannten Afrikaners (Sermons marials inedits In natali Domini, ed. Henri BARRE, Marianum 25 [1963] S. 64- 70) eine unmittelbare Quelle für Otfrieds Verkündigungs szene (wie Anm. 36, S. 180) und hebt die funktionale Zusammengehörigkeit beider Texte hervor (ebd., S. 188). 42 Die Nota Emilianense wurde 1954 auf BL 245v am Ende cines geistlichen Traktates in der Bibliothek des kürzlich zum Weltkulturerbe erklärten Klosters San Mi! Lin de Ia Cogolla von Damaso Alonso entdeckt. In der Mitte des 11. Jahrhunderts gab es in Aragon und Navarra eine literarische Bewegung, wie es die Nota und die Juglares bezeugen. Bezeugt ist sie in "Porz de Sicera" bei Huesca, im Kloster San Pedro de Sirena, das zwischen 809/ 814 von einem Vasallen Karls namens Aznar Galfndez gegründet worden sein soll. Später nahm San Juan de Ia Peiia seinen Platz ein (Andre DE MANDACH, Chansonde Roland, Naissance et developpement de Ia chanson de geste en Europe 6 [Genf 1993] S. 144). Zur Nota vgL speziell Damaso ALONSO, La primitiva epica francesa a Ia luz de una Nota Emilianense, Revista de Filologfa Espaiiola 36 (1953) S. 1- 94; ausführlich besprochen bei Rarnon MENENDEZ P! DAL, La chanson de Roland et Ia tradition epique des Francs (Paris 2 1960) S. 385-445, zuletzt Henning KRAUSS, Romanische Heldenepik, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 7: Europäisches Hochmittelalter (Wiesbaden 1981) S. 155. 43 Wegen seiner Bedeutung und gelegentlichen Unzugänglichkeit zitiere ich den Text in seiner Gesamtheit und bediene mich der Leseart von De Mandach (unter Auflösung der Zweispaltigkeit): I. In era DCCCCXVI venit Carolus rex ad Cesaraugusta. I! . In his diebus habuit duodecim nepis; unusquisque habebat tria milia aequitum cum Loricis suis. No mina ex his: Rodlane, Bertlane, Oggero Spatacurta, Ghigelmo Alcorbitunas, Olibero et aepiscopo domini Torpini. Et unusquisque singulos menses serbiebat ad regem cum [s] <?page no="67"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 51 III. Die literarische Tradition der Texte um Karl den Großen Wie hat sich nun das literarische Bild Karls des Großen im Mittelalter von der aus der unmittelbaren Umgebung des Kaisers hervorgegangenen Literatur bis zu den späteren Karlsepen und der Karlssage geformt? Es erfährt sowohl in der klassischen Literatur als auch in der Volksüberlieferung eine reiche Entwicklung mit vielfachen Einzelzügen und manchen Wandlungen, woran gerade die mittelalterliche Epoche ihren Anteil hat. Deutlicher als in anderen Zeugnissen zeigt sich in diesen Visionen zunächst auch die Kritik von Zeitgenossen an Karls Persönlichkeit, so in der Visio cuiusdam pauperculae mulieris (wenn auch ihr eigentliches Thema die Haltung Ludwigs des Frommen zu seinem Neffen Bernhard von Italien ist) oder in der Vita Rotcharii. Daß die Befreiung Karls des Großen aus dem Fegefeuer in der Visio Wettini verheißen und in der Visio Rotcharii vollzogen wurde, weist voraus auf spätere literarische Entwicklung und Legendenbildung, die in Karl dem Großen den Glaubensritter, Heidenkrieger und Heiligen sieht. Aber ganz ohne Zweifel hat dieses nun völlig legendäre, aber Zeit/ Raum-orientierte Bild des Kaisers seine besondere Ausgestaltung und weiteste Verbreitung durch die Historia Karoli Magni des Pseudo-Turpin gefunden, die um die Mitte des 12. Jahrhunderts unter dem Einfluß von St-Denisso lauten die Theorien u.a. von Olschki, Lehmann, Dünninger, Walpole, Short, Pericard-Mea und Berbers, der ausdrücklich hervorhebt, daß der Pseudo-Turpin das einzige Buch des Kompendium Liber Sancti Jacobi sei, dem nicht die Autorenschaft Calixts II. angelastet wirdin Frankreich entstanden sei 44, während Manuel Diaz y Diaz eher einer Abcolicis suis. III . Contigit ut regem cum suis ostis pausabit in Cesaraugusta. Post aliquantulum temporis, suis dederunt consilium ut munera acciperet multa, ne a ffamis periret exercitum, sed ad propriam rediret. Quod factum est. Deinde placuit ad regem pro salutem hominum exercituum, ut Rodlane belligerator fortis, cum suis posterum veveniret. At ubi exercitum portum de Sicera transiret, in Rozaballes a gentibus Sarrazenorum fuit Rodlane occiso (MANDACH, Chanson de Roland, wie vorge Anm., s. 94). 44 Vgl. Leonardo ÜLSCHKI, Der ideale Mittelpunkt Frankreichs im Mittelalter in Geschichte und Dichtung (Heidelberg 1913) S. 65; Paul L EHMANN, Das literarische Bild Karls des Großen vornehmlich im lateinischen Schrifttum des Mittelalters (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse 9, o.O. 1934) auch in: D ERS ., Erforschung des Mittelalters 1 (Leipzig 1941, ND Stuttgart 1959) S. 176; Ronald N. WALPOLE, Sur Ia chronique du Pseudo-Turpin (Travaux d e linguistique et de Iitterature III/ 2, Strasbourg 1965) S. 16; Robert FOLZ, Le souvenir et Ia legende de Charlemagne dans ! 'Empire germanique medieval (Paris 1950, ND Genf 1973) S. 27f.; DÜNNIN GER, Politische und geschichtliche Elemente (wie Anm. 28) S. 64; lan SHORT, The Pseudo Turpin Chronicle. Some Unnotices Versionsand their Sources, Medium Aevum 38 (1969) S. 1-22; DERS., The Anglo Norman Pseudo- Turpin Chronicle of William de Briane (The Anglo-Norman Text Society, Oxford 1973) S. 1; Klaus H E RBERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der "Liber <?page no="68"?> 52 Robert Plötz fassung in Santiago de Compostela selbst zuneigt 45. Dieses Werk eines vielleicht französischen Geistlichen, eines Kanonikers, neben den Zisterziensern die wichtigsten Vorläufer der Ritterordenbewegung, das die Züge der kirchlichen Karlslegende mit den Elementen der literarischen und volkstümlichen Traditionen vor allem Frankreichs verband, griff bei der Frage nach dem Jenseitsschicksal Karls des Großen nicht mehr auf die Visionen der Karolingerzeit zurück; in das Bild des heiligen Kreuzfahrers Karl paßt nicht mehr die Gestalt des im Jenseits bestraften Kaisers; und so bedient sich der Verfasser des häufig verwendeten Visionsmotivs vom Streit zwischen Engeln und Dämonen um die Seele des Verstorbenen. In einer Vision im Augenblick des Todes Karls des Großen (historisch: 28. Januar 814) erfährt der fiktive Autor Turpin, ein Zeitgenosse Karls, über den es noch einige Worte zu verlieren gilt, daß der Apostel Jacobus aufgrund der Verdienste Karls um die Erbauung von Kirchen den Streit zugunsten der Engel entschieden hat. Turpins Bericht vom Tod Karls in Aachen lautet: "Kurze Zeit danach wurde mir der Tod König Karls auf folgende Weise bekannt: Als ich eines Tages in Vienne in der Kirche am Altar stand und den Psalm ,Eile Gott, um mich zu erretten' sang, erkannte ich ungezählte Scharen schrecklicher Kriegergestalten, die an mir vorbei nach Lothringen zogen. Als alle vorüber waren, erblickte ich einen von ihnen, schwarz wie ein Neger, der den anderen langsamen Schrittes folgte. Ich sprach zu ihm: ,Wohin gehst du? ' -,Nach Aachen', sagte er, ,zu Karls Tod ziehen wir, um Karls Seele in die Hölle zu stürzen'. Ich sagte sogleich: ,Ich beschwöre dich im Namen unseres Herrn Jesu Christi, am Ende deines Weges zurückzukehren'. Kaum war der Psalm beendet, kamen sie auch schon in derselben Reihenfolge wieder an meinem Standort vorbei. Ich sagte zu dem letzten, mit dem ich vorher gesprochen hatte: ,Was habt ihr erreicht? ' Der Teufel erwiderte: ,Ein Galicier ohne Kopf hat so viele und so große Steine und Bauholz für seine Kirchen in die Waagschale geworfen, daß Karls Sancti Jacobi". Studien über das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im Hohen Mittelalter (Historische Forschungen 7, Wiesbaden 1984) S. 38--47, und Denise P: ERICARD-MEA, Campostelle et cultes de saint Jacques au Moyen Age, Le Nceud Gordien (Paris 2000) S. 234. Auch Karl-Ernst G E ITH erwähnt, daß die Vorstufen des Pseudo-Turpin mit Saint-Denis in Verbindung gebracht werden (Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts [Bern/ München 1977] S. 26). 45 Wenigstens hat er die Auffassung auf dem Pseudo-Turpin-Kongreß vertreten. Schon zwanzig Jahre vorher wies Jan VAN HERWAARDEN auf die Codex-Integrität auf dem Kongreß hin, der 1982 in Perugia stattfand Qan VAN HERWAARDEN, L'integrita di testo del Codex Calixtinus, in: Atti del Convegno Internazianale di Studi "I! Pelegrinaggio a Santiago de Compostela e Ia Letteratura J acopea [1982], hg. von Giovanna S CALIA [Perugia 1985] S. 251-270). Auch der Münsteraner Altgermanist und Erzählforscher Volker Honemann hatte sich schon vor Jahren dahingehend geäußert. <?page no="69"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 53 gute Taten seine Vergehen überwogen: So hat er uns seine Seele entrissen und den Händen des größten Königs übergeben·. Auf diese Weise erfuhr ich, daß Karl an diesem Tag vom Licht der Welt geschieden war und mit dem Beistand des hl. Jacobus, dem er so viele Kirchen erbaut hatte, in das himmlische Reich gelangt war« 46. Dieses im Gegensatz zu den geschichtlichen karolingischen Visionen nun ganz in die Legende einbezogene Visionsmotiv hat weitergewirkt; auf die Vision des Pseudo- Turpin beruft sich dann bald der Autor der sogenannten Aachener Vita Karoli 47, der die von politischen Absichten Friedrichs I. Barbarossa bestimmte Kanonisation Karls des Großen (1169) als gottgewollt rechtfertigen will 48. Auf die Motive und Intentionen des Staufers für diesen Akt kann hier nur hingewiesen werden 49. Die Kanonisation Karls bedeutete in der Auseinandersetzung zwischen Kaisertum und Papsttum eine Stärkung und Sakraliserung des weltlichen Herrscheramtes. Friedrich Barbarossa, der sich als Nachfolger Karls verstand und dies auch immer wieder zum Ausdruck bringen ließ 50 , wollte damit die von ihm und der Staufischen Propaganda vertretene Auffassung von der Heiligkeit des Reiches und der Gottunmittelbarkeit des Königs und Kaisers manifestieren51. Unter dem Namen Karolellus entstand gegen 1200 eine unselbständige hexametrische Bearbeitung des Pseudo-Turpin 52 . Im Karlmeinet hat die Karlsvita mit Hilfe der Minoriten auch Eingang in die Karlsüberlieferung der deutschen Literatur des Mittelalters gefunden 53 . 46 Die Chronik von Karl dem Großen, ed., kom. und übers. von Hans-Wilhelm KLEIN (Beiträge zur Romanischen Philologie des Mittelalters 13, München 1986) S. 127f. 47 Dazu vgl. Die Legende Karls des Großen im 11. und 12. Jahrhundert, hg. von Gerhard RAUSCHEN (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 7, Leipzig 1890) S. 5. 48 Vgl. den vorzüglichen Überblick bei HERBERS, Karl der Große und Spanien (wie Anm. 2) S. 47-55. 49 Vgl. Odilo ENGELS, Des Reiches heiliger Gründer. Die Kanonisation Karls des Großen und ihre Beweggründe, in: Kar! der Große und sein Schrein (wie Anm. 2) s. 37-46. 50 Vgl. FOLZ, Le souvenir et Ia legende de Charlemagne (wie Anm. 44) S. 186ff. 51 GEITH, Carolus Magnus (wie Anm. 44) S. 113ff. und DERS., Kar! (wie Anm. 1) S. 93. 52 Karollellvs atqve Psevdo-Tvrpini Historia Karo Ii Magniet Rotholandi, ed. Paul Gerhard SCHMIDT (Bibliotheca Graecorum et Rarnanorum Teuberiana, Stuttgart/ Leipzig 1996) S. 13: Via stellarum. 53 Die etwa 36 000 paargereimte Verse umfassende sagenhafte Lebensgeschichte Karls des Großen (um 1320-1340) wurde aus französischen, niederländischen und älteren mittelhochdeutschen Quellen und dem Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais zusammengestellt. Bei der Darstellung der Kämpfe Karls in Spanien wird das Rolandslied zugrunde gelegt. Vgl. Hartmut BECKERS, Karlmeinet- Kompilation, in: Di e deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 4 (Berlin/ New York 2 1983) Sp. 1012-1028, speziell Teil III, Sp. 1018. Dort wird auch die Gesamtausgabe zitiert. Vgl. auch DüNNIN GER, Politische und geschichtliche Elemente (wie Anm. 28) S. 64. <?page no="70"?> 54 Robert Plätz Daß auch schon vorher versucht wird, die Gestalt Karls des Großen Jahrhunderte nach seinem Tod aus demJenseits zu beschwören und mit der Gegenwart, auch in diesem Fall mit dem Kreuzzugsgedanken zu verbinden - und das bereits vor Entstehung des Pseudo-Turpin läßt eine Bemerkung des Geschichtsschreibers Ekkehard von Aura, der 1001/ 02 an der Kreuzfahrt Welf I. von Bayern teilnahm, in seinem um 1116 (II. Rez.) entstandenen Chronicon universale54 erkennen; er erwähnt im Zusammenhang mit dem Kreuzzug von 1101 einen von ihm selbst als unglaubwürdig betrachteten Bericht von einem Wiedererstehen Karls des Großen aus dem Grabe. Noch ein Wort zu der zum Tod Karls (auch Heinrichs II. etc.) vor genommenen Seelenwägung am Ende des Pseudo-Turpin: Der Streit zwischen Engeln und Teufeln um die Seele einer verstorbenen historischen Person oft unmittelbar im Anblick des Todes ist ein Vorgang, bei dem Schuld und Verdienst über das Schicksal der Seele entscheiden. Er gehört aufgrundder nachgewiesenen schlimmen Taten in die für das literarische Bild Karls des Großen und Kaiser Heinrichs II. wichtigen Geschichten in der Chronik des Pseudo-Turpin und in der Chronik des Leo von Ostia55. IV. Heidenkrieg und militia Christi Wie aber wurde Karl der Große in die im 11. Jahrhundert aufkommen de Legalisierung und Kanonisierung des Heidenkrieges56, der Kreuz- 54 MGH SS 4, ed. Georg Heinrich PERTZ, Hannover 1848, 214f. Auf weitere Karlsüberlieferungen in Chroniktexten, wie z.B. in der Kaiserchronik (Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hg. von Edward S eHRÖDE R[MGH Deutsche Chroniken 1,1, Hannover 1892] v. 14877-15014), die die älteste Form einer ganzen Reihe von Motiven für den deutschsprachigen Raum bringt, die Sächsische Weltchronik (ed. Ludwig WE ILAND [MGH Dt. Chroniken2, Hannover 1877, Neudruck 1971] c. 137), Braunschweigische Reimchronik (ed. Ludwig WEILAND [MGH Dt. Chroniken 2, Hannover 1877, Neudruck 1971] v. 190-200) und die Weltchronik (ed. Philipp STRAUCH [MGH Dt. Chroniken 3, Hannover 1891] v. 25573-25576) wird in diesem Zusammenhang verzichtet. V gl. dazu Georg SCHEIBELREITER, Das Bild Spaniens und der Spanier in volkssprachlichen Quellen, in: Espaiia y el "Sacro Imperio". Procesos de cambios, influencias y acciones recfprocas en Ia Epoca de Ia "Europeizaci6n" (si glos XI-XIII), hg. vonJulio VALDEÖN/ Klaus HERBERS/ Karl RUDOLF (Historia y So ciedad 97, Valladolid 2002) S. 371 - 389 . 55 Chronik von Montecassino (ed. Hartmut HOFFMANN [MGH SS 34, Hannover 1980]). Zur Person vgl. A. M. FAGNONI, Un cronista medievale allavoro, Scripta Philologica 2 (1980) S. 35-129. Zum Seelengericht Kaiser Heinrichs II. vgl. Peter DIN- ZELBACHER, Himmel, Hölle, Heilige. Visionen und Kunst im Mittelalter (Hemsbach 2002) S. 64f., vgl. Anm. 32. 56 Ansätze dafür gab es sc hon bei der durch Papst Alexander II. (vielleicht erster päpstlicher Kreuzzugsablaß) unterstützten Wiedereroberung von Barbastro im August <?page no="71"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 55 züge 57 gegen die Ungläubigen, einbezogen? Karl der Große galt seit den Sachsenkriegen, die auch ein Christianisierungsprogramm einschlossen, als Verbreiter des Christentums mit kriegerischen Mitteln, deren Anwendung die Kirche seiner Zeit als Bekehrungsmittel gegen Andersgläubige noch nicht tolerierte. Warum konnte im 11. Jahrhundert das Karlsbild so radikal umgestaltet werden, vom, um es überspitzt zu formulieren, "Sachsenschlächter" hin zum Gotteskrieger? Welche Entwicklungen führen eigentlich zu einer Umkehrung dieser Prinzipien? Helmut Beumann schreibt schon 1987: "Die Hagiographie ,bewältigt' Unterwerfung und Christianisierung" unter Anwendung kriegerischer Mittel58. Welche Vorbilder gab es und welche Konstanten waren wesentlich? Andre de Mandach und Klein, der sich ihm anschließt, vermuten, daß Berichte über Wunder und Taten Alfons VI. als Vorlage für den Prototyp des Pseudo-Turpin gedient hätten 59. Mandach spricht gar von einem Mythen-Transfer vom Hof Alfons' I. von Asturien zum Karlshof60. Als Gegenargument könnte angeführt werden, daß in dem fraglic hen Zeitraum lediglich die fränkischen Geschichtswerke von den spanischen Aktionen Karls sprechen. Spanische Quellen, wie die Historia Silense, leugnen die fränkischen Traditionen6 1. Auch Jimenez de Rada berichtet in der Historiade Rebus Hispaniae 62 des 13. Jahrhunderts eher 1064. Vgl. Proper BorssoNN ADE, Cluny,.la Papaute et Ia premiere grande croisade internationale contre ! es Sarrasins d'Espagne: Barbastro (1064-65), Revue des Questions historiques 60, 3e serie 20 (1932) S. 287-301; DERS., Les premier es croisades fran - ~aises d'Espagne, Bulletin Hispanique 36 (1934) S. 5-28, und Jose GO N! GAZTAM- BIDE, Historiade Ia Bula de Ia Cruzada en Espaii.a (Victoriensia 4, Vitoria 1958). 1089 gewährte Urban II. allen, die sich für die Wiederherstellung des Erzbistums Tarragona einsetzten, den gleichenNachlaß der Kirchenbuße, der mit der Pilgerfahrt nach Jerusalem verbunden war. Später erließen Paschalis II. und Gelasius II. ähnliche Nachlässe. Vgl. HERBERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts (wie Anm. 44) S. 130. 57 Vgl. immer noch Carl ERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6, Stuttgart 1935, ND Darmstadt 1974) speziell S. 86-106. 58 Helmut BEUMANN, Die Hagiographie "bewältigt". Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen durch Kar! den Großen, in: DERS. , Ausgewählte Aufsätze (Sigmaringen 1987) S. 289-323. 59 KLEIN, Die Chronik von Kar! dem Großen (wie Anm. 46) S. 12; Andre DE MAN- DACH, Naissance et developpement de Ia chanson du geste en Europe 1: La Geste de Charlemagne et de Roland (Genf 1961) S. 17- 98. 60 DERS., Chansonde Roland (wie Anm. 42) S. 17-98, speziell90 f. 61 ... nemo exterarum gentium Ispaniam sublevasse cognoscitur. Sed neque Carolus, quem infra Pireneos montes quasdam civitates a manibus paganorum eripuisse Franci falso asserunt (Historia Silense, hg. von Justo P EREZ DE URBEL/ Atilano GONZALES R ufz-ZORILLA [Escuela de Estudios medievales 30, Madrid 1959] S. 129) ; vgl. BER - BERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts (wie Anm. 44) S. 131. 62 Rodericus Ximenius de Rada, Opera. Reimpresi6n facsimil de Ia edici6n de 1793, ed. Antonio de LORENZANA (Textos medieva le s 23, Valencia 1968) S. 83f. <?page no="72"?> 56 Robert Plötz negativ darüber, und spanische Chronisten, die die Intervention Karls des Großen erwähnen, wie Lucas von Tuy Mitte des 13. Jahrhunderts, haben wahrscheinlich epische Stoffe aufgegriffen63. Es wurde sogar ein Gegenprogramm entworfen, in dem die Person eines Bernardo del Carpio64 eine gewisse Rolle spielte. Er war der Tradition gemäß ein Neffe Alfons II. und griff nach der aus dem 13. Jahrhundert überlieferten navarro-aragonesischen Dichtung Cantar de Roncesvalles6 5, in der Roland sein Debüt in der Literatur der Iberischen Halbinsel feierte, in den Kampf der Spanier gegen Karl den Großen ein. Miles Christi "Die Sternenstraße, die du am Himmel gesehen hast, bedeutet, daß du mit Heeresmacht zum Kampf gegen das ungläubige Heidenvolk zur Befreiung meiner Straße und meiner Erde und zum Besuch meiner Kirche und meines Grabes aus dieser Gegend nach Galicien ziehen sollst." Es ist keine Sonderbetrachtung der Vision des Pseudo-Turpin möglich, ohne den Gesamtzusammenhang einzubeziehen. Die Figur Karls des Großen als miles Christi, als Feldherr im Heidenkrieg, als "Pilger, Kreuzfahrer und Heiligencc66 ist im 11./ 12. Jahrhundert durchaus vereinbar mit seiner Kanonisation. Der Pseudo-Turpin steht in der Thematik des Kampfes gegen den islamischen Gegner, wie auch die Karlsepik in enger Verbindung zum Kreuzzugsgedanke zu sehen ist. Die zwei hauptsächlichen Beweggründe der Kreuzzugsidee sind nach Erdmann der Gedanke der Pilgerfahrt zu den Stätten des ursprünglichen Christentums und die Idee des Heiligen Krieges, des Ritterkampfes im Dienste der Kirche67. Schon die Vision des Pseudo-Turpin knüpft Verbindungen zwischen Karlskult und Jacobusgrab einerseits und dem Heiligen Krieg andererseits. Sie klingt wie eine göttliche Auftragserteilung unter Einschluß von Kompensationsversprechen. Karl der Große erhält von Jacobus, der ihm im Traum als Krieger (heros im lat. Text) erscheint, den Auftrag, die Hispania von den Heiden 63 Chronicon Mundi (Hispaniae Illustratae seu urbium rerumque Hispanarum . .. scriptorum auctores varii ..., hg. von Andreas SCHOTI [Frankfurt 1608] S. 77-81); vgl. HERBERS, Der Jakobuskult im 12. Jahrhundert (wie Anm. 44) S. 131. Ders. bereitet auch eine neue Edition der Lucas von Tuy-Chronik vor. 64 Vgl. Rarnon MENENDE Z PIDAL, La Espaiia del Cid (Madrid 1929, 71969) S. 11. 65 Antologfa de Ia literatura espaiiola de Ia Edad Media (1140-1500), hg. von Eugene KüHLER (Paris 21970) S. 11-13. 66 Marianne Orr-MEIMBERG, "Di matteria di ist scone". Der Zusammenhang von Stoffwahl, Geschichtsbild und Wahrheitsanspruch am Beispiel des deutschen "Rolandslieds", in: Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, hg. von Gerhard HAHN/ Hedda RAGOTZKY (Kröners Studienbibliothek 663, Stuttgart 1992) S. 17-32, speziell S. 20. 67 Vgl. ERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (wie Anm. 57) S. VII. <?page no="73"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 57 zu befreien und den Weg zu seiner Grablege in Galicien zu öffnen. Für seine Mühen solle Karl des himmlischen Lohnes gewiß sein. Warum konnte man im 11. Jahrhundert das Karlsbild so radikal umgestalten, vom, um es überspitzt zu formulieren, "Sachsenschlächter" hin zum Gotteskrieger? Dazu trugen mehrere strukturverändernde Faktoren in der Zeit des 11 . Jahrhunderts bei, das auch als Zeit der Ausbildung und Kontaminierung gesamteuropäischer epischer Elemente zu einer höfischen Unterhaltungsliteratur gesehen werden kann: Die Öffnung nach Osten, über die Pyrenäen hinweg, brachte eine verstärkte Teilnahme ausländischer Adeliger und Ritter mit sich; vor allem die starke Präsenz normannischer und südfranzösischer Mitkämpfer68 in der Reconquista schuf für die Rezeption der Karlsepik gerade im 11. Jahrhundert eine besonders günstige Voraussetzung. Die Stadt Tudela mit ihrer Verschmelzung verschiedener Überlieferungsstränge und Ethnien könnte hier als Beispiel stehen. So ist es auch erklärlich, daß im Pseudo-Turpin und im Rolandslied, wenn auch mit verschiedenem Ausgang, Erzbischof Turpin als aktiver, kämpfender Kleriker dargestellt wird 69 . Ein weiteres wichtiges Element ist der im Anhang des Pseudo-Turpin der Aachener Gesta Beati Karoli aufgenommene Bericht über die Belagerung und Verwüstung Campostelas durch al-Mansur bi-llah (997)70. Die von Karl gerade gebannte Bedrohung wird um 1000 wieder aktuell und führt zur neuen Sichtweise des auch im christlichen Sinn gerechten Kriegs. Kreuzzugsidee und religiöse Sanktion durch den entsprechenden Ablaß entwickeln sich progressiv über die Forderung des Augustinus ]esu compelle intrare hinaus, die sich auf die Häretiker bezog, auf ihre Fortsetzung des Heidenkrieges und Kreuzzuges, wie sie Brun von Querfurt (t 1009), Bonizo de Sutri (um 1045-1090) 68 MAN DACH , Chansonde Roland (wie Anm. 42) S. 17 und passim. Bezüglich der erfolgreichen Teilnahme von Normannen an den Eroberungen von Barbastro und Coimbra vgl. ferner Prosper BOISSONNADE, Du nouveau sur la Chanson de Roland (Paris 1923) S. 24 und 27, Anm. 6, sowie MENENDEZ PIDAL, La Espaiia del Cid (wie Anm. 64) S. 147f. 69 Vgl. MANDACH, Chansonde Roland (wie Anm. 42) S. 86-91. Auf die These, die Mand ach im Abschnitt 3 ("Dom Turpin de Cascante", S. 91-93) formuliert, daß der Schreiber Turpin aus einem Kloster im Süden Tudelas (Cascante) gekommen sein könnte, darauf gehe ich weiter unten ein. 70 Vgl. KLEIN, Die Chronik von Karl dem Großen (wie Anm. 46) S. 134. Über diesen Feldzug und auch die anderen 56 oder 57 verheerenden Feldzüge gegen die christlichen Königreiche des Nordens vgl. Ludwig VüNES, Die "Historia Compostellana" und die Kirchenpolitik des Nordwestspanischen Raumes 1070-1130 (Kölner historische Abhandlungen 29, Köln/ Wien 1980) S. 280, Anm. 28 (mit ausführlicher Bibliographie); Luis M OLINA, Las campalias de Almanzor, Al-Quantara 2 (1981) S. 209- 263. <?page no="74"?> 58 Robert Plätz und Bernhard von Clairvaux in De laude novae militiae (1132/ 36) propagierten71. V. "Eine über die Maßen schöne Heldengestaltcc 72 Der Mentalitätswechsel von der Auseinandersetzung mit dem Gegner bis hin zum Krieg gegen ihn läßt sich sehr gut am Beispiel der Gestalt des Apostels Jacobus in zwei Darstellungen der Eroberung von Coimbra belegen, das oft fälschlicherweise mit dem Clavijo des Voto- Privilegs verwechselt wird 73. Wir befinden uns im 11. Jahrhundert. Kurz nachdem Ferdinand I. von Le6n das portugiesische Coimbra am 9. Juli 1064 eingenommen hatte, verbreitete sich von Galicien aus die Nachricht von dem wunderbaren Eingreifens des Apostels Jacobus in das Geschehen. Es existieren zwei verschiedene Versionen darüber. Die ältere findet sich in der Historia Silense (um 1115), die zweite im Libellus miraculorum des Liber Sancti J acobi (cap. XIX) aus der Zeit um 1150. Wenn auch in der früheren Version der Silense Jacobus zwar schon miles Christi 74 auf 71 Zum Thema vgl. allgemein ERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzuggedankens (wie Anm. 57) S. 30-50, sowie Jonathan RILEY-SMITH, "Kreuzzüge", LexMA 5 (1991) Sp. 1508-1519 (mit ausführlicher Bibliographie). 72 Das mittellateinischeherosdes Urtextes übersetzt bereits Abelardo MORALEJO LASO mit "caballero" (Liber Sancti Jacobi Codex Calixtinus, übers. Abelardo MORALE- JO/ Casimiro TORRES! Julio FEO [Santiago de Compostela 1951] S. 408, mehrere Nachdrucke bis 1998), womit eine Begriffserweiterung in Richtung "Edelmann, (Ordens-)Ritter" stattfindet, die mehr der Struktur der Feudalgesellschaft des 12. Jahrhu.nderts entspricht. 73 Vgl dazu Claudio SANCHEZ-ALBORNOZ, La autentica batalla de Clavijo, Cuadernos de Historiade Espaiia 9 (1948) S. 94-139; Ofelia REY CASTELAO, La Historiografia del Voto de Santiago. Recopilaci6n critica de una polemica hist6rica (Monograffas de Ia Universidad de Santiago de Compostela 115, Santiago de Compostela 1985). 74 Aus der umfangreichen Literatur vgl. u.a. A.J.M.C. BEKK E RS -BRO OIJMANS, Santiago Matamoros. Ontstaan en ontwikkeling van het iconografisch beeld, 2 Bde. (Diss. masch., Leiden/ Utrecht 1989); Manuel C. DiAZ Y DiAZ, Visiones del Mas Alla en Galicia durante Ia A! ta Edad Media (Santiago de Compostela 1985); Philippe GABET, Santiago "Matamoros" et ses Doublets, Compostelle, Cahiers d'Etudes de Recherche et d'Histoire Compostellanes, N.S.l (1988) S. 78-88; Klaus HERBERS, Milagro y aventura, in: Pensamiento, Arte y Literatura en el Camino de Santiago, ed. Angel ALVA- REZ G6MEZ (Vigo 1993) S. 73-99; Robert PLöTZ, Lazo espiritual y cultural entre America y Europa: Santiago de Compostela, in: Galicia, Santiago y America (La Coruiia 1991) S. 53-74; DERS., EI Ap6stol Santiago y Ia Reconquista, in: Santiago y America. Ausstellungskatalog (Santiago de Compostela 1993) S. 266-275; DERS., Vision y Realidad, Compostellanum 40 (1995) S. 339-365; DERS., Jacobus Maior. Geistige Grundlagen und materielle Zeugnisse eines Kultes, in: Der Jakobuskult in Süddeutschland, hg. von Klaus HERBERS/ Dieter R. BAUER Gakobus-Studien 7, Tübingen 1995) S. 171-232, hier S. 202-203 (Kap. Jacobus dux Galitiae et miles Christi); Margarita Rurz MALDONADO, EI "caballero victorioso" en Ia escultura romanica espaiiola, <?page no="75"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 59 einem Pferd beschrieben wird, so präsentiert er sich hier doch auch als intercessor vor Christus (nach Joh 16,23: "Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: Um was ihr den Vater bitten werdet, das wird er euch geben in meinem Namen") für den, der ihn in Bedrängnis und Not vor seinem Altar in Compostela anruft, für Ferdinand I. also 7 5, der sich der Schwierigkeit seines Unternehmens, der Einnahme Coimbras, wohl bewußt war. Es wird hier demgemäß nicht die ritterliche Qualität des Apostels hervorgehoben, wie es in der Version des Libellus geschieht, sondern darauf hingewiesen, daß Ferdinand I. Coimbra wegen seiner Gebete vor dem Altar des Apostels in Compostela einnehmen konnte. Im Libellus hingegen ist der griechische Pilger, der die Vision hatte, schon zum Bischof arriviert, um standesgemäßer auftreten zu können, und Jacobus, angetan mit militärischen Ausrüstungsstücken, wird als Anführer der militia Christi dargestellt: "Stephan, Diener Gottes, du hast gefordert, man solle mich nicht Ritter, sondern Fischer nennen. Nun aber erscheine ich dir als Ritter, damit du nicht mehr daran zweifelst, daß ich in Gottes Kriegsdienst stehe und sein Streiter bin, und damit du nicht daran zweifelst, daß ich im Kampf gegen die Sarazenen den Christen voranschreite und für sie als Sieger erscheine. Ich habe nämlich bei Gott erwirkt, daß ich für alle, die mich lieben und aus reinem Herzen anrufen, Schützerund Helfer in allen Gefahren sein darf" 76. Diese Entwicklung war, jedenfalls für den Schutz der christlichen Gemeinschaft Spaniens, vor allem aber Galiciens, unausweichlich. Im Umfeld der Entwicklung der Feudalgesellschaft ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begann das Ideal des Kriegers und Ritters den sozio-kulturellen Kontext der zweiten Feudalphase zu dominieren. Wie könnte diese Entwicklung an einer Heiligenpersönlichkeit vorbeigehen, die in der mentalen Vorstellung der Feudalgenese als Beschützer, Führer und bellator der politischen und christlichen Gemeinschaft figurieren könnte, der zudem die Aufgabe zukommt, entscheidend in die Territorialexpansion gegen den Islam einzugreifen? Jacobus ist für Compo stela, dessen Bischöfe auch die Herren der "Tierra de Santiago" waren, Algunas consideraciones y nuevos ejemplos, Boletin del Seminario de Estudios de Arte y Arqueologia 45 (1979) S. 271-283; Angel S! CART G! MENEZ, La iconografia de Santiaga ecuestre en Ia Edad Media, Compostellanum 27 (1982) S. 11- 32 und zuletzt Klaus HERBERS, "Wo! auf sant Jacobs straßen! " Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskultes in Süddeutschland (Ostfildern 2002) S. 113- 114. 75 DERS., Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des "politischenJakobus", in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994) S. 177- 275, hier S. 207-209. 76 Zit. nach Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhunderts. Ins Deutsche übertr. und kom. von Hans-Wilhelm KLEIN (t)/ Klaus HERBERS Qakobus-Studien 8, Tübingen 1997) S. 102. <?page no="76"?> 60 Robert Plötz dominus ac patronus 77. Die bis ins 13./ 14. Jahrhundert dominierenden lateinischen Quellen sprechen durchgehend von dem ritterlichen Patronat des Heiligen (miles), aber eine lateinische Form für den "Maurentöter" ist nicht vorhanden. Erst seit der zunehmenden Verbreitung des Kastilischen als Volkssprache wurde mit dem Begriff "matamoros" eine neue Funktion des Apostels generell für diejenigen bezeichnet, welche die Hilfe des Apostels erflehten, wie allerdings auch den Schutz anderer Heiliger wie des hl. Emilianus und des hl. Georg. Hinsichtlich der Texttradition des Pseudo-Turpin sollte noch kurz die von verschiedenen Autoren immer wieder angesprochene Konstellation Saint-Denis- Aachen- Cluny erwähnt werden, das "magische Dreieck" der Karlstraditionen im christlichen Westen sozusagen: In Form von Auseinandersetzungen um Macht- und Einflußbezirke und in Abstimmung um wertvolle Reliquienschätze, die die eigene heilsgeschichtliche Bedeutung potenzieren halfen78. In Saint-Denis entstand vor 1100 ein Text, in dessen Tradition Karl der Große bedeutende Reliquien von seiner Expedition nach Jerusalem mitgebracht und dort depo niert haben soll: die sogenannte Descriptio 79 . Auch in Aachen entwickelte sich später eine solche Tradition. Die besondere Interessenlage, die zur Abfassung dieser Schrift führte, wird deutlich in der von Karl nach der Rückkehr verfügten Aufbewahrung eines Teils der Reliquien in Saint-Denis und in der Bestimmung des Klosters von Saint-Denis als Krönungsort seiner Nachfolger. Pseudo-Turpin und Descriptio bilden dann zusammen mit weiterem, vor allem aus hagiographischen Quellen 77 Vgl. Robert PLöTZ, Santiago-peregrinatio und Jacobuskult mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Frankenlandes, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 31 (Münster 1984) S. 35f., 39. für die Formeln im Codex Calixtinus vgl. Francisco P UY MuNOZ, Santiago abogado en el Calixtino (1169), in: Pistoia eil Cammino di Santiago. Una dimensione europea nella Toscana medioevale, Atti del Co nvegn o In ternazia nale di Studi, hg. von Lucia GA! (Pistoia 1984 [1987)) S. 57-92. 78 Vgl. Klaus HERBERS, Wechselwirkungen zwischen Pilgerfahrten und Städtischer Entwicklung- Rom, Santiaga und Aachen (Actas del [I] Congreso de Estudios Jacobeas 1993, Santiaga de Compostela 1995) S. 379-407, und Elizabeth A.R. BROWN, Saint- Denis and the Turpin Legend, in: The Codex Calixtinus and the Shrine of St. James Oakobus-Studien 3, Tübingen 1992) S. 51-88. 79 Die Descriptio qualiter Karolus magnus clavum et Coronam domini a Constantinopoli Aquisgrani detulerit qualiterque Karolus calvus hec ad sanctum Dionysium retulerit von Saint-Denis erwähnt u.a. Dornen von der Dornenkrone (Übertragung nach Saint Denis), Kreuzigungsnägel, einen Teil des Kreuzes, das Schweißtuch des Herrn (es soll unter Kar! dem Kahlen nach Compiegne gebracht worden sein), das Marienkleid, ein Tuch, mit d em Maria das Kind in der Krippe wickelte und einen Arm des Simeon. in: Die Legende Karls des Großen (wie Anm. 47) S. 103-125. Siehe auch in: Repertorium Fontium Historiae Medii Aevi 4 (Rom 1976) S. 173f. Zur Frühdatierung durch Gr osse vgl. den Beitrag von H erbers in diesem Band, Anm. 45. <?page no="77"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 61 stammenden Material (z .B. Einhard und verschiedene Annalen) den Grundstock der Aachener Vita Karls des Großen. Gerhard Rauschen äußert sich zum Überlieferungskomplex dergestalt, daß das ganze zweite Buch der Aachener Vita die verkürzte Wiedergabe dieses wenigstens im Auszug erhaltenen sagenhaften Berichts über Karls Heerfahrt nach Jerusalem sei, zudem die ersten sieben Kapitel des dritten Buches wortwö.rtlich aus dem Pseudo-Turpin übernommen worden seien8°. Für eine Zusammenstellung des Pseudo-Turpin in der Königsabtei Saint-Denis würde nach Ansicht von Denise Pericard- Mea die Tatsache sprechen, daß der aus Cluny kommende Papst Calixt II. sich 1119 zweimal in Saint-Denis aufhielt81. VI. Caminus stellarum "Da sah er plötzlich am Himmel eine Sternenstraße" Es ist spannend, das wechselhafte und schwankende Bild Kaiser Karls auf der Zeitschiene mit ihrer ideologischen Motivflexibilität zu verfol gen, ein Vorgang, der im Zeitkontingent des Mittelalters im europäischen Raum als kohärent, stringent und kategorisierbar angesehen werden kann. Der letzte Textbaustein, dem wir uns zuwenden wollen, ist die Weisung der Milchstraße, des Sternenweges82 für Karl durch den Apo- 80 Capitula libri tertii/ II Qualitersanctus Iacobus Karolo apparuit (ebd., S. 19). Rauschen weist darauf hin, daß die ersten sieben Kapitel der Descriptio wörtlich aus dem Pseudo-Turpin übernommen worden seien (ebd., S. 5). Die älteste Nachricht von dem fabelhaften Zug Karls des Großen in den Orient sei in der Chronik des Mönches Benedikt von Sankt Andrea am Berge Sorakte (MGH SS 3, ed. Georg Heinrich PERTZ, Hannover 1841, S. 708-711) enthalten, welche um 986 geschrieben worden sein soll (RAUS C HEN, Die Legende Karls des Großen [wie Anm. 47] S. 142). 81 PERI C ARD-M EA , Campostelle (wie Anm. 44) S. 234. 82 Ich schließe hier wegen der fehlenden Themarelevanz ausdrücklich Bereiche aus wie Lichterscheinungen oder -gebrauch in Visionen (vgl. dazu RüEGG, Die Jenseitsvorstellungen vor Dante [wie Anm. 26) im Kap. "Der Himmel", S. 160-164), den Einzelsternder Hl. Schrift (vgl. Gertrud SCHILLER, Ikonographie der christlichen Kunst. 1 [Gütersloh 3 1981] S. 19, 24, 70, 72ff., 80, 104ff.), emblematische Lichterscheinungen (in hoc signo vinces) wie bei dem Sieg von Konstantin über Maxentius (312 n. Chr.) an der Milvischen Brückeder Vergleich drängt sich auf, wenn man die Tradition der Figur Karls als einen "neuen Konstantin" einer Betrachtung unterzieht (vgl. Karl HAUCK, Karl als neuer Konstantirr 777. Die archäologischen Entdeckungen in Paderborn in historischer Sicht, Frühmittelalterliche Studien 29 [1986) S. 513-540), ferner die umfangreiche Arbeit von Rolf LEGLER, Sternenstraße und Pilgerweg (Bergisch Gladbach 1999), der m. E. sehr spekulativ die sogenannten Sternenstraßen der Vorzeit vernetzt und eine "megalithische Geomantie" als Wegbereiter für das Ausfindigmachen von Kult- und Sternenstraßen verantwortlich macht, darunter auch die "für uns wichtigste Sternenstraße von den Ostpyrenäen nach Galicien" (ebd., S. 359) . Davon sprachen u.a. schon 1909 der Anthroposoph Rudolf Steiner, der die Begriffe <?page no="78"?> 62 Robert Plötz stelJacobus. Hier wird die Spurensuche noch einmal spannend. Mehrere Fragen werfen sich auf. Handelt es sich hier um ein gebräuchliches Versatzstück im Kanon der Visionsliteratur? Steht dieses Motiv in einem klassisch-antiken Kontext? Wie wird es literarisch tradiert? Und nicht zuletzt soll der Versuch unternommen werden, den Ort ausfindig zu machen, an dem der Pseudo - Turpin abgefaßt worden sein könnte. Die üblichen Glossarien83 gaben über den caminus stellarum keine zufriedenstellende Antwort. Eine schriftliche Befragung namhafter und renommierter Kollegen 84 brachte wertvolle Hinweise, die aber in der Aufgabenstellung nicht weiter führten. Mit einem Blick auf die Quellensituation sollte ein Einstieg in das Thema versucht werden. In der antiken griechischen Mythologie stellt sich der Sternenweg/ die Milchstraße 85 als Erklärung für die beim Säugen des Herkules verschüttete Milch der Hera dar86, die als Weg der Götter zu dem pythagoräischen Bild der Milchstraße als Seelenweg und Wohnsitz der Seele v or der irdischen Geburt und nach dem irdischen Tod überleitet. Bei Cicero in der antiken römischen Mythologie war die Milchstraße wie bei Makrobius auch Sitz der Seelen hervorragender "Mysterienorte" und "Mysterienstraßen" einführte (vgl. Manfred SCHMIDT-BRA- BANT, Sternenwege. Von den alten zu den neuen Mysterien: Die Hintergründe des Camino nach Santiaga de Compostela [Dornach 1996 ], speziell S. 13-17), und auch Louis CHARPENTIER in seinem Kapitel (II.) über den Sternenweg (in span. Übersetzung: EI misterio de Compostela. Analisis, serio y documentado de Ia toponimia del "Camino de Santiago" [Barcelona 1976] S. 22 - 33). Auch die interessante, wenn auch zum Teil einseitige und plakative Arbeit über literarische Ausformungendes Themas von Rarnon LOPEZ- REYES vom "Hawaii Institute for Depth Psychology", die mir im Manuskript vorliegt, lasse ich außer acht: The Impact of Charlemagne's Dream on the Camino de Santiaga (Ms . masch. 2001) S. 30 . Herzlichen Dank an den Verfasser für die Zurverfügungstellung des Manuskripts. 83 Zum Beispiel Charles Du CANGE, Glossarium mediae et infim ae latinitatis 2 (wie Anm. 5) S. 52 ("Caminus"), 4, S. 430 ("Iter"), 7, S. 592f. ("stella"-Kontext). 84 Ich bedanke mich herzlich und ausdrücklich bei Annemarie und Wolfgang Brückner (Würzburg), Manuel Cecilio Diaz y Diaz (Santiago de Compostela), Jacques Fontaine (Paris), Jan van Herwaarden (Rotterdam), Volker Honemann (Münster), Jose Luis Moralejo Alvarez (Madrid) und Brian Robert Tate (Bi rmingham) für ihre Hilfe. 85 Die semantische Kontamination beider Begriffe erscheint durchaus legitim, vergleicht man die "Galaxia"-Definition in der Epistola Dungali: Galathea, lactea quaedam coeli zona alba hoc nomine dicitur, quae v ulgo Strata nominatur ("Epistola Dungali reclusi ann. 810 ad Carolum M. apud ACHER. tom. 10, Spicil. p. 144" nach Du CANGE, Glossarium 3 [wie Anm. 5] S. 461). Zur Begrifflichkeit vgl. auch Stanley L. JAK! , The Milky Way before Galileo, Journal for the History of Astronomy 2 (1971) s. 161-167. 86 Ps.-Eratosthenes 44, S. 198, in: Aristoteles, Meteorölogika, Buch 1, Kap. 1-3, llSH; vgl. D er Kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden 3 (München 1979) Sp . 1294 . <?page no="79"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 63 Personen8 7. Auf weitere philosophisch-physikale Quellenbelege kann hier wegen ihrer Irrelevanz mit dem Thema verzichtet werden. Unbestritten als früheste Quelle für die Lehre von der Milchstraße war für das ganze Frühmittelalter Macrobius (Somn. Scip. I, 15), der die Milchstraße als Ansammlung von Sternhitze interpretiert8 8. lsidor erwähnt, daß die Milchstraße die leuchtende Spur sei, welche die Sonne in ihrer Bahn hinterläßt 89 . Diese leuchtende Spur wird in der griechischen Mythologie auch Phaethon, dem Sohn des Helios, zugeschrieben, der heimlich den Sonnenwagen besteigt, aus der Bahn gerät und einen Streif am Himmel versengte(= Milchstraße), worauf ihn Zeus mit einem Blitz vernichtet90. Erst im 13. Jahrhundert wurde die Interpretation der Milchstraße von Macrobius durch die des Aristoteles (348-322 v. Chr.) ersetzt, der in der Sternenstraße eine meteorologische Erscheinung sah91. Wie sieht es nun mit der Motivsuche in der mittellateinischen Literatur aus? Hier wies schon Jacob Grimm in seinem dreibändigen Standardwerk Deutsche Mythologie auf die Sachsengeschichte Widukinds von Corvey hin 92, der noch vor 942 in das Kloster Corvey eingetreten war 93 . Seit der späten Karolingerzeit, vor allem aber im 10. Jahrhundert, 8l Sämtliche Quellenangaben und Belege ebd. ausführlicher in: Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Neue Bearbeitung hg. von Georg WISSO- WA! Wilhelm KROLL (Stuttgart 1903-1965), hier Halbband 13, Sp. 560-572, und neuerdings Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike 8, hg. von Hubert CANCIK/ Helmuth SCHNEIDER (Stuttgart-Weimar 2000) Sp. 164-166. 88 Cicerone Somnivm Scipionis, hg. von Alessandeo RONCONI (Florenz 1961) I 15, S. 50. Im weiteren Zusammenhang erwähnt Macrobius die flammenden Lichter, "die man auf Erden Sterne oder Gestirne nenne", und die "von göttlichen Seelen belebt" wären. Auch Aristoteles spricht im zweiten Buch De coelo et mundo über die Herkunft der Seelen von den Sternen und die Rückkehr dorthin. Diese Einordnung wird sich weiter unten als wichtig für die Interpretation der germanischen Mythologie erweisen. 89 Isidor: De natura rerum, XII, 2, 10- 11 (Isidore de Seville, Traite de Ia Nature, ed. Jacques FONTAINE, [Bibliotheque de l'Ecole des Haut Etudes Hispaniques 28, Bordeaux 1960] S. 217; in älterer Ausgabe PL 83, Sp. 963-1018). De caelo v lOs.: apud Latinos autem proterea caelum appellatur quia, inpressa stellarum Iumina ueluti signa habens, was bereits Beda als zu volkstümlich abtat (De nat. rerum 18). Vgl. zur zeitgeschichtlichen und räumlichen Einordnung J acques FoNTAINE, Isidore de Seville. Genese et originalite de Ia culture hispanique au temps des Wisigoths (Temoins de notre Histoire, Turnhout 2000). 90 Das Phaethon-Motiv wird besonders von Hesiod hervorgehoben (Der Kleine Pauly 4 [wie Anm. 86] Sp. 689). 91 Aristoteles, Meteorölogika (wie Anm. 86), Buch 1, Kap. 1-3, 115H. 92 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae. Die Sachsengeschichte, übers. und hg. von Ekkehart ROTTER/ Bernd S CHNEIDMÜLLER (Reclam 7699, Stuttgart 1981). Die allgemein als etwas "tendenziös" beurteilte Sachsengeschichte schildert Ereignisse und Prozesse der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts und damit auch die Hintergründe des Übergangs der Königsherrschaft von den Franken auf die Sachsen. 93 Zur Person des Geschichtsschreibers, Hagiographen und Mönches Widukind von <?page no="80"?> 64 Robert Plötz brachte der hohe sächsische Adel seine jüngeren Söhne als Mönche in Corvey unter, so daß wir in Widukind einen Angehörigen dieses Hochadels sehen dürfen 94 . Die ersten beiden Bände der Gesta wurden wahrscheinlich 967/ 968 fertiggestellt9 5. Mit ihr sind wir wieder bei Karl dem Großen angelangt. Er wird bei Widukind zum Missionar der Sachsen; durch den christlichen Glauben werden die Franken und die Sachsen wie ein Stamm, trennende Unterschiede sind beseitigt. Aber wir befinden uns mit Corvey gleichzeitig im Osten des Imperiums, eine insofern wichtige Tatsache für die Interpretation der Karlsvision, da sie auf die Spurzweier verschiedener germanischer Mytheninterpretationen eines Phänomens führt. Widukind erzählt in der Sachsengeschichte von Iring, von der Geschichte des Verrates und Doppelmordes an den Sachsen Irminfried und dem Thüringer Thiadrich und erwähnt gleichzeitig die Milchstraße96. Viarnque ferro faciens discessit. Si qua fides hic dictis adhibeatur, penes Leetorern est. Mirari tarnen non possurnus in tanturn farnarn prevaluisse, ut Iringi nornine, quern ita vocitant, lacteus caeli circulus usque in presens sit notatus, so wird der Fortgang des Geschehens geschildert97. Noch in der Auerberger Chronik heißt es: Farnarn in tanturn praevaluisse ut lacteus coeli circulus Iringis nornine Iringesstraza usque in praesens sit vocatus98. Die Zweifel, die Widukind hinsichtlich der Bedeutung von Iring Corvey OSB vgl. Klaus NASS, Widukind von Corvey, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 10 (Berlin/ New York 2000) Sp. 1000 - 1006 . Zur Forschungslage vgl. Hagen KELL E R, Widukinds Bericht über die Aachener Wahl und die Krönung Ottos I., in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995) S. 390-453. 94 Zur Geschichte der Abtei Corvey vgl. Hans Heinrich KAMINSKY, Studien zur Reichsabtei Corvey in der Salierzeit (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens 10 = Abhandlungen zur Corveyer Geschichtsschreibung 4, Köln/ Graz 1972) speziell S. 17 - 30 . 95 Zur Entstehungsgeschichte der Rerum Gestarum Saxonicarum Libri Tres vgl. u.a. Martin LINTZEI, Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, in: DERS., Ausgewählte Schriften 2 (Berlin 1961) S. 302 - 311, sowie Verfasserlexikon (wie Anm. 93) Sp. 1001-1005. 96 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae (wie Anm. 92) Ll3, S. 48. 97 "Und mit dem Schwert einen Weg bahnend ging er weg. Ob diesen Worten zu trauen ist, liegt beim Leser. Wir können uns jedoch nicht genug darüber wundern, daß die Sage so bedeutend war, daß nach ! rings Namen die sogenannte Milchstraße am Himmel bis heute bezeichnet wird" (ebd.). In der "Sage von lrmenfried, ! ring und Dietrich" (Nr . 545), die die Brüder Grimm 1816 - 1818 herausgaben, scheint die Textstelle vereinfacht worden zu sein: "! rings Ruhm ist so groß, daß der Milchkreis am Himmel Iringstraße genannt wird" (Deutsche Sagen herausgegeben von den Brüdern Grimm, hg. und kom. von Heinz RöLLEKE [Bibliothek deutscher Klassiker 116, Frankfurt a.M. 1994] S. 645). Die Textunterstreichungen wurden von mir vorgenommen. 98 Das Chronicon Urspergense schrieb Propst Burchard vom Prämonstratenserstift Ursberg bei Augsburg als Fortsetzung der 1125 endenden Weltchronik Fruto! fs und Ekkehards. Das Chronicon wurde vor 1231 bearbeitet. Vgl. Michael ÜBERWEIS, Di e <?page no="81"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 65 als Namensgeber für die Milchstraße hat, sind aus seiner Sicht mehr als berechtigt, beruhen aber auf einer Verwechslung. Das hat schon Jacob Grimm erkannt 99 . Es ist nicht der ! ring der Karlszeit, auf den sich der Name bezieht, es ist der ! ring, den ein Werk erwähnt, das von der Zer störung des Thüringerreiches durch die Franken und von der Ermordung des Königs Irmin um 531 berichtet. Der historische Hintergrund dieses seiner Perspektive nach bei den geschlagenen Thüringern entstandenen und nur in sächsischer Überformung vorliegenden Berichtes bezieht sich auf die Vernichtung des Reiches der Thüringer durch Theuderich unter Zuhilfenahme sächsischer Waffenhilfe100. Worauf könnte nun die Iringesstraza Bezug nehmen? Nehmen wir die althochdeutsche Wegbezeichnung aus ihrer mittellateinischen Umgebung heraus und verlassen wir kurz den mittellateinischen Textgebrauch. Im Bereich der indoeuropäischen Mythologie stellt Jacob Grimm folgende Zusammenhänge hinsichtlich der Namensgebung "Sternenweg"/ via stellarum! etc. vor: "Erst jüngere ags. und verschiedentlich altengl. quellen, indem sie vier große England durchschneidende wege anführen, nennen darunter Ermingestrete, vonsüdennach norden der insel, man darf aber die reinags. form Eormenstra: : t oder Eormenesstra: : t mutmaßen"101. Grimm weist im fortlaufenden Text auf einen britischen Gelehrtennamens Lye hin, der Irmingstrcet neben Irmingsul beide unbelegterwähnt102. Grimm argumentiert nun, daß "das vermutete Eormenstra: : t [...] auf ein ahd. Irmanstraza, Eoremenestra: : t auf Irmanesstraza und auf diebedeutungenvia publica oder via Irmani leiten [würde]. Nicht zu übersehen", folgert nun Grimm, "für den Fortgang der Untersuchung ist nun, daß eine der vier Landstraßen, Vaetlingastra: : t zugleich an den himmel versetzt wird und ein ganz mythisches ansehen gewinnt, ein völlig bestimmter weg von Dover nach Cardigan sich erstreckend bildet am himmeldie ,milchstraße', d.h. wird vom wagen irgend eines heidnischen Gottes befahren"103. Die nordische Vikin- Interpolationen im Chronicon Urspergense. Quellenkundliehe Studien zur Privilegiengeschichte der Reform-Orden in der Stauferzeit (Münchner Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 40, München 1990) S. 1-6. Textzitat aus: Chronicon universale ab 0. C.a. 1125 (Argentorati 1609) S. 146-148, auch in MGH SS 8, ed. Georg Heinrich PE RTZ , Hannover 1848, S. 176. 99 GR IMM, Deutsche Mythologie 1 (wie Anm. 18) S. 298f. 100 Vgl. HA U BRI CHS, Von den Anfängen zum hohen Mittelalter (wie Anm. 33) S. 97-100. Auch im Nibelun ge nlied tauchen die in der Sachsenchronik erwähnten Personen als Verbündete auf: in der Form von lmvrit von Düringen und Irinc von Tenemarke (Der NibelungeNothund die Klage. Nach der ältesten Überlieferung, hg. von Kar! LA C HM A NN [Berlin 61960] XIX, v. 1965-2009, S. 259 bisS. 264, v. 1285, S. 174). 101 GRIM M, Deutsche Mythologie 1 (wie Anm. 18) S. 295 , mit Quellenangaben in Anm. 1. 102 Ebd. 103 Ebd. Noch Geoffrey Chaucer (um 1340 - 1400) erwähnt bei der Beschreibung dieser südenglischen Region einen milky way, for it is w hit e, and some pa rf ay, ycallin it han <?page no="82"?> 66 Robert Plötz ga saga (cap. 360) berichte über Irungs letzten Kampf mit Hogni (=Hagen) und läßt ihn in der Todesagonie an einer Steinmauer niedersinken, die "zur erinnerung an den belden bis heute ,Irungs veggr' heiße"104. Durch den nordischen Bearbeiter der germanischen Vorlage seien vegr (via) mit veggr (murus) verwechs . elt worden. Nach Grimm muß die "deutsche" QuellelOS lringes wec, mit Bezug auf das "weg bahnen" bei Widukind aufgewiesen haben 10 6. Die deutschen epischen Traditionen kannten also einen ! rings wec auf der erde und an dem himmel, wie die angelsächsische eine doppelten V.etlingsstrtet kannte 107. Die in der Sage ausgedrückte Auffassung von der Milchstraße als eines Weges, der von einem Gott befahren wird, hatte im Bereich des germanischen Mythus ein Analogon in der Vorstellung der Milchstraße als eines von Wodan (später Christus, Gott oder Petrus) mit einem Wagen befahrenen Weges. In der Antike wurde die Vorstellung von der Milchstraße als dem Weg der Götter und Seelen gleichzeitig geprägt. Diese Vorstellung, die im Be- Watelingestrete (House of Farne 2, 427) und vergleicht ihn mit der klassischen Tradition der Phaetonfahrt (which that hite Phaeton wolde lede algate his fathirs carte and gie). 104 GRIMM, Deutsche Mythologie 1 (wie Anm. 18) S. 298. 105 Die Quellenlage ist hier sehr unterschiedlich und schwer zu differenzieren. Ganze Sprachen verschwanden in der Zeit des 8./ 9. Jahrhunderts, wie z.B. das Westfränkische, die untergegangene Sprache der wesdich der Sprachengrenze, in überwiegend romanischer Umgebung siedelnd en Franken (HAUBRICHS, Von den Anfängen [wie Anm. 33] S. 24f.) . Hatte Kar! noch eine Sammlung zur "Vorzeidieder" angelegt, so erwies sich Ludwig der Fromme, Karls Sohn, als ausgesprochener Verächter der poetica carmina gentilia, der Lieder der gentilen und wohl auch heidnischen Dichter, die er in seiner Jugend gelernt hatte, jetzt aber sie "verschmähte und weder lesen noch hören noch weitergeben wollte" (Theganus, Gesta Hludowici imp./ Astronomus, Vita Hl. imp., ed. Ernst TREMP [MGH SS rerum Germ. in usum schol. separatim editi 64, Hannover 1995] c. 19). Vgl. ebd., S. 114. Die volkssprachliche Bibeldichtung erfreute sich hingegen einer umfangreichen Förderung durch Ludwig (HAUBRICHS, Von den Anfängen [wie Anm. 33] S. 271), es entsprach auch der Literatur der Geistlichen, die als litterati die kulturelle Führungsmacht der Karolingerzeit repräsentierten, wobei das benediktinische Mönchtum eine Hauptrolle einnahm. 106 GRIMM, Deutsche Mythologie 1 (wie Anm. 18) S. 298. 107 Ebd. Grimm geht im folgenden intensiv auf die uralte trilologie [die nach den Söhnen des "Ahnherrn" der Germannen, Mannus, benannten Stämme der Ingwäonen, Herminonen und Istwäonen] der deutschen Volksstämme ein (ebd., S. 300), um dann die Irminsul als Ausgangspunkt aller vier Wege durch das Land festzulegen (ebd.) und ferner Irming und ! ring in Form der eng li schen Überlieferung der Ermingestret "göttliche persönlichkeit" und auch "Übergang in die heldennatur" zuzugestehen (ebd. S. 300). Auf die gegenseitige Motivkontamination in Visionsberichten und Mythen allgemein bezieht sich u.a. Nora CHADWICK: "In both Celtic and Teutonic literature, as in the Latin dreams related above, the distinction between a subject ive dream and an objective or projected vision is very often obliterated, and no categorical distinction exists between the form which the experience assumes" (Dreams in Early European Literature, in: Essays in memory of Angus Mathesen [Celtic Studies, London 1968] S. 33 - 50, hier S. 37). <?page no="83"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 67 reich der griechischen Klassik Pindar erstmals literarisch verwertete 108 , diente als Vorlage für das Bild von der Milchstraße in der heute noch bekannten Vorstellung als Weg der Seelen Verstorbener. Somit sei, so folgert Stegemann 109 , die Milchstraße die Straße geworden, die zu Gott führe und von einer Gottheit begangen werde. So stehe in der Tradition des Christentums der Vorstellung nichts mehr im Wege, daß nicht nur Gottheiten auf der Straße wandeln könnten, sondern daß sie für Menschen gleichzeitig Wegweiser zu Gott und zu dessen irdischen Sitz in Rom sein könne, daher Romweg. Aus dem Zusammenhang zwischen der Milchstraße, den Pilgern und dem hl. Jacobus in Galicien leitet sich folgerichtig die Bezeichnung Jakobsstraße ab. Die Verwechslung von Galaxias mit Galicia mag diesen konzeptbildenden Begriff noch verstärkt gefördert haben 110 . Der Vollständigkeit halber soll noch die Identifikation der Milchstraße mit dem Weg erwähnt werden, den Wodans WildeJagd zog 111 . Die christliche Variante dazu wären die Himmlischen Heerscharen, die unter ihrem Anführer Michael ebenfalls die Milchstraße als Heeres- und Geleitweg benutzten112. In der alteuropäischen My- 108 Tradiert über Ovid, Metamorphosen. I, 168ff. 109 Viktor STEGEMANN, Die Milchstraße, in: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens 6, hg. von Eduard HOFFMANN-KRAYER/ Hanns BÄCHTHOLD-STÄUBLI (Berlin/ Leipzig 1931/ 32) Sp. 367-374. 110 Diese Interpretationsversuche entsprechen der germanischtümlerischen Vorstellung ihrer Zeit und dürften, falls überhaupt zutreffend, einer späteren, für mich nicht konkretisierbaren Zeit angehören. Aus dem 15. Jahrhundert stammen die Belege, die Laurentius DrEFENBACH unter dem Lemma "Galaxia" anführt (Glossarium Latino- Germanicum mediae et infimae aetatis [Francofurti ad Moenum 1857] S. 255). Man darf davon ausgehen, daß sie einen früheren Zustand wiedergeben. Weiter Bezeichnungen der Milchstraße sind mittelhochdeutsch vertreten: die wizen strenen [ = Strähnen], diu straze an dem himel, herstraze, weiz streinel (s. Erwin KOLLER/ Werner WEGSTEIN/ Norbert Richard WOLF, Neuhochdeutscher Index zum mittelhochdeutschen Wortschatz [Stuttgart 1990] S. 287). Eine seriöse Arbeit stellt die Untersuchung von Hermann Ro TZLER dar (Die Benennungen der Milchstraße im Französischen, Romanische Forschungen 33 [1915] S. 794-816), der eine Fülle von Benennungen der Milchstraße im galloromanischen Raum auf Basis von zahlreichen Dialektwörterbüchern und einer Vollkarte des Atlas linquistique de France vornahm. Das unbestrittene Vorherrschen der Bezeichnung "chemin de St-Jacques" für die Milchstraße in dieser onomasiologischen Arbeit weist darauf hin, daß wohl die große Mehrheit (oder fast alle) der Benennungen jüngeren Datums sind und wohl auch durch persönliche Erlebnisse auf Pilgerfahrten mit in die Namensgebung eingeflossen sind. Der Gesamtkomplex "Milchstraße und Mittelalter" erfordert eine separate philologische Untersuchung, die in dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Auch hier herzlichen Dank an Volker Honemann für seine wertvollen Hinweise. 111 STEGEMANN, Die Milchstraße (wie Anm. 109) S. 370f. 112 Vor allem die mittelalterlichen Ritterorden repräsentierten eindrucksvoll die Militia Christi, die gemäß ihrem Ideal das Schwert nicht grundlos, sondern im Dienste Gott es führen sollte. Eigentlich sollte der Kriegsdienst für Christus vor allem von den Klerikern und Mönchen geführt werden, als verus miles Christi, aber durch die zu- <?page no="84"?> 68 Robert Plötz thologie findet sich auch noch der Begriff Irmen-/ Irminsäule, der wiederum auf Sachsen zurückführt. In diesem Stammeszusammenhang geht es um ein von den Sachsen errichtetes Heiligtum in Form einer Holzsäule, das vermutlich als Abbild der das All tragenden Weltsäule verstanden wurde. 772 zerstörte Karl der Große die irminsul (Säule des Irmin) an der sächsischen Grenzfeste Eresburg (Westfalen) 113 und beraubte die Sachsen eines Identitätsmerkmals. Wie bei den Kelten erscheint hier im sächsischen Bereich ein Holzpfahl als Symbol der Himmelsachse, columna universalis quasi sustinens omnia, wie Tacitus das formuliert haben soll114. Als interpretatio romana der Vorstellung von der Himmelsachse erscheint die in römischer Zeit vorgenommene Aufstellung von Jupitersäulen Qupiter mit Sonnenrad) in Gallien und am Mittelrhein 115. Weiterhin gibt es noch eine symbolische Verbindung zwischen Himmel und Erde: die Jakobsleiter (1 Moses 28, 12-13)116. nehmendeMilitarisierungdes Christentums trat ein gewisser Wandel ein. Selbst Christus erschien als Kriegsherr gemäß Apk 19, 11-16. Vgl. die Übersicht bei Friedrich MERZBACHER, Militia Christi, in Lexikon der Christlichen Ikonographie 3 (Rom-Freiburg-Basel-Wien 1971) Sp. 267f. Inwieweit diese Entwicklung mit Jacobus miles Christi in Verbindung gebracht werden kann, bedad noch eingehender Untersuchungen. 113 Eine kurze Übersicht bei Friedrich Bernward FAHLBUSCH, Eresburg, in: LexMA 3 (1986) Sp. 2128f.: ubi prius ab antiquis Irminsul colebatur (Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveyer Überarbeitung, hg. von Robert HOLTZMANN [MGH SS rerum Germ. NS 9, Berlin 21955] S. 40). Neuerdings auch: Thietmari Merseburgensis Episcopi Chronicon [nach dem Holt zmann-Text]. Neu übertragen und erläutert von Walter TRILLMICH (lat.-dt.) (Darmstadt 1988) S. 36, 2-5f. Anstelle der Säule wurde eine Kirche mit St. Peterspatrozinium errichtet. Vgl. GRIMM, Deutsche Mythologie 1 (wie Anm. 18) S. 95-97, und K. PAULSDORF, Zur Irminsulfrage, Mannus 36 (1970) S. 147-158. 114 Tradiert u.a. von Rudolf von Fulda (t 865) in den Annales regni Franeorum orientalis, hg. von Georg Heinrich PERTZ (MGH SS 2, Hannover 1829) S. 676 und bei Adam von Bremens (t zwischen 1081 und 1085) Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificium, ed. Bernhard SCHMEIDLER (MGH SS rerum Germ. in usum scholarum, Han nover 1917), Liber 1, cap. 7-8, hier I: 8, S. 9: Truncum quoque ligni non parvae magnitudinis in altum erectum sub divo colebant, patria eum lingua Irminsul appellantes, quod latine dicitur universalis columpna, quasi sustinens omnia. 115 Vgl. Herderlexikon Germanische und keltische Mythologie (Freiburg/ Basel! Wien 1982) s. 99. 116 Vgl. Ulrich REHM,Jakobsleiter, in: Marienlexikon 3 (wie Anm. 39) S. 348f. Zwar handelt es sich um den Erzvater Jakobus des Alten Testaments, der im Traum auf einer Leiter auf- und niedersteigende Boten Gottes sah. Der Ort wird nach Hos 12, 17 auch als "jene schmale Stelle" bezeichnet, an der "sich nach dem Weltbild der Alten der ganze Verkehr zwischen Himmel und Erde und der oberen göttlichen Welt vollzieht" (ebd.). Vgl. Robert PLöTZ, Via lactea: Die Milchstraße- Caminus Stellarum: Der Sternenweg, Sternenweg 8 (1991) S. 10f., auch unter dem Titel "Via lactea: Ia voie lactee", Ultreia 9 (Mai 1992) S. 32f. PERICARD- MEA interpretiert den J acobusweg am Himmel als Weg zum Paradies, dem die Menschen imaginativ benutzten, um ihren konkreten Bedürfnissen, den Seelen ihrer Verstorbenen zu folgen, nachkommen zu können (Compostelle et culte de saintJacques [wie Anm. 44] S. 60ff.). <?page no="85"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 69 Der Iringsweg als Weg auf Erden und am Himmel! Auch in allerdings späteren bildliehen Zeugnissen des 12. Jahrhunderts wird das Motiv umgesetzt: an einer Platte der Dachschräge des 1215 vollendeten Karlsschreins in Aachen 117 und in einer Hs.-Miniatur im Pseudo-Turpin von Avignon 11 8 aus dem 14. Jahrhundert, die die Reziprozität der Wege am Himmel und auf Erden ausdrücklich hervorhebt. "Da sah er plötzlich am Himmel eine Sternenstraße. Sie begann am friesischen Meer und führte über Deutschland und Italien, Gallien und Aquitanien, durchquerte in gerader Linie die Gascogne, das Baskenland, Navarra und Spanien bis nach Galizien." Warum kannte Widukind von Corvey diese Überlieferung nicht? Wahrscheinlich war seinUnwissen durch die Isolierung des ihm bekannten Raums von den angrenzenden, ihm unbekannten Siedlungsgebieten 119 bedingt und damit auch durch die Zugehörigkeit zu einem anderen Mentalitätsraum. Aber wem durfte diese Mythologie bekannt sein und wer könnte sie transferiert haben? Transferiert insofern, wenn wir davon ausgehen, die betreffende Person oder auch die betreffenden Personen in Klerikerkreisen in der Kathedrale (auch z.B. im Skriptorium) von Santiaga de Compostela zu suchen. Sicherlich jemand, der sowohl die Friesen120, wo 117 Apparet [lies: ... uit] lacobus in sompnis ante duobus. Denique stellata p erhibetur in ethere strata, Occiduum mundum p er se perhibens adeundum (Hans-Wilhelm KLEIN, Kar! der Große und Compostela, in: D eutsche Jakobspilger und ihre Berichte [wie Anm. 46] S. 133-148, hier S. 139). 118 Auf dem umlaufenden Schriftband: Caminum stellarum: iter stellarum sancti Iacobi, seu caminum (Ms. 1379 Bibi. Municipale von Avignon). Herzlichen Dank an Marco Piccat für den Hinweis. In seinem Beitrag in den Kongreßakten (Una nueva interpretaci6n de las miniaturas epicas del C6dice Calixtino: ~ U na prueba de Ia existencia de un c6dice gemelo? ) geht Piccat auch auf die allgemeine Farbensymbolik und deren Spiritualität innerhalb der Miniaturen verschiedener Ausgaben des Pseudo-Turpin em. 119 Wer die Karte althochdeutsche und altniederländische Sprachlandschaften bei HAU- ERICHS (S. 24: Nach Horst Dieter SCHLOSSER , Die literarischen Anfänge der deutschen Sprache [Berlin 1977] S. 90) einsieht, dem fällt auf, daß die frühen thüringischen und sächsischen Sprachformen relativ zentral im geographischen Mitteldeutschland positioniert sind, die Küstengebiete der Nordsee werden nicht erreicht. Und das Bild des himmlischen Sternenweges mit seiner Projektion auf Erden (im Pseudo-Turpin sinnigerweise im an der Nordküste beginnenden Friesland liegend) kommt in unserer Tradition wahrscheinlich aus dem N ordwesten über den Kanal. 120 Schon in der römischen Kais erzeit ge hört e Nordfriesland z um sächsisch-anglischen Kreis mit Einflüssen aus Jütland. Es könnte durchaus zutreffen, daß der Verfasser des Pseudo-Turpin Friesland als nördlichsten territorialen Bezugspunkt nimmt, um von dort aus seinen Weg nach Santiaga beginnen zu lassen. Die Normanneneinfälle der späten Karolingerzeit haben sicherlich tiefe Spuren in den Überlieferungen des Landes (Rechtsquellen, Sagen und Mythen) hinterlassen und sicherlich auch in die "Memoria" der fast in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden Normannen Eingang gefund en. Vgl. Hermann HINZ, Friesen, Friesland, in: LexMA 4 (1988) Sp. 970- 976. <?page no="86"?> 70 Robert Plätz der iter stellarum beginnt, ebensogut kennt wie die angelsächsischen Überlieferungen121: Dies ist ein interessanter Aspekt, der bisher nur in wenigen mosaiksteinchenähnlichen Belegen vertreten ist: nach alldem könnte es sich bei dem Verfasser des Pseudo-Turpin durchaus um einen normannischen Kleriker handeln 122 , der es mit Hilfe großartiger, ja genialer Ablenkmanöver und Verdeckungspraktiken eines interessierten Personenkreises unternahm, eine großeuropäische, auf Santiaga bezogene Interessenlage herzustellen, die zwar ihre Privilegien mit "Karls"- 121 Die angelsächsische Periode in der Geschichte und geistigen Kultur Englands (Süd-, Mittel-, Ostengland und Südwestschottland reicht vom 5./ 6. Jahrhundert bis 1066. Der kollektive Begriff "Angelsachsen" umfaßte Angeln aus Jütland, Angeln und Altsachsen sowie Einwanderer aus friesischen Gebieten. Auch hier kann man von gewissen gemeinsamen Strukturen sprechen, die in ihrer "Mythenverwaltung" über durchaus ähnliche Modelle verfügten. Als einer der Vorläufer des iter stellarum böte sich z.B. der Stern an, den König Uther Pendragon (410-495 n. Chr .) sah und der ihn zum Kampf gegen die Sachsen veranlaßte. In der dem Sagenkreis um König Artus angehörenden Erzählung hatte der Stern einen Schweif, war also ein Komet, und an der Spitze des Schweifes befand sich ein Feuerball, einem Drachen ähnlich, aus dessen Rachen zwei Strahlen aufstiegen. Einer wies gegen Frankreich, der andere nach Irland, der sich wieder in sieben Strahlen teilte. Die Chronik des Geoffrey von Monmouth aus dem 12. Jahrhundert berichtet darüber: apparuit stella mire magnitudinis et claritatis, quam cometam dicunt, uno contenta radio. A radio uero procedebat globus igneus in similitudinem draconis extensus, de cuius ore prodedebant duo radii: quarum unus radiorum longitudinem ultra Gallicana regna uidebatur extendere; alter uero uersus Hybernicum mare u ergens in .vii. minores radios terminabatur (The Historia Regum Britannie of Geoffrey of Monmouth II. The First Variant Version: a critical edition, ed. Neil WRIGHT [Bury St. Edmunds 1988] S. 128 [133]. Vgl. die deutschsprachige Variante Gottfrieds von Monmouth, Historia Regum Britanniae, mit literar-historischer Einleitung und ausführlichen Anmerkungen, ..., hg. von SAN- MARTE ... [Halle 1854] S. 540) . Ich bedanke mich bei Volker Honemann für diesen wichtigen Hinweis. 122 Die Normannen waren als "Jungchristen" besonders engagierte Anhänger der Klosterreform des 11. Jahrhunderts, beteiligten sich schon früh an den Kämpfen der Reconquista und stellten mit die ersten namentlich erwähnten Pilger zum Apostelgrab in Compostela (vgl. Robert PLÖTZ, Sanctus et Peregrinus - Peregrinus et Sanctus. Peregrinatio ad Sanctum Jacobum usque ad annum 1140, in: EI Papado, Ia Iglesia Leonesa y Ia Basflica de Santiago a finales del siglo XI. EI traslado de Ia Sede Epfscopal de Irfa a Compostela en 1095, ed. Fernando L6PEZ ALSINA [Santiago de Compostela 1999] S. 89-105, hier S. 103f.), die nach ihrer Rückkehr häufig Reformklöster gründeten. Es befremdet nicht, daß heute sowohl die Engländer als auch die Franzosen die frühen normannischen Pilger jeweils für sich in Anspruch nehmen, da diese oft Besitzungen beiderseits des Kanals hatten. Die enge Verbindung zwischen Nor mannen und Angeln auf dem Gebiet der Heldenepik zeigt sich u.a. darin, daß die Sprache der Oxforder Handschrift des altfranzösischen Rolandsliedes das literarische Anglo-Normannische der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts war (Max PFISTER, Vorwort zur achten Auflage, in: Das altfranzösische Rolandslied, hg. von Alfons HILKA [Sammlung romanischer Übungstexte 3/ 4, Tübingen 81997] S. 2). Die Übersichtsarbeit von Ralph Henri Carless DAVIS, The Normans and their Myth (London 1976), besonders auf den S. 49 -69, gibt einen guten Einstieg in das Thema. <?page no="87"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 71 Traditionen zu sichern suchte, gleichzeitig aber unter Berufung auf Jacobus ihren umfassenden Anspruch als Apostelkirche dem Papsttum gegenüber festigen wollte. Auch Mandach verficht die Idee, daß ein "residant de Cascante (a 9 km au sud-est de Tudele) ... portantun nom typiquement normand, nous l'avons releve, celui de Dom Turpin"123, der sich in einem zisterzienserfreundlichen Umfeld bewegte, mit dem Turpin des Pseudo-Turpin identisch sei. Mandach findet seinen normannischen Schreiber in Tudela. Wir dürfen jedoch die Möglichkeit nicht ausschließen, daß sich dieser normannische Schreiber auch in Compostela befinden könnte, zumal es eher unwahrscheinlich ist, daß eines Tages ein Kleriker aus dem Poitou, Aimeric Picaud 124, der oft in der Literatur als Verfasser des Liber Sancti Jacobi gehandelt wird125, in Santiago auftauchte und einen wertvollen, ungeheuer aufwendig gestalteten und fast unbezahlbaren Codex 12 6 übergeben habe. Dahinter mußte ein großes Skriptorium stecken, das eine gute finanzielle Ausstattung aufwies. Und in Santiago war ein solches Skriptorium vorhanden, das zwei herausragende Codices des 12. Jahrhunderts hervorbrachte: die Historia Compostellana127 als Annalen des Wirkens und der Taten des ehrgeizigen 123 MANDA CH, Chansonde Roland (wie Anm. 42) S. 92f. 124 Selbst wenn der Codex Calixtinus schreibt: H unc codicem a domno papa Calixto primitus editum, quem Pictavensis Aymericus Picaudus de Partiniaco veteri, qui etiam Oliverus de Iscani, vi lla sancte Marie Magdalene de Viziliaco, dicitur, et Girberga Flandrensis sotia eius, pro animarum suarum redemptione sancto I acobo Gallecianensi dederunt, .. . (Liber Santi Jacobi, ed. HERBERS / NOIA [wie Anm. 20] Appendix S. 268), kann man dieser Behauptung gegenüber beiallden verborgenen Intentionen und verwinkelten Strategien des Compostelaner Klerus nicht vorsichtig genug sein. 125 Vgl. die Zusammenstellung bei Klaus HERBERS, Pseudo-Turpin, in: LexMA 7 (1994) Sp. 310. 