Sprachgrenzen überspringen
Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis
0701
2005
978-3-8233-7145-8
978-3-8233-6145-9
Gunter Narr Verlag
Volker Hinnenkamp
Katharina Meng
Die Beitragenden des Bandes untersuchen, wie sich unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen in vorwiegend asymetrischen Sprachkontaktsituationen unterschiedliche mischsprachliche Verhältnisse wie Code-Switching, Code-Mixing und Code-Oszillationen herausbilden und in situierter Kommunikation, in literarischen Verarbeitungen und in Zeignissen metasprachlicher Reflexion.
Allen Beiträgen liegt die gemeinsame Fragestellung nach den polykulturellen und/oder mehrsprachigen Selbstverständnissen zu Grunde. Diese manifestieren sich nicht nur in diskursiven Formen des Neben- und Miteinanders von Sprachen, sondern auch in hybriden Ineinander, mithin in eigenständigen Codes aus eigenem Recht heraus. Urbane, migrationsbedingte Sprachkonstellationen stehen im Vordergrund. Fallstudien exemplifizieren den deutsch-türkischen, deutsch-sizilianischen und deutsch-russischen, aber auch den deutsch-amerikanischen und englisch-französischen Sprachkontakt.
Die Autorinnen und Autoren des Bandes, die aus verschiedenen Ländern stammen und zum Teil über eigene Migrationserfahrungen verfügen, forschen seit Jahren auf dem Gebiet gesellschaftlicher Mehr- und Anderssprachigkeit. Methodologisch sind die meisten soziolinguistisch und gesprächsanalytisch ausgerichtet. So ist eine lebensnahe wissenschaftliche Reflexion aktueller Probleme von Vielsprachigkeit entstanden, die die Durchlässigkeit und interaktive Verfasstheit von sprachlichen und kulturellen Grenzen aufzeigt.
<?page no="0"?> Studien zur Deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE i Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng (Hrsg.) Sprachgrenzen überspringen Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis gn Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="1"?> STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 32 <?page no="2"?> Studien zur Deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Ulrike Haß, Werner Kallmeyer und Ulrich Waßner Band 32 • 2005 <?page no="3"?> Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng (Hrsg.) Sprachgrenzen überspringen Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis gllW Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibhografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. © 2005 ■ Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechthch geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des UrheberrechLsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Maü: info@narr.de Satz: Hohwieler, Mannheim Druck und Bindung: Hubert&Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 3-8233-6145-7 <?page no="5"?> Inhalt Volker Hinnenkamp / Katharina Meng: Sprachgrenzen überspringen. Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis: Einleitung 7 Teil I Die Prägung eines neuen Selbstverständnisses: Mehrsprachigkeit als eigenständiger Diskurs Inci Dirim: Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Hamburger Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 19 Volker Hinnenkamp: „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen im Hybriditätsdiskurs 51 Gabriele Birken-Silverman: Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher: Frotzelaktivitäten 105 Pia Quist: New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 145 Teil II Polykulturelle Selbstverständnisse und ihre diskursive Stilisierung Inken Keim: Die interaktive Konstitution der Kategorie „Migrant/ Migrantin“ in einer Jugendgruppe ausländischer Herkunft: Sozialkulturelle Selbst- und Fremdbestimmung als Merkmal kommunikativen Stils 165 Carol W. Pfaff: “Kanaken in Alemannistan”: Feridun Zaimoglu's representation of migrant language 195 <?page no="6"?> 6 Inhalt Teil III Spuren des Selbstverständnisses: Mehrsprachigkeit als biografisches und gesellschaftliches Residuum Katharina Meng / Ekaterina Protassova: „Aussiedlerisch“. Deutschrussische Sprachmischungen im Verständnis ihrer Sprecher 229 Monica Heller: Identities, ideologies and the analysis of bilingual speech 267 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher: Sprachenlemen - Biographische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 289 Helmut Daher: Migration und bilinguale Sprachentwicklung: Türkische Rückkehrer aus Deutschland 325 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy: „Well, I tell you, das war'n Zeiten! “ ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 345 Über die Autorinnen und Autoren / About the authors of this volume 381 <?page no="7"?> Volker Hinnenkamp / Katharina Meng Sprachgrenzen überspringen. Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis: Einleitung 1. Vorbemerkung „Sprachgrenzen überspringen“ beinhaltet mit Absicht wie bei so vielen Publikationstiteln ganz unterschiedliche Deutungsnuancen. Die metaphorische Formulierung kann neben vielen Lesarten idealistisch und auffordemd gedeutet werden, doch vor allen Dingen soll sie den mutigen und auch energetischen Aspekt andeuten, dessen es bedarf, Grenzen zu überspringen, zudem Sprachgrenzen. Doch ist das Bild auch suggestiv, denn es präsupponiert Grenzen, die vielleicht gar nicht bei allen Beteiligten so krass demarkierend vorhanden sind. Die Titelfortsetzung vermittelt das Umfeld des Sprungs: Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis sind die natürlichen Pendants zu Grenzziehung und einem klassischen, essentialistischen Sprach- und Kulturbegriff. „Hybrid“ lässt sich laut Duden umschreiben als „aus Verschiedenartigem zusammengesetzt, von zweierlei Herkunft; gemischt; zwitterhaft“, das Verb „hybridisieren“ wird schlicht mit „bastardisieren“ gleichgesetzt (Duden - Deutsches Universalwörterbuch 2001, S. 810). Wer mischt, zusammensetzt, bastardisiert etc., widerspricht, ja widersetzt sich dem wie immer fiktiven - Reinheitsgebot. Nicht ganz zufällig verbergen sich dahinter nicht unbedingt Schwäche, Hilflosigkeit und Flickschusterei, sondern implizite wie explizite Selbstverständnisse - Identitäten, deren Träger und Trägerinnen diesen Schritt, Sprachgrenzen zu überspringen, als Antwort und Reaktion auf bestimmte sprachliche, sprachpolitische und historische Umstände, aber auch herausgefordert durch sie unternehmen. Die folgenden elf Artikel handeln von ganz verschiedenen Sprüngen und Sprungversuchen und von unterschiedlich artikulierten Selbstverständnissen. 2. Mythen Zwei Mythen bilden den Hintergrund für die Beschäftigung mit dem Thema aus diesem Blickwinkel. Der erste Mythos besagt, Deutschland sei ein einsprachiges Land. Hier mag es sich um ein antiquiertes Selbstverständnis <?page no="8"?> 8 Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng handeln, aber im common sense wie auch in den Köpfen vieler Verantwortlicher ist es hartnäckig vorhanden. Die Pädagogin Ingrid Gogolin bezeichnet dies als „monolingualen Habitus“ (Gogolin 1994). Der Schweizer Linguist Georges Lüdi sieht die „Einsprachigkeitsideologie“ in Traditionssträngen begründet, die er bis auf den biblischen Mythos des Turmbaus zu Babel zurückfuhrt, wonach die Menschen ursprünglich einsprachig waren und Mehrsprachigkeit folglich ein Ausdruck der „Sprachverwirrung“ darstellte, die wie ein Fluch Gottes auf der Menschheit laste (Lüdi 1996b, S. 322). Lüdi sieht sie aber auch historisch in der idealistischen Vorstellung im Zusammenhang mit der europäischen Nationalstaatenbildung begründet, nach der Staat, Volk, Sprache und Nation homomorph zu sein hatten (Lüdi 1996a, S. 233). „Beiden Traditionen“ so Lüdi, „liegt das Stereotyp zugrunde, wonach Einsprachigkeit der natürliche, gottgewollte [...] politisch legitime Zustand des Menschen sei“ (ebd.). Was immer die Erklärung für diese Haltung ist, der politische Handlungsdruck gegenüber andersprachigen Gruppen, vor allem den allochthonen, der daraus erwächst, ist immens. So ist z.B. wieder (und immer noch) „Assimilation“ einer der Schlachtrufe einer so genannten Ausländerpolitik, die kaum die Sensibilität und Dynamik des vielschichtigen Sprachen- und Kulturengefüges wahmimmt, sondern ein kulturelles und sprachliches tertium comparationis bereit zu halten scheint, dem sich Anderssprachige und Anderskulturelle bis in die ethnischen Fremddenominationen hinein (vgl. Keim in diesem Band) zu fügen haben. Weder Migration noch Mehrsprachigkeit sind neuartige Erscheinungen. Über die Jahrhunderte haben sich verschiedene Formen von Migration entwickelt: durch die deutsche Ostexpansion und -besiedlung (beispielsweise die sorbische Sprachminderheit), durch Grenzveränderungen, durch die Aufnahme von Vertriebenen, Flüchtlingen und Emigranten (in der Gegenwart: Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylsuchende), durch die Mobilisierung von Zwangsarbeiten! während des Zweiten Weltkriegs und vor allem in den letzten Jahrzehnten durch die Anwerbung von „Gastarbeitern“ und andere Formen der Intemationalisierung des Arbeitsmarktes sowie durch politisch motivierte Entscheidungen (Aussiedler als Remigranten, Kontingentflüchtlinge russisch-jüdischer Herkunft u.a.). Übersehen werden darf auch nicht, dass parallel zur Aufnahme nichtdeutschsprachiger Gruppen oder Individuen über die Jahrhunderte hinweg Gruppen und Individuen durch Vertreibung oder aus ökonomischen und/ oder politischen Gründen Deutschland verlassen haben (Auswanderung insbesondere <?page no="9"?> Sprachgrenzen überspringen. Einleitung 9 nach Amerika, aber auch nach Russland und Australien). Dadurch entstanden deutschsprachige Minderheiten in anderen Ländern (vgl. Bade 1992). Sowohl die Aufnahme zunächst nichtdeutschsprachiger Gruppen und Individuen als auch die Existenz deutschsprachiger Gruppen im Ausland hat zu unterschiedlichsten Formen des Erwerbs und der Verwendung des Deutschen im Kontakt mit anderen Sprachen geführt. Dabei ist bemerkenswert, dass die Entwicklung der Migration sich einerseits in bestimmten wiederkehrenden Sprachformen verfestigt, andererseits aber auch ständig neue Sprachformen hervorbringt. So weisen die jeweils erste, zweite usw. Zuwanderergeneration bei aller Varianz Gemeinsamkeiten auf, die es gestatten, von generationscharakteristischen Spracherwerbs- und -gebrauchstypen auszugehen, die bei der Fortführung der Migration durch Familiennachzug oder die Entstehung neuer Wanderungsbewegungen reproduziert werden. Aber es kommt auch zu Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen sprachlichen Entwicklungen, die ganz neue sprachlich-kommunikative Praktiken hervorbringen und die zudem von den verschiedenen Gruppen der Aufnahmegesellschaft und der Zuwanderer unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert werden. Zudem sind auch der deutsch-monolinguale Alltag sowie viele deutsche Institutionen von der Anders- und Mehrsprachigkeit nicht unberührt geblieben (vgl. Hinnenkamp 1998). Die sprachlich-kommunikative Mehrsprachigkeitssituation in Deutschland ist folglich durch Heterogenität und Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen sowie durch wechselseitige wenngleich auch in einem ganz unterschiedlichem Maße - Einflüsse von Sprachmehrheiten und Sprachminderheiten gekennzeichnet (vgl. Dirim in diesem Band). Die Sprachwissenschaft im deutschsprachigen Raum hat bisher nur wenige der gegenwärtigen migrationsspezifischen Sprachkontaktkonstellationen des Deutschen dokumentiert und analysiert. Seit Ende der 60er-Jahre standen vor allem Probleme des Erwerbs des Deutschen als Zweitsprache unter den sozial erschwerten Bedingungen des „Gastarbeiter“-Daseins im Mittelpunkt. Weniger Beachtung fanden demgegenüber die Veränderungen der mitgebrachten Sprachen in Deutschland, die Entwicklung der Zweisprachigkeit bei den verschiedenen Migrantengruppen, die zweisprachigen Kommunikationspraktiken der Migranten und deren Bedeutung für das kulturelle Selbstverständnis der Gruppen und Individuen sowie die Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Bewertungen und Konsequenzen von Mehrsprachigkeit. <?page no="10"?> 10 Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng Dies ist der eine Ansatzpunkt der vorliegenden Sammlung von Aufsätzen: neuere Entwicklungen der Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsmuster zu untersuchen, die sich im Kontakt von Mitgliedern und Gruppen der Mehrheit und der Minderheiten, aber als Folge auch unter den Minderheitengruppen entwickelt haben (vgl. Birken-Silverman, Hinnenkamp, Meng/ Protassova und Quist). Die multikulturelle Stadt ist dabei der typische Ort dieser unterschiedlichen und bunten Kontaktphänomene, wobei vor allem die Jugendlichen der Motor ganz neuer und oft auch erstaunlicher Spielarten von Mehrsprachigkeitsmustern sind (vgl. Dirim, Birken-Silverman, Hinnenkamp und Quist). Aber auch der Blick in „geronnene“ und gesellschaftlich etablierte (aber dennoch immer wieder strittige und streitbare) Formen der individuellen und gruppalen Mehrsprachigkeit ist lohnenswert, wie die Zeugnisse jener Zweisprachigkeit einer deutschen Emigrantin in den Vereinigten Staaten von Amerika zeigen (vgl. Fattey/ Tracy) oder die bilingual-biografischen Selbstverständnisse aus dem mehrheitssprachen-bilingualen Kanada offen legen (vgl. Heller). Wie mehrsprachige und polykulturelle Selbstverständnisse auch zu selbstverständlichen Ressourcen einer Stilisierung eben eines solchen Selbstverständnisses werden können, vermittelt die Ethnografie einer gemischtsprachigen und gemischtkulturellen politischen Gruppe (vgl. Keim). Dass eine solche Stilisierung sich auch fiktiv inszeniert, ihren Gestus transportiert, ohne der sprachlichen Realität dabei Genüge zu leisten, wird deutlich, wenn literarische Reflexe hybrider und polykultureller Selbstverständnisse unter die Lupe genommen werden (vgl. Pfaff). Ganz anders kindliche Selbstverständnisse. Zwei- und mehrsprachige Kinder entwickeln ein polykulturelles Selbstverständnis, das über die Familie hinaus auf Kindergarten und Schule und in die Gesellschaft hinein wirkt. Sie lernen Deutsch simultan mit einer anderen Sprache oder sukzessiv nach einer anderen Sprache, und sie gebrauchen ihre Sprachen abwechselnd und „gemischt“. Dabei bringen sie ihre eigenen Erfahrungen mit und ihre Bewertungen von Sprachen in das Sprachenlemen ein, weil sie die Sprachen kombinieren und miteinander vergleichen (vgl. Oomen-Welke/ Pena Schumacher). Schließlich gibt es auch frustrierte Selbstverständnisse, wenn das Efmfeld der Mehrsprachigkeit sich ändert und ausgetrocknet wird, wie bei den oft unfreiwilligen - Remigrantenjugendlichen, die sich im Herkunftsland ihrer Eltern wieder finden (vgl. Daher). Aus der „geschützten Sprachmischwerkstatt“ der Gruppe in der <?page no="11"?> Sprachgrenzen überspringen. Einleitung 11 Einwanderungsgesellschaft katapultiert die Remigration nur allzu oft in die Vereinzelung und die Demontage eines Selbstverständnisses, das nur funktionierte, weil es auf vielen gleichgesinnten Mitselbstverständnissen beruhte. Ein zweiter Mythos besagt, Sprache habe „rein“ zu sein. Obwohl er sich eines noch dünneren Bestandes als der Mythos der Monolingualität bedient, ist er umso hartnäckiger, gar eine „Obsession“, wie Gogolin (1998) es nennt. Auch hier sind die Gründe und Erscheinungsformen mannigfach. Die bereitwillige Aufnahme von Anglizismen/ Amerikanismen bildet dazu keinen Widerspruch, sie fallt auf den Boden eines schwachen, nur normativen Sprachverständnisses, dem die Kraft fehlt, das „Fremde“ zu integrieren. Die erfolgreiche „We kehr for you“-Werbekampagne der Berliner Stadtwerke und die Popularisierung von Kanaksprak oder Trappatonis „Ich habe fertig“ können einerseits als Beleg für die Exzeptionalität solch gewagter Hybridformen gesehen werden und andererseits aber auch als Boten der Akzeptanz einer postmodemen Juxtaposition von Sprachen, Codes und gar des willentlichen Normenbruchs. Hybridität ist aber mehr als nur das sprachliche und kulturelle Nebeneinander. In einer modernen, sehr weiten Definition ist soweit alles "[h]ybrid ..., was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder von Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Basteins zustandegekommen ist“, so Bronfen/ Marius (1997, S. 14). Damit ist der Begriff aber noch kaum diskurskonstitutiv. Hybridität betont zwar die oftmals unerwartete - Vermischung der sprachlichen und kulturellen Systeme. Das Hauptaugenmerk des Hybriditätsdiskurses richtet sich allerdings auf die reaktive Entwicklung neuer sprachlicher, kultureller und identitärer Formen in der Auseinandersetzung mit der Mehrheits- oder der (Ex-)Kolonialgesellschaft: das sprachliche wie identitäre Neue ist dabei entscheidend. Assimilation und Hybridität sind Antipoden. Die sich hier entwickelnden Formen passen weder in das Bild ethnokultureller Folklore noch in das einer integrativen Akkulturation. Die Akteure, die in den polykulturellen und vielsprachigen Räumen groß werden, entwickeln in ihrem sprachlichen und kulturellen Ausdrucksverhalten vielmehr spezifische Zwischenformen und Kreationen aus den ihnen zur Verfügung stehenden Codes. Besonders deutlich wird dies in der popkulturellen Szene (vgl. Hewitt 1994, Binas 2001). Neben dem Code-Switching, das vielen zwei- und mehrsprachigen Individuen und Gruppen eigen ist, sind es vor allem Mischformen, Code-Mixing und „Code- <?page no="12"?> 12 Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng legierungen“, die an die Stelle juxtaponierter zweisprachiger Regelhaftigkeit treten (vgl. Birken-Silverman, Hinnenkamp, Quist). Sprachgemeinschaftsgrenzen heben sich gar auf im „Crossing“ (Rampton 1995), wenn auch nur für „Routinen“ des gemeinsamen Handelns, doch mit dem starken symbolischen Gestus eines polykulturellen Selbstverständnisses (vgl. Dirim). Es sind vor allem Migrantenjugendliche, die den sprachlich-kommunikativen Raum hybrid auffullen. So bilden sie einerseits nur eine Art intergenerative Nische innerhalb der Migranten; doch fungieren sie andererseits zugleich als eine Art Schaltstelle zwischen der eingewanderten Eltemgeneration und der etablierten Mehrheitsgesellschaft (vgl. Hinnenkamp). Der Hybriditätsdiskurs argumentiert somit nicht aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft und des etablierten fachwissenschaftlichen Diskurses, sondern aus dem Blickwinkel der Konstitution neuer ‘zwischenräumlicher’ Gruppen. Er untersucht die kreative Vielfalt, die Schaffung neuer Formen in Sprache und kommunikativem Stil, derer sich diejenigen bedienen, die sich in der paradoxen Migrationssituation befinden und die Lösungen finden müssen in den Anforderungen transkultureller Räume. Ein ‘Nährboden’ solcher transkultureller Räume ist die urbane Migrationsgesellschaft, die sich als Ort fluktuierender sprachlicher Formen und Identitäten und einer globalisierten Konsumteilhabe als Untersuchungsobjekt besonders eignet (Bukow/ Nikodem/ Schulze/ Yildiz 2001). 3. Tektonik der Selbstverständnisse Die Beiträge des Bandes gehen mehrheitlich von authentischen Sprachdaten aus; die Analysen sind qualitativer Art und ordnen sich um drei miteinander verflochtene Schwerpunkte: Die vier Beiträge von inci Dirim, Volker Hinnenkamp, Gabriele Birken- Silverman und Pia Quist bemühen die Zeugen der „Prägung eines neuen Selbstverständnisses: Mehrsprachigkeit als eigenständiger Diskurs“ (Teil I). Die von diesen Autorinnen und Autoren vorgestellten Untersuchungen sind in der adoleszenten Migrationsszene zu verorten. Die Muster des Crossings (Dirim), des Code-Switchings (Birken-Silverman), Code-Mixings und Gemischtsprechens (Hinnenkamp und Quist) verweisen nicht mehr nur auf das klassische funktionale Neben- und Miteinander unterschiedlicher Codes, sondern demonstrieren gerade in der selbstverständlichen Vermengung und Legierung dieser Codes ein neues polylinguales Selbstverständnis (Hinnenkamp und Quist). <?page no="13"?> Sprachgrenzen überspringen. Einleitung 13 Einen weiteren Schwerpunkt bilden „Polykulturelle Selbstverständnisse und ihre diskursive Stilisierung“ (Teil II). In ihren Beiträgen beschreiben Inken Keim und Carol W. Pfaff je unterschiedliche Stilisierungsarten. Bei Keim geht es um die stilistischen Verfahren der Selbstverständigung als polykulturelle Gruppe, indem die externe Ausländerisierung zurückgewiesen wird. Selbstverständnisse konfligieren so mit Fremdverständnissen der Mehrheitsgesellschaft; deren hegemoniale Etiketten konkurrieren mit der Selbstbeschreibung, die aber gleichzeitig erst im kollektiven Abwehrprozess konstituiert wird. Die Produktion von Selbstverständnissen ist keine Gratisangelegenheit. Keim führt uns so zu Aspekten ihrer situativen Genese. Pfaff vergleicht das gemischtsprachige Sprechen deutsch-türkisch bilingualer Jugendlicher der zweiten Migrantengeneration mit der künstlerischen Neuschöpfung dieses Sprechens in den Werken von Feridun Zaimoglu. Pfaff macht deutlich, dass die beiden Formen hybriden Sprachgebrauchs jeweils eigenen Mustern folgen, aber dennoch Gleiches mitteilen: die Zugehörigkeit zu mehreren Sprachen und Kulturen ist legitim; verweigerte Akzeptanz führt zu verstärkter, provozierender Selbstbehauptung. Es ist darauf macht Pfaff aufmerksam eine faszinierende offene Frage, wie Zaimoglu diese Botschaft für eine dominant deutschsprachige Leserschaft poetisch-polemisch formuliert, ohne dabei die sprachlichen Mittel zu nutzen, die die Jugendlichen tatsächlich in ihrer Kommunikation verwenden. Einen letzten Schwerpunkt schließlich finden wir in „Spuren des Selbstverständnisses: Mehrsprachigkeit als biografisches und gesellschaftliches Residuum“ (Teil III). Katharina Meng und Ekaterina Protassova wenden sich einer Zuwanderergruppe zu, die erst im letzten Jahrzehnt in Deutschland unüberhörbar geworden ist: russlanddeutschen Aussiedlem. Die ersten sie betreffenden sprachwissenschaftlichen Analysen sind noch jungen Datums (Berend 1998, Meng 2001). Meng/ Protassova untersuchen deutsch-russische Sprachmischungen im Verständnis ihrer Sprecher. Die Gruppe bezeichnet ihre Sprechweise selbst als „Aussiedlerisch“. Die Kommentare der Informanten zeigen, dass den Russlanddeutschen ein reiches Erinnerungs- und Erfahrungswissen über russisch-deutsch gemischtsprachige Kommunikation zur Verfügung steht. In ihm werden die verschiedensten Aspekte der situativen Bedingtheit gemischtsprachiger Äußerungen und ihrer Einbettung in die Entwicklung individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit verallgemeinert. Dies ermöglicht es den Sprechern auch, ihr gemischtsprachiges Sprechen je nach Kommunikationszusammenhang variabel zu bewerten und es als eine charakteristische eigene Varietät anzunehmen. <?page no="14"?> 14 Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng Monica Heller geht in ihrem Beitrag anhand sprachbiografischer Interviews mit zweisprachigen frankokanadischen Sprechern und Sprecherinnen dem Zusammenhang von Code-Switching und der Konstruktion sozialer Identität nach. Die Formen des Switchens können wie die Autorin zeigt nur erklärt werden, wenn man nicht von eindeutig und unveränderlich abgegrenzten Gruppen, Identitäten und Sprachen ausgeht, sondern berücksichtigt und konkret ermittelt, welchen Zugang Individuen zu auch sprachlich bestimmten - Sphären gesellschaftlichen Handelns haben, welche Ideologien dort herrschen und wie die Individuen aus ihren Handlungspositionen heraus in ihre sprachliche Entwicklung investieren und ihren Sprachengebrauch gestalten und legitimieren. Auch Ingelore Oomen-Welke und Tomas Pena Schumacher arbeiten mit biografischen Rekonstruktionen, in ihrem Fall mit denen zweisprachiger Schulkinder. Die Kinder sprechen über ihre Familien und über die Schule. In beiden spielen Sprachen, Sprachenerwerb und sprachliches Lernen sowie die Einstellungen zu den Sprachen eine Rolle. Die Kinder schätzen die Sprachenkompetenz ihrer Eltern ein und erkennen die Bedeutung der Sprachen in ihrer eigenen Lebenswelt. Sie haben Vorstellungen davon, wie das sukzessive Lernen verschiedener Sprachen vor sich geht, und sie können sogar einige Methoden des Lernens charakterisieren. Ganz anders die befragten Schüler in Helmut Dallers Untersuchung. Die sprachliche Entwicklung der von ihm untersuchten in die Türkei zurückgekehrten Jugendlichen gibt Aufschluss über den Bruch in der Entwicklung des Deutschen, der durch einen einsetzenden Sprachverlust gekennzeichnet ist. Eine Analyse der Messergebnisse zur mündlichen Sprachkompetenz im Vergleich mit einer Gruppe von türkisch-deutschen Bilingualen in Deutschland deckt sich mit der Selbsteinschätzung der eigenen Sprachkompetenz. Bilinguale Selbstverständnisse zeigen sich hier unter den Bedingungen einer zweiten Migration als dysfunktional. Mehrsprachige Selbstverständnisse können lebenslang beibehalten werden. Elsa Lattey und Rosemarie Tracy zeichnen das Sprecherprofil einer 80jährigen Deutsch-Amerikanerin der ersten Auswanderergeneration, die seit 1936 in den USA lebt. In authentischen Gesprächen in direktem Kontakt und per Telefon eröffnet die Sprecherin den Spielraum, um aus der ganzen Bandbreite ihrer formalen und funktionalen Ressourcen der Sprachmischung zu schöpfen. <?page no="15"?> Sprachgrenzen überspringen. Einleitung 15 Schlussbemerkung Mit der Publikation dieses Bandes setzen wir einen vorläufigen Schlusspunkt unter eine mehrjährige wissenschaftliche Diskussion, die für uns begann, als wir die Arbeitsgruppe „Sprachliche Kreationen in der Migrationsgesellschaft“ für die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Halle im Jahre 1998 entwarfen. Teilnehmer dieser Diskussion waren die Rednerinnen und Redner der damaligen Arbeitsgruppe, die aktiv partizipierende Zuhörerschaft und schließlich die Autorinnen und Autoren, die wir dafür gewinnen konnten, unsere sich entwickelnde Konzeption für diesen Band mitzutragen und umzusetzen. Wir danken unseren Diskussionspartnerinnen und -partnem und wünschen, dass die Lust und der Emst, die in allen unseren Gesprächen und Auseinandersetzungen gewaltet haben, sich auf unsere Leserinnen und Leser übertragen die Thematik ist es wert. Literatur Bade, Klaus J. (Hg.) (1992): Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München. Berend, Nina (1998): Sprachliche Anpassung. Eine soziolinguistisch-dialektologische Untersuchung zum Rußlanddeutschen. (=Studien zur deutschen Sprache 14). Tübingen. Binas, Susanne (2001): Populäre Musik als Prototyp globalisierter Kultur? In: Wagner, Bernd (Hg.): Kulturelle Globalisierung - Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentiemng. Essen. S. 93-105. Bronfen, Elisabeth/ Marius, Benjamin (1997): Hybride Kulturen. Einleitung zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. In: Bronfen/ Marius/ Steffen (Hg.), S. 1-29. Bronfen, Elisabeth/ Marius, Benjamin/ Steffen, Therese (Hg.) (1997): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen. Bukow, Wolf-Dietrich/ Nikodem, Claudia/ Schulze, Erika/ Yildiz, Erol (Hg.) (2001): Auf dem Weg zur Stadtgesellschaft: die multikulturelle Stadt zwischen globaler Neuorientierung und Restauration. (= Interkulturelle Studien 9). Opladen. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (2001). 4., neu bearb. u. erw. Aufl. (Hrsg. v. d. Dudenredaktion). Mannheim. <?page no="16"?> 16 Volker Hinnenkamp/ Katharina Meng Goebl, Hans/ Nelde, Peter H./ Stary, Zdenek/ Wölck, Wolfgang (Hg.) (1996): Kontaktlinguistik. Contact Linguistics. Linguistique de contact. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 12.1). Berlin/ New York. Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. (= Internationale Hochschulschriften 101). Münster/ New York. Gogolin, Ingrid (1998): Sprachen rein halten eine Obsession. In: Gogolin, Ingrid/ Graap, Sabine/ List, Günther (Hg.): Ober Mehrsprachigkeit. Festschrift für Gudula List zum 60. Geburtstag. Tübingen. S. 71-96. Hewitt, Roger (1994): Sprache, Adoleszenz und die Destabilisierung von Ethnizität. In: Deutsch lernen 4, S. 362-376. [Orig. 1992: Language, youth and the destabilisation of ethnicity. In: Palmgren, Cecilia/ Lövgren, Karin/ Göran, Bolin (Hg.): Ethnicity in Youth Culture. Stockholm. S. 27-42.] Hinnenkamp, Volker (1998): Mehrsprachigkeit in Deutschland und deutsche Mehrsprachigkeit. Szenarien einer migrationsbedingten Nischenkultur der Mehrsprachigkeit. In: Kämper, Heidrun/ Schmidt, Hartmut (Hg.): Das 20. Jahrhundert: Sprachgeschichte - Zeitgeschichte. (= Jahrbuch 1997 des Instituts für deutsche Sprache). Berlin/ New York. S. 137-162. Lüdi, Georges (1996a): Mehrsprachigkeit. In: Goebl/ Nelde/ Stary/ Wölck (Hg.), S. 233-245. Lüdi, Georges (1996b): Migration und Mehrsprachigkeit. In: Goebl/ Nelde/ Stary/ Wölck (Hg.), S. 320-327. Meng, Katharina (2001): Russlanddeutsche Sprachbiografien. Untersuchungen zur sprachlichen Integration von Aussiedlerfamilien. Unt. Mitarb. v. Ekaterina Protassova. (= Studien zur deutschen Sprache 21). Tübingen. Rampton, Ben (1995): Crossing. Language and Ethnicity among Adolescents. London/ New York. <?page no="17"?> Teil I Die Prägung eines neuen Selbstverständnisses: Mehrsprachigkeit als eigenständiger Diskurs <?page no="19"?> Inci Dirim Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Hamburger Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 1. Einleitung Besonders in Hamburger Stadtteilen mit stark multiethnischer Bevölkerungszusammensetzung (wie etwa Mümmelmannsberg, Willhelmsburg, Altona) hat sich (vermutlich erst in den letzten Jahren) eine Form jugendlichen Sprechens entwickelt, zu der als fester Bestandteil türkische Routinen gehören. Es handelt sich dabei, wie Tonbandaufnahmen spontaner Interaktionsereignisse zeigen, nicht nur um einzelne Wörter, die in den deutschen Redefluss integriert werden (z.B. Schimpfwörter), sondern auch um längere Äußerungen bzw. Äußerungssequenzen, etwa Fragen nach der Uhrzeit und ihre Beantwortung. Diese Routinen werden selbst dann verwendet, wenn an der jeweiligen Interaktion keine Jugendlichen türkischer Herkunft teilnehmen. Die Beobachtungen am direkten Material entsprechen den Aussagen von Jugendlichen aus den genannten Stadtteilen in Interviews, wo uns berichtet wurde, es gebe abgesehen von einigen deutschen Jungen kaum Jugendliche, die keinerlei Türkisch verstehen bzw. selbst gebrauchen. Dabei sei es völlig gleich, welcher Herkunft die Jugendlichen seien. Aus beiden Quellen lässt sich also schließen, dass das Türkische v.a. in multiethnisch zusammengesetzten Jugendgruppen oder in Schulklassen mit einem hohen Anteil an türkischen Jugendlichen ‘dazugehört’. In diesem Beitrag 1 werde ich zunächst auf die Art und Weise eingehen, in der türkische Routinen zu einem Bestandteil eines großstädtischen Jugend- 1 Er entstammt dem Forschungsprojekts ‘Türkisch in gemischtkulturellen Gruppen von Jugendlichen’ (DFG Au 72/ 11), geleitet von Peter Auer. Die Daten wurden 1997/ 1998 von 20 Jugendlichen erhoben, die von sich selbst behaupteten, (mehr oder weniger gut) türkisch zu sprechen, und die in verschiedenen Alltagssituationen in ihrem Freundeskreis für unser Forschungsprojekt Tonbandaufnahmen durchführten. Anschließend wurden sie zu ihren Sprachbiografien und zu den Gründen des Erwerbs und Gebrauchs des Türkischen befragt. Es handelt sich um elf weibliche und neun männliche Jugendliche im Alter zwischen 15 und 23 Jahren, die den größten Teil ihres Lebens in Hamburg verbracht haben. Acht der Jugendlichen sind deutscher, zwei iranischer und drei tunesischer Herkunft. Ein Mädchen stammt aus einer bosnischen Familie, ein Junge wächst in einem bosnisch-kroatischen Elternhaus auf. Die restlichen fünf sind griechischer, polnischer, afghanischer, marokkanischer bzw. jordanischer Herkunft. Details zu den Sprechern finden sich in Auer/ Dirim (2003). <?page no="20"?> 20 Inci Dirim Stils geworden sind. Im zweiten Teil werde ich einige der Motive herausarbeiten, die den Erwerb des Türkischen zu bestimmen scheinen. Die Untersuchung kombiniert ethnografische mit gesprächsanalytischen Analyseverfahren: Informationen, die durch die Analyse der Tonbandaufnahmen gewonnen werden, werden durch Interviews mit den Beteiligten (unter Einschluss von Triangulationsverfahren) ergänzt. Darüber hinaus werden in die Auswertungen relevante Beobachtungen des Forschungsteams einbezogen, die während der Treffen mit den Jugendlichen gemacht wurden. 2. Türkische Routinen in jugendlichen Sprechweisen: einige Beispiele Unter Routinen verstehe ich, Lüger folgend, „verfestigte, wiederholbare Prozeduren, die den Handelnden als fertige Problemlösungen zur Verfügung stehen“ (1992, S. 18). Im alltäglichen Sprachgebrauch können die Sprecher in rekurrenten Gesprächssituationen auf dieses Repertoire zurückgreifen. Somit ist die Verwendung sprachlicher Routinen ein allgemeines Charakteristikum menschlichen Sprechens, das freilich in verschiedenen Interaktionsstilen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Die hier untersuchten Jugendlichen beherrschen alle die deutsche Sprache mitsamt deren Routinen. Dass sie auch türkische Routinen benutzen, deutet darauf hin, dass diese für sie eine besondere Bedeutung besitzen. 2.1 Türkische Anredeformen zur Eröffnung und Beendigung von Redebeiträgen Wie oben bereits ansatzweise beschrieben, ist es in vielen Hamburger Stadtteilen für Jugendliche fast unerlässlich, zumindest minimale Kenntnisse des Türkischen zu erwerben, um in ihrem sozialen Umfeld akzeptiert zu werden und erfolgreich kommunizieren zu können. Diese minimalen Türkischkenntnisse wirken oft ‘floskelhaft’. Während die grammatische Kompetenz, die zu ihrer Produktion notwendig ist, gering sein mag, belegt die Art und Weise ihrer Verwendung andererseits eine beträchtliche kommunikative und kulturelle Kompetenz: nicht nur werden sie meist geschickt in die unterschiedlichsten deutschsprachigen Zusammenhänge eingebaut, sie erfordern zudem ein spezielles Wissen um kulturelle Besonderheiten und deren sprachlichen Ausdruck. Dies trifft zum Beispiel auf den wohl häufigsten Fall türkischen Routinengebrauchs durch nicht-türkische Sprecher und Sprecherinnen zu, nämlich die Verwendung von Anredeformen. <?page no="21"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 21 Das folgende Beispiel (1) wurde in einer Gruppe von größtenteils türkischen männlichen Jugendlichen aus dem Stadtteil Altona aufgenommen, in der solche Anredeformen eine wichtige Rolle spielen. Nicht-türkische Jugendliche sichern sich u.a. durch ihre Verwendung die Gruppenzugehörigkeit im Beispiel Fahmi, ein Junge iranischer Herkunft: Beispiel (l) 2 Fahmi: iran., 15 J., m. Musa: türk., 15 J., m. Mutan: mazedon., 3 15 J., m. ((Die Jugendlichen unterhalten sich im Park hauptsächlich über Fußball. Hoher Geräuschpegel im Hintergrund.)) Musa — ► Mutan: sen daha bir $ey anlatacaktm bana du wolltest mir doch noch etwas erzählen Mutan: später ? : ne (-) pscht was Fahmi: ((lacht))haydi lan komm schon du kerl ? : halts maul Fahmi, dessen aktive Türkischkenntnisse einige wenige Wörter nicht überschreiten, ist durch die saloppe Verwendung des als Tumabschluss verwendeten Anredeelements lan (wörtl. etwa: ‘Kerl’) in der Lage, sich dem sprachlichen Umgangsstil der Gruppe anzupassen. (Dieser Tumnachlauf ist im vorliegenden Fall mit einer anderen Routine, nämlich der Interjektion haydi verbunden, so dass es Fahmi gelingt, einen vollständigen wenn auch grammatisch-lexikalisch relativ anspruchslosen türkischen Redebeitrag zu produzieren.) 2 Alle Eigennamen sind anonymisiert; die Transkriptionskonventionen folgen GAT (Selling et ab, 1998), s. Anhang. 3 Mutan ist seit einigen Jahren in Deutschland, hat Türkisch jedoch schon in Mazedonien gelernt. <?page no="22"?> 22 Inci Dirim Auch im folgenden Gesprächsausschnitt wird die Anrede lern zur Beendigung eines Redebeitrags genutzt; allerdings sind die Türkischkenntnisse von Thomas wesentlich besser als die von Fahmi: Beispiel (2) Thomas: dt, 19 J., m. Ferhan: türk., 17 J., m. ((Thomas spricht mit Ferhan über eine geplante gemeinsame Reise nach Paris. Er hat vor, das Aufnahmegerät mitzunehmen, um dort seine Tonbandaufnahmen zu beenden. Die beiden Jugendlichen befinden sich im Treppenhaus des Gebäudes, in dem sie wohnen.)) Thomas: ich brauche sowieso nur noch anderthalb bilyon mu äh iki weißt du zwei [iki tane käset zwei Kassetten Ferhan: [vallagi wirklich Thomas: ja die eine is grade dabei so langsam fertig zu werden olsun ya: problem degil macht nichts kein problem Ferhan: hm yapanz das kriegen wir schon hin Thomas: bei ( ) vorhin hab ich (das) vergessen mitzunehmen ((einige unverständliche Äußerungen, ca. 0,5)) Thomas: ( ) hält ich die kassetten vorher mitgenommen bilyon mu weißt du hält ich jetzt wieder eine fertig lan ((Thomas spricht auf Deutsch weiter, seine Äußerung ist jedoch aufgrund der schlechter werdenden Aufnahmequalität nur unvollständig zu verstehen. Die Jugendlichen setzen vor allem ihr Gespräch über die geplante Reise fort.)) <?page no="23"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 23 In den bisherigen beiden Beispielen hat die Anrede tumabschließende Funktion. Türkische Anredeformen kommen aber oft auch turneröffnend vor, wie in der folgenden Sequenz oglum wörtlich: ‘mein Sohn’). 4 Beispiel (3) Amir: afgh., 13 J., m. Serdar: türk., 14 J., m. ((Serdar und Amir hören in Amirs Zimmer Musik und unterhalten sich dabei.)) Serdar: yarin nereye gidiyorsun wo gehst du morgen hin? Amir: ne was? Serdar: yarm morgen Amir: yarm? morgen? Serdar: hm Amir: yarin burdaydim morgen war ich hier ((gemeint: morgen bin ich hier)) Serdar: (musst du morgen englisch? ) Amir: yo: k fußballspiel mar e: $ey ma9 var bizim [de ma9i(miz) nein, Fußballspiel, äh Dings, wir haben morgen auch ein Fußballspiel Serdar: [habt ihr denn training morgen Amir: oglum morgen spielen wir gegen niendorf mein Junge Serdar: habt ihr wieder spiel 4 Im Türkischen werden Anredeformen für Familienangehörige auch für nicht-verwandte Personen benutzt. Entscheidend für die Wahl der jeweiligen Form ist die Kenntnis bzw. die Einschätzung des Geschlechts, des Alters und der sozialen Situation des Gesprächspartners (zur ausführlichen Beschreibung der Verwendung von Familienbezeichnungen im Türkischen s. Cimilli/ Liebe-Flarkort 1976, S. 21T). <?page no="24"?> 24 inci Dirim Amir: ja wir haben wir haben jede woche sehr viele spiele (anam) (mein Lieber) wir haben drei vier spiele alles hintereinander Serdar: habt ihr freitag spiel? Amir: he? Serdar: freitag Serdar: e: fra ne? nee freitag haben wir kein Amir wird von seinem Freund Serdar gefragt, was er am nächsten Tag vor habe. Amir antwortet zunächst etwas unwillig; erst auf ausdrückliche Nachfrage gibt er Serdar die Auskunft, er werde Fußball spielen. Serdar gibt sich damit nicht zufrieden und fragt nach, ob es sich um ein Training handele. Die Antwort auf diese Nachfrage beginnt Amir mit oglurrv, er hebt sie insgesamt durch einen Wechsel ins Deutsche hervor. Die Verwendung der türkischen Anrede scheint in diesem Fall sowohl Ungeduld zu signalisieren, als auch die Wichtigkeit der so eingeleiteten Information zu unterstreichen. Auch für tumeinleitende Anredeformen gilt natürlich, dass sie nicht nur bei minimalem oder geringem, sondern auch bei ausgebautem Türkischerwerb Vorkommen. Im folgenden Beispiel verfügt Hans, der deutsche Türkisch- Sprecher, über eine fast native Türkischkompetenz; dazu gehört auch der häufige Gebrauch von Anredeformen in diesem Fall des respektvollen abi (Kurzform zu agabey, wörtlich: ‘großer Bruder’), das der sozialen Beziehung zu dem älteren Türken Fikri entspricht. (Das Gespräch folgt dem dominanten Sprachverwendungsmuster unter älteren Türken und ist deshalb rein türkisch.) Beispiel {4) Hans: dt. 23 J., m. Fikri: türk., ca. 52 J., m. ((Hans hält sich in dem Imbissladen seines Freundes Fikri auf. Im folgenden Gespräch zwischen den beiden geht es um einen wohlhabenden türkischen Mann, der seinem Kind keine Hosen kaufen möchte.)) Hans: abi gitsin alsin bi iki tane be Bruder, er soll doch gehen und zwei kaufen Mensch! <?page no="25"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 25 Fikri: abi [yani Bruder, also Hans: [ikiyüz mark zweihundert Mark ((•••)) Fikri: beyefendi ye yetmisj milyonluk araba kullamyorlar [bak bak ] der Herr fährt ein Auto für siebzig Millionen, guck dir das mal an! Hans: [valla ya] stimmt Hans: hayret abi bunlar nasil yapiyolar gereckten ya mersedes komisch Bruder, wie machen die das eigentlich, ein Mercedes bi mersedes daha und noch ein Mercedes Nun ist die Verwendung der türkischen Anredeformen nicht beliebig, sondern folgt bestimmten kulturellen Regeln; diese Regeln werden auch von den nicht-türkischen Türkischsprechem eingehalten. Das zeigt sich nicht zuletzt in den Interviews mit den Informanten. So berichtet Monir, ein Junge tunesischer Herkunft, dass es unter seinen Freunden üblich sei, dass ältere männliche Jugendliche mit der türkischen Anrede abi angesprochen werden, gleich ob der jeweilige Sprecher bzw. Angesprochene türkischer Herkunft ist oder nicht. Diese Anrede sei ein Ausdruck des Respekts, den man ihnen gegenüber empfinde, bzw. den man ihnen entgegenbringen solle. Die sprachliche Markierung von Respekt verhindere zum Beispiel, dass jüngere Jugendliche sich älteren gegenüber leichtfertig über unschickliche Sachverhalte äußerten. Die Verwendung des Anredeform abi verweist bei diesen Jugendlichen also auf einen an bestimmte soziale Höflichkeitsnormen gebundenen Sprachgebrauch. Dies gilt auch für Beispielausschnitt (4): Hans erweist seinem älteren Freund Fikri Respekt, in dem er ihn als abi bezeichnet; umgekehrt signalisiert Fikri dem jüngeren Hans durch die Verwendung derselben Anredeform, dass er ihn als gleichgestellten Erwachsenen akzeptiert. Durch diese wiederholte gegenseitige Respektbezeugung ergibt sich überdies die Basis für die gemeinsame moralische Bebzw. Verurteilung des türkischen Bekannten, der das Wohl seines Kindes dem Kauf eines neuen Mercedes hintanstellt. <?page no="26"?> 26 Inci Dirim Im Gegensatz zu abi stellen die Anredeformen lan und oglum etwa vergleichbar der ebenfalls verbreiteten deutschen Anrede Alter kein hierarchisches Verhältnis her, sondern unterstreichen im Gegenteil die Statusgleichheit der Gesprächsteilnehmer. In diesem Sinne wirken sie jedoch ebenfalls identitäts- und beziehungsstiftend (vgl. die Beispiele 1-3). Zu den egalitären, eher derben Anredeformen, die in Hamburg von Nicht-Türken verwendet werden, gehört schließlich auch moruk (wörtlich: ‘Alter’). Diese Form verwendet zum Beispiel in einer unserer Aufnahmen Michael, ein 16-jähriger Deutscher, vor dem Eingang einer Discothek, als er einem Freund, der etwas von ihm will, mit den Worten yapma moruk, ich ruh mich grade hier aus (‘Lass mal, Alter,...’) antwortet. Die Anrede mit abi, moruk, lan und oglum scheint eher unter männlichen Jugendlichen verbreitet zu sein. Unter Mädchen tritt an ihre Stelle kiz bzw. kmm (wörtl. ‘(meine) Tochter’, ‘(mein) Mädchen)’ oder camm (wörtl. ‘mein Herz’), vgl. unten, Beispiele (5) und (11). 5 Die geschlechtsspezifische Differenzierung des Repertoires von Anredeformen durch türkische Jugendliche wird also auch von nicht-türkischen Türkischsprechern und -Sprecherinnen weitgehend beachtet. Dass sie den Sprecherinnen bewusst ist, zeigt die gelegentliche ironische Zitierung männlicher Sprechweisen; zuweilen bauen sie z.B. mit verstellter Stimme eine ‘männliche’ Anredeform in ihre Rede ein. Auch im folgenden Transkript dem Neubeginn einer Interaktion zwischen der Bosnierin Hatidscha und ihrer türkischen Freundin Peri nach einer Gesprächspause bewirkt die Verwendung der männlichen Anredeform kirolar (wörtlich ‘Blödmänner’) eine solche bewusste Brechung der Interaktionssituation, die durch die scheinbar situationsunangemessene Verwendung des Plurals adressiert wird ja nur Peri noch verstärkt wird: Hatidscha evoziert hier eine imaginäre Situation, in der männliche (türkische? ) Jugendliche von einem anderen (türkischen? ) männlichen Jugendlichen angesprochen werden. Sie schlüpft also in eine männliche Rolle, um so ihre Freundin leicht irritierend und deshalb auch etwas provozierend zu einem neuen Gespräch anzuregen: 5 Eine Ausnahme stellt eine Gruppe von Mädchen aus dem Stadtteil Dulsberg dar, in der sehr häufig moruk verwendet wird. Auch einige andere Verhaltensformen in dieser Gruppe ähneln denen der männlichen Jugendlichen und verweisen auf ein kontrolliertes gender crossing. (So trafen sich z.B. unsere Informantinnen, um zu beobachten, wie sich zwei andere Mädchen prügelten, die ihrerseits zu diesem Zweck ein Treffen vereinbart hatten.) <?page no="27"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 27 Beispiel (5) Hatidscha: bosn., 16 J w. Peri: türk., 15 J., w. ((Hatidscha ist bei ihrer Freundin Peri zu Besuch. Die Mädchen unterhalten sich über verschiedene Themen, es entsteht eine kleine Gesprächspause, nach der zuerst Hatidscha zu hören ist.)) Hatidscha: ne var ne yok kirolar na, ihr Blödmänner, was gibt’s Neues? 2.2 Türkische Diskursmarker zur Einleitung, Beendigung und internen Strukturierung von Redebeiträgen Dieses Gespräch wird folgendermaßen fortgeführt: Beispiel (5) (Fortsetzung) Hatidscha: bosn., 16 J., w. Peri: türk., 15 J., w. Hatidscha: e: ne var ne yok kirolar na, ihr Blödmänner, was gibt’s Neues? Peri: hiy bi bok yok keinen Scheiß Hatidscha: ay $ey in der letzten zeit geht's richtig geil ab ey ich schwör's ach, Dings dir das macht richtig [(Mut) ] ehrlich Peri: [(ay biliyorum) ] ja: «lachend> ich weiß deine pechsträhne ist [vorbei ne> Hatidscha: [ehrlich ich schwör's aber in meinem jahreshoroskop stand das das hab ich dir doch gesagt da stand bis mitte September werden sie depriphase erleben die sie so schnell nicht vergessen werden ey [<<lachend> das hab ich auch gemerkt> ] <?page no="28"?> 28 Inci Dirim Peri: [((lacht)) ] ( ) «t> hast du das nachher oder vorher gelesen dass sowas kommt> Hatidscha: «h> das hab ich vorher gelesen> Peri: ja vielleicht ist das ja bei Unterbewusstsein Hatidscha: nein im januar hab ich das gelesen und ich hab mir nichts daraus gemacht und dann fing das langsam an und es wurde immer schlimmer und in den sommerferien wurde es total katastrophal ich schwör's dir e: yeter es reicht Peri: ja? Hatidscha: ja ((lacht laut und schrill)) tabii canim klar, meine Liebe ((Peri bietet Hatidscha ein Getränk an, das Gesprächsthema wird gewechselt.)) Die bosnische Sprecherin verwendet in diesem Gesprächsausschnitt nicht nur eine aus dem männlichen Stil entlehnte Anredeform (sowie einen vollständigen türkischen Redebeitrag) zur Wiedereröffnung des Gesprächs, sondern auch verschiedene türkische Diskursmarker: gey als Verzögerungspartikel, yeter als Abschlussmarkierung und tabii (zusammen mit der Anredeform camm) für eine emphatische Rückbestätigung. Zahlreiche weitere Belege für die Verwendung türkischer Diskursmarker finden sich auch in den Redebeiträgen des deutschen Gesprächspartners in dem Gespräch zwischen Ferhan und Thomas, dessen Abschluss bereits als Beispiel (2) besprochen wurde: Beispiel (6) Thomas: dt., 19 J., m. Ferhan: türk., 17 J., m. ((Thomas spricht mit Ferhan über eine geplante gemeinsame Reise nach Paris. Die Jugendlichen befinden sich im Treppenhaus des Gebäudes, in dem sie beide wohnen.)) Thomas: ja aber ich muss Dings mitnehmen zwei kasetten Ferhan: was <?page no="29"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft Thomas: iki tane kazet zwei Kassetten Ferhan: iki tane käset var ( [ ) zwei Kassetten sind (schon) da Thomas: [nein du verstehst mich nicht Ferhan: was Thomas: iki tane kazet damit damit mir damit ich (nur) unsre stimme aufnehm zwei Kassetten damit wir die ganze zeit türkisch reden Ferhan: ja Thomas: büiyon mu ondan sonra bana ( ) weißt du und dann mir zwei kassetten voll machen drei stück Ferhan: e: ne i? in und wofür? Thomas: o §ey sen de söyle Ü9 tane käset var ya das Dings na sag schon es gibt doch diese drei Kasetten Ferhan: ja Thomas: die muss ich voll machen mit meiner spräche [türk ( ) ve almanca biliyon mu Türkisch und Deutsch weißt du Ferhan: [(ha) (hm) und das schickt sie nach'n dings sen de söyle so deutsch na sag schon ich weiß nicht so verlag weißt du daraus machen sie bücher Ferhan: valla? wirklich? Thomas: jdkiyüz mark para veriyo ya: ama [türkte (unutma) sie gibt zweihundert Mark (vergiss) aber nicht türkisch Ferhan: [( ) ne konu$caz worüber sollen wir reden <?page no="30"?> 30 Inci Dirim Thomas: Ferhan: Thomas: Ferhan: Thomas: Ferhan: Thomas: Ferhan: «h> fay i§te böyle wir können alles reden wir können sogar ach, einfach so sagen ( ) i§ j( )|das is ey die machen daraus Arbeit das was sie brauchen], anladin mi hast du verstanden? anladim iki tane kaseti (ver) ich hab’s verstanden (gib) mir die beiden Kassetten (halt) ich will das nicht weißt du adnan ben adnan'la da konujtum mit Adnan mit Adnan habe ich auch gesprochen und adnan meint ja lass doch ( ) zwei machen he hm dann krieg ich auch hundert mark [ben de dedim nee nee wieso und ich hab gesagt soll ich dir [( ) denn hundert mark geben biliyon mu er will beraber ben de weißt du zusammen soll ich §ey yapiyim kendisi yapiyim ondan sonra iyi ( ) biliyosun Dings machen ich soli’s selbst machen 6 und dann gut du weißt, §ey yapiyim ((schnalzt mit der Zunge)) bisschen i§ machen weißt ich will Dings machen Arbeit du so ich ihm ben f ben ona arbeiten ich darf ich auch ich ich ihm zweihundert mark mit ( )J,und kuck mal im bus reden wir schon dann reden wir im Dings [sen de söyle na, sag schon [das ist kein problem 6 Vermutlich gemeint: ‘er sagt, er will selbst (eine Kassette voll) machen’. <?page no="31"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 31 Thomas: ich brauche sowieso nur noch anderthalb biliyon mu äh iki weißt du zwei [iki tane käset zwei Kassetten Ferhan: [vallagi? wirklich? Thomas: ja die eine is grade dabei so langsam fertig zu werden olsun ya: macht nichts problem degil kein Problem Ferhan benutzt die diskursstrukturierenden türkischen Diskursmarker biliyon mu (worth: ‘weißt du? ’) und anladin mi (worth: ‘hast du verstanden? ’), um Tum-Konstruktionseinheiten abzuschließen und (besonders mit der zweiten Routine) Hörersignale des Gesprächspartners zu elizitieren. Häufig kommt auch der Diskursmarker sen de söyle eig. sen söyle, worth ‘na, sag schon’) vor, der als Verzögerungsmarker dazu dient, Zeit für die Formulierung der eigenen Äußerungen zu gewinnen. Als Abschlussmarkierung für den Redebeitrag insgesamt wird olsun ya: (wörth: ‘macht nichts’) eingesetzt. 2.3 Gesprächsrahmende Verwendung türkischer Routinen Eine weitere konversationeile Umgebung, in der oft türkische Routinen verwendet werden, ist der Beginn und die Beendigung eines Gesprächs; dafür wurde bereits mit Beispiel (5) (Hatidscha: e: ne var neyok kirolar) ein Beleg genannt. Die folgende Sequenz mit der Deutschen Maike dokumentiert denselben Fall und zeigt überdies, dass und wie routinisierte Formen des Türkischen auch in Abwesenheit von Jugendlichen türkischer Herkunft verwendet werden: Beispiel (7) Maike: dt., 19 J., w. Tanja: libysch/ dt., 17 J., w. Aischa: afghan., 20 J., w. ((Maike ist bei Tanja zu Besuch. Aischa ruft an, um anzukündigen, dass sie auch kommen wird. Kurz darauf klingelt es an der Tür.)) <?page no="32"?> 32 Inci Dirim Maike: ( ) tür geklingelt tanja Tanja: warte mal (2.0) «T> das ist aischa> Maike: ja (-) schon so früh? korrekt Tanja: «f> ha aischa (-) meraba kizim> hallo mein Mädchen Aischa: n=aber kiz was gibt’s Mädchen ((Die Mädchen küssen sich zur Begrüßung gegenseitig auf die Wangen.)) Tanja: iyi misin Geht’s gut? Aischa: hi iyim mir gehfs gut Maike: «p> (echt) ich war beim zahnarzt> ((Das Gespräch über den Zahnarztbesuch wird in deutscher Sprache fortgesetzt.)) Das Beispiel erscheint insofern typisch für den (neu? ) entstehenden Gruppenstil unter Jugendlichen in multiethnischen Hamburger Stadtteilen, als es hier nicht darum geht, sich monolingual türkisch ausdrücken zu können bzw. auch nur in der (multilingualen) Art und Weise türkisch sprechen zu können, wie dies türkische Jugendliche in Hamburg tun. Vielmehr wird eine Sequenz türkischer Routinen aus dem Türkischen in einen sonst deutschen jugendlich-subkulturellen Interaktionsstil integriert. Auffällig ist der Ort dieser Übernahme, nämlich der Gesprächsbeginn, der, noch weitgehend frei von thematischen Äußerungen, in erster Linie dem Aufbau und der Bestätigung der sozialen Beziehung zwischen den Teilnehmer(inne)n dient. Dass gerade hier das Türkische eingesetzt wird, zeigt dessen sozial-symbolischen Wert besonders deutlich. 2.4 Türkische Routinen als Rezipientensignale Schließlich werden türkische Routinen von nicht-türkischen Jugendlichen auch regelmäßig als Rezipientensignale eingesetzt. Besonders häufig ist dies in dem schon oben ausschnittweise zitierten Gespräch zwischen Hans und Fikri: <?page no="33"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 33 Beispiel (8) Hans: dt, 23 J., m. Fikri: türk., ca. 52 J., m. Fikri: abi yani yani yani anlayamadim babasi ar babasimn arabasi Bruder, also also also ich verstehe das nicht, sein Vater Au, sein Vater hat var babasi yenilemek istiyor arabayt e yirmiüg bin lirahk mersedesi ein Auto und möchte ein neues kaufen, wo er doch den Mercedes für dreiundzwanzigtausend Lira kullanirken yenilemek istiyo arabayi var allahi versin abi versin fährt, will er ein neues haben, er hat es und sein Gott möge es ihm geben, yani ben demiyorum ama e sat onlan al(ir) gel yocuguna da ^öyle ich habe nichts dagegen aber verkauf es und kauf es (= das Auto), gut; und dann wirst du doch auch für dein Kind aldm aldin §u üyyüz lirayi diese 300 Lira ausgegeben haben. Hans: ha ha [(dogru)] ja, ja, (stimmt) Fikri: [burasi ] almanya benim adimi dü§ürtme ben beni kalayim hier ist es Deutschland, verringere nicht dein (lit: mein) Ansehen, bleib du (lit: ich) selbst anhyo musun verstehst du Hans: vallahi [öyle wirklich, so ist es Fikri: [yani git kendine pantolon al also geh und kauf dir eine Hose ((•• ■ )) Hans: vallahi [ya ] ja, wirklich Fikri: [bi yerde] parayi vereceksin abi ya var yünkü irgendwohin muss man das Geld geben Bruder, es ist da, denn olmasa akhm erer beyefendi ye yetmi§ milyonluk araba wenn es nicht da wäre würde ich es verstehen ((... )) der Herr fährt ein Auto für siebzig Millionen, kullamyorlar [bak bak ] guck dir das mal an! <?page no="34"?> 34 Inci Dirim Hans: [valla ya] stimmt hayret abi bunlar nasil yapiyolar [gereckten] ya mersedes bi komisch, Bruder, wie machen die das eigentlich, ein Mercedes und mersedes daha noch ein Mercedes Fikri: [ya ] ja ( ) ya tamam alsmlar ja, es ist schon in Ordnung die sollen das ruhig kaufen yani ((...)) ama gocugun senin bu arkada§im also ((...)) aber das ist doch dein Kind mein Freund Hans: vallahi be wirklich du Hans bedient sich eines ganzen Repertoires von türkischen Rezipientensignalen, die alle mit valla(hi) gebildet, jedoch ergänzt werden durch öyle, ya und be. Die Rezipientensignale sind an der richtigen Stelle platziert und drücken auch die in dieser Phase des Gesprächs angebrachte Empathie mit dem Standpunkt Fikris aus, dessen moralische Bewertung des Verhaltens seines Freundes mehr als nur ein einfaches mhm erfordert. 2.5 Komplexere Routinen im Vordergrund der Interaktion In den bisherigen Beispielen wird das Türkische im Hintergrund der Interaktion (im Sinne von Rezipienten- und Sprechersignalen, Verzögerungsmarkem und Rahmungselementen) eingesetzt. Dies ist nicht immer der Fall: Manchmal steht vielmehr die Routine selbst im Vordergrund. Dabei werden teils gruppenspezifische und auf diese Weise identitätsstiftende Routinen verwendet, die auf recht ‘tiefe’ Weise mit türkischem kulturellem Wissen verbunden sind. Wiederum läuft diese kulturelle ‘Aufladung’ quer zu den notwendigen Sprachkenntnissen, die minimal bis fortgeschritten sein können. In der Gruppe von männlichen Jugendlichen, aus der auch Beispiel (1) stammt, wird zum Beispiel das einzelne türkische Wort kral im Rahmen eines Sprachspiels verwendet, das keine weiter gehenden Kompetenzen im Türkischen erfordert: <?page no="35"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 35 Beispiel (9) Andreas: griech., 15 J., m. Musa: türk., 15 J., m. Kevin: dt., 15 J., m. Dogan: türk., 15 J. ,m. Sami: türk., 15 J., m. ((Andreas, Musa, Kevin, Dogan und Sami unterhalten sich im Park. Vor dem transkribierten Ausschnitt pfeift jemand laut eine Melodie.)) ? : eine Andreas: eine legende von kral musa Musa dem Chef Andreas: son mensch (-) kral musa ? : kal musa meinst du ‘bleib Musa' ? : kal mi yoksa kral mi? ‘bleib Musa’ oder 'Musa der Chef? Andreas, Kevin, Sami und Musa: kral musa mehrere: mehrere: ? : (mehrere): 9; mehrere: 9; Andreas: (hundeschänder) kral musa <lachend> gefangnis kral musa ( (geschwängert) kral musa ( ) bekloppt (-) kral musa (-) (ist gleich) kral musa (-) gefährlich (-) kral musa (-) sein lieblingsjob (-) abstechen (-) wer ist das (-) kral musa ((Das Sprachspiel ist beendet, es folgen einige unverständliche Äußerungen der Jungen.)) Die zur Teilnahme in dieser Sequenz erforderliche sprachliche Kompetenz ist für den Griechen Andreas zwar fast null, die notwendige kulturelle Kompetenz hingegen beträchtlich: Die Redebeiträge der Jungen folgen lose - <?page no="36"?> 36 Inci Dirim einem tradierten Muster (Gattungsschema). Dieses wird zu Beginn des Ausschnitts durch das Wort eine abgerufen, das bestimmte Folgebeiträge auslöst; dazwischen schiebt sich immer wieder refrainartig kral (ursprünglich bzw. standardsprachlich das türkische Wort für einen europäischen König, in der Türkei als Slangwort Bestandteil des männlichen Wortschatzes; eine mögliche deutsche Übersetzung wäre Chef in seiner Substandard-Verwendung). Aufgrund der Rhythmisierung und der Wiederholungsstrukturen, aber auch inhaltlich etwa in Bezug auf den Topos der Anpreisung eines negativen Helden 7 erinnert die Sequenz an Hip-Hop-Songs, wie sie z.B. von der Gruppe CARTEL in den späten 90er Jahren auf Deutsch und Türkisch produziert wurden. Die Jungen sprechen über einen der Anwesenden (Musa), der jedoch nur tangential adressiert wird. Dabei schreiben sie ihm wie sie mir erklärten im Scherz negative Eigenschaften und Handlungen zu und preisen ihn gleichzeitig im ‘Refrain’ mit dem Wort kral. Die Wurzeln dieses Sprachspiels reichen vermutlich in die oralen Traditionen der Türkei; in welchem Maß es im vorliegenden Fall von dieser Tradition bestimmt wird, lässt sich durch unsere Daten nicht beantworten. Eine zentrale Funktion erfüllt aber in jedem Fall das Wort kral, und diese Funktion ist offensichtlich allen türkischen und nicht-türkischen - Mitgliedern klar. Auch in der folgenden Sequenz zwischen Afsoon und §ebnem erfüllen floskelhafte türkische Äußerungen eine wichtige Funktion; in diesem Fall werden aber von der Iranerin Afsoon wesentlich größere türkische Sprachfertigkeiten gefordert: Beispiel (70) Afsoon: iran., 17 J., w. §ebnem: türk., 16 J., w. ((Afsoon und $ebnem sitzen in einem Cafe und unterhalten sich.)) Afsoon: (( )) vor fünf tagen haben wir uns getrennt (1.5) §ebnem: hm (-)«f> co: k üzüldüm> dogrusu hihi ich bin sehr traurig wirklich hi hi 7 So ist z.B. in dem Song ‘Cartel’ die Rede von einem aus der Hölle kommenden, gewalttätigen Türken, der zur kriegerischen Auseinandersetzung einlädt (vgl. dazu Hieronymus 1998, S. 163). <?page no="37"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 37 Afsoon: ben de dog: rusu (2.0) yani wirklich üzül(h)düm hihi also ich eigentlich auch also traurig §ebnem: ben de wirklich üzüldüm hihi (4.0) ich bin auch wirklich traurig hihi Afsoon: ben ne=yapcam §imdi was soll ich jetzt machen §ebnem: sen mi (-) keyfine bakicam hihi (1.5) du? du sollst dich amüsieren hihi glücklich oluxan sollst du sein Afsoon: kimlen mit wem §ebnem: «f, len> benimle> hihi ha: : hihi (1.5) oh (-) das ist ja mit mir «acc, p> so: wieso klar dass wir zusammen sind> (3.0) Die Sprachwahl zwischen den beiden Mädchen, die sich hier über Afsoons (reale! ) Trennung von ihrem Freund unterhalten, entspricht dem üblichen mehrsprachigen Stil unter jungen Hamburger Türkinnen und ist durch ‘code-mixing’ und ‘code-switching’ gekennzeichnet. Eine genauere Analyse, die auch die Stilebenen der verwendeten türkischen Sprachmittel sowie die Lachpartikeln berücksichtigt, die die gesamte Sequenz durchziehen, zeigt, dass die Modalität dieser Interaktion keineswegs so ernst und dramatisch ist, wie ihr Inhalt zunächst suggerieren mag; vielmehr ‘spielen’ die beiden Mädchen hier die interaktive Bearbeitung des Themas (vermutlich zum wiederholten Mal) ‘durch’; neu (‘fresh talk’) scheint ausschließlich §ebnems abschließende Äußerung das ist ja sowieso klar, dass wir zusammen sind zu sein, die durch ‘code-swiching’ ins monolinguale Deutsche als zu einer anderen, ernsteren Modalität gehörig gekennzeichnet wird. Der entscheidende Hinweis für diese Interpretation liefert die Tatsache, dass alle anderen Äußerungen einem tradierten Sprachregister entnommen sind, das ganz besonders in medialen, klischeehaften Bearbeitungen des Themas ‘Liebe und Trennung’ im türkischen Fernsehen bzw. in türkischen Videofdmen vorkommt. Hier haben wir es also mit routinisierten sprachlichen Versatz- <?page no="38"?> 38 Inci Dirim stücken zu tun, die eine weit gehende Vertrautheit nicht nur mit der türkischen Sprache, sondern auch der türkischen (Migranten-)Kultur verraten. In nächsten Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen zwei anderen Mädchen einer Jordanierin und ihrer türkischen Freundin erreicht dieser floskelhafte Sprachgebrauch eine weitere Dimension: Beispiel (11) Amira: jord., 18 J., w. Nursei: türk., 17 J., w. Annette: dt., 15 J., w. ((Amira ist mit Annette zusammen bei ihrer Freundin Nursei zu Besuch. Die Mädchen albern herum und sprechen miteinander, ohne dass ein bestimmtes Thema auszumachen ist. Nach einer kleinen Gesprächspause spricht Amira Nursei an.)) Nursei: ((lacht)) Amira: , ne oldu kizlar was ist los, Mädchen? Nursei: ne olsun ya was soll schon sein? Annette? : ((lacht kurz)) Nursei: sürünüyoruz ich (lit.: wir) komme nicht auf die Beine Amira: yok ya ach was Nursei: hayat boktur canim das Leben ist Scheiße meine Liebe Amira: ya so Nursei: bu hayat [( )] 90k zor dieses Leben ist sehr schwer Amira: [ama bi§ey olmaz es wird schon nichts passieren [((lacht)) Annette? : <?page no="39"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 39 Nursei: niye bi§ey olmuyomu§ warum wird nichts passieren? Annette? : und ((Gelächter)) Amira: i§te ne yaptyim was soll ich schon machen? Nursei: ne yap valla hence sen atla was du machen sollst? ich finde, du sollst dich irgendwo runterstürzen Amira: yok ya ach was Nursei: niye ya hayati 90k mu seviyon wieso? liebst du das Leben so sehr? Amira: hm Nursei: ya§amasim zu leben? ((Gelächter)) Nursei: «lachend> sen devamh gülmemelisin> du sollst nicht ständig lachen Amira: niye wieso Nursei: i$te 90k gülme sonra aglarsin dayak yersin lach nicht zu viel, sonst wirst du weinen und geschlagen Amira: ben aglamiyom ich weine nicht ((Gelächter)) Nursei: «all> aglarsin aglarsm> doch, doch, du wirst schon weinen Amira: yok ya: ((schnalzt mit der Zunge)) ach was Nursei: birgün herkes aghyo böyle ben de bazen böyle aciyom eines tages weinen alle und ich habe manchmal mitleid nerden biliyorum biliyon mu () weißt du, woher ich das weiß? <?page no="40"?> 40 Inci Dirim Amira: ben anliyom das verstehe ich Nursei: he: zirhyom weißt du aghyorum yani ja, ich heule weißt du, also ich weine Amira: niye yok ya allah allah wieso? ach was, so so Nursei: niye i§te camm istiyo wieso? weil ich Lust dazu habe ((Gelächter)) ((Es folgen einige schlecht verständliche Äußerungen auf Deutsch. Zu verstehen ist, dass die Mädchen das obige Gespräch selbst als Spaß einordnen und darüber lachen.)) Auch in dieser Sequenz werden floskelhafte Versatzstücke aus dem Türkischen aneinander gereiht, angestoßen durch Amiras Frage ne oldu kizlar? (‘Was ist los, Mädchen? ’), die selbst eine sprachliche Routine ist. Die Quelle dieser Äußerungen sind die sog. arabesken Lieder und Filme, die in der Türkei und unter Türken andernorts seit Jahrzehnten intensiv tradiert werden und sehr populär sind. Sie bringen auf eine routinisierte Weise eine pessimistische Lebenshaltung zum Ausdruck, die klischeehaft bearbeitet wird. 8 Typisch für eine bestimmte Richtung der ‘arabesken’ Kultur ist die ständige Erwartung des Unglücks: Glück ist nur ein befristeter Zustand, der stets wie zur Strafe - Unglück nach sich zieht. 9 Folgende Verszeilen aus dem Lied Hatasiz Kul Olmaz von Orhan Gencebay 10 (wörtl.: ‘Es gibt keinen fehlerfreien Menschen’") mögen dies veranschaulichen: Vgl. z.B. den Liedertitel Batsin Bu Dünya, wörtl.: ‘die Welt versinke’, des berühmten ‘Arabesk’-Sängers Orhan Gencebay. 9 Vgl. zur Bedeutung der ‘arabesken’ Kultur für türkische Jugendliche in Deutschland Hieronymus (1998), S. 149-164. 10 Es handelt sich um ein mehrmals veröffentlichtes Lied und einen gleichnamigen Film aus dem Jahr 1975. 11 Die Übersetzung ‘Mensch’ entspricht im türkischen Text dem Wort kul. Kul bedeutet wörtl. ‘Sklave’, ‘Gottes Knecht’ und wird hier in dem erweiterten Sinn eines vielfach versklavten, vom persönlichen Unglück und einer unterdrückten gesellschaftlichen Stellung geplagten Menschen benutzt. Gleichzeitig ist dieser Mensch als ein Knecht Gottes seinem Schicksal verhaftet, das er nur anklagen, aber nicht überwinden kann. <?page no="41"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 41 Beispiel (12) Feryada gücüm yok, feryatsiz duy beni mir fehlt die Kraft zum Klagen (i.S.v. Schreien), hör mich, ohne dass ich klagen muss Bu feryat bu hasret öldürür a$k beni dieses Klagen, diese Sehnsucht, diese Liebe bringt mich um Die Anklage an das unüberwindbare Schicksal kommt beispielhaft in den folgenden Strophen des Liedes Batsin Bu Dünya 1 zum Ausdruck: Beispiel (13) Yaziklar olsun, yaziklar olsun Verdammt, verdammt Kaderin böylesine yaziklar olsun sei dieses Schicksal, verdammt Her$ey karanhk, nerde insanhk Dunkelheit ringsum, Menschheit nirgendwo Kula kulluk edene yaziklar olsun Verdammt sei der Knecht des Knechts Batsin bu dünya, bitsin bu rüya Die Welt versinke, der Traum ende Aglatipta gülene yaziklar olsun Verdammt sei, wer lachend Tränen sät Dogmami? fileler, ya§anmami§ dertler Ungeborene Leiden, ungelebte Sorgen Flasret feken gönül benim mi olsun Sehnende Liebe, sollen sie mein sein? Ben ne yaptim kader sana Was habe ich dir verschuldet, Schicksal? Mahkum ettin beni bana Dass du mich in mir gefangen hältst 12 Dieses Lied stammt ebenfalls von Orhan Gencebay. Es wurde zunächst 1975/ 1976 veröffentlicht. Auch hierzu gibt es einen gleichnamigen Film, der 1976 mit unterschiedlichen Schauspielern zweimal gedreht wurde. <?page no="42"?> 42 Inci Dirim Her nefeste bin sitem var Jeder Atemzug wie tausendfacher Groll §ikäyetim yaradana Klage dem Schöpfer (...) In diesen Zusammenhang tradierter Klischees sind auch die meisten Äußerungen von Nursei und Amira einzuordnen, z.B. hayat boktur (‘das Leben ist Scheiße’) oder gok giilme, sonra aglarsm, dayakyersin (‘Lach nicht zu viel, sonst wirst du weinen und geschlagen’). Die von den Mädchen verwendete Sprache ist zwar teilweise zu derb, um als direktes Zitat einer medial vermittelten ‘arabesken’ Äußerung zu gelten (vgl. das Wort bok ‘Scheiße’), die verwendeten Topoi entstammen aber zweifellos der genannten Texttradition. Allen bekannte, v.a. medial vermittelte kulturelle Resourcen werden also „als Prätext <...