Die Wortbildung des Deutschen
Ein Überblick
0701
2005
978-3-8233-7131-1
978-3-8233-6131-2
Gunter Narr Verlag
Elke Donalies
Dieses Buch bietet einen kompakten Überblick über die Wortbildung des Deutschen. Die zugrundeliegende Sprachtheorie ist mit den üblichen grammatischen Kenntnissen und den üblichen Denkweisen der Logik leicht nachzuvollziehen. Genau beschrieben wird, wie Wortbildung funktioniert, aus welchen Einheiten und mit welchen Verfahren Wörter gebildet werden. Vorschriften werden dabei nicht gemacht.
Dieses Buch ist problemorientiert und forschungsnah. Es setzt sich mit wesentlichen Termini und Begriffen auseinander und diskutiert die verschiedensten traditionellen, aktuellen und revolutionären Erklärungsmodelle der Wortbildungslehre. Es soll sensibilisieren für ein präzises Sprechen über Sprache. Weil es zudem materialreich und sprachrealitätsnah ist, ist es anschaulich und vergnüglich bei höchstmöglich wissenschaftlicher Ausrichtung.
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 27 Studien zur Deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Ulrike Haß, Werner Kallmeyer und Ulrich Waßner Band 27 • 2005 Elke Donalies Die Wortbildung des Deutschen Ein Überblick Zweite, überarbeitete Auflage gnw Gunter Narr Verlag Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibhothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibhografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. 2., überarbeitete Auflage 2005 1. Auflage 2002 © 2005 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 ■ D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und stralbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Volz, Mannheim Druck und Bindung: Hubert&Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 3-8233-6131-7 Für Hans-Peter Steiniger, meine Liebe, mein Leben . Inhalt Vorwort 11 Vorwort zur 2. Auflage 12 1. Einleitung: Warum sich die Auseinandersetzung mit der Wortbildung lohnt 13 2. Die Wortbildung und andere Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung 15 2.1 Die Wortbildung 15 2.2 Die Entlehnung 16 2.3 Die Bedeutungsveränderung 16 2.4 Die Urschöpfung 17 3. Die Einheiten der Wortbildung 19 3.1 Das Wort 19 3.2 Das Konftx 21 3.3 Das Wortbildungsaffix 23 Exkurs 1: Das Affixoid 25 3.3.1 Das Präfix 26 Exkurs 2: Die Präverbfügung 28 3.3.2 Das Suffix 30 Exkurs 3: Die Suffixvariante 32 3.3.3 Das Zirkumfix 33 Exkurs 4: Das Infix 34 3.3.4 Das transponierende Wortbildungsaffix 34 3.3.5 Das determinierende Wortbildungsaffix 35 3.3.6 Das determinierte Wortbildungsaffix 36 Exkurs 5: Testverfahren zur Feststellung der semantischen Leistung eines Affixes 37 3.4 Der Satz und die Phrase 40 8 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 3.5 Die unikale Einheit 41 3.6 Das Fugenelement 42 Exkurs 6: Das Derivationsfugenelement 44 Exkurs 7: Fugenelement oder Flexionsaffix? 46 Exkurs 8: System und Norm in der Wortbildung 49 4. Die Wortbildungsarten 51 4.1 Die Komposition 51 4.1.1 Das Determinativkompositum 52 Exkurs 9: Die Segmentierung von Komposita 52 Exkurs 10: Die Righthand Flead Rule in der Wortbildung 55 Exkurs 11: Einige Besonderheiten der Kompositaschreibung 56 Exkurs 12: Die Determination bei Komposita und bei Derivaten 58 Exkurs 13: Das exozentrische Kompositum 59 4.1.1.1 Das nominale Determinativkompositum 60 4.1.1.1.1 Das Nomen-Nomen-Kompositum 61 Exkurs 14: Das Rektionskompositum 64 Exkurs 15: Die Klammerform 64 Exkurs 16: Die Bezugnahme auf Ersteinheiten von Komposita 66 4.1.1.1.2 Das Adjektiv-Nomen-Kompositum 67 4.1.1.1.3 Das Verb-Nomen-Kompositum 69 4.1.1.1.4 Das Konfix-Nomen-Kompositum 71 4.1.1.1.5 Das nominale Konfix-Kompositum 71 4.1.1.1.6 Das Satz-Nomen- und das Phrase-Nomen-Kompositum 72 4.1.1.1.7 Das nominale Kompositum mit anderen Ersteinheiten 74 4.1.1.2 Das adjektivische Determinativkompositum 76 4.1.1.2.1 Das Nomen-Adjektiv-Kompositum 77 4.1.1.2.2 Das Adjektiv-Adjektiv-Kompositum 77 4.1.1.2.3 Das Verb-Adjektiv-Kompositum 78 4.1.1.2.4 Das Konfix-Adjektiv-Kompositum 79 4.1.1.2.5 Das adjektivische Konfix-Kompositum 79 4.1.1.2.6 Das Satz-Adjektiv- und das Phrase-Adjektiv-Kompositum 80 4.1.1.2.7 Das adjektivische Kompositum mit anderen Einheiten 80 Inhalt 9 4.1.1.3 Das verbale Detenninativkompositum 81 4.1.1.4 Das konfixale Determinativkompositum 83 4.1.1.5 Das Determinativkompositum anderer Wortarten 84 4.1.2 Das Kopulativkompositum 84 Exkurs 17: Das Kopulativkompositum in der Forschungsliteratur 86 4.1.3 Die Reduplikation 88 4.1.4 Die Kontamination 89 Exkurs 18: Die Zusammenbildung 91 Exkurs 19: Die Zusammenrückung 93 4.2 Die Derivation 94 4.2.1 Das explizite Derivat 95 4.2.1.1 Das nominale explizite Derivat 97 4.2.1.1.1 Das nominale Präfixderivat 97 4.2.1.1.2 Das nominale Suffixderivat 100 4.2.1.1.3 Das nominale Zirkumfixderivat 106 4.2.1.2 Das adjektivische explizite Derivat 107 4.2.1.2.1 Das adjektivische Präfixderivat 107 4.2.1.2.2 Das adjektivische Suffixderivat 109 4.2.1.2.3 Das adjektivische Zirkumfixderivat 113 4.2.1.3 Das verbale explizite Derivat 114 4.2.1.3.1 Das verbale Präfixderivat 114 Exkurs 20: Einige Schwierigkeiten bei der Analyse expliziter Verbderivate 120 4.2.1.3.2 Das verbale Suffixderivat 121 4.2.1.3.3 Das verbale Zirkumfixderivat 122 4.2.1.4 Das explizite Derivat anderer Wortarten 123 4.2.2 Das Konvertat 123 4.2.2.1 Das nominale Konvertat 125 4.2.2.2 Das adjektivische Konvertat 128 Exkurs 21: schreibend - Verbform oder Adjektivderivat? 129 4.2.2.3 Das verbale Konvertat 130 4.2.3 Das implizite Derivat 132 Exkurs 22: Die Rückbildung 133 Exkurs 23: Komposition versus Derivation 137 10 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 4.3 Die Kurzwortbildung 139 4.3.1 Das unisegmental gekürzte Kurzwort 141 4.3.1.1 Das Kurzwort, das aus dem Anfang seiner Langfonn besteht 141 4.3.1.2 Das Kurzwort, das aus dem Ende seiner Langform besteht... 142 4.3.1.3 Das Kurzwort, das aus der Mitte seiner Langform besteht.... 143 4.3.2 Das partiell gekürzte Kurzwort 144 4.3.3 Das multisegmental gekürzte Kurzwort 145 Exkurs 24: Zur Aussprache von Buchstabenwörtem 146 Exkurs 25: Abgrenzung des Kurzwortes von ähnlichen Phänomenen 149 4.4 Die Neumotivierung und das Wortspiel 150 4.4.1 Die Neumotivierung 150 Exkurs 26: Die Pseudomotivierung 151 4.4.2 Das Wortspiel 152 5. Die Wortbildungsbedeutung 155 5.1 Wortbildung - Sinn aus dem Chaos 157 5.2 Einige besonders präsente Lesarten zu Wortbildungsprodukten 160 5.2.1 Einige Lesarten zu nominalen Wortbildungsprodukten 161 5.2.2 Einige Lesarten zu adjektivischen Wortbildungsprodukten... 164 5.2.3 Einige Lesarten zu verbalen Wortbildungsprodukten 166 6. Überblick über den Überblick 169 7. Literatur 171 7.1 Zitierte Belegliteratur 171 7.2 Zitierte Forschungsliteratur 175 Vorwort Mit diesem Buch möchte ich eine Lücke schließen, die ganz offenbar besteht, obwohl ja bereits zahlreiche Literatur zur Wortbildung auf dem Markt ist: - Dieses Buch bietet einen kompakten Überblick über die deutsche Wortbildung. Die ihm zu Grunde liegende Sprachtheorie basiert nicht auf spezifischen Formalismen, individuellen Terminusregelungen und Ähnlichem, sie ist keine widerständige Theorie und erfordert insofern keine besondere Einübung; vielmehr ist sie mit den üblichen grammatischen Kenntnissen und den üblichen Denkweisen der Logik leicht nachzuvollziehen. - Dieses Buch beschreibt, wie Wortbildung funktioniert; es stellt die Einheiten dar, aus denen Wörter gebildet werden, und erläutert die Verfahren der Wortbildung. Vorschriften macht es keine. - Dieses Buch ist problemorientiert und forschungsnah. Es setzt sich mit wesentlichen Termini und Begriffen auseinander und diskutiert die verschiedensten traditionellen, aktuellen und revolutionären Erklärungsmodelle der Wortbildungslehre. Es soll sensibilisieren für ein präzises Sprechen über Sprache. - Dieses Buch ist materialreich und sprachrealitätsnah, und insofern, meine ich, nicht nur anschaulich, sondern auch vergnüglich. - Dieses Buch soll angenehm rezipierbar sein bei höchstmöglich wissenschaftlicher Ausrichtung. Sowas geht! „Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick“ basiert auf meinem unter www.ids-mannheim.de/ grammis als Hypertext zur Verfügung stehenden Grammis-Modul „Die Wortbildung“. Beide, linearer Überblick und Hypertext, sind in sich geschlossen. Ob man lieber den Hypertext oder lieber das Buch benutzt oder beides, ist eine Frage der persönlichen Vorliebe. Buch und Hypertext stimmen in den theoretischen Grundsätzen überein, unterscheiden sich aber in Aufbau und Ausrichtung: Hypertexte haben typischerweise ein breites Spektrum an Suchfimktionen; auch mein Grammishypertext zur Wortbildung eignet sich insofern vor allem für den punktge- 12 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick nauen Zugriff bei Einzelproblemen. Hypertexttypisch habe ich dort Informationen zu handlichen Päckchen verschnürt, die im positiven Sinne redundant sind: Man soll etwas verstehen, ohne gleich alle anderen Päckchen auspacken zu müssen; jede Informationseinheit erklärt sich im Idealfall aus sich selbst. Dagegen ist der lineare Text dieses Buches vor allem ein kompakter, rasch hintereinander weg rezipierbarer Überblick über die gesamte Wortbildung des Deutschen; er soll in erster Linie Gesamtwissen vermitteln, eben einen Überblick geben. Die Informationen sind vorstrukturiert, sie bauen aufeinander auf; es empfiehlt sich, sie linear durchzuarbeiten. Und natürlich hat ein Buch wie dieses auch alle anderen bewährten Vorteile eines Buches: Man kann sich z.B. bleistiftzarte Notizen darin machen, man kann handfeste Lesezeichen hineinstecken, man kann es gefahrlos mit in die Badewanne nehmen und zu Zeiten von Stromsperren bei Kerzenlicht lesen. Viele haben mich unterstützt und bewegt. Allen danke ich sehr! ! Ganz besonders aber danke ich Günter D. Schmidt, der mich vehement der Wortbildung verschrieben, und Gisela Zifonun, die mich nicht weniger vehement zu immer noch mehr Präzision herausgefordert hat. Mannheim, im Februar 2002 Vorwort zur zweiten Auflage Dieses Buch ist die fehlerkorrigierte, aktualisierte und inhaltlich leicht ergänzte zweite Auflage meines Wortbildungsüberblicks von 2002. Für die empathische und sorgfältige Kritik an der ersten Auflage danke ich allen sehr, besonders Martin Neef, Maria Smimova und Klaus Welke. Ein Buch ist ja aber erst ein Buch, wenn es Materie geworden ist. Dass mein Buch nun schon zum zweiten Mal Materie werden konnte, danke ich besonders Monika Kolvenbach, Norbert Volz und dem Gunter Narr Verlag. Mannheim, im November 2004 1. Einleitung: Warum sich die Auseinandersetzung mit der Wortbildung lohnt Die Frage, ob sich die Auseinandersetzung mit der Wortbildung überhaupt lohnt, lässt sich schon rein quantitativ uneingeschränkt mit „Ja! ! “ beantworten: In den folgenden Texten verschiedener Textsorten, einem belletristischen, einem fachwissenschaftlichen und einem journalistischen Text, habe ich die Wortbildungsprodukte durch Fettdruck hervorgehoben. Dadurch wird auf den ersten Blick deutlich, dass Wortbildung alles andere als ein Randphänomen ist; es wird deutlich, wie stark Wortbildung den Wortschatz bereichert, vor allem den der Nomina, aber auch den der Adjektive und Verben: So sind von den 17 Nomina des belletristischen Rezzori-Textes 11 nach meinem Verständnis wortgebildet, von den 13 Nomina des fachsprachlichen Fleringer-Textes sind es 12 und von den 16 Nomina des Zeitungstextes 11. In den drei Texten zusammen finden sich 13 wortgebildete Adjektive und 10 wortgebildete Verben: Ich dachte: Sie ist eine Nixe. Irgendeine schreckliche Verwünschung läßt sie träumen, sie sei ein Haushaltskarrengaul, und nur wenn sie ganz selbstvergessen ist und sich nicht mehr als Zugpferd alpträumt, darf sie aus ihrem Brunnenschacht heraus und schaut mit ihren Nixenaugen in die fremde Welt der Menschen und sieht die Gesichter und die vielen Dinge des Traums und grübelt nach, was sie bedeuten sollen. Ich sagte mir das poetisch vor, weil ich sah, wie sehr in diesem Augenblick des gegenstandslosen Träumern über einem banalen Gegenstand ihr dalmatinischer Bergbäuerinnenkopf zu etwas umgeschmolzen war, was mir wie der Inbegriff des Deutschen vorkam (Rezzori 1976,8.227). Die distributive Semantik ist ein Kind des Strukturalismus. Sie ist nie zu einer Modeerscheinung geworden, größere Untersuchungen in ihrem Theorierahmen sind selten. Ihre Rolle spielt sie mehr in theoretischen Auseinandersetzungen, vielleicht, weil sie eine Provokati- 14 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick on für traditionelle wie moderne Theorien war. In der Analyse größerer Textkorpora scheint sie auch ihren Einfluß zu haben (Heringer 1999, S. 9). Je breiter die Legitimation und die Unterstützung für die Anti- Terrorismus-Allianz sind, desto größer wird auch ihre Wirksamkeit sein. Diese Strategie funktioniert aber nur, wenn die Versicherung, dass sie sich nicht gegen den Islam wende, in der muslimischen Öffentlichkeit auch glaubwürdig erscheint. Dazu genügt es nicht, den Islam mit schönen Worten der eigenen Ehrerbietung zu versichern. Dies bedingt von westlicher Seite eine große Rücksicht aufkulturelle und politische Empfindlichkeiten der Araber und der Muslime (Neue Züricher Zeitung 29./ 30.9.2001, S. 1). Wortbildung trägt also wie leicht erkennbar sowohl quantitativ als auch qualitativ wesentlich zu unserer Sprache bei. Und weil Wortbildung so wesentlich Teil hat an der Sprache, befassen sich mit ihr auch viele Teilgebiete der Sprachwissenschaft: Wortbildung hat dort „Schnittstellenstatus“ (Barz 2000, S. 300); Wortbildung ist Schnittstelle z.B. zwischen Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik, sie „umspannt [...] Fragestellungen, die sich unter synchronisch-systematischen und unter diachronisch-historischen Gesichtspunkten mit den Beziehungen zwischen differenzierten Ausdrucksmitteln und deren Strukturbedeutung und Gebrauchsbedeutung befassen“ (Naumann 2000, S. 1); es geht darum, die „Techniken der Wortbildung“ zu erforschen und darzustellen (Eichinger 2000a, S. 5); es geht darum zu klären, „wie die Wortbildung und die mit ihren Mitteln entstehenden neuen Wörter genutzt werden“ (ebd.). Es geht um Verfahren, Möglichkeiten und Beschränkungen der Produktion und Rezeption. Es geht um die Wortbildungskraft verschiedener, auch individueller Wortschätze, z.B. die Wortbildungsprodukte einzelner Dichter oder Dichtperioden, um die besonders witzigen Wortbildungsprodukte der Werber und um die Wortbildungsspezifika der Fach- und Sondersprachen. Es geht um Typologika der Wortbildung einer Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen. Solche Aspekte des aktuellen Forschungsinteresses kommentiert u.a. ausführlich Barz (2000). Sie resümiert: Die Beschäftigung mit der „Wortbildung boomt also immer noch“. Ja klar! 2. Die Wortbildung und andere Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung Wortbildung hat also wesentlich Anteil an der Sprache. Wortbildung erweitert den Wortschatz. Im Deutschen werden zur Erweiterung des Wortschatzes außerdem häufig Wörter aus anderen Sprachen entlehnt. Seltener wird der Wortschatz durch Bedeutungsveränderung und nur noch sehr sehr selten durch Urschöpfung erweitert. Im Folgenden wird die Wortbildung von diesen anderen drei Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung abgegrenzt: - Die Wortbildung - Die Entlehnung - Die Bedeutungsveränderung - Die Urschöpfung 2.1 Die Wortbildung Im Deutschen wird der Wortschatz u.a. erweitert durch die Kombination von Wörtern wie König, Mantel und schön, von Konfixen wie ident-, Öko- und -nom und von Affixen wie -heit und -isch: So können z.B. die Wörter König und Mantel zu Königsmantel kombiniert werden, die Konfixe -nom und ökozu Ökonom, das Wort schön verbindet sich mit den Affixen -heit und verzu Schönheit und verschönen, das Konfix identverbindet sich mit den Suffixen -isch und -ität zu identisch und Identität. Außerdem besteht Wortbildung z.B. darin, dass Wörter in ihrer syntaktischen Nutzbarkeit umgewandelt werden: So werden aus dem Nomen Fisch und aus dem Adjektiv schön die Verben fischen und schönen. Woraus genau Wörter gebildet werden und mit welchen Verfahren, wird später erklärt; zur ersten Abgrenzung genügt dieses Vorverständnis. 16 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 2.2 Die Entlehnung Entlehnung erweitert den Wortschatz, indem Sprachmaterial aus einer Herkunftsin eine Zielsprache übernommen wird. Entlehnung ist also ein Vorgang, der nicht innerhalb einer Sprache stattfmdet, sondern sprachübergreift. Entlehnt werden vor allem Wörter (z.B. Crash, Camouflage, Tohuwabohu, tough), aber auch Konfixe (z.B. ident-, Öko-, -nom) und Wortbildungsaffixe (z.B. -abel, prä-, post-). Wortbildung unterscheidet sich demnach von der Entlehnung vor allem dadurch, dass Wortbildung ausschließlich Sprachmaterial der eigenen Sprache nutzt, Entlehnung dagegen ausschließlich Sprachmaterial einer anderen Sprache. In eine Zielsprache übernommene Entlehnungen gehören zum Wortschatz der Zielsprache: So sind die ins Deutsche übernommenen Wörter Crash, Camouflage, Tohuwabohu, tough deutsche Wörter, die Konfixe ident-, Öko-, -nom sind deutsche Konfixe und die Wortbildungsaffixe -abel und präsind deutsche Wortbildungsaffixe. Entlehnungen unterscheiden sich jedoch mitunter in Gebrauch und Grammatik von den nichtentlehnten, den einheimischen Einheiten des Deutschen, etwa in der herkunftssprachanalogen Pluralbildung (z.B. die Crashs). Entlehnungen gehen auch in die Wortbildung ein. Wortbildung mit entlehnten Einheiten ist Lehnwortbildung. Lehnwortbildung ist Teil der deutschen Wortbildung, unterscheidet sich jedoch mitunter in eigenen Gesetzmäßigkeiten von der Wortbildung mit einheimischen Einheiten: Eine Besonderheit ist z.B. die Wortbildung mit entlehnten Konfixen. Vgl. grundlegend zur Lehnwortbildung Kirkness (1987), Link (1990), Munske/ Kirkness (1996), Simeckova (2000), Eisenberg (2001). 2.3 Die Bedeutungsveränderung Wie die Wortbildung ist die Bedeutungsveränderung ein Prozess innerhalb einer Sprache. Verändert wird bei der Bedeutungsveränderung aber ausschließlich die Bedeutung eines Wortes: Die Bedeutung wird erweitert (z.B. packen ‘etwas bündeln’ —> packen ‘anfassen, ergreifen’), verengt (z.B. mhd. Die Wortbildung und andere Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung 17 varn ‘sich fortbewegen, gehen’ —> fahren ‘sich mit einem Fortbewegungsmittel, meist einem mit Rädern, fortbewegen’), verschoben (z.B. mhd. zwec ‘Nagel’, heute noch in Heftzwecke —> Zweck ‘Ziel, Sinn’) und übertragen (vgl. Metaphorisierungen und Metonymisierungen wie bei Fuchs ‘schlauer Mensch’ oder der Rücken eines Buches oder der Ledermantel stand im Tordurchgang und beobachtete die Straße). Auch wird die Bedeutung mitunter aufgewertet (z.B. toll ‘psychisch gestört, verrückt’ —> toll ‘großartig, wunderbar’) oder abgewertet (z.B. Dirne ‘Mädchen’ —> Dirne verächtlich für ‘Prostituierte’). Wortbildung unterscheidet sich also von der Bedeutungsveränderung dadurch, dass Bedeutungsveränderung ausschließlich die Inhaltsseite eines Wortes betrifft, Wortbildung dagegen zwar meist ebenfalls inhaltsseitige Veränderungen mit sich bringt, aber grundsätzlich auch Veränderungen der Ausdrucksseite. Bei der Wortbildung nämlich wird immer morphosyntaktisch etwas verändert, vor allem durch Kombination und/ oder Wortartwechsel, z.B. Herzet Herzflattern, Herz —» beherzigen, Herz —> jemanden herz(en). Bedeutungsveränderung und Wortbildung sollte insbesondere klar unterschieden werden bei der Neumotivierung, die sowohl durch Bedeutungsveränderung (z.B. Morgenland ‘Orient’ —> Morgenland ‘Land, wie es morgen sein wird’) als auch durch Wortbildung erfolgt (z.B. Sündflut). Vgl. 4.4.1. 2.4 Die Urschöpfung Urschöpfung, auch weniger deutlich Wortschöpfung genannt, ist ein Verfahren, bei dem Wörter aus Lauten kreiert werden, die bislang innerhalb einer Sprache so noch nicht zu Sinneinheiten verbunden wurden. In unseren Urzeiten muss logischerweise zunächst jedes Grundvokabular urgeschöpft worden sein; heute dagegen spielt Urschöpfung fast keine Rolle mehr. Durch Urschöpfung entstehen vor allem Interjektionen (z.B. Oh! liiiih! Igitt! ) und Onomatopoetika, d.h. Klangmalereien, Schallnachahmungen (z.B. miau, kikeriki, platsch, plopp, pardauz). Onomatopoetika sind textsortenspezifisch; sie finden sich vor allem in der so genannten Ammensprache, also der verniedlichenden melodischen Sprache, die Erwachsene für gewöhnlich zu kleinen Kindern sprechen, etwa in Kindermärchen und -liedern (z.B. Eiapo- 18 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick peia, was raschelt im Stroh), außerdem in der Comicsprache (z.B. grrg, gnimpf), seltener in der Belletristik, z.B. in Und läge der ehrwürdige Monsignore rücklings in den vornehmsten Kissen [...], würde sie ihm die Lackschühchen pflopf-pflopf von den Füßen lösen (Hürlimann 2001, S. 81). Ganz selten wird man sogar Zeuge echter Urschöpfung, etwa wenn Moers (2004, S. 72) in seinem phantastischen Roman über die Stadt der Träumenden Bücher schreibt: Die Bienen schmeckten köstlich, so ähnlich wie gebrannte Mandeln. Ich knolfte anerkennend mit den Zähnen. Zu knolfen setzt er eine Anmerkung des Übersetzers: Ich habe es selber erfunden, um damit ein Verb aus dem Zamonischen zu übersetzen, das mir völlig unbekannt ist. Der Bedarf an Urschöpfungsprodukten und die Verständigung mit ihnen ist naturgemäß begrenzt. Interjektionen wie iiiiih und Schallnachahmungen wie plopp wirken zwar auf uns, als ob sie leicht nachassoziierbar wären, aber schon der Sprachvergleich zeigt, dass es jedenfalls zwischen den Hörem und Sprechern verschiedener Sprachen deutliche Wahmehmungs- und Wiedergabeunterschiede gibt, so u.a. bei den Tierlautwörtem, z.B. dt. kikeriki, engl. cock-a-doodle-doo, frz. cocorico, mss. kukareku, armenisch tsughrughu. Viele Urschöpfungen haben insofern kaum Aussicht auf Nutzung oder sogar Etabliemng im Wortschatz, vgl. Christian Morgensterns Nonsensgedicht vom großen Lalula (1932) mit Sätzen aus lauter Urschöpfungprodukten wie Hontraruru moromente zasku zes rü rü. Wohl vor allem der kommunikativen Beschränkungen wegen wird der Wortschatz einer entwickelten Sprache äußerst selten durch Urschöpfung ausgebaut. Wortbildung unterscheidet sich von der Urschöpfung demnach vor allem dadurch, dass durch Wortbildung Wörter aus bereits sinnhaltigen Einheiten erzeugt werden, vor allem durch Wörter, Konfixe oder Wortbildungsaffixe. Gelegentlich werden auch urgeschöpfte Wörter zur Wortbildung herangezogen, weitgehend uneingeschränkt vor allem zur Bildung von Verben wie miauen, platschen, ploppen, schlappen, zischen. Vgl. 4.2.2.3. 3. Die Einheiten der Wortbildung Wortbildung lässt sich also definieren als ein Prozess, der dazu dient, Wörter aus dem bedeutungshaltigen Sprachmaterial einer Sprache zu bilden. Dabei wird dieses Sprachmaterial immer morphosyntaktisch verändert. Im Deutschen werden Wörter vor allem aus Wörtern, Konfixen und Wortbildungsaffixen gebildet, seltener aus Sätzen und Phrasen. Außerdem sind an der Wortbildung Fugenelemente beteiligt. Unikale Einheiten werden aktuell nicht mehr zur Wortbildung herangezogen, finden sich aber in etablierten Wortbildungsprodukten. Im Folgenden werden diese Einheiten der deutschen Wortbildung definiert und erläutert: - Das Wort - Das Konfix - Das Wortbildungaffix - Der Satz und die Phrase - Das Fugenelement - Die unikale Einheit 3.1 Das Wort Wörter sind abstrakte Einheiten, die in Texten als Wortformen realisiert werden: So umfasst ein Wort wie König (als abstrakte Einheit) Wortformen wie König, Königs, Könige, Königen. Zu den Wortformen werden hier auch Stämme wie König, schön, schweiggezählt. „Der Ausdruck Stamm ist unterschiedlich (oder überhaupt nicht) terminologisiert und wird, oft sogar im gleichen Text, unterschiedlich verwendet“ (Glück 2000, S. 687). Um solchen Ungereimtheiten zu entgehen, bezeichne ich mit dem Begriff Stamm ausschließlich Folgendes: Ein Stamm ist etwas, an das unmittelbar ein Flexionsaffix angehängt werden kann, z.B. König + -(e)s —> Königs, schweig- + -? —> schweigt. Ein Stamm ist demnach 20 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick eine Wortform ohne Flexionsaffix, z.B. König. Im Deutschen stimmen die Stämme der Nomina und Adjektive weitgehend mit deren ‘Normalformen’, auch ‘Zitierformen’ genannt, überein, z.B. ist König Stamm und Nominativ Singular. Ausnahmen sind umgelautete Formen wie Büchin Bücher, die allenthalben als Stammvarianten betrachtet werden. Bei Verben gilt als Normalform der Infinitiv, d.h. eine Wortform mit einem Flexionsaffix (z.B. lächeln), die vom flexionsaffixlosen Stamm (z.B. lächel-) abweicht. Die meisten Verbstämme sind identisch mit frei vorkommenden Imperativformen (z.B. Lächel doch mal! ), einige wenige Verbstämme jedoch, z.B. ess-, geh-, les-, haben keine frei vorkommenden Pendants. Wörter kommen als Wortformen grundsätzlich frei vor. Als frei vorkommend sollen hier auch Einheiten gelten, die nur in Kombination mit Flexionsaffixen frei verkommen, also auch die eher seltenen Verbstämme des Typs ess-, geh- und les-, die nur als Wortformen mit Flexionsaffix syntaktisch nutzbar sind, z.B. Der König gebe mir die Ehre und lese diesen Wortbildungsüberblick! Die Definition des Wortes als frei vorkommend ist besonders relevant für die Abgrenzung der Wörter von den Konfixen. Auch in der Wortbildung werden Wörter stets als Wortformen und zwar meist in der Stammform verwendet, z.B. ess- und erfreuin Esstisch und erfreulich, Hut in Hutschachtel oder grün in grünen. Mitunter können aber auch andere Verb-, Nomen- und Adjektivformen Wörter bilden, z.B. Infinitivformen wie laufen in Wortbildungsprodukten wie das Laufen, Genitivformen wie Sohnes in Sohnespflicht, Pluralformen wie Kinder in Kindergarten und Kinderchen oder Komparativformen wie breiter in verbreitern. Mitunter finden sich flektierte Formen auch in Wortbildungsprodukten mit Sätzen oder Phrasen, z.B. Grüner-Bohnen-Eintopf Vergissmeinnicht oder ihr Das-gibt's-doch-nicht-Augenaufschlag; in diesen Fällen sind die flektierten Formen jedoch Bestandteile des Satzes bzw. der Phrase und nicht unmittelbare Einheiten der Wortbildung. Wörter sind prinzipiell kompositionsgliedfähig, d.h., Wörter können mit Wörtern oder Konfixen zu Komposita zusammengesetzt werden, z.B. zu Königsmantel, pantherschön, Biowein. Darüber hinaus sind Wörter grundsätzlich basisfähig, d.h., sie kommen als morphologische Basen von Deriva- Die Einheiten der Wortbildung 21 ten in Frage, z.B. in schön, Herz, Fisch, Gold und Sie in Schönheit, herzlich, fischen, vergolden, siezen. In Wortbildungsprodukten verhalten sich Wörter in der Regel anders als in der Syntax; sie werden in das Wortbildungsprodukt eingefroren: So können zwar durchaus flektierte Formen in die Wortbildung eingehen (z.B. Sohnes in Sohnespflicht oder breiter in verbreitern), Nomina, Adjektive und Verben werden aber dann üblicherweise nicht weiter flektiert (z.B. die Sohnespflicht —> die *Söhnepflichten, ich verbreitere den Weg —> ich *verbreiteste den Weg). Eine Ausnahme hiervon sind Sonderfälle wie aus Langerweile. Vgl. dazu 4.1.1. Präpositionen verlieren ihre Rektion (z.B. vor in Vordach und vorgehen). Vgl. dazu u.a. Stiebels/ Wunderlich (1994). Zu unterscheiden sind einfache Wörter, so genannte Simplizia (Sg. Simplex, zu lat. simplex, simplicis ‘aus einem Teil bestehend, einfach’), und komplexe Wörter. Komplexe Wörter entstehen durch Wortbildung: So entsteht aus dem einfachen Wort schön das komplexe Wort beschönigen, aus dem einfachen Wort Schachtel entsteht das komplexe Wort Hutschachtel. Auch komplexe Wörter können wiederum kombiniert werden und weitere komplexe Wörter bilden, z.B. beschönigen —> Beschönigung —> Beschönigungsmeister^> Beschönigungsmeisterin. Besonders bei der Bildung von nominalen Komposita sind Sprecherschreiber im Deutschen relativ uneingeschränkt; deutsche Nomenkomposita können extrem komplex sein, z.B. in Die Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwenkompositabildungsexpertenrunde bildete zur Freude der lächelnd dabei sitzenden Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwe zwei Tage lang pausenlos Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwenkomposita von nie gesehener Schönheit. 3.2 Das Konfix Konfixe (zu lat. configere ‘aneinander heften’) sind Einheiten, die in Texten nur gebunden Vorkommen. Darin unterscheiden sie sich elementar von den Wörtern: Im Gegensatz zu Wörtern erscheinen Konfixe (z.B. ident-) weder selbst frei, noch können sie unmittelbar mit Flexionsaffixen syntaktisch nutzbar gemacht werden, z.B. seine *ldent ist noch nicht geklärt, ihre *Identen sind noch nicht geklärt. Konfixe sind demnach keine Wortformen. 22 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Sie sind aber wie Wörter basisfähig, indem sie mit Wortbildungsaffixen wie -isch Derivate bilden können, z.B. identisch. Dies unterscheidet Konfixe elementar von den Wortbildungsaffixen, die nicht basisfähig sind. Basis von Wortbildungsprodukten sind Konfixe meist unmittelbar, mitunter aber auch mittelbar: Unmittelbare Basen sind Konfixe wie ident-, z.B. in identisch, Identität, sie werden unmittelbar mit Wortbildungsaffixen (z.B. -isch, -ität) abgeleitet. Mittelbare Basen sind Konfixe z.B. in Geologe, Geologie, geologisch: Hier wird zunächst aus den nicht direkt ableitbaren Konfixen geo- und log- (das nicht identisch ist mit dem Konfix login Logik und logisch! ) ein Konfix geologgebildet, das dann mit üblichen Wortbildungsaffixen wie -e, -ie und -isch abgeleitet wird. Vgl. dazu Donalies (2000), Baeskow (2002, S. 42 lf). Einige Konfixe sind nicht nur basis-, sondern auch kompositionsgliedfähig, d.h., sie bilden mit Wörtern oder Konfixen Komposita, z.B. Thermojacke, Thermostat, Biotop, Politclown, Invest-Angebot, bibliophil, tütoman. Vgl. auch der „Squawker“, ein mittlerweile ausgestorbenes Quäkophon, das der Drummer nebenbei zu blasen hat (Taz 1989, Cosmas), königlicher Schnorrosoph (Taz 1991, Cosmas), zum Ufo-Flug mit Esonaut Virgil Armstrong (Taz 1991, Cosmas), ein „Satzomaf" erlaubt spaßige Nonsens-Formulierungen (Spiegel 1994, Cosmas). Nur ganz wenige Konfixe bilden ausschließlich Komposita, z.B. -drom in Aquadrom, Eurodrom oder -mat in Automat, Waschomat. Eine große Gruppe von Konfixen kommt ausschließlich als Ersteinheit vor, z.B. bio- 'm Biojoghurt, Biotop, biotisch, fanat- 'm Fanatiker, fanatisch, fanatisieren, honorin Honorar, honorabel, honorieren, identin Identität, identisch, identifizieren, investin investieren, Investfond, rhythmin Rhythmik, rhythmisch, simulin Simulant, simulieren. Einige Konfixe kommen ausschließlich als Zweiteinheiten vor, z.B. -drom in Aquadrom, Eurodrom, -lekt in Dialekt, Soziolekt und -zid in Biozid, Herbizid. Wenige andere Konfixe wiederum sind nicht positionsfest; sie können als Erst- und als Zweiteinheit verwendet werden, z.B. graf-/ -graf in Grafe, Biograf phil-/ -phil in Philosoph, bibliophil, phob-/ -phob in phobisch, tütophob oder therm-Atherm in thermisch, endotherm. Vgl. dazu auch Schmidt (1987d). Die Einheiten der Wortbildung 23 Als Zweiteinheiten bestimmen Konfixe jeweils die grammatische Kategorie des Wortbildungsprodukts, also die Wortart, das Genus usw. Selten gibt es bei den reinen Zweiteinheiten wortartunspezifische Konfixe wie -zid in Herbizid und bakteriozid. Hier sollten zwei Konfixe angesetzt werden: Ein nomenbildendes Konfix, das einen abtötenden Stoff bezeichnet, und ein adjektivbildendes Konfix, das eine abtötende Eigenschaft bezeichnet. Was jeweils abgetötet wird, z.B. (Un)Kraut oder Bakterien, sagt die andere Einheit aus. Konfixe sind vor allem Einheiten der Lehnwortbildung, also der Wortbildung mit entlehnten Einheiten. Vgl. zu Terminus und Begriff Konfix im Bereich der Lehnwortbildung vor allem Schmidt (1987a) und (1987b), Grimm (1997), Storke (1994). Mit Fleischer (1995) betrachte ich aber auch einheimische Einheiten wie stief-, schwieger- und zimperals Konfixe, weil sie den Hauptkriterien entsprechen: Sie sind gebunden und zumindest begrenzt basisfähig, z.B. stieflich, schwiegerlich, zimperlich, so auch Stieflinge (Kerr nach Holbein 1996, S. 78). Konfixe werden also nicht nur entlehnt (z.B. biovon griech. bias ‘Leben’) oder entstehen aus mittelbar derivierbaren Konfixen (z.B. geolog- <— geo- + log-); einige wenige Konfixe sind auch Relikte der Sprachgeschichte (z.B. zimper-). Sehr selten werden Konfixe außerdem durch Kürzung gebildet, z.B. kul- <— Kugelschreiber im expliziten Derivat Kuli oder prolin Prob ‘Prolef. Vgl. 4.3. In der Forschungsliteratur werden Einheiten wie kulgelegentlich als „gebundene Kurzwörter“ bezeichnet (Greule 1996, S. 200f). Diese Bezeichnung widerspricht jedoch dem Wortbegriff: Wörter sind per defmitionem nicht gebunden. Daher ordne ich eine Einheit wie kul-, die gebunden, aber basisfähig ist, den Konfixen zu. 3.3 Das Wortbildungsaffix Will man Wortbildungsaffixe, auch Ableitungs- oder Derivationsaffixe, Ableitungs- oder Derivationsmorpheme von Wörtern und Konfixen abgrenzen, sind hierfür ausschließlich morphologische Kriterien ausschlaggebend: Affixe sind erstens im Gegensatz zu Wörtern gebunden, d.h., sie kommen weder selbst frei vor, noch können sie durch Anhängen von Flexionsaffixen syntaktisch unmittelbar nutzbar gemacht werden. Zweitens sind Affixe im Gegensatz zu Wörtern und Konfixen nicht basisfähig, d.h., Affixe können nicht mit sich selbst Wörter bilden (z.B. *verlich), sie können nur mit Basen, also z.B. mit Wörtern oder Konfixen, Wörter bilden, z.B. Schönheit, Pseu- 24 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick dovergnügen, Gerede, identisch, unschön, festigen, vergolden, ermutigen. Die Wortbildung mit Affixen wird explizite Derivation genannt. Vgl. 4.2.1. Morphologisch gesehen sind Wortbildungsaffixe als gebundene Einheiten darüber hinaus abzugrenzen von den ebenfalls gebundenen, aber im Gegensatz zu den Wortbildungsaffixen semantisch leeren Fugenelementen, z.B. dem Fugenelement -sin Hochzeitstorte, sowie andererseits von den gebundenen, aber im Gegensatz zu den Wortbildungsaffixen nicht zur Wortbildung, sondern zur Syntax gehörenden Flexionssuffixen, z.B. dem Flexionssuffix -ete in er redete und redete und redete. In der Forschungsliteratur wird über diese Definition hinaus häufig auch „Reihenbildung“ als typisches Merkmal von Affixen angegeben. Darunter „ist das wiederholte Vorkommen des Affixes in Wortbildungskonstruktionen ein und desselben Modells zu verstehen“ (Fleischer/ Barz 1995, S. 28). Das Kriterium der Reihenbildung zur Abgrenzung der Affixe von anderen Einheiten der Wortbildung ist jedoch zu Recht umstritten, weil auch Wörter oder Konfixe Reihen in Wortbildungsprodukten ein und desselben Modells bilden können, z.B. Holztisch, Holzhaus, Holzstuhl, Holzpuppe, Holzlöffel, Ökowein, Ökobrot, Ökobutter, Ökobauer oder Rotdorn, Weißdorn, Schwarzdorn. Das Inventar der Affixe ist begrenzt; offenbar reicht es aber aus, es wird nur selten erweitert. Zahlreiche Affixe haben sich aus einheimischen Wörtern entwickelt (z.B. -heit aus mhd. heit ‘Art und Weise, Eigenschaft, Person, Stand’), einige Affixe aus entlehnten Affixen (z.B. -er von lat. -ari(us)); einige Affixe sind noch als Entlehnungen erkennbar (z.B. -abel zu franz. -able). Einheiten, die diachron betrachtet möglicherweise auf dem Wege von Wörtern zu Affixen sind, werden mitunter als Affixoide oder Halbaffixe bezeichnet (z.B. frei in atomfreie Zone). Der Affixoidbegriff wird jedoch in der neueren Forschungsliteratur überwiegend als unnötig angesehen. Vgl. dazu den folgenden Exkurs. Zuvor aber noch ein Hinweis zu den Exkursen dieses Buches: Ich handhabe sie wie Dömer (1998, S. 110) seine klein gedruckten Passagen: Wer mir Die Einheiten der Wortbildung 25 glaubt, dass alles ungefähr so ist, wie ich behaupte, kann das klein Gedruckte überspringen; wer aber daran zweifelt oder einfach an Genauerem interessiert ist, sollte es lesen. Exkurs 1: Das Affixoid Ein Affixoid ist ein Nicht-mehr-Wort, das als Noch-nicht-Affix unterwegs ist wohin auch immer. Dass sich aus Wörtern Affixe entwickeln, ist ein nicht ungewöhnliches Phänomen in der deutschen Sprachgeschichte (z.B. -heit aus mhd. heit ‘Art und Weise, Beschaffenheit, Eigenschaft, Person’). Der Affixoidgedanke nun beruht im Wesentlichen auf der synchronen Beobachtung, dass einige Wortbildungseinheiten (z.B. frei in atomwaffenfrei oder Werk in Astwerk, Buschwerk, Laubwerk) stärker eigensemantisch sind, als das Wortbildungsaffixen sonst zugestanden wird; daher sollen sie einerseits Wortstatus haben. Andererseits sollen sie ihrer vermeintlichen - Gebundenheit wegen aber auch wieder nicht als Wörter gelten, sondern Affixstatus haben. Um diesem Dilemma zwischen Wort- und Affixstatus zu entgehen, wurde in der Forschungsliteratur eine Zwischenkategorie Affixoid konstruiert, die alle Einheiten aufnehmen sollte, die man nicht ganz den Wörtern, aber auch nicht ganz den Affixen zuordnen wollte. Auf die Problematik des Affixoidgedankens, die bereits Schmidt (1987c) ausführlich reflektiert hat, soll hier nicht noch einmal detailliert eingegangen werden. Eine Zusammenfassung der Hauptargumente gegen das Affixoidmodell mag hier genügen. Schmidt (ebd., S. lOOf.) resümiert: „Nach allem, was ich über Affixoide gelesen habe, kann ich dem Begriff keine besondere Nützlichkeit zuerkennen. Zwar gibt es die Möglichkeit, schwierige Fälle von den leichten abzutrennen und der Entscheidung für die eine oder andere der vorhandenen Kategorien auszuweichen, doch bringt er damit keine Lösung, sondern nur einen Aufschub. Dazu kommt, daß bei dem Versuch, eine Grenze zwischen den Kern- und den Zwischenphänomenen zu ziehen, die Differenzierung so weit getrieben wird, daß am Ende ein recht kompliziertes Bild entsteht, das die angestrebte Vereinfachung oder Erleichterung wieder aufhebt.“ Teils im Anschluss an Schmidt, teils unabhängig von ihm ist das Erklärungsmodell Affixoid in der neueren Forschung nach eingehender Untersuchung zu Recht weitgehend ad acta gelegt worden, so u.a. von Altmann/ Kemmerling (2000), Fandrych (1993), Fleischer/ Barz (1992 bzw. 1995), Eisenberg (1998 bzw. 2004), Hansen/ Hartmann (1991). Zumindest skeptisch ist Glück (2000). Fandrych (1993, S. 101) hofft mit seiner gründlichen Untersuchung vermeintlicher Affixoide wie -frei, -reich und -voll gezeigt zu haben, dass „keinerlei zwingende Notwendigkeit für eine solche Kategorie besteht; vielmehr würde diese Kategorie mehr Gemeinsamkeiten verdecken als Erklärungskraft besitzen. Daß diese Bildungen häufig als Paradebeispiel für die Notwendigkeit einer solchen Kategorie genannt 26 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick wurden (vgl. zuletzt Tellenbach 1985), kann aus dieser Sicht nur wunder nehmen“. U.a. mit Hansen/ Hartmann (1991, S. 40) plädiere daher auch ich für eine klare Zuordnung zu den beiden vorhandenen Kategorien Wort versus Wortbildungsaffix: „Wenn ein komplexes Wort sich praktisch nicht von einem Kompositum unterscheidet, gibt es keinen Grund anzunehmen, daß es kein Kompositum ist. Wenn das Afftxoid hingegen semantisch und funktional nichts mehr mit dem freien Morphem gemein hat, sollte es als Affix bezeichnet werden.“ Wie schon Schmidt (1987c) bewusst macht, muss man sich eben entscheiden, ob man eine Einheit als Wort oder als Affix ansehen will; die Entscheidung mag gelegentlich schwer fallen, wird aber nicht leichter dadurch, dass sie versuchsweise verschoben wird. Denn mit einer dritten, der Übergangskategorie Affixoid ist nichts gewonnen, vielmehr muss man sich nun zwischen drei Möglichkeiten entscheiden und es gibt nun zwei Grenzen statt einer und zwei Grenzbereiche statt einem. „Wir kämen gleichsam von einem Regen in zwei Traufen, was die Angelegenheit keineswegs erleichtert, sondern eher noch weiter kompliziert“ (ebd., S. 98). Affixe werden entweder vor einer Basis, nach einer Basis oder um eine Basis herum positioniert: Affixe vor einer Basis heißen Präfixe (z.B. un-, ur- und erin Unglück, urgemütlich, erblühen). Affixe nach einer Basis heißen Suffixe (z.B. -heit, -lieh, -abel und -ig(en) in Schönheit, glücklich, diskutabel, festigen). Affixe um eine Basis herum heißen Zirkumfixe (z.B. ge-...-e in Gerede). Im Folgenden werden die drei Arten der im Deutschen vorkommenden Wortbildungsaffixe beschrieben: - Das Präfix - Das Suffix - Das Zirkumfix 3.3.1 Das Präfix Präfixe (zu lat. praefigere ‘vom anheften’) werden morphologisch definiert als gebundene Einheiten, die stets vor einer Basis positioniert sind. Präfixe verbinden sich mit Nomina (z.B. Megaparty, Misston, Untat), Adjektiven (z.B. hypernervös, missverständlich, unklug) und Verben (z.B. begeistern, destabilisieren, entzaubern, erhoffen, verspielen). Präfixe bilden überwiegend aus einer Silben (Ausnahmen sind vor allem Lehnpräfixe wie hyper-, mega-, mini-) „und sind entweder betont oder unbe- Die Einheiten der Wortbildung 27 tont. Aus der Betontheit ergibt sich eine Reihe von prosodischen Beschränkungen. Viel mehr ist zur Phonologie der Präfixe nicht zu sagen“ (Eisenberg 1998, S. 259). Bei der Präfigierung von Nomina und Adjektiven spielen die Präfixe syntaktisch im Gegensatz zu den Suffixen und Zirkumfixen keine Rolle: Während Suffixe und Zirkumfixe als zweite Einheiten grundsätzlich alle grammatischen Merkmale eines Derivats bestimmen so legt das Suffix -heit fest, dass das mit ihm abgeleitete Derivat ein feminines Nomen ist (z.B. Schönheit), das Zirkumfix ge-...-e legt fest, dass das mit ihm abgeleitete Derivat ein neutrales Nomen ist (z.B. das Gerede) können Präfixe in Nomen- und Adjektivderivaten das nicht: In Untat und unklug bestimmt jeweils das Wort die grammatische Kategorie. Dagegen legen die Präfixe denominaler und deadjektivischer Verbderivate (z.B. vergolden, verarmen) alle grammatischen Merkmale fest. Hier besteht eine Ausnahme zur Righthand Head Rule, dem Prinzip der Rechtsköpfigkeit. Vgl. Exkurs 10. Die zentralen einheimischen Präfixe, die Verben aus Nomina oder Adjektiven ableiten, nämlich be-, ent-, er-, ver- und zer- (z.B. in betäuben, entkernen, erdolchen, vergüten, zerScherben), werden ausschließlich zur Verbderivation verwendet. Vgl. 4.2.1.3. Davon abzugrenzen sind Präfixe, die mit allen drei Hauptwortarten kompatibel sind, z.B. miss- (in Missernte, missvergnügt, missdeuten)-, solche multifunktionalen Präfixe finden sich interessanterweise nicht in Kombination mit denominalen oder deadjektivischen Verben, sondern nur in Kombination mit simplizischen oder deverbalen Verben (z.B. missdeuten, missverstehen). Im Gegensatz zu Suffixen können einige Präfixe vervielfacht werden, z.B. meine Urururururenkel. Besonders bei hervorhebenden Präfixen sind außerdem weitere Hervorhebungen möglich, z.B. megaultrahyperschlau. Vgl. auch Wer Wert darauf legt, [...] dem bleibt es unbenommen, von Basopräponemen, Basopostponemen und Basopräpostponemen zu sprechen (Schmidt 1987, S. 49). Zumindest auffällig wäre dagegen als Hervorhebung zu lesendes das war schon kein Misserfolg mehr, das muss man wohl einen 1 Missmisserfolg nennen; ungrammatisch und semantisch sinnlos wären *bebezahlen, *ververgo! den. 28 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Nicht zu den Präfixen rechne ich konsequent Einheiten, die frei verkommen und daher m.E. als Wort definiert werden sollten, z.B. anti in er ist ziemlich anti eingestellt, extra in sie ist extra früh aufgestanden, kontra in sie erwog alle Argumente pro und kontra, quasi in das ist ja quasi seine Aufgabe oder super in eine super Frau. Wortbildungsprodukte wie proarmenisch sind für mich folglich Kombinationen aus zwei Wörtern. Ebenfalls nicht zu den Präfixen rechne ich die Ersteinheiten in Wortbildungsprodukten wie abstehen, ansehen, vorgehen. Verben dieses Typs analysiere ich als Präverbfugungen, d.h. als Fügungen aus einem Verb, z.B. stehen, und einer Präpositon in der Funktion eines Präverbs, z.B. ab. Präverbfügungen bestehen aus syntaktisch mobilen Einheiten, z.B. in ihre Ohren stehen, wenn ich das mal so uncharmant direkt sagen darf, ziemlich weit ab. Exkurs 2: Die Präverbfugung Unfeste Verben wie abstehen, ansehen, aufstehen, vorgehen werden in der Forschungsliteratur nach wie vor recht unterschiedlich interpretiert: Sie werden als Produkte der Präfigierung, der Komposition, der Zusammenrückung oder einer eigens für sie angesetzten Wortbildungsart namens Konstitution angesehen; ihre Ersteinheiten werden als Präfixe, Präfixoide, Partikel oder Wörter verstanden. Die Vorschläge der Forschungsliteratur sind jedoch wenig stimmig: Verben wie vorgehen können nicht den Präfixverben zugeordnet werden, wenn man Präfixe wie üblich als immobil definiert, d.h., wenn Präfixe per defmitionem niemals vom Verb getrennt werden können, sondern immer davor stehen (daher: Prä-). Die fraglichen Einheiten werden dagegen in vielen Realisierungen vom Verb getrennt und nachgestellt, z.B. sie sieht ihn unglaublich gerne an, er steht immerfrüh auf, geh du schon mal vor. Das Erklärungsmodell Affixoid bzw. Präfixoid und Suffixoid betrachte ich als nicht notwendig. Vgl. Exkurs 1. Es gibt auch keinen guten Grund, es eigens für die fraglichen Verben wieder aufleben zu lassen. ln der neueren Forschung hat sich für Verben wie abstehen, ansehen, aufstehen, vorgehen weitgehend der Begriff Partikelverb durchgesetzt. Vgl. u.a. Eisenberg (1998) und Olsen (1998). Es wird unterschieden zwischen Präfixverben einerseits (z.B. befragen) und Partikelverben andererseits (z.B. anfragen). U.a. Risch (1995, S. 13), Eisenberg (1998, S. 254) und Glück (2000, S. 512) differenzieren ausschließlich nach dem Kriterium Unfestigkeit und dem damit verbundenen Kriterium Hauptakzent. Dies hat den Vorteil, dass eine „formale Unterscheidung der Partikelvon den Präfixverben [...] problemlos möglich ist“ (Eisen- Die Einheiten der Wortbildung 29 berg 1998, S. 254). Vgl. auch StiebeisAVunderlich (1994). Nachteilig an dieser Grenzziehung ist jedoch, dass unbetonte, syntaktisch immobile Ersteinheiten wie in Sie durchdenkt das Problem den Präfixen zugeordnet werden müssen, obwohl sich eine Zuordnung zu Einheiten wie in Sie arbeitet das Buch durch auch aus semantischen Gründen anbieten würde. Auch ist verwirrend, dass eine Einheit wie vor in Vordach etwas wesentlich Anderes sein soll als in geh du schon mal vor, nämlich einmal eine Präposition, also ein Wort, und einmal eine (unselbstständige) Partikel, die allein für die Verbbildung reserviert ist. Werden Einheiten wie an als Wörter verstanden, liegt offenbar nahe, Kombinationen mit ihnen als Komposita zu bezeichnen. Komposita bestehen aus Wörtern und/ oder Konfixen. Komposita haben aber wie alle Wörter prinzipiell keine syntaktisch mobilen Einheiten. Die Bestandteile der fraglichen Verben jedoch sind syntaktisch mobil. Weil Derivation und Komposition untrennbare Wörter bilden, fallen also „auch Partikelverben aus diesem Modell heraus und müssen als eigenständige Wortbildungsform angesehen werden“ (Fehlisch 1998, S. 224). Diese eigene Wortbildungsform nennt Thurmair (1996) nach Weinrich (1993) Konstitution. Zur Konstitution rechnet Thurmair verschiedene Arten von Verbklammem, so u.a. „Grammatikalklammem“ (kann verstehen) oder „Lexikalklammem“ (stelle einen Antrag). Die Einbeziehung von Wortgruppen in die Wortbildung halte ich jedoch mit Fleischer (1996, S. 47) für ein Problem: „Die Abgrenzung zur freien wie auch zur phraseologischen Wortgruppe bleibt offen. Der Gegenstand der verbalen Wortbildung weitet sich in unübersichtlicher Weise aus.“ Demnach müsste auch der Wortbegriff ganz neu bestimmt werden; bei der Wortbildung würden Phänomene gebildet, die üblicherweise nicht als Wort verstanden werden, z.B. Funktionsverbgefüge wie in Erfahrung bringen. Verben des Typs abstehen passen also in keine der bisher vorgeschlagenen Wortbildungskategorien. Ihre syntaktische „Trennbarkeit“ kollidiert immer mit dem Wortbegriff. An dieser Stelle sei kurz etwas zu amtlichen Schreibregelungen angemerkt, die Auswirkungen auf den Wortbegriff haben (zu Überlegungen der Rechtschreibreformer vgl. u.a. Schaeder 1997): So sollen Verbfugungen wie Radfahren (früher radfahren) nun offenbar nicht mehr als Wortbildungsprodukt verstanden werden; Wortbildungsprodukte sind ja immer Wörter und Wörter werden im Deutschen immer zusammengeschrieben. Allerdings weiterhin zusammengeschrieben, also als Wort aufgefasst, werden gar nicht so unähnliche Verben des Typs abstehen, anstehen, aufseben, Vorgehen. In diesem Punkt widersprechen sich Orthografie und Wortbegriff; die Orthografie verlangt hier nämlich Zusammenschreibung für syntaktisch mobile Einheiten, z.B. sie sieht zum Himmel auf Sie deklariert damit z.B. aufsehen als Wort. Vgl. dagegen Drach (1940, S. 56), der in einem ausführlichen historischen Rückblick darauf hinweist, dass die „Rechtschreibgewohnheit, Gefügepartner, wenn sie syntaktisch in Nachbarstellung treten, kurzweg zusammenzuschreiben“ fraglich 30 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick sei. Schon Adelung habe davor gewarnt, „den eingerissenen Rechtschreibgebrauch, den er für irreführend hält, zu übertreiben. ‘Sollten diese alle als zusammen gesetzte Verben behandelt werden können, so müßte schließlich ein jedes Verb mit einem Adverb ein zusammen gesetztes Wort machen, und wo wollte man dann mit all den Zusammensetzungen hin? Wer bevorstehen, übereinstimmen schreibt, wird auch bald schreiben wollen: aufeincmderfolgen, hinterherlaufen, ausdemhausegehen, überdiestraßelaufen\ Die Rechtschreibung des neunzehnten Jahrhunderts ist der Mahnung Adelungs nicht gefolgt. Die törichte Gewohnheit nahm dauernd zu.“ Vgl. dazu auch Mentrup (1999). Drach spitzt diese Erkenntnis weiter zu: „Die sonst so unbegreiflichen Erscheinungen der Formenlehre werden ohne weiteres klar, wenn man erkennt, daß hier keine Zusammensetzung, sondern die irreführende Rechtschreibung eines verbalen Gefüges vorliegt.“ Das Wort sollte also nicht, jedenfalls nicht ausschließlich, über Rechtschreibkriterien definiert werden. Aus den dargelegten Gründen analysiere ich Verben des Typs Vorgehen also nicht als Wörter, sondern als syntaktische Gefüge. Dies legt ja auch schon das Modell Konstitution nahe. In Anlehnung an Zifonun, G. (1973) nenne ich diese syntaktischen Gefüge Präverbfügungen. So u.a. auch Leden (1975) oder Simeckovä (1996). Präverbfügungen bestehen aus einem Verb (z.B. gehen) und einem Wort in der Funktion eines Präverbs (z.B. der Präposition vor). Der Terminus Präverb ist ähnlich zu verstehen wie der Terminus Adverb; Präwie Adverbien begleiten das Verb. Terminologisch weniger günstig ist der Bestandteil Prä-, weil Präverbien (anders als z.B. Präfixe) ja gerade nicht prinzipiell vor etwas stehen, sondern nur in manchen Formen, etwa dem Infinitiv. Präverbfügungen sehe ich eher als Phänomene der Syntax als als Phänomene der Wortbildung. Vgl. ausführlich Donalies (1999a). In Analogie zu meiner Bestimmung von Verben des Typs abstehen als Präverbfügungen analysiere ich auch positionsfeste Ersteinheiten wie über in Verben wie überreden nicht als Präfixe. Sie sind ebenso Präpositionen wie die Präverbien in Präverbfügungen des Typs abstehen Präpositionen sind. Verbinden sich zwei Wörter zu einem Wort, z.B. ein Nomen mit einem Nomen (z.B. Hutschachtel), ein Adjektiv mit einem Nomen (z.B. Rotbuche) oder eine Präposition mit einem Nomen (z.B. Vordach), entstehen per definitionem Komposita. Konsequenterweise analysiere ich Wörter aus einer Präposition und einem Verb (z.B. überreden) daher hier ebenfalls als Komposita. Vgl. 4.1.1.3. 