126 Nur wirtschaftlich gut ausgestattete Großklöster und Domstifte der einzelnen Diözesen konnten sich die ganze "Produktionslinie" leisten. Im Kommentar des Mönches Hildmar von Corbie z ur Benediktinerregel (845/ 50) wird ein Beispiel angeführt, in dem ein Kloster 30 Pergamente kauft, ein Buch daraus macht und es für 60 Denare verkauft. Dieses im Vergleich zum Liber Sancti Jacobi äußerst bescheidene Buch kostete in der reinen Herstellung mehr, als es nach dem Prümer Urbar von 893 ein Bauernhof an geldlichen Leistungen im Jahr zu erbringen hatte (HAUBRICHS, Geschichte der deutschen Literatur [wie Anm. 33] S. 171). Auch wenn dieses Beispiel einen frühen Zeitraum für unser Thema erfaßt, bleibt es doch releva nt hinsichtlich der ökonomischen Belange. Da für den Liber Sancti J acobi in den bisher bekannten Quellen überhaupt keine kostenrelevanten Hinweise und Daten ausfindig gemacht werden konnten, könnte es sich bei der Codex-Erstellung um eine Aktion handeln, die in einen größeren Rahmen mit Großprojekten versteckt wurde, um Propagandainitiativen nach außen hin, in andere Zentren oder Regionen zu verlegen. 127 Kritische Edition: Historia Compostellana, ed. Emma FALQUE REY (Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis 70, Turnhout 1988). Übersetzung ins Spanische: Historia Compostelana. lntroducci6n, traducci6n, notas e Indices de Emma FALQUE REY (CLisicos Latinos Medievales 3, Madrid 1994). <?page no="88"?> 72 Robert Plätz Erzbischofs (seit 1120/ 24) Diego [II.] Gelmirez 12 8 und den Liber SanctiJacobi/ Codex Calixtinus unter Einbeziehungvermutlichdes Pseudo-Turpin. Wie könnte nun jener normannische Kleriker mit dem göttlich-mythischen Territorialplan im Kopf nach Compostela gekommen sein? Dort war schon seit etwa 1116 als "Kanoniker der Kirche des Heiligen Jacobus"129 ein Giraldus magister130 tätig, der aller Wahrscheinlichkeit nach aus Beauvais in der französischen Pikardie zwischen flämischen und normannischen Regionen stammte. Es war der ehrgeizige Prälat Diego Gelmirez, der einerseits für die Kapitelreform und damit für die Verbesserung der Qualikation der Domherren und der alten bischöflichen Schule13 1 französische Kleriker nach Santiaga holte, andererseits aber auch seine Kleriker auf französische Schulen schickte, um "Grammatik" zu studieren 132 . Und nordfranzösische Kleriker dürfte es im 12. Jahrhundert genügend im Domkapitel von Santiaga gegeben haben. Leider ist uns darüber aus den letzten Jahren des in innere und äußere kirchenpolitische Kämpfe verwickelten Diego Gelmirez nur sehr wenig bekannt, auch nicht über seine Anordnungen an das Skriptorium133. Aber als weiteres Indiz für die Anwesenheit normannischer Kleriker und Schreiber kann man den offensichtlich französischen normannischen Einfluß bei der Ausstattung des Codex Calixtinus augenscheinlich erkennen 134. Hier schließt sich sogleich eine andere Frage an. War- 128 Historia Compostellana, sive de rebus gestis D. Didaci Gelmirez, primi Campastetlani Archiepiscopi, so der Titel der ersten kritischen Ausgabe von Henricus FLÖREZ von 1765. Vgl. Richard A. FLETCHER, SaintJames's Catapult. The Life and Times ofD.G. of Santiago de Compostela (Oxford 1984), in galicischer Übersetzung Richard A. FLETCHER, A vida e o tempo de Diego Xelmirez (Vigo 1992). 129 So nannte er sich selbst (HC li, 6, 265. S 2658, f. 63va.). 130 HC li, 56,378. S 2658, f. 85va. Über Giraldus selbst geben die schriftlichen Quellen keine Auskunft, er erschließt sich nur aus der Historia Compostellana. 131 Vgl. Manuel C. DfAZ Y DfAZ, Problemas de Ia cultura en los siglos XI-XII: Ia escuela episcopal de Santiago, Compostellanum 16 (1971) S. 187-200. 132 Vgl. Fernando L6PEZ ALSINA, La ciudad de Santiago en Ia aha edad media (Santiago de Compostela 1988) S. 64-68. 133 Vgl. Antonio L6PEZ FERREIRO, Historiade Ia S.A.M. Iglesia de Santiago de Campostela 4 (Santiago de Compostela 1901) S. 200-219, und VONES, Die ,Historia Compostellana' (wie Anm. 70) S. 517f. 134 Alison STONES spricht von einem "strongly French milieu, deriving its sty! istic sources primarily from Normandy, the Loire and western France" und schlägt vor, hinsichtlich der Datierung der ersten Produktionsphase bis in die Zeit des Erzbischofs Diego Gelmirez (t 1140) zu gehen (The Decoration and Illumination of the Codex Calixtinus at Santiago de Compostela, in: The Codex Calixtinus and the Shrine of St. James Uakobus-Studien 3, Tübingen 1992] S. 137-184, hier S. 138). Vgl. auch Larry M. AYRES, The Illumination of the Codex Calixtinus: AN orman Dimension, in: ebd., S. 245-250, speziell S. 248. Serafin MORALEJ O schrieb schon 1980 über die anglo-normannischen Vorlagen für einige Initialen des Codex Calixtinus, die er auf die Zeit um 1100 legt. Er wies auf die besondere Bedeutung dafür auf eine normannisch-romani- <?page no="89"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 73 um liegt uns eine Abschrift oder Zusammenstellung des Liber Sancti Jacobi in Form des Codex Calixtinus erst etwa 20 Jahre nach dem Tod von Diego Gelmfrez (1140) vor? Damit zusammenhängen könnte auch die Datierung der einzelnen Mirakelerzählungen im Libellus Miraculorum (Liber II) des Codex, die, falls sie zeitlich ausgewiesen sind, von 1090 bis 1135 abfolgen 135. Dies könnte seine Ursachen in folgenden Vorkommnissen haben. Als Reaktion auf die Drohungen Gregors VII. hatte Alfons VI. nicht nur die hispanische und mozarabische Liturgie und ihre Traditionen abgeschafft und französische Kleriker vor allem aus Cluny in beträchtlicher Zahl ins Land geholt, die diese Reform durchführten und die spanischen Verhältnisse den spirituellen Gegebenheit des restlichen Europas anpaßten, sondern auch den Untergang der eigenen Schrift in die Wege geleitet. Bis dahin war in Spanien eine von der cursiva romana abgeleitete und als westgotische Letter bekannte Schriftart gebräuchlich. Bedingt durch die Einführung des römischen Ritus und den Import von liturgischen Schriften aus Frankreich, ergab sich die Notwendigkeit eines Schriftwechsels, der auf dem großen Konzil von Le6n von 1090 beschlossen wurde. Das hatte enorme Auswirkungen auf die Literatur um das Jahr 1100, denn die gesamten Texte mußten in "französischer" 136 Letter umgeschrieben werden, oder sie schwebten in Gefahr, verloren zu gehen. Ausnahmen gab es auch, wie den kastilischen Heerführer und Nationalhelden EI Cid (1043-1099), der bis zu seinem Lebensende in seiner valencianischen Kanzlei die alte Letter benutzte 137. Durch den zeitlichen Verlust und den Zeitsprung wegen der Schwierigkeiten mit der Transkription der einen auf die andere Schrift könnten auch die im Libelluserwähnten Jahreszahlen zwischen 1110 und 1133 einen aktuelleren Bezug gewinnen. sehe Handschriftengruppe hin, die sich um die William-Bibel von St. Carilef (Durharn Cathedral Library, MS A.II.) gruppiert, ferner auf den Kontext mit Hugo pictor, dem Illustrator, der an verschiedenen Handschriften von Jumieges beteiligt war ("Ars sacra" et sculpture romane monumentale: le tresor et lechantierde Compostelle, Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 9 [1980] S. 218, Anm. 102). 135 Nr. III. 1108; V: 1090; VI: 1100; VII: 1101; VIII: 1102; IX : 1103; X: 1104; XI: 1105; XII: 1106; XIII: 1135; XIV: 1107; XV: 1110; XXII: 1100. DieJahreszahl1135 könnte ihre Begründung darin finden, daß die einzelnen Mirakelgeschichten in den Sammlungen immer fortgeschrieben und aktualisert wurden, so daß eine so fortgeschrittene und nahe bei der Fertigstellung bzw. Vereinheitlichung des Liber Sancti Jacobi / Co dex Calixtinus gelegene Jahreszahl höchst aktuell gewesen sein könnte. 136 Zur Entwicklung der lateinischen Schrift im Hochmittelalter vgl. die kurze Zusammenfassung in: Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung, hg. von Friedrich BECK/ Eckart HENNING (Weimar 1994) S. 172-177. 137 Vgl. MENENDEZ PIDAL, La Espaiia del Cid (wie Anm. 64) S. 250f. <?page no="90"?> 74 Robert Plätz Daß der Herr dich unter allen anderen ausgewählt hat Es war Jacobus, der den Auftrag an Karl gab, sich nach Spanien zu begeben, um denJacobusweg und das "Jacobus-Land"138 von den Heiden zu befreien und das Apostelgrab zu besuchen. Jacobus legte die Richtung fest und provozierte den Feldzug. Er zeigte auch den Sternenweg, der als Botenweg, als Überbringungsweg schon Otfrid von Weißenburg139 bekannt war, denJacob Grimm allerdings in seiner Mythologie noch nicht zitierte 140 . Warum wählte Gott über den BotenJacobus Karl aus? Karl wird in den Texten des Mittelalters bis auf wenige Ausnahmen (Visio Wettini z.B.) durchweg positiv und idealisiert dargestellt. Er wird oft fälschlicherweise als Begründer von Bistümern, Klöstern und Kirchen genannt, als großzügiger Gabengeber und Verleiher von Privilegien. Um die Zeit, in die der Pseudo-Turpin geschrieben wurde, war Karl schon längst in seiner Darstellung vom "historischen Herrscher zum Herrschermythos" 141 entrückt. Dazu kommt die feste Überzeugung einer augenscheinlichen Verbundenheit Karls mit Gott und den himmlischen Mächten. Ein Engel fordert ihn im Rolandslied z.B. zum Zug nach Spanien auf, und bei der Verfolgung des heidnischen Heeres nach dem Untergang der Nachhut in Roncesvalles hält Gott auf Karls Gebet hin die Sonne an. Karl war der übermächtige, mit Gott verbundene Herrscher, der prädestiniert schien, mit Gottes Hilfe, die sich in Wundern manifestierte, die Heiden und Ungeheuer zu bekämpfen und zu besiegen142. Und warum konnte diese Verbindung zwischen Aachen und Compostela mit der Wegprojektierung sowohl am Himmel als auch auf Erden erfolgen? Es ist, wie gesagt der ApostelJacobus, der Karl ruft und ihm als Bote des Herrn den Auftrag erteilt. Damit wird in erster Linie die Inleressenlage des Klerikerkreises von Santiago bedient; der Text ist durchaus auf lokale Interessen hin ausgerichtet, auch wenn er später die Anhindung Campostelas an den fränkischen Osten von den Staufern 138 Die "Tierra de Santiago" existierte wirklich und bezog sich auf den Besitz des "Heiligen Ortes" selbst und den dazugehörigen Gütern. Die Führung übten das Königtum und die ortsansässigen Grafen mit den Erzbischöfen von Compostela aus. 139 Vgl. mit S. 49-50 . 140 Die Deutsche Mythologie wurde 1835 herausgegeben, die Erwähnung von Otfried im "Deutschen Wörterbuch" fand in der Bearbeitung von V. DOLLMEYR/ FR. KRüER/ H. M EYER und W PAETZEI erst 1941 statt (Deutsches Wörterbuch 19 , Sp. 902). DaJa cob 1863 und Wilhelm Grimm 1859 starben, ist anzunehmen, daß sie die Otfrid-Passage nicht publizieren wollten oder nicht kannten, da sie erst nach ihrem Tod bekannt geworden ist. Vielleicht stand ihnen die Editio princeps (Otfridi Evangeliorum liber [Basel 1571]) nicht zur Verfügung. Allerdings kannten sie wohl die Königsherger Ausgabe "Krist", hg. von Eberhard Gottlieb GRA FF (Königsberg 1831). 141 GE! TH, Kar! der Große (wie Anm. 1) S. 89. 142 Ebd., S. 90 . <?page no="91"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 75 für die Heiligsprechung Karls in Anspruch genommen wird. Der Pseudo-Turpin ist in erster Linie und vor allem als Propagandaschrift für den Pilgerweg mit dem Ziel Santiaga de Compostela zu verstehen. Wer konnte sonst das Interesse und auch die Chuzpe haben, den legendären Frankenkaiser zum Feldzug nach Spanien zu bitten, um die Sicherheit der Wege zum Grab des Jacobus zu gewähren? Die spanischen Vorstellungen von der "Befreiung" sind andere und basieren auf eigenen Schöpfungen und Traditionen, wie wir gesehen haben 14 3. Und die Vorstellung der Verteidigung der Kirche von Compostela gut- und großherzigen französischen Klerikern zuzuschreiben, die zudem eine bedeutende Summe für die Fertigung des Liber SanctiJacobi (mit Pseudo-Turpin) aufzubringen hätten, halte ich für vermessen, und selbst wenn die Finanzierung von Santiaga aus vorgenommen worden wäre, hätten wir wieder die gleiche Interessenlage. Wenn wir einen abschließenden Blick auf Rom und sein Papsttum werfen, so ist offensichtlich, daß Rom nicht gewillt war, seinen apostolischen Konkurrenten zu fördern. Zu mächtig und einflußreich war Compostela in der Zusammenarbeit mit den französischen Ordensklerikern cluniazensischer und zisterziensischer Prägung geworden. Im speziellen Fall von Cluny kann gesagt werden, daß schon nach dem Tod Alfons' VII. (seit 1111 König von Galicien, König von Le6n und Kastilien seit 1126, Kaiser seit 1135, t 1157) 144 und auch des cluniazensischen Bischofs Dalmatius in Santiaga (1 095-11 00) 145 die zeitweilig sehr guten Beziehungen zu Cluny deutlich zurückgegangen und nach der Mitte des 12. Jahrhunderts fast ganz zum Erliegen gekommen waren. Die Bedeutung Clunys für die Iberische Halbinsel bestand mehr in seinem Anteil an der Durchsetzung der Benediktinerregel in Spanien und sein Mitwirken in einer engeren kulturellen, politischen und kirchlichen Anhindung der Pyrenäenhalbinsel an das übrige Europa146. Auf den ständigen Kampf um die Durchsetzung der traditiones hispanicae will ich hier nicht eingehen, das habe ich an anderer Stelle wie- 143 Vgl. s. 55f. 144 Alfons VII. setzte die Bemühungen seines Vaters Ferdinand I. und seines Großvaters Sancho el Mayor um enge Beziehungen auf allen Ebenen mit allen europäischen Königreichen fort, obwohl diese, wenn sie auch generell mit den Tendenzen des Papsttums übereinstimmten, doch durchaus auch gegensätzlicher Absicht sein konnten. Vgl. das aufschluß- und faktenreiche Kapitel VI bei M ENENDE Z PIDAL, La Espaiia del Cid (wie Anm. 64) S. 227-251. 145 Zu Dalmatius und den Wechsel des Bischofssitzes von Iria Flavia nach Compostela vgl. Fernando L6P EZ ALSINA, Urbano li y el tralado de Ia sede episcopal de Iria a Compostela, in: EI Papado, Ia Iglesia Leonesa y Ia Basilica de Santiago a finales del siglo X (wie Anm. 122) S. 107-127. 146 Peter SEGL, Cluny, Cluniazenser, B. Der Einfluß Clunys außerhalb Frankreich, li. Iberische Halbinsel, in: LexMA 2 (1983) Sp. 2178- 2181. <?page no="92"?> 76 Robert Plätz derholt getan147, aber selbst aus dem Pseudo-Turpin heraus kann man dieses Spannungsverhältnis erkennen. Die Vorrangstellung Roms wird zwar anerkannt, aber in der Rechtfertigung der "drei Sedes-Doktrin" erfolgt im Pseudo-Turpin nicht der allgemeine Jurisdiktionsprimat, sondern der Hinweis auf eine eigene Zuständigkeit bei Rechtsangelegenheiten, was nun wirklich nicht im Sinne Roms gelegen haben kann: Si ergo aliqua iudicia aut divina aut humana in aliis sedibus orbis sua gravitate discerni forte nequeunt, in his tribus sedibus tractari et diffiniri legitime et iuste debent148. Die Sicherung von Privilegien und Territorium sowie die stabile Verkehrsanbindung zum starken Partner im Osten war meines Erachtens, neben dem erhofften Werbeeffekt, der Motivkomplex, der u.a. den Pseudo-Turpin zustandebrachte. Und wie es bei hohem Einsatz üblich war, wurde eine unvergleichliche Belohnung nach Durchführung des Auftrages versprochen. "Dafür wird er dir die Krone unvergänglichen Ruhms gewähren .... Ich werde dir in allem zur Seite stehen; und für deine Mühen wird der Herr im Himmel dir eine Krone erlangen, und bis zum Ende der Zeit wird dein Name gerühmt werden." Eine zweifache Belohnung wird ausgesetzt, eine unvergänglichen Ruhms auf Erden und eine ebensolche im Himmel. Dazu kommt noch der Nachruhm. Die Krone im Himmel steht eigentlich nur den Märtyrern zu149, den Blutzeugen, genauso wie es in einer spätromanischen und farblieh gefaßten Steinplastik des Apostels Jacobus mit einer Krone auf dem Haupt im Kathedralmuseums von Santiaga zu sehen ist. Die Interpretation gibt der Codex Calixtinus im Translationsbericht des Liber III selbst: stolaque purpurea in etherea curia, cum eisdem discipulis gaudet ornatus corona, miseris se desposcentibus invicto suffragio patrocinaturus150. Es ist nicht auszuschließen, daß zwischen der Karlskrone im Himmel, der Märtyrerkrone im Translationsbericht und der ausschließlich für Pilger aus dem deutschen Sprachgebiet bezeugten coronatio peregrinorum (Pilgerkrönung) ein innerer Zusammenhang besteht, der durch den Investiturstreit (regnum et sacerdotium) auf die Bewohner des Imperiums fokusiert worden sein könnte151. Auch den Jüngern des 147 Z.B. in: Robert PLÖTZ, Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 1. Reihe: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 30 (Münster 1982) S. 19-145, hier S. 20 - 26, und in: Traditiones hispanicae beati Jacobi. Les origines du culte de Saint-Jacques a Compostelle, in Santiago de Compostela. Ausstellungskatalog (Gent 1985) S. 27-39. 14 8 Liber Sancti Jacobi Codex Calixtinus, ed. HERBERS/ NorA (wie Anm. 20) S. 215. 149 Zur Krone als Bedeutungsträger im christlichen Sinn vgl. "Krone", in: Lexikon der Christlichen Ikonographie 2 (1970) Sp. 659 - 661, hier Sp. 660. 150 Liber Sancti Jacobi Codex Calixtinus, ed. HERBERS/ NorA (wie Anm. 20) S. 189. 151 Vgl. Robert PLöTZ, "Benedictio perarum et baculorum" und "coronatio peregrinorum". Beiträge zu der Ikonographie des hl. Jacobus im deutschsprachigen Raum, in: <?page no="93"?> De hoc quod apostolus Karolo apparuit 77 Jacobus, die zur Grabbetreuung des Apostels nach der translatio in Galicien blieben, winkte eine solche Belohnung. Die Krone als Belohnung für treueDiensteüber den Tod hinaus wurde also ebenso Karl versprochen, wie auch den Jüngern des Jacobus, die der Überlieferung nach in dem Märtyrermausoleum Platz an der Seite des Apostels Jacobus fanden. Und der Erdenruhm war Karl dem Großen sowieso sicher. "Und nach dir werden alle Völker, von Meer zu Meer wandernd und Vergebung ihrer Sünden vom Herrn erflehend, dorthin ziehen, und sie erzählen das Lob Gottes und seine Macht und die Wunder, die er tat. Sie werden ziehen von deiner Lebenszeit an bis zum Ende dieser irdischen Welt." Dieser utopische Pilgerzensus stellt sich in der Predigt Veneranda dies des Codex Calixtinus als Realität dar, was ein weiteres Argument für die "Verzahnung" der einzelnen Teile des Codex Calixtinus darstellt. In enzyklopädischer Anführung fast aller in der Zeit des 12. Jahrhunderts bekannten gentes einschließlich schon längst untergegangener Völker strömt alles, was Rang und Namen hat zum glorreichen Heiligtum im fernen Westen am Rande des orbis christianus 152 . Die Karlsvision im Pseudo-Turpin verrät auch das enorme Selbstbewußtsein der (Erz)Bischöfe von Santiago, die sich durch die Aneignung der Metropolitangewalt am Rande der bereits bestehenden Kirchenprovinz von Braga mit neuen oder im Zug der Reconquista wiedererrichteten Suffraganbistümern einen großräumigen Herrschaftsbereich mit Santiaga im Mittelpunkt geschaffen hatten 153. Es mußte der mächtigste Mythos östlich der Pyrenäen sein, der zur Unterstützung von Jacobus gerufen wurde, es mußte Karl der Große sein! Volkskultur und Heimat. FS Jo sef Dünninger, hg. von Dieter H ARMENING/ Erich WIMMER (Würzburg 1986) S. 339-376, und Robert PLÖTZ, Santiago de Compostela en Ia literatura odep6rica, in: Santiago de Compostela: Ciudad y Peregrino. Actas del V Congreso Imernacional de Estudios J acobeos, hg. von D EMS . (Santiago de Campostela 2000) S. 33-99, hier S. 69-71. Vgl. neuerdings die nur zum Teil veröffentlichte Magisterarbeit von Martijn PI ETERS (In gezelschap van heiligen. De wanden gewelfschilderingen in de sint Cyriakuskerk in Niedermendig iconografisch beschoud [Ms. Masch Amsterdam 1999]), mit Teilveröffentlichung in deutsch: Martijn PI ETERS , Eine Wandmalerei in der alten St. Cyriakuskirche zu Niedermendig, in: Heimatbuch 69 (Mayen/ Koblenz 2000) S. 154- 158. 152 Liber Sancti Jacobi Codex Calixtinus, ed. HERBERS/ NOIA (wie Anm. 20) S. 85-104, speziell S. 89. Vgl. neuerdings die Arbeit von Jacobo CAUCCI VON SAUCKEN, I! sermone Veneranda Dies del Liber SanctiJacobi. Senso e valoredel pellegrinaggio compostellano (Betanzos 2001 ). 153 Vgl. Angel GARCfA ALVAREZ, Galicia y los gallegos en Ia Alta Edad Media 1 (Santiago de Compostela 1975) S. 65- 68, 172-180, 258ff., und Ludwig VONES, Die "Historia Compostellana" (wie Anm. 70) speziell S. 149-259 und S. 271-443 . <?page no="94"?> 78 Robert Plötz VI. Konklusion Erst mit der Karolingerzeit beginnt das Zeitalter politischer Visionen in dem Sinne, daß sich das politische Anliegen mehr und mehr in den Vordergrund schiebt und einen Visionstyp hervorbringt, der eindeutig als literarische Fiktion gekennzeichnet ist und sich von der religiösen Erlebnisbasis beträchtlich entfernt hat. In der Visio Karoli Magni werden viele Ereignisse nachvollzogen, die vorher stattgefunden haben. Die propagandistische Ausrichtung der Vision ist voll erkennbar. Die Folgeereignisse werden zwar zur Glorifizierung Karls aufgelistet, aber im Fadenkreuz der Zielrichtung stehen eindeutig Jacobus und seine Grabstätte in Compostela. Alle Fakten und Daten sprechen meines Erachtens dafür, daß diese Vision in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Compostela komponiert und geschrieben wurde. Die Frage, die es zu beantworten galt, lautete: Ist diese Vision typisch mittelalterlich? In der Manipulation von Daten und historischen Daten gewiß nicht: das gibt es heute noch; in ihrer Glaubwürdigkeit in der Raurn/ Zeitkonstellation sicherlich, da sie im Mentalitäts- und Spannungsraum des 12. Jahrhunderts liegt. Sie gibt eine geänderte Haltung der Kirche im Kampf gegen die Heiden wieder, die Kreuzzugsidee spiegelt sich in ihr, und die ersten Spuren für eine "Militarisierungcc des Apostels Jacobus zeichnen sich ab. Vor dem Hintergrund der Findung gemeinsamer M erkmale auf einer kulturell breiten Basis (griechische und lateinische Klassik, arabische Vermittlung; jüdische Texte und alteuropäische naturmagische Vorstellungen) können wir in dem hier behandelten literarischen Komplex erste und auch scheinbar widersprüchliche Hinweise der Aufnahme mythologischer Elemente in die volkstümliche Literatur feststellen, die zögerlich aus verschiedenen Geographien heraus ihre ersten gemeinsamen Mentalitäts-Konturen entwickelt. Westeuropa fand, we nn auch mehrsprachig und klassenspezifisch im Mittelalter, in der Pilgerfahrt zu Jacobus und nach Compostela und auch im Karls-Mythus zu sich. Fazit: Die Traumvision Karls des Großen ist gesamteuropäisch mittelalterlich. <?page no="95"?> Der hl. Roland: Französisches Rolandslied und lateinischer Pseudo-Turpin im Vergleich ULRICHMÖLK Das französische Rolandslied (Chanson de Roland) und der lateinische Pseudo-Turpin, dieser ungefähr eine Generation jünger als jenes, gehören beide nach Westfrankreich und sind beide, wenn auch in unterschiedlichem Grad, auf die von Frankreich nach Santiago de Compostela führenden Pilgerstraßen bezogen. Es ist unbezweifelbar, daß der lateinische Verfasser das französische Lied gekannt und benutzt hat; noch bemerkenswerter ist, daß beide Texte eine in wesentlichen Punkten verschiedene Ideologie aufweisen. Ich gebe zunächst eine geraffte Inhaltsangabe des Rolandslieds. Sieben Jahre haben Karl und seine Ritter (Roland, Olivier und viele andere, darunter der Erzbischof Turpin) in Spanien gegen den heidnischen König Marsilie gekämpft. Ganz Spanien ist für die Christenheit zurückgewonnen, nur Zaragoza nicht, das von Marsilie gehalten wird. Karl und die Franken sitzen in C6rdoba. Sie beraten über den weiteren Verlauf des heiligen Krieges. Marsilie hat ihnen nämlich ein Kapitulationsangebot gemacht: Karl möge abziehen, er selbst werde den christlichen Glauben annehmen und sich später in Aachen taufen lassen. Die Franken, die sich in C6rdoba beraten, sind sich uneins. Roland plädiert für Fortsetzung des Krieges und endgültige Vernichtung Marsilies. Er wird aber überstimmt. Die Franken entscheiden sich für die Beendigung des Krieges und die Annahme des Angebots. Diese Entscheidung muß Marsilie überbracht werden. Für die gefährliche Mission schlägt Roland seinen Stiefvater Ganelon vor, besonders deswegen, weil dieser so entschieden die Annahme der Kapitulation empfohlen hatte. Diesmal akzeptieren die Franken Rolands Vorschlag. Ganelon nutzt seine Mission für eine private Rache an Roland: Marsilie solle Roland am Gebirgspaß nach Frankreich (Roncevaux; im Text: Rencesvals) überfallen; er selbst, Ganelon, werde erreichen, daß Roland mit der Nachhut beauftragt wird. Das gelingt Ganelon auch. Roland und seine Nachhut werden in Roncevaux von den Heiden überfallen. Das fränkische Kontingent wird völlig aufgerieben, auch Roland stirbt, allerdings nicht weil ihn ein Heide getötet hätte; er stirbt an den Folgen seines gewaltigen Hornrufs, der <?page no="96"?> 80 Ulrich Mölk Karl herbeiruft und die Rache an Marsilie und die Aburteilung Ganelons einleitet. Roland hätte Karl sogleich beim Herannahen der Heiden, nicht erst im Verlaufe der Schlacht in Roncevaux, herbeirufen können. Dazu hatte ihm Olivier geraten. Roland hatte das jedoch abgelehnt. Warum? Hybris des bis dahin Unbesiegten? Diese Frage leitet zu unserem Thema über1. Wir wollen der Antwort vier ungleich lange Abschnitte widmen: 1) Forschungsbericht, 2) Darstellung und Interpretation des epischen Geschehens vor Schlachtbeginn und während der Schlacht in Roncevaux in der Perspektive unserer Frage nach Rolands Schuld und Heiligkeit, 3) Blick auf Parallelversionen, zumal den Pseudo-Turpin, 4) Rolands Heiligkeit. Unsere Darlegung formuliert in Abschnitt 2 eine neue These, die wir für richtig halten, und am Schluß von Abschnitt 4 eine Hypothese, deren Richtigkeit wir für möglich halten. 1) Die Frage, ob der Roland der Chansonde Roland (Oxforder Fassung) durch wissentliches oder unwissentliches Fehlverhalten Schuld auf sich geladen hat und ob sein Tod zu dieser Schuld in Beziehung steht, ist in der Forschung auf verschiedene Weise beantwortet worden. Die früher verbreitete und auch heute noch nicht gänzlich überwundene Auffassung, nach der Roland durch seine Weigerung, das Horn zu blasen, die Katastrophe herbeiführt, seine Schuld angesichts des Todes der Helden bekennt und bereut und diese Reue die Voraussetzung für seine Erhebung zum Heiligen ist, hat 1933 in Edmond Faral ihren ersten Kritiker gefunden: Roland sei nicht der traditionelle epische Held, sondern verkörpere von Anfang an den neuen Typus des heiligen Kriegers, dessen demesure Kennzeichen der ins Übermaß gesteigerten bravoure eines Glaubenskämpfers sei und deshalb keine penitence erheische 2. Mattbias Waltz konnte 1965 der ersten These entgegenhalten, daß sie nicht erkläre, warum der Autor gerade den unbesonnenen Roland und nicht den vorbildlichen Olivier zur Hauptfigur gemacht habe, der zweiten, daß sie nicht erkläre, warum die Hauptfigur mit der objektiven Schuld an der Katastrophe belastet bleibe 3. Um aus dem Dilemma herauszukommen, interpretierte Waltz das Geschehen in Rencesvals in der doppelten Per- 1 Das Folgende beruht weitgehend auf unserem Beitrag Rolands Schuld in: Das Epos in der Romania. Festschrift für Dieter KREMERS zum 65. Geburtstag, hg. von Susanne KNALLERIEdith MARA (Tübingen 1986) S. 299-308. Wir zitieren nach folgenden Ausgaben: La Chanson de Roland, ed. Cesare SEGRE (Milano 1971 ); Mario ROQUES, Ronsasvals. Poeme epique proven<; : al, Romania 58 (1932) S. 1-28, 161-189; Liber SanctiJacobi. Codex Calixtinus, ed. Klaus HERBERS / Manuel SANTOS N O IA (Santiago de Compostela 1999); Martfn DE RIQUER, Guillem de Bergueda. Edici6n critica, traducci6n, notas y glosario, 2 Bände (Abadfa de Poblet 1971). 2 Edmond FARAL, La Chansonde Roland (Paris 1933). 3 Matthias WALTZ, Rolandslied- Wilhelmslied- Alexiuslied. Zur Struktur und geschichtlichen Bedeutung (Heidelberg 1965). <?page no="97"?> Der hl. Roland 81 spektive Karls und Rolands. Für Karl bedeute der Tod Rolands eine Niederlage, die, wenn auf sie auch der triumphale Endsieg über die Heiden folgt, providentiell nicht begründet werde. Für Roland sei bereits der eigene Tod der Sieg: zwar habe seine Weigerung, Karl herbeizurufen, dem zeitgenössischen Publikum als militärische legerie (Leichtsinn) erscheinen müssen (Oliviers Vorwurf, V. 1726), die die militärische Katastrophe objektiv verschulde; der Autor tue jedoch alles, um das Gewicht dieser Schuld in den Augen der Mitkämpfer und somit der Zuhörer zu mindern und schließlich zu tilgen, damit Roland, der unverwundet als Herr des Schlachtfeldes stirbt, zugleich als Heiliger sterben kann. Sein Tod sei deswegen ein Sieg, weil jene beiden Werte, die sein und nur sein Handeln immer und absolut bestimmt haben, in triumphaler Weise bestätigt würden: Kampf und Ruhm. Entstehungsgeschichtlich ergibt sich aus diesen Überlegungen, daß sich der Dichter des Oxforder Rolandslieds mit einer Vorlage auseinandergesetzt hat, in der nicht nur von der Katastrophe in Rencesvals, sondern auch von Rolands Schuld die Rede war: Im Rahmen der neuen Ideologie des Glaubensrittertums mußte "Rolands Schuld" jedoch an Bedeutung verlieren und die Frage, "warum Gott den Kaiser straft", in den Hintergrund gedrängt werden. Die Diskussion des eingangs formulierten Problems ist nach Waltz keineswegs verstummt. Wir wollen hier nur noch auf die beiden Beiträge eingehen, die Jean-Charles Payen und Gerard J. Brault beigesteuert haben, weil wir im einen Fall zusätzliche Präzisierungen gewinnen und im andern eine (wenn auch in Einzelzügen interessante) Zuspitzung zurücknehmen müssen 4. Payen verdanken wir die Klarstellung, daß Roland angesichtsdes Todes keineswegs eine bestimmte von ihm zu verantwortende Schuld bereut, sondern lediglich seine sündige conditio humana bekenntdas jedoch ausführlich und gleichsam stellvertretend für alle gefallenen Helden. Dieser Akt der humilitas sei Endpunkt eines Handeins ohne Schuldbewußtsein. Rolands Kampflust und Todesbereitschaft seien eine Art heiliger folie, die außer Olivier sogleich alle Helden, auch Turpin, erfasse. In dieser Sieges- und Heilsgewißheit begehe Roland, objektiv gesehen, eine demesure, aber nicht subjektiv, und deswegen liege hier keine demesure coupable vor und könne die daraus resultierende Katastrophe nicht als chatiment, sondern nur als epreuve providentielle verstanden werden. Inwieweit dies auch für Karl gelten mag, läßt Payen offen. Auch Brault übergeht diesen Aspekt, obwohl er sonst manche vom Text selbst nicht aufgeworfene Fragen erörtert. 4 J ean-Charles PA YEN, Le Motif du Repentir dans Ia Iitterature fran~aise medievale (des origines a 1230) (Geneve 1968); Gerard J. BRAULT, The Song of Roland. An Analytical Edition, 1: Introduction and Commentary (The Pennsylvania State University 1978). <?page no="98"?> 82 Ulrich Mölk Brault, dessen Kommentar sehr wichtige Einsichten formuliert und mehrere glänzende Erklärungen bietet (z.B. zur Überreichung des Handschuhs an Gabriel), versucht nun, weit über Faral, Waltz und Payen hinausgehend, alle Züge der Gesinnung und der Handlungsweise Ralands vom christlichen Standpunkt aus zu interpretieren. So wird denn aus der von Payen festgestellten Absenz von Schuldbewußtsein prinzipielle Schuldlosigkeit, wird sein Tod als imitatio Christi ein Opfertod, und so kann denn auch Roland für Brault von Anfang an christliche humilitas, ja, jungfräuliche integritas, verkörpern. Manche Forscher, zumal Rarnon Menendez Pidal, hatten aus der richtigen Beobachtung, daß die Figuren im Grunde keine christliche, sondern ritterliche Gesinnung zeigten, den falschen Schluß gezogen, daß das Rolandslied von christlichen Einflüssen weitgehend unberührt seiS; Brault begeht den umgekehrten Fehler: die Tatsache, daß Roland und die anderen Helden Glaubenskrieger sind, bedeutet für ihn, daß deshalb auch ihre Gesinnung nur von der christlichen Moral und Theologie her verständlich ist. 2) Die Worte, mit denen der Dichter Roland als Handelnden einführt, und die Rede, mit der er ihn auf Karl antworten läßt, zeigen ihn in scharfer Konturierung. Roland spricht als erster; mit seinem Rat, den Kampf gegen Marsilie fortzusetzen, steht er allein, gegen Karl und die Franken; der Beginn seiner Rede zeigt dem Zuhörer aufs klarste, daß er der erfolgreiche und unbestrittene Anführer im Kampf gegen die Heiden ist: 196 II dist al rei: Ja mar cr erez M a rs ilie! Set anz ad pieins que en Espaigne venime s; ]o vos cunquis [es folgen sieben Orte im Reich der Heiden] ("Er sagte zum König: Glaubt auf keinen Pall Ma rsilie! Vor sieben vollen Jahren sind wir nach Spanien gekommen; ich habe Euch erobert ..." ) Für Roland ist der König der Heiden der prinzipielle Feind, Inkarnation von Falschheit und Unrecht. Die späteren Ereignisse bestätigen Ralands Urteil, und die berühmte das ganze Epos strukturierende Maxime Payen unt tort e chrestiens unt dreit (Heiden haben Unrecht und Christen haben Recht; V. 1015, vgl. 1212 und 1592) ist ihm in den Mund gelegt. Roland stellt in seiner Rede fest, daß die Eroberung (cunquis) der sieben Orte im Reich der Heiden für Karl erfolgt ist (vos); es ist für Roland aber auch charakteristisch, daß er anders als Naime, der kurz darauf Karl als Eroberer anspricht, seine eigene Person in den Vordergrund stellt (]o ). Damit sind Rolands Handlungsziel und die seine Handlung steuernden Werte bezeichnet: Das Ziel ist die Besiegung der Heiden, die Werte können wirmit Wörtern des Textes und im Sinne der Ausfüh- 5 Rarnon M ENEN D EZ PID AL, La Chanson de Roland y el neotradicionalismo (Madrid 1959). <?page no="99"?> Der hl. Roland 83 rungenvon Waltz am ehesten vasselage und los nennen. Vasselage, das Stärke im Kampf, Kampflust, Lehnstreue und Freundschaft umfaßt, und los, in welchem Begriff der Ruhm der eigenen Person, der Sippe und der dulce France zusammenfließen, sind Standeswerte, ritterliche, nicht christliche Werte, die hier freilich in den Dienst des Kampfes gegen die Heiden gestellt sind. Rolands Kompromißlosigkeit gegenüber dem Feind Karls und der Christenheit hat ihre affektive Entsprechung in einem hohen Maß von Reizbarkeit und Ungestüm, die der Dichter noch in derselben Ratsszene vorführt. Olivier spricht von Rolands mult pesme curage (sehr schlimmem Gemüt, V. 256); und daß sich diese Charakterisierung nicht nur auf seinen eventuellen Auftritt vor Marsilie bezieht, erkennt der Zuhörer unmittelbar darauf, als Roland, indem er Ganelon als Unterhändler vorschlägt, diesen höchst überflüssigerweise als seinen Stiefvater tituliert und durch sein Lachen erniedrigt. Wer ein mult pesme curage hat, kann sein iraszibles Temperament nicht kontrollieren, mag es sich um Affekte des Zorns, der Streitlust oder der Überheblichkeit handeln. Der Dichter betont auch im folgenden Rolands Neigung zu Zorn und Übermut. Die Entgegnung auf Ganelon nach der Zuerteilung der Nachhut nennt er ein ireement parler (V. 762); auch in Naimes Augen ist Roland in diesem Augenblick mult irascut (V. 777). Daß Roland mit einer Prahlrede kontert (V. 753ff.) und Karls besorgtes Ang~bot und eindringliche Warnung zurückweist (V. 778ff.), gehört in denselben Zusammenhang und hat mit ritterlichen oder gar christlichen Motiven nicht das geringste zu tun: in allen diesen Szenen spricht kein Heiliger in "gerechtem Zorn". Was nun das Geschehen in Rencesvals betrifft, so können wir die gewiß nicht gleichgültige Beobachtung machen, daß Roland dort von seinem mult pesme curage geläutert wird. Bereits beim Herannahen der Heiden scheint Roland nicht mehr ganz "derselbe" zu sein: er verbietet Olivier, vom Verräter Ganelon zu sprechen, weil dieser sein Stiefvater seieine überraschende Begründung nach den heftigen Auseinandersetzungen mit Ganelon. Mehr ist es zunächst nicht. Roland, der sich auf den Kampf mit den Heiden freut und in ihm einen Kampf um das Recht sieht, gemahnt an die unabdingbare Verpflichtung zu Vasallendienst (vasselage) und rühmlichem Handeln (los). Als Olivier ihn kurz darauf auf die gewaltige Übermacht der Heiden aufmerksam macht, hält er an der doppelten Verpflichtung auch in der neuen Situation fest und lehnt es ab, Oliviers Rat zu folgen und Karl um Hilfe herbeizurufen. Das ist eine "temperamentvolle", nicht von saveir (Klugheit) geleitete Entscheidung, die Olivier mehrfach rügt, zunächst indirekt (hinsichtlich des zu erwartenden Schadens treffe Karl keine "Schuld" und die Franken kein "Tadel"), später, indem er Roland estultie (Torheit) und legerie (V. 1725f.) vorwirft. Der Vorwurf besagt, daß Rolands Urteilskraft ge trübt <?page no="100"?> 84 Ulrich Mölk war. In der Tat war Rolands Entscheidung nicht frei von Überheblichkeit. Wir meinen keineswegs seine enthusiastische Mahnung zu vasselage und los noch die hiermit verbundene Kampflust und Todesbereitschaft, sondern seine Siegesgewißheit: für den Sieg übernimmt er vor den Franken ausdrücklich die Garantie (V. 1058: ]o vos plevis/ "Ich verspreche Euch" usw., vgl. 1069, 1081, 1108). Und es ist nun sehr interessant zu sehen, daß Roland in der folgenden Schlacht stets und unverrückbar an vasselage und los festhält, aber nicht mehr seine Siegesgewißheit artikuliert, und dies nicht erst, als die ersten Franken getötet werden. Als die Entscheidung gefallen ist, ruft der Erzbischof Turpin das Heer zur Beichte. Erst jetzt, unmittelbar vor der Schlacht, vernimmt der Zuhörer, daß die Franken nach Beichte, Absolution und Tod durch die Heiden als "heilige Märtyrer" (V. 1134: seinz martirs) ins "Paradies" (V. 1135) aufgenommen werden. Der Bußritus wird erwartungsgemäß nach zeitgenössischer Ordnung vollzogen, die indessen erst seit der J ahrtausendwende allgemeine Übung geworden war: der Beichte (Sündenbekenntnis) folgt unmittelbar die Rekonziliation (Absolution), erst dann die Satisfaktion (Bußleistung). 1132 Clamez voz culpes, si preiez Deu mercit! ("Bekennt eure Schuld und bittet Gott um Gnade! ") 1133 Asoldrai vos pur voz anmes guarir. ("Ich werde euch Absolution erteilen, um eure Seelen zu retten") 1138 Par penitence les cummandet a f erir. ("Als Buße befiehlt er ihnen, kräftig dreinzuschlagen") Bußleistung ist also der Kampf gegen die Heiden (vasselage), der das persönliche Seelenheil vor Gott und die Anerkennung als Märtyrer in der Christenheit sichert (los). Sündenfrei wie alle Franken (V. 1140: quites de ! ur pecchez) reitet Roland, das weiße Banner gen Himmel gestreckt, in strahlender Schönheit und lachend gegen die Heiden. In der Beichte und Absolution (die Bußleistung Rolands und der Franken ist exemplarisch und für den Zuhörer natürlich als Vorbild gedacht, zu dessen imitatio er aufgerufen ist) erkennen wir die notwendige Voraussetzung für die Erhebung Rolands zum Heiligen. Von seiner Siegesgewißheit ist jetzt nicht mehr die Rede, nicht während der siegreichen Attacken, nicht bei den gelungenen Racheaktionen. Roland trifft jetzt nur noch richtige Entscheidungen, reagiert besonnen auf Oliviers Zorn (V. 1722) und seinen Schwerthieb (V. 2000), beklagt, daß er die Franken, die "für ihn" (V. 1863, nicht: "durch ihn") gefallen sind, nicht habe beschützen können, sorgt für würdige Bestattung, ist demütig, aber nicht schuldbewußt. Die humilitas, die Payen in seinem Sterbegebet beobachtete und die Brault grundsätzlich für ihn beanspruchte, charakterisiert nicht nur den sterbenden, sondern den geläuterten Roland, gewiß aber noch nic ht den Roland in C6rdoba. Und die int egritas, nach <?page no="101"?> Der hl. Roland 85 Brault prinzipieller geistlicher Schmuck Rolands, zeichnet ihn erst während der Schlacht aus ("seine" Farbe "weiß" taucht als Farbe des Helms und des von ihm geführten Bannersnicht vor dem Sturmritt gegen die Heiden auf) und, besonders anschaulich, kurz vor seinem Tod. In der Gewißheit, für vasselage und los bis in den Tod eingestanden zu sein, reicht er, in einer Gebärde der Demut, dem herabgestiegenen Engel Gabriel den Handschuh. 3) Unsere Interpretation setzt voraus, daß die Szenenabfolge (1) Anmarsch der Heiden- (2) Rolands freudige Erwartung des Kampfes- (3) Feststellung der heidnischen Übermacht - (4) Rolands Entscheidung - (5) Beichte- (6) Beginn der Schlacht vom Autor genau berechnet ist. Die markante Position der Beichtszene ist gleichwohl bisher nicht aufgefallen. Wäre es dem Autor nur darauf angekommen, Rolands demesure darzustellen, hätte er auch eine andere Szenenabfolge wählen können, zumal Olivier mit seinem Rat keineswegs den unmittelbar bevorstehenden Kampf hinauszögern will (etwa 1 - 2 - 5 - 6 - 3 - 4 ). In vielen anderen Epen werden strategische Entscheidungen ohne erkennbaren Bezug auf den Zeitpunkt der Beichte oder Messe getroffen und schwillt das gegnerische Heer erst im Verlauf der Schlacht zu einer Übermacht an. Im provenzalischen Epos Ronsasvals zum Beispiel stellt Roland erst am zweiten Tag der Schlacht die Übermacht der Heiden fest und weigert sich erst nach Beichte und Wiederaufnahme des Kampfes, Oliviers Aufforderung zu entsprechen, übrigens mit dem aus dem Rolandslied bekannten Argument (V. 531ff.: Non plassa a Dieu, sa dis Rollan l'onrat,! Que per payans sia mos graylies cornatz,! Com Jay venayre que sobre'l senglar glat: "Es gefalle Gott nicht, das sagte der ehrenvolle Roland, daß mein Horn um der Heidenwillen ertöne, wie es der Jäger tut, der wegen des Wildschweins ins Horn stößt"). Das bedeutet natürlich auch, daß der Ronsasvals-Autor das Oxforder Rolandslied nicht mehr verstanden hat. Welcher spätere Autor hat es überhaupt verstanden? Es ist schon oft beobachtet worden, daß die jüngeren Bearbeiter des Stoffes erhebliche "Korrekturen" an der Oxforder Fassung vorgenommen haben. Es sind vor allem die von uns oben bezeichneten Kernprobleme (Widerspruch zwischen Rolands Schuld und seiner Heiligkeit/ providentielle Rechtfertigung der Niederlage), die in der Folgezeit anders gelöst wurden. Was das erste Problem angeht, konnte man Roland entweder von der Schuld entlasten und als völlig schuldlosen heiligen Glaubenskämpfer zeichnen (Pseudo-Turpin, Pfaffe Konrad) oder ihn unter möglicher Verdeutlichung seiner Schuld (im Ronsasvals beklagt Roland nach der Messe, daß der Glanz seines Schwertes Durendart getrübt ist, V. 195-8) zum reuevollen Sünder machen (Roland, ebenda, V. 1319f.: Car tantas ves m 'a fach erguelh falhirl En vifans ditz es en fatz descauzitz: "Denn so manches Mal hat mich Hochmut fehlen lassen, durch unhöfische Worte und <?page no="102"?> 86 Ulrich Mölk törichte Taten"). Das zweite Problem löst die Kaiserchronik mit dem knappen Hinweis auf Karls Sünden, der Pseudo-Turpin, indem er in ausführlichem Bericht das fränkische Heer schuldig werden läßt: einige Franken hatten unter Einwirkung des von Ganalonus mitgebrachten sarazenischen Weines mit christlichen und heidnischen Frauen in Runciavallis Unzucht getrieben; aber warum mußten denn außer den Übeltätern auch die Unschuldigen fallen? [...] noluit (sc. Deus) ut ad propriam patriam amplius redirent, ne forte in aliquibus delictis incurrerent. Etenim voluit illis pro laboribus suis coronam celestis regni per passionem impendere. Illos vero qui fornicati sunt martern permisit incurrere, quia per gladii passionem voluit illorum peccata delere. (cap. 21) ("Gott wollte nicht, daß sie in die Heimat zurückkehrten, damit sie nicht etwa irgendwelche Vergehen begingen. Denn er wollte ihnen für ihre Mühen die Krone des himmlischen Reichs durch den Tod verleihen. Jenen aber, die Unzucht getrieben hatten, gestattete er den Tod, weil er deren Sünden durch den Schwerttod tilgen wollte.") Natürlich haben die einen wie die anderen im Sterben zu Gott gebetet und ein Sündenbekenntnis abgelegt. Anders als im Rolandslied läßt sich Rotolandus im Pseudo-Turpin zu keiner legerie mehr hinreißen; er wird vor dem Geschehen in Spanien sogar durch eine heilige Wundertat ausgezeichnet (durch Gebet erreicht er den Einsturz der Mauern von Gratianopolis/ Grenoble) und wird nach seinem Tod als Heiliger verehrt. Zur Stunde des heidnischen Überfalls in Runciavallis hält er in der Ferne nach dem Feind Ausschau; wenig später stößt er, der Niederlage gewahr, sofort in sein Horn, um Karl herbeizurufen (der Hornruf erreicht Karl angelico ductu), sucht den Kampf, wird durch Wurfspieße und Steine tödlich verwundet, stirbt, am Morgen bereits wie alle anderenpugnatores durch Sündenbekenntnis und Kommunion gestärkt, nach langem Gebet und wird unter die sancti martires aufgenommen. Die "Korrektur" am Oxforder Rolandslied, das der Verfasser des Pseudo-Turpin kannte, ist offensichtlich. Ebenso klar ist aber, daß auch das Rolandslied an der Erhebung Rolands zum Heiligen keinen Zweifel läßt. Ist nun die Verehrung des "hl. Roland" vom französischen Epos ausgegangen oder vom lateinischen Text? Hat es überhaupt eine Heiligenverehrung gegeben? 4) Eine liturgische Rolandverehrung, für die in Frankreichim Gegensatz zu manch anderem epischen Heldenwährend des ganzen Mittelalters jeder offizielle Nachweis fehlt (Missalien, Breviere, Kalender), scheint um 1130 in Santiaga de Compostela aufgekommen zu sein. Das ergibt sich aus dem in und für Santiaga geschriebenen Codex Calixtinus, dessen viertes Buch ja der Pseudo-Turpin ist. Am Schluß dieses Buches stehen mehrere (unechte) Briefe des Papstes Calixt li. (gestorben 1124), deren erster den Todestag der "Märtyrer von Rencesvals" mit dem 16. Juni (XVI. Kaiendas julii) bezeichnet und für diesen Tag ein bestimmtes <?page no="103"?> Der hl. Roland 87 Officium und Meßformular vorschreibt. Auch im fünften Buch, dem Pilgerführer, ist von der Rolandverehrung die Rede, indem auf Rolands sacratissimum corpus in der Kirche zu Blaye und auf die über dem Felsen von Roncevaux errichtete Kirche hingewiesen wird, in beiden Fällen allerdings ohne die Erwähnung des Festtags. Auf den 16. Juni als Tag des heiligen Roland stoßen wir, nicht in Frankreich, sondern im deutschen Kaiserreich, erst wieder im 15. Jahrhundert6. Daneben taucht, vielleicht ebenfalls im 15. Jahrhundert, als Datum der 31. Mai (Acta Sanctorum, Mai VII, 411) auf, nie jedoch der 15. August, das historische Datum der Schlacht in den Pyrenäen. Von der liturgischen Verehrung ist die volkstümliche Verehrung Rolands als eines Heiligen zu unterscheiden. Sie ist in den verschiedensten Gebieten der Romania bezeugt, im Norden Portugals, in Katalonien, in Italien und auch in Frankreich. In der einschiffigen romanischen Kirche S. Crist6väo zu Rio Mau (östlich von P6voa de Varzim) aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zeigt ein Kapitell vor der Apsis eine Rolandsszene, wohl Rolands Tod; in der zeitgenössischen und späteren galicischportugiesischen Folklore gibt es nach Manuel Rodrigues Lapa manche Indizien für die "Kanonisierung Rolands durch das Volk"7. In einem spätestens 1184 verfaßten Lied des katalanischen Trobadors Guillem de Bergueda befindet sich Roland "am besten Ort des Paradieses" (V. 37: E paradis elluoc melhor), und bekanntlich hat auch Dante Roland ins Paradies versetzt (Par. 18,43). Die überraschendste ikonographische Darstellung des hl. Roland bietet das Glasfenster im Chor der Kathedrale zu Chartres, nicht nur wegen seiner "epischen" Ausführlichkeit und geistlichen Eindeutigkeit (Roland mit rotem Heiligenschein), sondern vor allem deswegen, weil der Künstler das Martyrium Rolands eng mit der Sünde Karls verbindet: die Niederlage in Rencesvals ist offenbar Strafe für den Inzestfrevel, den er durch Tränen und Reue sühnt, und Roland, dessen Handeln das sündenfreie Handeln des Kämpfers für den Glauben ist, tilgt den durch seine inzestuöse Geburt auf ihm lastenden Makel im heiligen Tod 8. Es ist lange bezweifelt worden, daß das Motiv des Inzests Karls mit seiner Schwester, dem Roland sein Leben verdankt, vor dem 13. Jahrhundert belegbar sei. Die Zweifel würden entfallen, wenn die Datierung, die Martin de Riquer für das Epos Ronsasvals ermittelt hat, auch für das in diesem Zusammenhang wichtige Textstück V. 1623-26 gilt (Karls heimliches Bekenntnis vor dem gefallenen nep und enfant)9, noch 6 Rita LEJEUNE! Jacques STIENNON, Die Rolandssage in der mittelalterlichen Kunst 1 (Brüssel1966) S. 423. 7 Manuel RODRIGUES LAPA, Li~öes de literatura portuguesa. Epoca medieval (Coimbra 4 1955) S. 155f. 8 L EJEUNE/ STIENNO N, Rolandssage (wie Anm. 6) S. 214. 9 Martin DE RI QUER, Chansonde Roland, Cantar de Roldan y el Roncesvalles Navarra (Barcelona 1983) S. 40 und Anm. 7. <?page no="104"?> 88 Ulrich Mölk gründlicher, wenn Aurelio Roncaglias These zutrifft, daß es sich hier nicht nur um ein episches Motiv, sondern um ein historisches Faktum handeltlO. Rita Lejeune hat 1961 in ebenso vorsichtiger wie eindringlicher Interpretation dargelegt, daß der Verfasser des Oxforder Rolandslieds, der im Gegensatz zum Pseudo-Turpin Rolands Vater nicht nennt, die Kenntnis der Inzestschuld Karls und wie wir hinzufügen wollen des Inzestmakels Rolands beim Publikum voraussetzt 11 . In dem Motiv der Inzestschuld und in dem Motiv des Inzestmakels könnten wir die Antwort auf die mehrfach von uns angesprochenen Schwierigkeiten gefunden haben, die der Text der Oxforder Fassung des Rolandslieds bietet. Die Inzestschuld Karls wäre gültige Begründung für die Niederlage, mit der Gott den Kaiser straft, und Rolands Makel wäre überzeugende Erklärung für den vom Dichter so auffällig gezeichneten pesme curage, der ihn ja von allen anderen Figuren des christlichen Lagers unterscheidet. Die im bösen Temperament sichtbare Seite des Makels würde durch die Beichte, der objektive Makel der inzestuösen Geburt würde durch extreme Bußleistung und Tod getilgt- Voraussetzung für die Erhebung zum Heiligen. Hagiographisch stößt eine solche Deutung auf keinerlei Bedenken: Inzestheilige gibt es nicht erst seit dem französischen Gregorius, sondern, jedenfalls in lateinischer Tradition, spätestens seit dem 10. Jahrhundert. Aus unserer Deutung ergibt sich, daß der Rolanddichter das Inzestmotiv in der epischen Tradition vorgefunden hat. Er spielt darauf an und setzt sich, sozusagen "zwischen den Versen", damit auseinander. Erst der Gregoriusdichter macht das Motiv zu einem in verschiedener Perspektive beleuchteten Thema, Thema nicht mehr eines Heldenepos, sondern eines legendenhaften Romans12. 10 Aurelio RONC AGLIA, Roland eil peccato di Carlomagno, in: Symposium in honorem Prof. M. de Riquer (Barcelona 1984) S. 315-347. 11 Rita LEJEUNE, Le peche de Charlemagne et Ia Chanson de Roland, in: Homenaje a Dirnaso Alonso 2 (Madrid 1961) S. 339-371. 12 Siehe hierzu meine folgenden Beiträge: Zur Vorgeschichte der Gregoriuslegende. Vita und Kult des hl. Metro von Verona (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. Philologisch-historische Klasse 4, Göttingen 1987); Über die altfranzösische Gregoriuslegende, in: Formen innerliterarischer Rezeption, hg. von Willfried FLOECK, Dieter STELAND/ Horst TURK (Wolfenbüttel1987) S. 91-98; La Vie de saint Gregoire. Motivanalyse und Motivgeschichte, in: Gattungsinnovation und Motivstruktur 2, hg. von Theodor WOLPERS (Göttingen 1992) S. 7-14. <?page no="105"?> Heiligsprechung und Tradition. Die Kanonisation Karls des Großen 1165, die Aachener Karlsvita und der Pseudo-Turpin LUDWIG VONES Es steht heute außer Frage, daß die Heiligsprechung Karls des Großen während der Weihnachtsoktav am 29. Dezember 1165 eine hochpolitische Brisanz besaß und auf Außenwirkung berechnet war, ging es doch im Endeffekt, glaubt man der neueren Forschung, um nichts Weniger als um die Etablierung eines "politischen Heiligen" für das staufisehe Imperium, in dem Friedrich Barbarossa eine Art "Alter Ego" sehen sollte, seinen bedeutendsten Vorgänger im Kaisertum, zumal der Sonntag Laetare als Tag der Erhebung zugleich der Krönungstag des Staufischen Kaisers und Davidstag gewesen war 1. Trotz den minutiösen Untersuchungen insbesondere von Jürgen Petersohn, Robert Folz und Odilo Engels sind die Motive, die diesen Vorgang bedingten, keineswegs eindeutig, so daß zweifellos von einer Mehrzahl an Beweggründen, ja von einem gleichzeitigen Zusammenspiel und Wechselspiel politischer und kirchenpolitischer Kräfte auszugehen ist 2. Nicht zuletzt die trotz man- I Vgl. dazu Werner GOEZ, Von Bamberg nach Frankfurt und Aachen. Barbarossas Weg zur Königskrone, Jahrbuch für fränkis ch e Landesforschung 52 (1992) S. 61-72. 2 Aus der Fülle der Literatur sollten besondere Beachtung finden: Robert FOL Z, Le souvenir et Ia legende de Charlemagne dans ! 'Empire germanique medieval (Paris 1950); Erich MEUTHEN, Kar! der Große - Barbarossa - Aachen. Zur Interpretation des Karlsprivilegs für Aachen, in: Kar! der Große. Lebenswerk und Nachleben, 4: Da s Nachleben, hg. von Werner BRAUNFELS / Percy Ernst S CHRAMM (Düsseldorf 1968 3) S. 54-76; D ERS ., Barbarossa und Aachen, Rheinische Vierteljahrsblätter 39 (1975) S. 28-59; Jürgen P ETERSOHN, Saint-Denis - W es tminster- Aachen. Die Karlstranslatio von 1165 und ihre Vorbilder, DA 31 (1975) S. 420--454; DERS., Die päpstliche Kanonisationsdelegation des 11. und 12. Jahrhunderts und die Heiligsprechung Karls des Großen, in: Proceedings of the Fourth International Congress of Medieval Canon Law (Citta del Vaticano 1976) S. 163-206; DERS., Kaisertum und Kultakt in der Stauferzeit, in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittela! ter, hg. vonJürgen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994) S. 101-146; Odilo ENGELS, "Des Reiches heiliger Gründer": Di e Kanonisation Karls d es Großen und ihre Beweggründe, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen, hg. von Hans <?page no="106"?> 90 Ludwig Vones eher bedeutender diplomatischer und literarischer Zeugnisse wenig ergiebige Quellenlage macht eine genaue zeitliche und sachliche Zuweisung solcher Beweggründe schwierig, sie ist vielleicht sogar kaum zu leisten, wenn man größtmögliche Gewißheit anstrebt. Nachweislich existiert kein eigenständiger, auf Verbreitung zielender Bericht über die Erhebung der Gebeine und die Akte der Kanonisation, so daß zumindest von einer eingeschränkten Propagandawirkung über den lokalen Bereich hinaus auszugehen ist, obwohl es sich doch um eine der bedeutendsten Heiligsprechungen des Mittelalters handelte, ja um die Vereinnahmung einer keineswegs frei verfügbaren Tradition, auf die bereits mehr als 150 Jahre zuvor Otto III. bei der Öffnung des Karlsgrabes zugegriffen hatte 3 vielleicht seinerzeit schon mit dem Gedanken an eine mögliche Heiligsprechung, gewiß aber mit dem Ziel, Karl den Großen "durch Wiederherstellung der sedes in städtischem Rahmen zu ehren" 4 -und die ihren über den Aachener Umkreis hinausweisenden Sinn nur finden konnte, wenn sie allgemein bekanntgemacht und durchgesetzt wurde. Die ausführlichsten Nachrichten über die Entdeckung und Erhebung der Gebeine Karls des Großen sowie über die nachfolgende Kanonisation finden sich in einer Königsurkunde vom 8. Januar 1166, die Friedrich Barbarossa eine Woche nach den Ereignissen zugunsten des Aachener Marienstifts und der Stadt Aachen ausstellen und in die er ein Dekret Karls des Großen über die Gründung des Stiftes, den Bau der Marienkirche, ihre Weihe durch Papst Leo III., ihre Ausstattung mit einer sedes regia, die Erhebung des locus regalis zum caput Gallit; _ trans Alpes, zur Krönungsstadt für seine Nachfolger sowie über die besonderen Rechte des Ortes inserieren ließ, das ihm offensichtlich von den Kanonikern des Marienstifts vorgelegt worden und das, wie wir heute wissen, eine Fälschung war 5. Heinrich Appelt, der Herausgeber der offiziellen Edition der Barbarossa-Diplomata in den MGH, hat in seiner Vorbe- MüLLEJANS (Aachen 1988) S. 37-46; DERS., Kar! der Große und Aachen im 12. Jahrhundert, in: Krönungen. Könige in Aachen. Geschichte und Mythos 1, hg. von Mario KRAMP (Aachen 2000) S. 348-356. 3 Vgl. Knut GöRICH, Otto III. öffnet das Karlsgrab in Aachen. Überlegungen zu Heiligenverehrung, Heiligsprechung und Traditionsbildung, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, hg. von Gerd ALTHOF F/ Ernst SCHUBERT (Vorträge und Forschungen 46, Sigmaringen 1998) S. 381-430; DERS., Kaiser Otto III. und Aachen, in: Krönungen. Könige in Aachen (wie Anm. 2) S. 275- 282. 4 Dazu v.a. Ludwig FALKENSTEIN, Otto III. und Aachen (MGH Sudien und Texte 22, Hannover 1998) S. 159-169, das Zitat aufS. 164. 5 DF I 502 = MGH Diplomara regum et imperatorum Germaniae 10: Friderici I. Diplomata, pars 2, ed. Heinrich APPELT (Hannover 1979) S. 430-434, Nr. 502, sowie mit ausführlichem Kommentar und einer kritischen Edition des Dekrets Karls des Großen Erich MEUTHEN (ed.), Aachener Urkunden 1101-1250 (Bonn 1972) S. 81-119, Nr . 1-2. <?page no="107"?> Heiligsprechung und Tradition 91 merkung zu dieser Urkunde zurecht bemerkt, daß "den eigentlichen Gegenstand des Diploms die Verbriefung der Privilegien des Stiftes und der Stadt Aachen (bildet)" und "es sich vom rechtlichen und diplomatischen Standpunkt aus nicht um eine Urkunde über die Heiligsprechung Karls des Großen (handelt), über die nur in der Narratio berichtet wird" 6 eine Beobachtung, die der Zustimmung der meisten Historiker, die sich mit der Heiligsprechung Karls beschäftigt haben, gewiß sein darf. In dieser Narratio wird Karl der Große als fortis athleta bei der Verbreitung des christlichen Glaubens und der Bekehrung heidnischer Völker bezeichnet, als verus apostolus, der Sachsen, Friesland und Westfalen, aber auch die Hispani und die Wandali, d.h. insbesondere Katalonien, mit Wort und Schwert zum katholischen Glauben bekehrt habe und durch die dabei erduldeten Mühsale, gefahrvollen Kämpfe sowie seine tägliche Bereitschaft, für die Bekehrung der Ungläubigen sein Leben hinzugeben, zum Märtyrer geworden sei. Nun soll er aber als erwählter sanctissimus confessor, der nach seinem Tod als heiliger und wahrer Bekenner des Glaubens im Himmel gekrönt worden ist, auch auf Erden die ihm gebührende Verehrung erhalten, weshalb auf Bitten König Heinrichs II. von England, mit Zustimmung und Autorität Papst Paschalis' 111. sowie auf Rat aller weltlichen und geistlichen Fürsten ein feierlicher Weihnachtshoftag zu Aachen zur Erhebung, Erhöhung und Kanonisierung seiner Gebeine veranstaltet worden sei. Dort sei am 29. Dezember sein Körper, durch göttliche Eingebung, eine revelatio divina Friedrich Barbarossas, entdeckt? , zum Lob und Ruhm Christi, zur Erstarkung des römischen Reiches sowie zum Heil der Kaiserin Beatrix und ihrer Söhne Friedrich und Heinrich unter Teilnahme von Fürsten, Klerus und Volk mit Hymnen und Lobpreisungen erhoben und erhöht worden. Trotz allen Wortreichtums der Urkunde, der sich dann noch auf die Bestätigung der Privilegien Aachens erstreckt, das als caput civitatum und caput et sedes regni Theutonici bezeichnet wird, erfahren wir nichts Genaueres über die eigentlichen Vorgänge und Zeremonien, die zweifellos einen solchen Vorgang von höchster symbolischer Bedeutung -nichts weniger als die Erhebung Karls des Großen zum Reichsheiligen 6 Ibd., S. 432. 7 GöRICH, Otto III. öffnet das Karlsgrab (wie Anm. 3), S. 419, weist eigens darauf hin, daß eine solche re v elatio divina im Vorfeld der Wiederauffindung des Karlsgrabes "der Legitimität d er beabsichtigten Kultetablierung geradezu geschuldet (war)". Zum Karlsgrab selbst, dessen Lage nach 1000 angeblich wieder in Vergessenheit geraten war, so daß die Auffindung der Gebeine 1165 als Wunder angesprochen werden konnte, vgl. außer GöRICH, S. 393ff., v.a. Helmut BEUMANN, Grab und Thron Karls des Großen zu Aachen, in: Kar! der Große. Lebenswerk und Nachleben 4: Das Nachleben, hg. von Werner BRAUN FELS/ Percy Ernst SC H RAMM (Düsseldorf 19683) S. 9-38 (Ndr . in: D E RS ., Wissenschaft vom Mittelalter. Ausgewählte Aufsätz e, Köln- Wien 1972, S. 347- 376). <?page no="108"?> 92 Ludwig Vones -begleitet haben müssen, nimmt man nicht einige spärliche, aber zeitnahe Nachrichten der Kölner Königschronik, der Annalen von Cambrai und der Chronik des Gaufred von Breuil hinzu, Friedrich habe eigenhändig die Gebeine Karls des Großen aus dem Sarkophag erhoben, sie in ein goldenes Behältnis, ein neues Reliquiar, zur Ruhe gebettet; zudem seien feierlich die Karlsfeste verkündet worden 8. Selbst Namen weiterer Teilnehmer über den engeren Kreis der kaiserlichen Familie hinaus können nur den Zeugenlistenzweier zur gleichen Zeit ausgestellten Diplome für die burgundische Abtei Bonne-Esperance und die Bürger von Duisburg entnommen werden 9: neben dem Erzkanzler und Erzbischofselekten Christian von Mainz sowie dem Erzbischof Rainald von Dassei als Metropoliten von Köln erscheinen die Bischöfe von Lüttich, Paderborn, Minden, U trecht und Cambrai sowie vor allem niederlothringische Herzöge und Grafen, die eindeutig dem Umkreis von Kaiserin Beatrix zuzurechnen sind, so daß man zumindest im Kern von einer Versammlung der Kölner Kirchenprovinz mit synodalartigem Charakter und des ihr zugehörigen bzw. benachbarten Adels auszugehen hat, will man nicht den Begriff der Reichsversammlung überstrapazieren. Daß ebenfalls noch Graf Philipp von Flandern anwesend war und bei dieser Gelegenheit ein Freundschaftsbündnis mit der Kaiserin geschlossen haben soll, fügt sich zwanglos in diesen Rahmen ein 10 . Dies alles unterstreicht nicht nur den primär lokalen und regionalen Charakter der Aachener Privilegierung, sondern verweist gewiß auch auf den ursprünglichen Anstoß der gesamten Aktion, den Vorstoß des Aachener Marienstifts und der Stadtgemeinde zur Sicherung ihrer überragenden Rechtsstellung, die ja gerade den benachbarten Episkopat und Adel betreffen mußte. Grundlage dieser vermeintlichen Rechtsstellung war jedoch das eingangs erwähnte, inserierte Karls-Dekret, in dem der sanctissimus imperator die herausragende Bedeutung der sedes regni trans Alpes und des caput omnium civitatum et provinciarum Galli~ festgelegt haben sollteeine offenbare Fälschung, der nun durch ihre Insertion in ein Kaiserdiplom und ihre unmittelbare Verbindung mit der Heiligsprechung Karls 8 MGH SS 16, ed. Georg Heinrich PERTZ (Hannover 1859) S. 538. Vgl. P ETERSOHN, Saint-Denis- Westminster- Aachen (wie Anm. 2), S. 425f. mit genauer Auflistung der weiteren Quellenstellen. 9 D F I 500 von 1165 Dez. 20 (= MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 10,2, S. 427-429, Nr. 500) und DF I 501 von 1166 Jan. 8 (MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 10,2, S. 429-430, Nr. 501; MEUTHEN, ed., Aachener Urkunden, S. 196-198, Nr. 31). 10 Vgl. dazu und zum politischen Hintergrund jetzt Ursula VONES-LIEBENSTEIN, Vir uxorius? Barbarossas Verhältnis zur Comitissa Burgundiae im Umkreis des Friedens von Venedig, in: Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, hg. von Stefan WEINFURTER (Mittelalter-Forschungen 9, Stuttgart 2002) S. 189- 219, bes. S. 203ff. <?page no="109"?> Heiligsprechung und Tradition 93 des Großen eine unanfechtbare Rechtskraft gegeben wurde. Diese Fälschung war allerdings nicht eigens für diese Gelegenheit hergestellt, sondern bereits 1158 Papst Hadrian IV. von den Aachener Kanonikern zur Bestätigung vorgelegt worden 11 ; ja sie scheint sogar schon 1147 im Skriptorium des Klosters Stablo vorhanden gewesen zu sein und war vielleicht Anfang des Jahrhunderts unter der Regierung des salischen Kaisers Heinrich V. entstanden, um Aachen in seiner Konkurrenz mit dem Mainzer Erzstuhl um die Krönungsrechte zu stärken 12. Barbarossa bestätigte also anläßlich der Heiligsprechung ein Instrument, das das steigende Selbstbewußtsein des Aachener Stifts mit der umgebenden Stadt ebenso widerspiegelte wie den Kampf beider Institutionen um ihre Selbstbehauptung gegenüber möglichen Konkurrenten. Mittlerweile war jedoch der mächtigste dieser Konkurrenten die französische Königsabtei Saint-Denis geworden, die es seit den Tagen Abt Sugers verstanden hatte, sich neben ihrer Förderung durch das Königtum und ihrer engen Verbindung zur kapetingischen Königsideologie unter anderem ebenfalls eines gefälschten Karlsdiploms zu bedienen, um ihre Stellung zum Haupt aller Kirchen des Karlsreiches und zum Krönungsort aufzuwerten, den sandionysischen Abt zur entscheidenden Instanz für alle Reichsbischöfe zu machen, diesem zudem die Schutzherrschaft über das gesamte Reich zuzusprechen und schließlich "die Unabhängigkeit des französischen Königtums vom Kaiser" zum Ausdruck zu bringen13. Als die Reliquien des heiligen Dionysius 1144 aus Anlaß der Neuweihe des Chores der Klosterkirche durch eine feierliche Überführung unter aktiver Beteiligung des französischen Königs von der Krypta in den Reliquienaltar des Hochchores gebracht worden waren, hatte dieser sich aus kapetingischer Sicht endgültig als Schutzheiliger des Reiches etabliert, und unzweifelhaft ist diese Translation, über die Suger von Saint-Denis im Libellus de consecratione ecclesiae sancti Dionysii genauestens berichtet 1 4, neben der Heiligsprechung des angelsächsischen Kö- 11 MEUTHEN (ed.), Aachener Urkunden (wie Anm. 5), S. 185-193, Nr. 29 = JL 10421 und 10424. 12 Siehe dazu Manfred GROTEN, Studien zum Aachener Karlssiegel und zum gefälschten Dekret Karls des Großen, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 39 (1986) s. 5-30. 13 Vgl. Manfred GROTEN, Die Urkunde Karls des Großen für Saint-Denis von 813 (D 286), eine Fälschung Abt Sugers? , Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 108 (1988) S. 1-36; Joachim EHLE RS, Kontinuität und Tradition als Grundlage mittelalterlicher Nationsbildung in Frankreich, in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin KINTZINGER/ Bernd SCHNEIDMÜLLER (Berliner Historische Studien 21, Berlin 1996) S. 288-324, das Zitat findet sich aufS. 299. 14 Ed. Albert LECOY DE LA MARCHE, CEuvres completes de Suger (Paris 1867, Ndr. Bildesheim 1979) S. 213-238; Erwin PANOFSKY, Abbot Suger on the Abbey Church of St.-Denis and its Art Treasures (Princeton 2 1979) S. 82-120; Abt Suger von Saint-Denis. De consecratione, hg. von Günter BINDINGI Andreas SPEER (Köln 1995). <?page no="110"?> 94 Ludwig Vones nigs Eduards des Bekenners von 1161 eines der Vorbilder für die Aachener Begebenheiten von 1165 gewesen 15. Stellten die kapetingischen Ansprüche, die Karl den Großen zugunsten des caput omniumecclesiarum Saint-Denis vereinnahmen wollten, angesichts der Schwäche des französischen Königtums um die Mitte des Jahrhunderts höchstens eine latente Bedrohung dar, so änderte sich dies mit dem Ausbruch des alexandrinischen Schismas 1159, als die staufisehe Politik zunehmend in Bedrängnis geriet und Barbarossa sich Verbündete suchen mußte 16 . Der aussichtsreichste Bündnispartner war König Heinrich Il. von England, mit dem der Reichskanzler Rainald von Dassei intensive Verhandlungen führte und dessen Anerkennung des Staufischen Papstes Paschalis III. man im Juni 1165 durch die Ablegung der Würzburger Eide gewonnen zu haben glaubte 17 . Bei dieser Gelegenheit hatte Barbarossa in einem wohl von Rainald von Dassei zumindest mitverfaßten Rundschreiben dem französischen König vorgeworfen, "ihm im Bunde mit dem ,Reichsfeind Roland' seinen honor imperialis entreißen" zu wollen18, womit eindeutig auf die immer stärker in den Vordergrund drängende Karlstradition und ihre Ausprägung in der Chanson de Roland sowie anderen Chansons de Geste hingewiesen wird. Von hier aus betrachtet, erhält die nur ein halbes Jahr später stattfindende Heiligsprechung des Karolingers über die Aachener Bezüge hinaus eine Spitze gegen das kapetingische Königtum und diente der Absicherung des Staufischen Kaisertums in der Tradition der Karlsnachfolge, vielleicht auch der Sicherung der Gottunmittelbarkeit d es Kaisertums und einer unabhängigen, zugleich religiös fundierten Legitimation der kaiserlichen Würde, wodurch angesichts der grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen imperium und sacerdotium in letzter Konsequenz eine Eigenständigkeit der weltlichen Herrschaft behauptet werden konnte 19 daß dies einen Heiligen als Begründer des Kaisertums erforderte, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Bedenkt man die enorme Resonanz, die nur kurze Zeit zuvor die Translation der Reliquien der Heiligen Drei Köni ge von Mailand 15 Vgl. PETERSOHN, Saint-Denis- Westruinster- Aachen (wie Anm. 2), pass. 16 Siehe jetzt zu den Einzelheiten Johannes LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 16, Köln-Weimar- Wien 1997) . ll Vgl. Wolfgang GEORGI, Friedrich Barbarossa und die auswärtigen Mächte. Studien zur Außenpolitik, 1159-1180 (Europäische Hochschulschriften 442, Frankfurt am Main 1990) S. 117ff., 140ff.; Jens AHLERS, Die Welfen und die englischen Könige 1165-1235 (Hildesheim 1987) S. 44ff. 18 DF I 480 (S. 396, Z. 28-32). Vgl. LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa (wie Anm. 16), S. 167ff.; zum erweiterten Bedeutungsumfeld des honor-Begriffes s. jetzt auch Knut GöRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12 . Jahrhundert (Darmstadt 2001). 19 Siehe ENGELS, Des Reiches heiliger Gründer (wie Anm. 2), bes. S. 44f. <?page no="111"?> Heiligsprechung und Tradition 95 nach Köln durch Rainald von Dassei und ihre Etablierung als Reichsheilige gefunden hatte20, dann scheint klar, daß nun nochmals in bedrängter Situation die Heiligsprechung eines gewissermaßen "bereitstehenden" Kaisers, der bisher in zunehmendem Maße von der französischen Seite vereinnahmt, aber mittlerweile auch in der Staufischen Kanzlei und Propaganda immer stärker instrumentalisiert worden war21, ins Auge gefaßt wurde, um das gefährdete staufisehe Kaisertum zu festigen, denn gerade jetzt war es Barbarossas schärfstem Widersacher Alexander III. gelungen, nach Rom zurückzukehren, ein Erfolg, der diesen schon bald veranlassen sollte, mit dem byzantinischen Basileus Manuel Komnenos in Verhandlungen über die Restituierung der Romani corona imperii einzutreten und somit dessen Rechte auf die Herrschaft über Rom und Italien zumindest zu diskutieren, wenn die Initiative auch letztlich im Sande verlaufen sollte 22 . Zudem taucht gerade zum Ende dieses Jahres, also 1165, in einem Schreiben aus dem Umkreis des Erzbischofs von Canterbury an Alexander III. die Nachricht über ein Gerücht auf, die Erzbischöfe von Trier, Magdeburg und Salzburg hätten sich zusammen mit einigen ihrer Suffraganbischöfe sowie manchen bedeutenden Herzögen und weiteren Adligen verschworen, einen neuen Kaiser zu wählen, wenn die Entscheidungen Barbarossas über den Fortgang des Schismas und die libertas Alemanniae nicht ihren Vorstellungen entsprächen 2 3. Die Nachricht selbst entbehrt nach einhel- 20 Hans HOFMANN, Die Heiligen Drei Könige. Zur Heiligenverehrung im kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben des Mittelalters (Bonn 1975), bes. S. 96ff., 302ff., und Odilo ENGELS, Die Reliquien der Heiligen Drei Könige in der Reichspolitik der Staufer, in: Die Heiligen Drei Könige. Darstellung und Verehrung (Köln 1982) s. 33-36. 21 Vgl. Gottfried KOCH, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jh. (Köln-Wien 1972) S. 209ff.; D ERS ., Sacrum Imperium. Bemerkungen zur Herausbildung der Staufischen Herrschaftsideologie, in: Ideologie und Herrschaft im Mittelalter (Darmstadt 1982) S. 268 - 302. 