> übernommen und durch lexikalische <und syntaktische> Substitution und Extension modifiziert“ (Schlobinski/ Heins 1998, S. 13). Amiras und Nursels Äußerungen haben kein konkretes Thema; die Äußerungen dienen hier offenbar in erster Linie dem Zeitvertreib. (Möglicherweise bot das laufende Aufnahmegerät einen zusätzlichen Anreiz.) Dies wird nicht nur am Stil der Äußerungen deutlich, sondern auch daran, dass das Gespräch ständig von Lachen begleitet wird. Zusätzlich erinnert die Interaktion zwischen Nursei, Amira und Annette an die ‘Rededuelle’, die für männliche türkische Jugendliche beschrieben worden sind ohne freilich deren aggressives Potential auch nur annähernd zu erreichen 13 und ohne auf beleidigende, sexuelle Anspielungen beschränkt zu sein. Wie im Fall des „verbal duelling“ unter Jungen gilt aber, dass beide Gesprächsteilnehmer sich im ‘Schlagabtausch’ beweisen müssen. Die ebenfalls anwesende Annette überwacht quasi den Fortgang des ‘Schlagabtauschs’, was an ihrer deutschsprachigen - Frage und? deutlich wird, die sie an einer Stelle formuliert, an der der Wortwechsel ins Stocken zu geraten droht. Den Regeln des ‘Spiels’ folgend, werden Äußerungen nicht wiederholt, sondern sprachlich variiert. Das Ende (bzw. eine ‘Niederlage’) des ‘Schlagabtausches’, das dann erreicht ist, wenn einer Kontrahentin keine neue Replik mehr einfällt, wird so systematisch hinausgezögert. Beispielsweise folgt auf die Frage Nursels niye ya 13 Zu Rededuellen bei türkischen Jugendlichen in der Türkei vgl. Dundes/ Leach/ Özkok (1972), zu ‘Beleidigungsduellen’ bei Jugendlichen türkischer Herkunft in Deutschland Tertilt (1996), S. 198-206 und (1997). <?page no="43"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 43 hayati gok mu seviyon? (‘wieso? Liebst du das Leben so sehr? ’) ihre erneute, sprachlich reduzierte und variierte Frage yagamasmi? (‘zu leben? ’), in der für das Substantiv ‘Leben’ ein Synonym verwendet wird (hayat-yagam). 3. Kontexte und Motive des Türkischerwerbs Im letzten Abschnitt wurde gezeigt, in welcher Weise mehr oder weniger komplexe Routinen in den Sprachstil nicht-türkischer Jugendlicher in Hamburg integriert werden. Alle nicht-türkischen Jugendlichen, die bisher beobachtet wurden, beherrschen und verwenden türkische Routinen. Art um Umfang des Repertoires solcher Routinen sowie deren Verwendung unterscheiden sich jedoch in Abhängigkeit von den Kontexten, in denen das Türkische erworben wurde und als Folge der Motive, die diesen Erwerb steuern. 14 Einige Jugendliche erlernen das Türkische, obwohl in ihrer Umgebung nicht sehr viele Türken leben oder sie nicht in eine größere peer group mit starkem türkischen Anteil eingebunden sind. Sie haben vielmehr intensiven Kontakt zu einzelnen Türken bzw. Türkinnen und lernen diese Sprache oft von ihnen. Solche engen Freundschaften führen zunächst zu einem durch ständige Wiederholung in ähnlichen Kontexten routinisierten Gebrauch türkischer Wörter und Wendungen, die auch schon bei einer rudimentären Kenntnis der türkischen Sprache benutzt werden (vgl. Fahmi in Beispielausschnitt (1)). Bei langanhaltendem Kontakt kann sich die Kompetenz im Türkischen erhöhen (vgl. Amir in Beispielausschnitt (3)) und bis zur Perfektion steigern. Andere Jugendliche sind in Hamburg in Kontakt mit den dortigen türkischen Gemeinschaften aufgewachsen, wodurch sich ein relativ enger gemeinsamer Lebenszusammenhang ergab (nachbarschaftliches Wohnen, gemeinsame Gestaltung des Alltags, z.B. von klein an zusammen eingenommene Mahlzeiten, gemeinsame Freizeitgestaltung, Hören türkischer Musik, gemeinsame Zukunftspläne, etc.). Jugendliche, die in solch engem Kontakt zur türkischen Gemeinschaft groß geworden sind, lernen nicht nur Türkisch, sondern identifizieren sich darüber hinaus teilweise mit Wertvorstellungen, die für sie die türkische Kultur ausmachen. So erwähnt z.B. Thomas (vgl. Beispielausschnitt (2) oben) bewundernd die Solidarität unter den türkischen Nachbarn. Auch zwei seiner älteren Brüder (u.a. Hans, vgl. Beispielausschnitt (4)) beherrschen das Türkische nahezu perfekt. Wie die Aufnahme eines Telefongesprächs zeigt, unterhalten sie sich selbst unterein- 14 Detaillierte Angaben dazu finden sich in Auer/ Dirim (2003). <?page no="44"?> 44 Inci Dirim ander teilweise türkisch. In solchen Zusammenhängen tauchen türkische Routinen nicht mehr einzeln im deutschen Redefluss auf, sondern werden, wie bei Sprechern türkischer Herkunft, in rein türkischer oder türkischdeutsch gemischte Rede eingebaut. Für einige unserer nicht-deutschen Informanten und Informantinnen spielt der gemeinsame religiöse Hintergrund mit Jugendlichen türkischer Herkunft und die damit verbundenen ähnlichen kulturellen Werte eine wichtige gemeinschafts- und identitätsstiftende Rolle. Islamisch geprägte Wertvorstellungen und kulturelle Konzepte werden durch türkische Ausdrücke bezeichnet. In einer der von uns untersuchten Gruppen wird zum Beispiel die in gemeinsamer sprachlicher Interaktion konstruierte Identität als ‘modernes islamisches Mädchen’ durch den Gebrauch des Türkischen symbolisiert (vgl. Hatidscha, Beispielausschnitt (5) und Afsoon, Beispielausschnitt (10)). Die Affinität zur türkischen Sprache wird als Ergebnis religiös-kultureller Gemeinsamkeiten betrachtet. In anderen Gruppen fehlt zwar der gemeinsame religiöse Hintergrund, dennoch nehmen sich die Jugendlichen alle als ‘Ausländer/ innen ’ wahr und empfinden deshalb eine starke Verbundenheit untereinander. Eine vergleichbare Rolle spielt das Türkische in der Jungengruppe, aus der die Beispiele (1) und (9) stammen 4. Zusammenfassung und abschließende Diskussion Die vorgestellten Interaktionsausschnitte geben einen ersten Eindruck von der vielfältigen Verwendungsweise türkischer Routinen in gemischethnischen Hamburger Jugendlichengruppen. Türkische Routinen 1) leiten den Erwerb des Türkischen ein und fördern den weiteren Erwerb, 2) können aus einzelnen Wörtern, aber auch aus längeren sprachlichen Versatzstücken bestehen, 3) werden von männlichen und weiblichen Jugendlichen teilweise unterschiedlich verwendet, 4) weisen auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe hin und wirken deshalb identitätsstiftend und 5) können auch bei sonst geringen Türkischkenntnissen Ausdruck besonderer kultureller Lebens- und Handlungszusammenhänge sein. <?page no="45"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 45 Abschließend möchte ich auf die Frage nach dem ‘jugendsprachlichen’ Charakter des in Hamburg anzutreffenden mehrsprachigen Interaktionsstils eingehen. In der jüngeren Forschung zum Thema jugendlicher Sprechweisen (etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts) lassen sich v.a. zwei Analyserichtungen ausmachen, die, obwohl manchmal miteinander verknüpft, sich zunächst weder widersprechen noch gegenseitig bedingen. Die eine Richtung betont den delimitativen und subversiven Charakter der jugendlichen Codes und sieht Parallelen zu nicht-sprachlichen subkulturellen („counter-cultural“) Codierungen (etwa zum „Punk“: Hebdige 1979; Soeffner 1989). Als Grenzen ziehende ((sich) abgrenzende) Kommunikationsform erscheinen jugendliche Sprechweisen in erster Linie als „Verkehrungen des ‘normalen Systems’ sozialer Werte durch die Außenseitergruppe, (...) die Material der offiziellen Kultur in einen konversen Kontext versetzen und auf diese Weise eine Stellungnahme über deren Werte abgeben“ (Schwitalla/ Streeck 1989, S. 229). Jugendliche Kodierungen sind demzufolge immer relational zur dominanten (Erwachsenen-)Kultur zu sehen, 15 auf die sie „in affirmativer, aber auch in ironisierender sowie in oppositioneller Weise“ Bezug nehmen (Neuland 1987, S. 65). Die Verwendungen türkischer Routinen (auch, wo sie nur im „backchannel“ des sprachlichen Handelns auftreten) können zweifellos als „acts of identity“ aufgefasst werden, die die Affinität des Sprechers bzw. der Sprecherin mit bestimmten sozialen Gruppen ausdrücken.Wir haben jedoch kaum Anhaltspunkte dafür, dass die von uns untersuchten mehrsprachigen Verfahren negativ auf die dominante (deutsche? ) Kultur oder deren Sprache bezogen wären. Der Erwerb und die Verwendung des Türkischen verhält sich dazu vielmehr weder affirmativ noch subversiv: der entstehende bilinguale Stil ist, was er ist, nicht, was er nicht ist. Die zweite Analyserichtung in der Forschung zu jugendlichen Stilen greift auf Bachtinsche und poststrukturalistische Theorien zurück und sieht das entscheidende strukturelle Verfahren dieser Stile in der spielerischen Zitierung (polyphonen Verwendung) sprachlicher Mittel aus den unterschiedlichsten Quellen. So weisen z.B. Schlobinski/ Kohl/ Ludewigt (1993) in ihrer 15 Dies schließt natürlich nicht aus, dass zugleich Abgrenzungen gegen andere Jugendliche und deren Lebensstil vorgenommen werden, wie dies vor allem Schwitalla 1994 am Beispiel Mannheimer Gymnasiasten und deren Abgrenzung gegen die „Streber“ und „Asos“ zeigt. <?page no="46"?> 46 Inci Dirim Untersuchung zu jugendlichen Sprechweisen auf die Bedeutung der verschiedene kulturellen Ressourcen hin (allen voran: der medialen Quellen), die im Bricolageprinzip miteinander verknüpft werden (ebd., S. 159). 16 Schon aus der Analyse der deutschen ‘Studentensprache’ des 19. Jahrhunderts lässt sich erkennen, dass bei diesen Bezugnahmen auch andere Varietäten des Deutschen als die Standardvarietät besonders die sozialer Randgruppen, etwa das Rotwelsch sowie andere Sprachen eine Rolle gespielt haben. Untersuchungen Hewitts (1986) und vor allem Ramptons (1995, 1998) in Großbritannien (Übernahmen aus dem (British) Jamaican Creole bzw. dem Panjabi) bzw. Pujolars in Katalonien (Übernahmen aus dem Romanes bzw. dem andalusischen (! ) Spanisch; vgl. Pujolar i Cos 1997) bestätigen die Bedeutung dieses „crossings“ (Rampton), d.h. der Anleihen von und Grenzüberschreitungen in Varietäten, die den Jugendlichen eigentlich nicht ‘zukommen’. 17 Die Verwendung von Elementen aus ‘fremden’ Codes erscheint aus dieser Perspektive als interpretativ reiches, d.h. im Einzelfall nur über komplexe Inferenzprozesse in seiner Bedeutung erschließbares, metaphorisches Wechseln zwischen „many keyed voices that were conveyed through code-switching (...) to express role distance, irony or exaggeration“ (Pujolar 1997, S. 101). Zweifelsohne verrät auch die Inkorporation türkischer Routinen in die Sprechweise der von uns untersuchten Jugendlichen besonders dort, wo diese Routinen im Vordergrund der Interaktion stehen einen spielerischen, polyphonen Umgang mit sprachlichen Formen, der Anleihen aus verschiedenartigen (teils medialen) Traditionen des Sprechens macht; manchmal (vgl. etwa Beispiel 5) werden dabei auch Transgressionen in andere soziale Rollen (hier z.B. Geschlechterrollen) angedeutet, die sich erst über komplexe lokale Inferenzprozesse erschließen. Die Hybridität identifikatorischer Bezugnahmen unserer Jugendlichen, die bis zur (spielerischen) Selbst- Kategorisierung als ‘Türke/ Türkin’ gehen kann, bildet sich also durchaus in der Polyphonic ihrer Sprache ab. Darüber darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Erwerb und die Verwendung des Türkischen von vielen Jugendlichen auch ganz instrumenteil aufgefasst wird: Viele unserer Infor- 16 Dass es sich dabei nicht nur um das relativ etablierte Türkisch handelt, zeigen Tonbandaufnahmen, in denen Jugendliche Wörter und Äußerungssequenzen aus den Sprachen Paschto und Romanes üben und verwenden. 17 Zu den Grenzen der Übertragbarkeit des Begriffs der Transgression auf unser Material siehe die Diskussion in Auer/ Dirim (2000), S. 109-111. <?page no="47"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 47 manten weisen darauf hin, dass es in den stark türkisch dominierten Stadtvierteln Hamburgs, in denen sie leben, notwendig ist, Türkisch zu verstehen und nützlich sein kann, es zu sprechen: das Türkische hat hier also nicht nur identifikatorische, sondern auch verständnissichernde Funktionen. Anhang Im Text verwendete Transkriptionsregeln (nach GAT, siehe Selling et al., 1998): Schriftgröße: Schriftgröße ((XXX)) <xxx> (xxx) ( ) (.) (-) (--)(-) (2.7) ((•••)) ? <t> <h> <len> <acc> [ ] groß: Originaläußerung klein: Übersetzung außersprachliche Handlungen sprachbegleitende Handlungen unmittelbarer Anschluss, Verschleifungen vermuteter Wortlaut unverständliche Passage Mikropause kurze, mittlere, längere Pausen gemessene Pause Auslassungen steigende Tonhöhenbewegung tiefes Tonhöhenregister hohes Tonhöhenregister langsam schneller werdend gleichzeitiges Sprechen <?page no="48"?> 48 Inci Dirim Literatur Auer, Peter/ Dirim, inci (2000): Das versteckte Prestige des Türkischen. Zur Verwendung des Türkischen in gemischtethnischen Jugendlichengruppen in Hamburg. In: Gogolin, Ingrid/ Nauck, Bernhard (Hg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung. Opladen. S. 97-112. 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Sprachregister, Jugendkulturen und Wertesysteme. Empirische Studien. Opladen. S. 9-25. <?page no="49"?> Zum Gebrauch türkischer Routinen bei Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft 49 Schwitalla, Johannes (1994): Die Vergegenwärtigung einer Gegenwelt. Sprachlichen (sic! ) Formen der sozialen Abgrenzung einer Jugendgruppe in Vogelstang. In: Kallmeyer, Werner (Hg.): Kommunikation in der Stadt, Teil 1: Exemplarische Analysen des Sprachverhaltens in Mannheim. Berlin. S. 468-509. Schwitalla, Johannes/ Streeck, Jürgen (1989): Subversive Interaktionen. Sprachliche Verfahren der sozialen Abgrenzung in einer Jugendlichengruppe. In: Hinnenkamp, Volker/ Selting, Margret (Hg.): Stil und Stilisierung. Tübingen. S. 229- 252. Selling, Margret et al. (1998): Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem (GAT). In: Linguistische Berichte 173, S. 91-122. Soeffner, Hans-Georg (1989): Stil und Stilisierung. Punk oder die Überhöhung des Alltags. 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The subversive force of this hybridizing tendency is most apparent at the level of language itself Kobena Mercer (1988, S. 57) „Die Wortgewalt des Kanaken drückt sich aus in einem herausgepressten, kurzatmigen und hybriden Gestammel (...). Sein Sprachschatz setzt sich aus »verkauderwelschten« Vokabeln und Redewendungen zusammen, die so in keiner der beiden Sprachen Vorkommen.“ Feridun Zaimoglu (1995, S. 13) 1. Einleitung: Rechtschreibeschwäche als polykulturelles Zeichen Bei der letzten Fußballweltmeisterschaft stand an einer Augsburger Mauer in großen Lettern „Wiva Italia“ wohlbemerkt mit „W“ und nicht mit „V“ am Anfang. Wäre der Wandspruch fehlerfrei gewesen, wäre ich kaum über ihn 1 (a) Ich danke Katharina Meng, Carol Pfaff und Normann Jorgensen für ihre sorgfältige Lektüre des Aufsatzes und die vielen wertvollen Hinweise, die sie mir gegeben haben. (b) „Migrantenjugendliche“ ist ein sperriges, ja suggestives Wort; es ist jedoch zutreffender als all die anderen Bezeichnungen, mit denen Jugendliche tituliert werden, deren Hintergrund derartig stark durch die Migration geprägt ist. Zwar ist es weniger deren eigene unmittelbare Wandererfahrung, die damit angesprochen wird, doch durch die Migration von Eltern und Großeltern, durch die Zuordnung zur panethnischen Gruppe der „Gastarbeiter“ oder „Ausländer“ oder die Zuordnung als ethnische „Türken“, „Griechen“, „Polen“ usw. sind sie doch integraler Teil der modernen Migrationsgeschichte Vor allem aber sind diese Jugendlichen auch dadurch geprägt, dass sie Teil eines Diskurses sind, den sie selbst kaum mitbestimmen können. Die im Jahre 2000 von der Christlich Demokratischen Union (CDU) entfachte Diskussion um eine Orientierung an einer „deutschen Leitkultur“ als Messlatte der Integration beispielsweise geschieht Migranten. Sie sind Gegenstand dieser Debatte, nicht aber ihr Subjekt. Auch diese Objektbeziehung spiegelt sich wider im Begriff des Migranten, auch wenn er oder sie selbst nie gewandert ist. Diese Objektbeziehung ändert sich nur langsam und mühevoll. Mein Aufsatz ist dieser Ent- Objektivienmg und der sprachlichen Autonomisierung gewidmet. <?page no="52"?> 52 Volker Hinnenkamp gestolpert. Doch mein Fehleranalysesinn wurde mobilisiert. Mit dem großen „W“ am Anfang kamen mir sogleich unterschiedliche Fragen. Wer hatte das verfasst? Italiener, Deutsche? War das „W“ nur Ausdruck einer Rechtschreibeschwäche oder war es absichtsvoll dorthin platziert? Gegen die Rechtschreibeschwäche spricht ja, dass das „v“ in „Wiya“ korrekt ist? Doch auch Inkonsistenzen dieser Art sind mir wohlbekannt. Schließlich stellte ich Fragen an meine eigenen Fragen, überlegte mir, in welchen Kategorien ich dachte: „Italiener“ oder „Deutsche“ schienen mir die mögliche Angebotspalette nicht mehr abzudecken. Ich verknüpfte sozusagen Italienisch automatisch mit Italienern. Ein engstirniger, essentialistischer, ja ethnizistischer Schluss. Es gab einen ganz anderen Schlüssel für diese „W“-„V“-Altemation sicherlich kein fehleranalytischer im klassischen Sinn -, die Alternation erinnerte mich plötzlich an das Code-Switching, an die Koexistenz zweier unterschiedlicher Codes, Sprachen, Alphabete, Orthographien in einem Wort. Was ich also dort vorfand, war schlicht eine hybride Form aus zwei Alphabetisierungen, aus dem alltäglichen Umgang mit zwei Sprachsystemen, verschmolzen, synthetisiert in zwei unterschiedlichen der deutschen und italienischen - Verschriftlichung eines stimmhaften Frikativs. 2 Die Kinder und Jugendlichen des Stadtteils, in dem der Spruch gesprüht war, werden groß in einer polykulturellen und vielsprachigen Umgebung. Ich erinnerte mich an einen viel beachteten Aufsatz von Roger Hewitt, in dem er schreibt: „Die Graffiti an den Mauern unserer Innenstädte zeigen uns diese polykulturellen Züge deutlich. Die Darstellungen (...) offenbaren sowohl Vermischung als auch (...) Abtrennung von einander. (...) [sie] existieren [..] in einem unaufhörlichen Dialog: die Zeichen kommunizieren miteinander, beziehen sich aufeinander, redefmieren und modifizieren sich gegenseitig“ (Hewitt 1994, S. 365). Eine solche Deutung ist aus fehleranalytischer Sicht etwa nicht unbedingt plausibel, aber sie leistet etwas anderes: Sie schafft die Verbindung zwischen den Produzenten, ihrer Lebenswelt und einer orthografischen Normabweichung. Die Zeichen des Graffitos kommunizieren mit der Außenwelt. Sie stehen nicht isoliert da. Wenn ich in Augsburg mit der Stra- 2 Wir können dieser Deutung noch eine weitere Schicht hinzufugen, nämlich die einer italienischen Interferenz jenseits meiner fehleranalytischen Deutung: Es gibt in Italien die Konvention „Viva“ in Form eines Kürzels als zwei sich überschneidende „V“s darzustellen. Das hätte zu „W Italia“ geführt. Die Vermischung wäre damit nicht aufgehoben und hätte erst recht den Adressatenkreis eingeschränkt. <?page no="53"?> „Zwei zu bir miydi? " - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 53 ßenbahn Richtung Uni oder von der Uni nach Hause fahre, steigen am Schulkomplex Alter Postweg mitunter Hunderte von Schülern und Schülerinnen in die Straßenbahn. Ein vielsprachiges Stimmengewirr entsteht, nicht nur dass ich Deutsch, Türkisch, Griechisch, Russisch und andere Sprachen wahmehme, sondern ich höre auch deutsch-türkische, deutsch-griechische oder deutsch-russische Gespräche, in denen in einem für mich atemberaubenden Tempo zwischen den Sprachen hin und her gewechselt wird. Mein fehleranalytischer Sinn wird gar nicht erst aktiviert. Kein Halbsprachigkeits- oder Mischmaschgedanke führt mich zu normativen Fragestellungen, ich höre zu und werde fast zum Bewunderer der Virtuosität, wenn da nicht das wissenschaftliche Interesse mit seiner erforderlichen Nüchternheit mich von zu viel Enthusiasmus über das Können der Schüler und Schülerinnen zurückholen würde. Denn was die Schüler, Jugendlichen und Kids da produzieren, gilt im Klassenzimmer, aus dem sie gerade kommen, kaum als virtuos. Dort herrscht sanktionierte Einsprachigkeit vor in der Regel und immer noch. Die Vielsprachigkeit, die Mischungen und Kreuzungen sind Nischen Vorbehalten, die kaum in den Unterrichtsdiskurs miteinbezogen werden. Die Neben- und Pausenkommunikationen, die Gespräche auf dem Schulweg, in den Verkehrsmitteln, bei Treffs sprechen im wahrsten Sinn des Wortes eine andere Sprache, eine vielfältige, gemischte, vielstimmige, multilinguale Sprache. Von der Mehrheitsgesellschaft und den Hütern der Norm wird diese Sprache eher verdenn beachtet. Aber sie wird kaum als das logische - und auch gleichzeitig antithetische - Resultat einer in Migrationsgeschichte und multikultureller Gesellschaft begründeten polylingualen Entwicklung gesehen. Ich werde diese hybride Sprechweise im Folgenden exemplarisch vorstellen, ihre Entstehung in den migrationsgeschichtlichen Kontext stellen und mögliche Funktionen diskutieren; Funktionen, die einerseits lokal und interaktionslogisch begründbar sind, die andererseits aber nur in Bezug zu ihrer Verortung im Hybriditätsdiskurs verständlich sind. Da diese Sprechweise nicht homogen ist, will ich ihre innere Differenziertheit aufzeigen, werde sie folglich als Varietäten beschreiben und in ihr sowohl Alternierung und Vermischung als auch Grenzbereiche von Beiden berücksichtigen. Das „Wiva“- Graffito illustriert bereits einen solchen Grenzbereich. Ist es ein Nebeneinander, ein Miteinander oder ein Ineinander von Sprachen, Alphabeten? Obwohl die Varietäten Vieles an Gemeinsamkeit aufweisen, sind sie im Grad ihrer Vermischung und Trennung und hinsichtlich ihrer Verwendungsweise <?page no="54"?> 54 Volker Hinnenkamp differenziert. Sie bilden ein Spektrum, und im Gespräch mitunter auch ein Kontinuum, von bekannten Zweisprachigkeitsmustem bis hin zu genuin neuen, eigenständigen, ‘kreolisierten’ Formen, die keiner der beiden verwendeten Sprachen angehören. Aber damit ist die Variation keinesfalls erschöpft, denn auch innersprachliche Variation und ethnolektale Stilisierung bilden einen Teil des zu alternierenden und vermischenden Reservoirs. Subsumiert werden sie alle unter ‘mischsprachliche Varietäten’. 2. Deutsch-türkische Sprachmischung 2.1 Vorarbeiten Da ich meine Untersuchung auf den Sprachkontakt Deutsch-Türkisch konzentriert habe, stammen meine Beispiele aus diesem Bereich. Aber wie einige der Arbeiten in diesem Band zeigen (Dirim; Birken-Silvermann; Meng/ Protassova und Quist), gibt es gleiche oder ähnliche Phänomene auch im Kontakt zwischen anderen Sprachen. Natürlich ist weder das Phänomen noch dessen Beschreibung neu (vgl. als neue, zusammenfassende Arbeit Muysken 2000). 3 Die Mischsprachigkeit von Migrantenjugendlichen mit türkeitürkischem Hintergrund in Deutschland ist bislang allerdings kaum oder gar nicht untersucht worden. Eine frühe exemplarische Erwähnung mit Beispieltranskripten findet sich in zwei kleinen Aufsätzen von Pritsche (1982, 1985). Einen datenbasierten systematischeren Versuch unter interferenziellen Gesichtspunkten bildet die Arbeit von Boeschoten (1994a). Allein die stadtteilethnografische Untersuchung der Forschergruppe am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (vgl. die Projektskizze in Kallmeyer/ Tandogan-Weidenhammer/ Keim 2000) hat sich dieser Frage nun in einem größeren Maßstab angenommen. Pfaff hat bei ihrer Erforschung der Zweisprachigkeitsmuster von türkischen Kindern in Berlin auch Mischsprachigkeit untersucht. Allerdings standen Fragen zur Entwicklung früher Zweisprachigkeit im Vordergrund (vgl. Pfaff 1994, 1998). Das Thema aus soziologischer bzw. pädagogischer Perspektive berühren auch die Arbeiten von Hieronymus (1998) und Dirim (1998). Treffers-Daller (1998) hat die deutsch-türkische Sprachmischung bei 3 „Sprachmischung“ oder „code-mixing“ oder „language-mixing“ wird allerdings von Autor zu Autorin unterschiedlich verwendet. Mal als Oberbegriff für unterschiedliche Formen der Alternation und Insertion, mal nur als das Einfügen von anderssprachigen Items in eine Basis- oder Matrixsprache. Defmitorische Diskussionen sind zahlreich. <?page no="55"?> „ Zwei zu bir miydi? ‘‘ — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 55 Rückkehrerjugendlichen in der Türkei untersucht. In den Niederlanden ist der niederländisch-türkische Sprachkontakt bereits intensiver erforscht worden (vgl. Boeschoten/ Verhoeven 1987; Backus 1992, 1996); Dänisch-Türkisch steht im Zentrum des Koge-Projekts in Dänemark (vgl. Jorgensen 1998; Turan 1999; Holmen/ Jorgensen 2000). 4 2.2 Datengrundlage Datengrundlage meiner Untersuchung sind Gespräche, die in informellen Gesprächen von den untersuchten Jugendlichen oder von einem der Jugendlichen im städtischen Raum bayrisch Schwabens aufgenommen worden sind. 5 Die meisten der Jugendlichen waren zur Zeit der Aufnahme zwischen 15 und 18 Jahre alt. Es gibt aber auch ein paar Aufnahmen von Studenten, im Alter zwischen 20 und 25. Mit einigen meiner Informanten habe ich Interviews über die Mischsprachigkeit geführt. Die meisten Sprecher in meinen Daten sind männlich. Ich habe soweit nur eine einzige Aufnahme mit weiblichen Protagonisten. Die Schlussfolgerung, dass es vor allem männliche Jugendliche sind, die mischen, wird durch die 4 Es gibt prinzipiell zwei Quellenlagen: Die des Sprachkontakts von Türkisch mit einer anderen Sprache im Allgemeinen (z.B. Johanson/ Rehbein 1999) und die der Mischsprachlichkeit (an der Türkisch beteiligt ist) im Besonderen. Es ist schwierig, all den geleisteten Vorarbeiten gerecht zu werden. Die niederländischen und dänischen Projekte haben explizit die adoleszenten Zweisprachigkeitsmuster zum Thema. Es gibt auch im deutschen Sprachraum eine Vielzahl von Arbeiten, die sich der interaktionalen Zweisprachigkeitsmuster und dabei zum Teil implizit wie explizit auch der Mischsprachigkeit annehmen. Allen voran sind hier die Arbeiten von Jochen Rehbein zu nennen, die allerdings die Mischsprachigkeit nicht in den Vordergrund stellen, bis auf eine frühe kleine interessante Studie über die Mischgestik von türkischen Schülern (Rehbein 1981). Rechnet man bestimmte textlinguistische und pragmalinguistische Formen der Interferenz narrative Muster, sprachliche Routinen oder sequenzielle Konventionen zu den Vermischungsformen, dann fallen freilich auch eine Anzahl anderer Studien unter die Mischsprachigkeitsforschung (vgl. etwa Grießhabers Arbeit über diskursanalytischen Transfer (Grießhaber 1990) oder Rehbeins Studie über die Textverarbeitung in der Zweitsprache (Rehbein 1987)). Diese Art der Vermischung ist nicht auf den ersten Blick sichtbar (und auch ihr Kontextualisierungs- und Aushandlungspotenzial ist anders zu bewerten), aber sie macht die schwammigen Grenzen zwischen Transfer und Mischung deutlich (Boeschoten/ Broeder 1999). Es gibt weitere Kandidaten aus dieser Perspektive, die nicht alle erwähnt werden können. 5 Die Untersuchung wurde finanziell durch Forschungsmittel der Universität Augsburg gefordert. Ganz besonders danken möchte ich Tuna Döger und Ahmet Atasever für deren Unterstützung bei der Datenbeschaffung. <?page no="56"?> 56 Volker Hinnenkamp Aufnahmen des Mannheimer Projekts widerlegt (vgl. Kallmeyer/ Tandogan- Weidenhammer/ Keim 2000). Der gender bias liegt bislang allein in meiner Informantenkette begründet. Der Großteil der Aufnahmen ist in informellen Freizeitsituationen entstanden; einige wenige Gespräche wurden in der Schule, aber auch dort in der Pause, mitgeschnitten. Nicht alle Gesprächsteilnehmer wussten bereits während des jeweiligen Gesprächs, dass sie aufgenommen wurden; sie wurden hinterher informiert und gefragt, ob sie mit der Verwendung der Aufnahmen für die Forschung einverstanden wären. Es hat niemanden gegeben, der etwas dagegen gehabt hätte. Im Gegenteil, alle Jugendlichen fanden es positiv, dass für ihre Sprache Interesse gezeigt wurde. Zusätzlich wurden die Sprecher um grundlegende persönliche Daten gebeten, wie Alter, Ausbildung und Lebensphasen zwischen Deutschland und der Türkei. Transkribiert wurden schließlich nur zweisprachige Daten, also solche, die Code-Switching-und Code-Mixing-Muster aufweisen. Nicht berücksichtigt wurden Gespräche, in denen es nur zu anderssprachigen Insertionen zumeist aus einem Wort bestehend kommt (insertional code-switching). Dass wichtige Bezeichnungen der mehrheitssprachlichen Lebenswelt in die Minderheitensprache eingefügt werden, ist ein bekannter und wohl untersuchter Vorgang. 6 Dabei bleibt die Rolle von Basis- oder Matrixsprache und eingebetteter Sprache jederzeit deutlich sofern die Basis davon überhaupt berührt wird. Natürlich sind auch hier Fragen der Erwartbarkeit, des Integrationsgrads des jeweiligen Items u.a. von Interesse. Ebenfalls unberücksichtigt blieben solche Gespräche, bei denen die Sprachaltemation allein auf der Adressatenwahl eines nicht-bilingualen Sprechers beruht, also wenn zum Beispiel während des Gesprächs im Jugendzentrum der deutsche Sozialarbeiter hinzukommt und mit ihm oder ihr das Gespräch in Deutsch fort geführt wird. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen solche Gespräche, die durchgängig oder in maßgeblichen Teilen bilingual deutsch-türkisch bzw. gemischt geführt wurden. Aus genau diesem Bereich entstammen die in den nächsten Kapiteln vorgestellten Transkripte, die ich unter lokal-funktionalen Gesichtspunkten, aber auch hinsichtlich der Begrenztheit dieser Perspektive diskutieren werde. 6 Für die Integration deutscher lexikalischer Elemente ins Türkische vgl. die Beispielsammlung in Tekinay (1982 und 1984); für das Niederländische Boeschoten/ Verhoeven (1985). Allgemein vgl. Muysken (2000). <?page no="57"?> „Zwei zu bir miydi? “ — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 57 3. Von der lokal-rhetorischen Interaktionslogik zum ‘Fuzzy Mix’: Keine Mischsprachigkeit ä la carte 3.1 Thematische und kontextuelle Kontraste Der folgende Ausschnitt ist einer Diskussion entnommen, in der Ercan (E) seinem Freund Hakan (H) etwas über den „Inititiativkreis“, einer Art Lemstatt für ‘ausländische’ Jugendliche, zu erklären versucht. Beide Jugendliche sind 16 Jahre alt und leben von Kind auf in Deutschland, beide besuchen die letzte Klasse der Hauptschule. Das Gespräch findet zu Hause bei H statt. (E-l ) Transkript „ Initiativkreis “ 01 H: Nerde bu Initiativkreis? Wo ist dieser I.? 02 E: Richtung Stadt böyle, ordern dümdüz gittigin zaman So in Richtung Stadt, wenn du von dort geradeaus gehst, 03 Königsplatz qikiyor kar.pna kommst du zum Königsplatz 04 H: Ja: : : : : : , ich weiß [(...) 05 E: [Kennst du schon? 06 H: Ja 07 E: Ja, ijte ordan tarn böyle hani o Initiativkreis tarn böyle Ja, genau von da, also der Initiativkreis kommt genau so 08 Mitteye geliyor. in der Mitte 09 O Einbahnstraße [m'n tarn M Mesinde böyle Von der Einbahnstraße so da genau in der Mitte 10 H: [Mhh 11 E: Or- [orda Dda 12 H: [Was is das füm Ding, so kolpingmäßig, oder? 13 E: Nein, nicht kolpingmäßig >{6öy/ e/ ehh}< Lernstudio, 14 saz kurslan, °so was halt“ (+) °ondan sonra° alles mögliche Sazkurse und dann noch alles mögliche H: Ja und was bringt des? 15 <?page no="58"?> 58 E: H: Volker Hinnenkamp 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 °Ja, die verdienen Geld“ Ja und #((lachend)) orda para kaybediyor yani # da verliert man also sein Geld E: Nnnnnn nich ganz ((0.6 Sek.)) H: Ne p-e yanyorl Wozu ist das gut? E: °Eh e Geld verdienen, Mann° H: Mann, du verstehst nich was ich meine E: Eh wie (h) wie yanf! also H: Onlar nigin gidiyor orayal Warum gehn die da hin? E: Kimler? Wer? H: Ja, o die Jugendlichen diese E: Die wollen was lernen H: Lemstudiomäßig {yani\(‘l) also E: Lemstudiomäßig (+) ja, alles mögliche, >ne ararsan var orda<, was immer du suchst, findest du da alles mögliche El: Cool (+) und nur Türken oder [so oder nur Ausländer? E: [Ähhh 0 Ja° + “ziemlich 0 Das Gespräch vereint eine Anzahl von gemischtsprachlichen Phänomenen. Sowohl im Deutschen als auch im Türkischen finden sich zudem wenn auch verhältnismäßig wenige umgangssprachliche (z.B. „nerde“ Z. 1; „nich“ Z. 18, 22) 7 und dialektale Elemente („des“ [dae: s], Z. 15); und im Deutschen auch typisch Jugendsprachliches („kolpingmäßig“ Z. 10, 11; „lemstudiomäßig“, Z. 28, 29; „cool“ Z. 31). Auffällig ist, dass der Anteil 7 ,Z.“ steht hier wie im Folgenden für „Zeile“. <?page no="59"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 59 Deutsch zu Türkisch in etwa 2: 1 ist. Allerdings packt eine agglutinierende Sprache wie das Türkische aufgrund der Suffigierung mehr Information in ein Wort. Weiterhin ist die Form der Sprachaltemation markant. Elf von dreißig Zeilen sind einsprachig deutsch, 4 bis 6 Zeilen sind einsprachig türkisch (je nach Zählweise). Sie sind zumeist kurz. Längere Sequenzen neigen eher zur Alternation. Es gibt zum Teil Dominanzen, wie Deutsch in Z. 12 oder Türkisch in Z. 17 oder 24. Doch bleibt der Mischstatus in einer solchen Betrachtungsweise rein formal und normativ. Einmal ist bei vielen Lexemen unklar, wie sie sprachlich gewertet werden sollen. Eigennamen wie „Initiativkreis“ und „Königsplatz“ fallen aus der Zählung heraus (Z. 1, 3, 7). Zum andern ist auch der Status von insertierten Lexemen wie „Mitte“ und „Einbahnstraße“ unklar (Z. 8 und 9), denn mit ihren Suffixen sind sie voll ins Türkische integriert. Obwohl der Äußerungsteil „O Einbahnstraße«/ « tarn Mittes/ We“ aus zwei deutschen Inhaltswörtem besteht, handelt es sich doch um ein genuin türkisches Syntagma, den Genitivpossessiv: (E-2) ,jener Einbahnstraße-GEN genau Mitte-POSS-FÜGEKONSONANT-LOK“ I I I I I I O -nin tarn -si -n- -de Wie wir sehen, ist jedes formale Herangehen nur eingeschränkt möglich. Schon die Transkriptionsweise, Deutsch recte. Türkisch kursiv, ist in dieser Hinsicht problematisch. Sie geht allein zuordnungstechnisch vor. Fruchtbarer ist der Blick auf Altemationsstellen, wie zwischen Z. 3 und 4, 11 (bzw. 7ff.) und 12, 16 und 17; oder die Frage, warum überhaupt in Z. 17 oder Z. 29 der Switch erfolgt. Zweisprachige Sprecher haben beide Sprachen als Ressource, können folglich beide einsetzen. Oft sind es Wortfindungsschwierigkeiten, mithin Kompetenzprobleme wenn man so will die Anlass bieten für das Ausweichen auf die andere Sprache. Dann gibt es solche bekannte Phänomene wie das Präferenzprinzip. Das findet sich immer dort, wo in der Sprache des Vorredners angeschlossen wird. Aber auch hier finden wir selten eine befriedigende Antwort. Ist „Richtung Stadt böyle“ der sprachadäquate Anschluss zu „bu Initiativkreis“ (Z. If.)? Wohl kaum. Tatsächlich wird die gesamte Sequenz darüber, wo sich der Initiativkreis befindet, vorwiegend in Türkisch ausgehandelt: <?page no="60"?> 60 Volker Hinnenkamp {E-3) 01 H: Nerde bu Initiativkreis? Wo ist dieser I.? 02 E: Richtung Stadt böyle, ordan dümdüz giltigln zaman So in Richtung Stadt, wenn du von dort geradeaus gehst, Königsplatz gikiyor kar$ma kommst du zum Königsplatz 03 [....] 07b E: i§te ordan tarn böyle hani o Initiativkreis tarn böyle Ja, genau von da, also der Initiativkreis kommt genau so 08 Mittete geliyor. in der Mitte 09 O Einbahnstraße! «/ « tarn Mhtesinde böyle Von der Einbahnstraße so da genau in der Mitte 10 H: [Mhh 11 E: Or- [orda Dda Diese Sequenz reicht bis Z. 11. Dann findet ein Sprachwechsel insofern statt, als dass die dominante Sprache der nächsten Sequenz Deutsch ist (Z. 12 bis 16). Die Sequenz (E-3) ist natürlich unvollständig, Z. 4 bis 7a fehlen: (E-4) 04 H: Ja: : : : : : , ich weiß [(...) 05 E: [Kennst du schon? 06 H: Ja 07a E: Ja ... Hier handelt es sich um eine eingeschobene Sequenz, in der H klar macht, dass ihm der „Inititiativkreis“ wohl doch schon bekannt ist. Sie bildet in gewisser Weise eine Opposition zu der Ortsbeschreibung des „Initiativkreises“: eine eigenständige Sequenz mit einer Art Rückweisung von E's Überexplizität (Z. 4), dessen Rückversicherungsfrage (Z. 5), H's Bestätigung (Z. 6) und der folgenden Rückbestätigung bzw. Ratifikation der Bestätigung (Z. 7a). Dann geht es in Türkisch zum Status quo ante zurück (ebenfalls in <?page no="61"?> „ Zwei zu bir miydi? “ ~ Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 61 Z. 7b). Diese Beschreibungssequenz endet in Z. 11. Haupt- und Nebensequenz sind nicht nur thematisch-hierarchisch und kontextuell getrennt, sondern auch sprachlich. 8 Auch in Z. 15ff. handelt es sich um eine Opposition, um Hs Widerspruch qua Hinterfragung (Z. 15), E's Antwort (Z. 16) und H's Entgegnung (Z. 17). (E-5) 15 H: Ja und was bringt des? 16 E: °Ja, die verdienen Geld“ 17 H: Ja und #((lachend)) orda para kaybediyor yani #. 18 E: Nnnnnn nich ganz. Bei seinem sanften Widerspruch (Z. 18) bleibt E jedoch in der von ihm gewählten Sprache. Das heißt, allein die oppositionelle Aussage „da verliert man also sein Geld“ (Z. 17) ist in der Kontrastsprache verfasst, die zusätzlich durch Lachen markiert ist, was sie auch modal in Kontrast setzt als uneigentlich, ironisch? 3.2 Im Dienste von Authentizität und Erzähltechnik Tatsächlich bieten Oppositionen formal, kontextuell und auch erzähltechnisch einen idealen Hintergrund fur Code-Switching. Dazu ein kleiner Ausschnitt mitten aus einer sehr langen, ausführlichen Stegreiferzählung unter Freunden. In dieser Sequenz erzählt Orhan, Student (O), wie er seinen alten Schulfreund Matthias zufällig am Flughafen München getroffen hat. Ayhan (A), ebenfalls Student, springt an einer Stelle der Erzählung kurz ein. {E-6) Transkript „ Matthias taucht auf“ 01 O: indim, Selda'yi anyom bahyom. Bin ausgestiegen, bin los nach Selda schauen 02 Bi baktim Matthias'; diyor hey kannsch du mi: mitnehmen? Auf einmal seh ich Matthias, sagt er 03 Isisn Freund von mir, mit dem ich früher inner Scheh Klasse war. Tatsächlich erhebt sich die Frage, ob H und E noch über die selbe Sache reden. H erfragt ja den beschriebenen Ort und gleichzeitig weist er die Beschreibung als schon bekannt zurück. Insofern kommt es zu einer Fehlrahmung der Kontexte. <?page no="62"?> 62 Volker Hinnenkamp 04 He: , kannschte mi: mitnehmen diyo, eh i hab niemand diyo sonst sagt er sagt er 05 muss ich mitmitm Dings (+) [mitm Bus oder mit der U-Bahn 06 A: [Bus fahren 07 O: Augsburg'« gelmem lazm diyo + fyi dedim, gel + baktm muss ich nach Augsburg fahren, sagt er. Gut hab ich gesagt, komm + hab ich geschaut 08 Selda da geldi, Selda'yi da aldim (+) Und dann hab I: gsehn und Selda ist auch gekommen, Selda hab ich auch mit genommen 09 Veli kommt auch (+) Wieder haben wir mehrere Switche, so in Z. 2, erneut in Z. 4 und in Z. 8. Aber uns wird deren lokaler Sinn schnell einsichtig. Die Erzählung an diesem Punkt hat die Erzählsprache Türkisch. Nun taucht Matthias auf. Matthias ist Deutscher, er spricht Deutsch. Seine Frage wird direkt wieder gegeben, eingeleitet mit dem türkischen Verbum dicendi „diyor“ (sagt er; Z. 2). Das ist praktisch. Der Sprachwechsel dient nicht nur der narrativen Authentizität, sondern schafft auch einen schönen Gegensatz in der episodischen Progression. Desgleichen in Z. 4 und 5: Matthias wird weiter zitiert, zweimal durch das umgangssprachliche „diyo“ (sagt er) unklammert. A macht diesen Sprachwechsel sofort mit. Sein Zuhilfeeilen in Z. 6 ist selbstverständlich in Deutsch, der aktuell und lokal vorgegebenen Sprache. Auch das Nichtzurückwechseln in Türkisch in der Teiläußerung Z. 3 ist lokal durchaus sinnvoll. Denn es ist nicht Teil der Hauptstoryline, sondern bildet wie schon im vorherigen Beispiel eine offline-Sequenz, die den Zuhörern Orhans Beziehung zu Matthias erläutert. Allein der Wechsel zurück ins Türkische in Z. 7 nach „Augsburg'«“, also nach dem angehängten Richtungssuffix, fügt sich nicht ein in die lokale Logik, schließlich ist es immer noch Matthias, der hier zitiert wird. Aber Übergänge sind nicht immer scharf markiert. Der Erzähler greift vor auf die Fortführung des narrativen Gerüsts und beschränkt damit seine grammatische Selektionsmöglichkeit: Indem er die Präposition „nach Augsburg“ unterschlägt, kann ein grammatisch korrekter Satz nur noch in postpositionaler Anbindung, eben Türkisch, weitergehen. Zudem schuldet er seinen zweisprachigen Zuhörern die Authentizität dessen, was er zu Matthias gesagt hat doch wohl auf Deutsch nicht mehr. Ein Indiz dafür, dass Orhan be- <?page no="63"?> "Zwei zu bir miydi? " - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 63 reits wieder mitten in der narrativen Progression ist, finden wir zudem im Tempuswechsel von Präsens {diyo sagt er) in die Erzählvergangenheit (dedim hab ich gesagt), wie er auch schon zwischen dem Wechsel in Z. 1 und 2 gegenüber Z. 3 stattfindet. Beim letzten Switch, in Z. 8, vom Türkischen ins Deutsche wird wiederum mit dem Auftauchen einer weiteren Person, Veli, eine stilistische Markierung gesetzt. - Insgesamt ein dramaturgisches Oszillieren zwischen Personen und Ereignissen. Das Fazit ist sicherlich einsichtig: Die Sprachaltemation der Beteiligten wird in den Dienst der Erzählung gestellt. 3.3 Inverse Oppositionsformate und andere Überraschungen: Vom Spielen mit Kontrasten Man wiegt sich jedoch in trügerischer Sicherheit, wenn man glaubt, dass intrasequenzielle Opposition und andere o.a. Muster immer einen Schlüssel zur Erklärung des Sprachaltemation bieten. Das nächste Beispiel ist das Transkript aus einem Gespräch, das mein Projektmitarbeiter an einer Bushaltestelle aufgezeichnet hat. Hier begegnen uns die beiden 15jährigen Jugendlichen Ferhat und Ahmet (F und A), die auf den Bus warten und dabei ein wenig über Busservice und Busfahrer lästern. (E- 7) Transkript „ Bushaltestelle “ 01 F: Otobüse binecekmiyiz? Werden wir in den Bus einsteigen? 02 A: #((lachend)) Ich weiß nicht# 03 F: °{Lan}° + bugün zaten ögretmen kizmijti bize Mann heute hat uns schon der Lehrer beschimpft 04 A: #((lachend und Luft einsaugend)) Echt oder? # 05 F: Bugün geg kalmijtim, otobüsü kagirmijtik Heute war ich spät dran, wir hatten den Bus verpasst 06 A: Ben de saat acht'ta geldim camiye, lan hehehehehehehehe Und ich kam um acht Uhr in die Moschee, Mann 07 F: He: : der Busfahrer ist (h)ein Sack hey 08 A: Hehehe valla: : : h hebe Echt oder 09 F: der kommt (h)der kommt immer zu spät he <?page no="64"?> 64 Volker Hinnenkamp 10 A: Otobüsün dolu olmasma gok gicik olyom hey Mann ge + voll Dass der Bus voll ist, nervt mich sehr 11 F: Ja welsch (+) girdik (h) {giri§/ giriyoz=§imdi} igeriye wir sind rein- {Einstieg/ wir steigen jetzt} da rein 12 A: [((lacht)) 13 F: [bibize ( ) (+) seid mal leise diyor ehh das regt mich auf hey zu uns sagt er 14 A: #((3 Sek. lachend, Worte verschluckend))(....)hohohohohehehehe 15 iyi mi? kötii mü? # ((saugt Luft ein)) Ist es gut oder ist es schlecht? (Ist das okey? ) 16 F: ((genervt)) Eh komm jetzt 17 A: ((beherrscht, mit tiefer Stimme)) Ya tamam burdayiz=lan Ja, wir sind hier, Mann (Alles okey, Mann) 18 F: Wo bleibt der Bus hey 19 ((1 Sekunde)) 20 A: Ya abi qekiyo »hasch immer noch was zu sagen, oder? « Hey, der Bruder ((er meint den Interviewer)) nimmt auf 21 F: (...) 22 ((2,5 Sek.)) 23 A: »Fenerbah^e 'nin en son durumu kagti, lan« Wie ist der letzte Stand bei Fenerbahge, Junge 24 F: Ich weiß net (+) ich glaub die ham verloren [(...) 25 A: [Zwei zu bir miydi? war es zwei zu eins? 26 F: Na (+) zwei zu-(+) zwei, glaub=ich 27 A: Unentschieden 28 F: Jaja Beide Sprachen werden in etwa gleich verwendet. Eine Zählung der sprachlich eindeutig zuweisbaren Wörter erbringt 50 türkische und 58 deutsche Wörter. Auch hier stoßen wir sowohl auf einsprachige als auch auf zweisprachige Sequenzen. Eine Sprachaltemation vom Typ „Sprecher 1 spricht die eine Sprache, Sprecher 2 die andere“ findet sich z.B. in Z. 1 bis 5 oder 6 bis 9. Nur Türkisch ist der Wortwechsel in Z. 5 und 6; (fast) nur Deutsch <?page no="65"?> „Zwei zu bir miydi? “ — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 65 sind die letzten Zeilen des Transkripts. Wir finden innerhalb einer Äußerung aber auch wieder typische Einwort-Insertionen wie „acht“ in Z. 6. In Z. 10, 11, 13, 20 und 25 findet der Switch innerhalb der jeweiligen Äußerung statt, der aber zumeist syntaktisch und funktional gut nachzuvollziehen ist. Nehmen wir z.B. Z. 13 (F: bibize ( ) (+) seid mal leise diyor ehh das regt mich auf hey), so wird deutlich, dass es sich einmal um die türkische Klammerung eines deutschen Zitats handelt und zum zweiten um die anschließende Kommentierung des zitierten Vorgangs, mithin um eine rhetorische und thematische Differenzierung mit Hilfe der beiden verwendeten Sprachen. Oder Z. 20 (A: Ya abi gekiyo »hasch immer noch was zu sagen, oder? «). Hier handelt es sich um eine Adressatenspezifizierung: Im türkischen Teil wird auf den türkischen Studenten Bezug genommen (in der 3. Person), der die Tonbandaufnahme macht, im deutschen schneller gesprochenen Teil wird Ferhat in der 2. Person angesprochen. Auch wenn nicht jeder Switch erklärbar ist, so fällt aber doch auf, dass er in der Regel an Phrasengrenzen [/ / ] stattfindet. Beispielhaft Z. 10: „Otobüsün dolu olmasina qok gicik olyom / / hey Mann ge + voll“ oder Z. 11 „Ja weisch (+) / / girdik (h) {giri§/ giriyoz=§imdi} igeriye“. Aber nicht jede der Altemationen hält sich an diese Grenzen: In Z. 25 „Zwei zu bir miydi? " (War es zwei zu eins? ) respektiert der Switch allein die Wortgrenze. Worin seine rhetorische Funktion liegt, bleibt obskur. Und wenn wir noch einmal die Sprachaltemation je nach Redebeitrag und Person betrachten, kommen weitere Rätsel auf: In den ersten fünf Sprecherwechseln des Transkripts stoßen wir offensichtlich auf eine unterschiedliche Sprachdominanz: Ferhat spricht Türkisch, Ahmet antwortet auf Deutsch. Dies verweist soweit vielleicht auf individuelle Sprachpräferenz oder korreliert mit dem Grad der (Un-)Sicherheit in der jeweiligen Sprache, wäre demnach also kompetenzbedingt. Aber schon beim folgenden Sprecherwechsel (Z. 6) wählt Ahmet Türkisch, lässt sich also auf die präferierte Wahl seines Mitstreiters ein. Nunmehr setzt Ferhat allerdings in Deutsch fort (Z. 7), auch in den folgenden Redebeiträgen (Z. 8 bis 10) wird dieses inverse Muster eingehalten, bevor beide Sprecher beide Sprachen innerhalb ihrer jeweiligen Äußerung verwenden (Z. 10, 11 und 13). Soweit haben wir also kein verlässliches Muster der Sprachenwahl zwischen den Äußerungsgrenzen entdecken können, es sei denn wir erheben die Maxime „Benutze nicht die Sprache deines Vorredners“ zu einem solchen zumindest gesprächspartweise gültigen - Muster. Dann hätten wir ein Muster entdeckt, das ebenfalls auf Oppo- <?page no="66"?> 66 Volker Hinnenkamp sition beruht, auf der sequenziellen Opposition der Sprecherbeitragsabfolge. Dahinter ist kaum narrative oder dramaturgische Logik auszumachen, mehr ein Spiel mit den Möglichkeiten oppositioneller Ressourcenhaftigkeit. Dennoch stellt sich hier die Frage nach der diskursiven Funktion. Handelt es sich um eine Inszenierung für den Aufnehmenden, auf den in Z. 20 angespielt wird? Doch dessen spezielles Interesse kannten sie zu dem Zeitpunkt noch nicht. Sollte es ihn vielleicht ausschließen? Doch war deutlich, dass der Interviewer ebenfalls deutsch-türkisch zweisprachig war. Was also führt die Jugendlichen dazu, das Gespräch in so vielerlei einsichtigen wie überraschenden - Weise Code-altemierend zu gestalten? 3.4 Vom großflächigen Alternieren zum Oszillieren: Über die sukzessive Zunahme der Mischdichte Wir stoßen auf weitere großflächigere Muster der Code-Alternierung, die sich mit kleinflächigen Mustern abwechseln. Die beiden folgenden Beispiele sind ein und derselben Erzählung entnommen. Die Schilderung „Unfall I“ stammt ziemlich vom Anfang der Erzählung; in „Unfall 11“ ca. 12 Minuten später sind wir Zuhörer einer dramatischen Wende. Gesprächsteilnehmer sind der 18-jährige Remzi (R) und die 15-jährige Yasemin (Y). Remzi kam im Alter von 8 Jahren nach Deutschland und befindet sich zur Zeit der Aufnahme in Ausbildung. Yasemin lebt seit ihrer Geburt in Deutschland; sie besucht das Gymnasium. Die beiden sitzen zu Hause bei Remzi, der Yasemin den genauen Hergang eines Autounfalls schildert, in den er indirekt mit verwickelt war. (E~8) Transkript „Unfall I“ 01 R: 4arkadapma gittim {bilyomusun} kaza yaptilar Ich war bei Freunden, weißt du, sie hatten einen Unfall 02 Y: Wo? 03 R: Bilmiyom. Hab i dir des nicht verzählt oder? Weiß ich nicht 04 Y: 0 Hayir° Nein 05 R: Ach so. Ich wa: r + halt mit (h) meim (h) Freund bissl unterwegs + <?page no="67"?> 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 ..Zweizu bir miydi? “ — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 67 »{und Aannlondan} dedikki arkadctjimiza gidelim dedik {deswegen} haben wir gemeint, wir gehen zu unserm Freund, kaza yaptik, [yer (? ) gegen cuma« wir hatten doch einen Unfall letzten Freitag Y: [Mh R: Ijte bir hafta oldu ya + camideydik (+) sonra ijte + bir iki So vor einer Woche + wir waren in der Moschee (+) und dann + eins zwei dort kisiydik dort arkadag Kenan, Tahir (+) ich und Ahmet + vier Leute waren wir, vier Freunde und dann sind dort zwei dazu kommen Taner'le Baki geldiler + Taner und Baki sind gekommen KatzbachWa oturuyorlar, ya{? ). Namazi küdiktan sonra camide die wohnen in Katzbach ne(? ). Nach dem Beten in der Moschee + kahve igmeye gidelim dediler bize + + lass uns doch einen Kaffee trinken gehen, haben sie uns gesagt + pepeki tamam. Neriye gidelim? (+(Lauenberg'e gidelim gugut, okey. Wohin gehen wir? (+) Fahren wir nach Lauenberg, »hani Taner orda« nijanlandi ya(? ) Taner ist doch dort verlobt, ne(? ) Y: Jaja eh eh in (h) zwei Autos oder in drei Autos? R: Iki arabayla, ia zwei Autos. Aber es war ja so: + wir ham bloß ein Mit zwei Autos Auto da gehabt. Bendeyayan gitmipim Camiye=Kenan'la Ich war zur Moschee gelaufen=Kenan Ahmet de sonradan geldi (+) Baki'le Taner de bir arabayla und Ahmet sind später gekommen (+) Baki und Taner waren wohl mit einem Auto gelmijler (+) karar verdik kahve iqmeye gekommen (+) wir haben beschlossen zum Kaffeetrinken gidicez Lauenberg'e. Qiktik camiden (+) sonra tabii bir araba var nach L. zu fahren. Wir sind aus der Moschee gekommen (+) dann hatten wir ein Auto alti kiji, sigmicatz bir arabaya (+) für sechs Personen, wir haben nicht alle reingepasst in ein Auto (+) <?page no="68"?> 68 Volker Hinnenkamp 23 ne yapahm edelim Tarier bana sordu was sollen wir also machen, Taner hat mich gefragt 24 araban burdami diyeyok evde dedim. Ahmet'e de sordu ob mein Auto dort sei, nein zu Hause, hab ich gesagt. Ahmet hat er auch 25 Ahmet'inki de Tiefgarage deydi + gefragt, Ahmets war in der Tiefgarage, hat er gemeint + 26 °ondan sonra° ben dedim beni eve atsin Baki arabayi ahp geliyim und dann hab ich gesagt, Baki soil mich zu Hause absetzen, ich hol mein 27 iki arabayla gidelim dedi{m} (+) Auto, dann können wir mit zwei Autos fahren, hat er {hab ich} gesagt (+) 28 Ahmet te aym Vorschia/ A: ; (+) söyledi (+) und die ham Ahmet hat den gleichen Vorschlag (+) gemacht (+) 29 abglehnt “{halt} 0 , weisch, die ham alle beide so Sportautos- 30 Y: Echt so [Zweisitzer? 31 R: [{Ja} 32 Ne ne scho Viersitzer aber so: + hohe PS-Zahl und so, weisch do 33 und so richtig Farbe 34 Y: Ama Taner'inki Zweisitzer degil mi? Aber, ist Taner seins kein Zweisitzer? Soweit der erste Ausschnitt vom Anfang der Unfall-Schilderung. R erzählt weitgehend in Türkisch, Y antwortet mal auf Deutsch, mal auf Türkisch. Die kurzen Beiträge entsprechen ihrer Rolle als Zuhörerin. Es gibt einige kurze, nachvollziehbare Altemierungssequenzen, die auch etwas über ungleich verteilte Sprachdominanz mitteilen. In Z. 16 erfolgt Y's Rückfrage in Deutsch, nicht in Türkisch. R geht darauf zunächst in Türkisch ein, wiederholt die Präpositionalphrase aber sogleich in Deutsch. Die Beantwortung der Frage erfolgt nunmehr in Deutsch, die Fortsetzung der Geschichte aber geht in Türkisch weiter: Jki arabayla, / / ja zwei Autos. Aber es war ja so: + wir ham bloß ein Auto da gehabt. / / Bende yayan gitmi.pim Camiye=Kenan'la Ahmet de sonradan geldi ....“. (Z. 17ff.). Eine weitere Sequenz erhärtet den Verdacht ungleich verteilter Kompetenzen: In Z. 28f. wechselt R in Deutsch ,ylhmet te aym Vorschlag (+) söyledi (+)/ / und die ham abglehnt “{halt}“, weisch, die ham alle beide so Sportautos-.“ Prompt lässt sich R just an dieser Stelle mit einer weiteren Nachfrage von Y in Deutsch unterbrechen (Z. 30): „Echt so Zweisitzer? “. Und selbstverständlich antwortet R in <?page no="69"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 69 Deutsch (Z 32f.): „Ne ne scho Viersitzer aber so: + hohe PS-Zahl und so, weisch do und so richtig Farbe.“ Fast scheint es, als ob R in Deutsch wechselt, um Y einen Redebeitrag zuzuspielen. Doch gleich in der nächsten Zeile kehrt sich dieses Muster um, wenn Y in Türkisch nachfragt: „Ama Taner'inki Zweisitzer degil mi? “ (Z. 34). Einige Muster des Code-Switching werden in dieser Weise einsichtig. Andere Beispiele stehen eben diesem Muster entgegen. Entscheidend in dem vorgestellten Ausschnitt ist allerdings, dass der Haupterzählstrang dominant in Türkisch wiedergegeben ist. Umso überraschender die Entwicklung der Erzählung hin zu einem dichten Oszillieren der Sprachen an einer Stelle, an dem die Unfalldramaturgie die Erzählung bestimmt, wie in folgendem Ausschnitt: (E-9) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 Transkript" Unfall II“ R: Ondan sonra o lafi bitmi§ (+) tarn o viraj gelince (+) hatta gmeint Und dann haben sie das Thema wohl beendet (+) genau in dem Moment wo die Kurve gekommen ist (+) durch den Nebel (+) dass da ne grade Strecke kommt, doch kei Kurve, grade Strecke. Dann ist er in der Kurve dimdirek voll geradeaus yoldan Qikti (+) agaca tjarptüar von der Straße abgekommen (+) sind in einen Baum, agaca garpmifar sind dann wohl in einen Baum gefahren Y: Esis da jemand verletzt worden? R: (h)arkadapn ikinci Wirbel/ hrddi eger üqüncü Wirbel der Freund hat sich den zweiten Wirbel gebrochen, wenn er den dritten Wirbel °wenns gebrochen wär, wär er normal tot° (+) 00 da wär er nicht mehr jetzt (h)unter uns 00 Y: Ehm, Beifahrer/ « yerindemi oturuyodu oder (h)was? Saß er auf dem Beifahrersitz R: Yo: , Ahmet, Ahmet arkada oturuyodu aber er hat sich nicht Ne, Ahmet, Ahmet saß hinten angeschnallt ghabt, er hat sein Gurt irgendwie nicht gefunden, weisch, wo wo so drauf gsteckt war irgendwie <?page no="70"?> 70 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Volker Hinnenkamp unterm Sitz versteckt (+) i weiß au net, hat es irgendwie net gefunden und dann nach dem Roller wo wiryol giderken (+) gefahren sind plötzlich warn sie weg + wir sind schnell hinterher, weischt du (+) aber wir sind dann schneller geworden hizh sürmege ba^ladi fing er an, schnell zu fahren yakahyalim onlan diye (+) ama yoklardi wohl um sie einzuholen (+) aber sie waren weg {ortadan} kaybolmu$lardi (+) nasd olduysa die waren dann irgendwie verschwunden (+) wie es auch passiert sein mag Y: Siz görmedinizmi onlann (h)[fiktigim Habt ihr nicht gesehen, dass sie von der Straße abgekommen sind + R: [Yo: direkmen giktigmi biz görmedik Ne, wie die genau von der Straße abgekommen sind haben wir nicht gesehn ondan sonra viraji biz yava§ döndük Toner biliyormu§ dass da (+) dann sind wir langsam in die Kurve gefahren, Taner wusste wohl scharfe [Kurve ist (+) Y: [Kurve R: und dann plötzlich ham wir alle sag tarafa baktik (+) Kenan, nach rechts geschaut Ahmet- Kenan, Taner und ich. Ondan sonra, das war wie im Und dann, Femsehn, weisch, wenn du so von Ralley-Autos Unfälle siehsch aym televizyondaki kazalar gibiydi (+) war genau wie die Unfälle im Fernsehen (+) bi baktik {karp-} alle blicken nach rechts haben geschaut {...} Y: §ey olmu^muydu überschlagen? War es Dings R: Yok, überhats nicht überschlagen (+) yapmami$lar=iyiki ondan Nein haben sie wohl nicht=zum Glück, önce iki agacm arasindan gefmidier iki agactan birine farpsalar vorher sind sie zwischen zwei Bäumen durchgefahren, wenn sie gegen einen der beiden gefahren wären, <?page no="71"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 71 33 zaten takla atalardi bilyomusun (+) ondan sonra hepimiz ham wir hätten sie sich sowieso überschlagen weißt du? (+) und dann wir alle 34 auf einmal nach rechts geschaut (+) wir sind alle voll blass 35 geworden °im Gesicht 0 ondan sonra Taner hat zurückgeschaut und dann 36 Kenan bakti Taner'e ben de ikisine bakiyom (+) Taner hat Kenan hat zu Taner geschaut und ich hab beide angeschaut (+) 37 gesagt °kazayapmi§lar°. Und dann hat er Vollbremsung eingelegt die haben einen Unfall gemacht 38 hemen arabayi park ettik kenara (+) wir sind aus dem Auto raus wir haben sofort das Auto geparkt am Straßenrand 39 gesprungen arabadan nasil qiktimizi bilmiyoz (+) yolu nasil geqtim wie wir aus dem Auto raus sind, wissen wir nicht (+) wie ich die Straße 40 karp tarafa kaza tarafin onu bilmiyon={eger} bi araba gehe überquert habe, wie zur Unfallstelle das weiß ich nicht= {wenn} ein Auto gekommen wäre 41 hätt es mich grad überfahrn. In diesem Gesprächsausschnitt wird 26 mal innerhalb einer Äußerung die Sprache geswitcht. Dabei werden integrierte Einwort-Switche (z.B. Z. 7, „Wirbel“, Z. 10 „Beifahrer“) nicht mitgezählt. Viermal wird zwischen den Sprecherbeiträgen deutsch-türkisch alterniert. Da es sich weitgehend um die Rollen Erzähler und Zuhörer handelt, fallen die Wechsel zwischen den Redebeiträgen entsprechend gering aus. Auch in diesen Sequenzen finden sich Code-Switches, die lokal und interaktionslogisch nachzuvollziehen sind, wie z.B. die Hervorhebung in Z. 36f. „Taner hat gesagt °kaza yapmijlar".“ Erstens hat es Taner wohl wirklich auf Türkisch gesagt, somit macht es das Zitat authentischer, und zweitens wird es gleich doppelt hervorgehoben: stimmlich leise und die Sprachwahl betreffend. Andere Passagen sind deutsch-türkisch gedoppelt: „aber wir sind dann schneller geworden hizh sürmege bajladi“ (Z. 17f); oder „das war wie im Femsehn, weisch, wenn du so von Ralley-Autos Unfälle siehsch aym televizyondaki kazalar gibiydi“ (Z. 26 bis 28). Verdopplungen dieser Art können stilistisch-rhetorisch bewertet werden oder sie beinhalten der zweisprachig schwächeren Partnerin gegenüber Konzessionen. <?page no="72"?> 72 Volker Hinnenkamp Einmal davon abgesehen, dass längst nicht alle Altemationen lokalfunktional plausibilisiert werden können, erklären solche lokalen, stilistischen und kompetenzorientierten Funktionszuschreibungen kaum die Zunahme an Switch- und Mischdichte - Sprachmischung als Gütekriterium einer Erzählung, sozusagen. Es läge nahe zu folgern, dass mit der Zunahme an Erzähldichte, an Dramaturgie, emotionaler Involviertheit von Erzähler und Zuhörerin auch die Sprachaltemationen zunehmen. Das vorliegende Dokument macht dies jedenfalls ziemlich evident. Wir erhalten damit Daten über den Variationsreichtum des Switchens von zweisprachigen Personen. Hierunter fällt natürlich auch die Dialektvariation, die in der Unfall- Erzählung vehement zu Tage tritt. Variation, sofern sie nicht willkürlich ist, ist immer auch ein Hinweis auf variable Kompetenz. Stilistisch-rhetorische, adressatenspezifische und metaphorische Sprachaltemationen sind wohl kaum als Ausdruck von bilingualen Kompetenzdefiziten zu sehen. Jedenfalls griffe eine solche Erklärung in weiten Teilen zu kurz. Formal handelt es sich um Altemationsformen, die sich zwischen Insertieren, Code-Switching und Code-Mixing hin und her bewegen. Es gibt Phasen der Aushandlung, der kontextuell relevanten und plausiblen Alternierung, und es gibt Phasen der zunehmend kleinflächiger und dichter werdenden Sprachwechsel. ‘Code-Oszillieren’ ist m.E. dafür eine passende Bezeichnung. Sie drückt aus, dass die Mischdichte oszilliert, dass sie zu- und auch wieder abnimmt. Dies ist zunächst eine rein formale Charakterisierung. Sie erklärt aber noch nicht, warum bei gleichbleibender Teilnehmerkonstellation in dieser differenzierten und variablen Weise alterniert bzw. gemischt wird. 3.6 Kompetenzanfordemngen kleinflächiger Altemationen Ein augenscheinlicher, aber oberflächlicher Grund liegt sicherlich in der ungleich verteilten Kompetenz der Sprachbeherrschung: Wenn ein Sprecher in der einen Sprache nicht weiter weiß, greift er auf die andere Sprache zurück. Indikatoren sind Unsicherheitssignale, Abbrüche, anderssprachige Wiederaufnahmen und Selbstkorrekturen. Aber die Kompetenzthese deckt offensichtlich längst nicht alle oder vielleicht auch nur wenige Mischphänomene ab. Warum sollte die bilinguale Kompetenz im Laufe eines Gesprächs schwanken? Sollte sie abhängig sein vom Grad der Emotionalität, der Involviertheit wie bei der Unfall-Schilderung? Wohl kaum. Denn der kognitive Aufwand bei bestimmten Altemierungsstellen erfordert nicht nur <?page no="73"?> „Zwei zu bir miydi? " - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 73 Kompetenz in den beiden Sprachen. Zur grammatisch korrekten, anschlussfähigen Fortführung gehört auch die Kompetenz des geregelten Wechselns inmitten einer Phrase oder einer Konstituente, wie in den schon bekannten Beispielen: (E-10) mit der U-Bahn Augsburg'« gelmem lazm diyo [mit der U-Bahn muss ich nach Augsburg fahren, sagt er] (E-ll) zwei zu bir miydi? [war es zwei zu eins? ] (E-12) wo wir vo/ giderken [wo wir gefahren sind] [wörtlich: als wir auf dem Weg waren] Solche Mischungen sind zahlreich. Sie auf Kompetenzdefizite zu reduzieren widerspräche der Empirie: Denn die Jugendlichen können die meisten Dinge, über die sie reden, auch einsprachig Deutsch und einsprachig Türkisch ausdrücken einmal abgesehen von den lebensweltlich relevanten Insertionen aus dem Deutschen ins Türkische (vgl. Tekinay 1982). Nehmen wir das Beispiel (E-13) Mathcögretmeni fok kompliziert [der Mathelehrer ist sehr kompliziert], so findet sich im gleichen Gespräch auch „Mathelehrer“ und „total kompliziert“. Oder: Warum drückt Ahmet in (E-l 1) den Spielstand halb Deutsch, halb Türkisch aus? Er könnte zweifelsohne auch „War's, zwei zu eins? “ fragen. Kompetenzdefizite sind keine hinreichende Erklärung für das Code- Mixing. Als Linguist ist man vielmehr bass erstaunt, warum zwei so extrem gegensätzliche Sprachen, wie die flektierende deutsche Sprache und die agglutinierende türkische Sprache, dennoch in so viel Elarmonie miteinander verknüpft werden können, ja sogar die zusammengesetzten Zeiten im Deutschen je nach Standpunkt deutsch-türkisch ‘aufgelöst’ oder neu komponiert werden, wie in dem Beispiel (E-9), Z. 25 : (E-14) plötzlich ham wir alle sag tarafa baktik zur rechten Seite geschaut (wir haben geschaut) Wer keine Übung hat im Switchen, wird solche mischsprachlichen Formen kaum zu Stande bringen. Denn Kompositionen dieser Art erfordern ja die Kombination unterschiedlicher Grammatiken, verlangen beispielsweise to- <?page no="74"?> 74 Volker Hinnenkamp pologische Antizipationen, um SXV und SVX kompatibel zu machen. Je kleinflächiger die Altemationen, umso komplexer die Kompatibilisierungsleistungen. 9 Die meisten der oben aufgefuhrten Beispiele sind en passant-Switches, oft Unikate. Zumeist taucht genau diese Form der Alternation nicht noch einmal auf. Aber es gibt auch eine Anzahl von mischsprachlichen Konventionalisierungen. Besonders augenfällig sind dabei die periphrastischen deutschtürkischen Verbkonstruktionen mit „yapmak“ (machen, tun), die auch schon andere Autoren untersucht haben (vgl. z.B. Backus 1992, 1996; Hayasi 1999; Pfaff 2000). Das Format lautet deutsch lNFINITIV + türkisch MACH- Suffigierung. 10 Dazu einige Beispiele aus meinem Gesprächskorpus: (E-15) Ötekini nach dem „welches“ einsetzen vaparsan. [Wenn du das andere nach dem „welches“ einsetzen würdest.] {E-16) Sizde neler benoten vapihvorl [Was wird bei euch benotet? ] (E-l 7) Physiklehrer erzähln yayti biliyormusun anlatti anlath. [P. hat erzählt, weißt du, hat erklärt und erklärt.] (E-l8) Niye bi sene stehen vaptf! [Warum ist es ein Jahr gestanden? ] (E-l9) Oraya bi-bi reintappen yaptim. [Ich bin da reingetappt.] (E-20) ben bugün Gras/ n- Grast; beißen vapim. [heute beiße ich vom Grasins Gras.] (E-21) Langzeitig denken vapivoruz. [Wir denken langzeitig.] 9 Diese These ist natürlich streitbar, da beispielsweise auch Türkisch als SXV-Sprache in der Umgangssprache den devrik cümle, den ‘verkehrten Satz’ mit Verbzweitstellung kennt (vgl. Erguvanli 1984 oder Veld 1993). Die Verbzweitstellung des AUX („ham“) in (E-14) steht somit nicht unbedingt im Widerspruch zum Türkischen. In (E-14) gibt es mit der Stellungskongruenz von Partizip im Deutschen und dem Verb im Türkischen in diesem Falle ohnehin kein Problem (allerdings erklärt dies noch nicht die deutsch-türkische Satzklammer „ham .... baktik“). Ein verwandtes Phänomen ist das der „kongruenten Lexikalisierung“: „a situation where the participating two languages share a grammatical structure which can be filled lexically with elements from either language“ (Muysken 2000, S. 6). Beispiele lexikalischer Kongmenz finden sich in (E-8), Z. 6. Allerdings erklärt dies natürlich keinen Switch wie (E-6), Z. 7. Insgesamt gesehen führt die Suche nach möglichen Kongruenzen zu systemlinguistischen „compromise strategies“, wie sie in Myers-Scottons Matrix Language Frame-Modell (1993) verstärkt aufgespürt werden und vernachlässigt den interaktionalen Aspekt. 10 Neben dem Verb yapmak wird gleichfalls etmek (machen, tun) für diese Konstruktion verwendet. Die w/ pwtA-Konstruklion ist in meinem Korpus aber wesentlich frequenter. <?page no="75"?> „ Zwei zu bir miydi? " - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 75 (E-22) Okey, kannst diskutieren vaparsin. [Okey, du kannst diskutieren.] (E-23) Bana diyo annähem vapamivosun öbürlerine [Zu mir sagt er, du kannst dich nicht annähern an die anderen.] Wie wir an den Beispielen sehen, erfordert diese Konstruktion ebenfalls die Harmonisierung zweier Grammatiken. In (E-21) ist die Wortstellung noch Türkisch, bedarf also trotz der lexikalischen Deutschdominanz einer türkischen XV-Positionierung. In (E-22) ist die Grammatik weder Deutsch noch Türkisch: Das Personalpronomen sofern es als realisiert erwartet wird steckt im Verbsuffix zu yapmak: yap-ar-SIN. Das Modalverb hingegen ist deutsch vorangestellt, obwohl es im Türkischen mit Possibilitiv-Suffix zu realisieren gewesen wäre: „Okey, diskutieren yap-a-5/ Z,-i>-sm.“ 3.7 Zwischenfazit: Grenzen der lokalen Erklärbarkeit von Sprachalternation In allen soweit angeführten längeren Exzerpten außer vielleicht in dem Ausschnitt (E-6) („Matthias taucht auf‘) finden sich unterschiedliche Formen der Alternation bzw. des Switchens neben- und ineinander: (1) (a) Das Sprachwechseln sowohl innerhalb einer Äußerung als auch beim Sprecherwechsel kann lokal, also an der jeweiligen Stelle seines Vorkommens, sozusagen gesprächsfunktional und interaktionslogisch oder stilistisch-rhetorisch nachvollzogen werden (ausgehandeltes oder indexikalisches Code-Switching). Die Form ist dabei nicht festgelegt. Doch korrespondiert sie in der Regel mit Phrasenstruktur- und Konstituentengrenzen und ist entsprechend großflächig. (1) (b) Aber auch kognitive und kompetenzbedingte Gründe (Reparaturen, Wortfmdungs- und Anschlussschwierigkeiten) können im Kleinen wie im Großen ausschlaggebend sein. In (E-24) (= (E-l), Z. 13f.) finden wir beispielsweise Hinweise auf solche Gründe: {E-24) Nein, nicht kolpingmäßig >{Z>öy/ e/ ehh}< Lemstudio, ähh saz kurslan, °so was half (+) °ondan sonra° alles mögliche. (1) (c) Schließlich finden sich bestimmte diskursive und adressatenspezifische Routinen und Klammem, sprachlich zumeist abgesetzt, deren Funktion ebenfalls als stilistisch-rhetorisch, aber auch als rituell bezeichnet werden kann, wie in (E-l) „Lemstudiomäßig yani“ (Z. 28) oder wie im folgenden Exzerpt aus einem hier nicht dokumentierten Gespräch (vgl. Hinnenkamp 2000a): <?page no="76"?