3.3.2 Das Suffix Suffixe (zu lat. süffigere ‘hinten anheften’) werden morphologisch definiert als gebundene Einheiten, die stets hinter einer Basis positioniert sind, z.B. Die Einheiten der Wortbildung 31 -heit, -lieh und -ig(en) in Schönheit, glücklich, festigen. Mit Suffixen werden Nomina gebildet (z.B. Schönheit, Sensibelchen), Adjektive (z.B. akzeptabel, herzlich), Verben (z.B. festigen, konkurrieren) und andere Wortarten (z.B. schnöderdings, talwärts). Suffixe bestimmen als zweite Einheiten grundsätzlich die grammatischen Merkmale des Derivats: So legt z.B. das Suffix -heit fest, dass das Derivat Schönheit ein feminines Nomen ist; das Suffix -lieh legt fest, dass das Derivat erfreulich ein Adjektiv ist; das Suffix -ier(en) legt fest, dass das Derivat kontaktieren ein Verb ist. Vgl. dazu auch Eisenberg (2004, S. 272ff). Einige Suffixe bewirken Stammvokaländerungen. So werden etwa deadjektivische Nomenderivate mit dem Suffix -e in der Regel umgelautet (z.B. Bläue, Säure, Höhe, Güte, Länge, Blöße, Schwäche), deverbale dagegen nicht (z.B. Folge, Klage, Frage, Gabe, Suche). Vgl. dazu schon Zifonun, I. (1970, S. 181). Suffixe wie dt. -e sind „umlauterzwingende“ Suffixe (Baeskow 2002, S. 80); umlauterzwingend sind auch -chen, -lein oder -ling (z.B. in Hündchen, Händchen, Dörßein, Jüngling, Schwächling, Dümmling, Täufling). Lediglich „umlautauslösend“ (ebd.) sind etwa -er und -in (z.B. in Jäger, Kläger, Bäcker, Hündin, Köchin, aber Pflanzer, Versager, Nager, Gattin, Russin). Umgelautet wird übrigens unabhängig davon, ob der Umlaut im jeweiligen Flexionsparadigma vorkommt oder nicht: So entspricht die Derivationsvariante Händzu Hand der Flexionsform des Plurals Hände, die Derivationsvariante jungzu jung entspricht den Steigerungsformen jünger, am jüngsten. Dagegen haben die Derivationsvarianten Hünd- oder täufkeine Entsprechungen im Flexionsparadigma von Hund oder tauflen). Präfixe dagegen bewirken weniger systematische Umlautungen (z.B. vergüten, aber vermuten). Zu weiteren morphologisch-phonologischen Besonderheiten vgl. Eisenberg (1998, S. 259ff.) und Eschenlohr (1999, S. lOlfi). Während sich Präfixe in der Regel morphologisch klar aus Präfigierungsprodukten herauslösen lassen, sind Suffigierungsprodukte mitunter auf sehr verschiedene Weise interpretabel. Problematisch sind vor allem Lehnwortbildungsprodukte wie Republikaner und pamphletarisch. Diese Wortbildungsprodukte sehe ich als Bildungen aus einem Nomen (Republik, Pamphlet) und einem erweiterten Suffix, einer Suffixvariante -aner bzw. -arisch. 32 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Exkurs 3: Die Suffixvariante Lehnwortbildungsprodukte wie Republikaner und pamphletarisch lassen sich bestimmen als: explizite Derivate mit den Fugenelementen -an- und -ar-\ Republik-an-er, pamphlet-ar-isch. explizite Derivate mit den Interfixen -an- und -ar-: Republik-an-er, pamphletar-isch. Vgl. Fleischer/ Barz (1995, S. 32). explizite Derivate mit den erweiterten Basen republikan- und pamphletar-: Republikan-er, pamphletar-isch. So Fuhrhop (1998). Fuhrhop nimmt an, dass es spezielle Derivationsbasisvarianten zu Wörtern bzw. Konfixen gibt, etwa eine Variante Derivationsbasis republikanzum Wort Republik, mit der z.B. Nomina {Republikaner) und Adjektive {republikanisch) gebildet werden. explizite Derivate mit den Suffixvarianten -aner und -arisch: Republik-aner, pamphlet-arisch. Für jeden dieser Segmentierungsvorschläge lassen sich plausible Argumente finden. Ich habe mich zum einen aus Gründen der inneren Stimmigkeit dieses Wortbildungsüberblicks (z.B. definiere ich das Fugenelement sehr minimalistisch und sehe eine eigene Kategorie Interfix als unnötig an), zum anderen aus sprachhistorischen Gründen zu Gunsten der Suffixvarianz entschieden: Lehnwortbildung orientiert sich naturgemäß stark an den Gegebenheiten der jeweiligen Herkunftssprache. Die lehnwortgebildeten Derivate Republikaner und pamphletarisch sind analog zu lateinischen Formen wie publicanus und herbarius gebildet. Im Lateinischen sind diese Formen Wörter mit dem Flexionssuffix -us und den Wortbildungssuffixen -an bzw. -ari. Weil -an bzw. -ari im Lateinischen Wortbildungsaffixe sind, rechne ich die analogen deutschen Einheiten -an- und -arebenfalls den Wortbildungsaffixen zu. Sie gelten als Suffixerweiterungen im Sinne einheimischer Suffixerweiterungen des Typs -erisch (z.B. in regnerisch) oder -igkeit (z.B. in Frömmigkeit). Neben den Suffixvarianten gibt es in der Lehnwortbildung auch Basisvarianten, die ich ebenfalls sprachhistorisch begründe: Aus der Herkunftssprache ergeben sich Varianten bei Konfixen wie explod-fexplosin explodieren, Explosion, explosiv analog den lateinischen Verbformen explodo, explosi, explosum. Eine rein stilistische Funktion haben Suffixe, die vor allem in legereren Sprachstilen der Umgangssprache, etwa unter Jugendlichen klangspielerisch an Wörter angehängt werden, z.B. -o in geilo, -ös in teuriös, -inowski in bis baldinowski und -inger in Pilsinger. Androutsopoulos (1998, S. 125) nennt solche Suffixe sprachkritisch „parasitär“. Zu den Spezifika der jugendsprachlichen Wortbildung vgl. auch Cieszkowski (1992) und Feine (1995). Die Einheiten der Wortbildung 33 3.3.3 Das Zirkumfix Zirkumfixe (zu lat. circumfigere ‘ringsum umwickeln’) werden morphologisch definiert als gebundene Einheiten, die stets um eine Basis herum positioniert sind. Mit Zirkumfixen werden Nomina (z.B. Gerede), Adjektive (z.B. gefügig) und Verben gebildet (z.B. besänftigen). In der Forschungsliteratur ist umstritten, ob diese Einheiten als Kombination aus Präfix und Suffix (wie u.a. bei v. Polenz 1980, S. 170, und Fleischer/ Barz 1995, S. 46) oder als gesonderte Affixart analysiert werden sollen: Nach der Kombinationshypothese werden Wortbildungsprodukte wie Gerede als dreiteilige Strukturen aus einem Präfix (ge-), einer Basis (red-) und einem Suffix (-<? ) verstanden: Ge(l)-red(2)-e(3). Nach der Zirkumfixhypothese werden Zirkumfixe als ein (! ) Affix angesehen: Ge(l)-red(2)-e(l). Ich bevorzuge die zweite Hypothese, weil sie die elementare Grundregel der Binarität expliziter Derivate nicht verletzt, nach der explizite Derivate grundsätzlich als zweiteilig angesehen werden: Derivate bestehen aus einer Basis und einem Wortbildungsaffix. Außerdem ermöglicht die zweite Hypothese eine Unterscheidung gegenüber Wortbildungsprodukten, bei denen Präfigierung und Suffigierung zeitlich versetzt aufeinander folgen: So leitet z.B. das Präfix bedas (bereits mit -ig(en) suffigierte) Verb festigen zu befestigen ab; die Ableitung findet in zwei Schritten statt; als Basen sind / eV und festigen zu segmentieren: Erster Schritt ist fest + -ig(en) —»festigen, zweiter Schritt ist be- + festigen —> befestigen. Zirkumfigierung dagegen findet offenbar nicht in zwei Schritten statt: Ein Verb wie beschönigen ist ja keine / le-Prätlgicrung zu *schönigen, denn es gibt kein gebräuchliches Verb *schönigen; beschönigen ist demnach ein Derivat mit der Basis schön und einem in einem Schritt ableitenden Zirkumfix be-...-ig(en): schön + be-...-ig —> beschönigen. Im Deutschen gibt es also Präfixe, Suffixe und Zirkumfixe. Nicht benötigt zur Erklärung deutscher Wortbildung wird das Infix. 34 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Exkurs 4: Das Infix Mitunter finden sich Affixe, die scheinbar in eine komplexe Basis eingefügt werden, z.B. -unin verunehrt (Barlach 1936, S. 245), funktionsuntüchtige Gewehre (Kunert 1995, S. 15). Ihrer Position innerhalb der Basis wegen werden solche Einheiten Infixe (zu lat. infigere ‘einfugen’) genannt. Die Definition dieses eigenen Affixtyps ist in Bezug auf die deutsche Wortbildung jedoch zu Recht umstritten (vgl. Glück 2000, S. 297); die angeführten Beispiele können auch als Derivate mit präfigierter Basis (ver- + Unehre) bzw. als Zusammensetzungen mit einer präfigierten zweiten Einheit {Funktion + untüchtig) interpretiert werden. Daher sehe auch ich den Terminus und Begriff Infix jedenfalls für das Deutsche als überflüssig an. Während sich Affixe morphologisch klar von Wörtern durch Gebundenheit und von Konfixen durch Nichtbasisfahigkeit abgrenzen lassen, sind sie semantisch gesehen nicht prinzipiell abzugrenzen: Zwar unterscheiden sich Affixe von Wörtern und Konfixen dadurch, dass nur Affixe transponieren können (z.B. -heit in Schönheit), aber Affixe können ebenso wie Wörter und Konftxe Determinans (z.B. unin unschön) oder Determinatum sein (z.B. -ling in Schönling). Im Folgenden werden die drei Funktionen der Wortbildungsaffixe erläutert: - Das transponierende Wortbildungsaffix - Das determinierende Wortbildungsaffix - Das determinierte Wortbildungsaffix 3.3.4 Das transponierende Wortbildungsaffix Transposition (zu lat. transponere ‘an einen anderen Ort versetzen, überführen’) verstehe ich hier als einen semantisch (! ) definierten Wortbildungsvorgang: Durch Transposition wird ein Wort in eine andere Wortart überführt und zwar so, dass sich nur wenig an der kategoriellen Bedeutung ändert, z.B. schön —> Schönheit. Die kategorielle Bedeutung ist jene Bedeutung, die Wörter verschiedener Wortarten voneinander unterscheidet: Nomina bezeichnen ja üblicherweise Sachen und Sachverhalte, Adjektive bezeichnen üblicherweise Eigenschaften, Verben bezeichnen üblicherweise Tätigkeiten, Zustände und Prozesse. Bei Wortbildungsprodukten wird mitunter die kategorielle Bedeutung der Basis übernommen: Zwar ist Schönheit ein Nomen, es hat aber die kategorielle Bedeutung seines Basisadjektivs; sowohl schön Die Einheiten der Wortbildung 35 als auch Schönheit bezeichnen Eigenschaften. Wortbildnerisch verändert wird also vor allem die grammatische Funktion. Nur Suffixe und Zirkumfixe transponieren, z.B. in Schönheit und Gerede. Dass Präfixe überwiegend nicht transponieren, liegt vor allem daran, dass sie in der Regel nicht die grammatischen Merkmale des Derivats bestimmen, z.B. in Megaparty und unschön. Dort, wo Präfixe die grammatischen Merkmale des Derivats bestimmen, nämlich bei den denominalen und deadjektivischen Verben (z.B. bestuhlen, betäuben), werden sie von der Basis determiniert: Das Präfix bezeichnet eine Tätigkeit, die durch die Basis (z.B. Stuhl oder taub) semantisch näher bestimmt wird: Wer eine Aula bestuhlt, fügt etwas hinzu und zwar Stühle. 3.3.5 Das determinierende Wortbildungsaffix Unter Determination (zu lat. determinare ‘begrenzen, eingrenzen, festlegen, bestimmen’) wird die semantische Bestimmung einer Einheit durch eine andere verstanden. Vgl. dazu auch Exkurs 12. Determinieren, also semantisch näher bestimmen, semantisch eingrenzen, spezifizieren können Wörter (z.B. determiniert König in Königsmantel Mantel) und Konfixe (z.B. determiniert bioin Biobutter Butter), aber auch Präfixe (z.B. in unschön, beladen) und Suffixe (z.B. in Kindchen, grünlich, hüsteln). Die determinierende Einheit wird Determinans genannt. Mit determinierenden Wortbildungsaffixen kann vor allem ausgedrückt werden: eine positive oder negative Bewertung, z.B. in Missheirat, Unwort, Romänchen, Dichterling. Der Sprecherschreiber bringt zum Ausdruck, dass er das von der Basis Bezeichnete goutiert oder ablehnt. Hierzu werden auch Diminutiva wie Kindchen gerechnet, weil deren Semantik (nach Würstle 1992) weniger verkleinernd gemeint als affektiv ist: Ein Kindchen ist ein besonders liebes, besonders niedliches, besonders geliebtes, besonders schützenswertes Kind. eine Hervorhebung, z.B. in Erzbösewicht, Megaunfall, Unzahl, hypersympathisch, ultraschön. Der Sprecherschreiber hebt das mit dem Derivat Bezeichnete aus der normalen Menge des mit der Basis Bezeichneten 36 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick hervor: Ein Erzbösewicht ist aus der Menge aller Bösewichte dadurch hervorgehoben, dass er die charakteristischen Eigenschaften des normalen Bösewichts in besonders krasser Weise zeigt. eine Relativierung, z.B. in Pseudovergnügen, paramilitärisch, grünlich. Der Sprecherschreiber relativiert den Aussagegehalt des von der Basis Bezeichneten: Ein Pseudovergnügen scheint zwar auf den ersten Blick ein Vergnügen zu sein oder wird als solches angepriesen, ist aber eigentlich nicht das, was man sich unter einem Vergnügen vorstellt. eine Verneinung, z.B. in Undank, ahistorisch, destabil, unwesentlich. Der Sprecherschreiber stellt in Abrede, dass das von der Basis Bezeichnete überhaupt zutrifft: Undank ist kein Dank. 3.3.6 Das determinierte Wortbildungsaffix Diejenige Einheit eines komplexen Wortes, die seine Hauptbedeutung trägt und durch eine ihm untergeordnete Einheit (das Determinans) semantisch näher bestimmt wird, wird Determinatum genannt. In der Forschungsliteratur wird üblicherweise nur Wörtern und Konfixen dieser Status zugebilligt, z.B. Mantel in Königsmantel, Dank in Undank oder -man in tütoman, doch spricht vieles dafür, auch Affixe als Determinata zu analysieren. Alle drei Affixarten, also Präfixe, Suffixe und Zirkumfixe, können das Determinatum eines komplexen Wortes sein. Wortbildungsprodukte, bei denen das Affix determiniert wird, sind z.B. Lehrer, Schönling, Sensihelchen, beschönigen, vergolden: Lehrer bezeichnet eine durch -er benannte Person, die semantisch eingegrenzt wird durch die zusätzliche Information, dass diese Person lehrt; Schönling bezeichnet eine durch -ling benannte (negativ konnotierte) Person, die die semantisch näher charakterisierende Eigenschaft hat, schön zu sein; beschönigen bezeichnet eine durch be-...-ig(en) benannte Tätigkeit, bei der das obligatorische Objekt mit der Eigenschaft ‘schön’ versehen wird (z.B. Immer beschönigt er seine Fehler)', vergolden bezeichnet eine durch ver-...-{en) benannte Tätigkeit, bei der das obligatorische Objekt mit etwas und zwar mit Gold versehen wird (z.B. die Restaurateure vergolden das Eisengitter). Die Einheiten der Wortbildung 37 Zu unterscheiden sind dabei aus morphosyntaktischen Gründen einerseits Wortbildungsprodukte, bei denen ein Wortartwechsel stattfindet (z.B. naiv —> Naivling), und andererseits Wortbildungsprodukte, bei denen kein Wortartwechsel stattfindet (z.B. Lyrik —> Lyriker). Dass in den angeführten Beispielen das Affix Determinatum ist, also die Hauptbedeutung des komplexen Wortes trägt, heißt nicht, dass Affixe auch morphologisch basisfähig wären; vielmehr ist die morphologische Basis grundsätzlich ein Wort, ein Konfix, ein Satz, eine Phrase oder eine unikale Einheit. Morphologische Basis und semantisch dominante Einheit sind keineswegs immer identisch. Wie allgemein in der Wortbildung, sollte man auch hier morphologische und semantische Kriterien klar voneinander trennen. Ob ein Affix transponiert, ob es selbst determiniert, oder determiniert wird, kann mit einem einfachen Rüttelsieb-Testverfahren ermittelt werden, das danach fragt, ob ein Affix Wortartwechsel bewirkt oder nicht und ob es eine Änderung der kategoriellen Bedeutung bewirkt oder nicht. Exkurs 5: Testverfahren zur Feststellung der semantischen Leistung eines Affixes Wortbildungsprodukte mit Wortbildungsaffixen sind stets binär aufgebaut, z.B. Un(\)dank{2), Schön{\)heit(2), freund{\)lich{2). Sie bestehen meist erstens aus einem Wort oder Konfix, das die morphologische Basis bildet, und zweitens einem Wortbildungsaffix, das ableitet. Aus diesen morphologischen Grundtatsachen wird in der Forschungsliteratur häufig auch ein prinzipieller semantischer Unterschied erschlossen: Wortbildungsaffixe werden definiert als Einheiten mit „weitgehend verblaßter Eigenbedeutung“ (Bußmann 1990, S. 53); Affixe dienen, heißt es, in erster Linie der Derivation, sie haben eine Funktion, keine Semantik, sie bilden niemals „das lexikalische Zentrum von Wörtern“ (Naumann 1992, S. 97). Die Analyse expliziter Derivate ergibt jedoch, dass keineswegs alle Wortbildungsaffixe so beschrieben werden können. Vgl. Donalies (1999c). Vielmehr ist anzunehmen, dass Affixe transponieren, determinieren und determiniert werden können. Diese Affixmerkmale lassen sich durch zwei einander ergänzende Prüfmethoden ermitteln, die zum einen nach Verändemngen der grammatischen Funktion, zum anderen nach Veränderungen der kategoriellen Bedeutung fragen: Zum einen wird erfragt, ob die Affixe eine Veränderung der grammatischen Funktion bewirken, d.h., ob die Basis und das Derivat verschiedenen Wortarten angehören 38 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick und folglich zwischen Basis und Derivat ein Unterschied in der syntaktischen Verwendbarkeit besteht oder nicht. Wortarten sind vor allem Adjektiv, Nomen und Verb. Gleichen Wortarten gehören z.B. Dichter und das daraus abgeleitete Dichterin an; beide sind Nomina. Verschiedenen Wortarten gehören z.B. das Adjektiv naiv und das daraus abgeleitete Nomen Naivling an. Es ergeben sich zwei Fälle: Die grammatische Funktion verändert sich (Typ I und II). Die grammatische Funktion ändert sich nicht (Typ III und IV). Tab. 1: Veränderung der grammatischen Funktion Adjektiv Nomen Verb Typ I schön - Schönheit Bergung bergen wacklig ■ wackeln Typ II Naivling sensibel sensibilisieren Goldvergolden Typ III gelb —> gelblich sozial —> asozial Dichter —> Dichterin laden —> beladen Typ IV Lyrik —> Lyriker Mensch —> Menschheit Zum anderen wird erfragt, ob die Affixe eine Veränderung der kategoriellen Bedeutung bewirken, d.h., ob Basis und Derivat verschiedene Arten von Entitäten bezeichnen oder nicht. Arten von Entitäten sind vor allem Eigenschaft, Sache und Tätigkeit. Diese Entitäten entsprechen bekanntlich nicht immer den Wortarten. Üblicherweise bezeichnen zwar Nomina Sachen, Sachverhalte u.Ä., das Nomen Schönheit z.B. bezeichnet aber eine Eigenschaft, Bergung ist zwar ein Nomen, bezeichnet aber eine Tätigkeit. Auf einer Ebene unterhalb dieser allgemeinen Ebene der Entitäten lassen sich weitere definieren, z.B. kann die Entität Sache weiter aufgefachert werden in Entitäten wie Lebewesen, Ort usw. Diese weitere Auffächerung ist notwendig, um den Unterschied zwischen zwei Untertypen, nämlich Typ III und IV, zu kennzeichnen: Dichterin (Typ III) und Lyriker (Typ IV) haben zwar gemeinsam, dass sie wie ihre Basen Sachen bezeichnen, dass also ihre kategorielle Bedeutung auf der obersten, der relativ allgemeinen Ebene nicht verändert wird; sie unterscheiden sich aber insofern, als Dichterin ebenso wie Dichter auch auf einer feiner differenzierenden Ebene zur gleichen Entität, nämlich zur Entität Lebewesen gehört, während Lyriker der Entität Lebewesen, Lyrik jedoch der Entität Literaturgattung angehört. Zwischen der Basis Lyrik und dem Derivat Lyriker findet also auf einer unteren, einer differenzierteren Ebene eine kategorielle Bedeutungsveränderung statt. Es ergeben sich zwei Fälle: Die Einheiten der Wortbildung 39 Die kategorielle Bedeutung verändert sich (Typ II, auf einer feiner differenzierenden Ebene auch Typ IV). Die kategorielle Bedeutung verändert sich nicht (Typ I, Typ III). Tab. 2: Veränderung der kategoriellen Bedeutung Eigenschaft Sache Tätigkeit Typ 1 schön —> Schönheit bergen —> Bergung wackeln —> wacklig Typ ii Naivling sensibel sensibilisieren Gold vergolden Typ III gelb —» gelblich sozial —> asozial Dichter —> Dichterin laden —> beladen Typ IV Lyrik —» Lyriker Mensch ■ Menschheit Es besteht folgende Kreuzklassifikation: Tab. 3: Kreuzklassifikation Typ 1 Typ 11 Typ tu Typ iv Veränderung der grammatischen Funktion Veränderung der kategoriellen Bedeutung Typ I: Das Wortbildungsaffix ist Transponieret. Typ II: Das Wortbildungsaffix ist Determinatum. Typ III: Das Wortbildungsaffix ist Determinans. Typ IV: Das Wortbildungsaffix ist Determinatum. Die Affixe der Typen I-IV sind nun wie folgt zu beschreiben: Typ I: Affixe mit dem Merkmal (+ -), die nur transponieren, d.h. einen Wortartwechsel bewirken (+), ohne dass mit diesem Wortartwechsel eine kategorielle Bedeutungsveränderung verbunden ist (-). Derivate mit transponierenden Affixen sind z.B. Schönheit und Bergung'. Schönheit ist eine Eigenschaft, Bergung eine Tätigkeit. 40 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Typ II: Affixe mit dem Merkmal (+ +), die durch eine morphologische Basis determiniert werden. Dabei ändern sie die Wortart der Basis (+); Basis und Derivat gehören verschiedenen Entitäten an (+). Derivate mit determiniertem Affix sind z.B. Naivling ‘Person, und zwar eine naive’ und vergolden ‘etwas hinzufugen, und zwar Gold’. Die damit postulierte starke semantische Eigenständigkeit einiger Affixe ist in der Forschungsliteratur nach wie vor umstritten. Dies mag u.a. daran liegen, dass Wortstrukturen üblicherweise in Paraphrasen beschrieben werden, z.B. das Kompositum Königsmantel als ‘Mantel eines Königs’; Strukturen mit determinierten Affixen lassen sich nun aber nicht genauso beschreiben, weil Affixe als nicht wortfahig definiert werden, also als in Texten nicht frei vorkommend. Daher klingen erklärende Paraphrasen ungrammatisch, z.B. Naivling ‘-ling, der naiv ist’. Typ III: Affixe mit dem Merkmal (—), die weder die Wortart wechseln (-), noch die Basis entitätisch verändern (-), sondern lediglich die Basis determinieren, also semantisch näher bestimmen, die Bedeutung modifizieren und nuancieren. Derivate mit determinierendem Affix sind gelblich und Dichterin', gelblich ist eine bestimmte Art gelb, eine Dichterin ist ein weiblicher Dichter. Zu Typ III ist auch die Negation zu stellen: Bei der Negation (z.B. bei schön —> unschön) verändert sich die Wortart nicht; Negationsaffixe modifizieren die Basis, es verändert sich also eigentlich auch entitätisch nichts. Allerdings zeigt die Paraphrasierung sofort eine störende Uneleganz: gelblich ist gelb, aber unschön ist eben gerade nicht schön. Für die Negation könnte daher ein eigener Sondertyp angesetzt werden.Weil es aber bei Übersichtstabellen ums Prinzip und weniger ums Detail geht, verzichte ich hier auf eine solche Detaillierung. Und auch in einer weiteren Flinsicht soll der Typ III nicht weiter ausdetailliert werden: Bei Typ III findet kein Wortartwechsel statt, allerdings ändern sich mitunter andere grammatische Merkmale wie das Genus, z.B. bei der Dichter —> die Dichterin oder der Hase —> das Häschen. Typ IV: Affixe mit dem Merkmal (- +), die wie die Affixe des Typs II von der morphologischen Basis determiniert werden: Ein Lyriker ist eine durch -er bezeichnete Person, die etwas mit Lyrik zu tun hat. Dabei ändern die Affixe nicht die Wortart der Basis (-); Basis und Derivat gehören aber verschiedenen Unterarten von Entitäten an (+). 3.4 Der Satz und die Phrase Unter einem Satz verstehe ich mit Zifonun, G. et al. (1997) und www.idsmannheim.de/ grammis (2001) eine syntaktische Wortgruppe mit einem finiten Verb (z.B. Vergiss mein nicht! )', unter einer Phrase dagegen verstehe ich mit Zifonun, G. et al. (1997) und www.ids-mannheim.de/ grammis Die Einheiten der Wortbildung 41 (2001) eine Wortgmppe, die aus funktional zusammengehörenden, aufeinander folgenden, zusammen verschiebbaren und kein finites Verb enthaltenden Elementen besteht (z.B. grüne Bohnen). Sätze und Phrasen sind ungewöhnliche Einheiten der Wortbildung, insofern sie aus mehreren Teilen, nämlich aus mindestens zwei Wörtern bestehen (z.B. grüne Bohnen). Dennoch kann auch hier von Einheiten gesprochen werden, weil Sätze und Phrasen in der Wortbildung offenbar als in sich stabile Einheiten wahrgenommen und verwendet werden, z.B. in Grüne- Bohnen-Eintopf Sag-niemals-nie-Haltung, das ewige Am-Computer-sitzenmüssen, Dreikäsehoch, Vergissmeinnicht. Wie Wörter werden auch Sätze und Phrasen, sind sie einmal in Wortbildungsprodukte eingebunden, nicht mehr variiert. Mit Sätzen und Phrasen werden überwiegend Nomina gebildet: Zum einen sind Sätze und Phrasen Ersteinheiten von Komposita (z.B. in Grüne-Bohnen- Eintopf ihr unwirscher Ich-kann-das-nicht-glauben-Blick)', zu Phrasenkomposita und -derivaten vgl. u.a. Lawrenz (1996) und Lawrenz (1997). Zum anderen sind Sätze und Phrasen Basen von Konvertaten (z.B. Vergissmeinnicht, Schluckauf, das Arbeitenmüssen) und expliziten Derivaten (z.B. Dickhäuter, Schwarzseher). Bei den expliziten Derivaten gibt es auch einige Adjektive, die eine Phrasenbasis haben (z.B. blauäugig, viertürig), vgl. 4.2.2.2. 3.5 Die unikale Einheit Diachron, d.h. im Schnitt durch die Sprachgeschichte betrachtet, sind unikale, also nur einmal vorhandene Einheiten, auch unikale Morpheme, blockierte, Quasi- und Pseudomorpheme bzw. -plereme genannt, überkommene Relikte aus früheren Epochen. Ehemals Wörter (z.B. lind ‘Schlange’), sind sie heute als selbstständige Einheiten veraltet, treten aber noch gebunden, sozusagen festgefroren, an eine bestimmte andere Einheit in Komposita oder expliziten Derivaten auf: So kommt Lindheute nur noch in der Kombination Lindwurm vor, vgl. auch Schornin Schornstein, Hirnin Himbeere, Bromin Brombeere, -gall in Nachtigall, -gam in Bräutigam, Sintin Sintflut, -flat in Unflat, -ginn in beginnen, -gess in vergessen, -hunz in verhunzen, -Her in verlieren, plötzin plötzlich, ledin ledig, fähin fähig und cleflin deftig. 42 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Synchron, d.h. auf einer Zeitebene betrachtet, sind unikale Einheiten gegenwartssprachlich zwar der anderen, der immer motivierten Einheit wegen leicht isolierbare, grammatisch aber häufig uneinordenbare und lexikalisch völlig unverständliche Einheiten, die nicht mehr zur Bildung von Wörtern herangezogen werden. Unter diesem streng synchronen Aspekt verstehen Fleischer/ Barz (1995, S. 34) auch solche Einheiten als unikal, deren Bedeutung heute nicht mehr aus der tatsächlichen Basis erklärt werden kann: So ist gehören zwar sprachgeschichtlich wirklich auf hören zurückzuführen, lässt sich aber heute nicht mehr daraus erhellen. Dass hören heute gehören nicht mehr motiviert, liegt daran, dass das Derivat gehören umgedeutet wurde zu ‘besitzen’. Im Prinzip kann eine unikale Einheit auch wieder entunikalisiert werden: So könnte zu Nachtigall etwa Tagigall gebildet werden. Was -gall ursprünglich bezeichnet hat (german, galen ‘singen’, heute noch gellen), weiß inzwischen zwar nur noch der Sprachhistoriker, aber aus dem Kompositum lässt sich leicht neu motivieren, dass die Gail offenbar ein nachtaktiver Vogel ist. Daraus können sich weitere Kombinationen mit Gail ergeben; die Gail kann wieder so frei in der Wortbildung herumflattem wie potenziell auch alle anderen unikalen Einheiten: So etwa das unikale Fieder aus Fledermaus bei Moers (2002, S. 58 und S. 62): Aus zahlreichen Astlöchern kamen Flederwesen ins Freie, im ein bisschen Blut zu saugen und Es war eine Fledertratte, die sich in ihren Haaren verfangen hatte. 3.6 Das Fugenelement Wortbildungsprodukte bestehen im Deutschen vor allem aus Wörtern, Konfixen und Wortbildungsaffixen, die miteinander kombiniert werden (z.B. Hutschachtel, Hochzeitstorte, Thermometer, mehrheitsfähig, öffentlich, identisch, bereden). Zwischen den segmentierbaren Einheiten, z.B. zwischen Hut und Schachtel, befindet sich die Fuge: Hut [Fuge] Schachtel Die Fuge ist meist leer (z.B. bei Hutschachtel, identisch, unschön, bereden, vergolden), mitunter aber durch ein Fugenelement ausgefullt (z.B. bei Hochzeitstorte): Die Einheiten der Wortbildung 43 Hochzeit [Fugen-s] torte Fugenelemente finden sich offenbar vor allem in nominalen und adjektivischen Komposita (z.B. Hochzeit-s-torte, Therm-o-meter, Strat-i-graße, mehrheit-s-fähig, morph-o-syntaktisch). Nach Ortner et al. (1991, S. 54) weist „der weitaus größte Teil der Komposita“ kein Fugenelement auf, nämlich 72,8% der nominalen und 69,2% der Adjektivkomposita ihres Korpus, wobei Ortner et al. zahlreiche Elemente als Fugenelemente sehen, die ich als Flexionsaffixe verstehe (z.B. das Genitiv-.v in Haushaltsdefizit). Die Fuge bei Verbkomposita ist bislang weniger exakt erforscht; soweit zu erkennen, ist sie immer leer. Im Deutschen finden sich in Komposita die Fugenelemente -/ - (z.B. in Stratigrafie): Das aus dem Lateinischen entlehnte Fugenelement -iwird extrem selten in Komposita, und zwar in solchen, die nur aus Konfixen bestehen, verwendet, z.B. Stratigrafie, Plastinaut. Es ist gegenwärtig in der deutschen Standardsprache kaum produktiv. -o- (z.B. in Thermometer)', ln Komposita mit Konfixen griechischer Flerkunft steht in der Regel das aus dem Griechischen entlehnte Fugenelement -o-, z.B. Thermometer, anglophil, morphosyntaktisch. Auch Komposita aus Konfixen und einheimischen Wörtern zeigen -o-, z.B. Filzokratie, Thermojacke, tütophoh ‘tütenaversiv’. Das Fugen-owird derzeit nur in der Lehnwortbildung, also in der Wortbildung mit entlehnten Einheiten verwendet. Während bei der Wortbildung mit ausschließlich einheimischen Einheiten die erste Einheit die Verwendung des Fugenelements steuert, richtet sich die Verwendung des Lehn-ooffenbar nicht nur nach der ersten, sondern ebenso nach der zweiten Einheit: Das Fugen-otritt auf, ganz gleich, ob die erste oder die zweite Einheit eine Lehneinheit ist, vgl. Filzokratie und Thermojacke. Endet die erste Einheit auf -o-, fällt das Auslaut-omit dem Fugen-ozusammen, z.B. Biotop, egoman. -s- (z.B. Geschwindigkeitsrausch): Das einheimische Fugenelement -ssteht in der Regel in Komposita nach Ersteinheiten mit folgenden Suffixen: -heit (z.B. Schönheitswahn, mehrheitsfähig), -ion (z.B. Unionsvertreter, emotionsstark), -ität (z.B. Identitätskrise, realitätsfern), -keit/ -igkeit (z.B. Flüssigkeitsdepot, höflichkeitshalber), -schüft (z.B. Freund- 44 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick schaftsdienst, gemeinschaftsfördernd), -ung (z.B. Heizungsmonteur, erwartungsgemäß). Darüber hinaus zeigt sich eine Tendenz, das Fugen-,vimmer dann einzusetzen, wenn die Ersteinheit komplex ist, z.B. Hochzeit in Hochzeitstorte. Im Gegensatz dazu wird bei ähnlichen Komposita, deren Ersteinheit ein einsilbiges Wort ist, kein Fugen-.vverwendet (z.B. Zeitmaß). Vgl. dazu auch Eisenberg (1998, S. 232), Fuhrhop (1998, S. 180), Lindner (1998) sowie Fuhrhop (2000). Hier richtet sich die Verwendung des Fugenelements offenbar ganz nach der Ersteinheit. Mitunter zeigen sich regionale Unterschiede, etwa schweizerisch Abfahrtzeit gegenüber bundesdeutschem Abfahrtszeit, österreichisch Fabriksarbeiter gegenüber bundesdeutschem Fabrikarbeiter (nach Fleischer/ Barz 1995, S. 141). So auch im ersten Stock des Fabriksgebäudes (Gauß 2002, S. 77). Fugenelemente kommen außerdem gelegentlich in expliziten Derivaten vor. Sie treten zwischen Basis und Suffix, z.B. in gelegen-t-lich, öffen-t-lich. In der Forschungsliteratur ist umstritten, ob man von Derivationsfugenelementen überhaupt sprechen sollte. Elemente wie das -tin öffentlich können statt als Fugenelement auch als so genanntes Interfix oder als Bestandteil einer Suffixvariante {-dich) interpretiert werden. Beide Alternativen scheinen mir wenig plausibel: Exkurs 6: Das Derivationsfugenelement In der Forschungsliteratur werden vor allem zwei Gegenvorschläge zum Derivationsfiigenelement diskutiert: Zum einen werden Elemente wie das -tin öffentlich als eine eigene Kategorie separiert; für diese eigene Kategorie wird der Terminus Interfix verwendet. Begründet wird die terminologische und begriffliche Abgrenzung mit sprachhistorischen Unterschieden zwischen Elementen wie -tin öffentlich und den als Fugenelementen anerkannten Einheiten in Komposita: Während sich etwa das einheimische Kompositionsfugenelement -ssprachhistorisch aus Flexionsaffixen entwickelt hat, gibt es für Elemente wie das -tkeine vergleichbare Entwicklungslinie. Dieser Unterschied genügt m.E. aber nicht, Derivationsfugenelemente als eigene Kategorie von den Kompositionsfugenelementen abzugrenzen, zumal die Gemeinsamkeit der Merkmale beider Elemente überwiegen: Derivationsfugenelemente sind ebenso wie Kompositionsfugenelemente semantisch leere Einheiten. Zudem ist der Terminus Interfix ungünstig, weil er suggeriert, die mit ihm bezeichneten Elemente gehörten zu den anderen mit -fix be- Die Einheiten der Wortbildung 45 zeichneten Einheiten der Wortbildung, seien also in eine Reihe zu stellen mit Konfix und Affix. Zwischen Interfixen und den übrigen mit -fix bezeichneten Einheiten bestehen jedoch erhebliche Unterschiede: Interfixe sind semantisch leere Elemente, während Konfixe und Affixe überwiegend Bedeutung haben. Zum anderen werden diese Elemente als Bestandteile von Suffixen angesehen, also als Suffixerweiterungen. Die Derivate sind danach zu analysieren als: gelegen (= Basis) + -tlich (= Suffix). Gegen die Suffixerweiterungshypothese spricht vor allem, dass sie sich sprachhistorisch nicht rechtfertigen lässt. Vgl. dazu Exkurs 3. Daher sehe ich Elemente wie das -tin öffentlich als Fugenelemente an. Fugenelemente sind also semantisch leer und insofern Ausnahmen unter den Wortbildungseinheiten. Sie haben ausschließlich morphologische Funktionen; sie haben keine Wortbildungskraft; sie sind lediglich auch noch irgendwie da. Verwendungsgründe für Fugenelemente sind u.a. die Erleichterung der Aussprache (z.B. Hochzeitstorte versus *Hochzeittorte) und die Erleichterung der Rezeption eines komplexen Wortes. So gibt es nach Gallmann (1999, S. 187f.) eine Tendenz, Kompositastrukturen durchsichtiger zu machen, indem die Grenze durch ein Fugenelement markiert wird. Nicht als Fugenelemente verstehe ich alle Einheiten, die im Flexionsparadigma der ersten Einheit vorhanden sind: So ist z.B. das -es in Sohnespfiicht oder das -s in Gehaltserhöhung im Flexionsparadigma als Genitivmarker zu erkennen {Pflicht des Sohnes, Erhöhung des Gehalts), ebenso als Pluralmarker das -e in Ärztehaus, das -er in Bücherregal oder das -en in lonenaustausch {Ärzte, Bücher, Ionen). Ob die Ersteinheiten von Komposita wie Sohnespflicht Wortformen sind, ist umstritten; Genitivformen in Komposita gelten allgemein als defunktionalisiert. Im Gegensatz dazu ist das -sin Arbeitsanzug, Hochzeitstorte, Elektrizitätswerk, Armutszeugnis, Schmerzensschrei keinesfalls als Flexionsaffix zu erklären, weil es keine paradigmatische Wortform des *Arbeits, der *Hochzeits, der *Elektrizitäts, der *Armuts, des *Schmerzens gibt. Diese Einheiten können deshalb nur als Fugenelemente aufgefasst werden. 46 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Exkurs 7: Fugenelement oder Flexionsaffix? Meine Definition des Fugenelements schließt alle flexionsaffixanalogen Einheiten aus, d.h. alle Einheiten, die im Flexionsparadigma der ersten Einheit zu finden sind. Danach sind das -er in Kindergarten oder kinderreich, das -es in Sohnespflicht und das -e in Ärztehaus oder nächtelang keine Fugenelemente, weil die Flexionsparadigmen jeweils Formen wie die Kinder, des Sohnes, die Ärzte, die Nächte vorsehen. Dies gilt auch für Ersteinheiten wie in Sonnenfinsternis, die in ihrem Flexionsparadigma in eben dieser Form erscheinen {die Sonnen), aber semantisch nicht in dieser Weise, hier pluralisch, erklärt werden können: Es handelt sich ja eher um die Finsternis unserer einen Sonne als um die Finsternis von Sonnen allgemein. Meine Festlegung ist eine formale Festlegung. Es ist eine Festlegung, die nicht besser, aber auch nicht schlechter ist als andere Festlegungen in diesem Bereich. Wie immer man nämlich das Fugenelement definiert: Es bleiben Unstimmigkeiten. Die Unstimmigkeiten werden im Folgenden erläutert. Dabei geht es im Wesentlichen um die Diskussion zweier konträrer Positionen. Position 1: Wörter werden prinzipiell aus Stamm-, nicht aus flektierten Wortformen zusammengesetzt. Alles, was zwischen dem ersten und dem zweiten Stamm steht, ist ein Fugenelement. Position 2: Die Ersteinheit eines komplexen Wortes kann ein Stamm, aber auch eine flektierte Wortform sein. Sie ist immer dann eine flektierte Wortform, wenn das Flexionsparadigma der Ersteinheit diese Form enthält. Position 2 ist meine Position. Für bzw. gegen diese beiden Hauptpositionen spricht: Die sprachgeschichtlich ältesten Komposita des Deutschen gehen offenbar auf Nominalphrasen wie ahd. gates poto zurück (vgl. Fleischer/ Barz 1995, S. 136, Eisenberg 1998, S. 224f, Pavlov 1983 und 1995). Vgl. auch Exkurs 19. In dem sich entwickelnden Kompositatyp Gottesbote sind die flektierten Ersteinheiten fossiliert. Analog dazu wurden Komposita gebildet, deren Ersteinheiten teils flektierten Wortformen entsprechen (z.B. in Königsmantel), teils aber auch nicht (z.B. in Kindheitstraum). Zu unterscheiden ist folglich u.a. zwischen Komposita mit paradigmatischem -s-, d.h. einem aus dem Flexionsparadigma der Ersteinheit erklärlichen -5-, und Komposita mit unparadigmatischem -s-, Position 1 sieht beide als Fugenelemente an und differenziert weiter in paradigmatische Fugenelemente (z.B. in Königsmantel) und unparadigmatische Fugenelemente (z.B. in Kindheitstraum). Position 2 sieht ein Nebeneinander von flektierten Wortformen (z.B. in Königsmantel) und Fugenelementen (z.B. in Kindheitstraum). Sprecherschreiber verwenden, auch wenn dies aus semantischen Gründen nahe läge, nicht regelmäßig die flektierten Wortformen; die Form der Ersteinheit ist nicht voraussagbar: So in Buchrücken, obwohl es sich genitivisch um den Rü- Die Einheiten der Wortbildung 47 cken eines Buches handelt, und Buchladen, obwohl dort pluralisch Bücher verkauft werden. Insofern muss auch „der immer wieder unternommene Versuch, den Genitiv als Kriterium für die Setzung des Binde-s festzustellen, als gescheitert gelten“ (Heuer 1986, S. 187). Position 1 leitet aus dieser Unregelmäßigkeit ab, dass Sprecherschreibem die Funktion und Semantik der flektierten Formen nicht mehr gegenwärtig ist und auch paradigmatische Fugenelemente sinnentleert sind. Position 2 sieht jedes System als ein System mit offenen Optionen. Die Optionen, sowohl mit Stamm-, als auch mit flektierten Wortformen Wörter zu bilden, werden gleichermaßen genutzt. Dass Sprecherschreiber einmal so und einmal so verfahren, ist kein Argument für oder gegen irgendwas. Daher kann im Sinne meiner Position 2 angenommen werden, dass alle Ersteinheiten, die Formen des Flexionsparadigmas entsprechen, flektierte Wortformen sind. Zu unterscheiden ist zwischen Ersteinheiten, die Genitivformen entsprechen, und Ersteinheiten, die Pluralformen entsprechen. Position 1 hält beide für defunktionalisiert (Eschenlohr 1999, S. 206). Dies kann zumindest für die Pluralformen nicht gelten: Die Ersteinheiten in Komposita wie Bhtmenvase entsprechen in jeder Hinsicht den flektierten Wortformen. Die Wahl des Elements richtet sich exakt nach dem Flexionsparadigma der Ersteinheit: So wird bei der Zusammensetzung von Blume und Vase eben nicht das sehr häufige Fugen-vverwendet, sondern ein dem Flexionsparadigma von Blume entsprechendes -n. Zudem finden sich regelmäßig dem Flexionsparadigma der Pluralbildung entsprechende Umlautungen, z.B. bei den Ersteinheiten von Ärztehaus, Gästebad, Räderwerk, Güterbahnhof, Männerfreundschaft, nächtelang. Was genauso aussieht wie eine Pluralform {die Ärzte, die Gäste, die Güter, die Männer), ist nach Position 2 auch eine Pluralform. Was sonst? Dass Sprecherschreibem die Funktion und Semantik der Ersteinheiten durchaus bewusst ist, zeigen mitunter Oppositionen wie Landesverteidigung ‘Verteidigung eines Landes’ versus Länderspiel ‘Spiel zwischen Ländern’. Gerade Pluralformen machen vielfach Sinn. Sind Fugenelemente wie ja auch Position 1 meint (vgl. Fleischer/ Barz 1995, S. 137) als semantisch leer definiert, können jedenfalls bedeutungsbeitragende Pluralmarkierer wie in Länderspiel nicht als Fugenelemente analysiert werden. Puralformen bezeichnen syntaxunabhängig die Vielzahl von etwas; sie haben eine klar konturierte Wortbedeutung. Genitivformen dagegen haben vor allem eine syntaktische Funktion: Der Genitiv ist ein syntaktisch regierter Kasus, er stellt eine Relation her. Dass er dies in gleicher Weise in Wortbildungsprodukten tut, d.h., dass Wortbildungsprodukte gefrorene Syntax sind, nehme ich nicht an. Die Relation wird nicht erst durch eine genitivische Ersteinheit bewirkt, z.B. Computerbildschirm ‘Bildschirm eines Computers’. Insofern werden Genitivformen in Wortbildungsprodukten auch nach meiner Position 2 als defunktionalisiert angesehen (vgl. Eschenlohr 1999, S. 206). Dass sich Wörter in Wortbildungsprodukten nicht mehr wie Wörter in der Syntax verhalten, z.B. auch die Rektion verlieren, ist jedoch eine häufigere Erscheinung. Vgl. 3.1. Im Übrigen werden in der Wortbildung zwar überwiegend Stammformen verwendet, aber keineswegs ausschließlich. So basieren Infinitivkonversionen wie das Laufen, das Schreiben auf Infinitiven Verbformen {laufen, schreiben)', die 48 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Basen einiger konvertierter Verben wie verbreitern sind komparative Adjektivformen (breiter). Daher gibt es keinen Grund, die Verwendung von Stämmen, also von flexionsaffixlosen Wortformen, als starre Regel zu formulieren. Wird schließlich als Fugenelement „genau das angesehen, was über die Form des Nom Sg eines substantivischen Determinans hinausgeht“ (Eisenberg 1998, S. 227), muss eine Vielzahl von Fugenelementen angenommen werden. Danach sind schon für nominale Komposita anzusetzen: „« (Blumenvase), s (Zweifelsfall), ns (Glaubensfrage), e (Pferdewagen), er (Kinderwagen), en (Heldenmut), es (Siegeswille) und ens (Schmerzensschrei)“ (ebd.) sowie die Lehnfugenelemente -i- und -0-. Das darüber hinaus bei Eisenberg (ebd.) als Lehnfugenelement angeführte -ial, z.B. in Territorialverteidigung, verstehe ich übrigens nicht als Fugenelement, sondern als Suffixendung der adjektivischen Ersteinheit territorial. Im Gegensatz dazu ergibt sich bei einer Definition, die alle als Flexionsaffixe in Frage kommenden Einheiten ausschließt, für die Kompositionsfugenelemente ein sehr viel überschaubareres Inventar aus dem seltenen Fugenelement und den häufigeren Elementen -o- und -s-. Auffällig ist dabei, dass außer -i-, -o- und -5keine unparadigmatischen Elemente verkommen. Ebenfalls nicht als Fugenelement analysiere ich das -ein Komposita mit verbaler Ersteinheit wie in Haltestelle, Hebebühne, Liegestuhl, Lösegeld, Redeverbot, werbewirksam, bademüde, lesekundig, siedeheiß, so auch umsteigefreie Verbindung nach Kopenhagen (Zeit 1996, Cosmas). Mit Gallmann (1999, S. 185) nehme ich vielmehr an, dass mit dem relativ regelmäßigen -ebei Verbstämmen auf -b (z.B. heb-), -d (z.B. red-), -g (z.B. lieg-), -s (z.B. lös-) oder -t (z.B. halt-) eine Stammvariante vorliegt „und nicht ein eigentliches Fugenelement“. Die Wortbildungseinheiten des Deutschen sind also das Wort, das Konfix, das Wortbildungsaffix, der Satz, die Phrase, die unikale Einheit und das Fugenelement. Folgende Kombinationsmöglichkeiten werden genutzt: Kurtisanenschuh Hochzeitstorte Thermojacke kölnophil Thermometer ahistorisch Schönheit identisch Wort + Wort Wort + Fugenelement + Wort Konfix + Fugenelement + Wort Wort + Fugenelement + Konfix Konfix + Fugenelement + Konfix Wortbildungsaffix + Wort Wort + Wortbildungsaffix Konfix + Affix Die Einheiten der Wortbildung 49 öffentlich ihr Das-darf-doch-nichtwahr-sein-Grinsen sein Aber-hallo-Gesicht viertürig Himbeere Bräutigam vergeuden deftig Wort + Fugenelement + Affix Satz + Wort Phrase + Wort Phrase + Affix unikale Einheit + Wort Wort + unikale Einheit Affix + unikale Einheit unikale Einheit + Affix Außerdem sind Wörter, Sätze und Phrasen Ausgangsbasis in Wortbildungsprodukten wie: Dass diese im Deutschen üblichen Kombinationen und morphosyntaktischen Veränderungen nicht alle mathematisch denkbaren Kombinationsmöglichkeiten ausschöpfen, liegt u.a. daran, dass Sprecherschreiber sich meist an das etablierte System und an die Norm der Sprachgemeinschaft halten. Exkurs 8: System und Norm in der Wortbildung System wird allgemein definiert als strukturierte Menge von Regeln. In der Forschungsliteratur unterschieden werden meist Subsysteme, z.B. das Lautsystem, das Wortsystem, die Deklination. Auch zur Bildung von Wörtern und deren Interpretation wird ein System beachtet, das Regeln angibt: Systemwidrig ist im Deutschen u.a. die Präfigierung von Verben mit un-, z.B. ich *unfreute mich über seine Launen. Vom System her ebenfalls nicht erlaubt ist das legendäre, in der Werbung kreierte Adjektiv unkaputtbar (z.B. eine unkaputtbare Colaflasche): Derivate mit dem Suffix -bar werden der Regel nach nicht aus Adjektiven (wie kaputt) abgeleitet, sondern aus Verben (z.B. hörbar, störbar, verwendbar), selten auch aus Nomina (z.B. fruchtbar). Vgl. zu unkaputtbar auch Lenz (1998). Entspricht ein Wortbildungsprodukt dem im Augenblick geltenden System, gilt es als wohlgeformt. Nonn wird allgemein definiert als das Übliche, das Unauffällige, das Traditionelle, das Akzeptable. „Akzeptabilität ist Ausdruck der Erwartungshaltung des Rezipiender Lauf das Laufen Vergissmeinnicht dieses Für-alle-Fälle Wortbasis Satzbasis Phrasenbasis 50 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick ten, und sie ist in der Fähigkeit des Textproduzenten angelegt, den Rezipienten akzeptabilitätsbereit und akzeptabilitätsfähig zu machen“ (Fleischer/ Barz 1995, S. 79). So können zwar systemgemäß z.B. akkusativregierte Verben mit dem Suffix -bar abgeleitet werden (z.B. das Wetter ist nicht beeinflussbar, das Buch ist ganz brauchbar, der Brief ist kaum entzifferbar, Heuschrecken sind essbar, Liebe ist lebbar), es gibt aber Lücken: Vom System her angebotene Wortbildungsprodukte wie fragbar, versteckbar, versuchbar sind auffällig. Zum Teil wird die Bildung solcher Adjektive wohl blockiert, z.B. fragbar, weil es bereitsfraglich und erfragbar gibt. Zu Blockierungen vgl. u.a. Rainer (2000). Zum Teil kann die Vermeidung aber auch nicht erklärt werden. Vgl. zur Subjektivität bei der Beurteilung von Auffälligkeit u.a. Barz (1996) und Fix (2000). Mit Bedacht spreche ich hier übrigens nicht von Grammatikalität, denn schon Eisenberg (1998, S. 206) merkt an: „Grammatikalitätsurteile in der Wortbildung sind häufig noch schwieriger als in der Syntax, weil man leicht ‘ungrammatisch’ mit ‘steht nicht im Lexikon’ verwechselt“. Mitunter kann zwischen nicht system- und nicht normgerechten Wortbildungsprodukten kaum unterschieden werden: So weist z.B. Eisenberg (1998, S. 235) auf die Verwendungsbeschränkung mancher Konfixe hin: ,flnthrop dient nicht als Derivationsbasis, es gibt u.W. weder anthropisch noch Anthropik, Anthropiker, Anthropität usw. [...] Es ist schwer zu sagen, ob die gerade gebildeten Einheiten nicht wohlgeformt sind oder ob es sie eher zufällig nicht gibt. Möglicherweise gibt es sie sogar in abgelegenen Fachwortschätzen. Kategoriale Beschränkungen irgendwelcher Art sind jedenfalls nicht zu sehen“ weshalb es sie übrigens tatsächlich im Fachwortschatz gibt, ob „abgelegen“ oder nicht, z.B. eine Prise anthropischer Kosmologie (Zeit 1994, Cosmas), die Einführung des 'anthropischen Prinzips' in die Kosmologie (Süddeutsche Zeitung 1998, Cosmas). Der augenblicklichen Norm nicht entsprechende Wortbildungsprodukte können durchaus wohlgeformt, d.h. systemgerecht sein; sie fallen aber eben auf. In der Regel wird dabei bestimmten Textsorten, etwa der Werbung oder der Belletristik, der Philosophie oder mancher Journalistik viel erlaubt. Vgl. zur Wortbildung in der Belletristik u.a. Bodensteiner (1993), Eichinger (2000b), Hahn (1993), Handler (1993), Luukainen (1998), Mattausch (1997), Möller (1975), Palm (1983), Siebold (2000). Dort gelten Normverstöße als originell. System und Norm sind unabdingbar, damit Sprache überhaupt funktioniert. Aber weil Sprache sich bewegen muss, muss es auch Verstöße gegen Bestehendes geben. Verstöße gegen Wortbildungssystem oder -norm werden jedoch von konservativen Menschen häufig streng geahndet. Besonders Kindern und Ausländem sieht man wenig nach: „Was wir Dichtem zugestehen, lassen wir nicht für alle gelten. Ausländer in Bezeichnungsnot bilden oft neue Wörter. Sie nehmen sich übliche Wörter zum Vorbild und denken sich, wamm nicht auch so: Ich bin ein Faulschreiber (ein Ägypter). Ich studiere in der Hoffe, damit mehr Erfahre zu bekommen (ein Inder). [...] Solche Bildungen entsprechen unseren Wortbildungsregeln. Nur sind sie verblüffend neu, und weil wir annehmen, der Ausländer könne nicht richtig Deutsch, finden wir sie verdächtig. Sicherlich sind sie manchmal überflüssig, aber oft auch anregend, manchmal sogar treffend und schön“ (Heringer 1989, S. 195f). 4. Die Wortbildungsarten Die Art der Verwendung der Wortbildungseinheiten in Kombinationen oder als Ausgangsmaterial morphosyntaktischer Veränderungen wird Wortbildungsart genannt. Die am meisten genutzten Verfahren der Wortbildung sind die Komposition (z.B. Kurtisanenschuh, seine Man-weiß-ja-nie-Haltung) und die Derivation (z.B. Schönheit, identisch, beladen, süßen). Seltener entstehen Wörter durch Kurzwortbildung (z.B. Prof, Foto, O-Saft, Azubi). Zu den Wortbildungsarten gehören außerdem die Neumotivierung (z.B. Sündflut) und das Wortspiel (z.B. Obertan). Im Folgenden werden die Wortbildungsarten des Deutschen dargestellt. - Die Komposition - Die Derivation - Die Kurzwortbildung - Die Neumotivierung und das Wortspiel 4.1 Die Komposition Die Komposition (zu lat. compositio ‘Zusammenstellung’), auch Zusammensetzung genannt, ist im Deutschen neben der Derivation eines der beiden Hauptverfahren zur Bildung neuer Wörter. Vgl. u.v.a. Bauer (2001), Olsen (2000). Bei der Komposition werden mindestens zwei Wörter (z.B. König, elegant, knirsch-, vor, wir) und/ oder Konfixe (z.B. bio-, polit-, therm-/ -therm) zu einem Kompositum zusammengesetzt, z.B. Königsmantel, Biotop, Politthriller, Vordach, Wir-Gefühl, pantherelegant, bibliophil, süßsauer, knirschkauen. Komposita können auch aus mehr als zwei Wörtern und/ oder Konfixen bestehen, z.B. Königsmantelfabrikant, wintergrasgrün. Zu unterscheiden sind vor allem: Das Determinativkompositum - Das Kopulativkompositum 52 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 4.1.1 Das Determinativkompositum Determinativkomposita sind der Normalfall der Komposita. Typische Determinativkomposita sind z.B. Königsmantel, Gartenhausidylle, Biotop, zuckersüß, biodynamisch, knirschkauen. Folgende Merkmale sind charakteristisch für Determinativkomposita: Unabhängig davon, aus wie vielen Einheiten ein Determinativkompositum besteht, ist es binär strukturiert (vertiefend zur grundsätzlichen Binarität von Determinativkomposita Meineke 1991, S. 38-45), d.h., Determinativkomposita sind so aufgebaut, dass sie jeweils in zwei Einheiten unterteilt werden können: Gartenhaus( 1 )idylle(2) Garten( 1 )haus(2) Die auf den einzelnen Segmentierungsstufen jeweils isolierbaren Einheiten (z.B. Gartenhaus und Idylle oder Garten und Haus) werden unmittelbare Konstituenten genannt. Exkurs 9: Die Segmentierung von Komposita Meist ist ein des Deutschen mächtiger Hörerleser in der Lage, Komposita in sinnvolle Einheiten zu segmentieren, d.h. zu zerlegen, zu zergliedern. Extreme Segmentierungen wie Weh-rufer (Wehr-ufer), Pedalan-ordmmg (Pedal-anordnung) oder Blumento-pferde (Blumentopf-erde) kommen zwar beim Lesen immer mal wieder vor, werden aber überwiegend sofort als unstimmig erkannt. Segmentierung ist also kein ernsthaftes Problem für die Verständigung. Linguisten beschäftigen sich dennoch gerne mit ihr: Wie z.B. Rickheit (1993, S. 37f.) entwickelt, gibt es besonders bei Nomina rein morphologisch gesehen zahlreiche Möglichkeiten der Segmentierung. Sie spielt für Straßenbahnfahrer folgende Möglichkeiten durch: Interpretation als Derivat: Straßenbahnfahr + -er. Segmentierung in eine „lineare Morphemsequenz“ (ebd., S. 37): Straße + n + bahn + fahr + -er. Segmentierung in Wörter: Straßenbahn + fahrer. Alternative Segmentierung in Wörter: Straßen + bahnfahrer. Die Wortbildungsarten 53 Gleiche Segmentierung in Wörter unter Berücksichtigung potenzieller Fugenelemente: Straße + n + bahnfahrer. Alternative Segmentierung in Wörter: Straßen + bahn + fahrer. Gleiche Segmentierung unter Berücksichtigung potenzieller Fugenelemente: Straße + n + bahn + fahrer. Gleiche Segmentierung unter Berücksichtigung von Wortbildungsaffixen: Straßen + bahn + fahr + -er. „Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welche dieser Segmentierungen nun die richtige ist, ob es vielleicht sogar alle auf irgendeine Art sind oder ob es Präferenzen für mehrere akzeptable Lösungen gibt, während andere unakzeptabel sind, weil sie zu Inkonsistenzen in der Strukturbeschreibung führen. Wie immer die Antwort ausfällt, man wird nicht umhin können, die einschlägigen morphologischen Kenntnisse um eine gewisse semantische Theoriebildung zu erweitern, wenn man das gegebene Beispielwort im Hinblick auf seine interne Struktur untersuchen will“ (Rickheit 1993, S. 38). Zu Interpretationsmodellen für Nomenkomposita vgl. u.a. Feine (1993), Fandrych/ Thurmair (1994) und Pons (1998). Als semantisch sinnvoll ergeben sich grundsätzlich die oben beschriebenen binären Strukturen. Bei Rickheits Beispiel ist es wohl am plausibelsten, in Straßenbahn und Fahrer zu zerlegen, weil Straßenbahnfahrer den Fahrer einer Straßenbahn bezeichnet. Mitunter sind bei Segmentierungen jedoch die Grenzen nicht immer so eindeutig zu bestimmen: Je nach Kontext kann z.B. Kindergeburtstagsfeier sowohl zerlegt werden in Kinder und Geburtstagsfeier ‘Geburtstagsfeier mit Kindem/ für Kinder’ oder in Kindergeburtstag und Feier ‘Feier anlässlich eines Kindergeburtstags, z.B. mit den Großeltern und einer angeheirateten Tante dritten Grades’. Die jeweils binär verzeigte Struktur von Determinativkomposita wird meist hierarchisch in einem Baumdiagramm dargestellt. Vgl. kritisch zur Statik solcher Darstellungen Adamzik (2004, S. 15 lf). Auch ich arbeite nicht mit Stammbäumen, das Prinzip sei hier aber kurz angedeutet: Gartenhausidvlle Gartenhaus Idylle / \ Garten Haus Zu unterscheiden sind um im Bild eines Baumes mit Zweigen zu bleiben links-, rechts-, und beidseitig verzweigte Determinativkomposita. 