22 Liber Pontificalis 2, ed. Louis DUCHESNE (Paris 1892) S. 415, Z. 10. Vgl. LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa (wie Anm. 16), S. 171, 175ff. Seinerseits hatte Barbarossa in einem Schreiben an Manuel die Behauptung aufgestellt, "einen Herrschaftsanspruch nicht nur auf das Imperium Romanum, sondern auch auf das regnum Greci~t zu haben, denn die monarchia der Stadt Rom sei durch die Eroberung Roms an seine Vorgänger gekommen und dann auf ihn selbst übertragen worden". Siehe Hans von KAP-HERR, Die abendländische Politik Kaiser Manuds mit besonderer Rücksicht auf Deutschland (Diss. Straßburg 1881) S. 156f.; Odilo ENGELS, Friedrich Barbarossa im Urteil seiner Zeitgenossen, in: DERS., Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert (Sigmaringen 1996 2) S. 225-245, das Zitat aufS. 231. 23 Regesta Imperii 4,2,2, hg. von Ferdinand ÜPLL (Wien-Köln 1991) S. 243-244, Nr. 1533; Ulrich PARLOW, Die Zähringer. Kommentierte Quellendokumentation zu einem südwestdeutschen Herzogsgeschlecht des hohen Mittelalters (Stuttgart 1999) S. 282, Nr. 445 . <?page no="112"?> 96 Ludwig Vones liger Meinung der Forschung jeglicher Grundlage, doch konnte allein schon das Gerücht, drang es, wie angesichts der engen staufisch-englischen Verbindungen zu erwarten, an den Kaiserhof, dort für beträchtlichen Aufruhr sorgen und zumindest einen zusätzlichen Anstoß zur Heiligsprechung Karls des Großen geben. Andererseits könnte ein solcher Hintergrund angesichts der Staufischen Bündnis- und Heiratsverhandlungen mit England sowie dem von rücksichtsloser Polemik durchsetzten Meinungskampf im Umkreis der Würzburger Eide 24 eine Erklärung für den bisher trotz des gemäß Otto von Freising zwischen Kaiser und englischem König bestehenden Einvernehmens im Sinne einer confoederatio et amicitia 25 nur schwer zu erklärenden Umstand bieten, daß die Heiligsprechung auf Bitten, petitione, Heinrichs II . erfolgte. Auf jeden Fall wird deutlich, im Brennpunkt wie mannigfacher Problemfelder die Heiligsprechung stand und wie wichtig die von ihr ausgehende Ausstrahlung sowohl für die Aachener Belange als auch für die staufisehe Kaiserherrschaft sein mußte. Aber gerade diese übergreifende Bedeutung und die damit verknüpfte Propagandawirkung ließ Widerspruch oder gar Ablehnung erwarten und erforderte ihre völlige Absicherung gegenüber möglichen Einwänden. Obwohl im unmittelbaren Umkreis der Heiligsprechung keine direkte Kritik nachgewiesen werden kann, hat man wiederholt die Frage aufgeworfen, ob ein Akt von solcher Geltung überhaupt ohne direkte Beteiligung des Papstes durchgeführt werden und trotzdem volle kirchenrechtliche Anerkennung beanspruchen könne 26 . D a man sich jedoch noch in einer Epoche befand, in der die Normen für eine Kanonisation keineswegs kirchenrechtlich verbindlich festgelegt waren, und selbst bei den bald durch Alexander III. einsetzenden Versuchen, Heiligsprechungen allein dem Apostolischen Stuhl zu reservieren, kein eindeutiger Bezug zur für ihn gewiß provozierenden Karlskanonisation hergestellt werden kann, ist von der kanonischen Gültigkeit der Vorgehensweise auszugehen, zumal durch die offensichtlich eingeholte Zu- 24 VgL dazu jetzt Hanna VOLLRATH, Lüge oder Fälschung? Die Überlieferung von Barbarossas Hoftag zu Würzburg im Jahr 1165 und der Becket-Streit, in: Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, h g. v on Stefan WE IN F URT ER (Mittelalter-Forschungen 9, Stuttgart 2002) S. 149-171. 25 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici, ed. Georg WAI TZ , MGH Scriptores re rum Germanicarum in usum scolarum (Hannover 1912; Ndr. 1978) S. 350; Otto von Freising - Rahewin, Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, hg. von Franz-Josef SCHMA- LE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 18, Darmstadt 1974) s. 404--406. 26 Zu den kirchenrechtlichen Grundlagen einer Heiligsprechung und ihrer Entwicklung im Allgemeinen s. Markus SIEGER, Die Heiligsprechung. Geschichte und heutige Rechtsgrundlage (Würzburg 1995) bes. S. 49ff., 57ff., und insbes. PETE RSOHN, Di e päpstliche Kanonisationsdelegation (wie Anm. 2), pass. <?page no="113"?> Heiligsprechung und Tradition 97 stimmung des abwesenden Paschalis III. die Kriterien für eine bisher durchaus übliche delegierte Kanonisation erfüllt waren. Bei einem solchen Vorgehen mußte die Erlaubnis des Papstes keineswegs eingeholt werden, oft war aber damit eine Bitte um Prüfung der Voraussetzungen verbunden. Angesichts der komplizierten Beziehungen zwischen Frankreich und Reich kaum verwunderlich 27, reagierte wiederum der französische Königtrotz der Spitze gegen Saint-Denis überhaupt nicht, doch sollte das Schweigen bis weit ins 14.Jahrhundert andauern und ungeachtet der stets zunehmenden Karlstradition dann erst nach dem Scheitern des Staufischen Kaisertums Karl als Heiliger auch für Frankreich akzeptabel werden 28. Der nach 1180 formulierte ideologische Anspruch der kapetingischen Dynastie auf den reditus regni Franeorum ad stirpem Karoli, der Rückkehr des Reiches der Franken zum Geschlecht Karls des Großen, sollte auf genealogischer Ansippung beruhen 29 und stellte eine subtile Replik auf den politischen Heiligen dar. Im Reich wiederum fand der Karlskult vor allem im Aachener Umkreis eine weitere und im Staufischen Herrschaftsbereich eine eher lokale und begrenzte Verbreitung, er bedurfte sowohl einer stärkeren Propagierung 2? Vgl. dazu neben Kar! Ferdinand WERNER, Das hochmittelalterliche Imperium im politischen Bewußtsein Frankreichs (10. -12 . Jahrhundert), Historische Zeitschrift 200 (1965) S. 1-60, sowie Bernd SC HNEIDMÜLLER, Regni aut ecclesie turbator. Kaiser Heinrich V in der zeitgenössischen französischen Geschichtsschreibung, in: Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern. Geistige Auseinandersetzung und Politk, hg. von Pranz ST AAB (Speyer 1994) S. 195-222, nun noch Rolf GROßE, Kaiser und Reich aus der Sicht Frankreichs in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in: Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, hg. von Stefan WEINFURTER (Mittelalter-Forschungen 9, Stuttgart 2002) S. 172-188. 28 Siehe zu diesem Thema EHLERS, Kontinuität und Tradition (wie Anm. 13), und DERS., Karolingische Tradition und frühes Nationalbewußtsein in Frankreich, Francia 4 (1976) S. 213- 235; Bernd S CHNEIDMÜLLER , Nomen patriae. Die Entstehung Frankreichs in der politisch-geographischen Terminologie (10. -13. Jahrhundert) (Nationes 7, Sigmaringen 1987); Bernd BASTERT, Heros und Heiliger. Literarische Karlsbilder im mittelalterlichen Frankreich und Deutschland, in: Kar! der Große und das Erbe der Kulturen, hg. von Pranz-Reiner ERKENS (Berlin 2001) S. 197-220, sowie Ludwig VONES, Zwischen Roncesvalles, Santiaga und Saint-Denis. Karlsideologie in Spanien und Frankreich bis zum Ausgang des Mittelalters, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 104/ 105 (2002/ 2003 = Kar! der Große und sein Nachleben in Geschichte, Kunst und Literatur), S. 577-635, dessen Ergebnisse hier nicht mehr aufgenommen werden konnten, und allg. zur Entwicklung des Karlskultes Max K ER- NER, Kar! der Große. Entschleierung eines Mythos (Köln-Weimar-Wien 2000). 29 Vgl. dazu Kar! Ferdinand WERNER, Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des "Reditus regni Franeorum ad stirpem Caroli", Welt als Geschichte 12 (1952) S. 203-225; Gabrielle M. SPIEGEL, The Reditus regni ad stirpem Karoli Magni: A new Iook, French Historical Studies 7 (1971) S. 145-174 (auch in: DIES., The Past as Text. The Theory and Practice of Medieval Historiography, Baltimore-London 1997, S. 111-137); Jacques KRYNEN, L'empire du roi. Ideeset croyances politiques en France, XIne-xve siede (Paris 1993). <?page no="114"?> 98 Ludwig Vones als auch einer zusätzlichen Rechtfertigung, da der Karolinger angesichts des von ihm ausgeübten Waffenhandwerks, einer Vielzahl von kriegerischen Unternehmungen und mancher blutigen Taten kein unproblematischer Heiliger war30. Diesen Zielen sollte die wohl nach 1170 im Umfeld des Staufischen Hofes und der Kanzlei von einem anonymen Verfasser, vielleicht dem kaiserlichen Hofkanzler und Aachener Propst Gottfried von Spitzenberg auf Anordnung Friedrich Barbarossas zusammengestellte Aachener Karlsvita De sanctitate meritorum et gloria miraculorum beati Karoli magni ad honorem et laudem nominis dei dienen 31 . Sie stellt keine originelle Leistung dar, sondern schöpfte als lose Kompilation aus den verschiedensten Zeugnissen zur Geschichte Karls des Großen; darunter finden sich neben dem Karls-Dekret die Vita Karoli Magni Einhards, Thegans Vita Hludovici, die Chronik von Aniane, die Lorscher Annalen, die Weltchronik des Regino von Prüm, die Historia ecclesiastica des Hugo von Fleury, u.a.m. Ihre Intention lag nicht nur in einer Erhöhung der Propagandawirkung, deren geringes Ausmaß man vielleicht mittlerweile erkannt hatte, sondern auch in einer nachträglichen Rechtfertigung der Heiligsprechung, vielleicht um sie gegen laut gewordene Vorwürfe zu verteidigen. Solche Vorwürfe konnten sich vor allem auf das in der Barbarossaurkunde behauptete Märtyrertum Karls beziehen, dessen Begründung aus der Heimsuchung, den gefahrvollen Schlachten und dem täglichen Wunsch, für die Sache des Glaubens zu sterben, schon dort eher schwergefallen zu sein scheint; sie konnten aber auch die eigentliche Verbreitung des christlichen Glaubens auf der Iberischen Halbinsel durch die Unternehmungen des Karolingers in Zweifel ziehen, da gerade das spektakuläre Scheitern seines Zaragoza-Unternehmens Eingang in die Heldensage gefunden hatte32. Zu diesem Zweck integrierte der Verfasser der Aachener Karlsvita zwei ihm bekannte Zeugnisse in seine Darstellung. Zum einen zog er, leicht gekürzt, die gemäß neueren Erkenntnissen nach der Mitte des 11. Jahrhunderts entstandene, zur sandionysischen Überliefe- 30 Zur Verbreitung des Karlsku! tes im Reich und in Frankreichs. Robert FOLZ, Aspects du culte liturgique de saint Charlemagne en France, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 4: Das Nachleben, hg. von Werner BRAUNFELS/ Percy Ernst SCHRAMM (Düsseldorf 19683) S. 77-99, und DERS., Etudes sur le culte liturgique de Charlemagne dans ! es eglises de ! 'Empire (Paris 1951) sowie Matthias ZENDER, Die Verehrung des Hl. Karl im Gebiet des mittelalterlichen Reiches, in: Kar! der Große 4: Das Nachleben (s.o.), S. 100-112, und Dietrich KöTZSCHE, Darstellungen Karls des Großen in der lokalen Verehrung des Mittelalters, ebd. S. 157-214. 3! Ed. Gerhard RAUSCHEN, Die Legende Karls des Grossen im 11. und 12 . Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 7, Leipzig 1890) s. 17-93. 32 Zu diesen Traditionssträngen vgl. künftig VONES, Karlsideologie in Spanien und in Frankreich (wie Anm. 28), sowie BASTERT, Heros und Heiliger (wie Anm. 28). <?page no="115"?> Heiligsprechung und Tradition 99 rung zählende Descriptio clavi et corone Domini heran33, in der Karl, der magnus imperator rex Gallie, als der erwartete Befreier Jerusalems gefeiert, ihm sogar die Einnahme der Stadt zugeschrieben wurde und in der er von seinem Zug ins Heilige Land zahlreiche, vom byzantinischen Basileus geschenkte Reliquien aus Konstantinopel mitgebracht haben sollte. In der Rezeption einer solchen Darstellung konnte Karl, gewissermaßen dem "Zeitgeist" entsprechend, als Kreuzfahrer im klassischen Sinn verstanden werden, dessen Hauptziel im Leben ganz auf die Befreiung Jerusalems gerichtet war, was der Vorstellungswelt der Staufischen Zeitgenossen in höchstem Maße entgegenkommen mußte 34 . Für die Aachener Belange folgenreicher und traditionsbildender sollte sich die Benutzung einer weiteren Quelle erweisen, der zwischen 1130 und 1140 entstandenen Historia Turpini bzw. Historia Karoli Magni et Rotholandi, der sogenannten Chronik des Pseudo- Turpin, die sich als viertes Buch im Liber Sancti]acobi der Jakobuskirche integriert findet, als dessen älteste Handschrift wohl der zwischen 1160 und 1170 in Santiago de Compostela angefertigte Codex Calixtinus gelten muß35. Hier beschreibt angeblich der Erzbischof Turpin von Reims (748/ 49-794), der vorher Mönch in Saint- 33 "Descriptio qualiter Karolus Magnus clavum et coronam Domini a Constantinopoli Aquisgrani detulerit qualiterque Karolus Calvus hec ad Sanctum Dyonisium retulerit", ed. Gerhard RAUSCHEN, Die Legende Karls des Grossen (wie Anm. 31), S. 95-125; zur neuen Datierung der bisher um 1100 angesetzten Descriptio s. jetzt Rolf GROßE, Reliques du Christ et foires de Saint-Denis au xi e siede. Apropos de Ia Descriptio clavi et corone Domini, Revue d'Histoire de l'Eglise de France 87 (2001) S. 357-375, und DERS., Saint-Denis zwischen Adel und König. Die Zeit vor Suger (1053-1122) (Beihefte der Francia 57, Stuttgart 2002) S. 42-54. 34 Zur Entstehung des Kreuzfahrerideals im Laufe des 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts s. jetztJean FLORI, La guerre sainte. La formation de l'idee de croisade dans l'Occident chretien (Paris 2001) pass., der die frühere Forschung integriert. 35 Historia Turpini (= Liber IV), Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, ed. Klaus HER- BERS/ Manuel SANTOS NOTA (Santiago de Compostela 1999) S. 193-229; eine limitierte Faksimile-Edition des Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus. Liber IV erschien Santiago de Compostela 2001 und ermöglicht eine genaue Prüfung des Textes; fernerhin: Liber Sancti J acobi. "Codex Calixtinus". Libro IV. Edici6n en versi6n latina de Klaus HERBERS y Manuel SA N TOS NorA. Traducci6n al castellano por los profesores A. MORALEJO- C. TORRES- J. FEO (Santiago de Compostela 2001). Zum Codex Calixtinus s. vor allem Manuel C. DfAZ Y DfAZ, EI C6dice Calixtino de Ia catedral de Santiago. Estudio codicol6gico y de contenido (Santiago de Compostela 1988); zu den weiteren Pseudo-Turpin Überlieferungen Albert HÄMEL, Überlieferung und Bedeutung des Liber Sancti Jacobi und des Pseudo-Turpin, Sitz un gsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 1950, Heft 2 (München 1950) S. 1-75; DERS., Der Pseudo-Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß hg. von Andre de MANDACH, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 1965, Heft 1 (München 1965); Hans-Wilhelm KLEIN, Die Ch ronik von Kar! dem Grossen und Roland. Der lateinische Pseudo-Turpin in den Handschriften aus Aachen und Andernach (München 1986). <?page no="116"?> 100 Ludwig Vones Denis und Abt von Saint-Remi in Reims gewesen war, die Taten Karls des Großen in Spanien. Man integrierte dabei neben den Motiven der Chansonde Roland französische und hispanische Traditionen, die aus den sandionysischen und Compostellaner Überlieferungen stammten, und stellte vor allem den karolingischen Kaiser prononciert als Spanienkämpfer dar. Schon in der Barbarossaurkunde hatte es zahlreiche Anklänge an den entsprechenden Text des Pseudo-Turpin in der Langfassung gegeben, deren markantester sich auf die Möglichkeit bezog, durch Leiden auch ohne Opfertod zum Märtyrertum gelangen zu können36. Ohne Einschränkung hatte man solche, letztlich augustinischen Gedankengänge auf Karl den Großen übertragen. In der Karlsvita finden sich, eingeleitet von dem Schreiben Turpins an einen Aachener Dekan Leobrand, in sieben aus der Kurzfassung der Historia Turpini, die man in der Überlieferung von Saint-Denis gefunden haben wollte, mit einigen Auslassungen und Abänderungen übernommenen Kapiteln die Beziehungen Karls zu Spanien, dem Heiligen Jakobus und der Jakobuskirche durch Visionen der Sternenstraße und des Compostellaner Heiligen gefestigt, Karl als vermeintlicher Gründer der Aachener Jakobskirche sowie weiterer Kirchen mit diesem Patrozinium herausgehoben37, sein Verhältnis zur Hispania und den Mauren als Heiden auf eine sicherere Grundlage gestellt und worauf es vor allem ankam der imperator christianissimus als Spanienkämpfer und Märtyrer hervorgehoben. Im Verein mit der zusätzlichen Betonung seines heiligmäßigen Lebens und durch die Einfügung verschiedener Wunder, die in Verbindung mit Karl dem Großen geschehen sein sollen, zeigt sich klar die Absicht des Vitenschreibers, die von Barbarossa verkündete Heiligkeit des Kaisers gewisser certior de sanctitate morum et vite beatissimi Karoli magnizu machen3 8 und dem Staufischen Kaisertum zu erhalten, zumal Karl als ventilator utriusque gladii die staufisehe Position in der Zwei-Schwerter-Theorie unterlegt wird39. Es scheint fast müßig zu betonen, daß man bei den gekürzten Fassungen sowohl der Descriptio clavi et corone Domini als auch der fast fragmentierten Historia Turpini alles wegließ, was die Stellung von Saint-Denis oder der Jakobuskirche allzu sehr erhöht, die Fixierung des Kaisers auf seine Pfalz gemindert und die Bedeutung Aachens geschmälert hätte. 36 Vgl. MEUTHEN (ed.), Aachener Urkunden (wie Anm. 5), S. 83f. 37 Vgl. dazu KL EIN, Die Chronik von Karl dem Grossen, S. 142f.; H. TREUILLE, Les eglises fondees par C harlemagne en honne ur de Saint-Jacques, d 'apr es Je Pseudo-Turpin, in: Melanges Rene Louis (St-Pere-sous Vezelay 1982) S. 1151-1161. 38 RAUS CHEN, Die Legende Karls des Grossen (wie Anm. 31), S. 17. Zur kirchenrechtlichen Bedeutung des Begriffs certitudo und seiner Anwendung bei Heiligsprechungsverfahren s. schon Andre CHOLLE T, Art . certitude, in: Dictionnaire de Theologie Catholique 2 (Paris 1905) Sp. 215-2168. 39 RAUSCH EN , Die Legende Karls des Grossen (wie Anm. 31), S. 34. Vgl. KE RN E R, Karl der Große (w ie Anm. 28), S. 124f. <?page no="117"?> Heiligsprechung und Tradition 101 Im Grunde genommen suchte man Versäumnisse bei den Vorgängen von 1165 nachträglich auszugleichen und Karls Märtyrertum als etwas Selbstverständliches erscheinen zu lassen. So wird denn auch mit Milo, dem Erzeuger Rolands, ein weiterer Kriegermärtyrer hervorgehoben; von ihm wird bei der Schilderung des Wunders der blühenden Lanzen berichtet, er habe die Märtyrerkrone gemeinsam mit den christlichen Kämpfern erworben, deren Lanzen erblüht waren und die in der Schlacht die Märtyrerpalme im Glauben an Gott empfangen hätten40. Barbarossa jedenfalls erscheint als alter Karolus, wie er sich schon im Aachener Markt-, Zoll- und Münzprivileg von 1166 zeitgleich mit der Heiligsprechung hatte abbilden lassen, als er für die Gestaltung des Aachener Halbdenars festlegte, daß auf der einen Seite ein Abbild Karls, auf der anderen Seite sein eigenes Abbild geschlagen werden sollte41. Der Staufer sollte in der Folge alles daransetzen, den Karlskult in engster Verbindung mit Aachen, dessen Einwohner als Genossenschaft spätestens seit 1134 ein Karlssiegel führten und die Verehrung des Karolingers im Verein mit dem Marienstift immer stärker betrieben 42 , in seinem Sinne zu verwurzeln und in deutlicher Versinnbildlichung unangreifbar zu machen. Dazu gehörte neben weiteren reichen Geschenken Barbarossas und der Kaiserin Beatrix für das Marienstift die Abfassung der Karlssequenz 43 , die vielleicht als Hymnus schon bei der Zeremonie der Heiligsprechung vorgetragen oder nur wenig später wie das Karlsoffizium zur kirchlichen Verbreitung des Kultes entworfen worden war, dazu gehörte das Armreliquiar Karls des Großen, das zeitweilig als provisorischer Schrein für die Karlsgebeine dienen sollte, dazu gehörte der Barbarossa-Leuchter, der fast zeitgleich mit der Karlsvita entstanden sein dürfte 4 4, dazu gehört vielleicht auch der Karlsschrein selbst, der 40 Historia Turpini, ed. HERBERS/ SANTOS NOIA (wie Anm. 35), S. 204f.; RAUSCHEN, Die Legende Karls d es Grossen (wie Anm. 31), S. 72f. 41 DF I 503 von 1166Jan. 9 (MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 10,2, S. 434-435, Nr. 503; MEUTH EN [ed.], Aachener Urkunden [wie Anm. 5], S. 123-127, Nr. 3). 42 Vgl. Manfred GROTEN, Studien zur Frühgeschichte deutscher Stadtsiegel: Trier, Köln, Mainz, Aachen, Soest, Archiv für Diplomatik 31 (1985) S. 443-478, bes. S. 448ff.; D ERS., Studien zum Aachener Karlssiegel (wie Anm. 12) . 43 Birgit J. L ERMEN , "Urbs Aquen sis , urbs regalis ..." -Versuch einer Deutung der Karlssequenz, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen, hg. von Hans MüLLE - JANS (Aachen 1988) S. 167 - 186 (mit reicher Lit.); Elisabeth EIS ENLOHR, Die älteste Niederschrift der Sequenz Urbs Aquensis Urbs Regalis im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts und ihre mögliche Verbindung zum Karlskult Barbarossas, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 96 (1989) S. 35-67. 44 Vgl. dazu Herta LEPIE/ Lothar SCHMITT, Der Barbarossaleuchter im Dom zu Aachen (Aachen 1998); Bernhard ANDERMAHR , Zwischen Himmel und Erde. Die Bodenplatten des Barbarossa-Leuchters im Aachener Dom: Ein Beitrag zur staufischen Goldschmiedekunst im Rhein-Maas-Gebiet (Diss. phil. Aachen 1994). <?page no="118"?> 102 Ludwig Vones sich unterUmständen seit 1180 oder nach 1182, also noch unter der Ägide Barbarossas, in der Planung, vielleicht sogar in der Ausführung befand45 und in dessen Bildprogramm jene fünf berühmten Dachreliefszenen aus dem Pseudo-Turpin aufgenommen wurden, die Karl den Großen so prononciert als Spanienkämpfer darstellen 46 . In diesem Zusammenhang wurde von Klaus Berbers darauf aufmerksam gemacht, daß die auf dem Schrein verewigten Szenen nur eine Auswahl aus dem Pseudo-Turpin darstellen und mehr der Spanienkämpfer als der natürlich fiktive Santiago-Pilger oder der ebenfalls in der Chronik nachzuweisende kaiserliche Missionar in Aachen in den Vordergrund gerückt wurde, da man dort am Märtyrergedanken und der unmittelbaren Aufnahme der bei einem Heiligen Krieg im Kampf gegen die Muslime Gefallenen in den Himmel interessiert war 47 . Über den Heiligen Krieg, die Reconquista und das Märtyrertum lief die Verbindung hin zum Kreuzzugsgedankenund damit zu einem "modernen" Kriegerheiligen, wie ihn die staufisehe Sache brauchte 4 8. Als Verstärkung des Karls-Dekrets und der Barbarossaurkunde taugte nur ein solches Karlsbild, das auf breitere Resonanz stoßen mußte, zudem hagiographisch verwandt werden konnte. Vor allem die Descriptio clavi et corone Domini und die Historia Turpini wurden in diesem Sinne instrumentalisiert. Für Aachen hingegen bedeutete die staufisehe Aktion von 1165/ 66 als locus regalis den eigentlichen Beginn der Stadtwerdung im rechtlichen Sinn. Als letzte Frage bleibt weiterhin offen, woher möglicherweise eine Bedrohung des Staufischen Karlskultes kam, die den Hof ve ranlaßte, die Heiligsprechung zusätzlich abzusichern und die Heiligkeit Karls des Großen, aber auch ihren Bezug auf das staufisehe Kaisertum über jeden 45 Zu den dendrochronologischen Analysen des Holzkerns vgl. Dietrich KöTZSCHE, Der Holzschrein d es Karlsschreins in Aachen, Kunstchronik 38 (1985) S. 41f.; zur weiteren Ausstattung des Aachener Münsters durch Barbarossa und seine Gattin Beatrix s. Peter GANZ, Friedrich Barbarossa: Hof und Kultur, in: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des Staufischen Kaisers, hg. von Alfred HAVERKAMP (Vorträge und Forschungen 40 , Sigmaringen 1992) S. 623-650, bes. S. 648ff., und KERNER, Kar! der Große (wie Anm. 28), S. 125ff. 46 Vgl. zum Bildprogramm Ernst Günther GRIMME, Das Bildprogramm des Aachener Karlsschreins, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen, h g. von Hans MüLLE - JANS (Aachen 1988) S. 124 -13 5; Ann MÜN CHOW/ Herta LEPIE, Der konservierte Aachener Karlsschrein. Eine Bilddokumentation in Detailaufnahmen, ebd. S. 56-123; Hans-Wilhelm KLEIN, Kar! der Große und Compostela, in: Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, hg. von Klaus HERBERS Qakobus-Studien 1, Tübingen 1988) S. 133-148, bes. S. 137ff. 47 Klaus HERB ERS, Kar! der Große und Spanien- R ea lität und Fiktion, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen, hg . von Hans MüLLEJANS (Aachen 1988) S. 47-55. 48 Zur Ausformung dieser Vorstellungen vom Kriegerheiligen s. nun die literaturgesättigte Aufsatzsammlung von Jean FLOR! , Croisade et chevalerie, Xle-xne siedes (Bi bliotheque du Moyen Age 12, Paris-Bruxelles 1998). <?page no="119"?> Heiligsprechung und Tradition 103 Zweifel zu erheben und ihr einen weiteren Schub zu verleihen. Ohne in dieser Hinsicht eine abschließende Antwort geben zu können, sei darauf hingewiesen, daß zur gleichen Zeit, etwa um 1172, als sich der Schreiber der Aachener Karlsvita daranmachte, seine Rechtfertigung zu verfassen, am welfischen Hof der "Pfaffe" Konrad, wohl ein Mitglied der dortigen Hofkapelle, nach dem Vorbild der Chanson de Roland das berühmte Rolandslied dichtete und im Unterschied zum altfranzösischen Epos nun Karl den Großen als idealen Kaiser weitaus stärker in den Mittelpunkt rückte 49. Man hat die "politische Funktionalisierung des "Rolandslieds"' 50 im Sinne der Königsgedanken des Welfenherzogs Heinrich des Löwen schon längst erkannt und ebenso das Bestreben, ihn in Konkurrenz zu Barbarossa als "neuen David" zu stilisieren, darüber hinaus Karl den Großen unter Einbeziehung des Traditionsstranges David- Christus als direkten Vorfahren zu vereinnahmen51, den Welfen als 49 Ed. Friedrich MA URER, Das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Das Rolandslied des Ffaffen Konrad (Darmstadt 1964). Zur literarischen Pr oduktion am welfischen Hof mit Bezug z ur Gestalt Karls des Großen zu dieser Zeit vgl. für die folgenden Ausführungen Karl-Ernst GEITH, Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts (Bibliotheca germanica 19, Bern-München 1977) S. 114ff.; DERS ., Karlsdichtung im Umkreis des welfischen Hofes, in: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 7, Wiesbaden 1995) S. 337-346, und Georg STEER, Literatur am Braunschweiger Hof Heinrichs des Löwen, ebd., S. 347- 375; Karl-Ernst GEITH, Das deutsche und das französische Rolandslied. Aspekte einer Beziehung, in: "Chanson de Roland" und "Rolandslied". Actes du Colloque du Centre d'Etudes Medievales de l'Universite de Picardie Jules Verne (Greifswald 1997) S. 59-71, bes. S. 67ff.; Jeffrey R. AsHCROFT, Magister Conradus Presbiter: Ffaffe Konrad at the Court of Henr y the Lion, in: Literary aspects of courtly culture, ed. Donald MADDOX (Cambridge 1994) S. 301-308; D ERS., Konrad's Rolandslied, Henry the Lion, and the Northern Crusade, Forum for Modern Language Studies 22 (1986) S. 184-208; Volker MERTENS, Deutsche Literatur am Welfenhof, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125- 1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, hrs g. von Jochen LucK- HARDT, 2 (München 1995) S. 204-212. Vgl. auch Wilhelm STÖRMER, Königtum und Kaisertum in der mittelhochdeutschen Literatur der Zeit Friedrich Barbarossas, in: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des Staufischen Kaisers, hg. von Alfn'! d H AVERKAMP (Vorträge und Forschungen 40, Sigmaringen 1992) S. 580-601, bes. S. 584-587. 50 MERTENS, Deutsche Litera tur am Welfenhof (wie Anm. 49), S. 205. Zu den Königsgedanken Heinrichs des Löwen s. bereits Johannes FRIED, Königsgedanken Heinrichs des Löwen, Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973) S. 312- 351, obwohl er mit seiner Zuspitzung auf ein Nordkönigreich nicht durchgedrungen ist. Seine Königsgedanken-These erhielt aber von anderer Seite starke Unterstützung; s. GEITH, Carolus Magnus (wie Anm. 49), S. 90ff.; DERS ., Karlsdichtung im Umkreis des welfischen Hofes (wie Anm. 49), S. 341ff., der auch auf die Errichtung des Braunschweiger Löwendenkmals (ca. 1166) im Umkreis der Karlskanonisation verweist. 51 Vgl. Waltrautln geborg GEPPERT, Christus und Kaiser Kar! im deutschen Rolandslied, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 78 (1956) S. 349- <?page no="120"?> 104 Ludwig Vones dessen Erben und Nachfolger zu sehen, seine Slawenkreuzzüge in Analogie zu den Spanienfeldzügen zu legitimieren und den Dienst an Gott im Rahmen des Kaisertums mit dem Glanz eines kriegerischen Todes als Märtyrer in Verbindung zu bringen 52. Neben weiteren Zeugnissen, die in dieser Epoche im Umfeld des welfischen Hofes entstandenals berühmtestes das Helmarshausener Evangeliar 53 -, stellt das Rolandslied nichts weniger dar als einen Teil jenes Versuches, die Gestalt Karls des Großen für das neue welfische Selbstverständnis und einen erweiterten herrscherliehen Anspruch fruchtbar zu machen 5 4, allerdings einen Karl, der dem Verfasser des Epos nicht als Heiliger galt, eher als Ahnherr, während andererseits Barbarossa selbst bei der Heiligsprechung eine Abstammung nicht erwähnte. Wenn die staufisehe Seite zeitgleich in der Karlsvita mit Hilfe des in diese inserierten Auszugs aus der Historia Turpini Karl als Reichsheiligen propagierte, die Herrschaftsvorstellungen Barbarossas mit dem Wirken Karls verknüpfte, um ihnen Unantastbarkeit zu verleihen, und Barbarossa eigens als Betreiber der Heiligsprechung hervorhob, zudem diese beiden Zeugnisse am häufigsten zusammen mit dem Karlsoffizium überliefert wurden, kann durchaus eine Be- 373; Eberhard NELLMANN, Kar! der Große und König David im Epilog des deutschen "Rolandsliedes", Zeitschrift für deutsches Altertum 94 (1965) S. 268- 279 (wiederabgedr. in: Die Reichsidee in der deutschen Dichtung des Mittelalters, hg. von Rüdiger SCHNELL [Wege der Forschung 589, Darmstadt 1983) S. 222-238). 52 Vgl. auch Ulrich ERNST, "Kollektive Aggression" in der Chansonde Roland und im Rolandslied des Pfaffen Konrad. Die Idee des Gottesfriedens als Legitimationsmodell für Reconquista und welfische Expansionspolitik, Euphorion 82 (1988) S. 211- 225. 53 Vgl.Johannes FRIED, "Das goldglänzende Buch". Heinrich der Löwe, sein Evangeliar, sein Selbstverständnis. Bemerkungen zu einer Neuerscheinung, Göttinger Gelehrte Anzeigen 242 (1990) S. 34-79, der von einer Entstehung zwischen 1173 und 1179/ 80 ausgeht; Karl-Ernst GEITH, Das "Rolandslied" und die Darstellung des Evangeliars Heinrich des Löwen, in: Gates und der werlde hulde: Literatur in Mittelalter und Neuz eit. FS f. Heinz Rupp zum 70. Geburtstag, hg. von Rüdiger SCHNELL (Bern u.a. 1989) S. 166-174; Eckart Conrad LUTZ, Zur Synthese klerikaler Denkformen und laikaler Interessen in der höfischen Literatur: die Bearbeitung einer Chanson von Kar! und Roland durch den Ffaffen Konrad und das Helmarshauser Evangeliar, in: Ffaffen und Laienein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburger Colloquium, hg. von Eckart Conrad LUTZ (Scrinium Friburgense 10, Freiburg, Schweiz 1999) S. 57-76. Zur Forschungsdiskussion s. Bernhard ScHIMMELPFENNIG, Könige und Fürsten, Kaiser und Papst nach dem Wormser Konkordat (München 1996) S. 106f. 54 GEITH, Karlsdichtung im Umkreis des welfischen Hofes (wie Anm. 49), S. 345: "... wollte Heinrich der Löwe offenbar auch im Bereich der Karlsnachfolge die Ebenbürtigkeit und Gleichrangigkeit seines Geschlechtes mit den Staufern manifestieren", der auch noch auf die Pilgerfahrten Heinrichs des Löwen nach Jerusalem und Santiaga de Compostela verweist. Vgl. auch Odilo ENGELS, Friedrich Barbarossa und die Welfen, in: Welf VI. Wissenschaftliches Kolloquium zum 800. Todesjahr, hg. von Rainer } EHL (Irseer Schriften 3, Sigmaringen 1995) S. 59-74. <?page no="121"?> Heiligsprechung und Tradition 105 ziehungzwischen der Abfassung beider Werke, vielleicht ein regelrechtes ideologisches Tauziehen um die Karlsgestalt und die Einbindung der Karlstradition als heiliger kaiserlicher Amtsvorgänger oder als Ahnherr angenommen werden. Während man dies allerdings nur ven1mten kann, stehen die eigentlichen Sieger der Heiligsprechung mit der Stadt Aachen und ihrem Marienstift zweifelsfrei fest. Über die neue ideelle Ausstrahlungskraft, die für beide nun reichsöffentlich sanktioniert war, hinaus erhielten die Stadtgemeinde ihre Markt-, Zoll- und Münzprivilegien sowie ihre herausragende Stellung einschließlich der Zoll- und Abgabenfreiheit im gesamten Reich, die Marienkirche, deren Propst ein Vetter des Kaisers war, ihre Einkünfte unanfechtbar bestätigt. Ja es ist zu beachten, daß 1166 nicht nur diesedes regia bzw. der locus regalis als einziger legitimer Krönungsort bestätigt wurde, was vielleicht schon um 1000 die Absicht Ottos III. gewesen ist 55, sondern eigentlich auch eine spezifische Aachener Hauptstadtidee als caput regni Theutonici anstelle des karolingischen caput Gallit; ihre kaiserliche Sanktionierung erhielt, in der wiederum Karl der Große als Heiliger nach Aussage von Erich Meuthen "das heilige Recht für die sacra civitas, für das caput regni" begründete 56. Bezeichnenderweise wurden das Karls-Dekret, das Hadrians-Privileg und die Urkunde mit den Nachrichten über die Heiligsprechung im Mittelalter zusammen mit dem Karlssiegel nicht im Stiftsarchiv, sondern getrennt davon in einer speziellen Holzlade beim Hochaltar des Aachener Marienmünsters aufbewahrt. 55 Vgl. FAL KE NST EIN, Otto III. und Aachen (wie Anm. 4), S. 164ff.; Gö RICH , Otto III. öffnet das Karlsgrab (wie Anm. 3). 56 ME UTHE N, Karl der Große - Barbarossa - A achen (wie Anm. 2), S. 76. <?page no="123"?> Der Pseudo-Turpin in den Grandes Chroniques de France J OACHIM EHLERS Als die Historia Karoli Magni et Rotolandi des Pseudo-Turpin in die Grandes Chroniques de France aufgenommen wurde, hatte sie schon eine mehr als hundertjährige, im europäischen Rahmen sichtbare Erfolgsgeschichte hinter sich 1. Der Text war weit verbreitet und in fast alle europäischen Sprachen übersetzt worden; mindestens 170 erhaltene Handschriften belegen das allgemeine Interesse an einer Erzählung, deren Rezeptionsgeschichte im französischen 13. Jahrhundert eine besonders interessante Akzentuierung erfahren hat. Zwischen 1200 und 1230 entstanden in Frankreich neben einer anglonormannischen Version 2 sechs verschiedene altfranzösische Übersetzungen des Pseudo-Turpin, alle im Raum nördlich der Somme und westlich der Scheide, alle im Auftrag adliger flandrischer Familien. Ihnen ging es um die Hervorhebung ihrer karolingischen Abkunft 3, für deren Nachweis sie schon auf genealogische Versuche des frühen 12. Jahrhunderts 4 zurückgreifen konnten und dazu auf eine erste, kurz nach I Adalbert HÄMEL, Überlieferung und Bedeutung des Liber Sancti lacobi und des Pseudo Turpin. (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 1950,2, München 1950); DERS., Los Manuscritos Latinos del Falso Turpino, in: Estudios dedicados a Menendez Pidal4 (Madrid 1953) S. 67-85. Mit der Entdeckung weiterer bisher nicht identifizierter Hss. ist zu rechnen: Andre DE MAN- DACH, Einführung, in: Adalbert HÄMEL (ed.), Der Pseudo-Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß herausgegeben von A. de Mandach (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 1965,1, München 1965) S. 23. 2 lan SHORT, The Anglo-Norman Pseudo-Turpin chronicle of William of Briane (Anglo-Norman Text Society 25, Oxford 1973). 3 Nachweise bei Gabrielle M. SPIEGEL , Ps eudo- Turpin, the crisis of aristocracy and the beginnings of vernacular historiography in France, Journal of Medieval History 12 (1986) s. 207-223. 4 Frühster Beleg wohl Lambert von St-Omer, Liber Floridus (kompiliert zwischen 1090 und 1120); Nachweise der Gerrealogien der Grafen von Flandern dort: PL 163, col. 1026f. und vor allem bei Albert DEROLEZ, The Autograph Manuscript of the Liber Floridus (Corpus Christianorum, Autographa Medii Aevi 4, Turnhout 1998) S. 116; vgl. Index S. 203 s. v. "Flanders" , S. 202 s. v. "Consanguinity", S. 203 s. v. "Ge- <?page no="124"?> 108 ]oaehim Ehlers 1164 entstandene repräsentative Synthese 5. Sie brauchten solche Traditionen, um sich gegen das nach Norden expandierende französische Königtum zu behaupten. Die Kapetinger haben sich bekanntlich ebenfalls bemüht, genealogischen Anschluß an die Karolinger zu gewinnen. Das war allerdings schwierig6 und hatte erst in der Regierungszeit Philipps II. (1180-1223) zu befriedigenden Ergebnissen geführt. Damals war die Theorie vom Reditus regni Franeorum ad stirpem Karolil vorbereitet worden, die den Höhepunkt ihrer Wirkung zwischen 1270 und 1320 erreichen sollte und auf Traditionen beruhte, deren Ursprünge nicht im Umfeld des Königtums gelegen hatten. Zwischen 1180 und 1184 hatte der flandrische Mönch Andreas von Marchiennes genealogische Arbeiten verfaßt, mit denen er die karolingische Deszendenz des Hauses Flandern-Hennegau nachweisen wollte, aus dem Philipp II. seine erste Gemahlin Elisabeth genommen hatte, die Schwester des Grafen Balduin V von Hennegau. Balduin hielt sich für einen Nachkommen Karls des Großen und hatte lange nach einem Exemplar des Pseudo-Turpin gesucht. Seine Schwester Jolande, Gemahlin des Grafen Hugo IV von Saint-Pol, hatte denn auch um das Jahr 1200 das erste der genannten sechs Übersetzungswerke in Auftrag gegeben. Dessen Bearbeiter, Nikolaus von Senlis, hatte sich den lateinischen Text in St-Denis beschafft und brachte den Motivzusammenhang für seinen Auftrag im Prolog zum Ausdruck: Li bons Baudoins Ii euens de Chainau si a ma malt Karlemaine ni ne veut onques croire ehose que l'om en ehantast, ainz fit ehereher totes les bones abeies de Franee e garder par totz les armaires por saver si l'om i trouveroit La veraie ystoire8. Der französische Königshof sah hier die Chance, verbreiteter Kapetinger-Kritik entgegenzuwirken und zugleich einer seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts umlaufenden Prophetie ihre gefährliche Spitze zu nehmen: Der Heilige Walarich von Saint-Riquier/ Saint-Valery in der Picardie nealogy" sowie Tf. 26f. (Gent, Universitätsbibliothek, MS 92, fol. 105r und 105'r: Grafen von Flandern) und 40 (Brüssel, Kgl. Bibliothek Albert I., MS 6439-51, fol. 123v: Französische Könige bis zu Ludwig VI. [1108-1137], Grafen von Flandern bis zu Balduin VII. [1111- 1119]). Überblick bei Leopold GENI COT, Les gen ealogies (Typologie des sources 15, Turnhout 1975). 5 Flandria Generosa (MGH SS 9, S. 313- 325). 6 Quellen und Literatur bei Joachim EHLER S, Kontinuität und Tradition als Grundlage mittelalterlicher Nationsbildung in Frankreich, in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin KINTZINGER / Bernd SCHNEIDMÜLLER (Berliner Historische Studien 21, Berlin 1996) S. 288-324; hier S. 30lff. 7 Kar! Ferdinand WE RN E R, Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des "R editus regni Franeorum ad stirpem Karoli", Di e Welt als Geschichte 12 (1952) s. 203- 225. 8 Zitat bei SPIEGE L, Pseudo-Turpin (wie Anm. 3) S. 209, nach Paris BN fr. 124, f. 1. <?page no="125"?> Der Pseudo- Turpin in den Grandes Chroniques de France 109 hatte vorausgesagt, daß Hugo Capet zwar König werden, die Krone aber nur sieben Generationen lang in seiner Familie bleiben würde. Weil Philipp II. als siebenter kapetingischer König regierte und mit Elisabeth von Hennegau eine Frau karolingischer Abstammung zur Mutter des Thronfolgers geworden war, ließ sich die anscheinend düstere Voraussage vom Ende des Hauses Capet nach der siebenten Generation als lange mißverstandenes, nunmehr aber glücklich erfülltes Vaticinium darstellen: Mit Ludwig VIII., dem Sohn Philipps und Elisabeths, war Frankreich zum Stamm Karls des Großen zurückgekehrt. Ludwig der Heilige hat zwischen 1263/ 64 und 1267 diesen reditus durch seine Neuordnung der Königsgräber in der Abteikirche von St-Denis sichtbar gemacht9. Nun gehörte die Rezeption fremder Traditionen und ihre Integration in eigene Legitimationssysteme seit langem zu den charakteristischen Fähigkeiten des französischen Königtums, und der Pseudo-Turpin war, wie wir gesehen haben, alles andere als ein neutraler Text. Er war es auch deshalb nicht, weil er die Rolandsgeschichte aus der gebundenen Sprache der Poeten in die lateinische Prosa der Historiographen transponiert hatte. Damit stellte er den Anspruch auf wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und trug ihn in die volkssprachigen Prosafassungen weiter. Davon war infolgedessen auch das große historiographische Sammelwerk tangiert, das die Geschichte Frankreichs und seiner Könige von den trojanischen Anfängen bis zum Jahr 1461 zusammenfassend darstellen wollte, die Grandes Chroniques de France. Sie sind in vier Redaktionsstufen entstanden, die allesamt auf einer Anthologie lateinischer Chroniken basieren. Diese wurde um 1250 im Kloster St-Denis zusammengestel1t10, vielleicht von dem Mönch Primat. Diese leider noch unediene Sammlung enthielt Auszüge aus den zentralen Quellen der fränkisch-französischen Reichsgeschichte: Die Historia Franeorum des Aimoin von Fleury (t nach 1008) und die Gesta Dagoberti waren ebenso vertreten wie die fränkischen Reichsannalen, Einhards Vita Karoli Magni und die Lebensbeschreibung Ludwigs des Frommen aus der Feder des Astronomus, Abt Sugers von St-Denis Geschichte Ludwigs VI., die Geschichte Philipps II. von Rigord, der ebenfalls Mönch in St-Denis war und auf Wunsch seines Abtes geschrieben hatte. Der Pseudo-Turpin gehörte ebenfalls in dieses Basiswerk für die Grandes Chroniques, das ohne die historiographische Tradition der königsnahen Abtei niemals realisierbar gewesen wäre: Seit mehr als ei- 9 Joachim EHLERS, Kontinuität (wie Anm. 6) S. 308ff. 10 Paris B.N. lat. 5925. Ihr war zu Anfang des 13. Jh s. eine Geschichte der Fr anken/ Franzosen von den trojanischen Anfängen bis zum Tod Ludwi gs VI. (Vatikan, Re g. lat. 550) voraus g egang e n: Bernard GU EN E E, Les Grandes Chroniques de France, in: Les li e ux de me moire II : La nation 1, hg. von Pi e rre NO RA (Pari s 1986) S. 189 - 214 ; hier S. 190 . <?page no="126"?> 110 ]oachim Ehlers nem Jahrhundert hatte der Konvent durch intensive Sammel- und Kopiertätigkeit eine Bibliothek zusammengebracht, die als Zentrum von Studien zur Geschichte Frankreichs und seiner Könige konkurrenzlos und Grundlage der Autorität des Klosters in Fragen der historischen Tradition war 11 . Als der brabantische Dichter Adenet le Roi um 1275 sein Epos Berte aus grans pies vorlegte, berief er sich auf einen livre as estoires, den ihm der Mönch Savari in St-Denis gezeigt habe; darin habe er neben der Geschichte von Pippins Löwenkampf auch jene von der ungarischen Königstochter Berta, der Mutter Karls des Großen, gefunden12. Im Auftrag Ludwigs des Heiligen fertigte Primat eine französische Übersetzung dieser Sammlung an, deren Texte er zugleich durch Interpolationen oder kommentierende Wendungen ergänzte, mit Exzerpten aus den Gesta Normannorum ducum des Wilhelm vonJumieges erweiterte und bis zum Jahre 1223, also bis zum Tod König Philipps II., als fortlaufende Erzählung durchführte. 1274 übergab er das fertige Werk als Roman des roys (Erzählung in der romanischen Volkssprache) König Philipp 111. dem Kühnen 13. Mit ziemlicher Sicherheit darf angenommen werden, daß sich diese Handschrift noch im 14. Jahrhundert in der königlichen Bibliothek befunden hat14. Der Pseudo-Turpin profitierte von dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit, den eine Darstellung der Geschichte in volkssprachiger Prosa gegenüber den Dichtungen in gebundener Sprache erheben durfte. Gleichzeitig stieg er in den Rang eines Fürstenspiegels auf, denn zu Primats erklärten Zielen gehörte die Betonung des Exemplarisch-Vorbildhaften der berichteten Vorgänge: A cestui doivent tuit prince prendre example et garder que il ne corrocent Nostre Seigneur en ses menistres, car qui sanz raison les grieve, il en atent la venchance Nostre Seigneur a la vie ou apres la mortl5. 11 Don atella N E BBI AI-D ALLA GUA RDA , La bibliotheque de l'abbaye de Saint-Denis en France du rxe au xvnre siede (Paris 1985); Gabrielle M . SPIEGEL, The Chronide Tradition of Saint-Denis (Brookline 1978); Robert BOS S UAT, Traditions populaires relativesau martyre et a Ia sepulture de saint Denis, Moyen-Age 62 (1956) S. 479-509; hier S. 480f. und 487-507. 12 Adolf M EMMER , Die altfranzösische Bertasage und das Volksmärchen (Berlin 1935) s. 123. 13 Paris, Bibi. Ste-Genevieve 782. Zur Bedeutung des Französischen im 13. Jh . Serge LU SI GNAN , Parler vulgaireme nt . Les intellectuels et Ia Iangue fra n~ a is e aux xnr e et XIVe siedes (Paris 1986), vgl. bes. S. 58-71. 14 GUENEE, Grandes Chroniques (wie Anm. 10) S. 189. Bis zur ersten Hälfte des 14. Jhs. entstanden in Paris, in der nördlichen Normandie, Nordfrankreich und in Brabant mehr oder weniger modifizierte Abschriften, von denen zehn erhalten sind: ebd., S. 196. 15 Les Grandes Chroniques de France 1, ed. Jules VIARD (Paris 1920) S. 104 (Zusatz zur Er zählung Aimoins von Fle ur y [II.1] v on den Vergehen Th eoderichs gegenüber Boethius und hohen katholischen Klerikern). <?page no="127"?> Der Pseudo- Turpin in den Grandes Chroniques de France 111 Aber auch an der lateinischen Fassung wurde weitergearbeitet: Um 1286 erweiterte man die Handschrift B.N. lat. 5925 durch Sugers unvollendete Geschichte Ludwigs VII., durch die anonymen Gesta Ludovici VIII. und die Gesta Ludovici IX. et Philippi III. des Wilhelm von Nangis. Von diesen Texten gelangte nur eine französische Fassung der Geschichte Ludwigs des Heiligen in die Handschrift Ste-Genevieve 782, zugefügt um das Jahr 1300. Die zweite, zwischen 1340 und 1360 im Skriptorium von St-Denis hergestellte, Redaktion kennen wir unter anderem aus einem Codex, der einst dem französischen König Johann II. (1350-1364) gehört hat 16. Hier findet sich der französische Text von 1274 anhand der lateinischen Anthologie emendiert und nunmehr ergänzt durch die um 1300 noch fehlenden französischen Fassungen der Geschichten Ludwigs VII., Ludwigs VIII., Philipps III. Zugefügt wurden Exzerpte aus der Chronik Wilhelms von Nangis (belegt um 1250-1299), der in St-Denis als Archivar (custos chartarum) mit exzeptionell hoher Gage beschäftigt war, ein Zeichen für die Hochschätzung seiner Qualität als Historiograph, sowie aus der Chronik des Richard Lescot (t Ende 14. Jh.), der als Redaktor dieser zweiten Stufe fungierte. Er arbeitete in einer wirklichen Krisenzeit, die noch von den Folgen der seit 1348 wütenden Pest gezeichnet war, mit der Niederlage von Maupertuis 1356 und der Gefangenschaft König Johanns II. ebenso fertig werden mußte wie mit der Pariser Revolte des Etienne Marcel und dem Bauernaufstand der Jacquerie, vor allem aber mit der angefochtenen Legitimität des erst seit 1328 regierenden Hauses Valois. Richard Lescot hat das Werk mit Hilfe weiterer Materialien aus St-Denis bis 1350 fortgesetzt, also bis zum Tod Philipps VI., des ersten Königs aus dem Hause Valois. Er stellte dabei eine innige Beziehung zwischen den Königen und dem von ihnen regierten Land her, eine auffällige Veränderung, die sich auf die Bewertung des Pseudo- Turpin in diesem neuen Zusammenhang auswirken mußte. Hatte Primat die Könige ins Zentrum des von ihm vermittelten Geschichtsbildes gestellt und sein Werk demzufolge entweder als Geste des rois oder als Roman des rois bezeichnet, so trug die Neubearbeitung den Titel Croniques de France oder auch Grans Croniques de France 17. Die dritte Redaktion zeichnet sich durch größte Königsnähe aus, denn sie ist nicht mehr in St-Denis hergestellt worden, sondern im Auftrag Karls V (1364- 1380) am Hof und auch durch eine Handschrift aus dem Besitz des Königs belegt 1 8. Sie enthält den bisherigen Text bis 1350, fortgeführt durch die französische Chronik des Kanzlers Pierre d'Orgemont (t 1389) für die Regierungen Johanns II. und Karls V Der Kanz- 16 London, British Libra ry Ms. Royal16 G VI. 17 Paris, B.N . fr. 23140. 18 Paris, B.N . fr. 2813. <?page no="128"?> 112 ]oachim Ehlers ler gehörte zu jenem "grand corps de l'Etat", das Fran~oise Autrand als neues und eigenständiges soziales Milieu der königlichen Verwaltung und Rechtsprechung beschrieben hat 19; er war ein enger Vertrauter Karls V. und hatte von diesem den Redaktionsauftrag für die Jahre 1350-1380 bekommen 20. Hier stoßen wir massiv auf eine Form von Staatshistoriographie, die das Fortführen des mittlerweile über hundert Jahre bestehenden Unternehmens als Amtsgeschäft ansah und entsprechend bewertete. Die letzte Überarbeitung aus den Jahren 1377-1378 ist eine Art Regierungstagebuch der Monarchie, unterstreicht die französische Rechtsposition gegenüber der englischen Monarchie im Hundertjährigen Krieg und enthält eine apologetische Sicht der Regierungshandlungen Karls V. Eine vom Königshof autorisierte Sicht der nationalen Geschichte Frankreichs kennzeichnet denn auch die vierte und letzte Redaktion. Sie ist in mehreren Handschriften und Wiegendrucken 21 überliefert, enthält die vorhergehenden Fassungen und ergänzt sie durch lange Auszüge aus der französischen Chronistik des 15. Jahrhunderts. Der Empfängerkreis läßt sich anhand der erhaltenen Handschriften ziemlich genau beschreiben 22: Der König und die Prinzen von Geblüt samt der ihnen nahestehenden Aristokratie. Dieser exklusive Zirkel wurde offenbar kaum durchbrochen, denn die erhaltenen Bibliothekskataloge weisen weder ein Mitglied des Pariser Parlements noch einen Angehörigen der Universität als Eigentümer eines Exemplars der Grandes Chroniques nach. Die Bibliotheken geistlicher Institute besaßen allenfalls die Primat-Redaktion. Die Rezeptionsgeschichte des Pseudo- Turpin muß also von jener der Grandes Chroniques als Gesamtheit unterschieden werden, denn sie verlief weitgehend unabhängig von den Bearbeitungen nach 1340/ 60 und ihrer auch regional begrenzten Verbreitung. Diese Adelswelt entwickelte im Verlauf des Hundertjährigen Krieges einen Sinn für die vom Königtum bestimmte nationale Geschichte Frankreichs, der sich denn doch erheblich von den universalhistorischen Interessen oder der Wendung zur Geschichte des römisch-christlichen Altertums unterschied, wie er die geistlich-gelehrte Historiographie der 19 Fran($oise AUTRAND, Naissance d'un grand corps de ! 'Etat. Les gens du Parlement de Paris, 1345-1454 (Paris 1981). 20 Anne D . HEDEMAN, Valois Legitimacy. Editorial Changes in Charles V's Grandes Chroniques de France, The Art Bulletin 66 (1984) S. 97-114. 21 Folioausgaben in jeweils drei Bänden von Pasquier Bonhomme, 1476/ 77 (Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Nr. 6676) und Antoine Verard, 1493 (ebd., Nr. 6677). Ein Verzeichnis der erhaltenen Handschriften der GC findet sich bei Bernard GUENEE, Die Grandes Chroniques de France. Die Geschichte eines Erfolges, in: Jean Fouquet. Die Bilder der Grandes Chroniques de France (Graz 1987) S. 71-114; hier S. 110-112. 22 GUE NEE, Grandes Chroniques (wie Anm. 10) S. 202ff. <?page no="129"?> Der Pseudo- Turpin in den Grandes Chroniques de France 113 Zeit kennzeichnete. Mit dem siegreichen Ende des Hundertjährigen Krieges setzte sich diese Sicht in breiteren Kreisen durch, so daß gegen Ende des 15. Jahrhunderts flüchtig geschriebene, nicht illuminierte und teilweise auch gekürzte Papierhandschriften auf den Markt kamen23, aber im Vergleich mit den großen international konzipierten Geschichtswerken wie dem Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais24 (t 1264) oder der Chronik Martins von Troppau 25 (t 1278) blieb die Verbreitung sehr gering . Wie gingen die Redaktoren der Grandes Chroniques mit dem Tur pin- Text um? Die Geschichte Karls des Großen, immer wieder als Grundlage nicht nur der Geschichte Frankreichs, sondern auch als Basis des genealogischen Selbstverständnisses der hohen französischen Aristokratie in Anspruch genommen, war nach Ansicht Primats von St- Denis nur von zwei Autoren in einer Weise dargestellt worden, die den Zielen seiner Anthologie entsprach: ... en partie par la main Eginalt, son chapelain, et en partie par l'estude Turpin, l'arcevesque de Reims 26. Daran hat er sich freilich nicht konsequent gehalten, denn er verwendete außer der Vita Karoli Magni Einhards27 intensiv die Reichsannalen28, und die 1274 fertige französische Version29 kennt auch das Iter Hierosolymitanum, den Bericht von Karls des Großen J erusalemfahrt, durch den der Kaiser mit neuen Argumenten fest an St-Denis gebunden werden sollte: Hochrangige Christusreliquien, von Karl dem Großen einst aus Konstantinopel nach Aachen gebracht, habe Karl der Kahle von dort nach St-Denis transferiert 30 . Diese Geschichte hatte neben dem allgemeinen 23 Beispiele nennt GUENEE, ebd., S. 206ff. 24 Douai 1624; mehr als 150 Hss. sind erhalten: Thomas KAEPPELI, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 4 (Rom 1993) S. 440-446. 25 MGH SS 22, S. 377-475. Thomas KAEP P ELI , Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 3 (Rom 1980) S. 118 - 123, führt 392 Hss. auf, nur einen Teil des vorhandenen Bestandes, denn es "ist nicht möglich, sämtliche erhaltenen Handschriften der Chronik Martins aufzuspüren": Anna-Doroth ee VON DEN BRIN CKE N, Studien zur Überlieferung der Chronik des Martin von Troppau, DA 41 (1985) S. 460-531 und 45 (1989) S. 551-591, hier 41, S. 465. 26 Les Grandes Chroniques de France 3, ed. Jules VIARD (Paris 1923) S. 3f. 27 Ausschließlich für I.l-3, teilw eise für II.4-7 und III.l-3. 28 Annales regni Franeorum inde ab a. 741 usque ad a. 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi (MGH SS rer. Germ. 6); für 1.4 - 13 und den größten Teil von II. 29 Paris, Bibi. Ste -Gen ev ieve 782 . 30 Descriptio, qualiter Karalus magnus clavum et coronam domini a Constantinopoli Aquisgrani detulerit qualiterque Karalus Calvus hec ad sanctum Dyonisium retulerit (ed. Gerhard RAUSCHEN, Die Legende Karls des Großen im 11. und 12. Jahrhundert [Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 7, Leipzig 1890] S. 103-125). Der Text ist in der zweiten Hälfte des 11.Jhs. in St-Denis entstanden; dazu Heinrich SC HI FFE RS, Karls des Großen Reliquienschatz und die Anfänge der Aachenfahrt (Aachen 1951) S. 7-15, 30f., 37 f. <?page no="130"?> 114 ]oachim Ehlers Wunsch nach gesteigertem Prestige einen handfesten ökonomischen Hintergrund, denn sie sollte die Wallfahrt fördern und damit das Lendit, jene zweimal im Jahr abgehaltene große Messe, die zeitweise mit den Champagnernessen vergleichbar war. Die Geschichte von der Reliquientranslation Karls des Kahlen wurde von der französischen Historiographie des späten 12. Jahrhunderts und darüber hinaus als Tatsache behandelt31, aber der Pseudo-Turpin war wesentlich populärer, so daß es für Primat geradezu unvermeidlich war, diesen Text aufzunehmen. In der Tat sind zwei (IV und V) von insgesamt fünf Büchern des Karlsteils der Grandes Chroniques praktisch eine Übersetzung des Pseudo-Turpin, wobei Buch IV der Karlsgeschichte den Kapiteln 1-20 der Vorlage entspricht 32 . Infolgedessen wird der Spanienfeldzug mit der Roland-Geschichte sehr breit und ausführlich erzählt, bemerkenswert kurz 33 fällt dagegen der Bericht über die letzten Jahre und den Tod Karls aus. Bevor wir uns nach den Konsequenzen dieses Befundes für die Grandes Chroniques erkundigen, müssen wir daran erinnern, daß der Pseudo-Turpin nicht isoliert betrachtet und in seiner Wirkung verfolgt werden darf, denn er war nur eine Facette des vornehmlich von den Chansons de geste seit langem geprägten Karlsbildes. Dieses Karlsgedächtnis außerhalb der gelehrten lateinischen Historiographie kannte den Kaiser als ritterlichen Kämpfer gegen die Muslime, hatte ihn in diesem Sinne den gesellschaftlichen Vorstellungen der jeweiligen Gegenwart angepaßt und ständig modernisiert3 4, so daß Identifikationsmöglichkeiten geschaffen wurden, die weit über das realhistorisch Bekannte hinausführten. Das Publikum des 12. und 13. Jahrhunderts war ganz offensichtlich bereit, den Dichtern große Variationsmöglichkeiten hinsichtlich prominenter historischer Gestalten, Charaktere und Vorgänge zu erlauben und sich dabei von den Vorlagen zu lösen. Offensichtlich sind auch entsprechende Erwartungen an die Vortragenden herangebracht worden, so daß im Laufe der Zeit auf der Grundlage eines Kanons des Bekannten sehr viele verschiedenartige poetische Bilder, Einzelzüge und Ur- 3! Vgl. Guido von Bazoches, Chronographia (nicht ediert, aber durch Übernahmen bei Alberich von Troisfontaines dort zu benutzen: MGH SS 23, S. 699-882) S. 740. Ebd. S. 721 die Erzählung von der Jersualemfahrt Karls des Großen. 32 Ein genauer Textvergleich bei Rudolf REHNITZ, Die Grandes Chroniques de France und der Pseudoturpin. (Pseudo-Turpin-Studien 1, Würzburg 1940), dort S. 13-49 Gegenüberstellung der lateinischen Fassung aus BN lat. 5925 und der altfranzösischen Übersetzung in den Grandes Chroniques. 33 Grandes Chroniques (wie Anm. 26) S. 290-292. 34 Etwas zu gewaltsam hinsichtlich der jeweiligen zeitgeschichtlichen Parallelen Karl- Heinz BEND ER , König und Vasall. Untersuchungen zur Chansondegeste des XII. Jahrhunderts (Heidelberg 1967). <?page no="131"?> Der Pseudo- Turpin in den Grandes Chroniques de France 115 teilsmöglichkeiten entstehen konnten, deren Gemeinsamkeit darin bestand, daß sie den Kaiser aus einer fernen fränkisch-karolingischen Überlieferung in die neue und durch sie mitbestimmte französische Gegenwart geholt haben. Sicherlich wirkte hierbei auch ein hagiographisches Moment mit, die Gewohnheit nämlich, überragende Persönlichkeiten mit Eigenschaften und Fähigkeiten auszustatten, ihnen Taten zuzuschreiben, die heute legendarisch anmuten, für mittelalterliche Zeitgenossen aber die Spannung zwischen dem Karl des Pseudo-Turpin und dem historischen Kaiser erheblich geringer sein ließen als es dem modernen Leser erscheint. Aus diesem Grunde konnten beide Sichtweisen im Kar1steil der Grandes Chroniques nebeneinander stehen. Aus disparat erinnerten Vorgängen und Sachverhalten setzte sich demnach eine Epochenvorstellung zusammen, die den Rezipientenkreis der Grandes Chroniques bis in die Frühe Neuzeit leitete und die er in bildliehen Darstellungen konkretisiert sehen konnte. Es versteht sich deshalb von selbst, daß die Miniaturen der verschiedenen Handschriften wichtige Quellen für unsere Fragestellung sind, zeigen sie doch kontinuierlich die Modernisierung jener Welt des 8./ 9. Jahrhunderts, die aus der zeitlichen Distanz in die unmittelbare Nähe des Lesers und Betrachters geholt werden sollte. Vergangenheit wollte man sich nicht als solche verstehend aneignen, sondern als wirkenden Bestandteil seiner eigenen Welt erfahren. Damit konnte das Vergangene der Selbstvergewisserung einer hocharistokratischen Gesellschaft dienstbar gemacht werden, die der Hundertjährige Krieg in eine schwere Krise gestürzt hatte. Seit den vernichtenden Niederlagen der französischen Ritterschaft bei Crecy 1346, zehn Jahre später bei Maupertuis und vollends seit der Katastrophe von Azincourt 1415 regten sich Zweifel an der Fähigkeit dieses Militäradels, seine Schutzfunktion adäquat zu erfüllen. Angesichts des engen Bezuges von Schutz und Herrschaft ergab sich daraus eine Legitimationskrise, die durch ökonomische Pressionen weiter verschärft wurde. Nicht nur die Kriegszerstörungen zehrten an der Substanz des grundbesitzenden Adels, sondern auch ein rangbezogenes Lösegeldsystem, das im Falle der Gefangenschaft eines Familienangehörigen Forderungen brachte, die mitunter in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit standen. Die Standesqualität hing im übrigen auch von der Präsenz im Heer ab, deren Kosten angesichts aufwendiger Ausstattung mit kostspieligen Schutz- und Trutzwaffen, mehreren eigens abgerichteten Pferden und Kompensationen für Hilfskräfte erheblich waren. Mit dieser Krise der Aristokratie korrespondierte eine intensivierte monarchische Theorie, die im König das Haupt eines Organismus aus dienenden Gliedern sah: Die Tendenz zur Verstaatlichung einer ganzen gesellschaftlichen Formation zeichnete <?page no="132"?> 116 foachim Ehlers sich ab, die Mediatisierung jahrhundertelang als autogen gedachter Rechte 35 . Demgegenüber zeigen die Miniaturen zu den Grandes Chroniques die zeitgenössische Ritterschaft in voller Aktion. Jean Fouquet (um 1420-1481), dem die eindrucksvollen Bilder zur Handschrift franc; ais 6465 der Bibliotheque Nationale Paris zugeschrieben werden 36 , stellt als Eingangsbild (Abb. 1) zu den Feldzügen Karls des Großen37 zwei tiefgestaffelte Ritterheere dar, die am Fuße eines Hügels aufeinanderprallen. Von rechts kommen die nach spätmittelalterlicher Rüstungstechnik schwer gepanzerten Reiter Karls auf geharnischten Pferden unter Wappendecken und führen an hohen Fahnenlanzen zweigeteilte Banner mit dem kaiserlichen Doppeladler und der königlichen Lilie Frankreichs. Mit goldenen Lilien besät ist auch die blaue Wappendecke Karls, der aus vollem Lauf einen offenbar barbarischen Gegner vom ungepanzerten und mangelhaft gesattelten Pferd wirft, indem er ihm mit der Lanze die Kehle durchbohrt. Ähnliche Szenen dürften die meisten der adligen Betrachter solcher Bilder selbst erlebt haben. Die Heraldik war ihnen vertraut, ebenso die Waffentechnik, der Umgang mit dem Pferd im Kampf, die Attitude des Angriffs und die Ästhetik eines streng geregelten tödlichen Spiels. Ebenso wie der Text besonders des Pseudo-Turpin den gesellschaftlichen Wert- und Normvorstellungen des hohen bis späten Mittelalters weitgehend entsprach, so spannten die Miniaturen leicht begehbare Brücken zwischen der Vergangenheit und einer Gegenwart, die starker Impulse aus vermeintlich zeitlos gültigen Leitbildern bedurfte. Diesen Zweck läßt auch Fouquets Bild (Abb. 2) zum ersten Kapitel des 4. Buchs der Karlsgeschichte38 in den Grandes Chroniques erkennen39. Die Textstelle dort entspricht dem ersten Kapitel des Pseudo- Turpin40, das die Motive Karls des Großen für den Spanienfeldzug des 3S Jean FAVIER, La guerre de Cent Ans (Paris 1980); Jacques KRYNEN, Ideal du prince et pouvoir royal en France a la fin du Moyen Age (1380-1440). Etude de la litterature politique du temps (Paris 1981); Raymond CAZELLES, Societe politique, noblesse et couronne sousJean le Bon et Charles V (Genf 1982); Georg}ÄGER, Aspekte des Krieges und der Chevalerie im XIV. Jahrhundert in Frankreich (Bern 1981); Philippe CONTAMINE, La noblesse au royaume de France de Philippe le Bel a Louis XII (Paris 1997). 36 Dazu und zur Geschichte der Hs. Fran .. ois AVRIL, Jean Fouquet, der Maler der Grandes Chroniques de France, in: Jean FOUQU ET. Die Bilder der Grandes Chroniques de France (Graz 1987) S. 7-54. 37 Grandes Chroniques (wie Anm. 26) S. 4 (je donques Eginalz ...). Abb.: Jean Fouquet (wie Anm. 36) Tf. 7 (S. 39). Vgl. den Kommentar von Marie Therese GOUSSET, ebd. s. 140. 38 Grandes Chroniques (wie Anm. 26) S. 201. 39 Abb.: Jean Fouquet (wie Anm. 36) Tf. 10, S. 42. KommentarS. 147f. 40 ed. HÄMELIDE MANDA CH (wie Anm. 1) S. 41f. <?page no="133"?> Der Pseudo- Turpin in den Grandes Chroniques de France 117 Abb. 1 Jean Fouquet, Eingangsbild zu den Feldzügen Karls des Großen Qean Fouquet. Die Bilder der Grandes Chroniques de France [Graz 1987] Tf. 7 = S. 39) Abb. 2 Jean Fouquet, Der Hl. Jakobus erscheint Kar! dem Großen; der Fall Pamplonas (ebd., Tf. 10 = S. 42) <?page no="134"?> 118 joachim Ehlers Jahres 778 schildert, nämlich die sich in mehreren Nächten wiederholende Vision, in der Karl vit un chemin d'estoiles qui commenroit, si com illi sembla, a la mer de Frise, et se dreroit entre Alemagne et Lombardie, entre France et Aquitaine, entre Bascle et Gascoigne et entre Espagne et Navarre, tout droict en Galice 41 . Schließlich erscheint der Heilige Jakobus selbst und erklärt, daß sein Grab in die Hände der Muslime gefallen sei; es müsse von Karl befreit werden, der sich daraufhin aufmacht und zunächst Pamplona angreift, das er nach längerer Belagerung erobern kann. Eben diese Szenenfolge hat Fouquet dargestellt, denn man sieht links oben in urbaner Situation einen Gebäudekomplex, das palatium, mit dem schlafenden König, an dessen Lager der Heilige Jakobus mit dem Pilgerstab steht. Die Häuser der Stadt überragt eine Kirche, deren mächtige Doppelturmfassade mit ihrer Fensterrose gewiß auf eine Bischofskirche, vielleicht auf die Pariser Kathedrale Notre-Dame verweist. Der Sternenweg ist am Himmel rechts neben der Kirche durch zarte braune Pinselstriche angedeutet. Im mittleren Vordergrund steht das fränkischfranzösische Heer mit seinen blauen und roten Zelten (vgl. die blauen und roten Wappendecken der Pferde in Abb. 1) schon im Feld; Karl selbst spricht ein Gebet, dessen Erfolg die außerhalb des Lagers am Fluß abgesessenen Ritter in großer Erregung beobachten: Die Mauern derbelagerten Stadt stürzen ein, der Sieg ist ihnen sicher. Der ferne blaue Berg im Hintergrund mag freilich schon an die traurigen Ereignisse denken lassen, die nahezu das ganze 5. Buch der Karls geschichte in den Grandes Chroniques ausfüllen 42 : la bataille de Roncevaus et la mort de Rolant 43. Auf Fouquets Bild 44 (Abb. 3) kämpft links im Hintergrund die Nachhut des fränkischen Heeres; Schwerter und Säbel erlauben es, Freund und Feind zu unterscheiden, gleichzeitig weisen die Säbel die Gegner als Muslime (statt Basken) aus. Der Felssporn in der Bildmitte verengt das Schlachtfeld und deutet die Gebirgslage des Ortes an, hohe Bäume wie im rechten Hintergrund stehen noch heute dort. Ein dunkler Leichenberg markiert die massiven Verluste dieses Endkampfes, während drei Gefallene in goldglänzenden Rüstungen zur zentralen Thematik überleiten: Roland, kenntlich sowohl an der Grafenkrone über dem Helm als auch an den Attributen Olifant und Durendal, liegt tot am Boden und wird von einem überlebenden Gefährten beklagt, bei 41 Grandes Chroniques (wie Anm. 26) S. 203. 42 Ebd., S. 261- 287 = Pseudo-Turpin II.21-24, S. 74-82. 43 Ebd., S. 261 = Pseudo-Turpin II.21, S. 74 (De bello R unciaeva llis et de passione Rotolandi ceterorumque pugnatorum). 44 Abb.: Jean Fouquet (wie Anm.36) Tf. 11 (S. 59). KommentarS. 149f. <?page no="135"?> Der Pseudo- Turpin in den Grandes Chroniqu es de France 119 dem es sich nach dem Text 45 ehestens um den Grafen Tierry handeln müßte. Königtum und Aristokratie, fränkische Vergangenheit und französische G egenwart w urden durch den Pseudo-Turpin in sehr konkreter Weise zusammengebracht. Das machte ihn zu einem wertvollen Bestandteil der Grandes Chroniques de France, die der französischen Monarchie für Jahrhunderte eine anerkannte historische Dimension verliehen haben. Abb. 3 Jean Fouquet, Endkampf der N achhut d es fränkischen Heeres; R olands Tod (ebd., Tf. 11 = S. 59) 4S Grand es Chroniques (wie Anm. 26) S. 272- 276 = P se udo-Turpin II.23, S. 79-81. <?page no="137"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien NIKOLAS }ASPERT Kaum eine Ortschaft Spaniens ist weiter von Santiago de Compostela entfernt als Ripoll in Nordostkatalonien: rund eintausend Kilometer liegen zwischen den beiden Städten im äußersten Westen und im äußersten Osten der Iberischen Halbinsel. Und dennoch stehtRipoll Santiago de Compostela, Karl dem Großen und dem Pseudo-Turpin näher als man vermuten könnte. Wenn man einer katalanischen, noch zum Beginn des 20. Jahrhunderts geläufigen Legende glauben möchte, dann nahm der im Pseudo-Turpin beschriebene Zug Karls des Großen auf die Iberische Halbinsel sogar direkt in Ripoll seinen Ausgang. Als nämlich muslimische Truppen die Ortschaft und das gleichnamige Kloster in Brand setzten, sei eine Rauch- und Feuersäule entstanden, die sieben Wochen lang gelodert habe. Das Feuer sei auch in Zentralfrankreich gesehen worden und habe vor dem nahenden Feind gewarnt. Dieses Fanal sei es nun gewesen, d; J.s Karl den Großen zum Eingreifen aufgerufen habe. Der König habe an der Spitze eines Heeres die Pyrenäen überquert, die alte Bischofstadt Girona wiedererobert und zur Wiederaufrichtung Ripolls beigetragen, bevor er sich wieder nach Osten wandte 1. Nicht der Heilige Jakobuswie im Pseudo-Turpin überliefertsondern das Kloster Ripoll rief den fränkischen Herrscher also auf die Iberische Halbinsel. So will es die Sage. I "Quan els sarrai: ns van envair Ia terra, arribaren fins a Ripoll i calaren foc al monestir, que, de tan grandios, va cremar set setmanes seguides. D'aquella foguera se n'aixeca una columna de fum tan a! ta i espessa, que es veia des de mitja Fran~a. Per ! es terres d'enlla del Pirineu va c6rrer Ia veu que els moros havien arribat al peu de Ia serralada i que tot ho sacquejaven i cremaven, de que era testimoni aquella immensa columna de foc que s'aixecava cap el cel com un toc d'alarma perals pobles cristians. La nova va arribar ben aviat fins a l'emperador Carlemany, que decidi armar dpidament un exercit i sortir al pas de Ia moraima per tal de deturar-la i contenir-la. Carlemany vingue a Catalunya i va batre els moros fins aderrotar-Ios a Girona, i els feu recular cap a Ia Moreria ..." Qoan AMADES, Folklore de Catalunya: Rondallistica. Rondalles, tradicions, liegendes [Barcelona 1950] S. 1151, Nr. 1616: Fundaci6 del monestir de Ripoll). <?page no="138"?> 122 Nikolas J aspert Doch jenseits aller neuzeitlichen Legenden gibt es auch einen weiteren, der Stadt Santiaga de Compostela und der hier im Vordergrund stehenden Handschrift stärker verpflichteten Bezug zwischen beiden Orten. Denn aus Ripoll stammt die älteste uns erhaltene Abschrift des Pseudo-Turpin. Sie wurde von einem Mönchnamens Arnaldus de Monte, katalanisch Arnau de Mont, im Jahre 1172 oder 1173 in Santiaga de Compostela angefertigt. Das heute im Kronarchiv zu Barcelona aufbewahrte Manuskript 2 enthält neben der fast vollständigen Kopie des Pseudo-Turpin und des dritten Buches des Liber Sancti J acobi die lückenlose Abschrift des zweiten Buchs mitsamt einigen Auszügen aus dem ersten und fünften Buch 3. Arnaldus schrieb also nicht den gesamten Liber SanctiJacobi ab, sondern er traf eine bewußte Auswahl, die er auch neu anordnete. Der besondere wissenschaftliche Wert der Abschrift des Arnaldus besteht darin, daß sie zu einem Zeitpunkt angefertigt wurde, als der Codex Calixtinus noch in seiner ursprünglichen Fassung vorlag, d.h. bevor spätere Schreiberhände neue Folia in die Handschrift einfügten 4 • Für eine kritische Edition kommt dem katalanischen Manuskript also außerordentliche Bedeutung zu. Von ihr stammt eine Familie von neun weiteren Codices ab, die aus dem Liber SanctiJacobi in aller Regellediglich den Pseudo-Turpin enthalten 5. Dieser wird häufig um einen weiteren 2 Arxiu de Ia Corona d'Arag6, Manuscrits, Ripoll99, 280x133 mm, 86 fol., 26 Zeilen pro Seite. Herzlichen Dank an Klaus HERBERS für die Überlassung einer Microfilmkopie der Handschrift. 3 Der Pseudo-Turpin befindet sich auf fol. 56 v-80r. Zur Zusammensetzung der Ripoller Handschrift und den Abweichungen von der Compostelaner Vorlage siehe Le Guide du pelerin de Saint-Jacques de Compostelle. Textelatin du xne siede, ed. und übers . Jeanne VIELLIARD (Macon 1938, ND 1963); Adalbert HÄME L, Überlieferung und Bedeutung des Liber Sancti Jacobi und des Pseudo-Turpin (Sitzungs berichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1950, 2, München 1950) S. 23-28, wo er eigene, ältere Vermutungen revidiert (Adalbert HÄMEL, Arnaldus de Monte und der Liber Sancti Jacobi, in: Hornenarge a Antonio Rubi6 i Lluch 1 [Barcelona 1936] S. 147-159). Siehe auch Andre MOISAN, Le Iivre de Saint Jacques ou Codex Calixtinus de Compostelle. Etude critique et litteraire (Paris 1992) S. 84-87, 101-102. Das dritte Buch wurde sogar um fünf Mirakel aus anderen Büchern erweitert. 