> 76 Volker Hinnenkamp (E-25) E: Gegen tramvayda gidiyom, biliyonmu + bi tane oglan Letztens fahre ich in der Straßenbahn, weißt du + ein Junge das aibt's gar nicht (2) Es gibt das Alternieren, dessen lokaler Sinn nicht nachvollziehbar ist, das mithin nicht als ausgehandelt, indexikalisch, stilistisch-rhetorisch oder kompetenzbedingt erscheint. Formal impliziert dies Altemationen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Der Sprachwechsel von Sprecher zu Sprecher im Transkript „Bushaltestelle“, der sich streckenweise allein dem oppositionellen Muster „Sprich nicht in der Sprache deines Vorredners! “ zu fügen scheint, aber auch kleinflächigere, dichtere Altemationen, wie in der Unfall- Erzählung oder auch schon bei „Initiativkreis“ geben Zeugnis einer lokal wenig plausiblen Erklärung fur die Alternation. Schließlich fuhren die Alternationen zur Sprengung der unter (1) genannten Grenzen grammatischer Beschränkung, kreieren dabei auch neue und ganz eigenständige Formen. Hier sei ausdrücklich angemerkt, dass die Grenzen zwischen (1) und (2) nicht statisch sind. Natürlich unterliegt die jeweilige Subsumtion auch dem interpretativen und analytischen Geschick des Beobachters und Forschers bzw. der funktionalen und interaktionslogischen Plausibilisierung. Aber die grobe Kategorisiemng bleibt bestehen. Erhebt man nun den lokal bedeutungsvollen Sprachwechsel zum Kriterium für Code-Switching, handelt es sich bei (2) nicht mehr um Switchen. Demnach - und hier werde ich defmitorisch konstituiert sich Code-Switching durch die bedeutungsvolle Alternation von Codes (Sprachen, Varietäten, Textsorten, Stilen, Ausdrucksformen). Bedeutungsvoll heißt, dass die Unterscheidung von Code X und Code Y eine lokale Funktion hat und als Ressource für die fortlaufende Interaktion oder Interpretierbarkeit eines Textes genutzt werden kann. Die Alternation bietet im Hier und Jetzt der Interaktion Teil des Aushandlungspotenzials für den jeweils nächsten Schritt. Sie führen zu impliziten Fragen der Art „Wie ist der Switch zu verstehen? “, „Was bedeutet er für den Fortgang der Kommunikation“ oder „was für unsere momentane Beziehung? “ etc. Die Alternation mag in der Interaktion oder auch in einem Text als intertextueller und metapragmatischer Kommentar dienen: „Wamm ein Sprachwechsel an dieser Stelle? “, „Was bedeutet er für die weitere Interpretation? “, „In welchem Zusammenhang steht er zum vorherigen Text? “. <?page no="77"?> „Zwei zu bir miydi? " — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 77 Ist dieser lokale Sinn aufgehoben, müssen wir nach einem anderen Sinn, nach globalen Erklärungen für das Sprachaltemieren suchen (vgl. Swigart 1992; Auer 1998b, 1998c). Und hier besteht vielleicht auch eine semantische Korrelation zwischen formal zu differenzierenden Typen: Eine Differenzierung von Code-Switching und Code-Mixing ist nach formalen Gründen schwierig. Klein- und großflächige Wechsel bieten mithin kein Kriterium; gleichwohl nimmt die Dichte dort zu, wo lokale Erklärungen versagen. Dies ist aber nicht systematisch. Denn auch spielerische Oppositionsformate wie in (E-7) „Bushaltestelle“ operieren mit großflächigen Alternationen. Dennoch glaube ich, dass die Differenzierung von Code-Switching und Code- Mixing auf der Basis von primärer, lokal konstituierter Bedeutung und Relevanz und eben einer nicht solchen Bestand hat, sozusagen ein [+lokal relevant] versus [-lokal relevant]. Doch sind Oppositionen dieser Art immer problematisch. Denn was ist es dann, wenn wir es als [-lokal relevant] bezeichnen? Hier liegt die traditionelle Opposition von lokaler zu globaler Bedeutung nahe. Gleichzeitig handelt es sich bei einer solchen Opposition nur um eine plakative Kontrastierung; denn dass Gesellschaftlichkeit, mithin auch das ‘Globale’, in jedem Akt aufgewiesen werden muss, ist ja beispielsweise schon Programmatik einer Interaktionalen Soziolinguistik (vgl. Hinnenkamp 1989) oder einer funktional-pragmatischen Kommunikationsanalyse (z.B. Ehlich 1986). Bereits die Hintergründe der Möglichkeiten des Miteinander So-Sprechens und So- Sprechen-Könnens, wie es in den deutsch-türkisch mischsprachlichen Varietäten niedergelegt ist, impliziert die Verortung in den spezifischen migrationsgeschichtlichen Kontext und den etablierten Ausländer- und Fremdheitsdiskurs in Deutschland, ja ist Teil einer anderen Globalität, der Migration und Hybridität als Bestandteil der Eine-Welt-Globalisierung versteht. Somit ‘hängt’ das Globale im mehrfachen Sinn an jeder einzelnen Alternation, eben auch an jedem Code-Switch und auch schon an einem isolierten, an die Wand gesprayten „Wiva Italia“. 11 Eine letztliche Klarheit, eine Mischsprachigkeit ä Ja carte, wie ich es in der Überschrift nenne, erhalten wir nicht, vielmehr haben wir es formal mit undeutlichen Grenzen zu tun, mit Fuzzyness, wie es in der Semantik heißt. 11 ‘Global’ (in Opposition zu ‘lokal’) transzendiert hier, soweit sollte deutlich geworden sein, die Auffassung von ‘Globalität’ als formal nur ‘hierarchisch höhere Ebenen der Interaktion’. Die Grenzen zwischen interaktionslogischer Verfasstheit auf der ‘lokalen’ Ebene und äußeren Vorgaben (Strukturen etc.) ist ohnenhin nicht immer greifbar. Vgl. meine Diskussion zu brought along und brought about (Hinnenkamp 1987). <?page no="78"?> 78 Volker Hinnenkamp 3.8 Virtuose Mixturen: Von Sprachspielen und Spielen mit der Normativität der Sprache 3.8.1 Alltagspoetische Sprachspielereien als polylinguale Ressource Doch zurück zur Welt der Sprachoszillationen und ihrer Fuzzyness. Im nächsten Gesprächsausschnitt wird der Code-Mixing-Aspekt besonders deutlich werden. Hier werden wir sehen, wie die zweisprachige Kompetenz bei Sprachspielereien und Stegreifdichtungen als Ressource genutzt wird, aber auch wie das Bewusstsein und die Orientierung an Normativität mit ihrer gleichzeitigen spielerischen Aushöhlung quasi antithetisch einher geht. In der folgenden transkribierten Szene ‘hängen’ die drei 15bis 16-jährigen Jugendlichen Mehmet, Ugur und Kamil in einem Selbstbedienungsladen in ihrem Nachbarschaftsviertel herum. Die drei Jugendlichen kaufen sich Krapfen und albern herum. Schließlich verschluckt sich Mehmet, Kamil klopft ihm kräftig auf den Rücken und wünscht seinem Freund ironisch „Guten Appetit“. Dieser kleine Vorspann geht noch mit weiteren guten Wünschen bis Z. 5. (E-26) Transkript" Gangster " 01 K: Afiyet[olsun Guten Appetit 02 M: [((Husten)) 03 M: Afiyetle beraber olsm Guten Appetit miteinander 04 U: Geber Verreck! 05 K: Afiyet §eker olsun Zuckersüßen Appetit 06 ((2 Sek.)) 07 U: Stirb langsam 08 M: hahaha + bilde (+) kaseti a(V/ =„stirb langsam“ yuzryor Bei uns hat er die Kassette angemacht, da steht „stirb langsam“ drauf 09 #((in Lachen übergehend))t/ -Ggwr „sitirb langsam“ okuyor hahaha# U- Ugur liest „sitirb langsam“ <?page no="79"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 79 10 #((Lachen geht ca. 6 Sek. weiter, K und U lachen mit)) 11 M: ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha [ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha# 12 K: #((Aus dem Lachen heraus)) [Stirb langsam ( ) 13 {sitirb/ stirb} langsam, {Alter}# 14 U: {°... 0 } 15 M: ((aus dem Lachen heraus)) Bak orda neyaziyor, Ei-gang hahaha Schau, was da steht, Ei-gang 16 (+) {EiA4y}Gang 17 U: Ei{n}gang 18 K: Nerde bunun {oyt/ Ei-t} Wo ist hier {der Mond/ das Ei} 19 M: He? 20 K.: Nerde bunun {ayi/ Ei-i} Wo ist {der Mond/ das Ei} 21 M: ((hüstelnd, in Lachen übergehend)) eh [eh ha ha ha 22 K: [{4y-/ Ei-}Gäng 23 M: Dogru lern Stimmt Mann 24 U: Nerde bunun {ayilE\-}oglum Wo ist dessen {Mond/ Ei} mein Junge 25 M: Yoa: + #((betont gedehnt)) *ay-yin-gang*# (+) ay{r}gang haha ya Nö 26 #((engl. Aussprache)) ein geyn zwei geyn# 27 U: Ayimn Gang-r (+) hihihi Der Gang des Bären 28 K: Eingang (+) Zweigang 29 ((0,5 Sek.)) 30 M: [ha! 31 U: [{Weiter/ zweiter} Gang 32 K: {°... 0 } 33 M: Dün nefümleri vardi? Was für Filme gab es gestern? <?page no="80"?> 80 Volker Hinnenkamp 34 U: Dün mü? Gestern? 35 K: Saale baksana Schau mal auf die Uhr Die für uns interessante Episode beginnt nach der zweisekündigen Pause, die Ugur mit „Stirb langsam“ einleitet (Z. 7). Ugur kommentiert damit immer noch Mehmets Hustenanfall. „Stirb langsam“ erinnert Mehmet an eine Episode, bei der Ugur den gleichlautenden Titel eines Videofdms als „Sitirb langsam“ ausgesprochen habe. Mehmets Schilderung führt zu lautem Gelächter (Z. 8-13). 12 Noch aus dem Lachen über die Falschaussprache heraus lenkt Mehmet die Aufmerksamkeit seiner Freunde auf ein Schild im Laden, auf dem einmal in einzelnen Lettern EINGANG geklebt stand, bei dem sich aber das erste „N“ gelöst hat und nur noch „EI GANG“ zu lesen ist (Z. 15). Dies führt die drei zu einem kurzen, schnellen und effektiven Wortspiel, das mit Hilfe von Transkription und sprachlichen Zuordnungen allerdings nicht mehr authentisch wiedergegeben werden kann. Die ganze Episode von Z. 15 bis Z. 31 oder 32 ist nun der Polyfunktionalität und den Assoziationen dieser kleinen trunkierten Vorsilbe gewidmet, die im Deutschen natürlich auf das „Ei“ anspielt und im Türkischen auf „ay den Mond bzw. den Monat, oder erweitert um den türkischen Laut [I] auf den Bären (ayi). Nun wird beim Sprachalternieren der Jugendlichen so sehr gemischt, dass es keinerlei Restriktionen gibt, türkische Endungen an deutsche Wortstämme oder Grundformen zu hängen, wie wir bei einigen der zitierten Beispiele ja sehen konnten. Das heißt aber für das folgende Spiel, dass alle möglichen deutsch-türkischen Kombinationen bei diesen Zusammenfügungen mit gedacht werden können. So kann aus dem deutschen „Eigang“, respektive „eieriger Gang“ genau so schnell ein türkisch-deutscher ,yly Gang“ werden, also übersetzt ein „Mondgang“. 12 Was könnte witzig daran sein? Ugurs vorgebliche Realisation von „stirb“ als „sitirb“ spielt an auf eine hoch stigmatisierte Gastarbeiterdeutsch-Aussprache von Konsonantengruppen, die aufgelöst wird durch sogenannte Sprossvokale, da das Türkische solcherlei Konsonanten-Cluster nicht kennt. In der Linguistik nennt man dies Epenthesis. Zweitens wird damit auch das deutsche [i] zum türkischen [I] entspannt und drittens fällt natürlich die schibilante Augsburger Aussprache „schtirb“ fort. Es bleibt unklar, ob allein Ugurs defekte Aussprache Grund für die Belustigung ist oder ob damit auf eine bestimmte Rollenkonstellation in der Gruppe oder Ähnliches angespielt wird. <?page no="81"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 81 Aus diesem multiplen Verständnis heraus erfolgt auch sofort Kamils Nachfrage berede bunun ayi/ E\-i “ (Z. 18) und dessen Wiederholung (Z. 19), was Mehmet nunmehr mit Lachen goutiert und Kamil zu einer weiteren Variante veranlasst: „4>VEi Gäng“ (Z. 22). Kamil variiert also "/ ty/ Ei Gang“ zu ,^/ Ei Gäng“. Die der deutschen Orthografie angenäherte Schreibweise ist hier allerdings unvollständig. Denn Kamils Aussprache [al gasq] macht deutlich, dass er hier genauso gut eine dritte Sprache, Englisch oder Amerikanisch, ins Spiel bringen könnte. Auch der zuvor gehänselte Ugur tritt nun ins Wortspiel ein (Z. 24), wobei nicht ganz klar ist, ob er hier schon partizipiert oder noch fragend hintenan ist. Auch Mehmet, der das Spiel eröffnet hat, klinkt sich hier mit einer weiteren Variante ein (Z. 25 und 26): Mehmet spricht nunmehr das vollständige deutsche Wort mit wieder eingefugtem „n“ ganz in Türkisch aus, dabei dehnt er das Wort und macht quasi einen Dreisilber daraus, sogleich gefolgt vom ursprünglich deutsch-türkischen "ay(i) gang“ und als ob diese beiden Varianten ihm keine Befriedigung verschafften nimmt er schließlich Kamils angloamerikanische Variante wieder auf, allerdings den ‘heavy accent’ eines deutsch sprechenden Amerikaners karikierend: [aln geln sval geln] (Z. 26). Die Intonationskurve verfolgt dabei in etwa das Muster ~ ~ ~ gleichzeitig verkünstelt sich Mehmets Stimme förmlich um eine ganze Tonlage nach oben. Mehmet generiert mit dieser Variante also zunächst einmal „gehen“, wenn auch amerikanisch ausgesprochen, aus „Gang“. Als Wortbildungsverfahren wird aus dem Nomen das Verb abgeleitet. Auf der paradigmatischen Ebene ersetzt er weiterhin „ein“ durch „zwei“ und stellt einem real existierenden deutschen Verb, eines, das zweifelsohne wiederum mehrere Lesarten ermöglicht, das Verb „zwei gehen“ zur Seite, das als Verbparallelismus zu „eingehen“ nicht existiert, aber durchaus als flektierte Verbalphrase „zwei (Personen etc.) gehen“ gelesen werden kann. Ugur ist nun gleichfalls voll dabei und wartet mit einer eigenen originären Lesart auf: Er bringt schließlich den Bären, ayi, ins Spiel (Z. 27), denn er verwendet eine vollständige türkische Genitivkonstruktion, wörtlich „des Bären sein Gang“, wobei dem Gang, in altbekannter Mischmanier das türkische Possessivsuffix angehängt wird: ayi-n-in Gang-i (vgl. auch (E-2)). Kamil fugt in Parallele und in Anschluss zu Mehmets amerikanischem Zweiklang einen weiteren hinzu (Z. 28), dem „Eingang“ den „Zweigang“ zur Seite stellend, was Ugur zu „Weitergang“ bzw. „zweiter Gang“ inspiriert. Als ob „Weitergang“ wörtlich zu nehmen sei, eröffnet Mehmet im nächsten (hörbaren) Zug ein ganz neues Thema (Z. 33). <?page no="82"?> 82 Volker Hinnenkamp Offensichtlich ist das virtuose Sprachspiel an diesem Punkt erschöpft. Tatsächlich war Ugurs letzter Beitrag ein rein deutsches, real existierendes Wort, weit genug entfernt vom Ausgangswort, um tatsächlich „weiter gehen“ zu können. Auf der folgenden Tafel ist die Abfolge des Spiels noch einmal in Übersicht dargestellt. Das Spiel dauert nur wenige Sekunden. (E-27) Synopse „ Gangster“ (Z. 15) Ei-gang (Z. 16) {Ei/ / 4j}Gang (Z. 17) Ei{n}gang (Z. 18) {ayi/ Ei-i} (Z. 20) {ayi/ Ex-i} (Z. 22) {Ty/ Ei}Gäng ((engl.? [al gaer)])) (Z. 24) bunnn {ayi/ E\-i} oglum (Z. 25) *ay-ym-g&ng* (Z. 25) qy{*}gang (Z. 26) #((engl. Akzent)) ein geyn zwei geyn# (([aln geln sval geln]; )) (Z. 27) ayimn Gang-; (Z. 28) Eingang (+) Zweigang (Z. 31) {Weiter/ zweiter} Gang Dass Kinder und Jugendliche mit Sprache spielen, sie testen, Worte verkehren und umdrehen, ist ein normaler Vorgang. Dass Mehmet, Kamil und Ugur dies in zwei Sprachen beherrschen, das Spielmaterial und die Mehrdeutigkeiten aus beiden Sprachen extrahieren und ausschöpfen, ist sicherlich das Privileg der Zweisprachigen. Mehmet, Kamil und Ugur sind Hauptschüler. Ihre Schullaufbahn ist nicht glänzend. In der Schule gelten sie als eher ‘halbsprachig’, wie das Vokabular des schulinstitutionellen Ausländerdiskurses es ausdrückt. Dass die Jugendlichen allerdings ein sehr hohes sprachliches Reflexionsniveau besitzen, wird ebenfalls deutlich. Die Stigmatisierung von Ugurs Gastarbeiterdeutsch-Aussprache zeugt von einem hohen normativen Sprachbewusstsein. Die Jugendlichen sprechen diese Variante selbst nicht und wo doch, wird diese unter Umständen als lächerlich gegeißelt (aber s.u.). Dieses normative Bewusstsein zeigt sich auch im Umgang mit dem defekten EINGANG. <?page no="83"?> "Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 83 Zum Spiel gehören Wortableitungen, Konversionen, paradigmatische Ersetzungen, Parallelismen und immerzu Mehrdeutigkeiten, die den Grad, die Möglichkeiten und Vieldeutigkeiten der Zweisprachigkeit immer mit einzubeziehen wissen. Spiele dieser Art sind häufig, nicht nur bei Mehmet und seinen Freunden. An anderer Stelle wird mit dem Namen „Wolfgang“ gespielt. In zusammenfassender Darstellung ergibt sich folgende Sequenz: {E-28) „ Wolfgang“ Wolfgang adi Wolfgang Wolfgang Wolf«« oglu Molf Wolfgang Wolf«« oglu Wolfgang Wolfgang Wolf«« oglu in Wolfsburg Adam drei mal Wolf oldu Doppelwolf Ama Wolfsburg'ofcr oynuyor Wolfgang oynuyor ama wo wo Wolfgang sein Name ist Wolfgang Wolfgang Wolf sein Sohn Molf Wolfgang Wolf sein Sohn Molfgang Wolfgang Wolf sein Sohn in Wolfsburg Der Mensch war dreimal Wolf Doppelwolf Aber er spielt in Wolfsburg Wolfgang spielt aber wo wo Neben dem alliterativen Spiel mit „o“ ist auch die bilabiale Anlautvariante „M“ (Wolfww oglu Molt) auffällig. Sie stellt ein typisches Reduplikationsmuster im Türkischen dar (z.B. „Wolfgang Molfgang“ für „Wolfgang et cetera“, „und so“), das hier aber in expressiv-poetischer Funktion eingesetzt wird. Bei einer anderen Gelegenheit beispielsweise wird aus hava (Wetter, Luft) der rhythmische Abzählvers ,Jlir sana bi hava/ bir sana bi hava “ („Einen für dich, einen in die Luft/ Einen für dich, einen in die Luft“), was zur ,flava Ana“, der „Mutter Eva“, führt, um dann schließlich ganz profan in „Elavanna Zigarre“ übergeleitet zu werden. Ich nenne diese Spiele und andere Performances „virtuos“, weil in ihnen zum Einen die poetische Funktion im Vordergrund steht. Das teilen sie zweifelsohne mit der Spontanpoesie und den Wortspielereien anderer Kinder und Jugendlicher. Erstaunlich ist darüber hinaus, dass diese konkret-poetischen <?page no="84"?> 84 Volker Hinnenkamp Sprachspielereien all die ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen und Varietäten souverän als Ressource ihrer Mischsprache nutzen. Dabei kommen neben den umgangsprachlichen und dialektalen Anklängen auch stilisierte Elemente des Gastarbeitersdeutschs ihrer Eltern- oder Großeltemgeneration zum Zuge eine Varietät, mit der sich als antinormativer Maßstab aus der autonomen Position ihrer jetzigen Verortung karikierend, aber auch wiederaneignerisch, spielen lässt. 13 Die Sprachspieler stellen dabei ein hohes normatives Bewusstsein aus über Sprache und Varietäten, bis hin zum Wissen über Wortbildungsprozesse. In anderen Zusammenhängen würde man ihnen ein hohes Niveau an Sprachreflexion und Sprachbewusstheit attestieren. 3.8.2 Stilisierung als (Anti-)Normativitäts-Spiele Die Verwendung von „Gastarbeiterdeutsch“ (s.u.) als Teil des mischsprachlichen Repertoires nimmt dabei eine eigenständige Rolle ein. Der Rekurs auf diese Varietät im vorherigen, aber auch im nächsten Transkript fungiert in mehrfacher Hinsicht als Zitat: Zum Einen bildet diese Varietät die den Migranten von der Mehrheitsgesellschaft zugeschriebene Sprache ab, nämlich das Gastarbeiterdeutsch, das sie oder die Eltemgeneration wirklich zum Teil sprechen oder sprachen, bzw. dessen sekundäre Gebrauchsweise, den interaktiven oder zitierten, karikierenden, stilisierenden Foreigner Talk, wie er von den nativen Sprechern benutzt wurde und wird (vgl. Hinnenkamp 1982, 1989). Zum Andern nimmt die zitative Verwendung von „Gastarbeiterdeutsch“-Elementen in Anspielung auf dessen Antinormativität gerade auch Bezug auf die dahinter stehende Normativität als vorherrschenden Maßstab durch die Mehrheitsgesellschaft ein Maßstab, der zum tertium comparationis eines allzeit greifbaren formalen Distinktions- und Diskriminierungsgrunds erhoben worden ist (Hinnenkamp 1980, 1989). Sich diese Normverletzung zitierend-karikierend zu Eigen zu machen, kann somit auch als Wiederaneignung gedeutet werden. Denn obschon diese Normverletzungen den Migranten zugesprochen werden, geraten sie qua Stilisierung zu Karikaturen fremder, entliehener Stimmen und werden nun zu Spielmaterial innerhalb ihres eigenen Code-Repertoires. 14 13 Zur Stilisierung vgl. insbesondere die Arbeit von Rampton (1995); in diesem Band v.a. die Beiträge von Dirim und Keim. Siehe dazu auch die aufschlussreiche Magisterarbeit von Julia Eksner (2001). 14 Zur Stilisierung allg. vgl. Hinnenkamp/ Selting (1989); speziell zur norm-karikierenden Stilisierung der eigenen Identität vgl. Keim, in diesem Band. <?page no="85"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 85 Das wird auch im folgenden kleinen Transkriptausschnitt deutlich. Mehmet (Me) sitzt zusammen mit seinem Freund Kamil in seinem Zimmer. Die beiden hören leise Techno-Musik. Ebenfalls im Zimmer spielen Mehmets kleine Nichte und sein kleiner Neffe. Im Hintergrund hört man öfters die Stimme der Mutter (Mu). Schließlich kommt die Mutter zu Mehmet ins Zimmer, wo sich folgender kleiner Dialog entspinnt: (E-29) Transkript „ Wie-gehts “ 1 Mu: ((ihr Enkelkind rufend)): NEREDESiN GI: : : Zl Wo bist du, Mädchen? 2 ((1 Sek.)) 3 Mu: ((kommt ins Zimmer, zu ihrem Sohn gewandt)): WIE GE: : : : ST? 4 Me: NIXGU: AT 5 Mu: NIX GU: AT? 6 Me: ((holt Luft und nimmt das Kind)) O hopala° Mehmets Mutter spricht ihren Sohn nicht in Türkisch, sondern in einem extrem übertriebenen und lauten Gastarbeiterdeutsch an und vertauscht die beiden Konsonanten „t“ und „s“. Dabei sieht sie weder Mehmet noch Kamil an diesem Nachmittag zum ersten Mal, so dass es keinesfalls eine Begrüßung ihres Sohnes oder dessen Freundes darstellt. Mehmet antwortet in der gleichen extremen Weise. „NIX GU: AT“ ist als Antwort deshalb besonders gut geeignet, weil das hochstigmatisierte „nix“ darin vorkommt und seine Längung des Vokals und die Diphtongisierung so zu sagen einen normverletzenden Parallelismus zur Frage der Mutter darstellt. 15 Mit der Echo- Rückfrage der Mutter ist die Sequenz beendet. Es gibt keine weiteren Begründungsanschlüsse auf die Rückfrage der Mutter. Die Isolation, die deplatzierte Thematik und konditionelle Irrelevanzsetzung der Sequenz, bestehend aus drei Redebeiträgen, spricht für ein metaphorisches intertextuelles Sprachspiel zwischen Mutter und Sohn, in dem genau die oben beschriebene stilisierte Sprechweise zum Tragen kommt. Diese Varietät ist allgegenwärtig. Ihre uneigentliche Benutzung entbindet noch rituelle Floskeln ihrer Ritualität und Inhalte ihrer thematisch anbindenden 15 Man kann sowohl „nix" als auch das diphtongierte „guat“ als Anspielung auf das Bayrische betrachten. Damit käme eine weitere ‘reizvolle’ Mischung zu Stande. <?page no="86"?> 86 Volker Hinnenkamp Relevanzsetzung. Ihre Funktion ist allein phatisch: Ein Wir, das sich auch über die übertriebene, ja karikierende Verwendung fremdbestimmter Stimmen ihrer eigenen Eigentlichkeit rückversichert. 4. Diskussion Als das eine Motto meines Aufsatzes habe ich ein Zitat von Feridun Zaimoglu angeführt. Etwas ausführlicher schreibt er im Vorwort zu „Kanak Sprak“: „Die Wortgewalt des Kanaken drückt sich aus in einem herausgepressten, kurzatmigen und hybriden Gestammel ohne Punkt und Komma, mit willkürlich gesetzten Pausen und improvisierten Wendungen. Der Kanake spricht seine Muttersprache nur fehlerhaft, auch das »Alemanisch« ist ihm nur bedingt geläufig. Sein Sprachschatz setzt sich aus »verkauderwelschten« Vokabeln und Redewendungen zusammen, die so in keiner der beiden Sprachen Vorkommen“ (Zaimoglu 1995, S. 13). Mit ein paar kleinen Veränderungen könnte diese Beschreibung auch als die eines Rassisten durchgehen; Charakterisierungen wie „hybrides Gestammel“, „spricht seine Muttersprache nur fehlerhaft“ und „Sprachschatz ... aus »verkauderwelschten« Vokabeln“ entsprechen ganz der popularisierten Halbsprachigkeitsthese, die in den Köpfen von Erziehern und Administratoren immer noch gängig ist. 16 Die von Zaimoglu beschriebenen „Kanaken“ sind sicherlich nicht repräsentativ. Literatur obliegt auch nicht den Zwängen von Authentizität und Wahrhaftigkeit. Ethnografische Forschung schon eher. Aber mit und seit Zaimoglus literarischer Popularisierung wird das neue antimiserabilistische und jakobinische Selbstbewusstsein von Migranten beschworen und hervorgehoben. Bei Zaimoglu finden sich auch Textpassagen, die meinen Daten entsprechen. Aus „Abschaum“, Zaimoglus zweitem Prosawerk von 1997, ein Sprachmischungsexempel (S. 49): (E-30) „als du weg warst, hab ich mit Deniz, nem Türken, zusammengearbeitet. Denizle i$ yaptim, oda ibne süchtigw/ ,v. Der Typ war süchtig, bi here <; ektim, iki here qektim yarragi yedim. Ich hab einmal gezogen, zweimal gezogen, und dann voll erwischt, seit nem Monat bin ich süchtig, senin amma koyum dedim.“ 16 Es gibt ein Indiz, das allerdings die Quelle disambiguiert: Recherchiert man beispielsweise im Internet unter „Kanacke“, stößt man auf Neonazistisches und Rassistisches; bei „Kanake“ wird man fast nur im Bereich des Gegenmodell-Diskurses fündig. <?page no="87"?> „Zwei zu bir miydi? " - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 87 Zaimoglus Beschreibung wird der realen Sprechweise der Migrantenjugendlichen nur zum Teil gerecht (vgl. die ausführliche Diskussion dazu von Pfaff, in diesem Band). Seine literarisch eingefangenen Impressionen entsprechen dabei aber durchaus der Sichtweise der Jugendlichen, die diese Sprache in ihrem Alltag untereinander aktiv verwenden. Im Folgenden möchte ich, aufbauend auf der Selbstcharakterisierung der gemischten Sprechweise durch die Jugendlichen, vor allem deren Einbindung in Migrationsgeschichte und Einwanderungsgesellschaft in den Mittelpunkt stellen und sie dann anschließend in einen größeren gesellschaftlichen Diskurszusammenhang verorten. 4.1 „Gemischt sprechen“: Ein aktivischer Diskurs Die Jugendlichen, die ihre Codes in dieser Weise switchen und mischen, bezeichnen diese Sprechweise in den Interviews, die ich mit ihnen geführt habe, als „gemischt sprechen“ oder „kari§ik konu§mak“ (gemischt sprechen) oder „halb deutsch halb türkisch reden“. Einige meiner Augsburger Informanten nennen sie „yanm yamalak konujmak", was ungefähr so viel heißt, wie „halb geflickt sprechen“. Aber was immer sie dazu sagen, es fallen vor allem zwei Dinge ins Gewicht: 1) Sie geben dieser spezifischen Sprechweise einen Namen und sie grenzen sie somit in ihrem subjektiven Bewusstsein von anderen Varietäten oder gar anderen Sprachen ab. Eine Binnendifferenzierung nach Grad des Switchens und Mischens findet nicht statt. 2) Die Kennzeichnung, die die Jugendlichen für diese Varietät verwenden, drückt eine Aktivität aus: Sie bezeichnen sie nicht nominal als „Mischsprache“ oder „Flickwerk“, sondern sie antworten mit verba dicendi- Formulierungen wie „sprechen“, „komtjmak“ oder „reden“. Das heißt, indem sie gemischt sprechen, tun sie etwas, sind sie aktiv bei der Sache. 17 17 In der sich kritisch und antiethnizistisch formierenden Bewegung junger Migrantlnnen kursieren andere Selbstbezeichnungen, die zum Teil durch die Literatur Feridun Zaimoglus popularisiert worden sind (Zaitnoglu 1995, 1997, 1998). „Kanak Sprak“, auf dem xenophoben Schimpfwort „Kanaken“ beruhend, ist so eine Bezeichnung, die aber formal und semantisch umfassender (und auch gleichzeitig weniger) ist als „gemischt sprechen“ (vgl. auch Zaimoglus Vorwort in „Kanak Sprak“; vgl. auch Pfaff in diesem Band). „Kanak Sprak“ reflektiert und absorbiert die negativen Zuschreibungen genauso wie sie Ausdruck <?page no="88"?> 88 Volker Hinnenkamp Die Bedeutung dieser Form der aktivischen Selbstreferenz wird erst wirklich deutlich auf dem Hintergrund der Benennung der Sprache der Eltern und Großeltern dieser Jugendlichen. Diese sprachen „Gastarbeiterdeutsch“. Eine Varietätenkennzeichnung, die ihren Weg selbst in Hadumod Bußmanns „Lexikon der Sprachwissenschaft“ gefunden hat, wo wir ich erinnere nachlesen können: Gastarbeiterdeutsch ist eine „seit den 60er und 70er Jahren in Deutschland sich entwickelnde Pidginvariante, die durch parataktische Satzmuster, beschränkten Wortschatz, wenig Redundanz, Weglassen von Artikel, Präposition, Konjunktion und Verbflexion gekennzeichnet ist. Diese Merkmale besitzen generelle Verbreitung unabhängig von der jeweiligen Ausgangssprache“ (Bußmann 1983, S.157; 1990, S. 262f). Zur Vergegenwärtigung: Die Bezeichnung „Gastarbeiterdeutsch“ stammt nicht von ihren Sprechern und Sprecherinnen selbst, sie beinhaltet vielmehr die Fremdcharakterisierung und Fremdbezeichnung einer Sprachvariante, deren Hauptcharakteristikum auch nicht etwa in der Stützfunktion für Sprachnotsituationen gesehen wird, sondern in ihren defizitären Erscheinungen. Die Muttersprachen der Migranten, auch daran sei erinnert, tauchten in der deutschen linguistischen Diskussion so gut wie gar nicht auf. Und wenn, dann dienten sie als Interferenzspender für Fehler im Gastarbeiterdeutsch. Auch die Versuche der nachfolgenden Generation, Gastarbeiter- oder Ausländerkinder genannt, sich in zwei Sprachen, der Sprache und den Varietäten ihrer Eltern und der Sprache und den Varietäten ihrer deutschsprachigen Umgebung, zurechtzufmden, wurden oft durch „doppelseitige Halbsprachigkeit“ qualifiziert oder besser: abqualifiziert (vgl. Hinnenkamp 1990, 2000b, i.E.). 18 des neuen Selbstbewusstseins ist. Zur Karriere von „Kanak Sprak“ und aktuellen (und zunehmend jugendmodisch majorisierten) Anwendung vgl. Füglein (2001). Vgl. auch „Kanak Attak“, den organisierten antiethnizistischen „Zusammenschluss von Leuten über die Grenzen zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter ‘Identitäten’ hinweg“ (Kanak Attak 1999). Die in den späten 90er Jahren erschienene Zeitschrift „kauderzanca“ macht bereits im Titel von der Mischsprachigkeit Gebrauch: ‘Kauderwelsch’, und Türkisch ‘tarzanca’, wörtlich Tarzanisch, was für gebrochene, gemischte Sprechweise steht. 18 Hier geht es ausschließlich um die Rolle der Muttersprachen und der Zweisprachigkeit im alten bundesrepublikanischen Deutschland. Andernorts war die Diskussion wesentlich weiter, etwa hinsichtlich der amerikanisch-spanischen Zweisprachigkeit in den USA (vgl. z.B. die Arbeiten des Centro de Estudios Puertorriqueiios). Die Debatte um die Halbsprachigkeitsthese bzw. um den sog. Semilingualismus wurde in der Mitte der 80er Jahre international geführt. Vgl. z.B. Edelsky u.a. (1983) sowie Martin-Jones/ Romaine (1986). <?page no="89"?> „Zwei zu bir miydi? " — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 89 Keine dieser Bezeichnungen hatte ihren Ursprung unter den Sprechern und Sprecherinnen selbst. Sie wurden als solche von den professionellen Spezialisten und Spezialistinnen der Mehrheitensprache etikettiert, die sich damit auch unwillkürlich an dem ausländerpolitischen Diskurs zur Anders- und Fremdsprachigkeit beteiligten einem Diskurs, der wie 1998/ 99 in der Doppelpassdiskussion oder wie 2000 in der „Leitkultur“-Debatte als Gradmesser für Integration herhalten musste. Die Generation des „gemischt Sprechens“ hat sich diesen Namen allerdings selbst gegeben. Sie bedurfte keiner Fremdkategorisierung. Denn die Mehrheitsgesellschaft stellte nunmehr nur noch die Zuhörer. Sie sind ja nicht mehr die Adressaten. Mit Deutschsprachigen wird Deutsch gesprochen, mit Türkischsprachigen Türkisch und mit Zweisprachigen zweisprachig. Das sind die grundsätzlichen Optionen. Die Muster lauten „einsprachig deutsch“ oder „einsprachig türkisch“ oder „zweisprachig“ und „gemischt sprechen“. Natürlich ist ein solches Bild idealisiert. Wir sprechen nicht eine Sprache, sondern mit Mario Wandruszka (1979) gesagt: „Eine Sprache ist viele Sprachen“. Wir sprechen in Varietäten, in Stilen, Registern, Modalitäten und switchen zwischen all diesen hin und her. Das ist in allen zitierten Transkripten augenscheinlich. Es wäre auch blauäugig zu meinen, dass die genannten Optionen gleichzeitig immer auch „optimale Wahlen“ darstellen würden. Flier ist das Bild differenziert. Und wir finden Ungleichgewichtigkeiten in der Sprachdominanz, stoßen auch auf massive Ausdrucksschwächen. Wir können das sehr schön verfolgen, wenn innerhalb einer Gruppe die unterschiedlichen Dominanzen in rezipientenspezifischen Zuschnitten für die jeweiligen Kommunikationspartner zum Ausdruck kommen, also ein ausbalancierter virtuos „gemischt sprechender“ Partner je nach Adressaten seine Dominanz ändert, anderssprachige Wiederholungen oder Paraphrasen vornimmt, wie das beispielsweise bei der Unfall-Erzählung in (E-8) und (E-9) der Fall ist. In der deutschen Diskussion, vor allem in der Diskussion um die Sprache der Migranten und um die Schulsprachenpolitik ist die Halbsprachigkeitsthese immer ‘heiß’ geblieben, auch wenn in den letzten Jahren von Seiten der einschlägigen Wissenschaften kein Öl ins Feuer gegossen wurde. Diese These, das sei erinnert, stellt nicht allein fest, dass die Kinder in beiden Sprachen ‘schwach’ sind, sondern folgert daraus, dass entweder Deutsch vollständig im Vordergrund stehen muss oder die sog. Muttersprache. Dahinter verbergen sich essentialistisch-puristische Konzepte des Zusammenhangs von Sprache, Kognition und Identitätsbildung. <?page no="90"?> 90 Volker Hinnenkamp 4.2 „Gemischt sprechen“ als Ausdruck von Identität „Gemischt sprechen“ bildet nicht einfach eine Option unter anderen ab, sondern ist auch Ausdruck der ganz spezifischen Identität der Jugendlichen innerhalb des Migrationsprozesses. Die Jugendlichen wachsen unter polykulturellen und vielsprachigen Bedingungen auf und müssen für die Anforderungen, die sich aus diesen oft widersprüchlichen Konstellationen ergeben, auch ihre eigenen kommunikativen Lösungen finden. Würde man auf einen anderen im traditionellen Migrationsdiskurs bemühten Essentialismus zurückgreifen, der ähnlich wie bei Sprache oder Kultur von homogenen und allumfassenden Bestimmungsfaktoren ausgeht, dann könnte man sagen, dass die Migrantenjugendlichen, ähnlich wie sie eine gesplittete Sprache verwenden, damit auch ihre gesplittete Identität, ihre Zerrissenheit zwischen zwei unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Erziehungsstilen zum Ausdruck brächten. Einer solchen Argumentation unterliegt ein Identitätsbegriff, demzufolge man eine Identität hat, die man sucht und findet bzw. im Laufe seiner Sozialisation erwirbt. Identität ähnelt demnach "eine[m] fertigen Anzug, in den man nur noch hineinzuschlüpfen braucht und der einem passt oder nicht“ (di Luzio/ Auer 1986, S. 327). Diese Gespaltenheit gehört ebenfalls zu den beliebten Topoi einer laienhaften Ausländerpädagogik, die gerne als Argument für die Nichtintegriertheit der Migrantenjugendlichen angeführt wird (Diehm/ Radtke 1999). Mit einem interaktionistischen Identitätsbegriff, der Identitätskonstitution als einen permanenten Prozess ansieht, der in der Interaktion, vor allem in der sprachlichen Kommunikation stattfindet, kommen wir natürlich zu einem ganz anderen Schluss (vgl. Antaki/ Widdicombe 1998a). Somit hat man nicht Identität, sondern operiert, interagiert mit unterschiedlichen Identitäten, die untereinander und mit der Umwelt in kontinuierlicher Auseinandersetzung stehen. Diese Identitäten machen sich fest in Abgrenzung, z.B. gegenüber der Sprachverwendung von Seiten der Mehrheitsgesellschaft oder der Elterngeneration. Sie finden sich aufgehoben in „acts of identity“ (Le Page/ Tabouret-Keller 1985), in zumeist sprachlichen Handlungen, in denen ein sprachliches Kategorieninventar verwendet wird, wie der Umgang mit eigenen und fremden Typisierungen und Zuschreibungen, wie das Einfordem, Bestätigen und Abgrenzen von Zugehörigkeiten oder wie das Sicheinschließen oder Ausschließen in Gruppen und Mitgliedschaften. Identitätsakte machen diese und andere Kategorien der individuellen und sozialen Verortung in der Gesellschaft und in der Gruppe in einer bestimmten Weise relevant. <?page no="91"?> „Zwei zu bir miydi? “ — Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 91 Sie sind aber nicht widerspruchslos oder von Dauer, sie erhalten je nach Schauplatz einen anderen Wert; sie implizieren eine permanente Auseinandersetzung zwischen selbstgewählten und zugewiesenen Identitäten. „Gemischt sprechen“ ist die Ausdrucksweise einer transitionalen sozialen Identität. Sie stellt nicht sprachliche Elemente nebeneinander, sondern mischt sie auf, komponiert sie neu, entwickelt hybride Formen und füllt damit einen bislang semantisch unbestimmten und unbesetzten Raum. Sie reflektiert einen eigenen, exklusiven Weg mit Mitteln der Sprachenwahl, der Sprachenvermischung und Sprachenaneignung aus beiden ‘Sprachgemeinschaften’ und beiden ‘Kulturen’ sofern wir diese homogenisierende Vereinfachung aus plakativen Gründen für einen Moment einmal zulassen wollen. Sie konstruiert damit eine Identität, die gleichzeitig sowohl die zugeschriebene sei es von der Mehrheitsgesellschaft eingeforderte deutsche oder türkische Zugehörigkeit als auch die Identität als deklarierter Angehöriger einer ethnischen Minderheit adaptiert, diese dabei doch gleichzeitig demontiert und damit kreativ eine neue, eigenständige Identität konstruiert bzw. hinzufügt. Insofern stellt „gemischt sprechen“ einen eigenständigen hybridolektalen We-Code dar. , ' ) 4.3 Hybridität, Hybridolekt und „gemischt sprechen“ „Migrationsbedingte Veränderungsprozesse bringen sprachlich wie kulturell völlig neue Ausdrucksformen mit sich, die sowohl synkretischer als auch eigenständiger Natur sind. (...) Ob wir nun uns selbst, unsere eigene Sprache und unser eigenes Sprachverhalten in dieser Sprachkontaktsituation zum Gegenstand der Untersuchung machen oder problematischerweise das der Minderheiten: Wir stoßen dabei immer auf Zwitterhaftes, Unreines, auf hybridisierte Formen, die sich trivialer Dichotomisierung entziehen, und prägen ihnen unsere Definitionen und unsere Benennungen auf: Aus Lemersprache wird Halbdeutsch, aus Anderssprachigkeit wird Sprachdefizit, aus transitioneller Zweisprachigkeit wird Semilinguismus (...). Es sind die sprachlichen und kulturellen Synkretismen, Mischfonnen und Neuschöpfungen, die die volle Aufmerksamkeit von Linguisten und Anthropologen verl<( In der Diskussion globaler Funktionen des Code-Switchings wurde die jeweilige Sprachverwendung nur allzu gern entlang der Linien Ingroup - Outgroup! We-Code - They-Code geführt (vgl. Gumperz 1982). Wie wir sehen, ist diese Zuordnung komplexer (s. auch Sebba/ Wootton 1998; Hinnenkamp 2000a). <?page no="92"?> 92 Volker Hinnenkamp dienen. Was sich in manchen westeuropäischen industriellen Zentren seit den 50er Jahren durch die Arbeitsmigration bedingt abspielt, sind lebende Pidginisierungsprozesse in Aktion! Dabei soll und kann Pidginisierung nicht im kreolistisch-klassischen Sinne der Sprachmischung verstanden werden, sondern berührt über die verbalisierte Sprache hinausgehende Aspekte des Sprach- und Kulturkontaktes, und damit den Kontakt und die Vermittlung von unterschiedlichen und unterschiedlich zu interpretierenden und interpretierten Zeichen, angefangen bei kinetischen, proxemischen, gestischen und mimischen Mustern über Sprache bis hin zu textuellen und dekorativen Ausdrucksformen. Den Prozess und die Resultate des Kontaktes dieser semiotischen Muster und Formen, ihre bewusste wie unbewusste Wahrnehmung, Um- und Neuinterpretation, Integration oder Teilübemahme in den eigenen Sprach- und Interaktionskodex bezeichne ich als semiotische Pidginisierung, als MixosemiotikP Das habe ich 1983, also vor ca. 20 Jahren, geschrieben, in einem unveröffentlichten (weil unvollendetem) Paper über „Fragen zur Veränderung von Sprache und Sprachgebrauchsmustem durch Einwanderung“. Heute bieten sich für den oben beschriebenen Prozess der Sprachmischung vor allem die Begriffe der Hybridität und der Hybridisierung an. 20 Das heißt, als Ausdruck 20 Zugegebenmaßen regt sich bei mir auch ein gewisser Widerstand gegenüber Begriffen, die aus der artenspezifischen Vererbungsbiologie stammen. Die Karriere des Wortes „Hybridität“ ist vielfältig und wie meistens in der deutschen Sprache kennzeichnet die herkunftsnahe Schreibung es eindeutig als ein Fremdwort. „Hybrid“, so lesen wir im Großen Brockhaus, steht für „von zweierlei Herkunft, zwittrig“. In der Genetik bezeichnet Hybridisierung die „Bastardisierung“ bzw. die „Kreuzung“ (ibid.). Das Wort „Bastardisierung“ gibt einen Teil jenen Klangs wider, der mir auch den Gebrauch von Hybridität suspekt, dissonant erscheinen ließ für das, was er im neuen Hybriditätsdiskurs bedeuten soll. Sein biologistischer Beiklang schaffte in mir Assoziationen jener Kategorien, die mit den „Nürnberger Gesetzen zur Reinhaltung des deutschen Blutes“ ihren mörderischen Triumphzug hielten und neben dem „Volljuden“ den „Halbjuden“ und die „Mischlinge ersten Grades“ etc. kreierten, ln der Tat haben die Begriffe der Mischung und Vermischung, der Bastarde und Mischlinge, der Kreuzung und Bastardisierung bis heute vielerlei negative Assoziationen behalten und bilden eine Art Gegenpol zum Ideal der Reinheit. Franz Domseiffs Klassiker „Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“ verweist beispielsweise unter „rein“ sogleich auf „unvermischt“ und „schön“ (1970 (7. Aufl), S. 238). Der aktuelle, postmodeme Hybriditätsdiskurs hat aber nicht nur dem biologistisch-genetischen Reinheitsgebot ideologisch harte Schläge verpasst, sondern er hat auch selbst dazu beigetragen, den negativen Beiklang von Hybridität, von Kreuzung, von Vermischung und <?page no="93"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 93 eines migrationsbedingten Codes ist er verortbar innerhalb jenes trans- und interdisziplinären Wissenschaftsdiskurses, der sich kritisch mit essentialistischen, heteronomen und dependenziellen Positionen der Literatur, der Kultur, der Soziologie, der Sozialpsychologie und der Soziolinguistik auseinandersetzt. Vor allem lieb gewonnene Theoreme kolonialistischer Dependenz- und Modemisierungstheorien oder die Installierung eines Multikulturalismus, der auf der Fixierung von sprachlichen, kulturellen, identitären und ethnischen Gegensätzen basiert, geraten im Hybriditätsdiskurs in die ideologiekritische Dekonstruktion. 21 Es ist dieser Aspekt des Hybriditätsdiskurses, der mir für die nichtlokale, globale Bewertung der beschriebenen Mischsprachigkeit den Rahmen liefert. Mit dem Hybriditätsbegriff in den Textwissenschaften zu operieren, ist keineswegs neu. So verwendet ihn beispielsweise bereits Mikhail Bakhtin im Rahmen seines dialogischen Textansatzes (Bachtin 1981); oder der Kreolist Keith Whinnom entwarf ein quasi biologistisches Modell des Sprachkontakts, das er in primäre, sekundäre und tertiäre Hybridisierung aufgliederte (Whinnom 1971). Vor allem aber hat sich der Begriff in den sog. postkolonialistischen Literatur- und Kulturwissenschaften etabliert (vgl. beispielsweise die Anthologie von Bronfen/ Marius/ Steffen 1997; Garcia Canclinis kulturhistorische Arbeit 1992 oder Pratts ‘transkulturelle’ Literaturwissenschaft 1992). In einer modernen, sehr weiten und gleichzeitig verkürzten Definition ist alles "[h]ybrid..., was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder von Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Basteins zustandegekommen ist“, so Bronfen/ Marius (1997, S. 14). Damit ist der Begriff aber noch kaum diskurskonstitutiv. Hybridität betont zwar die oftmals unerwartete - Vermischung der sprachlichen und kulturellen Systeme. Das Hauptaugenmerk des Hybriditätsdiskurses zumindest einer Spielart richtet sich allerdings vor allem auf die re- Bastardisierung zu relativieren und ihn gar zu einem „love-song to our mongrel selves“ zu erhöhen, wie es Salman Rushdie einmal ausdrückte (Rushdie 1990). 21 Zur Problematik des Multikulturalismus für die Soziolinguistik siehe z.B. Hewitt (1994). Ein Aspekt der Kritik ist der der institutionalisierten Folklorisierung von kultureller und ethnischer Differenz. Young (1995, S. 5) merkt dazu an: "[t]he doctrine of multiculturalism encourages different groups to reify their individual and different identities at their most different, thus (....) encouraging extremist groups, who have become ‘representative’ because they have the most clearly discemibly different identity“. <?page no="94"?> 94 Volker Hinnenkamp aktive Entwicklung neuer sprachlicher, kultureller und identitärer Formen in der Auseinandersetzung mit der Mehrheits- oder der (Ex-)Kolonialgesellschaft. 22 Ein ‘Nährboden’ für solche Formen ist die urbane Migrationsgesellschaft, die sich als Ort fluktuierender sprachlicher Formen und Identitäten als Untersuchungsobjekt besonders eignet. Denn die sich hier entwickelnden Formen passen weder in das Bild ethnokultureller Folklore noch in das einer integrativen Akkulturation. Die Akteure, die in den polykulturellen und vielsprachigen Räumen groß werden, entwickeln in ihrem sprachlichen und kulturellen Ausdrucksverhalten spezifische Zwischenformen und Kreationen aus den ihnen zur Verfügung stehenden Codes. Neben dem Code-Switching, das vielen zwei- und mehrsprachigen Individuen und Gruppen eigen ist, sind es neue, eigenständige Mischformen, die an die Stelle juxtaponierter zweisprachiger Regelhaftigkeit treten. Sprachgemeinschaftsgrenzen heben sich gar auf im ‘Crossing’ (vgl. Dirim und Quist in diesem Band). Dabei sind es eben vor allem Migrantenjugendliche, die den sprachlich-kommunikativen Raum in dieser Weise ausfüllen, denn sie bilden einerseits eine Art intergenerative Nische innerhalb der Migranten und fungieren andererseits zugleich als eine Art Schaltstelle zwischen der eingewanderten Eltemgeneration und der etablierten Mehrheitsgesellschaft. Mittlerweile formen sie innerhalb der jugendlichen Konsumgesellschaft, vor allem im Bereich der Unterhaltungsmedien, sogar ein zunehmend eigenständiges Marktsegment. 23 Die mischsprachlichen Varietäten dieser Jugendlichen sind so habe ich versucht zu zeigen einerseits Ausdruck der sprachlichen Hybridität (im weiteren Sinn) vieler Jugendlicher andersethnischer Herkunft, die als 2. und 22 Terkessidis (1999) weist auf den doppelten Gebrauch des Hybriditätsbegriffs nachdrücklich hin: Nicht die modische, aufgemischte Beliebigkeit eines globalisierten Crossover ist Subjekt eines emanzipatorischen Hybriditätsdiskurses, sondern der Kampf der globalisierten und hegemonisierten Objekte um eine minoritäre Identitätsbildung ohne eine Abkopplung der Majorisierung durch die Mehrheitsgesellschaft, Exkolonialkultur etc., „vielmehr in den hegemonialen ‘Gegenbildem’ in den Identitätskonstruktionen der Kopftuchträgerinnen und der ‘Mehmets’“ (Terkessidis 1999, S. 246). („Mehmet“ ist ein in Deutschland geborener und sozialisierter jugendlicher Kleinkrimineller, der in die Türkei abgeschoben wurde.) 23 So wird die vorgebliche - Sprache der Migrantenjugendlichen etwa im Bereich der Stilbildung in der nicht-ethnischen Jugendszene adaptiert und hat bereits die Vermarktungssektoren von Kino, Comedy und populärer Musik erreicht. Das erfolgreiche Comedy- Duo Stefan und Erkan geben Zeugnis dafür (vgl. Keim/ Androutsopoulos 2000). Zur Verwendung der Sprache - „Kanak Sprak“ genannt siehe Füglein (2001). <?page no="95"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 95 3. Generation von Immigranten in Augsburg, Hamburg, Frankfurt oder Berlin und anderswo in Deutschland, Europa und der Welt groß geworden sind. Aber sie sind in ihrer nichtlokalen, mithin globalen Funktion andererseits auch konstitutiv für einen von ihnen selbst definierten emanzipatorischen Diskurs. 4.4 Fazit Ich habe versucht zu zeigen, dass die Migrantenjugendlichen, die in den polykulturellen und vielsprachigen Räumen groß werden, in ihrem sprachlichen Ausdrucksverhalten spezifische Zwischenformen und Kreationen aus den ihnen zur Verfügung stehenden Codes entwickeln. Diese zweisprachigen und zweisprachig gemischten Konversationen der Migrantenjugendlichen stellen nicht allein ein Code-Switching im Sinne juxtaponierter Regelhaftigkeit und lokal-funktionaler Indexikalität dar. Es handelt sich vielmehr um einen hybriden Code, um ein Oszillieren zweier Sprachen, immerfort sowohl die eine Sprache als auch die andere präsentierend, aber gleichzeitig doch etwas eigenes, drittes konstituierend: nämlich „gemischt sprechen“, „kan$ik konu^mak“, „yanm yamalak konu§mak“, „kauderzawca“ und ähnliches. Es handelt sich mithin um einen Sprachcode aus eigenem Recht heraus (vgl. auch Swigart 1992; Meeuwis/ Blommaert 1998). Diese Mischsprache fungiert wie ein Spiegel der historischen, sozialen, kulturellen und linguistischen Bedingungen, unter denen diese Jugendlichen groß werden. Historisch bieten sie eine konterkarierende Antwort auf die Integrationsanforderungen der Mehrheitsgesellschaft: Deutsch zu beherrschen und gleichzeitig „türkische (oder eine andere ethnische) Identität“ und „türkische Kultur“ bewahren zu dürfen. Soziolinguistisch reagieren die Jugendlichen mit einer Gruppensprache, einem JVe-Code, der wiederum beides, Defizit und Kompetenz, vor allem aber Differenz, Eigenes und Autonomie in sich trägt, der folglich nach mehreren Seiten ausschließt, sowohl zur Eltemgeneration als auch insbesondere und vor allem zur Mehrheitsgesellschaft, der aber wiederum gleichzeitig beide Seiten integriert in einem autonomen Code, die ‘Spendersprachen’ um ein Wort aus der Anfangszeit der Kreolistik zu leihen verzerrt und umdeutet. Hier kommt Kobena Mercers Zitat zum Tragen, das ich diesem Aufsatz als Motto vorangestellt habe: Across a whole range of cultural forms there is a ‘syncretic’ dynamic which critically appropriates elements from the mastercodes of the dominant culture and ‘creolises’ them, disarticulating given signs and re-articulating their symbolic meaning otherwise. The subversive force of this hybridizing ten- <?page no="96"?> 96 Volker Hinnenkamp dency is most apparent at the level of language itself where creoles, patois and Black English decentre, destabilise and camivalise the linguistic domination of‘English’. (Mercer 1988, S. 57) Mercer hat dies in Bezug auf „black film practice“ geschrieben. In einem verallgemeinerten Sinn trifft es im gleichen Maße auf andere „mastercodes“ zu, so dass Englisch durch andere dominante Sprachen und Herrschaftscodes ersetzt werden kann. Der von den Jugendlichen verwendete Hybridolekt impliziert somit eine Art migrationsgeschichtlichen Rückkopplungseffekt auf diesen „mastercode“, stellt eine Wiederaneignung, Re-Kontextualisierung und Re-Appropriierung eines fremdoktroyierten Diskurses dar. Insofern sind die Jugendlichen, ist ihr Code mit all den genannten Implikationen Teil des Hybriditätsdiskurses. Noch eine letzte Anmerkung über die methodischen (und auch pädagogischen) Implikationen des Hybriditätsdiskurses: Die Wahrnehmung (und Estimierung) ist auf Vielfalt und Kreativität gerichtet, auf die Möglichkeiten der Kombination und Fusion widersprüchlicher Codes zu einem neuen Code als originäre Lösung. Der Rückgriff auf die vielen Herkünfte und die vielen Sprachen wird zum hybriden Ressourcenreichtum und beschreibt somit auch neue Formen kommunikativer Kompetenz. Folglich ändert sich das Bild der Problemträger, folglich gibt es keine vordergründige Trennung in der Sprachverwendung, bei der sich die Codes entweder der Mehrheit oder der Minderheit zuordnen lassen. Schließlich ändert sich die Adressatengruppe der Sprach- und Kommunikationsproblematik: Die sprachlich-kommunikative Lage der Migranten wird nicht mehr kritisiert oder bedauert und der Kompensation verschrieben, sondern sie postuliert eine Sensibilität gegenüber der Vielfalt, dem Ressourcenreichtum und der Kreativität. Der Hybriditätsdiskurs offeriert somit einen anderen Blickwinkel als den der Mehrheitsgesellschaft und den der ‘alten’ fachwissenschaftlichen Hypothesen, die beschränkt bleiben auf die Problemperspektive, auf die Fixierung ‘mitgebrachter’ ethnokultureller Differenzen, die einem tertium comparationis unterliegen, das Vielfalt zwar folkloristisch feiert, aber doch gleichzeitig gesellschaftliche Integration als formalen Akt der sprachlichen und kulturellen Anpassung versteht. Mein Anliegen war es, im Rahmen der skizzierten Methodologie und einer Anzahl von Beispielen zu veranschaulichen, wie wir anhand der empirischen Textbefunde des Sprachaltemierens am Beispiel des Code-Switchens und Code-Mischens von Migrantenjugendlichen zur Erkenntnis über die Entstehung neuer autonom bestimmter Diskurse in der multikulturellen Gesell- <?page no="97"?> „Zwei zu bir miydi? “ - Mischsprachliche Varietäten von Migrantenjugendlichen 97 schaft gelangen. Die jugendlichen Mischer füllen dabei einen eigenständigen, soweit unbesetzten semantischen Raum in der Gesellschaft aus und verstehen es, alle ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen, kulturellen und identitären Angebote auszuschöpfen; sie eignen sich schließlich auch solche an, die ihnen vorenthalten worden sind. Nicht zwischen den Stühlen sitzen sie, nicht halbsprachig sind sie, sondern um dieses schlichte Bild weiter zu bemühen sie sitzen gleichsam auf mehreren Stühlen, partizipieren an mehreren Sprachen. - Sicherlich ein vereinfachtes Bild, das aber den entstehenden Gegendiskurs plakativ verdeutlicht. 5. Anhang Legende zu den im Text verwendeten Transkripten {? kommt} {fährt/ Pferd} (•...) (( )) #((Komm.)) dadada# wiesa: gt, sa: : : gt lanngsam, dasssss ein damit DAS °da° *ach was* >darüber< »darunter« + (+) (h) komfmen [da oglum mein Sohn unklar mögliche Hör- oder Interpretationsaltemativen unverständlich Kommentar, Außersprachliches, z.B. ((1,5 Sek.)), ((lachen)) Reichweite des Kommentars Äußerungsabbruch Vokallängung, Grad der Längung Halten des Konsonanten, je nach Intensität Assimilation von „einen“ zu „ein“ hervorgehoben, betont laut leise langsam schnell sehr schnell Pause, unter 1 Sekunde Mikropause, deutliches Absetzen Zögern (z.B. er (h)kommt) schneller Anschluss Überlappung und Ort der Überlappung Türkischer Text in Kursiva Übersetzungszeile <?page no="98"?> 98 Volker Hinnenkamp 6. Literatur Antaki, Charles/ Widdicombe, Sue (1998a): Identity as an achievement and as a tool, ln: AntakiAViddicombe (Hg.), S. 1-14. Anataki, Charles/ Widdicombe, Sue (Hg.) (1998b): Identity in Talk. London u.a. S. 1-14. Apeltauer, Emst (Hg.) (1987): Gesteuerter Zweitspracherwerb. München. Auer, Peter (Hg.) (1998a): Code-Switching in Conversation. Language, interaction and identity. London/ New York. Auer, Peter (1998b): Introduction: Bilingual Conversation revisited. In: Auer 1998a, S. 1-24. 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Während Code-Shifting, Code-Mixing und Code- Switching sich auf kontextgebundene Aktivitäten des Sprachgebrauchs beziehen, auf funktionale Strategien im kommunikativen Handeln, liegen in Abhängigkeit von unterschiedlichen methodischen Ansätzen verschiedene Bezeichnungen für die in der Kommunikation verwendete Varietät vor: Italiano di Contatto wird von Franceschini (1996) in Anbetracht der Problematik als Terminus eingeführt, dessen spezifische Erscheinungsform im Kontakt mit dem Deutschen demzufolge mit dem Etikett „italo-tedesco“ („tedesco-italiano“, „germanese“) versehen werden könnte. Lüdi zieht nach dem Modell der okzitanischen Linguistik Jangue“ hybride in Erwägung,' wie er bereits von Grassi (1981, S. 62) unter Bezug auf schriftliche Äußerungen gebraucht wurde "‘codice ibridato’, vale a dire lo ‘scambio’ molto intense tra le lingue e i dialetti conosciuti“). Pidgin wird hingegen in Bezug auf das interferierte Deutsch der 1. Einwanderergeneration verwendet. Während weitere Klassifizierungen (wie Interlanguage) von zielsprachlichen Normen ausgehen, kann unter anderen Aspekten vielmehr als Fragestellung ins Auge gefasst werden, ob sich in der 2. und 3. Einwanderergeneration eine neue Varietät ausbildet, die sich in der Weise in der Kommunikation manifestiert, dass ggf. neben Italienisch und neben Deutsch als dritte Varietät eine „Mischsprache“ gebraucht wird (vgl. zur Bezeichnung Interlangue Auer 1987, S. 62: „les enfants et les adolescents construisent d'une maniere tres i „II ne faut pourtant pas oublier qu'il existe, ä cöte des termes de parier bilingues et de marques transcodiques [...] plusieurs notions concurrencielles [...] ‘hybridisation’ ou de ‘formes hybrides de la communication’“ (Lüdi 1990, S. 130). <?page no="106"?> 106 Gabriele Birken-Silverman creative une interlangue“). 2 Diese Varietät wäre also ein Ausschnitt aus einem sprachlichen Kontinuum mit den Polen Italienisch und Deutsch. Im Folgenden soll unter hybrider Kommunikationsform daher eine nicht negativ konnotierte Form der Kommunikation verstanden werden, die sich durch das Mischen von sprachlichen Varietäten auszeichnet, ein Prozess, der als Code-Switching in Erscheinung tritt: „in cui due sistemi linguistici si compenetrano e altemano in vario modo anche all'intemo di un unico enunciate“ 3 (Franceschini 1996, S. 319). Legt man diesen Begriff von „hybrider Kommunikation“ zugrunde, so weisen hybride Kommunikationsformen grosso modo zwei Erscheinungsformen auf: 1) innersprachliche Variation zwischen verschiedenen Registern und kommunikativen Gattungen bzw. kommunikativen Mustern mit Manifestationen auf der lexikalischen, phonetischen, prosodischen und morphosyntaktischen Ebene, 4 2) übereinzelsprachliche Variation im Sinne von Code-Switching. Erste manifestiert sich 2 Vgl. dazu Lüdi (1987, S. 10): „Si on voulait bien admettre qu'il s'agit dün fait d'interlangue, il ne serait pas non plus permis d'interpreter simplement les marques transcodiques comme traces d'interferences, de transfers [sic] negatifs de la langue matemelle. La linguistique appliquee ne considere en effet plus les connaissances intermediaires des apprenants pour ainsi dire ‘negativement’ par rapport ä la langue-cible vers laquelle elles se meuvent ou par rapport ä la langue premiere comme source de transferts, mais aussi et surtout comme Systeme autonome.“ 3 Deutsch: „in dem sich zwei Sprachsysteme durchdringen und in verschiedener Art alternieren, auch innerhalb einer einzigen Äußerang“. 4 Berruto (1993, S. 31) wendet sich in Zusammenhang mit der Diskussion des italienischen Varietätenkontinuums zwar gegen die Annahme der Existenz von italienisch-dialektalen Zwischenformen {varietä di lingua intermediefra italiano e dialetlo, sistemi ibridi), räumt aber andererseits die Existenz von italienisch-dialektalen Mischvarietäten ein. Demzufolge kann nicht von hybriden Systemen gesprochen werden, wohl aber von einzelnen hybriden Erscheinungsformen. Zu der terminologischen Problematik der Begriffe „hybride“ und „Hybridisierung“ siehe auch Berruto (1989): „Nella letteratura sul tema e difficile trovare accordo specifico sul valore e sullütilizzazione dei termini ’ibridi’, ‘ibridazione’, e sul corrispondente ‘lingua mista’. Non raramente si tende a parlare di ibridazione e di lingua mista genericamente“ (S. 112) und „Nel contesto del presente inquadramento, va inoltre notato che si potrebbe parlare in senso lato di ibridazione anche per la produzione di enunciati con la grammatica (ivi compresa la fonologia) di una LI e il lessico di una L2; nella linguistica italiana, e questo il caso tipicamente di varietä da contatto di emigrazione“ (S. 113), ferner „Molto ricco di ibridismi e di fenomeni di compenetrazione fra italiano e dialetto sono spesso i comportamenti linguistici di emigrati italiani all'estero“ (S. 120, Anm. 22) mit explizitem Verweis auf das Konstanzer Migrationssprachenprojekt, auf das hier im Folgenden gleichfalls referiert wird (Auer 1983). <?page no="107"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 107 in besonderer Weise in der Kommunikationspraxis jugendlicher Sprechergruppen und gehört als spielerische Aktivierung kreativen Potenzials zu den ihre Sprache prägenden Merkmalen, während die zweite Erscheinungsform kennzeichnend für die Kommunikationspraxis in mehrsprachigen Gesellschaften sein kann. 1.2 Mehrsprachigkeit, jugendliche Sprechstile und kommunikative Gattungen: Desiderata der Forschung Die Untersuchung der Vielfalt der Möglichkeiten sprachlicher Ausdrucksformen, wie sie mittels Nutzung innersprachlicher und übereinzelsprachlicher Ressourcen mehrsprachigen jugendlichen Migranten zur Verfügung stehen, erscheint daher als ein Desiderat der Forschung im bundesrepublikanischen Kontext. Eine entsprechende empirische Analyse des Gesprächsverhaltens auf der theoretisch-methodischen Grundlage der Ethnografie des Sprechens beinhaltet die Integration folgender drei bislang nur ansatzweise und sehr selektiv behandelter sowie weitgehend unverbunden nebeneinander stehender Forschungsstränge: 1) kommunikatives Verhalten in Jugendgruppen, 2) Kommunikationspraxis in Migrantengruppen, 3) kommunikative Gattungen bzw. Muster. Ziel des folgenden Beitrags ist daher eine dementsprechende Untersuchung am Beispiel ausgewählter Gesprächsausschnitte einer italienischen Jugendclique in Mannheim. Hinsichtlich der Untersuchung jugendlicher Sprechstile liegt bislang nur eine begrenzte Anzahl detaillierter Analysen einzelner Gruppen innerhalb des zu berücksichtigenden breiten Spektrums vor, die zum einen überwiegend im einsprachig deutschen Kontext situiert sind, andererseits nur partiell spezifische kommunikative Gattungen und Muster an empirischem Material behandeln. Umgekehrt hat die kommunikative Gattungsforschung linguistischsoziologischer Prägung, wie sie in jüngerer Zeit auf der Basis des von Luckmann (1988) definierten Konzepts der communicative genres und unter Miteinbeziehung konversationsanalytischer Ansätze eine neue theoretischmethodologische Orientierung erfahren hat, mehrsprachige Formen bislang in sehr geringem Maße einer Betrachtung unterzogen. In Bezug auf die Untersuchung der Kommunikationspraxis von Migranten zeichnet sich nach einer ersten Phase der Konzentration auf die interferenzlinguistische Problematik der Zweisprachigkeit eine schwerpunktmäßige Ausrichtung zum <?page no="108"?> 108 Gabriele Birken-Silverman einen auf bestimmte Sprachgruppen ab, zum anderen auf spezifische Problemkomplexe: Code-Switching bei italienischen Gastarbeiterkindem unter Aussparung der Problematik jugendlicher Gruppensprechstile sowie die Kommunikationspraxis türkischer Jugendlicher mit besonderer Berücksichtigung kommunikativer Muster wie v.a. verbale Rituale. 1.3 Die untersuchte italienische Jugendgruppe 1.3.1 Soziologische Verortung Bei der untersuchten italienischen Jugendclique in Mannheim handelt es sich um eine Gruppe 12bis 19-Jähriger, die sich regelmäßig nachmittags in der städtischen Begegungsstätte Westliche Unterstadt treffen. Dieses Jugendzentrum wird entsprechend der Einwohnerstruktur des innerstädtischen Quartiers 5 vorwiegend von Türken, Italienern und Deutschen frequentiert, die zumeist gruppenspezifisch getrennt von den verschiedenen angebotenen Freizeitaktivitäten Gebrauch machen. Der harte Kern der italienischen Clique, deren Mitglieder in der näheren Umgebung oder benachbarten Stadtteilen (Jungbusch, Neckarstadt) wohnen, wird von aktiven und ehemaligen Breakdancem konstituiert. Die „Fische“ so die intern gebrauchte Eigenbezeichnung der Gruppe (siehe dazu Anm. 18 und Kap. 3.2 sowie 3.3) verbringen ihre Freizeit in einem Diskoraum beim Training: Giovanni (15), Pino (14), sein Cousin Daniele (12), ein weiterer z.Zt. der relevanten Sprachaufnahmen nicht anwesender Junge namens Flavio, Pinos Freundin Silvia (15), ferner als Nichtaktive deren gleichaltrige Freundinnen Claudia und Sonia, Pinos Schwester Mariangela (18), Paolo (19) und Carmelo (17). Die meisten besuchen die Haupt- oder Realschule, Paolo und Carmelo arbeiten als Koch. Danieles Mutter führt einen Frisörsalon. Aus einer ethnisch gemischten Ehe stammt als einzige Claudia, die bei der bereits seit ihrer frühesten Kindheit von dem türkischen Vater geschiedenen italienischen 5 1996 belief sich der Anteil der türkischen Wohnbevölkerung in der Westlichen Unterstadt und im benachbarten Jungbusch auf 21,9%, der italienischen auf 9,9%, der deutschen auf 46,4%. (Quelle: Ausländer in Mannheim, Statistische Daten/ Stand 12.96, herausgegeben vom Beauftragten für Ausländische Einwohner der Stadt Mannheim). Der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Bezirk Innenstadt/ Jungbusch umfasste zu 30,5% Türken, zu 12,0% Italiener und zu 35% Deutsche. Des Weiteren weist die Statistik in der Gruppe der 15bis 17-Jährigen exakt 27 italienische Jungen und 25 italienische Mädchen auf. (Quelle: Ausländerstatistik des Sozialamts der Stadt Mannheim, Sozialplanung 1996). Eine detaillierte ethnografische Stadtteilbeschreibung liefert Keim (1995b). <?page no="109"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 109 Mutter lebt. Eine soziologische Verortung der Mitglieder der italienischen Clique nach Handlungstypen Jugendlicher, die typische Kombinationen von Bewältigungs- und Verarbeitungsmustem der Basisstruktur jugendlicher Alltagswelten darstellen, erweist sich auch in sprachlicher Hinsicht als relevant, insofern als zum einen dominante Tendenzen, zum anderen Mischtypen vorliegen: grundsätzlich ist von einem familienorientierten Handlungstypus auszugehen, in dem die sizilianische Herkunftsfamilie das Bezugssystem darstellt. Im Hinblick auf die Freizeitgestaltung zeichnet sich dagegen ein maskulin orientierter Handlungstypus ab mit Aktivitäten außerhalb der Herkunftsfamilie, Aufbau eines männlichen „Kumpelnetzes“ und Interesse am anderen Geschlecht (vgl. Hurrelmann 1995, S. 360). Das Selbstverständnis der Gruppe definiert sich zum einen über die ethnische Abstammung als Italiener und Sizilianer sowie über die Freizeitaktivität des Breakdance zu Hip-Hop-Musik, verknüpft mit einzelnen öffentlichen Auftritten (z.B. anlässlich des Schulfests). Diese Kulturform kann als Quelle alternativer Identitätsbildung interpretiert werden, die mit Klassenunterschieden und Hierarchien spielt und sich durch Konkurrenz und Konfrontation auszeichnet. Wie Rose in ihrem Beitrag Ein Stil, mit dem keiner klar kommt. HipHop in der postindustriellen Stadt (1997) ausgeführt hat, bieten sich derart „örtlich begrenzte Identitäten für Teenager, die sich über die Zugangsbeschränkungen zu den traditionellen Wegen des gesellschaftlichen Statusgewinns bewusst sind.“ (S. 152). In der Hip-Hop-Szene verbinden sich die verschiedenen regionalen, postindustriellen Erfahrungen von Entfremdung, Arbeitslosigkeit, sozialer und ökonomischer Isolation mit spezifischen lokalen Ausprägungen in Sprache, Stil und Haltung. Der Einsatz kultureller und ästhetischer Ressourcen in der Hip-Hop-Gemeinschaft gestaltet sich als endloser Kampf, in dem es um Status, Prestige und Anerkennung in der Gruppe geht. Dabei erscheinen genau diese Elemente in den unten besprochenen Interaktionssequenzen belegt. 1.3.2 Sprachrepertoire Alle Jugendlichen sind in Deutschland aufgewachsen und haben Kenntnisse folgender sprachlicher Varietäten: 6 Deutsch als die präferierte und auch untereinander dominant verwendete Sprache in seiner dialektalen Mannheimer 6 Zu Details bezüglich der Kompetenz der Mitglieder der Jugendclique in den Kontaktsprachen, die sämtlich Interferenzen aufweisen, vgl. Birken-Silverman (1997a). <?page no="110"?> 110 Gabriele Birken-Silverman Variante (im Sinne einer tendenziell dialektal markierten Varietät) und in der Schule erworbenes Hochdeutsch, Italienisch mit mehr oder weniger stark süditalienischer Prägung aufgrund der sizilianischen Herkunft der Familien, sowie eine standardnahe Varietät, die im muttersprachlichen Unterricht von einigen erworben wurde. Von daher stehen vier Sprachvarietäten als Ressourcen zur Verfügung, 7 zwischen denen zudem geswitcht werden kann, 8 so 7 Zwischen standardsprachlicher und dialektaler Varietät des Italienischen gibt es keine kategorische Abgrenzung, sondern es handelt sich um Teile eines multidimensionalen Kontinuums: „nel repertorio vi sono due varietä, l'italiano standard e il dialetto locale, che appaiono adatte a costituire gli estremi del continuum, fra cui esistono varietä intermedie, ma e anche vero che le varietä afferenti all'italiano sembrano a tutt'oggi (nonostante tracce di fenomeni di ibridazione a metä fra italiano e dialetto) discrete rispetto a quelle afferenti al dialetto.“ (Berruto 1991, S. 29). Aufgrund der teilnehmenden Beobachtung und der subjektiven Angaben der Jugendlichen zu ihrem Sprachgebrauch ergeben sich folgende grobe Muster: 1) Gruppensprache ist das Deutsche, eine standardnahe Ausprägung mit dialektalem Einschlag. 2) In der Familie werden Deutsch und Italienisch (Standard und Dialekt) gesprochen. 3) Mit anderen Italienern (Lehrerin, Bekannte) wird ebenfalls Italienisch (Standard, Dialekt) und Deutsch gesprochen. Eine exakte Abgrenzung von italienischer Standardvarietät und dialektalen Varietäten (italiano regionale, dialetto locale) besteht bei den Jugendlichen nur eingeschränkt, begründet durch mangelnde Vermittlung des italienischen Standards, durch Aufweichung der Ortsmundarten bereits in der Generation der Eltern und schließlich durch das Problem des italienischen Standards an sich. In Bezug auf die Deutschkenntnisse der Gruppenmitglieder bestehen keine deutlichen Differenzen, während im Italienischen die Jungen über eine bessere dialektale Kompetenz zu verfugen scheinen als die Mädchen, die allerdings regressiv ist, während letzte aufgrund des Besuchs des muttersprachlichen Schulunterrichts im Vergleich zu den Jungen über bessere Standardkenntnisse verfügen. Frei von „Interferenzen“ bzw. einer „Norm“ entsprechend ist keine der von den Jugendlichen verwendeten Varietäten. Zur höchst eingeschränkten Relevanz dieses Musters als Parameter für die konkrete Interaktion vgl. Auer (1983, S. 90). 