54 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Ein linksverzweigtes Kompositum ist z.B. Tüllgardinenstange: Tüllgardinenstange Tüllgardinen Stange Tüll Gardinen Ein rechtsverzweigtes Kompositum ist z.B. Metallgardinenstange: MetalIgardinenstange Metall Gardinenstange Gardinen Stange Beidseitig verzweigt sind Komposita wie Hochgeschwindigkeitsmutprobe (Bourdain 2004, S. 171) oAqx Edelmarzipankonditortorte: Edelmarzipankonditortorte Edelmarzipan Konditortorte edel Marzipan Konditor Torte Keine Ausnahmen von der Binaritätsregel sind Komposita mit Fugenelementen (z.B. Arbeitsamt, Thermometer). Fugenelemente sind lediglich der Verbindungskitt zwischen zwei Einheiten, sie sind semantisch leer und gehören nicht eigentlich zur Struktur: Arbeit(\)-s-amt(2). Bei Determinativkomposita legt die zweite Einheit die grammatischen Merkmale des Kompositums fest, d.h., die zweite Einheit bestimmt in Determinativkomposita u.a. welcher Wortart ein komplexes Wort angehört, wie es flektiert wird usw.: grau + Schleier —> Grauschleier = Nomen Nebel + grau —> nebelgrau = Adjektiv Die Regel, dass stets die letzte, die rechte Einheit ausschlaggebend für die syntaktische Verwendung eines komplexen Wortes ist, wird nach amerikanischem Vorbild ‘Righthand Head Rule’ genannt. Die Wortbildungsarten 55 Exkurs 10: Die Righthand Head Rule in der Wortbildung Die Righthand Head Rule, auch Rechtsköpfigkeitsprinzip genannt, „legt [...] in Form eines allgemeinen Prinzips fest, daß komplexe Wörter ihre morphologischen Eigenschaften vom rechten Bestandteil ererben“ (Olsen 1991, S. 338f.). Relevant wird dieses Prinzip der Rechtsköpfigkeit in der Wortbildung natürlich nur bei binären Strukturen, also bei Komposita und expliziten Derivaten: So legt z.B. Schuh in Kurtisanenschuh fest, dass das Kompositum ein Maskulinum ist und alle grammatischen Merkmale von Schuh besitzt; das Suffix -heit in Klugheit legt fest, dass das explizite Derivat ein Femininum ist und alle grammatischen Merkmale von -heit besitzt. Olsen (1991, S. 340) weist daraufhin, dass der „Kopfbegriff, wie er in der Syntax verwendet wird, nicht direkt auf die Morphologie übertragbar ist. In der Wortstruktur muß er auf eine Hauptfunktion begrenzt werden die Bestimmung der Wortart des komplexen Wortes, wofür auch Schultink (1988) plädiert“. Auch ich unterscheide daher u.a. mit Olsen (1991) und Eschenlohr (1999) zwischen dem syntaktischen und dem semantischen Kern: Der syntaktische Kern legt „die formalen Eigenschaften vor allem die kategorielle Zugehörigkeit der Gesamtstruktur“ fest (Olsen 1991, S. 335) und funktioniert nach der Righthand Head Rule. Im Deutschen sind bei binären Strukturen prinzipiell die rechts stehenden Einheiten die syntaktischen Kerne, z.B. Schuh in Kurtisanenschuh und -heit in Klugheit. Dagegen legt der semantische Kern die Bedeutung des komplexen Wortes fest, z.B. Kind in Kindchen, weil Kindchen ein Kind bezeichnet. Während bei Determinativkomposita der syntaktische Kern immer auch der semantische Kern ist (Donalies 1999b), sind explizite Derivate semantisch verschieden zu interpretieren (Donalies 1999a). Ausnahmen von der Righthand Head Rule sind denominale und deadjektivische Präfixverben (z.B. vergolden, verarmen). Hier ist das Präfix, also die erste, die linke Einheit, der syntaktische Kern, denn das Präfix legt die Wortart fest, es bewirkt, dass das Wortbildungsprodukt ein Verb ist. Vgl. 4.2.1.3. In Determinativkomposita wird ausschließlich die zweite Einheit flektiert: des Holzhauses des *Holzeshauses die Hutschachteln die *Hüteschachteln die Rotbuchen die *Rotenbuchen Nur bei ganz wenigen etablierten Komposita findet sich mitunter „die interne Flexion relikthaft bewahrt“ (Fleischer/ Barz 1995, S. 88), z.B. aus Langerweile neben heute offenbar üblicherem aus Langeweile. Keine Binnenflexion hingegen liegt vor bei Komposita wie Sohnespflicht, Kindergarten 56 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick oder Grüne-Bohnen-Eintopf Gelbe-Rüben-Torte. Komposita dieses Typs analysiere ich als Wortbildungsprodukte mit einer Wortform (z.B. der Genitivform Sohnes oder der Pluralform Kinder) bzw. einer Phrase als Ersteinheit (z.B. grüne Bohnen, gelbe Rüben). Vgl. Exkurs 7. Der Hauptakzent liegt bei Determinativkomposita stets auf der ersten Einheit, z.B. Hutschachtel, Kindergarten. Ausnahmen von dieser Regel zeigen mitunter Komposita, die mit komplexen Einheiten, z.B. mit Komposita, gebildet worden sind, z.B. Schienenersätzverkehr. Verbunden mit der Komposition „ist die zusammenfassende Aussprache der Bestandteile des Kompositums unter einem einzigen Klangbogen“ (Meineke 1991, S. 28f). Bei Kopulativkomposita dagegen werden beide Einheiten gleichermaßen betont (z.B. armenisch-deutsche Beziehungen). Vgl. 4.1.2. Komposita werden wie alle Wortbildungsprodukte grundsätzlich zusammengeschrieben. Bei der Komposition zeigen sich allerdings im gegenwärtigen Deutschen einige Besonderheiten, so die Getrenntschreibung (z.B. Sesam Krokant Keks) und die Binnengroßschreibung (z.B. Kopfllörer). Exkurs 11: Einige Besonderheiten der Kompositaschreibung Komposita werden wie alle anderen Wörter nach den gültigen Orthografieregein des Deutschen zusammengeschrieben, also ohne Leerzeichen (auch Blanks oder Spatien genannt) zwischen den Kompositionseinheiten, z.B. Traumdeutung, pantherelegant, kryptophil. Bei unübersichtlichen Komposita wird zur Erleichterung des Lesens der so genannte Durchkoppelungs- oder Erläuterungsbindestrich empfohlen bzw. vorgeschrieben, z.B. Tee-Ernte, Zoo-Orchester, Grüne-Bohnen-Salat, Entweder-Oder-Strategie, rotblau-aprikosenfarbene Fahnen. Bindestrichschreibung gilt ebenfalls als Zusammenschreibung. In jüngster Zeit verbreitet sich entgegen der geltenden Zusammenschreibregel vor allem bei Produktaufschriften eine möglicherweise von angloamerikanischen Vorbildern wie cake tin oder game park inspirierte - Getrenntschreibung, z.B. Der Sesam Krokant Keks wird ohne Milch- und Eiprodukte hergestellt (Aufschrift auf Pauly-Vollkomkekspackung von neuform 1999), Super Sommer Spar Menü (Plakatwerbung von McDonalds, August 1999), Der Apfel Birnen Kürbis Mann (Prestel- Bilderbuchtitel 1999), Feine Marzipan Rohmasse (Aufschrift auf Marzipanfertigprodukt von Schwartau 1999). Die Wortbildungsarten 57 Immer wieder fallen auch unentschlossene Schreibungen auf. So kann sich etwa Calvin (2000, S. 50) in jener Saharasand-ähnlichen Schicht weder ganz für eine Auseinanderschreibung entschließen (jener Saharasand ähnlichen Schicht) noch für die übliche Zusammen- und Kleinschreibung (jener saharasandähnlichen Schicht). So auch auf alle Schlupfwinkel der Leiden-schaffenden Unvernunft (Marcuse 1964, S. 73). Seit den 90er-Jahren wird vor allem bei Warenbezeichnungen mitunter Binnengroßschreibung praktiziert, z.B. BahnCard, InterRail, NaturRohstoffe, PostGiro, Kopf- Hörer (nach Baumgart 1992, S. 228, Heller 1996, Nussbaumer 1996, Stein 1999). Sie dient u.a. der Hervorhebung einzelner Bestandteile oder der Sichtbarmachung einer Umdeutung, z.B. KopfHörer ‘Hörer, der mit dem Kopf, mit dem Verstand hört’. Ob sich diese Schreibungen längerfristig etablieren können, ist augenblicklich noch nicht auszumachen. Die Tendenz zu einem entspannteren Umgang mit der Orthografie ist aber unverkennbar. Vgl. dazu den Überblick Barz et al. (Hg.) (2002, S. 73- 83). Zwischen den Einheiten eines Determinativkompositums besteht (ebenso wie zwischen den Einheiten eines expliziten Derivats) eine spezifische Bedeutungsbeziehung: Für Determinativkomposita gilt grundsätzlich, dass die zweite Einheit durch die erste determiniert wird. So determiniert z.B. Hut in Hutschachtel die zweite Einheit Schachtel, die semantische Eingrenzung besteht darin, dass durch Hut ein bestimmter Zweck von Schachtel thematisiert wird: Hutschachtel bezeichnet üblicherweise eine Schachtel zur Aufbewahrung eines Elutes. Bei Komposita heißt die determinierte, übergeordnete Zweiteinheit Grundwort oder Determinatum; die determinierende, untergeordnete Ersteinheit heißt Bestimmungswort oder Determinans. Das Grundwort oder Determinatum eines Kompositums bestimmt grundsätzlich nicht nur die grammatischen Merkmale und damit die kategorielle Bedeutung, sondern auch die lexikalische Bedeutung des Kompositums: So bestimmt das Determinatum Garten, dass die Komposita Kleingarten und Gemüsegarten einen Garten bezeichnen. Das Grundwort oder Determinatum ist das Hyperonym, der Oberbegriff. Es gilt: AB ist B. So ist eine Hutschachtel eine Schachtel, pantherelegant ist elegant. Hier bestehen Unterschiede zur Determination durch Wortbildungsaffixe bzw. zur Determination von Wortbildungaffixen: Bei Wortbildungsprodukten mit Affixen sollte man zum einen nicht von Grund- und Bestimmungs- 58 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Wörtern sprechen, weil Affixe ja keine Wörter sind. Zum anderen ist bei Wortbildungsprodukten mit Affixen nicht immer die Zweiteinheit das Determinatum bzw. die Ersteinheit das Determinans. Vgl. dazu auch 3.3.5 und 3.3.6. Exkurs 12: Die Determination bei Komposita und bei Derivaten Determination (zu lat. determinare ‘begrenzen, eingrenzen, festlegen, bestimmen’) definiere ich als einen Wortbildungsvorgang, bei dem eine Wortbildungseinheit von einer anderen Wortbildungseinheit semantisch näher bestimmt wird. Die Forschungsliteratur behandelt die Determination bei Komposita und die Determination bei Derivaten häufig separat; die Determination bei Derivaten wird meist Modifikation genannt. Weil sich die Determination bei Derivaten im Prinzip jedoch nicht von der bei Komposita unterscheidet, setze ich keinen eigenen Terminus Modifikation an. Allerdings gibt es bei der Derivation Spezifika. Zur Erinnerung: Die meisten Komposita sind Determinativkomposita wie Hutschachtel. Determinativkomposita bestehen aus einer Einheit, die determiniert, und einer Einheit, die determiniert wird; es gilt im Deutschen uneingeschränkt die Righthand Flead Rule. Vgl. Exkurs 10. So ist eine Flutschachtel eine Schachtel, und zwar üblicherweise eine Schachtel zur Aufbewahrung eines Huts. Einige Derivate mit Wortbildungsaffix haben mitunter die gleiche Struktur (z.B. Sensibelchen und Lehrling). Mitunter haben Derivate mit Wortbildungsaffix aber auch eine umgekehrte Struktur; die Righthand Head Rule gilt dann nicht. So ist ein Kindchen meinem Verständnis nach ein Kind, und zwar üblicherweise ein besonders kleines, besonders geliebtes, besonders niedliches. Nur wer hier eisern an der Righthand Head Rule festhalten möchte, interpretiert Kindchen wie Höhle (1982), nämlich als Bezeichnung für ein -chen, das ein Kind ist. Ein semantisch abzugrenzender Untertyp der Determinativkomposita sind die exozentrischen Komposita, z.B. lEt>rA: op/ ‘Person, die einen wirren Kopf haf. Komposita dieses Typs sind besonders zur Bezeichnung von Lebewesen (Personen, Tieren, Pflanzen) relativ häufig, z.B. Langbein ‘Person, die lange Beine haf, Hinkebein ‘Person, die ein Hinkebein hat’, Rotkehlchen ‘Vogel, der ein rotes Kehlchen hat’, Nashorn ‘Säugetier, das ein Horn auf der Nase hat’, Weißwurz, auch Weißwurzel ‘Pflanze, die eine weiße Wurzel hat’, Schwarzdorn ‘Pflanze, die schwarze Domen hat’. Daneben finden sich aber auch Bezeichnungen für Gegenstände, z.B. Dreirad ‘Fahrgerät, das drei Räder haf, Viereck ‘Ding, das vier Ecken haf. An exozentrischen Komposita ist außergewöhnlich, dass nicht gilt: AB ist ein B, vgl. Schwarzdorn *‘ein Die Wortbildungsarten 59 Dorn, und zwar ein schwarzer’. Vielmehr wird etwas bezeichnet, das außerhalb von B liegt: Schwarzdorn ‘Pflanze mit schwarzen Domen’. Exkurs 13: Das exozentrische Kompositum Exozentrische Komposita, traditionell vor allem Possessivkomposita, mitunter auch Bahuvrihi genannt, werden in der Forschungsliteratur häufig als eigener Kompositatyp neben Determinativ- und Kopulativkomposita gestellt. Ich sehe sie dagegen als semantischen Untertyp der Determinativkomposita - und zwar aus folgenden Gründen: Exozentrische Komposita stehen vor allem in Opposition zu den Determinativkomposita. Bei Determinativkomposita bestimmt die erste Einheit die zweite näher, d.h., die erste grenzt die Bedeutung der zweiten ein. So bezeichnet z.B. Grünspecht einen Specht, der etwas Grünes an sich hat; Specht ist das Hyperonym zu Grünspecht. Bei den exozentrischen Komposita dagegen ist die zweite Einheit keineswegs das Hyperonym des Kompositums: Rotkehlchen bezeichnet kein Kehlchen, das rot ist, sondern etwas, das sich sozusagen außerhalb der Bezeichnung befindet (daher exozentrisches Kompositum), nämlich einen Vogel, der ein rotes Kehlchen hat (daher Possessivkompositum oder altindisch Bahuvrihi ‘viel Reis habend’). Die Termini Possessivkompositum und Bahuvrihi sind übrigens insofern irreführend, als ja auch bei den üblichen Determinativkomposita Haben-Relationen bestehen, nämlich zwischen Einheiten wie Korb und Henkel in Henkelkorb ‘Korb, der einen Henkel hat’, so auch Bilderbuch, Schnabeltasse, Stachelschwein. Der Terminus exozentrisches (Determinativ)Kompositum ist wesentlich eindeutiger und sollte daher m.E. bevorzugt werden. - Prinzip bei Detenninativkomposita: Grünspecht ‘grüner Specht’ - Prinzip bei exozentrischen Determinativkompositum: Rotkehlchen ‘Vogel mit rotem Kehlchen’ Trotz dieser Abweichung sind exozentrische Komposita jedoch ihrer Struktur nach Determinativkomposita: rot determiniert Kehlchen. Daher liegt es nahe, anzunehmen, dass exozentrische Komposita lediglich semantisch weiterentwickelte, umgedeutete Detenninativkomposita sind. Zunächst entstand ein übliches Determinativkompositum mit Determinatum (Kehlchen) und Determinans (rot), das in einem weiteren metonymischen Etablierungsschritt verwendet wurde, um nun auch Sachen zu bezeichnen, die nicht das Bezeichnete selbst sind (! ), sondern das Bezeichnete haben (! ). Wörter können bekanntlich prinzipiell in dieser Weise umgedeutet werden, z.B. krankenhausjargonig: das Herz in Zimmer 202 hat Besuch von seiner Schwester. Hier wird eine Person mit Herz bezeichnet, deren Charakteristikum das klinisch behandelte Herz ist. Vgl. auch Die eine gelbe Bluse wurde stutzig [...] Die mißtrauische gelbe Bluse musterte mich von Kopf bis Fuß (Japrisot 1999, S. 164). In diesem Sinne stelle ich exozentrische Komposita nicht als eigenständigen Komposi- 60 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick tatyp neben Determinativ- und Kopulativkomposita, sondern ordne sie als Untertyp den Determinativkomposita zu. 4.1.1.1 Das nominale Determinativkompositum Die Komposition ist eine leicht handhabbare Wortbildungsart. Vor allem der Wortschatz der Nomina, aber auch der der Adjektive wird durch Komposition stark erweitert, während die Komposition von Verben eine untergeordnete Rolle spielt. Die vielfältigen morphologischen Kompositionsmöglichkeiten sind eine typologische Eigenart des Deutschen. Vgl. Donalies (2004b). Insbesondere die Nomen-Nomen-Komposition ist zumindest vom System her nahezu unbeschränkt. Dies betrifft u.a. die Länge der möglichen Komposita: „Manche deutsche Wörter sind so lang, daß man sie nur aus der Feme sehen kann“, stellt Mark Twain in seinem berühmten Deutschlandreisebericht seufzend fest und nennt das sicher noch zu toppende Generalstaatsverordnetenversammlung (Twain nach 1878, S. 539). So auch Gegenzugoffenfachdoppelhubschaftmaschine (nach Ortner et al. 1991, S. 30). Bei derart langen Komposita wird zur Erleichterung des Lesens der so genannte Durchkopplungsbindestrich empfohlen. Mitunter werden längere Komposita in ihrem allmählichen Etablierungsprozess auch durch Kürzung leichter rezipierbar gemacht, z.B. Lkw. Angst vor der „Gefahr durch lange Wörter“ muss nach Augst (2001) aber niemand haben. Wie Augst in seiner Untersuchung zum Gebrauch von extrem langen Wörtern nachweist, werden Superlangkomposita anders als bisweilen von Sprachpflegem beklagt keineswegs im Übermaß und auch heute keineswegs deutlich häufiger als früher gebildet. Zu Recht nämlich lehnen Elörerleser unüberschaubare Komposita wie Rinderkennzeichnungs- und Rindßeischetikettienmgsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz ab (ebd., S. 210), haben aber mit gleichem Recht an witzig Gemeintem mitunter durchaus Vergnügen, etwa am legendären Beutelrattenlattengitterkotterhottentottenstottertrottelmutterattentäter (Adamzik 2004, S. 148). Vgl. zu den so genannten Bandwurmkomposita u.a. auch Trageser (1996), zur Kritik auch Donalies (2003a). Ungeachtet der Zahl ihrer Einheiten sind auch nominale Determinativkomposita grundsätzlich binär, d.h., sie werden bei den einzelnen Segmentie- Die Wortbildungsarten 61 rungsschritten jeweils in zwei Einheiten, die unmittelbaren Konstituenten, unterteilt, z.B. Generalstaatsverordneten(\)versammlung{2). Für die Analyse der morphologischen Struktur eines Kompositums ist also nicht ausschlaggebend, welche Wortarten in ihm überhaupt verkommen, sondern welcher Wortart die unmittelbaren Konstituenten angehören: So ist zwar im Kompositum Fertighauskatalog das Adjektiv fertig enthalten; da das Kompositum aber als Fertighaus{ 1 )katalog(2) analysiert wird und sowohl (1) als auch (2) Nomina sind, wird es als Nomen-Nomen-Kompositum analysiert. Das Kompositum Fertig(l)haus(2) dagegen ist ein Adjektiv-Nomen- Kompositum. Nomina können mit verschiedensten Ersteinheiten zusammengesetzt werden. Im Folgenden stelle ich dar: - Das Nomen-Nomen-Kompositum - Das Adjektiv-Nomen-Kompositum - Das Verb-Nomen-Kompositum - Das Konfix-Nomen-Kompositum - Das nominale Konfix-Kompositum - Das Satz-Nomen- und das Phrase-Nomen-Kompositum - Das nominale Kompositum mit anderen Ersteinheiten 4.1.1.1.1 Das Nomen-Nomen-Kompositum Der im Deutschen sprachhistorisch älteste Kompositatyp, das Nomen- Nomen-Kompositum (z.B. Hutschachtel, Königsmantel, Gartenidylle), ist das morphologisch und semantisch variationsreichste Wortbildungsprodukt. Nomen-Nomen-Komposita können deutlich länger als alle anderen Wortbildungsprodukte sein und dadurch auf knappstem Raum sehr viele Informationen transportieren, z.B. das schon genannte Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz (Beispiel von Augst 2001, S. 210). Auch Okkasionalismen, also Gelegenheitsbildungen, sind hier besonders häufig zu finden, z.B. der Spannungskopfschmerzmensch (Mannheimer Morgen 1985, Cosmas), eine Welle von Mutterwut (Spengler 1991, S. 64); 62 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick eine Vierjährige nennt „eine Schnecke, die sie zusammen mit Bauemkindem gefunden hat“ Bauernschnecke (Stem/ Stem 1928, S. 397). Morphologisch gesehen ist der Gebrauch nominaler Ersteinheiten weitgehend unbeschränkt; es kommen nahezu alle Nomina in Frage, u.a. Nomenkomposita (z.B. Nudelsauce in Nudelsaucenrezept und wiederum Nudelsaucenrezept in Nudelsaucenrezeptesammler und Nudelsaucenrezeptsammler in Nudelsaucenrezeptsammlertreffen) sowie Derivate (z.B. in Hoffnungsschimmer) oder Kurzwörter (z.B. in Unialltag, IDS-Tagung, S-Bahn- Geleise). Bei Konvertaten in Komposita ist nicht zu entscheiden, ob es sich um das Basisadjektiv bzw. -verb oder um die nominale Ableitung handelt (z.B. in Startposition ‘Position, aus der heraus man startet’ oder ‘Position am Start’). Infmitivkonvertate wie das Laufen werden als Ersteinheiten in Komposita offenbar gemieden; zudem gibt es hier keinen Bedarf, weil einfachheitshalber gleich der Verbstamm verwendet werden kann (z.B. in Laufband ‘Band, auf dem man laufen kann, Band zum Laufen’). Semantisch gesehen sind besonders die nominalen Komposita „schwarze Löcher mit unwiderstehlichem Deutungssog“ (Heringer 1984a, S. 10). Bedeutungsbeziehungen zwischen den Einheiten in Komposita müssen vom Hörerleser anhand verschiedener Indizien rekonstruiert werden: Zum Beispiel haben Hundekuchen und Mandelkuchen dieselbe Struktur, sind jedoch üblicherweise semantisch keineswegs gleich zu interpretieren. Vgl. dazu auch Oksaar (1993). Dagegen sind die semantischen Beziehungen zwischen Wörtern in Phrasen, die Vergleichbares ausdrücken, sehr viel klarer; die Beziehungen werden z.B. durch Präpositionen festgelegt: Kuchenfür Hunde, Kuchen aus Mandeln. Während in Phrasen die semantischen Relationen also meist deutlich sind, scheinen besonders nominale Komposita relativ frei auslegbar zu sein. Vg. dazu auch Sisätz (2002). So gibt Heringer (1984a, S. 2) für das Kompositum Fischfrau u.a. folgende Deutungen an: ‘Frau, die Fisch verkauft’ ‘Frau eines Fisches’ ‘Frau, die Fisch isst’ ‘Frau, die Fisch produziert’ ‘Frau, die kühl wie ein Fisch ist’ ‘Frau, die den Fisch gebracht hat’ ‘Frau, die bei dem Fisch steht’ Die Wortbildungsarten 63 Die Freiheit der Wortbildung ist jedoch zu relativieren, denn die Interpretation wird in der Regel durch den direkten Kontext gesteuert, in dem die aktuelle Bedeutung realisiert wird. Steht z.B. in einem Märchen und der Fisch und seine Fischfrau lebten glücklich und zufrieden, ist die Interpretation ‘Frau eines Fisches’ plausibel. Darüber hinaus können Hörerleser auch auf ihr Weltwissen, auf den Kontext im weiteren Sinne zurückgreifen; sie können sich an Erfahrungswerten und der Logik von Zusammenhängen orientieren. Dass z.B. das als Hundekuchen Bezeichnete aller Wahrscheinlichkeit nach kein Kuchen aus oder mit Hunden ist (etwa analog Mandel- oder Rosinenkuchen), sondern ein Kuchen für Hunde (analog Babybrei und Herrentorte), lässt sich aus Kulturspezifika schließen: In unseren Breiten werden normalerweise keine Kuchen aus Hunden oder Torten mit Herren drin angeboten. Auch in einem Kontext wie Am Ende der Geschichte manövriert der Fahrer das Müllauto aus dem Stahltor, sein Zigarettenarm hängt aus dem Fenster (Kinder 1997, S. 101) liegt die Deutung Zigarettenarm ‘Arm mit der Hand, die die Zigarette hält’ am nächsten. In einem anderen Kontext kann Zigarettenarm aber ebenso gut einen Arm bezeichnen, der dünn wie eine Zigarette ist u.Ä. Vgl. ausführlich 5. Die Auswahl der Interpretationsmöglichkeiten eines Kompositums wird schließlich auch eingeschränkt, weil sich ein Hörerleser an die ihm geläufigen Komposita hält. Er wählt nicht aus allen potenziell möglichen Interpretationen aus, sondern greift auf ein verhältnismäßig festes Inventar vorhandener Muster zurück. So ist ihm z.B. von Komposita wie Hundekuchen, Herrentorte, Kinderschokolade das Muster ‘B, das für A bestimmt ist, das usuell von A konsumiert wird’ bekannt, das nach Prüfung des Kontextes auch auf zuvor noch nicht gehörte oder gelesene Komposita wie Nilpferdkekse angewandt werden kann. Ähnlich gilt für den Sprecherschreiber, dass er sich vorhandener Muster bedient. Nicht nur der Wortschatz, also das Inventar der Wörter, sondern auch das Inventar gemeinsamer Wortbildungsmuster garantiert eine im Wesentlichen reibungslose Kommunikation. Dahinter stecken natürlich (universale? ) Denkmuster. Eine Ausnahme von den Wortbildungsfreiheiten, der relativen Freiheit beim Bilden insbesondere von Nomen-Nomen-Komposita und der relativen Interpretationsfreiheit, sind die so genannten Rektionskomposita wie Frauenkenner, die nächstliegenderweise in einer bestimmten Weise zu lesen sind: Ein 64 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Frauenkenner ist ein Kenner der Frauen, ein Romanleser ist ein Leser von Romanen. Exkurs 14: Das Rektionskompositum Rektionskomposita sind Determinativkomposita mit einer bestimmten semantischen Relation zwischen Zweit- und Ersteinheit, nämlich einer rektionalen Lesart. Typische Rektionskomposita sind Frauenkenner, Romanleser, Armenischlehrer, Konfliktbewältigung, Wetterbeobachtung. Unter Rektion (zu lat. regere ‘leiten, beherrschen’) versteht man in der Syntax die grammatische Abhängigkeit eines Wortes von einem anderen, z.B. regieren Verben den Kasus ihrer Komplemente: So regiert kennen den Akkusativ, indem das Verb kennen steuert, dass sein Objekt im Akkusativ steht, z.B. er kennt die Frauen. Werden Verben deriviert, vererben sie diese Kasusrektion an das Derivat (z.B. Kenner der Frauen). Rektionskomposita bestehen aus einem solchen deverbalen, semantisch sättigungsfähigen oder sättigungsbedürftigen Derivat als Zweiteinheit (z.B. Kenner, Leser, Lehrer, Bewältigung, Beobachtung) und einer determinierenden Ersteinheit, die den Argumenten der Verbbasen des Derivats entsprechen. Die Argumentstruktur bleibt im Wesentlichen erhalten. Olsen (1986, S. 71) rechnet zu den Rektionskomposita außerdem Nomen- und Adjektivkomposita wie Juwelendieb, Professorensohn und fälschungssicher, weil die Zweiteinheiten eine „inhärente Relationalität“ haben und deshalb eine Rektionslesart nahe legen. Einige Rektionskomposita, z.B. Appetithemmer, werden in der Forschungsliteratur mitunter als Zusammenbildungen interpretiert. Es spricht jedoch viel dafür, sie als Komposita zu betrachten. Vgl. Exkurs 18: Die Zusammmenbildung. Nur für Nomen-Nomen-Komposita wird in der Forschungsliteratur mitunter der Sonderfall der so genannten Klammerform angenommen: Es soll Komposita geben, bei denen eine mittlere Einheit weggekürzt worden ist, z.B. Bierdeckel aus Bierglasdeckel. Das Modell Klammerform wird aber m.E. zur Erklärung von Komposita wie Bierdeckel nicht benötigt. Exkurs 15: Die Klammerform Als Klammerformen werden in der Forschungsliteratur nominale Determinativkomposita wie Bierdeckel angesehen, deren erste Einheit {Bier) ursprünglich zweiteilig Die Wortbildungsarten 65 gewesen sein soll (z.B. Bierglas)\ der zweite Teil der ersten Einheit (Glas) soll „aus ökonomischen Gründen“ (Bußmann 1990, S. 381) weggefallen sein: Bierglasdeckel —> Bierdeckel. Bei Fleischer/ Barz (1995) wird die Klammerform als eine Art Kurzwort angesehen. Glück (2000, S. 345) verwendet den Begriff Klammerform abweichend von der einschlägigen Forschungsliteratur für Phänomene wie Motel, die ich als Kontaminationsprodukte bezeichne. Vgl. 4.1.4. Als typische Klammerformen gelten allenthalben z.B. Betriebswirtschaftslehre, Kokos(nuss)butter, FülKfeder)halter, Tank(stellen)wart. Komposita wie Bierdeckel werden Klammerformen genannt, weil bei ihnen „ein mittleres Glied ausgespart ist, so daß die beiden äußeren Glieder eine Klammer bilden“ (Bußmann 1990, S. 381). Ähnlich gemeint ist wohl die Bezeichnung „reduzierte Trikomposita“, so zuerst bei Bellmann (1980, nach Fleischer/ Barz 1995, S. 220) bzw. bei Knobloch (1983, nach Ortner et al. 1991, S. 12). Die Klammerformhypothese sieht also folgende Struktur vor: Bier{\) + Glasfl) + Deckelfi) Der Terminus Klammerform bzw. Trikomposita und die Begriffsbeschreibungen sind allerdings irreführend, weil der vermeintlich wegfallende Teil ja gar nicht in der Mitte des Kompositums steht, sondern morphologisch und semantisch zur ersten Einheit gehört. Insofern ist hier auch nichts dreiteilig. Wie bei Determinativkomposita die Regel, ist vielmehr auch ein Kompositum wie Bierglasdeckel binär: Bierglas(l) + Decke1(2) Darüber hinaus ist die Klammerform als Erklärungsmodell hauptsächlich aus zwei Gründen zweifelhaft: - Erstens beruht die Klammerformhypothese auf der Annahme, dass die Einheiten in Komposita wie Bierdeckel in keiner sinnvollen Bedeutungsbeziehung zueinander stehen würden; zur Paraphrasierung des Kompositums müsse eine weitere Einheit hinzugefügt werden, z.B. ‘Deckel für Bier(gläser)’. Schon diese Prämisse ist nur bedingt plausibel, denn Paraphrasen sind keine überzeugenden Argumente für morphologische Strukturen: Paraphrasen beschreiben in syntaktischer Form die Bedeutung eines komplexen Wortes, entsprechen aber nicht unbedingt dessen morphologischem Aufbau. Vor allem aber ist die Annahme einer fehlenden Einheit keineswegs zwingend, denn gerade nominale Komposita sind semantisch weitgehend frei: In der Forschungsliteratur wird im Zusammenhang mit Klammerformen mitunter von „Schiefheiten in der Verknüpfung“ gesprochen (vgl. zusammenfassend Ortner et al. 1991, S. 669). Fonnulierungen wie diese werten subjektiv und werfen Fehlerhaftigkeit vor, wo lediglich festgestellt werden kann, dass es im Deutschen regulär möglich ist, Bedeutungsbeziehungen zwischen Kompositaeinheiten vage zu lassen (vgl. dazu grundlegend Heringer 1984a). Die Prägnanz von Komposita entsteht gerade daraus, dass nicht alles explizit ausgedrückt werden muss. Bei den meisten Komposita bedarf es daher ohnehin erläuternder Zusätze, z.B. Hutschachtel ‘Schachtel, in der ein Hut aufge- 66 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick hoben werden kann’, Fischfrau ‘Frau, die Fisch verkauft’, Rotbuche ‘Buche, die rotes Laub hat’. Niemand ist aber bislang auf den Gedanken gekommen, auch Komposita wie Hutschachtel, Fischfrau oder Rotbuche als Klammerformen zu postulieren, also als Hut(aufheb)schachtel, Fisch(verkauf/ rau, Rot(laub)buche. Genauso klammerformlos wie Hutschachtel sind nun aber auch Komposita, die in der Forschungsliteratur als Klammerformen betrachtet werden, zu analysieren, z.B. Betriebslehre als ‘Lehre darüber, wie ein Betrieb zu fuhren ist’, Bierdeckel als ‘Deckel, der irgendwas mit Bier zu tun hat’. Zudem sind einige der in der Forschungsliteratur als Klammerformen angegebenen Komposita wie Schlacht- (vieh)hof (Ortner et al. 1991, S. 1 lf.) keineswegs nur mit den eingefugten Nomina zu verstehen, sondern ebenso gut als ‘Hof, auf dem geschlachtet wird’. Hier stiftet die Klammerformhypothese also eher Verwirrung als dass sie etwas zu klären vermag. - Zweitens ist an der Klammerformhypothese unbefriedigend, dass offenbar nicht eindeutig geklärt werden kann, wie die vermeintlich fehlende Einheit denn nun genau lauten soll. So sind sich sogar Vertreter der Klammerformhypothese selbst nicht immer einig, was genau ausgelassen worden sein soll, vgl. Fern(melde)amt (Fleischer/ Barz 1995, S. 104) gegenüber Fern(sprech)amt. Zudem müssten eigentlich zur genauen semantischen Beschreibung mitunter sogar noch viel mehr als die in der Forschungsliteratur angegebenen einteiligen Einschübe angenommen werden: So ist z.B. Akutbett keineswegs vollständig durch Akut(fall)bett bestimmt, strengenommen müsste angegeben werden, es handele sich bei Akutbett um eine Kürzung aus Akutfallklinikbett oder Akutfallkrankenhausbett oder Akutfallgemeinschaftsärztehausbett. Es hat also offenbar mitunter absurde Konsequenzen zu versuchen, die üblicherweise vagen Beziehungen zwischen den Einheiten gerade nominaler Komposita doch noch irgendwie morphologisch zu konkretisieren. Ebenfalls nur bei der Nomen-Nomen-Komposition wird besonders alltagssprachlich mitunter die Regel umgangen, nach der grundsätzlich die zweite Einheit die grammatischen und semantischen Merkmale eines Kompositums festlegt: Einige Sprecherschreiber nehmen regelwidrig auf die erste Einheit Bezug, z.B. am heutigen Wahltag der Mitarbeiter. Exkurs 16: Die Bezugnahme auf Ersteinheiten von Komposita Komposita sind im Deutschen so strakturiert, dass die zweite Einheit die syntaktische Verwendung und die Semantik des Kompositums steuert. Auch die kontextuelle Einbettung eines Kompositums unterliegt dieser Regel: rotes Halstuch bezeichnet ein rotes Tuch, nicht einen roten Hals. Gegen diese Regel wird jedoch bei den Nomen-Nomen-Komposita mitunter verstoßen: Die Wortbildungsarten 67 Legendäre Beispiele sind die reitende Artilleriekaserne (Admoni 1955 nach Pavlov 1972, S. 36), der vierstöckige Hausbesitzer, die durchlöcherte Stuhlsitzfabrik, der geräucherte Fischladen (Burkardt 1999). Vgl. auch Essigfabriken und Knopffabriken und saure Gurkenfabriken (Kästner 1957, S. 58), Der Fußgänger hat sich in ihn geschossen (Coulmas 1988, S. 319), Hühneraufzucht und ihr Verkauf (Meineke 1991, S. 86), Prozeßbeginn gegen Immobilienunternehmer Schneider (Burkardt 1999), schnelle Auffassungsgabe, schwache Verkehrszeiten, am heutigen Wahltag der Mitarbeiter, rundes Geburtstagskind. Nach Abramov (1992, S. 137ff.) sind diese eigentlich regelwidrigen Bezugnahmen immer dann unauffällig, wenn bei Attribuierungen von Nomen-Nomen-Komposita „das Adjektiv (zur Not) auch beim Grundwort Sinn hat“, z.B. bei christliche Kunstgeschichte. Vgl. Fabricius-Hansen (1993), Burkhardt (1999), Sieben (1999), Zifonun, G. et al. (1999). 4.1.1.1.2 Das Adjektiv-Nomen-Kompositum Im Vergleich zur Nomen-Nomen- und Verb-Nomen-Komposition ist die Adjektiv-Nomen-Komposition (z.B. Buntpapier, Suggestivfrage) morphologisch und semantisch deutlich stärker beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch meist weniger eine Frage des Wortbildungssystems als der Norm: Wortbildungsprodukte, die vom System her möglich wären, werden aus bislang m.W. weitgehend ungeklärten Gründen von Sprecherschreibem nicht genutzt; die Wortbildungsprodukte sind systematisch durchaus richtig, aber unüblich. Vgl. zu Adjektiv-Nomen-Komposita auch Simoska (1999). Welche Adjektive gebräuchlicher sind als andere, ist nicht erkennbar: Gleichermaßen genutzt werden einsilbige und mehrsilbige Adjektive (z.B. bunt, kalt, soft, bitter, dunkel), simplizische und komplexe Adjektive (z.B. bitter, bunt, mehrfach, schwarzweiß), derivierte und zusammengesetzte Adjektive (z.B. mehrfach, universal, rotgrün, schwarzweiß) oder einheimische und entlehnte Adjektive (z.B. bunt, mager, light, soft). Alle Aussagen zu Produktivität und Häufigkeit lassen sich jeweils nur für einzelne Adjektive treffen; mitunter sind aber Tendenzen erkennbar: So werden üblicherweise Adjektive mit den Suffixen -bar, -lieh, -ig und -isch nicht als Ersteinheiten verwendet. Vgl. aber okkasionelles Die Vorteile der Unendlich-Optik (Mannheimer Morgen 1986, Cosmas), Dringlichschalter (nach Ortner et al. 1991, S. 802), Gutbürgerlichküche (Taz 1991, Cosmas), Kubanischamerikaner (Yglesias 2002, S. 48). 68 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Etablierte Adjektiv-Nomen-Komposita sind u.a. Altbundeskanzler, Alternativmedizin, Bestnote, Blindflug, Brachialgewalt, Buntmetall, Dunkelmänner, Endlospapier, Exklusivinterview, Falschgeld, Gebrauchtwagen, Gemischtwaren, Lebendgruppe, Lightprodukte, Magersucht, Magerquark, Magermilch, Mehrfachstecker, Mürbeteig, Rotgrünblindheit, Schwarzweißfernseher, Softeis, Süßspeise, Süßkartoffel, Universalgelehrter. Die adjektivischen Einheiten dieser Komposita werden jedoch keineswegs allgemein frei zur Komposition herangezogen, auffällig sind z.B. Bestschüler, Buntkleid, Klargedanke, Magerwurst, Schwarzweißschlips, Süßcreme. So auch wohl einfach analog zu Billigitaliener - Teueritaliener (Rühmkorf 1995, S. 35), der ürrsünnig berlinernden und Falschdeutsch sprechenden Oma (ebd., S. 125), milder Faulgeruch wuchs aus Pflasterritzen (Hühner 1997, S. 23), ein Bewohner des Offenlandes (Reicholf 1997, S. 43), Grünkohl neben dem Brokkoli der Gesundkohl (eile bistro 2/ 1997, S. 48), Topaktuelle Bewegtbild- Information (Beilage zur Telefonrechnung November 1997), Wo immer in meinen Werken eine Rarlebewesengattung auftaucht, sei es eine Finsterbergmade, eine Berghutze oder ein Laubwolf kann ich nicht anders, als mich in dieses Wesen hineinzuversetzen (Moers 2002, S. 112). Wie die Belege zeigen, sind Sprecherschreiber solchen Wortbildungsprodukten gegenüber aber durchaus offen. Alternativ zu suffigierten Adjektiven werden der Einfachheit halber meist die weniger komplexen Basen verwendet. So steht Demutsgeste statt Demütiggeste, Klapptisch statt Klappbartisch, Pflanzenkost statt Pflanzlichkost, Sonnenwetter statt Sonnigwetter, Steinskulptur statt Steinernskupltur. Die adjektivischen Ersteinheiten treten mitunter als wortbildungsspezifische Varianten zu den frei vorkommenden Formen auf, z.B. Spezialverfahren gegenüber spezielles Verfahren, so auch Eventualfall, Individualverkehr, Sexualverhalten. Semantisch gesehen sind alle Adjektiv-Nomen-Komposita nach dem gleichen vagen Muster gebildet: Das Adjektiv attribuiert das Nomen genauso wie in Nominalphrasen, z.B. Buntpapier = buntes Papier, Blaukraut = blaues Kraut, so auch Alternativmedizin, Billigmedikament, Dickmilch, Doppelkinn, Einfachlösung, Flachdach, Elementarerlebnis, Endlosmonolog. Auch wenn durch die Komposition immer ein spezieller Effekt erreicht wird, ent- Die Wortbildungsarten 69 sprechen Phrasen und Komposita einander; das Determinans bestimmt das Determinatum hinsichtlich seiner charakteristischen Eigenschaft: Eine Halbliterflasche mit Weithals (eile bistro 3/ 1998, S. 14) bezeichnet eine Halbliterflasche mit weitem Hals. Nur einige wenige Adjektiv-Nomen-Komposita gehören vermeintlich nicht diesem Attributmuster an. So bedeutet z.B. Akutbett nicht unmittelbar ‘akutes Bett’, vgl. auch Immunbiologe, Schnellstraße, Schwarzweißfernseher oder Speiübelgesicht in Aus dem Speiübelgesicht, das Sie bekommen haben, schließe ich, dass Sie diese Enthüllung überrascht (Zafön 2003, S. 209). In der Forschungsliteratur werden solche Komposita daher mitunter als Klammerformen (z.B. Akut(fall)bett) interpretiert. Vgl. Exkurs 15. Nicht als Adjektiv-Nomen-Komposita, sondern als Phrasenderivate analysiere ich Wortbildungsprodukte des Typs Dickhäuter und Langschläfer. Vgl. dazu Exkurs 18. 4.1.1.1.3 Das Verb-Nomen-Kompositum Die Verb-Nomen-Komposition ist deutlich weniger eingeschränkt als die Adjektiv-Nomen-Komposition. Die Norm lässt hier weitaus mehr zu, auch Okkasionalismen sind meist unauffällig. Verwendet werden fast alle Typen von Verbstämmen, und zwar gleichermaßen einsilbige und mehrsilbige Verbstämme (z.B. bind-, mogel-), simplizische und komplexe Verbstämme (z.B. bind-, rasier-), abgeleitete und zusammengesetzte Verbstämme (z.B. entkodier-, rasier-, spritzgieß-) sowie einheimische und entlehnte Verbstämme (z.B. bind-, box-). Etabliert sind z.B. Bindfaden, Boxring, Bratkartoffeln, Charterflug, Fahrschüler, Gießkanne, Heftklammer, Kletterbaum, Kratzspuren, Modelliermasse, Mogelpackung, Nieselregen, Putzsucht, RasierSpiegel, Sitzvolleyball, Spritzgießmaschine, Stehkragen, Stolperdraht, Suchmaschine, Surfbrett, Talkrunde, Tänzelschritt, Tarnmantel, Trödelheini, Waschfrau, Wanderschuhe. Vgl. auch okkasionelles mit seinen schönen Schmachtaugen (Broch 1950, S. 102), mit geschultertem Setzspaten (Lenz 1989, S. 44), Wirft Knüllpapier in das Ofenloch (Hahnfeld 1996, S. 163). Auch Präfixverbstämme (z.B. begeh-) und die Stämme von Präverbfugungen (z.B. eingeh-) finden sich sehr viel zahlreicher, als dies in der Forschungsliteratur meist dargestellt wird. 70 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Etabliert sind z.B. Abbeizmittel, Anmeldepflicht, Auffahrunfall, Ausgehuniform, Bedenkzeit, Begleitbuch, Einfüllstutzen, Fernsehprogramm, Radfahrweg, Rechtschreibübung, Umhängebeutel, Überziehpullover, Verladearbeiten, Verschnaufpause, Wegwerfgesellschaft, Wohlfühlwetter, Zugehfrau, Zuschneideapparat. Vgl. auch okkasionelles Umrührkakao (nach Stem/ Stem 1928, S. 396), Mitklatschtempel (SZ 1977, nach Ortner et al 1991, S. 630), Ausdenksachen (Presse 1977, nach Ortner et al. 1991, S. 610), als ich Anmachholz hackte (Aiken 1995, S. 39), Bezahl-TV (Die Woche 7.8.1998, S. 19). Alternativ dazu sind als Ersteinheit aber häufig auch die vom Präfixverb abgeleiteten Nomina etabliert, z.B. Begehungstermin statt Begehtermin, so auch Besteuerungspflicht, Einladungsschreiben, Übungsbuch, Verständnisfrage oder Verstehensbereitschaft (Zeit 24.05.1996, Cosmas); Komposita wie im folgenden Beleg sind auffällig: Das Verstehverhältnis ihrerseits sei „so 50 zu 50 in etwa u , sagt Herr Wang (Taz 1997, Cosmas). Über nominale Komposita mit konvertierten Verben schließlich kann nichts Definitives ausgesagt werden, weil weder morphologisch noch semantisch eindeutig festzulegen ist, ob es sich bei Komposita wie Butterfass um eine Zusammensetzung mit einem konvertierten Verbstamm (butter-) oder mit dessen Basis (Butter) handelt: Butterfass ‘Fass, in dem man buttert’ oder ‘Fass, in dem Butter hergestellt wird’, so auch Hamsterfahrt, Zeltplatz. Bei der nominalen Komposition mit Verben werden überwiegend Verbstämme herangezogen (z.B. bindin Bindfaden)-, Ausnahmen sind die finiten Formen einiger Modal- und Kopulaverben, z.B. in Kann-Bestimmung, Muss- Vorgaben, Ist-Zustand. Bei Verben wie rechnen und zeichnen werden als Ersteinheiten die kompositionsspezifischen Varianten rechen- und Zeichenverwendet (z.B. Rechenaufgaben, Zeichentisch). Fugenelemente gibt es bei Verb-Nomen-Komposita offenbar nicht. Nicht als Fugenelement, sondern als Element einer Stammvariante verstehe ich das -ein Komposita wie Bindeglied, Haltestelle, Hebebühne, Liegestuhl, Lösegeld, Meldeformular, Redeverbot. Vgl. 3.6. Die Wortbildungsarten 71 Auch semantisch gesehen sind Verb-Nomen-Komposita deutlich vielfältiger als Adjektiv-Nomen-Komposita. Während bei Adjektiv-Nomen-Komposita nur ein semantisches Muster anzusetzen ist, nämlich die Zuweisung einer durch das Adjektiv bezeichneten Eigenschaft (z.B. Sauerkraut ‘saures Kraut’), finden sich bei Verb-Nomen-Komposita verschiedene Muster, die sich aus der Ausrichtung der vom Verb bezeichneten Tätigkeit ergeben, z.B. Tanzbär ‘Bär, der tanzf (Nomen agentis), Tanzstück ‘(Theater)Stück, das getanzt wird’ (Nomen patientis) und Tanzsaal ‘Saal, in dem getanzt wird’ (Nomen loci). 4.1.1.1.4 Das Konfix-Nomen-Kompositum Konfixe sind anders als Wörter gebundene Einheiten; ihre Verwendung ist eingeschränkt. Bei weitem nicht alle Konfixe sind kompositionsgliedfähig: So gibt es zahlreiche Konfixe, die ausschließlich als Ersteinheiten von Suffixderivaten verwendet werden, wie fanat-, faszin-, ident-, neg-, nomin-, postul-, präfer-, oper-, revid-/ revis-, suggest-, toler-, veget- (z.B. in fanatisieren, Fanatismus, Identität, operieren, tolerabel). Nur wenige Konfixe dieses Typs werden zur Komposition herangezogen, z.B. investin Investangebot, Investbank. Kompositionsgliedfähige Konfixe sind u.a. anthrop-, bio-, geo-, therm-, z.B. in Biojoghurt, Geophysik, Hydrokultur, Ökofreak, Thermo]acke. Vgl. auch Anthropo-Seminare (Taz 1994, Cosmas). Auch die wenigen einheimischen Konfixe werden zur Komposition herangezogen, z.B. schwiegen-, stief- und zimperin Schwiegertochter, Stiefkind, Zimperliese. 4.1.1.1.5 Das nominale Konfix-Kompositum Konfixe können nicht nur als Ersteinheiten mit nominalen Zweiteinheiten nominale Komposita bilden (z.B. Biojoghurt), sondern werden auch häufig als genusmarkierte Zweiteinheiten zur Bildung von nominalen Komposita verwendet, z.B. -soph in Anthroposoph, -drom in Aquadrom, -naut in Astronaut, -graf m Biograf, -meter in Chronometer, -zid in Genozid. Vgl. auch eher okkasionelle Verwendungen wie in steht es nun jedem Cybernaut offen, in einen Raum einzudringen, den das Hirn als real analysiert (Taz 1990, 72 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Cosmas). Nominal markierte Konfixe als Zweiteinheiten können sich außer mit Konfixen auch mit Wörtern verbinden, z.B. mit Nomina oder Verben wie in königlicher Schnorrosoph (Taz 1991, Cosmas), ein „Satzomat“ erlaubt spaßige Nonsens-Formulierungen (Spiegel 1994, Cosmas), Karin Struck, die Sprachschöpferin des ,ßabycaust“ (Zeit 1995, Cosmas), Wer einrückte, mußte in vorderster Linie Schützengräben ausheben [...] wobei zuerst die Intellektuellen und Angehörigen qualifizierter Berufe erfaßt wurden was man zu Recht als „FJitozict bezeichnet (Taz 1995, Cosmas). In der Regel haben Komposita mit Konfixen aus den klassischen Sprachen ein Fugen-o-, z.B. Ethnograph. Auch bei der Kombination von Konfixen als Zweiteinheiten mit einheimischen Wörtern steht dieses ins Deutsche entlehnte und nicht ein einheimisches Fugenelement, z.B. Filzokrat. Offensichtlich richtet sich die Wahl des Fugenelements hier nach der zweiten Einheit. Vgl. 3.6. Nicht als Konfix-Konfix-Komposita analysiere ich Wortbildungsprodukte wie Geologie-, vielmehr analysiere ich sie als komplexe Konfixe (geolog-) aus zwei Konfixen (geo- + -log), die wiederum Basen von Derivaten wie Geolog-e, Geolog-ie, geolog-isch sind. Vgl. 3.2. 4.1.1.1.6 Das Satz-Nomen- und das Phrase-Nomen-Kompositum Relativ unbeschränkt können Nomina mit Sätzen oder Phrasen zusammengesetzt werden, z.B. Wir haben es hier in der Stahlpolitik [...] mit einem Tunix-Kanzler und mit einem Will-nix-Wirtschaftsminister zu tun (Roth 1983, nach Pursch 1992, S. 321), eine Art von Großer-Freundin-bis-Ersatzmutter- Gehabe (Reimann/ Wolf 1993, S. 79), mit diesem Ich-mach-aus-dir-Hackfleisch-Blick (Spiegel 1994, Cosmas), das „Vorne-hui-hinten-egaF-Konzept (Allegra 5/ 1995, S. 13), Immer-schon-Fans (Taz 1995, Cosmas), seit seinem Übernacht-Erfolg (Cinema 10/ 1996, S. 28), Augen-zu-und-durch-Politik (Zeit 1997, Cosmas), Damals bin ich ihm nicht auf seinen Gutundehrlichleim gekrochen (Demski 1997, S. 11), Fünf-Gänge-Menü, Möchtegernnachfolger. Vgl. auch Meibauer (2003). Die Wortbildungsarten 73 Zur nominalen Komposition werden als Ersteinheiten herangezogen: - Sätze, z.B. ihr Was-soll-das-denn-heißen-Geschrei. - Nominalphrasen, z.B. Grüne-Bohnen-Eintopf Hundertmarkschein. Besonders häufig sind Komposita mit Mengen-, Dimensions-, Wert- und Zeitangaben, z.B. 10-Liter-Kanister, 10-Zentner-Bombe, 100-Quadratmeter-Grundstück, Zehn-Uhr-Nachrichten, Fünf-Gänge-Dinner, Hundert-Betten-Hotel, Hundertmarkschein. Eine Besonderheit sind Ersteinheiten wie in Vater-Tochter-Beziehung, Ost-West-Vertrag: Solche Ersteinheiten können keinesfalls als Komposita verstanden werden (das *Vater-Tochter, ein *Ost-West), sind aber auch keine Phrasen im eigentlichen Sinne (* Vater Tochter), sondern bestehen aus zwei gleichwertigen Phrasenteilen, die eigens für die Bildung eines Kompositums in ein appositionelles Verhältnis gestellt werden: Vater-Tochter-Beziehung ‘Beziehung zwischen Vater und Tochter’. Außer der ‘zwischen’-Relation wird mitunter auch eine ‘von-bis’-Relation ausgedrückt, z.B. in Barsche unter der Maul-Schwanzende-Länge von zweiunddreißig [...] Zentimetern (Späth 1978, S. 23). - Verbphrasen, z.B. Palettenstapelmaschine, Radiorepariermethode. - Adjektivphrasen, z.B. Noch-nicht-ganz-Hochzeit. - Adverbphrasen, z.B. Immer-noch-Kanzler. - Präpositionalphrasen, z.B. Ohne-mich-Haltung. - Partikelkombinationen, z.B. sein unverschämtes Wohl-kaum-Gehabe. - Mischfonnen wie in Ihr globales-Kunden-Mitarbeiter-Lieferanten-Partner-Intra-Extra-Inter-Cross-Plattform-das-hier-ist-alles-viel-zu-kompliziert-eBusiness (Anzeige von Novell im Spiegel 41/ 2000, S. 130). Bei einigen Nomenkomposita mit unübersichtlichen Phrasen sollte zur Erleichterung für den Leser ein Durchkopplungsbindestrich gesetzt werden, z.B. ihr Das-darf-doch-nicht-wahr-sein-Grinsen gegenüber ihr Dasdarfdochnichtwahrseingrinsen. Vgl. Exkurs 11. 74 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Semantisch gesehen gibt es hier drei Haupttypen: - Komposita wie eine Was-soll-dem-das-bedeuten-Frage oder Immerfeste-druff-Manier, „na-und"-Mentalität. Hier haben Sätze und Phrasen Zitatcharakter, das Nomen bezeichnet eine Äußerungsform, eine Haltung. - Komposita wie Fünf-Gänge-Menü, Hundertmarkschein, bei denen Angaben zu Mengen usw. gemacht werden. - Komposita wie Vater-Tochter-Beziehung, Arzt-Patienten-Gespräch, Ost- West-Antipathien, bei denen die Phrase die Beteiligten an dem bezeichnet, was das Nomen bezeichnet. Das Nomen bezeichnet eine Interaktion im weitesten Sinne (Gespräch, Diskussion, Vertrag, Bund, Antipathie). 4.1.1.1.7 Das nominale Kompositum mit anderen Ersteinheiten Als Ersteinheiten bei der nominalen Komposition werden außer Nomina, Adjektiven, Verben, Konfixen und Sätzen oder Phrasen weitere Einheiten herangezogen. Es kommen vor: - Adverbien, z.B. in Abwärtstrend, Alleinanspruch, Beinahe-Unfall, Jetztzeit, Quasifreispruch, Sofortmaßnahme. Vgl. auch ungewöhnlichere Wortbildungsprodukte wie in Immersäufer höhnten aus dem Gasthausfenster (Strittmatter 1963, S. 34), mit einer Sowieso-Reise nach Berlin verbinden (Reimann/ Wolf 1993, S. 46), Die [...] Finanzstruktur aus Bund, Berliner Senat, Immer-ARD und Gelegentlich-ZDF bröckelte (Taz 1996, Cosmas). Auffällige Wortbildungsprodukte sind z.B. Schlechthin- Chirurg (nach Ortner et al. 1991, S. 639) und Keineswegs-Selbstverständlichkeit (TZ 1982, nach Fleischer/ Barz 1995, S. 119). Semantisch gesehen gehören Adverb-Nomen-Komposita verschiedenen Mustern an. - Präpositonen, z.B. in Beiprogramm, Mitbruder, Nebenschauplatz, Nachdichtung, Vordach, Zwischenkommentar. Präpositionen determinieren das vom Nomen Bezeichnete vor allem räumlich (z.B. in Vordach) und zeitlich (z.B. in Vorspiel). - Partikeln, vor allem Fokuspartikeln, so u.a. die Negationspartikel nicht, z.B. Die Sieger sind die Geschlagenen, und die Nicht-Sieger bestimmen den Lauf der Welt (Broch 1950, S. 155), beim Übergang vom Nichtkrieg zum Frieden (Faz 1995, Cosmas), verkörperte Russland das Nichteuropa Die Wortbildungsarten 75 des Despotismus (Zeit 1996, Cosmas) sowie die Partikeln auch und nur, z.B. der ehrfürchtige junge Auch-Dichter (Zeit 1995, Cosmas), Nurhausfrau. - Pronomina, darunter Personal-, vor allem Sprecherpronomina, z.B. in Ich-Kult, Wir-Gefiihl, sowie so genannte w-Pronomina, z.B. in Was- Frage. Ausgesprochen selten und daher auffällig sind Possessivpronomina, z.B. indem ich nur meinen Ich- und Mein-Gefühlen Rechnung trug (Mann 1940, Cosmas). - Konjunktoren und Subjunktoren, z.B. in Dass-Satz. - Interjektionen, z.B. in Aha-Erlebnis, Buh-Rufe, Wow-Stimmung. - Artikel, z.B. ein Der-Anschluss im Relativsatz. Nicht als Ersteinheiten kommen Zahlwörter im Sinne von Zifonun, G. et al. (1997) vor. Komposita wie Zweitfrau und Millionending analysiere auch ich vielmehr als Komposita mit adjektivischer {zweit) bzw. nominaler Ersteinheit {{eine) Million). Vgl. zu Wortbildungsprodukten wie Dreirad Exkurs 18. Viele dieser Ersteinheiten in Nomenkomposita haben Zitatcharakter, so in den Komposita mit w-Pronomina, Konjunktoren, Subjunktoren, Interjektionen und Partikeln. Diese Einheiten werden metasprachlich verwendet, z.B. Dass-Satz ‘Satz, in dem ein dass vorkommt’. Außerdem zur nominalen Komposition verwendet werden - Buchstaben, z.B. in B-Movie, O-Beine. Die Buchstaben-Nomen-Komposita lassen sich in zwei semantische Hauptgruppen unterteilen. Zum einen stehen die Buchstaben für eine Rangfolge, z.B. manch dubioses B-Produkt (Taz 1995, Cosmas), so auch A-Klasse, B-Movie, C-Jugend, mitunter auch nur für eine wertfreie Durchnummerierung, z.B. die Schüler der A-Klasse. Zum anderen haben die Buchstaben eine ikonische Funktion; sie werden als grafische Form zum Vergleich herangezogen, z.B. O-Beine ‘Beine, die wie ein O aussehen’, so auch S-Kurve, T- oder U-Träger, V-Ausschnitt, X- und Y-Chromosom. Vgl. darüber hinaus Buchstaben mit Platzhalterfunktion wie in X-Magazin (Taz 1993, Cosmas). Nicht hierher, sondern zur Kurzwortbildung gehören Wörter wie 76 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick A-Bombe, O-Saft, U-Bahn; die Ersteinheiten dieser Wörter sind die zu Buchstaben gekürzten Ersteinheiten Atom, Orangen, Untergrund. Vgl. 4.3.2. 4.1.1.2 Das adjektivische Determinativkompositum Adjektivkomposita werden überwiegend aus nur zwei simplizischen Einheiten zusammengefügt, z.B. bittersüß, brüllkomisch, butterweich, schwarzweiß, treffgenau, zitronengelb. Obwohl das Wortbildungssystem des Deutschen auch komplexe Einheiten zulässt (z.B. stachelbeerstrauchbraun, königsmantelrot, butterkuchenschwer), nutzen Sprecherschreiber solche Möglichkeiten eher selten. Im Gegensatz zu den vielfach genutzten nahezu unbegrenzten Möglichkeiten bei der nominalen Komposition (z.B. Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwenrentenansprüche) sind der adjektivischen Komposition durch die Norm Beschränkungen auferlegt. Unübersichtlich vielgliedrige Komposita sind bei Adjektiven eher die Ausnahme, z.B. in vom rotgraublauweißschwarzgesprenkelten Schüttstein in der Küche (Späth 1978, S. 36). Adjektivkomposita können mit verschiedensten Ersteinheiten zusammengesetzt werden. Im Folgenden stelle ich dar: - Das Nomen-Adjektiv-Kompositum - Das Adjektiv-Adjektiv-Kompositum - Das Verb-Adjektiv-Kompositum - Das Konfix-Adjektiv-Kompositum - Das adjektivische Konfix-Konfix-Kompositum - Das adjektivische Nomen-Konfix-Kompositum - Das Satz-Adjektiv- und das Phrase-Adjektiv-Kompositum - Das adjektivische Kompositum mit anderen Einheiten Die Wortbildungsarten 77 4.1.1.2.1 Das Nomen-Adjektiv-Kompositum Nomina sind die in der Wortbildung produktivsten Einheiten; auch als Ersteinheiten in Adjektivkomposita werden sie sehr häufig genutzt, z.B. in daumendick, schutzengelschön, geheimnisvoll, haushoch, hautnah, inhaltsleer, kostenneutral, landesweit, lebensmüde, pantherelegant, schadstoffreduziert, schneeblind, spannungsreich. Dabei gibt es offenbar keine Beschränkungen hinsichtlich des Nomens: In großer Zahl kommen vor: ein- und mehrsilbige Nomina (z.B. in fischgrün, zimtsüß, himmelblau, meterlang), simplizische und komplexe Nomina (z.B. in butterweich, hundsgemein, ölsardinendicht am Strand liegende Urlauber, sommerwiesenbunt), derivierte und zusammengesetzte Nomina (z.B. in erwartungsfroh, abflugbereit, hundehüttengroß, donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwentraurig) sowie einheimische und entlehnte Nomina (z.B. in bildschön, potthässlich, anekdotenmüde, appetitanregend). Vgl. auch okkasionelle Komposita wie in Er war dorffremd, aber die Leute grüßten ihn (Seghers 1933, S. 77), die schwarze Masse der Leiber, biervoll, geldvoll, schuldvoll, bösheitsvoll (Broch 1950, S. 209), eifersuchtszermürbt (Fuchs 1992, S. 219), Algensorten [...] sollen salat- und eintopftauglich sein (Spiegel 1994, Cosmas), erschien ein Roman von ihm mit dem direkt bestsellerstarken Titel „Und keiner weint mir nach“ (Zeit 1996, Cosmas), Das liegt vor allem an der fußnotenfleißig verschachtelten Dramaturgie (Zeit 1996, Cosmas), Max Ernst malte geschichtsleere Landschaften nach der Sintflut (Zeit 1997, Cosmas), während Pavarotti sich dianagramgebeugt von zwei Bodyguards hereintragen ließ (Taz 1997, Cosmas), durch stolperschwellenstrotzende Straßen (Barnes 2002, S. 119). Semantisch gesehen wird wohl das vergleichende Muster am kreativsten genutzt, z.B. ich werde immer nur fischstäbchenbraun (Taz 1994, Cosmas), achillessehnendick (Taz 1995, Cosmas), kartoffelgelb (Taz 1996, Cosmas), einem sirupschwarzen Flüßchen (Aehnlich 1998, S. 6). Vgl. auch Thurmair (2000). 4.1.1.2.2 Das Adjektiv-Adjektiv-Kompositum Während die Nomen-Adjektiv-Komposition weitgehend unbeschränkt ist, schränkt der Kommunikationsbedarf die Adjektiv-Adjektiv-Komposition ein. Zwar gibt es keine Reglementierung etwa hinsichtlich morphologischer 78 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Merkmale der adjektivischen Ersteinheit, doch werden Adjektiv-Adjektiv- Komposita, in denen Eigenschaften durch Eigenschaften näher bestimmt werden, einfach nicht besonders oft benötigt. Gebildet werden Determinativkomposita wie orangerot, höflich-bestimmt. Genutzt wird eher die Bildung von Kopulativkomposita, also von Komposita mit hierarchisch gleichgestellten Einheiten, z.B. schwarzweiß. Vgl. 4.1.2. Gelegentlich finden sich Superlative als Ersteinheiten, die allerdings auf ein festes Inventar etablierter Formen und Verwendungen begrenzt sind, z.B. bestbezahlt, größtmöglich, meistbewundert. Zu den in der Forschungsliteratur unterschiedlich analysierten Adjektiv- Adjektiv-Kombinationen des Typs schwer verletzt vgl. Exkurs 19. Semantisch gesehen sind adjektivische Ersteinheiten von determinativen Adjektivkomposita wenig aufgefächert. In der Regel wird wie bei der Adjektiv-Nomen-Komposition attribuiert: orangerot bezeichnet ‘rot, und zwar ins Orange gehend’, höflich-bestimmt bezeichnet ‘bestimmt, aber auf höfliche Art’. 4.1.1.2.3 DasVerb-Adjektiv-Kompositum Adjektivische Komposita mit einem Verbstamm als Ersteinheit sind keineswegs ungewöhnlich, allerdings werden offenbar auch sie nicht allzu häufig benötigt. Fleischer/ Barz (1995, S. 247) nennen vor allem ein begrenztes Inventar etablierter Verbindungen, so u.a. mit den Adjektiven fähig, fest, kundig, sicher und tüchtig, z.B. in fahrtüchtig, gehfähig, schreibkundig, treffsicher, trinkfest. Vgl. auch abfahrbereit, denkfaul, fragwürdig, knallbunt, pflückreif springlebendig, triefnass, werbewirksam. Auch die Ersteinheiten sind aus Nonngründen begrenzt; auffällig sind etwa lauftüchtig, lerntüchtig, springtüchtig, suchtüchtig. Vgl. aber okkasionelle Verb- Adjektiv-Komposita wie in zubeißbereite Zähne (Broch 1950, S. 69), die mitsingtaugliche Bierstimmung (Taz 1992, Cosmas), Das große Talent, dribbelstark und pfeilschnell (Faz 1995, Cosmas), werbestarke Markenartikler wie Ferrero (Zeit 1996, Cosmas), Bücher, die warm undfreundlich sind, brüllkomisch und tränentreibend sentimental (Amica 9/ 1998, S. 22), der Die Wortbildungsarten 79 krachdürre Busch [Afrikas] ringsum, alles beginnt unwirklich zu glühen (Geo 1/ 1999, S. 109). Semantisch sind die Beziehungen zwischen Adjektiv und determinierendem Verb eher beschränkt. Häufig wird ein konsekutives, d.h. Folgen angehendes Muster genutzt, z.B. eine tropfnasse Hose ‘eine Hose, die so nass geworden ist, dass sie tropft’. Daneben gibt es vor allem ein kausales, d.h. Ursachen angehendes Muster, z.B. in die Schuljugend, französisch lernblass, eifrig, wohlgesittet (Koeppen 1961, S. 83) ‘blass vom Lernen’. Keine Komposita sind m.E. Wortbildungsprodukte wie debattierfreudig, kauflustig, sammelwütig. Ich analysiere sie als -/ 'g-Derivate zu Nomina wie Debattierfreude, Kauflust, Sammelwut. 4.1.1.2.4 Das Konfix-Adjektiv-Kompositum Bei weitem nicht alle Konfixe sind kompositionsgliedfähig, so die meisten Konfixe des Typs fanat-, faszin-, ident- (z.B. in fanatisieren, Fanatismus). Diese Konfixe bilden überwiegend nur Derivate. Aber auch die besonders zur Nomenkomposition herangezogenen Konfixe wie bio- und thermkommen als Ersteinheiten von Adjektiven eher selten vor. Sie werden meist mit entlehnten Adjektiven kombiniert, z.B. bioaktiv, geopolitisch, ökosozial, thermonuklear. Vgl. auch ökolibertär (Taz 1999, Cosmas), die philoarabische Fraktion (Taz 1991, Cosmas). 4.1.1.2.5 Das adjektivische Konfix-Kompositum Konfixe können als Ersteinheiten nicht nur zusammen mit Adjektiven adjektivische Komposita bilden (z.B. bioaktiv), sondern werden auch mit einer begrenzten Anzahl von als Zweiteinheiten vorkommenden Konfixen zu Adjektiven kombiniert, z.B. bibliophil, homonym, megaloman, xenophob. Vgl. auch bibliophil? oder bibliosoph? Oder vielleicht gar bibliomanisch? (Taz 1990, Cosmas). Im Vergleich zum nominalen Konfix-Kompositum nutzen Sprecherschreiber diese Möglichkeit allerdings eher selten. 80 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Adjektivkomposita können außerdem zusammengesetzt werden aus adjektivisch markierten Konfixen als Zweit- und Wörtern als Ersteinheiten. Dabei werden als Ersteinheiten vor allem Nomina herangezogen; Wortbildungsprodukte dieses Typs sind allerdings weitgehend Gelegenheitsbildungen, z.B. kölnophil, tütophob. Vgl. auch die hektische und suchtophile Gesellschaft (Taz 1993, Cosmas), dönerphobe Zeitgenossen (Zeit 1996, Cosmas). Sehr selten werden zur Komposition mit adjektivischen Konfixen sonstige Ersteinheiten herangezogen, z.B. ein Adjektiv wie in der libertärophile Schreibknecht des FAZ-Feuilletons (Taz 1995, Cosmas); das Adjektiv ist allerdings eher nominal zu interpretieren als ‘der das Libertäre liebende Schreibknecht’. Prinzipiell ist die sich im Deutschen gerade erst entfaltende Konfixbildung aber wohl offen für Muster mit weiteren Einheiten. 4.1.1.2.6 Das Satz-Adjektiv- und das Phrase-Adjektiv-Kompositum Offenbar neigen Sprecherschreiber, obwohl dies vom System her angeboten wird, nicht dazu, Adjektivkomposita mit einem Satz oder einer Phrase als Ersteinheit zu bilden. Es lassen sich nur wenige Phrase-Adjektiv-Komposita belegen, z.B. vielhundertmetertiefe Abgründe (Weltbühne 1979, nach Fleischer/ Barz 1995, S. 250), Mozart müsse vor allem Karl-Böhm-schön sein (Taz 1991, Cosmas), eine zweibibeldicke Computerendlosrechnung (Kinder 1997, S. 114), nachthimmelschwarz, ach was, abgestandenesgetriebeölschwarz (Taz 1999, Cosmas). Satz-Adjektiv-Komposita dagegen sind mir noch nicht begegnet, z.B. 1 ich-fass-es-einfach-nicht-laut. 4.1.1.2.7 Das adjektivische Kompositum mit anderen Einheiten Als Ersteinheiten bei der adjektivischen Komposition werden außer Nomina, Adjektiven, Verben und Konfixen auch wenige andere Einheiten herangezogen. Es kommen vor: - Präpositionen, z.B. in übervorsichtig, vorschnell, vorwissenschaftlich, widernatürlich. Dagegen bringt in Wortbildungsprodukten wie mitentscheidend, mitschuldig, zugeknöpft bereits die Basis (mitentscheiden, Mitschuld, zuknöpfen) die Präposition mit; die Präposition wird nicht erst an das Adjektiv angefügt; solche Wortbildungsprodukte sind demnach Die Wortbildungsarten 81 nicht Komposita aus Präposition und Adjektiv, sondern Derivate: Mitschuld + -ig. - Pronomina, z.B. ichbezogen. Wortbildungsprodukte mit in der Forschungsliteratur auch als Zahlwörter interpretierten Ersteinheiten wie dreitürig verstehe ich mit Zifonun, G. et al. (1997) als Derivate mit einem Adjektiv {drei). Vgl. Exkurs 18. Entscheidet sich ein Sprecherschreiber für eine systemgemäße Zusammenschreibung, werden die Wortbildungsprodukte als Komposita analysiert. Das gilt auch für eher seltene Zusammensetzungen wie in zwischen beinahegleichen Wörtern (Herder, nach Fleischer/ Barz 1995, S. 249), endet in einer quasi-akademischen Auseinandersetzung (Taz 1994, Cosmas), mit den extrafröhlichen Linkssentimentalen (Taz 1996, Cosmas), diese immerbrünette, immersommerliche, immermädchenhafte Haut (Hahnfeld 1996, S. 51). Dass sie als ein (! ) Wort erscheinen, ist eine individuelle Schreib- und vielleicht auch Denkgewohnheit, die mutmaßlich eine kompositaeigene Betonung mit sich bringt. Daneben aber auch als quasi redaktionellen Beitrag (Taz 1986, Cosmas), ein beinahe alltäglicher Fall (Berliner Zeitung 1997, Cosmas), extra trashige Nacktfotos (Berliner Zeitung 1997, Cosmas). 4.1.1.3 Das verbale Determinativkompositum Die Komposition der Verben spielt im Deutschen eine untergeordnete Rolle; in der Forschungsliteratur wird sogar häufig überhaupt bestritten, dass es Verbkomposition gibt. Folgende Verbtypen stehen dabei zur Diskussion: - Verben des Typs radfahren, Schönschreiben, kennenlernen, abstoßen - Verben des Typs übernachten - Verben des Typs Spritzgießen, schleifpolieren - Verben des Typs überblicken Die Bestandteile von Verben des Typs radfahren, Schönschreiben, kennenlernen sowie abholen, eingehen, vorsehen werden in vielen Kontexten getrennt, z.B. er schreibt schön, er holt das Buch ab. Daher können diese 82 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Verben nicht als Komposita verstanden werden, denn bei der Komposition werden ausschließlich Wörter, d.h. syntaktisch nicht trennbare Einheiten, produziert. Dass es sich bei Verben dieses Typs nicht um Wörter handelt, berücksichtigt übrigens zum Teil auch die gültige Orthografie, nach der nun gilt: Radfahren (analog bisherigem Auto fahren), kennen lernen und schön schreiben (jedoch weiterhin: schönreden). Solche Gefüge interpretiere ich als Präverbfugungen. Vgl. Exkurs 2. Dagegen sind die Einheiten der eher seltenen Verben des Typs übernachten, überwintern, unterkellern syntaktisch nicht mobil, z.B. er übernachtet im Büro. So auch Auf entlegenen Alpen wurde übersömmert (Hürlimann 2001, S. 10). Diese Verben sind Wortbildungsprodukte; ich analysiere sie als Konvertate aus Phrasen wie über Nacht. Vgl. 4.2.2.3. Als Determinativkomposita zu definieren sind dagegen Verben des Typs schleifpolieren. Die beiden Einheiten sind, soweit erkennbar, fest miteinander verbunden (er *poliert schleif)-, die erste Einheit bestimmt die zweite näher: ‘polieren und zwar durch Schleifen’. Komposita dieses Typs finden sich vor allem in den technischen Fachsprachen, z.B. brennhärten, sprengnieten, schwingschleifen (nach Reinhardt 1966, S. 186), seltener auch in der Belletristik, z.B. grinskeuchen, zuckschlingen, schnaufwittern (nach Fleischer/ Barz 1995, S. 295), Ich streute zu allem Überfluß noch kroßgebackene Schweinespeckbrösel über den Rohkostsalat und knirschkaute genüßlich (Lander 1995, S. 110). ln der Forschungsliteratur werden solche Verben häufig als Kopulativkomposita interpretiert; diese Interpretation ist jedoch nicht zwingend, meist sogar zweifelhaft. Vgl. dazu Exkurs 17. Auch Verben des Typs überblicken verstehe ich als Komposita. Sie bestehen aus einer Präposition und einem Verb. Die Präposition determiniert das vom Verb Bezeichnete vor allem hinsichtlich des Raumes, z.B. das Messer durchdringt den Stoff sie hinterlässt ihm ein Vermögen, er übergießt den Braten mit Wein, sie unterschreibt mit Blut, er widerlegt ihre Thesen. Bei Verben mit über und unter wird häufig auch ein Zuviel bzw. Zuwenig ausgedrückt, z.B. er übernimmt sich, sie unterfordert ihn. Die Bedeutung der frei vorkommenden Präposition wird dabei verschliffen. Die Wortbildungsarten 83 Darüber hinaus finden sich einige etablierte nichttrennbare Verben wie frohlocken, nachtwandeln, vollbringen, vollenden, vollführen, vollziehen, wiederholen, die der Definition nach ebenfalls den Komposita zugerechnet werden müssen. Weitere Verben nach diesem Muster bilden Sprecherschreiber aber offenbar gegenwärtig nicht. 4.1.1.4 Das konfixale Determinativkompositum Dass durch Komposition Konfixe wie geolog-, also gebundene Einheiten entstehen, ist ein Sonderfall der Wortbildung, bei der ja eigentlich nur Wörter, also frei vorkommende Einheiten, entstehen. Konfixe bilden als Zweiteinheiten nicht nur mit Konfixen oder Wörtern zusammen Nomina und Adjektive (z.B. Astronaut, bibliophil (vgl. 4.1.1.1.5 und 4.1.1.2.5)), sie bilden auch komplexe Konfixe, die Basen von Derivaten sind: So werden z.B. die Konfixe geo- und -log zu einem komplexen Konfix geologzusammengesetzt, das mittels üblicher Wortbildungsaffixe wie -e, -ie, -isch abgeleitet wird zu Geologe, Geologie, geologisch. geo- + -log —> geolog- Einige dieser komponierten Konfixe haben sich bereits etabliert, z.B. biolog-, ethnolog-, sinolog-, logopäd-, pädagog-, die Möglichkeiten sind aber prinzipiell offen, z.B. für die Komposition eines Konfixes wie dromolog-, vgl. der sich gerne als „Dromologe“, also als Geschwindigkeitsforscher bezeichnet (Taz 1991, Cosmas). Auch die Zusammensetzung aus entlehnter oder einheimischer Ersteinheit + Konfix wird von Sprecherschreibem genutzt, vgl. komplexe Konfixe wie leicholog-, kulturolog-, krokodilolog in Leichologe (Taz 1994, Cosmas), mit kulturologisch orientierten Arbeiten (Zeit 1996, Cosmas), Krokodilologe (Taz 1997, Cosmas). 84 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 4.1.1.5 Das Determinativkompositum anderer Wortarten Nicht nur Nomina, Adjektive, Verben und Konfixe entstehen durch Komposition, sondern auch andere Wortarten, z.B. - Präpositionen, z.B. gegenüber. - Partikeln, z.B. durchaus, vielleicht. - Junktoren, z.B. wobei. - Artikel, z.B. wieviele. Alle diese Komposita sind etabliert; mit einem nennenswerten Zuwachs zum Bestand ist kaum zu rechnen; Gelegenheitsbildungen sind in diesem Bereich ohnehin eher auszuschließen. Wesentlich häufiger und durchaus auch okkasionell kommen dagegen vor - Adverbien, z.B. deshalb, fortan, herauf, kopfüber, sofort, treppab, treppauf woher, wohin', vgl. auch Ameisen krabbelten strumpfauf (Kästner 1957, S. 109), der Weg ging bergan, in Kurven / lügc/ aw/ YKoeppen 1961, S. 88), Sie las jahrsüber den Kalender dreibis fünfmal (Strittmatter 1963, S. 29), Meier ließ sich hinüber fallen (Kinder 1997, S. 11), liefen wir ein Stück flußauf (Calvin 2000, S. 58), Nebelschwaden wallten da wandauf (Hürlimann 2001, S. 117). Determinativkomposita sind im Deutschen also sehr vielfältig; hier stehen zahlreiche Bildungsmuster zur Verfügung, die, besonders im Bereich der Nomenbildung, auch vielfältig genutzt werden. Deutlich weniger werden im Deutschen Kopulativkomposita gebildet. 4.1.2 Das Kopulativkompositum In der Forschungsliteratur unterteilt man Komposita traditionell in Determinativ- und Kopulativkomposita. Gebildet werden vor allem Determinativkomposita; der Anteil der Zusammensetzungen, die in der Forschungsliteratur als kopulative Verbindungen betrachtet werden, ist jedoch keineswegs Die Wortbildungsarten 85 gering: Pümpel-Mader et al. (1992, S. 43) rechnen ein Viertel ihrer Adjektivkomposita zu den Kopulativkomposita. Das Erklärungsmodell Kopulativkompositum ist auch m.E. notwendig, um die morphologische und semantische Struktur einiger Adjektivkomposita beschreiben zu können. Adjektivkomposita wie in deutsch-armenische Beziehungen, Armeniens rot-blau-aprikosenfarbene Flagge, eine krummgelbe Banane lassen sich nämlich nicht als Determinativkomposita analysieren, weil sie deren wesentlichen Defmitionskriterien nicht entsprechen: Sie sind nicht immer binär strukturiert: rot{ 1 )-blau(2)-aprikosenfarben(Vj Die erste Einheit bestimmt keineswegs die zweite Einheit semantisch näher, so bedeutet schwarzweiß eindeutig ‘schwarz und weiß, sowohl schwarz als auch weiß’, z.B. ein schwarzweißes Schachbrett, ein schwarzweißes Zebra. Und auch im Bananenkontext soll wohl mit krummgelb eher nicht *‘gelb, und zwar krumm’ ausgedrückt werden; zwar ist unter bestimmten Umständen ein krummes Gelb vorstellbar, aber näher liegt die Interpretation, dass der Sprecherschreiber die Banane als krumm und gelb beschreiben will. Hier sind die Einheiten also semantisch gleichgeordnet. Vgl. auch ein großes, mager-strenges Mädchen (Fuchs 1992, S. 19), zu einem blutig-stummen Häuflein zusammengeschlagen (Schneider 1992, S. 57), hagerstrenge Jesuiten (Hürlimann 2001, S. 97). Bei der Abgrenzung der Kopulativvon den Determinativkomposita wird häufig auf die prinzipielle Unvertauschbarkeit der Einheiten in Determinativkomposita im Gegensatz zur Vertauschbarkeit der Einheiten in Kopulativkomposita hingewiesen. Damit ist gemeint, dass charakteristischerweise die Einheiten von Determinativkomposita nicht vertauscht werden können, ohne dass eine wesentliche Bedeutungsveränderung eintritt: fingerlang ist nicht Langfinger. Dieses Merkmal trifft auf Determinativkomposita zu (vgl. Donalies 1999b), es eignet sich jedoch nicht zur Abgrenzung der Determinativvon den Kopulativkomposita, denn auch bei Kopulativkomposita sind Vertauschungen mitunter aus semantischen Gründen nicht möglich. Zwar lassen sich tatsächlich auch wenn dies so nicht etabliert ist bei einigen Kopulativkomposita die Einheiten verkehren, z.B. ist relativ egal, ob man schwarzweißes Schachbrett oder weißschwarzes Schachbrett sagt. Zum gro- 86 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick ßen Teil sind aber die Einheiten von Kopulativkomposita nur bedingt vertauschbar, u.a. weil eine bestimmte Reihenfolge signalisiert werden soll, z.B. in eine rot-gelb-grüne Ampel, Armeniens rot-blau-aprikosenfarbene Flagge. Auch für den Autor folgender Beschreibung ist es offenbar relevant, welche Reihenfolge die Farbadjektive des Kompositums haben: In seinem grünbraunen Anzug - oder ist er braungrün? wer weiß sieht er aus wie ein Hundedompteur (Vicouly 1996, S. 233). Ob außer einigen Adjektivauch einige Nomen- und Verbkomposita den Kopulativkomposita zugeordnet werden müssen, z.B. Hosenrock oder knirschkauen, ist in der Forschungsliteratur umstritten. Aus den Erkenntnissen der Forschungsliteratur ergibt sich für mich, dass das Erklärungsmodell Kopulativkompositum für Nomina und Verben nicht unbedingt gebraucht wird. Hosenrock und knirschkauen lassen sich jedenfalls auch als Determinativkomposita lesen; die kopulative ist nur eine Lesart neben den determinativen Lesarten. Exkurs 17: Das Kopulativkompositum in der Forschungsliteratur Dass das Phänomen Kopulativkomposition schon immer umstritten war, sieht man bereits an der verwirrenden Vielzahl der konkurrierenden Termini: Kopulativkomposita werden u.a. auch bezeichnet als appositive, appositioneile oder Komposita mit appositionellem Verhältnis (Grimm 1826, nach Breindl/ Thurmair 1992, S. 33, Anm. 2, kritisch zum Terminus Neuß 1981, S. 32), als Dvandva (kritisch zum Terminus Breindl/ Thurmair 1992, S. 38f.), als koordinierte, koordinative oder Koordinativkomposita (Lang 1977, S. 258), als konjunktive Komposita (Kanngiesser 1985, zit. nach Fleischer/ Barz 1995, S. 46), als attributive Komposita, Additiva, additive oder additioneile Komposita (Pümpel-Mader 1992), als Anreih-Komposita, Reihenwörter, Zwillingsformen oder Verbindungszusammensetzungen. Alle Termini meinen aber das gleiche Phänomen. Gemeinsam ist nämlich allen Definitionen: Kopulativkomposita haben gleichgeordnete Einheiten; eine determinative Relation ist ausgeschlossen. So kann z.B. in schwarzweißes Schachbrett die zweite Einheit weiß semantisch keinesfalls durch schwarz bestimmt sein: *‘weiß, und zwar schwarz’. Darin unterscheidet sich ein Kompositum wie schwarzweiß ‘schwarz und weiß’ elementar von einem Kompositum wie schneeweiß ‘weiß, und zwar wie Schnee’. Diese Abgrenzung ist in der Forschungsliteratur unumstritten; umstritten ist dagegen, welche Komposita diesem Erklärungsmodell Kopulativkompositum zugerechnet werden sollen. Die Wortbildungsarten 87 Diese Frage beantwortet man am besten nach Wortarten differenziert, denn für die Wortbildung „ist heute unstrittig, dass die Ausprägung des Wortbildungssystems in hohem Maße von morphosyntaktischen Merkmalen der Wortarten bestimmt ist und dass das System eben deshalb strikt wortartenverschieden und mit explizitem Bezug auf die Wortartenmerkmale beschrieben werden sollte“ (Barz 2000, S. 301). Dabei ergibt sich, dass es nicht notwendig und auch nicht sinnvoll ist, eine eigene Wortbildungsart Kopulativkomposition für Nomina und Verben anzusetzen (vgl. Breindl/ Thurmair 1992, Donalies 1996). Einige Adjektive dagegen können nur mit dem Modell Kopulativkompositum erklärt werden (vgl. Donalies 1996). - Das nominale Kopulativkompositum: Traditionell werden in der Forschungsliteratur Komposita des Typs Hosenrock, Fürstbischof, Radiowecker, Kinocafe, Kleiderschürze, Dichterkomponist und Ministerfreund als Kopulativkomposita angesehen (vgl. Ortner et al. 1991). Wie Breindl/ Thurmair (1992) analysiert haben, kann aber nichts „die Existenz zweier eindeutig distinkter Kategorien Kopulativkomposita und Determinativkomposita innerhalb der N-N-Komposita rechtfertigen“. Solche Komposita können zwar auch kopulativ gelesen werden, nämlich als ‘Dichter und Komponist’, allerdings immer neben determinativen Lesarten wie ‘Dichter, der auch Komponist ist’, ‘komponierender Dichter’. Zudem ist die kopulative Lesart keineswegs die dominante. Wie u.a. Befragungstests ergaben, ist sogar häufig „die kopulative Interpretation gerade nicht die naheliegendste, ja vielmehr offensichtlich kontraintuitiv“ (ebd., S. 52). - Das verbale Kopulativkompositum: Gelegentlich werden in der Forschungsliteratur die sehr seltenen Komposita des Typs Spritzgießen und grinskeuchen als Kopulativkomposita angesehen. Vorsichtiger äußert sich dazu Eichinger (2000a, S. 106), der die „Existenz einzelner kopulativer Bildungen“ im Verbbereich nicht bestreiten möchte. Komposita dieses Typs begegnen offenbar nur in bestimmten Textsorten, vor allem in der technischen Fachsprache und der Belletristik. Sie sind deutlich verwendungsbeschränkt. So kommen verbale Kopulativkomposita meist nur als infinite oder als Nominalformen vor, z.B. das Feinziehschleifen (Schütze 1969, S. 424f). Wie bei den Nomina gilt auch hier, dass alle kopulativen Verbkomposita auch determinativ gelesen werden können, z.B. grinskeuchen als ‘grinsen und keuchen’ neben determinativem ‘keuchen, und zwar grinsend’. Fleischer/ Barz (1995, S. 295) nehmen an, dass zumindest bei den fachsprachlichen Zusammensetzungen die determinative Lesart grundsätzlich näher liege, „da das Erstglied in der Regel als modale Spezifizierung des Zweitgliedes verstanden wird“. „Wenn es sich auch um den gleichen Ablauf von zwei Vorgängen handelt, so ist doch der eine dem anderen in starkem Maße untergeordnet“ (Reinhardt 1966, S. 192). Folgt man seiner Analyse, nach der „von den mit Kontext vorliegenden Beispielen [...] nicht eines die Ausdeutung als Kopulativkompositum“ zulässt (ebd., S. 191), so „kritisiert Reinhardt [...] zu Recht die westdeutsche Duden-Grammatik, die diesen Typ {ziehschleifen) als kopulative Zusammensetzung zweier Verben ansieht“ (Schütze 1969, S. 422). Ebenso wie die kopulativen Nomenkomposita sollten die kopulativen Verbkomposita 88 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick demnach als Determinativkomposita eingestuft werden, die mitunter auch eine kopulative Lesart haben. Vgl. Donalies (1996, S. 275f.). - Das adjektivische Kopulativkompositum: Traditionell werden in der Forschungsliteratur Komposita des Typs graugrün, schwarz-weiß, schwarz-weiß-gelb, höflich-bestimmt, bitter-süß, deutsch-armenisch, ottonisch-salisch als Kopulativkomposita angesehen. Grundsätzlich gilt auch für die Adjektivkomposita, dass die nicht nur kopulativ, sondern auch determinativ interpretierbaren Zusammensetzungen als Determinativkomposita analysiert werden sollten, z.B. rotbraun ‘braun, und zwar ins Rote tendierend’, höflich-bestimmt ‘bestimmt, dabei aber höflich’, bitter-süß ‘süß, dabei aber doch auch irgendwie bitter’. Wie leicht zu erkennen ist, sind jedoch einige dieser Adjektive keinesfalls determinativ interpretierbar: In deutsch-armenische Beziehungen wird armenisch eben gerade nicht durch deutsch semantisch näher bestimmt; ebenso wenig aprikosenfarben in rot-blau-aprikosenfarben durch rot-blau. Vgl. Donalies (1996, S. 277-285). Bei der Komposition ist also die Bildung nominaler, adjektivischer und verbaler Determinativkomposita (z.B. Hutschachtel, Biotop, zitronengelb, biblioman, knirschkauen) abzugrenzen von der Bildung adjektivischer Kopulativkomposita (z.B. armenisch-deutsch). Zur Komposition rechne ich außer der Determinativ- und Kopulativkomposition auch die selteneren Wortbildungsarten Reduplikation (z.B. Wirrwarr, Schickimicki) und Kontamination (z.B. Mammufant, fahradiesisch). Im Folgenden werden diese beiden Unterarten der Komposition erläutert: - Die Reduplikation - Die Kontamination 4.1.3 Die Reduplikation Die Reduplikation (zu lat. reduplicare ‘verdoppeln, wiederholen’), auch Iteration genannt (zu lat. iteratio ‘Wiederholung’), ist eine kaum produktive Wortbildungsart, bei der durch Doppelung eines Wortes ein Kompositum gebildet wird. Überwiegend wird dabei der Vokal variiert, relativ regelmäßig i zu a, z.B. Mischmasch (zum Verbstamm misch-), Wirrwarr (zum Adjektiv wirr), Tingeltangel (zum Verbstamm tingel-), mitunter wird auch der Anlaut verändert, z.B. Schickimicki (zu schick). Reduplikationsprodukte gehören in der Regel einem eher legeren Sprachstil an. Die Wortbildungsarten 89 Nicht zur Reduplikation gehören m.E. Onomatopoetika wie Kuckuck, Tamtam, Wauwau, die nicht aus Wörtern gebildet, sondern lautmalerisch urgeschöpft werden. Sie sind besonders im Umgang mit Kindern gebräuchlich. Vgl. 2.4. Ebenfalls nicht als Reduplikationsprodukte, sondern als Determinativkomposita verstehe ich die so genannten Selbstkomposita, die vorrangig der Hervorhebung dienen, z.B. Film-Film, graugraue Hemden: Graugraue Hemden sind unter allen grauen Hemden dadurch hervorgehoben, dass sie als besonders grau wahrgenommen werden. 4.1.4 Die Kontamination Die Kontamination (zu lat. contaminare ‘miteinander in Berührung bringen’), auch Wortkreuzung, Wortverschmelzung, Wortmischung, Kontraktion oder nach engl. Vorbild Blending genannt, ist eine nicht besonders produktive Wortbildungsart, bei der in der Regel zwei Wörter ineinander verschachtelt werden, z.B. Mammufant: Mammut + Elefant Morphologisch sind dabei zwei Typen von Kontaminationsprodukten zu unterscheiden: Zum einen Komposita wie Mammufant, deren Einheiten keine gemeinsamen Lautbzw. Buchstabenfolgen haben und daher einfach irgendwie, z.B. nach Kriterien der phonologischen Wohlgeformtheit, ineinander geschoben werden, und Komposita wie Lakritzelei (Heringer 1989, S. 192) oder Kurlaub, deren Einheiten gemeinsame Lautbzw. Buchstabenfolgen haben und die sich genau darin überschneiden: Lakritz + Kritzelei Gebildet werden vor allem Nomina, seltener auch Verben und Adjektive, z.B. Demokratur, Pädagongschlag, akadämlich (ebd.), Rüpelradler seien sie und Rowdies [...], die sich ,fahradiesische Freiheiten“ herausnähmen (Taz 1991, Cosmas), Anpasser-Wossi (Spiegel 1993, Cosmas), Dann könne jeder, der wolle, gefahrlos [...] in künstliche Paradiese ab- oder auch nur seine Stimmung anheben. Bis es solche „Utopiate“ (von utopische Opiate) geben wird [...] (Zeit 1995, Cosmas), eine nicht ungefährliche Etymogelei (Faz 90 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 1995, Cosmas), Ich bin ein Gourmeggle (Werbespruch für Kräuterbutter der Firma Meggle, nach Hars 1999, S. 169). Die Kontamination bedingt, dass bei den beteiligten Einheiten Lautbzw. Buchstabenfolgen wegfallen. Dies hat sie mit der Kurzwortbildung gemeinsam. Kontamination ist aber keine Kurzwortbildung. Bei der Kurzwortbildung wird nämlich ein Wort oder eine Phrase zu einer inhaltlichen Dublette verkürzt (z.B. Auszubildender —> Azubi, Institut für Deutsche Sprache —> IDS, vgl. 4.4), während bei der Kontamination mindestens zwei Wörter zu einem inhaltlich ganz neuen Wort zusammengefügt werden. Vielmehr ist Kontamination ein Untertyp der Komposition. Wie bei anderen Komposita (z.B. Königsmantel) wird auch bei der Kontamination ein Wort gebildet durch Zusammensetzung von mindestens zwei Wörtern. Die Besonderheit ist die Verschachtelung. Vgl. Cannon (2000). Kontaminationsprodukte beruhen mitunter auf einem Versprecher (z.B. sich vereinstimmen aus sich verständigen und übereinstimmen). Auch Kinder, die Sprache ja erst noch üben, erfreuen sich und ihre Umwelt gelegentlich mit Kontaminationen (z.B. Advester <— Advent + Silvester oder Nilwurf <— Nilpferd + Maulwurf). Die meist gehemmteren Erwachsenen nehmen Kontaminationsprodukte überwiegend als auffällige Wortwitzeleien; konservative Sprachkritiker finden Kontaminationsprodukte mitunter sogar verdammenswert. Vgl. darüber u.a. Windisch (1993). Kontaminationsprodukte lenken in der Tat die Aufmerksamkeit auf sich; die meisten sind Gelegenheitsbildungen. Nur selten finden sich Kontaminationsprodukte mit Bestand in der Standardsprache, z.B. Kurlaub, jein. Die in der Forschungsliteratur ansonsten mitunter angeführten Beispiele etablierter Kontaminationsprodukte wie Motel, Smog und neuerdings Netiquette sind aus dem Englischen entlehnt, also keine im Deutschen gebildeten Wörter. Von der Kontamination abzugrenzen sind die so genannten Verschmelzungen oder Portmanteau-Morpheme (z.B. am, beim, unters), die nicht zur Wortbildung sondern zur Syntax gehören. Außer den Reduplikaten und Kontaminationsprodukten rechne ich auch einige der so genannten Zusammenbildungsprodukte (z.B. Appetithemmer) zur Komposition. Sie jedoch wie die Reduplikate oder wie die Kontaminati- Die Wortbildungsarten 91 onsprodukte als eigenen Kompositatyp anzusetzen, ist nicht nötig. Wörter wie Appetithemmer lassen sich als Determinativkomposita mit der Lesart ‘Hemmer des Appetits’ analysieren. Exkurs 18: Die Zusammenbildung Unter Zusammenbildung, einem „von W. Henzen (1965), H. Pauls Anregung folgend, eingefuhrten Begriff 1 (Bzdega 1999, S. 13), wird eine verhältnismäßig produktive Wortbildungsart verstanden, mit der vor allem Nomina und Adjektive wie Appetithemmer, Dickhäuter, Vogelscheuche, blauäugig, viertürig, scharfzüngig gebildet werden. Diese Wortbildungsprodukte werden in der Forschungsliteratur verschieden analysiert und verschieden eingeordnet: Zwar den Komposita zugehörig, aber als Sonderfall betrachten sie u.a. Engel (1988, S. 522) und Eisenberg (1998, S. 222). Wörter wie Appetithemmer und viertürig sind für diese Autoren deshalb Sonderfälle, weil sie ihrer Ansicht nach den zentralen Kriterien der Komposita nicht entsprechen: Komposita bestehen ja per definitionem aus Wörtern und/ oder Konfixen. Appetithemmer und viertürig bestehen augenscheinlich jedoch nicht aus Wörtern oder Konfixen; ihre zweite Einheit ist weder ein übliches Wort (*Hemmer, *Häuter, *tiirig), noch kann sie sinnvollerweise als Konfix definiert werden: Typische Konfixe sind bio-, therm-/ -therm und ident-', Konfixe zeichnen sich dadurch aus, dass sie wie *Hemmer, *türig usw. nicht frei Vorkommen, aber anders als diese grundsätzlich basisfahig sind, d.h. mit Wortbildungsaffixen abgeleitet werden können (z.B. biotisch, thermisch, identisch, identifizieren, Identität). *Hemmer und *türig dagegen sind Derivate, d.h., sie bestehen aus erstens einer Basis {hemm- und Tür) und zweitens einem Wortbildungsaffix (-er und -ig). Mitunter werden Wortbildungsprodukte wie Appetithemmer dieser Besonderheit wegen auch als Mischphänomene der Komposition und Derivation bzw. als eigenständige Zwischenphänomene zwischen Komposition und Derivation gestellt, so u.a. bei v. Polenz (1980, S. 170). Häufig wird außerdem der Unterschied zwischen Zusammenbildung und Zusammenrückung nicht klar getroffen. Vgl. dazu den fundiert kritischen Forschungsüberblick bei Leser (1990). Auf den Terminus Zusammenbildung „und die damit explizierte Sonderstellung der betreffenden Wortbildungskonstruktion kann“ jedoch „verzichtet werden“ (Fleischer/ Barz 1995, S. 47; so auch Leser 1990, S. 107); die Wortbildungsprodukte lassen sich als explizite Derivate bzw. als Komposita bestimmen: Recht plausibel ist der Vorschlag von Fleischer/ Barz (zuletzt 1995, S. 46f, so auch Ortner et al. 1991, S. 121f), Wörter wie Appetithemmer, Arbeitnehmer oder viertürig generell als explizite Derivate mit einer Phrase als Basis zu analysieren: (den) Appetit hemm(en) + -er vier Tür(en) + -ig 92 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Gegen diese syntaktisch argumentierende Analyse spricht jedoch, wie Leser (1990, S. 30) einwendet, dass die zugrundeliegende Phrase mitunter „nicht einer frei auftretenden (syntaktischen) Wortgruppe entspricht“, z.B. bei Grablegung gegenüber ins Grab legen, Dankeschön gegenüber Ich danke schön. Bei Wortbildungsprodukten aus und mit Phrasen wird die Phrase nun aber normalerweise nicht um Wortbestandteile gekürzt (z.B. bei ihr Das-darf-doch-nicht-wahr-sein-Augenaufschlag, ein Füralle-Fälle). Daher analysiert Leser in Analogie zu den englischen synthetic compounds (z.B. blue-eyed) Wortbildungsprodukte wie Appetithemmer und viertürig generell als Determinativkomposita; er segmentiert in Appetit + Hemmer vier + türig Dass die zweiten Einheiten normalerweise nicht Vorkommen, begründet Leser damit, dass sie eine semantische Spezifizierung verlangen, z.B. Hemmer ebenso wie das Verb hemmen eine Spezifizierung dessen, was gehemmt wird (z.B. hemm- + den Appetit, Hemmer + des Appetits). Dieses Phänomen ist in der Linguistik als Argumentvererbung oder argument-linking principle bekannt (vgl. u.v.a. dazu Rickheit 1993 und Golonka 1998). Die vom Basisverb geerbten Argumente sind in der Regel fakultativ: So braucht z.B. begehobligatorisch einen Akkusativ (die Kommision begeht das Institut versus *die Kommission begeht), Begehung aber braucht kein Argument (die Begehung ist vorbei), kann es aber auch übernehmen (die Begehung des Instituts). Bei Zweiteinheiten wie Hemmer geht Leser davon aus, dass sie wie das Verb ein Argument fordern. Auch Einheiten wie türig, beinig, armig, äugig, rädrig benötigen seiner Hypothese zufolge in Normalkontexten eine Spezifizierung; sie sind für sich genommen semantisch sinnlos: Dass Autos Türen und Menschen Beine haben, muss für gewöhnlich ja nicht eigens ausgedrückt werden, hingegen ist z.B. kommunikationsrelevant, wie viele Türen ein Auto (z.B. zwei oder vier) und wie beschaffene Beine ein Mensch hat (z.B. kurze oder krumme). In diesem Sinne versteht Leser Einheiten wie Hemmer als Wörter, also als syntaktisch frei vorkommende Einheiten; es sind eben Wörter, die eine bestimmte semantische Umgebung verlangen: der Hemmer meines Appetits. Für Lesers Kompositionshypothese spricht übrigens auch, dass einige dieser Wortbildungsprodukte das kompositionstypische Fugen-.vzeigen, z.B. Idühlingsbliiher (Schenk 1998, S. 100). Lesers Ansatz ist im Prinzip also stimmig, doch sollte folgender elementare Unterschied nicht übersehen werden: Während Appetithemmer ein normales Determinationskompositum mit Determinativrelation ist (Hemmer des Appetits, vgl. auch Rektionskomposita wie Romanleser), trifft dies auf Wörter des Typs Dickhäuter und viertürig nicht zu. Hier bestimmt die erste Einheit ja nicht die zweite semantisch näher (*dicker Häuter), vielmehr wird die Ableitungsbasis der zweiten Einheit (Haut, Tür) detenniniert (dicke Haut, vier Türen). So auch in war A. weichbeinig zur Theke gegangen (Broch 1950, S. 160), weißzahnig lachend eine Zigeunerin (Rezzori 1999, S. 382). Insofern ist es plausibler, derartige Wortbildungsprodukte als Phrasenderivate zu sehen: dicke Haut + -er (vgl. Donalies 2001). Die Wortbildungsarten 93 Daraus ergibt sich, dass die Kategorie Zusammenbildung nicht benötigt wird; die fraglichen Wortbildungsprodukte lassen sich analysieren als: - Determinativkomposita mit deverbalen Zweiteinheiten und determinierenden Ersteinheiten: Appetithemmer, Vogelscheuche. Komposita dieses Typs haben in der Regel eine nominale Ersteinheit. - Explizite Derivate aus denominalen bzw. deverbalen Zweiteinheiten (z.B. Häuter, Seher) und adjektivischen Ersteinheiten, die die Basis der Zweiteinheit attribuieren: Dickhäuter, Schwarzseher, Langschläfer, viertürig, blauäugig. Derivate dieses Typs enthalten im Gegensatz zu den Komposita des Typs Appetithemmer ein Adjektiv, das allerdings anders als die adjektivische Ersteinheit in Determinativkomposita (z.B. in Sauerkraut) nicht die zweite Einheit näher bestimmt: Sauerkraut ist saures Kraut, ein Langschläfer aber kein langer Schläfer. Zur Komposition werden in der Forschungsliteratur außer den Zusammenbildungsprodukten mitunter auch die Produkte der so genannten Zusammenrückung gerechnet (z.B. Vergissmeinnicht, Möchtegern), insofern hier Wörter scheinbar zusammengerückt worden sind. Diese Wortbildungsprodukte lassen sich dagegen ebenso gut als Konvertate aus Sätzen bzw. Phrasen, also als Derivate analysieren. Vgl. 4.2.2.1. Die Kategorie Zusammenrückung ist insofern ebenfalls überflüssig. Exkurs 19: Die Zusammenrückung Fleischer (1969) hat die Bildung von Nomina wie Vergissmeinnicht, Möchtegern, Dreikäsehoch, das Am-Computer-Sitzen-Müssen zunächst als eigene Wortbildungsart verstanden und dafür den Terminus Zusammenrückung geprägt, der allgemein in die Wortbildungslehre eingegangen ist (vgl. Engel 1988, S. 442, Bußmann 1990, S. 870, Meineke 1991, S. 67, Ortner et al. 1991, S. 123, Führ 1993, S. 152, Braun 1997, S. 59; zur „Bandbreite der Definitionen“ vgl. besonders Heinle 1993, S. 68f.). Die Bildung komplexer Wörter wie in das Ausbrechendürfen (Barlach 1936, S. 21), die Straße führt nur ins Undsoweiter (Noteboom 1958, S. 87), Eindrücke wieder mal von Langzuvor und Fastnichtmehrwahr (Rühmkorf 1995, S. 362) komme dadurch zustande, dass die Einheiten einfach zusammengerückt werden: Man tilgt die Spatien, die Blanks - und hat ein Wort. Fleischer/ Barz „verzichten“ inzwischen (1992 bzw. 1995, S. 49) auf „den besonderen Status und Terminus der sogenannten Zusammenrückung“. Wortbildungsprodukte wie Vergissmeinnicht, das Am-Computer-Sitzen-Müssen, ihr ewiges Das-darfdoch-nicht-wahr-sein verstehe auch ich als Konvertate aus Sätzen und Phrasen, also als Derivate. Sie erfüllen das wesentliche Kriterium der Konversion, nämlich dass ein Wechsel auf der Kategorienebene stattfmdet: Aus Sätzen und Phrasen werden 94 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Nomina. Dass nun keine eigene zusätzliche Wortbildungsart mehr angesetzt werden muss, entkompliziert die Analyse wesentlich, ohne der Exaktheit Schaden zuzufugen. Darüber hinaus ist der Terminus Zusammenrückung auch auf die Bildung von (früher zusammengeschriebenen) Wörtern des Typs feuerspeiend, blankwischen, haftenbleiben, Spazierengehen angewandt worden (in alter Rechtschreibung z.B. bei Engel 1988, S. 442, Meineke 1991, S. 67, Barz 1992, S. 83f). Dagegen verstehe ich zum einen Wortbildungsprodukte des Typs Feuer speiend als Komposita, deren klassische Kriterien sie ja erfüllen: Sie sind binär, ihre zweite Einheit legt die grammatische und die lexikalische Kategorie des ganzen Wortbildungsproduktes fest. Zum Zweiten verstehe ich Verben des Typs blank wischen und haften bleiben (wie auch die neue Rechtschreibung nahe legt) als Präverbfugungen, rechne sie also nicht zur Wortbildung, sondern sehe sie als Phänomene eines Zwischenbereichs zwischen Wortbildung und Syntax. Vgl. Exkurs 2. In der Forschungsliteratur wird außerdem mitunter die „Verschmelzung von z.B. Adverb + Präposition (fortan), Präposition + Substantiv (infolge, aufgrund)“ als Zusammenrückung bezeichnet (Bußmann 1990, S. 870). Wortbildungsprodukte des Typs aufgrund, die parallel auch als Phrasen realisiert werden (auf Grund), verstehe ich als Konvertate aus Phrasen: Aus Phrasen werden Wörter, z.B. auf Grund —> aufgrund. Das alternative und interessante Modell der Univerbierung als ein nicht zur eigentlichen Wortbildung gehörendes Wortbildungsverfahren, wie es Eisenberg (1998, S. 224ff.) präferiert, ist zur Erklärung solcher Phänomene insofern wohl auch nicht notwendig. Schließlich werden in der Forschungsliteratur gelegentlich Wortbildungsprodukte wie Waldesruhe, die synchron gegenwartssprachlich eindeutig als Determinativkomposita einzuschätzen sind, als Zusammenrückungsprodukte verstanden, weil sie sprachhistorisch auf Nominalphrasen (z.B. des Waldes Ruhe) zurückgehen. Vgl. allgemein zu diesem sprachhistorisch relevanten Phänomen der so genannten uneigentlichen Komposita prägnant Eisenberg (1998, S. 224ff. und 2004, S. 232ff), ausführlich Pavlov (1983). 4.2 Die Derivation Die Derivation (zu lat. derivare ‘leiten, ableiten, wegleiten’), auch Ableitung genannt, ist neben der Komposition eine der beiden Hauptverfahren zur Bildung von Wörtern. Vgl. auch Laca (2001), Naumann/ Vogel (2000). Bei der Derivation wird ein Wort (z.B. Gold, schön, schöner, flieg-, fliegen) oder ein Konfix (z.B. polit-, ident-) zu einem Derivat abgeleitet (z.B. goldig, Die Wortbildungsarten 95 schönen, Flieger, das Fliegen, politisch). Das Wort oder Konfix, das abgeleitet wird, wird Basis genannt. Unter dem Begriff Derivation fasse ich drei Wortbildungsarten zusammen: Erstens die explizite Derivation, d.h. die Ableitung mit Wortbildungsaffixen wie -heit, -ig, be- (z.B. schön —> Schönheit, Gold —> goldig, polit—> politisch, laden —> beladen, ident—> identifizieren), zweitens die Konversion, d.h. die Ableitung allein durch Wortartwechsel, in der Regel ohne morphologische Veränderung der Basis (z.B. angst —> Angst, fliegen —> das Fliegen, Ernst —> ernst, Fisch —> fisch(en)), und drittens die implizite Derivation, d.h. die Ableitung mit Ablaut (z.B. trinken —> tränken). Die drei Derivationsarten unterscheiden sich demnach so: Tab. 4: Unterschiede der Derivationsarten Wortbildungsaffix Ablaut Wortartwechsel explizite Derivation +/ - Konversion implizite Derivation Im Folgenden werden die Wortbildungsprodukte der Derivation dargestellt: - Das explizite Derivat - Das Konvertat - Das implizite Derivat 4.2.1 Das explizite Derivat Bei der expliziten Derivation werden explizit (d.h. ‘ausdrücklich, deutlich’) Derivate gebildet, indem vor allem an Wörter und Konfixe Wortbildungsaffixe (z.B. -heit, -lieh, -isch, be-, un-) angehängt werden. Typische explizite Derivate sind z.B. Schönheit, männlich, kryptisch, beschreiben. Explizite Derivate sind (wie Determinativkomposita) grundsätzlich binär, d.h., sie bestehen auf jeder Segmentierungsstufe aus jeweils zwei Einheiten. Sie lassen sich segmentieren in einerseits die Derivationsbasis, das sind vor 96 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick allem Wörter (z.B. Freund, schön, schreib-) und Konfixe (z.B. polit-, ident-, therm-/ -therm), und andererseits das Wortbildungsaffix (z.B. -keit und -lieh): Un( 1 )freundlichkeit{2) Freundlich) 1 )keit(2) freund) 1 )lich(2) Wie bei den Einheiten der Determinativkomposita legt die zweite Einheit des expliziten Derivats in der Regel die grammatischen Merkmale fest, also die Wortart und alle damit zusammenhängenden Merkmale wie Genus, Flexion und kategorielle Bedeutung. Die zweite Einheit eines expliziten Derivats ist entweder ein Suffix (z.B. -heit), der zweite Bestandteil eines Zirkumfixes (z.B. das -e von ge-...-e) oder eine Basis: So legt das Suffix -heit fest, dass das Derivat ein feminines Nomen ist (z.B. Schönheit, Wildheit, Klugheit), das Suffix -ig legt fest, dass das Derivat ein Adjektiv ist (z.B. zuverlässig, blauäugig, schnauzbärtig), das Suffix -ier{en) bildet Verben (z.B. hofieren, panaschieren, kumulieren), das Zirkumfix ge-...-e bildet Nomina (z.B. Gerede). Steht an zweiter Stelle die Basis, in der Regel ein Wort, richten sich die grammatischen Merkmale des Derivats nach ihr (z.B. ultracool). Ausnahmen von der Regel, wonach die zweite Einheit die grammatischen Merkmale festlegt, sind denominale und deadjektivische Präfixverben (z.B. vergolden, verarmen). Bei solchen Verben bestimmt ungewöhnlicherweise das Präfix die grammatischen Merkmale. Das Präfix ist der syntaktische Kern. Vgl. dazu Exkurs 20. Semantisch gesehen wird bei der expliziten Derivation determiniert oder transponiert: - Bei der Determination besteht zwischen den Einheiten des Derivats (genauso wie bei Determinativkomposita) ein Determinationsverhältnis. Dabei kann das Affix determinieren oder determiniert werden. Vgl. dazu 3.3.5 und 3.3.6 sowie Exkurs 12. - Die Transposition ist eine Derivationseigenart, die bei Komposita nicht Vorkommen kann. Bei der Transposition wird durch die Affigierung die grammatische Funktion (z.B. die Wortart) geändert, ohne dass die kate- Die Wortbildungsarten 97 gorielle Bedeutung verändert wird, z.B. bei bergen —> Bergung, schön —> Schönheit. Vgl. dazu 3.3.4 sowie Exkurs 5. Durch explizite Derivation entstehen: - Das nominale explizite Derivat - Das adjektivische explizite Derivat - Das verbale explizite Derivat - Das explizite Derivat anderer Wortarten 4.2.1.1 Das nominale explizite Derivat Basen nominaler expliziter Derivate sind Nomina (naturgemäß bei allen Präfigierungen, z.B. in Untat, aber auch bei Suffigierungen wie Dichterling, Häschen), Adjektive (z.B. in Frechling, Gemeinheit, Liebchen), Verben (z.B. in Begehung, Gerede, Läufer) oder Präverbfügungen (z.B. in Ausrutscher, Mitbringsel), häufig auch Konfixe (z.B. in Chronist, Demonstration, Technik, Zynismus), außerdem gelegentlich Phrasen (z.B. Dickhäuter, Langschläfer). Mit expliziter Nomenderivation werden vor allem Präfixnomina (z.B. Untat) und Suffixnomina (z.B. Schönheit), weniger Zirkumfixnomina erzeugt; Zirkumfigierung ist auch bei der Nomenbildung selten; sie ist dort auf das Zirkumfix ge-...-e beschränkt (z.B. Gerede). Im Folgenden werden die drei Typen expliziter Nomenderivate erläutert: - Das nominale Präfixderivat - Das nominale Suffixderivat - Das nominale Zirkumfixderivat 4.2.1.1.1 Das nominale Präfixderivat Viele Präfixe nominaler Derivate wie erz- (z.B. Erzfeind), hyper- (z.B. Hyperinflation), mega- (z.B. Megaparty), un- (z.B. Untat) oder ur- (z.B. Urzeit) werden auch zur Derivation von Adjektiven verwendet (z.B. erzfreundlich, 98 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick hypergemein, megamodern, unschön, urgemütlich). Vgl. auch mit Verben und Adjektiven gemeinsames ko- (z.B. in Koautor, kooperieren, ko-abhängig). Besonders im Präfixbereich haben sich zahlreiche entlehnte Einheiten etabliert, z.B. inter-, makro-, mikro-, midti-, neo-, post-, prä-, vize-. Zu intervgl. Wilss (1999), Nortmeyer (2000), zu neo-, prä- und postvgl. Kinne (2000). Präfixe der Nomenderivation determinieren die Basis, z.B. Megaparty ‘eine Party, und zwar eine besonders große, großartige, herausragende’. Einige Beispiele für nomenableitende Präfixe des Deutschen und ihre Kombinationsmöglichkeiten sind: amit der Variante an-, z.B. Apräsenz, Analphabet. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher; es dient der Negation: Apräsenz ist keine Präsenz. Vgl. Klosa (1996). erz-, z.B. Erzfeind, Erzgauner, Erzhippie, Erzkapitalist, Erzkommunist, Erzromantiker, Erzroyalist, Erzübel. Das Präfix dient der Hervorhebung: Ein Erzbischof ist unter den Bischöfen hierarchisch hervorgehoben; ein Erzgauner ist unter allen Gaunern durch sein besonders ausgeprägtes Gaunertum hervorgehoben. ex-, z.B. Exliebhaber, Exmann, Expräsident. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher als ‘gewesen’: Ein Exfreund ist die längste Zeit Freund gewesen. Vgl. Hoppe (1999). hyper-, z.B. Hyperprogramm, Hyperästhetik, Hypererregung, Hyperfunktion, Hypermoral, Hyperrassist. Das Präfix dient der Hervorhebung: Ein Hyperrassist ist aus der Menge der Rassisten dadurch hervorgehoben, dass er besonders rassistisch ist. Das Präfix drückt dabei häufig zusätzlich aus, dass ein Zuviel empfunden wird: Hyperästhetik ist eine übertriebene Ästhetik. Vgl. auch ein Hyperangebot an Einzelhandelsflächen (Taz 1996, Cosmas), manche moralischen Hyperbedenken (Zeit 1996, Cosmas). komit der Variante kon-, z.B. Koautor, Koexistenz, Koproduktion, Konrektor. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher; es bezeichnet ein Miteinander: Ein Koautor ist ein Autor mit einem anderen zusammen; eine Koproduktion ist eine gemeinsame Produktion verschiedener Produzenten. Die Wortbildungsarien 99 maxi-, z.ß. Maxibildschirm, Maxibrief, Maxifete, Maxisingle, Maxiversion. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher hinsichtlich der Größe: Ein Maxibrief ist ein im Vergleich zu den üblichen Normalbriefen räumlich großer Brief; eine Maxifete ist eine räumlich große Fete mit besonders vielen Feiernden. mega-, z.B. Megaereignis, Megaparty, Megashow. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher; es dient der Hervorhebung: Eine Megashow ist unter allen Shows durch ihre besondere Großartigkeit hervorgehoben, sie hat alle charakteristischen Eigenheiten einer Show in besonders wunderbarer Weise. mini-, z.B. Miniaktion, Minikamera, Minipreise, Minirock, Minispion. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher hinsichtlich der Größe: Eine Minikamera ist eine im Vergleich zu den üblichen Kameras räumlich kleine Kamera. miss-, z.B. Missachtung, Missgriff, Missheirat, Missinterpretation, Missklang, Missmanagement, Missvergnügen, Misswirtschaft. Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher. Es dient zum einen der Negation: Ein Misserfolg ist kein Erfolg. Zum anderen wird ausgedrückt, dass etwas schlecht ist: Eine Misswirtschaft ist eine Wirtschaft, aber eine schlechte, fehlerhafte. un-, z.B. Ungewitter, Unkraut, Unmenge, Unmensch, Unname, Unsumme, Unsitte, Untier, Unzahl. Vgl. auch Hansgünther Heyme [...] erklärte die Stadt Essen im Hinblick auf die Abrißpläne zum „Un-Partner^ (Taz 1988, Cosmas), Dobytschin zeichnet seinen kleinen Un-Helden mit Witz (Mannheimer Morgen 1989, Cosmas), Lebend war diesem Un-Ort nicht zu entkommen (Hahnfeld 1996, S. 9). Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher; es dient zum einen der Negation: Eine Untiefe ist keine Tiefe, sondern eine flache Stelle. Zum anderen wird ausgedrückt, dass etwas fehlerhaft ist: Ein Unmensch ist nicht das, was man sich gewöhnlich unter einem menschlichen Menschen vorstellt. Schließlich dient das Präfix der Hervorhebung: Eine Untiefe ist eine im Vergleich zu gewöhnlichen Tiefen besonders tiefe Tiefe; eine Unsumme eine besonders hohe Summe. Vgl. Schnerrer (1982), Lenz (1995). ur-, z.B. Uraufführung, Urbevölkerung, Ureinwohner, Urgestein, Urkirche, Urkölner, Ursprache, Urwald. Das Präfix bestimmt die Basis se- 100 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick mantisch näher hinsichtlich eines schon immer Sogewesenenseins und schon immer Dagewesenseins: Ein Urkölner ist Kölner seit Menschengedenken; die Urbevölkerung eines Landes ist die Bevölkerung, die schon immer da war, die ursprünglich da war. Dabei kann auch Hervorhebung mitschwingen: Ein Urkölner ist unter den Kölnern dadurch hervorgehoben, dass er besonders kölnerisch ist. 4.2.1.1.2 Das nominale Suffixderivat Anders als Präfixe können Suffixe nicht zur Bildung von Wörtern verschiedener Wortarten herangezogen werden; sie bestimmen ja die grammatischen Merkmale, u.a. die Wortart, sind also wortartspezifisch. Basen nominaler Suffixderivate sind vor allem Wörter (z.B. in Schönheit) und Konfixe (z.B. in identisch), mitunter auch Phrasen (z.B. in blauäugig). Mit der nominalen Suffixderivation werden u.a. Personenbezeichnungen gebildet wie Asylant, Liebchen, Schönling. Vgl. Braun (1997), Braun/ Nieuweboer (2001). Vor allem leiten Sprecherschreiber mit dem Suffix -er nomina agentis ab, d.h. Nomina, die zum einen handelnde Lebewesen bezeichnen, z.B. Argumentieren, Bäcker, Bastler, Boxer, Erbauer, Jogger, Lerner, Leugner, Prüfer, Randalierer, Sprinter, Verkäufer, Zweifler, zum anderen Geräte, die als Handlungsträger wahrgenommen werden, z.B. Entsafter, Leuchter, Mixer, Plattenspieler. Basis solcher Derivate sind neben Verben auch Präverbfugungen, z.B. in Angeber, Eintänzer, Mitfahrer. Systematische Beschränkungen gibt es hier offenbar nicht, daher finden sich auch zahlreiche Okkasionalismen wie in die kühnen Erdreister (Mann 1926, Cosmas), die großen Versteher und Küchenpsychologen (Taz 1994, Cosmas), Acht der neun liberianischen Flüchtlinge, die von der Wasserschutzpolizei auf einem maltesischen Frachter als ,JSinschleicher“ verhaftet worden waren (Taz 1996, Cosmas), Sie, die Studenten von heute, sind die Entscheider von morgen (Werbung der BASF im Programmheft zum 3. Mannheimer Sprachfestival 1997, o.S.), In Berlin soll von 2000 Stehern und Gehern [= DDR- Ampelmännchen] angeblich noch gerade mal die Hälfte übrig sein (Zeit 1997, Cosmas), Ein kompakter Mann mit schwarzem Bart griff die Botschaft auf und nickte Ruddy zu. Der Nicker war der als Regisseur des künftigen Films ausersehene Francis Ford Coppola (Hotakainen 2004, S. 29). Die Wortbildungsarten 101 Suffixe in nominalen Derivaten sind Transponierer, Determinans oder Determinatum: Das Suffix transponiert (z.B. in Schönheit, Versuchung)', hier ändert sich die grammatische Funktion, jedoch nicht die kategorielle Bedeutung. Außerdem determinieren Suffixe, z.B. determiniert -ling in Dichterling Dichter als ‘Dichter, und zwar ein schlechter, ein lächerlicher’, -in in Lehrerin determiniert Lehrer als ‘Lehrer, und zwar ein weiblicher’. Schließlich wird das Suffix determiniert, z.B. -chen durch sensibel in Sensibelchen ‘jemand, und zwar jemand, der besonders sensibel ist’, -ling durch lehrin Lehrling ‘jemand, und zwar jemand, der gelehrt wird’. Einige Beispiele für nomenableitende Suffixe des Deutschen und ihre Kombinationsmöglichkeiten sind: - -anz, z.B. Akzeptanz, Brisanz, Eleganz, Ignoranz, Toleranz. Das Suffix macht Konfixe syntaktisch als Nomina nutzbar. Die Derivate bezeichnen Eigenschaften: Jemand mit Eleganz ist elegant. - -arium, z.B. Argumentarium, Delfinarium, Idearium, Insektarium. Das Suffix bezeichnet etwas, das das von der Basis Bezeichnete versammelt: Ein Delfinarium ist ein Ort, an dem Delfine zur Vorführung versammelt werden; ein Insektarium ist ein Buch, das Insekten zum Nachschlagen versammelt; ein Idearium versammelt Ideen, ein Instrumentarium Instrumente. - -chen mit der Variante -eichen, z.B. Beinchen, Büchelchen, Herzchen, Ideechen. Das Suffix diminuiert. Bei der Diminution geht es um Verkleinerung und Affektivität: Es soll ausgedrückt werden, dass etwas nicht so groß wie erwartet ist. Verbunden mit diesem Ausdruck ist offenbar meist eine positive oder negative Wertung, ein verniedlichendes, liebevolles Kleinmachen oder ein gehässiges Runtermachen. Häufig geht es auch ausschließlich um den emotionalen Ausdruck, vgl. Ausrufe wie Das ist ein Bierchen! ! ! Auch Abstrakta werden häufiger diminuiert, z.B. in Unser privates oder kollektives Fiktiönchen (Rezzori 1976, S. 343), sein persönliches Animositätchen (Mannheimer Morgen 1988, Cosmas), Alltagskümmerchen (Faz 1995, Cosmas), mit dröhnendem Pathos das bei ihm allerdings Pathöschen heißen müßte (Taz 1995, Cosmas), das abgenutzteste Ideechen (Demski 1997, S. 15). Fundiert zur Diminution vor allem Würstle (1992), vgl. auch Koecke (1994), Nekula (2004), Wolf (1997). 102 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick - -e, mit Verbbasis besonders in legeren Sprachstilen produktiv, z.B. Lache, Schreibe, Tanke, Umkleide, vgl. auch Das war doch voll die brühwasserwarme Abtörne (Hoppe 1986, S. 16), Kluge Worte sind zeitlos. Konfuzius [...] predigte Pflichterfüllung, Treue [...] Halb Asien lebte seine Denke (Allegra 5/ 1995, S. 205), Viele haben sich in ihrer Mehrheit den Stil der politischen Klasse angeeignet: viel Geschrei, aber wenig Wolle (Schmidt 1998, S. 76). Offenbar finden auch Kinder dieses Muster praktisch: Stem/ Stem (1928, S. 409) verzeichnen z.B. Kloppe ‘Fleischklopfer’, Rauche ‘Zigarette’, Stecke ‘Haarnadel’, Summe ‘Biene’. Vgl. auch Bezeichnungen für Kinderspiele wie in wenn sie trotz der Ermahnungen der Lehrer Hasche oder Fußball spielten (Aehnlich 1998, S. 27), Wir hopsten Hopse auf dem Trottoir (Lander 1995, S. 14). Das Suffix macht Verben und Präverbfugungen syntaktisch als Nomina nutzbar; bezeichnet werden Tätigkeiten, z.B. bei Anklage, Lüge, Taufe, Umfrage: Bei der Taufe eines Kindes wird ein Kind getauft. Außerdem werden Nomina agentis und Nomina patientis gebildet; das Suffix bezeichnet dann eine Person oder Sache, die das von der Basis Bezeichnete tut bzw. mit der das von der Basis Bezeichnete getan wird: Ein Bürge ist eine Person, die bürgt; eine Leuchte leuchtet; Wäsche wird gewaschen. Auch werden Nomina gebildet zur Bezeichnung von Orten, die irgendetwas mit dem in der Basis Bezeichneten zu tun haben: Eine Anrichte ist ein Ort, genauer: ein Möbelstück, an dem Speisen angerichtet werden; eine Umkleide ist ein Ort, genauer: eine Kabine, in der man sich (etwa zum Baden oder Sporteln) umkleidet. - -heit, z.B. Barschheit, Blindheit, Derbheit, Echtheit, Einfachheit, Einzelheit, Extravertiertheit, Gradheit, Hölzernheit, Klarheit, Klugheit, Knappheit, Lüsternheit, Neuheit, Sanftheit, Schönheit, Schüchternheit, Tollkühnheit, Trägheit, Verliebtheit, Vornehmheit, Wachheit, Wortkargheit. Vgl. auch eine Hölle ist dieses Haus in seiner feinen Stillheit (Broch 1950, S. 120), weil er mit Berühmtheiten und Berüchtigtheiten gesprochen hatte (Koeppen 1953, S. 69), Grauheit und Realnost herrschen im Lande Gorbatschows (Taz 1990, Cosmas). Das Suffix macht Adjektive syntaktisch als Nomina nutzbar; bezeichnet werden Eigenschaften: Jemand, dem Schönheit zugeschrieben wird, ist schön. Daraus entwickeln sich außerdem Bezeichnungen für Personen, vgl. sie ist eine Schönheit. Zu -heit vgl. ausführlich Oberle (1990). Die Wortbildungsarten 103 -ie mit der Suffixvariante -erie, z.B. Analogie, Anomalie, Bibliophilie, Bigotterie, Galanterie, Infamie, Koketterie, Pikanterie, Prüderie. Das Suffix macht u.a. Adjektive syntaktisch als Nomina nutzbar; bezeichnet werden Eigenschaften: Jemand, dem man Bigotterie nachsagt, ist bigott. -ik, z.B. Armenistik, Germanistik, Mathematik. Vgl. auch Robotik, eine Disziplin, die in die Wehrtechnik etlicher Länder Einzug hält (Zeit 1997, Cosmas). Das Suffix bezeichnet häufig fachliche Disziplinen und wird durch die Basis semantisch näher bestimmt: Die Linguistik ist eine Wissenschaft, die die Sprache untersucht. Außerdem werden Denkstile, Denkrichtungen u.Ä. bezeichnet. Daraus entwickeln sich auch Bezeichnungen für Sachen: Kosmetik kann auch gelesen werden als ‘Körperpflege- und Schminkutensilien’. -keit mit der Suffixvariante -igkeit, z.B. Austauschbarkeit, Bangigkeit, Bequemlichkeit, Einsamkeit, Fähigkeit, Formlosigkeit, Gewissenhaftigkeit, Heiterkeit, Lebhaftigkeit, Schwatzhaftigkeit, Tapferkeit. Vgl. auch der Gestrigkeit entstiegen (Broch 1950, S. 238), eine Auflockerung der Sprache zu größerer Spielerischkeit (Kann 1972, S. 290), Wirklichkeiten und Möglichkeiten, Gütigkeiten und Bösigkeiten (Taz 1996, Cosmas). Das Suffix macht Adjektive syntaktisch als Nomina nutzbar; bezeichnet werden Eigenschaften: Wem Gedankenlosigkeit vorgeworfen wird, der ist gedankenlos. Daraus können sich auch Bezeichnungen für Sachen und Sachverhalte entwickeln, z.B. Flüssigkeit, Neuigkeit, Süßigkeit. Eine Süßigkeit ist eine Sache, die süß ist. Zu -keit vgl. ausführlich Oberle (1990). -nis, z.B. Bitternis, Düsternis, Fairnis, Finsternis, Geheimnis, Ödnis, Wildnis, Wirrnis. Vgl. auch Aufmupf & Frechnis zu frönen ist leicht (Taz 1986, Cosmas). Das Suffix macht vor allem Adjektive syntaktisch als Nomina nutzbar; bezeichnet werden Eigenschaften: Wo Finsternis herrscht, ist es finster. Daraus können sich Bezeichnungen für Sachen und Sachverhalte entwickeln: Die Ödnis kann auch eine öde Gegend sein. -tum, z.B. Abenteurertum, Fürstentum, Nomadentum. Das Suffix bezeichnet ein Sein, das durch das von der Basis Bezeichnete semantisch näher bestimmt wird: Nomadentum ist das Nomadesein. Bei Eigennamenbasen wird meist eine Ideologie, Denkrichtung, Lehre bezeichnet, z.B. Luthertum. Außerdem werden Kollektiva und Orte bezeichnet: Das Junkertum ist die Gesamtheit der Junker, ein Fürstentum ist das Herr- 104 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick schaftsgebiet eines Fürsten. Selten verbindet sich -tum auch mit Adjektiven (z.B. Heiligtum) oder Verben (z.B. Irrtum). - -ung, z.B. Adressierung, Anhörung, Atmung, Ausschließung, Befragung, Beschränkung, Besserung, Bewerbung, Darbietung, Eingebung, Entlaubung, Erinnerung, Gabelung, Grabung, Gesundung, Heizung, Hoffnung, Lähmung, Leistung, Lieferung, Meldung, Öffnung, Profilierung, Sendung, Sitzung, Unternehmung, Verehrung, Vereinsamung, Verlobung, Verwirrung, Zuneigung. Das Suffix macht vor allem Verben syntaktisch als Nomina nutzbar; bezeichnet wird eine Tätigkeit, ein Zustand oder ein Prozess: Bei der Entlaubung eines Waldes wird ein Wald entlaubt. Daraus entwickeln sich Bezeichnungen für Sachen und Sachverhalte: Bekleidung bezeichnet auch Kleidungsstücke, Erfrischung auch ein erfrischendes Getränk. Diese Derivate können als Nomina agentis gelesen werden: Eine Erfrischung ist etwas, das erfrischt. Besonders ausgebaut sind die Ableitungsmöglichkeiten für Personenbezeichnungen. Vgl. Baeskow (2002), Braun/ Nieuweboer (2001). Die folgenden Suffixe bezeichnen vor allem Personen, die durch das von der Basis Bezeichnete semantisch näher bestimmt werden: - -and, z.B. Diplomand. Ein Diplomand ist eine Person, die ein Diplom ablegen will. - -ant, z.B. Asylant. Ein Asylant ist eine Person, die Asyl sucht; ein Laborant ist eine Person, die in einem Labor arbeitet. - -är, z.B. Visionär. Ein Visionär ist eine Person, die mindestens eine Vision hat. - -ast, z.B. Fantast. Ein Fantast ist eine Person, die mindestens eine Fantasie zu viel hat. - -at, z.B. Kandidat. Ein Kandidat ist eine Person, die kandidiert. - -bold, z.B. Raufbold. Ein Raufbold ist eine Person, die charakteristischerweise rauft. - -chen, z.B. Sensibelchen. Ein Sensibelchen ist eine Person, die (übertrieben) sensibel ist. - -ent, z.B. Konkurrent. Ein Konkurrent ist eine Person, die konkurriert. Die Wortbildungsarten 105 -er, z.B. Dichter, Lehrer, Lerner, Schreihersprecher, mit den Varianten -einer, -ianer, -iker, -ler, -ner, z.B. Republikaner, Frendianer, Alkoholiker, Postler, Rentner. Ein Dichter ist eine Person, die dichtet; ein Postler ist eine Person, die bei der Post arbeitet. Besonders mit Verbbasis gibt es kaum Beschränkungen, obwohl Beschränkungen versuchsweise immer mal wieder postuliert werden. Vgl. auch Sie bekommt Besuch, die Leute gehen ein und aus, Grinser und Glückwünscher (Boyle 1987, S. 532), seitdem sie mich hartnäckig für einen Sünder hielt, für einen Verstößer wider das Sechste (Hürlimann 2001, S. 24). Vgl. Maibauer et al. (2004). -erich, z.B. Robusterich. Ein Robusterich ist eine Person, die robust ist. So auch der Kutterich (Hürlimann 2001, S. 125). Ein Kutterich ist eine Person, die eine Kutte trägt. Die Derivate sind eher leger bis despektierlich. -eur, z.B. Chauffeur, Friseur. Ein Friseur ist eine Person, die frisiert. -euse, z.B. Friseuse. Eine Friseuse ist eine (ausdrücklich weibliche) Person, die frisiert. -/ , z.B. Blondi, Hirni. Ein Blondi ist eine Person, die blond ist. Ein Hirni ist eine Person mit einem schrägen, einem verrückten Him. Vgl. Latzei (1992), Petronijevic (2000), Werner (1996). -ier, z.B. Bankier, Hotelier. Ein Hotelier ist eine Person, die ein Hotel betreibt. -ikus, z.B. Luftikus. Ein Luftikus ist eine Person, die leichtlebig, windig wie Luft ist. -in, z.B. Oberin, Freiin. Eine Freiin ist ursprünglich eine (ausdrücklich weibliche) Person, die frei ist. Das Suffix -in wird vor allem zur Movierung verwendet. Vgl. 5.2. -ine, z.B. Blondine. Eine Blondine ist eine (ausdrücklich weibliche) Person, die blond ist. -ist, z.B. Lagerist. Ein Lagerist ist eine Person, die in einem Lager arbeitet. -ling, z.B. Naivling, Prüfling. Ein Naivling ist eine Person, die naiv ist. Ein Prüfling ist eine Person, die geprüft werden soll. -o, z.B. Normalo. Ein Normalo ist eine normale Person. 106 Die Wortbildung des Deutschen ~ Ein Überblick - -or mit der Suffxivariante -ator, z.B. Aggressor, Organisator. Ein Organisator ist eine Person, die organisiert. - -ski, z.B. Besoffski. Ein Besoffski ist eine Person, die besoffen ist. 4.2.1.1.3 Das nominale Zirkumfixderivat Das einzige Zirkumfix, das zur Bildung von Nomina verwendet wird, ist ge- ...-e. Es werden vor allem Nomina actionis gebildet, also Nomina, die eine Tätigkeit ausdrücken, z.B. Geblubbere, Gedränge, Gefauche, Gegackere, Gehopse, Geklimpere, Gelache, Gemeekere, Gerede, Gerufe, Geschalte, Geschnarche, Gezanke. Vgl. dazu u.a. Neef (1996). Diese nahezu unbeschränkte Bildungsmöglichkeit wird häufig auch okkasionell genutzt, z.B. Bundestagspräsidentin Antje Vollmer und Außenminister Kinkel meiden das wichtigtuerische Gejette (Taz 1996, Cosmas), Das Wetter bis Samstag früh: Ungut launisch im Norden, zwangsneurotisches Geregne, Geböe und Geschaure im ganzen Land (Taz 1996, Cosmas). Als Basis kommen außer Verben auch Präverbfügungen vor, wobei jeweils nur das Verb (z.B. brüllen) zirkumfigiert wird, das Präverb (z.B. an) wird morphologisch abgetrennt, vgl. Angebrülle, Angegrapsche, Eingeschleime, Durchgekaue, Herbeigerede, Rumgespringe, Zugeklotze (alle Taz 1989-1998, Cosmas). Mit ge-...-e werden Nomina meist abgeleitet, um unabhängig von der negativ oder positiv bewerteten oder neutralen Verbbasis ein negativ bewertetes Tun auszudrücken: Zum Beispiel vom Gerede des Bundespräsidenten zu sprechen, ist einigermaßen despektierlich. Vgl. aber daneben eher positiv konnotierte Derivate wie in Über dem Goldgelb des Rapsfeldes das Geschäume der Kirschbäume (Rezzori 1994, S. 6) — vielleicht hat's der Dichter hier aber auch nur des Reimes wegen getan. Weniger genutzt wird die Möglichkeit, Kollektiva, d.h. Sammelbezeichnungen, mit Nomenbasis zu bilden, z.B. Gebirge ‘Ansammlung vieler Berge’, so auch Gestänge. Nicht hierher gehören sprachhistorisch relativ alte Nomina actionis wie Getratsch, Gezänk. Wortbildungsprodukte dieses Typs sind offenbar nicht zirkumfigiert, wobei das -e des Zirkumfixes apokopiert worden, d.h., im Verlauf der Sprachgeschichte entfallen wäre; vielmehr sind diese Wörter, wie Olsen (1991) zeigt, auf eine althochdeutsche Flexionseigenart zurückzuführen. Häufig sind die älteren und gegenwartssprachlich unproduktiven -e-losen Formen Parallelen zu den heutigen hoch produktiven, z.B. Geheul und Geheule, Gestöhn und Die Wortbildimgsarten 107 Gestöhne. Dass hier dennoch mitunter auch apokopiert wird, ist wahrscheinlich. 4.2.1.2 Das adjektivische explizite Derivat Basen adjektivischer expliziter Derivate sind Nomina (z.B. Freund und Flerz in freundlich und herzig), Adjektive (naturgemäß bei allen Präfigierungen, z.B. in hyperschlau, unmöglich, aber auch bei Suffigierungen, z.B. in gelblich) und Verben (z.B. in geläufig, möglich, schmeichelhaft) sowie Konfixe (z.B. in identisch und polyphon) und Phrasen (z.B. in viertürig). Mit expliziter Derivation werden vor allem Präfixadjektive (z.B. unschön) und Suffixadjektive erzeugt (z.B. freundlich). Zirkumfigierung ist auch bei der Adjektivbildung selten; sie ist auf das Zirkumfix ge-...-ig beschränkt (z.B. geläufig). Im Folgenden werden die drei Typen der adjektivischen Derivate erläutert: - Das adjektivische Präfixderivat - Das adjektivische Suffixderivat - Das adjektivische Zirkumfixderivat 4.2.1.2.1 Das adjektivische Präfixderivat Viele Präfixe expliziter Adjektive, u.a. erz- (z.B. erzkonservativ), hyper- (z.B. hyperschlau), mega- (z.B. megamodern), un- (z.B. unmöglich) und ur- (z.B. urgemütlich), werden auch zur Derivation von Nomina verwendet. Besonders im Präfixbereich haben sich zahlreiche Entlehnungen etabliert, z.B. a-, anti-, bi-, hyper-, mega-, poly-. In der Regel determinieren Adjektivpräfixe die Basis, z.B. hyperschlau ‘schlau, und zwar besonders schlau, in übertriebenem Maße schlau’. Einige Beispiele für adjektivableitende Präfixe des Deutschen und ihre Kombinationsmöglichkeiten sind: a-, mit der Präfixvariante an-, z.B. ahistorisch, alogisch, amoralisch, anorganisch, anormal, areligiös, asozial, asymmetrisch, atonal, atypisch. 108 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Das Präfix bestimmt die Basis semantisch näher; es dient der Negation: ahistorisch ist nicht historisch. demit den Präfixvarianten des-, dis-, z.B. desartikuliert, desengagiert, desillusioniert, desinformativ, desintegrativ, desorganisiert, dezentral, disfunktional, disharmonisch. Vgl. auch disökologische (und teure) Plattierungsseuche auf den Friedhöfen (Taz 1993, Cosmas). Das Präfix dient der Negation: disharmonisch ist nicht harmonisch. erz-, z.B. erzfaul, erzkonservativ, erzreaktionär. Vgl. auch Nach Florida fuhr ich, um diese Hypothesen zu überprüfen. Ich war erzbereit, sie samt und sonders über Bord zu werfen (Lorenz 1963, S. 20). Das Präfix dient der Hervorhebung: Wer erzkonservativ ist, hebt sich unter den Konservativen durch besonderen Konservativismus hervor. hyper-, z.B. hyperaktiv, hypergemein, hypernervös, hyperschlau. Das Präfix dient der Hervorhebung: Wer hypergemein ist, hebt sich unter den Gemeinen durch besondere Gemeinheit hervor. Mitunter wird auch ein Zuviel ausgedrückt: Wer hyperaktiv ist, nervt mit dem Übermaß an Aktivität. inmit den Varianten il-, im-, ir-, z.B. illegitim, impotent, inaktiv, irreparabel. Das Präfix dient der Negation: Was irreparabel ist, ist nicht reparabel. komit den Varianten kon-, kor-, z.B. kooperativ, konsensual, korrelativ. Vgl. auch konblödial (Taz 1989, Cosmas), heute weiß ich, daß mein Vater krank war - und auch meine Krankheit einen Namen hat: Ich bin koabhängig (Zeit 1996, Cosmas). Das Präfix bestimmt die von der Basis genannte Eigenschaft semantisch näher: Wer mit jemandem ko-abhängig ist, ist mit ihm zusammen abhängig (z.B. vom Alkohol). non-, z.B. nonexistent, nonformal, nonkommerziell, nonkonform, nonverbal. Vgl. auch so etwas wie ein nonchristlicher, aber religiöser Liebeskreuzzug (Taz 1997, Cosmas). Das Präfix dient der Negation: Wer sich nonverbal verständigt, verständigt sich nicht verbal. pseudo-, z.B. pseudoaktuell, pseudobarock, pseudoklug, pseudoliberal, pseudomodern, pseudonaiv, pseudopräzise, pseudotolerant, pseudowissenschaftlich. Das Präfix dient der Negation: Wer pseudoliberal ist, scheint nur liberal zu sein, ist es aber nicht. Die Wortbildungsarten 109 - Irans-, z.B. transalpin, transdisziplinär, transsexuell. Das Präfix bestimmt nicht das präfigierte Adjektiv semantisch näher, sondern das Nomen oder Konfix, das im Adjektiv steckt: Transalpine Handelswege führen über die Alpen. Zu Iransvgl. ausführlich Nortmeyer (2000). un-, z.B. unfreundlich, unschön. Das Präfix dient der Negation: Wer unfreundlich ist, ist nicht freundlich. ur-, z.B. uralt, urgemütlich. Das Präfix dient der Hervorhebung: Was urgemütlich ist, hebt sich unter allem Gemütlichen durch besondere Gemütlichkeit hervor. 4.2.1.2.2 Das adjektivische Suffixderivat Semantisch sind Adjektivsuffixe zum einen Transponierer, z.B. in schmeichelhaft, wacklig-, hier ändert sich nur die grammatische Funktion (so wird aus dem Verb schmeicheln ein Adjektiv), nicht aber die kategorielle Bedeutung: Eine schmeichelhafte Bemerkung schmeichelt. Zum anderen sind Adjektivsuffixe Determinantien. So bestimmt z.B. das Suffix -lieh in gelblich die Farbbezeichnung gelb semantisch näher als ‘gelb, und zwar irgendwie nicht ganz so gelb, nicht ganz richtig gelb, weniger gelb als erwartet’. Einige Beispiele für adjektivableitende Suffixe des Deutschen und ihre Kombinationsmöglichkeiten sind: - -abel, z.B. akzeptabel, blamabel, diskutabel, interpretabel. Die Wortbildungsprodukte sind überwiegend passivisch zu lesen: Ein akzeptabler Vorschlag ist ein Vorschlag, der akzeptiert werden kann. Daneben gibt es eine aktivische Lesart: Ein spendabler Vater ist ein Vater, der (meist) mit Vergnügen spendiert. - -bar, z.B. belieferbar, brennbar, errechenbar, formbar, heilbar, konsumierbar, versenkbar, verwundbar. Im Prinzip sind alle Verben mit dem Suffix -bar kombinierbar. Vgl. zu Restriktionen u.a. Siebert (1999). Hier sind folglich auch zahlreiche auffallendere Bildungen belegt: daß die Sandgrube namens Französische Straße endlich befahr-, begeh- und bebummelbar ist (Zeit 1996, Cosmas), das Material muss verrottbar sein (Frankfurter Rundschau 1999, Cosmas), selbst wenn es prinzipiell wissbar ist (Yglesias 2002, S. 530). Die in der Forschungsliteratur immer 110 Die Wortbildung des Deutschen ~ Ein Überblick wieder angegebenen Restriktionen lassen sich meist leicht widerlegen: So sieht etwa Hahn (1993, S. 119) eine „deutliche Restriktion“, Verben auf -ig(en) nicht mit -bar verbinden zu können. „Das in den Tagebüchern belegte vernachlässigbar weist Musil als einen Autor aus, der sich auch über morphologische Gesetzmäßigkeiten hinwegsetzt“ (ebd.). Vgl. aber bewältigbar (Berliner Zeitung 2000, Cosmas), rechtfertigbar (Taz 1990, Cosmas), beschleunigbar (St. Galler Tageblatt 1998, Cosmas). Bei transitiver Verbbasis ergibt sich eine passivische Lesart der Adjektivderivate: Ein versenkbares Schiff kann versenkt werden. Bei intransitiver Verbbasis ist die Lesart aktivisch: Ein sinkbares Schiff kann sinken. Zu -bar vgl. ausführlich Kqtny (1997). - -esk, z.B. clownesk, kafkaesk. Vgl. auch dessen polternde Erscheinung die Jazzphysiognomie so karikaturesk geprägt hat (Süddeutsche Zeitung 1995, Cosmas), ein kleines Beispiel von Tazesker Hundefeindlichkeit (Taz 1995, Cosmas). Das Adjektiv attribuiert in Nominalphrasen wie eine geishaeske Frau das vom Nomen Bezeichnete mit einem Vergleich: Eine geishaeske Frau ist eine Frau, die sich wie eine Geisha verhält, die charakteristische Merkmale einer Geisha hat. Wer geishaesk trippelt, trippelt wie eine Geisha. - -haß, z.B. dünkelhaft, elfenhaft, sündhaft. Vgl. auch berlinisch bulettenhafte Selbstgefälligkeit (Spiegel 1993, Cosmas). Die Adjektive drücken zum einen in Nominalphrasen wie ein hünenhafter Kerl aus, dass das vom Nomen Bezeichnete vergleichbar ist mit dem von der Basis Bezeichneten: Ein hünenhafter Kerl ist ein Kerl wie ein Hüne. Zum anderen wird in Nominalphrasen wie eine dünkelhafte Kollegin ausgesagt, dass das vom Nomen Bezeichnete das von der Adjektivbasis Bezeichnete hat: Eine dünkelhafte Kollegin ist eine Kollegin mit Dünkeln. - -ig, z.B. blumig, cremig, dornig, felsig, freudig, fruchtig, geduldig, kitschig, schnauzbärtig, seidig, vorsichtig. Bildungen mit entlehnter Basis wirken auffällig, sind aber relativ häufig, z.B. in um streetig auszusehn, reicht eigentlich der lokale Secondhand- oder Army-Store (Max 1996/ 5, S. 67), noisiges Gezerre und Gezische (Taz 1996, Cosmas), etabliert sind z.B. cremig, honorig, humorig, pomadig. Auffällig außerdem z.B. in ein glatziger Zwerg mit buschigen Augenbrauen (Broch 1950, S. 193), die ebenso [...] patentantige wie schwiegertochtige [...] Alida Gundlach (Jokusch in Roth 1996, S. 108), Spannend wird es erst mit der lichterketti- Die Wortbildungsarten 111 gen Liberalität, wenn auch in bessergestellten Vororten Türken im Hausflur grillen (Max 1996/ 4, S. 47), doch die Freundin fühlte sich grippig (Die Woche 2.10.1998, S. 41), Für geschmackige Kuchen sind die Sachsen bekannt (eile bistro 1998/ 3, S. 22), Der Nachmittag bei Klassik- Radio: Jetzt noch wunschiger (Hörbeleg Klassik-Radio 17.8.2001, 13.12 Uhr). Besonders präsent ist bei diesen Ableitungsprodukten mit nominaler Basis die partitive Lesart. Das Adjektiv drückt in Nominalphrasen wie ein bucklig' Männlein aus, dass das vom attribuierten Nomen Bezeichnete (das Männlein) das von der Adjektivbasis Bezeichnete hat: Ein bucklig' Männlein hat einen Buckel, ein glatziger Zwerg eine Glatze, ein geduldiger Kollege Geduld; ein anmutiger Tanz ist ein Tanz mit Anmut. So auch bei dornige Rosen, ihr knochiger Körper oder übertragen eine haarige Geschichte. Häufig sind daneben Lesarten, die Identitäten herstellen: Ein schrottiger Alfa ist Schrott, ein gemüsiger Auflauf besteht (vor allem) aus Gemüse. Vgl. auch eingepackt in einem gummigen Stützstrumpf (Hürlimann 2001, S. 108). Dazu außerdem Vergleiche, z.B. pfauenfedrige Wolken. Vgl. auch Kombinationen mit Verbbasis (z.B. knusprig), Adjektivbasis (z.B. dumpfig) oder Phrasenbasis (z.B. viertürig). Zu letzteren ausführlich Exkurs 18. -isch, z.B. abweichlerisch, akrobatisch, anekdotisch, aromatisch, berlinerisch, diebisch, kindisch, launisch, metallisch, soldatisch, testamentarisch. Häufig werden Konfixe syntaktisch als Adjektive nutzbar gemacht, z.B. bei fanatisch, geologisch, identisch. Mitunter werden auch entlehnte Adjektive zur Verdeutlichung noch einmal besonders als Adjektive kenntlich gemacht, indem -isch angefügt wird, z.B. wurde engl, sentimental zunächst in der Form sentimentalisch eingedeutscht. Bei Derivaten mit nominaler Basis wird in Nominalphrasen wie eine launische Kollegin ausgedrückt, dass das vom Nomen Bezeichnete (die Kollegin) das mit der Basis Bezeichnete hat: Eine launische Kollegin hat Launen, ein aromatischer Grüntee hat Aroma. Daneben gibt es die Lesart der Identität bzw. des Vergleichs: Eine diebische Elster ist ein Dieb, eine kindische Behauptung ist eine Behauptung, wie sie sonst nur ein Kind aufstellen würde. Zur Adjektivbildung mit -isch vgl. ausführlich Eichinger (1984), Eichinger (1987) sowie Schlaefer (1977). -lieh, z.B. abenteuerlich, glücklich, fürsorglich, königlich, leidenschaftlich, natürlich, stündlich, weltlich, zuversichtlich. Vgl. auch Ein halbes Jahrhundert des irrenwärterlichen Umgangs mit mir selbst (Rezzori 112 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 1976, S. 14). Häufig wird in Nominalphrasen wie königliches Gemach ausgedrückt, dass das vom Nomen Bezeichnete (das Gemach) dem von der Basis Bezeichneten (an)gehört: Das königliche Gemach gehört dem König, das großväterliche Taschenmesser gehört dem Großvater. Auch omative Lesarten sind üblich: Ein leidenschaftlicher Kuss ist ein Kuss mit Leidenschaft. Häufig sind außerdem Identitäts- und Vergleichslesarten: Eine kindliche Kaiserin ist ein Kind, kindliche Freude ist eine Freude, wie sie für Kinder typisch ist; ein königliches Gemach kann auch wie ein Gemach für einen König sein. Bei adjektivischer Basis wirkt das Suffix intensivierend: Wer er ist elendiglich zugrunde gegangen sagt, will dramatisieren; gänzlich meint ‘ganz und gar’. Daneben ist Determinierung üblich: Bläuliches Licht ist nicht ganz so blau wie das, was man sich unter blauem Licht vorstellt. Hier wird abschwächend relativiert. Vgl. auch transponierende Derivate mit Verbbasis wie dienlich, erbaulich, fürchterlich, hinderlich, löblich, respektierlich, schädlich, sterblich, veränderlich, verlässlich, zögerlich. - -los, z.B. ahnungslos, allürenlos, bargeldlos, bartlos, charakterlos, ehrlos, ergebnislos, fantasielos, fensterlos, funktionslos, hemmungslos, kinderlos, komplikationslos, lustlos, mühelos, schrankenlos, schuldlos, wertlos, zahnlos, zwecklos, zügellos. Vgl. auch die warnungslose Torpedierung (Zeit 1995, Cosmas), das sogenannte „pianolose“ Chet- Barker-Gerry-Mulligan-Quartett (Zeit 1995, Cosmas). Die Adjektive drücken aus, dass das von der Basis Bezeichnete nicht vorhanden ist: Ein bartloser Mann hat keinen Bart; wer schuldlos in einen Unfall verwickelt wird, hat keine Schuld. Je nach Basis ist das Fehlen, das explizit gemacht werden soll, positiv oder negativ konnotiert: Eine hoffnungslose Situation ist unangenehm, eine komplikationslose Operation ist natürlich angenehm. Selten sind Kombinationen mit Verbbasis (z.B. reglos). - -ös, z.B. desaströs, glamourös, grippös, gummös, elefantös, mafios, medikamentös, melodiös, nervös, pastös, ruinös, schikanös, skandalös, strapaziös, tumultös. Vgl. auch die spektakulösen Lichter von Saint-Tropez (Koeppen 1961, S. 58). Zum einen gibt es eine partitive Lesart. Das Adjektiv drückt in Nominalphrasen wie ein glamouröser Auftritt aus, dass das vom attribuierten Nomen Bezeichnete (der Auftritt) das von der Adjektivbasis Bezeichnete hat: Ein glamouröser Auftritt ist ein Auftritt mit Glamour; eine medikamentöse Behandlung ist eine Behandlung mit Medikamenten. Zum anderen wird eine Identität bzw. ein Vergleich ausge- Die Wortbildungsarten 113 drückt: Eine strapaziöse Wanderung ist eine Strapaze, gummöse Croissants sind zäh wie Gummi. — -sam, z.B. achtsam, arbeitsam, bedeutsam, biegsam, duldsam, enthaltsam, folgsam, heilsam, kleidsam, ratsam, schweigsam, sparsam, strebsam, unterhaltsam, wirksam. Vgl. auch Sie sind sehr schonsam mit meiner Kirche umgegangen (Taz 1997, Cosmas). Das Suffix macht u.a. Verben syntaktisch als Adjektve nutzbar: Eine heilsame Erfahrung heilt. Daraus ergeben sich Lesarten wie: Ein folgsames Kind folgt meistens, ein schweigsamer Kollege neigt zum Schweigen. Mitunter gibt es passivische Lesarten: Ein biegsamer Stab kann gebogen werden. Vgl. auch seltenere Derivate mit nominaler Basis, z.B. gewaltsam, tugendsam. In Nominalphrasen wie ein tugendsames Mädchen wird ausgesagt, dass das vom Nomen Bezeichnete (das Mädchen) das von der Basis des Derivats Bezeichnete hat: Ein tugendsames Mädchen ist ein Mädchen mit Tugend, eine gewaltsame Lösung ist eine Lösung mit Gewalt. 4.2.1.2.3 Das adjektivische Zirkumfixderivat Als einziges Zirkumfix zur Bildung von Adjektiven findet sich ge-...-ig. Basis sind Verben. Sprecherschreiber nutzen diese Möglichkeit heute jedoch offenbar nicht mehr; die wenigen zirkumfigierten Adjektive sind etabliert, z.B. gefügig, gehässig, geläufig, gelehrig. Entgegen einiger Forschungsliteratur sehe ich Adjektive des Typs bebrillt und gefleckt nicht als Zirkumfigierungsprodukte zu „Scheinpartizipia“ (Kühnhold et al. 1978, S. 309), sondern als Adjektivierungen echter Partizipformen: -t ist nämlich ein gängiges Flexionssuffix zur Bildung von Partizipien, z.B. in als er erkrankte, hat sie ihm Medizin geholt und eine heiße Milch gebracht, da war er begeistert. Zu konstruieren, dass -t außerdem ein Wortbildungsaffix zur Bildung einiger Adjektive wie bebrillt sei, ist nicht unbedingt notwendig: Adjektive wie in eine beampelte Kreuzung, das bemützte Kind, der befrackte Ober, der belaubte Lorbeer, der besternte Abendhimmel erklären sich morphologisch und systematisch stimmiger als Konvertate. Vgl. 4.2.2.2. Verben, die vom System her durchaus gängig sind, z.B. in Kontexten wie Die Stadt beampelt die Lessingstraße und am Abend besternt Gott den Himmel, der neue Optiker hat inzwischen ganz Mannheim 114 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick bebrillt, bematsch dich aber bitte nicht wieder so, Mäxchen (vgl. auch etablierte Verben dieses omativen Typs wie bestuhlen, bekleiden), werden zu partizipialen Adjektiven konvertiert, z.B. eine beampelte Kreuzung. 4.2.1.3 Das verbale explizite Derivat Basen verbaler expliziter Derivate sind vor allem Nomina (z.B. in belobigen, vergolden) und Adjektive (z.B. in besänftigen, immunisieren, verschönern) sowie Verben (z.B. in beladen, deuteln), häufig werden auch Konfixe syntaktisch als Verben nutzbar gemacht (z.B. faszinin faszinieren). Zum „Zweck und Nutzen verbaler Wortbildung“ vgl. Eichinger (1996). Mit expliziter Verbderivation werden vor allem Präfixverben (z.B. beladen) und Suffixverben erzeugt (z.B. elektrifizieren). Zirkumfigierung ist auch bei der Verbbildung selten; sie ist auf die Zirkumfixe be-...-ig und in-...-ier mit den Varianten in-...-inier und in-...-isier beschränkt (z.B. beschönigen, inthronisieren). Im Folgenden werden die drei Typen der Verbderivate erläutert: - Das verbale Präfixderivat - Das verbale Suffixderivat - Das verbale Zirkumfixderivat 4.2.1.3.1 Das verbale Präfixderivat Verben haben nur wenige Präfixe mit anderen Wortarten gemeinsam, z.B mit Nomina und Adjektiven die Präfixe ko- (z.B. kooperieren) und miss- (z.B. missdeuten). Die Präfixe dagegen, die wesentlich zum Ausbau des Verbwortschatzes beitragen, nämlich be-, ent-, er-, ver- und zer-, sind spezifisch für die Kategorie Verb, z.B. begehen, entgehen, ergehen, vergehen und zergehen. Semantisch gesehen kann ein Verbpräfix zum einen Determinans sein (z.B. in erblühen), zum anderen kann es Determinatum sein (z.B. in vergolden ‘mit etwas versehen, und zwar mit Gold’). Die Wortbildungsarten 115 Einige Beispiele für verbableitende Präfixe des Deutschen und ihre Kombinationsmöglichkeiten sind: be-, z.B. beladen, bemuttern, betäuben. Mit nominaler Basis werden überwiegend omative Verben gebildet, z.B. beampeln, beamten, bedachen, beflaggen, begrenzen, bekränzen, belasten, bemitleiden, bemuttern, benoten, beschatten, beschmutzen, beschriften, besohlen, bevölkern, bewaffnen, beweihräuchern, bewirten, beziffern, bezuschussen. Das Präfix bezeichnet eine hinzufugende Tätigkeit, die durch das von der Basis Bezeichnete semantisch näher bestimmt wird: Wer Schuhe besohlt, bringt Sohlen auf Schuhe auf; wer ein Buch bebildert, versieht es mit Bildern. Dieses Hinzutugen tangiert das Objekt nur oberflächlich: Wer einen Teppich beschmutzt, verschmutzt ihn nicht überall und nicht durch und durch. Vgl. dagegen ver-. Daneben gibt es Lesarten der Verhaltensähnlichkeit: Wer jemanden bewirtet, handelt an ihm wie ein Wirt. Mit adjektivischer Basis werden faktitive Verben gebildet, z.B. beengen, befähigen, befreien, begleichen, begrünen, sich bemächtigen, berichtigen, beruhigen, betäuben, betreuen', das Präfix bildet dann Bezeichnungen für Tätigkeiten, die durch die adjektivische Basis semantisch näher bestimmt werden: Wer jemanden befreit, macht ihn frei. Die Lesarten deverbaler bc'-Präfigierungen, z.B. befallen, bedrängen, bedrucken, behauen, bejammern, bekleben, beleuchten, bekleckern, beladen, belügen, bemalen, benagen, bereden, bereisen, beschenken, beschimpfen, beschmieren, beschnüffeln, beschreiben, bespannen, bespielen, besprechen, bestaunen, beziehen, beweinen, sind vielfältig; gemeinsam ist allen eine Gerichtetheit: Ein Hund, der eine Wurst beschnüffelt, schnüffelt an einer Wurst. Die Gerichtetheit drückt sich auch in der gegenüber dem Basisverb geänderten Valenz aus: Die Derivate sind grundsätzlich transitive Verben, d.h. Verben, die ein direktes Objekt verlangen, vgl. Hrair staunt {über Neuschwanstein) und Hrair bestaunt Neuschwanstein. Die Valenz steuert außerdem die Perspektive: Das Objekt, auf das die Tätigkeit wirkt, wird in den Mittelpunkt gerückt, vgl. Hans-Peter streicht Nutella auf sein Knäckebrot und Hans-Peter bestreicht sein Knäckebrot mit Nutella. Die Verben mit besind in der Forschungsliteratur besonders intensiv behandelt worden, vgl. u.a. Eroms (1980), Braun (1982), Kim (1983), Günther (1987), Eisenberg (1993) sowie Schröder (1994). demit den Varianten des- und dis, z.B. demaskieren, desillusionieren, disqualifizieren. Das Präfix drückt aus, dass die von der Verbbasis ge- 116 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick nannte Tätigkeit wieder zurückgenommen wird: Wer jemanden demaskiert, nimmt eine Maskierung zurück. ent-, z.B. entführen, entkernen, entmutigen. Bei Derivaten mit nominaler Basis werden privative Verben gebildet, z.B. entbeinen, entblättern, entehren, enthaaren, enthaupten, entkernen, entkleiden, entkorken, entkrampfen, entlausen, entleiben, entmachten, entrinden, entsalzen, entthronen, entvölkern, entwerten, entwurzeln', das Präfix bezeichnet dann eine Tätigkeit, bei der das von der Basis Bezeichnete entfernt wird: Wer einen Fisch entgrätet, entfernt die Gräten; wer einen Diktator entmachtet, nimmt ihm die Macht. Bei Derivaten mit adjektivischer Basis, z.B. entmutigen, drückt das Präfix eine Tätigkeit aus, die die von der Basis bezeichnete Eigenschaft ungültig macht: Wer eine Situation entpeinlicht, sorgt dafür, dass sie nicht länger peinlich ist. Bei Ableitungen aus Verben werden vor allem Tätigkeiten bezeichnet, die etwas entfernen, z.B. entfliehen, entführen, entgehen, entladen, entleihen, entlocken, entmaterialisieren, entschlafen, entsorgen, entweichen: Wer jemanden entführt, führt ihn weg; wer entschläft, entfernt sich im Schlaf von der Welt. Das Präfix drückt außerdem aus, dass die von der Basis genannte Tätigkeit wieder zurückgenommen wird: Wer seinen Wagen entlädt, lädt Eingeladenes wieder aus. er-, z.B. erbauen, erdolchen, erheitern. Nominale Basis ist auffallend selten; dort bezeichnet das Präfix eine Tätigkeit, die durch das von der Basis Bezeichnete semantisch näher bestimmt wird: Wer jemanden erdolcht, tötet ihn mit einem Dolch; wer sich ermannt, verhält sich (mutig) wie ein Mann. Bei adjektivischer Basis bezeichnet das Präfix eine Tätigkeit, die die von der Basis genannte Eigenschaft herbeifuhrt, z.B. erbleichen, erblinden, erdreisten, erfrischen, ergrauen, erheitern, erhellen, erkälten, erklären, erkranken, erkühnen, erlahmen, ermäßigen, ermatten, ermöglichen, ermutigen, erniedrigen, ernüchtern, erröten, erschweren, ertüchtigen, erwärmen, erweichen: Wer jemanden erheitert, macht ihn heiter; wer erbleicht, wird bleich. Bei deverbalen Derivaten signalisiert das Präfix entsprechend seiner sprachgeschichtlichen Herkunft (ahd. ur ‘aus ... heraus’) eine Heraus- und Aufwärtsbewegung, z.B. erbauen, erbeben, erblicken, erblühen, erglühen, erklingen, erlöschen, erlösen, errichten, erschallen, erschießen, erspüren, erstrahlen, ertönen, erziehen: Wasser ergießt sich aus einem Krug über den Tisch; wer eine Kathedrale erbaut, baut sie auf. Ebenfalls aus dieser Herkunft hat sich die Lesart ei- Die Wortbildungsarten 117 nes Auftaktes entwickelt: Erblüht eine Chrysantheme, blüht sie auf. Daneben gibt es Lesarten, die eine beendende Tätigkeit anzeigen: Wer jemanden erwürgt, würgt ihn bis zu dessen (Lebens)Ende. Dass das vom Objekt Bezeichnete erreicht wurde, drücken die Derivate vor allem mit reflexivem sich aus, z.B. sich eine Goldmedaille errudern, aber auch ohne Reflexivum, z.B. einen Reiter am Horizont erspähen: Wer sich eine Goldmedaille errudert, rudert so, dass er eine Goldmedaille bekommt; wer nach einem Reiter späht, sieht ihn erst, wenn er ihn erspäht. Vgl. auch Wie erfiltert sich der Linguist die Bedeutung aus Belegen? (Heringer 1999, S. 41). miss-, z.B. missachten, missfallen, missglücken, misshandeln, missinterpretieren, misslingen, missraten, misstrauen, missverstehen. Vgl. auch daß man die Goethe-Zeilen „Bist, ach [...]“ problemlos für Heine-Zeilen miß-lesen könnte (Zeit 1996, Cosmas); so lange moderne Gesellschaften die 'neue Unübersichtlichkeit' und den ‘OrientierungsdschungeP kokett als die Bedingungen einer kollektiven Schnitzeljagd mißbeschreiben (Zeit 1997, Cosmas). Das Präfix dient der Negation und Relation. Es wird zum einen ein Nichttun ausgedrückt: Wer einen weisen Rat missachtet, achtet ihn nicht. Zum anderen wird ein falsches Tun ausgedrückt: Wer einen weisen Rat missdeutet, deutet ihn falsch. ver-, z.B. vergolden, verjüngen, verjagen. Vgl. auch Nur Gewöhnungseffekt verunauffälligt das Skandalon (Holbein 1996, S. 98). Mit nominaler Basis werden zum einen omative Verben gebildet; das Präfix bezeichnet eine hinzufügende Tätigkeit, die durch das von der Basis Bezeichnete semantisch näher bestimmt wird, z.B. verchromen, vergittern, verglasen, vergolden, verkabeln, verpflastern, verschalen, verschleiern, verschnörkeln: Wer ein Fenster vergittert, versieht es mit Gittern. Zum anderen werden effektive bzw. faktitive Verben gebildet; das Präfix bezeichnet eine Tätigkeit, bei der etwas zu dem von der Basis Bezeichneten wird bzw. gemacht wird, z.B. verfilmen, vergletschern, verkitschen, verschrotten, versklaven, verslumen, versnoben, vertrotteln, versumpfen, vertonen: Versumpft eine Waldgegend, wird sie zu Sumpf; wer jemanden versklavt, macht ihn zum Sklaven. Mitunter wird auch eine Tätigkeit bezeichnet, die mit einem in der Basis genannten Instrument oder Mittel ausgeführt wird: Wer ein Schiff vertäut, tut das mit einem Tau. Selten wird auch ein Verursacher genannt: Vermotten Kleider, wurden sie durch Motten beschädigt. Mit adjektivischer Basis werden effektive und faktitive Verben 18 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick gebildet, z.B. verallgemeinern, veralten, verarmen, verbessern, verblassen, verbreitern, verdeutlichen, verdünnen, vereinsamen, verengen, verewigen, verflüssigen, verjüngen, verlängern, verniedlichen, verrohen, versinnbildlichen, versüßen, verteuern, vertiefen, verunklaren, verunsichern, veruntreuen, verweltlichen, verzehnfachen', das Präfix bezeichnet dann eine Tätigkeit, die durch die von der Basis genannte Eigenschaft semantisch näher bestimmt wird: Wer verarmt, wird arm; wer eine Verständigung verunmöglicht, macht sie unmöglich. Die in der Forschungsliteratur viel diskutierte negative Nuance der ver-Verben besteht m.E. nicht: Neutralität (z.B. bei verflüssigen), positive Konnotation (z.B. bei verbessern) oder negative Konnotation (z.B. bei verarmen) bringen bereits die Basen mit; das Präfix ändert daran nichts. Bei Ableitungen aus Verben, z.B. verändern, verhungern, verjagen, verkaufen, verkleben, vermischen, verrühren, verschließen, verschmieren, versprechen, zeigt das Präfix u.v.a. eine Vollendung bzw. die letzte Phase vor einem Ende an: Verklingt Loreleys Gesang, hört er gleich auf zu klingen. Mitunter wird auch ausgedrückt, dass etwas entfernt oder sonst wie räumlich umpositioniert wird, vgl. ähnliches ent-\ Wer jemanden verjagtjagt ihn weg; wer das Sofa verrückt, rückt es anderswohin. Mitunter wird ausgedrückt, dass eine Verbindung hergestellt wird: Wer Butter und Mehl verknetet, verbindet beides durch Kneten. Mitunter wird ausgedrückt, dass jemand mit der von der Basis genannten Tätigkeit eine längere Zeitspanne rumbringt: Wer den Nachmittag verdöst, bringt den Nachmittag mit Dösen zu. Damit verbunden ist in der Regel eine negative Einschätzung des Tuns: Wer den Nachmittag verdöst, hätte nach Meinung des Sprecherschreibers seine Zeit sinnvoller verbringen sollen. Verbrauch wird auch angezeigt bei Verben wie vertrinken'. Wer sein Geld vertrinkt, verbraucht es durch Trinken. Ausgedrückt wird weiter eine Beschädigung durch unsachgemäße Durchführung der Tätigkeit: Wer den Blumenkohl verkocht, kocht ihn bis zur Unessbarkeit. Auch bei Verben mit Reflexivum, z.B. sich verrechnen, wird häufig ausgedrückt, dass es sich um ein verkehrtes Durchführen der von der Basis benannten Tätigkeit handelt: Wer sich verrechnet, hat falsch gerechnet. Solche Verben werden falsifikative Verben genannt. So auch sich verwählen, sich verschreiben, sich versprechen. Zur „Semantik einiger ver-Verben“ vgl. Sarlov (1992) und Schröder (1994). Die Wortbildungsarten 119 zer-, z.B. zerbrechen, zerkleinern, zerscherben. Anders als bei den anderen Derivaten mit verbtypischen Präfixen gibt es kaum zer-Verben mit nominaler oder adjektivischer Basis. Die Wortbildungsprodukte sind auffällig; offenbar ist die Möglichkeit, aus zer- und Nomen oder Adjektiv Verben zu bilden, wenig präsent. Vgl. aber Durch zerscherbte Fenster fliegen Tauben aus und ein (Hahnfeld 1996, S. 12), wie handfest Jose Clemente Orozco seinen Christus das verfluchte Kreuz zerbeilen läßt (Zeit 1997, Cosmas). Zum einen bezeichnet das Präfix eine zerstörende Tätigkeit, die durch ein in der Basis genanntes Instrument durchgcfubrt wird: Wer ein Kreuz zerbeilt, tut das mit einem Beil. Zum anderen nennt die Basis etwas, zu dem ein Objekt gemacht wird: Wird ein Fenster zerscherbt, wird es zu Scherben gemacht. Mit adjektivischer Basis werden faktitive Verben gebildet: Wer eine Banane zerkleinert, zerteilt sie in kleinere Stücke, d.h. macht sie kleiner. Wesentlich ausgebauter ist die Präfigierung von Verbbasen mit zer-, z.B. zerbrechen, zerbröckeln, zerhacken, zerknittern, zerkratzen, zerlegen, zermahlen, zerplatzen, zerquetschen, zerschneiden, zerspalten, zerstören, zem’ühlen. Hier bestimmt das Präfix die Verbbasis semantisch näher. Bei Verben, die bereits ein Einwirken auf etwas ausdrücken, signalisiert zerdie vollständige Durchführung der Tätigkeit, mitunter bis zur Zerstörung des affizierten Objekts: Zerschneidet jemand Wurst, schneidet er die gesamte Wurst auf; zerbricht jemand eine Kaffeekanne, ist die Kanne zerstört. Verbale Präfixderivate mit nominaler und adjektivischer Basis, z.B. betäuben, vergolden, sind insofern schwierig zu analysieren, als nicht ganz klar ist, was gemäß der Righthand Head Rule eigentlich der Kopf des Derivats sein soll: Dass der Kopf eines Verbs ein Nomen oder Adjektiv ist, schließt diese Regel ja ebenso aus, wie dass das Präfix, also die erste, die links stehende Einheit der Kopf ist. Vgl. Exkurs 10. Verschiedene Linguisten haben verschiedene Lösungen dieses Problems diskutiert; ich präferiere, Verbpräfixe ausnahmsweise für kopffähig zu halten. Auf jeden Fall aber können sie der semantische Kern eines Derivats sein. 120 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Exkurs 20: Einige Schwierigkeiten bei der Analyse expliziter Verbderivate Schwierigkeiten bei der Produktion von Wörtern gibt es eher selten. Sprecherschreiber bilden Wörter relativ unbelastet und auch Hörerleser rezipieren Wortbildungsprodukte relativ unbelastet. Die Schwierigkeiten hat eher der Linguist, wenn er analysieren und klassifizieren will. Schwierigkeiten bei der Analyse machen Präfixverben mit nominaler und adjektivischer Basis, z.B. bedachen, entkernen, vergolden und betäuben, erbittern, verarmen. Schwierig zu klären ist hier, was eigentlich der syntaktische Kern dieser Derivate sein soll, also das, was die grammatischen Merkmale festlegt: Auch in der Wortbildung des Deutschen gilt ja die Righthand Head Rule, also die Regel, dass die zweite Einheit jeweils der syntaktische Kern einer binären Struktur ist. Bei denominalen und deadjektivischen Präfixverben stört nun, dass die zweiten Einheiten {*dachen, *täuben) im Wortschatz nicht vorhanden sind und dass man sie sich auch nicht so recht als Okkasionalismen vorstellen kann. Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Man nimmt erstens an, dass es so etwas wie *dachen doch irgendwie, sozusagen virtuell gibt. Oder man nimmt zweitens an, dass es Präfixkonversion gibt. Oder man nimmt drittens an, dass ein Präfix doch ein syntaktischer Kem sein kann: - Die erste Annahme „virtueller Zwischenformen“ (Stiebeis 1996), also z.B. die Annahme eines virtuellen Verbstamms dach-, der erst in einem zweiten Ableitungsschritt mit bepräfigiert wird, fuhrt nicht weiter. Eschenlohr (1999, S. 108) fordert, dass die „‘direkte’ Ableitung eines Präfixverbs von einem nominalen Stamm“ jedenfalls immer dann angenommen werden müsse, „wenn die virtuelle Zwischenform ungrammatisch ist.“ Nun lässt sich über Ungrammatikalität bekanntlich endlos streiten: Immerhin sind Verben wie *dachen, *kernen vom System her durchaus möglich, denn im System ist ein Modell für konvertierte Verben dieser Art vorgesehen, z.B. zu *dachen omative Verben wie in Hermine zuckert den Kaffee, Hrair ölt die Fahrradkette und zu *kernen privative Verben wie der Fischhändler köpft, grätet und schuppt den Karpfen. Am System liegt es also nicht, dass *dachen und *kernen so merkwürdig wirken. Es liegt an der Norm. Verben wie *dachen wären im Sinne dieses Nichtnormgerechtseins als virtuell einzustufen. Virtuelle Wörter sind natürlich unbefriedigende Hypothesen: Dass es etwas geben soll, was es nicht gibt, widerspricht jedenfalls meiner Logik. Bei der Hypothese virtueller Zwischenformen fragt sich darüber hinaus, „ob eine Analyse plausibel ist, die stets einen zusätzlichen Ableitungsschritt erfordert“, denn „semantisch ist es mindestens genauso plausibel, von einer substantivischen Basis auszugehen“ (Plank 1981, S. 57f). Mit Eschenlohr (1999) sehe deshalb auch ich virtuelle Zwischenfonnen nicht als Königsweg an. So fraglich wie „virtuelle Zwischenformen“ sind ähnliche Modelle so u.a. das „holistische“ Analysemodell nach denen das Affix „als Anweisung zu verstehen ist, das Konzept seiner Basis so zu modifizieren, daß das Derivat ein verändertes Konzept aufweist“ (Meibauer 1995, S. 106). Auch hier spielt Virtuelles eine Rolle, das allerdings offenbar eher semantisch gemeint ist. Das Verbpräfix weist nach diesem Modell „keine eigenständige Bedeutung auf, sondern signalisiert nur, daß unter Beachtung bestimmter Beschränkungen ein passendes, ge- Die Worthildungsarten 121 genüber der Basis verändertes Konzept gefunden werden muß“ (ebd.). Diese Hypothese hat den Nachteil, dass auch hier an den Kommunikationsbedürfnissen und -prozessen vorbei analysiert wird: Ziel eines solchen Wortbildungsvorgangs ist ja nicht die Umnutzung oder Veränderung der Basis, z.B Dach, die durch ein Präfix signalisiert würde, sondern die Findung einer treffenden Bezeichnung für ein in der außersprachlichen Wirklichkeit Vorgefundenes Denotat, z.B. eine bestimmte Tätigkeit, bei der ein Dach hinzugefugt wird. Aus all diesen Gründen akzeptiere ich keine „virtuellen Zwischenformen“. - Auch die zweite Annahme ist m.E. wenig zweckdienlich; sie scheint mir mehr eine Ausflucht als ein Ausweg: U.a. Fleischer/ Barz (1995, S. 308) gehen von einem Modell Präfixkonversion aus. Nach diesem Modell besteht die Ableitung von Verben wie verarzten in gleichzeitiger Präfigierung und Konversion. Fleischer/ Barz sehen auch andere Wortbildungsprozesse als kombinierte Verfahren an, so die Präfix-Suffix-Derivation (z.B. Gesinge). Modelle kombinierter Verfahren sind jedoch nicht notwendig zur Erklärung von Phänomenen der Wortbildung. Die Präfix-Suffix-Kombination fasse ich als Zirkumfigierung auf. Vgl. 3.3.3. Und auch das bei Fleischer/ Barz Präfixkonversion genannte Verfahren, das vermeiden soll anzunehmen, dass Affixe die Hauptbedeutung eines Derivats tragen können, lässt sich anders erklären, nämlich mit der dritten Annahme, die davon ausgeht, dass auch Affixe semantische Kerne sein können. - Dass nicht nur Suffixe, sondern auch Präfixe Köpfe sein können, wird bereits seit längerem erwogen: „Williams (1981) und Lieber (1981) schlagen [...] vor, die germanischen Präfixe als Köpfe der komplexen Verben zu betrachten [...]