4 Auf die unterschiedlichen Phasen bei der Redaktion des Liber Sancti Jacobi weisen hin: HÄMEL, Überlieferung (wie Anm. 3) S. 21-29; Adalbert HÄM EL, Der Pseudo- Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß hg. von Andre DE MANDACH (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: phil.-hist. Klasse 1965,1, München 1965) S. 18-23; Klaus HERBERS, Der Apostelkult des 12. Jahrhunderts und der Liber SanctiJacobi (Historische Forschungen 7, Wiesbaden 1984) S. 33; MOISAN, Livre (wie Anm. 3) S. 32-36, 83-105; Liber SanctiJacobi. Codex Calixtinus, ed. Klaus HERBERS/ Manuel SANTOS NOIA (Santiago de Compostela 1999). 5 Die Handschriften befinden sich nach HÄMEL , Überlieferung (wie Anm. 3) S. 66-67 in Florenz, Bibi. Laurentiana; Paris, Bibi. Nationale (4 Exemplare); Rom, Bibi. Vaticana; Madrid, Bibi. Nacional und Toulouse, Bibi. municipale. Siehe auch HÄMEL, <?page no="139"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 123 Text ergänzt, nämlich die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Kloster La Grasse verfaßten Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam. Es kann hier nicht darum gehen, diese Handschriftenfiliation oder die Ripoller Leithandschrift in extenso vorzustellen; dies ist bereits verschiedentlich, so von Hämel, de Mandach, Moisan und anderen geleistet worden 6• Genauso wenig ist es mein Anliegen, im Vergleich mit dem Codex Calixtinus die wenigen Textvarianten zwischen beiden Handschriften zu benennen 7. Vielmehr soll hier die Frage interessieren, was zu einem solch frühen Zeitpunkt gerade einen Mönch aus Ripoll dazu brachte, den langen Weg nach Santiago zu suchen, dort den Liber Sancti Jacobi abzuschreiben und dabei gerade die vorliegende Auswahl zu treffen. I. Das Kloster Ripoll als geistliches und kulturelles Zentrum Das im Jahre 888 feierlich geweihte Kloster Ripoll8 ist nicht nur für Kenner des Liber Sancti Jacobi ein bedeutender Ort. Wer es heute besucht, tut dies in aller Regel wegen seines berühmten Westportals, das trotz erheblicher, durch Umwelteinflüsse bedingter Zerstörungen noch immer eine Sonderstellung innerhalb der romanischen Skulptur der Iberischen Halbinsel einnimmt 9 . Dieses sich über zwölf Meter hinziehen- Arnaldus de Monte (wie Anm. 3) S. 12; Andre DE MANDACH, Naissance et developpement de Ia chanson de geste en Europe 1: Lageste de Charlemagne et de Roland (Publications romanes et fran~aises 69, Geneve u.a., 1961) S. 393-394. Zu den Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam und dem Zeitpunkt ihrer Entstehung siehe die neue Edition von Christian HEITZMANN, Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam: Untersuchungen und Neuedition (Millennio medievale 11/ Millennio medievale. Testi 4, Tavarnuzze 1999), zur DatierungS. XXXIV-XXXVII. 6 Siehe oben, Anm. 3. 7 Die Textvarianten des fünften Buchs sind verzeichnet bei VIELLIARD, Le Guide du pelerin (wie Anm. 3). Zum vierten Buch siehe die Auflistung bei HÄMEL, Überlieferung (wie Anm. 3) S. 22 und HÄMEL, Der Pseudo-Turpin (wie Anm. 4) S. 23-33. 8 Das Kloster ist bereits zu Beginn des 880er Jahre erstmals bezeugt. Zur Frühgeschichte: Jaime VILLANUEVA, Viaje Iiterario a las iglesias de Espaiia 7 (Madrid 1821) S. 1- 61, 209-236; Rudolf B EE R, Die Handschriften des Klosters SantaMariade Ripoll 1-2 (Sitz un gs berichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse 155,3 und 158,2, Wien 1908); Eduardo J UNYENT, La basflica del monasterio de Santa Maria de Ripoll (6Ripoll 1985); EI Ripolles, hg. von Jordi VIGUE (Catalunya Romimica 10, Barcelona 1987) S. 206-353 (mit umfangreicher Literatur). Zur Gründung: Rarnon o' ABADAL I VI NYALS , La fundacio del monestir de Ripoll, Analacta Montserratensia 10 (1962) S. 187-197 (ND in Ders., Dels visigots als catalans 1-2 (Barcelona 1969 / 7 0). 9 Nuria DE DALMASES/ Antonio JOS E I PITARCH, Historiade l'art catala 1: Eis inicis i l'art romanic s. IX- XII (Barcelona 1986) S. 40-41; VIGUE, EI Ripolles (wie Anm. 8) <?page no="140"?> 124 Nikolas jaspert de, auf sieben Ebenen gestaffelte und ikonographisch hochgradig komplexe Programm entstand nicht ex nihilo, sondern es war Ausdruck der enormen kulturellen Strahlkraft, die das Kloster zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert besaß. Ripoll zog in dieser Zeit bedeutende Gelehrte an, entwickelte sich zu einem literarischen Zentrum ersten Ranges, beherbergte eine der reichsten Klosterbibliotheken der lateinischen Christenheit und diente als Schaltstelle für den Kulturtransfer zwischen Orient und Okzidentlo. Unter den Gelehrten aus Ripoll ragen insbesondere zwei heraus: zum einen Gerbert von Aurillac, der v on 967 bis 970/ 71 hier weilte, bevor er zum Erzbischof von Reims, zum Berater Kaiser Ottos III. und schließlich unter dem Namen Silvester li. (999-1002) zur Papstwürde aufstieg 11 . Gerbert galt als einer der gebildetsten Männer seiner Zeit, unter dessen Pontifikat u.a. die Grundlagen für die polnische und ungarische Kirche gelegt wurden. Zum anderen verdient der knapp vierzig Jahre nach Gerbert, nämlich im Jahre 1046 verstorbene 0 liba von Ripoll Erwähnung: Der Sohn des Grafen von Besalu und Cerdanya wurde im Jahre 1008 Abt von Ripoll und zehn Jahre später Bischof von Vic. Der in politischen und kirchenpolitischen Angelegenheiten äußerst rührige Geistliche stand mit den Herrschern des östlichen und westlichen Pyrenäenraums in engstem Kontakt und trieb hier die Gottesfriedensbewegung voran. Unter seinem Abbatiat bzw. Pontifikat wurden die Klosterkirche von Ripoll und die Kathedrale von Vic vollständig neu errichtet, S. 232-252; Francisco RICO, Signos e indicios en Ia portada de Ripoll, in: DERS., Figuras con paisaje (Barcelona 1994) S. 107-178; Manuel Antonio CASTI N EIRAS GON- ZALE Z, Ripoll, in: Enciclopedia dell' arte medievale 10 (1999) S. 27-33, 28-30; Xavier llARRAL I ALT E T, Le portail de Ripoll. Etat des questions, Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 4 (1973) S. 139-161. Zum restlichen Skulpturenprogramm des Klosters siehe DERS., La sculpture a Ripoll au xne siede, Bulletin Monumental131 (1973) s. 311-359. 10 Allgemein zum Kloster und seiner Kultur siehe (jeweils mit reichen Literaturangaben): Maria PALMIERI, Marca Hispanica: provincia incolta? , Schede Medievali 28/ 29 (1995) S. 22-44; Manuel Antonio CASTINEIRAS GON ZA LEZ, Ripoll i les relacions culturals i artfstiques de Ia Catalunya altmedieval, in: Dei roma al romanic. Historia, art i cultura de Ia Terraconense mediterrania entre els segles IV i X (Barcelona 1999) S. 435-442 sowie die Beiträge in Tiempo de monasterios. Los monasterios de Cataluiia en torno al aiio 1000 (Barcelona 2000). II Zu Gerberts Aufenthalt in Ripoll und den dort möglicherweise v on ihm benutzt en Handschriften siehe: B EE R, Handschriften 1 (wie Anm. 8) S. 47- 69; Uta LINDGR EN , Gerben von Reims und die Lehre des Quadriviums, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin 2, hg. von Anton VON Euw u.a. (Köln 1991) S. 291-304; Michel ZIMM E RMANN, La Catalogne de Gerbert, in: Gerben l'Europeen. Actes du Collo qu e d' Aurillac (4-7 juin 1996), hg. von Ni cole CHAR BO NNEL (Aurillac 1997) S. 79-101; Antoni PLADEVALL, Silvestre Il (Gerbert d'Orlhac) (Barcelona 1998). <?page no="141"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 125 die Bibliothek konsequent weiter ausgebaut 12. Der Abt selbst war literarisch hochgebildet und verfaßte eine Reihe von Predigten, Hirtenbriefen, Gedichten, Prosaschriften und theologischen Werken 13. Unter ihm erlebte das Kloster seine eigentliche Blütezeit. Dies galt insbesondere für den kulturellen Bereich. Abt Oliba war nicht nur selbst literarisch tätig, an seinem Kloster entstand auch eine Dichterschule, die sogenannte Schule von Ripoll. Sie schuf eine Reihe lateinischer Liebesgedichte, die zum Bedeutendsten gehörten, was die Hispanische Lyrik des Mittelalters hervorgebracht hat 14. Gesammelt wurden diese Schriften in einer Klosterbibliothek, die bis zu ihrer Auflösung und partiellen Zerstörung im Jahre 1835 eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste der gesamten Iberischen Halbinsel war 15 . Nach Ausweis eines Inventars aus dem Jahre 1047 konnte sie zu jener Zeit schon 246 Handschriften ihr Eigen nennen16. Noch heute umfaßt die inzwischen 12 Zu Leben und Werk: B EER, Handschriften 1 (wie Anm. 8) S. 69-85; Miquel COLL I ALENTORN, La historiografia de Catalunya en el periode primitiu, Estudis Romanics 3 (1951/ 52) S. 139-196, hier: 147-149; El Ripolles (wie Anm. 8) S. 44-45, 211-215, 278-287 und jetzt die umfangreiche Quellensammlung Diplomatari i escrits de l'abat i bisbe Oliba, ed. Eduard JUNYENT I SuBIRA, hg. von Anscari M. MUNDÖ (Memories de la Secci6 Hist6rico-Arqueol6gica 44, Barcelona 1992). Vgl. auch die Beitäge über Oliba von Anscari M. MUNDÖ, jetzt vereint in: DERS., Ohres completes I: Catalunya 1 (Barcelona 1998) S. 308-425. 13 Seine Werke sind jetzt zusammengetragen in: Diplomatari i escrits (wie Anm. 12) s. 301-386. 14 Luis NICOLAU o'OLWER, L'escola poetica de Ripoll en els segles X-XIII, Anuari d'Estudis Catalans 6 (1923) S. 3-84; Therese LATZKE, Die Carmina erotica der Ripollsammlung, Mittellateinisches Jahrbuch 10 (1975) S. 138-201; Cancionero de Ripoll = Carmina Rivipullensia, ed. und übers. Jose-Luis MORALEJO (Barcelona 1986). Vgl. Alison Goddard ELLIOTI, A Note on Names: The Love Poems from Ripoll, Mittellateinisches Jahrbuch 15 (1980) S. 112-120; Giovanni REGGIO, L'anonimo poeta d'amore della scuola poetica de Ripoll, Saggi e Rassegna 11 (1986) S. 103-123; Joseph SZöVERFFY, Secular Latin Lyrics and Minor Poetic Forms of the Middle Ages. A Historical Survey and Literary Repertory from the Tenth to the Early Thirteenth Century 3 (Medieval Classics: Textsand Studies 27, Concord 1994) S. 256-263. 15 Zur Bibliothek: VILLANUEVA, Viaje literario 7 (wie Anm. 8) S. 34-60 (mit reicher Literatur); BEER, Handschriften; El Ripolles (wie Anm. 8) S. 276-334; Ferran V ALLS I TABERNER, Codices manuscritos de Ripoll. El inventario de 1823 de Pr6spero de Bofarull (Barcelona-Malaga 1991); Anscari M. MUNDÖ: L'escriptori i la biblioteca de Ripoll des de la fundaci6 fins al segle XI, in: Cloenda de 1' onze centenari de Santa Maria de Ripoll (Ripoll1987) S. 51- 57, ND in: DERS., Ohres completes I: Catalunya 1 (Barcelona 1998) S. 434-437 sowie die Einbettung in den größeren katalanischen Zusammenhang von DEMS., La cultura artfstica escrita, in: Catalunya Romanica I: Introducci6 a 1' estudi de 1' art Romanic Catala (Barcelona 1994) S. 133-162, ND als La cultura escrita dels ss. IX-XII a Catalunya, in: DERS., Ohres completes I: Catalunya 1 (Barcelona 1998) S. 484-582. 16 Diplomatari i escrits (wie Anm. 12) S. 396-400; BE ER , Handschriften 1 (wie Anm. 8) S. 101-109. Schon im J ahre 979 verfügte die Bibliothek über ungefähr 65 Handschriften (Diplomatari i escrits [wie Anm. 12] S. 6- 7; BEER, Handschriften 1 [wie Anm. 8) <?page no="142"?> 126 Nikolas faspert im Barceloneser Kronarchiv untergebrachte Sammlungtrotz vielfältiger Verlusteil 233 mittelalterliche Manuskripte mit über 1000 Textabschriften aus dem 9. bis 18. Jahrhundert, einige unter ihnen von größtem wissenschaftlichem Wert18. Die Bibliothek war das Produkt eines außerordentlich aktiven Skriptoriums, an dem nicht nur ältere lateinische Werke kopiert und kommentiert19, sondern auch neue verfaßt sowie-und das macht den besonderen Ruhm Ripolls aus- Texte aus der islamischen Welt übersetzt wurden. Diese Scharnierfunktion des Klosters zwischen Ost und West war die Voraussetzung für die Vermittlung astronomischer und anderer naturwissenschaftlicher Studien in die lateinische Welt; hier wie in anderen Bereichen diente Ripoll der lateinischen Christenheit als Einfallstor für fremdes Wissen20. War es dieses allgemeine Interesse an Handschriften und literarischen Werken, das Arnaldus de Monte dazu brachte, den Codex Calixtinus zu exzerpieren? Der Kopist selbst liefert uns eine Antwort auf diese Frage, denn er beschloß seinen Text auf Folio 84 mit einem Brief an Abt und Prior seines Heimatklosters 21 . Demnach habe er den Weg nach S. 67). Über spätere Inventare (des 17.-19. Jahrhunderts) siehe BEER, Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 2-3. 17 Allein beim Brand des Klosters im Jahre 1835 gingen 129 Handschriften verloren (BEER, Handschriften 1 [wie Anm. 8] S. 12, Anm. 2). 18 Zur Sammlung siehe Federico UDINA MAR TORELL, Guia hist6rica y descriptiva del Archivode Ia Corona de Aragon (Madrid 1986). 19 Jose MARTfNEZ GAZQUEZ, La cultura de los monjes de Ripoll: los comentarios lingüisticos y sus glosas, in: Homenaje al profesor Luis Rubio 2 (Estudios Romanicos 5, Murcia 1990) S. 899-905; Jesus ALTURO I PERUCHO, Corpus glossariorum latinorum Cataloniae I: els glossaris de Ripoll (I), Faventia 12/ 13 (1990/ 91) S.141-164; DERS.: La cultura llatina medieval a Catalunya. Estat de Ia qüesti6, in: Symposium international sobre els origens de Catalunya (segles VIII-X) (Barcelona 1991) S. 21-48. Zur Illumination: Maria Eugenia IBARBURU, Los scriptoria de Ripoll, Vic y Girona, un posible estilo catalan de ilustraci6n de manuscritos, Lambard 7 (1993/ 94) S. 151-171, die orientalische Einflüsse nachzuweisen sucht. 20 Joan SAMSÖ, Cultura cientifica arab i cultura llatina a Ia Catalunya altmedieval: el monestir de Ripoll i el naixement de Ia ciencia catalana, in: Symposium international sobre els origens de Catalunya (segles VIII-X) 1 (Barcelona 1991) S. 253-269; Gemma PUJ GVERT PLANAGUMA, Estudi dels manuscrits cientifics del monestir de Santa Maria de Ripoll: notes per a un estat de la qüesti6, Faventia 17 (1995) S. 89-118; Manuel CASTINEIRAS GONZÄLEZ, Ripoll i ! es relacions culturals (wie Anm. 10); D ERS. , Diagramas y esquemas cosmograficos en dos miscelaneas de c6mputo y astronomia de la abadia de SantaMariade Ripoll (ss. XI-XII), in: En camino hacia la gloria. MisceLinea en honor de Mons. Eugenio Romero Pose, hg. von Luis QUINTEIRO FIUZA/ Alfonso Novo (Santiago de Compostela 1999 = Compostellanum 43, 1998) S. 593-646. 2 1 Arxiu de Ia Corona d'Arag6, Manuscrits, Ripoll 99, fol. 85f-86 r. Text bei VJELLIARD, Le Guide du pelerin (wie Anm. 3) S. 126-131 und HAMEL, Arnaldus de Monte und der Liber Sancti Jacobi (wie Anm. 3) S. 147; BEER, Handschriftenschätze Spaniens (wie Anm. 25) S. 49-51. Bei dem Abt handelte es sich um Raimund von Berga, beim <?page no="143"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 127 Galicien propter indulgentiam peccatorum meorum gesucht und weil es ihn dürstete, den Ort zu sehen, der von allen Völkern verehrt werde. In Compostela angekommen, sei er auf eine Handschrift gestoßen, die aus fünf Büchern bestehe und Mirakelberichte des Heiligen 1akobus, aber auch Passagen aus den Kirchenvätern enthalte. Diese Handschrift weise außerdem eine Vielzahl an Gebeten und anderen Liturgica für das ganze Kirchenjahr auf. In Anbetracht der besonderen Zuneigung, die der Abt von Ripoll dem Heiligen 1 akobus gegenüber empfinde und wegen des Altars, den einer seiner Vorgänger zu Ehren des Heiligen in Ripoll hatte errichten lassen, habe Arnaldus beschlossen, die Handschrift abzuschreiben, um sein Kloster mit einer großen Sammlung von Mirakelberichten auszustatten, an der es bislang gemangelt habe. Da es aber an Zeit und Mitteln gefehlt habe, habe er nur drei Bücher vollständig kopiert, nämlich eines, das die besagten Mirakel enthalte, ein weiteres über die Translatio des Apostels von1erusalem nach Spanien und ein Buch, in dem beschrieben werde ... qualiter Karalus Magnus domuerit et subjugaverit jugo Christi Hispanias. Nach einer kurzen Synopse der nicht in extenso kopierten Stellen beschloß Arnaldus sein Postskriptum mit einer Datumsangabe, nämlich dem 1 ahre 1173 nach der Fleischwerdung des Herrn 22. Die Sache scheint auf den ersten Blick nun klar zu sein: Dem Benediktiner war daran gelegen, eine Mirakelsammlung zu übermitteln, um die bereits in seinem Kloster gepflegte Verehrung des Heiligen zu stärken. Könnten aber neben dem unbestreitbaren, auch durch andere Hin weise bestätigten 23 liturgischen Interesse auch andere Gründe für die Abschrift des Liber Sancti 1acobi verantwortlich gewesen sein? Genauer gefragt: Welche Gründe dürften wohl zur Aufnahme gerade des Pseudo-Turpin geführt haben, während andere Bücher nur in Auszügen kopiert wurden? Ich möchte im folgenden zwei meines Wissens bislang unbeachtete Beweggründe hierfür zur Diskussion stellen und diese aus den spezifischen Aufgaben ableiten, die das Kloster Ripoll und seine Bibliothek für die Grafengeschlechter des östlichen Pyrenäenraums erfüllten. Prior um Bernat de Peramola (BEER, Handschriften 2 [wie Anm. 8] 35), nicht um "Maxime"wie b ei MOISAN, Livre (wie Anm. 3) S. 84. Vgl. jetzt Antoni LLAGOSTE - RA FERNANDEZ, Notes sobre els abaciologis del monestir de SantaMariade Ripoll: nou abaciologi, Annals del Centre d'Estudis Comarcals del Ripolles 1995-1996 (Figueres 1996) S. 13-77. 22 Dabei handelt es sich um das Jahr 1172 oder 1173, je nachdem, ob der Pisaner Computus Anwendung fand (vgl. HÄMEL , Überlieferung [wie Anm. 3] 66 nach Fidel FITA, Recuerdos de un viaje a Santiago de Galicia [Madrid 1880] S. 49). 23 Siehe unten, Anm. 75. <?page no="144"?> 128 Nikolas ]aspert Il. Geschichtsschreibung im Dienste der Grafen Die Ripoller Bibliothek hat seit dem 17. Jahrhundert verschiedentlich die Aufmerksamkeit der Historiker gefundengenannt seien J eroni Pujades (1568ca. 1645), Pierrede Marca (t 1662) undJaime Villanueva24. Doch erst zu Beginn dieses Jahrhunderts hat sich der Wiener Historiker Rudolf Beer (1863-1913) der Mühe unterzogen, den Bestand wissenschaftlich zu katalogisieren und der internationalen Forschung zu erschließen. Beer verfaßte eine zweibändige Studie, in der er das kulturelle Klima Ripolls anhand der erhaltenen und erwähnten Handschriften darzustellen versuchte 25 . Aufgrund seiner und späterer, weiterführender Arbeiten wissen wir von der besonderen Bedeutung Ripolls für die Dichtung, die Naturwissenschaften und die Theologie. Dies spiegelt sich auch im Bibliotheksbestand selbst wider: Von den Handschriften des 12. Jahrhunderts sind die allermeisten diesen Feldern zuzuordnen. Einige andere gehören hingegen einer anderen Gattung an, einer Gattung, von der bislang nicht die Rede war, in der Ripoll aber ebenfalls eine herausragende Rolle spielte: der Geschichtsschreibung. Zahl, Alter und Qualität der im Pyrenäenkloster geschaffenen Werke machen Ripoll zum unbestreitbaren Zentrum katalanischer Historiographie des Hochmittelalters 26 . Nicht weniger als dreizehn Werke des 10. bis 12. Jahrhundertsvon inschriftlichen Zeugnissen über Annalen bis hin zu Chronikenwurden in Ripoll geschaffen 27 . M anche dieser 24 Ger6nimo PUJAD E S, Cr6nica universal del Principado de Cataluiia 1-4 (Barcelona, 1829-1832); PierreDE MAR C A, Marca Hispanica sive Iimes hispanicus hoc est geographica et historica descriptio Cathaloniae (Paris 1688); Jaime VILLANUEVA, Viaje Iiterario a las iglesias de Espaiia 1-52 (Madrid-Valencia 1803-1852), hier Bd. 7 (Madrid 1821). 25 B EER, Handschriften (wie Anm. 8); schon zuv or hatte er auf die Bestände hingewiesen: Rudolf B EER , Handschriftenschätze Spaniens: Bericht über eine im Auftrage d er Kaiserlich en Akademie d er Wissenschaften in den J ahren 1886- 1888 d urchgeführte Forschungsreise (Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse 128,12, Wien 1893) S. 47-51. 26 COLL I ALENTORN, La historiografia (wie Anm. 12) S. 146-151, 154-73, 180-195; Michel ZIMMERMANN, EI papel de Ripoll en Ia creaci6n de una historia nacional catalana, in: Tiempo de monasterios (wie Anm. 10) S. 252-273. Allgemein z ur spanischen Historiographie des Früh- und H ochmittelalters: Benito SANC HE Z ALO NS O, Historiade Ia historiogr afla espaiiola. Ensayo de un examen de conjunto 1 (Madrid 1947); Norbert KE RS KEN , G eschichtsschreibung im Europa d er "n ati on es": Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter (Münstersche Historische Forschungen 8, Köln 1993) S. 13-77; Mario HuETE Fumo, La historiografi: a latina medieval en Ia Peninsula Iberica (siglos VIII-XII): fuentes y bibliograffa (Madrid 1997) s. 87-94. 27 VI LL A NU EVA , Viaje Iiterario 7 (wie Anm. 8) S. 233-245; COLL I ALE NTORN, Historiografia (wie Anm. 12). Über spätere, am Kloster geschaffene historiographische Arbeiten siehe B EER , H andschriften 2 (wie Anm. 8) S. 56- 57. <?page no="145"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 129 Werke gelangten im 12. Jahrhundert in andere Klöster und wurden dort fortgeführt, andere verblieben im Mutterhaus 28 . Zur Verstreuung der Texte trug auch die rechtliche Unterstellung Ripolls unter dem Kloster Saint Victor zu Marseille im Jahre 1070 bei, von dessen Oberherrschaft sich die Ripoller Mönche gerade zu der Zeit lösten, als Arnaldus de Monte seine Kopie des Pseudo-Turpin anfertigte (1172)29. Für die Redaktion dieser historiographischen Texte hätten die Mönche auf antike und frühmittelalterliche Werke zurückgreifen können, die als Abschriften in ihrer Bibliothek vorhanden waren: nach der bereits erwähnten Liste des Jahres 1047 vedügten sie über Schriften Cassiodors, Isidors, Caesars, Flavius' Josephus und Eusebius', sowie überverschiedene Martyrologien und Viten, unter ihnen diejenige Karls des Großen aus der Hand Einhards30. Doch wurden diese Texte nicht wirklich von den Historiographen rezipiert, die bis ins 12. Jahrhundert hinein fast ausschließlich knappe Annalen verfaßten 31 . Diese Werke waren inhaltlich 28 Zur Bibliothek und der Versendung von Handschriften aus Ripoll an andere Zentren siehe Anscari M. MUND6, Importaci6n, exportaci6n y expoliaci6n de c6dices en Cataluiia (siglos VIII al XIII), in: Actas del coloquio sobre circulaci6n de c6dices y escritos entre Europa y Ia Peninsula en los siglos VIII-XIII. Santiago de Compostela, 16-19 septiembre 1982 (Cursos y congresos de Ia Universidad de Santiago de Compostela 36, Santiago de Compostela 1988) S. 87-134, 120-124. Über den Verlust von Handschriften während und nach der Abhängigkeit Ripolls von S. Victor in Marseille ebd., S. 131-134; B EE R, Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 12-32; Andre WILMAR T, La composition de Ia Petite Chronique de Marseille jusqu' au debut du XIIIe sie de (Regin. Lat. 123), Revue Benedictine 65 (1933) S. 142-159; COLL I AL ENTORN, Historiografia (wie Anm. 12) S. 154-160, 180-187; Thomas N. BISSON, Unheroed Past: History and Commemoration in South Frankland before the Albigensian Crusades, Speculum 65 (1999) S. 281-308, 287-292; HuETE Fumo, La historiografia latina (wie Anm. 26) S. 91-94 . 29 Die Unterstellung erfolgte a uf Betreiben des Grafen Bernhard II. von Besalu, wahrscheinlich zur Absicherung seiner gefährdeten Position im Raum um Ripoll: Johannes BAUER, Rechtsverhältnisse der katalanischen Klöster von der Mitte des 10. Jahrhunderts bis zur Einführung der Kirche nr eform, Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens. Spanische Forschungen der Görresgesellschft 22 (1965) S. 1- 175, 72-77; Odilo ENGELS, Schutzgedanke und Landesherrschaft im östlichen Pyrenäenraum, 9.-13. Jahrhundert (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 2,14, Münster 1970) S. 247-248. 30 Vgl. Anm. 67. B EE R, Handschriften 1 (wie Anm. 8) S. 101-109; COLL I ALENTORN, Historiografia (wie Anm. 12) S. 195-196. Für die Produktion des 12. Jahrhunderts dürften in Ripoll nachgewiesene Abschriften fremder Ann alen und Chroniken wie der Historia Franeorum des Aimoin von Fle ur y (1047 nachgewiesen) od er der Annales Anianenses (Abschrift 12 . Jh.) - B EER , Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 58 einflußreicher gewesen sein. 31 Über die frühe historiographische Produktion des Hauses neben CoLL I ALENTORN, Historiografia (wie Anm. 12), ZIMM E RMANN, EI papel de Ripoll (wie Anm. 26) und BISS O N, Unheroed Past (wie Anm. 28) S. 286-292: Josep Maria SALRA CH I MARES, Contribuci6 dels monjos de Ripoll als origens de Ia historiografia catalana: els primers cronicons, in: Art i cultura als monestirs del Ripolles (Biblioteca Mila i Fant anals 20, Barcelona 1995) S. 17-35. <?page no="146"?> 130 Nikolas ]aspert auf zwei Herrschaftszentren orientiert: anfangs vor allem auf das westfränkische Königtum, später zunehmend auch auf das Geschlecht der Grafen von Barcelona. Dies war kein Zufall, denn seit seinen Anfängen war das Kloster eng mit den lokalen Grafengeschlechtern verbunden. Im Jahre 888 war es von Wifred dem Haarigenkatalanisch Guifre el Pel6s (t 898) -,Graf von Urgell-Cerdanya und seit 878 auch Graf von Barcelona, Besalu und Girona, geweiht worden, seine Nachfolger förderten das Coenobium ausgiebig, und viele Grafen des 9. bis 12. Jahrhunderts ließen sich hier bestatten32. Ripoll war das Zentrum der liturgischen Memoria des Geschlechts und der mit ihm verwandten katalanischen Grafenhäuser33. Auch der Bezug zum westfränkischen Königtum ist leicht verständlich: Im Gegensatz zu anderen Teilen der Iberischen Halbinsel wie etwa Kastilien gingen die politischen Entitäten im südlichen Pyrenäenraum direkt auf das Karolingerreich zurück 34 . Hier waren nach der Eroberung Barcelonas durch Ludwig den Frommen im Jahre 801 Grafschaf- 32 ENGELS, Schutzgedanke und Landesherrschaft (wie Anm. 29) S. 439 s .v. Florenci CRIVILLE I ESTRAGUES, La tomba del Comte Guifre el Pel6s en el Monestir de Ripoll (Ripoll1987). Zu den Verwandtschaftsverhältnissen zwischen den Grafenhäusern des Pyrenäenraums siehe Armand OE FLUVIA I ESCORSA, Eis primitius comtats i vescomtats de Catalunya (Barcelona 1988); Martin AURELL, Jalons pour une enquete sur ! es estrategies matrimoniales des comtes catalans, in: Sy mposium international sobre els orfgens de Catalunya (segles VIII-X) (Barcelona 1991) S. 281-364; Maria-Merce Co- STA, Les genealogies comtals catalans, ebd., S. 447-462; Martin AUR ELL , Les Noces du comte. Marriage et pauvoir en Catalogne (785- 1213) (Paris 1995). 33 Nach dem Tode Wifreds gehörte das Kloster zuerst zum Herrschaftsbereich der Grafen von Osona, dann (nach 1002) derer von Besalu und schließlich (seit 1111) derer von Barcelona, die sich aber alle von Wifred ableiteten (vgl. EI Ripolles [wie Anm. 81 S. 215-216). ZIMMERMANN , Papel de Ripoll (wie Anm. 26) S. 261-262 weist auf die Regelmäßigkeit hin, mit der Ripoll in den Testamenten der katalanischen Grafenfamilien bedacht wurde. 34 Über Katalonien zur Karolingerzeit siehe die von Rarnon o' A BADAL I VINYALS initiierte, grundlegende und jüngst fortgesetzte Quellensammlung der Catalunya Carolingia (bislang 4 Bde. in 7 Teilen) mit der Übersicht Rarnon o' ABADAL I VINYALS, EI domini carolingi a Catalunya (Institut d'Estudis Catalans. Memories de Ia Secci6 Historico-Arqueologica 35 = Catalunya Carolingia 1, Barcelona 1986). Daneben als weitere Gesamtdarstellungen: Rarnon o' ABADAL I VINYALS, Dels visigots als catalans 1-2 (Barcelona 1969/ 70); ENGELS, Schutzgedanke und Landesherrschaft (wie Anm. 29); Pierre BONNASSIE, La Catalogne du milieu du x e a Ia fin du xie siede. Croissance et mutations d'une societe 1-2 (Publications de l'Universite de Toulouse - Le Mirail, A 23, 29, Toulouse 1975/ 76); Josep Maria SALRACH I MARES, EI proces de formaci6 nacional de Catalunya 1-2 (segles VIII-X) (Llibres a l'Abast 136, Barcelona 1978); Deiromaal romanic (wie Anm. 8) S. 367-546 mit umfangreicher Literatur 457-480; Julia M. H. SMITH, Fines imperii: the marches, in: The New Cambridge Medieval History: c. 700c. 900, hg. von Rosamond McKITTERICK (Cambridge [u.a.] 1995) S. 169-189; Ausstellungskatalog: Catalunya a l'epoca carolingia. Art i cultura abans del romanic (segles IX i X), 16 decembre 1999-27 febrer 2000, Museu Nacional d' Art de Catalunya (Barcelona 1999). <?page no="147"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 131 ten errichtet worden, deren Vorsteher sich seit dem Ende des 9. Jahrhunderts von weisungsgebunden Amtszu faktisch selbständig agierenden Herrschaftsträgern zu entwickeln und damit von ihren nominellen Herren zu emanzipieren begannen, ohne aber die Bindung an den westfränkischen König aufzugeben35. Nominell behielt dieser noch immer die Oberherrschaften über die katalanischen Grafschaften, was auch südlich der Pyrenäen dadurch implizit anerkannt wurde, daß Urkunden in diesem Raum nach den Herrschaftsjahren der westfränkischen Könige datiert wurden. Daran änderte auch der Übergang des Königtums von den Karolingern zu den Rohertinern und den Kapetingern anfangs nichts. Zwar waren diese zu sehr mit der Konsolidierung ihrer eigenen Herrschaft beschäftigt, um sich der Rückgewinnung verlorengegangener Rechte in der Peripherie zuwenden zu können, doch noch immer besannen sich die Grafschaften südlich der Pyrenäen auf ihre Zugehörigkeit zum Regnum. Die Datierung folgte weiterhin dem westfränkischen Vorbild; gerade an einem Kloster mit ausgeprägter Schriftlichkeit wie Ripoll war das Interesse daher nur allzu verständlich, über eine genaue Auflistung der westfränkischen Könige und ihrer Herrschaftszeiten zu verfügen. Die frühen Annalen Ripolls bestanden folglich vor allem aus Königslisten. Nachdem jedoch die Herrschaft von den Karolingern endgültig auf die Kapetinger übergegangen und noch wichtiger der westfränkische König seinen katalanischen Grafen beim folgenschwe ren Überfall der Muslime auf Barcelona im Jahre 985 nicht zu Hilfe gekommen war, setzte ein Ablösungsprozeß ein3 6, der sich nicht nur in der 35 Die Gleichzeitigkeit zwischen der relativen Selbständigkeit und dem betonten Bezug auf das Königtum ist immer wieder angemerkt und verschiedentlich auf die Entfernung zwischen der Peripherie und dem Zentrum zurückgeführt worden, die diesem Rekurs die potentielle Gefahr nahm. Roger Collins verweist zugleich auf die ausgeprägte Schriftlichkeit d es Pyrenäenraums und die Tradition, Rechtsakte schriftlich durch höhere Instanzen beglaubigen zu lassen (Roger J.H. COLLINS, Charles the Bald and Wifred the Hairy, in: Charles the Bald, hg. von Margeret GIBSON! Janet L. NEL- SON [London 1992] S. 169-189, 183-187). 36 Schon Jean-Fran~ois Lemarignier hatte darauf hingewiesen, daß nach dem Jahr 987 die Zahl der an den kapetingischen Hof gesandten Schreiben aus dem Pyrenäenraum schlagartig abnahm: Jean-Fran~o is LEMARIGNIER, Le gouvernment royal aux premier temps capetiens (987-1108) (Paris 1965) S. 38-39, vgl. Benjamin Wood WESTERVELT Th e Power to Take and the Authority to Hold: Fabrications of Dynastie Legitimacy in Twelfth-Century Catalonia, Journal of Medieval and Early Modern Studies 29 (1999) S. 227-252, 246. Roger COLLINS unterstreicht hingegen, daß ein Ablösungsprozeß schon zum Ende des 9. Jhs. einsetzte (COLLINS, Charles the Bald [wie Anm. 35] S. 180-189). Mit den monastischen Einrichtungen im Midi wurde der Kontakt zum Ende des 10. Jahrhunderts hingegen beibehalten: Anscari M. MUNDÖ, EI pes de l'Europeisme en Ia formaci6 nacional de Catalunya, Revista de Catalunya 3 (1986) S. 37-50, ND in: Ohres completes I: Catalunya 1, Barcelona 1998, S. 232-242, 238-242. Zum allgemeinen Kontext sieheJoachim EHLERS, Die Kapetinger (Stuttgart 2000) s. 22- 96. <?page no="148"?> 132 Nikolas ]aspert Historiographie widerspiegelt, sondern gerade durch sie gefördert wurde37: Zwar wurden die Könige, schon allein zur Erleichterung der Datierung, noch erwähnt, die Grafen nehmen in der Überlieferung jedoch eine immer größere Rolle ein. Ebenso wie in der Politik veränderte sich auch in der Geschichtsschreibung allmählich die Perspektive, und man begann, den Blick nach Norden aufzugeben38. Die Reihe der in Ripoll geschaffenen historiographischenWerke kulminierte im 12.Jahrhundert in zwei Hauptwerken: der 1147 geschaffenen Brevis Historia monasterii Rivipullensiseiner vor allem auf Dokumenten des Hausarchivs basierenden "Streitschrift zugunsten der verbrieften Rechte " 39 und Darstellung der frühen Geschichte des Klosterssowie in den zurecht berühmten Gesta Corniturn Barcinonensium. Diese von vier verschiedenen Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts verfaßte Chronik- oder besser: Genealogie bietet einen Abriß der Geschichte des Grafenhauses von Barcelona vom ausgehenden 9. bis zum 13. Jahrhundert 40. Es 37 Treffend formuliert Michel ZIMMERMANN: "Los monjes sugieren a los soberanos Ia lectura de su historia" (ZIMMERMANN, EI papel de Ripoll [wie Anm. 26) S. 269). 38 COLL I ALENTORN, Historiografia (wie Anm. 12) S. 145-146; auf das Jahr 985 als Schicksalsjahr, ja geradezu als "Jahr Null" im Selbstverständnis und in der Historiographie Kataloniens weisen besonders hin: Michel ZIMMERMANN, La prise de Barcelone par Al-Mansur et Ia naissance de l'historiographie catalane, Annales de Bretagne et des Pays de l'Ouest 87 (1980) S. 191-201 und DERS., EI papel de Ripoll (wie Anm. 26) S. 262-263, 266-268; siehe auch Paul FREEDMAN, Symbolic implications of the events of 985-988, in: Symposium international sobre els orfgens de Catalunya (segles VIII-X) (Barcelona 1991) S. 17-30. Vgl. das dieturn Jean Dunbabins, ein "Big Bang beginning became standardised in[ ...] family histories" Qean DUNBABIN, Discovering the Past for the French Aristocracy, in: The Perception of the Past in Twelfth-Century Europe, hg. von Paul MAGDALINO [London-Rio Grande 1992) S. 1-14, 6). BISSON, Unheroed Past (wie Anm. 28) S. 288-289 widerspricht Zimmermann in seiner Beurteilung der Ereignisse von 985-987. Eine patrioisch-verklärende Geschichtssicht hat gerne in den Ereignissen von 985-988 "die politische Geburtsstunde Kataloniens" sehen wollen; vgl. auch jüngst noch die mit großem Aufwand betriebene Milleniumsfeier des Jahres 1988: "Catalunya 1000 anys: mil.lenari del naixement polftic de Catalunya" (Barcleona 1988). 39 BEER, Handschriften 2 (wie Anm. 8) 23. Insofern ist der eigentliche Titel De dignitatibus et libertatibus Rivipullensis cenobii passender. Text in: DE MARCA, Marca Hispanica sive Iimes hispanicus (wie Anm. 24) app. CXXIII. Zum Archiv von Ripoll siehe BEER, Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 20. Vgl. allgemein z um hochmittelalterlichen Ar chivwesen in Katalonien: Lawrence McCRANK, Documenting Reconquest and Reform: the Growth of Archives in the Medieval Crown of Aragon, The American Archivist 56 (1993) S. 256-318. 40 Text: Gesta corniturn Barcinonensium: textos llati i catala, ed. und übers. Louis BARRAU DIHIGO/ Jaume MAssö ToRRENTS (Croniques catalanes 2, Barcelona 1925). Vgl. Manuel C. Df AZ Y DlAZ, Index scriptorum latinorum medii aevi hispanorum 1-2 (Salamanca 1958/ 59) Nr . 1040; SANCHEZ ALONSO, Historiade Ia historiografia 1 (wie Anm. 26) S. 139-141, 239-242; Carmen ÜRCASTEGUI GRos/ Esteban SARASA, La historia en Ia Edad Media: historiografia e historiadores en Europa Occidental, siglos V-XIII (Madrid 1991) S. 207- 208; HUETE Fumo, La historiografia latina (wie Anm. 26) S. 92-93. <?page no="149"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 133 lohnt sich, etwas genauerauf die Gesta einzugehenein Werk, das ungefähr zeitgleich zur Abschrift des Pseudo-Turpin durch Arnaldus de Monte entstand. Es ist zurecht als "Rückgrat der katalanischen Historiographie"41 und "erste wirkliche Geschichte Kataloniens" 42 bezeichnet worden. Im 14. Jahrhundert wurde es zur Grundlage für die offiziöse Chronik der Krone Aragons, der von König Peter IV. in Auftrag gegebenen Cr6nica de San Juan de la Pefia4 3. In den Gesta wurde nämlich zum ersten Mal eine Geschichte des von den Grafen von Barcelona beherrschten Raums vorgelegt und damit ein wesentlicher Baustein zur Ethnogenese der Katalanen geliefert44. Der erste Teil der Gesta Corniturn Barcinonensium, der uns im Folgenden interessieren sol14 5, wurde zwischen 1162 und 1184 verfaßt. An ihm sind weniger die manchmal irrigen genealogischen Angaben von Interesse als vielmehr die narrativen Teile, die insbesondere die ersten beiden Kapitel und die Darstellung der Herrschaftszeit Graf Raimund Berengars IV. ausmachen. Aus diesen beiden Teilen wird nämlich die eigentliche Zielsetzung des Werkes deutlich: Sie bestand darin, den faktischen Übergang der Herrschaft über Katalonien vom westfränkischen Königtum auf die Grafen von Barcelona zu erklären und zu rechtfertigen. Die ersten beiden Kapitel gehen wahrscheinlich auf einen um 1117-1147 entstandenen verlorenen Text oder auf ein Lied aus dem Pyrenäenkloster San Miquel de Cuxa zurück. Der Redaktor der Gesta integrierte diese ältere Geschichte in seinen Text, der als Prosawerk eine höhere Glaubwürdgkeit als die gebundene Sprache des Liedes bean- 41 " . .. l'espina dorsal de Ia nostra historiografia" (COLL I AL ENTORN, Historiografia [wie Anm. 12] S. 187) . 42 "La primera historia verdadera de Cataluiia" (ZIMMERMANN, EI papel de Ripoll [wie Anm. 26] S. 269) . 43 Cr6nica de San Juan de Ia Peiia, ed. Antonio UBI ETO ARTETA (Textos Medievales 4, Valencia 1961); Cr6ni~a de San Juan de Ia Peiia: versi6n aragonesa, ed. Carmen ÜR- CASTEGUI GROS (Publicaci6n de Ia Instituci6n Fernando el Cat6lico. Nueva colecci- 6n monogrifica 54, Zaragoza 1986); The chronicle of San Juan de Ia Peiia: a fourteenth-century official history of the Crown of Aragon, übers. Lynn H. N ELSON (Philadelphia 1991). 44 Zu diesem Aspekt des Werkes siehe: Thomas N. BISS ON, L'essor de Ia Catalogne: Identite, pou voir et ideologie dans une societe du xne siede, Annales E.S.C. 39 (1984) S. 454 -477 (ND als: The Rise of Catalonia: Identity, Power, and Ideology in a Twelfth-Century Society in: DERS., Medieval France and her Pyrenean Neighbours. Studies in Early Constitutional History [London 1989] S. 125-152); Paul FR EEDMAN, Cowardice, heroism and the legendary origins of Catalonia, Past and Present 121 (1988) S. 4-28, 14-19; Martin AURELL, Les Noces du comte (wie Anm . 32) S. 504- 513; WESTERVELT, The Po wer to Take (wie Anm. 36). 45 Text als "Redacci6 primitiva" bei Gesta corniturn Barcinonensium (wie Anm. 40) s. 3- 20. <?page no="150"?> 134 Nikolas ]aspert spruchen konnte 46. Sie erzählt von der angeblich schon am Übergang zum 10. Jahrhundert erfolgten, in Wirklichkeit bloß allmählich und lange nach dem Tode Wifreds vollzogenen Ablösung von der fränkischen Herrschaft 47. Dabei werden drei narrative bzw. argumentative Linien verfolgt 48. Die erste, wahrscheinlich älteste, erzählt wie Wifred seine Heimat verlassen mußte, nachdem sein Vater von einem Mann "gallischer Herkunft" ermordet worden war. Bei seiner Rückkehr wurde er von den einheimischen Großen anerkannt und tötete eigenhändig einen Usurpator der ihm angestammten Herrschaftauch dieser natione Gallicum - , wodurch er seinen honor zurückerlangte. Die zweite, mit der ersten verwobene Erzählung berichtet, daß Wifred nach dem Tode des Usurpators zum königlichen Hof zog, um den verärgerten Herrscher zu besänftigen. Dort erfuhr er von einem muslimischen Angriff auf sein Herrschaftsgebiet und ging den König um Unterstützung an. Dieser sah sich dazu außerstande, sicherte aber Wifred die dauerhafte, also vererbbare Herrschaft über den honor Barchinonensis zu, sollte er die Muslime vertreiben, was in der Folge auch gelang. In beiden Erzählsträngen wird also begründet, wie die Grafschaft Barcelona dauerhaft an die Nachkommen Wifreds kam. In der ersten Erzählung kommt in zweifacher Hinsicht eine Stärkung des einheimischen Elements und eine Absetzung von den Westfranken zum Ausdruck: zum einen in Form der Anerkennung durch die Großen des Landes und zum anderen durch die eigenhändige Tötung des fremden Gegners, die wiederholt als fremdländisch apostrophiert werden. Im zweiten Erzählstrang wird hingegen das Iegalistische Moment stärker betont und die Rechtmäßigkeit der Grafenherrschaft aus der königlichen Machtvollkommenheit abgeleitet, selbst wenn es der Graf und eben nicht der König ist, der die Muslime 46 COLL I ALE NTORN (Historiografia [wie Anm. 12] S. 191) und COLLINS (Charles the Bald and Wifred the Hairy [35] S. 139) vermuten einen Mönch aus Cuxa als Aut or, WESTERVELT (Power to Take [wie Anm. 36] S. 252) und ZIMMERMANN (EI papel de Ripoll [wie Anm. 26] S. 269) eine Entstehung in Ripoll. Am überzeugendsten hat sich jetzt Miquel COLL I ALENTORN, Guifre el Pel6s en Ia historiografia i en Ia llegenda (Institut d'Estudis Catalans: Memories de Ia Secci6 Historico-Arqueologica 39, Barcelona 1990) S. 16-20 mit der Frage auseinandergesetzt; er schlägt als Autor dieses Teils den 1139 zum Erzbischof von Tarragona erhobenen Abt Gregorius von Cuxa (t 1146) vor. Zum Stellenwert der Prosa gegenüber der gebundenen Sprache vgl. die Ausführungen von Joachim EHLERS in diesem Band. 47 Gesta corniturn Barcinonensium (wie Anm. 40) S. 3- 5. Zur Perso n sieh e: COLLINS, Charles the Bald and Wifred the Hairy (wie Anm. 35); COLL I AL ENTORN , Guifre el Pel6s en Ia historiografia i en Ia llegenda (wie Anm. 46); Guifre el Pel6s. Documentaeie i identitat, hg. von J ordi MASCARELLA/ Miquel SITJAR (Ripoll 1997). 48 Die Erzählstränge sind jet zt säuberlich getrennt, benannt ("regalian narrative", "patriotic narrative", "seduction narrative") und unt ersucht worden: Westervelt: The Power to Take (wie Anm. 36) S. 232-241. Zwei Argumentationslinien differenziert ZIMMERMANN (EI papel de Ripoll [wie Anm. 26] S. 269-270). <?page no="151"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 135 zurückwerfen kann 49. Die dritte argumentative Linie der Einleitungskapitel scheint auf den ersten Blick aus dem Rahmen zu fallen. Hier wird nämlich erzählt, daß Wifred nach der Ermordung seines Vatersam flandrischen Grafenhof Aufnahme fand, sich dort in die Grafentochter verliebte und diese nach der Rückerlangung seiner Herrschaft ehelichte. Diese Argumentationslinie dient aber als Bindeglied zwischen den anderen beiden, sind es doch Freunde der Grafentochter, die als Intervenienten am Königshof die Wiedereinsetzung des Wifred in die Wege leiten5°. Was waren die Gründe für dieses hochgradig gelehrte und wirkungsvolle Konstrukt? Warum wurde es im 12. Jahrhundert- und damit kehren wir wieder zur Entstehungszeit des Pseudo-Turpin zurückfür nötig erachtet, Geschichte und Legende zu vermischen und einen Gründungsmythos51 zu schaffen? Zu dieser Zeit hatten sich in zweifacher Hinsicht die politischen Verhältnisse gewandelt. Zum einen waren die Grafen von Barcelona nicht nur aus der Fülle der lokalen Machtträger zur unbestrittenen Vormacht im östlichen Pyrenäenraum aufgestiegen, es war ihnen auch gelungen, die Größe ihres Herrschaftsgebiets in wenigen Jahrzehnten durch Eroberungen muslimischer Territorien zu verdoppeln, diesen Bedeutungszuwachs mit der Erlangung des Königreichs Aragon im wahrsten Sinne des Wortes zu krönen und auch nach Norden über die Pyrenäen, nämlich in die Proven<; e und ins Tolosanische auszugreifen5 2. Zum anderen aber begannen die Kapetinger im 12. Jahrhundert, der königlichen Macht wieder Gültigkeit zu verleihen. In Flandern etwa betrieb König Ludwig VI. in den 1120er Jahren eine Art Revindikationspolitik. In den dadurch bedrohten Gebieten reagierte man auch literarisch auf diese Herausforderung: Flandrische und angevinische Chroniken dieser Zeit betonen ganz dezidiert die traditionelle Selbständigkeit der lokalen Herrschaftsträger offensichtlich, um zeitgenössischen Forderungen 49 ZIMMERMANN, EI papel de Ripoll (wie Anm. 26) S. 270. 50 Im übrigen stellt die Episode auch inhaltlich einen Ausgleich zwischen den beiden anderen, in der Tendenz gegenläufigen Erzählstränge her (Westervelt: The Power to Take [wie Anm. 36] S. 239-241). 51 Zur "fundierenden" Rolle historischer Mythen siehe: Revolution und My thos, hg. von Jan ASSMANN/ Dietrich HARTH (Frankfurt am Main 1992); Jan ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (3München 2000) und künftig den Sammelband zu einer 2001/ 2002 in Erlangen gehaltenen Ringvorlesung über "Mythen in der Geschichte". 52 Thomas N. BISSON, The Medieval crown of Aragon: a short history (Oxford 1986); SALRA CH I MARES, EI proces de feudalitzaci6 (wie Anm. 34); Flocel SABATE I Cu- RULL , EI territori de Ia Catalunya medieval: percepci6 de l'espai i divisi6 territorial al llarg de l'edat mitjana (Publicacions de Ia Fundaci6 Salvador Vives Casajuana 123, Barcelona 1997) S. 267-368; La Reconquista y el proceso de diferenciaci6n polftica (1035-1217), hg. von Miguel Angel LADERO QUESADA (Historia de Espaiia 9, Madrid 1998) s. 663-689. <?page no="152"?> 136 Nikolas ]aspert den Wind aus den Segeln zu nehmen 53. Ein ganz ähnliches Anliegen verfolgten in Katalonien die Autoren der Gesta Corniturn Barcinonensium. Bei den nachgewiesenen Kontakten zwischen dem Kloster Ripoll und dem lothringisch-flandrischen Raum ist sogar zu vermuten, daß die im Norden mehrfach bezeugte "politische Genealogie" den katalanischen Mönchen bekannt wurde 54. Genauso könnte das Wissen hiervon mündlich tradiert worden sein; schließlich stützte sich der oder die anonyme(n) Autor(en) der Gesta nach eigener Aussage auch auf Gehörtes55, so daß fremde Erzählstränge durchaus auf diesem Weg Einzug in das Werk gefunden haben könnten. Es ist schwer abzuschätzen, ob auch zeitgenössische Chansons de geste diesen Geschichtsmythos beeinflußten. Zumindest fällt auf, daß etwa in der Chanson de Guillaume aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts einige Elemente der Gesta Corniturn Barcinonensium auftauchen, wie zum Beispiel dasjenige der zögerlich gewährten Hilfeleistung des Feudalherren und der daraus resultieren- 53 Vgl.: Flandria Generosa, ed. Ludwig C. B ETHMANN (MGH SS 15, Hannover 1851) S. 313-334, hier: 24. vgl. zur Indienstnahme Karls des Großen durch die flämische Historiographie gegen die Kapetinger: Gabrielle SPIEGEL, Romancing the Past: The Rise of Vernacular Prose Historiography in Thirteenth-Century France (Berkeley 1993) S. 55-98. Allgemein: DUNBABIN, Discovering the Past for the French Aristocracy (wie Anm. 38). Zur Gattung der Genealogie siehe Leopold GENICOT, Les Genealogies (Typologie des Sources du moyen age occidental15, Turnhout 1975). Siehe auch den Beitrag von Joachim EHLERS in diesem Band. 54 Die Vermutung, daß die Mönche von Ripoll Verbindungen zum lothringisch-flandri schen Raum unterhielten, wird durch die im Kloster entstandenen Liebesgedichte erhärtet: einige von ihnen nehmen Bezug auf Lothringen, etwa auf das Kloster Remiremont (z.B. LATZKE, Carmina [wie Anm. 14) Nr. 2, 19). Ein weiteres Gedicht (LATZ- KE, Carmina [wie Anm. 14) Nr. 11) ist einer comitissa Franciae dediziert, wohinter Nicolau d'Olwer eine comitissa Flandriae vermutet hat (NICOLAU D'ÜLWER; L'escola poetica de Ripoll [wie Anm. 14] S. 12, 49-50). Doch hält diese Interpretation eingehender Analyse nicht stand (MORALEJO, Cancionero [wie Anm. 14) S. 70-71). Ob die anonyme "Judith", der ein Gedicht gewidmet ist, in den flandrischen oder lothringischen Zusammenhang gehört, bleibt dahingestellt (vgl. ELLIOTT, Note [wie Anm. 14]; MORALEJO, Cancionero [wie Anm. 14] S. 68-70). Es ist sogar angenommen worden, daß Arnaldus de Monte der Autor der Liebesgedichte sei (NICOLAU D'OL- WER, L'escola poetica de Ripoll [wie Anm. 14) S. 13), aber auch diese Zuschreibung ist inzwischen zurecht aufgegeben worden (MORAL E JO, Cancionero [wie Anm. 14) S. 60-62, 72-73). Keineswegs auszuschließen ist hingegen, daß Arnaldus dem Grafen von Flandern Philipp von Elsaß (1142-1191) im Jahre 1172 bei dessen Pilgerfahrt in Santiago de Compostela persönlich begegnete (wie Nr COLAU D'OLWER, L'escola po etica de Ripoll [wie Anm. 14) S. 13 vermutet). Zur Pilgerfahrt vgl. ebd. und Recueil des Historiens des Gauleset de Ia France 13 (Paris 1869) S. 212. Als Autograph des Arnaldus gilt hingegen die Abschrift einer Abhandlung De sacramentis, die ebenfalls in Santiago de Compostela entstanden sein könnte (BEER, Handschriften 2 [wie Anm. 8) s. 39-40). 55 antiquarum nobis relatione camperturnest (Kap. 1, Z. 1), narratur (Kap. 1, Z. 12),fertur (Kap. 2, Z. 1). <?page no="153"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 137 den dominanten Stellung des Vasallen (dort Guillaume, hier Wifred der Haarige) im Kampf gegen die Muslime56. Woher auch immer die Vorbilder im einzelnen stammten: Diese Form der historiegraphischen und politischen Absicherung dürfte in der Regierungszeit Ludwigs VII. (1137-1180) umso nötiger erschienen sein, als dieser König als erster Kapetinger dazu ansetzte, auch im Süden Frankreichs Präsenz zu zeigen und verlorenes Terrain wiedergutzumachen 57 im übrigen auch dadurch; daß er Klöster des Midi unter seinen Schutz stellte 58 . Der Barceloneser Graf Raimund Berengar IV. schloß 1158 ein anti-kapetingisches Bündnis mit Heinrich II. von England, das unter seinem Sohn Alfons II. 1170 auf Kastilien ausgedehnt wurde59. Es ist kein Zufall, daß im Oktober 1180 in Katalonien verfügt wurde, Urkunden nicht mehr nach den Regierungsjahren der fränkischen Könige zu datieren6°. 56 Karl-Heinz BENDER, König und Vasall. Untersuchungen zur Chansondegeste des XII. Jahrhunderts (Studia Romanica 13, Heidelberg 1967) S. 47-48, 75-76. 57 Marcel PACAUT, Louis VII et son royaume (Paris 1964) S. 81-84; Kar! Ferdinand WERNER, Königtum und Fürstentum im französischen 12. Jahrhundert, in: Probleme des 12. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen 12, Sigmaringen 1968) S. 177-225, 216; BISSON, Rise of Cata! onia (wie Anm. 44) S. 136; Klaus LOHRMANN, Die Titel der Kapetinger bis zum Tode Ludwigs VII., in: Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, hg. von Herwig WOLFRAM (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg.-Bd. 29, Wien u.a. 1988) S. 201-256, 251-256; Bernd SCHNEIDMÜLLER, Herrscher über Land oder Leute? Der kapetingische Herrschertitel in der Zeit Phillipps II. August und seiner Nachfolger (1180-1270), ebd., S. 131-164, 132 -1 38; Jean DUNBA BIN , Francein the Making, 843-1180 (Oxford u.a. 1985) S. 260-262. Zu Aufforderungen an den König aus der Zeit um 1138/ 39, aufgrundseiner Verbindung mit Eleonore von Aquitanien und der daraus abgeleiteten Herrschaft über den Poitou aktiv an der Reconquista teilzunehmen, also nach Spanien zu ziehen, siehe Laura KENDRICK, Jongleur as Propagandist: The Ecclesiastical Politics of Marcabru's Poetry, in: The Culture of Power. Lordship, Status and Process in Twelfth-Century Europe, hg. von Thomas N . BISSON (Philadelphia 1995) S. 259-287, 275-277. 58 Auf die entsprechenden Urkunden für Gellone (1162), Saint-Gilies (1163), Mozac (1169), und La Regle (1175) weist hin: Amy G. REMENSNYDER, Remernhering kings past: monastic foundation legends in medieval southern France (Ithaca [u.a.] 1995) S. 205. 59 Andrea BüSCHGENS, Die politischen Verträge Alfons' VIII. von Kastilien (1158- 1214) mit Aragon-Katalonien und Navarra. Diplomatische Strategien und Konfliktlösungen im mittelalterlichen Spanien (Frankfurt a.M./ Berlin/ Bern 1995) S. 64-86, 285-289. Zum größeren politischen Rahmen dieses englisch-kastilisch-aragonesisch angevinischen Bündnisses, das gegen die Könige von Frankreich und Navarra sowie die Grafen von Toulouse und die Staufer gerichtet war: Ludwig VONES, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711-1480). Reiche, Kronen, Regionen (Sigmaringen 1993) S. 112-114; Wolfgang GEORGI, Friedrich Barbarossa und die auswärtigen Mächte: Studien z ur Außenpolitik 1159-1180 (Europäische Hochschulschriften 3/ 442, Frankfurt am Main u.a. 1990) S. 144-145, 275-277 . 60 Michel ZIMMERMANN, La datacion d es documents cata! ans du IX e au XIIe siede: un itineraire politique, Annales du Midi 93 (1981) S. 345-375; BISSON, Rise of Catalonia <?page no="154"?> 138 Nikolas faspert Mit der Einleitung der Gesta Corniturn Barcinonensium reagierte der anonyme Autor also auf eine eventuelle Bedrohung der Barceloneser Herrschaft seitens des kapetingischen Königtums, indem er eine eigene Legende bzw. einen fundierenden Mythos schuf. Dazu griff er Ereignisse auf, die offenbar im kollektiven Gedächtnis präsent waren, änderte sie ab und verlieh ihnen damit eine enorme Wirkungskraft. Diese Strategie läßt sich an allen drei Erzählsträngen der Gesta Corniturn Barcinonensium verdeutlichen. Tatsächlich hatten sich die westfränkischen Könige nicht im 9. Jahrhundert, sondern erst im Jahre 985 außerstande gesehen, beim Überfall des muslimischen Wezirs Almansor die einem Feudalherren gebotene Hilfe zu leisten; doch wurde diese Episode an den Beginn der Grafenherrschaft gerückt und die Niederlage gegen Almansor in einen Sieg verwandelt. Auch die Auflösung der Grafschaftsverfassung, also der Ubergang vom Grafenamt zum vererbbaren Patrimonium, wurde in die frühesten Anfänge datiert und mit dem angeblichen Versprechen des westfränkischen Königs legitimiert. Nicht unter den Kapetingern fand also der Übergang zur Selbständigkeit statt, sondern schon in karolingischer Zeit. Auch die Erhebung der königlichen Stellung, also der Iegalistische Erzählstrang, wird verständlich, wenn man bedenkt, daß das Grafengeschlecht von Barcelona zur Abfassungszeit der Gesta gerade faktisch die Krone des Königreichs Aragon erlangt hatte und erfolgreich eine Stärkung seiner Position gegenüber den lokalen Großen betrieb. Und schließlich lieferten beide Argumentationslinien eine Erklärung für die Machtverschiebung des Geschlechts von den Pyrenäen nach Barcelona, indem sie zwischen dessen patria, nämlich der Grafschaft Conflent, und dem durch den Westfrankenkönig übertragenen honor, also Barcelona, unterscheiden. Erst durch die Übertragung werden auch die neuen Herrschaftsgebiete zu der in der Folge vielfach beschworenen patria des Grafenhauses6 1. Selbst der dritte Erzählstrang, die Episode um die flandrische Liebesaffäre, hat eine tiefere Dimension, hatte doch im Jahre 861 Graf Balduin Eisenarm von Flandern die Karolingerprinzessin Judith entführt und geehelicht, womit das Grafengeschlecht eine Aufwertung erfuhr6 2. An diese Episode dürfte der Autor (wieAnm. 44) S. 146 und DERS. Unheroed past (wie Anm. 28) S. 290. MartinAURELL, Les Noces du comte (wie Anm. 32) S. 506-509 schließt eine Bedrohung seitens der Kapetinger mit dem Hinweis auf die Entfernung nach Katalonien aus. 61 Vgl. ZIMMERMANN, El papel de Ripoll (wie Anm. 26) S. 270, 272f. Zum Begriff der patria im katalanischen Mittelalter siehe SABAT E I CU RULL, El territori de la Catalunya medieval (wie Anm. 52) S. 349-357. Allgemein zu dieser Frage am Beispiel des französischen Königttims siehe Bernd SCHNEIDMÜLLER, Nomen patriae: die Entstehung Frankreichs in der politisch-geographischen Terminologie (10.-13. Jahrhundert) (Nationes 7, Sigmaringen 1987). 62 Hierauf wiesen die flandrischen Chronik immer wieder hin: Genealogiae corniturn Flandriae, ed. Ludwig C. BETHMANN (MGH SS 15, Hannover 1851) S. 302-334, am deutlichsten in der Flandria Generosa (wie Anm. 53) S. 317- 318. <?page no="155"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 139 der Gesta Corniturn Barcinonensium angeknüpft haben, indem er das Barceloneser Grafenhaus genealogisch mit dem flandrischen verband und damit indirekt aus dem Geschlecht der Karolinger ableitete 63 . Genau wie eine lange Reihe zeitgenössischer Chroniken aus Flandern, Namur, dem Hennegau, der Normandie und der Champagne diente die genealogische Ableitung aus dem Karolingergeschlecht der Erhebung eines lokalen Herrscherhauses64. Es fällt auf, daß in diesem für das Selbstverständnis und die Ethnogenese Kataloniens zentralen Werk der Karolingerherrschaft entscheidende Bedeutung zukommt. Schon in den frühesten Annalen des Klosters hatten sich die Mönche als treue Verfechter karolingischer Legitimität erwiesen, indem sie die Usurpationen der Robertiner ignorierten 65 und den Herrschaftswechsel auf die Kapetinger durchaus negativ beurteilten66. Daß am Kloster ein authentisches Interesse für die Person und die 63 BISSON, Rise of Catalonia (wie Anm. 44) S. 137. Es wäre zu fragen, ob nicht das auffällige Erscheinungsbild Wifreds, seine ungewöhnliche Behaarung (... quod in quibusdarn insolitis in corpore horninis partibus pilosus erat... - Kap. 2, Z. 13-14), ihm nicht ebenfalls die Aura älterer Herrscherdynastien vermitteln sollte. Schließlich wies schon Einhard in der Vita Caroli Magni (Kap. 1) auf die Behaarung der Merowingerkönige hin. Zu ähnlichen Worten des Anastasius Bibliothecarius über die Merowinger vg l. AUR ELL, Les Noces du comte (wie Anm. 32) S. 512-513. Allerdings gilt zu bedenken, daß Einhards Worte eher abschätzig gemeint waren. 64 Karolingische Abstammungslegenden waren unt er den Grafengeschlechtern des 12 . und beginnenden 13. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich, vgl. Andrew W. L EWIS , Royal succession in Capetian France: Studies in familial order and the state (Cambridge, Mass. 1981) S. 120,273-274 und DUNBABIN, Discovering aPast (wie Anm. 38 -mit Hinweisen auf Werke von Orderich Vitalis, Hugo von Poitiers, Gu y de Bazoches, Lambert von Ardres) sowie BISSON, Rise of Catalonia (wie Anm. 44) S. 137- 138. Daß die Grafen von Hennegau ein besonderes Interesse an den Pseudo-Turpin an den Tag legten (vgl. ebd. und den Beitrag vonJoachim EHLERS in diesem Band) ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Auch im Pyrenäenraum war dieses Mittel bereits betrieben worden, so um 1078 vom Verfasser der Chronik von Ala6n; siehe dazu: COLL I ALENTORN, Historiografia (wie Anm. 12) S. 174; BISSON, Rise of Catalonia (wie Anm. 44) S. 133; D ERS ., Unheroed Past (wie Anm. 28) S. 297-299. 65 Vgl. die deutliche annalistische Eintragung zur Herrschaftszeit Rudolfs von Burgund (923-936): Post cuius obiturn fuerunt anni VII sine legitirno rege, in quibus regnavit Dadulfus. Sine reges anni VII (ZI MMERMANN, Papel de Ripoll [wie Anm . 26] S. 263). Dieses Verhalten ist im gesamten Midi zu beobachten, vgl. Bernd S CHNEIDMÜLLER, Karolingische Tradition und frühes französisches Königtum: Untersuchungen zur Herrschaftslegitimation der westfränkisch-französischen Monarchie im 10. Jahrhundert (Frankfurter historische Abhandlungen 22, Wiesbaden 1979) S. 195-199. Siehe auch das dieturn vonJean DUNBABIN über die katalanischen Grafen "they were not only loyal, but loyalist" (DUNBABIN, Francein the Making [wie Anm. 57] S. 77). 66 ZIMMERMANN, Papel de Ripoll (wie Anm. 26) S. 264-266. Ugo Magnus, inordinate, annis X: Postea regnat Ugo, qui antea fu erat Dux et subrepsit locurn regirninis et regnat in Francia annis X. Post ejus obiturn regnat filius ejus Rodbertus et tradidit in carcerern Karolurn filiosque suos qui erat de stirpe regia (ebd., S. 265). <?page no="156"?> 140 Nikolas ]aspert Hofkultur Karls des Großen bestand, wird auch aus der Bibliothek selbst ersichtlich, wo schon in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein Exemplar der Einhardsvita vorlag und unter den Abbatiaten Arnulfs (948-970) und vor allem Olibas auch andere Schriften aus dem Umkreis der Karolinger bzw. aus ihrer Zeit gesammelt wurden6 7. In diese karolingerfreundliche und kapetingerkritische Tendenz reihen sich die Gesta nahtlos ein. Ganz anders als zeitgenössische Chroniken in Navarra oder Kastilien68 wird hier der direkte Rückbezug auf die Karolinger gesucht. Nicht nur das Geschlecht der Grafen von Barcelona wird in lückenloser Reihe auf die karolingische Gründerfigur, den legendären Wifred, zurückgeführt. Auch die faktische Selbständigkeit des 12. Jahrhunderts wird aus Ereignissen und Entscheidungen jener Zeit abgeleitet: Sie dienen als legitimatorisches Element erster Güte. Hier nun trifft sich die Ripoller Historiographie mit dem Pseudo-Turpin. Denn der 1173 in Santiaga kopierte Text betonte wie kein anderer Alter und Rechtmäßigkeit der karolingischen Herrschaft über die Iberische Halbinsel. In ihm wird wie in der ebenfalls in Ripoll aufbewahrten Einhardsvita das Lob auf einen Kaiser gesungen, dessen unmittelbare Nachfolger und Verwandte in der Sicht der Gesta Corniturn Barcinonensium die Voraussetzungen für die katalanische Selbständigkeit schufen. Der Pseudo- 67 B EER , Handschriften 1 (wie Anm. 8) S. 95 nennt aus dieser Zeit Handschriften mit den Kapitularien fränkischer Herrscher, die Promissio Odonis regis, die Epistel des Ansegis an Ludwig, Briefe Hinkmars von Reims, Hukbalds De harmonica institutione, Gerwarcis Disticha in Caroli et Einhardi laudem sowei zwei Exemplare des Liber Officiorum ad Carolum regem des Amalarus von Metz. Manuel Antonio CASTINEI- RAS GONZALEZ, La il.lustraci6 de manuscrits a Catalunya i Ia seva relaci6 amb centres europeus, in: Catalunya a l'epoca carolingia (wie Anm. 34) S. 249-254, 252-253 benennt weitere, inhaltliche wie künstlerische Bezüge in anderen Handschriften und grenzt die Erwerbung der Vita Caroli Magni auf die Zeit um 1032 ein; vgl. Ders., Ripoll i les relacions culturals, S. 439 und MUNDÖ, Importaci6n (wie Anm. 28) S. 98-100. Michel ZIMMERMANN spricht in diesem Zusammenhang von einer "minirenaissance classique" (ZIMMERMANN, Catalogne de Gerbert [wie Anm. 11] S. 86) . Zur Ripoller Einhardsvita und allgemein zu Verbreitung der Handschriften der Vita Caroli Magni siehe die Studie von Matthias TISCHLER, Einharts "Vita Karoli": Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 48, Hannover 2001). 68 Vgl. Barton SHOLOD, Charlemagne in Spain: The culturallegacy of Roncesvalles (Geneve 1966) S. 128- 133; BISSON, Unheroed Past (wie Anm. 28) S. 293- 296; Raymond M cC LUSKE Y, Malleahle Accounts: Views of the Past in Twelfth-Century Iberia, in: The Perception of the Past in Twelfth-Century Europe, hg. von Paul MAGDALINO (London/ Rio Grande 1992) S. 211-225, 216-219; Manuel Alejandro RODRfGUEZ OE LA PENA, Ideologfa polftica y cr6nicas monasticas: Ia concepci6n cluniacense de Ia realeza en Ia Espafia del siglo XII, Anuario de Estudios Medievales 30 (2000) S. 682-734, 699. Wenn in Chroniken aus dem kastilischen Raum der Bezug zu Kar! dem Großen gesucht wurde, dann als Vergleich zum jeweiligen lokalen Herrscher, vgl. ebd. 727-728. <?page no="157"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 141 Turpin fügte sich also bestens in die neo-karolingische Ausrichtung 69 am Hofe Raimund Berengars IV. und in Ripoll ein 70. In dieser Hinsicht liegt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Ripoll und dem französischen Kloster Saint-Denis vor: In beiden Benediktinerklöstern wurde der Karisstoff verbreitet, und in beiden kam der Text allgemeinen legitimatarischen Intentionen entgegen, welche die Mönche zugunsten ihrer Herren verfolgten 71 . Diese Form der karolingischen Herrschaftslegitimation konnte nur in den Nachfolgeherrschaften des fränkischen Reichs schlüssig betrieben werden; folgerichtig wurde sie zwar in Katalonien und Frankreich, nicht jedoch in Kastilien, das bekanntlich niemals zum Karolingerreich gehörte, praktiziert. Aus der herrschaftsnahen Stellung Ripolls wird auch verständlich, warum Karl der Große für die Geschichte des Grafenhauses, nicht aber für diejenige Ripolls nutzbar gemacht wurde: Im Gegensatz zu vielen südfranzösischen Klöstern ging es dem katalanischen Haus nicht darum, im Rückgriff auf die Karolinger die eigene Selbständigkeit zu begründen bzw. zu stärken. Noch viel weniger war beabsichtigt, eine etwaige Anhindung an die Kapetinger zu erklären 72• Daher spielt Karl der Große auch in der Brevis Historia Rivipullensis als legendäre Gründerfigur keine Rolle73. Erst lange nachdem alle herrschaftlichen Ansprüche der Kapetinger auf die südpy- 69 Vgl. den Begriff der "neo-Carolingian implications": BrsSON, Rise of Catalonia (wie Anm. 44) S. 139. 70 Ganz in diese Tendenz passen im übrigen die Auslassungen, die Arnaldus als Kopist tätigte. Im 5. Buch, dem berühmten Pilgerführer, fehlen auffälligerweise die Ausfälle gegen die Gascogner, deren Gebiet zum Interessenszone der Barceloneser Grafen gehörte und die politische Verbündete der Katalanen waren. Ebenso fehlen die Stellen, in denen auf französische Heiligtümer hingewiesen wird (MOISAN, Livre [wie Anm. 3] S. 101-102, Anm. 13). 71 Zu Saint Denis: Joachim EHLERS, Karolingische Tradition und frühes Nationalbewußtsein in Frankreich, Francia 4 (1976) S. 213-235; DERS., Kontinuität und Tradition als Grundlage mittelalterlicher Nationsbildung in Frankreich, in: Beiträge zur Bildung der französischen Nation im Früh- und Hochmitttelalter, hg. von Helmut BEU- MANN (Nationes 4, Sigmaringen 1983) S. 15-47, mit Hinweisen auf das Rolandslied und den Pseudo-Turpin (ND in: Ders., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin KINT- ZINGER/ Bernd SCHNEIDMÜLLER (Berliner historische Studien 21, Berlin 1996] S. 288- 324); Gabrielle M. SPIEGEL, The Chronicle Tradition of Saint-Denis (Brookline 1978); SCHNEIDMÜLLER, Nomen patriae (wie Anm. 61) S. 158-164 und den Beitrag von Joachim EHLERS in diesem Band. D er Pseudo-Turpin selbst stellt nichts anderes als den Versuch dar, im Rückgriff auf die Karolinger Dignität und Alter der Sedes compostellana zu betonen, worauf Manuel DfAZ YDfAZ zurecht hingewiesen hat (vgl. die Hinweise von Klaus Berbers in diesem Band). 72 Vgl. zum südfranzösischen Raum REMENSNYDER, Remernhering kings past (wie Anm. 58) S. 182-211. 73 Dort, wie in den Gesta Corniturn Barcinonensium, ist Wifred der eigentliche Klostergründer: MARCA , Marca Hispanica sive Iimes hispanicus (wie Anm. 24) Sp. 1295; Gesta Corniturn Barcinonensium (wie Anm. 40) Kap. 2, Z. 41-46. <?page no="158"?> 142 Nikolas ]aspert renäischen Gebiete aufgegeben worden waren, ist die eingangs zitierte Legende bezeugt, in der Karl tatsächlich mit der Klostergeschichte verwoben wird 74 . Die Mönche und der Abt Ripolls hatten ein unbestreitbares, authentisches Interesse an den Mirakelerzählungen des Liber Sancti JacobilS, und womöglich wollte Arnaldus de Monte tatsächlich die von allen Völkern verehrte Stadt besuchen und dort Indulgenzen gewinnen, wie er in seinem Postskriptum festhielt. Daneben aber und wohl nicht zufällig läßt sich die Abschrift des Pseudo-Turpin mit dem wichtigsten Anliegen der Historiographenschule von Ripoll in Beziehung setzen: der Legitimierung der Barceloneser Herrschaft durch den Rückgriff auf die Karolinger. Hier liegt meiner Meinung nach ein erster, bisher unbeachteter Grund für die Kopiertätigkeit des Arnaldus de Monte. 74 Siehe oben, Anm. 1. 75 Für das liturgische Interesse am Liber Sancti Jacobi liegen verschiedene Belege vor: Die Aufnahme w eiter er Mirakel in die Abschrift des zweiten Buches wird hieraus erklärbar (HÄME L, Überlieferung [wie Anm. 3] S. 24- 25). Auch die ungewö hnliche Anordnung sowie die Gebrauchsspuren der Handschrift Ripoll 99 lassen auf ein vorwiegendes Interesse an den Mirakeln schließen. Randbz w. Interlinearnotizen und Hervorhebungen befinden sich verschiedentlich in den ersten drei Büchern des Liber SanctiJacobi (auf fol.3v, 7v, 15r, 22v, 27r, 27Vmit Hinweis auf das Jakobusfest -, 28v, 48v. Auch im Pseodo-Turpin weisen spätere Bemerkungen auf Mirakel hin: fol. 58v (Kap. 3 die Kapitelzählung folgt der Edition von H E RB ER SINO IA [wie Anm. 4]: h e civitates sunt maledicte ab carolo magno, fol. 60r (Kap. 8: v ide grandem miraculum), fol. 61 r (Kap. 10: magnum miraculum), fol. 65v (Kap. 16: magnum miraculum), fol. 74v (Kap.25: qualitermors Rotolandi fuit demonstrata Turpino), fol. 75r (Kap. 26: vide miraculum solis), fol. 77r (Kap. 32: qualitermors Karoli fuit demonstrata mihi), fol. 79v (Appendix b: miraculum sancti lacobi und miraculum sancti Romani). Auch im fünften Buch zielen die Hinweise vor allem auf die Mirakel: fol. 82 v, 83 r. Zu Hinweisen aus d en Randnotizen auf die Rolandsverehrung und die militärischen Interessen in Ripoll vgl. unten, Anm. 107. Die Verehrung des heiligen Jakobus in Ripoll ist vielfach belegt, so in einer Predigt des Oliba zu Ehren der Reliquien seines Klosters aus dem Jahre 1032: ...N ecnon etiam reliquias beatissim i l acobi Z ehedei apostoli fratris eiusdem beati Ioannis apostoli et evangelistae, qui capitis obtruncatione martirium obtinuit, cuius venerabile corpus in remotioribus Hesperie partibus Deo disponente devectum honorifice tumulatum, nostrarum gentium frequenti veneratione excolitur in p erpetuum (Diplomatari i escrits [wie Anm. 12] S. 366). Diese Reliquie sei Oliba vom Erzbischof Raimbaldus von Ar! es geschickt worden (ebd.). Ähnlich in einer Liste der Reliquien des Klosters aus dem Jahre 1043- 1046: lnsunt reliquiae bea ti lacobi apostoli, qui decollatus est ab Herode H ierosolymis, cuius ossa ad H ispanias translata, in ultimis earum finibus, vid elicet contra mare Britannicum, celeberrima v en eratione ex colitur (Diplomatari i escrits [wie Anm. 12] S. 373-374). Siehe auch die Eintragung des Jakobsfestes im Sacramentarium des Klosters aus der Mitte des 11. Jahrhunderts: Alejandro ÜLIVAR, Sacramentarium Rivipullense (Monumenta Hispaniae Sacra. Serie Limrgica 7, Madrid 1964) S. 157-158, zur Datierung ebd., S. 51-53. Jetzt mit Konkretisierung der Datierung auf die Jahre 1040-1050: Miguel S. G RO S I P UJOL , N oves dades sobre el Sacramentari de Ripoll, Boletin de Ia Real Academia de Buenas Letras de Barcelona 46 (1997- 98) S. 347-355. <?page no="159"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 143 III. Die Kreuzfahrt als Herrschertugend Der zweite Grund steht damit im unmittelbaren Zusammenhang. In den ersten beiden Kapiteln der Gesta Corniturn Barcinonensium bedienten sich die Mönche Ripolls der erwähnten Abstammungslegenden, um die Legitimität des Grafengeschlechts zu betonen. Dieses Mittel konnte aber nur noch bedingt greifen, wenn man die Ausnahmestellung der zeitgenössischen Herrscher, also derjenigen des 12. Jahrhunderts begründen wollte. Dies war aber ein wichtiges Anliegen der Ripoller Mönche. In ihren Augen verdiente besonderes Lob der Sohn Raimund Berengars 111. und großer Gönner des Klosters, Graf Raimund Berengar IV. Er schuf von 1131 bis zu seinem Tode im Jahre 1162 als Graf von Barcelona durch seine Vermählung mit der aragonesischen Erbtochter Petronila im Jahre 1137 die dynastische Grundlage für das später als Krone Aragon oder katalano-aragonesische Krone bezeichnete Reich 76. Es gelang ihm aber auch, Ansprüche auf nördliche, transpyrenäische Territorien durchzusetzen und durch militärische Erfolge sein Herrschaftsgebiet beträchtlich nach Süden auszudehnen. Raimund Berenguer war der letzte Barceloneser Graf, der sich im Familienpantheon zu Ripoll bestatten ließ; sein Sohn Alfons II. sollte den durch die Vereinigung mit Aragon und der Expansion nach Süden geschaffenen dynastischen und geopolitischen Änderungen Rechnung tragen und ein neues Zentrum der königlichen Memoria im Zisterzienserkloster Poblet bei Tarragona schaffen 77. Vielleicht war die sich abzeichnende Abkehr des neuen Herrschers vom alten Hauskloster sogar ein Grund für die Redaktion der Gesta Corniturn Barcinonensium; auf jeden Fall wurde in ihnen das höchste Lob auf den Vorgänger des amtierenden Königs konzentrierr78. Ergänzt wurde diese Panegyrik durch ein in leoninischen Hexametern gedichtetes Epitaph am Sarg des Grafen, durch die Grabinschrift selbst sowie durch einen Hymnus zu Ehren des Grafen, die alle ebenfalls im Kloster Ripoll geschaffen wurden 79 . 