8 Zum Code-Switching zwischen italienischem Standard bzw. besser gesagt dessen sprechsprachlicher Ausprägung und Sizilianisch liegen etliche Studien mit dominant sprachstrukturell ausgerichtetem Ansatz aus der Perspektive der generativen Grammatik (und weniger mit funktional-stilistisch oder konversationsanalytisch ausgerichtetem Ansatz) vor. Stellvertretend sei auf die Arbeiten von Giacalone Ramat (1995) und Alfonzetti (1992) hingewiesen. Die Spezifik der italienischen Situation mit dem komplizierten Ver-hältnis zwischen Standard und Dialekt ist weder vergleichbar mit den norwegischen Verhältnissen, wie sie von Blom/ Gumperz (1972) beschrieben worden sind (vgl. dazu Giacalone Ramat 1995, S. 63, Fußnote 5), noch mit den deutschen Verhältnissen. Auers folgende Feststellung (1995, S. 117) deckt sich daher nicht mit der Auffassung italianistischer Arbeiten, sondern reflektiert germanistische Forschungsergebnisse: „Thus, a gradual transition from <?page no="111"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 111 dass hier ein umfangreiches Potenzial zur Befriedigung sprachlichkommunikativer Bedürfnisse vorliegt. Daran schließt sich die Frage an, in welcher Weise dieses Potenzial in der Gruppe symbolisch und interaktiv genutzt und kreativ gestaltend verwendet wird, das im Folgenden unter dem Aspekt des diskursbezogenen Switching im Rahmen eines bestimmten Aktivitätstypus (Frotzeln) dargestellt wird. Der in der Clique gesprochene Typus des Italiano di Contatto entspricht in dem von Franceschini aufgestellten Schema der Kontaktvarietäten der Stufe 3 mit bipolarer Orientierung, ausgerichtet auf die Endpunkte Deutsch und Italienisch, mit multifunktionalem Code-Switching, und kann als Tendenz zu Stufe 5 mit Orientamento libero („freie Ausrichtung“ und möglicher Kreation einer Ingroup-Varietät mit hybriden Formen) aufgefasst werden (vgl. Franceschini 1996). 1.4 Die Gesprächsaufzeichnungen Die Gesprächsaufzeichnungen 9 erfolgten im Rahmen einer Pilotstudie zu dem Projekt „Sprachvariation in der italienischen Migrantenkolonie in Mannheim“ im April/ Mai 1998. IU Die hier relevanten Gesprächssituationen sind als halbformell zu bezeichnen, also nicht rein gruppeninteme Interaktion. Nach mehrmaligen Treffen der deutschen Feldforscherin mit den Gruppenmitgliedem zwecks teilnehmender Beobachtung und Vorgesprächen fand eine der Aufnahmen im Gruppenübungsraum während einer Breakdancepause mit Giovanni, Pino und Daniele statt, also eine nur die männlichen Gruppenmitglieder umfassende Gesprächssituation, eine zweite am runden Tisch im Jugendcafe im Beisein der übrigen oben genannten Gruppenmitglieder, das heißt in geschlechtlich gemischter Gesprächssituation. Aufschlussreich ist im letzten Fall die von den Jugendlichen auch getrennt nach Geschlechtern eingenommene Sitzordnung: links der deutschen Gesprächspartnerin sitzen drei Jungen (Paolo, Pino und Daniele), neben ihnen drei Mädchen (Claudia, Sonia, Silvia), der Kreis schließt sich mit dem rechts von ihr sitdialect to Standard (‘style-shifting’) may be a very important interactional event, but it works differently from code-alternation and should not be confronted with it.“ ^ Das gesamte bei der Jugendclique aufgezeichnete Korpus umfasste 1998 73 Seiten und wird durch weitere Sprachaufnahmen kontinuierlich erweitert. Iü Zu dem Projekt, das seit 2000 unter dem Titel „Sprache italienischer Migranten in Mannheim: Intra- und interlinguale Variationsformen, Funktionen und Dynamik“ als Teil der Forschergruppe „Sprachvariation als kommunikative Praxis: Formale und funktionale Parameter“ von der DFG gefördert wird, siehe Birken-Silverman (2001), ferner die Arbeitspapiere Birken-Silverman (1997b) und (1998). <?page no="112"?> 112 Gabriele Birken-Silverman zenden Carmelo. Giovanni und Mariangela stehen seitlich hinter ihr. Von Relevanz ist die unterschiedliche Konstellation in den beiden Gesprächssituationen im vorliegenden Zusammenhang insofern, als im ersten Fall die männlichen Jugendlichen untereinander im Konkurrenzkampf scherzhaft ihre Wortgefechte austragen, während im zweiten Fall scherzhafte Kommunikation in hohem Maße auf Erfolg bei den Mädchen durch Belustigung der Gesprächsrunde zielt. Die zunächst auf Wunsch der Jugendlichen als Interview gestaltete intergenerationelle Gesprächssituation entwickelte jeweils subversive Tendenzen, insofern, als sich die Unterhaltung der Teilnehmer zunehmend verselbstständigte und schließlich die Interviewsituation zumindest teilweise in der Weise umgekehrt wurde, dass die Jugendlichen der Interviewerin Fragen stellten. Diese Rollenumkehrung führte daher zuweilen zur Auflösung in ein Gruppengespräch." Vereinbart wurde als Interaktionssprache Italienisch, wobei jedoch die Jugendlichen ständig zwischen allen vier verfügbaren Codes wechselten, und zwar die Jungen unter Einschluss dialektaler italienischer Varietäten im Gegensatz zu dem Sprachverhalten der Mädchen in den aufgenommenen Gesprächen mit weitestgehendem Ausschluss italienischer Dialekte. 12 Die daraus ableitbaren kommunikativen Muster gilt es zu eruieren. 1.5 Frotzelsequenzen Die hier zu analysierenden Gesprächsabschnitte" können als Frotzelsequenzen klassifiziert werden, wie sie u.a. von Günthner (1994, 1996), Nikitopoulos (1989) und Keim (1995a) im einsprachig deutschen Kontext (in letzteren Arbeiten unter Einschluss dialektaler Varietäten) unter Erwachsenen untersucht worden sind sowie von Schwitalla (1994) unter Mannheimer Jugendli- 11 Der Interaktionsmodus ist deshalb weder als „Interview“ im engsten Sinne (Frage-Antwort-Sequenzen) noch als „Alltagsgespräch“ eindeutig einzustufen, sondern als „interviewartiges Gespräch“ (vgl. die dem entsprechende Feststellung von Bierbach 1985, S. 147, Fußnote 1 zu den in intraethnischer Kommunikation aufgezeichneten Gesprächsmaterialien der Konstanzer Migrantenkinder). Zum Interviewstil siehe auch Uhmann (1989, S. 149): „Geht er [der Interviewer] nämlich auf die Befragung [durch die Interviewten] ein, ändert sich [...] der Interaktionsmodus und das Interview wird zum Alltagsgespräch [...].“ 12 Silvia erklärt indessen in einer Gesprächssituation mit einer anderen Freundin auf die Frage der Interviewerin: „E con lei parli tedesco, italiano o siciliano? “ („Und mit ihr sprichst du Deutsch, Italienisch oder Sizilianisch? “) „tutto misto“ („alles gemischt“). 13 Die Erläuterungen zur Transkriptionsweise sind am Schluss des Beitrags aufgefuhrt. <?page no="113"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 1 13 eben und von Augenstein (1998) in der Kommunikation zwischen deutschen Jugendlichen und Erwachsenen. Letzte weist explizit darauf hin, dass „die gesprächsstrukturierenden Aktivitäten der Modalitäts- und Textsortenkonstitution durch Jugendsprache [...] bisher in der Forschung kaum in den Blick gekommen [sind]“, so dass dieser Problemkomplex erst recht unter Einbeziehung der zusätzlichen Variablen zweisprachiger Konversation unter Jugendlichen nur relativ vereinzelt behandelt worden ist. Augenstein (1998, S. 160) definiert Frotzeln als „eine Interaktion, in der ein Partner Image-Verletzungen beim anderen hervorrufen kann, ohne dass dieser die Image-Verletzungen ernst nehmen darf. Sie gehören zum Spiel des Frotzelns, dessen Rahmen jedoch durch ritualisierte Handlungen gesichert werden muss“. Günthner (1994, S. 3) spricht von „einem Muster spielerischer Attacken mit spezifischen interaktiven Funktionen, das in den Grenzbereich zwischen Spiel und Emst fällt“. Dabei weist sie auf die Schwierigkeit einer exakten Trennung zwischen verwandten Formen scherzhafter Kommunikation explizit hin: „Aufgrund ihres Inszeniemngscharakters sind Frotzeleien eng verwandt mit verbalen „performance“-Aktivitäten (wie verbal duelling [...])“ (Günthner 1996, S. 85). Insbesondere stellt sich im vorliegenden Kontext die Frage nach der Abgrenzung gegenüber verbalen Duellen, da die Frotzelsequenzen sich durchaus auch als Beleidigungsduelle und wechselseitige Wortgefechte auffassen lassen, die nicht zuletzt die Rangordnung der einzelnen Gmppenmitglieder in Frage stellen bzw. festigen. Dabei handelt es sich in Beispiel 1 und 5 um den ältesten und beim Breakdance tonangebenden Giovanni, in Beispiel 2, 3 und 4 um die Stellung Pinos gegenüber den Mädchen, der allgemein über die dargestellten Gesprächsabschnitte hinaus ein gewisses „Imponiergehabe“ zur Schau stellt. Mit verbalen Duellen gemeinsam haben die aufgezeigten Gesprächsausschnitte den wettkämpferischen Charakter, während demgegenüber von einem Ritual nicht die Rede sein kann. Umgekehrt weist McDowell (1985, S. 204) auf eine Vielzahl von Übergangstypen des Verbal Duelling hin, die auf einem Kontinuum okkasioneller und festgelegter Formen angesiedelt werden können, u.a. gekennzeichnet durch ein kulturspezifisches Set von Topoi. Insofern könnte in Anbetracht der teils als Frotzeleien, teils als Wortgefechte auffassbaren Sequenzen auch stilistisch von einem hybriden Kommunikationsmuster gesprochen werden, ein Problemkomplex, der in Bezug auf die Untersuchung der Dynamik von Kommunikationsmustem generell ein Forschungsdesiderat darstellt (vgl. Günthner 1995, S. 6fi). Der- <?page no="114"?> 114 Gabriele Birken-Silverman artige spielerische Provokationen konstituieren ein herausragendes Merkmal der aufgezeichneten verbalen Interaktion unter den italienischen Jugendlichen. Inwieweit abgesehen von den sprachlichen und inhaltlichen Elementen originär italienische Strukturelemente der kommunikativen Muster vorliegen, könnte nur ein Vergleich mit entsprechenden Gesprächen in Italien aufzeigen, deren Untersuchung allerdings m.W. erst am Anfang steht. Jugendsprachliche Elemente italienischer Herkunft sind indessen in den vorliegenden Gesprächssequenzen weitestgehend auszuschließen, da in den süditalienischen Herkunftsdörfem aufgrund der Sozialstruktur (Großfamilien, rigorose Geschlechtertrennung der Jugendlichen) ein spezifischer Jugendsprechstil wohl fehlen dürfte (Radtke 1990, S. 63; 1993, S. 4). 14 Schließlich ist in den Interaktionssequenzen ein weiteres hybrides Merkmal enthalten, insofern als die Gesprächsbeteiligung der Feldforscherin eine intergenerationelle Kommunikationssituation bedingt und daher der ingroupspezifische Stil der Jugendgruppe und die Sprache der Erwachsenen zwei verschiedene, sich gegenseitig beeinflussende Komponenten konstituieren. Stilistisch und sprachlich hybride Erscheinungen werden im Folgenden daher als ein Komplex sozial bedeutungsvoller Einheiten ausschnittweise dokumentiert und ansatzweise analysiert als eine spezifische gruppen- und kulturgebundene Ausdrucksform. Letztlich richtet sich das Erkenntnisinteresse auf eine Fragestellung der interpretativen Soziolinguistik, wie sie im Zusammenhang mit Stil und Stilisierung bereits von Hinnenkamp/ Selting (1989) fokussiert worden ist: Wie gehen Sprecher und Sprecherinnen mit Sprachvariation um, indem sie durch die Auswahl sprachlicher Mittel Bedeutung konstruieren? Inwieweit sind ethnische Sprechstile eingebettet in eine andere „Gesamtkultur“ oder inwieweit stellen sie demgegenüber nur noch eine residuale Spur von kultureller Eigenheit dar oder inwieweit sind sie nur kulturelle Marker bestimmter Teilkulturen und damit nur eine Komponente im täglichen Code- und Kulturswitching? (Hinnenkamp 1989, S. 21f.). 14 Der Beginn einer fundierten Untersuchung der Sprechweisen Jugendlicher in Süditalien zeichnet sich mit einem Projekt Gabriella Kleins in Neapel ab (siehe dazu Klein/ Baiano 2001). <?page no="115"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 1 15 Ausgehend von Günthners Analyse kommunikativer Muster (1995) sind hier die folgenden Ebenen mit ihren Strukturmerkmalen relevant: 1. die Binnenstruktur, zu der die Wahl spezifischer sprachlicher Varietäten gehört, phonologische, prosodische, lexiko-semantische und morphosyntaktische Variation, stilistische und rhetorische Figuren, inhaltliche Verfestigungen; 2. die situative Realisierungsebene mit interaktiver Organisation der sprachlichen Handlungen (sequenzielle Organisation, Äußerungsformat, Teilnehmerstatus, unmittelbarer sozialer Kontext); und 3. die Außenstruktur, die die Beziehung zwischen den kommunikativen Handlungen und der Sozialstruktur (soziales Milieu, ethnische Gruppierung, Geschlechterkonstellation) beinhaltet. Demgegenüber werden von Müller in seiner Untersuchung der Formen der Markierung von ‘Spaß’ (1983) in Anlehnung an den konversationsanalytischen Ansatz von Kallmeyer/ Schütze (1976) fünf Analyseebenen angesetzt: Ebene der Gesprächsorganisation, Ebene der Handlungskonstitution mit Handlungsschemata, Ebene der Sachverhaltsschemata mit Darstellungsformen und deren Strukturmerkmalen, Ebene der Interaktionsmodalitäten, Ebene der Sozialbeziehungen mit den Sprecherrollen. Im Kontext mit Code- Switching wurde das Problem der Modalitätsmarkierung bereits von Auer (1983, S. 273) angesprochen, dessen allgemein gehaltene Feststellung zur Beziehung zwischen Wechsel der Tonart und Code-Switching an ausgewählten Kommunikationsmustern zu vertiefen ist: „Bei den italienischen Migrantenkindem [...] wird Code-Switching vor allem eingesetzt, um ernst gemeinte (unmarkierte) von witzigen, spöttischen, doppeldeutigen oder doppelbödigen Bemerkungen abzugrenzen, die nicht so gemeint sind, wie sie klingen.“ 2. Schafhirte und Ackerbauer: Eine sizilianische Frotzelsequenz unter männlichen Rivalen Beispiel 1: Schafhirte und Ackerbauer (Teilnehmerkonstellation: g = deutsche Exploratorin, P = Pino, D = Daniele, Gio = Giovanni) 1 g: e * vorresti vivere ** li a Palermo * <—| o e meglio per lavorare | und * möchtest du dort ** in P. leben * oder ist es zum Arbeiten besser 2 P: va * | se c'avissi no, aspe j j also * hätte ich nein, wart <?page no="116"?> 116 Gabriele Birken-Silverman 3 Gio: | no | nein 4 P: e cosi. Se c'avrei/ wenn isch n das ist so. Wenn ich hätte/ 5-19 [ ] 20 g: un BAR forse eine (Kaffee-)Bar vielleicht 21 P: | NEI: N | 22 Gio: | —>lui si | ni va a Catania pasciari i pecuri er geht nach Catania die Schafe hüten 23 P: hehehe * nun sugnu picuraru com-a-ttia hehehe * ich bin nicht Schafhirte wie du 24 Gio: no, tu si <singend> pocuraru me Thai dettu * Daniele? nein, du bist Schweinehirte hast du mir doch gesagt* 25 D: ja: , ha zappato * > oda | wie des heißt | ja, er hat mit der Hacke gearbeitet 26 Gio: | ha zappatu | le mura, e andato colle er hat die Maulbeeren/ Mauern^ behackt, 27 pecore al paese, no j er ist mit den Schafen ins Dorfgegangen, nicht 28 D: > Pi | was arbeitest du eientlisch wenn du arbeiten wirst? | 29 g: | sempre all'aria fresca | immer an derfrischen Luft 30 Gio: | sempre aH'aria fresca mmenzu immer an derfrischen Luft mitten 31 e pecuri unter den Schafen 32 g: si ja 33 P: com-a-ttia wie du 15 Sizilianisch mura kann beide Bedeutungen haben. <?page no="117"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 117 34 Gio: no min 35 P: 36 g: picuraru Schaßiirte e I * und li * | si da voi a Catania poi invece non ci sono dort ja bei euch in Catania da sind aber hl Gio: | äwe blinkts | < Signalanzeige des Aufnahmegeräts > 38 g: le pecore * in < C1TTÄ keine Schafe in der Stadt 39 P: iddu si mancia tutti, kei Wunder dass keine mehr da sind der (fr)isst sie alle 40 Gio: » no >> nein 41 D und g lachen Eingeleitet wird der Gesprächsabschnitt durch eine von der deutschen Gesprächspartnerin auf Italienisch gestellte Frage nach den örtlichen Präferenzen bei den Zukunftsplänen der italienischen Jugendlichen (Z. 1) (in Deutschland bleiben oder Rückkehr nach Italien? ), die von Pino (Z. 2) unterbrochen wird (einleitende Partikel va, nach kurzer Pause in der ichbezogenen Aussage Switch ins Sizilianische se c'avissi, Selbstkorrektur und Übergang ins Italienische in Z. 4). 16 Die einmütige Entscheidung gegen Italien wird von den Befragten mit einer Reihe von Argumenten begründet (Z. 2-19), und schließlich wird auch die von der deutschen Gesprächspartnerin auf Italienisch vorgeschlagene Möglichkeit, später in der Heimat der Eltern vielleicht als selbstständiger Geschäftsmann eine Kaffeebar zu fuhren 16 In Bezug auf das methodologische Problem der Einordnung von Homophonen entweder zum (Standard-)Italienischen oder zum Sizilianischen wird von Berruto (1990, S. 119) als Lösung folgende Zuteilung vorgeschlagen: „al sistema cui appartiene la costruzione sintattica direttamente dominante di cui esso e costituente.“ [zu dem System, zu dem die direkt dominante syntaktische Konstruktion gehört, von dem sie Konstituente ist]. Alfonzetti (1992, S. 240) bezeichnet solche Homophone als „una classe particolare di ibridismi“ [eine besondere Klasse von Hybridismen]. Rubino (1991, S. 282f), die sich in ihrer variationslinguistischen Untersuchung des sizilianisch-italienisch-englischen Trilingualismus mit dem Problem auseinandersetzt, setzt in Anbetracht der Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung solcher Elemente das Kriterium der sprachlichen Umgebung als das entscheidende an („on the basis of the linguistic environment“). <?page no="118"?> 118 Gabriele Birken-Silverman (Z. 20), von Pino mit dem hochdeutschen NEI: N kategorisch zurückgewiesen (Z. 21). Pino mit zuvor angedeuteten weiterreichenden beruflichen Ambitionen wird durch Gios Intervenieren (Z. 22) in seine Schranken verwiesen, der vorher abgesehen von einer kurzen Reaktion mit no (Z. 3) auf die Frage der erwachsenen Gesprächspartnerin geschwiegen hatte. Kontrastierend mit der deutschen Äußerung seines Vorredners Pino („NE1: N“ Z. 21) verschafft er sich zunächst in dialektal markiertem - Italienisch das Rederecht in alternativer Beantwortung der ihn gar nicht betreffenden Frage (Z. 22 „lui si ni va a Catania“/ „er geht nach Catania“), indem er in der für das Gespräch vereinbarten Interaktionssprache eine Mitteilung im Stil der Weisung einer Autorität äußert und Pino aus seiner derzeitigen sozialen Lebenswelt in die italienische nach Catania versetzt, in seine eigene aus ironischer Distanz betrachtete Herkunftswelt, nicht aber die des Freundes, dessen Familie aus einem anderen Teil Siziliens stammt. Er durchbricht mit dieser Einmischung das Tumzuweisungssystem (vgl. zu ähnlichen Beispielen Auer 1983, S. 345) und leitet einen Wechsel der Modalität von der ernsten zur spaßhaften Ebene ein. Dem Switch ins Italienische kommt daher eine Grenzsignalfunktion zu, die die Änderung der Modalität indiziert und den Rahmen für das Frotzelspiel schafft. Gleichzeitig indiziert der Kontrast eine spielerisch initiierte Spannung zwischen Gio und Pino. Auf der nächsten Stufe schaltet Gio dann im präzisierenden zweiten Teil seiner Äußerung in Z. 22 ins Sizilianische als informellem, weniger prestigeträchtigem, persönliche Solidarität und Nähe ausdrückendem Code, zwecks scherzhafter Herausforderung des Freunds, indem er ihm seinen Platz am unteren Ende der sozialen Hierarchie zuweist durch Zuschreibung einer traditionell in Süditalien verwurzelten Berufstätigkeit, die mit fehlender Bildung, Ignoranz und Dummheit assoziiert wird und besonders in der soziokulturellen Welt der Aufnahmegesellschaft geringe Wertschätzung genießt: „pasciari i pecuri“ („die Schafe hüten“). Semantisch werden damit gemeinsame, an sprachliche und soziale Kategorien gebundene Wissensbestände aktiviert und herabsetzende Konnotationen evoziert, die an die Sprache gebunden sind. Ethnizität wird verknüpft mit sozialer und sprachlicher Kompetenz. Die Funktion solcher kategoriengebundener Wissensbestände wird von Hinnenkamp definiert als „Teil der prä- und kontextuellen Bedingungen, die mit und neben den kotextuellen ‘Beschränkungen’ in jene Kontextualisierungsbedingungen eingehen, die Bedeutung schaffen“ (1989, S. 273). <?page no="119"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 1 19 Der Wechsel zur Modalität „Spaß“ vollzieht sich also in zwei Stufen: Vorbereitung durch Switch ins Italienische, Markierung des Scherzes durch das Sizilianische. Der Gebrauch des Sizilianischen als einer auf dem sprachlichen Markt mit geringem ökonomischen Wert versehenen Varietät indiziert zugleich einen Akt der Divergenz von sich selbst (mit Gebrauch des prestigeträchtigeren Italienisch im ersten Teil der Äußerung) und Konvergenz nach unten, mit dem Gio den sozialen Status Pinos andeutet. Die Frage der Markierung des Modalitätswechsels wurde 1983 von Müller explizit unter diesem Aspekt angeschnitten: „eine generelle Möglichkeit, Modalitätswechsel zu markieren, [besteht] auch darin, durch Code Switching (etwa von der Standardsprache in einen Dialekt) sprachstilistische Änderungen vorzunehmen. Durch dialektale Einschübe können beispielsweise Modalitäten wie ‘Vertraulichkeit’, ‘Nichtoffizialität’ oder eben auch ‘Spaß’ vermittelt werden“ (S. 304). Er weist daraufhin, dass „im Dienst der Markierung bestimmter Modalitäten [...] verschiedene Möglichkeiten des Registerwechsels [operieren], d.h. der Verwendung dialektaler oder soziolektaler Varietäten der Standardsprache bzw. gar das Code Switching zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Sprachen“ (S. 302) und fordert eine eingehendere Untersuchung der Ausdrucksmuster für Abstufungen der Modalitäten. Wie Auer (1983, S. 275) in Zusammenhang mit einer Gruppe italienischer Migrantenkinder in Konstanz aufgezeigt hat, konstituiert die Aufhebung der ernsten Tonart durch Code-Switching in den Dialekt eine der wesentlichen Funktionen des Code-Switching. Damit wird im hier besprochenen Beispiel die initiale Teilnehmerkonstellation für das Frotzelspiel geschaffen: Gio als Frotzelsubjekt versus Pino als Frotzelobjekt. Die spezifische Beziehung der beiden Beteiligten findet im Gebrauch des Sizilianischen seinen Ausdruck. Bemerkenswerterweise wendet sich Gio nicht etwa mit „tu“ („du“) an Pino, sondern beginnt den Tum in Z. 22 in der 3. Person, d.h. mit lateraler Adressierung, so dass die gesamte Gesprächsrande einschließlich der anwesenden Deutschen als zu belustigendes Publikum in das beginnende Spiel der Auseinandersetzung zwischen Gio und Pino miteinbezogen wird. Die an Pino gerichtete Herausforderung „pasciari i pecuri“ („die Schafe hüten“), intensiviert durch die sizilianische Markierung, wird von diesem aufgenommen und zunächst mit Lachen als Kooperativitätsmarker quittiert (Z. 23), also als nicht ernst gemeint kontextualisiert, und auf Sizilianisch gekontert. Signalisiert wird hier erstens das Erkennen der vom Sprecher Gio präsentierten ‘Spaß’-Modalität und zweitens das Akzeptieren dieser Aktivität (vgl. Müller <?page no="120"?> 120 Gabriele Birken-Silverman 1983, S. 308). Pino weist Gios Aussage negierend zurück („nun“/ „nicht“), wechselt verschärfend auf die direkte Angriffsebene (Gebrauch der 1. Person Sg.) und schreibt nun seinerseits das von beiden Rivalen als diskriminierend bewertete „Schafehüten“ mittels Vergleich umgekehrt dem Herausforderer als vielmehr von diesem professionell ausgeübte Tätigkeit zu („nun sugnu picuram com-a-ttia“/ „ich bin nicht Schafhirte wie du“), und zwar in direkter Anrede („wie du“). Die explizite Nennung der sizilianischen Berufsbezeichnung „picuram“ impliziert dabei die sekundäre Bedeutung „Schimpfwort“ (etwa im Sinne von „Dummkopf‘). Gio reagiert darauf mit einem weiteren direkt an Pino gerichteten Tum (Z. 24), der dessen Behauptung nun seinerseits zunächst negiert („no“), die eigene Aussage verstärkend variiert („tu si pocuram“/ „du bist Schweinehirte“) und als Spielmacher in einem leicht interferierten Italienisch einen Testimonial in das Spiel einbindet, Pinos Cousin Daniele: „me l’hai dettu * Daniele? “ („hast du mir doch gesagt * Daniele? “). Das auf Imageverletzung zielende Spiel wird gesteigert, indem sich Gio auf eine angebliche frühere Mitteilung Pinos beruft, die dieser nun leugnet und damit von Gio als Schwindler und Aufschneider vorgefuhrt wird. Durch die direkte Anrede Danieles erfolgt eine Auffordemng an ihn zum Mitspielen und eine Koalitionsbildung. Das Spiel zu zweit wird nun erweitert zu einem Dreier, in der Weise, dass Pinos Cousin Daniele die Spielmodalität aufgreift und entsprechend der Absicht Gios diesen unterstützt (Z. 25). „Daniele“ statt der gruppenintemen Anrede „Dani“ verweist auf die Spielinszeniemng vor dem deutschen Nichtgmppenmitglied, ebenso wie der darauffolgende kurze Switch Danieles ins Deutsche „ja: “. Anschließend richtet Daniele, der angibt, Sizilianisch nicht sprechen zu können, auf Italienisch ebenfalls einen Angriff gegen Pino, indem er den Bemf durch einen anderen als minderwertig eingestuften (zappaturi „Ackerbauer“) variiert, der ebenfalls eine Beschimpfung impliziert: „ha zappato“ („er hat mit der Hacke gearbeitet“) (Z. 25). Gio knüpft daran mit einer vom regionalen Sizilianisch ins Standarditalienische übergehenden, erweiterten und als Beleidigung intendierten Behauptung an, die beide Vorwürfe miteinander verbindet (Z. 26-27): „ha zappatu le mura, e andato colle pecore al paese, not“ („er hat die Maulbeeren/ Mauem behackt, er ist mit den Schafen ins Dorf gegangen, nicht“). Die erneute Formulierung in der 3. Person zielt wiedemm auf die Ridikülisiemng des Herausgeforderten vor den Zuhörern. <?page no="121"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 121 Daniele mit der an ihn gerichteten Rückversicherungspartikel „no“ („nicht“) switcht in Z. 28 mit seiner aus der Perspektive einer Autoritätsperson formulierten, ironisch herausfordernden Frage, die im Anschluss an die mitgeteilten „Informationen“ inhaltlich unmittelbar die Ausgangsfrage der Interviewerin aufgreift, ins Deutsche. Die Feldforscherin reagiert auf die Frotzelsequenz mit einer positiv gemeinten Komponente (Z. 29): „sempre all'aria fresca“ („immer an der frischen Luft“). Gio greift dieses von ihm als Solidarisierungsangebot eines mit ihm anscheinend koalierenden Mitspielers interpretierte standarditalienische Element auf, erweitert durch eine Variation seines vorherigen Hinweises auf Pinos Tätigkeit als Schafhirte, und zwar letztes wiederum auf Sizilianisch („mmenzu e pecuri“/ „mitten unter den Schafen“) (Z. 30-31), so dass die spezifische Beziehungsebene zu Pino wieder hergestellt wird. Die deutsche Gesprächspartnerin wiederholt durch „si“ ihre Aussage (Z. 32) und bestärkt dadurch gleichzeitig Gios Äußerung. Erst jetzt erfolgt ein erneuter Konter von Pino (Z. 33), der wiederum verschärfend auf die direkte Angriffsebene schaltet und seinen früheren Konter (Z. 23) einfach wiederholt: „com-a-ttia“, zurückgewiesen von Gio mit einem kurzen „no“ („nein“) (Z. 34). Pino wiederholt nun seinen Angriff aus Z. 23 in kondensierter Form („picuraru“/ „Schafhirte“). An diesem toten Punkt, wo den Kontrahenten anscheinend keine weitere Variation mehr einfallt, versucht die Erwachsene das Gespräch nach den Zukunftsplänen wieder aufzugreifen (Z. 36), wird aber von Gio (Z. 37) brüsk unterbrochen, der einen radikalen Themenwechsel zur Aufnahmesituation im Mannheimer Dialekt vomimmt: „äwe blinkts“ mit Referenz auf die Signalanzeige des Recorders, gerichtet an die deutsche Gesprächspartnerin, die indessen den Gesprächsfaden auf Italienisch wieder aufnimmt (Z. 36, 38), um das Thema auf die ernsthafte Ebene zurückzuführen: „si, da voi a Catania poi invece non ei sono le pecore * in < CITTÄ“ (,ja, bei euch in Catania da sind aber keine Schafe in der Stadt“). Hier bietet sich für Pino nun die Gelegenheit, dem Herausforderer Gio einen endgültigen Schlag zu versetzen (Z. 39): auf Sizilianisch äußert er die fantastisch übertriebene Behauptung „iddu si mancia tutti“ („der (fr)isst sie alle“), womit er das daraus ableitbare Essverhalten des Kontrahenten Gio und dessen kräftige Statur ins Spiel bringt. Seine Verteidigungsstrategie gegenüber der ihm implizit zugeschriebenen Eigenschaft eines Simpels besteht also in Zurückweisung und Gegenattacke mit Charakterisierung des Herausforderers als „Fresssack“. Inhaltliche und sprachliche Markierung der spaßhaften Mo- <?page no="122"?> 122 Gabriele Birken-Silverman dalität verbinden sich hier zu einem Merkmalscluster mit der Folge einer wechselseitigen Verstärkung. Pino schließt mit einer weitgehend hochdeutschen kommentierenden Sprechhandlung als logischem Schluss, mit der er auf die Realitätsebene zurückkehrt: „kei Wunder dass keine mehr da sind.“ Die auf Deutsch formulierte Konklusion deutet auf die distanzierte Außenperspektive der Deutschen hin, wie sie von der anwesenden deutschen Feldforscherin zuvor allerdings in italienischer Sprache geäußert wurde (Z. 36). Gios knappe Reaktion mit „no“ („nein“) (Z. 40) bedeutet Abbruch und Ende des Spiels, den Sieg des herausgeforderten Pino, der durch das Lachen von Daniele und der deutschen Gesprächspartnerin unterstützt wird. Das zugrunde liegende Strukturmuster umfasst also lediglich Attacke und Gegenattacke ohne explizite Versuche der Verteidigung oder Rechtfertigung, die eine Verkettung aufgrund des jeweiligen Anknüpfens bzw. Wiederaufgreifens der vom Gegner genannten Lexeme aufweisen. Die einzelnen Züge des Schlagabtauschs gestalten sich dominant als „Retourkutsche“, indem die beiden Rivalen sich gegenseitig „den schwarzen Peter“ in Bezug auf die Herkunftsgesellschaft zuzuschieben versuchen. Sprachlich sind die sizilianischen Züge als stärkere Hiebe zu werten, die ganz spezifisch auf die ins Visier genommene Person zielen und sowohl auf das gemeinsame dialektale Repertoire als auch auf das geteilte soziokulturelle Hintergrundswissen rekurrieren, während nicht sizilianische Formulierungen mehr publikumsorientiert sind. Damit zu verbinden scheint sich die Tatsache, dass bislang auch bei süditalienischen Jugendlichen im Herkunftsland die dialektale Varietät an der Stelle andernorts sich ausprägender jugendlicher Sprechstile (z.B. in den Großstädten Norditaliens, in der BRD) steht. D.h., die Funktionen der spezifischen Redeweisen Jugendlicher werden im vorliegenden Kontext von der dialektalen Varietät, die Funktionen stilistischer Varianz durch varietätenspezifische Varianz übernommen. Pinos vier Turns sind sämtlich im Rahmen des Duells auf Sizilianisch formuliert, während Gios Repliken zumeist Teile in angenähertem Standard enthalten, die die Zuhörer, insbesondere die erwachsene Deutsche, als Schiedsrichter mit einbeziehen. Diese Funktion dürfte auch Pinos abschließendem Switch ins Deutsche zuzuschreiben sein. Thematisch erscheint bemerkenswert, dass die Frotzelaktivität auf das typisch sizilianische Ambiente Bezug nimmt und archaische traditionelle Sozialstrukturen der Herkunftsgesellschaft zum Aufhänger für das der Lächerlichkeit Preisgeben des „Gegners“ macht. Hier lässt sich sicher ein kulturspezifischer Zug der Frotzelaktivität erkennen. <?page no="123"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 1 23 Darüber hinaus erscheint bemerkenswert, dass kulturspezifische Aktivitäten (Schafe hüten, Boden hacken) thematisiert werden, durch die die Zukunftspläne der jungen Generation in Kontrast zu der Vergangenheit der Väter gestellt werden. 3. Frotzelnde Interaktion zwischen Jungen und Mädchen 3.1 „Küchentürkisch“ und Kamelsequenz Der diskutierten Frotzelsequenz, die im semantischen Bereich der Sozialhierarchie zu verorten ist und mit diesbezüglicher Bewertung aus der Außenperspektive nach deutschen Wertmaßstäben verknüpft ist, steht eine thematisch gleichfalls im Bereich der Sozialhierarchie anzusiedelnde Frotzelei gegenüber, die allerdings auf ethnische Kategorien rekurriert und dominant auf Deutsch gespielt wird. Hauptakteure sind Pino und die von ihm herausgeforderte Claudia. Schon allein das in sizilianischer Phonetik gebrauchte Lexem „tucc“ „Türkin“ (Z. 3) löst im Kontext mit bestimmten Personen bei der Gruppe Gelächter aus. Der Frotzelsequenz voraus geht eine Bastelei des Herausforderers Pino, der ein griechisch sizilianisch türkisches Kauderwelsch zum Spaß der Gruppe vorträgt, eine Art „Küchentürkisch“, d.h. willkürlich aneinandergereihte dominant sizilianische Lexeme, die türkisch klingen. Beispiel 2: Kamelsequenz (Teilnehmerkonstellation: M = Mariangela, So = Sonia, Si = Silvia, P = Pino, C = Claudia, g = deutsche Exploratorin, die übrigen Cliquenmitglieder als Zuhörer) 1 M: no, ma lei non e italiana. Lei e mezza turca | e siciliana | nein, aber sie ist nicht Italienerin. Sie ist halb Türkin und Sizilianerin 2 Si: | <lacht> | 3 So: halb tucc halb Türkin 4 <Si lacht lauthals, P leise> 5 g: ah* non so/ non lo so parlare io; come (...) | e mezza | ich kann nicht/ ich kann das nicht sprechen; wie sie ist halb | valid ou | (türk.) bei Gott ou 6 P: <?page no="124"?> 124 Gabriele Birken-Silverman 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 P: g: M: suo padre e turco, la mamma e italiana ihr Vater ist Türke, die Mama ist Italienerin g: ah, per < questo ah, deswegen <Si lacht lauthals> P: ou, aspe, aspe, * ala malakä <lacht> salami salami <lachend> ou, wart, wart, (griech.) Wichser Salami Salami <Si lacht> P: prsciütt, saläm prsciuttu * e radici macari * pisci * Schinken, Salami Schinken, und auch Radieschen * Fische * <alle lachen mit > kebapi * tutti cosi i7 Kebap * alles öhö e quindi tu sai parlare anche il TURCO? und du kannst also auch Türkisch sprechen? <Alle brechen in Lachen aus> P: < lachend) e tu mi fai pena und du tust mir Leid g: si? ja P: dacht) g: lo sai parlare? io non lo so kannst du es sprechen? ich weiß das doch nicht P: no no: , des wa kein Türkisch, va, des war mein Türkisch, ÖH nein also Si: j <lacht>| g: | ach so| Aba sie versteht das M: jaja 17 Pino reiht sinnlos italienische bzw. sizilianische Wörter und Syntagmen aneinander, die z.T. endsilbenbetont sind, „Vokalharmonie“ aufweisen und türkisch klingen (Art sizilianisches „Küchentürkisch“). Insbesondere salami wird in der Gruppenkommunikation wiederholt mit der unter türkischen Jugendlichen gebräuchlichen Grußfloskel sal'am ‘hallo’ assoziiert. <?page no="125"?> 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 125 <Mädchen lachem P: va, die verSTEHTS nich, die kann/ die hat kein/ derri ihre also Mamma is geschiedn | mit dem türkischen Vater | Si: < | sie is innerlisch blond | <lacht> P: nein nein nein |der Vater is geschiedn|/ g: | wer ist blond? Si: | sie ist innerlisch ] blond * äußerlisch sieht | mans nisch | So: | (....) geil (....) | | (...) Knoten | * P: hallo t wa/ > hallo So: si, voll der geile Knotn P: hallo* der Vater is mit der Mutter/ der türkische Vater isch schon seit neun/ neun Jahre mit der/ mit der Mutter geschiedn g: ach so P: öh ja, der/ der Vater hat sie/ der hat die Mutter verkauft mit dem Kind * dachend) zehn Kamele, hö C: si ja \ <alle lachen) g: | was du alles weißt | M: zehn Kamele un/ C: < s warn ELF Kamele, du dachend) Blödmann (Mädchen lachen) g: ja dann sprichst du/ So: und ne Tankstelle und ne Tankstelle g <zu C>: normalerweise sprichst du dann Türkisch oder Deutsch oder alles beides? C: Deutsch g: | Deutsch | C: | Türkisch | g: n bisschen. Und Italienisch verstehst du etwas, aba <?page no="126"?> 126 Gabriele Birken-Silverman 55 56 M: 57 So: 58 Si: 59 g: 60 P: 61 62 Si: 63 sprechen nich so/ doch die kann auch Ita/ sehr gut kann sie Italienisch spreschn < hat ne Eins. Ha un dieci hat ne Eins =sie kann nich so gut Deutsch aba | dafür gut Italienisch | anche fai la scuola italiana? | machst du auch die italienische Schule? < | ja * die redet fast überhaupt gar kein Deutsch | die redet NUR Italienisch | Schule j sie geht auch in italienische | Mariangelas auf dem Ingroup-Wissen basierende Information, dass die Freundin Claudia halb Türkin, halb Sizilianerin, nicht aber Italienerin sei (Z. 1), d.h. „weder Fleisch noch Fisch“, kann bereits als Vorspiel für die auf Pinos weiteres Ingroup-Wissen preisgebende Äußerung (Z. 26-27) folgende Frotzelsequenz bewertet werden bzw. hat Mariangelas Mitteilung Signalwirkung und wird zunächst von Silvia mit Lachen (Z. 2) als gelungener Beitrag zur Erheiterung der Gesprächsrunde quittiert. Auslöser für das weitere Lachen (Z. 4) ist neben dem Hinweis auf ethnische „Mischung“ und Reproduktion auf sprachlicher Ebene das sizilianische tucc „Türkin“ (Z. 3) mit daran geknüpften Konnotationen und Wissen der Gruppe. Pino reproduziert mit seinen Turns (Z. 10, 12) metaphorisch die ethnische „Mischung“ auf kulinarischer und sprachlicher Ebene, eine Art „Küchentürkisch“, bestärkt durch Silvias Lachen (Z. 11). Pinos Präsentation seiner griechisch-sizilianisch-türkischen Sprachmischung erscheint in Anbetracht der folgenden Frage der deutschen Exploratorin als gelungenes „Veräppeln“, das alle Zuhörer mit Lachen quittieren. Mit der italienisch geäußerten, emotional gefärbten Bewertung „e tu mi fai pena“ („und du tust mir Leid“) (Z. 17) begibt er sich zum einen zurück auf die ernsthafte Ebene und scheint trotz der Floskel durchscheinen zu lassen, dass das Nichtverständnis seines Scherzes seitens der Erwachsenen bei ihm lediglich herablassendes Bedauern auslöst. Auf weitere Rückfragen reagiert er zunächst als der Sieger des Spiels mit Lachen (Z. 19), um schließlich der Gefoppten auf Deutsch eine Erklärung zu liefern (Z. 21). <?page no="127"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 127 Die von Pino eingeleitete Protzelsequenz, die nun Claudia zum Spiel herausfordert, beginnt zunächst mit einem Einwand (Z. 26) gegen Mariangelas ,jaja“ (Z. 24), d.h. gegen ihr angebliches Verstehen von Pinos „Küchentürkisch“. Startsignal für die Frotzelsequenz ist hier wiederum wie in Beispiel 1 der Geltungsanspruch eines Gruppenmitglieds, das von dem Herausforderer in seine Schranken gewiesen wird. Eingeleitet durch die umgangssprachliche italienische Partikel „va“ (etwa „also, bah“), setzt er seinen Turn in Z. 26 auf Deutsch fort, und zwar auf Claudia in der 3. Person referierend und sie daher zum Objekt vor dem Publikum degradierend. Die Herabsetzung des Frotzelobjekts vollzieht sich auf mehreren Ebenen: der Gebrauch des Deutschen indiziert Hyperkooperativität mit der Erwachsenen, an die sich Pino entsprechend der Vereinbarung auch auf Italienisch wenden könnte und Hyperunkooperativität mit Claudia, deren Deutschkenntnisse von ihm als gering bewertet werden (Z. 61), während inhaltlich das Anderssein von Claudia, ihre ethnische Zugehörigkeit als abweichend dargestellt wird. Pino spielt damit seine Überlegenheit, Insiderwissen und deutschsprachige Kompetenz, der Claudia nicht gewachsen ist, aus. Damit kann er sein Frotzelobjekt in zweifacher Weise bloßstellen: Makel der Herkunft und mangelhafte deutsche Sprachkenntnis. In einem ersten Schritt negiert Pino Claudias Verständnis seines „Türkisch“ (Z. 26), daran schließt er nach zwei abgebrochenen Ansätzen in ein angenähertes Mannheimerisch übergehend eine Insider-Information an, die Claudias persönliche Lebensdaten vor einem Nichtgruppenmitglied, der deutschen Feldforscherin, ausbreitet: „die kann/ die hat kein/ derri ihre Mamma is geschiedn mit dem türkischen Vater“ (Z. 26-27) als degradierend insofern einzustufen, als zum einen eine thematisch in die Kategorie Klatsch und Tratsch gehörige Aussage ungefragt eingebracht wird, zum anderen die übrigen Gesprächsbeteiligten anscheinend alle aus ethnisch homogenen und „intakten“ Familien stammen. Im Unterschied zu Beispiel 1 handelt es sich hier allerdings nicht um eine konstruierte Unterstellung (die Berufstätigkeit der Jungen als Schafhirte), sondern es liegt ein realer Sachverhalt vor. Inhaltlich erscheint der thematisierte Topos der Mutter bemerkenswert, deren Wert in der Folge mit einer Herde Kamele gleichgesetzt wird (Z. 40), ein Angriff, der an die Beleidigungsduelle in anderen Subkulturen erinnert. Silvia bemüht sich, den Angriff abzublocken, indem sie nach dem negativ konnotierten „geschiedn“ (Z. 27) versucht, Pino den Turn zu entreißen und positiv für die Freundin Partei ergreift: „sie is innerlisch blond“ (Z. 28). Durch Lachen indiziert sie <?page no="128"?> 128 Gabriele Birken-Silverman gleichzeitig, dass es sich nicht um einen ernst gemeinten Diskurs handelt, sondern um einen Spaß. Da diese Ausdrucksweise für Nichtgruppenmitglieder wenig verständlich, zumindest aber außergewöhnlich ist, kann hier unter Bezug auf das gruppenspezifische Wissen eine gruppenspezifische Redeweise angenommen werden. Die verteidigende Äußerung dürfte begründet sein durch die im Sizilianischen vorliegende sekundäre Bedeutung von "tucc(a)“: „Mohrin“. Pino hingegen setzt seinen Turn fort (Z. 29), weist Silvias Schutzbehauptung zurück („nein nein nein“) und wiederholt die „Anschwärzung“ („der Vater is geschiedn“). Silvia insistiert ihrerseits nun unwidersprochen, indem sie ihre Worte mit leichter phonetischer Tendenz zum Hochdeutschen wiederholt („sie ist innerlisch blond“, Z. 31) und damit die in Hochdeutsch gestellte Verständnisfrage der deutschen Gesprächspartnerin (Z. 30) berücksichtigt. Mit einem Aufmerksamkeit heischenden „hallo“ versucht Pino dreimal (Z. 33, 34, 36) das Rederecht wieder zu erlangen, um seinen unterbrochenen Turn (Z. 29) fortzusetzen. Bemerkenswerterweise verschafft er sich hier unter Verstoß gegen das Tumzuweisungssystem und entgegen der vereinbarten Interaktionssprache Italienisch durch massive Anstrengungen auf Deutsch das Rederecht („hallo“, und nicht etwa „Signora“), außerdem bedient er sich im Rahmen der intergenerationellen Interaktionssituation eines Appells aus der Erwachsenensprache statt etwa des jugendsprachlichen „ey“, „he“ o.Ä. Nachdem er sich zunächst nicht durchsetzen kann, gelingt es ihm schließlich, im dritten Anlauf seine „Anschwärzung“ zu wiederholen, nunmehr erweitert durch zeitliche Angaben (Z. 36-37): „hallo * der Vater is mit der Mutter/ der türkische Vater isch schon seit neun/ neun Jahre mit der/ mit der Mutter geschiedn“. Da die Herausforderung von Claudia nicht angenommen wird und die erwachsene Gesprächspartnerin nur mit „ach so“ reagiert (Z. 38), verstärkt Pino nun seine Bemühung, indem er das Verhalten des türkischen Vaters von Claudia mit einem negativen orientalischen Stereotyp verknüpft, das auf die Auslösung von Zuhörerreaktionen zielt. Im kreativ fantasievollen Spiel inszeniert er eine ganze Episode mit empörendem Sachverhalt, die im Folgenden von den Spielbeteiligten weiter „ausgesponnen“ wird: „öh ja, der/ der Vater hat sie/ der hat die Mutter verkauft mit dem Kind“ (Z. 39-40). Nach Claudias schwacher Reaktion, die zunächst die Herausforderung nicht annimmt und auf Italienisch lapidar mit „si“ quittiert (Z. 41), signalisiert er durch Lachen den scherzhaften Modus seiner Aussage und bringt eine weite- <?page no="129"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 129 re Verstärkung durch Ausschmückung „zehn Kamele, hö“ (Z. 40). Mit der Nennung des angeblichen Verkaufspreises für Mutter und Kind als Gegenwert für zehn Kamele ist es ihm nun gelungen, einen Lacherfolg bei allen Zuhörern zu erzielen, so dass nunmehr Claudia doch die Herausforderung annehmen muss oder aber als Gefrotzelte die Verliererin des Spiels ist. Zunächst verschafft sich Mariangela einen Tum zwecks Verteidigung der Freundin und Koalitionsbildung (Z. 44), indem sie nicht etwa von der Fantasieauf die Realitätsebene wechselt und eine Rückweisung vomimmt, sondern indem sie an „zehn Kamele“ anknüpft und den Preis um Einiges erhöhen will im Sinne einer Wertsteigerung der Freundin, unterbrochen durch Claudia, die sich nun auf das Spiel einlässt und die Zahl der Kamele selbst weiter erhöht: „s warn ELF Kamele“, zusätzlich verstärkt durch eine persönliche Beleidigung des Frotzelnden, „du Blödmann“ (Z. 45), d.h., sie spricht ihm verstandesmäßige Qualitäten ab. In das Spiel wird damit ein von Lachen begleiteter negativer Emotionsindikator eingebracht, der indessen die Grenzen des Spiels nicht überschreitet und die Normen der gruppenspezifischen Bewertungspraxis nicht verletzt. Ihre Attacke wird lediglich von den Mädchen durch Lachen als gelungen bestätigt (Z. 46). Diese Provokation leitet damit den Schlagabtausch aus der indirekten lateralen Perspektive über auf die persönliche Ebene. Das Lachen aller Mädchen bescheinigt ihr den Erfolg ihres Turns. Sonia versucht, diesen Sieg der Mädchen und die Niederlage Pinos weiter auszubauen, indem sie unterstützend interveniert und nun ein weiteres Objekt als Gegenwert für Frau und Kind hinzufügt, das auch in den Augen Pinos Modernität und Nutzen signalisiert: „und ne Tankstelle und ne Tankstelle“ (Z. 48). Eine etwa durch Lachen signalisierte - Bestätigung für das Gelingen ihrer Äußerung (mit Wiederholung als Mittel der Steigerang) erfolgt allerdings von keiner Seite. Die Kontextualisierung der Spielmodalität wird durch allmähliche Steigerung der hyperbolischen Figuren (Einführung der Kamele, Steigerung von zehn auf elf, Einführung der Tankstelle) zum Ausdruck gebracht. Das anschließende Schweigen Pinos und das Ausbleiben weiterer Äußerungen zu diesem Thema weisen ihn als Verlierer des Spiels aus, allerdings gemildert durch den offensichtlichen konversationellen Misserfolg auch von Sonias abschließendem Tum, auf den jegliche Reaktion ausbleibt. <?page no="130"?> 130 Gabriele Birken-Silverman Die in den beiden Gesprächssequenzen auftretenden Frotzelspiele veranschaulichen insbesondere auf der inhaltlichen Ebene kulturspezifische Züge, so dass der gelungene Schlagabtausch an das spezifische bikulturelle Milieu der Jugendgruppe gebunden ist und beispielsweise in einem deutschen Kontext in dieser Form kaum vorstellbar wäre. 3.2 Tierfachschule Die folgende Frotzelsequenz zwischen Pino und Sonia zeigt in kondensierter Weise den funktionalen Einsatz der einzelsprachlichen Codes im Spiel, wobei wiederum ein sozialsymbolisches Ordnungsschema, die Zuordnung des Frotzelobjekts in eine fiktionale „soziale“ Kategorie, Teil des Inhalts der Frotzeläußerung ist. Beispiel 3: Tierfachschule (Teilnehmerkonstellation: g = deutsche Exploratorin, Si = Silvia, So = Sonia, P = Pino, D = Daniele, L = Lorkan (Türke), die übrigen Cliquenmitglieder als Zuhörer) 1 g: si, e: che scuola fai, la Hauptschule ja, und was für eine Schule machst du, die Hauptschule 2 Si: Hauptschule si ja 3 g: öhö e in che classe sei? und in welcher Klasse bist du? 4 Si: nona neunte 5 6 7 8 g: öhö quindi nell'ultimo anno o also im letzten Jahr oder Si: l'ultimo anno, si.| C'ho le |/ c'ho le/ l'esame/ faccio due anni das letzte Jahr, ja. Ich habe die/ ich habe die/ die Prüfung/ ich g: I e poi? | und dann? Si: im piü. Berufsfachschule mache zwei Jahre mehr 9 g: ah si. Per fare | che cosa | poi? ah ja. Um was dann zu machen? 10 Si: |Realschule| * Kaufmännischen Bereich <?page no="131"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 131 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 g (zu So): ** öhö<— e ehm —>che scuola fai tu, anche la Hauptschule? und was für eine Schule machst du, auch die Hauptschule? | e: la stessa |/ das ist dieselbe/ So: | lo stesso | come fa lei dasselbe was sie macht g: si, siete insieme o sie/ ja, seid ihr zusammen oder sei/ So: no, Parallel/ nein P: sie macht Tierfachschule g: ah So: Paral |lelklasse g: | Tierfachschule? | P: ah i/ die/ die/ höhö geht Tiere aufsammeln <lachend> <Si und P lachen> g: e vero? stimmt das? P: no | vai | * Lorkan, was machs du wiedda fer Abeit? * nein komm Aquarium putzen, gell? hihihihi So: «| no: | dachend) nei.n L: ja mach isch D: a sie geht zu Hause putzn g (zu So): e tu che vuoi fare piü tardi, anche | kaufmännisch? und du was willst du später machen, auch kaufmännisch? P: dachend) | a die macht HAUS | frau bei sisch m Aquarium hihihihihihi <?page no="132"?> 132 Gabriele Birken-Silvermar Zeile 1-15 beinhaltet eine aus Fragen und Antworten bestehende Interviewsequenz zwischen der Exploratorin und Silvia sowie Sonia in der vereinbarten Interaktionssprache Italienisch und thematisiert die beabsichtigte weitere Ausbildung der beiden Mädchen. Auf Deutsch wiedergegeben werden dabei lediglich „Fachtermini“ wie „Hauptschule“, „Realschule“, „kaufmännisch“, „Parallel(klasse)“. Das Kommunikationsmuster wird durch Pinos Frotzeln auf Deutsch unterbrochen (Z. 16), der auf diese Weise eine Änderung der Interaktionsmodalität vomimmt. Ähnlich wie Gio in der Frotzelsequenz 1 adressiert er Sonia lateral in der 3. Person und widerspricht provozierend durch Korrektur ihrer Aussage, die er in Form einer vollständigen deutschen Proposition mit einer witzigen lexikalischen Kreation vorbringt: „sie macht Tierfachschule“. Während das Frotzelobjekt Sonia sich auf das Spiel jedoch nicht einlässt, sondern in Z. 18 neu ansetzend ihren unterbrochenen Tum (Z. 15) beendet („Parallelklasse“), liefert die deutsche Gesprächspartnerin durch fragende Wiederholung des deutschen „Tierfachschule“ (Z. 19) Pino eine Anregung, sein Frotzeln fortzusetzen (Z. 20): „ah i/ die/ die höhö geht Tiere aufsammeln“. Semantisch handelt es sich bei dem Thema Tiere und inbesondere Fische 18 (zu Aquarium s.u.) um ein gruppenintemes Spiel mit sprachlichen Metals Die Gruppenmitglieder schreiben sich und Familienmitgliedern Tiemamen zu wie pesce (Fisch) fur Pinos Freundin Silvia, cane! Hündchen für Daniele, Nashorn für Pino, porcu (Schwein) für die Kusine Vivian u.a.m. Ausgangspunkt der Metaphorik ist die ambivalente Bedeutung des it. pesce 1. ‘Fisch’, 2. ‘Penis’, 3. ‘Feigling, Schwächling’, letzteres Lehnübersetzung des unter Mannheimer Jugendlichen gebräuchlichen deutschen Lexems Fisch, das in der italienischen Clique allerdings positiv umgewertet wird: alle Mitglieder sind „Fische“. D.h., die Bezeichnung für „Schwache“, „Marginalisierte“ wird intern zum Prestigesymbol. Die Pflege des Aquariums (italienisch acquaio, m.) obliegt in der diesbezüglichen Vorstellungswelt der Jugendlichen den Jungen. Der metaphorische Sprachgebrauch der Clique wird bei keinem Treffen explizit erklärt, sondern ist lediglich aus der Fülle diesbezüglicher Äußerungen rekonstruierbar. Zu der sexual sprachlichen Bedeutungskomponente vgl. Osthoff (1996, S. 197): „Wenn eine Ausdrucksnot bei Mädchen und Jungen in Bezug auf sexuelle Organe, Vorgänge, Wünsche und Aversionen vorliegt, so geht es bezüglich einer Erweiterung sexualsprachlicher Möglichkeiten nicht darum, neue, noch nicht tabubelastete Ausdrücke zu finden. Vielmehr besteht eine Notwendigkeit, Voraussetzungen für eine innere Mehrsprachigkeit bei den Jugendlichen zu schaffen. Hierzu gehört die Fähigkeit, ein gewisses Repertoire an Wörtern und Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung zu haben und diese je nach eigener Gesprächsintention sowie nach Kommunikationsanlaß und Interaktionspartner flexibel anwenden zu können.“ <?page no="133"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 133 phem, hier zwecks Degradierung des weiblichen Frotzelobjekts die Zuschreibung einer primitiven Tätigkeit, die der Frau geistige Leistungsfähigkeit abspricht. Das gelungene Frotzeln wird durch Silvias und Pinos Lachen bestätigt (Z. 22), während Sonia keinen Gegenangriff oder eine etwaige Verteidigung einleitet. Mit der italienischen Rückfrage der Deutschen „e vero? “ („stimmt das? “) (Z. 23) und Pinos Verneinung (Z. 24) scheint die Frotzelsequenz vorläufig abgeschlossen und die Realitätsebene des Interviews wieder erreicht. Pino nimmt indessen auf Deutsch im Mannheimer Dialekt das Frotzelthema nach kurzer Pause wieder auf (Z. 24), indem er zunächst einen nicht zu der Gesprächsrunde gehörenden türkischen Jugendlichen am Nachbartisch adressiert und diesen als Frotzelobjekt in sein Spiel kurz miteinbezieht: „Lorkan, was machs du wiedda fer Abeit? * Aquarium putzen, gell? hihihihi“. Eine Reaktion erfolgt nun seitens seines Cousins Daniele, der einen Versuch unternimmt, das Spiel kooperativ auf Deutsch fortzusetzen: „a sie geht zu Hause putzn“ (Z. 28). Statt irgendeiner Reaktion seitens der Zuhörer erfolgt Rückkehr zum Interaktionsmodus des Interviews, eingeleitet durch die Exploratorin (Z. 29), die auf Italienisch das Thema Schule und Beruf wieder aufnimmt und sich an Sonia wendet. Hier durchbricht wiederum Pino den Tumzuweisungsmodus (Z. 30) und verschafft sich auf Deutsch in Fortsetzung seiner eigenen vorausgehenden Sprachwahl (Z. 24) und derjenigen Danieles (Z. 28), aber in Kontrast zu derjenigen der Exploratorin das Rederecht, indem er an Stelle Sonias die Frage mit einer witzigen Bemerkung beantwortet und durch den Gebrauch des Deutschen einerseits den eigenen witzelnden Interaktionsmodus weiterfuhrt und eine von der Äußerung der Feldforscherin abweichende Interaktionsebene indiziert, andererseits semantisch an „(Aquarium) putzen“ anknüpft: „a die macht HAUSfrau bei sisch m Aquarium hihihihihihi“. 3.3 Aquarium Die folgende Sequenz stellt eine Abfolge von drei Interaktionsmodi dar: Interview, Anmache und Frotzelei. Dabei handelt es sich um eine der wenigen Interaktionssequenzen, in denen ein Mädchen zumindest kurz den sizilianischen Dialekt verwendet. <?page no="134"?> 134 Gabriele Birken-Silverman Beispiel 4: Aquarium (Teilnehmerkonstellation: g = deutsche Exploratorin, So = Sonia, P = Pino, die übrigen Cliquenmitglieder als Zuhörer) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 g (zu So): öhö *e* qua a Mannheim che cosa ti piace o che cosa NON ti und hier in Mannheim, was gefällt dir oder was gefällt dir piace? ci sono delle cose | che ti piacciono meglio | del paese o nicht? Gibt es etwas was dir besser gefällt als im Dorfoder P: | io ci piaccio | <lacht> ich gefalle ihr g: | ci sono delle cose | che * non ti piacciono gibt es Dinge, die * dir nicht gefallen P: | io ci piaccio * dicilu 11 * (...) va höhöhö ich gefalle ihr *sags * los So: lui e il primo che mi fa schifo der ist der erste, der mich anekelt P: idd-e a prima ca mi ffa/ no va, sch würds niemals n mein sie die erste, die mich/ nein also Aquarium reinsetzn picchi/ weil So: pi prima ersmal hast du einen? * nein J, erstmal P: « minchia * n-ai UNU TANTU * » ou ou Mensch ich habe einen so (groß) <Mädchen kichern) g: perche * puoi <— parlare come ti viene | non ha | importanza wieso * du kannstfrei reden, ist nicht von Bedeutung So: | sfogati | lass ruhig Dampfab Der Ausschnitt beginnt mit einer von der Exploratorin in der vereinbarten Interaktionssprache Italienisch an Sonia gerichteten Frage (Z. 1-2) in Bezug auf ihr Verhältnis zu Mannheim, positive und negative Seiten der Stadt. Pino versucht zunächst auf Italienisch die Erwachsene zu unterbrechen (Z. 3) und Sonia mit seiner Antwort zuvorzukommen, indem er „piace“ („gefallt“, Z. 1) <?page no="135"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 135 als lexikalisches Signal zum Transfer des Diskurses auf die scherzhafte Ebene aufgreift und sich selbst als positiven Bestandteil Mannheims in Form einer Mitteilung einfuhrt: „io ci piaccio“ („ich gefalle ihr“), und zwar zwecks Erheiterung der gesamten Gesprächsrunde lateral adressiert (nicht etwa „ich gefalle dir“). Dem zunächst aufgrund des Weitersprechens der deutschen Gesprächspartnerin (Z. 4) erfolglosen Versuch lässt er nach kurzer Pause eine Wiederholung folgen (Z. 5), nunmehr stufenweise verstärkt durch die direkt an Sonia adressierte „Anmache“ mit Aufforderungscharakter: „dicilu“ („sags“) * „va“ („los“). Damit zielt seine Provokation auf zwei der anwesenden Mädchen: einerseits auf die unmittelbar angesprochene Sonia, andererseits auf seine Freundin Silvia. Die direkt Flerausgeforderte reagiert mit Fortsetzung der italienischen Interaktionssprache (Z. 6), indem sie nicht auf den als Scherz gedachten Interaktionsmodus eingeht, sondern Pino vor dem Publikum zum Objekt macht und ihn beschimpft als jemanden, der das Gefühl für Anstand und Moral verletzt: „lui e il primo che mi fa schifo“ („der ist der erste, der mich anekelt“). Pino markiert nun seine folgende Äußerung (Z. 7) als nicht ernst zu nehmend durch einen Wechsel ins Sizilianische in Form einer „Retourkutsche“ zu Sonias Beschimpfung: „idd-e a prima ca mi ffa/ “ („sie ist die erste, die mich/ “), „no va“ („nein, also“) leitet über zum zweiten Teil seiner frotzelnden Entgegnung, die auf Deutsch formuliert ist und das Thema „Aquarium“ als einen zentralen Begriff, eine Art Metapher, innerhalb der Gruppe einfuhrt: „sch würds niemals n mein Aquarium reinsetzn“ (vgl. Anm. 18). Seine daran anschließende sizilianische Begründung („picchi‘7„weil“) wird bereits am Anfang unterbrochen durch Sonia (Z. 9), die nunmehr die Herausforderung annimmt und schlagfertig reagiert, eingeleitet durch siz. „pi prima“ („erst mal“), dann im Rahmen ihrer Konfrontation ins Deutsche umschaltend mit der direkt an Pino adressierten rhetorischen Frage („hast du einen? “), die sie selbst gleich beantwortet („nein“). Pino begegnet diesem Angriff auf das Status- und männliche Gruppenidentitätssymbol bzw. die Metapher für die Lebenswelt der Gruppe die „Fische“ wiederum auf Sizilianisch mit einer „männersprachlich“ markierten' L) und durch erhebliche Lautstärke gekennzeichneten Antwort (Z. 10): „minchia * n-ai UNU TANTU“ („Mensch, * ich hab einen so (groß)“). Durch das lautma- 19 Sizilianisch minchia (‘Penis’) ist eine häufig gebrauchte Verstärkungspartikel in der Redeweise der Männer. <?page no="136"?> 136 Gabriele Birken-Silverman lende „ou ou“ nimmt er eine Selbstzensur vor, um nachträglich auf die Unziemlichkeit seiner Äußerung hinzuweisen. Die Sequenz wird nach der italienischen Reaktion der deutschen Gesprächspartnerin (Z. 12 „puoi parlare come ti viene“/ „du kannst frei reden“) abgeschlossen durch Sonias entsprechende ihr beipflichtende Aufforderung in derselben Sprache, aber einem umgangssprachlichen oder jugendsprachlichen Register (Z. 13): „sfogati“/ „lass ruhig Dampf ab, reg dich ab“. Im Unterschied zu der neutralen permissiven Äußerung der Feldforscherin („puoi parlare come ti viene“) impliziert Sonias anschließende Äußerung indessen ein missbilligendes Element, den Vorwurf des aufgeblasenen Macho. Als dominantes Muster zeichnet sich anhand der aufgezeigten Beispiele ab, dass überaus häufig einer der in der Clique an der Spitze der Hierarchie stehenden Jungen in solchen Frotzelsequenzen initial als Sprecher der Gruppe nach außen auftritt. Während die die „presa in giro“ („das Verulken“) einleitenden Mitteilungen über die Jungen vorwiegend auf Italienisch geäußert werden, sind diejenigen über die Mädchen zumeist deutsch. 4. Haareschneiden: eine Frotzelsequenz unter Jungen Ein letztes Beispiel soll noch einmal das Ausschöpfen der sprachlichen Ressourcen im Rahmen frotzelnder Interaktion aufzeigen. Beispiel 5: Haareschneiden (Teilnehmerkonstellation: Gio(vanni), P = Pino, D = Daniele, g = deutsche Exploratorin) 1 Gio: so ma e una <— speciale di/ di | na ( ) | seine Ma ist eine <—Spezialistin in/ in 2 P: | die hat Rea/ die hat | 3 Gymnasium die | hat Ding | 4 Gio: l( ) I 5 D: die hat ein Frisör * 6 P: äh 7 Gio: = Salon 8 g: ah <?page no="137"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 137 9 D: 10 Gio: 11 g: 12 Gio: 13 g: 14 Gio: 15 g: 16 Gio: 17 18 g: 19 Gio: 20 g: 21 P: 22 Gio: 23 g: 24 P: 25 D: 26 Gio: da muss ma halt/ vleischt schneidn | Sie auch 11/ Ihr/ Ihri/ wo/ wo schneidn Sie Ihre | öhö | Haare? ich? <schmunzelnd> * zu HAUse wirklisch (erstaunt) mit der Schere >manchmal auch beim Frisör is | aha nich | so oft | eben blinkt | <Signalanzeige> < e tu? und du? > iu? ich? ö dove li fai tagliare? * < da sua madre? wo lässt du sie schneiden? bei seiner Mutter? j iu | ci tagghiu ich schneide sie <] io | * da sua madre ich bei seiner Mutter ah si, veramente, ( zu Pino > anche tu? ahja, wirklich, du auch? > e per forza. Se | no m-ammazz | notwendigerweise. Sonst bringt die mich um | io na volt ce l'ho | tagliati una volta ho tagliati io ich hab sie ihm einmal geschnitten, einmal hab ich sie ihm geschnitten —> e nun nisciu pi quattru sittiman, meschin und da ging er vier Wochen nicht mehr raus, der Arme 27 (D und P lachen) Der Frotzelei geht die Vermittlung von Insider-Information über Danieles Mutter voraus, eingeleitet bemerkenswerterweise nicht von Daniele selbst, sondern von seinem Freund Gio (Z. 1), der sich des Standarditalienischen mit dialektaler Markierung als der vereinbarten Interaktionssprache be- <?page no="138"?> 138 Gabriele Birken-Silverman dient, um über deren berufliche Tätigkeit das Nichtgruppenmitglied aufzuklären. Pino leitet mit der Unterbrechung Gios einen Code-Wechsel zum Deutschen und eine thematische Erweiterung mit qualitativer Steigerung ein (Z. 2-3), indem er die höhere Schulbildung der Mutter anführt, und wird seinerseits unterbrochen von Daniele (Z. 5), dem als Sohn eigentlich Betroffenen. Gio erobert sich zunächst kurz durch sprachliche Hilfestellung und Präzisierung der Formulierung (Z. 7) die Sprecherrolle zurück, um in der Folge die Gesprächssituation - Information über die italienischen Jugendlichen auf den Kopf zu stellen, stattdessen Informationsvermittlung über die Interviewerin und damit eine Umkehrung der Rollen (Z. 10-15). Die von Pino in Z. 2 eingeleitete deutsche Interaktion wird von der Feldforscherin durch Rückkehr zur vereinbarten Interaktionssprache Italienisch (Z. 18 „e tu? “/ „und du? “) beendet, worauf ein weiterer Informationsaustausch im Rahmen von Frage-Antwort-Sequenzen auf Italienisch erfolgt (bis Z. 24). Abschließend unternimmt Daniele den Versuch, seine eigenen Haarschneidekünste als positive Leistung mit einzubringen (Z. 25), indem er eine Episode erwähnt, ohne weitere Ausführungen folgen zu lassen: „io na volt ce l'ho tagliati una volta ho tagliati io“ („ich hab sie ihm einmal geschnitten, einmal hab ich sie ihm geschnitten“). Dieser doppelte Versuch wird von Gio sprachlich auf Sizilianisch nun negativ ins Komische umgekehrt (Z. 26): „e nun nisciu pi quattru sittiman, meschin.“ („und da ging er vier Wochen nicht mehr raus, der Arme“). Frotzelobjekt ist hier zum einen Daniele, dessen Fertigkeiten indirekt abgewertet werden, zum anderen Pino, dessen wenig gelungener Haarschnitt ein derart komisches Aussehen vermuten lässt, dass er sich vier Wochen nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Ein elementares Strukturelement dieser Frotzelei ist wiederum die Übertreibung, die im übrigen auf einer negativen Unterstellung basiert. Ein regelrechtes Frotzelspiel entsteht daraus allerdings nicht, sondern mit dem Lachen Pinos und Danieles ist das Spiel beendet. 5. Schluss Nach der Analyse obiger Gesprächssequenzen scheint die allgemeine Aussage Auers zum Gesprächsverhalten der italienischen Migrantenkinder in Konstanz - „diese Sprache [das Deutsche], nicht das Italienische, wird verwendet [...] für Anspielungen und Witzeleien“ (1983, S. 355) im Hinblick auf die in Mannheim untersuchte Gruppe zu problematisieren und zu differenzieren <?page no="139"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 139 sein. Zum einen ist die unterschiedliche Kommunikationssituation (intraethnische vs. interethnische Kommunikationsituation) in Rechnung zu stellen, 20 zum anderen entspricht der Gebrauch des sizilianischen Dialekts zur Markierung von Spaß in der Jugendclique dem funktionalen Sprachgebrauch der Eltern. 21 Gemeinsam ist allen hier untersuchten Gesprächsausschnitten, dass die Frotzelaktivität („prender in giro“) bzw. die Herausforderung stets von einem männlichen Gruppenmitglied ausgeht; umgekehrte Fälle weisen die halbformellen interethnischen Kommunikationssituationen in der Jugendgruppe nicht auf. Desgleichen fehlen Frotzeleien unter den Mädchen in der gemischten Gruppe völlig. Möglicherweise kann hier auf das Nachwirken des in der traditionell ausgerichteten Herkunftsgesellschaft geltenden Männlichkeitsideals rückgeschlossen werden, wie es in anderem Zusammenhang von Tertilt konstatiert worden ist: „Aggressives und herausforderndes Verhalten [...], um die männliche und die Familienehre verteidigen zu können. Denn nur mit der Bereitschaft zu aggressivem Verhalten lässt sich die Zugehörigkeit zur Welt der Männer beweisen. Ein Junge muss zeigen, dass er fähig ist, die ihm zugewiesene Rolle auszufüllen.“ (1997, S. 164). Mit dem geschlechtsspezifischen Frotzelverhalten in den obigen Gesprächsausschnitten, das hier nicht im Mittelpunkt der Ausführungen stand, sondern einer gesonderten Analyse bedürfte, stimmen die Ergebnisse van Alphens (1996) in ihrer Untersuchung einsprachiger niederländischer Kinder weitestgehend überein sowie die Feststellungen zum ernsten bzw. unernsten Sprachverhalten von Mädchen und Jungen bei Kotthoff (1986, S. 23-24). Semantisch ist den Zügen innerhalb der Frotzelsequenzen gemeinsam, dass es um die Abwertung, das Schlechtmachen und Vorführen des Rivalen geht: fare brutta figura. Zumindest in den aufgezeigten Beispielen geht es dabei bei den Jungen um angestrebte oder erbrachte Leistungen, die abgewertet werden, bei dem verbalen Angriff auf Claudias Privatsphäre um ihre ethnische Zugehörigkeit, bei der Attacke gegen Sonia um die berufliche Rolle der 20 Siehe auch Anm. 11. 21 Bei den im Rahmen des Mannheimer Forschungsprojekts aufgezeichneten Gesprächen mit der Elterngeneration wurde wiederholt auf die Funktion des Sizilianischen zum Ausdruck von Komik und Witz hingewiesen. Vgl. auch Lo Piparo et al. (1990, S. 297), die aufgrund einer Erhebung in ganz Sizilien feststellen, dass für 83,7% „il siciliano e adatto specialmente per i discorsi allegri e scherzosi" [Das Sizilianische ist angebracht besonders bei lustigen und scherzhaften Diskursen], <?page no="140"?> 140 Gabriele Birken-Silverman Frau. Dabei zeichnet sich als in die Frotzelei eingebrachte Thematik der Konflikt mit der Herkunft bzw. Herkunftsgesellschaft in hohem Maße ab, indem dem Frotzelobjekt traditionelle Rollen und Stereotype aus der Perspektive der Aufnahmegesellschaft zugeschrieben werden, die das Frotzelsubjekt als Ausdruck einer ironisch-distanzierten Haltung gegenüber der Herkunftsgesellschaft vertritt. Erläuterungen zur Transkriptionsweise Kursivdruck Fettdruck <xxx> I XXX | * ** T I NEI: N nei: n < > gibt die deutsche Übersetzung italienischer bzw. sizilianischer Äußerungen wieder. bezeichnet sizilianische Äußerung Kommentar Parallelsprechen kurze Pause längere Pause Intonation steigend Intonation fallend auffällige Betonung auffällige Dehnung langsamer im Vergleich zu der direkt vorhergehenden Äußerung schneller im Vergleich zu der direkt vorhergehenden Äußerung lauter im Vergleich zu der direkt vorhergehenden Äußerung leiser im Vergleich zu der direkt vorhergehenden Äußerung schneller Anschluss <?page no="141"?> Code-Switching in der Kommunikation italienischer Migrantenjugendlicher 141 Literatur Alfonzetti, Giovanna (1992): II discorso bilingue. Italiano e dialetto a Catania. Mailand. Alphen, Ingrid van (1996): Wie Jungen das Lachen lernten - und wie es den Mädchen wieder verging. In: Kotthoff, Helga (Hg.): Das Gelächter der Geschlechter. 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Studies of languages in contact, mostly outside Europe, have found that contact induces changes in the involved languages (Weinreich 1953, p. 89ff), and when dialects are in contact, new varieties are likely to emerge (Trudgill 1986, p. 83ff). But very few linguists have actually studied the emerging new varieties that have resulted as a consequence of the last 30 years of language encounters in Europe. 1 We do know, however, that new colloquial varieties of speech have emerged around Europe among second and third generation immigrants varieties that are spoken by and associated with immigrant youth. The adolescents themselves have given these languages names like Kebabsvensk (“Kebab-Swedish”) (Kotsinas 1988), Straattaal (“Street-language”) (Appel 1999, Nortier 2000) and Byvankerspräk (which loosely translates into “Street-language” in Norwegian) (Aasheim 1997). Names like these indicate awareness of certain language varieties, associated with specific groups of speakers. The most thoroughly studied of the new varieties of immigrant-languages is probably Rinkeby-Swedish of Sweden. Kotsinas (1988, 1992, 1998) describes a new Swedish variety in Rinkeby, a suburb of Stockholm. This variety is linguistically characterised by its divergence from Standard Swedish in terms of pronunciation, syntax, morphology, and lexical borrowings from Turkish, Arabic, Serbo-Croatian and other immigrant languages. Rinkeby- Swedish was first noticed as early as the beginning of the 1980s. In Holland, 1 Here I do not take into account the extensive research on code-switching and -mixing in bilingual conversations which have been carried out among immigrants in many European countries. The type of speech variety that I am concerned with here, is a result of language encounters with more than two involved languages (particulary dealt with in Pidgin and Creole Linguistics, though the resulting varieties of the language encounters 1 am presenting in this paper should not be thought of as pidgin or creole). <?page no="146"?