. Als linksseitige Köpfe übertragen sie ihre morphosyntaktischen Spezifizierungen auf die Gesamtkonstruktion und sind somit imstande, Nomina und Adjektive zu verbalisieren“ (Olsen 1991, S. 341). Als syntaktischer Kern fungiert z.B. heinsofern, als es die grammatischen Merkmale des Derivats bestimmt: Ganz gleich, welcher Wortart die Basis angehört, sind fie-Derivate stets Verben. Sind Präfixe syntaktische Kerne, liegt die Vermutung nahe, dass Präfixe grundsätzlich auch semantische Kerne sein können (vgl. Donalies 1999a). Verben wie vergolden sind demnach Präfigierungsprodukte, bei denen das Präfix die grammatischen Merkmale des Derivats festlegt und Determinatum ist: verbezeichnet in diesem Sinne eine Tätigkeit, die durch Gold näher bestimmt wird. 4.2.1.3.2 Das verbale Suffixderivat Während die Präfigierung bei den Verben besonders ausgebaut ist und von Sprecherschreibera häufig und vielfältig genutzt wird, ist die Verbsuffigierung, zumal im Vergleich zur Nomensuffigierung, augenfällig ärmlich. Verwendet werden vor allem Lehnsuffixe (z.B. -ier mit Varianten wie -ifizier, -isier), mit denen meist eine Konfixbasis abgeleitet wird, zB. friste- 122 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick ren, solidarisieren, mitunter aber auch eine Wortbasis und zwar sehr häufig Adjektive, z.B. absolutieren, aktivieren, banalisieren, brüskieren, effektivieren, halbieren, immunisieren, intensivieren, kollektivieren, komplettieren, konkretisieren, legalisieren, legitimieren, marginalisieren, mobilisieren, privatisieren, sozialisieren, stolzieren, zentralisieren. Mit adjektivischer Basis werden vor allem faktitive Verben gebildet; das Suffix bezeichnet dann eine Tätigkeit, die durch die von der Basis genannte Eigenschaft semantisch näher bestimmt wird: Wer jemanden aktiviert, macht ihn aktiv; wer eine Brücke stabilisiert, macht sie stabil. Hier ist das Suffix also Determinatum. Bei suffigierten Verben wie spötteln <— spotten dagegen, bei denen die Basis stets ein Verb ist, ist das Suffix Determinans; das Suffix -el bestimmt hier das Basisverb semantisch näher als ‘spotten, und zwar scherzhaft, leichthin’. Neben zahlreichen etablierten Verben wie brummein, deuteln, lächeln, streicheln, tröpfeln, zischeln finden sich auch einige okkasionelle Derivate, die die Produktivität des Suffixes belegen, z.B. draußen klopfeiten die Fliegenschwärme an die heißen Bretter der Brückenverschalung (Guggenheim 1978, S. 42), und nickt und grinselt (Späth 1978, S. 65), der in seiner Rezension unkelt (Taz 1995, Cosmas), wir warten nicht, wir wartein (Taz 1995, Cosmas), Volkertpfiffelte das blöde Madagaskarlied vor sich hin (Loest 1995, S. 379). Semantisch gleich bedeutend mit dem Suffix -el ist das seltenere -er, z.B. blinkem <— blinken in von weit her, aus den Kinderjahren blinkert die längst verlorene Naivität der frühesten Geschichten (Brezan 1999, S. 194). 4.2.1.3.3 Das verbale Zirkumfixderivat Zirkumfigierung wird allgemein und auch zur Bildung von Verben selten genutzt. Im Deutschen sind nur zwei Verbzirkumfixe üblich: Mit dem Zirkumfix be-...-ig werden nominale und adjektivische Basen zu Verben abgeleitet, z.B. belobigen, begnadigen, beköstigen, beerdigen, beseitigen und begradigen, besänftigen, beschönigen. Denominale Verben drücken ein Hinzufugen aus (‘mit Lob, Gnade, Kost versehen’), mitunter auch eine Tätigkeit, bei der etwas lokalisiert wird (‘in die Erde, zur Seite schaffen’). Deadjektivische Verben sind faktitive Verben; sie lassen sich paraphrasieren als ‘gerade, sanft, schön machen’. Das äußerst seltene Zirkumfix in-...-ier bzw. dessen Variante in-...isierbezeichnet eine Tätigkeit, die durch den in der Die Wortbildungsarten 123 Basis genannten Ort semantisch näher bestimmt wird: Wer jemanden inthronisiert, bringt ihn auf einen Thron. Die Zirkumfixe sind immer Determinata. 4.2.1.4 Das explizite Derivat anderer Wortarten Durch explizite Derivation entstehen nicht nur Nomina, Adjektive und Verben, sondern auch Adverbien. Meist werden Nomenbasen mittels Suffix zu Adverbien abgeleitet, z.B. mit den Suffixen -halber (z.B. probehalber, ümstandshalber), -lings (z.B. bäuchlings, rücklings), -s (z.B. angesichts, abends), -wärts (z.B. feindwärts, talwärts). Dass Derivate dieses Typs produktiv sind, zeigen auch Okkasionalismen wie in zwei sich mundlings berührende Fischchen (Taz 1988, Cosmas), so rasant strebt es aber dann durch alles Hin und Her verhängniswärts (Taz 1994, Cosmas), Wer sich in vielen seiner Bücher so freundlich plauderlings gibt, den meint man zu kennen (Hanuschek 1999, S. 10). Mitunter werden auch Adjektivbasen suffigiert, z.B. mit den Suffixen -dings (z.B. neuerdings, schlechterdings), -ens (z.B. wärmstens, schnellstens), -lei (z.B. beiderlei, solcherlei), -weg (z.B. glattweg, rundweg). Eher selten werden andere Wortarten als Basen herangezogen, z.B. Präpositionen (z.B. in aufwärts) oder Adverbien (z.B. in hinabwärts). Präfigierung von Adverbien kommt offenbar nicht vor. Die in der Forschungsliteratur (z.B. bei Lenz 1995, S. 83) als Adverbien angegebenen Einheiten (z.B. fern, schwer und weit in unfern, unschwer, unweit) sind für mich ja in Anlehnung an Zifonun, G. et al. (1997) Adjektive in adverbialer Funktion. Dass sie als Adjektive in anderer, etwa in attributiver Funktion nicht mit unnegiert werden können (z.B. eine *unferne Erinnerung), ist eine Besonderheit der Adjektivnegation. 4.2.2 Das Konvertat Sprecherschreiber nutzen die Wortbildungsart Konversion relativ häufig. Mit der Konversion werden allein durch Wortartwechsel Derivate gebildet. Konvertiert wird z.B. lauf- —> der Lauf, laufen —> das Laufen, tief —> das Tief 124 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Angst —» angst, Fisch —> fisch(en). Besonders Verben werden sehr häufig durch Konversion gebildet, z.B. buttern, köpfen, süßen, weiten, wieseln, zelten, zuckern. Typisch für Konvertate ist, dass der Wortartwechsel nicht durch morphologisch fassbare Einheiten bewirkt wird. Vgl. Barz (2002), Vogel (1996). Das ist bei den anderen beiden Derivationsarten elementar anders; dort zeigt sich die Ableitung immer auch morphologisch, nämlich bei der expliziten Derivation durch Affixe (z.B. in schön —> Schönheit) und bei der impliziten Derivation durch Ablaut (z.B. in trinken —»tränken). Unregelmäßig kommt bei der Konversion lediglich Umlaut vor, der den Wortbildungsvorgang allerdings nur begleitet, nicht anzeigt, z.B. bei Kopf—» köpfen. Gelegentlich liest man in der Forschungs- und Lehrliteratur, dass z.B. aus einer adjektivischen Basis süß der Infinitiv süßen abgeleitet würde, also morphologisch doch etwas hinzutritt, nämlich das infinitive -en. Wie oben ausgeführt, sind Flexionsaffixe jedoch keine wortbildenden Einheiten; ein Flexionsaffix wie das -en bewirkt nicht den Wortartwechsel von Nomina bzw. Adjektiven zu Verben, es zeigt lediglich an, dass es sich um ein Verb handelt. Flexionsaffixe sind ja Einheiten, die an einen Stamm angehängt werden können und bestimmte Formen eines Flexionsparadigmas markieren, so markiert -en u.a. den Infinitiv der Verben, z.B. stehen, gehen, wollen, sollen. Insofern gehören Flexionsaffixe nicht zur Wortbildung. Vgl. zur Abgrenzung der Wortbildungsvon den Flexionsaffixen u.a. Eisenberg (1998, S. 204f), Fleischer/ Barz (1995, S. 49), Naumann/ Vogel (2000) und Laca (2001). Vor allem entstehen per definitionem durch Wortbildung Wortstämme und niemals Wortformen. Aus dem Adjektiv süß wird also der Verbstamm süßabgeleitet, d.h., es ändert sich morphologisch nichts. Semantisch ist zu unterscheiden zwischen erstens der Konversion, bei der eine Basis in eine andere Wortart wechselt, ohne dass damit eine kategorielle Bedeutungsveränderung verbunden ist, z.B. das Laufen, jemandem ist angst. Flier werden Wörter lediglich syntaktisch umgenutzt. Und zweitens der Konversion, bei der eine Basis zu etwas ganz Anderem abgeleitet wird, z.B. süßen ‘süß machen’ oder fischen ‘Fische fangen’. Konvertierte Verben wie süßen und fischen sind in der Regel dieser zweiten Gruppe zuzuordnen. Die Die Wortbildimgsarten 125 Nomen- und Adjektivkonvertate wie das Laufen und angst sind in der Regel der ersten Gruppe zuzuordnen. Durch Konversion entstehen: - Das nominale Konvertat - Das adjektivische Konvertat - Das verbale Konvertat 4.2.2.1 Das nominale Konvertat Sicher am häufigsten nutzen Sprecherschreiber die Konversion aus Verbinfmitiven, z.B. drehen —> das Drehen, so auch das Gehen, das Gelingen, das Singen, das Sehen, das Stehen, das Beten, das Verfluchen. Zur Infinitivkonversion werden mitunter auch Verbphrasen mit Reflexivpronomen als Basis verwendet, z.B. verbittertes Sich-Abfinden [...], Sich-Einmischen und Sich-Verweigern (Loest 1995, S. 144). Vgl. auch Barz (1998). In der Forschungsliteratur (u.a. bei Wurzel 1988 und Leser 1990) ist umstritten, ob nominale Konvertate aus Verbinfmitiven (z.B. das Gehen) überhaupt zur Wortbildung gehören. Ich rechne die Infmitivkonversion zur Wortbildung: Wortbildung habe ich definiert als ein Verfahren der Wortschatzerweiterung, des Hinzugewinnens von Wörtern aus vorhandenem Sprachmaterial. Bei der Infinitivkonversion wird der Wortschatz um Nomina erweitert, die sich durch ihre nomentypischen Merkmale deutlich von ihren Basen unterscheiden; so zeigen aus Infinitiven abgeleitete Nomina u.a. eine nomenspezifische Flexion, z.B. des Widersprechens müde. Häufig finden sich auch Derivate aus Präsensverbstämmen, z.B. Lauf, Schlaf, Schwenk, Stau, Treff so auch Okkasionalismen wie in Sie sagen, das sei kein Borg, das sei eine Bettelei (Kesten 1931, S. 152), Und ich erinnere mich an die große kalte Küche unseres Hauses, deren Fliesenboden immer von frischem Aufwisch feucht war (Koeppen 1954, S. 44f), allerdings war das Gewebe [des Schirms) den Wassermassen nicht gewachsen, zersiebte lediglich die Tropfen zu Nieset (Woelk 1993, S. 167), Auszuckerung und Nachdunklung bedeuten keinen Verderb, sondern sind natürliche Vorgänge (Aufschrift auf einer Tüte mit Sonnenblumenkemen der Firma Kluth 1998), 126 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick der letzte Austrag des Kampfes darum der Zweite Weltkrieg hatte nichts übriggelassen von der alten Klassenordnung (Rezzori 1999, S. 335), Burton, ein Kind der Woodstock-Generation, der in einer Werbeagentur jobbt und nur einen kleinen Ausflipp hatte nehmen wollen (Koenen 2003, S. 15). Ebenfalls als Konvertate analysiere ich Wortbildungsprodukte des Typs Biss. In der Forschungsliteratur meist als implizite Derivate verstanden, sehe ich sie als unmittelbare Ableitungen aus verschiedenen Verbstämmen, vor allem aus Präteritalstämmen. Etablierte Nomenderivate dieser Art sind z.B. Betrieb, Biss, Ritt, Tritt, Verbot, Wurf, Zwang. Wortbildungsprodukte wie Wurf sind aus sprachhistorischen Formen konvertiert. Mitunter kommen auch hier Okkasionalismen vor, z.B. ein kleiner Spazierschlich (Klemperer 1934, S. 162). Semantisch ist die Konversion von Nomina des Typs Wurf durchweg als Transposition anzusehen, d.h., die Verben werden lediglich zu Nomina umfunktioniert, ihre kategorielle Bedeutung wird dabei aber nicht verändert, z.B. der Flug nach Armenien dauert vier Stunden ist dasselbe wie nach Armenien zu fliegen dauert vier Stunden. Vgl. dagegen 4.2.3. Aus Verbstämmen konvertierte Nomina sind offenbar grundsätzlich Transpositionsprodukte, d.h., es findet ein Wortartwechsel statt, von dem die kategorielle Bedeutung nicht betroffen ist. Transposition liegt auch vor bei Nomina wie Sitz ‘Sitzgelegenheit’ (z.B. in den Komposita Autositz, Hochsitz, Kindersitz): Nomina wie Sitz ‘Sitzgelegenheit’ analysiere ich als umgedeutete, so genannte sekundäre Bildungen; aus Sitz mit der primären Bedeutung ‘das Sitzen’ (sie lobte den Sitz seines Fracks) hat sich eine sekundäre Bedeutung konkretisiert. Auch bei Konvertaten wie Versteck, zu denen es heute keine transponierten Pendants mehr gibt (Großvater Eduard plant den ^Versteck von Ostereiern im Kürbisbeet), liegen offenbar historisch nachweisbare primäre Bildungen zugrunde, z.B. einen versteck machen (Adelung, nach DWB 25, 1956, Sp. 1639). Eher selten wird die Konversion von Adjektivstämmen zur Bildung von Bezeichnungen für Eigenschaften genutzt, z.B. Ernst <— ernst. So auch in Ein umlaufendes Kranzgesims, das ebenso sparsam gestaltet ist wie die Kapitelle, begrenzt das Erdgeschoss, das schwer in seinem Düster lastet (Illig 2000, S. 24f.), Als Letztes solltest du wissen, dass hier der texanische Winter eingezogen ist. Aber welch ein schlapper und dürftiger Winter. Da sollten Die Wortbildungsarten 127 die sich ein Beispiel nehmen an unserm deutschen Matsch und Wind und Grau und Kalt (Becker 2004, S. 207). Häufiger bilden Sprecherschreiber dagegen, auch okkasionell, Personen bezeichnende Konvertate mit adjektivischer Basis, z.B. der alte Unverzagt (Barlach 1936, S. 271), ein korrekt gekleideter Stehkragenneureich (Mahlsdorf 1992, S. 162). Formen wie der Charmante, die Kluge sind für mich dagegen keine Wortbildungsprodukte. Es gibt im Deutschen nämlich keine Nomina, die adjektivtypisch flektiert werden oder Komperativ- und Superlativformen haben. Formen wie im kleinen Schwarzen, der Charmantere, der Behutsamste haben eindeutig Adjektiv-, nicht Nomentypika. Adjektivtypisch sind außerdem regelmäßige Genusvarianzen, z.B. der Kleine, die Kleine, das Kleine, und syntaktische Verwendungen des Typs das ganz Kleine, das sehr Allgemeine. Die fraglichen Formen sollten allerdings auch nicht als Adjektive interpretiert werden, weil es allen gängigen Syntaxtheorien widerspräche anzunehmen, dass es Nominalphrasen mit adjektivischem Kopf gäbe. Daher analysiere ich Fonnen wie der Charmante, das kleine Schwarze als „wissens-gestützte Ellipsen“, d.h. als Nominalphrasen mit einem Nomen, das nicht unbedingt expliziert werden muss, z.B. der charmante {Mann), das kleine schwarze {Kleid). Vgl. auch etablierte Ellipsen wie in Onkel Helmuth und Tante Hertha fuhren wieder mit der Elektrischen (Rezzori 1976, S. 219). Außerdem werden Nomina aus sonstigen Wortarten oder mitunter auch aus Sätzen und Phrasen konvertiert. Diese Nomina sind meist irgendwie auffällig, aber vom System her erlaubt: Möhrings waren Frühaufs [...] ob ihr Mieter nicht ein Frühaufsei (Fontane 1907, S. 16), sein Leben im schrankfreien Überall (Barlach 1936, S. 34), die Lippen der Mussehls sogen das Tröpfchen Blut wie ein rotes Bißchen Vergißmichschnell ein (ebd. S. 271), Der Gauleiter und seine Frau waren umgekommen. Sie hatten die kleine Todeskapsel des Für-alle-Fälle geschluckt (Koeppen 1953, S. 13), Und die Straße führt nur ins Undsoweiter (Noteboom 1958, S. 87), Die Philosophen sind wirlose Iche (Zeit 1987, Cosmas), Eindrücke wieder mal von Langzuvor und Fastnichtmehrwahr (Rühmkorf 1995, S. 362), Sie ist ohnehin eine von denen, die das Eshätteseinkönnen mehr mögen als das Soistes (Demski 1997, S. 54). 128 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Extrem ungewöhnlich, weil sie übliche Abfolgen auf den Kopf stellen, sind okkasionelle Konvertate wie in Diese Verwendung-von-Sprache-zu-einem- Zweck konstituiert sich in Akten des Meinens und Verstehens (Hörmann 1978, S. 497); hier ist regelwidrigerweise der syntaktische und semantische Kopf des Konvertats Verwendung, also die erste Einheit. So auch in mit den für die Gespräche-am-Tage-danach in zu großer Fülle bereiteten Speisen (Lander 1995, S. 81), Sie war ja schließlich nicht bloß Mrs. Lincoln, sie war Frau-Präsident-der- Vereinigten-Staaten-die-sich-im-Krieg-beßnden (Griesemer 2003, S. 466). Warum Sprecherschreiber das Bedürfnis haben, Wörter zu bilden statt Phrasen wie diese Verwendung von Sprache zu einem Zweck, die Gespräche am Tage danach, ist mir nicht ganz klar. Vermutlich soll hier etwas grafisch als noch stärker zusammengehörend markiert werden. Selten, wohl vor allem der begrenzten Auswahl der Basen wegen, kommen auch Nominalisierungen von bedeutungshaltigen Wortbildungsaffixen wie -ismus vor, z.B. Sartre, Camus und die Ismen der vierziger Jahre (Meckel 1983, S. 81), Ein Ismus ist immer eine Ideologie, das Gegenteil einer wissenschaftlichen Theorie (Ditfurth 1989, S. 109). Vgl. Strauß (1989, S. 188- 208). Wer möchte, kann hier darüber nachdenken, ob damit ein Wort Ismus gebildet wurde und Wortbildungsprodukte wie Kapitalismus folglich Komposita sind. 4.2.2.2 Das adjektivische Konvertat Das Bedürfnis, den Wortschatz der Adjektive durch Konversion zu erweitern, ist nur schwach ausgeprägt. Relativ häufig sind konvertierte Adjektive aus Partizip-II-Formen: Hier können vor allem Partizipien aus transitiven Verben mit werafen-Passiv und Akkusativobjekt (z.B. in die Frau wird irritiert) adjektiviert werden. Dabei wird jeweils das Akkusativobjekt durch das konvertierte Adjektiv attribuiert, z.B. die irritierte Frau, eine geladene Pistole. Auch die Partizipien intransitiver Verben mit Sem-Perfekt können mitunter adjektiviert werden; diese Möglichkeit ist aber offenbar semantisch beschränkter: So können keine Partizipien aus intransitiven Verben mit durativer Semantik adjektiviert werden, z.B. in der *geschlafene Richard, die ^gelachte Leonore; adjektivierbar Die Wortbildungsarten 129 dagegen sind die Partizipien aus intransitiven Verben bzw. Präverbfugungen mit resultativer Semantik, z.B. in der eingeschlafene Richard, die erblühte Rose. Mitunter werden Partizipien aus Intransitiva mit / / oöew-Perfekt (z.B. er hat ausgeschlafen) konvertiert, z.B. der ausgeschlafene Richard. Adjektive wie in eine schreibende Frau sind m.E. keine Konvertate aus Verbformen des Typs schreibend, die allgemein bekanntlich als Partizip I bezeichnet werden. Vielmehr sehe ich sie als explizite Derivate aus einem Verbstamm und dem Wortbildungssuffix -end: schreib- + -end = schreibend Bei der Bildung dieser Formen gibt es offenbar keine Beschränkungen, z.B. ein irritierender Mann, ein verwundernder Gedanke, eine schreibende Frau. Exkurs 21: schreibend - Verbform oder Adjektivderivat? Der lateinischen Grammatik analog werden im Deutschen Partizip-I-Formen des Typs lesend, schreibend meist den Verbformen zugerechnet; jedoch finden sich keine solchen Formen im Verbparadigma (vgl. dazu u.a. Eisenberg 1998, S. 204): sie hat ^schreibend. Formen wie schreibend haben Adjektivcharakter: die schreibende Frau. Offenbar handelt es sich bei schreibend also eher nicht um eine Verbform, sondern um ein Adjektiv. Wird aus einem Verbstamm {schreib-) durch Anhängen eines Suffixes ein Adjektiv, ist dies per definitionem Wortbildung und zwar explizite Derivation; das wortartverändernde Suffix -end ist dann ein Wortbildungs-, kein Flexionsaffix. Allerdings zeigt dieses Muster zur Bildung von Adjektiven einige Ungewöhnlichkeiten: Ungewöhnlich ist etwa, dass es absolut keine Restriktionen gibt; jeder Verbstamm und jede Präverbfügung kann mit -end abgeleitet werden, z.B. aufbrausend, belagernd, einmischend, sich freuend, lachend, überschäumend, wandelnd, zagend, zahnend, zeternd. Ähnlich unbeschränkt ist im Bereich der Wortbildung nur noch die Infmitivkonversion (z.B. das Aufbrausen, das Belagern, das Zagen). Vor allem aber haben explizite Adjektivderivate wie schreibend höchst unadjektivische Eigenheiten: So sind viele nicht steigerbar (z.B. die *schreibendere Frau, die *schreibendste Frau, aber die aufbrausendste, die überzeugendste Frau)', auch sind zahlreiche der Derivate in der Regel nicht mit unnegierbar, verhalten sich hierin also doch eher wie Verben (z.B. eine *unschreibende Frau, aber die ungenügende, die unzureichende Frau). Schließlich ist ungewöhnlich, dass verbtypische und adjektivuntypische Akkusativrektionen bestehen: die Liebste anlachend, den gordischen Knoten zerhauend. Adjektive regieren zwar mitunter den Genitiv (z.B. der Liebsten sicher) oder den Dativ (z.B. der Liebsten treu), aber normalerweise (mit Ausnahme der 130 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Erstreckungsadjektive wie in eine Rauchpause lang) nicht den Akkusativ. Diese akkusativische Rektion erben die Adjektivderivate also offenbar unverändert von ihrer Verbbasis: die Liebste anlachen, den gordischen Knoten zerhauen. Wir haben es also hier mit etwas ungewöhnlichen Adjektiven zu tun; „möglicherweise müssen wir sie als defektive Adjektive ansehen“ (Eisenberg 1998, S. 204). Gelegentlich wird die Konversion von Adjektiven aus Adverbien genutzt, allerdings sind diese Konvertate größtenteils auffällig, jedenfalls in der geschriebenen Standardsprache, z.B. mit zuem Mund (Kempowski 1984, S. 304), eine Anwehung aus ganz weit weggen Jugendzeiten (Rühmkorf 1995, S. 511), in diesem Moment der beinahen Stille (Taz 1996, Cosmas). Seltener finden sich etablierte Konvertate mit nominaler Basis wie ernst und schmuck, die typisch adjektivisch gebraucht werden, z.B. eine ernste Angelegenheit, die ernst behandelt werden sollte, das Mädchen ist wirklich schmuck', vgl. auch okkasionelle denominale Adjektive wie in Die Kaldaunen [...] hingen wie ekle bleiche Waben im langen Riemen an den Haken (Koeppen 1961, S. 63), es war ein grimmer Winter (Rezzori 1994, S. 58), so muß der Auftritt der „Galerie Oz“ nicht besonders knigge gewesen sein (Taz 1997, Cosmas). Andere in der Forschungsliteratur vielfach genannte Konvertate mit Nomenbasis (z.B. angst, feind, freund, leid, pleite, schuld, not) sind syntaktisch stark eingeschränkt, z.B. ihm ist angst, sie ist schuld, aber eine *feinde Angelegenheit, ein *schuldes Mädchen', vgl. auch nominales Schuld in er hat Schuld. In der Forschungsliteratur ist daher umstritten, ob solche Wortbildungsprodukte überhaupt als Adjektive angesehen werden sollen. Bei adjektivischen Konvertaten liegt grundsätzlich Transposition vor, also eine Veränderung der grammatischen Funktion, nicht aber der kategoriellen Bedeutung: Die erblühte Rose ist erblüht, die schreibende Frau schreibt, ein schmuckes Mädchen ist ein Schmuck. 4.2.2.3 Das verbale Konvertat Als Basis verbaler Konvertate kommen so gut wie alle Nomina in Frage; etabliert sind Derivate mit Tierbezeichnungen, z.B. sich aalen, büffeln, dackeln, gackeln, reihern, robben, tigern, unken, wieseln, oder mit Eigenna- Die Wortbildungsarten 131 men, z.B. gaucken, kneippen, mendeln, röntgen. Vgl. zu Verben aus Eigennamen u.a. Wengeier (2000) und Donalies (2004a). Mit Nomenbasis gebildet werden u.a. Verben, die ein Hinzufugen ausdrücken, z.B. düngen, ehren, loben, ölen, pfeffern, polstern, salzen, zuckern, ein Wegnehmen oder Verlieren, z.B. häuten, köpfen, schälen, schuppen, ein Einverleiben, z.B. frühstücken, kümmeln, vespern, oder ein Hervorbringen, z.B. eitern, fohlen, kalben, krümeln, rußen. Oft bezeichnen konvertierte Verben auch Tätigkeiten, die mit einem Instrument ausgefuhrt werden, z.B. geigen, flöten, löffeln, meißeln, pinseln, sensen, sicheln, oder die mit Tätigkeiten charakteristischer Lebewesen verglichen werden, z.B. gärtnern, gockeln, Schriftstellern, schulmeistern. Vgl. als Zeichen der Produktivität auch die sehr zahlreichen okkasionellen Ableitungen aus zum Teil komplexen Nomina wie in „Und sieh dich vor, Rieckchen. Christel sagt mir eben, es glatteist! “ (Fontane 1882, S. 93), und papageit von dem überwundenen System (Klemperer 1933, S. 58), Bis er offenbar auf eigene Rechnung langfingerte (ders. 1942, S. 154), daß sich Kühe in einem Stall von Format einer Theaterbühne wohl fühlen und so stramm milchen wie in einem hellwarmen Massivstall (Strittmatter 1963, Cosmas), bei Hühnern und Entenvögeln, bei denen nur die Weibchen brutpflegen (Lorenz 1963, S. 49), und nur wenn sie ganz selbstvergessen ist und sich nicht mehr als Zugpferd alpträumt (Rezzori 1976, S. 227), Sie rechteckten [...] ums Volleyballfeld (Loest 1981, S. 368), Helga Storck harft (Taz 1985, Cosmas), er naste nach den Schornsteinen (Schneider 1994, S. 11), Elias steckte eine Kerze an, wachste sie fest (ebd., S. 68), faustete sich durch die Menge (ebd., S. 73), „Jetzt reicht's! “ giraffte Regine Hildebrandt (Taz 1996, Cosmas), Becky Sharp, das ist ein Superweib, die abenteuert durch die Gegend (marie claire 10/ 1996, S. 74), Ich [...] ziehe ein paar Pfannen vom Feuer, lade ein paar Muscheln nach, sauce eine Ente, richte ein paar Fasane an und checke mein Klemmbrett (Bourdain 2001, S. 230), Alles in allem waren diese Maulhelden ebenso besiegt wie ich! Die prahlhansten nur noch ein bisschen (Celine 2003, S. 152). Aus Adjektiven konvertierte Verben sind z.B. bleichen, faulen, garen, grünen, heilen, nässen, säuern, süßen, trocknen, welkem, vgl. auch okkasionelle Wortbildungsprodukte wie in Sitzen da und scherzen über die Langeweile hinweg. Eiteln über ihre wichtigen Aufträge (Berg 1997, S. 98), Vielleicht fremdeten wir voreinander, die Stark und ich (Hürlimann 2001, S. 168). In der Forschungsliteratur ist umstritten, ob verbale Konvertate mit Adjektivba- 132 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick sis als produktiv gelten können oder nicht (vgl. Olsen 1986 und Eisenberg 1998, S. 285). Beschränken lassen sich Sprecherschreiber bei der Konversion von Verben aus Adjektiven offenbar durch die Komplexität einer Basis: Nicht konvertiert werden üblicherweise komplexere Adjektive (z.B. sie *niedlicht ihre Schwester, vgl. aber verniedlichen). Bei der Konversion von Verben aus Nomina gibt es solche Beschränkungen nicht (vgl. brutpflegen, langfmgern, rechtecken, Schriftstellern). Mitunter werden auch sonstige Wortarten oder Phrasen und Sätze als Basis verwendet, z.B. ich werweißte noch, wußte nicht, ob ein oder aus (Späth 1978, S. 112), Studenten, die das FDJ-Angebot nicht unterschreiben, werden geext (Reimann 1997, S. 213), und das Parkett {dort saßen die Delegierten) murrte undpfuite (ebd. S. 277). Relativ häufig als Basis sind Onomatopoetika, z.B. in tuten, ticken, piepsen. Ausgedrückt wird immer eine Verlautung, z.B. die Uhr tickt, das Küken piepst ‘die Uhr macht tick, das Küken macht pieps’. So auch okkasionell Die Fliegen ssssten (Özdamar 1992, S. 73). 4.2.3 Das implizite Derivat Mit der impliziten Derivation werden implizit, nämlich durch einen internen Ablaut, durch Stammvokalwechsel, Derivate gebildet, z.B. trinken —> tränken. Ablaut als wortbildendes Mittel gibt es ausschließlich als Charakteristikum der impliziten Derivation. Die verbalen Basen der durch implizite Derivation abgeleiteten Verben werden semantisch stets deutlich verändert. Hier handelt es sich um Determination. Determiniert wird dabei immer nach dem gleichen Muster: tränk(en) ‘trinken machen’, setz(en) ‘sitzen machen’. Verben dieses Typs werden kausative Verben genannt (zu lat. causativus ‘verursachend’). Als implizite Derivate werden häufig auch Nomina des Typs Flug, Schritt, ITm/ / betrachtet. Diese Nomina sollen aus Verbstämmen wie flieg-, schreit-, werfmittels Ablaut abgeleitet worden sein. Dies wäre jedoch ein relativ umständlicher Weg: Ein Präsensverbstamm würde sowohl abgelautet als auch nominalisiert. Im Gegensatz dazu nehme ich an, dass diese Wortbildungsprodukte unmittelbar aus den entsprechenden Verbstämmen konvertiert worden sind, so z.B. Wurfaus dem mhd. Präteritumstamm wurf-. Die Wortbildungsarten 133 Die implizite Derivation beschränkt sich also auf die Bildung von Verben aus Verben. Typische implizite Derivate sind liegen —> legen, sinken —> senken, sitzen —» setzen, trinken —» tränken. Allerdings gibt es nur ein kleines Inventar etablierter Wortbildungsprodukte, das kaum über die hier genannten hinaus geht. Okkasionalismen sind mir nicht bekannt. Das „Grundmodell der impliziten Derivation“ kann auch nach Fleischer/ Barz (1995, S. 51) heute nicht mehr als produktiv gelten. Eschenlohr (1999, S. 91) hält es sogar generell für fraglich, ob Ablaut „jemals ein produktives morphologisches Mittel war“. Die Derivation des Deutschen besteht also aus den beiden hoch produktiven Verfahren explizite Derivation und Konversion sowie dem hoch unproduktiven Verfahren implizite Derivation. Im Deutschen nicht zur Erklärung von Derivaten benötigt wird m.E. die wenig plausible Kategorie Rückbildung, d.h. die Ableitung mittels Entfernung eines Wortbildungsaffixes (z.B. Sanftmut <— sanftmütig, notlanden Notlandung). Exkurs 22: Die Rückbildung Unter Rückbildung, auch Pseudokomposition, Scheinkomposition oder retrograde Derivation genannt, wird in der Forschungsliteratur eine Wortbildungsart verstanden, bei der Wörter aus expliziten Derivaten mittels Tilgung des Wortbildungsaffixes gebildet werden, z.B. sanftmütig —> Sanftmut. Die Rückbildung ist sozusagen die Zurücknahme einer expliziten Derivation. Als typische Rückbildungsprodukte gelten in der Forschungsliteratur Wörter wie Sanftmut <— sanftmütig, Unnatur <— unnatürlich, Eigensinn <— eigensinnig, Mondsucht <— mondsüchtig, notland{en) <— Notlandung, bauchland(en) <— Bauchlandung. Gelegenheitsbildungen, die üblicherweise als Rückbildungsprodukte interpretiert werden, sind u.a. Nicht bei denen bei uns haben sie hausdurchsucht (Seghers 1933, S. 131), eine Gesamtheit, die auf sehr komplizierte Art und Weise in sich selbst wechselwirkt (SchnabeFSentker 1997, S. 279). Zu einer von der traditionellen Forschungsliteratur weitgehend abweichenden Definition der Rückbildung vgl. Eschenlohr (1999, S. 144f.). Die Rückbildung ist ein Erklärungsmodell, das sich zum einen auf nicht immer zuverlässige Quellenrecherchen bzw. fragwürdige Spekulationen stützen muss und zum anderen synchron gegenwartssprachlich gesehen nicht unbedingt gebraucht wird: - Zum einen beruht die Rückbildungshypothese auf der Annahme, dass ein Wort (z.B. Sanftmut) zeitlich nach einem anderen (z.B. sanftmütig) aufgekommen sei. Weil jedoch prinzipiell niemand alle deutschsprachigen geschriebenen und ge- 134 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick sprochenen Texte aller Sprachstufen auswerten kann, kann prinzipiell niemals nachgewiesen werden, dass ein Wort vor einem anderen gebildet worden ist. Daher wurde vorgeschlagen, Rückbildungen nicht nur historisch zu belegen, sondern auch nach dem Kriterium der morphologisch-semantischen Motiviertheit zu entscheiden. Dies führt jedoch ebenfalls nicht zu befriedigenden Ergebnissen: Morphologisch argumentiert wird u.a. mit Genusunterschieden, z.B. mit dem Genusunterschied zwischen femininem Sanftmut und maskulinem Mut. Aus diesem Unterschied wird abgeleitet, dass Sanftmut nicht als Zusammensetzung mit Mut erklärt werden könne. Dies überzeugt jedoch nicht, denn schon Wörterbuchbelege wie dein sanftmuht (Weckherlin 17. Jh., nach DWB XIV 1893, Sp. 1787) zeigen, dass das heutige Genus keineswegs immer das einzige ist. Vielmehr ist der Wechsel bzw. das Nebeneinander von Genera ein aus Sprachgeschichte und aus Dialekt versus Standdardsprache bekanntes Phänomen, das alle Wörter, nicht nur Wortbildungsprodukte betrifft, z.B. ahd. das muot (DWB XII 1885, Sp. 2782), fmhd. der und das taufe neben die taufe oder schwäbisch der Butter neben standarddeutschem die Butter. Dass Sanftmut heute ein Femininum ist, schließt also keineswegs einen Zusammenhang mit maskulinem Mut aus. Auch semantische Überlegungen überzeugen nicht: So ist z.B. Sanftmut zwar tatsächlich nicht zu analysieren als Kompositum aus sanft und gegenwartssprachlichem Mut ‘Tapferkeit’, aber durchaus als Kompositum aus sanft und historischem Mut ‘Gemütszustand, Befindlichkeit’, wie es heute noch in guten Mutes sein existiert. Vgl. noch DWB XII (1885, Sp. 2782): „mut [...] bezeichnet das innere eines menschen nach allen verschiedenen seiten hin“. - Zum anderen können die in der Forschungsliteratur als Rückbildungsprodukte interpretierten Wörter synchron gegenwartssprachlich gesehen offenbar in allen Fällen als Wortbildungsprodukte der sonstigen Wortbildungsarten verstanden werden, nämlich als Komposita, z.B. Sanftmut als ‘sanfter Mut’, mähdresch(en) als ‘mähen und dreschen in einem Arbeitsvorgang’, Unnatur kann als explizites Derivat analysiert werden: Natur + Un-, Die von Äsdahl-FIolmberg (1976) als Pseudokomposita bezeichneten Verben des Typs bruchrechnen, notlanden schließlich sind keine Wortbildungsprodukte: Wortbildung ist ja die Bildung von Wörtern, d.h. von syntaktisch untrennbaren Einheiten. Verben mit syntaktisch mobilen Bestandteilen (z.B. er rechnet Bruch, erfährt Rad) sind dieser Definition nach keine Wörter. Ich verstehe sie als Präverbfügungen und nehme sie von der Wortbildung aus. Vgl. Exkurs 2. - Schließlich bleibt ungeklärt, wie denn eigentlich eindeutige Derivate wie sanftmütig oder eigensinnig analysiert werden sollen: Derivate aus Sanftmut und Eigensinn + -ig können sie ja der Rückbildungshypothese zufolge nicht sein, wenn Sanftmut und Eigensinn gerade umgekehrt aus sanftmütig und eigensinnig abgeleitet worden sein sollen. Was aber dann? Die Katgeorie Rückbildung betrachte ich aus diesen Gründen als unnötig. Die Wortbildungsarten 135 Der Rückbildung werden mitunter auch Derivate wie Kauf zugerechnet (Fischer et al. 1987, S. 79). Sie werden als Rückbildungsprodukte aus einer Infmitivform (z.B. kaufen) interpretiert, von der das Flexionsaffix (z.B. -en) getilgt wird. In der Wortbildung spielen Flexionsaffixe wie in diesem Wortbildungsüberblick vielfach wiederholt werden muss unmittelbar aber keine Rolle; sie dienen ja der Flexion, nicht der Wortbildung; insofern haben sie nicht teil an Wortbildungsprozessen, sondern kommen höchstens vor als mitgebrachte Elemente von in der Wortbildung verwendeten Wortformen (z.B. in Sohnespflicht). Derivate wie Kauf analysiere ich daher (wie u.a. auch Fleischer/ Barz 1995, S. 52) als Konvertate aus verbalen Stammformen: kauf- —> Kauf. In diesem Sinne ist es übrigens auch verfehlt, „Wurzelwörter“ wie protz, prahl oder grübel grübel als Rückbildungen zu den Infinitivformen der Verben, sozusagen als „Kürzung eines Verbs auf seinen Stamm“ zu verstehen (Androutsopoulos 1998, S. 186). Diese vor allem comicsprachlichen, aber auch sonst, besonders in der legeren Umgangssprache vorkommenden Wörter werden plausibler mit Teuber (1999) als „Inflektive“ verstanden, d.h. als Verbformen; in seinem Sinne sind auch sie keine Phänomene der Wortbildung. Ebenfalls als Rückbildungsprodukte werden in der Forschungsliteratur mitunter Wortbildungsprodukte wie Entscheid interpretiert (so bei Schippan 1967, S. 86, und Erben 1993, S. 34f.); sie werden als Ableitungen aus parallelen expliziten Derivaten wie Entscheidung gesehen. Erben (1993, S. 34) nennt sie „Erleichterungsrückbildungen“. Deren Ableitungsweg wäre jedoch relativ kompliziert: entscheid—> Entscheidung —> Entscheid. Weil es für einen so komplizierten Umweg keinen guten Grund gibt, analysiere ich Wortbildungsprodukte dieses Typs mit Fleischer/ Barz (1995, S. 52) als unmittelbare Konvertate aus einem Verbstamm: entscheid- —> Entscheid. Mitunter wird die Rückbildung der Kurzwortbildung zugerechnet. Dies stimmt allerdings wenig überein mit der üblichen Definition der Kurzwortbildung: Typische Kurzwortbildungsprodukte sind S-Bahn, Azubi und LKW. Vgl. 4.3. Zu diesen Wortbildungsprodukten kann man Rückbildungsprodukte wie notlanden oder Sanftmut jedoch stimmigerweise nicht stellen: Kurzwörter sind Dubletten ihrer Langformen, es findet kein Wortartwechsel statt und auch die Bedeutung bleibt weitgehend erhalten. Ebenso wenig als eigenen Untertyp der Derivation benötigt wie die Rückbildung wird die Zusammenbildung. Die in der Forschungsliteratur mitunter als Zusammenbildungsprodukte separierten Wörter des Typs Dickhäuter, Langschläfer und viertürig, blauäugig können problemlos als Phrasenderivate analysiert werden, z.B. dicke Haut + -ig. Vgl. Exkurs 18. 136 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Derivation wird also definiert als Ableitung von Wörtern, Konfixen, Sätzen, Phrasen und unikalen Einheiten erstens durch Wortbildungsaffixe, zweitens durch Wortartwechsel, drittens durch Ablaut; Komposition wird definiert als Zusammensetzung von Wörtern, Konfixen, Sätzen, Phrasen und unikalen Einheiten. Besonders die Determinativkomposition und die explizite Derivation sind einander sehr ähnlich; einige Linguisten halten sogar die Unterschiede für so gering, dass sie zwischen beiden keine Grenze ziehen wollen: Die explizite Derivation nämlich ist genauso wie die Determinativkomposition und im Gegensatz zu den beiden anderen Ableitungsarten, der Konversion und der impliziten Derivation, ein Verfahren, bei dem Einheiten kombiniert werden. Wie bei der Determinativkomposition und im Gegensatz zu den beiden anderen Ableitungsarten entstehen immer binäre Strukturen: Hut( 1) + Schachtel{2) sensibel{\) + -chen(2) Der wesentliche Unterschied liegt lediglich darin, dass bei der expliziten Derivation Wortbildungsaffixe beteiligt sind, bei der Komposition dagegen nicht. Nun habe ich aber Affixe als meist bedeutungshaltig beschrieben, also als Wörtern und Konfixen semantisch vergleichbar: Tatsächlich ist auf den ersten unvoreingenommenen Blick nicht ganz einsichtig, warum z.B. Lehrperson und Lehrer durch ganz verschiedene Wortbildungsarten entstanden sein sollen, denn auch das -er in Lehrer bezeichnet ja eine Person. Die Grenze zwischen beiden ist also alles andere als scharf. Insofern liegt die Versuchung nahe, die Gelegenheit eines neuen Wortbildungsüberblicks zu nutzen, um die Grenzen zwischen den Wortbildungsarten neu zu ziehen, nämlich die kombinierenden Verfahren Komposition und explizite Derivation abzugrenzen von den nichtkombinierenden Wortbildungsarten Konversion und implizite Derivation: Wortbildung Determinativexplizite Derivation implizite Derivation Konversion komposition Die Wortbildimgsarten 137 Diese Neuerung würde allerdings einen verwirrenden Bruch mit der Tradition bedeuten; viele Termini müssten umbenannt, neue Termini müssten eingeführt werden: So sollte z.B. die explizite Derivation dann natürlich nicht mehr Derivation heißen. Auch viele Begriffe müssten umdefmiert werden. Der Leser, besonders der vorgebildete Leser, müsste sich also die neue Terminologie und Begrifflichkeit mühsam in das übersetzen, was er schon kennt und was er in der traditionellen Forschungsliteratur vorfindet, nämlich: Wortbildung Komposition Derivation explizite implizite Konversion Derivation Derivation Solche Verwirrung zu stiften, lohnt sich m.E. aber nur, wenn wirklich das Innerste der Welt in Frage gestellt werden muss. Verwirrung zu stiften lohnt sich dagegen nicht eines doch eher peripheren linguistischen Problems wegen, wie es die Abgrenzung der Komposition von der Derivation nun mal ist. Daher habe ich in diesem Wortbildungsüberblick nur immer wieder betont, dass es viele Parallelen zwischen Determinativkomposition und expliziter Derivation gibt, ansonsten aber die Terminologie und Begrifflichkeit beim Alten belassen. Die Parallelen und Unterschiede sollen im folgenden Exkurs noch einmal zusammengefasst und vertieft werden. Exkurs 23: Komposition versus Derivation Die Modelle der Linguistik, mit denen z.B. die deutsche Wortbildung erklärt und strukturiert werden soll, sind Gedankenkonstmkte und nichts Naturgegebenes. Daher verwundert es wenig, dass sich Linguisten nicht auf ein einziges Erklärungsmodell einigen können, so auch nicht auf eine klare Grenzziehung zwischen den Wortbildungsarten. Besonders zwischen den beiden hauptsächlichen Wortbildungsarten des Deutschen, der Komposition und der Derivation, gibt es Analogien, die eine Abgrenzung erschweren. 138 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Ähnlich sind sich Determinativkomposita (z.B. Gartenhausidylle) und explizite Derivate (z.B. mehrheitlich). Beide sind grundsätzlich binär, d.h., sie sind so aufgebaut, dass sie jeweils in zwei Einheiten segmentiert werden können, z.B. Gartenhaus) 1 )idylle(2), Garten) 1 )haus)2) mehrheit) 1 )lich)2), Mehr) 1 )heit)2) Dagegen bestehen Konvertate (z.B. Lauf) und implizite Derivate (z.B. tränken) aus jeweils einer Einheit, und Kopulativkomposita können zwar binär sein (z.B. schwarz-weiß), können aber auch mehr als zwei Einheiten haben (z.B. in ihr schwarz-weiß-grünes Kleid). Das Problem der Abgrenzung von Komposition und Derivation ist also vor allem das Problem der Abgrenzung von Determinativkomposita und expliziten Derivaten. Besonders seit Höhle (1982) wird diese wissenschaftshistorisch gewachsene Unterscheidung grundsätzlich in Frage gestellt. Um das traditionelle Modell Komposition versus Derivation zu retten, wird einerseits versucht, Unterschiede zu formulieren (ausführlich referiert und diskutiert bei Hansen/ Hartmann 1991 und Welke 1995). Andererseits schlagen Linguisten (z.B. Haase 1989) vor, Komposition und Derivation als „Kontinuum der Grammatikalisierung“ zu sehen, oder postulieren, dass überhaupt keine Unterschiede gemacht werden sollten: „Abschließend kann festgestellt werden, daß eine Theorie, die die beiden Wortbildungstypen gleich behandelt, zusammen mit unabhängigen Prinzipien in der Lage ist, die Regularitäten bezüglich Komposition und Affigierung adäquat zu beschreiben. Sie ist den herkömmlichen Theorien insofern überlegen, als sie keine Abgrenzung verlangt, die sowohl unmöglich zu ziehen als auch überflüssig ist“ (Hansen/ Hartmann 1991, S. 163). Im Prinzip schließe ich mich dieser Haltung an, eine Unterscheidung ist aber dennoch möglich: Unter der Voraussetzung, dass die Komposition im traditionellen Sinne definiert wird als Kombination mit vor allem Wörtern und Konfixen und die explizite Derivation definiert wird als Kombination mit Affixen, existieren durchaus Unterscheidungsmerkmale, nämlich die zwischen den beteiligten Einheiten, den Wörtern und Konfixen einerseits und den Affixen andererseits: Affixe unterscheiden sich ja von Wörtern dadurch, dass sie nur gebunden Vorkommen (z.B. an der Ecke stand ein *ling); Wörter dagegen treten syntaktisch frei auf (z.B. an der Ecke stand ein Mann). Von Konfixen unterscheiden sich Affixe dadurch, dass sie nicht basisfahig sind, d.h., nicht mit Affixen kombinierbar (z.B. *verisch)\ Konfixe dagegen sind basisfähig, d.h., Konfixe können mit Affixen zu expliziten Derivaten abgeleitet werden (z.B. biotisch). Affixe sind also klar von den anderen Einheiten der Wortbildung abzugrenzen. Insofern ist auch die Wortbildung ohne Affix abgrenzbar von der Wortbildung mit Affix. U.a. Höhle (1982) hält diesen Unterschied für marginal und daher Komposition und Derivation für kaum unterscheidbar. Hält man dagegen diesen Unterschied für elementar, kann auch der Unterschied zwischen Komposition und Derivation entsprechend gewichtet werden. Die Wortbildungsarten 139 Aus den Unterscheidungsmerkmalen zwischen den Wortbildungseinheiten ergibt sich eine weitere Eigenheit: Bei Determinativkomposita legt grundsätzlich die zweite Einheit die grammatischen Merkmale (z.B. die Wortart) fest und bestimmt außer der grammatischen Funktion auch die kategorielle und die lexikalische Bedeutung (vgl. Donalies 1999b); bei Derivaten dagegen legt zwar ebenfalls die zweite Einheit grundsätzlich die grammatischen Merkmale fest, die kategorielle und die lexikalische Bedeutung jedoch legt mal die erste, mal die zweite Einheit fest. Ein Unterschied zwischen Komposition und expliziter Derivation ist also feststellbar, auch wenn er für eine so schroffe Grenzziehung wie die derzeit immer noch tradierte nicht ausreicht. 4.3 Die Kurzwortbildung Außer durch die beiden hauptsächlichen Wortbildungsarten Komposition und Derivation werden Wörter auch durch Kürzung gebildet. Die Wortkürzung nennt v. Polenz „den ‘wirklich innovativen Teilbereich’ der Wortbildung im 19. und 20. Jahrhundert. ‘Durch diese [...] systematische Innovation ist ein ganzes Teilsystem der deutschen Wortbildung entstanden’“ (Barz 2000, S. 306). Bei der Kurzwortbildung kürzen Sprecherschreiber Wörter zu im Wesentlichen gleichwertigen Varianten, z.B. Auszubildender —> Azubi. Weggekürzt werden typischerweise beliebige Laute bzw. Buchstaben (z.B. Azubi), außerdem Silben (z.B. Abitur —> Abi) und bedeutungstragende Einheiten (z.B. Oberkellner —> Ober). Die Langformen, also die Basen, sind Nomina (z.B. Auszubildender) oder Phrasen (z.B. Zweites Deutsches Fernsehen —> ZDF). Es entstehen Nomina, sehr sehr selten auch Konfixe (z.B. prolin Prob ‘Prolet’). Vgl. 3.2. Kurzwörter sind immer Varianten zu weiterhin existierenden Langformen. Das unterscheidet sie von allen anderen Wortbildungsprodukten: Das Kurzwort und seine Langform existieren parallel im Wortschatz. „Das bedeutet auch, daß Kurzwörter nicht das Ergebnis von diachronen Lautwandlungen sind. Das aus (ahd.) hegizussa entstandene nhd. Wort Hexe ist kein Kurzwort, weil es keine synchrone Vollform neben sich hat“ (Greule 1996, S. 195). 140 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Üblicherweise behält das Kurzwort alle grammatischen Eigenschaften seiner Langform. Ausnahme ist das bei manchen Kurzworttypen relativ regelmäßige PIural-.v, z.B. bei ABMs, Demos, Kats, Lkws, Profs, vgl. dazu Eisenberg (1998, S. 158f.). Gelegentlich haben Kurzwörter auch ein eigenes, von der Langform abweichendes Genus (z.B. das Info versus gleich bedeutend die Information, vgl. 4.3.1.1). Auch sind Kurzwörter im Wesentlichen bedeutungsidentisch mit ihren Langformen. Mitunter werden Kurzwörter allerdings, wie andere Wörter, metonymisiert: BMW steht für Bayerische Motorenwerke, aber im Satz Ich fahre einen BMW für ein Fahrzeug. Diese Art der Metonymisierung ist ein Vorgang, der, um es noch einmal zu betonen, nicht zur Wortbildung gehört, sondern stattfindet, wenn die Wortbildung bereits abgeschlossen ist. Insofern gilt: Kurzwörter sind im Wesentlichen identisch mit ihren Langformen; wird mit einem Kurzwort etwas ganz Anderes bezeichnet, handelt es sich m.W. immer um sekundäre Bedeutungsänderungen. Obwohl Kurzwörter also Dubletten ihrer Langformen sind, entstehen „neue“ Wörter, weil neue Ausdrucksseiten entstehen und weil sich mitunter auch funktional und stilistisch etwas ändert (z.B. legeres Prof gegenüber offiziellerem Professor). Insofern sind Kurzwörter eigenständige Wörter; und die Kurzwortbildung gehört zur Wortbildung, die ja definiert wird als Bildung von Wörtern aus vorhandenem Sprachmaterial. Zu etablierten Kurzwortbildungsprodukten im Wörterbuch vgl. Schröder (2000). Nicht der Kurzwortbildung des Deutschen zuzurechnen, sondern entlehnt sind Wortbildungsprodukte, die bereits in ihrer Herkunftssprache gekürzt wurden, z.B. Radar zu engl, radar <— radio detection and ranging, so auch AIDS, eMail, KGB, Laser, PC, www. Wortbildung ist ja ein Prozess, der innerhalb einer Sprache stattfindet; Entlehnung dagegen ist ein Austausch zwischen zwei Sprachen, nämlich zwischen der Herkunfts- und der Zielsprache. Vgl. 2.2. Bei den Kurzwörtern sind nach der Art der Kürzung zu unterscheiden: - Das unisegmental gekürzte Kurzwort - Das partiell gekürzte Kurzwort - Das multisegmental gekürzte Kurzwort Die Wortbildungsarten 141 4.3.1 Das unisegmental gekürzte Kurzwort Ein unisegmental gekürztes Kurzwort entsteht dadurch, dass ein Segment eines Wortes weggekürzt wird, z.B. Abi <— Abitur. Unisegmental gekürzte Wörter werden weiter differenziert in: - Das Kurzwort, das aus dem Anfang seiner Langform besteht - Das Kurzwort, das aus dem Ende seiner Langform besteht - Das Kurzwort, das aus der Mitte seiner Langform besteht 4.3.1.1 Das Kurzwort, das aus dem Anfang seiner Langform besteht Viele Kurzwörter entstehen durch Tilgung einzelner oder mehrerer Endlaute bzw. Endbuchstaben, mitunter auch durch Kürzung bedeutungstragender Einheiten. Übrig bleiben die Anfangssegmente: Abi <— Abitur So auch Akku <— Akkumulator, Demo <— Demonstration, Hoch <— Hochdruckgebiet, Kat <— Katalysator, Ober <— Oberkellner, Prof <— Professor, Uni <r- Universität. Die Langformen solcher Kurzwörter sind meist Nomina, und zwar sowohl Simplizia (z.B. Abitur) als auch Komposita (z.B. Hochdruckgebiet) und Derivate (z.B. Demonstration), mitunter auch Phrasen (z.B. Zoo <— Zoologischer Garten). Kurzwörter dieses Typs werden häufig Kopfwörter genannt, wohl assoziativ zu der Vorstellung, Köpfe seien das, was vorne ist. Weil jedoch der Terminus Kopf in der Grammatikologie und auch in diesem Wortbildungsüberblick in ganz anderem Sinne terminologisiert wird, führt die Benennung in die Irre. So ist Zoo natürlich nicht im grammatischen Sinne der Kopf der Nominalphrase Zoologischer Garten] der Kopf einer Nominalphrase ist immer ein Nomen, bei Zoologischer Garten also Garten. Besonders Kurzwörter, die aus den Anfängen ihrer Langformen bestehen, haben häufig ein eigenes, von der Langform abweichendes Flexionsparadigma mit Plural-.v (z.B. Demos, Infos, Profs, Unis). Selten entwickeln sie auch ein eigenes Genus: So neben die Information, die Info auch gleich be- 142 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick deutend das Info, z.B. in Das ist kein Info vom ADAC (Zeit 1996, Cosmas), Die Mainzer starten Anfang Oktober ein ISminütiges Spätinfo „heute nacht (Spiegel 1994, Cosmas), Das Schnupper-Info beginnt am Mittwoch (Mannheimer Morgen 1989, Cosmas). Ansonsten steht das Info auch verkürzt für Informationsblatt, z.B. das Arbeitsministerium hat ein Info zu diesem Thema zusammengestellt. So auch das Foto die Fotografie. 4.3.1.2 Das Kurzwort, das aus dem Ende seiner Langform besteht Sehr viel seltener als Kurzwörter, die auf den Anfang ihrer Langform gekürzt werden, sind Kurzwörter, die auf das Ende ihrer Langform gekürzt werden. Nach Kobler-Trill (1994, S. 66) sind im Deutschen die einzigen Beispiele für solche Kurzwörter Cello <— Violoncello und Bus <— Omnibus, wobei für Bus nicht geklärt ist, ob es sich überhaupt um ein deutsches Wortbildungsprodukt oder nicht eher um ein Lehnwort aus dem Englischen handelt; dort ist bus bereits seit den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts kodifiziert. In der Forschungsliteratur (u.v.a. bei Naumann 1986, S. 25, und Fleischer/ Barz 1995, S. 220) werden außerdem Wörter wie Bahn <— Eisenbahn, Platte <— Schallplatte oder Rad <— Fahrrad zu den Kurzwörtern des Typs Cello gerechnet. Wie Kobler-Trill (1994, S. 67) moniert, werden sie „in der Regel undifferenziert zusammen mit Bus und Cello zu den Endwörtem gerechnet, oft ohne daß auf Unterschiede überhaupt aufmerksam gemacht werden würde“. Der Unterschied besteht darin, dass zum einen Wörter auf ihr fremdsprachiges, im Deutschen nicht existentes Suffix gekürzt werden, nämlich auf das Diminutivsuffix -cello (ital. violoncello) und das Flexionssuffix -bus (lat. omnibus ‘allen, für alle’), zum anderen werden Determinativkomposita auf ihre zweite Einheit reduziert, z.B. Fahrrad auf Rad. Nun können aber die ersten Einheiten bei Determinativkomposita ohnehin regulär weggelassen werden, weil die zweite Einheit eines Kompositums grundsätzlich sowohl der syntaktische als auch der semantische Kern des Kompositums ist. Vgl. 4.1.1. Mantel in Königsmantel legt alle grammatischen Merkmale des Kompositums fest; ein Königsmantel ist ein Mantel. Auch ein Fahrrad ist ein Rad und eine Eisenbahn eine Bahn (und übrigens ist eine Bahn je nach Kontext u.a. auch eine Straßenbahn, eine Eislaufbahn, eine Lebensbahn). Insofern betrachte ich in ihrem Gebrauch weitgehend etablierte zweite Einheiten Die Wortbildungsarten 143 von Komposita (z.B. Hrair kommt mit dem Rad zum Institut, Hermine trägt einen Ring mit Uhr, Vahram hat seinen Schirm dabei) überhaupt nicht als Kurzwörter im Sinne eigens gekürzter Wortdubletten; denn dass eine zweite Einheit für ein ganzes Kompositum stehen kann, gehört zur Eigenart aller Determinativkomposita. 4.3.1.3 Das Kurzwort, das aus der Mitte seiner Langform besteht Während die Kürzung auf den Anfang einer Langform häufig ist, gibt es die Kürzung auf die Mitte der Langform so extrem selten wie die Kürzung auf das Ende der Langform und offenbar nur bei Vornamen: Es entstehen Koseformen wie Lisa <— Elisabeth, Basti <— Sebastian, Resi <— Theresia. Gekürzt wird dabei prinzipiell nach Silbengrenzen. Beschränkungen ergeben sich eventuell daraus, dass Kurzwörter, die aus der Mitte ihrer Langformen bestehen, längere Langformen brauchen. Eventuell spielt auch eine Rolle, dass die Kürzung der ersten und letzten Teile zu keiner mit der Langform assoziierbaren Form führt, z.B. Professor —> *Fess. Offenbar bevorzugen Wortkürzer die Kürzung auf den Anfang einer Langform, z.B. Prof. Wie Fleischer/ Barz (1995, S. 220f.) aber betonen, lässt im Allgemeinen „das fertige Kurzwort keinen eindeutigen Rückschluß auf die zugrundeliegende Vollform zu“. Fleischer/ Barz denken dabei vor allem an Initialkurzwörter wie Lkw, BMW, ARD. Vgl. 4.3.3. Rückschließen auf die Langform kann man bei Kurzwörtern also ohnehin nicht immer; Rückschließbarkeit ist demnach kein unabdingbares Kriterium für die Bildung von Kurzwörtern. Vgl. zu Komposita, die vermeintlich um ihre Mitte gekürzt worden sein sollen (z.B. Bierdeckel <— Bierglasdeckel), Exkurs 15. Ausführlich gegen Ansätze, Klammerformen als Kurzwörter zu verstehen, argumentiert Kobler- Trill(1994,S. 99-101). 