76 Noch immer fehlt eine moderne wissenschaftliche Studie der Herrschaftszeit Raimund Berengars IV. Vorerst: Ferran SoLDEVILA, Rarnon Berenguer IV el Sant (Col-lecci6 popular Barcino 168, Barcelona 1955); Percy Ernst SCHRAMM, Die Entstehung eines Doppelreiches: Die Vereinigung von Aragon und Katalonien durch Ramon Berenguer IV. (1137-1162), in: Vom Mittelalter zur Neuzeit, Festschrift für Heinz Sproemberg, hg. von H . KRETSCHMAR (Berlin 1956) S. 19-50; Josep Maria SALRACH I MA RES, Historia dels Palsos Catalans 1 (Barcelona 1982) S. 258 -28 0 und die in Anm. 52 genannten Beiträge. 77 Pere PUJOL TUBAU, Mudan~a en l'elecci6 de sepultura del rei Alfons I, Boletin de la Real Academia de Buenas Letras de Barcelona 7 (1913-1914) S. 86-89 (ND in: Obra completa, hg. vonJoan RI ERA I SIMÖ [Valls d' Andorra 1984] S. 15-18). 78 Gesta corniturn Barcinonensium (wie Anm. 40) S. 8-9. 79 BEER, Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 26-31; NICOLAU n'OLWER, L'escola poetica de Ripoll (wie Anm. 14) S. 36-38; COLL I ALENTORN, Historiografia (wie Anm. 12) s. 186- 189. <?page no="160"?> 144 Nikolas jaspert Vieles wurde darin Raimund Berengar IV. zugute gehalten. Er sei ein vorbildlicher, allseits berühmter Herrscher gewesen, habe die Schwachen geschützt, die Kirche gefördert. Dies alles klingt topisch und nicht eigens der Erwähnung wert. Doch wird in den Schriften ein weiteres Merkmal des Grafen betont, das besonders mit seiner Lebenszeit und seiner Herrschaftsgebiet in Verbindung steht: seine Erfolge im Kampf gegen die Muslime. Ausführlich werden in den Gesta Corniturn Barcinonensium Raimund Berenguers IV. große militärische Erfolge der 1140er Jahre besungendie Eroberung der Städte Almerfa, Tortosa und Lleida -, und sogar die Einnahme der Burgen von Siurana und Miravet werden eigens erwähnt80. Auch in den panegyrischen Gedichten wird besonders auf die Rolle des Grafen als Vorkämpfer des Christentums gegen die Muslime abgehoben81. Damit verorteten die Mönche Ripolls das Wirken ihres Gönners im Kontext der Kreuzzugsbewegung und stellten Raimund Berengar IV. gewissermaßen als einen katalanischen Kreuzfahrer dar, der im eigenen Land die Muslime bekämpft habe. Nichts anderes betrieb der anonyme Autor des Pseudo-Turpin, der Karl den Großen ebenfalls als einen Kreuzfahrer auf der Iberischen Halbinselhier als einen Kreuzfahrer avant la lettrezeichnete. Der gesamte Pseudo-Turpin ist wie kein anderes Buch des Liber Sancti Jacobi von der Kreuzzugsbewegung geprägt und geformt, worauf in der Forschung zurecht hingewiesen worden ist 82 . Der Kaiser sei nicht nur in 80 Gesta Corniturn Barcinonensium (wie Anm. 40) S. 8- 9. Allgemein zu den Kampagnen der 1140erJahre siehe Nikolas JASPERT, Bondsand Tensions on the Frontier: The Tempiars in Twelfth-Century Western Catalonia, in: Mendicants, Military Orders and Regionalism in Medieval Europe, hg. von Jürgen SARNOWSKY (Aldershot 1999) S. 19-45; DERS., Capta est Dertosa, clavis Christianorum: Tortosa and the Crusades, in: The Second Crusade. Scope and Consequences, hg. von Martin HO CH/ Jonathan PHILLIPS (Manchester 2001) S. 90-110. 81 Dei virtute protectus Almeriam, Tortosam, Ciuranam et usque ad quadraginta oppida circa ! h erum amnem pugnando cum Sarracenis potenter abstulit. Ilerdam et Fragarnuno die simul cepit (BEER, Handschriften 2 [wie Anm. 8] S. 26). Magnus, inquam comes ille, qui destruxit seras mille Mahumeti Jede gentis genunobis iam flectentis ... (ebd., S. 28). Damit griffen die Mönche eine ältere Tradition ihres Klosters auf. Siehe ein panegyrisches Akrostichon für den Grafen Raimund BorreH III. aus dem beginnenden 11. Jahrhundert: Diplomatari i es crits (wie Anm. 12) S. 301-304; B EER, Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 7-8; SZÖVERFFY, Secular Latin Lyrics (wie Anm. 14) S. 214-216. 82 Hans-Wilhelm KLEIN, Der Kreuzzugsgedanke im Rolandlied und in der neueren Kreuzzugsforschung, Die Neueren Sprachen 5 (1956), S. 265-285; Klaus HERBERS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des ,politischenJakobus', in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994) S. 177-276, 226 - 229; Bernd BAST E RT, Heros und Heiliger. Literarische Karlsbilder im mittelalter- <?page no="161"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 145 Galicien, sondern auf der gesamten Halbinsel in Kämpfe mit den Muslimen verstrickt gewesenauch in Katalonien. Dort habe er, so steht es in Kapitel III des Pseudo-Turpin, die Städte Urgell, Elne, Girona, Barcelona, Tarragona, Lleida und Torrosa eingenommen. Auch hier also trafen sich der Inhalt des Pseudo-Turpin mit den politischen Anliegen des Klosters Ripoll83. Das Interesse der katalanischen Mönche an den Kreuzzügen zur Erhöhung der einheimischen Grafen wäre demnach ein zweiter, unbeachteter Grund für die Abschrift des Pseudo-Turpin 84 . Nun könnte man allerdings den berechtigten Einwand erheben, aus der in Ripoll betriebenen Charakterisierung Raimund Berengars IV. als Vorkämpfer des Christentums lasse sich nicht notwendigerweise auf das allgemeine Interesse der Ripoller Mönche für die Kreuzzüge schließen. Die Iberische Halbinsel gilt ja bekanntlich als eine Gegend, die wenig mit den Kreuzzügen ins Heilige Land und der Kreuzzugsbewegung gemein hat, da sich nur wenige Spanier an den Kreuzzügen beteiligten. Doch haben gerade jüngere Arbeiten gezeigt, daß die Kontakte zwischen der Iberischen Halbinsel und den Kreuzfahrerstaaten im Orient größer als gemeinhin angenommen waren und die Reconquista spätestens seit dem 12. Jahrhundert stark von der Kreuzzugsbewegung beeinflußt wurde. Schon zur Zeit des Ersten Kreuzzugs wurde der hispanische Kriegsschauplatz mit dem in der Levante verglichen, und spätestens seit dem Angriff auf die Balearen im Jahre 1114 trugen auch Iichen Fr ankreich und Deutschland, in: Kar! der Große und das Erbe der Kulturen, hg. von Pranz-Reiner ERKENS (Berlin 2001) S. 197-220, hier: 202. 83 Rudolf BEER faßte das Anliegen des Klosters prägnant zusammen: " Die sowohl rezipierende wie auch produzierende historische Tätigkeit der Ripoller Mönche jener Zeit hatte drei unschwer erkennbare Leitmotive: die Kirche, das Kloster, das Pantheon." (BEER, Handschriften 2 [wie Anm. 8] S. 58). Führt man die in den Gesta Corniturn Barcinonensium suggerierte dynastische Verbindung zwischen den Grafen von Barcelona und den Karolingern weiter aus, dann waren die Grafen von Barcelona die Nachfahren des großen Kreuzfahrers Kar! . Vgl. die These Andre DE MANDACH, Naissance et developpement (wie Anm. 5) S. 21-77, wonach der Pseudo-Turpin entstanden sei, um die Position Alfons VI. durch den impliziten Vergleich mit dem Kaiser zu stärken. 84 Auffälligerweise kopierte Arnaldus fast den gesamten Pseudo-Turpin doch mit Ausnahme des Papst Calixt Il . zugeschriebenen Kreuzzugsaufrufsam Ende des Werkes. Dies scheint auf dem ersten Blick dem Gesagten zu widersprechen, reiht sich jedoch in die Grundtendenz der Ripoller Historiographie: Denn der dem Franzosen Calixt zugeschriebene Text richtet den Aufruf gang eindeutig nicht an Einheimische, sondern an Landfremde und betont den Anteil der Franzosen an den Kreuzzügen. Daß der Text bewußt nicht aufgenommen wurde, hat HÄMEL, Überlieferung (wie Anm. 3) S. 25 nachgewiesen. Für die Auslassung die "lassitude d'une fin d 'a: uvre et le temps qui passe ..." anzuführen (MOISA N, Livre [wie Anm. 3] S. 85), greift zu kurz. Andere Auslassungen sind die Verse auf dem Epitaph Rolands (Kap. 24, fol. 183r), sowie das Kapitel über die Sieben Freien Künste (Kap. 31, fol. 186r-187v); vgl. HÄ- MEL, Überlieferung (wie Anm. 3) S. 25-26. <?page no="162"?> 146 Nikolas ]aspert Kämpfer auf der Iberischen Halbinsel das Kreuz85. Verstärkt wurde diese Gleichsetzung während der Expeditionen gegen Zaragoza 1118 sowie gegen Almerfa, Tortosa und Lleida 1147-114986. Gerade die letztgenannten waren unmittelbarer Bestandteil eines breit angelegten, auf verschiedenen Bühnen ausgetragenen Kampfes zur Ausdehnung des Christentums 87 . Diese Verbindungen zwischen den Kriegsschauplätzen spiegeln sich im übrigen auch in den Gesta Corniturn Barcinonensium wider, in denen immer wieder nicht nur die Auseinandersetzungen mit den Muslimen auf der Iberischen Halbinsel, sondern auch die Pilgerfahrten und Kreuzzüge nach Palästina ins Blickfeld gerückt werden88. Es bleibt die Frage, ob sich jenseits der Gesta Corniturn Barcinonensium ein Interesse an den Kreuzzügen im Kloster Ripoll festmachen läßt. Können andere Belege die These stützen? Um diese Frage zu beantworten: , müssen wir wieder einen Blick auf das Kloster, seine literarische Produktion und seine Bibliothek werfen . Das Manuskript, in dem sich die älteste Fassung der Gesta Corniturn Barcinonensium befindet, liegt heute unter der Nummer 5132 in der Bibliotheque Nationale de Paris. Es gelangte wahrscheinlich im 17. Jahrhundert durch den streitbaren Kirchenmann, Politiker und Historiographen Pierre de Marca (1594-1662)89 und seinen Sekretär Baluze (t 1718) dorthin90. Aus verschiedenen Gründen ist BN 5132 von außerordentlichem Interesse: denn es handelt sich bei ihr um eine Miszellanhandschrift, die auf ihren 85 Richard A. FLETCHER, Reconquest and Crusade in Spain, Trans ac tions of the Royal Historical Society 37 (1987) S. 31-49; Norman HouSLEY, Jerusalem and the Development of the Crusade Idea, 1099-1128, in: The Horns of Hattin. Proceedings of the Second Conference of the Society for the Study of the Crusades and the Latin East, Jerusalem-Haifa, 2.-6. 7. 1987, hg. von Benjamin Z. KEDAR ( Jerusalem 1992) S. 27-40; Nikolas JASPERT, Frühformen der geistlichen Ritterorden und die Kreuzzugsbewegung auf der Iberischen Halbinsel, in: Europa in der späten Salierzeit. Beiträge zu Ehren von Werner Goez, hg. von Klaus HERBERS (Stuttgart 2001) S. 90-116, b es. 104 - 111. 86 JASPERT, Bondsand Tensions on the Frontier (wie Anm. 80); DERS., Capta est Dertosa, clavis Christianorum: Tortosa and the Crusades (wie Anm. 80). 87 Hans-Dietrich KAHL, Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage-ein übersehenes Kriegsziel des Zweiten Kreuzzugs, in: Spannungen und Widersprüche: Gedenkschrift für Frantisek Graus, hg. von Susanna B URGHARTZ (Sigmaringen, 1992) S. 63-89; Alan FOREY, The Second Crusade: Scope and Objectives, Durharn University ournal 55 (1994) S. 165-175 sowie die Beiträge in: The Second Crusade. Scope and Consequences (wie Anm. 80). 88 So die Hinweise auf die Jerusalemfahrt des Berengar Raimund, el Fratricida (Gesta Corniturn Barcinonensium [wie Anm. 40] S. 7), die Kreuzzugsbeteiligung des Wilhelm Jordan (ebd., S. 11), die Pilgerfahrt des Grafen Ermengol von Urgell (ebd. ), die Eroberung des Jahres 1099 (ebd., S. 11-12). 89 Zur Person siehe: Fran'1ois GAQUERE, Pierrede Marca (1594-1662). Sa vie, ses ceuvres, son gallicanisme (Paris 1932). 90 BEER , Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 27 - 28. <?page no="163"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 147 109 Folioseiten außer den Gesta Corniturn Barcinonensium eine Reihe anderer wichtiger Texte enthält. Neben Urkunden, Briefen, Gedichten und Gebeten sind vor allem drei weitere historiographischeWerke zu nennen: zum einen eine Vita des Venezianer Dogen und Heiligen Pietro Orseolo, dessen Kult im Pyrenäenraum Abt Oliba von Ripoll vorantrieb91. Zum zweiten die älteste lateinische Fassung des Carmen Campidoctoris, eines Gedichts zu Ehren des Cid Campeador 92 . Zum dritten aber eine Reihe von Schriften, die den Ersten Kreuzzug, genauer die Eroberung Jerusalems zum Thema haben. Diese Textgruppe befindet sich auf den ersten 21 Folioseiten der Handschrift und wurde wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geschrieben93. Sie umfaßt sieben Texte: ein Exzerpt der Historia Franeorum que ceperunt Iherusalem des Raimund von Aguilers, einen unikal überlieferten Bericht über die Eroberung der Heiligen Stadt im Jahre 1099, drei an die Gläubigen, die Juden und die milites gerichtete exhortationes, ein Loblied und ein in 36 Versen gedichteter Hymnus auf Jerusalem. Von besonderem Interesse ist der anonyme Bericht, der nach einer verlorenen Vorlage eines provenzalischen Teilnehmers am Ersten Kreuzzug verfaßt worden sein dürfte 94 . Auch eine katalanische Autorschaft ist denkbar, denn einige katalanische Kämpfer begleiteten nachweislich Graf Raimund von Toulouse auf seiner Fahrt, und auch nach dem Ende des Ersten Kreuzzugs sind Katalanen in seiner Umgebung bezeugt95. An verschiedenen Stellen spiegeln die Texte, insbesondere der anonyme Bericht, zeitgenössische Vorstellungen der Kreuzzugsbewegung wider, etwa den Bußgedanken und die Vorstellung von der Erfüllung eines göttlichen Heilsplans durch die Kreuzfahrer; gerade an diesen Stellen ist der didaktische Zug 91 Ausehrritt des Textes: Diplomatari i escrits (wie Anm. 12) S. 421-423; BEER, Handschriften 2 (wie Anm. 8) S. 59-65 . BEERbezeichnete die Handschrift als einen " ... unter sämtlichen erhaltenen Rivipullenses eine singuläre Stellung einnehmenden Kodex ..." (BEER, Handschriften 2 [wie Anm. 8] S. 63). 92 Chronica Hispana saeculi XII, ed. Juan G! L (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 71, Turnhout 1990) S. 101-108, Text 105-108 (mit älterer Literatur). 93 Zu den auf Jerusalem bezogenen Texte der Handschrift siehe die eindringliche Analyse von John FRANCE, An unknown account of the capture of Jerusalem, English Historical Review 77 (1972) S. 771-783 und die Edition des wichtigsten Textes: John FRANCE, The Text of the Account of the Capture of Jerusalem in the Ripoll Manuscript, Bibliotheque Nationale (Latin) 5132, English Historical Review 103 (1988) s. 640-657,643-657 . 94 Vgl. die Zuschreibung von FRAN CE : An unknown account (wie Anm. 93) S. 780 - 781. 95 Martin FERNANDEZ DE NAVARRETE, Espaiioles en las Cruzadas, Memorias de Ia Real Academia de Ia Historia 5 (1817) S. 37-205 (ND Madrid 1986); Nikolas JASPERT, Pro nobis, qui provobis oramus, orate: die Kathedralskapitel von Compostela und Jerusalem in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in: Santiago, Roma, Jerusalen. III Congreso lnternacional de Estudios Jacobeos, hg. von Paolo CAUCCI VON SAU C KEN (Santiago de Compostela 1999) S. 187-212, bes. 191-193, D E RS ., Frühformen der geistlichen Ritterorden und die Kreuzzugsbewegung (wie Anm. 85) S. 111-114. <?page no="164"?> 148 Nikolas ]aspert der Schriften unübersehbar. Daneben sollten die Werke offenbar auch liturgischen Zwecken dienen. Wahrscheinlich wurden sie direkt in Ripoll aufgezeichnet. Mit Manuskript 5132 der Bibliotheque Nationale liegt also eine Ripoller Handschrift vor, die ganz eindeutig das Interesse der katalanischen Benediktinermönche für die Kreuzzüge und den Kreuzzugsgedanken im allgemeinen belegt. Es ist auch sicher kein Zufall, daß im Manuskript andere Texte aufgenommen wurden, die mittelbar auf die Kreuzzüge verweisen wie das Carmen Campidoctoris, die Gesta Corniturn Barcinonensium, ein Hymnus, der Raimund Berengar IV. als Sieger über die Muslime feiert oder ein Brief, in dem vom Aufbruch Friedrichs Barbarossa zum Kreuzzug berichtet wird96. Die Tendenz findet eine Bestätigung durch die anderen am Kloster entstandenen Annalen. Darin nahmen die Erfolge gegen die Muslime seit dem Ende des 10. Jahrhunderts einen immer bedeutenderen Raum ein, wobei der lokale Rahmen bald verlassen wird und auch ferne Auseinandersetzungen (nicht allein die Eroberung der Heiligen Stadt im Jahre 1099) notiert werden 97• Schließlich reiht sich auch die liturgische und künstlerische Überlieferung des Klosters in dieses Bild ein. Das Sacramentarium des Klosters aus dem 11. Jahrhundert umfaßt einemissapro exercitu ad bellum contra paganos, sowie eine missa contra paganos, in der die Christen mit dem Volke Israel, die Muslime mit den Ägyptern des Alten Testaments gleichgesetzt werden 98 . Und das wohl zwischen 1147 und 1170 entstandene berühmte Westportal des Klosters weist ein Programm auf, das ebenfalls den Gedanken vom auserwählten Volk aufgriff und nach Ansicht der Forschung auf den Kampf der hispanischen Christen gegen die Muslime übertrug: auch hier begegnet uns die Befreiung des Volkes Israel vom Joche der Ägypter als Hinweis auf den Kampf gegen die Muslime, und der wiederholte Rekurs auf den alttestamentlichen König David ist im übrigen durchaus in Parallele zum Pseudo-Trupin als Hinweis auf die Stellung Raimund Berengars IV. interpretiert wor- 96 FRANCE, An unknown account (wie Anm. 93) S. 772. Vgl. auch die späteren, in Ripoll überlieferten Kreuzzugspredigten des Beetrand de Ia Tour: Christoph T. MAlER, Crusade propaganda and ideology: model sermons for the preaching of the cross (Cambridge 2000) S. 230-248. 97 ZIMMERMANN, EI papel de Ripoll (wie Anm. 26) S. 265-268. . 98 ÜLIVAR, Sacramentarium (wie Anm. 75) Nr. CCCXCII, S. 224: ... et sicut liberasti filios Israel de manibus Egipciorum, ita populum christianum liberare digneris de oppressione paganorum und CCCXCIV, S. 225: Propiciare domine precibus et hostiis famulorum tuorum, et propter nomen tuum christiani nominis defende rectores, ut salus serviencium tibi principum pax tuorum possit esse populorum. In anderen Messen und Gebeten drücken sichHeiligkreuz-und Jerusalemfrömmigkeit aus: Vgl. ebd., Nr. LXXIII, S. 102: Oracio ad missa Sancti Sepulcri; Nr. CLXXXI, S. 144 (zum Fest der lnventio Sanctae Crucis); Nr. CCLX, S. 173-174 (zum Fest der Exaltatio Sanctae Crucis); CCCXL, S. 202: Messe De Saneta Cruce. <?page no="165"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 149 den 99. Mehr noch: Auf der dritten Ebene des Portals sieht man unmittelbar neben dem Eingang zur Klosterkirche, wie Ur und Aaron die Hände des Moses zum Gebet erheben, während das Heer des J osua über die Amalekiter siegt (Ex 17, 8-16). Kaiser Karl der Große selbst ließ Papst Leo III. durch Alkuin kundtun, daß es Aufgabe des Herschers sei, zum Schutz der Kirche gegen Heiden und Ungläubige zu kämpfen, während der Klerus seine Hände mit Moses erheben und Gott um Beistand gegen seine Feinde bitten sollelOO. Mit dem Ripoller Relief wird offenbar direkt auf das Verhältnis der Mönche zum Herrscher bei dessen Kampf gegen die Muslime angespielt. Es ist sogar möglich, daß die in zwei Friesen unterhalb dieser Darstellung abgebildeten Personen niemand anderen repräsentieren als Raimund Bereugar III. und Raimund Bereugar IV., die Beschützer RipollslOl. Dieser Befund ergänzt und erhärtet damit die Vermutung, zu der die Untersuchung der Gesta Corniturn Barcinonensium bereits geführt hatte. In einem geistlichen Zentrum, das wie kein anderes des Pyrenäenraums den Kreuzzugsgedanken aufnahm und weitergab, mußte ein Werk, das die Taten Karls des Großen in den Zusammenhang der Kreuzzüge stellte, auf gesteigerte Aufmerksamkeit stoßen. Damit kam der von Arnaldus de Monte kopierte Pseudo-Turpin zwei Kernanliegen des Klosters Ripoll und seiner Mönche entgegen: Zum einen paßte er zur Darstellung der eigenen Heimat als eines wichtigen Schauplatzes in der Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen unter der Führung eines Grafen, der als Vorkämpfer des Christentums gesehen wurde. Zum anderen entsprach der Pseudo-Turpin aufs beste dem Selbstverständnis und dem Selbständigkeitsstreben der Grafen im östlichen Pyrenäenraum, als dessen spirituelles und geistiges Zentrum sich das Kloster begriff. 99 Josep GUDIOL I CUNIL, La iconografia de Ia portada de Ripoll, Barcelona 1925; BAR- RAL I ALTET, Le portail de Ripoll (wie Anm. 9) S. 147-50; RICO, Signos e indicios en Ia portada de Ripoll (wie Anm. 9) S. 148-153; DE DALMASES/ }OSE PITAR CH, Historia de l'art catala 1 (wie Anm. 9) S. 185-192. Vgl. die sowohl im Portal als auch im Festkalender Ripolls zu Ausdruck kommende Verehrung des Wahren Kreuzes (ebd., S. 130-133). Die im Pseudo-Turpin betriebene Typologisierung zwischen Goliath- Ferragut und König David-Karl dem Großen findet hier seine Entsprechung. 100 Nostrum est: secundum auxilium divinae pietatis sanctam undique Christi ecclesiam ab incursu paganorum et ab infidelium devastatione armis defendere foris, et intus catholicae fidei agnitione munir e. Vestrum est, sanctissime pater: elevatis ad Deum cum Moyse manibus nostram adiuvare militiam, quatenus vobis intercedentibus Deo ductore et datore populus christianussuper inimicos sui sancti nominis ubique semper habeat victoriam, et nomen domininostri Iesu Christitoto clarificetur in orbe (Epistolae Karolini aevi II, ed. Ernst Dümmler [MGH Epist. 4, Berlin 1895] S. 137-138; vgl. RICO, Signos e indicios en Ia portada de Ripoll [wie Anm. 9] S. 152-153). 101 Zu beiden Herleitungen vgl. RI CO , Signos e indicios en Ia portada de Ripoll (wie Anm. 9) S. 152- 169. <?page no="166"?> 150 Nikolas faspert IV. Karl der Große als Fundator Kehren wir zum Abschluß zur katalanischen Legende zurück, mit der dieser Beitrag begann. Sie erzählt weiter, daß Karl der Große nach seinen Siegen über die Muslime das Kloster Ripoll, das ihn gewissermaßen gerufen hatte, besuchte und dort zwischen den Ruinen sieben Mönche antraf. Der Kaiser stattete sie mit Geld aus und bewegte sie, das Kloster um die unversehrt gebliebene Marienstatue wieder aufzubauen 102 . Doch bald ging Ripoll wieder an die Muslime verloren. Zwar eroberte Wifred der Haarige das Kloster zurück, doch blieb die verehrte Figur vorerst unauffindbar. Ihr Aufenthaltsort wird dem Grafen von niemand anderem als dem Frankenkönig verraten. Denn in direkter Parallele zum Pseudo-Turpin, in dem Jakobus Karl dem Großen erscheint, suchte nach der Legende der verstorbene Kaiser den Grafen auf und half ihm, die Figur wieder aufzufinden l03. Damit wurde der für jede Klöstergründungsgeschichte elementare Nachweis der Gottgefälligkeit erbracht104. 102 "Abans de tornar-se'n a la seva terra volgue visitar les runes del monestir de Ripoll, que, com una talaia, havia donat amb la seva immensa fumera el crit d'alarma del perill que amena~; ava el cristianisme. De la gran desfeta del monestir, nomes se'n van salvar set monjos que vivien mig amagats i com podienentre el pedregall de les runes.... Carlemany volgue venerar la imatge i va animar els monjos, que fins aleshores havien estat molt desolats. Tambe els dona diners perque poguessin construir com una pagesia per a soplujar-se, mentre esperaven poder aixecar un altre monestir tan ric i sumptu6s com el primer on venerar amb tota dignitat la imatge de Maria i els va encarregar que posessin a contribuci6 tot llur esfor~; per complir la seva voluntat" (AMADES, Folklore de Catalunya [wie Anm. 1] s. 1151 ). Hier wird eine Parallele ZU den Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam und der Gründungsgeschichte des Klosters La Grasse erkennbar, in der ebenfalls Karl der Große an einem Marienheiligtum auf sieben Religiose hier Einsiedlertrifft (HEITZMANN, Gesta Karoli Magni [wie Anm. 5] S. 7-14). 103 "I conten que de nit va tenir un somni. Veie el gran Carlemany agenollat davant d'una imatge de santa Maria, posada davant d'un pilot de pedres. Quan l'emperador hague fet les seves oracions, va aixecar-se i comen~; a a parlar al comte. Li digue que era voluntat seva que aquella imatge fos venerada, com ja ho havia encarregat a uns monjos que ho havien complert i que volia que se li batfs un gran monestir, el qual fos confiat a l'orde dels fills de sant Benet; que cerques sense parar; que trobaria el que li deia, i que oferfs a la Mare de Deu i al monestir la joia que mes estimes de les que aleshores portava. El comte Jofre va despertar-se fortament impressionat pel somni que acabava de tenir i, per mes que va rumiar, no va capir l'abast dels termes "que cerques, i trobaria, i oferfs al nou monestir allo que mes estimava del que portava al damunt" (Amades, Folklore de Catalunya [wie Anm. 1] S. 1152). 104 Vgl. die Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam, die in erster Linie eine fundatio darstellen (HEITZMANN, Gesta Karoli Magni [wie Anm. 5] CV-CIX). Allgemein: Jörg KASTNER, Historiae fundationum monasteriorum: Frühformen monastischer Institutionsgeschichtsschreibung im Mittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 18, München 1974). Zur revelatio als grundlegendes Element der fundatio siehe auch REMENSNYDER, Remernhering kings <?page no="167"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 151 Bis in seine fundierenden Mythen hinein blieb das Kloster Ripoll dem Pseudo-Turpin verpflichtet. Die Darstellung Karls des Großen als Klostergründer entspricht einer in Südfrankreich außerordentlich häufig feststellbaren Tradition, ja man kann den Karolinger für diesen Raum als den legendären Klostergründer schlechthin bezeichnen, wie jüngst Amy Remensnyder herausgestellt hat105. Doch auch auf der Iberischen Halbinsel gab es Orte und geistliche Einrichtungen, die ihre Herkunft auf Karl den Großen zurückführten. Der Pseudo-Turpin bot für derartige Gründungsgeschichten mit seiner langen Reihe der vom Kaiser eroberten Städte die beste Grundlage. Karl der Große hatte vermeintlich auf der gesamten Halbinsel gewirkt, es ließen sich folglich an vielen Orten im Sinne einer "kreativen Gedächtnisstiftung"106 Karlstraditionen schaffen. Doch auf der Iberischen Halbinsel scheint lediglich in Katalonien von dieser Möglichkeit intensiv Gebrauch gemacht worden zu sein. Die zitierte Legende um das Kloster Ripoll kann hier nur bedingt als Beispiel herangezogen werden, denn zum einen ist sie zu einem unbekannten, späteren Zeitpunkt entstanden und zum anderen erscheint Karl in ihr zwar als Förderer, nicht aber als eigentlicher Fundator des Klosters107. Dies leuchtet unmittelbar ein, bedenkt man das Hauptanliegen der Ripoller Mönche, die Betonung ihrer Anhindung an das Grafenhaus von Barcelona. Aber es gibt andere Beispiele. Die Klöster Sant Miquel de Cuxa und Santa Mapast (wie Anm. 58) S. 43 -65; zur Erzähltradition der Besetzung und Verfolgung durch Andersgläubige vgl. ebd., S. 48-50. 105 R EMENSNYDER , Remernhering kings past (wie Anm. 58) S. 164-221. Vgl. auch DIES., Topographies of memory: center and periphery in High Medieval France, in: Medieval concepts of the past: ritual, memory, historiography, hg. von Gerd ALTHOFFIJohannes FRIED/ Patrick J. GEARY (Cambridge 2001) S. 193-214, bes. 201-213. 106 Amy REMENSNYDER, Remernhering kings past (wie Anm. 58) S. 1 spricht in diesem Zusammenhang von "imaginiative memory". 107 Im Grunde kommt am ehesten Guifre el Pel6s diese Funktion zu, w ird doch unter ihm das Kloster wiederrichtet, die Marienstatue wieder aufgefunden und ein neuer Abt (nämlich der Sohn der Grafen) eingesetzt: AMADES, Folklore de Cataluny a (wie Anm. 1) S. 1152ähnlich die Gesta Corniturn Barcinonensium (wie Anm. 40) Kap. 2 Z. 41--46 . Das allerdings ein authentisches Interesse im Kloster an der Figur Rolands bestand, wird u.a. aus Randbzw. Interlinearnotizen und Hervorhebungen der Ripoller Handschrift des Pseudo-Turpin ersichtlich, so auf fol. 74v (Kap. 25: quafiter mors Rotolandi fuit demonstrata Turpino) und fol. 66v (Kap. 17) bei Loquebatur ipse lingua yspanica, quam Rotolandus satis intelligebat. Ob hier die vermeintlichen Arabischkenntnisse Rolands die Aufmerksamkeit des Lesers gewannen oder der Nutzen, den diese Kentnisse im folgenden in der Auseinandersetzung mit dem Muslimen Roland brachten, muß offen bleiben. Eine weitere Hervorhebung unt erstreicht den Begräbnisort Rolands (fol. 76r = Kap. 29), Zusätze zum gleichen Thema auf fol. 83v (Buch V, Kap. 8). Andere Int erlinearnotizen deuten das Interesse am Militärischen an: fol. 68v (Kap. 18, Schlachtenbeschreibung): vi de maliciam und vide consilium; fo! . 72r (Kap. 22): peracto bello und Hinweis auf Husarenstück des Marsirus. <?page no="168"?> 152 Nikolas ]aspert ria de Gerri in den Pyrenäen führten ihre Entstehung auf den Kaiser zurück und fälschten zu diesem Zweck Gründungsurkunden: Gerri im 10., Cuxa im 12. Jahrhunden108. Auch weiter südlich gelegene Klöster konnten vermeintliche Urkunden Karls des Großen vorweisen, die ihnen reiche Privilegien zusicherten. Sant Pere de les Puelles in Barcelona, Sant Medir d' Amer, Sant Quirze de Colera bei Perelada, Sant Feliu de Guixols und Sant Sadurni de Tavernoles: Sie alle schufen sich durch Fälschungen eine karolingische Legitimität109. Doch nirgendwo wurde die Rückbesinnung auf den Frankenherrscher intensiver betrieben als in Girona in Nordkatalonien110. Die alte Bischofsstadt kann zwar auf eine lange, bis in die Römerzeit zurückreichende Geschichte zurückblicken, aber im örtlichen Selbstverständnis gilt Karl der Große als ihr eigentlicher fundator. Er habe sie nach langer Belagerung aus der Hand der Muslime befreit. Unwichtig, daß in Wirklichkeit Karl nicht selbst die Truppen anführte, im kollektiven Gedächtnis war es der große Kaiser selbst, der die Stadt errettete111. Diese Zu- 108 MGH DD Karo! . I, Nr. 306, S. 460--463 (zu Cuxa), Nr. 308 und 309, S. 464--466 (zu Gerri); vgl. VILLANUEVA, Viage Iiterario 12 (wie Anm. 8) S. 61, 254; Rarnon o'ABA- DAL I VINYALS, Com nex i creix un gran monestir pirinec abans de l'any mil: Eixalada Cuixa, Analeeta Montserratensia 8 (1954/ 55) S. 125-337, 165-172; vgl. SHOLOD, Charlemagne in Spain (wie Anm. 68) S. 21 0-211; REMENSNYDER, Remernhering kings past (wie Anm. 58) S. 164, 315,324. 109 Sant Pere de ! es Puelles: Miquel COLL I AL ENTORN, La cronica de Sant Pere de ! es Puelles (ND in D ERS, Historiografia [wie Anm. 12] 99-111). Amer: Rarnon o'ABADAL I VINYALS, Catalunya carolingia 2,1 (wie Anm. 34) 9; vgl. allg. EI Girones, Ia Selva, el pla de l'Estany (Catalunya Romanica 5, Barcelona 1991) S. 249-260. Sant Quirze de Colera: VILLANUEVA, Viaje Iiterario 13 (wie Anm. 8) app. 4; D' ABADAL I VINYALS, Catalunya carolingia 2,1 (wie Anm. 34) S. 472; vgl. allg. L'Emporda 2 (Catalunya Romanica 9, Barcelona 1990). Sam Feliu de Guixols: L'Emporda 1 (Catalunya Romanica 8, Barcelona 1989) S. 265-275. Tavernoles: o' ABADAL I VINYALS, Catalunya carolingia 2,1 (wie Anm. 34) 277; Josep NOGUES I EsTANY, Historiadel monestir de Sam Sadurnf de Tavernoles (Barcelona 1973) S. 10 und doc. II, S. 73-74; vgl. allg. U rgell, Andorra (Catalunya Romanica 6, Barcelona 1992); ENGELS, Schutzgedanke und Landesherrschaft (wie Anm. 29) S. 73, Anm. 246. Allgemein über Fälschungen im Katalonien der Karolingerzeit: D' ABADAL I VINYALS, Catalunya Carolingia 3,1 (wie Anm. 34) S. 50-70, D'ABADAL I VINYALS, Catalunya Carolingia 4,1 (wie Anm. 34) S. 45-52 sowie jetzt auch Rarnon ÜRDEIG I MATA, Catalunya Carolingia 4,1 (Barcelona 1999) S. 47--49 und 4,3 (Barcelona 1999) S. 1330-1343. Das Thema der monastischen Rückbesinnung auf die Karolingerzeit im Sinne einer "kreativen Gedächtnisstiftung" kann hier nur angerissen werden. Es bedarf einer eingehenden Bearbeitung. 110 Eduard SCHNEEGANS, Die Quellen des sogenannten Pseudo-Philomena und des Of ficiums von Girona zu Ehren Karls des Großen (Diss. Phi! ., Straßburg 1891); Jules COULET, Etude sur l'office de Girone en l'honneur de Saint Charlemagne (Publications de Ia Societe pour I'etude des langues romanes 20, Montpellier 1907) S. 8 -13 , 117-132; SHOLOD, Charlemagne in Spain (wie Anm. 68) S. 198-207. 111 Über die engen Verbindungen zwischen Girona und dem Kapetingerhof, die bis ins beginnende 10. Jahrhundert reichten, siehe Josep Maria SALRACH I MAR ES , L'epoca carolingia, in: Historia de Girona, hg. von Lluis COSTA (Girona 1992) S. 79- 108. <?page no="169"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 153 schreibung war schon früh geläufig, wie das im Kloster Cuxa begonnene, seit der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts in Ripoll fortgeführte Chronicon alterum Rivipullense belegt112. Sie wurde durch die Chansonde Ge ste gefördert. Schon die frühesten Vorläufer der Chanson de Roland dürften die Belagerung Gironas beschrieben haben 113 , und die vermeintlichen Kämpfe in Katalonien bildeten einen festen Bestandteil des späteren Erzählstoffs. Die Zuschreibung einer Eroberung Gironas durch Karl den Großen findet sich ebenso in der Chronik von Moissac, der Kaiserchronik und in der Primera Cr6nica General Alfons des Weisen114. In der Folge wurde der Karolinger in Girona immer wieder herangezogen, um Gegenständen oder Orten größere Authentizität und Autorität zu verleihen: der altehrwürdige Bischofsstuhl, ein Kelch und das Chartular der Kathedrale tragen jeweils den Beinamen "de Carlemany" bzw. "de Carlesmany" und weisen damit auf den legandären Retter der Jaime VILLANUEVA hatte schon 1850 auf die Fehlerhaftigkeit der Zuschreibung hingewiesen: "La tradici6n nada vale cuando hay en contra argurnentos de casta" (VIL- LANU EVA, Viaje Iiterario 12 [wie Anm. 8] S. 161), doch setzte sich die Erkenntnis nur langsam durch. 112 VILLANUEVA, Viaje Iiterario (wie Anm. 8) S. 242-243, zum Jahr 785: Gerundam civitatem homines tradiderunt regi Karolo. Et multi viderunt sanguinem pluere: et mortalitas magna secuta. Apparuerunt acies in celo et signum + in vestimentis hominum. 113 Josep CLARA I TIBAU, EI "Cami de Carlemany" i els cantars de gesta francesos a Ia Catalunya Vella (Barcelona 1988) S. 178-210 mit Text auf 337-342; vgl. dazu auch SHOLOD, Charlemagne in Spain (wie Anm. 68) S. 152-154. Zum Niederschlag des Karlsmythos in der kastilischen, katalanischen und französischen Epik siehe den unmittelbar vor Drucklegung dieses Bandes erschienenen Aufsatz von Ludwig VONES, Zwischen Roncesvalles, Santiago und Saint-Denis. Karlsideologie in Spanien und Frankreich bis zum Ausgang des Mittelalters, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 104/ 105 (2002/ 2003), S. 577-635, dessen Ergebnisse hier nicht mehr aufgenommen werden konnten. 114 Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, ed. Edward SeHRÖDER (MGH Deutsche Chroniken 1,1, Hannover 1892) S. 351 Z. 14909 - 14914: Dannen seiet der gotes dienestman/ do er daz liut unserem herren gewan/ ze ainer burch haizet Gerundo! die twang er mit hunger/ unze si im die burch ergaben/ sich touften alle die da waren vgl. Karl-Ernst GEITH, Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13 . Jahrhunderts (Bibliotheca germanica 19, Bern-München 1977) sowie den Beitrag von Volker HONEMANN in diesem Band. Chronicon Mossiacense, ed. Georg Heinrich PERTZ (MGH SS , 1, Hannover 1826) S. 280-313, 297: Eodem anno Gerundenses homines Gerundam civitatem Carolo tradiderunt. Primera cr6nica general de Espaiia, ed. Rarnon MENENDEZ PIDAL 2 (Fuentes cronfsticas de Ia historia de Espaiia 1,2, ND Madrid 1977) S. 355-356, Z. b 48-a 8 (Kap. 633) : Et algunos dizen en sus cantares et en sus fablas de gesta que conquirio Carlos en Espanna muchas ~ipdades et muchos castiellos, et que ovo y muchas lides con moros, et que desenbargo et abrio el camino desde Alemannia fasta Sanctiago. Mas en verdat esto non podria ser, fueras tanto que en Catalonna conquirio Bar~ilona, Gironda, Ausona et Urgel con sus terminos; et lo al que chufan ende non es de creer. <?page no="170"?> 154 Nikolas ]aspert Stadt 11 5, ebenso wie der berühmte romanische Wandteppich, der Schöpfungsteppich (de la creaci6) oder eben Kar1steppich genannt wird116. Einen wichtigen Schub erhielt die zweifellos ältere Karlsverehrung im 14. Jahrhundert zu einer Zeit also, als diese auch im römisch-deutschen Reich und in Frankreich einen neuerlichen Aufschwung erlebte und die Figur des Karolingers schon lange erfolgreich an das französische Königtum gebunden war117: Bischof Arnau de Montrodo initiierte in Girona einen veritablen Karlskult mit einem eigenen Festtag (am 28. Januar), indem er im Jahre 1345 für die örtliche Kathedrale ein Karls-Offizium in neun Lektionen verfassen ließ, das möglicherweise auf eine ältere, verlorene Vorlage zurückging. Es griff Elemente der Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam, der Chansonde Roland, autochthoner Überlieferungen, aber auch des Pseudo-Turpin auf und führte sie fort 11 8. Das Offizium erzählt, wie Karl nach der Einnahme Narbonnes 115 SHOLOD , Charlemagne in Spain (wie Anm. 68) S. 208-210; CLARA I TIBA U, EI "Cami de Carlemany" (wie Anm. 113) S. 42-46. Der Name des Chartulars ist seit dem En de des 16. Jahrhunderts bezeugt: Cartoral, dit de Carlemany, del bisbe de Girona (s. IX-XIV) 2, ed. Josep Maria MARQUES I PLANAGUMA (Fundaci6 Noguera, col.lecci6 diplomataris 2, Barcelona 1993) S. 12. 116 Zum Teppich: Pere DE PALOL , EI tapis de la creaci6 de Ia catedral de Girona (Barcelona 1986) S. 79- 80; Cataluny a Romanica I, Introducci6 a l'estudi de l'art Romanic Catala (Barcelona 1994) S. 188-203. 11 7 Robe rt F OLZ, Etudes s ur le culte liturgique d e C harlemagne dans l 'Em pire ge rm anique medieval (Paris 1950) S. 439-465; D ER S., Aspects du culte liturgique de Saint Charlemagne en France, in Kar! der Große. Lebenswerk und Nachleben 4: Das Nachleben, hg. von Wolfgang BRAUNFELS/ Percy Ernst SCHRAMM. (Düsseldorf 1968) S. 77-99; Matthias ZENDER, Die Verehrung des Hl. Kar! im Gebiet des mittelalterlichen Reiches, ebd. S. 100-112 und Dietrich Kö TZ SC HE, Darstellungen Karls des Großen in der lokalen Verehrung des Mittelalters, ebd. S. 157- 214; BAST E RT, Heros und Heiliger. Literarische Karlsbilder im mittelalterlichen Frankreich und Deutschland (wie Anm. 82) S. 212-215; Max KE RN E R, Karl der Grosse. Entschleierung eines M ythos (Köln/ Weimar/ Wien 2001) S. 133-156. Zur Karlsverehrung der französisch en Krone und im Reich des 14. Jahrhundert siehe auch die Beiträge von Klaus HERBER S, Ludwig VONES, Volker HONEMANNJoachim EHLERS in diesem Band. Das im folgenden beschriebene Offizium weist allerdings keine Ähnlichkeit zur Aachener oder der von dieser abgeleiteten Pariser Liturgie auf. 11 8 CO UL E T, Etude sur l'office (wie Anm. 110) S. 20-28, 117-159 zu den Qu ellen. D aß die C hanson de Roland früh in Katalonien bekannt war, belegt auch die Onomastik: So stammen die frühe st en Erwähnungen d es Nam ens Rolands auf d er Iberischen Halbinsel aus d em Pyr enäre nr aum: D avid H o oK, Roland in the Medieval Spanish Epic, in: Roland and Charlemagne in Europe: Essay s on the Reception and Transformation of a Legend, hg. von Karen PRATT (London 1996) S. 83-103; vgl. weitere Beispiele aus anderen Teilen Spaniens bei SHOLOD, Charlemagne in Spain (wie Anm. 68) S. 143-151 , 213-220. Allerdings spielten gegenüber der Chansond e Roland andere Texte wie die Gesta Karoli Magni ad C arcassonam et Narbonam od er d er provenzalische Epos Roncesvalls eine bedeutende Rolle. Vielleic ht ist die Konkurren z dieser Texte der G rund, w eshalb der Pseudo-Turpin erst recht spät nämlich im 15. J a hr - <?page no="171"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 155 beschlossen habe, Girona zu erobern, worauf ihm in einer Vision neben der Gottesmutter und dem heiligen Andreas eben auch der heilige Jakobus erschienen sei und ihm den Erfolg seines Unternehmens zugesagt hätte. Die Ähnlichkeit zum Einleitungspassus des Pseudo-Turpin ist unübersehbar. Nach der Überquerung der Pyrenäen habe der Kaiser den Weg nach Süden eingeschlagen und unterwegs verschiedene Kirchen gegründet: Sant Andreu de Sureda, Sant Marti de Farn del Vidre am Coll de Panissars, Sant Juliade Ramis, Santa Maria d' Am er. Auch Roland und Erzbischof Turpin treten als Stifter auf: Roland weiht in Sant Julia de Ramis eine Kapelle, Turpin ebendort einen Altar. Schließlich habe das Heer Girona erreicht. Als die Christen die Stadt belagerten, habe ein Kreuz am Himmel über der Hauptmoschee und vom Himmel fallende Bluttropfen den baldigen Sieg Karls des Großen angekündigt119. In einem wohl zum Ende des 15.Jahrhunderts enstandenen Tractatus de captione Gerundae et de edificatione ipsius cathedralis ecclesie et quomodo beatus Karalus magnus imperator eamdem dotavit atque in ea episcopum ordinavit wird diese Geschichte weiter ausgeschmückt und der Weg des Kaisers von den Pyrenäen nach Girona genauer beschrieben 120 . Zu dieser Zeit stand jedoch der Gironeser Karlskult schon in der Kritik, und 1484 wurde er von Sixtus IV. auf eine Predigt am Karlstag, dem 28. Januar, reduziert 121 . Doch die durch den Kult und seine Schriften geschaffenen Legenden lebten weiter. Mehrere der im Offizium beschriebenen vermeintlichen Gründungen Karls des Großen ließen sich durch das päpstliche Verbot nicht davon abbringen, an ihren Abstammungsgeschichten festzuhalten 122. hundert ins Katalanische übersetzt wurde: Historia de Carles Maynes e de Rotlla: traducci6 catalana del segle XV, ed. Martf DE RIQU ER (Barcelona 1960); vgl. auch D ERS ., Chanson de Roland, Cantar de Roldan y el Roncesvalles N avarro (Barcelona 1983). Zur Person des Bischofs siehe COULET, Etude sur l'office (wie Anm. 110) S. 20 -2 1. 119 COULET, Etude sur l'office (wie Anm. 110), mit Edition des Offiziums aufS. 57-59. Ältere, voneinander abweichende Editionen in: Esp aiia Sagrada, XLIII 512-514 und VILLANUEVA, Viaje Iiterario 14 (wie Anm. 8) S. 267- 269. Visionen des Kreuzes begleiteten schon nach dem Chronicon alterum Rivipullense die Eroberung Gironas (s. oben, Anm. 112). 120 COULET, Etude sur l'office (wie Anm. 114) S. 70-116mit Edition des Textes auf s. 77-82. 121 COULET, Etude sur l'office (wie Anm. 114) S. 28-38; CLARA I TIBAU, Cami de Carlemany (wie Anm. 113) S. 31. Diese Predigtwurdenoch zu Beginn des 19.Jahrhunderts gehalten, doch 1873 war die Tradition eingegangen (ebd., 40-41). 122 Zu den katalanischen Klöstern, die in späterer Zeit einen Bezug zu Kar! den Großen herstellten, gehören S. Maria d' Arles sur Tee (wo eine capa de Carlemany aufbewahrt wurde), S. Mariadel Camp im Roussillon, Sant Andreu de Sureda (wo das Grab Otgers gezeigt wurde), SantaMariadel Camp bei Garriguella, Santa Maria d 'A mer (wo eine lokale Legende aus dem Jahre 1428 überliefert ist), Sant Cugat del Valles (nach Ausweis einer älteren Abtsliste) vgl. CLARA I TIBAU, Camf de Carlemany (wie Anm. 113) s. 64-175. <?page no="172"?> 156 Nikolas ]aspert Wie erfolgreich die klerikale und monastische Mythenbildung in Katalonien war, lässt sich an der örtlichen Historiographie des 15. Jahrhunderts ablesen; die Chroniken führen nicht weniger als fünfzehn katalanische Kirchen und Klöster auf das direkte Einwirken eines Karolingerherrschers zurück: die Kathedralen von Barcelona, Girona, Urgell und Vic, die Kichen von Sant Just i Pastor in Barcelona und Sant Sadurni de Tavernoles sowie die Klöster Sant Quirze de Colera bei Perelada, Sant Cugat del Valles, Sant Feliu und Sant Genfs im Roussillon, Sant Miquel de Cuixa, Sant Pere de les Puelles in Barcelona, Santa Maria d' Arles sur Tee im Vallespir und eben auch SantaMariade Ripoll: sie alle seien von Karl dem Großen oder seinem Sohn gegründet worden.123 Mit den Gesta Corniturn Barcinonensium und den lokalen Legenden ist die Reihe der fundierenden Erzählungen keineswegs erschöpft, für die in Katalonien Karl der Große herangezogen wurde. Nicht nur, daß der Karisstoff über den Pseudo-Turpin Einzug in eine Reihe von Chroniken des 15. Jahrhunderts hielt; auch neue Legendenbildungen wurden in dieser Zeit vorgenommen12 4. Zumindest drei Erzählungen des 15. Jahrhunderts seien kurz angeführt. Die erste ist die um 1418 niedergeschriebene Geschichte von Otger Catal6. Sie berichtet, daß schon vor der karolingischen Invasion neun Barone unter der Führung eines aquitanischen Ritters namens Otger Cathal6 über die Pyrenäen gekommen seien, um die Muslime zu bekämpfen. Bei der Belagerung der Stadt Ampurias sei ihr Anführer einer Krankheit erlegen, doch die Streiter hätten ausgeharrt, bis Karl der Große nach Spanien gekommen sei, um seinerseits die Muslime zu bekämpfen (der unmittelbare Anlaß wird nicht angeführt). Nach seinem Sieg habe er die neu eroberten Territorien, die nach dem legendären Anführer nun "Katalonien" benannt wurden, unter den neun namentlich aufgelisteten Baronen aufgeteilt. Zugleich habe der Kaiser zur Ehre der himmlischen Ordnung auch 123 Vgl die Auflistung bei Anna CoRTADELLAS I V ALLES, Repertori de liegendes historiografques de Ia Corona d' Arag6 (Textos i Estudis de Cultura Catalana 79, Montserrat 2001) S. 183-186. Die kirchlichen Einrichtungen des Roussillon wurden aufgenommen, da sie im Mittelalter zum Bereich der Krone Aragon gehörten, diejenigen des Narbonnais (z.B. La Grasse) hingegen nicht. Zur Frühgeschichte der Pyrenäenklöster zur Karolingerzeit ist nach wie vor grundlegend ABADAL I VINYALS, Domini carolingi (wie Anm. 34) . 124 Zur Chronistik des 15. Jahrhunderts neben CoLL I ALENTORN, Historiografia (wie Anm. 12) und CORTADELLAS I V ALLES, Repertori (wie Anm. 123), mit Hinweisen auf Übernahmen aus dem Pseudo-Turpin auf den S. 231-235: Miquel COLL I ALENTORN, La llegenda d'Otger Catal6 i els nou barons, in: Estudis rom~mics 1 (1947-48) S. 1-47; Fernando V ALLS TABERNER, EI sentit alemany de Ia llegenda d'Otger Catal6, in: Spanische Forschungen der Goerresgesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 2 (1930) S. 397-399; FREEDMAN, Cowardice (wie Anm. 44) S. 19- 20. <?page no="173"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 157 neun Vizegrafen, neun adlige Geschlechter und neun Vasvessores eingesetzt125. Hier wurde also nicht nur auf Karl den Großen zurückgegriffen, um die christliche Eroberung und die Übertragung der Macht an einheimische Große zu begründen, sondern es wurde zugleich eine Gründungsgeschichte der wichtigsten Adelsgeschlechter Kataloniens geschaffen. Aus diesem Grund ist die Autorenschaft im Umkreis des örtlichen Adelsgeschlechts der Pinos vermutet worden. Ob nun die Vorlage für die neun Mitstreiter des Otger lediglich in den Neuf Preux der höfischen Literatur zu suchen ist, oder ob nicht doch Reflexe der Paladine Karls des Großen aus dem Pseudo-Turpin Vorlage standen, sei dahingestellt126. In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, daß auch in späteren Gründungslegenden Kataloniens in Anlehnung an populäre Erzählstoffe und schriftlich vorliegende Karlslegenden der Rückbezug auf den großen Karolinger gesucht wurde127. Ganz ähnlich das zweite Beispiel: ein katalanischer Jurist des 14. Jahrhunderts, Bertr-an de la Ceva, zog für seinen Versuch, die Anfänge bäuerlicher Unfreiheit zu benennen und zu rechtfertigen, ältere Erzählungen heran, die ebenfalls die Karolingerzeit als Legitimationsmittel benutzten12 8. Karl der Große habe vor seiner Expedition nach Spanien ausdrücklich die unter muslimischer Herrschaft lebende Bauernschaft dazu aufgerufen, sich vom Joch des Islam zu befreien. Die Bauern hätten aber der Aufforderung nicht Folge geleistet, weswegen sie nach dem Sieg der Christen als Strafe dazu verurteilt worden seien, immerfort un ter den gleichen Bedingungen zu verharren wie zur Zeit der muslimischen Herrschaft. An dieser Erzählung wird noch deutlicher als in der Legende von Otger Catal6 ein Bezug zum Pseudo-Turpin erkennbar: 125 Die Texte der ältesten Überlieferungen in: COLL I ALENT ORN, Llegenda (wie Anm. 124) S. 6-8 und späterer Fortsetzungen e bd., S. 45-47 sowie bei CORTADELLAS I V AL- LES, Repertori (wi e Anm. 123) S. 131. 126 Beim Bild der neun Ritter, die unter Führung eines französischen Adligen gegen Muslime kämpfen, werden auch Anklänge an die Gründungsgeschichte des Templerordens in der Überlieferung Wilhelms von Tyrus erkennbar (Willelm von Tyrus, Chronicon, ed. Robert B .C. HUYGENS [Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 63 u. 63A, Turnhout 1986] Lib. 12, Kap. VII, S. 553-555); vgl. dazu allgemein JASPERT, Frühformen d er ge istlichen Ritterorden (wie Anm. 85). 127 Als Quellen für die Legende von Otger Catal6 sind die Chronik des Rodrigo Jim enez de Rada und insbesondere die Gesta Karoli Magni ad Carcassonam et Narbonam genannt worden: COLL I ALENTORN, Llegenda (wie Anm . 124) S. 11-17. Der katalanische Chronist Pere Tomich fügte zur Mitte des 15. Jahrhunderts Elemente aus dem Pseudo-Turpin hinzu (ebd., S. 25). 128 Text bei Paul FREEDMAN, Catalan Lawyers and the Origins of Serfdom, Medieval Studies 48 (1986) S. 288-314, 313-314. Vgl. FREEDMAN, Cowardice (wie Anm. 44) S. 6-11. Diese Geschichte fand in eine Vielzahl katalanischer Chroniken des 15. Jahrhunderts Einzug (vgl. CORTADELLAS I V ALLES, Repertori [ wie Anm. 123] S. 127, 159) <?page no="174"?> 158 Nikolas jaspert Denn dort ruft ebenfalls Karl die unfreien Bauern hier allerdings diejenigen Frankreichsdazu auf, sich seinem Zug anzuschließen, und verspricht ihnen dafür die Freiheit129. Die dritte Erzählung schließlich findet sich in einer katalanischen Handschrift des ausgehenden 15. Jahrhunderts, die einem Berenguer de Puigpardines zugeschrieben und jetzt in der Bibliothek des Escorial verwahrt wird. Hier wird gar behauptet, ein Neffe Karls des Großen namens Raimund Berengar sei der erste Graf von Barcelona gewesen, womit die dynastische Rückführung des Hauses Barcelona auf die Karolinger endgültig auf die Spitze getrieben wird.130 Die Reihe der in Katalonien gepflegten Rückbesinnungen auf die Karolinger und insbesondere auf Karl den Großen ließe sich über das Mittelalter hinaus fortführen. Bis in die jüngste Zeit ist in Katalonien immer wieder der Karlsbezug bemüht worden auch, um die Zugehörigkeit dieses Teils Spaniens zum restlichen Europa zu unterstreichenl31. Sie ist zwar weniger stark ausgeprägt als die in Katalonien durchaus lebendige Jakobusverehrung132, bildet aber dennoch einen Teil des kollektiven Bewußtseins dieser historischen Grenzregion. Das benachbarte, historisch stets von der katalano-aragonesischen Krone beanspruchte Andorra 133 führt sogar noch heute in der Nationalhymne die eigene Herkunft auf das Wirken des bedeutendsten Karolingers zurück. Dieses Stück mag den Schlußakkord bilden zu dieser Annäherung an die Geschichtsschreibung, Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien: "EI gran Carlemany, mon pare, dels alarbs em deslliura I del cel vida em dona de Meritxellla gran mare. Princesa nasquf i Pubilla entre dues nacions neutral Sols resto l'unica filla de l'imperi Carlemany. Creient i lluire onze segles, creient i lliure vull ser. Siguin els furs mos tutors i mos Prfnceps defensors 134 ". 129 Liber SanctiJacobi, ed. H E RB ER S/ NOIA (wie Anm. 4) Lib. IV, Kap. 11. Die Stelle geht wohl auf die Descriptio zurück, in der diejenigen, die den Kaiser nicht nach Jerusalem begleiteten, ebenfalls mit Unfreiheit bestraft wurden. Diese Erzählung wurde in die 1407 entstandene Flos mundi aufgenommen und dahingehend ausgeschmückt, daß ein Vorfahre Wifreds des Haarigen bereits eine Nichte Pippins des Jüngeren geheiratet hatte (COLL I ALE NTORN, Guifre el Pel6s en Ia historiografia i en Ia llegenda [wie Anm. 46] S. 31-32). 130 CORTADELLAS I V ALLES, Repertori (wie Anm. 123) S. 131. 131 Hierzu siehe FREEDMAN, Cowardice (wie Anm. 44) S. 23. Hingewiesen sei etwa auf die 1985 geschlossene Städtepartnerschaft zwischen Girona und Aachen. 132 Vgl. oben, Anm. 75. Zur späteren Jakobusverehrung in Katalonien aus der Sicht der Volkskunde: Joan AMADES, Costumari catala: el curs de l'any IV: Estiu (Barcelona 1951) s. 585-617. 133 Im übrigen diente auch Andorra eine Fälschung als Grundlage ihres Karlsbezugs: MGH DD Karo! . I, Nr . 307, S. 463-464. 134 Die Hymne wurde erstmals 1928 gespielt, der Text stammt von Joan BenHoch i Viv6, <?page no="175"?> Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien 159 "Kar! der Große, mein Vater, hat mich aus der Hand der Muslime befreit und mir vom Himmel das Leben der Muttergottes zu Meritxell gegeben. Als Prinzessin wurde ich geboren, eine Jungfrau neutral zwischen zwei Nationen. Als einzige Tochter des karolingischen Reichs bleibe ich schon elf Jahrhunderte gläubig und frei, gläubig und frei will ich sein. Mögen meine Rechte und meine Fürsten meine Beschützer sein." Bischof von Urgell. Auf die Singularität der Hymne mit seinem Rückbezug auf Kar! den Großen weist hin: Bernd SCHNEIDMÜLLER, Sehnsucht nach Kar! dem Großen. Vom Nutzen eines toten Kaisers für die Nachgeborenen, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000) S. 284 - 301,284. <?page no="177"?> Der Pseudo-Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters VOLKER HONEMANN Der Einfluß der Historia Karoli Magniet Rotolandi, nach ihrem angeblichen Verfasser meist als Pseudo- Turpin oder Chronique du Pseudo- Turpin bezeichnet, auf die deutsche (also die im deutschen Sprachgebiet entstandene volkssprachige und lateinische) Literatur des Mittelalters ist bisher nur punktuell und nie eigenzwecklieh untersucht word en. "Eigenzwecklich": das heißt, daß es denjenigen Forschern, die sich mit dem Thema beschäftigten, stets darum zu tun war, bestimmte Aspekte eines mittelalterlichen deutschen Textes zu klären, indem sie den Nachweis zu führen versuchten, daß derert Autor den Pseudo- Turpin gekannt und benützt hatte oder nicht. Für die deutsche Literatur des 12. Jahrhunderts standen dabei vor allem Fragen der Datierung zur Debatte; dementsprechend wurden in diesem Kontext nur einzelne inhaltliche D etails des Pseudo- Turpin erörtert. Die folgende Skizze kann angesichts dieser fast als desolat zu bezeichnenden Forschungssituation nur zweierlei tun: sie kann die bisherigen Befunde einer erneuten, kritischen Prüfung unterziehen, und sie kann Defizite der bisherigen Forschung aufzeigen. Ganz wesentlich erschwert w ir d dies allerdings dadurch, daß auch über den Pseudo- Turpin selbst in wesentlichen Punkten noch immer große Unsicherheit beste ht und zentrale Aspekte, wie etwa die h andschriftliche Überlieferung, nur unzulänglich untersucht sind. Von erheblichem Belang für unsere Fragestellung ist es beispielsweise, ob es wie manche Forscher wolleneinen "Ur-Turpin" gegeben hat, der dem uns vorliegenden Text zeitlich vorausging und von diesem in vielen Details abwich, ob die inzwischen vielfach akzeptierte Datierung des Textes auf "um 1140" richtig_ist, ob im Codex Calixtinus v on Santiago d e Compostela der älteste Uberlieferungsträger des Pseudo- Turpin vorliegt, wo der Text selbst entstand (in St-Denis? , irgendwo in Südfrankreich? , in Santiago de Compostela? ) und wie die Verbreitung des Textes von seinem Ursprungsort in das deutsche Sprachgebiet hinein erfolgte 1. 1 Grundlegende Information zum P se udo-Turpin bieten die entsprechenden Artikel v on G. T Y L-LAB ORY in: Dictionnaire des lettres fran~aises , hg. v on G eor ges GRENTE/ <?page no="178"?> 162 Volker Honemann Geradezu unheilvoll hat sich für eine Beantwortung dieser Fragen die Neigung vieler Forscher (besonders ist hier Andre de Mandach zu nennen) ausgewirkt, aus Gründen der literarhistorischen und textgeschichtlichen Kohärenz die Existenz weiterer (uns leider nicht mehr erhaltener) Texte zu postulieren, die ihrerseits die Genese des Pseudo- Turpin oder diesen selbst beeinflußt hätten. Erschlossen wurde so beispielsweise eine sogenannte ,Entree d'Espagne', eine Chanson de geste, die den sowohl im Pseudo- Turpin wie in etlichen anderen Texten beschriebenen Einmarsch Karls des Großen und seines Heeres in Spanien zum Thema gehabt haben soll. Die Beschäftigung mit den überlieferten, d.h. den tatsächlich erhaltenen Texten (vor allem deren Vergleich) hat darunter erheblich gelitten. Ein weiteres Problem stellt die noch in neuesten Arbeiten (so etwa Gicquel1995 2) anzutreffende Neigung dar, zur Erklärung des Pseudo- Turpin unbedenklich historische Gegebenheiten heranzuziehen, was meist zu einem Mischmasch aus historischer und literaturwissenschaftlicher Argumentation führt, mit dem man letztlich "alles" erklären kann. Das zweifellos vorhandene historische Substrat des Pseudo-Turpin (und der Karls- und Roland-Literatur überhaupt) wurde so häufig in methodisch unzulässiger Weise punktuell einbezogen, um sonst nicht zu erklärende Differenzen zwischen literarischen Texten zu deuten. Hinzu tritt schließlich eine aus heutiger Sicht kaum mehr verständliche Überkonzentration auf das Problem der verschiedenen Fassungen des Pseudo- Turpin. Sie muß in vielen Punkten-trotz der wichtigen Ergebnisse, die vor allem Adalbert Hämel in diesem Bereich erzielte als verfrüht angesprochen werden, weil die nötige Grundlagenarbeit, nämlich eine g0indliche, dem heutigen Stand der Paläographie, Kodikologie und der Uberlieferungs- und Textgeschichte entsprechende Untersu- Genevieve HASENOHR/ Michel ZINK (Paris 1992) S. 292-295 und von P. BOURGAIN, in: LMA 7 (1994) Sp. 310; ich selbst neige dazu, eine Entstehung des Textes in Santiagode Compostela als wahrscheinlichsten Ursprung des Pseudo-Turpin anzusehen, weil hier das Interesse an einem Text, der den heiligen Jakobus als denjenigen einsetzt, der Kar! den Großen auffordert, die spanischen Heiden zu bekämpfen, seinen Weg und sein Land zu befreien und selbst Kirche und Grab des Apostels in Galicien zu besuchen am größten sein mußte; siehe Historia Karoli Magniet Rotholandi, hg. von C. MEREDITH-}ONES (Paris 1936) Kap. I, S. 88-93; Die Chronik von Kar! dem Großen und Roland, hg. von Hans Wilhelm KLEIN (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 23, München 1986) Kap. I, S. 36-39; ich zitiere den Pseudo- Turpin nach Kleins Ausgabe, dieneben einer deutschen Übersetzungeinen ausführlichen Kommentar enthält. Zugrunde legt Klein die Handschrift Aachen, Stadtarchiv D 107, Nr. 173 (nach 1400), Sigle HA 5, die, wie KleinS. 20-26 nachweist, den Textbestand dersehr alten, klar in das 12. Jahrhundert zurückgehenden- Aachener Gruppe der Ps.-Turpin-Überlieferung sehr gut bewahrt hat. 2 Bernard GICQUEL, La genese europeenne du Pseudo-Turpin et l'evolution du mythe rolandien, in: Pelerinages et Croisades (Paris 1995) S. 37--46. <?page no="179"?> Der Pseudo- Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters 163 chung aller Handschriften des Pseudo- Turpin bis heute nur unzulänglich geleistet ist. Wie wichtig eine solche Untersuchung wäre, sei an einem Beispiel gezeigt: Bekanntlich existierenneben dem ,Codex Calixtinus' weitere Handschriften des Pseudo- Turpin, die von der Forschung in das 12. Jahrhundert datiert werden 3. Sollte eine dieser Handschriften in die erste Hälfte oder gar den Anfang des 12. Jahrhunderts zu setzen sein, dann würde sich die Frage nach der Entstehung des Textes völlig anders stellen als bisher. Dringend zu fordern ist in diesem Zusammenhang weiterhin eine genaue literatursoziologische Untersuchung der handschriftlichen Überlieferung: Vermutlich werden sich in etlichen Fällen die Entstehungsumstände von Handschriften, die den Pseudo- Turpin enthalten, aufklären lassen und es wird festzustellen sein, wer diese Handschriften benützte und zu welchem Zwecke dies geschah; so ist z.B. liturgischer Gebrauch in einer ganzen Reihe von Fällen (so etwa für Handschriften, die auch die Aachener Karlslegende enthalten) sicher. Für die Interpretation des angesichts seiner Disparatheit schwer "in den Griff zu bekommenden"- Pseudo-Turpin-Textes wäre damit viel gewonnen. Was nun den Einfluß des Pseudo- Turpin auf die deutsche Literatur des Mittelalters angeht, so ist zunächst das folgende festzustellen: 1. Es scheint, soweit bisher bekannt, keine selbständige volkssprachige Übersetzung des lateinischen Pseudo- Turpin zu existieren. In krassem Gegensatz also zur französischen Literatur, die eine ganze Fülle von altfranzösischen Pseudo- Turpin- Texten kennt und wohl auch eine mittellateinische Versbearbeitung entstehen ließ\ aber auch in deutlicher Abweichung von fast allen anderen volkssprachlichen Literaturen des 3 Man vergleiche die Handschriftenliste bei Adalbert HÄMEL, Los manuscritos del falso Turpino, in: Estudios dedicados a Menendez PIDAL (Madrid 1953) S. 67-85, z.B. Nr . 3, 43, 44, 45, 50(? ), 56, 61 (? ), 87, 89, 90 (? ), 107, 108, 113, 114 (? ), 131 (? ), 133. (Mit ? habe ich die von Häme! mit der Datierung "XII/ XIII. Jh ." gekennzeichneten Handschriften versehen). Häme! verzeichnet hier 139 Handschriften (teils Fragmente des ,Pseudo-Turpin'). Die sehr umfangreiche Handschriftenliste bei Andre DE MANDACH, Lageste de Charlemagne et de Roland ( = Naissance et developpement de Ia Chansonde Gesten Europe I) (Genf, Paris 1961) S. 364--414 ist vom kodikologischen Standpunkt aus schlicht unbrauchbar. De Mandach gliedert seine Liste von mehr als 300 Handschriften nach stemmatologisch-textgeschichtlichen Gruppen, wobei nur die allernötigsten kodikologischen Angaben in sehr pauschaler Weise gegeben werden; Provenienzen fehlen durchweg, zwischen lateinischen und volkssprachigen Handschriften wird nicht getrennt, neben erhaltenem findet sich verlorenes und erschlossenes. 4 Nämlich den wohl um 1200 in Frankreich entstandenen Karolellus, siehe dazu die Neuausgabe: Karolellus atque Psevdo-Tvrpini Historia Karoli Magni et Rotholandi, ed. Paul Gerhard SC HMIDT (Bibliotheca Tevbneriana, Stuttgart und Leipzig 1996); die Ausgabe bietet den Karolellus im Paralleldruck mit dem Pseudo- Turpin, der hier nach der Handschrift London, B.L., cod. Harleianus 6358, dem besten Textzeugen der Rezension C wiedergegeben wird. <?page no="180"?> 164 Volker Honemann europäischen Mittelalters hat also die deutsche Literatur keine Übersetzung dieses in lateinischer Sprache doch so überaus erfolgreichen Textes hervorgebracht, oder zumindest: eine solche Übersetzung ist jedenfalls bisher nicht bekannt geworden und wir haben auch keine Nachrichten darüber, daß eine solche Übersetzung je existierte. 2. Das heißt natürlich nicht, daß eine mittelhochdeutsche Rezeption des Pseudo- Turpin völlig fehlt. So ist beispielsweise anzunehmen, daß die im Deutschen Orden entstandene, aber nur in Fragmenten erhaltene Übersetzung des Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais auch dessen stark verkürzende Bearbeitung des Pseudo- Turpin enthielt 5. Entsprechendes gilt für viele Werke der mittelalterlichen deutschen Chronistik, so z.B. für die abundant überlieferte lateinische Chronik des Martin von Troppau, sein Chronicon Pontificum et Imperatorum aus dem 13. Jahrhundert, das im 14. Jahrhundert auch ins Deutsche übersetzt wurde 6 . Nichtsdestotrotz ist jedoch zu fragen, warum eine selbständige mittelhochdeutsche Version des Pseudo- Turpin fehlt. Liegt dies vielleicht gerade daran, daß der Text in seinem lateinischen Original im deutschen Sprachraum früh und stark überliefert wurde, und spielt hierbei die frühe Tradierung im Rahmen der von Aachen ausgehenden Beschäftigung mit dem ,heiligen' Karl dem Großen eine Rolle 7 ? 3. Von besonderem Interesse ist (und hierauf hat sich die germanistische Forschung fast ausschließlich konzentriert) natürlich die Rezeption des Pseudo- Turpin in der mittelhochdeutschen Literatur des 12. Jahrhunderts. Als zentrale Werke sind hier die Kaiserchronik und das Rolandslied zu nennen. Da die Datierung beider Werke nicht völlig gesichert ist (und eventuell mit dem Zeitpunkt der Entstehung des Pseudo-Turpin kollidieren könnte), hat die Forschung die Frage, ob die Verfasser dieser Werke den Pseudo- Turpin benützt haben oder nicht, sehr intensiv diskutiertohne allerdings bisher zu einer einhelligen Meinung zu gelangen. a) Die Kaiserchronik. Eines der Werke, dessen Beziehung zum Pseudo- Turpin von der Forschung intensiv diskutiert worden ist, ist die sog. Kaiserchronik, ein gereimter frühmittelhochdeutscher Text, der wohl in Regensburg entstand. Sein Thema ist die "reich mit Legenden und Sagen 5 Zu Vinzenz Bearbeitung, die sich in Buch XXIV (bzw. XXV) des Speculum historiale befindet, siehe lan S HOR T, The Pseudo-Turpin Chronicle: Some unnoticed versions and their sources, Medium Aevum 38 (1969) S. 1-22, hier S. 10; zu mittelhochdeutschen Vinzenz-Versionen siehe Rudolf K. WEIGAND, Vinzenz von Beauvais, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters 10 (1997 2 ) Sp. 365-369; weiteres zum Pseudo-Turpin im Speculum historiale siehe unten. 6 Vgl. Anna-Dorothee v. D. BRINCKEN/ Martin von Troppau (Martinus Polonus), in: Verfasserlexikon 6 (1987, wie Anm. 5) Sp. 158-166; zur Benützung des Pseudo-Turpin durch Martin siehe Short, The Pseudo-Turpin Chronicle (wie Anm. 5) S. 2. 7 Vgl. dazu Klein, Die Chronik (wie Anm. 1) S. 16-26. <?page no="181"?> Der Pseudo- Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters 165 ausgeschmückte Geschichte des römischen Reiches von Cäsar bis zu Kaiser Konrad III. "8. Abgeschlossen wurde der Text wohl um 1150, da die Kreuznahme König Konrads III. an Weihnachten 1146 das letzte Ereignis ist, das der Verfasser berichtet. Besonders ausführlich geht die Kaiserchronik auf die Herrschaft Karls des Großen ein (Verse 14282- 15091), damit auch auf seinen Spanienzug (Verse 14915-15014). Berichtet wird hier von der Eroberung von Gerundo durch Karl, von seinem Heereszug nach Gallatia, bei dem Karl und den Seinen von den Heiden viel Leid zugefügt wird; alle Christen werden getötet, Karl selbst kann nur mit Mühe entrinnen. Erst das auf Karls Flehen hin von Gott geschickte Jungfrauenheer, das sich in Porta Cesaris und danach in Karfes tal versammelt, vermag die Heiden zu überwinden. Besonderes Interesse haben hier die Verse 14992-15010 gefunden: Wie in Kapitel VIII des Pseudo- Turpin wird auch hier erzählt, daß viele der von den christlichen Kämpfern über Nacht in den Boden gesteckten Lanzen am Morgen Laub und Blüten tragen. Weiterhin wird erwähnt, daß Karl nach der Schlacht eine Kirche mit dem Namen Domini sanctitas gründet. Der Pseudo- Turpin berichtet zweimal von blühenden Lanzen: einmal in Kap. VIII im Kontext einer Schlacht am Ceiafluß bei Sahagun, das andere Mal in Kapitel X bei dem Kampf um Saintes. Auch wenn sich nun deutliche Unterschiede hinsichtlich der Position und Funktion der Episode von den blühenden Lanzen in unseren beiden Texten ausmachen lassen (die Kaiserchronik funktionalisiert die Episode nicht, während der Pseudo- Turpin dies dergestalt tut, daß die erblühten Lanzen denjenigen Kämpfern gehören, die am kommenden Tage in der Schlacht gegen die Heiden fallen, d.h. das Martyrium erleiden werden), so sind doch die "Übereinstimmungen ... sehr groß", wie Karl-Ernst Geith durch einen genauen Textvergleich der Verse 14992-15009 der Kaiserchronik mit Kapitel VIII, 9-11 des Pseudo- Turpin festgestellt hat 9. Geith weist des weiteren zurecht darauf hin, daß der Name der von Karl gestifteten Kirche Domini Sanctitas nichts anderes sei als eine lateinische Umsetzung des Ortsnamens Saintes, wo ja im Pseudo-Turpin die zweite Episode mit den grünenden Lanzen stattfindet. Wenn Geith nun allerdings im folgenden einerseits feststellt, daß der "Ablauf des Wunders und Formulierungen wie quae adhuc in illo loco apparent (Pseudo- Turpin VIII,10) und als man hiute sehen mach (Kaiserchronik Vers 15004), sowie der Name des Ortes [also Saintes] eindeutige Hinweise" dafür sind, "daß beide Texte miteinander verwandt sind", andererseits aber 8 Eberhard NELLMANN, Kaiserchronik, in: Verfasserlexikon 4 (1982/ 83, wie Anm. 4) Sp. 949-964, hier Sp. 954; Textausgabe: Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hg. von Edward Sehröder (MGH Deutsche Chroniken 1,1, Hannover 1892) 9 Karl-Ernst GEITH, Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts (Bern/ München 1977) S. 73f. <?page no="182"?> 166 Volker Honemann dann fortfährt: "Den Pseudo- Turpin als direkte Quelle der Kaiserchronik anzusehen, scheidet aus inhaltlichen und vermutlich auch aus zeitlichen Gründen aus, weshalb für beide Werke die Benutzung einer gemeinsamen Vorlage anzusetzen sei" 10 , so möchte ich ihm in diesem letzteren Punkte nicht folgen: Die Methode, bei schwieriger Argumentationslage eine (leider nicht erhaltene) Quelle zu postulieren, ist fragwürdig, und außerdem ist für das (letztendlich auf den biblischen Aaronsstab [Numeri 17 11] zurückgehende) Motiv von den blühenden Lanzen keine ältere Quelle als der Pseudo- Turpin bekannt. Letzte Sicherheit ist hier, wegen der Schmalheit der Materialbasis, wohl nicht zu erreichen12. Falls aber der Verfasser der ,Kaiserchronik' den Pseudo- Turpin tatsächlich benützt hat, dann ist dies für die Datierung desselben von hohem Interesse; der Text müßte dann in Regensburg (mit seinem Jakobskloster) spätestens um 1150 bekannt gewesen sein. b) Das mittelhochdeutsche Rolandslied und der Pseudo- Turpin. Das mittelhochdeutsche Rolandslied, diesehr freiedeutsche Bearbeitung der altfranzösischen, wohl bald nach 1100 entstandenen Chanson de Roland, die ein Pfaffe Konrad in Regensburg und/ oder Braunschweig wohl bald nach 1170 niederschrieb, ist hinsichtlich seiner Stellung zum Pseudo-Turpin schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder untersucht worden. Diskutiert wurde dabei, ob nicht die Verse 31-360, die von der Aufforderung Gottes an Karl den Großen, Spanien vom Joch der heidnischen Herrschaft zu befreien, handeln, und die in der Chanson de Roland keine Parallele haben, eventuell auf den Pseudo- Turpin zurückgehen könnten. Dieter Kartschoke, der sichim Zusammenhang einer Studie zur Datierung des Rolandsliedes (das man in der älteren Forschung in das vierte Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts, also wohlvor den Pseudo- Turpin gesetzt hatte) mit dieser Thematik intensiv beschäftigt hat, konnte hier keine klaren Ergebnisse erzielen. Zwar begönnen beide Werke mit einer Vision Karls des Großen, in der erim Pseudo- Turpin durch den heiligen Jakobus, im Rolandslied aber durch einen Engelaufgefordert werde, nach Spanien zu ziehen und die dort die Christen unterjochenden Sarazenen zu vertreiben, doch werde diese "Übereinstimmung im Großen(...) entwertet durch die völlige Divergenz im De- 10 GEITH, Carolus Magnus (wie Anm. 9) S. 74; Geith weist ebenda auch darauf hin, daß die ,Kaiserchronik' die Kämpfer des Jungfrauenheeres mitunter (so z.B. V. 14994) als helede bezeichnet dies spreche für "eine rein äußerliche Übertragung des Lanzenwunders auf das Jungfrauenheer" (im Pseudo- Turpin ist von männlichen christlichen Kämpfern die Rede). 11 Siehe KLEIN, Die Chronik (wie Anm. 1) S. 144. 