> 146 Pia Quist Rene Appel studies a similar phenomenon called Street-language, which is relatively new compared to Rinkeby-Swedish. Appel's exploratory studies motivated financing of a Dutch research project of “the interplay between languages and cultures in a multilingual and multicultural urban neighbourhood” (Bennis et al. 1999). 2 The Rinkeby-Swedish phenomenon inspired my study, part of which is presented here. The current study concentrates on speech varieties in ethnically heterogeneous communities in Copenhagen. Using one of the informants', Ahmed's, speech as an example, I shall demonstrate that there are characteristic linguistic features that belong to a new variety of Danish, which the adolescents can choose to use or not, depending on the situation. Through analysis of Ahmed's language use, I shall argue that Ahmed's speech should not be deemed as incorrect Danish or badly acquired second language skills, but, on the contrary, as an extra linguistic resource. In this article, however, I will not discuss terminology concerning concepts like ‘variety’, ‘dialect’, ‘style’, ‘register’ etc. Here I use variety as: A neutral term [...] to refer to any kind of language a dialect, accent, sociolect, style, or register that a linguist happens to want to discuss as a separate entity for some particular purpose (Trudgill 1992, p. 77). Compared to countries like Germany and Sweden, the number of immigrants who came to Denmark during the 1970s and 1980s was rather small. In January 1995, 3.8% of the population were immigrants, whereas in Germany the percentage was 8.6%, and in Sweden 6.1%. 3 Thus, the extensive language contact that we see today is rather new in Denmark. However, there are communities in the biggest cities (i.e., Copenhagen, Arhus, and Odense), where the majority of children come from non-Danish backgrounds. In some schools of metropolitan Copenhagen, more than 80% of the pupils are bilingual, coming from very different linguistic and cultural backgrounds. It is not unusual that 5 or 6 different languages are represented in a classroom. It is in such heterogeneous environments that the data for the study reported here were collected. 2 This project is lead by Hans Bennis, Guus Extra, Pieter Muysken and Jacomine Nortier, and some of its findings have already been published (cf. Nortier 2000). 1 Figures taken from “Udlaendinge '97. En talmaessig belysning af udlaendinge i Danmark”, Indenrigsministeriet, Kobenhavn 1998. <?page no="147"?> New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 147 2. The study The study is a pilot-study, which I started with the objective of researching spoken Danish in environments where the majority of adolescents have a language other than Danish as their first-language. I collected three types of data in three different institutions and in three different parts of Copenhagen in two youth-clubs and a high school. In each institution I found two persons who agreed to carry a mini tape-recorder, with which they collected about 11 hours of self-recordings. Beside the self-recordings I got a group of adolescents from each institution to play a board game for an hour, during which their conversations were recorded. After this I carried out retrospective interviews with the persons who made the self-recordings. Finally I also had the chance to do 2-3 days of very profitable participant-observations in each institution. Table 1 outlines the informants and the types of data used. Youth club, boys Youth club, girls High school Selfrecordings Ahmed 16, Berber Erchin 15, Turkish Mirca 13, Serbian Malene 14, Danish Rina 17, Arabic (Palestine) Morten 17, Danish Board game Ahmed 16, Berber Erchin 15, Turkish Dawood ? , Urdu 4 Sevki ? , Kurdish (Turk.) Hasan ? , Turkish Mirca 13, Serbian Fadime 15, Kurdish (Turk.) Serife 14, Kurdish (Turk.) Solaima 12, Kurdish (Iraq) Rina 17, Arabic (Palestine) Morten 17, Danish Ravin 17, Urdu Anne 17, Danish Usma 16, Urdu Retrospective interview Ahmed 16, Berber Erchin 15, Turkish Rina 17, Arabic (Palestine) Morten 17, Danish Table 1: Types of data, age and mother tongue of the informants. The names of the informants have been changed. In Quist (2000), I describe the language of (some of) the young people in these institutions as a new Danish speech variety. In the present article, I shall focus on Ahmed's language use as an example. Ahmed was born in Denmark. His parents are immigrants from Morocco, and the first language he spoke was Berber. He lives in a Copenhagen suburb where more than 45% of the pupils in schools and institutions are bilin- 4 Dawood, Sevki and Hasan are between 14 and 16 years old. <?page no="148"?> 148 Pia Quist gual. In the youth club where I met Ahmed and his friends, about 80% of the youngsters were bilingual. As they have a range of mother tongues, Turkish, Urdu, Somali, etc., Danish is their common language. 3. Variety and awareness Trudgill's definition of a variety, as quoted above, is rather broad, and therefore a good operational term so far. One criterion for deciding whether or not a linguistic phenomenon is worth discussing as a separate entity, is to take the speakers' own conceptions of the phenomenon into account. If the speakers themselves think about their speech as something distinguishable from other people's ways of speaking, it might well be worth considering it a variety. All the adolescents in my study were aware, and had some kind of conception of a speech variety that they associated with immigrant youth. The following extract from my data is an example of how Ahmed and his friend Erchin conceptualise this. The interviewer asks Ahmed and Erchin for explanations of specific words from their self-recordings. Just before the beginning of the extract Ahmed explained the meaning of the word aghas (cf. wordlist in the appendix). 5 Transcript 1 1 2 3 4 5 6 Interviewer: forstär alle godt det ord. does everybody understand that word. Ahmed: ja. yes. Erchin: ja # ja dem der er indvandrere gor. yes # yes all who are immigrants do. Interviewer: ja. yes. Ahmed: ogsä mange danskere xxx danskere de er ogsä begyndt at snake det der sprog. also many Danes xxx Danes are also starting to speak that language. %com: xxx lydord %com xxx onomatopoeic sound 5 All the data of the project have been transcribed according to the CHILDES convention (MacWhinney 1999). English translations are written in italics. A list of the CHILDES convention symbols is included at the end of this article. <?page no="149"?> New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 149 Even though this sequence is rather short, it can tell us something important about these speakers', especially Ahmed's, awareness of the phenomenon of a specific kind of language. First, I, the interviewer, was curious to know whether all their friends were able to understand the meaning of the Turkish, Kurdish and Arabic words that Ahmed and Erchin use (line 1). Then Ahmed in lines 5 and 6 talks about these words as a language. His use of a definite article, det der, that, for that language, shows certain recognition of a specific language that is separable and different from other languages. Second, we leam from the extract that that language apparently is something that ‘the Danes’ have now started to use they did not use it before, which implies that the alleged typical users of that language are not ‘the Danes’ but rather ,‘the immigrants’. 6 During the days of participant-observation in the boys' youth-club I often heard the youngsters talking about that language. For instance a boy could say: “stop talking like that, you are not a 1 perked“. Perker is a derogatory notion for any person with a background other than Danish. It is a wide spread word in Danish, known since the 1980s. The origin of it is unclear, though. Some say that the word ‘perked is a blend made up of Pakistaner (Pakistani) and tyrker (Turk). These two ethnic groups were the first immigrants and still present the biggest immigrant communities in Denmark. The adolescents do use the word among themselves, but it would be considered very aggravating for an out-group person to call them perkere. Even though the youngsters are obviously aware of some kind of Danish that is different from another kind of Danish, they do not have one specific name for it. Therefore, in this article I shall refer to it by using Ahmed's wording from the above extract, i.e. that language. Perkerdansk (Perker-Danish) is another synonym for that language, as is indvandrerdansk (Immigrant- Danish). As these names are (still) derogatory and not very widely used, I have chosen to use Ahmed's own wording just for the purpose of this article. 4. Linguistic characteristics of that language On the one hand, there is an awareness of a specific type of language. But are there, on the other hand, linguistic characteristics that can be said to belong to a youth-immigrant-language as more or less independent of the stan- 6 In Danish the adolescents use indvandrer, which means immigrant, as a term for every person of non-Danish descent. <?page no="150"?> 150 Pia Quist dard language? It is indeed possible to obtain some recurring linguistic characteristics of that language. With Ahmed's speech as an example I shall describe some of these features. In the following extract, Ahmed and his friends, Dawood and Mehmet, are on the bus on their way to central Copenhagen for a shopping tour. Dawood was bom in Denmark, his parents are from Pakistan, and his mother tongue is Urdu. Mehmet was also born in Denmark, his parents came from the Kurdish part of Turkey, and his mother tongue is Kurdish. Ahmed, Dawood and Mehmet are 15 and 16 years old, and they all attend the public schools in the neighbourhood. At the time of the recording, Ahmed wore a microphone on his chest, and carried a small tape recorder in his pocket. In the extract Ahmed brings up a range of different topics. He refers to a magazine that they have talked about earlier that day; he talks about parties (an earlier and a forthcoming one) and a girl, Sabrina, who Ahmed would like to get to know. Non-Danish words/ parts and some slang expressions are underlined in the Danish text and listed in the wordlist in the appendix. Transcript 2 1 2 3 4 5 6 7 8 Ahmed: wallah ieg siger min storebror han skylder mig 700 kroner jeg skal have 350 i dag og 350 om to uger # I got paras # skal du til den der fest oh pä fredag. wallah I tell you my big brother owes me 700 crowns I get 350 today and 350 in two weeks # / got paras # are you going to that party eh Friday. Mehmet: mm. %com: + Ahmed: wallah mand jeg siger dig bare efter den der tur jeg tsenker bare pä fest og kiz. wallah man I tell you after that trip all I can think about is party and kiz. %com: Mehmet laughs Ahmed: jeg har den der blad med lan i klubben. / took that magazine lan to the club Mehmet: wallah. %com: asking <?page no="151"?> 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 1 51 Ahmed: wallah j eg har. wallah I have. %com: they laugh Ahmed: ah den er god mand way ah cok way way. ah it's good man way ah gok way way. [•••] Ahmed: oh hvor jeg fryser # jeg skulle have taget den med wallah ieg skulle have taget den med. oh I’m cold # I should have brought it wallah I should have brought it. Mehmet: <hvem>[>]. <who>[>\ Dawood: <hvad>[<]. <what>[<\ Ahmed: det der blad. that magazine. Dawood: ja det er rigtigt. yeah that's right. Ahmed: men det ligger [/ ] du gär med i klubben bagefter. but it’s [/ ] you come to the club afterwards. [...] Ahmed: jeg sä Sabrina i dag. I saw Sabrina today. Mehmet: wallah. %com: asking Ahmed: ude foran bussen. in front ofthe bus. Mehmet: wallah. %ocom: asking Ahmed: wallah. %com: confirming Mehmet: hvad sagde hun. what did she say. Ahmed: men jeg sad inde i bussen hun gik udenfor jeg snakkede heller <?page no="152"?> 152 Pia Quist 27 28 29 30 31 32 ikke med hende jeg kender hende jo ikke men jeg skal snakke med hende när hun skal komme til fest [/ ] vi skal [/ ] wallah vi skal lave den der Projekt sf magi # den er meget god. but I was inside the bus she was outside 1 didn’t talk to her either I don't know her but I'll talk to her when she comes to party [/ ] we are going to [/ ] wallah we are going to make that project sf magi # it is very good. Dawood: hvad gär projektet ud pä. what's the project about. Ahmed: projektet det er at lave en baldre baldre ikke ogsä de skal sige gode ting om mig ikke ogsä. the project is about making a baldre baldre right they are going to say good things about me right. The data of my study contain lots of good material for comparing that language with ‘native Copenhagen youth language’. Many of the informants do not use the features of that language. The tape recordings therefore contain hours of ‘ordinary’ youth language from settings comparable to the settings of Ahmed's self-recordings. I use these data, as well as different works on Copenhagen speech and Standard Danish (Brink/ Lund 1975, Gregersen/ Pedersen 1991) as a basis for comparison. In this paper I use ‘Standard Danish’ as a wider term for ‘native Danish spoken by native youth in Copenhagen’. The linguistic features that distinguish this variety from Standard Danish are phonetic, syntactic, morphological and lexical. Several of these features are demonstrated in the extract. The most salient ones are the lexical borrowings from the immigrant languages Turkish, Arabic and Kurdish. For instance, the word wallah appears quite frequently, for example in lines 1, 5, 9. It is a word of Arabic origin meaning by God (~ I swear in the name of God). It can be used to serve several functions, but is mostly used to intensify, like in line 1 wallah I tell you ... In line 23, the word is used with a non-falling intonation as a question-particle expressing astonishment. Ahmed answers with a falling intonation, which suggests a confirmation in line 24. In line 6, Ahmed is using the Turkish word for girl ktz, and in line 10 qok, which means “much”. Note that none of the interlocutors in this interaction have Turkish as their first language, 7 even though Turkish words do appear in their 7 I am not sure of how much Turkish Mehmet actually knows. He told me that he does not speak any Turkish because he never attended his Turkish-classes (which the Danish public <?page no="153"?> New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 153 speech. This phenomenon of lexical ‘crossing’ (Rampton 1995) is common in the data. They also use many English words and expressions (as everybody else in Denmark does). 1 got paras in line 2 is an interesting blend of English and Turkish and perhaps Spanish or Italian. Para is Turkish and means money. Even though para in Turkish, is morphologically singular, the word in this context is given the plural-marking morpheme -5. Danish pluralmorphemes are -e and -er, so the -s could be an English influence (which seems reasonable as the utterance is English). But the way Ahmed ‘performs’ the line [ai got paras] could also suggest a playful style-mixing with Spanish or Italian. Elsewhere in my data (as well as in other data of Danish youth-language) there are examples of youngsters now and then using a stylised Spanish/ Italian accent and playing with words such as mafioso or Don Juan. It could be something like that Ahmed is drawing on here as he is talking about money. Baldre baldre, line 31, is an example of the adolescents' creativity in forming new words. The word is a sound play on galdre (to steal), which contains the Turkish stem gal (that means something with steal). The adolescents have given galdre a Danish morphology with the infinitive ending -dre. Baldre baldre derives from galdre because it sounds like it. It is used as a noun (not as a verb), and has a slightly different meaning than galdre. It actually means luring. Diverse pronunciation is another characteristic of the language being studied. Phonetically and prosodically, a number of features are different from the norm of Standard Danish. These include features such as intonation, stress, and the Danish stod (a word accent realised as a glottal constriction). A recurring feature is the absence of stod in words where Standard Danish would usually have it. For instance Ahmed pronounces the word tur in line 5 [tuR] where a Standard Danish pronunciation would be [tuZR] (the [Z] marks the stod). Another feature that seems to be frequent is the diverging order of sentence stress. Stress in Standard Danish is usually ‘stress-timed’ (as in English), whereas it seems that that language is ‘syllable-timed’. That means that Standard Danish has fewer but stronger stresses in an utterance, schools offered as ‘mother-tongue education’ to the Kurdish-Turks). However, it could be the case that he wants to express a Kurdish identity while talking to me, and therefore underplays his skills in Turkish. He explicitly sympathises with the Kurdish party PKK in Turkey for instance he wears a necklace with the PKK letters. <?page no="154"?> 154 Pia Quist and that language has more but weaker stresses which, to a Standard Danish out-group-speaker, gives a monotonous and staccato-like impression. In line 1 Ahmed puts the stresses as illustrated: wallah ieg siger min störebror hän skylder mig syvhündrede kroner. For comparison a Standard Danish distribution of stress in this utterance would be more or less this: wallah ieg siger min störebror han skylder mig syvhündrede kroner. In line 5f., there is an example of syntactic divergence from Standard Danish. Ahmed says, efter den der turjeg tcenker bare pä fest og hz (after that trip all I can think about is party and hz). In Standard Danish, there is syntactic inversion of the verb (tcenker) and the subject {jeg) after a frontal positioning of an adverbial (efter den der tur). Therefore, the sentence in Standard Danish would be efter den der tur tcenker jeg bare pä fest og hz. This feature of using non-inverted word order instead of the Standard Danish inversion is common in their speech. The extract also provides examples of non-standard morphological features. Standard Danish has a two-gender-system (neuter and common gender) marked by the indefinite articles et and en, and by the definite articles del and den. Among these adolescents, there is a tendency to overuse the common gender forms of en and den. Ahmed says in line 7, den der blad (that magazine), where it would be det der blad in Standard Danish. And in line 29, den der projekt (that project) in Standard Danish det der projekt. 5. Shifts and accommodation The above-described features could also appear in spoken Danish in contexts where written Danish or a Standard Danish norm would expect a different realisation. Diverging pronunciation and syntactic and morphological features due to the ‘on-line’ nature of spoken language are also common in speech of monolingual Standard Danish speakers. But the speakers either mostly self-correct such appearances, or they indicate by the use of gambits, pauses and prosody that their language displays these particular features because it is produced ‘on-line’. The examples of diverging features in Transcript 2, however, do not belong to this kind of ordinary ‘spoken language-divergences’ there are no self-corrections or other indicators of this particular awareness. This is why speech like Ahmed's could easily be per- <?page no="155"?> New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 155 ceived and deemed as bad or incorrect Danish by some out-group listeners. For instance the feature of using common gender instead of neuter could at first glance appear as such. But if we take a closer look at the extract, we see that Ahmed changes his gender choice for the same words in lines 7 and 16 and in lines 29 and 31. In line 16, he actually uses the standard form det der blad, also in line 31 projektet det. Why does Ahmed first use the nonstandard form den (lines 7 and 29) and afterwards shifts to the standard form detl Does it indicate that Ahmed is bewildered and confused about the ‘correct’ Standard Danish gender forms? No, in fact as the following analysis will show, these shifts do not happen randomly. Ahmed and Mehmet are sitting next to each other on the bus. In their conversation, they constantly use all of the above-described non-standard lexical, syntactic and morphological features. Dawood sits by himself on a seat behind them, and only occasionally participates in Ahmed's and Mehmefs conversation. In his conversations with Mehmet, Ahmed uses the nonstandard form den. But then when Dawood enters the conversation in lines 15 and 30, asking questions (what (magazine)? , what is the project about? ), Ahmed shifts from den to det. Thus it seems that Dawood triggers both shifts. Now, how can that be? In the data from the youth club, there are no examples of Dawood using any of the above-described non-standard features, whereas there are many examples of Ahmed and Mehmet using them. In a retrospective interview with Ahmed, he explains to me that Dawood does not use that language. Dawood does understand the words, but, for some reason, he does not use them himself. This is also confirmed from the observations I made in the youth club. It appears that some speakers use that language and some do not. Ahmed is well aware of the fact that Dawood is “one of those” who does not use that language. The shifts from features of that language to Standard Danish features can be explained as linguistic accommodation (Giles/ Smith 1979). Ahmed is converging towards Dawood's more standard-like variety of Danish. He may have various reasons for doing so. Perhaps he wants to signal solidarity with Dawood and “welcome” him into the conversation. He chooses to show this by converging a bit, with his choice of gender, towards the standard variety, which he perceives as Dawood's variety. Or perhaps, Ahmed by using the ‘correct’ gender forms wants to demonstrate to Dawood that he does know how to speak ‘proper’ Danish, so that Dawood will not think badly of him. <?page no="156"?> 156 Pia Quist Although Ahmed accommodates to Dawood's speech, he does not switch fully into Standard Danish. In line 31 after saying projektet det, he uses the expression baldre baldre, which is considered part of that language too. With the use of these words, Ahmed signals that he is still speaking that language. This type of shift between features of that language and Standard Danish is not the only one in my data. Ahmed constantly changes his speech according to the situation and the people he talks to. For example, he does not use the features of that language when he talks to me (an outsider as an ethnic Dane, an adult, and a woman). Hence, Ahmed is capable of speaking a variety that is closer to the standard when he feels it is needed. This is an important point for those who might judge Ahmed's speech as bad or incorrect Danish. His use of that language does not mean that he does not have a command over the Standard Danish norm. 6. Usage and awareness Ahmed himself is fully aware of the fact that he changes his language depending on the people he is speaking to, and he also knows that the way he speaks affects other people's perception of him. Transcript 3 1 Ahmed: 2 3 %com: 4 [...] 5 Interviewenmen hvis du for eksempel skulle til jobsamtale ville du sä snakke 6 sädan. but ifyou for instance were going to a job interview would you talk like that? for eksempel hvis der er en der spiller smart over for dig ikke ogsä sä siger “vil du ikke lade vaere” siger du “hvad fanden laver du din fucking svans” for eksempel ikke. for instance if somebody plays cool in front of you, right, then [you] say “please don't" you say, “what the hell are you doing youfuckingfaggot"for instance, right. the last sentence is said with an exaggerated immigrant accent {containing the prosodicfeatures described above). <?page no="157"?> New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 157 7 8 9 10 11 12 Ahmed: wallah vil du ikke give mig job? wallah would you like to give mejob? %com: said with an exaggerated accent. %com: interviewer laughs Ahmed: tror du jeg ville snakke sädan nej nej aldrig. do you think I would talk like that no no never. Ahmed: nej sädan snakker jeg ikke og for eksempel nu när jeg er i praktik jeg snakker siet ikke sädan der. no I don't speak like that and for instance now when I'm a trainee I don't speak like that at all. [•• ■ ] Ahmed: jeg ved godt hvor jeg skal tale det og hvor jeg ikke skal tale det. I do know when to talk like that and when not to. 13 Interviewer: hvor skal du ikke tale det. where are you not supposed to talk like that. 14 Ahmed: du skal ikke tale det for eksempel sädan som hvis man er inde pä 15 en cafe eher et eher andet ikke ogsä hvis der er andre mennesker 16 eller hvis man [/ ] eller for eksempel i skolen sä skal man heller 17 ikke snakke det sädan. you are not supposed to talkfor instance like ifyou are at a cafe or something like that, right, ifthere are other people there, or if you [/ ] orfor instance in school you are not supposed to talk like that either. 18 Interviewer: nej. no. 19 Ahmed: fordi det er ogsä lidt smart at snakke sädan noget. because it is also a bit cool to talk like that. Ahmed knows that he uses the variety when he wants to be perceived as tough or cool (lines 1-3 and 19). He is also aware of the fact that there are certain places where he is not supposed to talk like that. He mentions school, a job interview, his trainee-job, and a cafe when other people are listening. Ahmed knows that that language signals an image or values that are favourable in some, but certainly not all, situations. Unfortunately, I never asked Ahmed about the shifts from den to det, but one might doubt that he is actually aware of the fact that he is accommodating <?page no="158"?> 158 Pia Quist his speech in Transcript 2 when talking to Dawood. It seems that in Ahmed's mind, changing speech is a matter of speaking either ‘pure’, ‘correct’ Danish or that language. From the retrospective interview, it is clear that Ahmed is aware of a lot of things concerning his language use. But he is certainly not aware of all of it. According to Preston's (1996) descriptions of modes of “folk linguistic awareness”, it is common that some parts of a language or variety are available for awareness and some are not. When Ahmed describes the characteristics of that language, he mentions “the words” and “the accent”. These features are, in Preston's terms, available to Ahmed. But he is not aware of the syntactic and morphological features that I described above. In the interview, I asked him if a different word order would be part of that language too (I did not use these particular words). But Ahmed found this very difficult to talk about he was obviously not aware of the word order as part of the variety. Instruction might make him become aware of it, but at the time of the interview it was a feature unavailable to his awareness. Still, Ahmed evidently changes his word order depending on the situation. Alongside the uses of the lexical and phonetic features, which he is aware of as being part of that language, he uses the feature of non-inverted word order when talking to Mehmet. But in other situations he uses the standard-Danish word order. 8 7. The variety as a linguistic resource With the example of Ahmed I have given a brief description of a linguistic phenomenon, a colloquial speech variety, which is apparently emerging among immigrant youth in Copenhagen. I have showed that Ahmed has a conception of a specific kind of Danish that contrasts with a more nearstandard Danish. I have described how certain linguistic features can be identified as being part of that language, and that only some of these features are available to Ahmed's awareness. s The case of inverted versus non-inverted word order is certainly not unproblematic. As mentioned earlier in this article it is common in spoken Danish to use e.g. non-inverted word order in contexts where written Danish or a standard Danish norm would have inversion. This is also the case in Ahmed's spoken Danish. Still, I find that he uses less ‘standard-inversion’ in the conversations e.g. with Mehmet, than in the conversations e.g. with me. <?page no="159"?> New speech varieties among immigrant youth in Copenhagen - A case study 159 The phenomenon of that language is still rather new in Denmark. It is difficult to say anything as to whether it will outlive itself, or a process of focussing will take place. Many different factors will be determiners for both cases the speakers' awareness of the phenomenon as a separate variety on its own right, will probably be one of them. My point so far, however, which I hope to have made clear throughout the article, is that using a speech variety associated with immigrant youth, does not necessarily indicate that the speaker uses an ‘interlanguage’, a simplified language, in order to compensate for lack of skills in the second language. On the contrary, Ahmed's that language seems to be an extra linguistic resource that he can make use of in situations where he feels it is appropriate. Appendices Childes transcription symbols: (full stop) utterance terminator [>] overlap follows [<] overlap precedes xxx unintelligible speech # pause +... trailing off +/ . interruption [/ ] self-interruption abc translation line %ocom: comments by investigator [....] omission Word list for transcription extracts aghas = wide spread term in the whole Orient. The meaning dates back to Osmanic rule (and probably earlier) where it denoted ‘military chief. It was also used for feudal landowners, tribal chiefs and other powerful people. Particular in the latter sense, “agha” has spread through the whole oriental world. The adolescents use it as a term for ‘an adult who is controlling’, e.g. a policeman, a teacher or a trainconductor. <?page no="160"?> 160 Pia Quist baldre baldre = ^aldre = 90k = ew = kiz = lan = magi = Danish, probably a local innovation, meaning luring (cf. explanation in the text) cf. Footnote 5. Turkish, much or many Kurdish, is used for calling attention Turkish, girl Turkish, slang for man, “what's up lan” Kurdish, monkey, bum or tramp para = Turkish, money. Paras, English (or Spanish/ Italian) morphology projekt sf = Danish, probably a local innovation, meaning a secret plan for getting girls wallah = Arabic origin; it means “by God” (“vallah” or “vallahi” in Turkish and Kurdish has the same meaning), and is used for various functions such as intensifying, question-particle etc. References Aasheim, Stine C. 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Gegenstand und Ziel Die im Folgenden vorgestellte Untersuchung gehört zu einem ethnografischsoziolinguistischen Projekt, 1 das das Ziel hat, die Herausbildung und Verbreitung von kommunikativen Stilen in Gruppen jugendlicher Migranten in Mannheim zu untersuchen. Von den Minderheitengruppen in Deutschland sind vor allem die Migranten türkischer Herkunft in Bezug auf Größe und sozialen Erfolg ein potenziell bedeutsamer Faktor für eine langfristige Entwicklung von Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität. In einigen deutschen Großstadtmilieus entwickeln sich bestimmte Formen des Türkischen bereits zu prestigebesetzten Sprachformen für Jugendliche. 2 Für das Sprach- und Kommunikationsverhalten, das ausländischen Jugendlichen zugeschrieben wird, gibt es in den Medien Bezeichnungen wie „Slang der Hip-Hop beeinflussten Deutsch-Türken“ 3 oder „Proll-Kult“. 4 Diese besondere Sprache 5 wird durch eine einflussreiche Jugendkultur verbreitet 6 und erfährt dadurch auch unter deutschen Jugendlichen eine gewisse Bedeutung. 7 1 Das Projekt wurde am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim durchgefuhrt, vgl. Kallmeyer/ Keim (1999) und Kallmeyer/ Keim/ Tandogan-Weidenhammer (2000). 2 Vgl. z.B. die Untersuchung von Tertilt (1995); vgl. auch die Beiträge von Dirim und von Hinnenkamp in diesem Band. 3 Vgl. z.B. den Artikel aus dem Internet „IQ“, März 1999, Berlin, mit der Adresse: <info@iq-world.com>. In diesem Artikel wird behauptet, dass deutsche Schüler und Studenten das New Pidgin German verwenden, das von Hip-Hop-Bands und Komikern wie „Badesalz“ verbreitet werde und von ausländischen Hauptschülem gesprochen werde: eine Sprache, die „kurz“, „pathetisch und ausdrucksstark“ sei. In diesem Artikel finden sich auch viele Sprachbeispiele. 4 Telefonische Mitteilung der Redakteurin für die Sendung „Quer“ bei BR3. 5 Das in den Medien präsentierte Sprach- und Kommunikationsverhalten junger Migranten unterscheidet sich deutlich von dem Verhalten, das wir im Rahmen unseres Projektes in Jugendgruppen beobachtet haben; vgl. dazu Kallmeyer (2000), Keim (2001) und Kallmeyer/ Keim (2003); vgl. dazu auch Androutsopoulos (2001). 6 Vgl. Hip-Hop Stücke mit türkisch-deutschen Texten; vgl. in der Literatur und Kunstszene junge Schriftsteller wie Feridun Zaimoglu, der die Sprache türkischer Jugendlicher zur <?page no="166"?> 166 Inken Keim Das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zu verschiedenen Migrantengruppen, vor allem türkischen Migrantengruppen, ist das hat die Diskussion um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts 1999 wieder gezeigt immer noch problem- und spannungsgeladen. Eine Reihe politisch-gesellschaftlicher Gruppierungen bemüht sich zwar um eine Normalisierung der Beziehungen mit dem Ziel der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe von Migranten. Es gibt jedoch immer wieder (auch von prominenter Seite) Meinungsäußerungen, die Migranten vor die Alternative stellen, entweder Assimilation in die deutsche Gesellschaft oder gesellschaftliche Ausgrenzung. 8 Auch unter Migrantengruppen gibt es (u.a. in Reaktion auf erfahrene Ausgrenzung und Diskriminierung im Schul- und Ausbildungsbereich, im Wohn- und Kulturbereich, im politischen Bereich) vermehrt Aktivitäten der politischen und gesellschaftlichen Selbstausgrenzung, die oft durch Einflüsse aus dem Herkunftsland gefördert und verstärkt werden. 9 Alltägliche Kontaktsituationen zwischen Mitgliedern der deutschen Bevölkerung und Migranten und die dabei gemachten Erfahrungen können als Schlüsselsituationen für die Herausbildung kommunikativer Stile in Migrantengruppen angesehen werden: In Alltagssituationen immer wieder erfahrene Ab- und Ausgrenzungen und die besondere Verarbeitung solcher Erfahrungen gehören zu den Voraussetzungen für die Herausbildung von Subkulturen, über die dann die sozial-kulturelle Selbstdefinition und die Selbstebenso wie die Fremdausgrenzung hergestellt werden können. Um das Spektrum jugendlicher Milieus und damit verbundener kommunikativer sozialer Stile zu erfassen, wurden in unserem Projekt Jugendgruppen ausgewählt, die im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Einbindung und ihre soziale Orientierung maximal kontrastieren: einerseits Jugendgruppen aus Stadtgebieten, die von vielen Informanten als „Ausländer-Ghettos“ charakte- „Kanak Sprak“ stilisiert (vgl. Pfaff in diesem Band) oder Kabarettisten wie Sedat Pamuk, der den Kommunikationsstil türkischer Jugendlicher in stilisierter Form präsentiert. 7 Nach eigenen Beobachtungen und nach Aussagen von Informanten (Lehrerinnen/ Betreuerinnen) verwenden auch deutsche Jugendliche türkische Droh- und Anmachformeln. 8 Vgl. u.a. die politischen Kontroversen um die „doppelte Staatbürgerschaft“ in „Die Zeit“ vom 19.11.98, S. 5; vom 14.1.99, S. 11; vom 4.2.1999, S. 11 und vom 18.2.1999, S. 13. 9 ln einem Artikel aus „Die Zeit“ wird z.B. die zunehmende Aktivität fundamentalistischer, islamistischer Gruppierungen dargestellt, die unter jugendlichen Migranten der 2. und 3. Generation um Mitglieder werben und die der Ausgrenzungserfahrung vieler Jugendlicher und der Orientierungslosigkeit („Leben zwischen zwei Kulturen“) ein neues Gruppengefühl und ein neues Selbstwertgefühl entgegensetzen wollen, vgl. „Mit Koran und Grundgesetz“, in „Die Zeit“, 4. 2. 1999, S. 11-13. <?page no="167"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 167 risiert werden, und andererseits Jugendgruppen außerhalb des „Ghettos“, studentisch-akademische Gruppen, mit einer starken Orientierung auf überregionale und internationale Berufskarrieren. 10 Im Folgenden wird eine der jungakademischen Gruppen vorgestellt und es werden Ausschnitte aus einem Gruppengespräch analysiert. Ziel der Gesprächsanalyse ist es, die in diesem Gespräch hergestellte sozial-kulturelle Selbstdefmition, die die Gruppe in Reaktion auf Fremddefmitionen vornimmt, zu rekonstruieren und die Spezifik des Selbstbildes ebenso wie die Art und Weise seiner Herstellung als Merkmal des kommunikativen Stils dieser Gruppe zu erfassen. Die Kategorienkonstitution erfolgt über die sukzessive Ausfüllung kategoriengebundener Eigenschaften und Handlungsweisen. 2. Kommunikativer sozialer Stil und soziale Kategorisierung In der neueren linguistischen Stildiskussion wird mit Stil der Zusammenhang von sehr unterschiedlichen Ausdrucksmitteln bezeichnet, die auf unterschiedlichen Ausdrucksebenen über längere Strecken hinweg erscheinen. Sandig (1986, S. 31) z.B. bezeichnet Stil als „System, das auf die verschiedenen Dimensionen sprachlichen Handelns bezogen ist und das den Arten der Handlungsdurchführung differenzierenden sozialen Wert verleiht“. Stilistische Variation wird häufig als Wahl zwischen zwei oder mehr bedeutungsähnlichen Ausdrucksaltemativen verstanden. Mit dem im Folgenden vertretenen Konzept von sozialem Stil knüpfen wir an den anthropologischen und ethnografischen Stilbegriff an, wonach die Ausdrucksvariation zwischen bestimmten Gruppen im Sinne kultureller Unterschiede betrachtet wird; d.h., Stil wird auf Kultur und soziale Identität der Sprecher bezogen. In diesem Stilverständnis bezeichnet sozialer Stil die von Mitgliedern einer sozialen Einheit (Gruppe, soziale Welt, soziales Milieu u.Ä.) getroffene Auswahl an und Weiterentwicklung von Ausdrucksformen aus den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen für die Durchführung kommunikativer Aufgaben. Das herausgebildete Repertoire an Ausdrucksformen ist charakteristisch für die Mitglieder der sozialen Einheit und zeigt ihre soziale und kulturelle Zugehörigkeit an. Aus dieser Perspektive entspre- 10 Die ausgewählten Gruppen werden mit ethnografischen Methoden untersucht, und das aus Gruppeninteraktionen, aus Interaktionen mit Outsidern und aus ethnografischen Interviews aufgezeichnete Gesprächsmaterial wird gesprächsanalytisch untersucht und durch Vergleich auf stilkonstituierende Merkmale hin beschrieben. <?page no="168"?> 168 Inken Keim dien Stile Verhaltensmodellen, die das Ergebnis der Auseinandersetzung mit spezifischen Lebensvoraussetzungen und Lebensbedingungen sind. In sozialen Stilen kommen Leitvorstellungen der Gesellschaftsmitglieder zu einem eigenen, originären kommunikativen Handeln zum Ausdruck. Stile sind ein wesentliches soziales Unterscheidungsmerkmal. Stil ist ein holistisches Konzept. Konstitutiv für Stil ist, dass Ausdrucksformen auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen zu einem einheitlichen „Bild“ zusammengefugt werden, für die Untersuchung zum kommunikativen Stil von Jugendgruppen kann auf Arbeiten zur Ethnografie der Kommunikation, die auf die Untersuchung von kulturellen Stilen ausgerichtet sind (z.B. Heath 1983, Moerman 1988), auf anthropologische Arbeiten (z.B. Willis 1981), auf die kultursoziologischen Arbeiten Bourdieus (1989) zur stilistischen Differenzierung in der Gesellschaft frankreichs und auf die Aushandlungstheorie der sozialen Ordnung in der Nachfolge des symbolischen Interaktionismus (vor allem Strauss 1984) zurückgegriffen werden. Aufgrund der bisherigen ethnografisch-soziolinguistischen forschung 11 kann man davon ausgehen, dass für die Herausbildung kommunikativer sozialer Stile vor allem auch die Ausprägung eines Systems sozialer Kategorien für die Selbst- und fremdzuordnung wesentlich ist. 12 Die Analyse des Kategoriensystems ermöglicht die Rekonstruktion des soziosemantischen Systems einer sozialen Gruppe oder eines Milieus. 11 Vgl. u.a die Untersuchungen in Czyzewski et al. (1995), vgl. Kallmeyer/ Keim (1994), Keim (1995), Kap. 6 und Schwitalla (1995), Teil A und B, Kap. 6. 12 Stilistisch relevant sind neben dem System sozialer Kategorien auch noch folgende Dimensionen des Kommunikationsverhaltens: die Ausprägung von bestimmten pragmatischen Regeln des Sprechens (z.B. Regeln für die Wahl von Unterhaltungsthemen, Regeln für die Regulierung von sozialer Distanz und Nähe, für den Ausdruck von Lob und Tadel, für die Bearbeitung von Problemen und Konflikten, für die Herstellung von Geselligkeit u.Ä.); die Verwendung unterschiedlicher sprachlicher Ressourcen, (verschiedener Sprachen oder Sprachvarietäten) zur Äußerungsstrukturiemng und Interaktionsorganisation, vor allem aber zur Symbolisierung sozialer Eigenschaften; die Verwendung einer bestimmten Art formelhaften Sprechens zur Bearbeitung von kommunikativen Aufgaben; Äußerungsformen von Geschmack (wie Kleidung, Aufmachung, Bevorzugung bestimmter Medien u.Ä.) und Formen von Körperverhalten (nonverbales Ausdrucksverhalten, Bevorzugung von körperlicher Nähe oder Distanz u.Ä.). Die bestimmte Ausprägung von Phänomen auf diesen Ausdrucksebenen und ihre Verknüpfungen sind charakteristisch für den Kommunikationsstil von sozialen Gruppen. <?page no="169"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „Migrant/ Migrantin “ 169 Gesellschaftsmitglieder kategorisieren sich und andere unter Benutzung eines Systems von Kategorien, die in ihrer sozialen Welt für die Orientierung und für die Selbst- und Fremdzuordnung zur Verfügung stehen. Solche Kategorien beziehen sich auf unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft, auf Geschlechtszugehörigkeit, auf Alter, auf die soziale Hierarchie, auf mit bestimmten gesellschaftlich definierten Rollen verbundene Aufgaben und Pflichten, auf moralische Bewertungen u.Ä. Den Begriff der sozialen Kategorie verwende ich in Anlehnung an das von H. Sacks entwickelte Kategorienkonzept 13 dann, wenn die Beteiligten zur Charakterisierung von Personen und ihren Eigenschaften und Handlungsweisen einen festen Bestand von Inhaltsfiguren und Ausdrucksweisen verwenden, die in einem System organisiert sind. Bestimmte soziale Kategorien werden von Gesellschaftsmitgliedem als zusammengehörig betrachtet; sie bilden eine Kollektion, in die nicht jede beliebige andere Kategorie aufgenommen werden kann. Wenn eine Kollektion eine geschlossene Einheit bildet, ist sie ein System, in dem Kategorien in Relation zueinander definiert sind. Kategoriengebundene Eigenschaften und Aktivitäten geben das an, was man als Kategorienangehöriger tut (Sacks 1972, 1979). Nach Sacks gibt es eine begrenzte Anzahl von Kategorien, die sogenannten „Basiskategorien“, denen die meisten Gesellschaftsmitglieder zugeordnet werden können; das sind Kategorien wie Geschlecht, Alter, Konfession, Ethnie. Solche Kategorien sind „inference rieh“, d.h., über sie erschließt sich ein weites Hintergrundwissen über Personen, die ihnen zugeordnet werden (Sacks 1992). In Gesprächen erscheinen Basiskategorien im Zusammenhang mit der Selbst- und Fremdzuordnung vor allem als zweiwertige Klassifikationsmuster (z.B. „Frau“ vs. „Mann“, „Kind“ vs. „Erwachsener“, „Deutscher“ vs. „Ausländer“ u.Ä.), d.h., Sprecher unterscheiden dichotomisch zwischen „ich/ wir“-Zuordnungen und „du/ ihr/ sie“-Zuordnungen. 13 Vgl. Sacks (1972, 1979, 1992); Sacks entwickelt einen methodischen Apparat zur Erschließung des Hintergrundwissens, das Gesprächsteilnehmer bei der sozialen Kategorisierung und bei der Bedeutungsfestlegung von Ausdrücken zur Selbst- und Fremddefinition aktivieren. Die Bedeutung erschließt sich erst über die Zugehörigkeit einer Kategorie zu einer kulturell determinierten Kategorienkollektion und über ihre Position innerhalb eines Kategoriensystems. Sacks' Arbeiten zu Kategorisierungen sind vor allem wissenssoziologisch orientiert; den Prozess der sprachlichen Realisierung berücksichtigen sie kaum. Zu neueren Untersuchungen, die auch die sprachliche Realisierung von Kategorienzuschreibungen und Kategorisierungsprozesse im Gespräch untersuchen vgl. Drescher (1993), Keim/ Schmitt (1993), Kallmeyer/ Keim (1994), Hausendorf (2000), Schilling (1999). <?page no="170"?> 170 Inken Keim Unter dem Prozess der sozialen Kategorisierung im Gespräch verstehe ich die Art und Weise, wie Gesprächsbeteiligte auf der Basis ihres sozialen Wissens sich und andere typisieren und bewerten und die Relationen zwischen Personen in überschaubare Zusammenhänge bringen. Beim Reden über Dritte kann die Zuordnung zu Kategorien durch explizite Bezeichnung mit Kategoriennamen erfolgen; sie kann aber auch mithilfe der Präsentation kategoriengebundener Merkmale in narrativen Darstellungen, in Illustrationen, Zitaten, Beispielbelegen u.Ä. erfolgen. Kategorieelle Zuordnungen können durch bloße Benennungen erfolgen, sie können aber auch zu Kategorisierungsprozessen expandiert werden, in denen in relevanten Ereignissen offenkundig gewordene Merkmale von Personen sukzessive zu kategorienrelevanten Merkmalen verarbeitet werden. 14 Auch für die kategorielle Selbstzuordnung gibt es verschiedene Verfahren; sie reichen von der expliziten Benennung über eher implizite Formen (z.B. durch Kontrastherstellung zu negativ bewerteten Fremdkategorien) bis zur pragmatischen Verdeutlichung von kategoriengebundenen Merkmalen. Im letzten Fall werden solche Merkmale enaktiert, d.h., die Beteiligten sprechen und handeln wie ein bestimmter Kategorienangehöriger. Sozialstilistisch relevant sind also neben der Organisationsstruktur von Kategorienkollektionen und den Bezeichnungen für Kategorien auch Inhalt und Ausdrucksformen für kategoriengebundene Merkmale und vor allem die sprachlichen Mittel und Verfahren, die bei der gesprächsweisen Herstellung von Kategorien zur Selbst- und Fremdzuordnung verwendet werden. 15 3. Beschreibung der ausgewählten Gruppe Die vorgestellte Gruppe 16 ist in der Mehrheit eine studentisch-akademische Gruppe; sie besteht aus jungen Frauen und Männern, ist kulturell gemischt und hatte zur Zeit der Aufnahme (1997) ca. dreizehn aktive Mitglieder (fünf 14 Vgl. dazu Keim (1995), Kap.6; zu den expandierten Durchführungsweisen gehören in der dort beschriebenen sozialen Gruppe folgende Prozessstadien: a) indexikale Falldarstellung und Bewertung; b) Herausarbeiten typischer Merkmale; c) Generalisierung durch Verwendung von formelhaften Formulierungen und Sprichwörtern; d) Nennung des Kategoriennamens. 15 Vgl. Keim (1995), Kap. 6.; vgl. Schwitalla (1995), Teil A, Kap. 6 und Teil B, Kap. 6. 16 Die Gruppe wird seit Mitte 1997 von Ibrahim Cindark, der seit Oktober 2000 Mitglied unseres Projektes ist, ethnografisch beobachtet und dokumentiert. Das im folgenden analysierte Material wurde von ihm aufgezeichnet, transkribiert und mir für die Analyse zur Verfügung gestellt. Zum kommunikativen Stil der Gruppe vgl. Cindark (i.Vorb.). <?page no="171"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 171 Mitglieder sind türkischer, fünf kurdischer Herkunft, zwei Mitglieder sind italienischer und eins ist spanischer Herkunft). Die Gruppenmitglieder sind als Kinder von „Gastarbeitern“ in Deutschland aufgewachsen. Die Gruppe gründete sich 1993 nach den Anschlägen in Solingen und Mölln. Sie ist politisch orientiert. Zum offiziellen Gruppenprogramm gehört der politische Kampf gegen den „Rassismus in Deutschland“ und der politische Kampf für Teilhabe an kommunalen und bundespolitischen Entscheidungen. Einige Mitglieder der Gruppe sind in kommunalen Gremien engagiert, in denen es um die inhaltliche Bestimmung ausländerpolitischer Arbeit durch deutsche Institutionen und um die Verteilung von Ressourcen für ausländische Organisationen geht. Die Gruppe ist bundesweit vernetzt; sie nimmt an überregionalen Treffen und Tagungen teil, die von Parteien (Grüne, SPD), Gewerkschaften, sozial-pädagogischen Einrichtungen und Migranten-Vereinen getragen werden. Die Gruppe trifft sich vierzehntägig. Die Treffen dienen der Vorbereitung von politischen Aktionen, der Nachbereitung von Tagungen und Veranstaltungen und im Zusammenhang damit der Aufarbeitung von Ausgrenzung und Diskriminierung vor allem durch deutsche Institutionen und Organisationen und deren Vertreter. Dabei kreisen die Diskussionen manifest um das eigene Selbstverständnis. Nach Einschätzung einiger Gruppenmitglieder hat die Gruppe einen „besonderen Code“ entwickelt, um diskriminierendes Verhalten von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft aufzudecken und zurückzuweisen: eine eigene Art von Witz und Schlagfertigkeit, von provokativem, aggressivem oder ausweichend-hinhaltendem Verhalten. Exkurs: Zum Selbstverständnis der Gruppenmitglieder, wie es in den ethnografischen Interviews zum Ausdruck kommt, gehört, dass sie keine „Deutschen“ sein wollen, aber auch keine „Türken“ oder „Italiener“. Sie verstehen sich als „in Deutschland lebende Migranten der 2./ 3. Generation“; sie bestehen auf der Anerkennung ihrer nicht-deutschen Herkunft und der Spezifik ihrer Sozialisationserfahrung in Deutschland, die sie als typische Minderheitenerfahrung in einer „intoleranten und fremdenfeindlichen Mehrheitsgesellschaft“ begreifen. Ihr Lebensmittelpunkt ist Deutschland, in die Herkunftsländer können und wollen sie nicht zurück. Die primäre Sprache ist Deutsch, auch zwischen Sprechern gleicher Herkunft. Sie haben ein sehr hohes Sprach- und Stilbewusstsein und wollen sich in Deutsch in allen Situationen differenziert, gut und überzeugend ausdrücken können. Die Her- <?page no="172"?> 172 Inken Keim kunftssprache können sie noch, einige nur „kastriert“, andere lernen sie wieder bewusst, um auch darin kompetent zu werden. Deutsch ist die Sprache „des Intellekts“, die Herkunftssprache eher „emotionale“ Sprache. 4. Analyse der interaktiven Herstellung der Kategorie „Migrant“ Im Folgenden werde ich eine Fallanalyse präsentieren und auf der Basis dieser Analyse erste Hypothesen zur spezifischen Ausprägung des kommunikativen Stils der Gruppe im Bereich der sozial-kulturellen Selbstdefmition als „Migrant/ in“ formulieren. Die Arbeit an dieser Kategorie ist immer wieder Gegenstand von Gruppeninteraktionen. Das vorgestellte Gespräch stammt aus einem Routinetreffen der Gruppe, das im Sommer 1997 stattfand. Da die Gruppe ein eingetragener Verein ist und auf dem Postverteiler vieler deutscher Organisationen und Institutionen steht, die sich mit Ausländerbelangen beschäftigen, erhält sie regelmäßig Informationen, Anfragen und Einladungen von diesen Stellen. In der Regel verhandelt die Gruppe zu Beginn ihrer Routinesitzungen über die Relevanz dieser Anschreiben. Bei der Beurteilung der Bedeutung dieser Schreiben kommt es immer wieder zur Auseinandersetzung mit verschiedenen Fremdwahmehmungen und Fremdbezeichnungen und zur Arbeit am Selbstbild. Das ist auch im folgenden Beispiel der Fall. In den vorgestellten Ausschnitten befasst sich die Gruppe mit Einladungen von seiten deutscher Organisationen und bearbeitet die für sie relevanten Fremdbezeichnungen und Fremdwahmehmungen. Ziel der folgenden Gesprächsanalyse ist die Rekonstruktion des Selbstbildes, das in der Auseinandersetzung mit Fremdbildem interaktiv hergestellt wird, und der kategorienrelevanten Merkmale die Beschreibung des Herstellungsprozesses und der dabei verwendeten sprachlichen Mittel und Verfahren und die Deutung des Zusammenhangs zwischen dem Selbstbild und den zu seiner Herstellung verwendeten Mitteln und Verfahren als konstitutiv für den kommunikativen Stil der Gruppe. <?page no="173"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 173 4.1 Die Zurückweisung der Kategorisierung als „ausländische Gruppe“ (1-33) Die erste Auseinandersetzung mit einer Kategorisierung durch Außenstehende erfolgt in Reaktion auf die Adressierung in einem der Einladungsschreiben. Vor dem Transkriptausschnitt behandeln die Mitglieder das Angebot eines Fortbildungsseminars. Dabei wird vor allem der günstige Preis des Seminars hervorgehoben und das führt zu der Idee, das Seminar allein schon aufgrund des Preises zu belegen. Damit beginnt der Transkriptausschnitt. Während MAs Kommentar zu dem preisgünstigen Angebot betrachtet BL das nächste Einladungschreiben und initiiert mit seiner Reaktion darauf eine Auseinandersetzung mit der Bezeichnung als „ausländische Gruppe“. 1 MA: 2 MA: 3 BL: 4 BL: 5 HN: 6 Ü 7 BL: 8 BL: 9 K 10 BL: 11 BL: 12 ZB: 13 BL: 14 ZB: 15 BL: 16 ZB: 17 Ü 18 IB: 19 BL: 20 K 21 ZB: 22 BL: 23 IB: [....] neunzisch maak —»in einer woche<— in einer woche gibste hier mehr aus- >des muss mer zurückschicken (irgendwie)< SCHNALZT MIT DER ZUNGE >hayret bir §ey< * ist das komisch schicken sie bitte nach auslandi * asso weißt dut ähm * betreffen ausländische äh ausländischer vereine MEINT: BETRIFFT ** an alle ausländischen gruppen und vereine da müssen wir * <falsch |adressiert | schicken sie [deshalb sagte ich ja| bitte nach auslandi> LACHT eigntlich müsstn wa (...) [das meinte äh ich ja vorhin* |onu gördü|gümde des ding als ich es sah von [wem is das) richtig^ * p san alle ausländischen gruppen POSTSKRIPTUM da unten und vereinei ** LACHT +is des von dem gleichen <?page no="174"?> 174 Inken Keim 24 BL: 25 K 26 IB: 27 HN: 28 BL: 29 K 30 BL: 31 MA: 32 BL: 33 MA: fal|sch adressiert- | LACHEND |ding oder wa/ T |>—»warum warum-f- | schreiben |die u“ns an< | is in/ inlandmüssen se nach ausland schicken LACHEND# |LACHT| falsche postkartel (postbedingt? ) |(... |LACHT| jkönnt ( ) I mer eigentlich | machen so einfach^ * just for gag Der Ausschnitt beginnt mit MAs Kommentar zu dem preisgünstigen Angebot: neunzig maak -^>in einer woche <— in einer woche gibste hier mehr aus- (Z. 1-2). Die Äußerung läuft mit schwebender Intonation aus; sie ist eine Einladung an die Beteiligten, auf die Einschätzung zu reagieren. Die direkt folgende Aufforderung BLs des muss mer zurückschicken (irgendwie) (Z. 3- 4) ist keine erwartbare Reaktion auf die positive Bewertung von MA. Es wird kein Bezug zum thematischen Fokus der Vorgängeräußerung (günstiger Preis) hergestellt und die mit MAs Äußerung etablierte konditionelle Relevanz (Einladung zur Stellungnahme) wird nicht erfüllt. Die leise, zurückgenommene Sprechweise und das der Aufforderung direkt folgende Zungenschnalzen heben weitere Aspekte hervor: BL zeigt inszenierend an, dass ihm an dem Schreiben, das er in der Hand hält, etwas aufgefallen ist, auf das er reagiert und das ihn so interessiert, dass er nicht auf MA reagiert. Seine Äußerung im Modus der Sicherheit (Modalverb „müssen“) macht außerdem deutlich, dass er davon ausgeht, dass sein Vorschlag, das Schreiben zurückzuschicken, auf das Einverständnis der Gruppe stoßen wird. Wie der weitere Gesprächsverlauf zeigt, initiiert BL einen Wechsel des thematischen Fokus und des Interaktionsrahmens. HN reagiert noch (leise und wie zu sich selbst gesprochen) mit der türkischsprachigen Formel hayret bir §ey (ist das komisch, Z. 6) auf MAs Begeisterung für den billigen Preis. Der nicht-fokussierte Wechsel ins Türkische und die Verwendung einer türkischen Formel bei einem eher zu sich selbst gesprochenen Kommentar zeigen, dass das Türkische für ihn eine in spontanen Reaktionen selbstverständliche Sprache ist. Nach kurzer Pause (keiner reagiert auf BLs Aufforderung) präsentiert BL eine weitere Aufforderung: schicken sie bitte nach ausland (Z. 1). Aufgrund der sequenziellen Platzierung (Folgeäußerung zu dem Vorschlag des müss <?page no="175"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 175 mer zurückschicken) kann das als Anweisung an den Absender gelesen werden, den Brief an eine andere Adresse zu schicken, und zwar „nach Ausland“. BL liefert damit als Begründung für das Zurücksenden des Briefes, dass er falsch adressiert wurde. Die Formulierung hat spielerische Qualität, denn nach ausland ist keine normale Postanschrift, an die das Schreiben geschickt werden könnte. Mit der neuen Adressenangabe setzt BL die Bezeichnung ausland relevant und er eröffnet implizit folgende Kontrastrelation: „Ausland ist die richtige Adresse, wir hier sind die falsche Adresse“. In dieser Kontrastrelation ist das Bestimmungselement zu „wir“: „wir im Inland“. Und mit der Begründung, dass „wir im Inland“ nicht die richtigen Adressaten für das Anschreiben sind, etabliert BL einen neuen Interaktionsrahmen, die spielerisch modalisierte Problematisierung und Zurückweisung eines an die Gruppe gerichteten Schriftstückes. Als auch darauf keine Reaktion erfolgt (keiner ergreift an der übergaberelevanten Stelle das Wort, d.h., die anderen warten ab), fahrt BL mit der Aufmerksamkeitsformel asso weißt du'l fort und liest die Anrede aus dem Schreiben vor: ähm * betreffen ausländische äh ausländischer Vereine ** an alle ausländischen gruppen und vereine da müssen wir * <falsch adressiert * schicken sie bitte nach auslandf> LACHT (Z. 7-13). Hier wird deutlich, dass die Adressierung „ausländische Gruppen und Vereine“ die Begründung für das Zurücksenden des Schreibens ist. BL reformuliert seine Aufforderung, verweist auf die eigene Gruppe als „falsche Adresse“ und nennt nochmals das „Ausland“ als die richtige Adresse für „ausländische Gruppen und Vereine“. BLs Argument basiert dabei auf einer auffallenden Verwendung des Ausdrucks „Ausländer“: Er beinhaltet nur die Dimension der territorialen Zugehörigkeit, d.h., „Ausländer“ umfasst nur die Menschen, die sich im Ausland befinden, dort wohnen oder leben. Der Aspekt der nationalen Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit ist ausgeblendet. Über diese eigenwillige Verwendung der Bezeichnung „Ausländer“, die vom „normalen“ Sprachgebrauch abweicht, nimmt BL sich und die Gruppe aus der Ausländer- Kategorie heraus. Das darauf folgende Lachen zeigt die spielerische Modalisierung des Arguments. Simultan zu BL beginnt ZB mit einer zustimmenden Äußerung deshalb sagte ich ja (Z. 12), bricht ab, und fährt dann (BLs Reformul ierung unterbrechend) fort: das meinte ich ja vorhin * onu gördügümde * des ding da unten (Z. 14- 21). Von der Formulierungsstruktur her ist das eine präferierte Reaktion <?page no="176"?> 176 Inken Keim (Zustimmung mit direktem Anschluss, keine Verzögerungssignale u.Ä.), mit der ZB volles Einverständnis mit BL ausdrückt; sie verweist darauf, dass sie vorher bereits einen ähnlichen Vorschlag gemacht hat. Dem stimmt wiederum BL zu (richtig, Z. 19). Da von den anderen Beteiligten keine infrage stellenden oder ablehnenden Reaktionen auf BLs Vorschlag erfolgen, kann man davon ausgehen, dass auch sie einverstanden sind. Die unaufwändige Konsensherstellung zwischen den Beteiligten zeigt, dass unter ihnen ein stillschweigendes Einvernehmen darüber herrscht, wie sie mit einer Fremdkategorisierung als „ausländische Gruppen und Vereine“ umgehen: Sie wird nicht akzeptiert und zurückgewiesen. ZBs Äußerung besteht aus drei Segmenten: einem deutschen das meinte ich ja vorhin-, einem türkischsprachigen Segment onu gördügümde (als ich es sah), das vom Türkei-Türkischen abweicht; onu wird dort nur für Personenreferenz gebraucht, hier dagegen zur Referenz auf Sachen, auf des ding in dem folgenden deutschsprachigen Teilsegment. Das türkische Segment ist syntaktisch eingepasst in den deutschen Matrixsatz und des ding da unten fungiert als nach rechts ausgelagertes Akkusativobjekt zu dem türkischen Nebensatz. Die Formulierung ist eine gelungene morphologisch-syntaktische Verknüpfung von Elementen aus beiden Sprachen. 17 BL liest nochmals die Adresse aus dem Schreiben an alle ausländischen gruppen und vereine (Z. 19-22) und beginnt nach einer längeren Pause zu lachen, so als ob ihm gerade eine weitere Idee gekommen sei. Er kommt jedoch nicht dazu sie zu formulieren, da IB (mit schnellem Anschluss) nach dem Absender des Schreibens fragt. Überlappend knüpft HN an die vorherige Bearbeitung der Ausländerkategorie an: warum warum schreiben sie u “ns an (Z. 27) und drückt seine Verwunderung darüber aus, dass der Absender die Gruppe mit einem an „ausländische Gruppen und Vereine“ gerichteten Anliegen befasst. Mit dem Kontrastakzent auf u “ns setzt auch er die Gruppe in Opposition zur Ausländerkategorie. Überlappend präsentiert BL eine zweite Version seines Vorschlags und schließt mit der lachenden Sprechweise an sein vorangegangenes Lachen an: falsch adressiert is in/ inlandmüssen se nach ausland schicken. Mit der Begründung is inland und der Aufforderung müssen se nach ausland schicken (Z. 24-28) macht er jetzt die vorher in der Kontrastrelation bereits ange- 17 Es ist eine Art von unmarkiertem Code-Switching wie sie in Poplack/ Sankoff (1988) beschrieben wird. <?page no="177"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 177 legten Kategorien „Inland“ und „Ausland“ explizit und legt sie inhaltlich fest: Sie sind ausschließlich aus einer lokaldeiktisch festgelegten Perspektive bestimmt; diejenigen, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt im Inland befinden, sind „Inländer“, und diejenigen, die sich außerhalb des inländischen Territoriums befinden, sind „Ausländer“. Das ist eine Reduktion, die keiner alltagssprachlich üblichen Bedeutung von „Ausländer“ entspricht. Mit dieser Reduktion wird die Zuschreibung „Ausländer“ abhängig von den deiktischen Bedingungen der Zuschreibungssituation und damit beliebig: Jeder kann abhängig von seinem Standort zum Inländer oder Ausländer werden. Die Bezeichnung „Ausländer“ verliert so den rechtlich-nationalen Bezug und die sozialausgrenzende Qualität. Das gleichzeitig einsetzende Lachen von BL und MA zeigt, dass sie diese semantische Reduktion für gelungen und witzig halten. MA stimmt dem Vorschlag zu: könnt mer eigentlich machen so einfach (Z. 31-33) und macht in dem abschließenden Kommentar just for gag (Z. 33) die Interaktionsmodalität manifest, die vorher mehrfach signalisiert worden war (nicht-ernsthafter Vorschlag, lachendes Sprechen, Lachen): das Ganze ist ein Spiel mit einer möglichst witzigen Zurückweisung der Fremdzuschreibung „Ausländer“. Die bisherige Sprachproduktion der Beteiligten kann folgendermaßen charakterisiert werden: Sie sind bilingual und standardnahes Deutsch ist hier die bevorzugte Sprache bzw. Deutsch mit gelegentlichen umgangssprachlichen Elementen. Mannheimer Stadtsprache spielt keine Rolle. Es gibt gelegentliche Wechsel ins Türkische, die semantisch und syntaktisch in die deutschsprachige Interaktion eingepasst sind. Das Türkische zeigt Unterschiede zum Türkei-Türkischen. In BLs Deutsch gibt es einige grammatische und lexikalische Auffälligkeiten: die Präpositionalphrase nach ausland entspricht nicht den grammatischen Regeln des Deutschen, die Briefformel „betrifft“ bereitet ihm Schwierigkeiten und er korrigiert die grammatisch korrekte Version ausländische vereine durch eine Version mit abweichender Adjektiv- Morphologie zu {betrifft) ausländischer vereine (Z. 8). Es ergibt sich ein interessanter Zusammenhang zwischen ausdrucksseitiger Realisierung einerseits und Inhalt bzw. pragmatischer Funktion der Äußerungen andererseits: Die Beteiligten fuhren vor, dass jemand, der bilingual ist und Deutsch mit bestimmten Besonderheiten spricht, sich nicht notwendigerweise als „Ausländer“ verstehen muss, d.h., das Selbstverständnis der Beteiligten gründet auf der Vorstellung der Trennung von Sprache und nationaler Zugehörigkeit. <?page no="178"?> 178 Inken Keim Bei der bisherigen Analyse blieben die beiden Beiträge IBs noch weitgehend unberücksichtigt. IBs Fragen und die Reaktion der anderen darauf sind vor allem unter sozialstilistischem Aspekt interessant: IB, der überlappend mit ZBs Beitrag nach dem Absender des Briefes gefragt {von wem is das, Z. 18), aber keine Antwort erhalten hat, fragt kurz danach ein zweites Mal: is des von dem glei“chen ding oder was (Z. 23-26). IB ist der einzige, der nach dem Absender des Rundschreibens fragt. Mit seinen Fragen stellt er sich außerhalb der lokal fokussierten Gruppeninteraktion, der Zurückweisung der Fremdkategorie „Ausländer“. Aufschlussreich sind die Reaktionen der anderen: Sie ignorieren seine Nachfragen. Dass sie der von ihm gesetzten konditioneilen Relevanz, die durch die zweite Frage noch erhöht wird, nicht nachkommen, zeigt, dass für sie die Bearbeitung der Fremdzuschreibung zu diesem Zeitpunkt Priorität hat und dass Erläuterungen und Erklärungen an IB nachrangig sind. Diese Reaktion macht den Stellenwert, den die aktuelle Interaktion für die Gruppe hat, deutlich: Die spielerische Zurückweisung der Fremdkategorie dient der Selbstverständigung der Gruppenmitglieder untereinander; und diese Selbstverständigung in Bezug auf das Selbstbild und die Arbeit daran hat das zeigt die Reaktion der Beteiligten auf IBs Fragen - Priorität vor allgemeinen Interaktionsregeln, wie der Erfüllung konditioneller Relevanzen oder der Beachtung von allgemeinen Höflichkeitsregeln. Die Selbstverständlichkeit und die Gleichsinnigkeit bei der Bearbeitung der Fremdkategorie betrachte ich als Hinweis darauf, dass die in diesem Gesprächsausschnitt vorgeführte Art des Umgangs damit zu den Merkmalen des kommunikativen Stils der Gruppe gehört. Das bedeutet, dass folgende Bearbeitungseigenschaften stilistisch relevant sind: - Es gibt einen Gruppenkonsens über die Nicht-Annahme der Fremdzuschreibung „Ausländer“; sobald die Kategorie „Ausländer“ als Fremdzuschreibung wahrgenommen wird, wird sie problematisiert und zurückgewiesen; wie die Unvermitteltheit der Bearbeitung zeigt, scheint es einen Konsens unter den Mitgliedern zu geben, dass jede sich bietende Gelegenheit zum Anlass gemacht werden kann, um nicht akzeptable Fremdkategorisierungen zurückzuweisen; dabei werden auch abrupte Themen- und Interaktionsrahmenwechsel akzeptiert; die Zurückweisung erfolgt in spielerischer Modalität; es werden unernste Vorschläge gemacht, die für die Gruppe auch Unterhaltungswert haben; <?page no="179"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 179 das Verfahren, das dem Spiel zugrunde liegt, ist Umdeuten der Fremdkategorie durch semantische Reduktion. Die Reduktion hat stark verfremdende Qualität und macht die ausgrenzende Qualität der Fremdkategorie besonders deutlich; zu den gruppenspezifischen Interaktionsregeln gehört, dass die Bearbeitung einer nicht akzeptablen Fremdkategorie Priorität vor anderen anstehenden Interaktionsaufgaben hat; gesetzte konditionelle Relevanzen können durch den höherrangigen Wert, der „Arbeit am Selbstbild“, außer Kraft gesetzt werden, wenn sie nicht in direktem Zusammenhang damit stehen. Das Spiel und das ihm zugrunde liegende Verfahren der semantischen Umdeutung und Reduktion treffen auf selbstverständliche Zustimmung in der Gruppe. Das zeigt, dass solche Verfahren zu den rhetorischen Verfahren gehören, die die Beteiligten für die Zurückweisung von Fremdbezeichnungen verwenden, mit denen ihr Sonderstatus und ihre Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft angezeigt wird. Über die Art und Weise der Zurückweisung der Fremdkategorie betreiben sie gemeinsam die Selbstdefinition als „Nicht-Ausländer“ und als „Inländer“. 4.2 Entwickeln einer kategorienspezifischen Aktion (66-105) Kurz danach beschäftigen sich die Gruppenmitglieder mit einem Anschreiben des Ausländerbeauftragten, in dem sie aufgefordert werden, sich an den „interkulturellen Wochen“, die jährlich bundesweit stattfmden, mit eigenen Veranstaltungen zu beteiligen. Die interkulturellen Wochen stehen unter dem Motto „gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“. Die erste Reaktion auf das Anschreiben kommt von BL, der dazu auffordert, sich eine Teilnahme gut zu überlegen und politisch „gut zu taktieren“. Seinen längeren Beitrag schließt er mit einem Appell, über die Art der Beteiligung nachzudenken {wir wissenja dass ma uns gedanken machen * wie wir das machen). Damit beginnt der folgende Transkriptausschnitt, in dem die Beteiligten sukzessiv einen Plan zu einer Gruppen-Aktion entwickeln. 