144 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 4.3.2 Das partiell gekürzte Kurzwort Ein partiell gekürztes Kurzwort entsteht aus meist etablierten Determinativkomposita, z.B. Orangensaft. Deren erste Einheit wird auf ihren Anfangsbuchstaben gekürzt, die zweite Einheit bleibt erhalten: O-Saft <r- Orangensaft Typische Kurzwörter dieses Typs sind u.a. K-Frage <— Kanzler-Frage, O-Ton <r- Originalton, U-Bahn <— Untergrundbahn, U-Boot <— Unterseeboot, U-Haft <— Untersuchungshaft, Ü-Wagen <— Übertragungswagen. Bei komplexen Ersteinheiten wird auf die Anfangsbuchstaben der Untereinheiten gekürzt: SB-Laden <— Selbst^ 1 a)bedienungs( 1 b)laden(2) So auch UV-Strahlen f- Ultraviolettstrahlen. Gelegentlich wird auch die Ersteinheit auf Silben verkürzt, z.B. Schukostecker Schutzkontaktstecker. Die Silben werden nach Aussprechbarkeit gebildet; mit den Silbengrenzen der Langform müssen sie nichts zu tun haben, vgl. Schu-koversus Schutzkontakt. Nach Androutsopoulos (1998, S. 137) ist das Muster des partiell gekürzten Kurzwortes auch in der legeren Jugendsprache beliebt, z.B. A-Saft <— Apfelsaft, C-Wurst <— Currywurst, Vokuhila-Frisur <— Vorne-kurz-hinten-lang- Frisur. Vgl. Ein echter Verlierer mit Vokuhila-Frisur (Arnica 6/ 2001, S. 26). Kurzwortbildung bietet sich vermutlich besonders dort an, wo stark etablierte Komposita gekürzt werden und der Kontext das Verstehen stützt: So wird eine gutwillige Kellnerin wohl ohne Probleme eine Bestellung wie einen T-Saft mit Pfeffer, bitte! deuten können. Nicht zu den partiell gekürzten Kurzwörtern rechne ich Wortbildungsprodukte wie Rehaklinik, Rehamaßnahme, auch nicht als Sonderfall, denn Rehaklinik ist eindeutig ein Kompositum mit dem Kurzwort Reha <— Rehabilitation, vgl. zur Intensiv-Reha geschickt (Taz 1993, Cosmas), Da muss ich in die Reha (Berliner Zeitung 1998, Cosmas), Die Reha war sehr effektiv (Mannheimer Morgen 1999, Cosmas). Zu unterscheiden sind nämlich Kurzwortkomposita wie VW-Arbeiterin, Reha-Klinik und partiell gekürzte Die Wortbildungsarten 145 Kurzwörter wie SB-Laden\ Komposita wie VW-Arbeiterin bestehen aus Wörtern {Arbeiterin und VW, Klinik und Reha), also frei vorkommenden Einheiten. Partiell gekürzte Kurzwörter wie SB-Laden dagegen werden aus etablierten Komposita gekürzt, hier aus dem Kompositum Selbstbedienungsladen. Der gekürzte Teil {SB-) kommt nicht wie VW frei vor, ist also kein Wort im oben definierten Sinne. SBist auch kein Konfix, da es nicht basisfähig ist. Ist SBweder ein Wort noch ein Konfix, kann SB-Laden der Definition nach kein Kompositum sein. Ebenfalls nicht verwechselt werden sollten partiell segmentierte Kurzwörter wie SB-Laden oder U-Bahn mit Komposita, deren erste Einheit ein Buchstabe ist, z.B. S-Kurve ‘Kurve, die wie ein S aussieht’. 4.3.3 Das multisegmental gekürzte Kurzwort Ein multisegmental gekürztes Kurzwort entsteht dadurch, dass seine Langform an mehreren ihrer Segmente diskontinuierlich gekürzt wird: Azubi <— Auszubildender Multisegmental gekürzte Kurzwörter entstehen also durch Kürzungen an mehreren Segmenten, z.B. werden die erste und die zweite Einheit eines Kompositums auf einen oder mehrere Anfangslaute bzw. Anfangsbuchstaben gekürzt wie in LK <— Leitungskollegium und Schupo <— Schutzpolizist/ Schutzpolizei. Die Langformen sind Komposita, z.B. Schutzpolizist und Kindertagesstätte —> Kita, oder Phrasen, z.B. IDS Institut für Deutsche Sprache. Hinsichtlich der Art der Kürzung gibt es Mischformen, bei denen nicht nur mehrere Anfangssegmente, sondern auch Laute bzw. Buchstaben aus der Mitte oder dem Ende der Teile eines Kompositums oder einer Phrase zur Kurzwortbildung verwendet werden (z.B. BAFöG <— Bundesausbildungsförderungsgesetz, Btx <— Bildschirmtext, Gerna <r- Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte, amades <— Arbeitspapiere und Materialien zur deutschen Sprache). 146 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Es entstehen Buchstabenwörter (z.B. IDS, Btx) oder Silbenwörter (z.B. Schupo, Gema): - Buchstabenwörter sind überwiegend Initialwörter, auch Akronyme genannt (zu griech. akron ‘Spitze’), d.h. Wörter, die auf die Initialen, die Anfangsbuchstaben der Einheiten ihrer Vollformen gekürzt worden sind (z.B. IDS <r- Institut für Deutsche Sprache). Einige Buchstabenwörter sind Mischformen (z.B. Btx). Buchstabenwörter mit drei Initialen sind am häufigsten, z.B. ABM, ABS, AKW, AOK, APO, ARD, BfA, BMW, BND, BRD, Btx, CDU, DDR, DGB, dpa, FAZ, FDP, GAL, GAU, IBM, IDS, Lkw, MKS, NDR, NRW, ORB, PDS, RAF, SFB, SPD, SWR, Tbc, TÜV, Ufa, Ukw, VHS, ZDF, ZGL. Seltener sind Buchstabenwörter mit zwei Buchstaben, noch seltener sind Buchstabenwörter mit mehr als drei Buchstaben, z.B. AG, IM, LK, OB, UB, TH, TU, VW, WG; ADAC, BASF, CVJM, StGB. Vgl. Kreidler (2000), Schröder (2000, S. 98f.). - Die Silben der Silbenwörter werden nach Aussprechbarkeit geformt; mit den Silbengrenzen der Langform müssen sie nichts zu tun haben, vgl. Schuin Schupo, das aus der Silbe Schutz gekürzt wurde. Häufig werden Idealsilben aus Konsonant + Vokal gebildet. Bei den Buchstabenwörtem gibt es Aussprachebesonderheiten, z.B. TÜV (sprich: Tüv) versus AOK (sprich: A-O-Ka): Exkurs 24: Zur Aussprache von Buchstabenwörtem ln der Regel werden Kurzwörter wie alle anderen Nomina ausgesprochen. Auch die Betonungsverhältnisse entsprechen den üblichen Regeln, z.B. Schupo. Bei den Buchstabenwörtem gibt es allerdings Ausspracheeigenheiten. So ist zu unterscheiden zwischen: - Kurzwörtern, die wie andere Wörter auch „mit dem Lautwert der einzelnen Buchstaben ausgesprochen werden“ (Kobler-Trill 1994, S. 81), z.B. GAL, RAF, TÜV. - Kurzwörtern, bei denen ungewöhnlicherweise „die einzelnen Buchstaben mit ihrem ‘alphabetischen Buchstabennamen’ genannt werden“ (ebd.), z.B. AOK (sprich: A-O-Ka), so auch ADAC, ARD, Lkw, IDS, SED, SPD, TH, TU. Hier zeigt sich eine Besonderheit der Kurzwortbildung. Die Wortbildungsarten 147 Gelegentlich wird die gewünschte Aussprechweise grafisch markiert: Einige Buchstabenwörter werden geschrieben, wie sie gesprochen werden sollen, z.B. Edeka, eigentlich EDK Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler. Nach Kobler-Trill (1994, S. 84) auch Debeka <— Deutsche Beamtenkrankenversicherung und Kadewe 4— Kaufhaus des Westens. Zumindest bei den beiden letzten Beispielen ist aber wohl nicht ganz klar, ob es sich nicht eher um multisegmental gekürzte Silbenkurzwörter handelt: Debeka 4— De(utsche) Be(amten)ka(sse), Kadewe 4— Kafufhaus) de(s) We(stens). In neuerer Zeit sind Buchstaben- und Silbenwörter beliebt, die Homonyme zu etablierten Wörtern bilden, z.B. JULI 4— Junge Liberale, MAUSI 4— Marderultraschallsicherung, OBST 4— Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie, atnades 4— Arbeitspapiere und Materialien zur deutschen Sprache. Auch Pendants zu Eigennamen kommen zunehmend vor, z.B. ANNA 4— Akademikernachwuchsneuordnungsabgabe, SUSI 4— Selbstorganisierte Unabhängige Siedlungsinitiative, ver.di 4— Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft, ZEUS 4— Zentralblatt für Erziehungswissenschaft und Schule. Bezeichnungen für Institutionen, Firmen, Organisationen, Parteien, Publikationsmedien oder Projekte werden mitunter sogar eigens nach ihrer Kürzbarkeit auf solche homonymen Pendants hin kreiert. Dabei geht es meist um positive Assoziationen zum Homonym, um Auffälligkeit und Eingängigkeit des Kurzwortes; semantisch haben die Kurzwörter in der Regel nichts mit ihren Homonymen zu tun. Die Unterscheidung der multisegmental gekürzten Kurzwörter in einerseits reguläre multisegmental gekürzte Kurzwörter (z.B. Schupo, Gema, Lkw) und andererseits „besondere“ multisegmental gekürzte Kurzwörter (z.B. Btx) ist im Rahmen dieses Überblicks nicht notwendig, vgl. genauer Kobler-Trill (1994). Nach Kobler-Trill (ebd., S. 73ff.) sind Kurzwörter wie Btx besondere Wortbildungsprodukte, weil „ihre Segmente nicht von Morphemanfängen des Basislexems stammen“. So auch Tbc 4— Tuberculose, DAX 4— Deutscher Aktienindex oder ddp ^Deutscher Depeschendienst. Diese Art des Kurzwortes rechne ich den ohnehin heterogenen Mischformen zu. Multisegmental gekürzte Wörter wie ABS 4— Antiblockiersystem, SPD 4— Sozialdemokratische Partei Deutschland, Schiri 4— Schiedsrichter sind im Vergleich zu anderen Kurzwörtern wie Demo und U-Bahn höchst hörerleserunfreundlich. Besonders an diesen multisegmental gekürzten Kurzworttyp haben Fleischer/ Barz (1995, S. 221) wohl gedacht, als sie die „gestörte Er- 148 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick schließbarkeit“ von Kurzwörtern kritisierten. Undurchsichtige Wortbildungsprodukte sind „von seiten des Sprachbenutzers unerwünscht die vielen unwilligen Anfragen beweisen es“ (ebd.). Dem Interesse an Verständlichkeit steht hier das Interesse an sprachökonomischer Kürze entgegen. Besonders bei Phrasenbasen (z.B. Aktiengesellschaftfür Anilinfabrikation —> Agfa, Grammatisches Informationssystem -4 Grammis) leuchtet die Nützlichkeit der Kürzung sofort ein: Die Kurzwörter sind besser zu handhaben, sie können zusammengesetzt (z.B. agfa-freundliche Beschlüsse) und deriviert werden (z.B. wir Grammisler). Zudem wird der Interessenkonflikt Verständlichkeit versus Kürze dadurch gemildert, dass multisegmental gekürzte Kurzwörter meist etabliert sind; insbesondere Bezeichnungen für Institutionen oder Parteien werden ohnehin nicht okkasionell gebildet: Nicht zufällig sind gerade Buchstabenwörter häufig Fachwörter, z.B. StGB <— Strafgesetzbuch. Zum Kurzwort in den Fachsprachen vgl. Steinhauer (2000). Multisegmental gekürzte Kurzwörter müssen also einfach gelernt werden wie alle anderen arbiträren, d.h. nicht aus sich selbst heraus erklärbaren Wörter auch (z.B. Tisch, Stuhl). Die drei Arten der Kürzung lassen sich also wie folgt voneinander abgrenzen: Unisegmental gekürzte Wörter werden auf einen Teil ihrer Langform gekürzt (z.B. Abi <— Abitur). Partiell gekürzte Wörter werden auf den ersten Teil ihrer Langform gekürzt, der zweite Teil bleibt erhalten (z.B. U-Bahn <— Untergrundbahn). Multisegmental gekürzte Wörter entstehen dadurch, dass ihre Langformen an mehreren ihrer Segmente diskontinuierlich gekürzt werden (z.B. Auszubildender —> Azubi, Leitungskollegium —> LK). Kurzwörter können in ihrer Eigenschaft als Wörter selbstverständlich auch Einheiten von Wortbildungsprodukten sein: Sie bilden vor allem mit Nomina und Adjektiven zusammen Komposita, z.B. Landes-CDU, Not-Abi, SPD-nah, Fern-Uni, VW-Fahrer. Problemlos können auch Nomen-Nomen-Komposita aus zwei Kurzwörtern gebildet werden, z.B. BASF-Azubi, Mathe-Prof. Außerdem können Kurzwörter explizite Derivate bilden und zwar vor allem Nomina und Adjektive, z.B. Eine solche Un-CDU gibt es in Bremerhaven (Zeit 1985, Cosmas), ein ABS-loses Produkt (Zürcher Zeitung 1988, Cosmas), fordern die CDU-ler (Taz 1989, Cosmas), Was man hätte DDR-isch nennen können (Taz 1990, Cosmas), die SPD-liche Dame (Süddeutsche Zeitung 1996, Cosmas), ob wir noch über alles „NS-ische“ nachdenken sollen Die Wortbildungsarten 149 (Süddeutsche Zeitung 26.10.1999, S. 15), die zehn Garten-AG-ler (Mannheimer Morgen 1999, Cosmas). Gelegentlich werden auch Partizipien gebildet, z.B. ver-rep-t ‘von Reps, den Anhängern der Republikanischen Partei, durchsetzt sein’ in eine arisch ver-rep-te Fanggruppe (Taz 1990, Cosmas). Als Ableitungsbasen eignen sich offenbar besonders Buchstabenwörter (wie Lkw, IDS). Häufig sind dabei Verbindungen zwischen Bezeichnungen für Institutionen, Firmen, Projekte usw. und dem mit Kurzwörtern hoch produktiven, Personen bezeichnenden Suffix -ler, z.B. BASFler, SPDler, IDSler, Grammisler. Von Sprecherschreibem eher zögerlich genutzt wird die Möglichkeit der Adjektiv- und Verbbildung; Adjektive wie NS-isch und Verben wie ver-rep-en sind zwar systemgerecht, aber ungewohnt. Aktuell scheinen sich Derivate mit dem Suffix -i durchzusetzen: Schon lange werden so Kosenamen erzeugt wie Spatzi, Hasi oder Franzi', neuerdings ist es aber zunehmend produktiv in Derivaten wie Studi <— Student. „Ursprünglich ist der zuletzt genannte Derivationstyp wohl eine Mischbildung aus hypokoristischem, ikonischem und einem Abkürzungs-/ wie in Sozialist —> Sozi. Er hat sich dann analogisch auf die verschiedensten (konzeptuellen, lexikalischen) Basen ausgedehnt“ (Mutz 2000, S. 137). Vgl. dazu auch Latzei (1992) und Petronijevic (2000). Auffällig an diesen Derivaten ist übrigens die Genusvarianz, z.B. die Susi, die Omi, der Trabi, der Pulli. Vgl. dazu vor allem Plank (1985, S. 255). Abzugrenzen ist das Kurzwort vor allem von der Abkürzung (z.B. Prof. Dr.), dem Kunstwort (z.B. Onko) und dem Konfix (z.B. bio-). Hier liegen Verwechslungen offenbar nahe. Exkurs 25: Abgrenzung des Kurzwortes von ähnlichen Phänomenen Abkürzungen sind rein grafische Varianten, sie werden ausschließlich als Langform ausgesprochen, z.B. Prof. Dr. (sprich: Professor Doktor). So auch kg, u.A.w.g., usw. oder Länderkürzel wie D für Deutschland. Als reine Schreibgebräuche gehören Abkürzungen nicht zur Wortbildung. Besonders in Abgrenzung zur Abkürzung definiert Kobler-Trill (1994, S. 13f.) das Kurzwort als „nicht nur graphisch, sondern auch phonetisch realisierbare, gekürzte Form“. Von der Abkürzung unterscheidet sich das Kurzwort also dadurch, dass es eine eigene Lautung hat, z.B. Lkw (sprich: elkawe). Gelegentlich existieren in verschiedenen Verwendungskontexten parallel Kurzwort und Abkürzung, so das Kurzwort Prof (z.B. in als Prof war er sehr beliebt) und die Abkürzung Prof. (z.B. als Adressierung in Herrn Prof. Dr. Albert 150 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Einstein). Mitunter wird eine Abkürzung als Kurzwort realisiert und sollte dann natürlich auch als Kurzwort angesehen werden: So wird „das Abkürzungswort km/ h [...] heute als Initialwort artikuliert“ (Naumann 1986, S. 26). Abzugrenzen sind Kurzwörter außerdem von einer bestimmten Art von Kunstwörtern, nämlich von den durch Kürzung entstandenen Kunstwörtern. Gemeinsam haben beide zwar die Kürzung, aber während Kurzwörter auch semantisch Varianten ihrer Langformen sind, also im Wesentlichen das bezeichnen, was ihre Langformen bezeichnen (z.B. Azubi den Auszubildenden), bezeichnen Kunstwörter nicht das, was ihre Basen bezeichnen: So ist das Kunstwort Adidas ein Sportbekleidungsmarkenname und keine Bezeichnungsvariante für die namengebende Person Adi Dassler. Haribo ist ein Süßwarenmarkenname und keine Bezeichnungsvariante für die namengebende Person Hans Riegel, Bonn. Vgl. auch Onko <— ohne Koffein als Markenname für einen Kaffee. Schließlich ist das Kurzwort vom Konfix abzugrenzen. Konfixe sind gebundene Einheiten, die nur in Wortbildungsprodukten verkommen, z.B. bio- (zu griech. bios ‘Leben’) in Biotop, Biotonne, biotisch. Kurzwörter dagegen sind Wörter, also frei vorkommende Einheiten, z.B. Bio <— Biologieunterricht in Weil unser Lehrer krank ist, fallen Bio und Mathe heute aus. Während das Konfix biokeine Variante zu irgendetwas ist, ist Bio eine Variante der Langform Biologie als Bezeichnung für das Unterrichtsfach. Langform und Kurzwort existieren nebeneinander. 4.4 Die Neumotivierung und das Wortspiel Zu den Wortbildungsarten im weiteren Sinne gehören die Neumotivierung und das Wortspiel. Beide Verfahren sind frei kreative Verfahren. Erlaubt ist, was gefällt und falls man Verständigung anstrebt was im Sinne einer ungestörten Kommunikation funktioniert. 4.4.1 Die Neumotivierung Unter Neumotivierung wird in der Forschungsliteratur üblicherweise ein Vorgang verstanden, bei dem an die Ausdrucksseite eines etablierten Wortes angeknüpft und mit den semantischen Interpretationsmöglichkeiten der Ausdrucksseite dieses Wortes gespielt wird. So wird z.B. das etablierte Kompositum Morgenland ‘Orient, d.h. Land, in dem es zuerst Morgen wird’ umgedeutet zu Morgenland ‘Land, wie es morgen sein wird’. Der Zusammenhang zwischen beiden ist bewusst einkalkuliert. Vgl. auch Ob modernisierter Reis Die Wortbildungsarten 151 oder neuartige Gerste: Strikte Kontrolle aller Umwelteinflüsse ist bei Gentechnik-Tests nur im Zucht-Haus möglich (Geo 5/ 2000, S. 81), im gleichen Kontext die Feld-Herren aus der Saatgut-Branche (ebd., S. 104). Als neumotiviert gelten auch Wörter, die in ihrer ursprünglichen Bedeutung neu belebt werden, z.B. die Hoch-Zeit des Rock'n Roll zu etabliertem Hochzeit ‘Eheschließung, Fest der Eheschließung’, das sich aus mhd. höchzit ‘hohe, festliche Zeit’ entwickelt hat. Diese eher seltene Art der Neumotivierung wird auch Remotivierung (zu lat. re ‘zurück’) genannt, weil die Motivierung in einen ursprünglichen Zustand zurückfuhrt. Solche Vorgänge sind vor allem semantischer Natur; verändert wird ausschließlich die Inhaltsseite. Insofern handelt es sich in all diesen Fällen um Bedeutungsveränderungen und nicht um Wortbildung. Um Wortbildung aber handelt es sich bei neu motivierenden Entlehnungsvorgängen, bei denen die Ausdrucksseite des herkunftssprachlichen Wortes assoziativ in eine motivierende Eindeutschung einfließt, z.B. Hängematte aus haitianisch hamaca ‘Schlafnetz’ oder Vielfraß aus norwegisch ßeldfross ‘Bergkater’. Fleischer/ Barz (1995, S. 18) sprechen hier überaus anschaulich von „Eindeutungen“. Ebenfalls zur wortbildenden Neumotivierung stelle ich die so genannte Pseudomotivierung (z.B. Maulwurf, Sündflut, anberaumen). Exkurs 26: Die Pseudomotivierung Die Pseudomotivierung, auch Volksetymologie oder sekundäre Motivation genannt (zu weiteren Termini ausführlich Olschansky 1996, S. 108-114), wird in der Forschungsliteratur meist als gesonderte Wortbildungsart postuliert. Bei der Pseudomotivierung werden nicht mehr durchsichtige Wortbildungsprodukte umgedeutet. So wurde z.B. Sintflut, weil sin ‘immer, überall’ unverständlich geworden war, umgedeutet zu Sündflut ‘Flut zur Vernichtung der menschlichen Sünden’. So auch Maulwurf aus ursprünglich mhd. moltwerfe ‘Erde Werfender’, Würgeengel aus ursprünglich frühnhd. wargengel zu warg ‘wildes, rohes Wesen’, anberaumen aus ursprünglich mhd. anberamen zu ram ‘Ziel’, Lachmöwe zu ursprünglich Lake ‘See’ (vgl. heute noch Salzlake, so auch engl, lake) oder Muskelkater zu ursprünglich Muskelkatarrh. Vgl. Olschansky (2004). 152 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Wie der Terminus Pseudo(! )motivierung verrät, gehen einige Linguisten davon aus, dass Sprecherschreiber aus Unwissen motivieren, dass Sprecherschreiber sich über die wahre Etymologie der nicht mehr durchsichtigen Wörter täuschen. Allerdings sagen diese Linguisten nicht, wie sie feststellen, dass der vermeintlich pseudomotivierende Sprecherschreiber, der Sündflut geprägt hat, ein irrender Dilettant und kein kreativer Könner war. Ebenso wenig sagen Linguisten, wie sie feststellen, dass der vermeintlich nicht pseudo-, sondern neumotivierende Sprecherschreiber, der Morgenland ‘Land, wie es morgen sein wird’ geprägt hat, ein kreativer Könner und kein irrender Dilettant war. Die Grenzen, die Linguisten da so scharf zwischen Pseudo- und Neumotivierung ziehen, sind also höchst fragwürdig. Und natürlich ächtet der tendenziöse Terminus Pseudomotivierung auch kreativ-naive Könner wie Kinder, die während ihrer Spracherwerbsphasen viele interessante Hypothesen über Wortbedeutungen aufstellen: Stem/ Stem (1928, S. 419ff.) belegen von Füntjährigen z.B. Makkahonig für Makkaroni, Sammelsiertrommel für Botanisiertrommel und Mannbrüllaffe für Mandrillaffe. Ein Kollege von mir interpretierte als Kind den Staubsauger als Staubsaufer, ich habe als Kind die Korridortür für eine Kräutertür gehalten. Zu kindersprachlicher Wortbildung vgl. u.a. Stem/ Stem (1928), Augst (1984/ 1985), Heinrich et al. (1986), Symann (1995). Weil Sprachwissenschaftler also weder die sprecherschreiberliche Absicht, den angeblichen Irrtum nachweisen können, noch, wie ich grundsätzlich mit Heringer (1984b) meine, einer überstrengenden und unterarmenden Wortbildungskritik Vorschub leisten sollten, schlage ich vor, die so genannte Pseudomotivierung als eigenes Erklärungsmodell zu entrümpeln und die fraglichen Wortbildungsprodukte der wortbildenden Neumotivierung zuzurechnen. Vgl. dazu Donalies (2001). 4.4.2 Das Wortspiel Beim Wortspiel werden etablierte Wortbildungsprodukte ironisch-spielerisch aufgegriffen und analog zum Ausgangsprodukt umgeformt, z.B. wird zu Untertan Obertan gebildet. So auch Klebewesen zu Lebewesen, blitzdumm zu blitzgescheit. Wortspiele dieser Art unterliegen keinen besonderen Wortbildungsregeln; sie funktionieren frei assoziativ. Ihr Witz kann sich natürlich nur entfalten, wenn dem Hörerleser das Ausgangsprodukt gegenwärtig ist. Zu einem weiter gefassten Begriff des Wortspiels vgl. u.a. Poethe (2000b). Wortspiele gelten im Deutschen als zwar amüsant, aber unseriös; sie kommen daher in der Regel nur in bestimmten Textsorten vor: Während in amtlichen oder wissenschaftlichen Texten Wortspiele eher verpönt sind, fühlen sich Sprecherschreiber von Essays, journalistischen, kabarettistischen oder Werbetexten offenbar relativ frei. Hier lassen sich zahlreiche Wortspielerei- Die Wortbildungsarten 153 en belegen: Phänomenolügie des Kitsches (Titel eines Buches von Wilfrid Wolf, 1980), Nur gehen sie von dort meistens an die sogenannte Leibwäsche - Gehirnwäsche trage ich nicht, ich bin leidlich abgehärtet (Hildesheimer 1983, S. 9f.), Man solle auch nicht poppern, benjaminisieren, ardonölen und blumbergern kurz: seinen Lehrern nicht in den Sprachstapfen folgen (Süddeutsche Zeitung 3./ 4.12.1994), ein Beitrag zum Dummbau zu Babel und zum Untergang des Abendlandes (Bonder 1995, S. 10), daß das Fahrmeist ein Stehzeug ist (Zeit 1995, Cosmas), Rainer Halbe hatte aber auch etwas Blitzdummes begangen (Rowohlt 1993, S. 49), Dschihad wird von Ideologie beherrscht, McWorld von Videologie (Zeit 1997, Cosmas), Kein Pointen spuckender Witzbold [...], eher schon ein witziger Ernstbold (ZeitLiteratur, Sonderbeilage zur Buchmesse 4.10.2001, S. 26). Überwiegend wird offenbar mit Nomina wortgespielt, gelegentlich aber auch mit Adjektiven wie in Alles frischobello am S-Bahnhof Buckower Chaussee [zu picobello'] (Taz 1990, Cosmas). 5. Die Wortbildungsbedeutung Von jeher hat Ordnung eine große Anziehungskraft für den Menschen; sie ist die tröstliche Antwort auf das Chaos, das er in der Welt vorfindet. So versucht auch der Wortbildungslehrer Sinn in das Chaos der Sprache zu bringen. Und zweifelsohne lassen sich ja Wortbildungsprodukte wie Bosheit, entfernen, Papierdrache, Samtjacke, Schönheit, süßen, verbreitern, vergolden zu Gruppen ordnen. Die Kriterien für diese Ordnung können zum einen morphosyntaktischer Art sein: So gehören die Wortbildungsprodukte verschiedenen Wortarten an, z.B. sind Samtjacke und Schönheit Nomina, süßen ist ein Verb; die Basen der Derivate gehören verschiedenen Wortarten an, z.B. hat Schönheit eine Adjektivbasis, vergolden aber eine Nomenbasis. Die Wortbildungsprodukte sind außerdem durch verschiedene Wortbildungsverfahren erzeugt, so ist Samtjacke ein Kompositum, Schönheit und süßen sind Derivate. Zum anderen können semantische Überlegungen eine Rolle beim Gruppieren spielen: Komposita wie Samtjacke und Papierdrache haben eine Deutung gemeinsam, die man paraphrasieren könnte als ‘B besteht aus A’: Eine Samtjacke ist eine Jacke aus Samt, ein Papierdrache ist ein Drache aus Papier. Einige Wortbildungslehrer hoffen nun, alle vorhandenen und alle möglichen Wortbildungsprodukte auch semantisch durch und durch sortieren zu können. Obwohl eine mehr oder weniger vollständige Einsortierung ein aufwändiges Unternehmen ist und seit Wilmanns (1896, nach Eisenberg 1998, S. 221) und Paul (1920, nach Eisenberg 1998, ebd.) kritisiert wird, wurde sie immer wieder versucht, u.a. von Kühnhold et al. (1973), Kühnhold et al. (1978), Ortner et al. (1991), Pümpel-Mader et al. (1992). Eine semantische Durchsortierung scheint zunächst den Vorteil zu haben, dass man einen Eindruck bekommt, welche semantischen Muster es (jedenfalls nach Ansicht des Wortbildungslehrers) gibt, d.h., auf welche Weise man Wortbildungsprodukte (jedenfalls nach Ansicht des Wortbildungslehrers) interpretieren und erzeugen soll. 156 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Allerdings hat diese Vorgehensweise auch ganz erhebliche Nachteile: - Wie Heringer (1984a) gezeigt hat, wird bei solchen Ordnungsversuchen vor allem die kontextlos mehr oder weniger nahe liegende Deutung erfasst und keineswegs das, was Wortbildungsprodukte tatsächlich alles bedeuten können. So könnte Holzhaus außer ein Haus aus Holz auch ein Haus bezeichnen, in dem Holz gelagert oder gehackt wird. Heringer illustriert die gelegentlich geradezu abundanten Interpretationsmöglichkeiten am Beispiel Fischfrau. Vgl. 4.1.1.1.1. Die Interpretationsmöglichkeiten von £7<? r-Koinposita erläutert Adamzik (2004, S. 162f.), und „Becker (1992) hat sogar gezeigt, daß ein Wort wie Baumkarte etwa in einem Kartenspiel der Art des Memory gerade auf eine Karte verweisen kann, auf der kein Baum abgebildet ist“ (Eisenberg 1998, S. 221). Auch einige Derivate sind in verschiedener Weise interpretabel: Ein königliches Gemach gehört einem König oder sieht so aus wie das einem König angemessene Gemach; ein königlicher Auftritt ist der Auftritt eines Königs oder ein Auftritt wie der eines Königs. Jeder Ordnungsversuch beschneidet also zwangsläufig die wortbildnerischen Möglichkeiten und Tatsächlichkeiten; würde er allerdings alle, wirklich alle Möglichkeiten erfassen, wäre er weder darstellnoch effizient nutzbar. Hier liegt also ein grundsätzliches Problem. - Schwachpunkte sind zudem die Paraphrasen, die die Wortbildungsprodukte beschreiben sollen. Sie enthalten zum Beispiel häufig so genannte Proverben (z.B. in Königsmantel ‘Mantel, der einem König gehört’), und diese Proverben sind naturgemäß künstlich. Es obliegt ja dem Geschmack, der Fantasie und der Sprachkompetenz des Paraphrasierenden, welche Proverben eingesetzt werden, um eine satzfähige Paraphrase zu erzeugen. Verbindliche Kriterien dafür lassen sich offensichtlich nicht aufstellen. So wird ein Nomenkompositum wie Extrembergsteiger bei Ortner et al. (1991, S. 132f.) paraphrasiert als "‘B., der in extremen Lagen klettert’“. Ebenso gut könnte Extrembergsteiger aber auch erklärt werden als ‘Bergsteiger, der sich extrem herausfordert’. - Auch bleibt die „Zusammenfassung der idiosynkratischen Paraphrasen zu Gruppen“ weitgehend „willkürlich“ (Heringer 1984a, S. 3), so bei Ortner et al. (1991, S. 130f), die eine semantische Gruppe „Existenzial“ konstruieren: „Den Komposita liegt eine Existenzaussage zugrunde, die in den Relativparaphrasen im Archilexem ‘sein’ bzw. ‘existieren’ zum Aus- Die Wortbildungsbedeutung 157 druck kommt“ (ebd., S. 314). In diese Gruppe ordnen sie u.a. Trockenperiode, Akutbetten, Friedenszeit und Arbeiterstadt in der vorwiegend Arbeiter wohnen’“ ein. Daneben konstruieren sie eine semantische Gruppe „Agentiv/ auktorial“: „Zwischen den Konstituenten besteht eine ‘auktoriale’ Relation. Die Proverben der Relativparaphrase ‘schaffen’/ ‘herstellen’ können je nach der Rolle von A verschieden variiert werden“ (ebd., S. 553). Dort ordnen sie Picasso-Bild, Polizei-Razzia, Fremdherrschaft, Malerpinsel, Nazizeit und Elektrikerwerkstatt ein "‘W., in der Elektriker arbeiten’“ (ebd., S. 138f.). Komposita wie Elektrikerwerkstatt und Arbeiterstadt könnten aber mit diesen Paraphrasen genauso gut in eine gemeinsame Gruppe eingeordnet werden, weil sie beide einen Ort bezeichnen, mit dem die von der Ersteinheit bezeichneten Personen typischerweise etwas zu tun haben, an dem sie sich typischerweise aufhalten, um zu „wohnen“ oder zu „arbeiten“. - Auch wird die Bedeutung der Wortbildungsprodukte häufig unter- oder überbestimmt (Heringer 1984a). So feinstdifferenzieren Ortner et al. (1991, S. 130f.) zwischen Kinderhand als „Ganzes - Teil“ gegenüber Kalbsfilet als „Herkunftsgröße - (abgesonderter Teil“, wobei apropos Kalbsfilet m.W. auch dann ein Kalbsfilet bezeichnet, wenn es noch nicht „abgesondert“ ist, und eine Kinderhand auch dann eine Kinderhand bliebe, wenn sie „abgesondert“ wäre. Eine vollständige Ausbuchstabierung semantischer Muster sehe ich aus diesen Gründen als per se sprachrealitätsfremd und irreführend an (kritisch zu semantischen Kategorien auch Willems 1994). Zudem hat eine vollständige Ausbuchstabierung gar nicht den Vorteil, dass unsichere Hörerleser Rat fänden für ihre Verstehensprobleme. Denn dass wir Wortbildungsprodukte verstehen können, setzt weniger Musterwissen im engeren Sinne voraus als Wissen im Sinne von Kontextverständnis und Weltwissen. Dies soll im Folgenden erläutert werden. 5.1 Wortbildung - Sinn aus dem Chaos Die Wortbildungsbedeutung ist nach traditionellem Verständnis das, was über die Bedeutung der Einheiten eines Wortbildungsproduktes hinausgeht. Die Bedeutung eines Wortbildungsproduktes wird danach nicht aus einer 158 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick reinen Aneinanderreihung der Bedeutungen ihrer Einheiten ermittelt, sondern aus der Relation zwischen den Einheiten. Diese Sichtweise jedoch ist problematisch: Zum einen, weil sie nur zutrifft auf Komposita und explizite Derivate, also auf Wortbildungsprodukte, bei denen eine Relation zwischen zwei unmittelbar segmentierbaren Einheiten besteht, aber nicht auf Konvertate und implizite Derivate. Zum anderen geht ja „die gängige Behandlung davon aus, in einem Kompositum AB bestehe zwischen A und B eine syntagmatische Relation [...], Bedeutungsanalyse der Komposita bestehe in der Ermittlung der Relation. Da ist aber nichts, kein Zeichen für diese Relation. [...] Und war es nicht ein gutes altes strukturalistisches Prinzip: Wo kein Ausdruck, auch keine Bedeutung“ (Heringer 1984a, S. 3). Bei Komposita kann zwar die Reihenfolge der Einheiten Aufschluss geben, „entweder A vor B oder B vor A“, aber: „Das ist alles.“ (ebd.). Verlässlich ist diese Reihenfolge außerdem lediglich bei Determinativkomposita, bei expliziten Derivaten steht das Relevante, das Determinatum, der semantische Kern, ja mal in der ersten Einheit (z.B. bei Kindchen und vergolden), mal in der zweiten (z.B. bei Schönling und unfreundlich). Bei den einteiligen Wortbildungsprodukten ist nicht mal eine Reihenfolge auswertbar. Wortbildungsprodukte sollte man also aus den ausgeführten Gründen hinsichtlich ihrer Semantik nur vage beschreiben. Besteht ein Wortbildungsprodukt aus zwei Einheiten, z.B. Kurtisanenschuh, Dekantieren, kann zunächst nur gesagt werden, dass das, was die eine Einheit bezeichnet, irgendetwas mit dem zu tun hat, was die andere Einheit bezeichnet: Ein Kurtisanenschuh ist ein Schuh, der irgendetwas mit einer Kurtisane zu tun hat; ein Dekantierer ist etwas, was irgendetwas mit dekantieren zu tun hat. Bei Wortbildungsprodukten, die nur aus einer Einheit bestehen, z.B. nashorn{en), kann nur ausgesagt werden, dass das, was das Wortbildungsprodukt bezeichnet, semantisch irgendetwas mit der Basis zu tun hat. Wortbildungsprodukte lassen sich folglich überhaupt nur interpretieren, wenn weitere Kriterien herangezogen werden. Weil die einzelnen Wortbildungsprodukte in der Regel einem Hörerleser ja nicht einfach so isoliert zugeworfen werden, sondern immer in Sinnzusammenhängen stehen, können Hörerleser aus dem Kontext deuten, aus Kenntnissen über Sachzusammenhänge, aus dem Weltwissen. Dieses Wissen, das insbesondere Wortbil- Die Wortbildungsbedeutung 159 dungsprodukte verständlich macht, nennt Heringer (ebd.) Laufwissen. Laufwissen umfasst folgende Arten des Wissens: - Das Wissen aus dem unmittelbaren verbalen Kontext: Besonders okkasionelle Wortbildungsprodukte sind oft nur aus dem Kontext erklärbar. So kann z.B. ein Konvertat wie bäumen gedeutet werden aus einem unmittelbaren Kontext, der z.B. besagt, dass es um einen Herrn Baum geht, der in charakteristischer Weise spricht und dessen Sprechweise von Frau Müller imitiert wird. Derart vom direkten Kontext erklärt, wird das Konvertat wohl auch mit ähnlichen Wortbildungsprodukten identifiziert; es kann gelesen werden wie andere aus Eigennamen abgeleitete Verben, z.B. in Schon Martin Heidegger untersagte, daß in seinen Seminaren geheideggert würde. Man solle auch nicht poppern, benjaminisieren, adornölen und blumbergern kurz: seinen Lehrern nicht in den Sprachstapfen folgen (Süddeutsche Zeitung 3./ 4.12.1994). Vgl. auch wortspielerisch Unsere Lehrerin hieß Dengg oder so ähnlich. Frau Dengg rauchte. Ich glaube, das ist heute undenggbar in deutschen Lehrerzimmern (Max 18/ 2001, S. 54). Ebenfalls aus der kontextuellen Einbettung ergibt sich z.B. die Deutung des kontextlos jedenfalls stutzig machenden Kompositums Brotpantoffeln (Hürlimann 2001, S. 180ff): braune schnallenbesetzte Pantoffeln [...] kam es mir vor, als würden ihre Füße in Brotlaiben stecken [...] stand mit ihren Brotpantoffeln in der Tür. - Das situationelle Wissen: Auch aus der aktuellen Situation, die ein Gespräch umgibt, aus dem, was Sprecher und Hörer gerade miteinander erleben, was sie aktuell wahrnehmen, kann auf die Bedeutung des Wortbildungsproduktes geschlossen werden. So kann z.B. Fischfrau aus der direkten Anschauung heraus interpretiert werden als ‘Frau, die wie ein Fisch aussiehf (Heringer 1984a). - Das episodische Wissen: Die Bedeutung eines Wortbildungsproduktes kann nicht nur aus einer aktuellen Situation, sondern auch aus einer früheren Episode erkannt werden. So ist ein Kompositum wie Bauernschnecke (Stem/ Stem 1928, S. 397) zu verstehen aus dem gemeinsamen Wissen des sprechenden Kindes und der hörenden Mutter über eine Episode vom Vortag, in der das Kind beim Spielen mit Bauernjungen eine Schnecke entdeckt hatte. - Das generische oder Weltwissen: Schließlich wird die Bedeutung eines Wortbildungsproduktes aus den dauerhaft gespeicherten Kenntnissen 160 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick über die Welt ermittelt. So hilft die Kenntnis über kulturelle Gepflogenheiten auch Komposita wie Mandeltorte versus Herrentorte, Kirschkuchen versus Hundekuchen oder Kalbsschnitzel versus Jägerschnitzel zu verstehen: Eine Mandeltorte ist eine Torte aus Mandeln, ein Kalbsschnitzel ein Teil eines Kalbes, dagegen ist es im deutschen Kulturraum unüblich, Torten aus Herren, Teile von Jägern oder Kuchen aus Hunden anzubieten. In anderen Kulturkreisen ist das jedenfalls der Legende nach offenbar anders, vgl. Als Mungo nachfragte, wofür die Affen dienten, grinste der Fährmann und stellte seine blitzenden Zahnreihen zur Schau: „Zum Backen“, erklärte er. ,für Affenbrot 1 (Boyle 1987, S. 292). Relativ zuverlässig und stimmig interpretabel ist also ein Wortbildungsprodukt wie jedes andere Wort auch erst im Kontext. Dennoch lassen sich natürlich einige besonders präsente Lesarten erkennen. 5.2 Einige besonders präsente Lesarten zu Wortbildungsprodukten Wortbildungsprodukte sind, wie gezeigt wurde, auf vielerlei Weise produzierbar und auf vielerlei Weise interpretabel. Allerdings sind einige Produktionsbzw. Interpretationsweisen besonders präsent, etwa der Vergleich (z.B. in milchiges Glas, ein zitronengelbes Kleid, Zitronenfalter, der Bauingenieur gärtnert in seiner Freizeit ein bisschen), die Negation (z.B. Unmensch, unschön, missachten) oder die Hervorhebung (z.B. ultradünn, Megaparty). Offenbar gibt es grundsätzliche, vermutlich sogar universale Denkkategorien und Bezeichnungsbedürfnisse, die sich auch in den Wortbildungsprodukten des Deutschen widerspiegeln. Im Folgenden werden einige Beispiele für besonders präsente Lesarten gegeben. Sie können gleichzeitig als Anregung zur Produktion genutzt werden. Bei der Darstellung unterteile ich anders als andere Wortbildungsdarsteller semantisch nicht zwischen Komposition und Derivation. Aus semantischen Gründen eine Grenze zu ziehen, ist m.E. nämlich nicht zu rechtfertigen: Häufig haben Komposita und Derivate analoge semantische Strukturen (z.B. IDS-Mitarbeiter und IDSler). Vgl. Exkurs 23. Ich stelle die Lesarten jedoch nach Wortarten unterschieden dar, weil Wortarten ja eine unterschiedliche grammatische Funktion, häufig auch eine unterschiedliche kategorielle Bedeutung haben: Die Wortbildungsbedeutung 161 - Einige Lesarten zu nominalen Wortbildungsprodukten - Einige Lesarten zu adjektivschen Wortbildungsprodukten - Einige Lesarten zu verbalen Wortbildungsprodukten 5.2.1 Einige Lesarten zu nominalen Wortbildungsprodukten Die Nomenbildung des Deutschen ist besonders gut ausgebaut und wissenschaftlich besonders gut untersucht. Daher gibt es hier die meisten Termini zur Bezeichnung der Lesarten. Terminologisch erfasst ist u.a.: die Bildung von Nomina agentis (zu lat. agens ‘handelnd’), z.B. Abweichler, Beleg, Dünnbrettbohrer, Flüchtling, Heulsuse, Koch, Kontrolleur, Hindernis, Lieferant, Missionar, Redner. Bei nomina agentis werden Sachen oder Sachverhalte semantisch durch eine Handlung charakterisiert: Ein Abweichler ist jemand, der typischerweise abweicht; ein Beleg ist etwas, das etwas belegt; ein Redner heißt Redner, weil er redet. Als Subtyp zu den Nomina agentis rechne ich auch die in der Forschungsliteratur meist abgegrenzten Nomina instrumenti (zu lat. instrumentum ‘Werkzeug’) wie Gebläse, Plattenspieler, Toaster. Ich sehe nomina instramenti als Subtyp der nomina agentis, weil ein Sprecherschreiber, der z.B. Toaster bildet, das Bezeichnete offenbar als etwas Handelndes wahmimmt: Ein Gebläse ist ein Gerät, das typischerweise bläst, ein Toaster toastet typischerweise, ein Plattenspieler spielt Platten. Im Vordergrund steht bei diesen Wortbildungsprodukten die Handlung (daher Nomina agentis) und nicht, ob der Handelnde eine Person, etwas Personifiziertes, ein Tier, eine Pflanze oder ein unbelebtes Gerät, eine Maschine ist. Vgl. dazu auch Donalies (i.Vorb.). die Bildung von Nomina patientis (zu lat. patiens ‘erleidend, erfahrend, affiziert’), z.B. Examinand, Flüsterwitz, Lutschbonbon, Lutscher, Täufling, Transplantat. Bei Nomina patientis wird eine Sache oder ein Sachverhalt durch eine Tätigkeit semantisch charakterisiert, die an ihr vollzogen wird: Ein Examinand ist eine Person, die examiniert wird; ein Flüsterwitz ist ein Witz, der geflüstert wird; ein Täufling wird getauft. Vgl. Brdar/ Brdar Szabö (1991), Guttropf/ Meibauer (2003). 162 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick die Bildung von Nomina actionis (zu lat. actio ‘Handlung’), z.B. Blockade, Edition, Lauf, Meldung, Rasur, Rede, Reparatur. Bei Nomina actionis mit Verbbasis liegt Transposition vor; bei Nomina actionis mit Konfix (z.B. ras-, repar-) wird das Konfix syntaktisch nutzbar gemacht, indem es durch das Suffix einer Wortart zugeordnet wird: Meldung ist eine syntaktische Alternative zu melden, verändert wird lediglich die grammatische Funktion; Rasur ist die syntaktische Nutzbarmachung eines auch zur Verbbildung herangezogenen Konfixes als Nomen. Die sonst meist davon abgegrenzten Nomina acti (zu lat. actum ‘das Getane’) betrachte ich als einen Subtyp der Nomina actionis: Ein explizites Derivat wie Sendung ist ein Nomen actionis, das bezeichnet, dass etwas gesendet wird; außerdem kann Sendung ein Resultat, das Gesendethaben oder das Gesendete bezeichnen. die Bildung von Nomina qualitatis (zu lat. qualitas ‘Beschaffenheit’), z.B. Akuratesse, Anomalie, Bitternis, Debilität, Kälte, Reichtum, Schönheit, Trübsal. Auch bei Nomina qualitatis liegt Transposition vor: schön und Schönheit sind syntaktische Alternativen. Verändert wird vor allem die grammatische Funktion. die Bildung von Nomina loci (zu lat. locus ‘Ort’), z.B. Backofen, Wäscherei. Nomina loci sind Ortsangaben, die durch eine typische Tätigkeit semantisch näher charakterisiert werden: Ein Backofen ist ein Ofen, der dazu bestimmt ist, dass in ihm gebacken wird; eine Wäscherei ist ein durch das Suffix -erei bezeichneter Ort, an dem typischerweise gewaschen wird. die Bildung von Diminutiva, z.B. Büchelchen, Kindlein, Kleinstkuss, Minigarten, Romänchen. Durch Diminution wird das Determinatum, also das, was determiniert wird, semantisch näher bestimmt, indem es als auffallend klein bezeichnet wird: Ein Minigarten ist ein auffallend kleiner Garten. Überwiegend wird dabei positiv oder negativ gewertet: Ein Kindlein ist ein besonders niedliches, besonders geliebtes Kind, ein Romänchen ein besonders minderwertiger, zu verachtender Roman. Vgl. Würstle (1992). Nur wenige Diminutiva sind neutral, z.B. Wissenschaftstermini wie Blutkörperchen, lonenteilchen. Zur Wortbildung in den Fachsprachen vgl. u.a. Poethe (2000a). Nicht zur Diminution gehören Derivate wie Sensibelchen. Hier werden Personenbezeichnungen gebildet. Die Wortbildungsbedeutung 163 die Movierung, z.B. Antifeministin, Baronesse, Dackeline, Hexerich, Prinzessin, Puter. Die Movierung dient dazu, Bezeichnungen für Lebewesen zu explizieren hinsichtlich des biologischen Geschlechts des Bezeichneten, d.h. hinsichtlich des Sexus (im Gegensatz zum grammatischen Geschlecht, dem Genus): Ein Puter ist eine männliche Pute, eine Antifeministin ist ein weiblicher Antifeminist. Dabei spielt im Prinzip keine Rolle, welches grammatische Geschlecht ein Wort hat; so werden z.B. zur ausdrücklichen Bezeichnung für biologisch weibliche Lebewesen sowohl maskuline als auch feminine und neutrale Wörter moviert: der Hase —> die Häsin, die Ratte—> die Rättin (Titel eines Romans von Günter Grass), das Kalb —> die Kalbin (Ljunderud 1973, nach Fleischer/ Barz 1995, S. 183). Vgl. zu ausgefalleneren Movierungen auch Irmscher (1988), Trempelmann (1990). Movierung im eigentlichen Sinne geschieht im Deutschen ausschließlich durch Suffigierung. Keine Movierung ist die Komposition mit bereits biologisch festgelegten Personenbezeichnungen (z.B. Schwester und Vater in die Krankenschwester, der Herbergsvater). Ebenfalls keine Movierung liegt vor bei expliziten Derivaten mit Suffixen, die bereits biologisch festgelegte Personen bezeichnen (z.B. -euse und -ling in die Friseuse, der Prüfling). Eher werden Personenbezeichnungen gebildet. Vgl. ausführlich zur Movierung Doleschal (1992) und Doleschal (1995) sowie kritisch zum feministischen Ansatz Stickel (1988), Stickel (1998). die Negation, z.B. Missvergnügen, Unvermögen. Die Negation dient dazu, das Zutreffen einer Charakterisierung in Frage zu stellen: Ein Missvergnügen ist nicht das, was man sich unter einem Vergnügen vorstellt; ein Unvermögen ist kein Vermögen. Die Negation gibt es bei allen drei Wortarten gleichermaßen. Vgl. u.a. Schnerrer (1982) und Lenz (1995). Neben diesen eingeführten Begriffen, die traditionell den Blick auf die semantischen Möglichkeiten der Wortbildung bestimmen, sind weitere präsente und frequente Lesarten u.a.: die Charakterisierung durch eine Zugehörigkeit oder einen Besitzer, z.B. Kruppianer, Postler, Rektorat, Rittergut, Tischbein: Ein Kruppianer ist eine durch das Suffix -ianer bezeichnete Person, die zur Firma Krupp gehört; ein Rittergut ist ein Gut, das einem Ritter gehört. 164 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick die Charakterisierung durch besondere Merkmale, z.B. Bergland, Hängebauchschwein, Henkelkorb, Illusionist, Lüstling, Rosinenkuchen, Tugendbold, Warmblütler Ein Hängebauchschwein ist ein Schwein, das einen Hängebauch hat und sich dadurch von anderen Schweinen unterscheidet; ein Illusionist hat mindestens eine Illusion. die Charakterisierung durch eine Substanz oder ein Kollektiv, z.B. Arbeiterschaft, Gebüsch, Klangmeer, Maschinerie, Schafherde, Zuckerwürfel. Ein Klangmeer ist ein Meer, das aus Klang besteht; eine Arbeiterschaft ist eine durch das Suffix -schaft bezeichnete Gesamtheit, die aus Arbeitern besteht (im Gegensatz zur Arbeitgeberschaft, die aus Arbeitgebern besteht), ein Zuckerwürfel besteht aus Zucker. die Charakterisierung durch eine Hervorhebung, z.B. Megastar, Supergau. Ein Megastar ist aus der Menge der Stars dadurch hervorgehoben, dass er alle startypischen Eigenschaften in besonders ausgeprägter Weise hat. die Charaktersierung durch einen Vergleich, z.B. Haarnadelkurve, Mandelaugen, Peitschenlampe, S-Kurve, T-Träger, Zitronenfalter. Mandelaugen sind Augen, die wie Mandeln geformt sind; eine S-Kurve sieht wie der Buchstabe S aus; ein Zitronenfalter ist gelb wie eine Zitrone. Inwiefern verglichen wird, legt das Weltwissen nahe; aus den für die Vergleichsentität typischen Merkmalen wählt der Hörerleser die aus, die am ehesten passen: So ist ein Zitronenfalter wahrscheinlich farblich einer Zitrone gleich, weniger wahrscheinlich, wenn natürlich auch nicht ausgeschlossen, ist hier ein geschmacklicher Vergleich. Dabei ist die Bandbreite der Lesarten beim Vergleich besonders groß: Das Kompositum Mandelaugen z.B. könnte je nach Kontext außer auf die Form auch auf die zartbraune Farbe oder die Süße oder Bitternis von Mandeln anspielen, die auf die Augen übertragen werden. Mitunter werden auch gleich mehrere typische Eigenschaften der Vergleichsentität herangezogen: Ein Kind mit Apfelbäckchen z.B. ist ein Kind mit Bäckchen so rot und rund wie Äpfel. 5.2.2 Einige Lesarten zu adjektivischen Wortbildungsprodukten Adjektive fungieren im Sinne von Zifonun, G. et al. (1997) und www. idsmannheim.de/ grammis (2001) vor allem als Modifikatoren von Nomina Die Wortbildungsbedeutung 165 und dienen der zusätzlichen Attribuierung von Sachen und Sachverhalten oder der Zuschreibung von Eigenschaften. Auch wortgebildete Adjektive stehen immer in diesem Funktionszusammenhang; ihre Bildung ist auf diese Funktion hin konzipiert. Einige besonders präsente und frequente Lesarten sind u.a.: die Charakterisierung des attribuierten Nomens durch einen Vergleich, z.B. brunnentief federleicht, johannisbeerrot, milchig, schwesterlich, zitronengelb: Eine brunnentiefe Liebe ist so tief wie ein Brunnen, milchiges Glas sieht trübe aus wie Milch; wer einer Kollegin schwesterlich den Arm um die Schultern legt, tut dies wie eine Schwester. Adjektive dieses Typs werden in der Forschungsliteratur auch Komparativa genannt (zu lat. comparatio ‘Vergleich’). die Charakterisierung durch mehrere Eigenschaften, z.B. armenischdeutsch, gefährlich-harmlos, krummgelb, magerstreng, rotgrün: Eine armenisch-deutsche Erzählung ist eine Erzählung, die sowohl armenisch als auch deutsch ist; eine krummgelbe Banane ist sowohl krumm als auch gelb. Vgl. 4.1.2. die Hervorhebung, z.B. bravbrav, extrabreit, hypergemein, megaout, mordskomisch, sauteuer, tiefreligiös, ultrafreundlich, urgemütlich: Ein bravbraver Junge ist besonders brav, ein ultrafreundliches Lächeln ist besonders, mitunter auch zu freundlich. Durch seine besondere Bravheit ist der Junge aus der Menge der anderen braven Jungen ausdrücklich hervorgehoben. die Negation, z.B. ahistorisch, destabil, illegal, nonverbal, unwesentlich. Die Negation dient dazu, das Zutreffen einer Charakterisierung in Frage zu stellen: Eine ahistorische Einstellung ist nicht das, was man sich unter einer historischen Einstellung vorstellt; ein unwesentlicher Einwand ist nicht wesentlich. die Relativierung, z.B. bläulich, halbseiden, quasioptimal, semioptimal, spitzig: Ein bläuliches Licht ist ein Licht, das nicht ganz so blau ist, wie man sich blau vorstellt; semioptimale Bedingungen sind nicht ganz, sondern relativ, nämlich nur halb optimale Bedingungen. 166 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick 5.2.3 Einige Lesarten zu verbalen Wortbildungsprodukten Bei den Verben sind Komposita ein Randphänomen. Die Komposition beschränkt sich hier überwiegend auf die Lesart der Charakterisierung durch eine andere Tätigkeit, z.B. brennhärten, knirschkauen, ziehschleifen'. Wer knirschkaut, der kaut und zwar knirschend. Daneben gibt es selten auch Komposita mit Präpositionen wie unterfordern. Vgl. 4.1.1.5. Stark ausgebaut ist dagegen die Verbpräfigierung und die Verbkonversion. Besonders präsente und frequente Lesarten sind dort u.a.: die Charakterisierung durch einen Vergleich, z.B. bemuttern, sich etwas ergaunern, gärtnern, glucken, schlängeln, wieseln'. Jemand, der jemanden bemuttert, verhält sich ihm gegenüber so fürsorglich wie eine Mutter. die Charakterisierung durch ein Instrument, z.B. erdolchen, flöten, geigen, gondeln, hämmern, kutschieren, pinseln, radeln, sensen: Wer eine Wiese senst, tut das mit einer Sense. die Charakterisierung durch etwas Hinzugefügtes, z.B. begnadigen, besohlen, ehren, lackieren, möblieren, polstern, salzen, vergolden'. Wer Schuhe besohlt, versieht Schuhe mit einer Sohle. Verben dieses Typs werden in der Forschungsliteratur auch Omativa genannt (zu lat. ornare ‘schmücken, hinzufflgen’). die Charakterisierung durch etwas Weggenommenes, z.B. entehren, lausen, schälen, skalpieren'. Wer Äpfel schält, entfernt die Schale von den Äpfeln; wer jemanden entehrt, nimmt ihm die Ehre. Verben dieses Typs werden auch Privativa genannt (zu lat. privare ‘berauben, befreien’). Hierher gehören außerdem Verben wie entpeinlichen, entschränken, entsichern, disqualifizieren, die ausdrücken, dass eine Eigenschaft oder Tätigkeit zurückgenommen wird: Wer eine Situation entpeinlicht, sorgt dafür, dass die Situation nicht mehr peinlich ist. Solche Verben werden auch Reversiva genannt (zu lat. reversare ‘umkehren, verkehren’). die Charakterisierung durch Phasen eines Prozesses, nämlich durch den Auftakt, z.B. erblühen, erwachen, durch das Ende, z.B. verblühen, verklingen, oder durch die Vollendung, z.B. erretten, heilen, verheilen, verschimmeln'. Eine Chrysantheme, die erblüht, beginnt zu blühen; eine Chrysantheme, die verblüht, hört auf zu blühen; eine Wunde, die heilt oder verheilt, ist dabei, ganz und gar heil zu werden. Verben wie erblü- Die Wortbildungsbedeutung 167 hen werden auch Inchoativa genannt (zu lat. inchoativum ‘anfangend’), Verben wie verblühen werden auch Resultativa genannt (zu mlat. resultatum ‘Ergebnis, Resultat’), Verben wie erretten heißen auch Perfektiva (zu lat. perfectum ‘das Vollendete’). Besonders die inchoativen Verben sind in der Forschungsliteratur relativ gut aufgearbeitet, so u.a. von Storch (1978) und Goergen (1994). die Charakterisierung durch einen Misserfolg, z.B. missverstehen, versalzen, sich verwählen-. Wer jemanden oder etwas missversteht, versteht etwas falsch. die Negation, z.B. missachten, missgönnen-. Wer jemanden missachtet, achtet ihn nicht. Überwiegend werden Verben aber weniger durch Wortbildungsprozesse als syntaktisch mit nicht negiert, z.B. sie achtet ihn nicht. 6. Überblick über den Überblick Wortbildung dient wie die Entlehnung, die Bedeutungsveränderung und die Urschöpfung der Wortschatzerweiterung. In Abgrenzung zu den anderen Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung lässt sich Wortbildung beschreiben als ein innersprachliches Verfahren, bei dem bedeutungshaltiges Sprachmaterial grundsätzlich immer morphosyntaktisch, häufig auch semantisch verändert wird. Durch Wortbildung entstehen ausschließlich Wörter. Wörter werden im Deutschen gebildet aus Wörtern (z.B. König in Königsmantel, königlich), Konfixen (z.B. bioin Bioladen, biotisch), Sätzen oder Phrasen (z.B. in ihr Das-darf-doch-nicht-wahr-sein-Grinsen, Vergissmeinnicht) und Wortbildungsaffixen (z.B. -lieh in königlich). Nicht mehr verständlich und daher nicht mehr produktiv, jedoch in einigen etablierten Wortbildungsprodukten zu finden, sind unikale Einheiten (z.B. Schornin Schornstein). Als Kitt zwischen diesen Wortbildungseinheiten werden mitunter die semantisch leeren Fugenelemente verwendet (z.B. das -sin Hochzeitstorte). Im Deutschen gibt es vor allem zwei Verfahren zur Bildung von Wörtern. Erstens die Komposition: Hier werden Einheiten zusammengesetzt, es entstehen Komposita (z.B. Königsmantel, Biotop). Zweitens die Derivation: Hier werden Einheiten abgeleitet, es entstehen Derivate. Bei den Derivaten sind zu unterscheiden explizite Derivate (z.B. königlich, biotisch), implizite Derivate (z.B. tränken) und Konvertate (z.B. Vergissmeinnicht, süßen). Das dritte Verfahren neben der Komposition und der Derivation ist die Kürzung. Hier entstehen Kurzwörter (z.B. Azubi, Lkw). Außerdem werden Wörter gebildet durch Neumotivierung (z.B. Hängematte) und durch das Wortspiel (z.B. Obertan). Semantisch sollten Wortbildungsprodukte eher vage beschrieben werden. Eine bestimmte Anzahl bestimmter Muster aufzulisten, grenzt den Blick mehr ein, als irgendetwas zu erhellen. Interpretationen sind vielmehr kontextabhängig. Um ein Wortbildungsprodukt aus dem Kontext heraus zu verstehen, kann natürlich die Erfahrung mit ähnlichen Wortbildungsprodukten nützlich sein. In diesem Sinne sind semantische Muster eine Orientierungshilfe. 