12 Die außerordentliche Komplexität der Problematik verbietet an dieser Stelle eine gründlichere Auseinandersetzung; dies gilt auch für die im folgenden zu besprechende Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Pseudo- Turpin und dem Rolandslied. <?page no="183"?> Der Pseudo- Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters 167 tail" 13 . Dem ist in der Sache beizupflichten, nicht jedoch in der Schlußfolgerung, denn die sehr deutliche Divergenz in der Intention der beiden Werke dürfte einen Gutteil der Abweichungen nach sich gezogen haben: Während Konrad "den Kreuzzugsgedanken zum tragenden Grundpfeiler seiner Chansonbearbeitung macht" ist die "den P(seudo) T(urpin) beherrschende Kreuzzugsidee (...) für den Verfasser eben nur Mittel zum Zweck, der Schutz der Pilgerwege nach Santiaga ist ihm das Wichtigste" (wie Kartschoke, hier Hämel zitierend, selbst festhält)14. Zu konzedieren ist demgegenüber aber immerhin, daß im Pseudo- Turpin bereits als Kapitel II die Eroberung von Pamplona folgt (dessen Mauern von selbst einstürzen), und daß das Rolandslied als erste Kampfhandlung der Christen auf ihrem Weg nach Spanien die Eroberung einer Stadt Tortelose (vielleicht das spanische Tortosa, das 1148 zuerst von christlichen Truppen besetzt wurde) kennt (Verse 299-360). Die Ereignisse, die Konrad hier erzählt, entsprechen in ihrem Gehalt also durchaus den in den ersten Kapiteln des Pseudo- Turpin berichteten. Kartschoke entscheidet sich trotzdem dafür, eine Beeinflussung des Anfangs des Rolandsliedes durch den Anfang des Pseudo- Turpin für sehr unwahrscheinlich zu halten. Im Anschluß an de Mandach (und andere) vermutet er, Konrad habe für diese Verse die bereits erwähnte, von der Forschung erschlossenealtfranzösische ,Entree d'Espagne' zur Verfügung gestanden 15 . Weit sicheren Boden betreten wir jedoch an zwei anderen Stellen des Rolandsliedes: In den Versen 6805-6888 spricht der sterbende Roland zu seinem guten Schwert Durendart, dessen ,Tugenden' und Qualitäten er hiernachdem er vergeblich versucht hat, es zu zerstören in weit ausgreifender Rede preist. Zu Rolands Schwert war vom Erzähler bereits in den Versen 3301-3303 ausgeführt worden: Sfn swert hiez Durendart,/ wan unter dem himele nie gesmidet wartlniht des im gellch wtere (Sein Schwert hieß Durendart, weil unter dem Himmel nie ein besseres geschmiedet worden war). Die Verse 6858-6860 greifen dies auf; hier heißt es: jane wart dfn gelfchelnie gesmidet uf dirre erde,! noch newirt ouh hinne für niemer mere. (Deinesgleichen wurde auf der Erde niemals geschmiedet, und es wird auch fürderhin nie geschaffen) . Nach Kartschoke hat Cola Minis diese Stellen des Rolandsliedes 13 Dieter K ARTSCHOKE, Die Datierung des deutschen Rolandsliedes (Stuttgart 1965) s. 53. 14 KARTSCHOKE, Die Datierung (wie Anm. 13) S. 55; zitiert wird Adalbert HÄMEL, Überlieferung und Bedeutung des Liber SanctiJacobi und des Pseudo-Turpin, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. (1950) Abh. 2, S. 55. 15 KARTSCHOKE, Die Datierung (Anm. 13) S. 57-59, siehe derselbe, Das Rolandslied des rfaffen Konrad. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch (Stuttgart 1993) hier Kommentar zu S. 631 zu d en Versen 31-360 und S. 643 (zu V. 281); ich zitiere das Rolandslied nach dieser Ausgabe. <?page no="184"?> 168 Volker Honemann mit der Beschreibung von Rolands Schwert verglichen, die der Pseudo- Turpin in Kapitel XXII, 17-36, also ebenfalls im Zusammenhang mit Rolands Tod, bietet1 6. Die Übereinstimmungen zwischen beiden Texten sind hier, wie auch Kartschoke konzediert, schlagend: Im Pseudo- Turpin heißt es: Qui te fabricavit, nec ante nec post consimilem fecit (Kapitel XXII, 31) (Wer dich schmiedete, hat weder vorher noch danach ähnliches geschaffen). Hinzuzufügen ist, daß die altfranzösische Chanson de Roland, die in den Versen 2297-2354 ebenfalls eine Rede des sterbenden Roland auf sein Schwert Durendal (so der Name hier) bietet, die die Darstellung des Pseudo- Turpin kräftig beeinflußt hat, gerade diesensicher nicht sehr fern liegenden- Gedanken nicht bietet1 7. Daß der Pfaffe Konrad also diese Stelle des Pseudo- Turpin kannte, als er sein Rolandslied dichtete, ist überaus wahrscheinlich. Gleichwohl ist auch hier die Materialbasis schmal, und es handelt sich um einen literarischen Topos. Minis hat im weiteren die Quellenberufungen im Rolandslied des Pfaffen Konrad eingehend untersucht und glaubt, den Wechsel Konrads zwischen daz buoch und diu buoch (Singular und Plural also) dahingehend erklären zu können, daß Konrad beim Plural sehr präzise auf Chanson de Roland und Pseudo- Turpin, beim Singular aber entweder auf die Chanson oder den Pseudo- Turpin verweist. Dies führt zu einer Fülle von wichtigen Beobachtungen zum Verhältnis der beiden Werke, die Minis dann folgendermaßen zusammenfaßt: "Denn übersehen wir noch einmal die Entlehnungen, so zeigt es sich, daß Chunrat den Pseudo- Turpin (...) unter der Oberfläche der Chanson de Roland in allen wesentlichen Teilen beachtete"18. Die Genese des Rolandsliedes stellt Minis sich dementsprechend so vor, daß Konrad, der ja nach seinen eigenen Worten seine in franzischer zungen geschriebene Quelle erst "in die latine betwungen und dann in die tiutische gekeret hat (Verse 9081-9083), bei der Übertragung ins Lateinische (...) kleinere, zu derselben Geschichte gehörige Züge aus dem lateinischen Pseudo- Turpin übernommen hat" 19 eine Auffassung, die meines Erachtens vieles für sich hat: sie würde Konrad als einen Autor zeigen, dem es vor allem darum zu tun war, die Wahrheit über Karls Spanienzug und über Roland zu berichten. Nach Minis hat dann Wolfgang Decker die Zusammenhänge zwischen Pseudo- Turpin und Rolandslied weiter zu erhellen versucht, wobei er sich "auf eine Bestandsaufnahme der Unsicherheiten, der offenen Fra- 16 Cola MINIS, Der Pseudo-Turpin und das Rolandslied des pfaffen Chunrat, in: Mittellateinisches Jahrbuch 2 (1975) S. 85 -95, hier S. 86. 17 La Chanso nde Roland, übersetzt von Hans Wilhelm KLEIN, in: Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 1 (München 1963) S. 130-135. 18 MINIS, Der Pseudo-Turpin (wie Anm. 16) S. 94, der hierauf einen Durchgan g durch den Pseudo- Turpin mit Verzeichnung der Entsprechungen im Rolandslied bietet. 19 MINIS, Der Pseudo-Turpin (wie Anm. 16) S. 94. <?page no="185"?> Der Pseudo- Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters 169 gen" beschränkt 20. Wichtig in unserem Zusammenhang ist sein Hinweis auf weitere Nachweise de Mandachs für die Abhängigkeit des Rolandsliedes vom Pseudo- Turpin, so die Parallelen zwischen den beiden Werken bei der Beschreibung von Karls Reaktion auf den Anblick der Leichname der christlichen Krieger in Roncesvalles (Pseudo- Turpin Kapitel XXV, 8-11 entspricht nach de Mandach Rolandslied Verse 6965-6968)21. Über das Gesagte hinaus läßt sich aber ein weiterer Nachweis für die Beeinflussung des Rolandsliedes durch den Pseudo- Turpin führen, nämlich dievon der Forschung vieldiskutierte- Bezeichnung des Herzogs Naimes, eines der bedeutendsten Gefährten und Mitstreiter Karls des Großen als eines Bayern (Herzog Naimes von Bayern). So jedenfalls bezeichnet ihnmit Stolzder Pfaffe Konrad 22, während die Chansonde Roland ihn stets (z.B. als Naimon le duc, Vers 3008) ohne Herkunftsnamen nennt. Hans-Wilhelm Klein, der sich als letzter mit dem Herzog Naimes ,von Bayern' befaßt hat, ist dabei zu den folgenden Feststellungen gelangt: Der "älteste uns bekannte Text, der Naimes als Bayern ausweist, ist( ...) der lateinische Pseudo- Turpin"23. Naimes erscheint hier in Kapitel XI, 26 als Naaman, dux Baioarie, wobei hier der germanische Name Namo/ Naimes zu biblischem (2. Buch der Könige 5,1) Naaman latinisiert ist 24. Die Bezeichnung als ,Bayer' ist, Kleins Untersuchungen zufolge, aus älterem Naaman dux Baionealso Herzog von Bayonnehervorgegangen, und als solcher erscheint der Herzog in Kapitel XXIX, 12 des Pseudo- Turpin . Die Verwandlung in einen "Bayernherzog" läßt 20 Wolfgang DECKER, Über Rolandslied und Pseudo-Turpin, Euphorion 72 (1978) S. 133-142, Zit. S. 134. 21 Zu dieser und den weiteren Stellen, die im einz elnen zu überprüfen wären siehe Andre DE M AN D AC H, Encore du nouveau a propos de Ia date et d e Ia structure de Ia C hanson de Roland allemande, in: So ciete Rencesvals. IVe congr es international (Heidelberg 1967/ 1969) S. 106- 116, hier S. 108 Anm. 3; zusätzlich hinzuweisen ist auf die Paralleleri, die J. Graff in der Einleitung seiner Übersetzung des ,Rolandsliedes' bietet, siehe Le texte de Conrad, übersetzt von Jean GRAFF, in: Les textes de Ia Chansonde Roland X, hg. von Raoul MORTIER (Paris 1944) S. XIV. 22 So explizit in VV. 1011, 1111, 1597, 7787, 8285 und 8337; in den VV. 1604,2775,2809, 6101, 6983 wird er nur " Her zog Naimes" genannt. 23 Hans-Wilhelm KLEIN, Herzog Naimes als ,Bayer' im französischen und deutschen Rolandslied und im P seudo-Turpin, in: R o mania ingeniosa. Festschrift für Prof. Dr. G erold Hilty zum 60. G eburtstag, h g. von G. Lü DI (u.a.) (Be rn 1987) S. 171- 178, hier s. 172. 24 Die Handschrift Paris, Bibliotheque Nationale ms. Nouv. fonds latin 13774 (= A 6), 12./ 13. Jahrhundert, die Meredith-Jones seiner Ausgabe zugrunde legt, bietet (ebd. S. 124, IX): Naamandus Baioariae, die ebd. im Apparat wiedergegebene H andschrift Paris, Bibliotheque Nationale ms. Nouv. fonds latin 17656 (12. Jh., nach 1165, Sigle A 1) hat: Naaman dux Baioariae, siehe M E REDITH -}ON ES, Historia Karoli Magna (wie Anm. 1) S. 124. <?page no="186"?> 170 Volker Honemann sich recht einfach durch eine Verschreibung bzw. eine falsche Auflösung einer Abbreviatur erklären (baione zu baiorie zu baioarie). Da in der frühen altfranzösischen Überlieferung von einem Herzog N aimes "von Bayern" nie die Rede ist, kann der Pfaffe Konrad die Form nur aus dem Pseudo- Turpin haben. Klein weist in diesem Zusammenhang auf die wohl um 1165 aus Santiagonach Aachen gebrachte Version des Pseudo- Turpin hin25. Der Pseudo- Turpin des Codex Calixtinus hat dementsprechend in Kapitel XI die Formdux Baioarie und bietet in Kap. XXIX die gleiche Form26. Auch hier scheint die Beweislage eindeutig zu sein: Der älteste erhaltene Text, der Naimes als Bayernherzog bezeichnet, ist der Pseudo- Turpin. Nimmt man an, daß der Pfaffe Konrad den Pseudo- Turpin nicht benützt hat, dann bleiben nur hypothetische Lösungen übrig: zum einen, daß der ,Pseudo-Turpin' aus dem ,Rolandslied' geschöpft hat, was von der Zeitstellung des Codex Calixtinus von Santiaga de Compostela her unmöglich ist 27 , zum anderen, daß Rolandslied und Pseudo-Turpin eine gemeinsame (oder verschiedene) Quelle(n) benützten, die Naimes als Bayernherzog bezeichnete(n). Eine Benützung des Pseudo- Turpin durch den Pfaffen Konrad ist demgegenüber weit wahrscheinlicher. 4. Weitere Rezeption des Pseudo- Turpin in der deutschen Literatur des Mittelalters. a) im dritten Teil der Kar/ meinet-Kompilation. Die sogenannte Karlmeinet-Kompilation, eine "poetische Lebensgeschichte Karls des Großen von rund 36.000 Versen", die von einem "unbekannten, wohl in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Aachen tätigen Kompilator" zusammengestellt wurde, bietet in ihrem Mittelteil, der von dem Kompilator selbst herrührt, in rund 5.400 Versen (ed. Keller A 293,41-373,64) eine Darstellung von Karls Kriegszügen, vor allem seiner "Kämpfe in Spanien gegen die Sarazenen"2 8. Sie beginnt (in den Versen A 337,19ff.) da- 25 KLEIN, Herzog Naimes (wie Anm. 23) S. 177, siehe auch derselbe, Die Chronik (wie Anm. 1) S. 148 und 169. 2 6 Siehe Liber sancti Jacobi. Codex Calixtinus, übersetzt von Klaus HERBERS/ Manuel SANTO S N O IA (Santiago de Compostela 1997/ 98) S. 207 und 223 sowie die neue Faksimileausgabe: Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus Liber IV, ed. Xuma DE GALIC IA (Santiago de Compostela 2001) f. 170r und 185v; auch die bei MER EDITH- JONES, Historia Karolus Magni (wie Anm. 1) abgedruckten Handschriften haben Naaman dux Baioa riae, ebd. S. 216. 27 Siehe Klaus HERBERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der "Liber Sancti Jacobi" (Historische Forschungen VII., Wiesbaden 1984) S. 47, wo Herbers, der gegenwärtig wohl beste Kenner des ,Codex Calixtinus', eine Entstehung in den Jahren 1140-1150 für am wahrscheinlichsten hält. Beschreibung der Handschrift ebd. S. 21-32. 28 Hartmut BECKERS, Karlmeinet-Kompilation, in: Verfasserlexikon 4 (1983, wie Anm. 4) Sp. 1012-1028, Zitate Sp. 1012 und 1018; Ausgabe des Textes: Kar! Meinet. Zum ersten Mal hg. von A. VON KELLER (Bibliothek d es Literarischen Vereins in Stuttgart, 45, Stuttgart 1858) <?page no="187"?> Der Pseudo- Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters 171 mit, daß Kaiser Karl, nachdem er den Papst Leo vor der Gewalt der Römer gerettet und wieder eingesetzt hat, sich nun in Aachen ein wenig zur Ruhe setzen will: aber jede Nacht einen Weg aus Sternen sah, der sich über den ganzen Himmel zog von Friesland bis nach Galizien, dae sant ]acobs lichnam wael bekant! Zo der zytverborgen lach (A 337, 27f.). Was dann folgt (bis A 373,64) istnach den Ermittlungen von J. Akkerman und Hartmut Beckerseine Umsetzung des "seinerseits weitgehend aus dem ,Pseudo-Turpin' übernommenen Karlsabschnittes in Buch XXIV des Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais" 29 . Dieses handelt insgesamt (und fast ausschließlich) von Karl dem Großen und bringt ab Kapitel VI Nachrichten über Karls Spanienzug, für die als Quelle Tvrpinus Archiepiscopus in cronicis angegeben wird30. b) Elsässische Prosalegende von Karl dem Großen. Die sog~nannte Elsässische Legenda aurea, eine um 1350 entstandene deutsche Ubersetzung der Legenda aurea des Jacobus de Voragine bietet in einer der überliefernden Handschriften eine Hystoria künig Carolus. Diese als Sondergut in das Legendencorpus eingeschobene Legende basiert auf einer lateinischen Vorlage, die "seit 1288 vor allem in Anhängen der lateinischen Legendea aurea überliefert ist" 31 . Der Text geht anscheinend direkt auf den Pseudo- Turpin zurück, ist aber nicht mehr als "eine unbeholfene Übersetzung einer auf Iegendarische Züge konzentrierten Abbreviation desselben"32. c) Zürcher Buch vom heiligen Karl. Eine im 15. Jahrhundert sicher in Zürich entstandene Kompilation "der wichtigsten (...) Nachrichten über Karls Leben, Taten und heiligmäßige Eigenschaften" bietet als letzten Teil (im Anschluß an eine Prosaauflösung des Karlsromans des 29 BECKERS, Karlmeinet-Kompilation (wie Anm. 28) Sp. 1019; Jan AKKERMAN, Studien zum Karlmeinet. Der dritte Abschnitt der Kompilation und sein Verhältnis zum ersten (Amsterdam/ Paris 1937); es handelt sich, je nach Zählung, um das 24. oder 25. Buch des Speculum historiale. 30 Da, soweit ich sehe, bisher die Entsprechungen zwischen dem XXIV. Buch des Speculum historiale und dem Pseudo- Turpin noch nirgends genauer charaktersieiert worden sind, hier ein knappes Verzeichnis der Entsprechungen. Für das Speculum benütze ich den Nachdruck der Ausgabe Douai 1624; Buch XXIV steht hier auf S. 962ff .. Vinzenz übernimmt den Wortlaut des Pseudo-Turpin weitestgehend wörtlich; mitunter kürzt er, z.B. die theologischen Streitgespräche zwischen Karl und Aygolandus oder Roland und Ferracutus. Im einzelnen entsprechen sich: Sp. hist. c. VI = PT c. 1; c. VII = c. 4+5, c. VIII= c. 6+7; c. IX = c. 8 (am Ende des Kapitels stehen bei Vinzenz noch Ergänzungen a us dem Cronographus und aus Sigebert); c. XII = c. 9+10; c. XIII= c. 11; c. XIV= c.12, 13, 14, 15, 16; c. XV= c. 17, 1-21; c. XVI= c. 17, 22-109; c. XVII= c. 18 + 19 ; c. XVIII= c. 21; c. XIX= c. 22, 23; c. XX= c. 25; c. XXI = c. 28, 29; c. XXII = c. 30. 31 Konrad K UNZE, Karl der Große, in: Verfasserlexikon 4 (1982/ 83, wie Anm. 4) Sp . 1002. (Dorther auch die übrigen Informationen und das folgende Zitat). 32 Ausgabe: Die Elsässische Legenda aurea 2: das Sondergut, h g. von Konrad KUNZE (Texte und Textgeschichte 10, Tübingen 1983). <?page no="188"?> 172 Volker Honemann ,Strickers') ein Referat "einzelner Kapitel der Historia Karoli Magniet Rotholandi des Pseudo-Turpin (...),wobei die Übereinstimmung häufig bis in den Wortlaut geht, Abweichungen manchmal bei Zahlen zu konstatieren sind"33. Die Existenz eines derartigen Buches in Zürich erklärt sich dadurch, daß dort seit 1233 ein Kult des hl. Karl besteht, der seit Mitte des 12. Jahrhunderts als Stifter des Großmünsters galt und auch mit anderen lokalen Gegebenheiten verbunden wurde. In Zürich war auch die bekannte Aachener Vita Karls des Großen, die ebenfalls Teile (Kapitel I-VII) des Pseudo- Turpin enthält, seit dem 13. Jahrhundert vorhanden. 5. Faßt man zusammen, so ist die Rezeption des Pseudo Turpin in der deutschen Literatur des Mittelalters einerseits von hohem Interesse, weil sie, wie die Kaiserchronik und das Rolandslied zeigen, sehr früh erfolgte (die wohl bald nach 1165 entstandene Aachener Vita Karls des Großen könnte man ihnen als lateinischen Text an die Seite stellen), andererseits aber ist sie, verglichen mit der reichen Rezeption des Textes in anderen Volkssprachen, so dem Französischen und dem Niederländischen, recht mager: Eine eigenständige mittelhochdeutsche Übersetzung fehlt, und Teilübersetzungen (die noch dazu überwiegend dem Pseudo-Turpin-Auszug des Vinzenz von Beauvais folgen) erscheinen durchweg "eingestellt" in Textcorpora, die das Leben und die Taten Karls des Großen zum Thema haben. Daneben steht freilich die nicht unbeträchtliche, handschriftliche Überlieferung des lateinischen Pseudo- Turpin in den Bibliotheken des mittelalterlichen deutschen Reiches, die einer gesonderten Untersuchung bedürfte. 33 Karl-Ernst GEITH, Zürcher Buch vom hl. Kar! , in: Verfasserlexikon 10 (1999, wie Anm. 4) Sp. 1597-1600, hier Sp. 1599; das folgende Zitat ebd. Sp. 1598, dort auch die Informationen zur Aachener Karlsvita in Zürich. <?page no="189"?> Karl der Große und Santiago: Zwei europäische Mythen KLAUS HERBERS I. Einleitung Wenn ein mittelalterlicher Herrscher in der Öffentlichkeit, im "kulturellen Gedächtnis", präsent ist, dann Karl der Große, nicht nur, aber besonders in Frankreich und Deutschland 1! Gilt dies auch für Heilige oder Apostel wie Jakobus? Seit etwa zwanzig Jahren ist auch er nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa zu einer Leitfigur geworden 2• Sehen wir ab von Personen wie Napoleon oder Theresa von Avila, von Namen wie Benedikt von Nursia oder den Slawenaposteln, so bleiben im wesentlichen Karl der Große und Jakobus die beiden Personen, so meine These, deren Wirken oder vermeintliches Wirken in früheren Jahrhunderten auch für den europäischen Gedanken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bedeutung erlangt hat. Die Lebensumstände, wie sie zu Karl dem Großen vielleicht die zeitgenössische Geschichtsschreibung und die Urkunden, bei Jakobus die biblischen Berichte bieten, waren hier weniger entscheidend, es waren eher spätere Texte, die dokumentierten, wie diese Personen hätten sein sollen oder sein können. 1 Vgl. Joachim EHLERS, Charlemagne, l'Europeen entre Ia France et l'Allemagne. Bibliotheque historique de Ia Ville de Paris le 6 octobre 2000 (Stuttgart 2001) S. 5-13, S. 13 und weiterhin Klaus HERBERS, Kar! der Großevom Vorbild zum Mythos, in: Mythen in der Geschichte, hg. von Helmut A LTR IC HT ER/ Klaus H E RB ERS/ Helmut N E UHAUS (im Druck) (mit weiteren Literaturangaben); dieser Beitrag ist zum Abschnitt "Etappen z um Mythos Kar! " (unten: IV) zu vergleichen; vgl. hierzu außerdem mit weiterer Literatur: Max K ERNER , Kar! der Große. Ent schleierung eines My thos (Köln/ Weimar/ Wien 2001). - Die R edefassung des Vortrags ist im wesentlichen beibehalten worden. Eine spanische Fassung des Textes mit nur knappen Belegenerscheint gleichzeitig in: EI Pseudo-Turpin, lazo entre el culto jacobeo y el culto de Carlomagno (Actas del VI congreso internacional de estudios xacobeos, Santiago de C ompostela, im Druck). 2 Die ReiheJakobus-Studien ist selbst ein Zeichen für diese Renaissance. D arüber hinaus dürfte auch der Beitritt Spaniens z ur Eu ro p äischen G emeinschaft 1986, die kirchlichen Initiativen sowie die Mundpropaganda der Pilger eine Rolle gespielt h aben. <?page no="190"?> 174 Klaus Herbers Wie wurden Karl und Jakobus in der europäischen Politik wichtig? Karl der Große spielt dort seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Vertreter der sogenannten Pan-Europa Bewegung sahen im Großreich Karls den Vorläufer für ein geeintes Europa3, nicht zuletzt entsprach dieses mit seinen vielfältigen Außenbeziehungenvon der EIbe bis nach Oviedo -fast genau den Grenzen der wenig später aus sechs Staaten begründeten EWG. Einschlägig erschienen außerdem Bezeichnungen der Karolingerzeit, die Karl den Großen als Pater Europae oder ähnlich apostrophierten 4 . Jedes Jahr am Himmelfahrtstag wird der europäische Karl inszeniert, wenn der Karlspreis verliehen 5 und der große Karolinger in der Aachener Umgebung evoziert wird. Für manche bedeutet dieser Preis "die moderne kommunalpolitische Variante des mittelalterlichen Karlskults". Dies sei im Jahr 2000 "als der Preis zum 50. Mal und an den ranghöchsten Staatsmann der Welt verliehen wurde, so gut gelungen wie noch nie"6. Wie auch immer man Bill Clintons mögliche Orientierung an Karl einschätzt, der Intention des Preises entsprach auf einer anderen Ebene 1965 die erste große historische Mittelalterausstellung in Aachen mit Publikation eines vierbändigen Buchwerkes 7. 3 Der internationale Karlspreis zu Aachen. Zeugnis europäischer Geschichte. Symbol europäischer Einigung, hg. von Helmut REUTHER (Bonn 1993); Matthias PAPE, Der Karlsku! t an Wendepunkten der neueren deutschen Geschichte, Historisches Jahrbuch 120 (2000) S. 138-181, bes. 175-181. 4 Vgl. zu diesen Bezeichnungen und den insgesamt vagen Europa-Vorstellungen mittelalterlicher Belege: Hubert MORDEK, Kar! der Großebarbarischer Eroberer oder Baumeister Europas, in: Deutschland in Europa. Ein historischer Rückblick, hg. von Bernd MARTIN (dtv 11499, München 1992) S. 23-45, bes. S. 41; Rudolf HIESTAND, "Europa" im Mittelaltervom geographischen Begriff zur politischen Idee, in: Europa- Begriff und Idee. Historische Streiflichter, hg. von Hans HECKER (Bonn 1991) S. 33-48, bes. 37f.; vgl. zu verschiedenen Konzepten Bernd SC HNEIDMÜLLER, Die mittelalterlichen Konstruktionen Europas. Konvergenz und Differenzierung, in: "Europäische Geschichte" als historiegraphisches Problem, hg. von Heinz D u- CHARDT/ Andreas KUNZ (Mainz 1997) S. 5-24, bes. S. 10; vgl. zu den Aufgaben künftiger Forschung Michael BoRGOLTE, Perspektiven europäischer Mittelalterhistorie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in: Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs (Europa im Mittelalter 1, Berlin 2001) S. 13-27 und DERS., Europa entdeckt seine Vielfalt (Handbuch der Geschichte Europas 2, UTB 2298, Stuttgart 2002); über die Rolle Spaniens im Prozess einer Konstruktion Europas im Mittelalter vgl. Klaus HERBERS, "Europäisierung" und "Afrikanisierung" - Zum Problem zweier wissenschaftlicher Konzepte und zu Fragen kulturellen Transfers, in: Espaiia y el Sacro Imperio. Procesos de Cambios, influencias y acciones recfprocas en Ia epoca de Ia "Europeizaci6n", hg. von Julio VALDEÖN/ Klaus HERBERS/ Karl Ru- DOLF (siglos XI-XIII, Valladolid 2002) S. 11-31. 5 Der internationale Karlspreis, hg. von REUTHER (wie Anm. 3); PAPE, Der Karlsku! t (wie Anm. 3) S. 138-181, bes. 175-181 mit weiteren Hinweisen. 6 Vgl. KERNER, Kar! der Große (wie Anm. 1) S. 281. 7 Vgl. die begleitende Publikation in: Kar! der Große. Lebenswerk und Nachleben 4, hg. von Werner BRAUNFELS (Düsseldorf 1965-1967); vgl. den Katalog: Kar! der Große - <?page no="191"?> Kar! der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 175 Und Santiaga der Ältere? Auch er ist in der europäischen Politik wichtig geworden, zunehmend seit 1986, nach dem Beitritt Spaniens zu einem Vereinten Europa. Jetzt besannen sich auch Politiker auf Aspekte, die Wissenschaftler zuvor erarbeitet hatten: Der Kult um das Aposteigrah in Santiaga de Compostela habe schon im Mittelalter Pilger aus ganz Europa dorthin geführt. Auf den sogenannten Pilgerwegen seien Gläubige der verschiedensten Nationen nach Südwesten gezogen, die Pilgerfahrten hätten somit einen entscheidenden Beitrag zur europäischen Völkerverständigung geleistet. Die in diesen oder ähnlichen Tönen gehaltenen Deklarationen der europäischen Behördenso des Europarates oder des europäischen Parlamentes sind bekannt, werden auch in Santiaga immer wieder evoziert8. Meine zweite These lautet: Die europäische Bedeutung beider Personen wird von politischer Seite jeweils isoliert beschworen: hier ist es Karl, dort ist es Jakobus. Will man die Verbindung entdecken, geht es weniger um eine Geschichte der Wirklichkeiten als um eine Würdigung der Wirkungen beider Personen, wie auch der Untertitel dieses Bandes verdeutlicht. Es sind dies Wirkungen, die teilweise nur in mythischer Überhöhung greifbar werden. Mit den Schlagworten in meinem Aufsatztitel hoffe ich, gleichzeitig Ergebnisse anderer Beiträge dieses Bandes sowie der zum Thema 2001 in Santiaga de Compostela veranstalteten Tagung aufzugreifen. Deshalb werde ich v or dem Hintergrund der Frage nach Mythos und Legendenbildung (II.) unter sy st ematischen Gesichtspunkten einige Stationen nennen, welche die kollektive Erinnerung an Karl und Jakobus bestimmt haben (III. und IV.), und dann die Verbindungslinien zusammenfassend würdigen (V.). li. Mythen- Begriff In welcher Hinsicht die Wirkungsgeschichten von Karl und Jakobus als Mythen bezeichnet werden können, hängt vom Begriff des Mythos ab. Die zunächst mit Stoffen der Antike verbundenen Konnotationen eines Mythos' verschieben sich für das Mittelalter. Neben den Definitionen Werk und Wirkung. Katalog der Ausstellung des Europarates (1 9 65); z ur Eröffnung und z um politisch en H intergrund vgl. den Katalo gband z ur Ausstellung: Krönungen. Könige in Aachen- Geschichte und Mythos, 2 Bde., hg. von Mario KRAMP (Mainz 2000), darin bes. Michael BORGOLTE, Historie und Mythos, S. 8 39-846, bes. 841-843, dort auch S. 843 ein Photo von der Eröffnung der Karlsausstellung. 8 Zur Politik des Europarates bezüglich des Santiago-Themas vgl. Robert PLö TZ, EI Ca mino de Santiago - Primer Itin erario Cultural Europeo, in: Actas d el C ongreso Inte rn acional de ltinerarios C ulturales Il . Santiago de C om postela, 14-1 7 de no viembre d e 2000 (Madrid 2001) S. 83 - 92 . <?page no="192"?> 176 Klaus H erbers von Mythen im Sinne Jan Assmanns als "fundierende Geschichten"9 werden inzwischen sogar eher funktionale Annäherungen an den Begriff vertreten. Im Vorwort des Bandes "Mittelaltermythen" verstehen die Verfasser darunter Konkretisierungen von Gestalten und anderen Dingen, die "erzählerisch gewissermaßen modellhaft ein Konzept bereitstellen für das Verhältnis des Menschen zu seinen Erfahrungen und zur Welt. Vorrationale Mythen bewahren fundamentale Wahrheiten[...] auf, derer sich Rationalität dann erinnert, wenn der wissenschaftlichtechnische oder auch gesellschaftlich-ideologische Fortschritt ins Stolpern gerät und zu straucheln droht. Deshalb unterliegen Mythen Tradition und Wandel, und ihre symbolhafte oder auch lebenspraktische Bedeutung verändert sich und paßt sich den neu regelnden Bedingungen "10 an . Daß solche Mythen auch für den Kaiser Karl und für den ApostelJakobus entstanden, läßt schon die Literatur erkennendie fachliche wie die populäre 11 . Vielfach führten solche Publikationen jedoch ein gewisses Eigenleben, spätere Bilder und Vergegenwärtigungen werden oft in die Rubrik "Nachleben", "Rezeption" oder ähnlich verbannt, als Annex zum Schmunzeln. Erst in jüngerer Zeit wird dies vereinzelt zum zentralen Thema gemacht. Stärker als bei Karl wurde dies im Falle von Jakobus betrieben, denn die Auseinandersetzungen mit einem Heiligen führten schon länger dazu, nach den Veränderungen des jeweiligen Heiligendossiers auch in der Neufassung (reecriture) von Texten zu fragen und nicht nur das gesicherte, positive Wissen in den Mittelpunkt zu rücken 12. Stellen wir uns also den Herausforderungen einer vergleichenden Erinnerungsgeschichte. Es geht im folgenden also vor allem um Mythen 9 Jan AssMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung, politische Identität in frühen Hochkulturen (München 1997), der auf früheren Ergebnissen des Soziologen Maurice Halbwachs aufbaut. 10 Mittelalter-Mythen. Zu Begriff, Gegenstand und Forschungsprojekt, hg. von Ulrich MüLLER/ Werner WUNDERLICH, in: Herrscher, Helden, Heilige, hg. von Ulrich Mü L- LER/ Werner WUNDERLICH (Mittela! termythen 1, St. Gallen 1996) (zweite Auflage 2001 , ich zitiere nach der ersten Auflage) S. IX-XIV, bes. X. 11 Vgl. auch die Behandlung der beiden Personen: Kar! Ernst GEITH, Kar! der Große, in: Herrscher, Helden, Heilige (wie Anm. 10) S. 87-100; Rafaela AVERKORN, Der Jakobus-Mythos. Die Entwicklung eines Mythos vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in: Herrscher, H elden, Heilige (wie Anm. 10) S. 543-556. Hier scheint allerdings der Artikel zu Kar! dem Großen besser gelungen als der zu Jakobus. 12 Vgl. Anne-Marie HELVETIUS, Les saints et l' histoire. L'apport de l' hagiologie a Ia medievistique d'aujourd'hui, in: Die Aktualität des Mittelalters, hg. von Hans-Werner GoETZ (Bochum 2000) S. 135-163; Klaus HERBERS, Hagiographie, in: Aufriß der historischen Wissenschaften, hg. von Michael MAURER (Quellen 4, Stuttgart 2002) S. 190-214; vgl. bes. in der Hagiologie das Konzept der sogenannten" reecriture" z.B. La Reecriture hagiographique dans l'Occident medieval. Transformations formelle et ideologique, hg. von Monique GOULLET/ Martin H EIN ZELMANN (Beihefte der Francia 58, Stuttgart 2003). <?page no="193"?> Kar! der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 177 und Wirkungen statt um Ereignisse, ohne das gegebene Wechselverhältnis zu vernachlässigen. Trotz des knappen Raums deute ich die Kontexte wenigstens an, in denen diese Mythen sich konkretisieren oder umformen. III. Etappen zum Mythos Jakobus Zunächst drei Facetten zum Mythos Jakobus. 1. Die Frühzeitknappe Notizen und Mündlichkeit Die ersten Anfänge mittelalterlicher Traditionen um Jakobus gehören nach biblischen Berichten und frühen Aufzeichnungen im Osten vor allem in den Zusammenhang der Iberischen Halbinsel. Die besondere Situation nach 711 förderte die Entwicklung, den Apostel Jakobus als wichtige Identifikationsfigur für das noch schwache christliche Reich Asturien im Norden der Iberischen Halbinsel aufzubauen. In die Zeit des 8. und 9. Jahrhunderts fällt die Ausgestaltung der Traditionen zur Missionierung der Iberischen Halbinsel, zur Translation des Leichnams von J erusalem nach Spanien und zur Existenz eines Grabes in Compostela. Die überlieferten Texte blieben jedoch meist recht knapp, schmückten die Geschichten kaum aus und boten zunächst wenig Einzelheiten, die den N ährboden für weitere Vorstellungen des "kollektiven Gedächtnisses" hätten bereiten können. Zwar wurden die Nachrichtenvor allem über die Martyrologienauch mündlich weiter verbreitet13, insgesamt aber blieben Details noch rar 14. Es kam nichtoder: noch nichtzu einem umfangreicheren Dossier über den Apostel Jakobus. Die erste Phase zeichnet sich vielmehr dadurch aus, daß zentrale Traditionen begründet, aber noch nicht entfaltet wurden. Damit war Spielraum zu weiteren Konstruktionen gegeben, die vielleicht durch mündliche Erzählungen vorbereitet worden waren. 13 Vgl. zum Beispiel zu den Martyrologien und den frühen Notizen im alemannischen Raum: Klaus HERBERS, EI primer peregrino ultrapirenaico a Compostela a comienzos del siglo X y las relaciones de Ia monarqufa asturiana con Alemania del Sur, Compostellanum 36 (1991) S. 255- 264; DERS., Frühe Spuren des Jakobuskultes im alemannischen Raum (9.-11. Jahrhundert)- Von Nordspanien zum Bodensee, in: Der Jakobuskult in Süddeutschland, Qakobus-Studien 7, Tübingen 1995) S. 3-27, bes. 11-18. 14 Auch die Erwähnungen in den asturischen Königsurkunden bleiben kurz und bündig, vgl. die Sichtung bei Klaus HERBERS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des "politischenJakobus" in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jür gen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 43, Sigmaringen 1994) S. 177-275, 198-202. <?page no="194"?> 178 Klaus H erbers 2. Ausführlichere Fassungen im 11.112. Jahrhundert: Spanien und Europa Wie man Jakobus vor allem an seinem Grabesort sehen wollte, wurde im ausgehenden 11. und 12. Jahrhundert maßgeblich entwickelt und festgelegt. Sieht man von Erweiterungen zur Missionierung15 oder neuen Texten zur Passio und Translatio ab 16, so genügt ein Blick auf den Bericht über die Auffindung des Grabes. Ausführlich wird diese erst in der Concordia de Antealtares von 1077 17 dargestellt. Hier erfahren wir von Lichterscheinungen, die zu Zeiten des Königs Alfons des Keuschen dem Anachoreten Pelayo die Stelle des Apostelgrabes in Santiaga nach dreitägigem Fasten gewiesen haben sollen. Wichtiger wurden weitere Texte, die beim vorliegenden Sammelband im Zentrum des Interesses stehen, zunächst ist die in der Umgebung des Erzbischofs Diego Gelmirez entstandene Historia Compostellana 18 hervorzuheben. Diese neuen Bemühungen um eine Aufwertung der Jakobus-Traditionen reagierten zugleich gegen die Zweifel, die Papst Gregor VII. in einem Brief an Konig Alfons VI. geäußert hatte und die gleichsam ein neu es apostolisches Programm provozierten19. Noch deutlicher als in der Historia Compostel- 15 So zum Beispiel die Adbreviatio Braulii, ed. Eduard ANSPACH, Taionis et Isidori nova fragmenta et opera, (Madrid 1930) S. 56-64, hier 63f.: Nam sicut Gregorius doctor Romae successit Petro ita beatus Isidorus in Hispaniarum partibus doctrina ]acobo successit apostolo. Hier werden Gregor und Petrus sowie Isidor und Jakobus in Parallele gestellt. Umstritten ist die Abfassung, frühestens edolgte diese wohl im Zusammenhang mit der Translation des Isidor-Reliquien nach Le6n 1063; vgl. hierzu auch Patrick HENRIET, Rex, Lex, Plebs. Les miracles d'Isidore de Seville a Le6n (XIe- XIII e siecles), in: Mirakel im Mittelalter, Konzeptionen - Erscheinungsformen- Deutungen, hg. von Martin HEINZELMANN/ Klaus HERBERES/ Dieter R. BAUER (Beiträge zur Hagiographie 3, Stuttgart 2002) S. 334-350, bes. 339f. (mit Anm. 32 und 33) mit Plädoyer für einen eher etwas späteren zeitlichen Ansatz. 16 Vgl. zuletzt Manuel C. DIAZ Y DIAZ, La Epistola Leonis Pape de Translatione Sancti Iacobi in Galleciam, Compostellanum 44 (1999) S. 517- 568. 17 Antonio L6PEZ FERREIRO, Historiade Ia Santa A. M. Iglesia de Santiago de Compostela 3 (Santiago de Compostela 1900) Apend. Nr. 1 S. 3-7; vgl. zur Interpretation bes. Robert PL6TZ, Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert, in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 1 Reihe 30, Münster 1982) S. 19-145, 121- 124; Fernando L6P EZ ALSINA, La ciudad de Santiago de Compostela en Ia alta Edad Media (Santiago de Compostela 1988) S. 109-111 mit weiteren Editionen und Literatur. 18 Vgl. Historia Compostellana, ed. Emma FALQUE REY (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 70, Turnhout 1988) S. 9. 19 Der Brief Gregors VII.: Jaffe-Löwenfeld 3462; Das Register Gregors VII., ed. Erich CASPAR (MGH Epistolae sei. 2, 1 [Berlin 1920], Nachdruck München 1990) S. 93f.; vgl. zu den Reaktionen in Santiago: Fernando L6PEZ ALSINA, Urbano II y el traslado de Ia sede episcopal de Iria a Compostela, in: EI papado, Ia iglesia leonesa y Ia basflica de Santiago a finales del siglo XL EI traslado de Ia Sede episcopal de Iria a Compostela en 1095, hg. von DEMS . (Santiago de Compostela 1999) S. 107-127; Klaus <?page no="195"?> Kar! der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 179 lana wird dies im Liber Sancti Jacobi aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, in dem an einigen Stellen zur Missionierung, an weiteren über die Translation des Apostelleichnams Genaueres berichtet wird. Insbesondere enthält er im Zusammenhang mit der Grabentdeckung die im vorliegenden Sammelband mehrfach diskutierte Erzählung über Karl den Großen, der nach einer Vision das vergessene Grab verehrt, die Kirche von Compostela erhöht und gleichzeitig gegen die Muslime auf der Iberischen Halbinsel gekämpft habe. Durch die Förderung der Apostelkirche und die europäische Perspektive eines Kreuzzuges waren mit Aussagen des Pseudo-Turpin gleichzeitig andere spanische Ansätze über die Jakobustraditionen betroffen20. 3. Die Reconquista und die Einigung des" christlichen Spanien": Matamoros und Hispania Für das Bild von Jakobus im Mittelalter wurde besonders auf der Iberischen Halbinsel eine dritte Facette bedeutend, die meist mit dem Landespatronat des Apostels verbunden wird. Diese Vorstellung wurde in mehreren Schritten entwickelt. Eine Geschichte über die Eroberung von Coimbra (1064) mit Hilfe des Apostels Jakobus, die um 1100 aufgezeichnet wurde, steht am Anfang21. Wichtiger erscheint die Interpretation der legendären Schlacht von Clavijo im 12. Jahrhundert. Wiederum wurde eine Fälschung bzw. eine Fiktion entscheidend: das Privileg der "votos de Santiago". Zwischen 1155 und 1172 brachte der Compostelaner Kleriker Pedro Marcio dieses Schriftstück in eine Form, die bis in die Neuzeit bedeutend blieb 22 . Eine Abgabe vieler Bewohner der Iberi- HERBERS, Le culte de Saint-Jacques et le souvenir carolingien chez Lucas de Tuy. Indices pour une conception historiographique au debut du 13e siede, in: Representation de l'espace et du temps dans l'Espagne des IXe-xni e siecles, hg. von Patrick BENRIET (im Druck; mit weiteren bibliographischen Angaben). 20 Vgl. den lateinischen Text im Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, ed. Klaus H ER- BERS/ Manuel SANTOS NOIA (Santiago de Compostela 1998) S. 199-229. 21 Vgl. hierzu das Mirakel19 im Liber SanctiJacobi I! , ed. BERBERS, SANTOS NOIA (wie Anm. 20) S. 175; sowie die Überlieferung in der Historia Silensis, ed. Justo P: EREZ DE URBELIAti! ano GONZALEZ Rulz-ZORRILLA (Escuela de Estudios Medieva! es 30, Madrid 1949) S. 190-193; vgl. Manuel C. DIAZ Y DIAZ, Visiones del mas alla en Galicia durante Ia alta edad media (Bibli6filos Gallegos/ Biblioteca de Galicia 24, Santiaga de Compostela 1985) bes. S. 134-143; vgl. zur Interpretation B E RB E RS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 14) S. 203-209. 22 Vgl. L6PEZ FERREIRO, Historia 4 (wie Anm. 17) S. 132-137; vgl. L6PEZ ALSINA, Ciudad (wie Anm. 17) S. 174-186; zur Historiographie bis in die Neuzeit Ofelia REY CA- STELAO, La historiografia del Vota de Santiago. Recopilaci6n crftica de una polemica hist6rica (Santiago de Compostela 1985); zur Schlacht: Claudio SANCHE Z-ALBOR- NOZ, La autentica bataHa de Clavijo, Cuadernos de Historia de Espaiia 9 (1948) S. 94-139; vielleicht führte ein Privileg v on Alfons II. zur Datierung auf 834, vgl. L6 - PEZ ALSINA (s.o.) S. 175f. <?page no="196"?> 180 Klaus H erbers sehen Halbinsel an die Apostelkirche wurde auf die angebliche Schlacht von Clavijo (834 oder 844) zurückgeführt 2 3. Nach einer Niederlage der Christen habe Jakobus in einer Vision Hilfe angeboten, danach hätten die Truppen des Königs Ramiro gesiegt. Hierauf hätte Ramiro die jährliche Zahlung an die Basilika des Apostels festgelegt, die jeder Christ in der ganzen Hispania entrichten müsse. Außerdem solle nach jedem Sieg über die Sarazenen ein Beuteanteil abgegeben werden24. Der schon lange als Fälschung erwiesene Text 25 ist aus der Situation des 12. Jahrhunderts zu erklären; jedoch knüpft er an frühere Privilegien oder Schriften an26, greift auch Elemente der Kreuzzugsidee auf. Die Chronistik des 13. Jahrhunderts hat die Verknüpfung von Schlacht, Schlachtenhilfe und Abgaben in großem Maße übernommen27. Nicht hoch genug einzuschätzen für die Verankerung dieser Episode im historischen Wissen der Zeitgenossen und deren Nachfahren ist aber auch die Tatsache, daß durch die Forderung der "votos"-Abgaben fortwährend Bilder des Schlachtenhelfers Jakobus evoziert wurden. Damit hatte die Rolle des Apostels einen festen Platz in der spanischen Geschichtsschreibung, aber auch im "öffentlichen Bewußtsein" und "kollektiven Gedächtnis" erobert28. Intensiviert wurde die Rolle eines für die Hispania wirkenden Jakobus in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts weiterhin durch die Förderung der leonesischen Könige sowie durch die Gründung des Santiago-Ritterordens, der unter dem Zeichen des heiligen Jakobus Krieg 23 SANCHEZ ALBORNOZ, Autentica bataHa de Clavijo (wie Anm. 22) S. 94-139 versucht, Verbindungen zu anderweitig belegten Ereignissen dieser Zeit herzustellen und abweichend von früheren Forschungen, aber nicht unangefochten, die Schlacht auf ein Gefecht zwischen Ordoiio I. und dem maurischen Feldherrn Musa im Jahre 859 zu beziehen. 24 Die Edition des "votos"-Privilegs z.B . bei L6PEZ FERREIRO, Historia 2 (wie Anm. 17) S. 132-137; vgl. zu Überlieferung und Editionen auch Ludwig VON E S, Die "Historia Compostellana" und die Kirchenpolitik des nordwestspanischen Raumes 1070-1130 (Kölner Historische Abhandlungen 29, Köln u.a. 1980) S. 206-210 mit Anm. 171; L6PEZ ALSINA, Ciudad (wie Anm. 17) S. 181; BERBERS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 14) S. 234 Anm. 295. 25 Grundlegend Louis BARRAU DIHIGO, Etude sur ! es actes des rois asturiens (718-910), Revue Hispanique 46 (1919) S. 1-192,64 und 125f. Nr. 18 (der eine Kopie mit Fragezeichen in das 12. Jh. datiert); vgl. auch die Auflistung der wichtigsten Argumente bei Zacarfas GARCfA VILLADA, Historia eclesiastica de Espaiia 3 (Madrid 1929) S. 209-215. Von einer Fälschung wird seither einhellig ausgegangen. 26 V gl. die vorigen Anm. 27 HERBERS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 14) S. 238f. und 262-265 sowie DERS., Luc de Tuy (wie Anm. 19). 28 Vgl. ibid.; zum integrierenden Erinnern mit Blick auch auf die Diskussionen des kulturellen und kollektiven Gedächtnisses auch Johannes FRIED, Erinnerung und Vergessen. Die Gegenwart stiftet die Einheit der Vergangenheit, Historische Zeitschrift 273 (2001) s. 561-593. <?page no="197"?> Kar! der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 181 gegen die Muslime führte, aber gerade langfristig auch "national"-hispanische Identitäten begünstigte29. IV. Etappen zum Mythos Karl Soweit nur drei sich überlappende Etappen zum Mythos Jakobus, denen ich fünf Facetten zu Karl gegenüberstelle. 1. Das Vorbild: Kar! der Große und Ludwig der Fromme Karl der Große wurde nicht erst im 20. Jahrhundert mythisch überhöht. Eine Verzahnung von Realität und Vision, von Faktum und Mythos ist früher greifbar. Die Geschichtsschreibung, auch an Karls Hof, zeichnete nicht nur auf, was geschah, sondern zuweilen, was wünschenswert war 30 . Besonders deutlich wird dies in der neben den Reichs- und den sogenannten Einhardsannalen dritten wichtigen, erzählenden Quelle zu Karl: in Einhards Vita Karoli. Diese Lebensbeschreibung gilt bis heute als zentrale Quelle. Einhard war von antiken Vorbildern abhängig, er schrieb aberwie jüngst präzisiert worden ist31erst einige Jahre nach 29 Vgl. HERBERS, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 14) S. 239-250 und DERS., Las 6rdenes militares ~lazo espiritual entre Tierra Santa, Roma y Ia Peninsula Iberica? EI ejemplo de Ia Orden de Santiago, in: Santiago, Roma, J erusalen, Actas del III Congreso International de Estudios J acobeos, hg. von Paolo CAUCCI VON SAUCKEN (Santiago de Composte! a 1999) S. 161-173 mit weiterer Literatur. 30 Vgl. die Beiträge in: Medieval Concepts of the Past. Ritual- Memory- Historiography, hg. von Gerd ALTHOFFIJohannes FRIED/ Patrick GEARY (Publications of the German Historical Institute Washington, Washington, D .C. 2002); zu den anhaltenden Diskussionen über Fragen von Erinnerung und Gedächtnis, die gerade auch für die Karolingerzeit mehrfach angesprochen wurden, vgl. die weiteren Literaturangaben bei Bernd SCHNEIDMÜLLER, Sehnsucht nach Kar! dem Großen. Vom Nutzen eines toten Kaisers für die Nachgeborenen, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000) S. 284-301; Max KERNER, Kar! der Große (wie Anm. 1); HERBERS, Kar! der Großevom Vorbild zum Mythos (wie Anm. 1) und FRIED, Erinnerung und Vergessen (wie Anm. 28) bes. S. 573-585 . - Unbeachtet lasse ich hier die interessanten Traditionen zu einem Endkaiser Kar! , vgl. hierzu Hannes MöHRING, Kar! der Große und die Endkaiser-Weissagung. Der Sieger über den Islam kommt aus dem Westen, in: Montjoie. Studies in Crusade History in Honour of Hans Eberhard Mayer, hg. von Benjamin KEDAR! Johnathan RILEY-SMITH/ Rudolf HIESTAND (Aldershot 1997) S. 1-19, bes. 16-19. 31 Einhard, Vita Karoli Magni, ed. Georg WAITZ (MGH Scriptores rerum Germanicarum in u. sch. [25] 6, Hannover 1911); vgl. zur neueren Quellenkritik Einhard. Studien zu Leben und Werk, hg. von Hermann SCHEFERS (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission NF 12, Darmstadt 1997) (darin bes. Gunther G. WOLF, S. 311-321); Kar! Heinrich KRüGER, Neue Beobachtungen zur Datierung von Ein- <?page no="198"?> 182 Klaus H erbers Karls Tod, als das Reformwerk seines Sohnes Ludwig in eine Krise geriet. Einhards Karlsvita kündet von besseren Zeiten, zeichnet das Bild eines idealen christlichen Herrschers und unterstreicht im 15. Kapitel, wie Karl durch Kriege ein großes Reich geschaffen und dabei seine Ordnungs- und Kulturpolitik an der norma rectitudinis orientiert habe. Was hatte der Nachfolger Ludwig 32 dagegen zu bieten? Das übermächtige Denkmal eines großen Vaters bestimmte fortan das Bild, das vor allem Karl als idealen christlichen Herrscher hervorhob. Ein bis heute gängiges Erklärungsmuster: Auf den großen Vater folgte der unbedeutendere Sohn. 2. Von der Geschichte zu Geschichtenmündliche Traditionen Ähnlich wie Einhard in den 20er Jahren des 9. Jahrhunderts verfolgte Erzbischof Hinkmar von Reims mit seinen Zeilen an den Spätkarolinger Ludwig den Stammler ein konkretes Anliegen. Er evozierte Aspekte der karolingischen Tradition, welche die Autonomie des westfränkischen Reiches stärkten33. Im Ostfrankenreich besaß der Mönch Notker von St. Gallen einen politischen Schreibanlaß. Karl III., der Dicke, wurde bei einem Besuch im Kloster von St. Gallen 883 durch Geschichten des gelehrten Mönches sicher nicht ohne didaktische Absichten darüber informiert, was sein Urgroßvater gemacht und betrieben habe. Die Schrift unterschied sich von Einhards Vita. Es ging um Anekdoten, Episoden aus dem Leben Karls, die Zeitbezüge sind jedoch unübersehbar 34 . Zugleich zeigt die Schrift Aspekte von Erinnern und Vergessen, sie verdeutlicht, wie mündlich tradierte Episoden in einer Zeit schwindender Schriftlichkeit an Gewicht gewannen. Wir erleben einen Kaiser "zum Anfassen", der die Klosterschule besucht, sich um den Kirchengesang und als Hausvater sogar um Kleinigkeiten des täglichen Lebens bemüht. hards Karlsvita, Frühmittelalterliche Studien 31 (1998) S. 124-145 (etwa ab 822); allgemein zur Überlieferung nun erschöpfend Matthias TISCHLER, Einharts "Vita Karoli": Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption 2 (Schriften der MGH 48, Hannover 2001). Vgl. DERS., in diesem Band oben, S. 1-37 mit Anm. 14. 32 Charlemagne's Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814-840), hg. von Peter GODMAN, Roger COLLINS (Oxford 1990); Egon BOSHOF, Ludwig der Fromme (Darmstadt 1996); DERS ., Kaiser Ludwig der Fromme. Überforderter Erbe des großen Kar! , Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 103 (2001) S. 7- 28 . 33 Hinkmar von Reims, Ad Ludovicum Balbum regem, ed. Jean-Paul MIGNE (Patrologia Latina 125, Paris 1879) S. 983-990, bes. 985; vgl. EHLERS, Charlemagne, l'Europeen (wie Anm. 1) S. 18. 34 Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, ed. Hans F. HAEFELE (Schriften der MGH 12, München 1980); vgl. bereits Heinrich HOFFMANN, Kar! der Große im Bilde der Geschichtsschreibung des frühen Mittelalters (800-1250) (Historische Studien 137, Berlin 1919) . <?page no="199"?> Karl der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 183 Waren es diese und andere mündliche Erzählungen, die den Karl der epischen Dichtung, wie er seit dem Ende des 11. Jahrhunderts vor allem im Rolandslied deutlich erscheint, vorbereiteten? 3. Der christliche Kämpfer: Der literarische Karl in der Epik Worin bestand dann das neue Herrscherbild dieser vielfältigen karolingischen Epik, die in verschiedenen Zyklen den Maurenkämpfer, den Heilig-Landfahrerund andere Facetten hervortreten ließ? Die wenig rühmliche Erfahrung des Feldzuges von 778, bei dem Karl weder Zaragoza noch Pamplona erobern konnte und außerdem noch von den Basken bei Roncesvalles eine entscheidende Niederlage einstecken mußte, wird in einigen Dichtungen nun zum Erfolg: Karl der Große erscheint als der erste große Bekämpfer der sogenannten Mauren. Die gelehrte lateinische Version dieser Geschichte, der Pseudo-Turpin, geht noch einen Schritt weiter: Karl der Große stattete mit seiner Kriegsbeute viele Kirchen aus und verehrte erstmals das in Spanien vergessene Grab des Apostels Jakobus. Dieses Bild erscheint bereits weit entfernt von Einhards Text, obwohl schon dieser ein erinnertes Bild des Kaisers entwarf. Wie aber verlief der Weg von Einhard und Notker zur Epik des 11. und 12. Jahrhunderts? Klare Aussagen sind nicht möglich, obwohl Mattbias Tischler von Einhards Vita inzwischen weit über 100 Handschriften und deren Kommunikationswege gesichert hat3 5. Konnte aus dieser von Klerikern beherrschten Schriftkultur das Bild der in der Volkssprache abgefaßten epischen Dichtungen entstehen? Oder führten eher mündliche Traditionen im Laufe von gut zwei Jahrhunderten zu diesen Vorstellungen? Es ist hier nicht der Ort, die Thesen von Joseph Bedier zu diskutieren36. Nach seiner Theorie hätten Mönche an den wichtigen Etappenorten der sogenannten Pilgerwege Texte und Überlieferungen zu Karl dem Großen bewahrt, die dann ab dem 11. Jahrhundert verschriftlicht worden wären. Mit seiner Theorie bezog Bedier auch gegen Gaston Paris Stellung, der den Ursprung der Chansons de gesteinder Karolingerzeit und in den mündlichen Traditionen sehen wollte. Der Streit ist kaum zu entscheiden: Aber will man nicht konspirative Aktionen oder einen geplanten Propagandacoup annehmen, so bleibt Bediers These bei aller Faszination viele Beweise schuldig. Auch deshalb werden inzwischen wieder eher mündliche Traditionen und eine lange Vorgeschichte seit 35 Vgl. TI SCHLER, Einhart (wie Anm. 31) S. 20-44 (Liste mit 134 Handschriften). 36 Joseph BEDIER, Les legendes epiques. Recherehes sur Ia formationdes chansans de geste 4 (Paris 1926-1929); vgl. zum Werk Kurt KLOOKE, J. Bediers Thesen über den Ursprung der Chansons de ges teund die daran anschließende Diskussion zw ischen 1908 und 1968 (Göppingen 1972). <?page no="200"?> 184 Klaus H erbers der Karolingerzeit zunehmend ins Auge gefaßt37. Seit der Karolingerzeit erzählte Geschichten, die schriftlich seit Ende des 11. Jahrhunderts fixiert wurden 38 , schufen Traditionen, die sich änderten, aber um ähnliche Themen kreisten: um den Kaiser, um den vorbildlichen Ritter, um den Kämpfer und Missionar. Einen solchen Karl konnte man leicht nach Spanien, nach Konstantinopel oder anderswohin schicken, ihn auch als Prototyp des höfischen Lebens feiern. 4. Der heilige Kar! : 1000 und 1165 War aber ein solcher Karl nicht schon fast jeglicher weltlicher Sphäre entrückt? Der tote Kaiser lag in Aachen. Vor gut 1000 Jahren geriet sein Grab ins Zentrum des Interesses. Otto III., aus Italien kommend, war über Regensburg nach Gnesen gereist, um am Grab des hl. Adalbert zu beten. Damals kam es zu einer Übereinkunft, die eine weitgehende kirchliche und politische Autonomie Polens sicherstellte39. Danach ging Otto III. nach Aachen. Sollte hier ein neues Bistum entstehen, wollte er Karl wie einen Heiligen zur Ehre der Altäre erheben? Sollte Aachen als neuer Ort des Kaisertums neben Rom etabliert werden? Die Forschung diskutiert über diese Fragen, bislang ohne endgültiges Er- 37 Vgl. Friedrich WOLFZETIEL, Traditionalismus innovativ: zu neueren Tendenzen der romanistischen Chansons de geste-Forschung, in: Chansons de geste in Deutschland. Schweinfurter Kolloquium 1988, hg. von Joachim HEINZLE (Wolfram-Srudien 11, Berlin 1989) S. 9-31 (vgl. auch den Beitrag von Ulrich Mölk in diesem Band, S. 79-88); DERS., "Kar! der Große", in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung 7 (Berlin 1993) S. 981-1002; Andrew TAYLOR, Was there a Song of Roland, Speculum 76 (2001) S. 28-65 (mit Plädoyer für eine Unterscheidung zwischen verschiedenen kürzeren "songs", einer in Adelskreisen vermittelten "tradition" und einem "poem", wie es im Oxforder Manuskript schriftlich vorliegt). Trotz aller Diskussion ist es möglich, verschiedene schriftliche Zwischenspuren weiter zu sichern, vgl. zum Beispiel zur Reichenauer Hagiographie Theodor KLÜPPEL, Reichenauer Hagiographie zwischen Walahfrid und Berno (Sigmaringen 1980) S. 20-24 u.ö.; DERS.! Walter BERSCHIN, Die Legende vom Reichenauer Kana-Krug (Reichenauer Texte und Bilder 2, Sigmaringen 1992); Dorothea WALZ, Kar! der Große ein verhinderte,r Seefahrer. Die Reichenauer Heiligbluterzählung aus dem 10. Jahrhundert, in: Kar! der Große und das Erbe der Kulturen, hg. von Franz-Reiner ERKENS. Akten des 8. Symposiums des Mediävistenverbandes. Leipzig 15.-18. März 1999 (Berlin 2001) S. 234-245. 38 WOLFZETIEL, Traditionalismus (wie Anm. 37) S. 17-20. 39 Vgl. hierzu jetzt: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den "Akt von Gnesen", hg. von Michael BoRGüLTE (Europa im Mittelalter 5, Berlin 2002); die dort abgedruckten Beiträge erschließen die frühere Forschung, zu der besonders die Thesen von Fried, Görich und Althoff beigetragen haben. Vgl. zur Akzentuierung, Otto sei es vor allem um sein Seelenheil gegangen, Ludger KöRNTGEN, The Emperor and his Friends. The Ottonian Realm in the Year 1000, in: Europe aro- und the Year 1000, hg. von Przemyslaw URBAtkZYK (Warsaw 2001) S. 465-488. <?page no="201"?> Kar/ der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 185 gebnis 40 . Jedenfalls ließ Otto in Aachen das Karlsgrab suchen. Nach dem Bericht der Chronik von Novalese entsprach alles der Auffindung eines Heiligen: Wohlgeruch strömte aus dem Grab, und Kaiser Karl saß unverwest auf seinem Thron, nur von der Nasenspitze fehlte ein wenig. Diese ließ Otto gleich mit etwas Gold ersetzen. Bevor das Grab erneut geschlossen wurde, nahm er sich außerdem einen Zahn als Reliquie mit41. Der unverweste Karl: Es ist nicht ganz sicher, ob Otto einen Kult des Kaisers begründen wollte, andere Quellen reden eher vorwurfsvoll von einer Grabschändung; unbestritten suchte er jedoch die karolingische Orientierung42. Erst 1165 kam es zur Heiligsprechung. Friedrich Barbarossa stellte sich während seiner Auseinandersetzung mit Papst Alexander III. bewußt in die Tradition seines karolingischen Vorgängers. Mit Hilfe des von ihm favorisierten (Gegen-)Papstes betrieb der Staufer Karls Kanonisation43. Wie aber konnte Karl der Große zum Heiligen werden? War der große Kaiser mit seinen unzähligen Kriegszügen nicht eher das Gegenteil eines Heiligen? In einer Zeit, als Kreuzzüge neue Möglichkeiten eröffneten, um das Martyrium zu erwerben, boten die lateinischen Fassungen epischer Themen, der Pseudo-Turpin und die sogenannte Descriptio, Grundlagen für die Aachener Vita Karls, die im Zusammenhang mit der Heiligsprechung entstand. Im Pseudo-Turpin wird der Spanienzug Karls des Großen von 778 neu gedeutet 44 . Der zweite wichtige Text, die sogenannte Descriptio 40 Vgl. die Beiträge in Otto III.- Heinrich II. eine Wende? , hg. von Bernd SCHNEID- MÜLLER/ Stefan WEINFURTER (Mittelalter-Forschungen 1, Sigmaringen 1997); bes. Ernst-Dieter HEHL, Herrscher, Kirche und Kirchenrecht im spätottonischen Reich, ebd., S. 169-203, bes. 194-196 . 41 Vgl. den Bericht des besonders anschaulichen Chronicon Novalicense III 32, ed. Gian Carlo ALESSIO (Turin 1982) S. 182; Knut GöRICH, Otto III. öffnet das Karlsgrab in Aachen. Überlegungen zu Heiligenverehrung, Heiligsprechung und Traditionsbildung, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, hg. von Gerd ALTHOFF/ Ernst SCHUBERT (Vorträge und Forschungen 46, Sigmaringen 1998) S. 381-430, 383 mit Vergleich der verschiedenen zeitnahen Zeugnisse. Insgesamt skeptischer Ludwig FALKEN- STEIN, Otto III. und Aachen (MGH Studien und Texte 22, Hannover 1998) S. 160-164. 42 Zur späteren Beisetzung an der Seite Karls vgl. Jo achim EHLERS, Magdeburg- Rom - Aachen- Bamberg. Grablege des Königs und Herrschaftsverständnis in ottonischer Zeit, in: Otto III.- Heinrich III., hg. von SCHNEIDMÜLLERIWEINFURTER (wie Anm. 40) S. 47 -76, hier S. 60 - 64. 43 Odilo ENGELS, Des Reiches heiliger Gründer. Die Kanonisation Karls des Großen und ihre Beweggründe, in: Kar! der Große und sein Schrein in Aachen. Eine Festschrift, hg. von Hans MüLLEJANS (Aachen/ Mönchengladbach 1988) S. 37-46; die reiche Literatur ist zusammengefasst bei Johannes LAUDAGE, Alexander III. und Friedrich Barbarossa. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 16, Köln/ Weimar/ Wien 1997) S. 167-171. 44 Vgl. den Text im Liber Sancti Jacobi, ed. HERBERS/ SANTOS NOIA (wie Anm. 20) s. 192-229. <?page no="202"?> 186 Klaus H erbers wurde in der zweiten Hälfte des 11., spätestens jedoch im ersten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts angefertigt4 5. Laut diesem Bericht wollte Karl der Große dem aus seiner Stadt vertriebenen Patriarchen von Jerusalem helfen. Eine anschließende Belohnung des oströmischen Kaisers Konstantin habe er abgelehnt, stattdessen Reliquien erbeten, diese auch erhalten und ins Frankenreich gebracht46; manche davon seien später nach Compiegne und nach St-Denis übertragen worden 47 . Pseudo-Turpin und Descriptio charakterisieren insgesamt den Heidenkämpfer und den Reliquiensammler, unterstreichen mithin die Taten eines eigentlich heiligen Karl. Die Kanonisation selbst war jedoch ein Politicum. Wenn der Reichsgründer heilig war, dann konnte man eher vom Sacrum Imperium, vom Heiligen Reich sprechen, ein Begriff, der sich etwa seit dieser Zeit weiter verbreitet48. Die Heiligsprechung gehörte zugleich in europäische Kontexte. Oft wurde sie nur als eine Antwort auf den westfränkisch-französischen Nachbarn interpretiert, denn dort hatte Abt Suger von St-Denis wenig früher die Gebeine des hl. Dionysios, des fränkisch-französischen Königsheiligen, feierlich erhoben. König Ludwig VII. warähnlich wie Friedrich Barbarossa bei Karlpersönlich an dem Akt beteiligt. 1161 war jedoch in England die Heiligsprechung König Eduards, 1169/ 1170 in Dänemark diejenige Herzog Knuds betrieben worden, und in Deutschland hatte etwa 20 Jahre früher der Bamberger Klerus die Heiligsprechung Heinrichs II. erreicht 49 . Aus dieser Konkurrenz werden lnteres- 45 Gerhard RAUSCHEN , Die Legende Karls des Großen im 11. und 12. Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 7, Leipzig 1890); zur Abfassungszeit schon in der Mitte des 11. Jahrhunderts jetzt Rolf GROßE, Reliques du Christ et foires de Saint-Denis au XIe. Apropos de Ia Descriptio clavi et corone Domini, Revue d'Histoire de l'Eglise de France 87 (2001) S. 357-375; DERS., Saint- Denis zwischen Adel und König. Die Zeit vor Suger (1053-1122) (Beihefte der Francia 57, Stuttgart 2002) S. 42-54; zu diesem wichtigen Befund und zum Zusammenhang insgesamt vgl. auch den Beitrag von Ludwig VONES in diesem Band (bes. S. 99 mit Anm. 33). 46 Unter anderem waren dies: Dornen von der Dornenkrone, Kreuzigungsnägel, ein Teil des Kreuzes, das Schweißtuch des Herrn, das Marienkleid, ein Tuch, mit dem Maria das Kind in der Krippe wickelte, ein Arm des Simeon, vgl. hierzu. Klaus H ER - BERS, Die Aachener Marienschrein-Reliquien und ihre karolingische Tradition, in: Der Aachener Marienschrein ein e Festschrift, hg. von Dieter WYN ANDS (Aachen 2000) s. 129-134. 47 Ähnliche Tendenzen lassen weitere Texte, wie der "Pelerinage de Charlemagne" erke nn en, die ich hier nicht weiter vorstellen kann. 48 Walter KocH, Auf dem Weg zum Sacrum Imperium. Studien z ur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (Berlin 1972); zum dreiteiligen Titel Jürgen PETERS O HN, Rom und der Reichstitel Sacrum Romanum Imperium (Sitzungsberichte d er Wiss. Gesellschaft der Joh ann Wolfgang Goethe Universität Fr ankfurt 32, Nr . 4, Stuttgart 1994). 49 Vgl. Die Vita sancti Heinrici regis et confessoris und ihre Bearbeitung durch den Bamberger Diakon Adelbert, hg. von Marcus STUMPF (M GH Scriptores rerum Ger- <?page no="203"?> Karl der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 187 sen Friedrichs und Aachens deutlich. In diesem Sinne war der Akt von 1165 nicht nur für einen im päpstlichen Schisma bedrängten Herrscher wichtig, er war auch nicht nur ein Schlag gegen den Westen, sondern stand zugleich in einem Zusammenhang, in dem mit heiligen Königenmodern gesprochenum "Standortvorteile" gerungen wurde. Der Kult selbst verbreitete sich im Reich nur an bestimmten Orten, in Frankreich blühte er in der frühen Neuzeit zeitweise auf 50 . Noch heute darf der heilige Karl im Bistum Aachen gefeiert werden. In diesem Zusammenhang wurde ein weiterer Aspekt besonders wichtig: Nach der Kanonisation wurden die vorgestellten Texte weiter kopiert, vom Pseudo-Turpin sind mehr als 300 lateinische und volkssprachige Fassungen überliefert 51 . Sie kündeten von vielem, unter anderem von Karls Kirchengründungen, und manche Kirche wie etwa in Ulm-Söflingen wußte nun bei Unsicherheiten, daß nur Karl der Kirchengründer gewesen sein konnte52. 5. Der Kaiser gegen den König- Ost und West im Wettstreit Die literarische Tradition beflügelte auch in Frankreich die Erinnerung an Karl. Die Kreuzfahrer, die sich Franci nannten, kämpften für den Ruhm der "dolce France", des süßen Frankreichs. Karl blieb in der "memanicarum in usum scholarum separatim editi 69, Hannover 1999) S. }03 -305. Auf die viel zu selten berücksichtigte gleiche Motivverwendung der Wägung guter Taten bei Heinrich Il. und Kar! dem Großen hat zuerst Baudouin DE GAIFFIER, Pesee des ames. Apropos de Ia mort de l'empereur saint Henri II (t 1024), in: DERS., Emdes critiques d'hagiographie et d'iconologie (Brüssel 1967, Erstveröff. 1951/ 52) S. 246-253, bes. 251 hingewiesen. Vgl. zu Heinrich II. Peter Christian JACOBSEN, Das Totengericht Kaiser Heinrichs Il. Eine neue Variante aus dem Echtemacher "Liber aureus", Mittellateinisches Jahrbuch 33 (1998) S. 53-58; vgl. auch unten S. 192. 50 Vgl. Robert FOLZ, Aspects du culte liturgique de saint Charlemagne en France, in: Kar! der Große. Lebenswerk und Nachleben 4, hg. von Wolfgang BRAUNF E LS (Düsseldorf 1965-1967) S. 77 - 99; Bernd BASTERT , Heros und Heiliger. Literarische Karlsbilder im mittelalterlichen Frankreich und Deutschland, in: Kar! der Große und das Erbe (wie Anm. 37) S. 197-220; August BRECHER, Die kirchliche Verehrung Karls des Großen, in: Kar! der Große, hg. von MüLLEJANS (wie Anm. 43) S. 151-166; vgl. auch Matthias PAPE, Der Karlskult (wie Anm. 3). 51 Über die Handschriften des Pseudo-Turpin vgl. die Arbeiten von Andre DE MAN- DACH, Naissance et developpement de Ia Chansonde Geste en Europe, 2 Bde. (Genf 1961 und 1963), der auf den Studien von Adalbert Häme! aufbaut, vgl. Klaus H ER- BERS, Expansion del culto Jacobeo por Centroeuropa, in: EI camino de Santiago, Camino de Europa (Pontevedra 1993) S. 19-43; Sichtung der volkssprachlichen Traditionen bei Karl-Ernst GEITH, Kar! der Große, in: Herrscher, Helden, Heilige, hg. von MüLLER/ WUNDERLICH (wie Anm. 10) S. 87-100 (mit weiterer Literatur) und BA- STERT, Heros und Heiliger. Literarische Karlsbilder (wie Anm. 50) S. 197-220. 52 Vgl. hierzu Klaus HERB ERS , "Wo! auf santJacobs strasen! " Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskults in Süddeutschland (Ostfildern 2002) S. 46 (mit Abb. des Weser-Manuskriptes). <?page no="204"?> 188 Klaus H erbers moire collective" als Beschützer gegen die Mauren präsent. Jedoch wurde im Westen zunehmend der Kaiser und der König auseinandergehalten53 und etwa gleichzeitig eine neue Theorie entwickelt. Als Philipp li. Auguste mit Elisabeth von Hennegau eine Nachfahrin Karls heiratete, kehrte mit Ludwig VIII. das Blut des großen Karl wiederzumindest hälftigzurück. Die Theorie des reditus regni franeorum ad stirpem Karoli Magni, die Rückkehr des Königreichs Frankreich zum Geschlecht Karls des Großen, wurde fortan für das französische Geschichtsbewußtsein konstitutiv 54 ; hier konnten auch Traditionen des Pseudo-Turpin greifen55. Aber Karl gehörte nicht eindeutig nur Deutschen oder Franzosen. Schon seit dem 13. Jahrhundert wurde Karlanden verschiedensten Orten zunehmend zum Gründer und Begründer: Seien es Klöster, Städte, die Pariser Universität, das Kurfürstenkolleg oder auch die Verwahrer der Reichskleinodien viele bezogen nun Herkunft und Legitimation auf den großen Karl. Und ebenso galt dies für das Recht: Der große Frankenkönig und Kaiser erscheint zunehmend als Gesetzgeber, man denke nur an die Kaiserchronik oder an den Sachsenspiegel. Diese Facetten verdienten ein eigenes Kapitel, aber auch die Bezüge zu Karl in der Neuzeit, besonders unter Napoleon, überspringe ich hier ebenso wie die moderne europäische Variante zum Mythos Kar156. V. Zwei europäische Mythen: Aspekte und Gemeinsamkeiten Jakobus und Karl sowie ihre Geschichten in mythischer Überhöhungwie könnte der Abschlussbeitrag dieses Bandes anders bilanzieren führen Karl und Jakobus vor allem in der Schrift des Pseudo-Turpin zusammen. Dabei bleibt zunächst unerheblich, wo die früheste Fassung entstandob in Frankreich oder gar in St-Denis -,wir haben garnicht 53 Vgl. Bernd SCHNEIDMÜLLER, Nomen patriae. Die Entstehung Frankreichs in der politisch-geographischen Terminologie (10.-13. Jahrhundert) (Nationes 7, Sigmaringen 1987) bes. 158-191; zum Bild in Deutschland und Frankreich vgl. EHLERS, Charlemagne l'Europeen (wie Anm. 1). 54 Karl Ferdinand WERNER, Die Legitimität der Kapetinger und die Entstehung des Reditus regni Franeorum ad stirpem Karoli, Die Welt als Geschichte 12 (1952) S. 203- 225; Joachim EHLERS, Kontinuität und Tradition als Grundlage mittelalterlicher Nationsbildung in Frankreich, nachgedruckt in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin KINTZINGER/ Bernd SCHNEIDMÜLLER (Berliner Historische Studien 21, Berlin 1996) S. 288-324, bes. 302-308 (Erstveröffentlichung 1983). 55 Vgl. hierzu die Beiträge von Joachim EHLERS und Nikolas }ASPERT (S. 107-119 und 121-159). 56 Generell verwiesen sei hier auf die Nachweise in meinem Artikel: Karl der Große vom Vorbild zum Mythos (wie Anm. 1) und auf PAPE, Der Karlskult (wie Anm. 3). <?page no="205"?> Karl der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 189 versucht, das Gestrüpp der Überlieferung erneut mit der Aussicht auf ein tragfähiges Ergebnis zu sichten5 7. Zur Diskussion stand hier der Pseudo-Turpin, wie er als viertes Buch des Liber Sancti Jacobi, des Codex Calixtinus, erscheint, in dem ja sogar auf einigen Folien ein Schreiber den Namen Karls stets in Kapitälchen hervorhob 58 . Wichtiger als diese Beobachtung ist aber gerade zum Beispiel in Abgrenzung vom Rolandsliedwie sehr Geschichten um Karl den Großen und Jakobus durch die Verwendung der lateinischen Sprache zusätzlich legitimiert wurden. Durch die Integration in die Compostellaner Kompilation gewann auch diese Schrift - und dies interessierte hier besonders viele neue Facetten, die ichauch mit Bezug auf den in Compostela zur Thematik veranstalteten Kongreßin vier Punkten thesenartig hervorhebe. 1. Die Geschichten um Jakobus und Karl wurden geographisch neu aufgeladen. Orte am Weg nach Compostela waren gerade in Südwestfrankreich oder in Navarra zugleich Orte, die mit dem Zug Karls des Großen zu tun hatten, was im fünften Buch des Liber SanctiJacobi, dem Pilgerführer aufgegriffen wurde. Auch viele Toponyme der Hispania bietet der Pseudo-Turpin im Zusammenhang mit den Eroberungen Karls und verbindet somit Reconquista und Karls Zug unter dem Zeichen des Apostels. Außerdem- und dies hat besonders Fernando L6pez Alsina hervorgehoben entsprechen einige der im Pseudo-Turpin genannten Orte teilweise umstrittenen kirchlichen Administrationsgrenzen im ausgehenden 11. Jahrhundert, bringen somit auch karolingische Legitimation in die innerspanische Diskussion 59 . 2. Hervorzuheben ist nach den Ergebnissen der Tagungen in Compostela und Fulda die grundlegende zweiteilige Struktur des Pseudo- Turpin. In diesem werden zeitgenössische Bezüge sichtbar, die zugleich neue Bilder von Karl und Jakobus entstehen ließen. Der Text wird so mit verschiedenen Traditionen und zeitgeschichtlichen Bezügen aufgeladen -nur einige der Wechselbeziehungen hebe ich hier hervor. 5? Vgl. zu früheren Thesen Klaus HERBERS, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der "Liber Sancti Jacobi". Studien zum Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter (Historische Forschungen 7, Wiesbaden 1984) S. 35-47; Elizabeth BROWN, Saint-Denis and the Turpin Legend, in: The Codex Calixtinus and the Shrine of St. James, hg. von John WILLIAMS / Alison STONES Qakobus-Studien 3, Tübingen 1992) S. 51-88, sowie die Beiträge im vorliegenden Band. 58 Entsprechend nannten Adalbert HÄMEL und besonders Andre DE MANDACH den Schreiber "B-Karolus", vgl. Adalbert HÄMEL, Pseudo-Turpin von Compostela, aus dem Nachlaß von Andre DE MANDACH (Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Klasse, Heft 1, München 1965) S. 19; HERBERS, Jakobuskult (wie Anm. 57) S. 25; Manuel C. DfAZ Y DlA Z, M.C., EI C6dice Calixtino de Ia catedral de Santiago. Estudio codicol6gio y de contenido, en colaboraci6n con Maria Araceki GAR C! A Pr- NEIRO y Pilar ÜRO TRI GO (Monografias de Compostellanum 2, Santiago de Compostela 1988) S. 273-278. 59 Vgl. oben EinleitungS. X-XII sowie dessen Beitrag in den in Anm. 1 angekündigten Kongressakten. <?page no="206"?> 190 Klaus H erbers a) Es ist unerheblich, ob Alfons VI., Alfons VII. oder andere Zeitgenossen sich hinter dem Bild Karls verbergen; wichtiger ist der allgemeine Zeithorizont, der den thematisierten Kampf gegen die Muslime mit den im 12. Jahrhundert im übrigen Europa dominierenden Kreuzzügen verbindet. Diese neue Anhindung erlaubte es auch, einen gewissen Einblick in die zeitgenössischen Vorstellungswelten über die Muslime und die islamische Welt zu erhalten, sei es in Religionsgesprächen oder auch in kämpferischen Auseinandersetzungen über die bessere Religion. b) Der Pseudo-Turpin bot nicht nur karolingische Legitimation für einen sich zum übrigen Europa orientierenden Bischofssitz Composte la, sondern integrierte in verschiedenster Form zugleich Legitimationen für diesen Sitz und dessen besondere (apostolische) Stellung. c) Diese neue Orientierung wurde im vierten Buch des Liber Sancti Jacobi mit Mirakeln und Visionen unterstrichen, die in hagiographischen Texten bis in das 11. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel selten blieben 60 . Damit wird zugleich der zunehmenden Pilgerbewegung Rechnung getragen. Sollten diese Visionen wie seit der Mitte des 11. Jahrhunderts häufiger üblich61 zur Unterstützung für eine Kanonisation anzusehen sein? 3. Gleichzeitig verlieh der Pseudo-Turpin der Gestalt des hl. Jakobus in vielen Facetten eine neue wirkmächtige Dimension, welche die in Spanien aufgezeichneten Geschichten um den Apostel ergänzte und zuspitzte. Der Maurenkämpfer und Jakobusverehrer Karl steht teilweise im Widerspruch oder Konkurrenz zu spanischen Traditionen wie dem Votos-Privileg, verschaffte jedoch gleichzeitig schon damals der Compostellaner Welt eine europäische Anbindung. Zwar war der Ort schon vor der Abfassung dieser Geschichten wo auch immer sie entstanden sein magein europäisches Pilgerzentrum 62 , aber die Geschichte von Karl und Jakobus sowie die Wunder des Liber SanctiJacobi befreiten die fama des großen Jakobus noch stärker aus Compostellaner "Begrenzungen". Außerdem integrierte der Pseudo-Turpin Teile bestehender Traditionen, wie verschiedene Kapitel verdeutlichen 63 . So gesehen ist 60 Vgl. zu dieser These HENRIET, Rex, Lex, Plebs (wie Anm. 15) . 61 Stephanie HAARLÄNDER, Vitae episcoporum. Eine Quellengattung zwischen Hagiographie und Historiographie, untersucht an Lebensbeschreibungen von Bischöfen d es Regnum Teutonicum im Zeitalter der Ottonen und Salier (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 47, Stuttgart 2000) S. 106f mit einem Beispiel zu 1050 und Bernhard VOGEL, Visionen und Mirakel. Literarische Tradition und hagiographischer Kontext am Beispiel Lantberts von Deutz, in: Mirakel im Mittelalter (wie Anm. 15) S. 227-251, bes. S. 243f. 62 V gl. zusammenfassend Klaus HERBERS, "So ziehn wir durch die welschen lant". Der Jakobuskult als Beitrag zur Gestaltung Europas, in: Zur Debatte 32,5 (München 2002) s. 30-32. 63 V gl. hierzu auch die Ergebnisse der in Anm. 1 angekündigten Kongressakten (bes. die Beiträge von Fernando L6PEZ ALSINA und Jose RAMfREZ DEL Rr o ). <?page no="207"?> Karl der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 191 der Text selbst Zeugnis für Austausch und kulturellen Transfer 64 : Europäisch-fränkische verbinden sich mit Compostellaner Traditionen zu einem neuen Ganzen, das ebenso das apostolische Programm Compostelas wie die Facetten des Spanienreisenden Karl aufgreift. Die spätere Verbreitung dieser Version in Europa beeinflußte ihrerseits beispielsweise in Aachen das Bild eines heiligen Kar165. Die Verwendung bestehender Traditionen, die Veränderungen und Anpassungen66 an den jeweiligen Kontext machen den Text so spannend und zu einem geeigneten Beispiel für die Prozesse, die in der Forschung als "reecriture" und "Rekontextualisierung" 67 diskutiert werden. Mehrfaches Neuschreiben und Anpassen kennzeichnet verschiedene Teile des Pseudo-Turpin. Damit boten die Traditionen aber auch Wandlungsfähigkeit entsprechend den Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Träger. Dies blieb nicht ohne Widerstände, bei spanischen Autoren zum Beispiel gegen zu starke karolingische Tendenzen. Die "spanische" Version der Grabentdeckung behielt in Compostela weiterhin ihr Gewicht, die karolingische Version des Maurenkampfes stieß auf Ablehnung, sonst hätte Lucas von Tuy nicht Bernhard de Carpio in seiner Weltchronik als "Gegenkarl" eingefühn68. 4. Aber dennoch: die Verbreitung des Textes spricht für sich. Dabei fällt auf, daß gerade die Abschriften aus dem Liber Sancti J acobi, die nur den Pseudo-Turpin, die Wunder und einige andere Schriften enthalten, fast ausschließlich außerhalb der Iberischen Halbinsel überliefert wurden; das Beispiel Kataloniens zeigt eher die Zwischenstellung zwischen der Hispania und der südlichen Gallia. Dieses neue Bild begann mit teilweise weiteren Veränderungen vor allem außerhalb der Iberischen Halbinsel. Entscheidend wurde es im übrigen Europa: im Zusammenhang mit und nach der Kanonisation Karls des Großen im Reich, mit der 64 Vgl. hierzu das Erlanger Graduiertenkolleg und eine kurze Zusammenfassung bei Klaus HERBERS, Europäisierung" und "Afrikanisierung" (wie Anm. 4) S. 11-31 mit der Angabe weiterer Literatur. 65 Vgl. Anm. 44. 66 Vgl. EHLERS, Kontinuität und Tradition (wie Anm. 54) S. 312-315. 67 Vgl. zu diesen Konzepten: Manuscrits hagiographiques et travail des hagiographes, hg. von Martin H EINZELMANN (Beihefte der Francia, 24, Sigmaringen 1992); L'hagiographie du haut moyen age en Gaule du Nord. Manuscrits, textes et centres de production, hg. von DEMS. (Beihefte der Francia, 52, Stuttgart 2001 ); La reecriture hagiographique 1, hg. von GOULLET/ HEINZELMANN (wie Anm. 12); Klaus HERBERS, Kulturtransfer durch Reisende? Schlesische und andere Westeuropa-Reisende im 15. Jahrhundert, in: Die Jagiellonen. Kunst und Kultur einer europäischen Dy nastie an der Wende zur Neuzeit, hg. von Dietmar POPP/ Robert SUCKALE (Nürnberg 2002) S. 337-346. Vgl. auch Anm. 64. 68 Vgl. die Aufsätze des Zeitschriftenbandes: Cahiers de linguistique et de civilisation hispaniques medievales 24 (2001) S. 201-309; besonders zum Pseudo-Turpin und Lucas von Tuy meinen Beitrag: Le culte de Saint-Jacques et le souvenir carolingien (wie Anm. 19). <?page no="208"?> 192 Klaus H erbers kurz erwähnten reditus-Theorie im kapetingischen Königreich in Frankreich; vor allem an den Stellen Europas, die auch karolingische Traditionen gegen neuere Entwicklungen evozierten, in Katalonien und Südfrankreich etwa. Weitere literarische Kontexte schufen in der Folge den mit Jakobus eng verbundenen Karl, der sogar noch reisende Humanisten wie Hieronymus Münzer im 15. Jahrhundert interessierte. Die wechselseitige, unlösbare Verbindung von Karl und Jakobus wird deutlich, wenn wir abschließend die Anfangspassage und die Geschichte über Karls Tod in den Kapiteln des Pseudo-Turpin kurz evozieren. Im Einleitungskapitel ist es die Vision, die dreimalige Erscheinung des Apostels, der Karl auch dazu aufruft, durch Heidenkampf sein vergessenes Grab und seine Verehrung zu stärken 69 . Mit dem dort genannten Sternenweg wurden auch die Zeichen des Jakobusgrabes neu vermessen, neben den Lichterscheinungen des Pelayo stand nun ein Sternenweg, der ganz Europa durchzog7 0. Was dann geschieht, künden die weiteren Kapitel des Textes, der auf verschiedene Aspekte hin in diesem Band erörtert wurde. In einem der letzten Kapitel zum Tod Karls hilft hingegen der Apostel, damit die Seele des karolingischen Kaisers errettet werden kann, indem er die guten Werke Karls unter anderem als Förderer von Jakobuskirchen in der Waagschale geltend machte 71 • Jakobus als Helfer bei Seelenwägenein beliebtes Motiv-, das sich nicht nur hier, sondern schon ähnlich in der Vita Heinrichs li. und anderswo feststellen läßt 72 und zeigt, wie das Beispiel des inzwischen schon kanonisierten heiligen Königs He inrich li. mit einer vergleichbaren Vision gewirkt haben mag. Wenn zunehmend seit dem 11. Jahrhundert Visionen die Heiligkeit einer Person andeuten 73 , dann zehrt auch das Bild des heiligen Karl von der Legitimation durch Jakobus wie umgekehrt die Festigung des Apostelkultes in Compostela von den neuen Traditionen des Pseudo-Turpin profitierte. Nach der oben zitierten Definition bilden sich mythische Bilder vor allem in Zeiten des Umbruchs74. Für den Mythos der beiden Personen 69 Vgl. neben der lateinischen Ausgabe, ed. HERBERS / SANTOS NOIA (wie Anm. 20) S. 201, auch die deutsche Übersetzung der Aachener Handschriften: Han s-Wilhelm K LE IN, Die Chronik von Kar! dem Großen und Roland. Der lateinische Pseudo-Turpin in den Handschriften aus Aachen und Andernach (Beiträge zu r romanischen Philologie des Mittelalters 13, München 19 86) S. 37 und 39. 70 Vgl. den Beitrag von Robert PLöTZ in diesem Band (S. 39-78). 71 Liber Sancti Jacobi, ed. HERBERS/ SANTOS NOIA (wie Anm. 20) S. 225 dt.: KLEIN, Die Chronik (wie Anm. 69) S. 37 und 39, vgl. ibid. S. 127. 72 Vgl.: Die Vita sancti Heinrici regis, hg. von STUMP F (wie Anm. 49) S. 303-305 und die Let. in Anm 49 . 73 Vgl. oben Anm. 61. 74 Vgl. oben Anm. 10. <?page no="209"?> Kar! der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen 193 Jakobus und Karl kann dies hinsichtlich der Vorstellungen, wie sie der Pseudo-Turpin evoziert, bestätigt werden. Neue Mythen entwickelten sich maßgeblich in einer mehrfachen Krisen- und Umbruchssituation: Es war die Zeit der sogenannten "Europäisierung" der Iberischen HalbinseF5, die Zeit der Kreuzzüge und der Kirchenreform7 6, es bestand aber auch eine Umbruchssituation in Santiago selbst, das nach dem ersten Platz in der spanischen Kirchenhierarchie strebte 77, und im römisch-deutschen Reich gab es Krisen angesichts eines im Schisma bedrohten Friederieb Barbarossa78. Da aber in diesen Phasen sich beide Personen in den Texten des Pseudo- Turpin stützten, Karl als Verehrer und Förderer des vergessenen Apostels, Jakobus als Anwalt des Kaisers nach seinem Tode, kann man -will man die Geschichten des Pseudo-Turpin teilweise zu den fundierenden Geschichten und damit zu denMythenrechnen-überspitzt formulieren: Ohne Karl kein europäischer Jakobus und ohne Jakobus kein heiliger, kein europäischer Karl. 75 Vgl. hierzu: HERB ERS , "Europäisierung" und "Afrikanisierung" (wie Anm. 4). 76 Vgl. hierzu Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von Werner Goez, hg. von Klaus HERBERS (Stuttgart 2001 ); und J erusalem im Hoch- und Spätmittelalter: Konflikte und Konfliktbewältigung-Vorstellungen und Vergegenwärtigungen, hg. von Dieter R. BAUER/ Klaus HERBERS/ Nikolas JASP ER T (Campus Historische Studien 29, Frankfurt am Main 2001). 77 Vgl. L6PEZ ALSINA, EI papado (wie Anm. 19). 78 Vgl. LAUDAGE, Alexander (wie Anm. 43). <?page no="211"?> St. Jakobus und Fulda ERIK SODER VON GüLDENSTUBBE I. Hinführung aus der Bibel Der Begriff "Haus Jakobs" steht in der Heiligen Schrift vielfach für Israel, das Gottesvolk des Alten Bundes, das sich auf den Patriarchen Jakob zurückführt, den Sohn Isaaks und Enkel Abrahams. Jakob war der Stammvater der zwölf Stämme Israels. Diese bilden in der Geheimen Offenbarung des Johannes als symbolische Vertreter die Hälfte der geheimnisvollen Vierundzwanzig Ältesten, die vor Gottes Angesicht stehen. Die anderen zwölf symbolisieren die Apostel, die die Gemeinschaft der Gläubigen des Neuen Bundes repräsentieren. So zieht sich gewissermaßen ein roter Faden vom ersten Buch der heiligen Schriften, das auf Griechisch "Genesis" genannt wird, wo von Jakob und seinen zwölf Söhnen die Rede ist, bis zum letzten Buch des Neuen Testamentes, das "Apokalypse" heißt, wo die Repräsentanten des Hauses Jakob zusammen mit dem Zwölferkreis, den Jesus von N azareth um sich sammelte, eine einzige Gemeinschaft bilden in der Anbetung und in der unauslotbaren Gegenwart Gottes. Im Apostelkreis taucht zweimal der Name Jakobus auf, von denen die Tradition seit langem den einen als den Größeren oder Älteren benennt, auf lateinisch Maior, den anderen als den Kleineren oder Jüngeren, auf lateinisch Minor. Der Heilige, dem die Wallfahrt zum Sternenfeld, Compostella gilt, zu dessen Ehre und zur Erforschung seiner Wirkungsgeschichte sich neben und mit vielen anderen Gemeinschaften auch unsere "Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft" -dieses Jahr inFulda-versammelt hat, ist natürlichJacobus Maior, einer der Jünger Jesu, der neben Petrus und Andreas, dem erstberufenen Brüderpaar, zusammen mit Johannes dem Evangelisten das zweite Brüderpaar bildet, und der zu denen zählt, die nicht nur als Mitglieder einer Gemeinschaft insgesamt, sondern auch als Einzelpersonen im Apostelteam deutlich werden. Bei aller Begeisterung für Santiaga und seine erneut aufgeblühte Wallfahrt dürfen wir die biblischen Wurzeln unserer Apostelverehrung nie vergessen und in unserer eigenen Lebenspilgerschaft unseren besonderen Weg der Nachfolge Jesu "im Geist und in der Wahrheit" Qoh. 4,23) erkennen. <?page no="212"?> 196 Erik Soder von Güldenstubbe Il. Der Tagungsort Fulda Wir haben uns in Fulda getroffen, einer Stadt, die, trotz ihrer heute über 80.000 Einwohner, eingeschlossen die Vororte Petersberg und Künzell, viele Menschen für eine liebenswerte, sehenswerte, aber eben doch relativ unbedeutende Kleinstadt halten. Dabei vergessen sie oft den Lebens- und Aufbauwillen von Alt- und Neubürgern, die nach vielen Zerstörungen und Menschenverlusten seit 1945 Fulda zum Mittelpunkt des osthessischen Raumes mit einem weiten Einzugs- und Einflußgebiet gemacht haben 1. Dabei wird vielleicht noch mehr vergessen, welche geistig-kulturelle, geistlich-religiöse Strahlkräfte diese Stadt über 1.200 Jahre in jeweils zeitgemäßer Form besaß und heute noch wirken läßt. St. Bonifatius, der große Missionar Christi, der Bildungsträger und Kirchenreformer des 8. Jahrhunderts steht mit St. Sturmius und St. Lioba am Beginn von Benediktinerabtei, von Wallfahrtsort, von der späteren Stadt zum heutigen Bischofssitz, häufiger Tagungsort der Deutschen Bischofskonferenz. Die Klöster, die sozialen und Bildungseinrichtungen dieser Stadt, das Priesterseminar, die Theologische Fakultät, die Landesbibliothek, bedeutende Museen und vorbildliche Grünanlagen und vieles andere geben Fulda Inhalt und Gewicht. Wenngleich die Geschichte dieser Stadt vom Christentum geprägt erscheint, ist keineswegs zu übersehen, daß auch das alte "Haus Jakob" hier Jahrhunderte lang eine Heimstatt fand, bis Rassenwahn und verblendete Großmannssucht dem Leben der jüdischen Gemeinde von Fulda ein Ende setzte. III. Fulda ein alter Verkehrsknotenpunkt Alle Anreisenden zu dieser Tagung haben es bemerkt, wie wichtig Fulda auch als Verkehrsknotenpunkt ist. In gewisser Weise galt das bereits für das Mittelalter. Wenngleich heute noch gern der Topos kolportiert wird, Bonifatius habe sein Lieblingskloster in die wilde Waldeinsamkeit Buchoniens hineingegründet, so zeigt uns heute die Archäologie, daß bereits vor der Klostergründung im Jahre 744 Fulda ein ansehnlicher Adelssitz war, der naturgemäß schon Mittelpunktsfunktion für einen größeren Umkreis besaß. Luitgard Gedeon hat in den Jakobusstudien Band 10 mittelalterliche Straßen- und Pilgerwege durch Hessen kartiert, die zwar Frankfurt am Main fokussieren, aber doch auch Fuldas Besitz in diesem Wegenetz verdeutlichen2. 1 Anton SCHMITI, Führer durch Fulda (Fulda 199514) S. 42. 2 Luitgard GEDEON, Spuren der Jakobusverehrung und das Zusammentreffen alter Pi! - <?page no="213"?> St. Jakobus und Fulda 197 Da kommt von Norden her eine Straße, die von Nord- und Ostsee herführend, Bremen, Paderborn, Kassel, Rotenberg, Hersfeld mit Fulda verbindet und nach Süden über Hammelburg, Würzburg, Nürnberg weiterläuft. Vom Rhein her und vom Unterlauf des Mains her führen gleich mehrere historische Straßen nach Fulda, genannt seien nur die Linien von Mainz über Altenstadt als nördlich herziehende oder die von Frankfurt-Hanau-Gelnhausen, Steinau an der Kinzig und Schlüchtern nach Fulda als die südlichere Route, die von hier aus weiterlief nordöstlich über Hünfeld, Vacha, Eisenach, Erfurt, Leipzig etc. Wie Frau Gedeon zu Recht vermerkt, zogen auf diesen Handelsstraßen mit vielen sonstigen Verkehrsteilnehmern auch Pilgerströme nach dem Heiligen Land, nach Rom, nach Aachen und Würzburg undnicht zu übersehennach Santiago de Compostela mit den vielen Möglichkeiten der Einkehr am Wege, in Pilgerherbergen und Hospizen, in Klöstern und Pfarrhöfen, in Städten, Dörfern, Bauernhöfen usw. Anders als Spanien kannten die deutschen Lande keinen "Camino", einen oder mehrere festgelegte Routen, auf denen die Fernpilger zogen, geschützt vor feindlichen Übergriffen, in regelmäßigen Abständen aufgenommen durch Pilgerherbergen etc. Die deutschen Pilger zogen auf den gewöhnlichen Straßen, die einen nach Norden, um den Seeweg durch Nord- und Ostsee zu wählen, die anderen den Rhein abwärts, wieder andere auf Landwegen westlich durch Frankreich, südwestlich durch die Schweiz oder nach Süden, um dann entweder die italienischfranzösische Mittelmeerküste zu wählen, oder von einem der ligurischen Häfen die Überfahrt nach der iberischen Halbinsel zu wagen oder sonstwie. Ein Servitenmönch Hermann Künig aus Vach schrieb in gebundener Literaturform bis zum St. Annen-Tag 1495 einen Pilgerführer nach Santiago. Was hat das mit Fulda zu tun? Das lange gesuchte Kloster lag in Vacha, einer Stadt, die bis 1648 zur Fürstabtei Fulda gehörte mit Burg, Amt und Gericht3. Wie die Pilger aus oder durch das Deutsche Reich hindurch zogen, interessierte Hermann Künig nicht. Ein paar Verse mögen dies beleuchten: gerwegein Frankfurt am Main, in: Stadt und Pilger. Soziale Gemeinschaften und Heiligenkult, hg. von Klaus HERBERS Qakobus-Studien 10, Tübingen 1999) S. 141-160, hier 146, Abb. 3. 3 Waldemar Kü TH ER, Vacha und sein Servitenkloster im Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 64, Köln/ Wien 1971) S. 151; Konrad HÄBLER, Das Wallfahrtsbuch des Hermanns Künig von Vach und die Pilgerreisen der Deutschen nach Santiago de Compostela (Strassburg 1899); Klaus HERBERS / Robert PLÖTZ, Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans "Ende der Welt" (München 1996) S. 182-209; Berthold]Ä GER, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit: Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung (Schriften des hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 39, Mar burg 1986) siehe S. 480 im Register. <?page no="214"?> 198 Erik Soder von Güldenstubbe Ich Hermannus Künig von Vach mit Gottes Hulff wil mach eyn kleynes Buchelyn, das sal sant ]acobs-Straß genannt syn, darinne ich willle(h)ren Wege und Stege und wie syner eyn iglicherJacobbruder sal pflege... Darumb saltu [ = sollst du] es frö(h )liehen heben an und salt [ = sollte] erst zu den Eynsideln gan [ = gehen). Das hieß nichts anderes, als daß der fromme Wanderer seinen Pilgerführer erst im schweizerischen Wallfahrtsort Maria Einsiedeln beginnen läßt4. Wir werden auf die Pilgerschaft zurückkommen. Zunächst aber wollen wir vorstellen, wie die Fuldenser Nachrichten über den hl. Jakobus erhielten und wie sie sein Andenken ehrten. Die erste Frage läßt sich aus meinen einleitenden Worten leicht klären: Aus der Heiligen Schrift erfuhren die Christen von den Jakobusgestalten der Bibel, und besonders die Apostelschar gilt als vorbildlich und verehrungswürdig. Am 1. November des Jahres 819 weihte der Mainzer Erzbischof Haistulf die damals fertiggestellte Klosterkirche inFuldamit 13 Altären; allein schon von der Zahl her symbolisiert dies die Gemeinschaft J esu mit seinen 12 Aposteln. Zu Ehren des Erlösers, seiner irdischen Mutter Maria, des Apostels Petrus und aller Apostel, des hl. Johannes des Täufers, des hl. Bonifatius und anderer Heiligen wurde der unter Abt Ratgar 791 begonnene Kirchenbau dediziert5. Von den meisten Heiligen wurden damals auch Reliquien in den genannten Altären eingelegt. Im Jahr darauf wurde inmitten der Abteikirche ein Heiligkreuzaltar und ein Altar der heiligen Apostel Philippus und Jakobus geweiht, letzterer stand wohl im Klosterbereich6. Nach einer Notiz des Theologen und Kirchenhistorikers Georg Witzelaus der Mitte des 16. Jahrhunderts sah er noch mit eigenen Augen ein Auläum, in dem die Forschung ein Antependium sieht, also die textile Verkleidung einer Altarmensa, nach Witzeis Worten in vestustissimo aulaeo, also "sehr alt", vermutlich in das Frühmittelalter zurückreichend. Interessant wird uns dieses Kunstwerk durch sein von der Apokalypse her bestimmtes ikonographisches Programm: In der Bildmitte steht die Figur der Ecclesia, der geschmückten Braut, die Kirche, die für ihren BräutigamJesus Christus sich bereitet, rechts von ihr stehen die Propheten des Alten Bundes, links die Reihe der zwölf AposteF. 4 Pilgerführer nach Santiaga de Compostela (1495). Von Hermann Künig von Vach, hg. von Ludwig HENGSTMANN/ Heinrich WIPPER (Solingen 1996), hier S. 2; vgl. auch: Hanna BöcK, Einsiedeln. Das Kloster und seine Geschichte (Zürich/ München 1989). 5 Erwin STURM, Die Bau- und Kunstdenkmale der Stadt Fulda (Zürich/ München 1984) s. 26, 73. 6 STURM, Bau- und Kunstdenkmale (wie Anm. 5) S. 73. 7 Ludwig PRALLE, Eine Mitteilung Georg Witzels über Kunstwerke der Fuldaer Stiftskirche, Fuldaer Geschichtsblätter 46 (1970) S. 1-6, hier bes. S. 2- 5. <?page no="215"?> St. Jakobus und Fulda 199 Auf dem nahegelegenen Petersberg ließ der berühmte fuldische Abt Rahanus Maurus, der von 822-842 sein Kloster leitete, eine Kirche mit einem benediktinischen Konvent errichten. In der Apsis war die Himmelfahrt Christi und die Sendung des Heiligen Geistes gemalt, beide Szenen des. N euen Testamentes werden mit den Aposteln dargestellt, und folgerichtig war der Hochaltar wieder dem Erlöser, lat. salvator, geweiht sowie den 12 Aposteln 8. Der sprachbegabte Abt Raban schrieb zu den Gemälden und den Weihetiteln aller Altäre jeweils kleine Verse auf Latein. Auch im heutigen barocken Dom zu Fulda finden wir die Apostelschar dargestellt, gemäß einem Wort des hl. Paulus stehen die Glaubensboten als "Säulen" (vgl. Gal. 2,9) bzw. an den Stützen der kreuzförmigen, dreischiffigen Pfeilerbasilika. Fürstabt Adalbert von Schleiffras ließ unter seinem ArchitektenJohann Dientzenhafer 1704-1712 das großartige Bauwerk errichten. Giovanni Battista Artari schuf die überlebensgroßen Apostelfiguren aus Stuck9. IV. Die beiden Apostel mit dem Namen Jakobus in der fuldischen Liturgie Wenden wir uns nun kurz der Verehrung der beiden Apostel mit dem NamenJakobus in der fuldischen Liturgie zu. Eines der frühesten Zeugnisse liturgischen Lebens im Bereich der alten Diözese Würzburg ist das Sacramentarium Fuldense, das im 10. Jahrhundert geschrieben wurde. Darin steht für den 1. Mai das Fest der Apostel Philippus und Jakobus des Jüngeren. Entsprechend dem Aufbau dieses Sakramentars fehlen hier die Texte für Introitus, Graduale, Offertorium, Communio sowie die der Schriftlesungen. Dafür entsprechen dem Missale Romanum die bereits in Sacramentarium Gregorianum und die hier im 10. Jahrhundert aufgezeichneten Texte für die Oratio: Deus, qui nos annua apostolorum tuorum Philippi et lacobi sollemnitate laetificas ... für das Gebet Super oblata, später Secreta genannt: Munera domine ... sowie das GebetAd complendum, später Postcommunio genannt: Quesumus domine.... Abweichungen zu den jüngeren Formularen bietet dagegen das fuldische Sakramentar in der Praefatio und in zwei weiteren Orationen, die darin zur Wahl stehen. Der Text der Praefatio lautet hier: 8 Anton SCHMITI, Der Petersberg bei Fulda. Grabeskirche der heiligen Lioba (Fulda 19916) s. 3. 9 STURM, Bau- und Kunstdenkmale (wie Anm. 5) S. 74, 88. <?page no="216"?> 200 Erik Soder von Güldenstubbe Vere dignum ... Aeterne deus. Qui aecclesiam tuam in apostolica soliditate fundasti, de quarum consortio sunt beati Philippus et Iacobus, quarum passionis hodie festurn venerarnur poscentes, ut sicut eorum doctrinis instituimur, ita exemplis muniamur et precibus adiuvemur, per Christum ... Aliae orationes: Seatorum apostolorum Philippi et Iacobi honore continuo domine plebs tua semper exultet et bis presulibus gubernetur, quarum et doctrinis gaudet et meritis, per Christum ... Alia: Deus, qui es omnium sanetarum splendar mirabilis quique hunc diem beatorum apostolorum Philippi et Iacobi martyrio consecrasti, da aecclesiae tuae de natalicio tantae festivitatis laetari, ut apud misericordiam tuam et exemplis eorum et meritis adiuvemur, per Christum ... 10 Auch die Oration ad complendum im Sakramentar wich etwas von dem späteren Missale-Text ab: Ad complendum: Beati apostoli tui Iacobi, cuius hodie f estivitate corpore et sanguine tuo nos refecisti, quesumus domin e, intercessione nos adiuva, pro cuius sollemnitate percepimus tua sancta laetantes. Eine weitere Oratio schloß sich im Sacramentarium Fuldense an: Sollemnitatis apostolicae multiplicatione gaudentes dementiam tuam deprecamur, omnipotens deus, ut tribuas nos eorum iugiter et confessione benedici et patrociniis confoveri 11 . V. Das Fest von Jakobus dem Älteren Für den 25. Juli wurdenoch ohne Vigilfeierim Fuldaer Sakramentar das Gedächtnis des ApostelsJakobus d.Ä. verzeichnet. Auch hier fehlen gegenüber dem jüngeren Missale Romanum die Gesangstexte und die Angaben der biblischen Perikopen. Ebenso wurde in der frühmittelalterlichen Handschrift noch nicht d er hl. Christoph kommemoriert. Vielleicht nur beiläufige Schreibvarianten waren die Worte aptae und placitae in der Secreta des Missale Romanum gegenüber der Form apta und placita im Sacramentarium Fuldense. Ebenso blieb später das Possessivpronomen beim Apostel weg, die Stelle beim Gabengebet lautete früher so: Oblationes populi tui domine quesumus beati apostoli tui Iacobi passio beata conciliet et quae nostris non apta sunt meritis, fiant tibi placita eius deprecatione. 10 Sacramentarium Fuldense saeculi, edd. Gregor RICHTER/ Albert SCHÖ NFELDER (X. Cod. Theol. 231 der kgl. Universitätsbibliothek zu Göttingen) (Quellen und Abhandlungen der Abtei und Diözese Fulda 9, Fulda 1912) S. 103, Nr. 126. 11 Sacramentarium Fuldense saeculi, edd. RICHTER/ SCHÖNFELDER (wie Anm. 10) S. 131f., Nr . 172. <?page no="217"?> St. Jakobus und Fulda Die Praefation im Sakramentar lautete so: 201 Vere dignum ... aeterne deus. Quia licet nobis salutem semper operetur divini celebratio sacramenti, propensius tarnen nobis confidimus profuturam, si beati apostoli lacobi intercessionibus adiuvemur. Von 1486 stammt der Festkalender der Fuldaer Stadtpfarrei. Darin wurde der Jakobustag unter die festa chori et fori gerechnet, d.h. es wurde in der Kirche und außerhalb gefeiert12. Im Jahre 1627 schrieb der päpstliche Nuntius Petrus Aloysius Carafa der Abtei Fulda vor, sie möge sich in Zukunft an das durch Papst Paul V. (1605-1621) eingeführte einheitliche Breviarium Romano-Monasticum aus dem Jahre 1612 halten. Kurz vor dieser Anordnung, nämlich 1615, hat der Benediktiner P. Michael Drisch, Professe des St. Andreasklosters bei Fulda, den bis dahin geübten liturgischen Gebrauch der Abtei aufgezeichnet unter dem Titel: Registrum secundum usum et ritum chori maioris ecclesiae Fulden- SlS. Darin steht zu unseren beiden Heiligenfesten: In vigilia apostolorum Philippi et Jacobi: In festo apostolorum Philippi et facobi [1. Mai): Ad primas Vesperas cum collecta de sancta Walpurga sub una conclusione. Ad priorem missam leut man aufm Thorn [=Turm] und wird de apostolis ipsis gesungen. Summum officium est decani. (Chorkappen)." Ausführlicher ist der 25. Juli gehalten: Vigila S. facobi apostoli. Ad primas Vesperas leut man aufm Thorn zusammen; cum collecta de sancto Christopharo sub una conclusione. Ad priorem missam leut man aufm Thorn. Nb. Vicarius in capelle S. Jacobi muss dieser Tage daselbsten missam celebrieren, gemeiniglich geschichts gleich nach der frue Mess und nach der Predig(t). Summamissa est decani. In secundas vesperas servetur festive deS. Anna. Nb. Per octavam debem us suffragium de sancto facobo ad vesperas et ! audes et ad publicam missaml3 . Das Fest der beiden Apostel Philippus und Jakobus des Jüngeren war durch eine Feier am Vortag ausgezeichnet, eine sogenannte Vigil. Der 25. Juli aber hatte darüber hinaus noch die Auszeichnung einer Oktav, d.h. eine ganze Woche lang wurde des Apostels Jakobus d.Ä. in der vorgeschriebenen Weise gedacht und seine Fürbitte bei Gott (lat. suffragium) erfleht. 12 Ludwig PRALLE, Die Stadtpfarrei Fulda. Pfarrei und Archidiakonat im Mittelalter (Quellen und Abhandlungen der Abtei und Diözese Fulda 16 ," Fulda 1952) S. 62. 13 Gregor RI CHTER, Zur Reform der Abtei Fulda unter dem Fürstabte Johann Bernhard Schenk von Schweinsberg nebst einem Anhange: D as Proprium sanctorum ecclesiae Fuldensis seit dem Anfange des XVII. Jahrhunderts (Quellen und Abhandlungen der Abtei und Diözese Fulda 6, Fu lda 1915) S. 129f., 140, 147. <?page no="218"?> 202 Erik Soder von Güldenstubbe Das Gesangbuch, das in sechster Auflage in Fulda und Würzburg 1797 in der Stahelschen Buchhandlung erschien, trägt den Titel Der nach dem Sinne der katholischen Kirche singende Christ, das vom fuldischen Fürstbischof und -abt Heinrich von Bibra14 1778 authorisiert wurde; es enthält kein eigenes Jakobuslied. Dafür stehen in der Abteilung "Allgemeine Lieder auf die Heiligen Gottes" vier Lieder "Auf die heiligen Apostel". Diese stellen Übertragungen der alten lateinischen Sequenzen dar, deren Initien so lauten: Exultet orbis gaudiis. ... Aeterna Christi munera... Auf die Apostel zur österlichen Zeit: Tristes erant Apostoli .. . Paschale mundo gaudium .. . zu deutsch: Im Himmel müsse Lob erschallen ... mit Noten, 5 Strophen Herr! die Apostel, diese Gaben, mit denen du die Kirch' erfreut. .. 5 Strophen, Melodie wie oben Bang waren der Apostel Herzen, zerrissen waren sie in Schmerzen ... 6 Strophen, Melodie w ie S. 70 das Lied: Nachdem viel tausend Jahr verflossen. Der Sonne glänzendes Geschmeide verkündiget die Osterfreude ... 15 Deutlich wird hier die enge Verbindung zwischen Christus und seinem Erlösungswerk mit den Aposteln, wie es in diesen Liedern und den dazugehörigen Gebeten spürbar wird. Daneben ist festzustellen, daß es sich bei den deutschsprachigen Liedern um Übertragungen der offiziellen liturgischen Texte handelt. VI. Früh erfuhren die fuldischen Mönche von Santiago de Compostela. Der Zusammenhang zwischen Santiago- .. wallfahrt und den frühesten Kirchen von St. Jakobus d.A. in Franken Die Santiagawallfahrt und die Entstehung von Jakobuskirchen in Franken hängen eng zusammen 16. Wir kommen dabei auf die Karolingerzeit zurück. 14 Reg. 1759-1788, vgl. Marina v. Bibra, Heinrich VIII.- Fürstbischof von Fulda, in: Fränkische Lebensbilder 4 (Würzburg 1971) S. 213-229. 15 Der nach dem Sinne der katholischen Kirche singende Christ (Fulda / W ürzburg 31797) S. 381-386, Nr.194- 197, S. 382-386. Melodiewie S. 70; DAW =Di özesan-Archiv Würzburg, Sign. IV, 317,1. 16 Gerd ZIMMERMANN, Patrozinienwahl und Frömmigkeitswahl2, Würzburger Diözesan Geschichtsblätter 21 (1959) S. 34- 36. <?page no="219"?> St. Jakobus und Fulda 203 Der große Rahanus Maurus, Abt von Fulda und Erzbischof von Mainz, hatte neben vielen anderen literarischen Werken ein Verzeichnis von bedeutsamen Heiligen zusammengestellt, ein sogenanntes Martyrologium. Darin wurde um 850 auch eingetragen, der ApostelJakobus sei im nordspanischen Galicien beigesetzt 17 . Etwa gleichzeitig ist der entsprechende Eintrag, der in einem Kloster der Diözese Metz in das dort vorliegende Martyrologium des Florus von Lyon vorgenommen wurde, datiert18. Das 896 niedergeschriebene Martyrologium des Mönches Notker Balbulus (t 912) vom Kloster St. Gallen fand noch weitere Vorbereitung. Vielleicht war der fuldische Abt Werinhar der erste Pilger aus dem Frankenland, der nach Santiaga de Compostela ging. Jedenfalls weihte er in seiner Amtszeit (968-982) in Großburschia an der Werra, wo ein fuldisches Nebenkloster bestand, eine neue Kirche. Allerdings verbrannte dieses Gotteshaus, die ecclesia sancti ]acobi schon 1008; dessen Nachfolgebau trug dann, wenigstens ab 1276, den Weihetitel des hl. Bonifatius. 1072 weilte der frühere Abt von Fulda (1058-1060), damals aber schon Erzbischof von Mainz, Siegfried von Eppstein, in Compostela. Er gilt als der erste gesicherte, namentlich bekannte hochrangige Santiagapilger aus Deutschland 19 . 1076/ 77 pilgerte der fuldische Abt Ruthard nach Santiago. Dabei ließ er sich und seine Klostergemeinschaft in die Gebetsbruderschaft des Domkapitels zu Compostela aufnehmen. Die Urkunde über diesen feierlichen Akt wurde auf dem Altar über dem Apostelgrab niedergelegt 20. 1092 werden inFuldabei der Weihe der St. 17 Robert PLöTZ, Santiago-Peregrinatio und Jacobus-Kult mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Frankenlandes (Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 31, Münster 1984) S. 25-135, hier: S. 60; s.a. STURM, Die Bau- und Kunstdenkmale (wie Anm. 5) S. 21-24. 18 Josef LEINWEBER, Die Santiago-Wallfahrt in ihren Auswirkungen auf das ehemalige Hochstift Fulda, Fuldaer Geschichtsblätter 52 (1976) S. 134-155, hier S. 135f.; über das davon abhängige Martyrologium des Usuardus von Saint-Germain-des Pres ging diese Nachricht vom Apostelgrab in Nordgalicien auch in das Mart yro logi um Romarrum ein. Prof. Leinweber sieht in diesen Einträgen "Grundlage und Anregung für das Aufblühen der Santiagawallfahrt aus ganz Europa", ebd. S. 136. Um 900 sind bereits Wallfahrer dorthin aus dem Bistum Freising belegt, siehe: Hermann J. HüPFER, Die spanische Jacobusverehrung in ihren Ausstrahlungen auf Deutschland, Historisches Jahrbuch 74 (1956) S. 124-138, hier S. 127. 19 Josef LEINWEBER, Die Fuldaer Äbte und Bischöfe (Frankfurt a.M., 1989) S. 44; Josef Leinweber, Das Hochstift Fulda vor der Reformation (Fulda 1972) S. 219; Heinrich BüTTNER, Das Erzstift Mainz und die Klosterreform des 11. J ahrhunderts, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 1 (1949) S. 30-64, hier bes. S. 44; Hein z THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz und die Tradition seiner Kirche, Deutsches Archiv 26 (1970) s. 386-399. 20 LEI NWEBER, Die Fuldaer Äbte und Bischöfe (wie Anm. 19) S. 47; LEINWEBER, Die Santiagawallfahrt (wie Anm. 18) S. 137f., wo er die fälschliehe ältere Annahme berichtigt, erst Abt Heinrich (1192-1216) habe mit "seinem Prior Ruthardt" diese Verbrüderung geschlossen. <?page no="220"?> 204 Erik Soder von Güldenstubbe Michaelskirehe unter dem reichen Reliquienschatz dieser Abtei auch Sarkophagteile genannt, die vom Apostelgrab des heiligen Jakob stammen sollten 21 . 1197 zog wieder ein fuldischer Abt, nämlich Heinrich von Kronberg, der zu Beginn seines Ordenslebens Mönch des staufischen Klosters Comburg bei Schwäbisch Hall gewesen war. Auf dem Wege nach Santiaga ließ er sich im burgundischen Cluny in die Bruderschaft dieses berühmten Klosters aufnehmen. Seine lange Abwesenheit von Fulda aber nahmen ihm die Mitbrüder übel, denn die Abtei war währenddessen schutzlos habgierigen Vögten und Ministerialen ausgeliefert. Nach dem plötzlichen Tod des Kaisers Heinrich VI. unterstützte Abt Heinrich den Staufischen Thronbewerber Philipp von Schwaben gegen dessen Konkurrenten, den Welfen Otto von Braunschweig. Abt Heinrich stiftete nach seiner Rückkehr aus Compostela Geld zu besonderen Mahlzeiten mit Wein, die dem Konvent alljährlich an seinem Todestag und am Vigiltag des Jakobusfestes zugute kommen sollten22. Die Benediktiner ließen neue Kirchen dem heiligen Apostel weihen, so 1182 eineSt. Jakobuskapelle in der Abtei Amorbach, die für Pilger und das Gesinde bestimmt war 23 ; in Fulda errichtete der Abt Bertho von Leibolz (1261-1271) in seiner Wohnung direkt neben der alten Stiftskirche eine Jakobuskapelle, in die im 14. Jahrhundert zwei Vikarsstellen gestiftet wurden. Mit dem Landgrafen Heinrich von Thüringen verbündete sich Bertho gegen Raubritter, die sogar vor Übergriffen auf Santiagapilger nicht zurückgeschreckt waren. Räuberische Stiftsvasallen haben dann auch ihren großen Gegner 1271 in eben seiner St. Jakobuskapelle aus Rache ermordet24. Im fuldischen Hünfeld wird 1283 erstmals das Jakobuspatrozinium der Pfarrkirche belegt 25 . Kurz danach wird auch für die Kirchen von Kissingen und Urphar derselbe Weihetitel nachweisbar. 1286 stiftete 21 Gregor RICHTER, Nachrichten über die Michaelskirehe in F ulda, Fuldaer Geschichtsblätter 16 (1922) S. 49-61, 105-112, hier: S. 111; LEINWEBER, Die Fuldaer Äbte und Bischöfe (wie Anm. 19); über Fulda und Würzburg allgemein vgl. auch Peter J. JöRG, Würzburg und Fulda. Rechtsverhältnisse zwischen Bistum und Abtei bis zum 11. Jh. (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Hochstifts Würzburg 4, Würzburg, 1951). 22 LEINWEBER, Die Fuldaer Äbte und Bischöfe (wie Anm. 19) S. 65; LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 138. 23 P. Anton KLUG, Collecteanorum ad conscribendam aliquando monasterii Amborbacensis (Vol. 1, 1732) S. 395-399; ZIMMERMANN, Patrozinienwahl (wie Anm. 16) S. 35; im Schwedenkrieg wurde die Kapelle verwüstet, Abt Engelbert Kimbacher (1727-53) ließ sie restaurieren; Ignaz GROPP, Aetas mille annorum ... monasterii B.M.V. in Amorbach (Frankfurt 1736) S. 132. 24 LEINWEBER, Die Santiagowallfahrt (wie Anm. 18) S. 140; LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 18) S. 72-75. 25 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 69. <?page no="221"?> St. Jakobus und Fulda 205 nämlich ein Schuhmacher Konrad aus Nüdlingen Geld für einen Neubau der Kissinger Kirche zu Ehren der Gottesmutter und des hl. Jakobus26. 1297 erteilte der Mainzer Erzbischof Gerhard allen Wohltätern der Kapelle zu Urphar einen Nachlaß ihrer Sündenstrafen, nicht zuletzt für die, die an Jakobi oder am Kirchweihfest darin beten 27 . Natürlich ist die hochgelegene, ehemalige Wehrkirche zu Urphar älter als die genannte Urkunde, auch ist zu erwähnen, daß der Ort bereits 775 als zur fuldischen Propstei Holzkirchen zugehörig bezeichnet wird. Aber nicht immer ist das Alter der Gebäude gleich dem Alter der Kirchenpatrozinien. Hier ist schon manche Verwirrung eingetreten28. 1957 ließ in Dalherda die ökumenisch ausgerichteten Jakobus-Bruderschaft eine Kapelle segnen, die dem Gedenken des Herrenbruders Jakobus bestimmt ist, die bisher einzige mit diesem Patrozinium im Untersuchungsraum. VII. Benediktiner Es sind wohl die meisten Jakobuspatrozinien des Mittelalters auf adelige Einflüsse zurückzuführen. Zahlenmäßig an zweiter Stelle steht jedoch der Einfluß der Benediktiner, so in Amorbach, Münsterschwarzach (von dem aus 1096 das St. Jakobskloster in Pegau besiedelt wurde), Fulda und beim Würzburger Schottenkloster, wobei sich schon hier daneben gelegentlich auch der Einfluß der Bischöfe geltend machte. In Urphar kann die fuldische Propstei Holzkirchen mitbestimmend gewesen sein, ebenso wie viel später in Lengfurt, in Gadheim war es sicher das Kloster St. Stefan in Würzburg, in Hohenberg war Patronatsherr Ellwangen, das bis 1460 Benediktinerabtei war, bevor es zur Fürstpropstei säkularisiert wurde. Puldiseher Einfluß machte sich vielleicht mittel- oder unmittelbar in Hünfeld, Dorf-Allendorf, Löschenrod, Niederbieber, Wartmannsroth, Weichtungen, Welkers, Dietershan, Herolz, Steinau, Traisbach und Thalau geltend. Comburger Einfluß, damals sicher 26 StAW, WU 3894. 27 Gustav ROMMEL, Urphar am Main. Ein Beitrag in Geschichte und Kulturgeschichte der ehemaligen Grafschaft Wertheim Qahrbuch des Historischen Vereins Alt- Wertheim 1923, Wertheim/ M. 1924) S. 60- 134, hierS.140; Fotound Transkription der Urkunde in: St. Jakobus in Franken, hg. von Klaus-Dietrich KNI FFK I (Würz bur g 1992) s. 27, 36f. 28 Ein besonders problematisches Beispiel ist das Werk von Friedrich HI L LER, Die Kirchenpatrozinien des Erzbistums Bamberg (Würzburg 1932); vgl. die berechtigten Kritiken und notwendigen Ergänzungen von Franz-Joseph BENDE L, Kirchenpatrozinien im Erzbistim Bamberg, Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 8 (1933) S. 36-45 und Wilhelm DEINHARDT, Patrozinienkunde, Historisches Jahrbuch 56 (1936) s. 174-207. <?page no="222"?> 206 Erik Soder von Güldenstubbe noch benediktinisch, auf Schwäbisch Hall ist anzunehmen. Banzer oder Michelsherger Beziehungen haben vielleicht in Ebing oder in Herreth mitbestimmt; gewiß hat die ehemalige Bamberger Benediktinerabtei auf dem Berg des Erzengels Michael in den Gemeinden Viereth und Etzelskirchen patrozinienbildend gewirkt, möglicherweise daneben in Gollachostheim, eventuell auch in Machtilshausen. Münsterschwarzach hat vielleicht auch auf Altmannshausen, Kirchschönbach, Mainstockheim oder auf Großlangheim Einfluß genommen. Wartmannsroth hatte frühe Rechtsbeziehungen zum "neuen" Spital in Fulda. Betrachten wir einige Orten im fuldischen Bereich mit dem St. Jakobus-Patrozinium etwas genauer: Bremen bei Vacha/ Rhön, Thüringen I. Ehern Würzburgisches Landkapitel Geisa 29 , heute im Bistum Pulda, früher Filiale von Schleid, dann selbständig, spätestens seit 1341. II. Jakobus d.Ä. Patrozinium 30. Okt. 1501 bezeugt 30 , daneben noch St. Barbara 3 1, heutige kath. Pfarrkirche 1730 unter dem fuldischen Fürstabt Adolf v. Dalberg erbaut32, am 21.8.1735 konsekriert33. III. Ab der Separation war Collator der Pfarrer der Mutterpfarrei Schleid34. Ein Pleban von Bremen wird 1341 genanm35. Rüchenberg eingemeindet nach Eichenzell/ Hessen I. Früher altwürzburger Landkapitel Geisa 36 , ehemalige Filiale der Pfarrei Hattenhof, heute Pfarrkuratie, Dekanat J ohannesberg, BistumFulda. 29 Franz Joseph BENDEL, Die Würzburger Diözesanmatrikel aus der Mitte des 15 . Jahrhunderts [abgekürzt: DM], Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 2 (1934) 1--46, DM [1464] 703. 30 Diözesan Archiv Würzburg, S. 1 fol. 9v .; LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) s. 82. 31 Otto Alfred FRITZ, Mittelalterliche Kirchenpatrozinien in Südthüringen, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 34 (1972) 79-112, hier: 104 ev. Superintendentur Vacha. 32 Adelbert SCHRÖTER, Land an der Straße. Die Geschichte der katholischen Pfarreien in der thüringischen Rhön (Leipzig 1966 , Neuauflage 1989) Bild bei S. 113, 120, 132 u.ö. S. 24, 114f., 125f.; Friedrich MöBr us/ Helga Mö BIUS, Deutsche Kunstdenkmäler. Ein Bild-Handbuch: Thüringen (Darmstadt 1968) S. 358; Anton SCHMITT, Die Kunst des Fuldaer Barock (Fulda 1949) S. 46. 33 Dominikus HELLER, Aus den pfarreien des Fürstbistums Fulda 3 (Fulda, 1957) S. 276f. 34 Ebd. 35 Diözesan Archiv Würzburg S. 1 fol. 9v. 36 DM (1464] Eichenzell Nr . 738. <?page no="223"?> St. Jakobus und Fulda 207 II. Kapelle 1630 erwähnt, Patrozinium 1656 mit Jakobus, Martin und Nikolaus genannt37. Die heutige Kirche 12. Juli 1909 auf St. Jakobus konsekrien38. 111. Collator der Mutterpfarrei um 1450 der Propst von Johannesberg bei Fulda39. Dalherda eingemeindet in die Stadt Gersfeld/ Hessen I. Ehemals im altwürzburgischen Archidiakonat Fulda gelegen, bis zur Reformation durch die von Ebersberg genannten Weyhers evangelisch, Filiale der Pfarrei Dietershausen, katholischerseits im Bistum Fulda gelegen40. II. 1. Mai 1975 Kapelle zu Ehren von St. Jakobus, den Herrenbruder, benediziert durch den Pfarrer Theo Hauf von Gau-Algesheim und P. Paul Löslein von Unterbernhards. 111. Initiative der ökumenischen St. Jakobus-Bruderschaft, deren Oberer Gustav Huhn in Dalherda wohnt41. Dietershahn eingemeindet nach Fulda/ Hessen I. Ehemals im Würzburger Archidiakonat Fulda, heute im Bistum. Fulda, früher Filiale der Dompfarrei, heute in der Pfarrei Lehnerz. II. Kapelle 1574 erwähnt, 1615 zerstört, Neubau von 1745, 1764 konsekriert. Bis 1615 soll das Patrozinium St. Jakobus d.Ä. und Anna anvertraut gewesen sein42; beim Neubau von 1745 nur noch St. Anna-Patrozinium, Jakobustag aber immer noch gefeiert. 1885 Abbruch und völliger Neubau, 1888 als St. Annakirche konsekriert. 111. Collator war der Stiftsdekan von Fulda oder der Propst vom Frauenberg 43 . 3? Ludwig PRALLE, Das Dom-Museum zu Fulda (Fulda 1965) S. 29; Kurzkataloge der volkstümlichen Kult- und Andachtsstätten (Würzburg 1982) S. 91; frdl. Hinweis von Frau Fels, Heidelberg. 38 Dominikus HE LL E R, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda 4 (1956) S. 454. 39 LE INWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 94 . 40 Dominikus HE LL ER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda 1 (1956) S. 8f; JÄGER, Das geistliche Fürstentum Fulda (wie Anm. 3) S.l96. 41 Diözesan Archiv Würzburg, Nachlaß von Bischof Josef Stangl, Rundschreiben von G. HUHN vom 9.7.1975 aus Dalherda. 42 lt. Isidor Schleicherts Fuldaer Chronik, hrg. von Gregor RICHTER (Fulda 1917); HEL- LE R, Aus den Pfarreien (wie Anm. 40) S. 49f. 43 Erwin S TURM, Die Bau- und Kunstdenkmale des Landkreises Fulda (Fulda 1962) S. 97f.; STURM, Die Bau- und Kunstdenkmale der Stadt Fulda (wie Anm. 5) S. 854- 858; LE INWEB E R, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 51, 54. <?page no="224"?> 208 Erik Soder von Güldenstubbe Dorf-Allendorf bei Salzungen a.d. Werra/ Thüringen I. Klostergut der Abtei Allendorf, später evangelisch lutherisch, in der Superintendentur Bad Salzungen, im Bistum Würzburg gelegen, aber unter dem Stift Fulda stehend44. II. Ehemalige St. Jakobskapelle, angeblich Wallfahrtsstätte, später profaniert, Flurknechts- und Hirtenwohnung45. 111. Früher Sitz einer hennebergischen Ministerialenfamilie, als Gutshof von Kloster Allendorf unter dem Stift Fulda46. Fulda I. Benediktinerabtei, ab 1752 Bistum. Die exemte Reichs-Abtei lag ehemals im XII. Würzburgischen Archidiakonat47. II. Im Südwesten der Stiftskirche die Kapelle St. Jakobus d.Ä., durch Abt Bertho v. Leibolz (1261-1271) errichtet, bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts Hauskapelle des Abtes 48 : Capella s. ]acobi in curia nostra veteris urbis nostrae. 1616 erhielten die Jesuiten die Einkünfte der Jakobuskapelle, 1631 ließ dort General Wolff Gottesdienste für Lutheraner abhalten. Wegen des Domneubaues in der Barockzeit wurde die Kapelle abgebrochen. Das Patrozinium übernahm die am 10. Sept. 1750 in der neuerrichteten Domdechanei auf B. Maria V. und S. Jakobus geweihte Hauskapelle in der Domdechanei, heute Teil des Dommuseums 49. 111. Gestiftet vom Abt zur Sühne, weil buchanisehe Ritter Santiagapilger überfallen hatten. Aus Rache ermordeten Raubritter 1271 den Abt in dieser KapelleSO. 44 L EINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 296-300 u.ö. (Abtei Allendorf betr. ); . JÄGER, Das geistliche Fürstentum (wie Anm. 3) S. 161, 188f. 45 Paul LEHFELDT/ Georg Voss, Bau- und Kuunstdenlkmäler Thüringens: Herzogtum Sachsen-Meiningen I/ 2 Oena 1910) S. 29; Otto A. FRITZ, Mittelalterliche Kirchenpatrozinien in Südthüringen, Würzburger Diözesan Geschichtsblätter 34 (1972) S. 79- 112, hier: S. 82. 46 Wie Anm. 44. 47 Julius KRIEG, Die Landkapitel im Bistum Würzburg bis zum Ende des 14. Jahrhunderts (Paderborn 1916) S. 19ff., 24, 27, 53,82 u.ö.; DM [1464] 943. 48 Josef LEINWEBER, Die Ausstattung der Fuldaer Stiftskirche im Spätmittelalter; für die Zuverfügungstellung des Manuskriptes wird H.H. Prof. Dr. Leinweber herzlich ge dankt; LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 219. 49 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm 40) S. 47f.; vgl. auch: Vatikanische Quellen zur Geschichte des Bistums Würzburg im XIV. und XV. Jahrhundert, bearb. von Wilhelm ENGEL (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 1, Würzburg 1948) Nr. 728 S. 119, Nr. 923 S. 148f. so HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm 40) S. 47; LEINWEBER, Fuldaer Äbte und Bischöfe (wie Anm. 19) S. 72-75. <?page no="225"?> St. Jakobus und Fulda 209 Altäre und anderes in der Abtei und in der Stadtpfarrei: 820 wurde wohl im Klosterbereich ein Altar der Heiligen Philippus und Jakobus geweiht51. 1076/ 77 wurde Abt und Konvent zu Fulda in eine Gebets-Bruderschaft des Domkapitels zu Santiago de Compostela aufgenommen 52 . 1092 im fuldischen Reliquiensschatz auch Überreste vom Sarkophag des Apostelgrabes in Santiago genannt53. In der Jakobuskapelle bestanden Vikariestiftungen je zu Ehren von St. Marien, errichtet 1334, und von St. Jakob54. Im September 1485 konsekrierte der Würzburger Weihbischof Georg Antworter OFM einen von der fuldischen Marienbruderschaft gestifteten Altar in der Stiftskirche zu Fulda, wobei u.a . Reliquien vom Grab Jesu, von den Aposteln Andreas, Philippus und Jakobus sowie vom hl. Kilian im Sepulcrum beigesetzt wurden55. In der Stadtpfarrkirche zu Fulda bestand ein bepfründeter Altar des hl. Jakobus. Collator war der Fürstabt zu Fulda56. Geisa Rhön, Krs. Bad Salzungen/ Thüringen I. Ehemals Würzburger Landkapitelssitz57, heute im Bistum Fulda. II. Pfarrkirche St. Walpurgis, 128758; 1. Okt. 1327 Ablaßurkunde des Würzburger Bischofs Wolfram für die Pfarrkirche St. Philippus und Jakobus d.J.59. Neubau um 1500, Pfeilerinschrift: 149760. 111. Collator war der Pieban der Mutterpfarrei Schleid61. Unter Abt 51 STURM , Bau- und Kunstdenkmale (wie Anm. 5) S. 73. 52 LEI NWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 47; LEI NWEBE R, Die Santiagowallfahrt (wie Anm. 18) S.134-155, hier S. 137f. 53 LE INWEBER , Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 205. 54 Christoph B RO W ER , Antiquitates Puldenses (Antwerpen 1616) S. 312; LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19); Vi kariebesetzungen durch Würzburger Klerike r, z .B. 1423 und 1426 siehe: Vatikanische Quellen (w ie Anm. 49) 119 Nr. 728, 148, Nr. 923 . 55 Ludwig PRALLE, Die Urkunden der Bruderschaft U.L. Frau in der Fuldaer Stiftskirche, Fuldaer Geschichtsblätter 46 (1970) S. 33-80, hier S. 52-54. 56 UBW, M. eh. q. 96 BI. 7v.. Frdl. Hinweis des 0. Archiv-Dir. i. R. Dr. Hermann Hoffmann, Würzburg. · 57 DM [1464) 17, 690; KRI EG , Landkapitel im Bistum Würzburg (wie Anm. 47) . 58 StA Marburg Extradenda 20 Weim ar (Freundlicher Dank an H.H. Prof. Dr. Leinweber-Fulda.) 59 Abschrift der Urkunde (16 . Jahrhundert) im Diözesan Archiv Würzburg, Urk.-Bestand; FRITZ, Kirchenpatrozinien (wie Anm. 31) S. 104: St. Walpurgis vor 1500, Phi! . u. Jak. 1656. 60 Paul LEH FE LDT/ Georg Vo ss, Bauu. Kunstdenkmäler Thüringen 37 Qena 1911) s. 86. 6! LEI NWE B ER , Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 81; JÄ GER, Das geistliche Fürstentum (w ie Anm. 3) S. 38 3 u.ö. <?page no="226"?> 210 Erik Soder von Güldenstubbe Ratgar (802-817) wurde Geisa fuldisch. Früherer Pfarrsitz war Borsch, im 14. Jahrhundert wird Geisa dominierend62. H erolz eingemeindet nach Schlüchtern/ Hessen I. Ehemals Würzburger Landkapitel Karlstadt63, heute Bistum Pulda, Dekanat Neuhof. II. Im mittelalterlichen Weistum von Herolz wurde das Jakobuspatrozinium genannt. 1656 werden als Patrone die Vierzehn Nothelfer genannt, die Kirchenweihe soll dann am Sonntag nach Jacobi gefeiert worden sein. 1677 Jakobus d.Ä., 1763 beide Patrone nebeneinander. Die mittelalterliche Kirche nach 1700 abgerissen, barocker Neubau 1713-1716, auch St. Jakobus geweiht, heutige Kirche 1913 gebaut und 27.9.1922 durch Bischof Joseph Damian Schmitt geweiht64. III. Collator war bis 1546 der Propst von Neuenberg, der das Patronatsrecht an den fuldischen Fürstabt abtrat65. H ünfeld! Hessen I. Im 12., dem fuldischen, Archidiakonat, dann im Würzburger Landkapitel Geisa66, heute im Bistum Fulda, Pfarrei. II. Pfarrkirche an der 1228 schon ein Pieban benannt ist. Der Kirchenpatron St. Jakobus d.Ä., 128367, anläßlich der durch Bischof Berthold von Würzburg verlegten Dedicationsfeier der Stiftskirche 62 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 38) S. 311 - 314, der einen Patroziniumswechsel von Walburga zu Philipp und Jakobus annimmt. Dies muß aber nicht der Fall gewesen sein, weil bekanntlich alle drei Heiligen ihr Fest am seihen Tag hatten. 63 DM [1464] 617; H EL LE R, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (w ie Anm. 40) S. 8, 10f. 64 Johann Friedrich S CHANNAT Qoannes Fridericus Schannat), Dio ec esis Fuldensis Cum Annexa Sua Hierarchia: qua continentur Praeter Parochiales Ecclesias LX. Cum Filialibus XCIII! . Nec Non Oratoriis Quam Plurimis Collegiatae Ecclesiae I. S. Jacobi In Borsla ... Ecclesiae Fuldensi Turn Olim, Turn Etiamnunc Immediate, Ac Pleno Iure Subiecta .. ./ Omnia Ex Monumentis Authenticis Historice Dilucidata, Addita Mappa Geographica, Aliisque Fig. Aeri Incisis Profert (Frankfurt a.M. 1727) S. 28; HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 38) S. 580 . 6S LE INWEBER, Das H ochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 62, siehe Kopialbuch von Neuenberg, StA Marbur g, Re chnungsb es tand, auch von J ac ob Grimm publiziert, sieh e: Jacob GRIMM, Weisthümer 3, bearb. von Richard SeHRÖDER (Göttingen 1869 ND Berlin 1957) lt. freund! . Mitteilung von H .H . Prof. Leinweber. Fuldisches Gericht in Herolz, siehe: JÄGER, Das geistliche Fürstentum (wie Anm. 3) S. 167. 66 KRIE G, Die Landkapitel (wie Anm. 47) S. 19f., 82; DM [1464] 719. 67 Erwin STURM, Bau- und Kunstdenkmäler des Landkreises Hünfeld (Fulda 1971) S. 163 - 185; Erwin STUR M, Stadtpfarrkirche St. Jakobus Hünfeld. Kunstführer (München/ Zürich 1982) N r. 1353. <?page no="227"?> St. Jakobus und Fulda 211 vom Fest Mariae Magdalena auf St. Jakobus d.Ä. genannt. Dies belegt auch die Visitation von 1656; der Hochaltar wurde am 8.10.1899 auf St. Jakobus geweiht. Die heutige Pfarrkirche 1518 gebaut und 1618 renoviert68. III. Bis 1267 war Collator dieser Pfarrei der Abt zu Fulda, danach das Kollegiatsstift Hl.-Kreuz in Hünfeld69. Leugenbrunn eingemeindet nach Bad Orb, Hessen I. Filiale von Orb, bis 1606 von Bieber, früher Dekanat Lohr bzw. Rodgau, Erzbistum Mainz, heute Bistum Fulda, Dekanat und Pfarrei Bad Orb, im 19. Jahrhundert Bistum Würzburg7 0. II. Patrozinium der Kirche St. J acobi, 1685 belegtl1, 1954 N eubau 72• III. Bis 1313 Gerichtsbarkeit und Vogtei beim Adelshaus der Hohenlohe-Brauneck, dann an Kurmainz verkauft73. Liebhards eingemeindet nach Hilders/ Hessen I. Filialkirche der Pfarrei Gotthards seit 1480 Schwarzbach, seit 1823 der Pfarrei Eckweisbach, ehemals Würzburger Landkapitel Geisa, heute im Bistum Fulda, Landkapitel Margretenhaun74. II. 1727 wird das Patrozinium St. Jakobus d.Ä. erwähntlS, 1763 auch St. Antonius d. Einsiedler als Patron erwähnt7 6. Holzfachwerkbau ca. 1650. III. Collator der Mutterpfarrei Gotthards war der Pieban von Margretenhaun77. 68 Dominikus H ELLER , Aus den Pfarreien d es Fü rstbistums Fulda 2 (Fulda 1956) S. 151 . 69 L EINWE BE R, Das Ho chstift Fulda (wie Anm. 19) S. 69; vgl. J ÄGER , Das geistliche F ür stentum (wie Anm. 3) S. 206. 70 Heinrich R EI ME R, Hi storisches Ortslexikon für Kurhessen (Marburg 1926) 300; Schematismus des Bistums Würzburg 1830 (Würzburg 1830) 174; Personalschematismus für die Diözese Fulda 1967, 30; Ernst G UM BEL, Handbüchlein zur Diözesankarte des Bistums Fulda (Fulda 1967) S. 55 . 71 Diözesan Archiv Würzburg, Dek. Lohr K. 2 VR 1685, 19 . 72 Neue Kirchen im Bistum Fulda. 25 Ja hr e kirchlich en Bauens und Kunstschaffens, hg. von Ludwig PRALLE (Fulda 1970) S. 121. 73 Wie Anm. 70. 74 DM [1464] 721; HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 40) S. 8-11 und (wie Anm. 38) S. 508. 75 S CHANNAT, Dioecesis (wie Anm. 62) 35 ; LE INW EBE R, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) s. 67. 76 S TURM, Bau- und Kuns td enkmale des Landkreises Fulda (wie Anm. 43) S. 323-325. 77 Wie Anm. 75. <?page no="228"?> 212 Erik Soder von Güldenstubbe Löschenrod nach Eichenzell eingemeindet/ Hessen I. Filiale der Pfarrei Florenberg, ehemals im Bistum Würzburg78, Sonderstatus im Archidiakonat Fulda, heute Bistum Fulda, Landkapitel Margretenhaun. II. Hauptpatrozinium der Kirche St. Bartholomäus, 1681 werden auch St. Philippus und Jakobus d.J. genanntl 9. Spätgotische Chorturmanlage80. Möglicherweise war sie ursprünglich eine Marienkirche. III. Die Pfarrei Florenberg (früher Floraberg) war exempt von der Archidiakonatsgewalt81, es bestand dort also bischöfliche Collatur. Aber schon 1030 wurde die Pfarrei dem Kloster Neuenburg inkorporiert82. Niederbieber eingemeindet nach Hofbieber/ Hessen I. Ehemals Würzburger Landkapitel Geisa 8 3, heute Bistum Fulda, Filiale von Hofbieber. II. Die Kirche im 15. Jahrhundert erwähnt, als Jakobuskapelle 1674. Ab 1681 werden Valentin und Jakobus d.Ä. bei einer Visitation als Patrone angegeben84. Spätgotisches Bauwerk um 1500, Langhaus 1911 erweitert85, soll damals dem hl. Martin geweiht worden sein86. III. Collator der Pfarrei Hofbieber war der Pieban von Margretenhaun87. Adelsburg am Ort 1700 dem Stift Fulda verkauft (von Romrod) 88 . Soisdorf eingemeindet nach Eiterfeld/ Hessen I. Ehemals Würzburger Landkapitel Geisa89, heute Bistum. Fulda, Filiale der Pfarrei Großentaft vor 1453 von Rasdorf. 78 DM [1464] 944. 79 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 53f .; Josef LE INWEBER Die Geschichte der Pfarrei Florenberg, Fuldaer Geschichtsblätter 54 (1978) S. 49 - 121, hier: s. 71. 80 Georg DEHIO, Hessen (o.J.) S. 538. 81 Wie Anm. 78. 82 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm 40) S. 8-11 und (wie Anm. 68) S. 438, 446f.; vgl. S CHANNAT, Dioecesis (wie Anm. 62) 23. 83 DM [1464] 722. 84 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 65; Heinrich Peter NOLL, Aus der Vergangenheit der Pfarrei Hofbieber (Quellen und Abhandlungen der Abtei und Diözese Fulda 4, Fulda 1907) S. 35, 43, sieht St. Valentin als Hauptpatron an. 85 STURM, Bau- und Kunstdenkmale des Landkreises (wie Anm. 43) S. 395-398; DEHIO, Hessen (wie Anm. 80) S. 623. 86 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 68) S. 464. 87 Wie Anm. 84. 88 JÄG E R, Das geistliche Fürstentum Fulda (wie Anm. 3) S. 392 . 89 DM [1464] 709. <?page no="229"?> St. Jakobus und Fulda 213 II. Die Kapelle wird 1337 erwähnt, der mittelalterliche Chorturm erhalten, 1718-1723 erweitert; das Patrozinium St. Jakobus d.Ä. 1656 90 , 1681 dann das des St. Bernhard von Clairvaux, die heute zusammen Geltung haben91. Das St. Bernhardsfest war ursprünglich ein Dies Votivus, ein gelobter Tag 92 . III. Collator der Mutterpfarrei Großentaft war der Pieban von Rasdorf93. Steinau eingemeindet nach Petersberg/ Hessen I. Ehemals Würzburger Landkapitel Geisa 9 4, heute im Bistum Fulda, früher Filiale von Margretenhaun, seit 1885 von Steinhaus. Il. An der Kapelle wurde 1486 eine Vikarie genannt, die zweite Kapelle wurde 1704-1708 errichtet, 1889 erweitert, 1908 konsekriert. Die heutige Kirche vom fuldischen Architekten Flügel erbaut, 1960 konsekriert, trägt das Patrozinium der Apostel St. Bartholomäus und Jakobus d.A. wie schon der Vorgängerbau. III. Ehemals stand in Steinau eine Wasserburg des Ortsadels 95 . Collator der Mutterpfarrei Margretenhaun war der Propst vom Petersberg96. Ein Benefizium wurde gestiftet durch die Familien v. Ebersberg und v.d. Tann 1381, 1409 durch Sirnon v. Steinau besser dotiert 97 . Thalau eingemeindet nach Ebersburg/ Hessen I. Ehemals im Würzburger Landkapitel Karlstadt98, heute im Bistum Fulda. Früher Filiale der Pfarrei Dietershausen, 1588 urkundlich als solche genannt 99 , seit 1730 von Schmalnau, Kuratie. 90 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 78. 91 Erwin STURM, Bau und Kunstdenkmale des Landkreises (Hünfeld 1971) S. 393-401; Lt. Joseph RüBSAM, Die Chronik des Apollo von Vilbel, Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde NF 14 (1889) 196-266, hier: S. 32f. wurde Soisdorf am St. Bernhardstag 1515 auf wunderbare Weise vor dem räuberischen Überfall des Georg v. Bischofsrode und seiner Raubgesellen gerettet. Freund! . Hinweis von H.H. Prof. Dr. Leinweber. 92 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 38) S. 244f. 93 Wie Anm. 90. 94 DM [1464] 723; ediert durch Franz-Joseph BE NDEL, Würzburger Diözesanmatrikel (wie Anm. 29), der aber "Steyna" mit Steinbach bei Hünfeld gleichsetzte. 95 1340 waren das die Herren v. SCHLITZ, Monumenta Boica 40 (München 1870) 348; STURM, Bau- und Kunstdenkmale des Landkreises (wie Anm. 43) S. 513-516. 96 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 63-68; vgl. JÄGER, Das geistliche Fürstentum Fulda (wie Anm. 3) S. 401f. u.ö. 97 HELLER Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 38) S. 479f., der nur St. Bartholomäus als Patron nennt. 98 DM [1464] 618. 99 20 . Juli 1588 Kirche in Thalau Filiale der Pfarrei Dietershausen, StA Marburg 94/ 34 31 lt. freund! . Mitteilung von H.H. Prof. Dr. Leinweber. <?page no="230"?> 214 Erik Soder von Güldenstubbe II. Die Kapelle wird 1552 erwähnt zusammen mit dem Patrozinium St. Jakobus d.Ä. 100 , der neugotische Neubau von 1858-1860 im letztgenannten Jahre konsekriert1 01. III. Collator der Mutterpfarrei Dietershausen war der Abt zu Fulda (1494)102. Traisbach eingemeindet nach Hofbieber/ Hessen I. Ehemals im Würzburger Landkapitel Geisa103, heute im Bistum. Fulda, Filiale der Pfarrei Margretenhaun. II. Der Kirchenbau entstand um 1500; das Sebastianspatrozinium wird 1656 genannt, aber 1764 wird das Patrozinium des Apostels Philippus und Jakobus d.J. angegeben. Es handelt sich dabei wohl um die Verwechslung mit dem Kirchweihfest . Die neue Kirche St. Sebastian stammt aus dem Jahr 1926/ 27104, geweiht am 18.7.1929 105 . III. Collator der Mutterpfarrei Margretenhaun war der Propst vom Peters berg 1 06 . Urphar eingemeindet nach Wertheim/ Baden I. Ehemals im Würzburger Landkapitel Karlstadt107, bis 1325 Filiale von Reicholzheim 108 , dann von Bettingen 109 evangelisch geworden, katholischerseits im Erzbistum Freiburg gelegen. Die evang.luth. Pfarrkirche wird simultan genutzt . II. Urtümlicher Wehrkirchenbau, Turm und Apsis 9./ 10. Jahrhundert, das Langhaus, von 1296, die Sakristei 1497 errichtet110. Das Patro- 100 20. Sept. 1552 Protokoll über das Michelsgericht zu Lütter: "Auff SantJacobstag hat es sich zugetragen, daß die junge Geselle zu Thala haben bloße Messer gezogen". Es entstand eine Schlägerei im Wirtshaus auf der kleinen Kirmes. Die "kleine Kirmes" entspricht dem Patroziniumstag, StadtA Fulda, lt. freund! . Mitteilung von H.H. Prof. Dr. Leinweber; vgl. LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) s. 55f.; HELL ER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 38) S. 503f., bringt als ersten Be leg für das Jakobus-Patrozinium den Visitationsbericht von 1656. 101 STURM, Bau- und Kunstdenkmale des Landkreises Fulda (wie Anm. 43) S. 547, 551. 102 Diözesan Archiv Würzburg, S. 1 fol. 13v. 103 DM [1464] 723. 104 STURM, Bau- und Kunstdenkmale des Landkreises (wie Anm. 43) S. 553-555. 105 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 68) S. 480f. 106 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 1 9) S. 63-68. 107 DM [1464] 661. lOS StA Wertheim GXX/ 120; Wilhelm ENG EL, Urkundenregesten zur Geschichte der kirchlichen Verwaltung der Grafschaft Wertheim 1276-1499 (Wertheim 1959) S. 2, Nr. 4, S. 5 Nr. 10, S. 6f. Nr . 11 ; Abgebildet und transkribiert in: Jakobus in Franken, hg. von Klaus-Dietrich KNIFFKI (Würzburg 1992) S. 27, 37. 109 Diözesan Archiv Würzburg, Coll. Joh. II. fol. 307 (1412). 110 ROMMEL, Urphar am Main (wie Anm. 29); Adolf v. Oechelhäuser, Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Wertheim (Freiburg 1896) S. 157, 159; Hermann HAMPE, Die <?page no="231"?> St. Jakobus und Fulda 215 zinium St. Jakobus d.Ä. erstmals bei einer Ablaßverleihung am 16. Juni 1297, auch am 20. August 1340 urkundlich belegt 111 . 1446 werden daneben noch Maria, Valentin, Leonhard und Katharina genannt 112 . III. 775 wird Urphar als zum fuldischen Kloster Holzkirchen gehörig genannt, später gehörte der Ort zur Grafschaft Wertheim 113 , die Grafen besaßen auch die Collatur auf die Pfarrei114, nach der Pfarreierrichtung 1325 waren aber die Inhaber der Mutterpfarrei Patronatsherren115. Der Deutsche Orden hatte dort zeitweise Besitz 11 6. Wartmannsroth! Ufr. I. Dekanat Hammelburg, früher zeitweise auch im Bistum Fulda, Pfarrei seit 1736, vorher Filiale von Diebach117. II. Spätgotischer Chorturm, 1509 konsekriert, das Langhaus von 1711, konsekriert 13. Okt. 1748118, 1937 Kirchenerweiterung 119 , 1478 St. Jakobus d.Ä.-Patrozinium erwähnt 120, bei der Konsekra- Jakobskirche Urphar, Jahrbuch Alt-Wertheim (Wertheim 1953); Friedrich DoscH, Jakobskirche Urphar. (Wertheim-Bettingen 1981); nicht genannt bei Hermann OE CHSLER, Die Kirchenpatrone in der Erdiözese Freiburg, Freiburger Diözesan Archiv 35 (1907) S. 162-217, hier: S. 171. 111 Wie Anm. 108. 112 ENGEL, Urkundenregesten (wie Anm. 108) S. 126 Nr. 249; PLÖTZ, Santiago-Peregrinatio (wie Anm. 17) S. 75 erinnert wegen der ehemals benediktinischen Beziehung Urphars an die Möglichkeit eines Reformpatroziniums, gibt aber doch wegen der Mainfurt dem Wegpatrozinium den Vorzug. Bernhard GRAF, Oberdeutsche Jakobusliteratur. Eine Studie über den Jakobuskult in Bayern, Österreich und Südtirol (München 1991) S. 461, obwohl nicht in Bayern gelegen. 113 Wie Anm. 110. 114 Wie Anm. 110 . 115 Wie Anm. 108. 11 6 Kar! LAMPE, Das Zins- und Gült-R eg ister der Deutschordenskommende Prozelten von 1379 (Würzburg 1965) S. 54f. u.ö.; auf die kurzfristige Verbindung zum Deutschen Orden weist auch Plötz, Santiago-Peregrinatio (wie Anm.17) S. 82 hin. 117 Dominikus HELLER, Das Puldisehe Dekanat Hammelburg, Würzburger Diözesan Geschichtsblätter 13 (1951) 132-190, hier: S. 140, 173f.; LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 61. 11 8 KD Hammelburg, 1915, 150f.; Denis Andre CHEVALLEY, Denkmäler in Bayern. Unterfranken 4 (München 1985) 80. 119 WDB 1937,27. 120 Das Wartmannsrother Weistum vo m 28. Jan. 1478 nennt 6 Güter, die dem Spital des Stifts Fulda gehören, dabei wird die Kirche und der Kirchhof zu Wartmannsroth erwähnt, uff den Kirchweihe abendund zu Sant Jacobus tagk waren Gottesdienst zu halten, also am Kirchweihtag und zum Patrozinium. (StA Marburg K 436 fol. 376rv; lt. freundlicher Mitteilung von H.H. Prof. Leinweber). PLöTZ, Santiago-Peregrinatio (wie Anm.17) S. 88 setzt d as Jakobus-Patrozinium ins 18 . Jahrhundert .; GRAF, Oberdeutsche Jakobusliteratur (wie Anm. 112) S. 468 ins 15 . Jahrhundert ohne urkundlichen Beleg, hier scheint er es aber richtig getroffen zu haben. <?page no="232"?> 216 Erik Soder von Güldenstubbe tion am 13. Oktober 1748 wurde der Apostel Andreas hinzugefügt121. 1956-1958 Kirche restauriert122. III. Wartmannsroth wurde 1156 urkundlich erwähnt und hatte damals an das neue Hospital zu Fulda Verbindlichkeiten123. Das Würzburger Domkapitel besaß in Wartmannsroth den dritten Teil des Zehnten 124 . Weichtungen eingemeindet nach Markt Maßbach/ Ufr. I. Dekanat Bad Kissingen, Filiale der Pfarrei Wermerichshausen125. Il. Ehemalige Kirche St. Jakobus d.Ä . 1498 erbaut, innen restauriert 1598126. Das Jakobus-Maiar-Patrozinium erwähnt 1613/ 14 und noch 1669 127 . Das Gebäude stürzte 1628 ein, anschließend Neubau. Die heutige Kirche wurde 1708 unter Belassung des alten Turmes an derselben Stelle neugebaut, aber mit dem Patrozinium St. Josef 128 . III. Dezimator war zu 2/ 3 das Kloster Wechterswinkel, zu 1/ 3 die Mutterpfarrei Wermerichshausen . Dort bestand bischöfliche Collatur129. Zur Echterzeit (um 1600) war aber noch der Fürstabt zu Fulda Collator der Pfarrei Wermerichshausen 130 . Hochstiftische Einkünfte 1378 an die Herren v. Bibra verkauft 131 . Bis ca. 1200 dort auch Besitz des Stiftes Aschaffenburg132. 121 Wie Anm. 117 . 122 Artikel in: Fränkisches Volksblatt Nr. 88, 18.4.1958. 123 Wie Anm. 117 124 Monumenta Boica 44 (München 1883) S. 17: 1386. 125 Alfred W ENDEHORST , Das Archidiakonat Münnerstadt am Ende des Mittelalters, Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 23 (1961) S. 5-52, hier: S. 47. 126 Diözesan Archiv Würzburg, Amt Sulzfeld im Gr. fol. 11f. 27v-28, auch ebd. Dek. Münnerstadt (1612); S. 4 fol. 40 (1669); 127 Diözesan Archiv Würzburg, Dek. Münnerstadt VR 1613 fol. 38, 93f.; VR 1669 fol. 169v.; S. 40 fol. 40; Sebastian ZEißNER, Geschichte der Pfarrei Großwenkheim und Wermerichshausen (Würzburg 1931) S. 54 vermutet die Jahreszahl1614, danach PLÖT Z, Santiago-Peregrinatio (wie Anm. 17) S. 88; GRAF, Oberdeutsche Jakobusliteratur (wie Anm. 112) S. 469. 128 Bendei und Amrhein, in: Diözesan Archiv Würzburg, RS Würzburg 1897, 447; KG Kissingen 1914, 229; CHEVALLEY, Denkmäler in Bayern (wie Anm. 114) S. 69. 129 Alfred S CHRÖCKER, Statistik des Hochstifts Würzburg um 1700 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 30, Würzburg 1977) s. 124, 159. 130 Diözesan Archiv Würzburg, Mskt. 6 Klosterpfarren fol. 207, siehe Erik SODER VON GüLDENSTUBBE, Würzburgische Benefizialpatronate in einer Aufstellung der Echterzeit, Würzburger Diözesan Geschichtsblätter 56 (1994) S. 235-286, hier S. 262, 283 . 131 Monumenta Boica 46 (München 1905) 357f. 132 Heinrich WAGNER, Historischer Atlas von Bayern, Reihe 1, 27 (Neustadt a.d. Saale/ München 1982) S. 104f., 128; M. THIEL (1986) S. 129 Nr. 29. <?page no="233"?> St. Jakobus und Fulda 217 Welkers eingemeindet nach Eichenzell/ Hessen I. Ehemals im Würzburger Landkapitel Geisa, heute Filiale zu Eichenzell133, früher von Florenberg, jetzt im Btm. Fulda. II. Die Kirche konsekrierte am 16. Mai 1493 der Würzburger Weihbischof Georg Antworter OFM zu Ehren der Heiligen Gangolf, Jakobus d.Ä., Christoph, Barbara und Wendelin 134. 1681 wird ganz vereinzelt das Patrozinium Heilig-Kreuz genannt. 1898/ 99 wurde ein Neubau erstellt, der den Titel der hl. Drei Könige trägt. Der Patrozinienwechsel hängt mit der Verwechslung mit dem Kirchweihtermin zusammenl35. III. Collator der Mutterpfarrei Florenberg war bis 1510 der Propst zu Neuenberg, danach der von Johannesbergl36. Berücksichtigt wurden hier nur Gemeinden, die mit dem ehemaligen Würzburger Bistumsanteil des Stiftes Fulda einmal in Beziehung standen oder noch stehen. Der ehemals Mainzer Anteil des Stiftes Fulda blieb heute weitgehend ausgeblendet. Es ist festzustellen, daß St. Jakobus, besonders "der Ältere" seit vielen Jahrhunderten im fuldischen Einzugsgebiet sich große Beliebtheit erwarb und heute noch besitzt. Die Faktoren, die bei der Wahl eines Kirchen- oder Altarpatroziniums mitwirken, sind meist schwierig festzulegen. Es ist jeder Einzelfall für sich zu untersuchen, erst dann können vorsichtige Schlüsse daraus gezogen werden, welcher Faktor zum letzdich bestimmenden wurde. Wie schon der viel zu früh verstorbene Kirchenhistoriker und Domkapitular Prof. Josef Leinweber bereits 1976 feststellte, standSt. Jakobus im Hochstift Fulda an zweiter Stelle zusammen mit den Apostelfürsten Petrus und Paulus und wurde an Patrozinien nur noch von denen übertroffen, die der Gottesmutter Maria geweiht waren.l37 Leinweber war auch meines Wissens der erste, der für diesen geschichtsträchtigen Sakralraum Auswirkungen der Santiagopilgerfahrten feststellte, vielleicht sollten wir besser von "Rückwirkungen" sprechen. Auf den langen und oft mühseligen Reisen begegneten den Pilgern am Wege auch viele andere Heiligtümer, bisher unbekannte Heilige und deren Kulte. Dieses Wissen und die mit dem Kennenlernen verbundenen spirituellen Erfahrungen brachten die Weitgereisten zurück in ihre Heimat, und so entstanden Altäre, Kapellen, Kirchen, die solchen Heiligen m DM [1464] 738. 