66 BL: 67 BL: 68 MA: 69 MA: 70 BL: 71 MA: vielleicht * jat wir wissen ja dass ma uns geda“nken machenj, * wie wir das * machen)- * un ganz zufällisch fallt des auch zusammen mit dem tag der deutschen +<ja“T |(...)> | einheit am zweiten zehnten- |einund|zwanzigster <?page no="180"?> 180 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 Inken Keim —>ohohoh<—4 * an BL: MA: BL: MA: BL: MA: MA: MA: HN: MA: BL: MA: BL: MA: MA: BL: MA: BL: HN: BL: MA: HN: BL: MA: MA: BL: MA: BL: MA: MA: MA: BL: MA: neunter bis neunzehnter zehnter- *3* de“m tagt sehr he“ftich |wär das | LACHT |mhm- | scho“n sehr heftich * an de: “m tagt interessant- <—an dem ta: g der deutschen einheit—> * was wär des eigentlichder zweitewart mal * des wär —>der >der dritte< dri“tte is desi<— * des wär praktisch n freitagt mm optimali * optimal eigentlich freitag also mhm dritter is schon feiertag heißt dasi ja- * bei mir aber nicht eingetragen als feiertag naja okay auf dem jat * kalender nicht ** doch doch is bestimmt feiertag —>ja is feiertag also * >hundertprozentt<—< dritter <ja“l |ja“ja| <—ta: g der deutschen Oktober is n feiertagt [ja- | ich würdeeinheit—> ** <—»s=ja scho“n interessant zum tag der deutschen einheit en antirassismuspreis ra“ssismuspreis also ich würde |nich zu verleihen—»> * |<—me |>antirassismus< ne><—| iro“nisch * <a“ntirassismuspreis> * und dann verleiht man den preis an ne person * die den preis überhaupt nich verdie“nt hat —»das is ja der gag<— +also ich würde/ gut da sollten ** asso * find i“ch BL: wir uns äh unterhalten <?page no="181"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 181 Durch die Hervorhebung, dass die Aktion im Sinne der Gruppe „treffend“ sein muss, erhalten die folgenden Planungsaktivitäten einen exemplarischen Status. Die erste Reaktion auf BLs Appell ist die Feststellung von MA, dass es in dem Zeitraum, in dem die interkulturellen Wochen geplant sind, einen besonderen Tag gibt: un ganz zufällisch fällt des auch zusammen mit dem tag der deutschen einheit- * am zweiten zehnten- (Z. 68-71). Die Relevanz des Tages der deutschen Einheit wird mehrfach verdeutlicht: Er wird als einziger Tag in einem Zeitraum von vier Wochen genannt; dadurch, dass die Hervorhebung dieses Tages in Reaktion auf die Aufforderung, sich eine Gruppenaktion gut zu überlegen, erfolgt, wird der Tag der deutschen Einheit in Bezug zu dieser Aktion gebracht; und in der Formulierung werden die Begriffe „interkulturelle Wochen“ (mit ihrem Motto „gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“) und „Tag der deutschen Einheit“ voneinander getrennt und als nicht in selbstverständlicher Weise kompatibel behandelt. Die Äußerung ist noch in anderer Hinsicht interessant: MA nennt ein falsches Datum für den deutschen Nationalfeiertag und das falsche Datum wird wie die Reaktionen der Beteiligten zeigen nicht korrigiert. D.h., als besonderes Datum hat der Tag der deutschen Einheit für die Beteiligten keine große Bedeutung. Mit der Überraschungsäußerung </ aT (...)> (Z. 70) reagiert BL auf den von MA hergestellten Bezug zwischen einer Gruppenaktion bei den interkulturellen Wochen einerseits und dem deutschen Nationalfeiertag andererseits und hebt diesen Zusammenhang als das für ihn Interessante hervor. In den folgenden Beiträgen wird die Relevanz dieses Bezugs überaus deutlich. Auf MAs Kommentar (Z. 71-73) folgt eine lange ungefüllte Pause des Nachdenkens. Sie wird beendet durch BLs Äußerung: -Dohohoh<—], * an de“m tag\ sehr he'ftich wär das LACHT (Z. 72-74). Die Formulierungsstruktur - Interjektion zum Ausdruck von Überraschung, besondere Hervorhebung des Tages der deutschen Einheit, gefolgt von einem stark wertenden Ausdruck sehr he'ftich wär das zeigt, dass BL eine konkrete Vorstellung für den Bezug zwischen den interkulturellen Wochen und einer Gruppenaktion einerseits und dem Tag der deutschen Einheit andererseits hat: Er präsentiert einen Kommentar zu einer antizipierten Wirkung, die ein hier (noch) nicht genanntes Ereignis (durch die vorherige Rahmung ist die geplante Gruppenaktion inferierbar) gerade an diesem Tag auslösen würde. BLs Formulierungsweise macht deutlich, dass die Gruppe bereits Pläne für eine Aktion entworfen hat. Neu ist für BL die Erkenntnis, dass eine Aktion gerade an <?page no="182"?> 182 Inken Keim diesem Tag eine ganz besondere (heftige) Wirkung haben könnte. Sein Lachen zeigt, für wie gelungen er die Idee hält. Mit der folgenden Äußerung scho“n interessant (Z. 75-77), zeigt MA, dass er BLs Idee, die ja durch seine besondere Relevantsetzung des Tages der deutschen Einheit ausgelöst wurde, genau für die Art von Idee hält, die auch er hatte. Mit BLs Reformulierung sehr he“flieh * an de“m tag']' (Z. 76) und MAs nachdrücklicher Wiederholung <—an dem ta: g der deutschen einheit—> (Z. 77-78) ist die Idee einer Gruppenaktion zwischen MA und BL ratifiziert, ohne dass sie explizit genannt wurde. Im Anschluss (Z. 78-93) folgt die aufwändige Klärung von Datum und Status des Tages der deutschen Einheit (Überprüfen des Datums im Kalender; mehrfache wechselseitige Bestätigung, dass der 3. Oktober ein Feiertag ist). Dabei wird ein Detail offenkundig, das im Elinblick auf den kulturellen Hintergrund MAs interessant ist: Er verwendet einen Kalender, in dem der 3. Oktober nicht als Nationalfeiertag eingetragen ist, d.h., er verwendet einen nicht-deutschen Taschenkalender. Das wird von ihm auch kommentiert (naja okay aufdem* holender nicht, Z. 86-88). Nach der Termin- und Statusklärung des deutschen Nationalfeiertags wird das Thema „Gruppenaktion“ wiederaufgenommen, und das, was vorher nur andeutungsweise und in schnellem Austausch zwischen MA und BL als Idee einer Aktion verhandelt wurde, wird jetzt explizit gemacht. Dabei werden auch Differenzen zwischen den beiden manifest. MA knüpft durch die Aufnahme von Formulierungselementen direkt an die vorherige Verhandlung an: k—ta: g der deutschen einheit—> ** (Z. 92-95). Die wörtliche Wiederholung in einer ähnlichen prosodischen Markierung (langsameres Sprechen, Dehnung von ta: g) machen die Äußerung auffällig und setzen die vorherige Themenbehandlung wieder relevant. Nach einer längeren Pause (die anderen erwarten vermutlich eine Formulierungsfortführung) beginnt BL mit einem Vorschlag ich würde- (Z. 94), wird jedoch von MA unterbrochen, der, lauter, schneller und wieder mit wörtlicher Anknüpfung seine vorher unausgesprochene Idee explizit macht: <—>s =ja scho“n interessant zum tag der deutschen einheit en antirassismuspreis zu verleihen<r->* (Z. 95-98). Aus der Formulierung geht hervor, dass aus MAs Perspektive über die Aktion bereits Konsens besteht, die Verleihung eines „Antirassismuspreises“, und dass der besondere Effekt eine Preisverleihung am deutschen Nationalfeiertag wäre. Nach kurzer Pause macht BL einen Gegenvorschlag ra“ssismuspreis also ich würde nich * >antirassismus< (Z. 97-99). Aus BLs Perspektive besteht also <?page no="183"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin " 183 Konsens über eine Preisverleihung und über den Termin; er thematisiert beides nicht. Einwände hat er aber gegen den Typ des Preises; er schlägt einen „Rassismuspreis“ vor. Dem widerspricht MA und präzisiert seine Idee, indem er die Durchführungsmodalität hervorhebt: iro“nisch * <antirassismuspreis> * und dann verleiht man den preis an ne person * die den preis überhaupt nich verdie“nt hat —ddas is ja der gag<r- ** asso find i“ch (Z. 100-104). BL bleibt bei seinem Widerspruch und schlägt dann eine offene Gruppendiskussion über den Typ des Preises vor. Sein Vorschlag geht von der Annahme aus, dass die anderen genau wie er mit einer Preisverleihung am Tag der deutschen Einheit einverstanden sind und dass es sich dabei um einen Preis handelt, der auf den deutschen Rassismus aufmerksam machen soll. Strittig ist für ihn nur die Modalität: eine Aktion von offen provokativer oder ironisch gebrochener Qualität. Charakteristisch für die hier entwickelte Gruppenaktion ist die provokative Qualität durch die Verknüpfung eines symbolträchtigen Datums, des Tages der deutschen Einheit, mit einer Aktion, die auf Tendenzen in der deutschen Gesellschaft aufmerksam machen soll, die seit der deutschen Wiedervereinigung enorm an politischer und gesellschaftlicher Brisanz gewonnen haben: „Rassismus“ und „Ausländerfeindlichkeit“, die in den Anschlägen in Mölln und Solingen einen schrecklichen Höhepunkt erreichten. In der anschließenden Gruppendiskussion über die Modalität der Preisverleihung setzt sich MAs Idee durch. Die Gruppe beschließt die ironische Modalität: Ein Antirassismuspreis soll an eine dafür völlig ungeeignete Person des öffentlichen Lebens verliehen werden, und zwar an den damaligen (CDU)-Innenminister Manfred Kanther. Die Preisverleihung soll öffentlich in seiner Abwesenheit durchgeführt werden zusammen mit einer ironischen Rede über Kanthers „Verdienste“ 18 im Zusammenhang mit der politischen und gesellschaftlichen Gleichstellung von Migranten. Charakteristisch für die Gruppe und in Übereinstimmung mit ihrem Selbstverständnis sind folgende bei der Aktionsplanung deutlich gewordene Verfahren: durch politische Aktion aufmerksam machen auf ausgrenzende und diskriminierende Tendenzen in der deutschen Gesellschaft; Angespielt wird vor allem auf die Einführung des Visums für Kinder von Migrantlnnen, das Kanther damals durchgesetzt hat. <?page no="184"?> 184 Inken Keim keine offene Aggression im politischen Kampf um Gleichstellung, sondern - Provokation durch Witz, Ironie und Satire (Verknüpfung eines für die deutsche Gesellschaft symbolträchtigen Datums mit der Bloßstellung eines ihrer politischen Repräsentanten). Zusammengefasst ergeben die bisherigen Analysebefunde folgende Merkmale für die kategorieeile Selbstzuordnung der Gruppenmitglieder: sie verstehen sich nicht als „Ausländer“, sondern als „Inländer“; sie haben einen mehrsprachigen Hintergrund; sie haben eine hohe deutschsprachige Kompetenz (nur in BLs Deutsch gibt es grammatische Besonderheiten) mit gelegentlichen, selbstverständlichen Wechseln ins Türkische; sie zeigen Distanz zu deutschen Nationalsymbolen, hier dem Tag der deutschen Einheit; im weiteren Gesprächsverlauf ist es der ironische Umgang mit der deutschen Nationalhymne; sie haben die Fähigkeit zur Antizipation der Wirkung, die die geplante Gruppenaktion haben wird, und sie wissen um den Symbolgehalt ihrer Aktion; das sind Hinweise auf eine sehr gute Kenntnis über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und sie wehren sich mit Witz und Biss gegen jede als Ausgrenzung und Diskriminierung deutbare Zuschreibung von außen. Dieser letzte Aspekt wird im nächsten Gesprächsausschnitt sehr deutlich. 4.3 Konstruktion und Entlarvung einer diskriminierenden (deutschen) Fremdperspektive (828-845) Kurze Zeit später im Gespräch führen die Beteiligten Verfahren vor, die sie im Umgang mit Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft für effektiv halten. Bei der Diskussion über ein Fortbildungsseminar, das der Gruppe von einer christlichen Institution angeboten wird, und einem Vergleich der vorgeschlagenen Termine für das Seminar mit den im deutschen Kalender eingetragenen Feierbzw. Festtagen kommt die Gruppe zu einer negativen Bewertung des Seminarangebots. Diese Bewertung formuliert und begründet MA folgendermaßen: <?page no="185"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „Migrant/ Migrantin" 185 828 MA: 829 MA: 830 MA: 831 K 832 BL: 833 MA: 834 BL: 835 MA: 836 BL: 837 MA: 838 BL: 839 MA: 840 BL: 841 HN: 842 MA: 843 HN: 844 MA: 845 K ** <die hat/ die bietet uns die ganzen fei“ertage an> die bietet uns den <tag> der deutschen einheit an wo keiner |hin will | die bietet uns ni“kolaus an LACHEND # AMÜSIERT |LACHT | die bietet uns eigentlich all die schlechten mhm: termine an ** versteh ich >versteh ich gar nicht< ja“ja: ** die bietet uns all die schlechten |termine |is auch ani | bil (lig des is auch billige zeit (die) will uns was die ausländer feiern e: kein tag der vormachen >net< deutschen einheit und schon gar nicht nikolaus- LACHT LACHEND # MAs Beitrag ist mehrgliedrig mit syntaktisch parallel strukturierten Segmenten. Die Formulierungspezifik des ersten Segments ** <die hat/ die bietet uns die ganzen fei“ertage an> (Z. 828) mit der längeren Pause vor dem Beitrag, der lauteren Sprechweise und der starken Akzentuierung von fei“ertage zeigt, dass MA hier eine Erkenntnis formuliert, die ihm in dem Augenblick, als er die angebotenen Termine im Kalender überprüft, plötzlich vor Augen steht. Das Terminangebot des Veranstalters bündelt er unter der Oberkategorie „Feiertage“, lässt aber die damit verbundene Bedeutung und Bewertung noch offen. Dann folgt eine Aufzählung der Termine mit einer impliziten Bewertung: die bietet uns den <tag> der deutschen einheit an wo keiner hin will die bietet uns ni“kolaus an (Z. 829-830). Das Pronomen die referiert auf die für Terminplanung zuständige Person in der Institution, eine Frau mit deutschem Namen, die die Beteiligten kennen. Detaillierung und implizite Beurteilung erfolgen in einer zweiteiligen Formulierungsstruktur: als erster Termin wird der Tag der deutschen Einheit genannt und als Angebot bewertet: wo keiner hin will. Diese Bewertung basiert auf einem Wechsel der Perspektive, aus der beurteilt wird. Der Tag der deutschen Einheit ist der deutsche Nationalfeiertag. Aus der Perspektive derer, die diesen Tag feiern, ist das ein ungünstiger Termin für die Durchführung eines Fortbildungsse- <?page no="186"?> 186 Inken Keim minars. Die Formulierung wo keiner hin will deutet also daraufhin, dass hier aus der Perspektive von Deutschen beurteilt wird. Der nächste Termin, nikolaus, wird nicht explizit beurteilt, aber aufgrund der sequenziellen Anordnung (Aufzählung in einer Liste nach einem bereits beurteilten Termin) und da es keinen Hinweis auf einen Perspektivenwechsel gibt, kann folgende Bedeutung rekonstruiert werden: Auch „Nikolaus“, ein christlicher Festtag, der vor allem von Familien mit kleinen Kindern gefeiert wird, ist aus der Perspektive von Deutschen ungeeignet für ein Fortbildungsseminar. Im letzten Strukturteil die bietet uns eigentlich all die schle“chten termine an ** (Z. 833-835) wird dann deutlich, dass hier eine dem deutschen Veranstalter unterstellte Perspektive ausgebreitet wird. Das der Gruppe unterbreitete Terminangebot umfasst genau die Tage, an denen die Seminare mit deutschen Teilnehmern nicht zu füllen sind. Dass genau diese Termine angeboten werden, impliziert für die Rekonstruktion der dem deutschen Veranstalter unterstellten Perspektive, so wie MA sie hier vomimmt, dass der Veranstalter die Gruppe als zu einer Population gehörig einschätzt mit den Merkmalen „nicht-deutsch“ und „nicht-christlich“ bzw. „feiert Nikolaus nicht“. Das ist eine Population, die nicht zu seiner Hauptklientel gehört und der man Termine anbieten kann, zu denen die deutsche Mehrheitspopulation nicht kommen wird, und die damit für den Veranstalter „schlechte“ Termine sind. Die Rekonstruktion der Perspektive des Veranstalters erfolgt in spielerischer Modalität. Sie wird mit MAs erster, lachend geäußerter Beurteilung wo keiner hin will (Z. 830) etabliert und mit BLs Lachen (Z. 832) als Reaktion darauf ratifiziert. Auch das weitere Sprechen MAs hat amüsiert-spielerische Qualität. Das Lachen verstärkt die pragmatische Qualität der Interaktion: Es hebt den den Beteiligten überraschend klar gewordenen Zusammenhang zwischen verschiedenen Aspekten hervor, durch den sie dem Veranstalter ein negatives Handlungsmotiv unterstellen und es dann entlarven können. Die Perspektivenunterstellung und -entlarvung gelingt MA dadurch, dass er für das Terminangebot eine Kategorie findet („Feiertage“), über die ihm die Konstruktion der ausgrenzenden und negativen Fremdperspektive erst möglich wird. Darin liegt der „Witz“ für die Beteiligten. Zu den konstitutiven Bedingungen dieses Spiels gehört also: Ein Angebot der deutschen Seite an die Gruppe daraufhin überprüfen, ob es (oder Aspekte davon) unter einer Kategorie gefasst werden kann, über die es möglich wird, für die deutsche Seite ein negatives, die Gruppe ausgrenzendes Handlungsmotiv zu konstruieren. <?page no="187"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „ Migrant/ Migrantin “ 187 MAs Bewertung folgt eine längere, nicht gefüllte Pause des Nachdenkens und dann BLs Kommentar versteh ich >versteh ich gar nicht< (Z. 836). Sein „Nicht-Verstehen“ scheint sich auf die Termine im einzelnen und weniger auf MAs Deutung zu beziehen, die er vorher ja unterstützt hat und die er kurz danach weitertreibt. MA reformuliert seine Bewertung im Modus der Gewissheit (nachdrückliche Bestätigung yq/ fl: , längere Pause, unabgeschwächte Wiederholung): 19 die bietet uns all die schlechten termine ani (Z. 837-839). Überlappend damit präsentiert jetzt BL gleichsinnig zu MA eine weitere Bewertung der Terminangebote: is auch billig des is auch billige zeit (Z. 838-840). Auch diese Bewertung erfolgt aus einer dem Veranstalter unterstellten negativen Perspektive auf die Gruppe: Da er die Seminare inklusive Hotelkosten finanziert, sind die angebotenen Termine da außerhalb der Saison liegend billiger für ihn; und diese „billigen“ Termine bietet er der Gruppe an. Die bisherige Bewertung weitertreibend unterstellt jetzt HN dem deutschen Veranstalter unredliche Handlungsmotive: die will uns was vormachen >ne'\< (Z. 841-843). Bezogen auf das Terminangebot bedeutet der Vorwurf, dass der Veranstalter zwar ein reiches Angebot präsentiert, dass sich bei näherem Hinsehen jedoch herausstellt, dass die Termine für den Hauptteil seiner Klientel ungünstig sind, der Veranstalter die Seminare zu diesen Terminen also nicht füllen kann. Unter Kostenaspekten jedoch sind die Termine für ihn profitabel. Die Termine sind also nicht unter dem Aspekt der Attraktivität für die Adressaten ausgewählt, sondern unter dem Aspekt der Nützlichkeit für den Veranstalter. Der Veranstalter wird als „etwas vortäuschend“ charakterisiert: er macht mit dem Gestus der Großzügigkeit (viele Termine zur Auswahl) ein Angebot „zweiter Klasse“. Über ein solches Angebot können sich die Adressaten als zur Kategorie von „Interessenten zweiter Klasse“ zugeordnet fühlen. Im nächsten Tum macht MA die dem Veranstalter unterstellte Perspektive explizit: ausländer feiern e: kein tag der deutschen einheit und schon gar nicht nikolaus- LACHT (Z. 842-845). Hier werden die Beteiligten als ausländer bezeichnet, und die Formulierung legt die Deutung nahe, dass aus dieser Perspektive Ausländer dadurch, dass sie sich an wichtigen Feiern der Mehrheitsgesellschaft nicht beteiligen, ihre Nicht-Zugehörigkeit manifestieren 19 Die Beurteilungsformulierung hier enthält keine „hedges“ wie die vorherige Formulierung (eigentlich), keine Akzentuierung und eine geschlossene und abfallende Intonationskontur. <?page no="188"?> 188 Inken Keim und dadurch selbst an ihrer Ausgrenzung mitwirken. Aus der Perspektive des Veranstalters so wie sie hier rekonstruiert werden kann gehören die Beteiligten zur Kategorie von Menschen, die sich auch durch ihr Handeln als nicht-dazugehörig etablieren und denen, da sie sich selbst ausgrenzen, auch Termine „zweiter Klasse“ angeboten werden können. Der Gesprächsausschnitt enthält die gemeinsam hergestellte und spielerisch modalisierte (Re-)Konstruktion und Entlarvung einer dem Veranstalter unterstellten herabsetzenden und ausgrenzenden Perspektive, die sich selbst in kleinen Alltagshandlungen manifestiert bzw. für die die Beteiligten selbst in kleinen Alltagshandlungen Hinweise aufspüren können. Auch dieses Spiel findet, wie die vorherigen spielerischen Bearbeitungen, nicht in der Auseinandersetzung nach außen statt, sondern gruppenintem. Die Beteiligten üben Verfahren ein, mit denen sie Handlungen und Zuschreibungen, die von anderen in selbstverständlicher Weise vorgenommen werden, aufbrechen und das Diskriminierungspotenzial solcher Selbstverständlichkeiten bewusst machen können. Das Verfahren hier: Handlungen von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft werden unter einem Aspekt betrachtet und kategorisiert, der es ermöglicht, diese Handlungen mit einem diskriminierenden Deutungspotential „aufzuladen“. Dabei geht es nicht um den Nachweis von Diskriminierungsabsichten, sondern die Beteiligten zeigen sich wechselseitig Möglichkeiten auf und üben Verfahren ein, wie sich Handlungen als Diskriminierungen deuten lassen, wenn der Akteur einer Kategorie zugeordnet werden kann, durch deren Angehörige die Beteiligten bisher bereits Diskriminierungen erfahren haben. 5. Zusammenfassung: Zusammenhang zwischen dem Selbstbild, dem Enaktieren kategoriengebundener Merkmale und dem kommunikativen Stil der Gruppe Die ausgewählten Sequenzen mit der Bearbeitung von negativen Fremdbildem dienen der gruppenintemen Selbstverständigung. Sie sind spielerisch modalisiert. In dieser Interaktionsmodalität gibt es keine explizite Selbstbezeichnung. Charakteristisch für die hier verwendete Art der Selbstverständigung ist: Sie erfolgt indirekt und implizit, vor allem über Kontrastherstellung zu realen oder unterstellten Außenzuschreibungen, und sie wird gemeinsam produziert. <?page no="189"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „Migrant/ Migrantin“ 189 Der Prozess der Selbstzuordnung erfolgt in diesem Gespräch in drei Schritten: Zunächst wird eine ausgrenzende, negative Fremdzuschreibung zurückgewiesen und in Kontrast dazu werden wesentliche Definitionsmerkmaie des Selbstbildes herausgearbeitet. Im zweiten Schritt wird eine für die Gruppe und ihr Selbstverständnis charakteristische gesellschaftspolitische Aktion entworfen und im dritten Schritt werden Verfahren für den Umgang mit Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft vorgefuhrt, die für diese entlarvend und beschämend sind. Aus der Analyse ergibt sich als erste Hypothese: Für den kommunikativen Stil der Gruppe ist charakteristisch, dass die Arbeit am Selbstbild Priorität hat vor anderen Aktivitäten und dass die Mitglieder jeden sich bietenden Anlass nutzen, um Außenzuschreibungen als diskriminierend zu deuten und damit Zuschreibungen, die aus der Außenperspektive selbstverständlich und nicht hinterfragt sind, aufzubrechen und auf ihr Diskriminierungspotential hin zu hinterfragen. 211 Die hier verwendeten rhetorischen Verfahren sind: - Zurückweisen von ausgrenzenden Fremdzuschreibungen durch semantische Reduktion, die die Fremdkategorie verfremdet und ihr diskriminierendes Potential verdeutlicht; - Verknüpfung von aus der Außenperspektive positiv bewertetem Symbol mit aus der - Innenperspektive negativ bewerteten Aspekten im Zusammenhang mit diesem Symbol; - Vorführen des Diskriminierungspotenzials von Handlungen der anderen durch Subsumtion dieser Handlungen unter eine konstruierte Kategorie, über die ein Diskriminierungspotential aufgedeckt werden kann; - Unterstellung unredlicher Handlungsmotive und - Unterstellung und Entlarvung einer die Beteiligten ausgrenzenden Fremdperspektive. Die angeführten Verfahren haben provozierenden Charakter. Durch die Verwendung solcher Verfahren enaktieren die Beteiligten charakteristische Eigenschaften und Handlungsweisen der ihrem Selbstbild zugrunde liegenden Kategorie. Die Qualität dieser Eigenschaften kann aus der Bearbeitung der 20 Vgl. auch die in Kallmeyer (2001) beschriebenen Verfahren der Perspektivenumkehr, mit denen dem Partner unterstellte Vorurteile aufgespießt werden. <?page no="190"?> 190 Inken Keim Fremdzuschreibungen vor allem über Kontrastrelationen rekonstruiert werden. Die Beteiligten zeigen sich wechselseitig und uns als Analysierenden die semantische und pragmatische Spezifik der Kategorie, der sie sich zuordnen: sie verstehen sich als junge Menschen mit ausländischem Hintergrund, die in Deutschland leben, die Verhältnisse gut kennen und die sich politisch wach, engagiert, mit Witz und Biss gegen ausgrenzende Tendenzen in der deutschen Gesellschaft, wie sie in Alltagshandlungen zum Ausdruck kommen, zur Wehr setzen. Und sie führen vor, wie Angehörige einer so gefassten Kategorie agieren. Das Selbstbild, das in der Gruppeninteraktion zum Ausdruck kommt, wird in der offiziellen Selbstdarstellung der Gruppe so formuliert: „Wir sind Menschen aus der 2. und 3. Generation von Migrantlnnen, die den Ausländerstatus nicht mehr akzeptieren. Wir wehren uns gegen den staatlich-institutionellen Rassismus und fordern die Abschaffung der rassistischen Ausländergesetze, ein Antidiskriminierungsgesetz und die vollen politischen Bürgerrechte.“ 21 In Bezug auf den kommunikativen Stil der Gruppe ist mit dieser Fallanalyse ein kleiner Ausschnitt aus dem stilistischen Repertoire erfasst. Um weitere stilistische Dimensionen im Bereich der sozial-kulturellen Selbst- und Fremdzuordnung erfassen zu können, muss ausgehend von den Befunden dieser Analyse das Kommunikationsverhalten der Gruppenmitglieder zumindest noch auf folgende Aspekte hin untersucht werden: - Gibt es ernste Auseinandersetzungen mit negativen Fremdzuschreibungen, wie und in welchen Situationen und Kontexten finden sie statt? - Gibt es Situationen und Kontexte, in denen die Beteiligten eine Zuordnung zur Ausländerkategorie zulassen bzw. sie sogar selbst vornehmen? Wie ist diese Kategorie dann bestimmt, mit welchen sprachlichen Mitteln und Verfahren erfolgt die Selbstzuordnung und in welcher Interaktionsmodalität? - Welche weiteren Kategorien zur Selbst- und Fremdzuordnung gibt es? Bisher habe ich spielerische Interaktionen der hier vorgeführten Art nur in den gruppenintemen Gesprächen betrachtet; sie dienen verschiedenen Funktionen, wie der Selbstverständigung der Gruppenmitglieder, der Einübung 21 Zitat aus einer offiziellen Einladung zu einer der politischen Veranstaltungen der Gruppe. <?page no="191"?> Die interaktive Konstitution der Kategorie „Migrant/ Migrantin “ 191 von Verfahren zur Abwehr von Diskriminierungen, der Gruppenunterhaltung u.a. Wesentlich für die Erfassung des kommunikativen Stils einer Gruppe ist neben der Untersuchung von gruppenintemer Kommunikation auch die Untersuchung gruppenextemer Kommunikation, in unserem Fall vor allem der Kontakt mit Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft. In solchen Kontaktsituationen sind vor allem folgende Aspekte interessant: - Wie verhalten sich die Beteiligten im direkten Kontakt mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft? - Wie bearbeiten sie in direkten Kontakten Zuschreibungen, die als diskriminierend deutbar sind? Welche sprachlichen Mittel und Verfahren verwenden sie dabei und in welcher Interaktionsmodalität geschieht dies? - Welche Konsequenzen haben solche Bearbeitungen für die Selbst- und Fremdzuordnung und für die Beziehungsgestaltung zwischen den Partnern in direkten Kontaktsituationen? 6. Transkriptionskonventionen Zitate aus den Transkripten werden kursiv wiedergegeben. ja|aber | simultane Äußerungen stehen übereinander; Anfang |nein nie|mals und Ende werden auf den jeweiligen Textzeilen markiert + unmittelbarer Anschluss/ Anklebung bei Sprecherwechsel * kurze Pause (bis max. x / i Sekunde) ** etwas längere Pause (bis max. 1 Sekunde) * 3 * Länge der Pause = Verschleifung (Elision) eines oder mehrerer Laute zwischen Wörtern / Wortabbruch ( ) unverständliche Sequenz (drei Punkte = Silbe) steigende Intonation (z.B. kommst du mit'l) 4 fallende Intonation (z.B. jetzt stimmt ev|) schwebende Intonation (z.B. ich sehe hier-) “ auffällige Betonung (z.B. aber ge“rn) : auffällige Dehnung (z.B. ich war so: fertig) <—immer ich—> langsamer (relativ zum Kontext) <?page no="192"?> 192 Inken Keim —>immerhin<— >vielleicht< <manchmal> LACHT IRONISCH QUIETSCHEN # # mutter schneller (relativ zum Kontext) leiser (relativ zum Kontext) lauter (relativ zum Kontext) Wiedergabe nichtmorphemisierter Äußerung auf der Sprecherzeile in Großbuchstaben Kommentar zur Äußerung (auf der Kommentarzeile) nicht-kommunikatives (akustisches) Ereignis in der Gesprächssituation (auf der globalen Kommentarzeile) Reichweite des Kommentarbereichs (auf Sprecher- und Kommentarzeile) Übersetzung des Türkischen (auf der Kommentarzeile) 7. 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A further type of creativity is found in the language practices by which the speakers creatively employ their codes to mark the various identities they wish to emphasize in interaction in their daily lives. Thirdly, creative use of language is found in conscious literary works which employ language to express the essence of the experiences of the migrants. This paper explores the linguistic characteristics of these types of linguistic creativity, focusing particularly on the speech of children, adolescents, and young adults who migrated with their families from Turkey or who were bom in Germany. I address the question of the extent to which these types of creativity of actual speech in a dynamic and changing multilingual community, of the linguistic practices which arise among the youth and in conscious literary representations coincide in linguistic features, and in social connotations and effects. The work of Feridun Zaimoglu is centered in this paper. He is an author, journalist, and performer/ lecturer, born in Turkey in 1964, who grew up and 1 1 am grateful to Katharina Meng and Volker Hinnenkamp for their initiative in organizing the work group on creativity in migrant situations at the annual meeting of the Deutsche Gesellschaft fur Sprachwissenschaft in Halle in 1998. Thanks also to my colleagues Peter Bakker, Michael Clyne, Charles Coppel, Jürgen Meisel, and Tonjes Veenstra for discussion of the etymology and current use of the term Kanake. 1 much appreciate the comments of Volker Hinnenkamp, Tonjes Veenstra, Alkisti Fleischer, and Julia Eksner on earlier versions of this paper. Finally, I am indebted to Ogün (^akarcan and Andrea Hohler for help with the glosses of Turkish and German. <?page no="196"?> 196 Carol W. Pfaff has been living primarily in Northern Germany for more than 30 years. His work, the books discussed here, plus a radio drama, released as a CD, a film, and, most recently, a novel, has been widely discussed by the press and other media in Germany. Zaimoglu, himself a well educated intellectual, explicitly claims to have represented the creativity and tone of the speech of migrant youth and young adults, particularly focusing on the mixed nature of their language. In this paper, I examine the language mixing or mixed language to be found in Zaimoglu's works and compare his representations with the findings of my own and other studies of actual recorded speech of children and youths of Turkish background living in Germany and other Northern European countries. Although Zaimoglu states that he intends to give an ‘authentic’ picture of migrants speech, his representation of it differs in several respects from the actual speech of migrants from Turkey, as analysed and reported in the empirical linguistic studies of Turkish/ German adults and children, as we will see. Additionally, I briefly examine some recent findings from the emerging tradition of ethnographic work on the language practices of Turkish youth, which document their statements about their language attitudes and use. Such statements could provide an essential link between the linguistic features of the code they use in actual speech and the creative use of literature. I conclude with a brief discussion of the reception of “Kanak Sprak” and open questions about the relationship among the various types of linguistic creativity which have been addressed. 2. The corpus: Zaimoglu's works Zaimoglu writes about migrants from Turkey now settled in urban centers in Germany, especially those on the fringes of society. Zaimoglu presents ‘reports’ of conversations 2 with first and second generation migrants from Turkey in three books. The first book, “Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft” (1995), is devoted to a series of “interviews” with adolescent and young 2 Zaimoglu claims his texts are based on tape recorded conversations that were erased in the presence of the informants after they had given their approval of his renditions, presumably focused on the content rather than the form (1995, p. 18). In any event, the possibility of direct comparison with the originals is precluded. <?page no="197"?> “Kanaken in Alemcmnistan Zaimoglu’s representation ofmigrant language 197 adult males, mostly in their twenties and early thirties, most of whom are involved in drugs and petty crime and hang out in the streets and bars. The youngest (age 13) is still in school and though several of the older informants are unemployed, a few are intellectuals, employed in academic or artistic fields, their political/ religious affiliation ranging from “Revolutionär” to “Islamist”. The second book, “Abschaum. Die wahre Geschichte von Ertan Ongun” (1997), presents 35 “stories” narrated to the author by “Ertan Ongun”, the male protagonist, a former drug addict and petty criminal, in his early twenties, who is still strongly connected to family and friends in Germany and in Turkey. In his narratives he also quotes his exchanges with various male and female peers and older acquaintances. The third book, “Koppstoff. Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft” (1998), returns to the format of the first book, presenting “reports” by 24 females, ranging from 17-63, but mostly in their twenties and thirties. In contrast to “Kanak Sprak”, quite a few of the “speakers” in this last book are regularly employed or students. The three books differ both in content and in form. The speakers differ in gender and social status, and while the first and third books consist of short interviews with many different speakers, the second book presents an entire sequence of “stories” from a single speaker, whose encounters with a variety of characters are reported. The books also differ in terms of the historical era and Zeitgeist: though only a few years passed, this was a period in which a considerable difference in the perceptions of Germans and Turks developed as the social and psychological consequences of the reunification of Germany emerged. These variations in time and historical space as well the social differences among the “informants” are reflected in the language used in representations of their language, as will be discussed below. However, before turning to the particular linguistic features, let us consider Zaimoglu's general statements about the language variety, Kanak Sprak. 3. Zaimoglu's statements on migrants' language and his representation of it The focus of the present paper is Zaimoglu's representations of the speech of his “informants” in the three books, “Kanak Sprak”, “Abschaum” and “Koppstoff”. Language is one of the explicit focal points of his work, as he <?page no="198"?> 198 Carol W. Pfaff makes clear in his prefaces. In his introduction to “Kanak Sprak”, Zaimoglu characterizes this speech as follows: (1) Der Kanake spricht seine Muttersprache nur fehlerhaft, auch das „Alemannisch“ ist ihm nur bedingt geläufig. Sein Sprachschatz setzt sich aus „verkauderwelschten“ Vokabeln und Redewendungen zusammen, die so in keiner der beiden Sprachen Vorkommen. In seine Stegreif-Bilder und -Gleichnisse läßt er Anleihen vom Hochtürkisch bis zum dialektalen Argot anatolischer Dörfer einfließen. ‘The Kanake speaks his mother tongue only imperfectly and likewise his “Alemannisch” [German] is only fluent to a limited extent. His linguistic inventory is composed of mixed vocabulary and expressions which do not occur in either of the languages. In his extemporaneous-images and similes, he allows loans from standard Turkish to the dialectal argot of Anatolian villages to flow in.’ Zaimoglu (1995, p. 13) The above quotation makes Zaimoglu's intentions clear. Although his basic orientation to the speakers is rather positive than negative, his characterizations of the Turkish and German varieties of the migrants are similar to those found in statements of educators, caretakers, politicians, some of whom speak of “semilingualism” or “doppelte Halbsprachigkeit” as discussed in Pfaff (1999). As we will see below, Zaimoglu's characters' speech, as he represents it, differs strikingly from his description of it in this preface. Zaimoglu goes beyond the claims of deficits and nonstandard aspects of this speech, however, and notes that out of this milieu a new mixed code, affirming the mixed identity of migrant (youth) has been created. In the preface, Zaimoglu notes the affinities of this code with those found in other minority populations, especially African Americans. (2) Längst haben sie einen Untergrund-Kodex entwickelt und sprechen einen eigenen Jargon: die „Kanak-Sprak“, eine Art Creol oder Rotwelsch mit geheimen Codes und Zeichen. Ihr Reden ist dem Free-Style-Sermon im Rap verwandt, dort wie hier spricht man aus einer Pose heraus. Diese Sprache entscheidet über die Existenz: Man gibt eine ganz und gar private Vorstellung in Worten. ‘Long ago they developed an underground code and speak their own jargon: the “Kanak Sprak”, a kind of creole or argot with secret codes and signs. Their speech is related to the free-style sermon in rap, in both cases, one speaks from an assumed pose and this language is decisive for one's existence: One gives a completely private performance in words.’ Zaimoglu (1995, p.13) <?page no="199"?> "Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 199 Thus Zaimoglu stresses that the use of this type of language form is important in the lives of the characters. 3 Nonetheless, Zaimoglu makes it clear that he has not reproduced the actual speech of the informants, but has produced a “translation” or poetic reworking of their statements which is supposed to capture the essence of their views. Nonetheless, he suggests that his reworking does indeed represent their language. (3) Bei dieser „Nachdichtung“ war es mir dämm zu tun, ein in sich geschlossenes, sichtbares, mithin „authentisches“ Sprachbild zu schaffen. Im Gegensatz zu der „Immigrantenliteratur“ kommen hier Kanaken in ihrer eigenen Zunge zu Wort. ‘With this reconstruction it was my intention to create a self-contained visible “authentic” linguistic picture. In contrast to the “immigrant literature”, the Kanaken here speak in their own language.’ Zaimoglu (1995, p. 18) Here, Zaimoglu seems to be aware of the view, accepted in the anthropological literature, that authenticity is a problematic concept. Since culture is always changing, it is impossible to capture in a static form, such as literature, which thus cannot be authentic. Zaimoglu seems to distance himself from the common interpretation of authentic as real by putting the term in quotation marks as “authentisches” in the passage cited in (3). However, in the remainder of the sentence, the phrase “in ihrer eigenen Zunge” is not in quotes, thus, apparently, intended to be taken at face value. Before turning to the particular linguistic features used in the speech of the characters, I first consider the connotations related to the etymologies of the terms Zaimoglu uses to describe their language and to the terms he and they use as ethnonyms and proper place names. 3 This point is also made by the lyrics of one of the Power Boys' raps (in English! ) cited at the beginning of Tertilt's (1996) ethnographic study of this youth gang in Frankfurt a.M. “If you punch me 1 will punch you back/ punching you I will swing my flag/ I'm a warrior against the time/ my weapon is my lyric and my power is my rhyme”. <?page no="200"?> 200 Carol W. Pfaff 4. Etymological notes on names of ethnic groups, their languages, their countries and their characteristics Kauderwelsch, Rotwelsch In the citations in (1) and (2) above, Zaimoglu refers to the language as consisting of ‘ verkauderwelschten ’ Vokabeln und Redewendungen and again as Rotwelsch. According to Bußmann (1990, p. 375), 4 Kauderwelsch was originally a term for the almost unintelligible Rhaetoromanic language of the Rhine valley near Chur. Around 1000 A.D. Chur was pronounced Kauer, welsch meant ‘Romansch’. Kauerwelsch developed by dissimilation to Kauderwelsch, which meant ‘Chur Romansch’. Currently the term is used for all kinds of muddled and unintelligible speech. Rotwelsch has a similar etymology; Bußmann (1990, p. 652-653) gives two senses of the term Rotwelsch: Rotwelsch in the narrow sense applies to the crooks and beggar's language which arose in the 13 th century, with a vocabulary comprised of special meanings of well known words, especially the semantically changed loan words from Hebrew [in Judeo-German (cwp)] and Gypsy languages. Rotwelsch in the wider sense is a general expression for secret, criminal and professional jargons, analogous to the use of (French) Argot. The word Rotwelsch itself is derived from rot, the “Rotwelsch” word for ‘beggar’, and welsch originally ‘Romansch’, i.e., unintelligible language. Other terms of reference used by Zaimoglu are words used as technical terms for kinds of mixed languages. Jargon, Creol (note the spelling, between the German form Kreol and the English form creole). Others refer to special varieties which are generally unintelligible to the average speaker, either intentionally, such as secret codes or signs, or perhaps unintentionally, such as dialektaler Argot (‘dialectal argot’). He does not specify what linguistic characteristics are implied by these terms. 4 Bußmann (1990, p. 375), following Kluge (1989); my translations [cwp]. <?page no="201"?> “Kanaken in Alemannistan Zaimoglu’s representation ofmigrant language 201 Kanak, Kanaken, and Kanaka Turning to reference to ethnic groups, the most obvious example are the terms Kanak, Kanake, Kanaka, Kanaken, which occur in the book titles and frequently in the texts. According to Kluge's “Etymologisches Wörterbuch” (1989, p. 351), Kanake is “a derogatory term for southern foreigners, vulgar. Borrowed from the term for South Sea Islander, from Polynesian kanaka ‘man’”. The “Oxford English Dictionary” has a similar but more detailed definition of Kanak (derived from Hawaiian kanaka referring to a Samoan, Tongan, or Maori), a native of the South Sea Islands, especially one employed in Queensland as a labourer on the sugar plantations. According to “The Australian Encyclopaedia”, about 57.000 islanders were ‘imported’ into Australia as indentured labourers between 1847 and 1904, mainly from the New Hebrides, the Solomon Islands and the New Britain Archipelago. The colony (or state since Federation in 1901) of Queensland was nicknamed Kanakaland (and Queenslanders as Kanakalanders) by people from the other Australian colonies (states). The derivation into German comes from the period in the late th th 1 19 and early 20 century in which Germany had colonies in the Bismarck Archipelago in which kanakas were the indigenous population. This is supported by Baker's (1993) article which gives first attestations of kanaka in Pacific Pidgin English, including German New Guinea 1884. “The American Heritage Dictionary” gives essentially the same derivation, and, in a usage note, further suggests the transformation of the term into an expression of and marker of ethnic pride: Kanaka, which simply means ‘human being’ in Hawaiian, is mostly found today in historical contexts and is not usually appropriate in ordinary discourse. As with many terms that refer to ethnic identity, Kanaka can suggest ethnic pride in some contexts while in others it may be taken as derogatory. The American Heritage Dictionary (1992, p. 981) The parallelism of the term Kanake with the positive use of nigger for ingroup self-reference is explicitly suggested by Zaimoglu: (4) Kanake! Dieses verunglimpfende Hetzwort wird zum identitätsstiftenden Kennwort, zur verbindenden Klammer dieser „Lumpenethnier“. Analog zur Black-consciousness-Bewegung in den USA werden sich die einzelnen Kanak-Subidentitäten zunehmend übergreifender Zusammenhänge und Inhalte bewußt. <?page no="202"?> 202 Carol W. Pfaff ‘Kanake! This defamatory insult becomes an emblematic marker of identity, a linking element for these “lumpen ethnics” analogous to the Black Consciousness movement in the USA; the different Kanak subidentities increasingly become aware of the general connections and meanings.’ Zaimoglu (1995, p. 17) Kanaka Zaigmoglu uses the term Kanaka to refer to female migrants, whose views he first portrays in “Koppstoff’ (1998), in response to protest against his exclusively male characters in his earlier books. The form kanaka marks the feminine form with the suffix -a, apparently incorporating a derivational process from Romance languages, possibly Italian or Spanish. 5 It is particularly interesting that this mechanism of marking feminine gender is not characteristic of either Turkish or German. Turkish has no grammatical gender markers, but uses the lexical modifiers such as kiz, kadin ‘girl, woman’ and erkek ‘male’, e.g., kiz talebe ‘girl student’. German which has independent grammatical gender classes of nouns, uses the derivational suffix -in to mark female of a profession or genus, e.g.. Student, Studentin ‘male/ female student’. Kanaken and Türken While Kanaken seems to imply positive identification with down-and-out Turks, 6 forms based on standard, unmarked names for nationalities, Türk 5 Ehmann (1996, p. 19), in his lexicon of German youth language, suggests that influence from Romance languages, especially Italian, is the source of many words ending in -o, which are characteristic of German youth language: Sympathik-o, radikal-o, rapid-o, which he claims “signalisiert das besondere anarchische Element” (1996, p. 109). A similar feature, but with a different connotation, employing Spanish -o has been noted by Hill (1993) in the “junk Spanish” used in the United States by Anglo speakers in English as a result of their contact to the Spanish of local Hispanics, for instance no problemo\ that's not an el cheapo, the double article in the latter form indicating reanalysis of the Spanish el by the Anglo speakers. 6 Another form apparently used as a synonym for Turk or other low-status foreigner is Kümmel. This form, which literally means ‘caraway’ was part of the compound, Kümmeltürke, a term which in the 18 th century was applied to German students from the region of Halle where caraway was raised. Its meaning widened as a more general derogatory term, and more recently was applied to Turkish migrants in Germany (Kluge 1989, p. 418). In Zaimoglu's books it appears as part of nominal compounds, such as kümmeldealer <?page no="203"?> “Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 203 seem to index more mainstream cultural identities, whether traditional or assimilatory, which are perceived negatively by the Kanaken, e.g., Straightentürken-Seelen ‘straight Turkish souls’, Turcokids ‘Turkokids’, or Hundsfottiirken, as in (5): (5) Diese Hundsfottürken stinken gem nach Alemangülle, das is ihr feines Deo, und sie schnüffeln sich gegenseitig ab nach diesem Kraßkafferstank. ‘These sons of bitches Turks like to stink like German manure, that is their fine deodorant and they sniff each other out for this crude peasant stench’. Zaimoglu (1998, p. 73) Germans, Deutsche, and Alemannen The above example also illustrates a frequent term used for (mostly pejorative) reference to Germans, Germany, and the German language, found in other forms as well, as in der Alemanne ‘the German (generic)’, die Alemannen ‘the Germans (generic)’, Alemannia ‘Germany’, and Alemannisch ‘the German language’. Notably, these Alemann-fovens, which are emblematic of the negative “otherness” of the Germans, are not based on the usual Turkish root used for Germany, Germans, and the German language or German as an adjective, Alman-: Alman ‘German’ (adjective), Almanya ‘Germany’, Almanyah ‘German’ (person from Germany), Almanca ‘the German language’. “The Redhouse Turkish/ English dictionary” (The Redhouse 1981, p. 52) also lists the alternative forms, Alaman, Alamanya, more closely approximating the French source. 7 Zaimoglu, however, bases his forms of the root, Alamann-, spelled with double n as in the German word Mann ‘man’. For example Fikret, an unemployed man, age 25, in “Kanak Sprak” (1995, p. 78-83), uses nominal forms based on Alemannin der alemanne ‘the German’, and den alemannen ‘to the Germans’, but teutsche as an adjective in teutsche alemannenkacker ‘the German German shitters’, in which the ‘caraway dealer’ or Pennkümmel ‘tramp-Turk’ or as a verb verkiimmelt or as an adjective kümmeliger Nuttenmann. 7 Hinnenkamp (p.c.) notes that this form has a derogatory connotation in Turkish, indicating an alienated, nouveau riche attitude. The form Alaman is (coincidentally? ) very close to the form ‘Alemannen’, which exists in standard German, but corresponds to the meaning ‘Allemanic’ , the name of a southwestern German dialect, from the Alemanni, the name of a group of Germanic tribes on which the French and other Romance language words for ‘Germans’ are based. <?page no="204"?> 204 Carol W. Pfaff nationality is repeated twice in two different forms, first as an adjective teutsch, spelled to represent an old-fashioned German accent, the second, as part of the nominal compound. Similarly, Hakan, an apprentice auto mechanic, age 22, in “Kanak Sprak” (1995, p. 84-86), uses nominal forms based on Alemannin der ochsige alemanne ‘the ox-like German 4 , in alemannia ‘in Germany’, and alemannenbrut ‘German brood’, but deutsch as an adjective in des deutschen oberteufels ‘of the German top devil’ and der deutsche maloche ‘the German work’. Notice that forms based on the Alemannroot are not used as adjectives; the adjectival forms are always deutsch-, or teutsch-. A further derivational form which points up this connotation of ‘otherness’ even more sharply is found in Alemannistan, ‘Germany’, using the derivational morpheme -istan ‘country’. 8 For example, Ersa, a 19-year-old “Abiturientin” (high school senior in university preparatory track), uses the compound ElendsdorfAlemannistan ‘misery village, Germany’ in (“Koppstoff”, P-118). 5. Zaimoglu's representations of “Kanak Sprak” grammar and lexicon The examples above already give an impression of the language Zaimoglu uses to represent the speech of his characters. In the following sections we will take a closer look at the syntax and lexicon of each language separately and mixed, first in his earlier book, “Kanak Sprak”, then in the later books, “Abschaum” and “Koppstoff’. 5.1 German in “Kanak Sprak” In the first book, “Kanak Sprak”, Zaimoglu's characters' speech is basically colloquial German, with “eye-dialect” representations of rapid speech phonology, e.g., contractions of function words and shortened forms of some content words. Further, there are lexical items from English and Yiddish. These features are also characteristic of native varieties of Germans, especially youth speech and written representations of such varieties (Ehmann 1992, 1996; Schlobinski/ Heins 1998). The suffix -istan, of Indo-Iranian derivation, is usually applied to eastern countries, Afghanistan, Uzbekistan, etc. and also in Turkish Yunanistan ‘Greece’ and Arabistan ‘Arabia’. Tonjes Veenstra, (p.c.) also notes the Dutch verweggistan ‘far away country’. <?page no="205"?> "Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 205 Characteristics of German in “Kanak Sprak” reduced forms of indefinite articles: n ne nen (standard: ein, eine, einen) articles cliticized to preposition or copula: mitm, warn (standard: mit dem, war ein) colloquial first singular forms without suffix -<? : hab, gönn (standard: habe, gönne) colloquial, rapid speech phonology: is, orntlich (standard: ist, ordentlich) lexical items typical of colloquial speech and local dialect: bullen ‘police’, kohle ‘money’, mädels ‘girls’, terz ‘strife’ (Northern German) discourse particles, interjections and fillers: ja ‘yes’, also ‘thus’; mensch ‘man’ English expressions: nouns: kids, dealer, rapper, junk, body, king, honey, message, sound, nigger phrases: public enemy, the fantastic devils, “da crime posse”, piece of cake adjectives: cool, clean, mega-in, giga-out verbs: kill, gekillt, fuck, cashen, antörnen ‘tum on’, angetörnt ‘turned on’ Words and expressions from other languages: - Yiddish mischugge, koscher, schlamassel, vermasselt - French bourgeoisie Neologized, often mixed, compounds: obermutti ‘head-mom’, yankeeland, knechtmaloche, niggernummer, kanakentour, prolofucker English is particularly prominent in these texts, perhaps more than even would be expected as a result of adoption of German youth language. We will return to consider the possible significance of this feature later. <?page no="206"?> 206 Carol W. Pfaff Several of these features can be found in the following passage from “Kanak Sprak”. The speaker in (6) is Cem, a 25-year-old pimp, talking about how he runs his business: (features of the German noted above are underlined): (6) Um punkt zwölf kommen meine mädels, fünf feste Stuten hab ich im sauberen stall, die sind denn null schläfrig oder haben noclfn schlafkrümel im äuge, die sehn tiptop aus und fesch aufgemotzt, das is ne regel, die ich denen beibiegen mußte, daß sie in ihrer bude privat wie ne vettel rumlatschen können, aber's geschäft verlangt ne anziehung, und die künden zahlen ja auch dafür, daß sie was zu sehen kriegen und daß denen ihr trieb omtlich in wallung kommt, also is für meine mädels pflicht, daß sie denken: um punkt zwölf fängt die schiebt an, und ich muß aussehen wie'n glatter kinderarsch. Ich gönn ihnen ne gute erfrischung, und die erzählen mir, ob sie irgend'n weh haben und ob's im Unterleib mit rechten dingen zugeht, ich bin sowas wie ne adoptivmutti, bei der sie sich ihr herz ausschütten können, und wichtig sein für ne weile, denn diese macke haben wir doch alle, wir sterblichen, egal, ob großer bpß oder ziegentreiber, du willst ums verrecken öffentlich sein, gesicht schieben, und du willst, daß man dich erkennt, du willst also'n star sein wie die da in hollywood, wieso, glaubst du, gehen die alemannen scharenweise zum seelenklempner... ‘Exactly at twelve my girls come, five steady mares in my clean stable, they're not tired and don't still have crumbs of sleep in their eyes; they look tip top and stylishly done up, that's a rule which I had to teach them, in their own places, privately they can drag around like a bum, but the business requires an attraction and clients pay for it so that they can see something and that their desire really surges through their veins, it's a duty for my girls to think: exactly at twelve, the shift starts and I have to look like a smooth baby's butt. I offer them a good refreshment and they tell me if they have some troubles and if everything is all right in their lower parts, I'm something like a foster-mother for them, to whom they can pour out their hearts and be important for a while, we all have these quirks, all mortals, no matter whether big boss or goatherd, you're dying to be seen, to push your face into the limelight, and you want people to recognize you, so you want to be a star like those there in Hollywood, why do you think all those Alemannen go to the shrink all the time ...’ Cem 25, pimp. Zaimoglu (1995, p. 51-52) 5.2 Turkish in “Kanak Sprak” The most obvious characteristic of the language in the first book, “Kanak Sprak”, which Zaimoglu has characterized as a mixed language, is that there is no Turkish at all except for the names of the characters. However, since the Turkish letters g, y g, and i , which are not part of the German alphabet, <?page no="207"?> “Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 207 are not used, some of these names are spelled inappropriately, using German letters as for the character Kücük Recai ‘little Recai’ (1995, p. 104) which would be spelled kügük in Turkish orthography. Clearly, Zaimoglu is writing for an audience which he does not presume to be literate in Turkish; and, indeed, most Turkish children raised in Germany receive little (if any) instruction in Turkish and this option is rarely available to Germans as noted in Pfaff (1999). 5.3 German in the later books The characteristics of the German in “Abschaum” and “Koppstoff’ are similar to the above in “Kanak Sprak”, perhaps with even more integrated English. In the following excerpts from “Abschaum” (1997, p. 84-86), in (7), the protagonist, Ertan, tells how he and his friends set up a burglary in a steakhouse in the “Steakhouse Überfall Story”: (7)... Ich, Musa, Necdet und Milka, das war n Nigger, wir haben ne Alte kennengelemt, die arbeitete innem Steakhouse ... ‘... me, Musa, Necdet and Milka, that was a nigger, we got to know a old woman who worked in a steakhouse ...’ ... Ich natürlich das Superhim. hab den Plan dazu gemacht, weil, die waren nicht inner Lage ... ‘... I, as the superbrain of course, made the plan for it, because the others weren't capable ...’ ... Ich weiß ja, wie die Frauen sind, Mensch, wenn die Bullen kommen, hab ich der Alten gesagt, halts Maul, du weißt von nix. ‘... I know what women are like, man, when the cops arrive, I told the woman, keep your mouth shut, you don't know anything.’ ... Wir haben uns diese Malerklamotten besorgt, diese weißen Dinger. Overalls oder was,... ‘... We got ourselves these painters' outfits, these white things, overalls or whatever...’ ... Alter, sag ich, geh hoch und rück die Kohle raus oder ich fick dich. ‘... old man, I say, go up and hand over the dough or I'll fuck you.’ ... Mach das Scheiß-Fach auf, hab ich gesagt, oder ich kill dich. ‘... open the shit drawer. I said, or I'll kill you.’ <?page no="208"?> 208 Carol W. Pfaff ... Ich laß dich hier sitzen, damit es so aussieht, daß es n Überfall is, ... du rufst erst nach ner halben Stunde die Polizei. Is das n Angebot? Ja, sagt er, is cool. ‘... I'll let you sit here so it looks like it was a robbery ... you call the police only after a half an hour. Is that a deal? Yes, he says, that's cool.’ Such German and English lexical items illustrated in (7) are typical of the speech of German youth (Ehmann 1992, 1996) as well as of German Turks, and the phonological contractions are found in colloquial German speech in general. 5.4 Turkish in the later books While there is no Turkish in “Kanak Sprak”, in the later books, “Abschaum” and “Koppstoff’, short alternations to Turkish occur, in standard Turkish orthography, in reported speech addressed to Turkish-speaking characters in the narrative. Some of these passages are translated or paraphrased in preceding or following German text as in (8) mentioning a religious festival: (8)... wir haben ja jetzt Schlachtfest, Kurban Bayrami, er ißt Schweinefleisch und isn halber Atheist irgendwie. ‘... now we have the festival of sacrifice, thefestival ofsacrifice, he eats pork and is sort of a half atheist.’ Zaimoglu (1997, p. 29) or in (9) in which Ertan narrates the speech of a relative he visited in a mental hospital, first as a direct quote in Turkish, then repeating a part in German: (9) Er sagt: Kendimi 90k tuhaf hissediyorum, ^imde 90k tuhaf hisler var, ich hab in mir so sehr seltsame Gefühle. ‘He says I'm feeling very strange, there are really strange feelings in me I have such very strange feelings in me.’ Zaimoglu (1997, p. 26) Sometimes there is no translation, however, as in (10) when Ertan reports his own speech, addressing the man he and his friends and family have just buried. <?page no="209"?> "Kanaken in Alemarmistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 209 (10) Er war weg, Ende. Als wir ihn begraben hatten, hab ich gesagt: Bizden, bu kadar moruk, yakinda bende 9 yamna uganm, hadi eyvallah. Dann sind wir gegangen. ‘He was gone, the end. As we buried him, I said: This is allfrom us, old man, soon, I too will come to your place, well then farewell. Then we left.’ Zaimoglu (1997, p. 11) Nor are translations given for short, formulaic expressions from Turkish, such as the vulgar asides to author in (11): (11) ... Wir haben uns diese Malerklamotten besorgt, diese weißen Dinger, Overalls oder was, ne sikimse i$te ‘... We got ourselves these painters' outfits, these white things, overalls or whatever, whatever thefuck [lit. my penis] (you call them)’ or in his use of a Turkish term of address with which Ertan corrects the boys' impression that he is a German skinhead in (12): (12) Die kucken hoch und rufen: komm runter, du Scheiß-Skin! ... oglum, ich bins, Ertan, was heißt hier: komm mnter. ‘They look up and yell: come down you shit skinhead ... my son, it's me, Ertan, what do you mean, come down.’ or in which the 63-year-old cleaning lady, Necla Hamm, addresses the author in Zaimoglu (1998, p. 121): (13) An nassem Feudel bleibt der Dreck kleben, akdh oglum, und das nur, weil ein Stück Fetzen mit klarem Wasser vollgesogen und weil Stück Fetzen nix andres tut als über Schmutz, den offenbaren und versteckten, zu kommen wie ein Scheytan. ‘Dirt sticks to the damp cloth, my clever son, and that only because a piece of rag is soaked with clear water and because [the] piece of rag has nothing else to do than overcoming dirt, both the obvious and the hidden, like a devil.' Note that the Turkish §eytan ‘satan, devil’ is given in a Germanized spelling and with an indefinite article, integrating it into German syntax. 9 bende would be written as two words ben de in standard Turkish. Perhaps this is an equivalent to writing German words as orthographically contracted or fused forms, like inner Lage for in der Lage, above. It is possible that this orthographic form may be used to suggest that the Turkish form may have been reanalyzed, as is the case with many contracted German forms in actual speech, as discussed in Pfaff (1994). <?page no="210"?> 210 Carol W. Pfaff As can be seen from the above examples, Zaimoglu now uses conventional orthography for Turkish, so that names like §ükran, Qagil, and Reside as well as the honorific Hamm are used in “Koppstoff’ (1998, p. 20, 56, 88, 121). 6. Variation and change in Kanak Sprak In the citation in (13) above, the speaker is an older woman, Necla Hamm. It is noteworthy that she is the only character to be identified by Zaimoglu in the table of contents and headers with a Turkish honorific, hamm, following her name. This brings up the issue of sociolinguistic variation in Zaimoglu's texts. While Kanak Sprak is prototypically the language of male Turkish youths in the first book, Zaimoglu's later books represent the speech of a much wider range of social groups, including women who are students, artists, and regularly employed in a range of occupations, and including older people who figure in the “Abschaum” and “Koppstoff’ stories. Are these age, gender and class differences reflected in the language? In the present paper, I can only give a few indications of the type of differences represented in the speech of the different characters, but the answer is clearly “yes”. 6.1 Age, gender, and social class Zaimoglu reflects gender differences by the less frequent use of vulgar terms when female interviewees address the male “interviewer” than when male “interviewees” do. Age differences are represented in two ways, both involving code-switching and code-mixing. Longer alternations to Turkish typically occur in the reported speech of interactions between older characters. The younger speakers tend to use more English, and, notably these English terms are more likely to be integrated morphosyntactically into German. This is particularly striking for the use of inflected verbs, such as gekillt or angetörnt. In this use of English loan word incorporation, which has been common in German varieties since the 1960s, Zaimoglu may (consciously? ) be reflecting the phenomenon of increasing integration of German loan words into Turkish, which is characteristic of actual Turkish/ German bilingual speakers. Social class differences are reflected primarily in the content of the characters' speech; however, it is noteworthy that the “intellectuals”, both radical and traditional, do not intersperse discourse particles and terms of direct address or asides to the author as frequently. <?page no="211"?> "Kanaken in Alemannistan Zaimoglu’s representation ofmigrant language 21 1 6.2 Register Particularly in “Abschaum”, we have an opportunity to observe the protagonist in conversation with a wide variety of addressees and thus to note the representation of different registers in the characters' verbal repertoires. In Zaimoglu (1997, p. 13) we find instances of foreigner talk, in (14): (14) ... aber lächelt dabei und sagt: Raus, raus, du Ausländer. Das warn Pole oder so. Ich kuck ihn an, er lächelt, irgendwoher kenn ich ihn. Nix raus, du raus, sag ich. Und er immer wieder: Nein, du raus, du raus. ‘... but smiles meanwhile and says out out you foreigner. That was a Pole or whatever, 1 look at him, he smiles, I know him from somewhere, nothing out, you out I say. And he keeps repeating no, you out, you out. , While in the first instance the utterance could be a normal address form, the latter instances are definitely simplified foreigner talk versions. The narrator obviously reacts to u Raus, raus, du Ausländer” with simplified pseudo immigrant German (“nix raus, du raus”.) 10 Some evidence of such use of foreigner talk is found in Eksner's (2000) study of the self-reported language practices of youth, to be considered in section 8. 6.3 Zeitgeist In addition to the “traditional sociolinguistic variables”, the language of the Zaimoglu characters also varies with their ideology along the lines suggested by Eckert (1997) who points out the importance of era as well as cohort and generation in analyzing age as a sociolinguistic variable: In addition to remarkable events or eras, fairly specific kinds of social change can bring about different relations to linguistic markets and these changes commonly affect specific groups differently. Eckert (1997, p. 166) The period reflected in Zaimoglu's books has been a time of social change, not only within the migrant population, as the community has settled down and second and third generations have grown up in Germany. It has also been a time of great social and political change in Germany and Europe more generally. The collapse of the former Soviet Union, the “Wende” and its consequent reunification of Germany has directly and indirectly impinged 10 Thanks to Volker Hinnenkamp for pointing out these examples to me. <?page no="212"?