7. Literatur 7.1 Zitierte Belegliteratur Die mit Cosmas gekennzeichneten Belegquellen können in den Textkorpora des IDS unter www.ids-mannheim.de/ cosmas2 nachrecherchiert werden und sind hier nicht näher aufgeflihrt. Auch die von mir ausgewerteten Zeitschriften und Zeitungen werden hier nicht eigens aufgeflihrt; die Angaben sind im Text jeweils so fomuliert, dass sie sich bei Bedarf mühelos nachrecherchieren lassen, z.B. Süddeutsche Zeitung 9.9.2001, S. 55. Die anderen von mir ausgewerteten Belegquellen sind: Aehnlich, Kathrin (1998): Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen. Köln. Aiken, Joan (1995): Der Geist von Lamb House. Roman. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. Zürich. Barlach, Emst (1936/ 1959/ 1988): Der gestohlene Mond. Reinbek bei Hamburg. (= Rowohlt Jahrhundert 33). Bames, Julian (2002): Darüber reden. Deutsch von Gertraude Kmeger. Hamburg. Becker, Jurek (2004): Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Christine Becker und Joanna Obrusnik. Frankfurt a.M. Berg, Sibylle (1997): Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Roman. Leipzig. (= reclams-bibliothek 1577). Bonder, Michael (1995): Die Nabelschau der Selbstgefälligen - Political Correctness. Im Irrgarten der Tabus. Frankfurt a.M. Bourdain, Anthony (2001): Geständnisse eines Küchenchefs - Was Sie über Restaurants nie wissen wollten. Aus dem Amerikanischen von Dinka Mrkowatschki. München. Bourdain, Anthony (2004): Ein Küchenchef reist um die Welt - Auf der Jagd nach dem vollkommenen Genuss. München. Boyle, Tom Coraghessan (1987): Wassermusik. Deutsch von Werner Richter. Reinbek. Brezan, Jurij (1999): Ohne Pass und Zoll - Aus meinem Schreiberleben. Köln. Broch, Hermann (1950/ 1974): Die Schuldlosen. Roman in elf Erzählungen. Frankfurt a.M. (= Kommentierte Werkausgabe 5). 172 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Calvin, William H. (2000): Der Strom, der bergauf fließt - Eine Reise durch die Evolution. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Giese. München. Celine, Louis-Ferdinand (2003): Reise ans Ende der Nacht. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Hamburg. Demski, Eva (1997/ 1999): Das Narrenhaus. Roman. München/ Zürich. Ditfurth, Hoimar v. (1989/ 1993): Innenansichten eines Artgenossen - Meine Bilanz. München. Fontane, Theodor (1882/ 1995): L'Adultera. Novelle. Berlin. (= Berliner Frauenromane). Fontane, Theodor (1907/ 1995): Mathilde Möhring. Berlin. (= Berliner Frauenromane). Fuchs, Gerd (1992/ 1995): Katharinas Nacht. Roman. München. Gauß, Karl-Markus (2002): Die sterbenden Europäer. München. Griesemer, John (2003): Rausch. Übersetzt von Ingo Herzke. Hamburg. Guggenheim, Kurt (1978/ 1980): Riedland. Roman. Frankfurt a.M./ Berlin. Hahnfeld, Ingrid (1996): Das tote Nest. Roman. Frankfurt a.M. (= Die Frau in der Gesellschaft 13033). Hanuschek, Sven (1999): Keiner blickt dir hinter das Gesicht - Das Leben Erich Kästners. München/ Wien. Hars, Wolfgang (1999): Lexikon der Werbesprüche. 500 bekannte deutsche Werbeslogans und ihre Geschichte. Frankfurt a.M. Heringer, Hans Jürgen (1999): Das höchste der Gefühle - Empirische Studien zur distributiven Semantik. Tübingen. Hildesheimer, Wolfgang (1983/ 1986): Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge und anderes. Frankfurt a.M. Hörmann, Hans (1978): Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik. Frankfurt a. M. Holbein, Ulrich (1996): Sprachlupe. Frankfurt a.M. Hoppe, Ulrich (1986): Bös-Deutsch. Das Wörterbuch für Zyniker(innen). Originalausgabe. München. Hotakainen, Kari (2004): Lieblingsszenen. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Frankfurt a.M. Hühner, Robert (1997/ 1999): Die Godin. Roman. München. Hürlimann, Thomas (2001): Fräulein Stark. Novelle. Zürich. Literatur 173 Illig, Heribert (2000): Das erfundene Mittelalter - Die größte Zeitfälschung der Geschichte. 4. Aufl. München. Japrisot, Sebastian (1999): Die Dame im Auto mit Sonnenbrille und Gewehr. Roman. Aus dem Französischen von Gottlieb Knecht. Frankfurt a.M. Kästner, Erich (1957/ 1997): Als ich ein kleiner Junge war. Hamburg. Kann, Hans-Joachim (1972): Bemerkungen zum Wortbildungsmuster „Name + Substantiv“ („Holland-Hähnchen“). In: Muttersprache 82, S. 290-298. Kempowski, Walter (1984/ 1997): Herzlich Willkommen. Roman. München. Kesten, Hermann (1931/ 1948): Glückliche Menschen. Roman. Mit einem Vorwort von Erich Kästner. Kassel. Kinder, Hermann (1997): Um Leben und Tod. Erzählung. Hamburg. Klemperer, Victor (1933-41/ 1995): Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Bd. I: Tagebücher 1933-1941. Herausgegeben von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Hardwig Klemperer. Berlin. Klemperer, Victor (1941-1945/ 1995): Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Bd. II: Tagebücher 1941-1945. Herausgegeben von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Hardwig Klemperer. Berlin. Koenen, Gerd (2003): Vesper, Ensslin, Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus. Köln. Koeppen, Wolfgang (1953/ 1982): Das Treibhaus. Roman. Frankfurt a.M. Koeppen, Wolfgang (1954/ 1975): Der Tod in Rom. Roman. Frankfurt a.M. Koeppen, Wolfgang (1961/ 1979): Reisen nach Frankreich. Frankfurt a.M. Kunert, Günter (1995): o.T. In: Sarkowicz, Hans (Hg.): „Als der Krieg zu Ende war“: Erinnerungen an den 8. Mai 1945. Frankfurt a.M./ Leipzig. S. 13-19. Lander, Jeanette (1995): Überbleibsel. Eine kleine Erotik der Küche. Berlin. Lenz, Siegfried (1989/ 1995): Exerzierplatz. Roman. München. Loest, Erich (1995): Nicolaikirche. Roman. Leipzig. Lorenz, Konrad (1963/ 1998): Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. München. Mahlsdorf, Charlotte v. (1992): Ich bin meine eigene Frau. Ein Leben. Herausgegeben von Peter Süß. Mit einem Fotoessay von Burkhard Peter. München. Marcuse, Ludwig (1964): Sigmund Freud - Sein Bild vom Menschen. Frankfurt a.M. Meckel, Christoph (1983/ 1995): Suchbild. Über meinen Vater. Frankfurt a.M. 174 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Moers, Walter (2002): Ensel und Krete - Ein Märchen aus Zamonien. München. Moers, Walter (2004): Die Stadt der Träumenden Bücher. Roman. München. Morgenstern, Christian (1932/ 1981): Alle Galgenlieder. Galgenlieder - Palma Kunkel - Der Gingganz. Zürich. Noteboom, Cees (1958/ 1991): Das Paradies ist nebenan. Roman. Frankfurt a.M. Özdamar, Emine Sevgi (1992/ 1994): Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus. Köln. Picouly, Daniel (1996): Fängt ja gut an, das Leben. Roman. München. Pursch, Günter (Hg.) (1992): Das Parlamentarische Schimpf & Schmunzel Lexikon. Von „Abbruchuntemehmen“ bis „Zynismus“ 1949-1991. Mit einem Geleitwort von Hans Klein, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, und einem Vorwort von Gerhard Reddemann, MdB. München. Reichholf, Josef H. (1990/ 1993/ 1997): Das Rätsel der Menschwerdung - Die Entstehung des Menschen im Wechselspiel mit der Natur. München. Reimann, Brigitte (1997): Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955-1963. Herausgegeben von Angela Drescher. Berlin. Reimann, Brigitte/ Wolf, Christa (1993): Sei gegrüßt und lebe - Eine Freundschaft in Briefen 1964-1973. Herausgegeben von Angela Drescher. Berlin. Rezzori, Gregor v. (1976/ 1990): Der Tod meines Bruders Abel. München. Rezzori, Gregor v. (1994/ 1996): Greisengemurmel. Ein Rechenschaftsbericht. München. Rezzori, Gregor v. (1999): Mir auf der Spur. München. Roth, Jürgen/ Bittermann, Klaus (Hg.) (1996): Das große Rhabarbern. Neununddreißig Fallstudien über die Talkshows. Berlin. (= Critica Diabolis 64). Rowohlt, Harry (1993/ 1996): Pooh's Corner. Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand. Gesammelte Werke. Mit einem Nachwort von Elke Heidenreich. München. (= Heynes Allgemeine Reihe 01/ 9959). Rühmkorf, Peter (1995): TABU I. Tagebücher 1989-1991. Reinbek. Schenk, Herrad (1998): Das Haus, das Glück und der Tod. München. Schmidt, Günter Dietrich (1987): Das Affixoid. Zur Notwendigkeit und Brauchbarkeit eines beliebten Zwischenbegriffes der Wortbildung. In: Hoppe, Gabriele/ Kirkness, Alan/ Link, Elisabeth/ Nortmeyer, Isolde/ Rettig, Wolfgang/ Schmidt, Günter Dietrich (Hg.): Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten WB-Einheiten im Deutschen. Tübingen. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 64). S. 53-101. Literatur 175 Schmidt, Helmut (1998/ 2000): Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral - Deutschland vor dem neuen Jahrhundert. München. Schnabel, Ulrich/ Sentker, Andreas (1997): Wie kommt die Welt in den Kopf? Reise durch die Werkstätten der Bewußtseinsforscher. Mit Illustrationen von Regina Otteni. Reinbek. (= rororo sience). Schneider, Robert (1992/ 1994): Schlafes Bruder. Leipzig. Seghers, Anna (1933/ 1951/ 1995): Der Kopflohn. Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932. Mit einem Nachwort von Sonja Hilzinger. Berlin. Späth, Gerold (1978/ 1988): Unschlecht. Roman. Frankfurt a.M. Spengler, Tilman (1991/ 1993): Lenins Him. Roman. Reinbek. Strittmatter, Erwin (1963/ 1992): Oie Bienkopp. Roman. Berlin. Twain, Mark (nach 1878): Die schreckliche deutsche Sprache. In: Twain, Mark (1985): Gesammelte Werke in zehn Bänden. Bd. 4: Bummel durch Europa. Frankfurt a.M. S. 527-545. Woelk, Ulrich (1993/ 1995): Rückspiel. Roman. Frankfurt a.M. Yglesias, Rafael (2002): Dr. Nerudas Therapie gegen das Böse. Aus dem Amerikanischen von Kurz Neff. Frankfurt a.M. Zafön, Carlos Ruiz (2003): Der Schatten des Windes. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. Frankfurt a.M. 7.2 Zitierte Forschungsliteratur Die hier zitierte Forschungsliteratur ist selbstverständlich alles andere als vollständig oder repräsentativ. Dieses Verzeichnis der zitierten Forschungsliteratur ist keine Wortbildungsbibliografie! Als Bibliografie empfehle ich den fundierten Forschungsüberblick von Barz et al. (Hg.) (2000). Abramov, Boris (1992): Nochmals zur „reitenden Artilleriekaseme“ - Ist semantisches Beziehen eines Attributs auf die desubstantivische Bestimmungskomponente des zusammengesetzten Substantivs akzeptabel? ln: Grosse, Rudolf/ Lerchner, Gotthard/ Schröder, Marianne (Hg.): Beiträge zur Phraseologie - Wortbildung - Lexikologie. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 70. Geburtstag. Frankfurt a.M. S. 133-139. Adamzik, Kirsten (2004): Sprache - Wege zum Verstehen. 2. Aufl. Tübingen/ Basel. (= UTB für Wissenschaft 2172). 176 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Altmann, Hans/ Kemmerling, Silke (2000): Wortbildung fürs Examen - Studien- und Arbeitsbuch. Wiesbaden. (= Linguistik fürs Examen 2). Androutsopoulos, Jannis K. (1998): Deutsche Jugendsprache - Untersuchungen zu ihren Strukturen und Funktionen. Frankfurt a.M. (= Vario Lingua 6). Äsdahl Holmberg, Märta (1976): Studien zu den verbalen Pseudokomposita im Deutschen. Lund. (= Göteborger Germanistische Forschungen 14). Augst, Gerhard (1984/ 1985): Kinderwort. Der aktive Kinderwortschatz (kurz vor der Einschulung) nach Sachgebieten geordnet mit einem alphabetischen Register. Frankfurt a.M. (= Theorie und Vermittlung der Sprache 1). Augst, Gerhard (2001): Gefahr durch lange und kurze Wörter? Lang- und Kurzwortgefahr? LKW-Gefahr? In: Stickel, Gerhard (Hg.): Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz - Aktueller lexikalischer Wandel. Berlin/ New York. (= Jahrbuch 2000 des Instituts für Deutsche Sprache). S. 210-238. Baeskow, Heike (2002): Abgeleitete Personenbezeichnungen im Deutschen und Englischen: Kontrastive Wortbildungsanalysen im Rahmen des Minimalistischen Programms und unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte. Berlin. (= Studia linguistica germanica 62). Barz, Irmhild (1992): Die Wortbildungsarten sekundärer Verben. In: Grosse, Rudolf/ Lerchner, Gotthard/ Schröder, Marianne (Hg.): Beiträge zur Phraseologie - Wortbildung - Lexikologie. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 70. Geburtstag. Frankfurt a.M. S. 79-91. Barz, Irmhild (1996): Die Neuheit von Wörtern im Urteil der Sprecher. In: Hertel, Volker/ Barz, Irmhild/ Metzler, Regine/ Uhlig, Brigitte (Hg.): Sprache und Kommunikation im Kulturkontext. Beiträge zum Ehrenkolloquium aus Anlaß des 60. Geburtstages von Gotthard Lerchner. Frankfurt a.M. u.a. S. 299-313. Barz, Irmhild (1998): Zur Lexikalisierungspotenz nominalisierter Infinitive. In: Barz, Innhild/ Öhlschläger, Günther (Hg.): Zwischen Grammatik und Lexikon. Tübingen. (= Linguistische Arbeiten 390). S. 57-68. Barz, Irmhild (2000): Zum heutigen Erkenntnisinteresse germanistischer Wortbildungsforschung. Ein exemplarischer Bericht. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S. 299-316. Barz, Irmhild (2002): Wortartwechsel. In: Cruse, D. Alan/ Hundsnurscher, Franz/ Job, Michael/ Lutzeier, Peter Rolf (Hg.): Lexikologie / Lexicology. Ein internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen / An International Handbook on the Nature and Structure of Words and Vocabularies. 1. Halbbd. Berlin/ New York. S. 657-662. Literatur 177 Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.) (2000): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Hämmer, Karin/ Poethe, Hannelore (2002) (Hg.): Wortbildung praktisch und integrativ. Ein Arbeitsbuch. Frankfurt a.M. (= Leipziger Skripten 2). Bauer, Laurie (2001): Compounding. In: Haspelmath, Martin/ König, Ekkehard/ Oesterreicher, Wulf/ Raible, Wolfgang (Hg.): Language Typology and Language Universals / Sprachtypologie und sprachliche Universalien / La typologie des languages et les universaux linguistiques. An International Handbook / Ein internationales Handbuch / Manual international. Berlin/ New York. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 20.1). S. 695-707. Baumgart, Manuela (1992): Die Sprache der Werbung. Eine linguistische Analyse aktueller Werbeslogans. Heidelberg. Bodensteiner, Danka (1993): Kreative Verbbildung bei Arno Schmidt. In: Wellmann, Hans (Hg.): Synchrone und diachrone Aspekte der Wortbildung im Deutschen. Heidelberg. (= Sprache - Literatur und Geschichte 8). S. 141-146. Braun, Peter (1982): Bestände und Veränderungen in der deutschen Wortbildung am Beispiel der fee-Verben. In: Muttersprache 92, S. 216-226. Braun, Peter (1997): Personenbezeichnungen. Der Mensch in der deutschen Sprache. Tübingen. (= Reihe germanistische Linguistik 189). Braun, Peter/ Nieuweboer, Rogie (2001): Personenbezeichnungen. Ein deutschniederländischer Vergleich. ln: Muttersprache 111, S. 163-174. Brdar, Mario/ Brdar Szabö, Rita (1991): Überlegungen zur Asymmetrie in der Produktivität von zwei Ableitungstypen: Nomina agentis und Nomina patientis. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwiss. und Kommunikationsforschung 44, S. 351- 356. Breindl, Eva/ Thurmair, Maria (1992): Der Fürstbischof im Hosenrock. Eine Studie zu den nominalen Kopulativkomposita des Deutschen, ln: Deutsche Sprache 20, S. 32-61. Burkhardt, Armin (1999): Gut erhaltene Knochenfunde von Urmenschen. Zu einigen typischen Attributfehlem in der deutschen Gegenwartssprache. In: Sprachreport 15/ 2, S. 2-10. Bußmann, Hadumod (1990): Lexikon der Sprachwissenschaft. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Unter Mithilfe und mit Beiträgen von Fachkolleginnen und -kollegen. Stuttgart. (= Kröners Taschenausgabe 452). 178 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Bzd? ga, Andrzej Z. (1999): Zusammenrückung, -Setzung, -bildung. ln: K^tny, Andrzej/ Schatte, Christoph (Hg.): Das Deutsche von innen und von außen. Ulrich Engel zum 70. Geburtstag. Poznan. (= Uniwersytet Im. Adama Mickiewicza w Poznaniu, Seria filologia germahska 44). S. 9-23. Cannon, Garland (2000): Blending. In: Booij, Geert/ Lehmann, Christian/ Mugdan, Joachim in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kesselheim und Stavros Skopeteas (Hg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An international Handbook on Inflection and Word- Formation. 1. Halbbd. Berlin/ New York. S. 952-956. Cieszkowski, Marek (1992): Die neugeprägten jugendspezifischen Komposita und ihre morphematische Motivation. In: Colloquia Germanica Stetinensia 3, S. 123-136. Coulmas, Florian (1988): Wörter, Komposita und anaphorische Inseln. In: Folia Linguistica 22, S. 315-336. Doleschal, Ursula (1992): Movierung im Deutschen. Eine Darstellung der Bildung und Verwendung weiblicher Personenbezeichnungen. Unterschleißheim/ München. Doleschal, Ursula (1995): Der kleine Unterschied. Das Suffix -in und die Frage der Bezeichnung von Frauen im Deutschen. In: Informationen zur Deutschdidaktik 19, S. 111-121. Donalies, Elke (1996): Da keuchgrinste sie süßsäuerlich. Über kopulative Verb- und Adjektivkomposita. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 24, S. 273- 286. Donalies, Elke (1999a): Präfixverben, Halbpräfixverben, Partikelverben, Konstitutionsverben oder verbale Gefüge? Ein Analyseproblem der deutschen Wortbildung. In: Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis 3, S. 127-143. Donalies, Elke (1999b): Das Kakaopulver im Moralkorsett des Ministerfreundes. Gibt es Substantivkomposita mit umgekehrtem Determinationsverhältnis? In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 27, S. 322-343. Donalies, Elke (1999c): Können Wortbildungsaffixe semantische Kerne sein? Ein Diskussionsbeitrag zur Differenzierung der deutschen Affixe nach semantischen Kriterien. In: Deutsche Sprache 27, S. 195-208. Donalies, Elke (2000): Das Konfix - Zur Definition einer zentralen Einheit der deutschen Wortbildung. In: Deutsche Sprache 28, S. 144-159. Donalies, Elke (2001): Zur Entrümpelung vorgeschlagen: Die Wortbildungsarten Rückbildung, Zusammenbildung, Zusammenrückung, Klammerform und Pseudomotivierung. In: Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis 5, S. 129-145. Literatur 179 Donalies, Elke (2003a): Gebt endlich die Wortbildung frei! Über unsinnige und sinnige Kritik an der Wortbildung. In: Sprachreport 19/ 1, S. 26-32. Donalies, Elke (2003b): Hochzeitstorte, laskaparasol, elmas küpe, cow's milk, casa de campo, cigarette-fütre, ricasduehas.... Was ist eigentlich ein Kompositum? In: Deutsche Sprache 31, S. 76-93. Donalies, Elke (2004a): Gut gefringst ist halb gewonnen. Zehn Plädoyers für einen freundlichen und freien Umgang mit der Wortbildung. Illustriert von Katrina Franke. Mit einem Vorwort von Ludwig M. Eichinger. Hrsg, von der Sprachre- / ? or? -Redaktion. Mannheim. Donalies, Elke (2004b): Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich: Kombinatorische Begriffsbildung. Teil 1: Substantivkomposition. Mannheim. (= amades 2/ 04). Donalies, Elke (i.Vorb.): Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich: Kombinatorische Begriffsbildung. Teil II: Explizite Substantivderivation. Mannheim. (= amades, i.Vorb.) Dömer, Dietrich (1998/ 2001): Bauplan für die Seele. Reinbek. Drach, Erich (1940): Grundgedanken der deutschen Satzlehre. Fotomech. Nachdr. (1963). Darmstadt. Eichinger, Ludwig M. (1984): Wortartspezifische Wortbildung. Die Adjektive auf -isch im heutigen Deutsch. In: Grazer Linguistische Studien 21, S. 99-118. Eichinger, Ludwig M. (1987): Die Adjektive auf -isch und die Serialisierungsregeln in deutschen Nominalgruppen. In: Asbach-Schnitker, Brigitte/ Roggendorfer, Johannes (Hg.): Neuere Forschungen zur Wortbildung und Historiographie der Linguistik. Festgabe für Herbert E. Brekle zum 50. Geburtstag. Tübingen. (= Tübinger Beiträge zur Linguistik 284). S. 155-176. Eichinger, Ludwig M. (1996): Weltansicht in Wörtern. Vom Zweck und Nutzen verbaler Wortbildung. In: Simeckovä, Alena (Hg.): Wortbildung - Theorie und Anwendung. Prag. S. 24-41. Eichinger, Ludwig M. (2000a): Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen. Eichinger, Ludwig M. (2000b): Verstehen und Spaß haben. Wortbildung im literarischen Text. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S.145-158. Eisenberg, Peter (1993): Wer hat Angst vor den he-Verben. In: Klein, Wolf Peter/ Paul, Ingwer (Hg.): Sprachliche Aufmerksamkeit. Glossen und Marginalien zur Sprache der Gegenwart. Heidelberg. S. 49-54. Eisenberg, Peter (1998): Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. Stuttgart/ Weimar. 180 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Eisenberg, Peter (2001): Die grammatische Integration von Fremdwörtern. Was fängt das Deutsche mit seinen Latinismen und Anglizismen an? In: Stickel, Gerhard (Hg.): Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz - Aktueller lexikalischer Wandel. Berlin/ New York. (= Jahrbuch 2000 des Instituts für Deutsche Sprache). S. 183-209. Eisenberg, Peter (2004): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart/ Weimar. Engel, Ulrich (1988): Deutsche Grammatik. Heidelberg. Eroms, Hans-Werner (1980): ßc-Verb und Präpositionalphrase. Ein Beitrag zur Grammatik der deutschen Verbalpräfixe. Heidelberg. (= Monographien zur Sprachwissenschaft 9). Eschenlohr, Stefanie (1999): Vom Nomen zum Verb: Konversion, Präfigierung und Rückbildung im Deutschen. Hildesheim/ Zürich/ New York. (= Germanistische Linguistik Monographien 3). Fabricius-Hansen, Catherine (1993): Nominalphrasen mit Kompositum als Kern. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB Tübingen) 115, S. 193-243. Fandrych, Christian (1993): Wortart, Wortbildungsart und kommunikative Funktion. Am Beispiel der adjektivischen Privativ- und Possessivbildungen im heutigen Deutsch. Tübingen. (= Reihe germanistische Linguistik 137). Fandrych, Christian/ Thurmair, Maria (1994): Ein Interpretationsmodell für Nominalkomposita: Linguistische und didaktische Überlegungen. In: Deutsch als Fremdsprache 31, S. 34-45. Fanselow, Gisbert (1981): Zur Syntax und Semantik der Nominalkomposition. Ein Versuch praktischer Anwendung der Montague-Grammatik auf die Wortbildung im Deutschen. Tübingen. (= Linguistische Arbeiten 107). Fehlisch, Ulrike (1998): Zur Einordnung denominaler e/ n-Verben im deutschen Verbsystem. In: Olsen, Susan (Hg.): Semantische und konzeptuelle Aspekte der Partikelverbbildung mit ein-, Tübingen. (= Studien zur deutschen Grammatik 58). S. 149-247. Feine, Angelika (1993): Zur Bedeutungserschließung von Nominalkomposita (NK). In: Bartels, Gerhard/ Pohl, Inge (Hg.): Wortschatz - Satz - Text. Beiträge der Konferenzen in Greifswald und Neubrandenburg 1992. Frankfurt a.M. (= Sprache-System und Tätigkeit 10). S. 107-115. Feine, Angelika (1995): Umweltschutzaktionstrip gegen Ökogangster. Kreative Benennungen in Texten für junge Leser. In: Festschrift für Hans-Joachim Sichert zum 65.Geburtstag. Frankfurt a.M. S. 65-76. Literatur 181 Fischer, Hans-Dieter/ Uerpmann, Horst (1987): Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft. Ein Arbeitsbuch. München. Fix, Ulla (2000): Urteile über Wörter. Kriterien für die Bewertung von Wortbildungsprodukten in Stilistiken und Stillehren. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S. 167-186. Fleischer, Wolfgang (1969): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig. Fleischer, Wolfgang (1995): Konfixe. In: Pohl, Inge/ Ehrhardt, Horst (Hg.): Wort und Wortschatz. Beiträge zur Lexikologie. Tübingen. S. 61-68. Fleischer, Wolfgang (1996): Grundsatzfragen der Wortbildung aus germanistischer Sicht. In: Simeckova, Alena (Hg.): Wortbildung - Theorie und Anwendung. Prag. S. 42-60. Fleischer, Wolfgang/ Barz, Irmhild unter Mitarbeit von Marianne Schröder (1992): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen. Fleischer, Wolfgang/ Barz, Irmhild unter Mitarbeit von Marianne Schröder (1995): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Tübingen. Fuhrhop, Nanna (1998): Grenzfälle morphologischer Einheiten. Tübingen. (= Studien zur deutschen Grammatik 57). Fuhrhop, Nanna (2000): Zeigen Fugenelemente die Morphologisierung von Komposita an? ln: Thieroff, Rolf/ Tamrat, Matthias/ Fuhrhop, Nanna/ Teuber, Oliver (Hg.): Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen. S. 201-213. Gallmann, Peter (1999): Fugenmorpheme als Nicht-Kasus-Suffixe. In: Butt, Matthias/ Fuhrhop, Nanna (Hg.): Variation und Stabilität in der Wortstruktur. Untersuchungen zu Entwicklung, Erwerb und Varietäten des Deutschen und anderer Sprachen. Hildesheim/ Zürich/ New York. S. 177-190. Glück, Helmut (2000) (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart/ Weimar. Goergen, Pascal (1994): Das lexikalische Feld der deutschen inchoativen Verben. München. Golonka, Joanna (1998): Was erbt Überlegung von Überlegen? In: Bresson, Daniel/ Kubczak, Jaqueline (Hg.): Abstrakte Nomina - Vorarbeiten zu ihrer Erfassung in einem zweisprachigen syntagmatischen Wörterbuch. Tübingen. (= Studien zur deutschen Sprache 10). S. 287-300. Greule, Albrecht (1996): Reduktion als Wortbildungsprozess der deutschen Sprache. In: Muttersprache 106, S. 193-203. 182 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Grimm, Hans-Jürgen (1997): Konfixe: Beobachtungen in Tageszeitungen und in Wörterbüchern, ln: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne (Hg.): Nominationsforschung im Deutschen. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 75. Geburtstag. Frankfurt a. M. S. 277-286. Günther, Hartmut (1987): Wortbildung, Syntax, he-Verben und das Lexikon. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB Tübingen) 109, S. 179-201. Guttropf, Anja/ Meibauer, Jörg (2003): Konzeptuelle Entwicklung und Wortbildungserwerb. Eine empirische Studie zum Person- und Objekt-Konzept. In: Haberzettl, Stefanie/ Wegener, Heide (Hg.): Spracherwerb und Konzeptualisierung. Frankfurt a.M. S. 139-159. Haase, Martin (1989): Komposition und Derivation: Ein Kontinuum der Grammatikalisierung. Köln. (= Arbeitspapier, Institut für Sprachwissenschaft, NF 10). Hahn, Heinrich (1993): Wortbildung und Dichtersprache. Zu den nichtusuellen Ableitungen in den Tagebüchern Musils. In: Wellmann, Hans (Hg.): Synchrone und diachrone Aspekte der Wortbildung im Deutschen. Heidelberg. (= Sprache - Literatur und Geschichte 8). S. 113-140. Handler, Peter (1993): Wortbildung und Literatur. Panorama einer Stilistik des komplexen Wortes. Frankfurt a.M. (= Europäische Hochschulschriften Reihe XXI: Linguistik 126). Hansen, Sabine/ Hartmann, Peter (1991): Zur Abgrenzung von Komposition und Derivation. Trier. (= Fokus: linguistisch-philologische Studien 4). Heinle, Eva-Maria (1993): Die Zusammenrückung. In: Wellmann, Hans (Hg.): Synchrone und diachrone Aspekte der Wortbildung im Deutschen. Heidelberg. (= Sprache - Literatur und Geschichte 8). S. 65-78. Heinrich, Sabine/ Merbitz, Katrin/ Starke, Günter (1986): Sprachspiele und Einmalbildungen in der Lyrik für Kinder. In: Sprachpflege 35, S. 20-22. Heller, Klaus (1996): Großschreibung im Wortinnem? In: Sprachreport 11/ 3, S. 3-4. Heringer, Hans Jürgen (1984a): Wortbildung: Sinn aus dem Chaos. In: Deutsche Sprache 12, S. 1-13. Heringer, Hans Jürgen (1984b): Gebt endlich die Wortbildung frei! In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 15, S. 43-53. Heringer, Hans Jürgen (1989): Grammatik und Stil - Praktische Grammatik des Deutschen. Frankfurt a.M. Heuer, Walter (1986): Richtiges Deutsch. Eine Sprachschule für jedermann. Neu bearbeitet von Max Flückiger und Peter Gallmann. 18. Auflage. Zürich. Literatur 183 Höhle, Tilman N. (1982): Über Komposition und Derivation: Zur Konstituentenstruktur von Wortbildungsprodukten im Deutschen. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 1, S. 76-112. Hoppe, Gabriele (1999): Das Präfix ex-, Beiträge zur Lehn-Wortbildung. Mit einer Einführung in den Gegenstandsbereich von Gabriele Hoppe und Elisabeth Link. (= Studien zur deutschen Sprache 15). Tübingen. Irmscher, Johannes (1988): Der Rabe die Rabin? In: Zur Theorie der Wortbildng im Deutschen. Dem Wirken Wolfgang Fleischers gewidmet. Berlin. (= Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR - Gesellschaftswissenschaften 4G). S. 53-55. K^tny, Andrzej (1997): Die deverbalen -bar-Adjektive im Deutschen und ihre Entsprechungen im Polnischen. In: Studia Germanica Posnaniensis 23, S. 83-95. Kim, Gyung-Uk (1983): Valenz und Wortbildung. Dargestellt am Beispiel der verbalen Präfixbildung mit be-, ent-, er-, miß-, ver-, zer-, Würzburg. Kinne, Michael (2000): Die Präfixe post-, prä- und neo-, Beiträge zur Lehn- Wortbildung. Tübingen. (= Studien zur deutschen Sprache 18). Kirkness, Alan (1987): Einführung, Zielsetzung, Genese und Materialbasis des Vorhabens Lehnwortbildung (LWB). In: Hoppe, Gabriele/ Kirkness, Alan/ Link, Elisabeth/ Nortmeyer, Isolde/ Rettig, Wolfgang/ Schmidt, Günter Dietrich: Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten WB-Einheiten im Deutschen. Tübingen. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache Mannheim 64). S. 9-24. Klosa, Annette (1996): Negierende Lehnpräfixe des Gegenwartsdeutschen. Heidelberg. (= Germanische Bibliothek NF 3: Untersuchungen 22). Kobler-Trill, Dorothea (1994): Das Kurzwort im Deutschen. Eine Untersuchung zu Definition, Typologie und Entwicklung. Tübingen. (= Reihe germanistische Linguistik 149). Koecke, Bernadette (1994): Diminutive im polnisch-deutschen Übersetzungsvergleich. Eine Studie zu Divergenzen und Konvergenzen im Gebrauch einer variierenden Bildung. München. (= Slavistische Beiträge 314). Kreidler, Charles W. (2000): Clipping and acronymy. In: Booij, Geert/ Lehmann, Christian/ Mugdan, Joachim in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kesselheim und Stavros Skopeteas (Hg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An international Handbook on Inflection and Word-Formation. 1. Halbbd. Berlin/ New York. S. 956-963. 184 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Kühnhold, Ingeburg/ Wellmann, Hans (1973): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwart. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache, Forschungsstelle Innsbruck. Erster Hauptteil: Das Verb. Mit einer Einführung von Johannes Erben. Düsseldorf. (= Sprache der Gegenwart XXIX). Kühnhold, Ingeburg/ Putzer, Oskar/ Wellmann, Hans unter Mitwirkung von Anna Maria Fahrmaier, Artur Moser, Elgin Müller und Lorelies Ortner (1978): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwart. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache, Forschungsstelle Innsbruck. Dritter Hauptteil: Das Adjektiv. Düsseldorf. (= Sprache der Gegenwart XXXXIII). Laca, Brenda (2001): Derivation. In: Haspelmath, Martin/ König, Ekkehard/ Oesterreicher, Wulf/ Raible, Wolfgang (Hg.): Language Typology and Language Universal / Sprachtypologie und sprachliche Universalien / La typologie des languages et les universaux linguistiques. An International Handbook / Ein internationales Handbuch / Manual international. 2. Halbbd. Berlin/ New York. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 20.1), S. 1214- 1227. Latzei, Sigbert (1992): Ist Ihr Dozi ein Sozi? Oder: Aufsatz eines Deutschis für Franzis. In: Noveaux cahiers d'allemand 10, S. 361-366. Lawrenz, Birgit (1996): Der Zwischen-den-Mahlzeiten-Imbiß und der Herren-der- Welt-Größenwahn. Aspekte der Struktur und Bildungsweise von Phrasenkomposita im Deutschen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 24, S. 1-15. Lawrenz, Birgit (1997): Zu-Spät-Kommer und Dumme-Fragen-Steller im Mann- Von-Welt-Look: Phrasenkomposition und Phrasenderivation im Deutschunterricht. In: Wirkendes Wort 47, S. 112-136. Leden, Astrid (1975): Die Adverbien aus, heraus, hinaus, ein, herein, hinein als Präverben zu gehen und kommen. Oslo. Lenz, Barbara (1995): »«-Affigierung unrealisierbare Argumente unausweichliche Fragen nicht unplausible Antworten. Tübingen. (= Studien zur deutschen Grammatik 50). Lenz, Barbara (1998): „Unkaputtbar“ ist unkaputtbar. Zur Etablierung einer ad-hoc- Bildung. In: Sprachdienst 42, S. 10-12. Leser, Martin (1990): Das Problem der ‘Zusammenbildungen’. Eine lexikalistische Studie. Trier. (= Fokus: linguistisch-philologische Studien 3). Lindner, Thomas (1998): Zur Geschichte und Funktion von Fugenelementen in Nominalkomposita am Beispiel des Deutschen. In: Moderne Sprachen 42, S. 1-10. Literatur 185 Link, Elisabeth (1990): Das Wörterbuch der Wortbildungsmittel. In: Hausmann, Franz Josef/ Reichmann, Oskar/ Wiegand, Herbert Emst/ Zgusta, Ladislav (Hg.): Wörterbücher - Dictionaries - Dictionnnaires. 2. Teilbd. Berlin/ New York. S. 1223-1230." Lühr, Rosemarie (1993): Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta - Gestern und heute, ln: Zeitschrift für deutsche Philologie 112, S. 83-104. Luukkainen, Math (1998): Wortbildung und Grammatik im literarischen Text. In: Barz, Irmhild/ Öhlschläger, Günther (Hg.): Zwischen Grammatik und Lexikon. Tübingen. (= Linguistische Arbeiten 390). S. 179-196. Mattausch, Josef (1997): Freie Wortbildung(en) bei Goethe. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne (Hg.): Nominationsforschung im Deutschen. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 75. Geburtstag. Frankfurt a.M. S. 43-52. Meibauer, Jörg (1995): Wortbildung und Kognition. Überlegungen zum deutschen -er-Suffix. In: Deutsche Sprache 23, S. 97-123. Meibauer, Jörg (2003): Phrasenkomposita zwischen Wortsyntax und Lexikon. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 22, S. 153-188. Meibauer, Jörg/ Guttropf, Anja/ Scherer, Carmen (2004): Dynamic aspects of German -er-nominals: a probe into the interrelation of language change and language aquisition. In: Linguistics 42, S. 155-193. Meineke, Eckhard (1991): Springlebendige Tradition. Kern und Grenzen des Kompositums. In: Sprachwissenschaft 16, S. 27-88. Mentrup, Wolfgang (1999): Sprache - Schreibbrauch - Schreibnorm - Amtliche Norm. Diskussion zur Neuregelung der Rechtschreibung: Beobachtungen und Überlegungen. In: Pümpel-Mader, Maria/ Schönherr, Beatrix (Hg.): Sprache - Kultur - Geschichte. Sprachhistorische Studien zum Deutschen. Hans Moser zum 60. Geburtstag. Innsbruck. (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe 59). S. 183-205. Möller, H. (1975): Tränen-Samen und Steckdosenschnauze. Linguistische Beschreibungen von Neubildungen Catharina Reginas von Greiffenberg und Wolfdiedrich Schnurres. Diss. Zürich. Munske, Horst Haider/ Kirkness, Alan (1996): Eurolatein. Das griechische und lateinische Erbe in den europäischen Sprachen. Tübingen. (= Reihe germanistische Linguistik 169). Mutz, Katrin (2000): Die italienischen Modifikationssuffixe - Synchronic und Diachronie. Frankfurt a.M. (= Europäische Hochschulschriften IX: Italienische Sprache und Literatur 33). Naumann, Bernd (1986): Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen. Tübingen. (= Germanistische Arbeitshefte 4). 186 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Naumann, Bernd (1992): Das Wort und seine Bausteine. In: Ägel, Vilmos/ Hessky, Regina (Hg.): Offene Fragen offene Antworten in der Sprachgermanistik. Tübingen. S. 95-109. Naumann, Bernd (2000): Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen. 3., neu bearbeitete Auflage. Tübingen. (= Germanistische Arbeitshefte 4). Naumann, Bernd/ Vogcl, Petra M. (2000): Derivation. In: Booij, Geert/ Lehmann, Christian/ Mugdan, Joachim in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kesselheim und Stavros Skopeteas (Hg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An international Handbook on Inflection and Word-Formation. 1. Halbbd. Berlin/ New York. S. 929-943. Neef, Martin (1996): Wortdesign: Das Lexembildungsmuster Gehopse und die Kopflosigkeit von ‘Ableitungen’. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 15, S. 61-91. Nekula, Marek (2004): System und Funktionen der Diminutive. Kontrastiver Vergleich des Deutschen und Tschechischen. In: brücken - Germanistisches Jahrbuch Tschechien-Slowakei 11, S. 145-188. Neuß, Elmar (1981): Kopulativkomposita. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 6, S. 31-68. Nortmeyer, Isolde (2000): Die Präfixe Inter- und Irans-, Beiträge zur Lehn-Wortbildung. Tübingen. (= Studien zur deutschen Sprache 19). Nussbaumer, Markus (1996): BinnenGroßschreibung. In: Sprachreport 11/ 3, S. 1-3. Oberle, Birgitta E. (1990): Das System der Ableitungen mf-heit, -keit und -igkeit in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg. (= Germanische Bibliothek. NF 3: Untersuchungen). Oksaar, Eis (1993): Zur Interpretationsstruktur deutscher Komposita. In: Heringer, Hans Jürgen/ Stötzel, Georg (Hg.): Sprachgeschichte und Sprachkritik. Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag. Berlin/ New York. S. 204-218. Olschansky, Heike (1996): Volksetymologie. Tübingen. (= Reihe germanistische Linguistik 175). Olschansky, Heike (2004): Täuschende Wörter. Kleines Lexikon der Volksetymologien. Stuttgart. Olsen, Susan (1986): Wortbildung im Deutschen. Eine Einführung in die Theorie der Wortstruktur. Stuttgart. (= Kröners Studienbibliothek 660). Olsen, Susan (1991): GL-Präfigierungen im heutigen Deutsch. Ausnahmen von der ‘Righthand Head Rule’? In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB Tübingen) 113, S. 333-366. Literatur 187 Olsen, Susan (2000): Composition. In: Booij, Geert/ Lehmann, Christian/ Mugdan, Joachim in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kesselheim und Stavros Skopeteas (Hg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An international Handbook on Inflection and Word- Formation. 1. Halbbd. Berlin/ New York. S. 897-916. Olsen, Susan (Hg.) (1998): Semantische und konzeptuelle Aspekte der Partikelverbbildung mit ein-, Tübingen. (= Studien zur deutschen Grammatik 58). Ortner, Lorelies/ Müller-Bollhagen, Elgin/ Ortner, Hans-Peter/ Wellmann, Hans/ Pümpel-Mader, Maria/ Gärtner, Hildegard (1991): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwart. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache, Forschungsstelle Innsbruck. Vierter Hauptteil: Substantivkomposita. Berlin/ New York. (= Sprache der Gegenwart LXXIX). Palm, Christine (1983): Greule Golch und Geigerich. Die Nabelschnur zur Sprach- Wirklichkeit in der grotesken Lyrik von Christian Morgenstern. Uppsala. (= Acta Universitatis Upsaliensis: Studia Germanistica Upsaliensia 27). Pavlov, Vladimir Michajlovic (1972): Die substantivische Zusammensetzung im Deutschen als syntaktisches Problem. München. Pavlov, Vladimir Michajlovic (1983): Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache im Bereich der Wortbildung (1470-1730). Von der Wortgruppe zur substantivischen Zusammensetzung. Berlin. (= Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen 56/ VI). Pavlov, Vladimir Michajlovic (1995): Die Form-Funktion-Beziehung in der deutschen substantivischen Zusammensetzung als Gegenstand der systemorientierten Sprachgeschichtsforschung. In: Gardt, Andreas/ Mattheier, Klaus J./ Reichmann, Oskar (Hg.): Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien. Tübingen. (= Germanistische Linguistik 156). S. 103-125. Petronijevic, Bozinka (2000): Deutsche -i- und -o-Derivate. Neue Tendenz in der Wortbildung des Deutschen? Beograd. Plank, Frans (1981): Morphologische (Ir-)Regularitäten. Aspekte der Wortstrukturtheorie. Tübingen. (= Studien zur deutschen Grammatik 13). Plank, Frans (1985): Movierung mittels Präfix warum nicht? (Beiträge zur Vererbungslehre 2). In: Linguistische Berichte 97, S. 252-260. Poethe, Hannelore (2000a): Fachsprachliche Aspekte der Wortbildung. Die Leistung der Wortbildung für Fachsprache und Fachtext. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S. 199-218. 188 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Poethe, Hannelore (2000b): Wort(bildungs)spiele. ln: Barz, Irmhild/ Fix, Ulla/ Lerchner, Gotthard (Hg.): Das Wort in Text und Wörterbuch. Leipzig. (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologischhistorische Klasse 76,4). S. 23-40. Polenz, Peter v. (1980): Wortbildung. In: Althaus, Hans Peter/ Henne, Helmut/ Wiegand, Herbert Emst (Hg.): Lexikon der Gemanistischen Linguistik. 2. vollst. neubearb. u. erw. Aufl. Tübingen. S. 169-180. Pons, Andrea (1998): Erstellung eines Modells zur Analyse abstrakter nominaler Komposita im Deutschen. In: Bresson, Daniel/ Kubczak, Jaqueline (Hg.): Abstrakte Nomina - Vorarbeiten zu ihrer Erfassung in einem zweisprachigen syntagmatischen Wörterbuch. Tübingen. (= Studien zur deutschen Sprache 10). S. 227-252. Pümpel-Mader, Maria/ Gassner-Koch, Elsbeth/ Wellmann, Hans unt. Mitarb. v. Lorelies Ortner (1992): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwart. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache, Forschungsstelle Innsbruck. Fünfter Hauptteil: Adjektivkomposita und Partizipialbildungen. Berlin/ New York. (= Sprache der Gegenwart LXXX). Rainer, Franz (2000): Produktivitätsbeschränkungen. In: Booij, Geert/ Lehmann, Christian/ Mugdan, Joachim in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kesselheim und Stavros Skopeteas (Hg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An international Handbook on Inflection and Word-Formation. 1. Halbb. Berlin/ New York. S. 877-885. Reinhardt, Wemer (1966): Produktive verbale Wortbildungstypen in der Fachsprache der Technik. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Potsdam. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 10, S. 183- 195. Renz, Ursula (1996): Von Liege, Leuchte und Lerne: Was man mit Wörtern alles machen kann und dann doch nicht tut. In: Praxis Deutsch 23, S. 57-59. Rickheit, Mechthild (1993): Wortbildung. Grundlagen einer kognitiven Wortsemantik. Opladen. (= Psycholinguistische Studien). Risch, Gabriela (1995): Verbpräfigierung des Deutschen: Skalierungsverben mit über- und unter-, Diss. Stuttgart. Sarlov, Stojan (1992): Zur Semantik einiger ver-Verben und ihrer bulgarischen Entsprechungen. Heidelberg. (= Deutsch im Kontrast 12). Schaeder, Burkhard (1997): Wortbildung und Orthographie: Getrennt- und Zusammenschreibung. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne (Hg.): Nominationsforschung im Deutschen. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 75. Geburtstag. Frankturt. a.M. S. 285-296. Literatur 189 Schippan, Thea (1967) Die Verbalsubstantive der deutschen Sprache der Gegenwart. Ms. der Habilschrift. Leipzig. Schlaefer, Michael (1977): Die Adjektive auf -isch in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg. (= Monographien zur Sprachwissenschaft 5). Schmidt, Günter Dietrich (1987a): Vorschlag einer Modellierung der Kombinationen mit entlehnten Konstituenten. In: Hoppe, Gabriele/ Kirkness, Alan/ Link, Elisabeth/ Nortmeyer, Isolde/ Rettig, Wolfgang/ Schmidt, Günter Dietrich: Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten WB-Einheiten im Deutschen. Tübingen. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 64). S. 25-36. Schmidt, Günter Dietrich (1987b): Das Kombinem. Vorschläge zur Erweiterung des Begriffsfeldes und der Terminologie für den Bereich der Lehnwortbildung. In: Hoppe, Gabriele/ Kirkness, Alan/ Link, Elisabeth/ Nortmeyer, Isolde/ Rettig, Wolfgang/ Schmidt, Günter Dietrich: Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten WB-Einheiten im Deutschen. Tübingen. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 64). S. 37-52. Schmidt, Günter Dietrich (1987c): Das Affixoid. Zur Notwendigkeit und Brauchbarkeit eines beliebten Zwischenbegriffes der Wortbildung. In: Hoppe, Gabriele/ Kirkness, Alan/ Link, Elisabeth/ Nortmeyer, Isolde/ Rettig, Wolfgang/ Schmidt, Günter Dietrich: Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten WB-Einheiten im Deutschen. Tübingen. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 64). S. 53-101. Schmidt, Günter Dietrich (1987d): Therm(o). Untersuchungen zu Morphosyntax, Geschichte, Semantik und anderen Aspekten einer produktiven LWB-Einheit im heutigen Deutsch. In: Hoppe, Gabriele/ Kirkness, Alan/ Link, Elisabeth/ Nortmeyer, Isolde/ Rettig, Wolfgang/ Schmidt, Günter Dietrich: Deutsche Lehnwortbildung. Beiträge zur Erforschung der Wortbildung mit entlehnten WB-Einheiten im Deutschen. Tübingen. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 64). S. 409-440. Schnerrer, Rosemarie (1982): Funktionen des Wortbildunsgmorphems unin der deutschen Gegenwartssprache. In: Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache 2, S. 22-51. Schröder, Jochen (1994): Lexikon deutscher Präfixverben. Berlin. Schröder, Marianne (2000): Kurzwörter im Wörterbuch. Lexikographische Aspekte der Kurzwortbildung. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S. 91- 105. 190 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Schütze, Ruth (1969): „Außennmd-SchneUeinslechschleiferÜ. Bemerkungen zu einem Wortbildungstyp in der Fachsprache der Technik. In: Deutsch als Fremdsprache 6, S. 412-426. Sichert, Susanne (1999): Wortbildung und Grammatik. Syntaktische Restriktionen in der Struktur komplexer Wörter. Tübingen. (= Linguistische Arbeiten 408). Siebold, Oliver (2000): Wort - Genre - Text. Wortneubildungen in der Science Fiction. Tübingen. Simeckovä, Alena (1996): Zur Modifikationsfunktion des Präverbs im deutschen komplexen Verb (am Material der NACH- und FLW-Verben). In: Simeckovä, Alena/ Vachkovä, Marie (Hg.): Wortbildung - Theorie und Anwendung. Prag. S. 147-154. Simeckovä, Alena (2000): Akzeptanzbedingungen für fremde Wortbildungselemente und -Strukturen in den Sprachen. Am Material des Deutschen und des Tschechischen. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S. 269-280. Simoska, Silvana (1999): Die morphologische und semantische Vielfalt des Adjektiv + Nowe«-Kompositums. In: Zeitschrift für Deutsche Sprache 27, S. 156 - 187. Sisäk, Ladislav (2002): Aspekte der textuellen Interpretation von NN-Komposita. In: Földes, Csaba/ Pongö, Stefan in Zusammenarbeit mit Hans-Werner Broms und Hana Bursukovä (Hg.): Sprachgermanistik in Ostmitteleuropa. Beiträge der Intemationlen Gennanistischen Konferenz ‘Kontaktsprache Deutsch IV’ in Nitra, 19.-20. Oktober 2001. Wien. S. 283-296. Starke, Günter (1994): Konfix, Infix, Interfix, Zirkumfix und einige andere Neuerungen der Wortbildungslehre. In: Deutschunterricht 47, S. 39-42. Stein, Stephan (1999): Majuskeln im Wortlnnem. Ein neuer graphostilistischer Trend für die Schreibung von Komposita in der Werbesprache, ln: Muttersprache 109, S. 261-278. Steinhauer, Anja (2000): Sprachökonomie durch Kurzwörter. Bildung und Verwendung in der Fachkommunikation. Tübingen. (= Forum für Fachsprachen-Forschung 56). Stern, Clara/ Stem, William (1928/ 1965): Die Kindersprache. Eine psychologische und sprachtheoretische Untersuchung. Unveränd. reprograf. Nachdr. Darmstadt. Stickel, Gerhard (1988): Beantragte staatliche Regelungen zur ‘sprachlichen Gleichbehandlung'. Darstellung und Kritik. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 16, S. 330-355. Stickel, Gerhard (1998): Der Sprachfeminismus geht in die falsche Richtung. In: Brunner, Margot/ Frank-Cyrus, Karin M. (Hg.): Die Frau in der Sprache. Gespräche zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Wiesbaden. S. 73-80. Literatur 191 Stiebeis, Barbara/ Wimderlich, Dieter (1994): Morphology feeds syntax: the case of particle verbs. In: Linguistics 32/ 6, S. 913-968. Stiebels, Barbara (1996): Lexikalische Argumente und Adjunkte. Zum semantischen Beitrag von verbalen Präfixen und Partikeln. Berlin. (= studia grammatica 39). Storch, Günther (1978): Semantische Untersuchungen zu den inchoativen Verben im Deutschen. Braunschweig. (= Schriften zur Linguistik 9). Strauß, Gerhard (1989): Politik und Ideologie. In: Strauß, Gerhard/ Haß, Ulrike/ Harras, Gisela: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Berlin/ New York. (= Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 2). S. 23-395. Symann, Beate (1995): Stiefkind Grammatik. Untersuchungen zur kindlichen Wortbildung. Essen. Teuber, Oliver (1999): fasel schreib erwähn - Der Inflektiv als Wortform des Deutschen. In: Butt, Matthias/ Fuhrhop, Nanna (Hg.): Variation und Stabilität in der Wortstruktur. Untersuchungen zu Entwicklung, Erwerb und Varietäten des Deutschen und anderer Sprachen. Hildesheim/ Zürich/ New York. S. 7-26. Thurmair, Maria (1996) Verbwortbildung und Verbklammer im Deutschen. In: Simeckovä, Alena (Hg.): Wortbildung - Theorie und Anwendung. Prag. S. 163- 173. Thunnair, Maria (2000): Vergleich in der Wortbildung. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne/ Fix, Ulla (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg. S. 219-238. Trageser, Hannelore (1996): Bandwurmanalysebeispiele und Nominalkompositaherstellungsanleitungen. In: Praxis Deutsch 23, S. 51-56. Trempelmann, Gisela (1990): Die kleinste Menschin der Welt. Poetische Bildungen auf -in. In: Sprachpflege 39, S. 36-39. Vogel, Petra Maria (1996): Wortarten und Wortartenwechsel - Zur Konversion und verwandten Erscheinungen im Deutschen und in anderen Sprachen. Berlin/ New York. (= Studia Linguistica Germanica 39). Weinrich, Harald (1993): Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim. Welke, Klaus (1995): Komposition und Derivation. Kompositionstheorie der Affigierung oder Derivationstheorie der Komposition. In: Deutsche Sprache 23, S. 73-89. Wengeier, Martin (2000): Zwinglisch, Marxismus, genschern. Deonomastika aus Personennamen im Deutschen. In: Muttersprache 106, S. 289-307. Werner, Anja (1996): -/ -Bildungen im Deutschen. Düsseldorf. (= Theorie des Lexikons 87). 192 Die Wortbildung des Deutschen - Ein Überblick Willems, Klaas (1994): Das Unbestimmtheitsprinzip und die Grundformen der Komposition: Wissenschaftskritische Bemerkungen zu den semantischen Kategorien in der neueren Wortbildungslehre. In: Wirkendes Wort 44, S. 349-364. Wilss, Wolfram (1999): inter-. Zur Wortbildung in der deutschen Gegenwartssprache. In: Muttersprache 105, 124-135. Windisch, Rudolf (1993): Die Wortverschmelzung ein „abscheußliches Monstrum“ der französischen und deutschen Wortbildung. In: Romanistisches Jahrbuch 42, S. 34-51. Wolf, Norbert Richard (1997): Diminutive im Kontext. In: Barz, Irmhild/ Schröder, Marianne (Hg.): Nominationsforschung im Deutschen. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 75. Geburtstag. Frankfurt a.M. S. 387-398. Würstle, Regine (1992): Überangebot und Defizit in der Wortbildung. Eine kontrastive Studie zur Diminutivbildung im Deutschen, Französischen und Englischen. Frankfurt a.M. (= Bonner romanische Arbeiten 42). Wurzel, Wolfgang Ullrich (1988): Derivation, Flexion und Blockierung. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 41, S. 179-198. Zifonun, Gisela (1973): Zur Theorie der Wortbildung am Beispiel deutscher Präfixverben. München. (= Linguistische Reihe 13). Zifonun, Gisela (1999): Wenn mit alleine im Mittelfeld steht. Verbpartikeln und ihre Doppelgänger im Deutschen und Englischen. In: Wegener, Heide (Hg.): Deutsch kontrastiv. Typologisch-vergleichende Untersuchungen zur deutschen Grammatik. Tübingen. (= Studien zur deutschen Grammatik 59). S. 211-235. Zifonun, Gisela/ Hoffmann, Ludger/ Strecker, Bruno/ Ballweg, Joachim/ Brauße, Ursula/ Breindl, Eva/ Engel, Ulrich/ Frosch, Helmut/ Hoberg, Ursula/ Vorderwülbecke, Klaus (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Bde. 1-3. Berlin/ New York. (= Schriften des Instituts für deutsche Sprache 7.1-7.3). Zifonun, Gisela/ Vogt, Michael/ Eisenberg, Peter (1999): Kritikversuch an einem Sprachkritiker - Drei Kritiken zu einem Beitrag von A. Burkhardt in Sprachreport 2/ 1999. In: Sprachreport 15/ 4, S. 10-14. Zifonun, Iradj (1970): Alternation in der Wortbildung des heutigen Deutsch. Diss. Heidelberg. Dieses Buch bietet einen kompakten Überblick über die Wortbildung des Deutschen. Die zugundeliegende Sprachtheorie ist mit den üblichen grammatischen Kenntnissen und den üblichen Denkweisen der Logik leicht nachzuvollziehen. Genau beschrieben wird, wie Wortbildung funktioniert, aus welchen Einheiten und mit welchen Verfahren Wörter gebildet werden. Vorschriften werden dabei nicht gemacht. Dieses Buch ist problemorientiert und forschungsnah. Es setzt sich mit wesentlichen Termini und Begriffen auseinander und diskutiert die verschiedensten traditionellen, aktuellen und revolutionären Erklärungsmodelle der Wortbildungslehre. Es soll sensibilisieren für ein präzises Sprechen über Sprache. Weil es zudem materialreich und sprachrealitätsnah ist, ist es anschaulich und vergnüglich bei höchstmöglich wissenschaftlicher Ausrichtung. „Als Lehr- und Studienbuch sehr zu empfehlen“ (Germanistik) ISBN 3-8233-6131-7