134 LEINWEBER, Die Geschichte der Pfarrei Florenberg (wie Anm. 75) S. 70f., Weiheurkunde im BA Fulda. 135 HELLER, Aus den Pfarreien des Fürstbistums Fulda (wie Anm. 68); STURM, Bau- und Kunstdenkmale des Landkreises Fulda (wie Anm. 43) S. 567-570. 136 LEINWEBER, Das Hochstift Fulda (wie Anm. 19) S. 51-54. 13? LEINW E BER, Die Santiagawallfahrt (wie Anm. 18) S. 134- 156, hier S. 140. <?page no="234"?> 218 Erik Soder von Güldenstubbe geweiht wurden, die man auf den Wegen von und nach Santiaga schätzen lernte. Der in jungen Jahren zum Tod gemarterte Diakon Vincentius von Saragossa zählte dazu, dessen Reliquien die Pilger in Valencia, später in Castres, Südfrankreich verehren konnten. Abt Ruthard brachte 1076/ 77 Partikel seiner Gebeine mit nach Fulda, wo in der altehrwürdigen St. Michaelskirehe zwei Altäre damit ausgestattet wurden. Im fuldischen Tochterkloster Abterode bei Eschwege oder in der Filiale Maberzell bei Haimbach erbaute man Kirchen St. Vinzenz zu Ehren. Auf der sogenannten Oberstraße, die schon Hermann Künig von Vacha beschrieb, kamen die Pilger nach Montpellier, wo sie vom Pestpatron Rochus erfuhren. Die Michaelskirehe in Fulda erhielt eine Rochuskapelle, ein Heiligtum wurde ihm auf dem Rochusberg bei Kämmerzeil geweiht. Ähnliches geschah in St. Gilles, wo der hl. Aegidius verehrt wurde, eingedeutscht oft auch St. Gilg genannt. Marbach bei Hünfeld oder der Vorläufer der heutigen Pfarrkirche in Tann trugen den Weihetitel auf St. Aegidius, der im Spätmittelalter auch zu den beliebten Vierzehnheiligen Nothelfern zählte. St-Denis, die Abtei bei Paris wurde auf der sogenannten Niederstraße besucht. Schon 1218 geschieht eines St. Dionysius-Altares in der Petersberger Propsteikirche bei Fulda Erwähnung. Ebenfalls auf der Niederstraße kamen fuldische Pilger nach Tours, wo der hl. Bischof Martin Verehrung genießt. Gewiß war sein Kult schon im frühmittelalterlichen Frankenreich verbreitet, aber die Santiagawallfahrt hat den St. Martinuskult doch auch hierzulande neu belebt, wobei anzunehmen ist, daß erst durch solche Fahrten Reliquienpartikel dieses Heiligen ins Puldisehe gelangten. Andere Heilige, die wir nur noch kurz aufzählen wollen, die Santiagapilgern vertraut wurden und deren Kult sie hier bekannt machten, waren beispielsweise Maria Magdalena, der die Reisenden durch Lothringen oder Burgund in Vezelay begegneten, St. Leonhard im Limousin, Patron der Gefangenen, Kranken und für das Vieh, St. Ivo in der Bretagne, Patron der Juristen und Schöffen, Saint Jasse oder lat. St. Jodocus in der Pikardie, St. Michael, der von vielen Santiaga-Fahrern auf dem berühmten Mont St. Michel vor der Küste der N ormandie besucht wurde, schließlich St. Wendelin im Saarland, St. Gaugolf in Lothringen, St. Ottilia im Elsaß und St. Anna, die auch schon der Pilgerführer Hermann Künig erwähnt, wo einer Überlieferung nach in Lausanne, nahe dem Beginn der Oberstraße, sich Reliquien der Mutter Mariens befanden. Mit den mahnenden aber auch zukunftsweisenden Worten Leinwebers will ich diese Ausführungen schließen138: 138 Erst a uf der Tagung in Fulda wurde 2001 ein Werk von Rudolf Beck aus dem Verlag Michael Imhof, Petersberg, vorgestellt, das den einschlägigen Titel trägt: Ein Jakobsweg durch das Fuldaer Land. Von Bremen/ Rhön über Hünfeld und Fulda nach Herbstein/ Vogelsberg. Diese verdienstvolle Arbeit wurde im obigen Text nicht mehr berücksichtigt. <?page no="235"?> St. Jakobus und Fulda 219 "Vielleicht würden, wenn diese Bemerkung abschließend erlaubt ist, jene Politiker, die sich einen engeren Zusammenschluß des westlichen Europa zum Ziel gesetzt haben und mit viel Eifer, aber vergeblich nach einerneuen geistigen Grund- Iage für die Wiedererlangung der verlorenen Einheit Europas suchen, gut daran tun, sich der alten Basis zu erinnern. Denn diese war trotz aller negativen Erscheinungen imstande, ein europäisches Gemeinschaftsgefühl hervorzubringen, das in der Santiago-Wallfahrt nicht nur einen wichtigen Faktor hatte, sondern vielleicht auch seinen schönsten Ausdruck fand; erweckte die Santiago-Wallfahrt doch die Vorstellung des Lebens aller Menschen als einer gemeinsamen Pilgerfahrt durch diese in die andere Welt." <?page no="237"?> Resumenes MATIHIAS TISCHLER: Tatmensch oder HeidenaposteL Die Bilder Karls des Großen bei Einhard und im Pseudo-Turpin A diferencia de la literatura coiltemporanea, la interpretaci6n de obras literarias del medioevo depende de la observaci6n tailto del contexto de la tradici6n de los manuscritos originarios como de los coiltextos de tradiciones mas recientes, pues muchos textos medievales se entienden solamente de forma coiltextual. A menudo la versi6n o las versiones mas ailtiguas tienen que ser identificadas con bastante esfuerzo para acercarse al texto original de una obra. Por lo tanto la comparaci6n literaria cieiltffica de dos obras medievales importailtes como lo son la Vita Karoli de Eginhardo (escrita probablemeilte en 828) y la leyenda de Carlomagno del Pseudo- Turpfn (creada no antes de 1127/ 1129) siempre debe respetar el enfoque interpretativo coiltextual, por ejemplo por el hecho de que en este caso la tradici6n del texto altomedieval en el asf llamado C6dice Calixtino de Santiago de Compostela represeilta el coiltexto mas ailtiguo y probablemeilte tambien el original. El presente artfculo iilteilta una nueva iilterpretaci6n de la leyenda de Carlomagno del Pseudo- Turpfn desde la perspectiva de la interpretaci6n coiltemporanea de un texto con constailtes referencias a la biograffa carolingia del bi6grafo de Carlomagno, Eginhardo. Partiendo de la posici6n especffica del Pseudo-Turpfn en el contexto de la tradici6n originaria de Compostela, este estudio trata de preguiltar nuevamente cual es la forma externa de los dos textos sobre Carlomagno, cuales son sus generos literarios, sus conceptos de la realeza y sus coiltextos de origen para acercarse mas al ambieilte en la cual fue escrito el Pseudo-Turpfn. La comparaci6n literaria cientffica muestra que los lectores y oyentes en los siglos XII y XIII entendieron los dos textos sobre Carlomagno mas como visiones complementarias que como visiones antag6nicas. ROBERT PLöTZ: De hoc quod apostolus Karolo apparuit. Die Traumvision Karls des Großen: Eine typisch mittelalterliche Version? En la epoca de los carolingios comienza la era de las visiones polfticas en el seiltido de que los iiltereses polfticos quedaban cada vez mas patentes. Surge un tipo de visiones, que se identifica clarameilte como ficci6n y se aleja notablemente de las experiencias religiosas. En la Visio Karoli Magni se encueiltran muchos acontecimientos que ocurrieron con anterioridad. La orieiltaci6n propagandfstica de la visi6n queda claramente demostrada. Si bien se enumeran los hechos para la glorificaci6n de Carlomagno, Santiago y su sepulcro en Compostela son lo que prima en el texto. Todos los datos y hechos indican que esta visi6n fue compuesta y escrita en la pri- <?page no="238"?> 222 Resumenes mera mitad del siglo XII en Compostela. La pregunta a la que se trata de respander es si se puede hablar de una visi6n medieval. En cuanto a la manipulaci6n de hechos y datos hist6ricos, la respuesta es un "no" rotundo, ya quese sigue haciendo lo mismo hoy en dfa. Sin embargo, resulta crefble en relaci6n a la constelaci6n espacio I tiempo, puesto que se encuentra en un ambito de tensiones continuas y de mentalidad genuina del siglo XII. Reproduce una postura modificada de la Iglesia en la lucha contralos infieles, refleja el ideal de la cruzada y entrega los primeras indicios de la "militarizaci6n" del ap6stol Santiago. Partiendo de la base de un amplio fundamento cultural comun (epoca clasica griega y latina, tradici6n arabe, textos judfos y antiguas nociones europeas naturomagicas), podemos constatar en el complejo literario tratado aquf los primeros indicios aparentemente contradictorios de la incorporaci6n de elementos mitol6gicos en la literatura popular, que comienza a formarse en diferentes regiones. La Europa occidental se autodefini6 a traves de la peregrinaci6n a Santiago de Compostela y del mito en torno a Carlomagno, aunque hay que distinguir diferentes idiomas y clases. A modo de conclusi6n: la visi6n en el sueiio de Carlomagno es medieval y europea. ULRICH MöLK: Der hl. Roland: Französisches Rolandslied und lateinischer Pseudo- Turpin im Vergleich Insistiendo en la importancia de la escena en la cual el arzobispo Turpfn absuelve a los guerreros francos (Oxford, laisse 89), el autor observa que esta escena no precede, sino sigue a la violenta disputa entre Roldan y Oliveros, lo que significa que solo el Roldan anterior (el de la disputa y del consejo de C6rdoba) es caracterizado como personaje irascible, mientras el Roldan posterior, purificado por la absoluci6n y tomando, de aquf en adelante, unicamente decisiones u actos irreprochables, posee la cualidad de guerrero santo. Los otros textos medievales estudiados por el autor no conocen este proceso de purificaci6n de Roldanya sea porque los autores (como por ejemplo el del Pseudo- Turpin) lo consideran santo desde el principio, o porque segun ellos, Rold: in nu se distingue de otros guerreros valientes si, pero tambien pecadores. La raz6n por la cual el autor de la Chanson de Roland podia proceder, en cuanto a Roldan, tan sutilmente, se ve en la tradici6n oral de Roldan que ve en Roldan el fruto del incesto de Carlomagno siendo el incesto una explicaci6n teol6gicamente suficiente para explicar el temperamento irascible de Roldan y la derrota de Roncesvalles, castigo que Dios impone al emperador. LUDWIG VONES: Heiligsprechung und Tradition. Die Kanonisation Karls des Großen 1165, die Aachener Karlsvita und der Pseudo-Turpin El articulo presenta un estudio detallado de los intereses sobre todo polfticos quellevaron a la canonizaci6n de Carlomagno en 1165. El creciente antagonismo entre los Capetos y los Hohenstaufen en el contexto del cisma alejandrino representa el trasfondo hist6rico para este acto. Queda patente tanto el papel del emperador Federico Barbarraja como el de la ciudad de Aquisgrin. Sin duda alguna, esta ultima es la que sac6 mayor provecho del culto al ilustre carolingio. Aquisgrin no vacil6 a la hora de falsificar documentos en su favor y en su entorno fue escrita despues del aiio 1170 la llamada Aachener Karlsvita, una recopilaci6n que se basa tambien en el Pseudo- <?page no="239"?> Resumenes 223 Turpfn: Esta obra reforzo Ia posicion de los Hohenstaufen, no solo frente a los Capetos sino tambien frente a Ia influyente dinastfa de los Güelfos, en cuyo entorno fue escrito por estas fechas Ia Rolandslied alemana. JOACHIM EHLERS: Der Pseudo-Turpin in den Grandes Chroniques de France Los relatos sobre Carlomagno han sido utilizados repetidas veces como base para el estudio no solo de Ia historia de Francia, sino tambien de Ia autoconcepcion de Ia alta aristocracia francesa. La fuente principal para este tipo de trabajos han sido las Grandes Chroniques de France, que a su vez se basaron en Eginardo y el Pseudo- Turpfn. De hecho, dos de los cinco capftulos sobre Carlomagno no son otra cosa que una traduccion libre del Pseudo-Turpfn. Por ello, Ia expedicion peninsular del carolingio y Ia historia de Roldan ocupan un lugar destacado en Ia obra, en Ia cual el emperador se presenta como un caballeresco luchador contra los musulmanes. Esta figura aristocratica de Carlomagno no fue estatica, sino al contrario muy flexible: se amoldo a las necesidades y expectaciones sociales de las respectivas epocas y fue constantemente modernizada, creando asf posibilidades de identificacion que Ia figura historica en realidad no ofreda. Por ello, las miniaturas que adornan los manuscritos de las Grandes Chroniques de France son valiosas fuentes para nuestra pregunta, pues demuestran Ia modernizacion constante de este lejano mundo del siglo VIII y IX, una adaptacion que ayudo a acercar una epoca pasada al respectivo presente dellector u observador. Los Ieetores no querrfan entender el pasado como tal, sino como elemento activo de su propio mundo. Asf, el pasado sirvio para fortalecer Ia posicion de una sociedad aristocratica que habfa entrado en una profunda crisis a causa de Ia Guerra de los Cien Aiios. NIKOLAS jASPERT: Karolingische Legitimation und Karlsverehrung in Katalonien Aunque pueda sorprender a primera vista, Cataluiia y en concreto el monasterio de Ripoll tienen una importancia nada despreciable para Ia historia y Ia divulgacion del Pseudo-Turpfn, pues de Ripoll procede Ia copia mas antigua que se conserva de esta obra. Fue realizada por un monje llamado Arnaldo de Monte en el aiio 1172 o 1173 en Santiago de Compostela. La cuestion que aquf interesa es dilucidar que otras razones apartedel fundamental interes liturgico llevaron a un monjede Ripoll a copiar el Liber Sancti Jacobi y realizar una determinada seleccion del texto. Despues de un esbozo sobre Ia importancia del monasterio de Ripoll como centro artfstico y cultural se presentan dos hipotesis: Ia primera deriva de Ia funcion del monasterio para Ia historiograffa catalana al servicio de los condes de Barcelona, mientras que Ia segunda remarca Ia importancia de Ia idea de Ia cruzada. Se llega a Ia conclusion que el Pseudo ~ Turpfn cumplfa dos objetivos eiementales del Monasterio de Ripoll y sus monjes: por una parte, se ajustaba a Ia representacion de Ia propia patria como lugar donde tenfan lugar las batalias entre los musulmanes y los cristianos, encabezadas por un conde que era considerado paladfn del Cristianismo. Por otra parte, el Pseudo-Turpfn estaba en consonancia perfecta con el autoentendimiento y el afan de autonomfa de los condes de Ia zona pirenaicooriental, considerandose el monasterio su centro religioso y espiritual. En un apartado final, se sigue Ia posterior devocion a Carlomagno en Ia Cataluiia medieval, tanto en el campo liturgico como en Ia <?page no="240"?> 224 Resumenes narrativa. Dei mismo modo que Ia figura de Santiago se iba modificando, sirviendo a diferentes fines, tambien Ia figura del emperador carolingio fue utilizado en contextos variados para dar credibilidad y legitimidad a procesos hist6ricos. VOLKER HONEMANN: Der Pseudo-Turpin und die deutsche Literatur des Mittelalters Hablar sobre Ia influencia que el Pseudo-Turpfn ha ejercido en Ia literatura alemana medieval es diffcil, porque Ia fecha y ellugar de origen y Ia temprana propagaci6n manuscrita del texto todavfa no estan esclarecidos o no han sido estudiados suficientemente. Hasta ahora no se conoce una traducci6n alemana medieval del Pseudo-Turpfn. Sin embargo, es muy probable si uno asume una fecha de origen alrededor del afio 1140que los autores de Ia Kaiserchronik (Cr6nica de los emperadores) y del Rolandslied usaran el Pseudo-Turpfn. Partes considerables del texto en Ia versi6n de Vicente de Beauvais estan interpoladas en Karlmeinet, una compilaci6n de Ia primera mitad del siglo XIV. Las leyendas de Carlomagno en Ia Leyenda dorada alsaciana y en el Zürcher Buch vom heiligen Kar! se basan directamente en al Pseudo-Turpfn. KLAUS HERBERS: Kar! der Große und Santiago. Zwei europäische Mythen En el artfculo sobre los dos mitos de Carlomagno y Santiago se presentan, despues de una definici6n del termino "mito", tres apartados sobre Ia formaci6n de las tradiciones jacobeas entre realidad y mito: Ia formaci6n de las tradiciones jacobeas, las tradiciones ampliadas en el siglo XI y XII y Ia importancia de Ia figura del Ap6stol para Ia Reconquista y para Espafia. En lo que se refiere a Carlomagno, se pueden diferenciar cinco fases que presentaron imagenes bien distintas del emperador: Ia Vita Einhardi, Ia formaci6n de tradiciones orales y posteriormente epicas, Ia canonizaci6n y finalmente Ia posici6n del emperador entre el oeste y el este del antiguo lmperio carolingio. Los dos mitos culminan en los textos del Pseudo-Turpfn, sirviendo entre otros aspectos a Ia canonizaci6n de Carlomagno y a Ia legitimaci6n de Ia sede apost6lica compostelana. Seg1ln una definici6n presentada al inicio del artfculo, los mitos se forman en tiempos de cambio. Efectivamente, el mito comun de Santiago y Carlomagno se form6 en una epoca de crisis y de transici6n: en Ia epoca de fuertes influencias europeas y francesas en Espafia (Ia llamada europeizaci6n de Espafia), Ia epoca de las cruzadas y de Ia reforma eclesiastica. Mas concretamente en Compostela, fueron afios decisivos en Ia lucha por una posici6n privilegiada dentro de Ia jerarqufa eclesiastica de Ia Peninsula. Incluso en el Sacro imperio fue una epoca de crisis por el conflicto entre Federico Barbarraja y el papado. EI artfculo recoge tambien algunos resultados del volumen y del congreso sobre el Pseudo-Turpfn celebrado en 2001 en Santiago de Compostela. ERIK SODERVON GüLDENSTUBBE: St. Jakobus und Fulda Este artfculo sirve como introducci6n a Ia sede del congreso, Ia ciudad de Fulda, y como esbozo de los contactos tradicionales de Ia misma con Santiago. Fulda vivi6 su primera epoca de esplendor en tiempos carolingios y fu e muy fomentada por esta <?page no="241"?> Resumenes 225 dinastfa. El maiordomus Carloman dot6 al monasterio benedictino que San Bonifacio, el misionero y organizador de la Iglesia franca, habia construido a orillas del Fulda. Carlomagno otorg6 un privilegio a los monjes y les dio la misi6n de evangelizar el norte de Alemania. El articulo comienza con unas reflexiones sobre el papel de Fulda como eje de comunicaciones, sobre vias de peregrinaje y sobre imagenes de los ap6stoles. Unas pocas lineas estan dedicadas a las celebraciones liturgicas en honor a los ap6stoles Santiago el Menor y Santiago el Mayor. Se puede establecer una relaci6n entre los tempranos contactos entre Fulda y Compostela, por una parte, y las consagraciones de varias iglesias francas a Santiago el Mayor, por otra parte. La devoci6n al patrono de los peregrinos queda patente en todo el territorio que perteneciera otrora a la abadia de Fulda. Reflexiones acerca de las repercusiones que la peregrinaci6n compostelana tuvo sobre el "paisaje sacral" de Franconia cierran el articulo. <?page no="243"?> Register der Orts- und Personennamen bearbeitet von Verena Mross Das vorliegende Register umfaßt alle Namen aus dem Haupttext und den Anmerkungen, sofern sie nicht in bibliographischen Angaben vorkommen. Desweiteren sind nicht berücksichtigt: moderne Autoren, Historiker des 20. Jahrhunderts, Namen in Bildlegenden bzw. Überschriften, "Jakobus", "Karl der Große" und "Pseudo-Turpin". Mittelalterliche Personen (bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts) sind unter ihrem Vornamen verzeichnet. Alternative Schreibweisen von Personen und Orten, welche im Haupttext bzw. in den Anmerkungen auftreten, sind der geläufigsten Schreibvariante folgend in Klammern gesetzt. Personen und Orte aus Quellenzitaten sind kursiv gesetzt. Querverweise sind mit s. gekennzeichnet. Orte in Deutschland sind nicht näher identifiziert. Dagegen führen Orte außerhalb Deutschlands die entsprechende Länderbezeichnung. Ortbzw. Stadtteile sind sowohl unter dem jeweiligen Ort als auch gesondert aufgeführt. Adjektive werden den entsprechenden Substantiven (z.B. spanisch zu Spanien), Personenbezeichnungen den entsprechenden Toponymen zugeordnet (z. B. Spanier zu Spanien). Datenangaben beziehen sich auf die Regierungszeit des jeweiligen Amtsträgers und sind folglich hinter dem jeweiligen Amt in Klammern vermerkt. Ansonsten sind Lebensbzw. Sterbedaten angegeben und hinter dem entsprechenden Personennamen in Klammern aufgeführt. Der Hinweis f. bei den Seitenzahlen bezieht sich stets auf die unmittelbar folgende Seite, der Hinweis ff. stets nur auf die beiden nachfolgenden Seiten. Kursive Seitenzahlen vermerken Orte bzw. Personen, welche nur in den Anmerkungen erscheinen. Abkürzungsverzeichnis: Bf. -Bischof Hz. -Herzog Btm. -Bistum Jh. -Jahrhundert D. -Diö zese K. -König Dyn. -Dynastie Kgn. -Königin Ebf. -Erzbischof Kl. -Kloster Ebtm. - Erzbistum Ks. - Kaiser Fl. -Fluß Ksn. -Kaiserin Gf. -Graf 0. -Ort Gfn. -Gräfin P. -Papst Gfs. - Grafschaft s. -siehe hl. - Heilige/ er Terr. -Territorium <?page no="244"?> 228 Register der Orts- und Personennamen Aachen, 0. (Aquisgranum) VII, VIII, IX, XII, XIII, XV, 3, 5, 7, 10f., 15, 24, 26, 27f., 31, 32ff., 43, 52f., 57, 60f., 69, 74, 79, 89-105, 113, 154, 158,162, 163f., 170ff., 174, 184f., 187, 191, 192, 197 - J akobskirche, Jakobuskirche 99f. - Marienstift (Basilika, Dom, Marienbasilika, Marienkirche, Marienmünster) XIII, 7, 19, 24, 26, 27, 31f., 44, 90-93, 101, 102, 105 -Markt-, Zoll- und Münzprivileg (von 1166) 101 -Umgebung 174 s. Gottfried von Spitzenberg-Helfenstein; Leoprandus Aaron, bibl. Gestalt 149, 166 Abbasiden, Dyn. 39 s. Harun al-Raschid 24 Abd al-Rahman I., Emir in Cordoba (756-788) 39 Abraham, bibl. Gestalt 195 Abterode bei Eschwege (0.), Kl. 218 Adalbert von Schleiffras, Fürstabt von Fulda (1700-1714) 199 Adalbert, hl. 184 Adenet le Roi (t1300), brabantischer Dichter 110 Adolf von Dalberg, Fürstabt von Fulda (1726-1737) 206 Aegidius (St. Gilg, St. Gilles), hl. 218 Aegidius/ Ägidius von Paris (t ca. 1224), Kanoniker von Saint-Marcel und Magister 1 0, 15 Aeneas, Sagengestalt 43, 47 Afrika 50 Agen, Btm. in Frankreich 27 Ägypten (Egipa) 148 Aigoland, legendärer Sarazenenfürst, afrikanischer K. 5, 7, 10, 11 , 25f., 27,171 Aimeric Picaud (Aymericus Picaudus de Partiniaco veteri, qui etiam Oliverus de Iscani ... dicitur), Kleriker aus dem Poitou, angeblicher Verfasser des Liber Sancti Jacobi (12. Jh.) 71 Aimoin von Fleury (965-1008), Historiograph, Hagiograph 109, 110 Alaon, Kl. in Spanien 139 Alava (Alave), Terr. in Spanien 41 Alberich von Trois-Fontaines/ Troisfontaines (t um 1252), Mönch, Chronist 11 Alemannia (alemannisch) 95,153,177 Alexander II., P. (1061-1073) 54 Alexander III., P. (1254-1261) 94ff., 185 Alfons I., K. von Aragon und Navarra (1109-1134) 21 Alfons I., K. von Asturien (739-757) 55 Alfons II. der Keusche (Adefonsus Castus), K. von Aragon (1173-1196) 17,23,43,56,178,179 Alfons II. der Keusche, K. von Asturien (791-842), seit 1162 Gf. von Barcelona 137, 143 Alfons VI., K. von Leon und Kastilien (1065-1109) 55,66,73, 178,190 Alfons VII., K. von Galicien (1111-11 56), K. von Leon und Kastilien (1126-1156), Ks. (1135-1156) 75, 190 Alfons X. der Weise, K. von Kastilien und Le6n (1252-1284) 153 Alkuin (730-805), karolingischer Theologe, Gelehrter 149 Allendorf, Kl. 208 Almansor (al-Mansur bi-llah, Almanzor, t1002), muslimischer Wezir, seit 978 faktischer Herr von al-Andalus 5f. 21, 57, 138 Almeria (Almerium), 0. in Spanien 144, 146 Alpen (Alpes) 90, 92 Altenstadt, 0. 197 Altmannshausen, 0. 206 Amalarus von Metz (t um 850), karolingischer Liturgiker 140 Amalekiter, bibl. Stamm 149 Ambrosius Autpertus (t784), Theologe, hl. SO Amer, 0 . in Spanien -Santa Maria, Kl. 155 - Sant Medir, Kl. 152 Amiens, 0. in Frankreich s. Philipp von Elsaß Amorbach, Kl. 204f. Ampurias, 0. in Spanien(= Castell6 d'Empuries) 156 <?page no="245"?> Register der Orts- und Personennamen 229 Anastasius Bibliothecarius (t um 879), August/ September 855 Gegenpapst 139 Andorra XIV, 158 Andreas von Marchiennes (t1202), Geschichtsschreiber, Mönch und Prior 108 Andreas, Apostel, hl. 155, 195, 209, 216 Angeln, germanischer Volksstamm 69f. Angelsachsen, Sammelbezeichnung, germanische Volksstämme 66, 70, 93 Anjou (angevinisch), Dyn. 135, 137 Anna, hl. 207,218 Ansegis (t833), Abt von Fontenelle, hl. 140 Anse/ mus, angeblicher Begleiter Karls des Großen 23 Antonius d. Einsiedler, hl. 211 Antworter, Georg, Weihbischof. von Würzburg(1479-1499) 209,217 Aquitanien (Aquitaine, Aquitanie, aquitanisch) 35f, 42, 45, 69, 118, 156 - Aquitania (escopiac, ecclesia sancti Petride Nave), legendäre Stadt 35f s. Ludwig I. der Fromme; Eleonore von Aquitanien Araber (arabisch) 26, 40, 50, 78 Aragon (aragonesisch), Königreich 41, 50, 56, 137, 143 - Fl. 42,50 - Kgr. 133, 135, 143, 156 s. Alfons 1.; Alfons II.; Aznar Galindez; Eleonore von Aquitanien; Peter IV.; Petronil(l)a; Raimund Berengar IV.; Sancho 111. Aristoteles, griechischer Philosoph (348-322 v. Chr.) 63 Arles, 0. in Frankreich 6 s. Raimbaldus de Reillane Armenios, Vater des Er, antike literarische Figur 47 Arnaldus de Monredondo, Bf. von Gerona(1335-1348) 154 Arnaldus de Monte (Arnau de Mont), Mönch des 12. Jhs. XIV, 7, 122, 126f., 129, 133,136,141, 142,145, 149 Arnulf, Abt von Ripoll (948-970) 140 Artus, K., Sagengestalt 70 Aschaffenburg, 0. -Stift 216 Astorga, 0. in Spanien 40, 42 Astronomus (erste Hälfte des 9. Jh.), karolingischer Geistlicher 109 Asturien, Königreich 177 s. Alfons; Ordoiio 1.; Ramiro I. Äthiopien 48 Augustinus (354-430), Kirchenlehrer, hl. 49,50,57,100 Avignon, 0 . in Frankreich 69 Azincourt, Schlacht von (1415) 115 Aznar Galindez (Galindo), aragonesischer Gf. der Karolingerzeit 50 Bad Hersfeld, 0. 197 Bad Kissingen, 0. 216 Bad Orb, 0. 211 - Lettgenbrunn, eingemeindet 211 Bad Salzungen (Salzungen) a.d. Werra, 0. 208f. Baden, Terr. 214 Bagdad, 0. im Irak 40 s. Muhammad al Mahdi Balduin I. Eisenarm, Gf. von Flandern (864-879) 138 Balduin V. (Baudoins), Gf. von Hennegau (1171-1195) 7ff., 108 Balduin VII., Gf. von Flandern (1111-1119) 108 Balearen 145 Baiuze Etienne (1630-1718), Gelehrter 146 Bamberg, 0. 186 - Michelsberg 206 - St. Michael, Kl. 206 Banz, Kl. 206 Barbara, hl. 206,217 Barbarossa s. Friedrich I. Barbastro, 0. in Spanien 54, 57 Barcelona (Barrilona), 0. in Spanien 22, 130f. 133, 135, 138, 142, 145, 153, 156 - Gfen. von 7f., 130, 132, 134f., 137, 139ff., 143, 145, 151, 158 - Kronarchiv 122, 126 - Sant Just i Pastor, Kirche 156 - Sant Pere de ! es Puelles, Kl. 152, 156 <?page no="246"?> 230 Register der Orts- und Personennamen s. Alfons Il.; Berengar Raimund Il.; Peter IV.; Raimund Berengar; Raimund Berengar III.; Raimund Berengar IV.; Raimund Borrel III.; Wifred der Haarige Bartholomäus, Apostel, hl. 213 Basken (Bascia, Bascle), Volksgruppe 21f~4lf~45, 118,183 - Baskenland 69 Battista Artari, Giovanni (t ca. 1730), Bildhauer 199 Bayern, Terr 169,215 s. Heinrich der Löwe; Naimes; Welf IV. (I.) Bayle, Pierre (1647-1708), französischer Publizist und Philosoph 34 Bayonne, 0. in Frankreich 21 Baztan, Pyrenäental 41 Beatrix von Burgund, Gemahlin Friedrichs I. Barbarossa, Ksn. (1167-1184) 91f., 101, 102 Beauvais, 0. in Frankreich 72 Beda Venerabilis (673/ 74-735), Mönch und Gelehrter 63 Benedikt von Nursia (Sant Benet, t547), Ordensgründer, hl. 150, 173 Benedikt von Sankt Andre as am Berge Sorakte, Mönch und Chronist 61 Benediktiner 66, 127, 148, 199,201, 204ff., 215 - Benediktinerregel 71, 75 s. Benedikt von Nursia BenHoch i Viv6, Joan, Bf. von Urgell (1906-1919) 158f. Berengar Raimund II., Gf. von Barcelona (1076-1096/ 97) 146 Berenguer de Puigpardines, katalanischer Chronist des 15 . Jhs. 158 Bernat de Peramola, Prior in Ripoll (1206-1213) 127 Bernhard de Carpio/ Bernardo del Carpio, legendärer Neffe Alfons' Il. von-Asturien 56, 191 Bernhard Il., Gf. von Besalu (1066-1100) 129 Bernhard von Clairvaux (1090-1153), Mönch, Prediger, hl. 58, 213 Bernhard von Italien, K. des karolingischen Unterkönigreichs Italien (812/ 813- 818) 51 Bertha, legendäre ungarische Königstochter 110 Bertho von Leibholz, Abt von Fulda (1261-1271) 204,208 Benhold von Sternberg, Bf. von Würzburg (1274-1287) 210 Bertlane, angeblicher Begleiter Karls des Großen 50 Bertran de Ia Ceva, katalanischer Jurist des 14. Jhs. 157 Bertrand de Ia Tour (1265-1333), Franziskaner, Prediger 148 Besalu, Gft in Katalonien - Gfen. von 124, 130 s. Bernhard Il.; Wifred der Haarige Bettingen, 0. 214 Bibra, 0. 216 Bieber, 0 . 211 Bischofsrode, Georg von, hessischer Adliger (16. Jh.) 213 Blaye, 0 . in Frankreich 87 - Basilika des Seligen Romanus 19 Blois, 0. in Frankreich 6 Boethius, Anicius Manlias Severinus (t524), Gelehrter und Theologe 110 Bonifatius, hl. 196, 198, 203 Bonizo de Sutri, Bf. von Sutri (1078-1082) 57 Bonne-Esperance, Kl. in Frankreich 92 Bordeaux, 0 . in Frankreich 40, 42 Borsch, 0. 210 Brabant, Terr. in Belgien und den Niederlanden 11 0 s. Adenet le Roi Braga, 0. in Portugal 77 Braine, Gfen. von 15 Braunschweig, 0. 133, 166 s. Otto von Braunschweig Bremen, 0. 197 Bremen, 0. bei Vacha (0.) 206 Bretagne, Terr. in Frankreich 218 s. Roland Bridiers (auch Breith/ Brede, briderium), gallo-römische Stadt 36 Briviesca, 0. in Spanien 42 Brun von Querfurt, Missions-Ebf. der östlichen Heiden (1004-1009), Märtyrer, hl. 57 Brüssel, 0 . in Belgien 15 <?page no="247"?> Register der Orts- und Personennamen 231 Büchenberg, eingemeindet nach Eichenzell (0 .) 206 Buchonien, Wald- und Berggebiet zwischen Thüringer Wald und Wetterau 196 Burchard von Ursberg, Probst und Chronist des 13. Jhs. 64 Burgode Osma, 0. in Spanien 15 s. Diego von Azevedo Burgund (Burgundie), Terr. in Frankreich 8, 15f., 92, 204, 218 Byzanz 99 - Basileus (Ks.) 4, 5, 95 s. Manuel Komnenos Calahorra, 0. und Btm. in Spanien 42 Calixt (Calixtus) II., P. (1119-1124) 20, 51, 61, 86, 145 Cambrai, Btm. in Frankreich 92 Canterburry, Ebtm. in England 95 Carafa, Petrus Aloysius, Päpstlicher Nuntius (17.Jh.) 201 Cardigan (Ceredigion), Königreich 65 Carolef, hl. 73 Cascante, Kl. in Spanien 57, 71 Cassiodor (Flavius Magnus Aruelius Cassiodorus, t um 580) 129 Castell6 d'Empuries s. Ampurias Castres, 0 . in Frankreich 218 Ceia, Fl. und 0. in Spanien) 165 Cerdanya, Gfs. in Frankreich/ Spanien - Gfen. von 124 s. Wifred der Haarige; Wilhelm Jordan Ceredigion, s. Cardigan Champagne, Terr. in Frankreich 139 - Gfen. von 15 Chartres, 0. in Frankreich 87 Christian, Ebf. von Mainz (1160-1183), seit 1162 Reichskanzler 92 Christoph (Sancto Christophoro), hl. 200f.,217 C hristus (Christus) 5, 9, 25, 33, 46, 59, 66, 67f., 91,103,127, 148f., 196, 199f., 202 Cicero, Marcus Tullius (106-43. v. Chr.), römischer Staatsmann, Redner und Schriftsteller 47, 62 Cid, El (Cid Campeador, 1048-1099), eigentlich Rodrigo (Ruy) Dfaz de Vivar, kastilischer Heerführer und Nationalheld 73, 147 Cisa (Sicera), Paß in den Pyrenäen 51 -Port de Cize (Ibafieta) bei Roncesvalles 40 Clavijo, 0. in Spanien 58 -Schlacht von (834 oder 844) 179f. Clemens I. (Clemens papa), P. (um 88-97), 3. Bf. von Rom nach Petrus, hl. 21 Clinton, Bill, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1993-2001) 174 Cluny (Cluniaci), 0 . und Kl. in Frankreich 8, 9, 16, 60f., 73, 75, 204 Coimbra, 0. in Portugal 48, 57, 58f., 179 Comburg, Kl. 204f. Compiegne, 0. in Frankreich 60, 186 Conflent, Gft 138 C6rdoba (Corduba), 0. in Spanien 23, 79,84 s. Abd al-Rahman I. Corvey, Kl. 63f. Crecy, Schlacht von (1346) 115 Cux a, Kl. 133, 134, 152f. s. Gregorius; Oliba Dalherda, eingemeindet nach Gersfeld (0.) 205, 207 Dalmatius, Bf. von Santiago (1094-1095) 75 Dänemark 186 Dame Alighieri (t1321), Dichter 47, 87 David, bibl. Gestalt 3, 103, 148, 149 Dax, 0. in Frankreich 29 Deutscher Orden 164,215 Deutschland (Alemagne, Deutsches Kaiserreich, Deutsches Reich, Imperium Romanum, Regnum Teutonicum, Römisch-Deutsches Reich, Römisches Reich, Sacrum Imperium, Th eutoni ca , Th eutonici, tiutische) VIII, IX, XIIIff., 6, 45, 49, 53, 54, 56, 66, 69, 70, 76, 77, 87, 91, 95,105,118,154,161,162,163-166, 168,170-173,186,188,190,192, 193, 197 s. Heinrich II.; Heinrich V.; Heinrich VI.; Konrad III.; Otto III.; Otto IV. <?page no="248"?> 232 Register der Orts- und Personennamen Diebach, 0. 215 Diego [li.] Gelmirez, Bf. von Santiago (1098/ 1101-1140), seit 1120/ 1124 Ebf. 16, 11, 19, 72f., 178 Diego von Azevedo, Bf. von Osma (1201-1207) 15 Dientzenhofer, Johann (1665-1726), Architekt 199 Dietershan, eingemeindet nach Fulda (0.) 205, 207 Dietershausen, 0. 207, 213f. Dionysius (beatus Dionisius, beatus Dionisius apostolatus, Sanctus Dyonisius, sandionysisch), hl. 9, 20f., 31, 93, 98, 100, 186 Dorf-Allendorf (0.) bei Bad Salzungen a.d. Werra 205, 208 Dover, 0 . Großbritannien 65 Drisch, P. Michael, Benediktiner, Professe des St. Andreasklosters bei Fulda (17. Jh.) 201 Duisburg, 0. 92 Ebersberg, 0. 207 - Gfen. von, bayerische Adelsfamilie 213 Ebersburg, 0. - Thalau, eingemeindet 205,213 Ebing, 0. 206 Ebrahim, angeblicher muslimischer Gegner Karls des Großen 6, 27 Ebro, Fl. in Spanien 23, 42 Eckweisbach, 0. 211 Eduard der Bekenner (the Confessor), K. von England (1042-66), hl. 93f., 186 Eggihardus, angeblicher Begleiter Karls des Großen 23 Eichenzell, 0 . - Büchenberg, eingemeindet 206 - Löschenrod, eingemeindet 205, 212 - Welkers, eingemeindet 205, 217 Einhard/ Einhart (Eginalt, t wohl 845), Geschichtsschreiber und Gelehrter am Hof Karls des Großen XII, XV, 3f., 6, 7, 15, 18f., 24, 26, 30, 37. 40, 43,61, 98,109,113,129,130,139, 181ff. Einsiedeln (Eynsideln), K! . 150, 198 Eisenach, 0. 197 Eiterfeld, 0. - Soisdorf, eingemeindet 212, 213 Ekkehard von Aura (t nach 1125), Geschichtsschreiber 5, 54, 64 Eibe, Fl. 174 Eleonore von Aquitanien (Alienor), Kn. von Frankreich (1137-1152) und von England (1154-1189), Gemahlin K. Ludwigs VII. von Frankreich und K. Heinrichs II. von England Elisabeth von Hennegau (t1190), Gemahlin K. Philipps li. August von Frankreich 15, 108f., 188 Ellwangen, 0. 205 Eine, 0. in Frankreich 145 Elsaß, Terr. in Frankreich 171, 218 Emilianus, hl. 60 Engelbert, Abt von Kimbach (1727-1753) 204 England (Britanicus, Britannien, britisch, Großbritannien) 23, 65, 66, 70,96, 112,137,142,186 - Königtum 96 - Ostengland 70 - Südengland 65, 70 s. Eduard der Bekenner; Heinrich l i. Eormenstra: t (Ermingstreet, Ermingestrete, Ermingestrete, Eoremenestra? t, Eormensstra? t,), sagenhafte Straße 65, 66 Ephesus, 0 . in der Türkei 20 Er aus Pamphylien, Gestalt nach Plato 47 Eresburg, sächsische Grenzfeste in Westfalen 68 Erfurt, 0. 197 Erlangen, 0. XI Ermengol, Gf. von Urgell (992-1010) 146 Eschwege, 0. s. Abterode Etienne Marcel (t1358), Anführer einer Revolte in Paris (1356-1358) 111 Etzelskirchen, 0. 206 Europa IX, XV, 10, 48, 57, 67, 70, 73, 75 , 78, 107, 158, 164, 173ff., 179, 186, 188, 190ff., 193,219 - Mitteleuropa XV - Westeuropa 78 <?page no="249"?> Register der Orts- und Personennamen 233 Eusebius von Cäsarea (t nach 1339), Bf. von Cäsarea (Palästina) 129 Ferdinand 1., K. von Le6n (1038-1065), seit 1029 Gf. von Kastilien 11, 41, 48, 59,75 Ferracutus/ Ferragut (Riese), Sagengestalt im Pseudo-Turpin 3, 9, 25, 149,171 Flandern (flämisch, flandrisch, Flandria), Terr. in Belgien/ Frankreich XIV, 72, 107f., 135f., 139 - Flandern-Hennegau, Geschlecht 108 - Gfen. von 107f., 135, 139 s. Balduin I. Eisenarm; Balduin VII.; Philipp von Elsaß Flavius Felix, spätantiker Epigrammatiker des 6. Jhs. aus Nordafrika 129 Flodoard von Reims (t966), Kanoniker, Priester, Archivar der Kathedrale von Reims 27f. Florenberg (früher Floraberg), 0. 212, 217 Fl6rez, Henricus (Enrique, t1773), spanischer Historiker 72 Florus von Lyon Ct um 860), Theologe und Dichter, Diakon 203 Flügel, fuldischer Architekt (20. Jh.) 213 Fontenelle, Kl. in Frankreich s. Ansegis Fraga (Fraga), 0. in Spanien 144 Franken (Franci, Francorum, Francus, Frankenreich, fränkisch), Stamm XIX, 3, 6, 11, 16, 21f., 23, 28, 29, 40f., 55, 63, 64f., 66, 74, 79, 82, 84, 86,97, 109,115, 118f., 121,134,140, 141, 186f., 191,218 fränkis cher K. 13 7 s. Karl Martell; Karlmann; Pippin d.J. Franken (Frankenland), Terr. in Deutschland 202f. - Unterfranken 215f. Frankfurt a.M., 0. 196f. Frankreich (Franca, Fran~ais, France, France, Francia,franzisch, french) VIII-XI, XIVf., 5-9, 10, 13-16,20, 21, 23, 24, 21, 29, 30f., 34, soff., 53, 70, 72f., 75 , 79, 83, 86ff., 93, 95, 97, 98 ,100,107,110 - 116, 118,121,136, 137, 138f., 141,145,154,157, 158, 163, 168, 172f., 186ff., 192, 197 - K./ Königtum/ Monarchie XIII, 15, 21,93f.,108f~119,1J7 - Nordfrankreich 14, 24, 29, 31, 72, 110 - Südfrankreich 15, 47,141,151,161, 192 - Südwestfrankreich 13, 26, 49, 189 - Westfrankreich (western France) 72, 79 - Zentralfrankreich 121 s. Hugo Capet; Johann II.; Karl V.; Ludwig VI.; Ludwig VII.; Ludwig VIII.; Pierre d' Orgemont; Philipp II. Augustus; Philipp III. der Kühne; Philipp VI. von Valois; Rudolf von Burgund Franziskaner, Orden 53 Frauenberg, 0. 207 Freiburg, Ebtm. 214 Freising, Btm. 203 s. Otto, Bf. von Freising Friedrich I. (Friedrich Barbarossa), seit 1152 römisch-deutscher K., Ks. (1155-1190) 9, 32f., 53, 89-95,98, 100-104,148, 185ff., 193 -Urkunde (Privileg, Diplomata) 33f., 90, 100, 102 Friedrich V., Hz. von Schwaben (1170-1191) 91 Friesland (Fresonia, Prise), Terr. 18, 32, 33,69,70,91, 118,171 - Nordfriesland 69 Frutolf (t1103), Mönch (und Prior? ) des Kl. Michelsberg (Bamberg) 64 Fulda, 0 . XI, XV, 1, 189, 195-219 - (altwürzburgisches) Archidiakonat 207,212 - Btm. 206f., 209-215, 217 - Dietershan, eingemeindet 205, 207 -Dom 199 - Fürstabt/ Fürstabtei 197, 202, 206, 209f., 216 - Fürstbischof. 202 -Hoch stift 217 -Hospital 216 - Jakobuskapelle 204, 208f. - Kl., Klosterkirche 198, 201, 204, 209, 211,214 <?page no="250"?> 234 Register der Orts- und Personennamen - Marienbruderschaft 209 - Michaelskirehe 218 - Propstei 205 - Stadtpfarrei, Stadtpfarrkirche 201, 209 -Stift 208f., 212, 217 . - Stiftsdekan 207 - St. Michaelskirehe 203f. s. Adalbert von Schleiffras; Adolf von Dalberg; Bertho von Leibholz; Heinrich von Bibra; Heinrich von Kronberg; Rahanus Maurus; Ratgar; Ruothart; Schmitt, Joseph Damian; Siegfried von Eppstein; Werinbar Furra, legendärer Fürst von Navarra 5 Gabriel, Erzengel 48f., 82, 85, 206 Gadheim, 0. 205 Gaius Julius Caesar (t44 v. Chr.), römischer Staatsmann und Feldherr 129 165 Galicien (Galice, Galicia, Galicien, Galicier, Gallatia, Gallecia, Gallecie, Gallicia, Gallicie), Terr. in Spanien VII, XI, 13, 16, 18f., 32f., 42, 45f., 49, 52, 56-59, 61' 67, 69, 71f., 77, 87, 118, 127, 145, 162, 165, 171,203 - Nordgalicien 203 s. Alfons VII. Galilea (Galilee) 46 Gallien (Galli, Galli, Gallia, Gallia, Gallicana, Gall(i)orum, gallisch, galloromanisch, gens gallica, natione gallica) 6, 45, 50, 67, 68f., 70,90,92, 105,134,191 Ganalon (Ganalonus, Ganelon) 27, 79f., 83,86 Gangolf, hl. 217f. · Gargano, Burg in Italien 23 Gascogne (Gascoigne, Gasconiam), Terr. in Frankreich 45, 69, 118, 141 Gau-Algersheim s. Hauf, Theo Gaufred s. Geoffrey/ Geoffroi Geisa, 0. 206,209-214,217 Philippus, hl. 209 Gelasius li. (vorher Johannes von Gaeta), P. (1118-1119) 55 Gellone, Kl. in Frankreich 137 Gelnhausen, 0. 197 Gembloux, 0. in Belgien s. Wibert von Gembloux Genua, 0. in Italien s. Jacobus de Voragine Geoffrey von Monmouth (t1155), Autor 70 Geoffroi de Breuil (Gaufred von Breuil, Gaufredus proir vosiensis), Prior von Vigeois (1178-mind. 1184) XII, 7, 8, 34f., 92 Georg, hl. 60 Gerbert von Aurillac, Ebf. von Reims (991-996) und Ravenna (998), P. Silvester II. (999-1 002) 124 Gerhard von Eppstein, Ebf. von Mainz (1289-1305) 205 Germanen (germanisch) 63, 64, 66, 169 Gersfeld, 0. - Dalherda, eingemeindet 205, 207 Gervasius von Tilbury (t nach 1220), englischer Kleriker, Rechtsgelehrter 9 Gerward, Bibliothecarius Ludwigs des Frommen 140 Ghigelmo Alcorbitunas, angeblicher Begleiter Karls des Großen 50 Giraldus (Giraldus magister), Kanoniker in Santiago de Compostela (12.Jh.) 16,20, 72 Girberga Flandrensis, sotia des Aimeric Picaud (12. Jh.) 71 Girona (Gerona, Gerunda, Gerundenses, Gerundo, Gerundo, Gironda), 0. in Spanien 121, 145, 152-156, 158, 165 s. Arnaldus de Monredondo; Raimund Borrel 111.; Wifred der Haarige Gnesen, 0. in Polen 184 s. Martin von Troppau Godescalcus, Bf. von Le Puy (936-962) 42 Goliath, bibl. Gestalt 3, 149 Gollachostheim, 0. 206 Gottfried von Spitzenberg-Helfenstein, kaiserlicher. Hofkanzler (1172-86), Bf. von Würzburg (1180-1190) 98 Gotthard, 0. 211 Gregor VII. (Hildebrand), P. (1073- 1085), hl. 73, 178 <?page no="251"?> Register der Orts- und Personennamen 235 Gregorius (Gregorius), Abt von Cuxa, Ebf. von Tarragona (1118-1146) 88,134 Grenoble (Gratianopolis), Stadt und Bischofssitz in Frankreich 19, 86 Griechenland 47, 59, 62f., 67, 78 regnum Greci~ 95 Grimm,Jacob (1785-1863) 49, 63, 64, 65f., 74 Grimm, Wilhelm (1786-1859) 64, 74 Großburschia an der Werra, 0. 203 Großentaft, 0. 212f. Großlangheim, 0. 206 Großmünster, 0 . 172 Guillaume d'Orange s. Wilhelm I. der Heilige Guillem de Bergueda Ct zwischen 1192 und 1196), katalanischer Troubadour 87 Guy de Bazoches (t1203), Autor 139 Hadrian I. (Adrianus), P. (772-795) 27f. - Hadrians-Privileg 105 Hadrian IV (Nikolaus Breakspear), P. (1154-1195) 93 Hagen s. Hogni Haimbach, 0. 128 Haistulf, Ebf. von Mainz (813-826) 198 Hammelburg, 0. 197, 215 Hanau, 0. 197 Harun al-Raschid (t809), Kalif aus der Dyn. der Abbasiden 24 Hastings, Schlacht von (1066) 30 Hattenhof, 0. 206 Heiliges Reich (Sacrum Imperium) s. Deutschland Hauf, Theo, Ffarrer von Gau-Algersheim (20. Jh.) 207 Heinrich der Löwe, Hz. von Bayern (1156-1195) und Sachsen (1142-1195) 103,104 Heinrich II., K. von England (1154-1189) 91, 94,137 Heinrich II., römisch-deutscher K. (1002-1024), seit 1014 Ks. 54, 96, 186, 181, 192 Heinrich V, römisch-deutscher K. (1098- 1125), seit 1111 Ks. 93 Heinrich VI., römisch-deutscher K. (1169-1197), seit 1191 Ks., seit 1194 K. von Sizilien 91,204 Heinrich von Ahorn, Verfasser einer Vision 48 Heinrich von Bibra, Fürstbischof. und -abt von Fulda (1759-1788) 202 Heinrich von Kronberg, Abt von Fulda (1192-1216) 203,204 Heinrich von Thüringen, Landgraf, von Thüringen (1190-1217) 204 Helinand de Froidmont (t nach 1229), Dichter und Chronist 10f. Helios, griechischer Sonnengott 63 Helmarshausen, 0. 104 Henneberg, Grafengechlecht, Ministerialenfamilie (16. Jh. ausgestorben) 208 Hennegau (Chainau), Gfen. von 7, 15, 108, 129, 139 - Flandern-Hennegau, Geschlecht 108 s. Balduin V., Elisabeth von Hennegau Hera, griechische Sagengestalt 62 Herkules, griechische Sagengestalt 62 Hermann Künig aus Vach (Hernamannus Künig vom Vach), Mönch, Santiaga-Pilger (1485) 197f., 218 Herminonen, Stamm 66 Herades (Herode Hierosolymis, Herades rex), bibl. Gestalt 46, 142 Herolz, eingemeindet nach Schlüchtern (0.) 205, 210 Herreth, 0. 206 Hesiod von Askra (um 700 v. Chr.), griechischer Historiograph 63 Hesperiden (Hesperie), sagenhafter 0. im äußersten Westen der antiken Welt 142 Hessen, Terr. 196,206,207,210-213, 217 - Osthessen 196 Hieronymus Münzer (1437- 1508), Arzt und Humanist 192 Hildemar von Corbie (um 850), Mönch 71 Hilders, 0. - Liebhard, eingemeindet 211 Hinkmar, Ebf. von Reims (845-882) 27f., 140, 182 <?page no="252"?> 236 Register der Orts- und Personennamen Hofbieber, 0. - Niederbieber, eingemeindet 205,212 - Traisbach, eingemeindet 205, 215 Hogni (=Hagen), germanische Sagengestalt 66 Hohenberg a.d. Eger, 0. 205 Hohenlohe-Brauneck, Adelsgeschlecht 211 Holzkirchen, Kl. 205,215 Hrabanus Maurus s. Rabanus Maurus Hruodland, fränkischer Krieger des 8.Jhs. 40 Huesca, 0. in Spanien - Porz de Sicera 50 Hugo Capet, seit 960Hz. von Franzien, K. von Frankreich (987-996) 109 Hugo IV. (t1205), Gf. von Saint-Pol 108 Hugo von Fleury (t zwischen 1118 und 1135), französischer Chronist, Mönch 7, 98 Hugo von Poitiers (t930), hl. 139 Bukbald von St. Amand (t930[? ]), Musiktheoretiker, Hagiograph, Dichter 40 Humbert von Romans (t1277), Theologe und Kanoniker 12f. Hünfeld, 0. 197, 205, 210f., 218 Iberische Halbinsel (! herum) VII, XV, 16, 39, 56, 75, 98, 121,123, 125, 130, 140, 144ff., 151,154,177, 179f., 190, 193, 197 - Pyrenäenhalbinsel 16, 75 Ingwäonen, Stamm 66 lria Flavia (Iriensi episcopo), Btm. in Spanien 11, 75 lring (Irinc von Tenemarke, Iringi, Iringis, Irung, Irung), legendäre germanische Gestalt 64ff. - Iringstraße (Jringesstraza) 64f. - Iringsweg (! rings wec ! ring es wec, ! rings weg, Irungs weggr) 66, 69 Irland 70 lrmin (lrnvrit von Düringen), legendäre germanische Gestalt, Stammvater der Hermunduren 65, 66 - Irmanstd.za (Irmanstraza, Irmanesstraza, Irmingstrcet, Irmingstrret) 65 - Irmin-/ lrmensäule (lrmingsul, Irmingsul, Irminsul, irminsu[) 65, 66,68 Irminfried, legendäre sächsische Gestalt 64 lsaak, bibl. Gestalt 195 Isidor von Sevilla, Bf. von Sevilla (599/ 600-636), Autor 63, 129, 178 Israel (Heiliges Land, Israel) 17, 99, 145, 148, 195, 197 Istwäonen, Stamm 66 Italien (Italien, Ytaliam) 26, 45, 69, 87, 95,184,197 s. Bernhard von Italien lvo,hl. 218 Jaca, 0. in Spanien 42 Jacobus de Voragine, Ebf. von Genua (1292-1298) 12f., 171 Jacquerie, Bauernaufstand (1358) 111 Jakob, bibl. Gestalt (Altes Testament) 195f. Jakobus d. J. (Minor), hl. 195, 199, 209, 214,244 Jean Fouquet (t1481), französischer Buch- und Tafelmaler 116, 118 Jerusalem (Heilige Stadt) 2, 24, 55, 60f., 99,104,127, 147f., 158, 177,186 - Jerusalemfahrt XII, 113,146 Jesuiten, Orden 208 Jesus (Christus, Christus, Iesu Christi, Ihesus Christus, Jesus Christus, Jesus von Nazareth) 24, 66, 82, 149, 195, 198, 209 Johann II., K. von Frankreich (1350-1364) 111 Johannes der Täufer Qohannes Baptista), hl. 29, 198 Johannes, Apostel, Evangelist (Ioannis apostoli, lohannis evangeliste) 20, 46,142,195 Johannesberg, 0. 206f., 217 Jolande (Yolande), Gemahlin des Gf. Hugo IV. von Saint-Pol (12. Jh.) 9, 108 Josef, hl. 216 Josephus (t 95 n. Chr.), später Flavius Josephus, Historiograph 129 Josua, bibl. Gestalt 149 Juden 47,78, 147,196 <?page no="253"?> Register der Orts- und Personennamen 237 Judith, Karolingerprinzessin, Kn. von England (856-860), Gfn. von Flandern (862-nach 870), Gemahlin Balduins I. Eisenarm 136, 138 Jumieges, Kl. in Frankreich 73 Jupitersäule (Jupiter mit Sonnenrad) 68 Jütland, Terr. Dänemark 69f. Kämmerzell, 0. s. Rochusberg Kapetinger (Capet, kapetingisch), Dyn. XIV, 14, 93f., 97, 108f., 131, 135, 136, 137-141,153 kapetingisches Königtum/ Königreich 138, 192 Karl II. der Kahle, seit 843 westfränkischer K., Ks. (875-877) 11, 33, 60, 113 Karl 111. der Dicke, seit 876 ostfränkischer K., Ks. (881-888) 182 Karl Martell (t741), fränkischer Hausmeier 27 Karl V., K. von Frankreich (1364-1380) 111f. Karlmann, fränkischer König (754 bzw. 768-771) 28 Karlstadt, 0. 210, 212ff. Karolinger (Karolingerherrschaft, Karolingerkaiser, karolingisch), Dyn. VII, XI, XIV, 2ff., 7, 9, 17, 22, 32, 37, 42, 94, 96, 98, 100f., 105, 107ff., 115, 131, 138-142, 145, 151-154, 156ff., 174, 182f., 185, 190ff. - Karolingerreich (karolingisches Reich) 130, 141, 159 Kassel, 0. 197 Kastilien, Königreich 60, 73, 130, 137, 140f. s. Alfons VI.; Alfons VII.; Alfons X. der Weise; Cid, El; Ferdinand I. Katalonien (Catalonna, Catalunya), Terr. in Spanien XIV, 7, 87, 91, 121-159, 191f. - Gfen. von 130 - Nordkatalonien 152 - Nordostkatalonien 121 Katharina, hl. 215 Kelten, indogermanisches Volk 68 Kilian, hl. 209 Kimbach,O. s. Engelben Kirchschönbach, 0. 206 Kissingen, 0. 204 Knud Laward (t1131), Hz. von Dänemark, hl. 186 Köln, 0 . 92,95 s. Rainald von Dassel Konrad aus Nüdlingen, Schuhmacher (13. Jh.) 205 Konrad III., Gegenkönig (1127-1135), deutsch-römischer K. (1138-1152) 165 Konrad von Mure (1210-1281), Zürcher Kantor 13f. Konrad, pfaffe, Dichter XIII, 85, 103, 166-170 Konstantirr I. der Große, römischer Ks. (306-337) 61 Konstantirr VI., oströmischer. Ks. ([780-] 790-797) 186 Konstantinopel (Constantinopoli) 24, 99, 113 Künzell, Vorort von Fulda (0.) 196 La Grasse, Kl. in Frankreich 13f., 123, 150,156 Lambert von Ardres (t nach 1203), französischer Chronist 139 Lambert von St-Omer (t nach 1276), Kanoniker von St-Omer 107 Lausanne, 0. in der Schweiz 218 Lehnerz, 0. 207 Leipzig, 0. 197 Lengfurt, 0. 205 Leo III., P. (795-816) 90, 149, 171 Leo von Ostia (t1115), zwischen 1102 und 1107 Kardinalbischof von OstiaNelletri 54 Le6n, 0 . in Spanien 26, 143, 178, 180 -Konzil (1090) 73 s. Alfons VI.; Alfons VII.; Alfons X. der Weise; Ferdinand 1.; Lucas von Tuy Leonhard, hl. 215, 218 Leoprandus (Leobrando Aquisgranensi), im Liber Sancti J acobi erwähnter Dekan der Aachener Marienkirche (12. Jh.) 16, 27, 31f., 100 <?page no="254"?> 238 Register der Orts- und Personennamen Lettgenbrunn, eingemeindet nach Bad Orb (0.) 211 Liebhard, eingemeindet nach Hilders (0.) 211 Ligurien, Terr. in Italien 197 Limoges (lemovicensi), 0. in Frankreich 29,35 - Saint-Martial (sacro marcialis conventui), Kl. 8, 35 Limousin, Terr. in Frankreich 218 Lincoln, 0. in Großbritannien s. Walter Map Lioba, hl. 196 Lleida (Lerida), 0. in Spanien 144ff. Lohr a. Main, 0. 211 Loire, Fl. in Frankreich 72 Lombardei (Lombardie), Terr. in Italien 118 London, 0. in Großbritannien, British Library 15 Löschenrod, eingemeindet nach Eichenzell (0.) 205, 212 Löslein, Paul, Pater von Unterbernhards (20. Jh.) 207 Lothringen (Lothringen), Terr. in Frankreich 52, 136, 218 - Niederlothringen 92 Lucas von Tuy, Bf. von Tuy (1239-1249) 13f., 56, 191 Ludwig I. der Fromme (Ludwig der Heilige), seit 781 aquitanischer Unterkönig, Ks. (813/ 814-840) 3f., 25, 42, 51, 66, 109ff., 130, 140, 182 -s. Gerward Ludwig II. der Stammler, westfränkischer K. (877- 879) 182 Ludwig VI., K. von Frankreich (1108-1137) 108f., 135 Ludwig VII., K. von Frankreich (1137-1180) 111,137, 186 Ludwig VIII., K. von Frankreich (1223-1226) 10,109,111,188 Luiserne, im Pseudo-Turpin erwähnter 0. 19 Lukas, Evangelist, hl. 40 Lütter, 0. 214 Lüttich, Btm. in Belgien 92 Maberzell, 0 . 218 Machtilshausen, 0 . 206 Macrobius (Makrobius), Ambrosius Macrobius Theodosius, lateinischer Philologe im frühen 5. Jh. 62f. Magdeburg, 0. -Ebtm. 95 s. Brun von Querfurt Mailand, 0. in Italien 94 Main, Fl. 197 Mainstockheim, 0 . 206 Mainz, 0. 93, 198 - Ebtm. 211, 217 - Kurmainz 211 s. Christian; Gerhard von Eppstein; Haistulf; Rahanus Maurus; Siegfried von Eppstein Mannus, legendärer Ahnherr 66 Manuel Komnenos, oströmischer Ks. (1143-1180) 95 Marbach, 0. 218 Marca, Pierrede (1594-1662), Kirchenmann, Politiker und Historiograph 128, 146 Margaretenhaun, 0. 211-214 Maria (Gottesmutter, irdische Mutter, Marie), hl. 48, 60, 150, 186, 198, 208f., 215, 217f. Maria Magdalena, bibl. G estalt 218 Markt Maßbach, 0. 216 - Weichtungen, eingemeindet 205, 216 Marmoutiers bei Tours (0. in Prankreich) 8 Marseille, 0. in Frankreich -Saint Victor (Saint Viktor), Kl. 129 Marsilie (Marsilie), muslimischer K. aus dem Rolandslied 79f., 82f. Marsirus, legendäre Gestalt aus dem Pseudo-Turpin 151 Martin (beatus Martinus), hl. 8, 207, 212,218 Martin von Troppau (t1278), Historiograph, Ebf. von Gnesen (1278) 113, 164 Matthäus, Apostel 20 Maupertuis, Schlacht von (1356) 111, 115 Mauren s. Muslime Maxentius, Usurpator (306-312) 61 Meritxell, 0. in Andorra 158f. Merowinger, Dyn. 139 Metz, 0 . in Frankreich 203 <?page no="255"?> Register der Orts- und Personennamen 239 Michael, Erzengel 48, 67, 203f., 206, 218 Michelsberg s. Bamberg Milo, legendärer Begleiter Karls des Großen, Vater des Roland 17, 26, 101 Minden, Btm. 92 Minoriten s. Franziskaner Miravet, Burg in Spanien 144 Mittelmeer 197 Mohammed (Mahumeti, t632), Prophet 144 Mont St. Michel, Kl. in Frankreich 218 Montpellier, 0. in Frankreich 218 Moses (Moyse), bibl. Gestalt 149 Mozac, Kl. in Frankreich 137 Mozaraber, Christen unter muslimischer Herrschaft 73 Muhammad al-Mahdf, Bagdader Kalif (868 -? ) 40 Münster, 0. 52 Münsterschwarzach, 0. 205f. Musa, muslimischer Feldherr (8. Jh.) 180 Muslime (Alarbs, Mauren, Moabitarum, Saraceni, Saracensis, Sarazenen, Sarrazeni) XIV, 5f., 9, 16, 18, 2Jff., 25, 26, 28, 29, 30, 39, 46, 51, 59f~86, 100,102,114,118,121,131, 134f., 137f., 144f., 148ff., 151, 152, 156f., 158,159,166,170, 179, 180f., 183, 188, 190f. s. Aigoland N aimes (Herzog Naimes, Naaman, dux Baioariae, N aamandus Baioariae), legendärer Hz. von Bayern 169f. Najera (Nazara), 0. in Spanien 41 Namur, Stadt und ehemalige Gfs. in Belgien 139 Nangis, Wilhelm von, französischer Chronist (belegt um 1250-99) 111 Napoleon I., Ks. der Franzosen (1804-1814/ 1815) 173, 188 Narbonne (Narbonnais), 0. und Btm. in Frankreich 40, 154,156 Navarra (Navarra), Königreich 23, 40, 42,45,50,56,69, 118,140,189 -K. 137 s. Alfons I.; Furra Neuenberg, 0 . 210, 217 Neuenburg, Kl. 212 Neuhof, 0 . 210 Niederbiber, eingemeindet nach Hofbieber (0.) 205, 212 Niederlande 53, 172 Nikolaus, Bf. von Senlis (1622-1653) 108 Nikolaus, hl. 207 Nordsee 69, 197 Normandie (Normandy), Terr. in Frankreich XII, 30, 57, 69, 70-73, 110, 139 - Kleriker 72 Normannen, Bewohner Skandinaviens und Dänemarks im frühen Mittelalter XII, 65f. Notker Balbulus ,der Stammler' von St.Gallen (840-912), Dichter, Erzähler, Gelehrter 7, 182f., 203 Nüdlingen, 0. s. Konrad aus Nüdlingen Nufio Alfonso, Compostelaner Thesaurar (12. Jh.) 16 Nürnberg, 0. XI, 197 Odbert, Abt von Saint-Bertin (986-1 007) 28 Ogier (Oggero, Oggero, Spatacurta, Otger), angeblicher Begleiter Karls des Großen 50, 155 Oihenart, Arnaud, französischer Historiker (17. Jh.) 34 Oliba (Olibero), nach 1008 Abt von Ripoll und Cuxa, Bf. von Osona/ Vic (Vieh) (1018-1946) 50, 124f., 140, 142, 147 Oliverus de Iscani s. Aimeric Picaud Olivier, angeblicher Begleiter Karls des Großen 79ff., 83ff. Ordofio I., K. von Asturien (850-866) 180 Orgemont, Pierre d' (t1389), Kanzler von Frankreich und wohl Chronist 111 Orient 61, 124, 126, 145 Osma s. Burgo de Osma Osona (Ausona), Gfs. in Spanien 153 - Gfen. 130 <?page no="256"?> 240 Register der Orts- und Personennamen s. Oliba; Raimund Borrel 111. Ostfrankenreich 15, 182 s. Kar! 111. der Dicke Ostgoten, Stamm s. Theoderich OstiaNelletri, 0. in Italien s. Leo von Ostia Ostsee 197 Otfrid von Weißenburg (ca. 800-nach 870), Dichter und Theologe 49, 50, 74 Otger Catalo, legendäre katalanische Gestalt 156f. Ottilia, hl. 218 Otto 111 ., seit 983 römisch-deutscher K., Ks. (996-1002) 44, 90, 105, 184f. Otto IV. (von Braunschweig), K. (1198-1218) 204 Otto von Freising, Bf. von Freising (1138-1158) 96 Ottonen, Dyn. 190 Oviedo (Ovetum), 0. in Spanien 18, 23, 174 Oxford, 0. in England 48, 81, 85-88 s. Walter Map Paderborn, Btm. 21, 39, 92, 197 Pamphylien, Terr. in der Türkei 47 -s . Er Pamplona (Panpilonia), 0. in Spanien 19, 21ff., 40, 167, 183 Paris, Bruno Paulini Gaston (1839-1903), Mediävist IX Paris, 0. in Frankreich 15, 30, 33, 110, 111f., 154, 218 - Bibliotheque Nationale 15, 116, 146 - Notre-Dame, Kathedrale 118 - Saint-Germain-des-Pres, Kl. 10,203 -Un iversität 188 s. Etienne Marcel Paschalis III., seit 1164 Gegenpapst, P. (1167- 1168) 55,91,94, 97 Paul V./ Camillo Borghese, P. (1605-1621) 201 Paulus (beatus Paulus apostolus), Apostel, hl. 21, 199,217 Pean Gatineau, Chronist (13 . Jh.) 10 P edro Marcio, Kanoniker in Compostela (12. Jh.) 16, 179 Pegau, 0. 205 - SanktJakobskloster 205 Pelayo, Anachoret, legendärer Einsiedler des 1. Jh. 178, 192 Pere Tomich (t um 1481), katalanischer Historiograph 157 Perelada, 0. in Spanien 156 Peter IV., K. von Aragon und Valencia (1336: -1387) V, 153 Petersberg, 0. 196, 199 -Probst 213f. - Probsteikirche 218 - Steinau, eingemeindet 213 Petronil(l)a, Kgn. von Aragon (1137-1173) 143 Petrus (abbatis petri, Petrus, S. Petri, ), Apostel, hl. 20, 30, 35, 40, 66, 178, 195, 198 Phaeton, griechische Sagengestalt 63 Philipp II. Augustus, K. von Frankreich (1180-1223) 108ff., 188 Philipp 111. der Kühne, K. von Frankreich (1270-1285) 110f. Philipp VI. von Valois, K. von Frankreich (1328-1350) 111 Philipp von Elsaß, Gf. von Flandern (1169-1191), Vermandois (1163-1191) Valois und Amiens 92, 136 Philipp von Schwaben, römisch-deutscher K. (1198-1208) 204 Philipp/ Philippus, Apostel hl. 198-201,209,210,214 Picardie, historische Provinz in Nordfrankreich 72, 108, 218 Pietro Orseolo (t1009), Doge, hl. 147 Pindar (tnach 447 v. Chr.), griechischer Lyriker 67 Pinos, katalanisches Geschlecht 157 Pippin der Jüngere, K. der Franken (751 / 752-768) 28f., 110,158 Pisa, 0 . in Italien 127 Plato (427- 347 v. Chr.), griechischer Philosoph 47 Poblet, Kl. in Spanien 143 Poitiers (pictavensis), 0 . in Frankreich 35 Poitou, ehemalige Gft, Landschaft in Westfrankreich 71, 137 s. Aimeric Picaud <?page no="257"?> Register der Orts- und Personennamen 241 Polen 124, 184 Porta Cesaris, legendärer 0 . aus der Kaiserchronik 165 Portugal 58, 87 Porz de Sicera (Port de Cizne? ), Paß in den Pyrenäen 50 P6voa de Varzim, 0. in Portugal 87 Primat, Mönch von Saint-Denis, Chronist(tätigca.1244-77) 15, 109ff., 114 Provence, Landschaft (ehemalige Gfs.) in Frankreich 85, 135, 147,154 s. Raimund Berengar; Raimund von Saint-Gilies Prüm, Kl. 71 Pujades,Jeroni (1568-1645), katalanischer Historiograph 128 Pyrenäen/ Pyrenäenraum (Pirineis iugis, Pirineu, Pireneo, Pireneos montes) VIII, 6, 22f., 40ff., 55, 57, 77, 87, 121, 124, 127, 130f., 135, 138,139, 141ff., 147,149,152,154, 155f. - Ostpyrenäen 61 - Pyrenäenkloster 128, 133, 156 - Pyrenäenpaß 40 Pythagoras (t497), griechischer Philosoph 62 Rabanus Maurus/ Hrabanus Maurus, Abt von Fulda (822-842) und Ebf. von Mainz (847-856) 199, 203 Raimbaldus de Reillane, Ebf. von Arles (1030-1065) 142 Raimund Berengar (t879), legendärer erster Gf. von Barcelona 158 Raimund Berengar III., Gf. von Barcelona (1097-1131) 143,149 Raimund Berengar IV., Gf. von Barcelona (1131-1162), Princeps von Aragon (1137-1162), Markgf. von Tortosa und von Lerida 126, 133, 137, 141, 143ff., 148f. Raimund Borrell III., Gf. von Barcelona, Gerona und Osona (992-1018) 144 Raimund von Aguilers, Historiograph des ersten Kreuzzuges (frühes 12. Jh.) 147 Raimund von Berga, Abt von Ripoll (12 . Jh.) 126 Raimund von St-Gilles, Gf. von Toulouse (1093-1105), Markgraf von der Provence (1066-1105) 147 Rainald von Dassel, Ebf. von Köln (1159-1167) 92, 94f. Ramiro 1., K. von Asturien (842/ 843-850) 180 Raphael, Erzengel 48 Rasdod, 0. 212 - Pleban213 Ratgar (t835), 3. Abt von Fulda (802-817) 198, 209f. Ravenna, 0. in Italien s. Gerben von Aurillac Regensburg, 0. 164, 184 - Jakobskloster 166 Regino von Prüm, Abt von Prüm, Abt von St. Martin in Trier (899-915), Geschichtsschreiber 98 Reicholzheim, 0. 214 Reims, 0. in Frankreich 27, 28, 29, 32 - Ebtm. 28, 29, 31 -Saint-Remis, Kl. 28f. s. Gerben von Aurillac; Hinkmar; Remigius; Turpin/ Tilpin Remigius von Reims, Bf. von Reims (460-533), hl. 21 Remiremont, Kl. in Frankreich 136 Rhein, Fl. 197 - Mittelrhein 68 Rhön, südöstlicher Teil des Hessischen Berglandes 206, 209 Richard Lescot, französischer Chronist (14. Jh.) 111 Rigord (t1207), französischer Chronist 109 Rio Mau, 0. in Portugal - Sao Christ6vao, Kirche 87 Ripoll (Rivipullenses), Kl. in Spanien XIV, 7, 121-132, 134, 136, 140-146, 147, 148 - 151, 153, 156 s. Arnaldus de Monte; Arnulf; Bernat de Peramola; Oliba Robert II. der Fromme (Rodbertus), K. von Frankreich (996-1031) 139 Robertiner, Dyn. 131, 139 Rochus, Pestpatron, hl. 218 Rochusberg bei Kämmerzell, Berg südöstlich von Bingen 218 Rod gau, 0. 211 <?page no="258"?> 242 Register der Orts- und Personennamen Rodrigo (Ruy) Diaz de Vivar s. Cid, EI Rodrigo Jimenez de Rada, Ebf. von Toledo (1209-1247) und Historiograph 13f., 157 Roland (Rodlane, Rollan, Roland, Rotholandus, Rotolandus, Rotolandus), Markgf. der Bretagne VIII, XIII, 3, 6, 8, 17, 19, 21, 23, 25f., 29f., 35, 50f., 55f., 79-88, 94, 101, 118, 142, 151,154, 155, 167f., 171 Rom, 0. in Italien 20, 24, 34, 40, 43, 67f., 69, 73, 75f., 95, 112, 171, 184, 197 - Milvische Brücke 61 - Peterskirche 18, 19 Romanus (Romanus), hl. 19,142 Römer 41f., 47, 62 Römisch-Deutsches Reichs. Deutschland s. Philipp von Schwaben Romrod, 0. 212 Roncesvalles (Rencesval, Roncevaus, Roncevaux, Ronsasvals, Rozaballes, Runciavalle, Runciavallis), 0. und Paß in Spanien VIII, XIII, 6, 1 Of ., 17, 19, 22, 29ff., 51, 74, 79, 80f., 83, 85ff., 118, 169, 183 Rotenberg, 0 . 197 Roussillon, Terr. in Frankreich 155, 156 Rudolf von Burgund, seit 921Hz., K. von Frankreich (923-936) 139 Rudolf von Fulda (t865), Geschichtsschreiber und Theologe 68 Ruothart, Abt von Fulda (1075-1096) 203,218 Saarland, Terr. 218 Sachsen (Sachsen, Saxonia), Stamm/ Terr. 33, 63, 64f., 68, 69f., 91 -Adel 64 - Sachsenkriege 55 - Sachsenschlächter 55, 57 s. Eresburg; Heinrich der Löwe Sahagun, 0. in Spanien 165 s. Ceia, Fl. Saint Feliu de Guixols, 0 . in Spanien 152 Saint-Bertin, Kl. in Frankreich -s . Odbert Saint-Denis (St-Denis), Kl. in Frankreich VIIIf., Xllf., XV, 8, 15, 20f., 23f., 28f., 30f ., 33f., 51, 52, 60f., 93f., 97, 100,107-119,141,161,186,188, 218 - Kirchenkonzil 20f. s. Suger Saintes, 0. in Frankreich 165 Saint-Geraud d' Aurillac, Kl. in Frankreich 15 Saint-Gilles, Kl. in Frankreich 137 Saint-Jean-de-Sorde, Kl. in Frankreich 29 Saint-Josse-sur-Mer, Kl. in Frankreich 218 Saint-Martin, Kl. in Frankreich 15 Saint-Riquier, 0. in Frankreich 108 Saint-Yrieix-de-la-Perche, Kanonikerstift, in Frankreich 29 Saint-Yved in Braine-sur-Vesle, Prämonstratenserstift in Frankreich 15 Salier, Dyn. 190 Salzburg, 0. in Österreich -Ebtm. 95 Salzungen s. Bad Salzungen San Juan de Ia Peiia, Kl. in Spanien 50 San Martfn de Albelda in der Rioja, Kl. in Spanien 42 San Millan de Ia Cogolla, Kl. in Spanien 50 San Pedro de Sirena, Kl. in Spanien 50 San Pietro in Monte Piciaculi, Kl. in Italien 29 Sancho (III.) Garces ,el Mayor', K. von Navarra (1004-1035) 41, 75 Sankt Gallen, Kl. und 0. in der Schweiz 43, 182 Sant Andreu de Sureda, Kl. in Spanien 155 Sant Cugat del Valles, Kl. in Spanien 122,155,156 Sant Feliu, Kl. in Frankreich 156 Sant Genfs, Kl. in Frankreich 156 SantJulia de Ramis, Kl. in Spanien 155 Sant Martf de Forn del Vidre, 0. in Spanien 155 Sant Miquel de Cuxa, Kl. in Frankreich 133, 15 lf., 156 Sant Quirze de Colera bei Perelada, Kl. in Spanien 152, 156 <?page no="259"?> Register der Orts- und Personennamen 243 Santa Maria d' Arles sur Tee, Kl. in Frankreich 155f. Santa Maria de Gerri, Kl. in Spanien 15lf. Santa Maria de Ripoll, Kl. in Spanien 156 Santa Maria del Camp bei Garriguella, Kl. in Spanien 155 SantaMariadel Camp, 0. in Frankreich 155 Santiago de Compostela/ Compostela/ Santiago, 0. in Spanien (Compostellam, Sanctiago) VIII, X-XIII, XV, 1f., 4, 6, 14, 16-22, 24, 30ff., 34, 37, 41, 52, 57, 59, 69, 70ff., 74-79, 86, 99f., 104, 121ff., 127, 136, 140, 153,161,162, 167,170,175, 177, 178f., 189-193, 195, 197, 203f., 209, 218f. - Kathedralarchiv 1 - Domkanoniker 4 -Domkapitel, Domstift 19, 203, 209 - Ebtm. 74,77 - Kirchenkonzil 19 - Santiago-Pilger, Santiagopilger, Santiago-Pilgedahrten, Santiagapilgerschaft XII, 4, 15, 17, 102,204, 208, 217f. - Santiaga-Ritterorden 180 s. Dalmatius; Diego Gelmfrez; Pedro Marcio; Tierrade Santiago; Nuiio Alfonso Saragossa s. Zaragoza Sarazenen s. Muslime Savari, Mönch in St-Denis (13 . Jh.) 110 Scheide, Zufluß der Nordsee 107 Schleid, 0. 206, 209 Schlüchtern/ Hessen, 0. 197 - Herolz, eingemeindet 205, 210 Schmalnau, 0. 213 Schmitt, Joseph Damian, Bf. von Fulda (1906- 1939) 210 Schottland (Hybernicum) 70 - Südwestschottland 70 Schwaben s. Friedrich V. Schwäbisch Hall, 0. 206 Schwarzbach, 0. 211 Schweden - Schwedenkrieg 204 Schweiz 197f. Sebastian, hl. 214 Senlis, 0. in Frankreich - Nikolaus, Bf. von Senlis Septimanien, karolingisches Terr. 22 Sevilla, 0. in Spanien s. Isidor von Sevilla Siegfried I. von Eppstein, Abt von Fulda (1058-1060), Ebf. von Mainz (1060-1084) 203 Silvester II., P., s. Gerben von Aurillac Simeon, hl. 60, 186 Sirnon von Steinau, hessischer Adliger (15. Jh.) 213 Siurana (Ciuranam), Burg in Spanien 144 Sixtus IV./ Francesco della Rovere, P. (1471-1484) 155 Söflingen, siehe Ulm Soisdorf, eingemeindet nach Eiterfeld (0.) 212, 213 Somme, Fl. in Frankreich 107 Semport (Aylanzon, Santa Cristina de Somport), Spital und Pyrenäenpaß 40,42 Spanien (Espagne, Espagn e, Espaigne, Espanna, Hispani, Hispania, Hispania, Hispanica, Hispanie, hispanisch, hyspania, Ispaniam, Yaspania, Yspania, yspanica) 3f., 5, 6, 7ff., 10, 13-21, 22f., 24, 26f., 28, 29, 30ff., 33, 34f., 39, 40-42, 45f., 53, 55f., 59, 69, 71, 73ff., 79, 82, 86, 91, 100, 118, 121,125,127,128,137, 142,145, 148, 153,154, 156ff., 162, 166f., 170, 173,174, 175, 177,178, 179ff., 183f., 189f., 191, 193, 197 - Bf., Fürsten, K. 19 - Nordspanien 15f., 21, 22, 24, 26, 29, 203 - Nordwestspanien 16, 32 - Spanienfeldzug VIII, 6, 7, 10, 17, 22,2~11~ 116,165, 16~ 171, 185 - Spanienkämpfer 100, 102 - Spanienkreuzzug 15, 17 Stablo, Kl. in Belgien 93 s. Wibald von Stablo Staufer, Dyn. XIII, 53, 65, 74, 89, 94, 96- 99, 10lf., 104, 137, 185 <?page no="260"?> 244 Register der Orts- und Personennamen - Stauferkaiser, staufiseher Ks., staufisches Kaisertum 33, 89, 94f., 100, 102 Steinau an der Kinzig, 0. 197,205 Steinau, eingemeindet nach Petersberg (0.) 213 -Wasserburg 213 Steinbaus, 0. 213 Stephan von Bourbon/ de Bellavilla/ de Borhone (t um 1261) 12 Stephan, Bf. von Tournai (1193-1203) 15 Stephan, hl. 59 Sturmius, hl. 196 Suger, Abt von Saint-Denis (1122-1151) 20,31,93, 109,111,186 Sulayman al~A'rabf, Rebell um 978, muslimischer Stadtherr von Zaragoza 39f. Sutri, 0. in Italien s. Bonizo Tacitus, Cornelius (t um 120), römischer Geschichtsschreiber 68 Tann, Familie von der, hessische Adelsfamilie (14. Jh.) 213 Tann, 0. 218 Tarragona, 0. in Spanien 40, 145 - Ebtm. 55 s. Gregorius Tassilo III., Hz. von Bayern (748-794) 4 Tavernoles, 0. in Spanien 156 - Sant Sadurni, Kirche 152 Templerorden 157 Texufin (Texephinus rex Arabum), muslimischer Emir (1126-1137/ 38) 21 Thala, 0. 214 Thalau, eingemeindet nach Ebersburg (0.) 205, 213 Thegan (t849/ 853), Biograph Ks. Ludwigs d. Frommen 7, 98 Theodemirus (Teodomirus, Theodemirus, Theodomirus, um 879), Bf. von Iria Flavia 17 Theoderich der Große, K. der Ostgoten (471-526) 110 Theresa von Avila (1515-1582), Nonne, Mystikerirr 173 Theuderich (t533), merowingischer K. 65 Thiadrich legendärer thüringischer Stammführer 64 Thüringen/ Thüringerreich, Terr. 64f., 69,206,208f. s. Heinrich, Landgraf von Thüringen Thurkill, englischer Bauer und Visionär (13 . Jh.) 48 Tierrade Santiago Qacobus-Land) 59, 74 Tierry, legendärer Begleiter Karls des Großen 119 Toledo, 0. in Spanien 16, 26, 40, 135 -Metropolit 14 · s. Rodrigo Jimenez de Rada Tortelose s. Tortosa Tortosa (Tortosa), 0. in Spanien 144ff., 167 s. Raimund Berengar IV. Toulouse, 0. in Frankreich - Gf. von 137 s. Raimund von St-Gilles; Wilhelm I. Tournai, 0. in Belgien s. Stephan, Bf. von Tournai Tours, (Turonia, Turonis), 0. in Frankreich 8, 9, 218 - Saint Martin 1 0, 15 Traisbach, eingemeindet nach Hofbieber (0.) 205, 214 Tricio, 0. in Spanien 42 Trier, Ebtm. 95 Troja, 0. in der Türkei 109 Tudela (Tudele), 0. in Spanien 57, 71 Turpin/ Tilpin (Aepiscopi domini Torpini, Archipraesul Turpin, Tilpino Remensi archipresule Tilpino, Tilpinus episcopus, Thilpini, Tulpinum Remensem archiepiscopum, Turpin, l'arcevesque de Reims, Turpini Remensis archiepiscopi, Turpino), Benediktiner aus St-Denis, Ebf. von Reims (748- 794) XVI, 9f., 17, 27ff., 31' 32, 50, 52, 57, 71, 79, 84, 86, 99f., 113, 142, 151' 155 Tuy, 0. in Spanien s. Lucas von Tuy Tyrus, Ebtm. s. Wilhelm von Tyrus <?page no="261"?> Register der Orts- und Personennamen 245 Ulm, 0. 187 Ungarn 124 Ur, bibl. Gestalt 149 Urban 11./ 0do von Chatillon, P. (1088-1099) 55 Urgell ( Urgel), Gfs. 145, 153, 156 s. Benloch i Viv6, J oan; Ermengol; Wifred der Haarige Uriel/ Airgialla, wörtlich ,die Geiselgeber', Gruppe von Vasallenstämmen im Zentrum des älteren Ulster 48 Urphar, eingemeindet nach Wertheim (0.) 204f., 214f. Usuard(us), (841/ 847 erstmals erwähnt), Hagiograph und Grammatiker, Mönch von Saint-Germain-des-Pres 203 Uther Pendragon (410-495 n. Chr.), sagenhafter K., Vater des Artus 70 Utrecht, 0. in Niederlande -Btm. 92 Vacha, 0. 197 Vaetlingasta: t (Va: tlingsstra: t, Vaetlingastr a? t Vretlingsstrret), sagenhafte Straße 65f. Valencia, 0. in Spanien 218 - Kanzlei 73 s. Peter IV. Valentin, hl. 212, 215 Valery, s. Walerich Valois, Dyn. 111 s. Philipp von Elsaß Vandalen (Wandali), Stamm 33, 91 Velate, Pyrenäenpaß 41 Velletri s.Ostia Vergil (Publius Vergilius Marco, 70-19 v. Chr.), römischer Dichter 43,47 Vermandois, Gfs. s. Philipp von Elsaß Vezelay, Kl. und Stadt in Frankreich 218 -Mari e Magdalene de Viziliaco 71 Via lrmani (via Irmani), sagenhafte Straße 65 Vic (kast. Vieh), 0. und Btm. in Spanien 124, 156 s. Oliba Vienne (Vienne), 0. in Frankreich 52 Viereth, 0. 206 Vigeois, Kl. in Frankreich 7 s. Geoffroi de Breuil Vikinger s. Normannen Villanueva, Jaime, spanischer Historiker (19. Jh.) 128, 153 Vinzenz von Beauvais (t1264), französischer Dominikaner und Enzyklopädist 12, 53, 113, 164, 171f. Vinzenz von Saragossa (t um 304), Märtyrer und Archidiakon, hl. 218 Walarich, hl. 108 Walburga 210 Walpurgis, hl. 209 Walter Map (t1209/ 10), Kleriker und Autor 8f. Wamba (t688), K. der Westgoten (672-680) 40 Wartmannsroth! Ufr. 205f., 215f. -Weistum 215 Wechterswinkel, Kl. 216 Weichtungen, eingemeindet nach Markt Maßbach (0. in Ufr.) 205 Weißenburg, Kl. 49 -Weistum 210 Welf IV., Welf I. als Hz . von Bayern (1070-1101) 54 Welfen, Dyn. XIII, 103f. Welkers, eingemeindet nach Eichenzell (0.) 205,217 Wendelin, hl. 217f. Wenden, 0. 33 Werinhar, Abt von Fulda (968-982) 203 Wermerichshausen, 0. 216 Werra, Fl. 208 s. Bad Salzungen Wertheim, 0. - Gfs. 215 - Urpahr, eingemeindet 204f., 214f., Wehrkirche 205 Westfalen (Westphalia), Te rr . 33, 91 Westfrankenreich (Westfrankenkönig, westfränkischer K., westfränkisches Königtum, westfränkisches Reich) XIV, 66, 130f., 133f., 138, 182, 186 s. Karl II. der Kahle; Ludwig II. der Stammler Westgoten, Stamm 73 Weyhers, 0. 207 <?page no="262"?> 246 Register der Orts- und Personennamen Wibald von Stablo (t1158), Abt von Stablo (1130) 30 Wibert von Gembloux (t1213), Mönch und Abt von Gembloux (1194-1204), Autor 7f. Widukind von Corvey (tnach 973), Mönch, Hagiograph, Geschichtsschreiber 49, 63f., 66, 69 Wifred der Haarige (Guifn: el Pel6s, Guillaume, t889), seit 872 Gf. von Urgell-Cerdanya, seit 878 Gf. von Barcelona, Besalu und Girona 130, 134f., 137,139, 140,141, 150,158 Wilhelm I. der Heilige, Gf. von Toulouse (alias Guillaume d'Orange) (790-812) 42 Wilhelm Jordan, Gf. von Cerdanya (1095-1109) 146 Wilhelm von Jumieges (t1 070), lateinischer Geschichtsschreiber 110 Wilhelm von Malmesbury, lateinischer Geschichtsschreiber (etwa 1090-1143) 30 Wilhelm von Nangis s. Nangis, Wilhelm Wilhelm von Tyrus, Ebf. Wilhelm Il. von Tyrus (1175-1186), Geschichtsschreiber 157 Witzel, Georg (1501-1573), Theologe und Kirchenhistoriker 198 Wodan, germanische Gottheit 66f. Wolff, General (17.Jh.) 208 Wolfram, Bf. von Würzburg (1322-1333) 209 Wulfar/ Vulfarius, Bf. von Reims (808-816) 28 Würzburg, 0. 94, 96, 197, 202, 204, 206,209-214,217 - Archidiakonat 207f. - Btm. 208, 211f., 217 -D. 199 - Domkapitel 216 -Sankt Stefan, Kl. 205 - Schottenkloster 205 s. Antworter, Georg; Berthold von Stemberg; Gottfried von Spitzenberg-Helfenstein; Wolfram Yolande s. Jolande Zacharias, bibl. Gestalt, Vater Johannes des Täufers 48 Zaragossa/ Zaragoza (Cesaraugusta, Cesaraugustum), 0. in Spanien 21f., 40, 42, 50, 79, 98, 146 s. Sulayman al-A'rabf Zeus, griechischer Gott 63 Zisterzienser, Orden 10f., 52, 71, 75 Zürich, 0 . in der Schweiz 13f., 171f. s. Konrad von Mure ·