> 212 Carol W. Pfaff on the migrant population in economic terms, as unemployment, especially among youth; and socially, in the rise in overt xenophobia, in the former West Germany as well as in the former East. In his introductory remarks to the third book, Zaimoglu (1998) comments on the change in attitudes of “Kanaksters” since the first book (1995), particularly their reaction to the increase in incidents of explicit attacks on foreigners. (15) Es ergibt sich jedoch ein Unterschied aus der Entstehungszeit: „Kanak Sprak“ war zeitlich näher an Mölln, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen. Trotzdem war die Erfahrung mit rechtsterroristischer Gewalt für viele Kanakster eher fremd, und deren schlimmste Exzesse haben sehr viele, vor allem auch deutsche Bürger, zu stummem oder lautem Protest bewegt. Inzwischen ist rechtsradikale Gewalt, verbal wie körperlich, eine Alltagserscheinung wie der Gang zum Bäcker. Proteste sind ob der Gewöhnung selten geworden. Die Aufklärung des Lübecker Brandanschlags verkommt zu einem unwürdigen Spektakel, in dem sich rechtsradikale Straftäter aus Grevesmühlen immer wieder zu ihrer Täterschaft öffentlich bekennen und ihre Aussagen widerrufen, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt. „National Befreite Zonen“ gibt es nicht nur im Osten. Jeder kennt Magdeburg-Olvenstedt aus Funk und Fernsehen, aber wie ist es zum Beispiel mit Neumünster-Gadeland oder Itzehoe oder Kremperheide oder Flamburg-Bergedorf? Stiefelnazis sind nur ein Teil der politischen Wirklichkeit. Die eigentlichen Aufwiegler sind einige prominente Vertreter der politischen Klasse. Die Stichworte kommen längst aus der Mitte der Gesellschaft. All das macht sich in der Stimmungslage der Kanakster in Deutschland bemerkbar. Bezüglich der politischen Verhältnisse in diesem Land hat sich eine Düsternis und eine Wut breitgemacht, die aus vielen Protokollen spricht und die ich selbst vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten hätte. ‘There's been a change since the time it developed: “Kanak Sprak” was closer in time to Mölln, Solingen or Rostock-Lichtenhagen. 11 Nevertheless, the experience with the rightwing terrorist violence was rather removed for many “Kanakster” and the worst excesses invoked protest, silent and loud, from many, particularly the Germans. In the meantime, rightwing radical violence, verbal or physical, has become a daily occurrence, like going to the bakery. Because people have gotten used to it, protests have become rare. The investigation of the Lübeck fire-bombing is degenerating into an unworthy spectacle, the rightwing radical perpetrators from Grevesmühlen are always publicly acknowledging their responsibility and then changing their testimony whenever they feel like it. “Liberated National Zones” do not only exist in ii Towns and city districts in Germany which were sites of violent attacks on foreigners by rightwing skinheads. <?page no="213"?> "Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 213 the East. Everybody knows Magdeburg-Olvenstedt from the radio and TV but what about Neumünster-Gadeland or Itzehoe or Kremperheide or Hamburg- Bergedorf, for example? Booted Nazis are just one part of the political reality. The real agitators are some of the prominent representatives of the political class. For a long time now, the slogans have come from the center of society. All this can be observed in the mood of the “Kanakster” in Germany. With regard to the political conditions in this country, a certain gloom and anger has spread, which is expressed in many of the reports and which even I would not have thought possible a few years ago. Zaimoglu (1998, p. 9-10) This feeling is evident not only in the increasingly self-assertive views of the characters who are convinced of the necessity to resist discrimination and persecution, but is reflected linguistically as well. The terms based on Kanake and Alemann and the contrasting Türkand Deutschhave already been discussed in this connection. A particularly striking contrast is found in the speech of Belhe, a 30-year-old actress expressing her own views in (16) and (17) and talking about, and in the voice of, assimilating Turks in (18) from Zaimoglu (1998, p. 72-74): (16) ... die Pennadel hab ich seit Kanakzeiten inner Armbeuge, und um die Nadel is n verpusselter Warzenhof, weil der Körper auf dies verfickte Ruhigstellen richtig mit Allergiewut rotzreagiert. Es gibt nur eine Lösung, die is sicherer als n Messerglanz inner Nacht und genauso gut: Rassenterz auf Germanys sicheren Straßen, Skinpogrom im Gottlosquartier ... ‘... I've had the sleep needle in the crook of my arm since “Kanak” time and around the needle there's a ring of pimples because my body reacts to this fucking tranquilization with snotty allergic anger. There's just one solution, which is clearer than the glint of a knife in the night and just as good: racial strife on Germany's safe streets, skinhead pogrom in the godless quarter.’ (17) ...und so ist Kanak mein und unser Drive, weil's wegbringt vom Ruhesanft des Alemanbubis,... ‘... and so “Kanak” is my and our driving force because it takes you away from the rest in peace of “Aleman” guys.' The references in English, Germany, and mixed pseudo-Turkish, Alemanbubis, can be seen to index the “otherness” of Germany and the Germans. In contrast, Belhe's use of Deutschland, in her quotation from Turks who want to assimilate, index their acceptance by Germany as one of their objectives. (18) dann wird gejammert: O Deutschland, was willst du nur von uns? ‘then they complain: Oh Germany, what do you want from us? ’ <?page no="214"?> 214 Carol W. Pfaff 1. Linguistic characteristics of the actual speech of Turkish/ German bilinguals which are not present in Zaimoglu's texts Although Zaimoglu states that he intends to give an “authentic” picture of migrants' speech, his representation of it differs in several respects from the actual speech of migrants from Turkey, as analyzed and reported in the empirical linguistic studies of Turkish/ German adults and children or in similar studies of migrants from Turkey in other northern European countries. The characteristics of these varieties have been reported in detail elsewhere, but some of the salient differences between Kanak Sprak and actual speech are summarized in the following sections. 7.1 Typical German interlanguage forms Investigators of the speech of adult immigrants (of the first generation), e.g., Clyne's early work on “Gastarbeiterdeutsch” (Clyne 1968) or Klein and Perdue's work on “Basic variety” of adult immigrants (1993) as well as in work on the speech of children, especially those with relatively little contact to German peers (Pfaff 1993, 1994, 1998, 2000), note, among other nonstandard features, the following general characteristics of the German second language of Turkish/ German bilinguals: zero article, zero preposition, zero pronoun, zero copula, zero auxiliary nonstandard word order nonstandard article (case, number, and especially gender, including natural gender) regularized past participles, use of auxiliary haben for sein with verbs of motion. None of these occur in the speech represented in Zaimoglu's characters. 7.2 Typical contact varieties of Turkish Given that the “informants” were supposedly speaking both Turkish and German as well as mixing the two, there is, as we have noted earlier, strikingly little Turkish in these books. Aside from personal names in Turkish, there is no Turkish in “Kanak Sprak”, while “Abschaum” and “Koppstoff’ have only short alternations to Turkish: single words, short phrases, rarely whole sentences. As noted above, these are usually translated or paraphrased in the German text. <?page no="215"?> “Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 215 What is glaringly absent are German lexical items with morphological markers from Turkish, especially Turkish case suffixes on German nouns, such as U-Bahn'da ‘in the subway’ or German infinitive forms of verbs incorporated into Turkish with the “auxiliary” or light verb yapmak, e.g., vergessen yaptm T forgot’ (Pfaff 2000). Such typical insertions, “nonce borrowing” in Poplack's terms (Poplack 1978) or “embedding into the matrix language” in Myers-Scotton's Matrix Language Frame Model (1993), contribute the strongest impression of mixing and, in fact, may be one of the major mechanisms of the development of a syntactically as well as lexically mixed code, as discussed in more detail in Backus (1996). There is only one instance of a word in which both Turkish and German morphemes are mixed: süchtigmi§, which occurs in the context of a longer sentential alternation to Turkish which is embedded in ongoing speech in German which repeats the content in (19): (19) als du weg warst, hab ich mit Deniz, nem Türken, zusammengearbeitet. Denizle yaptim, oda ibne süchtigmif. Der Typ war süchtig. ‘while you were away, I worked with Deniz, a Turk. I worked with Deniz and he, thefaggot, was addicted. The guy was addicted.’ Zaimoglu (1997, p. 49) Here süchtig, ‘addicted’, is associated with the German scene. Interestingly the w/ y-suffix marks inferential or “non-witnessed” past in opposition to the <77-suffix or “witnessed past”, a distinction which is not made morphologically by German. Note that the addiction referred to here took place while the narrator was away and so did not witness it. As noted above, verbal suffixes are not typically added to verb or adjective stems, which are usually incorporated into Turkish by means of an “auxiliary” periphrastic construction. In this case, it is likely that the form would employ the verb olmak ‘be, become’, süchtig olmu§ ‘he became addicted’. 7.3 Typical language mixing As reported in Pfaff (1991 and 1998), the kinds of language mixing found in conversations of children with adults is rather limited. Use of Turkish in German declines rapidly with increasing competence in German and the children's realization that the interlocutors do not understand, or that Turkish is inappropriate in German contexts. Insertion and incorporation of German lexical items, on the other hand, increases with age, to the point where it is <?page no="216"?> 216 Carol W. Pfaff more often replaced by complete alternation to German. Similar patterns are found in the speech of children in Denmark in conversation with adults and in groups of their peers in a 10-year longitudinal study, documented in Turan (1999) and discussed by Jorgensen (1998) and Möller (2001). This pattern is also reported by Backus (1996) in his cross sectional study of mixing in the speech of first, intermediate and second generation migrants from Turkey in The Netherlands. In contrast, “Abschaum” and “Koppstoff’ show almost no incorporation of German into Turkish and short alternations to Turkish inserted and often also translated into German, as shown in the examples (8) - (13) above. What the books have instead is a very high number of incorporations of English into German, as evidenced in (6) - (7) above. It is possible that this feature is a substitute for the use of German incorporated into Turkish, which is comprehensible to a readership literate in German (and English) but not Turkish. The salient differences between the representations in Zaimoglu's works and in actual speech are summarized in Table 1. As Table 1 shows, structurally the Zaimoglu texts do not actually reflect the linguistic features of the youthful speakers he claims to represent. Semantically, however, his language reflects the content and ideological views expressed by the characters. Many expressions reflect the negativity of the reported experiences and lives and the disaffected or aggressive stances that the “Kanaken” have toward the “Alemannen” (and toward themselves). This should not be surprising since the author probably intended readers, who may not be native speakers of Turkish or even fluent in the language, to be more concerned with the messages (Zaimoglu's own and his characters') which are the point of the texts rather than with the actual forms which would be of interest to linguists. Nonetheless, the Zaimoglu texts raise several important questions for further sociolinguistic research. First, do varieties like those represented by Zaimoglu exist anywhere or are they purely poetic constructions? Do speakers actually use the terms “Alemannen”, “Kanaken”, etc. as portrayed in these works? Are the syntactic characteristics, which indicate continued separation of languages and shift to German in most domains, realistic? Or does the actual casual speech of Turkish youth and young adults more nearly conform to what Zaimoglu SAYS about the language in his preface? <?page no="217"?> "Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 217 L2 acquisition 2 nd generation children's speech literary representations Universal (also found in LI, pidgins, attrition) zero elements (copula, articles, auxiliaries ...) overgeneralization of regular forms difficulty with grammatical gender not characteristic Possibly Turkish substrate morphosyntax lexicon variable persistence of zero items, e.g., copula, article, preposition, prodrop persistent difficulty with natural gender, transitory periphrastic progressive SEIN+verb Turkish items in German (rare, limited to early stages) except for food items not characteristic not characteristic rare (kin terms in direct address), e.g., baba ‘father’, oglum ‘my son’ German “superstrate” phonology morphosyntax lexicon local vernacular: icke, 'n case marking e.g., dative/ accusative in personal pronouns, dative/ genitive local German slang local vernacular: icke, articles cliticized to preceding lexical item frequent local slang, including English loans Table 1: Features of Actual Bilingual Speech and Zaimoglu's Representations <?page no="218"?> 218 Carol W. Pfaff LI attrition 2" generation children's speech (particularly German-dominant) literary representation Universal reduction of tense/ aspect forms {mis, multiple TMA), verbal derivation (passive, causative, reciprocal...) reduction of complex syntax (participles, gerunds, non-finite forms) not characteristic not characteristic German “superstrate” phonology morphosyntax lexicon not characteristic, but some use German pronunciation when reading Turkish convergent lexicalization explicit pronouns, case government by verbs, possessive marking incorporated German lexical items case marked nouns, verbs with yapmak not apparent not characteristic not characteristic In input phonology morphosyntax lexicon contracted personal endings -yom/ -yorum dialect morphology: -lEn/ -lE (commitative) verb incorporation with yapmak, etmek, etc. not characteristic not characteristic not characteristic Putative mixed code 2 nd generation children's speech literary representation of vernacular Alternation alternation to German alternation to Turkish Insertion insertion of German in Turkish Matrix Language insertion of English in German Congruent lexicalization some, needs further investigation not characteristic Table 1 (contd.) <?page no="219"?> "Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 219 In this connection, it is important to address not only the question of whether a “creole” or other type of mixed code is developing here but also the question of whether speakers whose language does not actually have such characteristics nonetheless incorporate the idealized or internalized view of such a variety as an essential part of their verbal repertoire. 8. Self-reported language practices of adolescents Work on youth groups, especially those associated with tough, counterculture ideals, have been in the center of urban anthropology and sociolinguistics for some time, in Germany as well as in the USA and the UK. Recently, studies in the urban ethnographic tradition have come to concentrate on the topic of language practices and language ideologies among bilingual minority youths as well. Tertilt's (1996) study of a Frankfurt-based gang, the “Turkish Power Boys” is in this tradition. Tertilt provides some commentary on naming practices (as in the choice of English for the gang's name), but little on language practices or on the linguistic characteristics of the youths' actual speech though he does mention the use of formulaic insults similar to those noted by Dundes et al. among Turkish boys in Turkey (Tertilt 1997, p. 158). Further the current project undertaken by Keim and Androutsopoulos may yield data which will allow analysis of both language ideologies and practices as well as sociolinguistic variation (Keim/ Androutsopoulos 2000). Another ethnographic study recently completed in Berlin (cf. Eksner 2000), reports on the self-reported and portrayed language practices of a youth group in Berlin. Data was collected by means of interviews and by participation in the group production of a video fdm which was to capture aspects of their lives. Eiere I present a brief look at some of her findings: Eksner considers the language practices of the German Turks in three spheres (cf. Urciuoli 1996/ 1998): Inner sphere in-group communication: mostly Turkish with some codemixing (by sequential bilinguals) and code-switching (mostly alternation with topic or situation), but also characterized by “slang” and some formulaic Turkish expressions, e.g., git köyün dön ‘go and die in your village’ which are, however, claimed by the group members to “have no meaning” (Eksner 2000, p. 84). <?page no="220"?> 220 Carol W. Pfaff Outer sphere / in contact with Germans in official domains: “good German”. Outer sphere II tough talk or “Stylized Turkish German” (STG) used in conflict situations with Turks and non-Turks and as metacomment and critique, characterized by the group members as German with a characteristically “hard accent” (heavy stress, speed, voice quality) and including stereotypically nonstandard German forms to make a tough impression. Eksner compares this use of STG with Rampton's (1995, p. 158f.) discussion of sociolinguistic ethnic group “crossing” by adolescents in the UK, in interaction rituals of disorder, differentiation and consensus (Eksner 2000, p. 87-100). Although Eksner claims that STG incorporates stereotypic nonstandard German, she does not give an analysis of the actual linguistic features of these and, in fact, some of her citations indicate a high degree of facility in German on the part of some of the group members. She notes, however, that “... the youths have achieved different levels of linguistic competence in German, while they all ‘hypocorrect’ their speech to the same speech level.” She criticizes the interpretation of ‘Kanakendeutsch’ by media, academics and fiction as a code instead of an intentionally employed situational register (Eksner 2000, p. 100). Eksner's study relies to a great extent on self-report and on her own observations in the course of contact with the adolescents in the youth center and on the streets in the course of filming for the video they are making. It remains to be demonstrated whether, and to what extent, such practices are actually employed regularly in in-group settings. 9. Conclusions, Discussion, Open Questions In his preface to “Kanak Sprak” (Zaimoglu 1995) cited at the beginning of this paper, Zaimoglu described the speech of Kanaken as having the following four linguistic characteristics: LI Turkish full of errors; mixing expressions from standard and rural Turkish; limited proficiency in L2 German; use of words and expressions which occur in neither of the languages. As we have seen, Zaimoglu's representations of their speech in his three books conform very little to this characterization. What limited use of Turkish there is in the texts is not full of errors, except minor orthographic ones, stemming from the absence of Turkish letters in the first book. The Turkish expressions which do occur consist of formulaic <?page no="221"?> “Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 221 expressions of three types: religious expressions which occur in standard Turkish as well, terms of address which occur in colloquial styles and sexual epithets, common to “tough” youth speech. What is most strikingly lacking in these texts, as we have seen, is the extensive incorporation of German lexical items into Turkish to form a mixed German-Turkish code which may be developing as a variety used by actual speakers, particularly of the “intermediate” generation and by second generation speakers with little contact to Germans. The second language, German, is extremely fluent and colloquial, not characterized by most of the interlanguage features which are found in the speech of first generation immigrants and in the speech of adolescents and children raised in Germany who have relatively little contact with German peers. On the contrary, the German used by the Zaimoglu characters has many features of native German rapid colloquial speech, and especially words, phrases and expressions current in the youth scene, including many lexical items inserted or morphologically adapted from English. The code-mixing and code-switching of Zaimoglu's work has an entirely different character from that of actual speech. The single word insertions are almost always English integrated into German, rather than the typical German into Turkish of actual speakers. Turkish is included in the mix primarily as formulaic expressions, realized as embedded language islands or short alternations, rather than the typical switching to German for domaininfluenced or discourse-interactional reasons. The use of English, we suggest, is overdetermined by the educated, intellectual background of Zaimoglu (and his readers) as well as by his identification of Turks in Germany with African-Americans. Moreover, English/ German mixing serves as a stand-in for Turkish/ German mixing, which would be unintelligible to readers who are not literate in Turkish. Nor do Zaimoglu's texts conform to the reports of representations of youth language practices, which indicate that their in-group speech is basically Turkish with code-mixing and code-switching, and that their speech to non- Turks is formulated in different varieties of German, dependent on situation, “good German” and “stylized Turkish German”. The latter is akin to the instances of formulaic German “foreigner talk” spoken by Zaimoglu's characters, but emphasizing nonstandardness, as much in voice quality, stress and intonation, as in nonstandard syntax. <?page no="222"?> 222 Carol W. Pfaff Thus it does not appear that Zaimoglu has let his characters express themselves “authentically” in their own tongue. However, despite his claims to the contrary, we should have expected that the realistic portrayal of the characters' speech was really Zaimoglu's purpose in writing the way he did? It is helpful here to look at the reception of Zaimoglu's work in the German press' 2 and in papers analyzing his work from social and literary perspectives. Almost without exception, the journalistic pieces focus as much on the language as on the content of the works. Many take his claims to represent the actual speech of his characters at face value, speaking of creole, jargon, patois, etc. However, equally many deny that the language is realistic, but stress its poetic creativity and strength. Zaimoglu himself, when asked about his use of language, states (often in his variety of Kanak Sprak) that he has reworked what the subjects said but that has expressed what they mean and the social-political message and mood that he means to convey. Similar views are found in scholarly papers. Ayata (1999) argues that the “hybrid” Turks, or “Hype-Kanakan” are not representative of the majority of the migrant population despite the efforts of the media to give this impression. Bogdal (2000) argues that Zaimoglu's poetic intention is not the representation of actual speech but rather his message, emphasizing the legitimacy and value of hybridity per se. Although Zaimoglu's representations of speech do not mirror reality, Bogdal nonetheless claims that migrants of the second and third generation have found and created their own language and literature. Zaimoglu's attention-getting poetic language and language mixture in the Kanak Sprak books is itself a significant part of the message in a genre which might be called “poetic polemic”. The aggressiveness of the lexical items as well as their mixture emphasize the self-perceived hybridity and peripherality of the protagonists' identities and their frustrations in a country where public discourse has recently focused on explicit statements that immigrants should assimilate to an ideal monocultural “Leitkultur”. 12 A large collection of reviews, articles and interviews with the author from 1995-2000, as well as journalistic pieces he has written, is available from the publisher of the Kanak Sprak series, the Rotbuch Verlag. 1 thank Julia Eksner for passing this on to me. It is noteworthy that no articles in Turkish were included. <?page no="223"?> “Kanaken in Alemannistan Zaimoglu's representation ofmigrant language 223 Finally, while considering the disparity between reality and Zaimoglu's poetic polemic representations, I was reminded of a similar disparity in the use of Spanish/ English mixing in migrant literature and actual speech which emerged in my earlier comparison (Pfaff 1979) of language mixing in the book “Canto y Grito Mi Liberaciön” by Ricardo Sanchez (1973), with mixing in recorded conversations with Mexican-Americans in California and Texas. In this case too, mixing serves to make political points and to create a mood rather than following the patterns of speech. In Sanchez' work, as in Zaimoglu's, creative use of hybridity does not involve exaggerating indicators and markers or even stereotypes of actual speech, but applies different techniques. These deserve further investigation in themselves, in a wider selection of bilingual texts, and in comparison to sociolinguistic and ethnographic studies not only of youth peer groups in “the ghetto” but of a wider range of other speakers from the social middle and upper ranges as well. References Ayata, Imran (1999): Heute die Gesichter, Morgen die Ärsche. In: Spex 11/ 99. Backus, Ad (1996): Two in One. Bilingual Speech of Turkish Immigrants in The Netherlands. Tilburg. Baker, Philip (1993): Australian influence on Melanesian Pidgin English. In: Te Reo, Vol. 36, p. 31-68. Bogdal, Klaus-Michael (2000): Wo geht's denn hier nach Kanakstan? Deutschtürkische Schriftsteller auf der Suche nach Identität. In: Parry, Christoph/ Voßschmidt, Liisa/ Wilske, Detlev (eds.): Literatur und Identität. Beiträge auf der 10. Internationalen Arbeitstagung ‘Germanistische Forschungen zum literarischen Text’. Vaasan Yliopiston Julkaisuja, SAXA Sonderbd. 2. Vaasa, p. 225- 234. 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Hamburg. <?page no="227"?> Teil III Spuren des Selbstverständnisses: Mehrsprachigkeit als biografisches und gesellschaftliches Residuum <?page no="229"?> Katharina Meng / Ekaterina Protassova „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische Sprachmischungen im Verständnis ihrer Sprecher 1. Einleitung Aussiedler sind Personen deutscher Herkunft aus Osteuropa, die gemäß Artikel 116 des Grundgesetzes und abgeleiteten Gesetzen und Verordnungen die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland erlangt haben und nach Deutschland übergesiedelt sind. 1 Je nach Herkunftsland unterscheidet man Aussiedler aus Polen, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten sowie anderen Gebieten. Die Aussiedler aus der Sowjetunion bilden die größte Gruppe. Ihre Gesamtzahl beträgt gegenwärtig mehr als zwei Millionen. 2 Seit dem Zerfall der Sowjetunion werden sie in der deutschen politischen und medialen Öffentlichkeit meist als russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler bezeichnet. Für die sprachliche Situation der Russlanddeutschen in der Sowjetunion ist charakteristisch, dass ihre Minderheitensprache Deutsch in den 20er Jahren institutionell gefördert, aber ab den 30er Jahren zurückgedrängt und besonders während des Zweiten Weltkriegs unterdrückt wurde. Daher droht den Russlanddeutschen in der GUS der Verlust ihrer Minderheitensprache. Insbesondere die jüngeren Erwachsenen, die Deutsch meist noch im monolingualen oder bilingualen Erstspracherwerb erlernten, verfügen nur über sehr elementare und verschüttete Deutschkenntnisse, wenn sie nach Deutschland kommen, und haben große Schwierigkeiten, ihre Kinder beim Deutscherwerb zu unterstützen. Dies ist aus unserer Sicht ein wesentlicher Aspekt des Kriegsfolgenschicksals der Russlanddeutschen. 3 1 Vgl. die Intemetseite des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen (www.aussiedlerbeauftragter.de) zu den rechtlichen Bedingungen für die Aufnahme als Spätaussiedler. 2 Laut www.aussiedlerbeauftragter.de (Statistik) siedelten von 1950-2002 2.167.921 Personen aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten nach Deutschland über. Die meisten kamen während der Amtszeit Gorbatschows und nach dem Zerfall der Sowjetunion. 3 Die Bedingungen des Erhalts oder Verlusts von Minderheitensprachen im allgemeinen und in ihrer Ausprägung in der Geschichte der Russlanddeutschen sind gut erforscht. Die politischen Kontroversen um die Aussiedlerpolitik und ihre jeweilige Umsetzung in Ge- <?page no="230"?> 230 Katharina Meng / Ekaterina Protassova In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit einem besonderen Aspekt der Sprechweise russlanddeutscher Aussiedler: mit ihren gemischtsprachigen Äußerungen. Den Hintergrund bildet ein inzwischen abgeschlossenes Projekt, in dem wir mehrere Jahre lang die sprachliche Integration russlanddeutscher Aussiedler untersucht haben. 4 Im Rahmen der Projektarbeit hatten wir häufig Gelegenheit, an der Kommunikation russlanddeutscher Familien in Mannheim teilzunehmen. 5 Dabei fiel uns immer stärker auf, dass die Sprecher die sprachlichen Grenzen zwischen Deutsch und Russisch überspringen und mit größter Selbstverständlichkeit Äußerungen produzieren und rezipieren, in denen deutsche und russische Elemente miteinander verknüpft sind. Diese Äußerungen nennen wir deutsch-russisch gemischtsprachige Äußerungen. Unsere Ton- und Videoaufnahmen dokumentieren zahlreiche derartige Äußerungen und auch spontane Kommentare der Sprecher dazu. In den Kommentaren bringen die Aussiedler zum Ausdruck, wie sie ihre eigene Sprechweise wahmehmen und verstehen. Es kam uns in der Untersuchung, über die wir im vorliegenden Beitrag berichten, nun darauf an, dieses Selbstverständnis genauer zu erkunden. 6 Die Auffassungen, die eine Sprachminderheit von der eigenen Sprechweise hegt, sind sowohl für die Sprachminderheit selbst als auch für die Mehrheitsgesellschaft Wissens- und bedenkenswert, denn sie gehen als Faktoren in die Sprachentwicklungsbemühungen der Individuen und Gemeinschaften setzen und Verordnungen, insbesondere in den Verfahren der Statusfeststellung, nehmen diese wissenschaftlichen Ergebnisse kaum zur Kenntnis; die Argumentation ist weitgehend von parteipolitischen Interessen und tagespolitischen Gegebenheiten bestimmt. Entsprechend unzureichend ist die Öffentlichkeit informiert. Vgl. dazu Meng (2003) und Stölting (2003) sowie andere Beiträge in Reitemeier (Hg.) (2003). 4 Vgl. u.a. Meng (2001), (2002) und (2003), Meng/ Protassova (2002), (2003a) und (2003b), Protasova (1996a), (1996b) und (2000) sowie Protassova (demn.). 5 Zur Charakteristik der teilnehmend beobachteten russlanddeutschen Aussiedler, ihren aus der Herkunftsgesellschaft mitgebrachten sprachlichen Voraussetzungen und den Bedingungen ihrer Kommunikation und sprachlichen Integration in Deutschland vgl. ausführlich Meng (2001). 6 Da es uns vor allem um das sprachliche Selbstverständnis geht, sind linguistische Kategorien wie ‘Code-Switching’, ‘Code-Mixing’, ‘Code-Fusion’, ‘Code-Oszillation’ usw. im Folgenden nicht von Bedeutung. Wir werden daher keine Begriffsdiskussion führen und uns bemühen, weitgehend ohne derartige Kategorien auszukommen bzw. sie nur zitierend zu verwenden. Für einen Überblick über die Forschung zum Code-Switching und die dazu gehörige Begrifflichkeit vgl. u.a. Heller/ Pfaff (1996) und die Beiträge in diesem Band. <?page no="231"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 231 ein. Es ist besonders wichtig, diese Faktoren in ihren Wirkungen zu berücksichtigen, wenn es notwendig wird, Probleme im sprachlichen Umgang zwischen Minderheit und Mehrheit zu diagnostizieren und zu bearbeiten; und derartige Probleme existieren in großer Zahl. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man öffentliche und private Diskussionen über die Integration von Aussiedlem und über die künftige Aussiedler- und Einwanderungspolitik verfolgt. 2. Untersuchungsdesign 2.1 Anregungen Anregungen zur Untersuchungsmethode haben wir von Chana/ Romaine 7 empfangen. Sie führten eine Fallstudie durch, in der sie die Einstellungen von in Großbritannien lebenden bilingualen Panjabi-Sprechern zum Code- Switching und -Mixing ermitteln wollten. 8 Sie spielten den Informanten acht Äußerungen mit verschiedenen Typen und Graden von ‘Code-Switching’ und ‘Code-Mixing’ vor. Diese Äußerungen enthielten ‘fag-Switching’, ‘intersententielles’ und ‘intrasententielles Switching’ sowie ‘Mixing’ mit verschiedenen Graden der sprachlichen ‘Integration’ der aus der anderen Sprache übernommenen Äußerungelemente. Die Switch- und Mix-Typen der Äußerungen waren repräsentativ für die Vielfalt der zweisprachigen Varietäten Englisch-Panjabi in Großbritannien. Zu jeder vorgespielten Äußerung stellten Chana/ Romaine ihren Informanten Fragen in schriftlicher Form. Im Einzelnen fragten sie nach dem Typ des vermuteten Sprechers, seiner Familiensprache, seiner Sprachenkenntnis sowie der Verstehbarkeit und Bewertung seiner Sprechweise durch verschiedene Kommunikationspartner. Die Antwortmöglichkeiten wurden in geschlossener Form vorgegeben. Jeder Informant sollte die aus seiner Sicht zutreffenden Antworten ankreuzen. 2.2 Ziel und Material unserer Untersuchung Wir gingen bei der Planung unserer Untersuchung davon aus, dass die Typen gemischtsprachigen Sprechens, die Chana/ Romaine bei den Panjabi- Englisch-Sprechem gefunden hatten, als Typen auch für die russlanddeutschen Aussiedler charakteristisch sind, und wollten erkunden, 7 Vgl. Chana/ Romaine (1984) sowie Romaine (1995), Kap. 7.3. 8 Romaine (1995), S. 301, verweist auf andere Untersuchungen mit ähnlicher Zielstellung und Methodik. <?page no="232"?> 232 Katharina Meng / Ekaterina Protassova ob unser Fremdbild des gemischtsprachigen Sprechens bei Aussiedlem mit deren Selbstbild übereinstimmt, ob also die von uns als charakteristisch empfundenen Äußerungen auch von ihnen selbst als charakteristisch empfunden werden, und wie die Aussiedler ihr gemischtsprachiges Sprechen erklären und bewerten. Diesem Ziel gemäß ließen wir uns bei der Auswahl und Zusammenstellung der Äußerungen, die wir unseren Informanten vorlegen wollten (im Folgenden Beispieläußerungen genannt), von drei Kriterien leiten: von unserer Einschätzung der Typik einer Äußerung, von dem Bestreben, möglichst vielfältige Mischungstypen zu präsentieren, wobei wir uns von den Typen anregen ließen, die Chana/ Romaine (1984) unter ihren Sprechern beobachtet hatten, von ‘technischen’ Erwägungen: Die Äußerungen sollten von ihrem Umfang und ihrer technischen Wiedergabe her so beschaffen sein, dass sie relativ leicht rezipiert werden können. Es wurden daher keine längeren Gesprächsausschnitte und überhaupt keine Mitschnitte von Originaläußerungen verwendet. Vielmehr wurden relativ kurze Originaläußerungen ausgewählt und von Paralleläußerungen, Pausen, Unterbrechungen, Anakoluthen und ähnlichen charakteristischen Erscheinungen der mündlichen Kommunikation gereinigt. In die Liste der Beispieläußerungen wurden schließlich die folgenden zehn Äußerungen BOI-BIO aufgenommen: 9 9 Zwei in unserem Material häufige Erscheinungsformen von Sprachkontakt wurden nicht in die Untersuchung einbezogen, und zwar: (1) deutscher Satz mit Lehnübersetzung aus dem Russischen, (2) tumextemer Sprachwechsel. Typ (1) ließen wir unberücksichtigt, weil er zumindest bei oberflächlicher Betrachtung nicht unter gemischtsprachige Äußerungen fällt. Typ (2) ließen wir aus ‘technischen’ Gründen unberücksichtigt. Beispiele für tumextemen Sprachwechsel hätten den Umfang des Materials, das den Informanten vorgelegt werden sollte, stark vergrößert. <?page no="233"?> „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 233 B01\ Russischer Satz, deutsches Augment 111 O: Himero ne nojiyqMJiocb—> tut mir leidi T: nicego ne polucilos'-^ tut mir leidi Ü: Es hat sich nichts ergeben, tut mir leid. B02\ Deutscher Satz, russisches Augment O: was willsch=duvl maultascheT ä hct T: was willsch=dui maultascheT ä net Ü: Was willst du? Maultaschen? Ja? Nein? B03: Deutscher Teilsatz, russischer Teilsatz O: wie die allererschten aus unsrem dorf nach Deutschland gfahre sind AepeBHH nauia na ymax cxoajia], T: wie die allererschten aus unsrem dorf nach Deutschland gfahre sind derevnja nasa na usah stojalaT Ü: wörtlich: Wie die allerersten aus unserm Dorf nach Deutschland gefahren sind, stand unser Dorfaufden Ohren. Ü: freier: Wie die allerersten aus unserm Dorf nach Deutschland gefahren sind, konnte unser Dorfdas nichtfassen. B04: Russischer Teilsatz, deutscher Teilsatz O: KoueuHO—> KOMntiOTep mm xoace KynHM—> aber das kann noch warteni T: konecno—> komp'juter my toze kupim—> aber das kann noch wartenT Ü: Natürlich, einen Computer werden wir auch kaufen, aber das kann noch warten. 10 In der Liste der Beispieläußerungen bedeutet O - Originaläußerung, fixiert gemäß den im Anhang dieses Beitrags dargestellten Transkriptionskonventionen, T - Transliteration russischsprachiger Äußerungen oder Äußerungsbestandteile nach den Regeln der bibliothekarischen Transliteration (vgl. DIN 1460) und Ü - Übersetzung in ein standardsprachliches Deutsch. In einigen aufschlussreichen Fällen werden gemischtsprachige Ausdrücke morphologisch zerlegt. Die russischen Anteile einer Beispieläußerung werden in der Übersetzung stets kursiv gesetzt. <?page no="234"?> 234 Katharina Meng / Ekaterina Protassova B05: Russische Sätze mit deutschen Konstituenten O: H ero me4) im betrieb oh mm aobojibh—> bbhji ero fescht—> m ahji eMy urlaubi T: i ego sef im betrieb on im dovolen—> vzjal ego fescht-^ i dal emu urlaubi U: Und sein Chef im Betrieb, der ist mit ihm zufrieden, stellte ihn fest ein und gab ihm Urlaub. BO6: Deutscher Satz mit einem russischen Wort O: er bruddelt wie ä CBeKpoBKai T: er bruddelt wie ä svekrovkai Ü: Er meckert wie eine Schwiegermutter. B07: Russischer Satz mit einem deutsch-russisch gemischten Wort 0: Korfla th aHMejibflyembcaT T: kogda ty anmel'd-ues'sjat Ü: Wann meldev/ du dich an? B08\ Deutscher Satz mit einem deutsch-russisch gemischten Wort O: da war ä o6me kich—> da hat mama gekocht! T: da war ä obsc-e kich—> da hat mama gekocht! Ü: Da war eine gemeinsam-e Küche, da hat Mama gekocht. B09: Russischer Satz mit einem deutsch-russisch gemischten Wort 0: Tbi yxe creKoxajiat T: ty uze s-ge-koch-a-l-aT Ü: Hast du schon ge-ge-koch-t ? B10\ Russischer Satz mit deutschen und deutsch-russisch gemischten Wörtern 0: y mchh no flonny hotbi ojimh bis tma! T: u menja po deutsch-u not-y odin bis dva! Ü: Ich habe in Deutsch die Not-e« eins bis zwei. Diese zehn Beispieläußerungen, BOI-BIO, wurden von einer russlanddeutschen Sprecherin auf Kassette gesprochen. Die Sprecherin - Nina Berend, <?page no="235"?> „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 235 der hiermit herzlich gedankt sei 11 bekam die Äußerungen in einer der Standardorthografie angenäherten Umschrift. Sie sollte jede Äußerung dreimal hintereinander sprechen. Ansonsten war ihr freigestellt, ob sie sie standardsprachlich realisiert oder nicht. In mehreren charakteristischen Fällen wählte sie eine standardsprachliche Realisierung. In anderen, ebenso charakteristischen Fällen benutzte sie ihre südfränkische Varietät als selbstverständliches Medium, wobei sie sich bei den Äußerungswiederholungen innerhalb ihres Variationsraumes etwas bewegte. Nina Berend lebte zum Zeitpunkt der Aufnahme nur um weniges länger in Deutschland als die Informanten. 2.3 Gewinnung der Sprecherkommentare Die Untersuchung wurde konzipiert und durchgefuhrt, als unsere Langzeitbeobachtung von fünf Aussiedlerfamilien bereits seit mehr als vier Jahren im Gange war. Wir verfugten also über bewährte, enge Kontakte. Das ermöglichte es uns, die Kassette mit den Beispieläußerungen bei einem erneuten Besuch der jeweilige Familie mitzunehmen und das Vorspielen der Kassette lediglich unspezifisch als „etwas Interessantes“ anzukündigen. Während des Vorspielens waren meist mehrere Familienangehörige - Erwachsene und Kinder zugegen. Die Aufnahme wurde nicht vollständig hintereinander abgespielt, sondern in Portionen, die jeweils aus einer Beispieläußerung mit ihren drei Realisationen bestanden. Falls nach dem Abspielen der dritten Realisation einer Äußerung keiner der Anwesenden reagiert hatte, fragten wir, ob an dieser Äußerung etwas aufgefallen sei. In den meisten Fällen gaben die Zuhörer aber sofort spontane Kommentare zu jeder Äußerung. Häufig entwickelte sich auch ein lebhaftes Gespräch unter den Familienangehörigen über sprachliche Fragen, in dem wir versuchten, uns zurückzuhalten. In späteren Phasen solcher Gespräche brachten wir bis dahin nicht thematisierte Aspekte von mehrsprachiger Kommunikation zur Sprache. Dabei handelte es sich im Großen und Ganzen um diejenigen, die Chana/ Romaine in ihren Antwortkategorien abfragten: Bewertung des Sprachmischens, Reaktionen von Kommunikationspartnem auf gemischtsprachige Äußerungen usw. Die Gespräche über die Beispieläußerungen wurden wiederum auf Tonkassette aufgenommen. Tl.l und T1.2 unten in Kap. 3.4 dokumentieren exemplarisch zwei Ausschnitte aus einem derartigen Gespräch. 11 Nina Berend ist durch zahlreiche Publikationen über russlanddeutsche Dialekte bekannt geworden, vgl. u.a. Berend (1998) und (2003). <?page no="236"?> 236 Katharina Meng / Ekaterina Protassova 2.4 Informanten Die Äußerungen BOI-BIO wurden zwölf Erwachsenen sowie zehn Kindern im Grundschulalter vorgespielt. Die Auswertung beschränkt sich bisher auf die Kommentare der Erwachsenen. Diese waren zwischen 25 und 42 Jahren alt. Alle waren Russlanddeutsche und hatten Kinder im Vorschul- oder Schulalter. Elf Erwachsene stammten aus gemischtsprachigen Orten 12 der GUS, eine Erwachsene kam aus einem deutschsprachigen Dorf in Russland. Alle befanden sich zum Zeitpunkt der Untersuchung im fünften Aufenthaltsjahr in Deutschland. 2.5 Auswertung Die Gespräche in den Familien zu den vorgespielten Beispieläußerungen wurden in folgenden Schritten ausgewertet: 1) Anhören der Tonaufzeichnungen, 2) Protokollierung der Gesprächsverläufe, 3) Auswahl von sprachlich und/ oder inhaltlich besonders aufschlussreichen Gesprächspassagen für die Transkription, 4) auf der Grundlage der Schritte (l)-(3) Entwicklung einer Systematik der Gesichtspunkte, die die Informanten in ihren Diskussionen über die Beispieläußerungen behandelten. Die Systematik bildet den roten Faden für Kap. 3. Dort werden die Meinungen der Informanten zu den angesprochenen Gesichtspunkten exemplarisch zitiert und zusammengefasst. Zusammenfassen bedeutet, zu ordnen, auszuwählen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Meinungen der Informanten herauszuarbeiten und so zu formulieren, dass sie auch unabhängig von der ursprünglichen Kommunikationssituation verständlich sind. Das ist nicht möglich, ohne die Äußerungen der Informanten zu interpretieren und auch Mitgemeintes, aber nicht direkt Ausgedrücktes zu versprachlichen. Damit ist die Gefahr von Missverständnissen und Überinterpretationen gegeben. Wir sind uns dieser Gefahr bewusst. Wir hoffen sie gering halten zu können, einmal dadurch, dass wir uns durch jahrelange teilnehmende Beobachtung eine gute Kenntnis der Denkweise der Aussiedler erworben 12 Zu verschiedenen Ortstypen in der Sowjetunion und ihrer Bedeutung für den Erhalt von Deutsch als Minderheitensprache vgl. Berend (1998), S. 25f. <?page no="237"?> „Aussiedlerisch". Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 2.1)1 haben, zum anderen dadurch, dass wir uns zwingen, die Formulierungen der Informanten und unsere auf ihnen aufbauenden Zusammenfassungen immer wieder aufeinander zu beziehen und darüber hinaus zu markieren, wo wir Schlussfolgerungen ableiten, die sowohl auf den unterschiedlichen Kommentaren unserer Informanten als auch auf Wissen anderer Herkunft beruhen. 3. Interpretations- und Bewertungsgesichtspunkte der Informanten Die Informanten sprachen in ihren Kommentaren zu den Beispieläußerungen folgende Gesichtspunkte an: die Wahrnehmung der vorgespielten Äußerungen als Aussiedlerisch (vgl. 3.1), den Zusammenhang von Äußerungsmerkmalen und Sprechereigenschaften (vgl. 3.2), - Motive und Gründe für gemischtsprachiges Sprechen (vgl. 3.3), - Bewertungen des gemischtsprachigen Sprechens (vgl. 3.4), gemischtsprachiges Sprechen und die Sprachgemeinschaft der Aussiedler (vgl. 3.5), gemischtsprachiges Sprechen und die Kommunikation mit den Binnendeutschen (vgl. 3.6) sowie gemischtsprachiges Sprechen und die Geschichte der Russlanddeutschen (vgl. 3.7). 3.1 Die Wahrnehmung der vorgespielten Äußerungen als Aussiedlerisch Die Informanten nahmen wahr, dass es sich um deutsch-russisch gemischte Äußerungen handelte. Das belegen u.a. die Kommentare KOI und K02 und das Transkript T1.1, Flächen 7-12. <?page no="238"?> 238 Katharina Meng / Ekaterina Protassova KOI' 2 zu B05: LK-O: Y Hero CMemaHHbiü pasroBop, halb so, halb so. LK-T: U nego smesannyj razgovor, halb so, halb so. LK-Ü: Er hat ein gemischtes Gespräch, halb so, halb so. (Kass. 343b) 14 Der russische Ausdruck paaroBop (razgovor) bedeutet standardsprachlich ‘Gespräch’, substandardsprachlich bedeutet er neben ‘Gespräch’ auch ‘Sprache’ und ‘Rede(weise)’. K02 zu B02: ES-O: Die russische Sprache und die deutsche Sprache jetzt geht das alles durcheinander, halber russisch, halber deutsch. (Kass. 357a) Allerdings kamen nicht alle Informanten immer sofort auf den gemischtsprachigen Charakter der Äußerungen zu sprechen, weil manchmal andere Äußerungseigenschaften für sie auffälliger waren. Dies ist bereits für sich genommen ein aufschlussreicher Sachverhalt. In diesen Fällen thematisierten die Sprecher die salienteren Aspekte der vorgespielten Äußerung. Aus den Formulierungen der Kommentare wurde jedoch deutlich, dass die Informanten den gemischtsprachigen Charakter der Äußerung wahrgenommen hatten. Z.B. sagte jemand sinngemäß: Die Frau ist schon lange in Deutschland, sie spricht Russisch mit deutschem Akzent und kann sich nicht mehr an jedes russische Wort erinnern (Kass. 343b). Die Informanten nahmen nicht nur wahr, dass es sich um deutsch-russisch gemischte Äußerungen handelt. Sie sagten darüber hinaus auch aus bzw. präsupponierten, dass sie die vorgespielten Äußerungen für Äußerungen von 13 Nicht alle im Folgenden zitierten Kommentare liegen als Transkripte vor. Aber die Transkriptform ist hier auch nicht unabdingbar, denn es geht in diesem Beitrag nicht um detaillierte Analysen der sprachlichen Interaktion. Daher bringen wir die Kommentare in einer vereinfachten Form, die von Wiederholungen, Pausen, Verzögerungssignalen und Höreräußerungen absieht, und in einer Schreibweise, die der Standardorthografie und -Interpunktion nahe steht. Für sprachliche und interaktive Detailanalysen müsste man nochmals auf die Tonaufnahmen zurückgreifen. Die Abkürzungen vor den zitierten Kommentaren sind in den ersten beiden Positionen Sprechersiglen, dann folgt O für Originaläußerung und gegebenenfalls T für Transliteration sowie Ü für Übersetzung. In der Übersetzung werden die im Original russischen Passagen kursiv wiedergegeben. 14 Die Kassettenzählung bezieht sich auf das Gesamtkorpus von Meng zur Mehrsprachigkeit. <?page no="239"?> „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 239 Russlanddeutschen halten. Sie erkannten in den vorgespielten Äußerungen die eigene Sprechweise bzw. die Sprechweise ihrer Angehörigen wieder. Vgl. dazu die Kommentare K03-K09. K03 zu BOI: NI-O: So sprechen alle Aussiedler. (Kass. 384a) K04 zu BOI : MS-O: Wir sprechen so - Russe-Deutsche. (Kass. 364a) K05 zu B02: KB-O: Des is ja Aussiedler, so wie wir. (Kass. 345a) K06 zu BO3: KB-O: Genau so sprechen wir auch. (Kass. 345a) K07 zu BO5: ES-O: Ja, das is nur u"nsere Sprache, das is nur in dem Kreis, da wo de Russe-Deutsche sitze, nur do kann man so einfach halber Russisch, halber Deutsch. (Kass. 357a) K08 zu B07: LB-O: Des so Sache sagen wir mal oft, ja. (Kass. 345a) K09 zu B07: NK-O: Ja, ich se"lbst sage das. (Kass. 343b) Einige Informanten nannten diese Sprechweise Aussiedlerisch und charakterisierten sie als ihre ‘dritte Sprache’ neben Deutsch und Russisch (s.u. Tl.l und TI.2). Allerdings empfanden die Informanten die vorgespielten Äußerungen in unterschiedlichen Graden als charakteristisch für sich selbst. Vgl. dazu Tabelle 1. Die Äußerungen B02, B03, B05, B07 und BIO 15 wurden ohne Ein- 15 Bei dieser Zusammenfassung abstrahieren wir davon, dass innerhalb der Gespräche häufig ein Wandel der Perspektive der Informanten stattfand. Die Informanten wussten anfangs nicht, zu welchem Zweck ihnen die Äußerungen vorgespielt werden, und versuchten zu- <?page no="240"?> 240 Katharina Meng / Ekaterina Protassova Schränkungen als typisch bezeichnet und die Äußerungen BOI und B04 als bedingt typisch für sich selbst. Demgegenüber hielten die Informanten die Äußerungen B09 sowie B06 und B08 als untypisch für sich selbst. B02, B03, B05, B07, BIO BOI, B04 B09 B06, B08 Von den jungen Eltern als höchst typisch für sich selbst empfunden Von den jungen Eltern als bedingt typisch für sich selbst empfunden Von den jungen Eltern als nicht typisch für sich selbst empfunden Von den jungen Eltern als nicht typisch für sich selbst empfunden Tabelle 1: Typizitätsgrade Welche Äußerungsmerkmale haben die Informanten veranlasst, eine Äußerung als höchst typisch, bedingt typisch oder nicht typisch für sich selbst wahrzunehmen? Die Sprecher kommentieren in den Äußerungen vor allem Aspekte der regionalen und funktional-stilistischen Markierung (vgl. K10-K11). K10 zu B02: LK-O: Dialekt y nee. „was willsch=dU'i“ oto ue Hochdeutsch. LK-T: Dialekt u nee. „was willsch=dui-“ eto ne Hochdeutsch. LK-Ü: Sie hat einen Dialekt. „Was willsch=dui“ das ist nicht Hochdeutsch. (Kass. 343b) Kl 1 zu B02: LS-O: Typisch Mannheimer Dialekt: „willsch“. (Kass. 340a) Die Sprecher sehen bestimmte Dialektmerkmale (insbesondere die Palatalisierung des -5 zu -sch) als typisch für ihr Deutsch an, während sie ausgenächst oft, die Sprecherin als konkrete Person ihres Bekanntenkreises zu identifizieren. Wenn sie erkannt hatten, dass das nicht möglich ist oder nicht interessiert, versuchten manche, aus dem Inhalt des Gesagten auf den ursprünglichen Sprecher zu schließen, z.B. aus dem Inhalt von BIO auf einen Schüler. Jedoch wurde in der interaktiven Dynamik des Gesprächs mehr oder weniger bald der Moment erreicht, ab dem das Verhältnis von Sprechweise und Sprechertypik zentraler gemeinsamer Gesichtspunkt war. Die interaktive Dynamik des Reflektierens über Sprache wäre es wert, genauer analysiert zu werden. <?page no="241"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 241 sprochenes Hochdeutsch und das Deutsch der Ämter (vgl. K12), aber auch Dialektmerkmale anderer Art als nicht typisch für sich selbst betrachten (vgl. Kl3). Kl2 zu BOI: KB-O: In A"mte sagen sie immer: „Tut mir leid.“ (Kass. 345a) Kl3 zu BO3: LS-O: Welcher Dialekt is das jetzt, das weiß ich nicht. So wie unsere Eltern mehr. (Kass. 340a) Diese Kommentare mögen, für sich genommen, nicht unmittelbar einleuchten. Aus unseren Beobachtungen zur sprachlichen Integration der Aussiedler wissen wir jedoch, dass junge erwachsene Russlanddeutsche sich beim Wiedererwerb und Ausbau ihres Deutschs nicht am mitgebrachten russlanddeutschen Dialekt ihrer Eltern orientieren, andererseits aber auch kaum Gelegenheit zur Teilnahme an mündlich-standardsprachlich deutscher Kommunikation haben. Das sprachliche Angebot, das ihnen am häufigsten begegnet und das daher auch zum Modell ihrer sprachlichen Integration wird, ist in Mannheim die pfälzisch-regionale Sprechweise ihrer binnendeutschen und ausländischen Arbeitskollegen und Mitschüler. Außer den dialektalen Varianten fällt den Informanten auf, dass in den Äußerungen unterschiedliche Mischungsverhältnisse und -arten von Deutsch und Russisch vorliegen (vgl. K14-K15). Kl 4 zu BO3 : JS-O: Da seh ich keine Mischung. Mischung schon, aber sie hat schon ganzen S/ Ona CKaaajia pejioe npe/ poxenMe no-pyccKM n aejioe npefljioxenne no-HeMeu,Kn. Das ist keine Mischung. JS-T: Da seh ich keine Mischung. Mischung schon, aber sie hat schon ganzen S/ Ona skazala celoe predlozenie po-russki i celoe predlozenie po-nemecki. Das ist keine Mischung. JS-Ü: Da seh ich keine Mischung. Mischung schon, aber sie hat schon ganzen S/ Sie hat einen ganzen Satz auf Russisch gesagt und einen ganzen Satz aufDeutsch. Das ist keine Mischung. (Kass. 365b) <?page no="242"?> 242 Katharina Meng / Ekaterina Protassova Kl5 zu B07: AK-O: „Anmel'd-yeuibca“ c pyccKMM OKOH^aHHeM, fla? Cjiobo ot HCMepKoro, OKOHqaHMe y*e nepeflejiajiM na pyccKoe. AK-T: „Anmel'd-ues'sja“ s russkim okoncaniem, da? Slovo ot nemeckogo, okoncanie uze peredelali na russkoe. AK-Ü: „Anmel'd-ues'sja“ mit russischer Endung, ja? Das Wort ist aus dem Deutschen, die Endung haben sie schon ins Russische umgewandelt. (Kass. 363b) In Abhängigkeit von den verschiedenen Mischungsverhältnissen empfinden die Informanten bestimmte Äußerungen als typisch oder nicht typisch für sich selbst. Die Äußerungen, die sie als typisch für sich selbst ansehen, sind überwiegend russisch (B05, B07, BIO). Die überwiegend deutschen Äußerungen B06 und B08 werden als nicht typisch für die eigene Gruppe empfunden (vgl. Kl6). Kl 6 zu B08: JS-O: Wir habe sein Lebe lang besser Russisch als Deutsch gesprochen. So was sagen wir nicht: deutscher Satz und russische Wort. (Kass. 365b) Auf diesem Hintergrund ist es dann zunächst unverständlich, warum die Informanten Äußerung B09 als untypisch für sich selbst ansehen, denn sie ist dominant russisch, ja warum sie sie sogar für extrem untypisch und außerordentlich auffällig halten (vgl. K17-K18). Kl 7 zu B09\ ES-O: So was bring ich nie raus! (Kass. 357a) K18 zu B09: NS-O: Ich selbst? Niemals! (Kass. 365b) Was mag die Informanten zu der Überzeugung führen, dass sie selbst niemals eine Äußerung wie B09 hervorbringen würden? Wir können nur versuchen, das zu rekonstruieren. B09 ist wie B05, B07 und BIO in der Syntax russisch. Aber im Unterschied zu B05 besteht der deutschsprachige Einfluss hier nicht allein in der Aufnahme deutscher Lexeme in das russische Satzmuster, sondern in einer wortinternen Mischung. Allerdings: Die wortinterne Sprachmischung allein kann es nicht sein, die Äußerung B09 <?page no="243"?> „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 243 auszeichnet. Diese liegt schließlich auch in den Äußerungen B07 (anmeldues'sja) und BIO {po deutsch-u) vor, die die Informanten durchaus als typisch für sich selbst ansehen. Möglicherweise war folgender Unterschied maßgeblich: B07 ist insgesamt ein russischer Satz, Russisch ist die Basissprache. Das Prädikat ist gemischtsprachig. Es setzt sich zusammen aus einem Wortstamm-Morphem (anmeld-) einer Gastsprache (hier des Deutschen) und grammatischen Morphemen der Basissprache (-u-es'-sja). In BIO ist die Basissprache ebenfalls Russisch. In dem gemischtsprachigen Element po deutsch-u stammt das Wortstamm-Morphem aus der Gastsprache Deutsch und das grammatische Morphem -u aus der Basissprache Russisch. In B07 und BIO gibt es demnach eine klare ‘Arbeitsteilung’ zwischen den beiden involvierten Sprachen. In B09 ist das nicht konsequent der Fall. Die Basissprache ist Russisch. Das gemischtsprachige Prädikat besteht aus einem deutschen Wortstamm- Morphem (-koch-) und russischen grammatischen Morphemen (5-, -a-, -/ - und -a). Aber zusätzlich zu den basissprachlichen grammatischen Morphemen gibt es hier noch ein grammatisches Morphem der Gastsprache (ge-), das die gleiche Bedeutung wie eines der vorhandenen basissprachlichen Morpheme (.v-) hat und dieses also doppelt. Die Gastsprache Deutsch macht damit dem Russischen seine spezifische Funktion in derartigen gemischtsprachigen Formen streitig. Dies verletzt möglicherweise die normativen Vorstellungen von der eigenen Basissprache stark. Wir können die Kommentare der Informanten zusammenfassen und aus ihnen ableiten: Die Informanten, Russlanddeutsche der jungen Erwachsenengeneration, nehmen sich als Sprecher mit Russisch als dominanter Sprache und sich entwickelnder deutsch-russischer Zweisprachigkeit wahr, die in gemischtsprachigen Äußerungen beide Sprachen auf systematische Weise vereinigen. Die Systematik besteht darin, dass man entweder jeweils in sich geschlossene deutsche und russische syntaktische Strukturen verknüpft (BOI, B02, B03, B04) oder aber dass man in eine konsequent russische syntaktische Struktur deutsche Lexeme oder Wortstamm-Morpheme eingliedert (B05, B07). Das Deutsch der sich entwickelnden deutsch-russischen Zweisprachigkeit ist aus der Sicht der Informanten vor allem nichtstandardsprachlicher Natur und weist eine bestimmte regionale Färbung, nämlich die des Mannheimerischen, auf. Andere regionale Varietäten des Deutschen empfinden die Informanten als fremd. <?page no="244"?> 244 Katharina Meng / Ekaterina Protassova 3.2 Äußerungsmerkmale und Sprechereigenschaften Aus den Kommentaren wurde nicht nur deutlich, dass die Informanten in den vorgespielten Äußerungen die Sprechweise von russlanddeutschen Aussiedlem wiedererkannten. Sie konnten darüber hinaus in mehreren Fällen genauere Annahmen darüber formulieren, was für ein Aussiedler möglicherweise die jeweilige Äußerung formuliert hatte. Grundlage solcher Schlüsse waren Formmerkmale der Äußerungen. Die Typisierung der potentiellen Sprecher erfolgte dabei nach drei Gesichtspunkten: nach der Gruppenzugehörigkeit der vermuteten Sprecher, nach dem Alter der vermuteten Sprecher, nach individuellen sprachbezogenen Kompetenzen und Präferenzen der vermuteten Sprecher (z.B. ‘so spricht mein Vater’). Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Zuordnung zwischen den Beispieläußerungen, der Gruppenzugehörigkeit und dem Alter des vermuteten Sprechers. B02, B03, B05, B07, BIO BOI, B04 B09 B06, B08 Gruppenzugehörigkeit: Russlanddeutscher aus einem mehrsprachigen Ort in der GUS, Familiensprache eher Russisch Gruppenzugehörigkeit: Russlanddeutscher, der schon länger in Deutschland lebt, oder „örtlicher Deutscher“ Gruppenzugehörigkeit: keine Aussage Gruppenzugehörigkeit: Russlanddeutscher aus einem deutschen Dorf in der GUS, Familiensprache eher Deutsch Alter: Erwachsener Alter: Erwachsener, eher jung Alter: jüngeres Kind Alter: Erwachsener der Großeltemgeneration Tabelle 2: Beispieläußerungen, Gruppenzugehörigkeit und Alter des vermuteten Sprechers Unter den verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten assoziierten die Informanten vor allem, in was für einer Sprachgemeinschaft der vermutete Sprecher vor der Aussiedlung wahrscheinlich gelebt hat (vgl. K19-K20). <?page no="245"?> „Aussiedlerisch". Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 245 Kl 9 zu B03 : NK-O: 3to 3HamiT, qxo ohm b Poccmh roßopmiM na HeMeu,KOM aabiKe AOMa. Diese Frau hat in Russland Deutsch gesprochen in der Familie und mit seinen Eltern auch, das kann ich sofort schon sagen. NK-T: Eto znacit, cto oni v Rossii govorili na nemeckom jazyke doma. Diese Frau hat in Russland Deutsch gesprochen in der Familie und mit seinen Eltern auch, das kann ich sofort schon sagen. NK-Ü: Das heißt, dass sie in Russland zu Hause Deutsch gesprochen haben. Diese Frau hat in Russland Deutsch gesprochen in der Familie und mit seinen Eltern auch, das kann ich sofort schon sagen. (Kass. 343b) NS und JS sagen aus Anlass von B06 sinngemäß: Die Sprecherin hat wohl schon in der ‘Union’ Deutsch gesprochen und in einem deutschen Dorf gelebt (Kass. 365b). Im Unterschied zu Familien und Orten, in denen man in der Sowjetunion Deutsch sprach, erwähnen die Informanten auch Familien und Orte, in denen vor allem Russisch gesprochen wurde und in denen die einzelnen Personen das Russische daher gut beherrschten (vgl. K20). K20zu B07: NK-O: Ona ßojibuie na pyccKOM roBopux, ona pyccKMÜ xopomo snaex. NK-T: Ona bol'se na russkom govorit, ona russkij horoso znaet. NK-Ü: Sie spricht mehr Russisch, sie kann gut Russisch. (Kass. 343b) Das Merkmal Alter wurde von unseren Informanten vor allem aus Anlass der Äußerung B09 angesprochen. Wenn sie Äußerung B09 hörten, erinnerten sie sich häufig an die Anfänge des Deutscherwerbs ihrer Kinder und führten ähnliche Beispiele an (vgl. K21). K21 zu B09: LB-O: So haben unsere Kinder angefangen. (Kass. 345b) LB erinnert sich daran, wie ihre Kinder, die im Alter von 5 bzw. 6 Jahren nach Deutschland übersiedelten, begannen, auf der Grundlage ihrer Erstsprache Russisch Deutsch zu lernen. <?page no="246"?> 246 Katharina Meng / Ekaterina Protassova 3.3 Motive und Gründe für gemischtsprachiges Sprechen Die Informanten erklärten das gemischtsprachige Sprechen aus verschiedenartigen Faktoren. Erstens. Die Sprachmischung (insbesondere die Übernahme von deutschen Lexemen in russische Äußerungen) ist geeignet, um Sachverhalte zu bezeichnen, für die es in der Sprachgemeinschaft der GUS keine Bezeichungen gab, weil sie dort gemäß der Erfahrung unserer Informanten nicht existierten (vgl. dazu K22-K23). K22 zu B05: ES-O: B Poccmm nexy raKoro fest. ES-T: V Rossii netu takogo fest. ES-Ü: In Russland gab es so etwas nicht fest. (Kass. 357a) ES bezieht sich darauf, dass man in der Sowjetunion nicht unterschied, ob jemand auf ‘Probezeit’ oder in einem ‘befristeten Arbeitsverhältnis’ angestellt war oder aber ein ‘festes Arbeitsverhältnis’ hatte. 16 Den Informanten ist wohl bewusst, dass man für die in der GUS unbekannten und daher auch unbezeichneten Dinge russische Ausdrücke bilden kann. Aber das wäre umständlich. MS erklärt, man bräuchte schon fünf, sechs russische Wörter, um die Bedeutung des Wortes anmelden in Beispieläußerung B07 auf Russisch wiederzugeben, während die bloße Übernahme des deutschen Verbs genüge, um dem Partner klar zu machen, um was es gehe (Kass. 364a). Zweitens. Einige Ausdrücke der neuen Mehrheitssprache Deutsch bezeichnen existentiell wichtige Sachverhalte oder symbolisieren komplexe Situationen in Deutschland. Sie werden deshalb mit besonderer Häufigkeit und Aufmerksamkeit wahrgenommen und prägen sich schneller ein als andere. Dies ist der Hauptgrund für ihre Übernahme in russische Äußerungen. Dass die Informanten dies so sehen, zeigen die Kommentare K23-K24. 16 Es gab in vielen sowjetischen Arbeitsverträgen eine ‘Probezeit’: ncnbiTaTejibHun cpoK {ispytatel’nyj srok). Das war jedoch in den meisten Arbeitsverhältnissen ohne praktische Bedeutung. In der postsowjetischen Zeit hat sich dies geändert. Aber das haben die Aussiedler nicht mehr erlebt. <?page no="247"?> „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 247 K23 zu BOI: KB-O: In A"mte sagen sie immer: „Tut mir leid.“ (Kass. 345a) Die Floskel Tut mir Leid symbolisiert die vielen abschlägigen Bescheide, die die Aussiedler in Bewerbungsgesprächen und anderen Situationen bekommen. Ein Informant, WS, fasste diese Erfahrung in einer deutsch-russischen Wortneubildung zusammen, als er davon sprach, dass er viele Tutmirleid- HUKii (Tutmirleid-ciki - ‘Tutmirleid-linge’, d.h. abschlägige Antwortbriefe auf Bewerbungen, Kass. 127) bekommen habe. K24zu BO5: LK-O: 3to nama bot Sojicthb, koto fest B03bMyT, a koto BpeMenno, bot 3TO fest y nac MeuTa, Urlaub. NK-O: M na cobccm paöoTaTb. Y nac ne nojiynaeTCu. LK-T: Eto nasa vot bolezn', kogo fest voz'mut, a kogo vremenno, vot eto fest u nas mecta, Urlaub. NK-T: I na sovsem rabotat'. U nas ne polucaetsja. LK-Ü: Das ist ja unsere Krankheit, wen sie fest einstellen und wen befristet, das fest istja unser Traum, Urlaub. NK-Ü: Undfür ganz arbeiten. (Aber) es ergibt sich nichtfür uns. (Kass. 343b) Die Schwestern LK und NK hören die Beispieläußerungen gemeinsam an und kommentieren sie gemeinsam. In ihren Kommentaren zu B05 erklären sie, weshalb das Wort fest so bedeutsam für die Aussiedler ist und dass alle es wegen seiner hohen Bedeutsamkeit schon bald nach der Übersiedlung nach Deutschland lernen. Die Beispieläußerung ist unmittelbar mit der Situation verbunden, in der sich die Frauen zum Zeitpunkt der Aufnahme befinden: Sie suchen Arbeit. Deshalb reagieren sie auch nahezu leidenschaftlich. Diesem Umstand könnte es auch zuzuschreiben sein, dass LK keine Übersetzung fürfest findet und NK sie in der Suche nach einem russischen Äquivalent unterstützt: na coeceM (na sovsem - ‘für ganz’), ohne allerdings einen stilistisch angemessenen russischen Ausdruck vorschlagen zu können. Drittens. Einige Ausdrücke der mitgebrachten dominanten Sprache Russisch werden in der neuen Situation als unpassend empfunden und auch in russischen Unterhaltungen durch ihre deutschen Äquivalente ersetzt, häufig ohne <?page no="248"?> 248 Katharina Meng / Ekaterina Protassova dass die Informanten angeben können, warum. Ein Beispiel ist das Wort OTnycK (otpusk - ‘Urlaub’), das bald durch das deutsche Wort Urlaub verdrängt wird (vgl. Kass. 345a sowie K24). Das muss damit Zusammenhängen, dass oxnycK {otpusk) im Herkunftsland etwas sehr anderes war als Urlaub in Deutschland. Ein anderes Beispiel führt die Informantin AK an, wenn sie sinngemäß sagt: In Deutschland müsse man alles anmelden sich selbst beim Arbeitsamt, das Auto, das Telefon; immer, wenn es um etwas Neues gehe, müsse man sich anmelderr, dafür sei das russische Wort oxMCTMTbca {otmetit'sja - ‘sich anmelden’) nicht geeignet (Kass. 343a). 17 Viertens. Die Sprachmischung (insbesondere die Übernahme von Lexemen) hilft nach Meinung der Informanten, persönliche (momentane oder verfestigte) lexikalische Lücken im Russischen oder Deutschen auszugleichen (vgl. K25-K26). K25zu B03: KB-O: Manschmal hat man vergesse, was heißt Russisch, und du kannst des Deutsch, also da kommt Deutsch raus und dann wieder Russisch und dann wieder Deutsch. (Kass. 345a) K26zu B05: NI beschreibt, dass ihr bei ihrem Besuch in Russland und ihren dortigen Gesprächen der russische Ausdruck für ‘Versicherung’ entfallen war. NI-O: Als wir in Russland waren, da war es schon bissei problematisch. Mussten wir immer überlegen. Zum Beispiel: „Versicherung“. Wenn ich Russisch sprech und sag „Versicherung“, dann denk ich, das is Russisch, „Versicherung“, und dann haben die immer nachgefragt: „Was i"s denn das? “ Und da könnt ich gar nicht verstehn, wieso die nachfragen. „Versicherung“. (Kass. 384a) Fünftens. Einige Ausdrücke des Russischen werden als so treffend, differenziert oder witzig empfunden, dass man sie weder ins Deutsche übersetzen noch durch die verfügbaren, häufig als zu simpel empfundenen deutschen Ausdrücke ersetzen möchte (vgl. K27-K28). 17 Viele Immigrantengesellschaften übernehmen mit ähnlicher Motivation Lexeme der Mehrheitssprache. Das hat Hangen (1953) für die norwegischen Einwanderer in den USA als einer der ersten ausführlich belegt. <?page no="249"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 249 K27 zu B03: Der Informant ES kommentiert die russische Wendung für ‘unser Dorf stand auf den Ohren’ mit folgenden Worten: ES-O: Das is gut, weil des is komisch. Wenn meine Freunde dasitzen also aus Russland, mein ich du willschd Deutsch anfangen, und dann weeschd du nich, dass es so komisch wird, dann sagst du Russisch weiter. Ganz auf Deutsch ist es nicht so komisch, wie jetzt die Frau gesagt hat. (Kass. 357a) K28 zu B04: MS-O: Auf Russisch kann man so schee"n sagen, und so ganz tie"fe Sprache kann man benutzen, aber auf Deutsch macht man ef'nfach, kommt nicht passende Worte dazu, alle Sachen kann man nicht so ei"nfach sagen, irgendwann braucht deine Seele so brei"te Worte, brei"te Satze mit ganz tie"fe Bedeutungen, aus diesem Grund kommt manchmal russische Sprache vor. (Kass. 364a) Sechstens. Die Sprachmischung erlaubt in der Sprachgemeinschaft der Aussiedler eine schnelle, unangestrengte Verständigung. Das betrifft sowohl das Sprechen als auch das Verstehen. Die Sprachmischung erfolgt unwillkürlich und wird unter Aussiedlem normalerweise weder vom Sprecher noch vom Hörer bemerkt (vgl. K29). K29 zu B02: ES-O: Ob dir das gefällt oder nich, das merkscht gar nicht, kommt einfach raus und fertig. Du haschd Russisch im Kopf und Deutsch im Kopf und irgendwann beim Schne"llreden oder was weeß ich fliegt das raus, russische Wort. Wenn du tuschd überlege, sagste natürlich auf Deutsch. (Kass. 357a) Siebtens: Sprachmischung kommt oft zustande, weil die Aussiedler die deutschen Ausdrücke, die sie bereits kennen, auch benutzen wollen, teils um sie zu üben, teils um ihre Kinder bei der Aneignung des Deutschen zu unterstützen; aber die Deutschkenntnisse der jungen Eltern sind zunächst noch so begrenzt, dass die Sprecher immer wieder ins Russische zurückkehren müssen (vgl. K30). <?page no="250"?> 250 Katharina Meng / Ekaterina Protassova K30: Die jungen Eltern AO und IO stellen dar, wie sie mit ihren Kindern sprechen, um sie bei ihrem Deutscherwerb zu unterstützen. AO-O: Cenuac öojibme uaflo neMeuKun naynaxb, a ne pyccKMÜ. 10-0: Ckojibko mm anaeM, mm roBopnM tum: Geht schlafen. Mjih ny npocTMe xaKne cjiOBa, KoxopMe mm anaeM, mm mm roßopuM noneMepKM. Dxoro Majio, kohcuho. To, uxo mm anaeM, mm mm XOBOpMM. AO-T: Sejcas bol'se nado nemeckij izucat', a ne russkij. IO-T: Skol'ko my znaem, my govorim tarn: Geht schlafen. Ili nu prostye takie slova, kotorye my znaem, my im govorim po-nemecki. Etogo malo, konecno. To, cto my znaem, my im govorim. AO-Ü: Jetzt muss man mehr Deutsch lernen und nicht Russisch. IO-Ü: Was wir können, sagen wir auch: Geht schlafen. Oder na so einfache Worte, die wir können, sagen wir aufDeutsch zu ihnen. Das ist natürlich wenig. Das, was wir können, sagen wir auch zu ihnen. (Kass. 039b) Wir möchten solche und ähnliche Selbst- und Fremdbeobachtungen unserer Informanten verallgemeinern: Sprachmischung ist ein Weg, auf dem sich viele Russlanddeutsche das Deutsche aneignen. Es ist ein Weg der kleinen Schritte, auf dem tatsächliche Kommunikation und Übung zusammenfallen. Achtens: Sprachmischung, insbesondere die Übernahme einzelner deutscher Lexeme in russische Äußerungen, erlaubt es, Partnern zu demonstrieren, dass man sich das Deutsche bereits in einem gewissen Grade angeeignet hat (vgl. K31). K31 zu BOI: JS-O: Manche machen sich hoch, die machen Theater, die sagen „aber“, „aber trotzdem“, „genau“, aber diss um Gottes Wille! (Kass. 365a) JS spricht über Aussiedler, die in ihre Beiträge zu russischsprachigen Gesprächen deutsche Wörter wie aber usw. einfügen, und erklärt diese Praxis aus dem Bemühen der Sprecher, sich hoch zu machen, d.h. ihr Ansehen zu erhöhen. Er lehnt dieses Motiv für gemischtsprachige Äußerungen ab. Seine Frau NS lächelt, als sie den Kommentar ihres Mannes hört, und sagt uns <?page no="251"?> „Aussiedlerisch Deutsch-rassische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 251 später, dass ihr Mann wie alle anderen russlanddeutschen Bekannten kleine deutsche Wörter benutze, wenn er Russisch spreche, wahrscheinlich, ohne es selbst zu bemerken. Neuntens: Man kann Sprachmischung aus Spaß, zu parodistisch-humoristischen Zwecken benutzen (vgl. K32). K32 zu B09: NK-O: TaKoe mm ne ronopiiM. A ecjin äjih mmopa, mo>kho CKasaxb. Ecjim / pH lomopa mm xoxe MoaceM CKasaxb. NK-T: Takoe my ne govorim. A esli dlja jumora, mozno skazat'. Esli dlja jumora my toze mozem skazat'. NK-Ü: So etwas sagen wir nicht. Aber wenn zum Spaß, dann kann man das sagen. Wenn zum Spaß dann können wir das auch sagen. (Kass. 343b) 3.4 Bewertungen des gemischtsprachigen Sprechens Die Informanten betonten, sie bemerkten normalerweise nicht, dass sie Deutsch und Russisch mischten. Daher sei die Sprachmischung höchst selten Gegenstand ihrer Reflexion und Bewertung. Es bedürfe spezieller Konstellationen, damit die Aufmerksamkeit der Gesprächspartner von den Inhalten abgelenkt und auf ihre Sprechgepflogenheiten und deren Veränderungen gerichtet werde. In den Gesprächen wurden mehrfach solche Konstellationen dargestellt. Wir führen drei Beispiele dafür an. Erstens. Verwandte oder Freunde kommen aus der GUS nach Deutschland, besuchsweise oder auch für immer, sie hören ihre in Deutschland lebenden Angehörigen oder Bekannten sprechen und sind frappiert (vgl. K33). K33 zu B05: NK-O: C Russland npnexaji nam flajibKa. Oh ronopMx: „Fl mmero ne noHMMaio. Y nac cxojibxo cjiob, n Hnuero ne nonuMaio. 51 anaio, uxo BM roBopnxe na pyccxoM. Ho bm xy^a BCxaBJinexe nxo-xo, m h HMuero ne noHMMaio.“ On roBopnx: „HoneMy xax paaroBapw- Baxb: Bsflji ero fest n flau eMy Urlaub? “ Hy nanpnMep zum Beispiel. „HoneMy halb so halb so? “ Mm yxe hpmbmkjim. <?page no="252"?> 252 Katharina Meng / Ekaterina Protassova NK-T: S Russland priehal nas djad'ka. On govorit: „Ja nicego ne ponimaju. U vas stol'ko slov, ja nicego ne ponimaju. Ja znaju, cto vy govorite na msskom. No vy tuda vstavljaete cto-to, i ja nicego ne ponimaju.“ On govorit: „Pocemu tak razgovarivat': Vzjal ego fest i dal emu Urlaub? “ Nu naprimer zum Beispiel. „Pocemu halb so halb so? “ My uze privykli. NK-Ü: Aus Russland kam unser Onkel, er sagt: ,Jch verstehe gar nichts, ihr habt so viele Wörter, ich verstehe gar nichts. Ich weiß, dass ihr Russisch sprecht, aber ihr fügt dort etwas ein, und ich verstehe gar nichts.“ Er sagt: „Warum redet ihr so: Bsha eeo fest u öüa e.uy Urlaub? “ Na zum Beispiel, zum Beispiel. „Warum halb so, halb so? “ Wir sind es schon gewöhnt. (Kass. 343b) Zweitens. Deutliche sprachreflexive Wirkungen treten auch ein, wenn in Deutschland lebende Russlanddeutsche zu Besuch in die GUS fahren und mit den dort lebenden Verwandten und Freunden sprechen. Sie erregen durch ihre Sprechweise Erstaunen (s.o. K26). Drittens. Auch unser Vorspielen von gemischtsprachigen Äußerungen mit dem Kassettenrekorder bewirkte bei den Informanten eine Änderung der normalen Perspektive auf ihre Äußerungen und regte sie zu sprachlichen Selbstbewertungen an (vgl. K34). K34zu B02\ LS-O: Das merkt man nicht, wenn man spricht. Ich merke manchmal nicht. Jetzt hör ich die Kassette, jetzt bin ich konzentriert, sonst ich überhör das. (Kass. 340a) Bei der Bewertung des gemischtsprachigen Sprechens zeigten sich folgende Haltungen: eine wertneutrale Haltung, eine kritische Haltung und eine selbstbewusst-gelassene Haltung. Bei wertneutraler Haltung wird es weder positiv noch negativ bewertet, dass man gemischtsprachige Äußerungen produziert: Ist doch egal (Kass. 384a). Die Hauptsache sei, dass man sich gegenseitig verstehe: Ich versteh ja (Kass. 345b). Ja warum müssen wir korrigieren, wir verstehen das (Kass. 343b). Charakteristisch für die wertneutrale Haltung ist auch, dass man die jeweils vorliegenden Kommunikationsbedingungen berücksichtigt. Gegen ein gemischtsprachiges Sprechen im Freundes- und Familienkreis sei <?page no="253"?> "Aussiedlerisch". Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 253 überhaupt nichts einzuwenden. Anders stünde es, wenn man sich mit einer gewissen Offizialität an ein größeres Publikum auch ausschließlich russlanddeutscher Herkunft richte, z.B. als Moderator (xaMaaa tamada), der eine fröhlich feiernde Gemeinschaft durch ein buntes Programm fuhrt, oder als Repräsentant einer Firma, der anderen Repräsentanten ein neues Produkt vorführt; dann habe man entweder Deutsch oder Russisch zu sprechen; Mischen wirke dann ungebildet und kulturlos (Kass. 363b). Die kritische und selbstkritische Haltung zeigte sich auf unterschiedliche Weise: in nonverbalen Erscheinungs- und sprachlichen Bekundungsformen von Verlegenheit und Scham, in expliziten Verurteilungen gemischtsprachigen Sprechens und in Rechtfertigungen. Vgl. die Kommentare K35.1-K35.3, die alle von der Informantin NK stammen (sämtlich Kass. 343b). K35.1 zu B05: NK-O: On, ny, naBepnoe, CMernno mm roBopnM, oto yxacno mm tobopuM. NK-T: Oj, nu, navernoe, smesno my govorim, eto uzasno my govorim. NK-Ü: Oje, na wir sprechen sicher lächerlich, furchtbar sprechen wir. K35.2 zu B09: NK-O: Gott, ich schäme mich für solche Sprache. K35.3 zu BIO: NK-O: Mm croaa Taxoe npnneceM b FepMannio, mm sßecb homü shmk COXBOpUM. NK-T: My sjuda takoe prinesem v Germaniju, my zdes' novyj jazyk sotvorim. NK-Ü: Wir bringen hier schon was nach Deutschland, wir produzieren eine neue Sprache. Im letzten Fall drückt NK nonverbal Verlegenheit und sprachlich Selbstkritik aus, letztere, indem sie eine ironisch-witzige Formulierung gebraucht, wie sie für das neueste Russisch charakteristisch ist. Informant JS hat eine ähnlich kritisch-selbstkritische Haltung zum gemischtsprachigen Sprechen wie NK (vgl. K36). <?page no="254"?> 254 Katharina Meng / Ekaterina Protassova K36zu BOI: JS-O: Mischen is überhaupt schlecht. Wenn du kannst, dann zeig mal, was du kannst, auf Deutsch oder auf Russisch, aber Mischen, das is nit gut. Mischen, das tut Katja, weil sie kann annersch nit. Okay. Bei kleine Kind sag ich nix dazu. Aber bei Erwachsene, wenn du hast ganze Leben gesprochen auf Russisch, und da, mit zwee oder drei Jahr später machst du so eine Quatsch, kann man sage, ich finde das nicht normal. (Kass. 365a) JS vergleicht hier seine fünljährige Tochter Katja mit erwachsenen Russlanddeutschen. Die gelassene Haltung äußerte sich in folgenden Reaktionen: Man lacht belustigt über die Sprachmischung und amüsiert sich. Es stellt sich sogar ein gewisser Stolz über die eigenen sprachschöpferischen Fähigkeiten ein. Man empfindet Genugtuung und vielleicht sogar etwas wie Schadenfreude, dass man die Deutschen und die Russen von der eigenen Kommunikation ausschließen kann, wenn man das möchte (Kass. 345). T 1.1 Kommentar zu B03 1 2 ,603: B03: wie die allerersten aus unserm dorf nach deutschland gefahren sind gepeBHH nama na ymax cTOHJiaJ LACHT 3 B03: ,KB: WIEDERHOLUNG BELUST. de/ des=is/ des is äh spräche aus/ 4 5 aussiedlerische spräche is=ä des J wir können ja drei" sprachen j jä äh deutsch russisch un aussiedlerisch | des=i"s, 6 KB: ja drei-* LACHT BELUSTIGT LB: LACHT BELUSTIGT WB: LACHT BELUSTIGT LACHT BELUSTIGT was ist denn aussiedlerisch für , <?page no="255"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 255 KB: deutsch deutsch russi/ äh deutsch russisch LB: un (sieht) aussiedlerisch / kommt / jBWl: ne spräche j 8 KB: zusammel ,BW1: wenn äh we: nn wir zum beispiel allein ähä: LACHT J 9 KB: zu hause sind äh sprechen wir so| jBWl: dann sprechen sie | 10 11 KB: jä LACHT BELUSTIGT WB: ein zwei worte auf deutsch-* dann |BW1: aussiedlerisch | LACHT KB: dann wieder deutsch-* LACHT BELUSTIGT so: WB: russisch-* dann wieder deutsch-* 12 jKB: alles gemischte-» LACHT 1.2 Beitrag nach B05 07.03.97,354aoVidKB(34)Aussied50 1 BW1: #drei sprachen | aussiedlerisch-* russisch-* deutsch | # BW1K #FASST BISHER. GESPRÄCH ZUSAMMEN - # jl R; das war BW1: LB: [KB: äch vorgestern | vorgestern erfunden | mein mann sagt-* weißt du was-* ich ha/ ich hab ja so. [KB: äh nachgedacht-* häjä sitz ich-* un denk drüber nach wer KB: BL gut deu"tsch kann-* wer ru"ssisch kann-* #hallo #MARKIERT <?page no="256"?> 256 Katharina Meng / Ekaterina Protassova s KB: ,KBK 6 BW1: au"ssiedlerisch-*# weil äh zum beispiel sprech ich ÜBERRASCHUNG# LACHT LB: h/ h/ ich/ El. aussiedlerisch nur deutscher / deutscher versteht nur! 7 BW1: ,KB: 8 BW1: LB: ,KB: jä jä nur die hälfte J genauso russe auch | nur die hälfte J also . LACHT BELUSTIGT LACHT BELUSTIGT des is ja eine spra"che-»' LACHT BELUSTIGT . 3.5 Gemischtsprachiges Sprechen und die Sprachgemeinschaft der Aussiedler Die Informanten haben sich klargemacht und uns in ihren Kommentaren darüber informiert, dass sie das Sprachmischen nicht als jeweils individuell zu erklärende Gewohnheit ansehen und dass die gemischtsprachigen Ausdrücke nur teilweise als individuelle Erfindungen zu verstehen sind (vgl. K37). K37zu B07: NK-O: A Mbi TOise roBopnM: „aHMe"jibayeuibca“. LK-O: ÜOTOMy uto mbi yxe cjibiinajin oto cjiobo. 3to ne h3mm npMflyMaHHoe. 3to y*e flo nac ßbuio, n oho ms roaa b rofl nepettaexca. KM-O: A me nepe/ taexcfl? LK-O: 3aecb. NK-O: 3aecb. LK-O: B jiarepe HaBepnoe, yxe b Jiarepe. Hy HaBepnoe Mex^y jiioabMH. NK-O: C Jiarepa ßojibme Bcero. Koma mm xhjim zusammen, OTxyita mm HayHHJincb „aHMe"jibjtyembca, 3a(j)ep3MxepoBajica“. 3xo nepBbie 6mjih/ <?page no="257"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 257 LK-O: IloTOMy qxo cjjepsHxep/ IlpMxoflMJi y nac 4)ep3Mxep oamh, mh y>Ke 3Toro ßoajmcb. Hac npcAynpex^ajm, htoö mh ee noflnMCHsajiM öyMar, HMqero. „Kax xojibKO npwflyx, He cJjepawxepyMxecb, ne noAHHCbiBaMxecb! “ NK-T: A my toze govorim: „anme'Tdues'sja“. LK-T: Potomu cto my uze slysali eto slovo. Eto ne nami pridumannoe. Eto uze do nas bylo, i ono iz goda v god peredaetsja. KM-T: A gde peredaetsja? LK-T: Zdes'. NK-T: Zdes'. LK-T: V lagere navemoe, uze v lagere. Nu navemoe mezdu ljud'mi. NK-T: S lagerja bol'se vsego. Kogda my zili zusammen, ottuda my naucilis': „anme'Tdues'sja, zaversicherovalsja“. Eto pervye byli/ LK-T: Potomu cto Versicher/ Prihodil u nas Versicher odin, my uze etogo bojalis'. Nas preduprezdali, ctob my ne podpisyvali bumag, nicego. „Kak tol'ko pridut, ne versicherndes', ne podpisyvajtes'! “ NK-Ü: Aber wir sagen auch'. „anme'Tdwei'sj'a“. LK-Ü: Weil wir das Wort schon gehört haben. Nicht wir haben es uns ausgedacht. Das gab es schon vor uns. Es gab es schon vor uns, und es wird von Jahr zu Jahr weitergegeben. KM-Ü: Aber wo wird es weitergegeben? LK-Ü: Hier. NK-Ü: Hier. LK-Ü: Im Lager bestimmt, schon im Lager. Na unter den Leuten. NK-Ü: Vor allem im Lager. Als wir zusammen gewohnt haben, dort haben wir es gelernt: „anme"l'dim.s’'sya, zaversicherovalsja“. Das waren die ersten! LK-Ü: Weil der Versicher/ Bei uns kam ein Versicher, wir hatten schon Angst. Man hatte uns schon gewarnt, dass wir keine Papiere, nichts unterschreiben sollten. „Wenn sie kommen, versichert euch nicht, unterschreibt nicht 1 .“ (Kass. 343b) NK und LK beschreiben das Übergangswohnheim {Lager genannt) als Ort, an dem man lernt, deutsch-russisch gemischt zu sprechen: Die jeweils neuen Zuwanderer treffen in den Übergangswohnheimen ein und pflegen dort Um- <?page no="258"?> 258 Katharina Meng / Ekaterina Protassova gang mit anderen Aussiedlern, die bereits etwas länger in Deutschland leben und dadurch in einem bestimmten Grade ‘Experten’ im Hinblick auf deutsche Verhältnisse, ‘hiesige Deutsche’ und Sprachgebrauch in Deutschland sind. Diese Experten vermitteln den Neulingen auch einen deutschen Anfangswortschatz. Dazu gehören u.a. Versicherung, versichern und Versicher, letzteres in der Bedeutung ‘Versicherungsvertreter’. 18 Unsere Informanten berichteten, dass sprachkritische und korrekturfordemde Reaktionen auf gemischtsprachige Äußerungen im Diskurs des Übergangswohnheims völlig außerhalb ihrer Überlegungen lägen. 3.3 Gemischtsprachiges Sprechen und die Kommunikation mit den Binnendeutschen Die Informanten wissen, dass gemischtsprachige Äußerungen in der Kommunikation mit einheimischen Deutschen nicht verwandt werden können, weil sie nicht verständlich sind oder auf Ablehnung stoßen. Sie sagen, sie bemühten sich in dieser Kommunikationskonstellation, auf gemischtsprachige Äußerungen zu verzichten, und sind der Ansicht, ihr sprachliches Verhalten in der Regel unter Kontrolle zu haben. Unsere Aufnahmen enthalten jedoch auch mehrere Erzählungen davon, wie jemandem unwillkürlich eine russische Äußerung entschlüpft und wie dann die einheimischdeutschen Kommunikationspartner reagieren: erstaunt, manchmal amüsiert, manchmal auch ablehnend. LB und KB, die beruflich erfolgreich sind sie konnten feste Arbeitsverhältnisse eingehen -, können über solche sprachlichen Missgeschicke lachen (Kass. 345). WB, IK und NK, die noch keine Arbeit gefunden hatten bzw. sich ihrer Arbeit sprachlich nicht gewachsen fühlten, empfanden immer noch eine tiefgehende sprachliche und damit allgemeine Unsicherheit. Die Sanktionierung russisch-deutsch gemischter 18 Vgl. dazu auch Protassova (demn.). Protassova hat gezeigt, dass der institutionsspezifische Wortschatz, dem die Aussiedler gleich nach der Übersiedlung begegnen, zahlreiche kompliziert zusammengesetzte Wörter enthält. Diese können von den Aussiedlem meist nicht analysiert werden und erfahren daher oft eine Entstellung. Zum Bei-spiel fallen von Komposita ganze Glieder oder Silben weg (Sozialwohnung > sozial). In reduzierter Gestalt werden diese Ausdrücke in das mitgebrachte Russisch integriert und führen hier zu gemischtsprachigen Äußerungen, mit deren Hilfe die Erfahrungsweitergabe effektiv bewerkstelligt wird. Die besonderen kommunikativen Bedingungen der Übergangswohnheime haben die Ausbildung einer spezifischen russisch-deutsch gemischten Varietät mit eigenen Qualitätsmaßstäben und Normen zur Folge. <?page no="259"?> „Aussiedlerisch". Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 259 Äußerungen und teilweise sogar ein Verbot des Russisch-Sprechens durch einheimische Deutsche erlebten die befragten Informanten teils als unverständlich und schmerzlich, teils aber auch als begrüßenswerten Zwang, sich um vollständig deutschsprachige Kommunikation zu bemühen (Kass. 345). Sie schwankten zwischen Resignation und Tendenzen des Rückzugs in die Gemeinschaft der Aussiedler einerseits und andererseits erneuten Versuchen, sich der oft frustrierenden Kommunikation mit den ‘örtlichen Deutschen’ zu stellen. 3.4 Gemischtsprachiges Sprechen und die Geschichte der Russlanddeutschen Das Nachdenken über gemischtsprachiges Sprechen führte unsere Informanten noch zu einem weiteren, sehr bedeutsamen Verallgemeinerungsschritt. Gemischtsprachiges Sprechen, das sich häufig aus der Notwendigkeit einer schnellen und radikalen Sprachenumstellung ergibt, ist für Russlanddeutsche nichts Neues. Unsere Informanten kamen in verschiedenen Zusammenhängen auch in Reaktion auf die zu kommentierenden Äußerungen auf die partielle Vergleichbarkeit ihrer gegenwärtigen sprachlichen Situation mit der sprachlichen Situation der Russlanddeutschen nach der Deportation 1941 zu sprechen. Die Großeltern und Eltern unserer Informanten mussten nach Beginn des Zweiten Weltkrieges in kürzester Zeit und unter starkem sozialem Druck die Entwertung ihrer Erstsprache Deutsch hinnehmen und die neue Sprache - Russisch als lange Zeit einzig akzeptierte Sprache erlernen. Dabei hatten sie oft nur bescheidene Erfolge. Sprachmischung wurde zu einem beständigen Charakteristikum ihrer Sprechweise. Für ihre Kinder und Enkel, die als Angehörige der zweiten und dritten Generation in die russischsprachige Mehrheitsgesellschaft hineingeboren wurden und viel schneller und erfolgreicher Russisch lernten, war das befremdlich und peinlich (vgl. K38-K40). K38 nach BIO: ES-O: „Hosch du die KajmxKa zugemacht? “ Oder: „Hosch du die Kopona rausgebrocht? “ Ham=er gelacht. Da sagten wir immer zur Mutter: „Entweder du sprichst Russisch oder Deutsch. So geht das net.“ Das war bloß komisch. Jetzt is=es nicht so komisch. Aber früher. (Kass. 357b) <?page no="260"?> 260 Katharina Meng / Ekaterina Protassova ES charakterisiert das Deutsch seiner Eltern in Kasachstan durch zwei Beispieläußerungen, deren Bedeutung man folgendermaßen wiedergeben kann: ‘Hast du die Pforte zugemacht? ’ und ‘Hast du die Kuh rausgebracht? ’ An diesen Äußerungen hebt er ihren deutsch-russisch gemischten Charakter hervor. An seiner Darstellung sind weiterhin zwei Aspekte bemerkenswert: die sprachkritische und sogar herablassende Haltung der Kinder gegenüber ihren Eltern und der Wandel von ES' Einstellung zur Sprechweise seiner Eltern: Er, der seiner eigenen Einschätzung nach in Kasachstan Russisch wie ein Russe sprach, empfand dort die Sprechweise seiner Eltern nur als komisch und normverletzend. Heute, da er selbst in einer ähnlichen sprachlichen Lage ist wie seine Eltern damals, sieht er neben und anstelle der Komik des gemischtsprachigen Sprechens auch andere Aspekte, die er allerdings nicht näher beschreibt. K39 nach BO6: LB-O: Wie meine Oma hat gesprochen. Sie hat so gesagt zu die Nachbarin: „MapycKa, unser KjiapKa JIwjibKa manica Kynuji.“ Oh, ah, des war/ Un dann ham=se zu mich gesagt: „Jetz übersetz mal, was deine Oma gesagt hat.“ Ja, ich übersetze in Russisch, un dann sie hat/ Sie musste lachen. Des war, kann ma sagen, des war unser Deutsch und Russisch. (Kass. 345a) LB erinnert sich bezeichnenderweise nach B06 einer Äußerung, die die Informanten stets älteren Sprechern zuschreiben an die Sprechweise ihrer Großmutter. Der zitierte russische Satz „Maruska, unser Klarka Lil'ka sapka kupil“ sollte bedeuten: ‘Maruska, unsere Klara hat Lili eine Mütze gekauft.' Diesem Beispiel nach zu urteilen, sprach die Großmutter fast ohne Deklinations- und Konjugationsendungen Russisch eine Konsequenz des Umstandes, dass sie die Sprache spät und unter äußerst ungünstigen Bedingungen lernen musste. Dieses Russisch war, nach Darstellung von LB, unverständlich und wirkte lächerlich. K40 nach B09: NK-O: Nin-Ka, komm-Ka schnell-Ka zu mir-Ka! (Kass. 343b) NK zitiert eine in die Familiengeschichte eingegangene (vermutlich stilisierte) Äußerung ihrer Mutter, die diese als Kind gesagt haben soll. Die Mutter war als Schulkind deportiert worden und dadurch plötzlich aus einer deut- <?page no="261"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 261 sehen Sprachgemeinschaft in eine russische Sprachgemeinschaft geraten. Sie wollte damals wie NK mir erklärt so schnell wie möglich Russisch sprechen lernen, um nicht mehr als Deutsche und ‘Faschistin’ aufzufallen. Das Kind ‘russifizierte’ sein Deutsch, indem es an jedes deutsche Wort die russische Silbe -Ka (-ka) hängte ein naives Verfahren, das man je nach Situation als ‘Kindermund’ oder als Symbol der beklemmenden Sprachgeschichte einer Minderheit betrachten kann. In NKs Darstellung der Episode schwingen beide Perspektiven mit. NK erinnert sich an diese Äußerung bezeichnenderweise nach B09, der Beispieläußerung, die die meisten Informanten Kindern zuschreiben und die im Original von einem vierjährigen Kind stammt. Es ist im Übrigen kein Zufall und spricht für die Authentizität der erinnerten Episode, dass es sich bei der zitierten Äußerung inhaltlich und funktional um eine Aufforderung handelt, wie Kinder sie in der alltäglichen Kommunikation aneinander richten. Derartige Aufforderungen hören Kinder in den frühen Stadien ihres Spracherwerbs oft von Erwachsenen. Wenn die Kommunikation in russischer Sprache stattfmdet, dann enthalten die Äußerungen häufig die Silbe -Ka (-ka). Eine genauere Analyse zeigt, dass -Ka (-ka) in Verbindung mit dem Namen Nina zu verstehen ist als zusammengesetzt aus dem Diminutivsuffix -k- und der femininen Genusendung -a. In den anderen Fällen handelt es sich um die Partikel -ka, deren Funktion in inoffiziellem Sprachgebrauch darin besteht, Imperative älterer oder sozial höher stehender Sprecher gegenüber jüngeren oder untergeordneten Adressaten zu mildem. Das Russisch lernende Kind hat die beiden Funktions- und Positionsmerkmale der russischen Silbe -Ka (-ka) durchaus erkannt und seine zutreffenden intuitiven Verallgemeinerungen benutzt, um seine deutschsprachige Aufforderung Nina, komm schnell zu mir zu ‘russifizieren’. Wenn man weiterdenkt, welche Ähnlichkeiten unsere Informanten zwischen der sprachlichen Situation ihrer Eltern und Großeltern einerseits und der eigenen sprachlichen Situation und der ihrer Kinder andererseits wahmehmen, gelangt man zu einer für das Verständnis dieser Migrantengruppe grundlegenden Einsicht. Der damalige Sprachenwechsel verhält sich zum gegenwärtigen spiegelbildlich. Schematisch formuliert, vollzog sich in den beiden Sprachenwechselprozessen Folgendes. <?page no="262"?> 262 Katharina Meng / Ekaterina Protassova Nach der Deportation von 1941: Übergang von der primären deutschen Einsprachigkeit zu Iransitionaler deutsch-russischer Mehrsprachigkeit zu tendenziell sekundärer russischer Einsprachigkeit. Nach der Übersiedlung nach Deutschland'. Übergang von der (teils sekundären teils primären) russischen Einsprachigkeit zu transitionaler deutsch-russischer Mehrsprachigkeit zu tendenziell deutscher Einsprachigkeit. 1 v Die Wiederholung eines Grundmusters der sprachlichen Entwicklung einer Minderheit im Verlaufe von zwei bis vier Generationen, d.h. innerhalb individueller Erlebens- und Erinnerungsräume, erleichtert es den russlanddeutschen Aussiedlem, ihre gegenwärtige sprachliche Situation zu verstehen. Nichtsdestoweniger fallt es ihnen außerordentlich schwer, sie zu ertragen und aktiv zu gestalten. 4. Fazit In diesem Beitrag waren russisch-deutsch gemischtsprachige Äußerungen von Aussiedlem im Verständnis junger russlanddeutscher Erwachsener Gegenstand der Analyse. Ihr Verständnis wurde aus Kommentaren rekonstruiert, zu denen wir mit Hilfe einer speziellen Methodik angeregt hatten. Die Kommentare der Informanten haben gezeigt, dass den Russlanddeutschen der jungen Erwachsenengeneration ein reiches Erinnerungs- und Erfahrungswissen über mssisch-deutsch gemischtsprachige Kommunikation zur Verfügung steht. In ihm werden die verschiedensten Aspekte der situativen Bedingtheit gemischtsprachiger Äußerungen und ihrer Einbettung in die Entwicklung individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit verallgemeinert. Dies ermöglicht es vielen Informanten auch weitgehend, ihr gemischtsprachiges Sprechen je nach Kommunikationszusammenhang variabel zu bewerten und es als eine charakteristische eigene Varietät anzunehmen. Die Motive und Gründe für gemischtsprachiges Sprechen, die unsere Informanten nannten, und die sprachlichen Erscheinungsformen ähneln analogen Gegebenheiten in anderen Sprachminderheiten. So ist es z.B. verblüffend, 19 Zu den hier verwendeten Termini vgl. Skutnabb-Kangas (1981), S. 70. <?page no="263"?> „Aussiedlerisch Deutsch-russische Sprachmischungen im Sprecherverständnis 263 wie ähnlich unsere Beobachtungen denen sind, die Haugen bei den norwegischen Zuwanderem in den USA in seiner Pionierarbeit von 1953 mitteilte. In anderen Sprachminderheiten und möglicherweise auch in anderen russlanddeutschen Zuwanderergenerationen und bei anderen Individuen gibt es andere Erscheinungsformen und auch andere Motive für gemischtsprachiges Sprechen (vgl. in diesem Band Keim; Heller; Hinnenkamp; Lattey/ Tracy und Pfaff). Formen, Funktionen und Gründe gemischtsprachigen Sprechens hängen auf jeden Fall mit dem Grad der Aneignung der beiden Sprachen und mit der gesellschaftlichen Stellung und dem Selbstbewusstsein der Sprecher zusammen. Darüber hinaus gibt es auch noch andere zugrunde liegende Faktoren. Unsere Auswertung bestand in einer Systematisierung der Gesichtspunkte, die von den Informanten angesprochen wurden, und in einer Zusammenfassung der Meinungen der verschiedenen Informanten. Die Meinungen haben sich als überwiegend komplementär erwiesen. Unterschiedliche Auffassungen und gar Widersprüche gab es nur in einigen wenigen Details, die hier außer Betracht bleiben konnten. Die Bestimmung und Ordnung der verschiedenen Gesichtspunkte und ihre zusammenfassende Formulierung bedeutete ein Hinausgehen über das in den Äußerungen der einzelnen Informanten unmittelbar Gegebene. Es ist im Ansatz Re-Konstruktion des gemeinsamen Wissens einer Sprachminderheit über die eigene sprachliche Entwicklung. Die Rekonstruktion ist fortzuführen durch die Berücksichtigung der Spracherfahrungen der älteren und jüngeren Generationen. Dadurch kämen gewiss weitere Aspekte der russlanddeutschen Sprachgeschichte in den Blick, aber auch andere emotionale und intellektuelle Einstellungen zu sich selbst, zur Mehrheitsgesellschaft, zu anderen Sprachminderheiten und zum gemischtsprachigen Sprechen. Die Rekonstruktion könnte dazu beitragen, in der Diskussion zwischen den Aussiedlem, der Mehrheitsgesellschaft und anderen Sprachminderheiten nach Wegen zu suchen, auf denen die sprachliche Integration weder bloße Anpassungsverpflichtung noch Verharren in möglichst großer wechselseitiger Distanz ist. <?page no="264"?> 264 Katharina Meng / Ekaterina Protassova 5. Transkriptionskonventionen / T I —> hm, hm, hm M LACHT IRONISCH # # Verschleifung (Elision) eines oder mehrerer Laute zwischen Wörtern Wort- und Konstruktionsabbruch steigende Intonation fallende Intonation schwebende Intonation funktionsrelevante Tondifferenzierungen auf Silbenkemen bei Interjektionen und Responsiven auffällige Betonung auffällige Dehnung Wiedergabe nichtmorphemisierter Äußerung (auf der Sprecherzeile) Kommentar zur Äußerung (auf der Kommentarzeile) Extensionszeichen für den Kommentarbereich (auf Sprecher- und Kommentarzeile) Literatur Berend, Nina (1998): Sprachliche Anpassung. Eine soziolinguistisch-dialektologische Untersuchung zum Rußlanddeutschen. (= Studien zur deutschen Sprache 14). Tübingen. Berend, Nina (2003): Zur Dynamik von Sprachveränderungsprozessen in gesellschaftlichen Umbruchssituationen. In: Reitemeier, Ulrich (Hg.): Sprachliche Integration von Aussiedlem im internationalen Vergleich. Mannheim. (= amades 2/ 03). S. 21-36. 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In many ways, this interest was probably sparked by our own ideological orientations; as good children of the 19 th and 20 th centuries, we have usually internalized prevailing ideologies of language and nation which lead us to expect that people belong to culturally and linguistically homogeneous groups. When they show up mixing what we think ought to be distinct languages, we are intrigued. What kind of people might these be? Early explorations of this phenomenon focussed on codeswitching as an index of tension between distinct identities (whether in so-called intergroup or ingroup interaction). However, the more evidence we collected, the harder and harder it became to remain satisfied with this level of explanation. Two kinds of evidence have forced us to re-think our approach. One kind of evidence has to do with situations in which languages simply do not link up in a nice one-to-one relationship with social identities and group boundaries. The neat distinction between metaphorical and situational codeswitching, proposed so long ago by Blom and Gumperz (1972), seems to rarely hold up. That distinction supposes a conventional association between a language variety and membership in a closed group, or participation in clearly bounded activities (“domains”, in Fishman's (1972) terms). Instead, group or activity boundaries are often fluid and ambiguous, and the same holds true for identities. Codeswitching often seems more a matter of drawing on multiple resources for the dynamic construction of social positionings (of oneself and of others), and of definition of the nature of activities, than it is a matter of negotiating fixed boundaries or identities (cf. Rampton 1995; Auer 1998). The other kind of evidence has to do with the link between ideology and practice (see Blommaert 1999). In order to explain why it might be that in some situations people codeswitch and in other, at least superficially similar, circumstances, they don't, it became necessary to examine the kinds of beliefs and values speakers themselves hold about language mixing. For every person who tells you that bilingualism rots your brain, there is one for whom <?page no="268"?> 268 Monica Heller it is the sign of the highest refinement. For every person who thinks it's cool to mix, there is one for whom it is tantamount to moral corruption. Understanding the link between identities and bilingual language practices has thus become a matter of understanding those practices as linked on the one hand to social positioning, and on the other to the construction of or resistance to prevailing ideologies of language and identity, and hence to the construction and contestation of language norms. In this paper, I will examine in this light the nature of codeswitching among bilingual speakers of French and English in Ontario (Canada), a province in which English is clearly the dominant language, but where French is not without its own value and significance. People use both languages in different ways. I will argue that the different patterns of codeswitching that can be found can be explained best by understanding how people are positioned with respect to access to arenas where French and English are differentially valued. The reasons for the differential valuing have to do with political struggles in Canada over relations of power between speakers of French and speakers of English; people have different ideas about this struggle, and different possibilities for doing something about it, depending on who they are. I will go into the ideological landscape in greater detail in section 2.; for the moment, I will limit myself to saying that the core of the struggle is over equal rights for francophones in a society dominated by English and its speakers. Some argue that francophones need to accommodate to that reality. Others are in a position to argue that francophones should create an alternative power base through the establishment of monolingual zones. Others still argue that equal rights can be achieved best by widespread bilingualism. Both francophone and anglophone nationalists will prefer various kinds of monolingual behaviour, eschewing codeswitching even when they can do it. Over the years, in francophone Canada, the monolingual nationalist vision has in many ways become the dominant discourse. Because of this pressure, bilingual behaviour can be constructed as weak, despite the attempts by many to construct it as a symbol of equity and harmony. It is in this ideological landscape that Canadian bilinguals must navigate. 1 will use evidence principally from three different kinds of studies I have conducted in francophone Ontario over the years to explore who does what, with a focus on those who mix. (I will also draw on data from earlier studies I conducted in Quebec; cf. Heller 1989.) The first kind of study concerns participants in French-language minority schools in the Toronto area (cf. <?page no="269"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 269 Heller 1994, 1999a); the second (conducted in collaboration with Laurette Levy) concerns Franco-Ontarian women married to English-speakers and living in three economically and socially different parts of the province (cf. Heller and Levy 1992); and the third, ongoing study (conducted in collaboration with Jürgen Erfurt and Normand Labrie) concerns participants and non-participants in French-language minority institutions and associations in a variety of regions in Ontario (cf. Heller and Budach 1999; Heller 1999b). 1 (The practices of English-speakers who have learned French are equally interesting, but 1 will not be able to explore them in any detail here.) I will argue that any distinction among codeswitching practices in French Canada is based on different ways in which people position themselves or are positioned by others with respect to prevailing ideologies of language and identity (a broader analysis would also have to examine potential socio-historically anchored ideological differences). I will first discuss these ideologies, which, as I indicated above, focus on uniformizing and homogenizing language practices in the service of the construction of a nation, in the context of struggles for power between French and English. I will then briefly show how some bilinguals invest in and benefit from these ideologies, and how this explains their attempts to keep their languages distinct and separate (and in the extreme may cause them to renounce English altogether). The bulk of the paper, however, will be devoted to the practices of codeswitchers, who are all in one way or another either marginalized by or apart from the prevailing ideology of nationalist mobilization. The reasons for the fact that their positionings and practices are different can be accounted for in two main ways. Some people found ways of making accommodations with English and anglophones in the days before the Quiet Revolution, profited from that accommodation, and are loathe to renounce the values attached to those practices (values which largely have to do with consensus versus conflict; they argue that their way permits people of different backgrounds to get along, and they see nationalists of whatever kind as relatively confrontational). 1 These studies have benefitted from the collaboration of numerous research assistants and from funding from the following sources: the Social Sciences and Humanities Research Council of Canada; the Multiculturalism Program of the Secretary of State; the Transfer Grant to the Ontario Institute for Studies in Education of the Ontario Ministry of Education and Training; and the German-American Academic Council Foundation. <?page no="270"?> 270 Monica Heller Others understand such accommodation not as a necessary recognition of greater power, but as a fair compromise between equal groups. This view is one way to characterize the appeal to many of the Canadian federal ideology of bilingualism, which attempts to construct Canada as a place where French and English can live anywhere with equal rights. Again, these tend to be people whose positionings and pathways allow them to profit from this orientation, for example in the case of people who actually work for the federal government or one of its agencies, or for people in linguistically-mixed marriages, or involved in French-as-a-second language education. Finally, many working-class francophones, especially those in areas of the province where the ability to speak French is not associated with any advantage on the labour market, are marginalized by prevailing norms. In some cases they mix French and English despite having internalized the dominant notion that that is not a good way to speak; sometimes their mixing constitutes a desperate attempt to conform to prevailing norms; and sometimes (albeit rarely) it constitutes an act of resistance. In all these cases, the practices of mixing are connected to the opportunities and obstacles which constrain social action (Giddens 1984), and to the ideological orientations in which individual strategies make sense. As forms of social action, they also have to be understood as socially situated practices which are part of the way people construct a sense of who they are in relation to each other, of the nature of the activity in which they are engaged, and of the nature of their engagement in that activity (Auer 1998). 2. Francophone nationalism and ideologies of bilingualism French-Canadian nationalism goes back to the conquest of New France by Britain in 1759, and can be understood as a series of shifting forms of resistance to British, and later English-Canadian, domination (see Heller 1999c for a fuller discussion). Up until the 1960s, the cornerstones of French- Canadian nationalist ideology were la foi, la race, la langue (religion, race, language). The focus on resistance necessitated working on making the boundary between French and English (as groups and as languages) distinct; ideological texts from the 19 th and early 20 th centuries include discussions of differing sets of values (the French understood themselves to be more focussed on the spiritual, and they constructed the English as more materialist, for example), Catholicism versus Protestantism, and protecting French from <?page no="271"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 271 influence from English (see Bouthillier and Meynaud 1972 for a collection of such texts focussing on language). Of course, these were the beliefs and values of the elite, notably the clergy and the members of the liberal professions, who left textual traces of their views in speeches, tracts, newspaper columns, and so on (Bouchard 1998). We know less about the extent to which these perspectives permeated the consciousness of everyone else, and even less about the extent to which they permeated everyone else's practices. We can assume though that there must have been practices which violated the norms set up by the elite, or else they would not have had so many examples of faulty practices to denounce. Certainly, our own current fieldwork (see for example Heller and Budach 1999), reveals, at least for some parts of Ontario, a certain ideology of accommodation to the English-speaking majority which seems to have prevailed in the 1950s and 1960s, a kind of bonententisme which assumes the existence of distinct groups, but which also takes pride in maintaining good relations with anglophones and anglophone institutions, and in being functionally bilingual. French-Canadian nationalism took a significant turn in the early 1960s, in what is usually called the Quiet Revolution (because social life changed quite radically, without much blood being spilled). In essence, there developed a territorial secular nationalism focussed on the construction of Quebec as a democratic francophone state devoted to promoting the social, economic and political advancement of francophones. Religion fell away as one principle of distinction (at least in official public discourse; I have a colleague who has been told that it is very odd that he is learning Yiddish, since he is Catholic); “race” has been transformed into “ethnocultural identity” and is inadmissible as a criterion of inclusion in a democratic state; and what is left is language. Here there is considerable ideological continuity: Quebec is understood as a French-speaking space, its citizens as speakers of French, and French as a language which must be preserved from the corrupting influence of English. The Quiet Revolution and the emergence of Quebecois territorial state nationalism had, of course, the effect of fragmenting French Canada (Martel 1997). But it also had the effect of providing a new model for francophone nationalism. In Ontario, as elsewhere, francophones followed Quebec's lead, taking the state as its privileged interlocutor, focussing on political rights, moving towards entry into mainstream economic and political networks and institutions, but doing so on the basis of a collective political mobilization <?page no="272"?> 272 Monica Heller which was based on an understanding of francophones as a homogeneous group with its use of French as its distinguishing characteristic. The major difference with respect to Quebec lay in the fact that Quebec could lay claim to a territory, while elsewhere minority francophones had to map Quebec's territorial nationalism onto a kind of institutional nationalism, that is, an attempt to create and exert relatively autonomous control over francophone institutions, understood as monolingual francophone spaces (Heller 1999a). These attempts have been relatively successful, and many such institutions now exist (although there is scarcely anything like institutional parallelism between Frenchand English-speaking communities, and most are controlled by provincial governments which, in the final analysis, are still dominated by the English-speaking majority of each province). This creates the necessity of maintaining francophone institutions which nonetheless have to deal with an English-speaking majority. The Quiet Revolution and Quebecois nationalism also had the effect of shaking things up at the level of the Canadian federal government. Essentially, Quebec argues that Canada is unable to protect francophones and French, thus seriously threatening the legitimacy of the federal government. The federal government reacted by adopting a policy of official bilingualism (see McRae 1998) and putting pressure on the provinces to ameliorate the situation of their francophone minorities. The federal policy focusses mainly on guaranteeing government service in French or English anywhere in Canada. More broadly though, the federal government aims at creating a sense of a nation in which francophones and anglophones can operate anywhere on an equal basis. If that is possible, then Quebec's argument that a monolingual state is necessary for the preservation of French and the advancement of francophones is weakened. One of the most significant results of federal policy, for my purposes here, is the creation of bilingual positions in the federal civil service, and the resulting material and symbolic recognition of the value of French in Canadian political and economic life. This process has benefited certain segments of the francophone population of Canada, those who have been able to acquire the resources necessary to participate effectively in political action, and to take up the positions of power created by the construction of new French-language institutions, notably in the area of education. (Some institutions were conduits for direct influence from Quebec, since in many cases it was difficult to find within Ontario, or other provinces, the skilled francophones required for the newly <?page no="273"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 273 created positions.) It has also benefited francophones who have found jobs in the federal civil service or in connected agencies. Despite working in a bilingual environment, the legitimacy of their situation depends on the notion of two languages, and two sets of people, who are distinct and require distinct services. These are all people who clearly have an investment in the reproduction of the ideology of linguistic purism and monolingualism, and who are likely to want to keep their languages separate. What about everyone else? 3. The codeswitchers Codeswitchers in Franco-Ontarian society are clearly those who do not, or cannot invest in the prevailing norms and ideologies of the politically mobilized. The reasons for their non-participation are several (as indicated above in section 1.). There are those who belong to the ideological leadership of the generation before the Quiet Revolution, and for whom codeswitching can be seen as an index of their attempts to construct a bridge between the francophone and anglophone communities, and to participate in the power structures of the anglophone group. This group can also include those who made their peace with the English-speaking hierarchies of private sector companies, and who were among the few French Canadians to rise to management level jobs before the consequences of the Quiet Revolution swept through (see examples 1-2). Then there are those who have invested in the federal ideology of bilingualism (examples 3-5). Finally, there are those who, largely for reasons of class, are marginalized by the prevailing ideology among politically mobilized francophones (examples 6-12). The data I present have two major sources: tape-recorded ordinary conversation in the course of daily life in a workplace and in a school, and one-on-one interviews with participants. I am using them in two ways. All the data, whatever their situational source, can be understood as being performed in a communicative context of some kind, and the codeswitching that occurs can be analyzed in that way. In addition, interviews can be used as accounts or representations of behaviour that occurs elsewhere, that is, as instances of construction of meaning in the context of the interview. The first two examples (Claude, a Quebecois worker recorded in the late 1970s, and Julie, a Franco-Ontarian recorded in the late 1980s) concern very different kinds of people, although both of them find themselves on the side <?page no="274"?> 274 Monica Heller of accommodation because they belong to segments of French-Canadian society which have found themselves with little possibility for contesting anglophone power, and have themselves made personal choices which augment their interest in accommodation (Claude went to work for an anglophone company; Julie married an anglophone). While people like Claude and Julie are unlikely to speak anything but English to anglophones, amongst themselves they can display the linguistic skills which allowed them to get where they are, without abandoning their group. (This last is important, since in many cases their position involves being able to act as brokers with the unilingual francophone population.) These are people who will also find themselves in mixed groups, especially at times of social change, as was the case for instance in Montreal in the 1970s and 1980s, when francophones entered management levels of the private sector; or which can also be the case in the federal civil service. Here I will begin with the example of Claude 2 , a francophone manager in a large company in which I did research in Montreal in the late 1970s. This company possessed the classic profile of most large private-sector enterprises in Quebec, as well as many elsewhere in central and eastern Canada: the management was almost exclusively English-speaking and of British descent, while the workers were francophones. This profile has begun to change with the Quiet Revolution and other processes, notably as concerns the entry of francophones into management-level jobs. By the late 1970s, Claude's colleagues consisted either of younger, bettereducated and technically-skilled francophones whose position was linked to an ideological investment in making the company a French-language workplace, or older anglophones who either spoke no French at all, or who tried to insert some symbolic French routines into their interactions with francophones in an attempt to make accommodations to the new relations of power. Alone among them, Claude codeswitched regularly in department meetings or in interaction with the few others in the company with similar career trajectories. Here is an example of Claude's codeswitching management of his position (the date refers to the year the example was recorded): 2 All names have been changed. <?page no="275"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 275 Example 1: Claude gives a weekly verbal report to his department (1978) Oui uh vacation staff Roland Masse George Kovacs cede semaine la semaine prochaine Roland Masse George Kovacs again uh uh temp Denis Blais he’s on the lubrication survey Leo Charette uh working on the expense budget but he's going off for two weeks hein? i(J) prend deux semaines de vacances fa je l'avals dome fay a un bout de temps (yes uh vacation staff Roland Masse George Kovacs this week next week Roland Masse George Kovacs again uh uh temp Denis Blais he's on the lubrication survey Leo Charette uh working on the expense budget but he's going off for two weeks eh? he's taking two weeks' vacation that I gave that to him a while ago) Claude provides almost, but not quite, all of the essential information in English, as indeed he had been used to doing when the head of his department was an anglophone. This also makes the information available to the one anglophone left in the department. He repeats some of the information in French, and provides additional justification in French. Women in linguistically-mixed marriages are also positioned in ways in which accommodation makes the most sense, especially those in areas where French has little economic value or social prestige (as is more likely to be the case in Ontario than Quebec), and who are of working-class background, and therefore positioned in ways which make it difficult to take advantage of whatever new benefits bilingualism might offer the middle class. Here is an extract from an interview with one such woman, Julie, who lives in Sudbury, a mining city in northern Ontario. This was a place where for a long time, francophones spoke only English in public spaces. But, as with Claude, social change is affecting Julie's life. She can no longer unquestioningly carry on, her practices are challenged by the new ideologies. Some people are telling her that she should stop speaking English to anglophones, and anglophones are starting to complain because they feel attacked by francophones who used to speak to them in English, but who now refuse to do so. Julie feels, she says, caught in the middle; she doesn't like these tensions. The content of what she says is neatly mirrored by her codeswitching in this passage, a codeswitching which situates her squarely between what have become warring factions: <?page no="276"?> 276 Monica Heller Example 2: Interview with Julie (1989) Tu peux voir comment Us (les anglophones) sontfrustres des fois parce que (...) la langue franqaise okay that's fine on va la garden that's fine the language okay but you can't push it up people's throat all the time pared comme noire bureau ici Id, c'est ga qui choque tout le monde astheur it's creating hard feelings avec les Anglais pis j'aime pas ga because moij'en connais trop des Anglais {You can see how they {anglophones) are frustrated sometimes because (...) the French language okay that's fine we’ll keep it that's fine the language okay but you can't push it up people's throat all the time the same like our office here, that's what shocks everyone these days it's creating hard feelings with the English and I don't like that because myself, l know too many English people) Similarly, Julie resists simple categorizations of her identity. Asked how she would classify herself, she says: “Je suis canadienne-frangaise, I guess” (I'm French-Canadian, I guess). Her representations of herself, and the linguistic forms in which she packages them, reveal the tensions and contradictions of her position, while they also, in many ways, help her to confront them. We find similar phenomena in interviews conducted with members of the older leadership of small Franco-Ontarian communities where we have been more recently conducting fieldwork. Here, for example, is an extract from an interview with Bob Richard, the local member of the federal Parliament for a riding in southern Ontario. Bob is a member of one of the Quebecois families who immigrated from Quebec in the 1920s or 1940s to work in factories, mainly in the riding's major city, Winchester. Bob is a politician, and as such has had to learn to get along with the local anglophone elite. In order to keep his seat in Parliament, he has to construct himself as the representative of all members of his riding, which is, after all, mainly English-speaking, although it is his solid base among the minority francophone electorate which guarantees his seat. Furthermore, Bob is a member of the ruling party in a government committed to official bilingualism. In the first part of the interview, which takes place in Bob's Winchester riding office, Bob speaks almost exclusively in French (except for “heavy industry” and “educational administration”, and an English pronunciation of his name); he has after all been addressed up until now only in French by the interviewers, whose affiliation is the scarcely neutral-sounding Centre de recherches en education franco-ontarienne. Nonetheless, even in this part of <?page no="277"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 277 the interview, he goes on at some length about his ability to seem both French and English (witness the alternative pronunciations of the surname), and his own feeling of being neither English nor French, but rather simply a Canadian who speaks both languages. Towards the end of the interview, as Bob is discussing bilingualism, his assistant knocks on the door to remind him of his next appointment; Bob speaks to her in English (although she too is bilingual). He continues on in French to talk about the recognizability of the local French accent. Then he says: Example 3: Interview with Bob Richard (1997) Et puis d’habitude nous n'avons pas we don't have any recognition when we come to speak English because we had been brought up with the English language. So you have the two accents. So that's how you work in life (xx). Mais toi (speaking to one interviewer, who is from Quebec) tu ne paries pas comme nous (The second interviewer then asks a question in English about whether French will survive in Winchester. Bob responds: ) They'll be more assimilated. But we still hammer (xx) they still have Hungarian, Italian, but they don't have schools like we have, to put our kids in the (xx) calling directly les parents ä enseigner leur enfant ä parier franfais. Si eux, i(ls) avaient un accent in English: “Where do you come from? You talk like us.” (...) You know the accent we can hear, and I was having something to eat, I said to a woman (xx) and just “alio, alio”, c'est franqais, c'estfrancophone, c'est Winchester (xx) pis on comprend qa. Alors quandj'ai entendu, j'ai commence ä parier franqais. Pis ici, it goes back and forth. But you know the French are what? Less than one per cent of the North American continent. It's just a little pocket. I was at the Conference of the Americas in Quebec City, and the language which is most spoken in the Americas is not English, it's Spanish. (and then usually we don’t have we don't have any recognition when we come to speak English because we had been brought up with the English language. So you have the two accents. So that's how you work in life (xx). But you (speaking to one interviewer, who is from Quebec)yow don't talk like us (The second interviewer then asks a question in English about whether French will survive in Winchester. Bob responds: ) They'll be more assimilated. But we still hammer (xx) they still have Hungarian, Italian, but they don't have schools like we have, to put our kids in the (xx) calling directly parents to teach their child to speak French. If them, they have an accent in English: “Where do you come from? You talk like us.” (...) You know the accent we can hear, and I was having something to eat, I said to a woman (xx) and just “hello, hello”, it's French, it's francophone, it's Winchester (xx), and we understand that. So when I heard, I <?page no="278"?> 278 Monica Heller started speaking French. And here, it goes back and forth. But you know the French are what? Less than one per cent of the North American continent. It's just a little pocket. I was at the Conference of the Americas in Quebec City, and the language which is most spoken in the Americas is not English, it's Spanish.) Bob's ability or desire to keep the two languages separate breaks down. Partly this seems related to his construction of his image of himself as bilingual through and through, as a good Canadian MP from a bilingual riding should be. But it also relates in this specific context to the display of his ability to speak English, and to his construction of his image of himself as authentically of Winchester, where francophones of his generation had to learn English. Bob's experience has led him somewhat away from an attachment limited to the francophone community (although he does use “nous” and “we” to talk about that community), and he is not optimistic, nor even terribly concerned about whether French will survive in Winchester. However, in the meantime, social change is altering Winchester's linguistic landscape. These changes include: the economic growth of Ontario, which has attracted increasing numbers of Quebec francophones whose own province has been economically stagnant since the early 1980s; the development of the service and information industries, in which language is important; and the rise of national and international markets with multilingual clienteles. The following is an extract from an interview with Madeleine, who left her native Quebec to work in English-speaking companies in Ontario, and who now finds herself at the management level of a call centre in Winchester. The call centre expanded in the early 1990s, and for the first time in her career in Ontario, Madeleine finds herself working for a company with a national client base which includes unilingual francophones (mainly in Quebec). Madeleine's job is focussed on customer service. At the same time, all her peers are anglophones, and English is the language of interaction among managers. Example 4: Interview with Madeleine (1997) We have a very large base of French-speaking employees in our customer services areas specifically (...) on est tres heureux d'etre ä Winchester parce que, ä cöte, ä cause de Winchester as a city, does compete with, you know, Moncton, Fredericton, and so on and so forth in trying to attract new business in the area. So that's a real competitive issue there. There is a lot of ma- <?page no="279"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 279 ny many benefits to being in Winchester. Especially the language. We are one of the biggest call centres in Canada. (...) English is absolutely needed for every single transaction in every single job. So that one is like the baseline. But we also need French spoken, and also French written in some areas for a certain percentage of our customer interactions. So we currently have a very very large base of French-speaking employees in our customer services areas specifically (...) on est Ires heureux d'etre ä Winchester parce que a cote ä cause de specifiquement le cote francophone de Winchester, c'est tres important pour notre entreprise. (We have a very large base of French-speaking employees in our customer services areas specifically (...) we are very happy to be in Winchester because, besides, because of Winchester as a city, does compete with, you know, Moncton, Fredericton, and so on and so forth in trying to attract new business in the area. So that's a real competitive issue there. There is a lot of many many benefits to being in Winchester. Especially the language. We are one of the biggest call centres in Canada. (...) English is absolutely needed for every single transaction in every single job. So that one is like the baseline. But we also need French spoken, and also French written in some areas for a certain percentage of our customer interactions. So we currently have a very very large base of French-speaking employees in our customer services areas specifically (...) we are very happy to be in Winchester because besides because of specifically the francophone side of Winchester, it's very importantfor our company.) Currently, we find similar practices in minority areas in sectors such as tourism, which similarly stands to profit from serving both an anglophone and a francophone clientele. The following example is from a younger woman, bom and raised in Winchester of Quebecois parents who immigrated to Ontario for factory jobs, who recounts her linguistic trajectory. She did go to French-language schools in her childhood, but began speaking more and more English; now she works in the tourism industry, and sees how the service and information sectors (specifically, for Winchester, tourism and call centres) are changing the sociolinguistic conditions for her own generation and those younger than her. Example 5: Interview with Amelie (1997) Alors euh je trouve quand j'etais, meme quand j'etais au secondaire, c'etait comme j'avals honte de parier, mais la, ma langite frangaise (...) pis je pensais Ah, jeez, you know, she's speaking French. Ah no! 1 felt like I was an outcast. So c'est pour ga je pratiquais pas mon frangais. Pis meme ä (l)a maison, ahm, mes parents nous parlaient en frangais, pis on a commence ä repondre en anglais, pis ga eventuellement, pis j'ai trouve que ga a juste devenu, meme a (l)a maison, euh I'environnement anglais (...) <?page no="280"?> 280 Monica Heller (Here, Amelie begins to talk about the hotel business: ) On voulait rester dans le en I'environnement franqais parce qu'on avail plusieurs employes commeje dis, et aussi parce qu'on fait des forfaits ä Quebec, ahm, on voulait garder les francophones ahm la clientele francophone ici dans la region (...) >> a unepartie la qu'i(ls) veulent developper pour euh les call centres. Alors j'espere que ga va continuer, encore on a plusieurs, t'sais, tons les francophones a (I'ecole secondaire) ga va leur donner une opportunite pour euhm un emploi bilingue (...) je trouve qu'i(ls) devraient faire plus de publicite ä les jeunes pour leur dire comment important que ga Vest pour garder leur langue bilingue parce que y a beaucoup de chances pour euxautres pour I'avenir (So uh Ifind when I was, even when I was in high school, it was like I was ashamed to speak (mais la) my French language (...) and I thought Ah, jeez, you know, she's speaking French. Ah no! I felt like I was an outcast. So that's why I didn't use (practice) my French. And even at home, ahm, my parents spoke to us in French, and we started answering in English, and that eventually, and Ifound that itjust became, even at home, uh, the English environment (...) (Here, Amelie begins to talk about the hotel business: ) We wanted to stay in the in the French environment because we have many employees as I say, and also because we do packages in Quebec, ahm, we wanted to keep the francophones, ahm, the francophone clientele here in the area. (...) there are some who want to develop for uh the call centres. So I hope that will continue, on top of that we have many you know all the francophones at (the high school) that will give them an opportunity for uhm a bilingual job (...) / think that they should do more publicity to the youth to tell them how important that it is to keep their language bilingual (their bilingual language? ) because there are many possibilities for them for the future) This extract from the interview with Amelie illustrates two other points about many codeswitchers (see also Example 2.). One is that her French shows features of the vernacular; for example, Amelie elides the/ 1/ in eile and / / ; she uses the discourse markers t'sais and so, the latter of course originally from English but now quite integrated into vernacular Canadian French; she conjugates the verb devenir with avoir instead of the standard etre (ga ajuste devenu); she uses a les instead of aux; and eux-autres instead of eux. She also does something many minority francophones do, that is, search for a word and then use the English (call centre, in the case). This is a stigmatized variety, and not just because it tends to include influences from English; rather as a whole it symbolizes the marginalized and oppressed conditions from which politically mobilized francophones have been (more <?page no="281"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 281 or less successfully) trying to escape. (Interestingly, Bob's French also preserves some of these features, possibly as a mark of his authentic belonging to the group which provides his electoral base. We do not know how he speaks, for example, in the House of Commons.) The fact that most codeswitchers use this variety is related to the second noteworthy feature of this extract: linguistic insecurity. Indeed, Amelie recounts in a straightforward way how she was made to feel about speaking French in her adolescence (“I felt like I was an outcast”). She also shows evidence of insecurity in her frequent hesitations (ahm, euh, euhm) and selfcorrections {mais la ma langue; dans le en I'environnementfrangais). This insecurity is also in evidence in the representations of other codeswitchers in the data from other studies. (Bob may no longer need to feel it, but it may account in part for his having distanced himself from his community of origin.) The following example is taken from a 1989 interview with Annette, a young working-class woman living in Sudbury, a northern mining town. Annette is married to Greg, an anglophone who speaks no French. She codeswitches a fair amount herself in the interview, and recounts her practices as being “melange”, or “slang”. She says she speaks like that in particular when she gets together with her female friends and colleagues, who are also francophones, many of them also married to anglophones. Example 6: Interview with Annette (1989) Des fois (man man) va essayer d'ecouter puis il dit “j'aimerais ga vousautres que vous parliez une langue soil I'anglais ou le franqais qu'on sache qu'est-ce que vous dites” (she laughs) Comme je te dis, on va de une ä Vautre tu sais puis lui il est Anglais alors il dit toujours qa (...) puis je te dis c'est bien melange (...) qa vient naturel on sonne pas tellement intelligent mais en tout cas (she laughs) (...) Commeje te dis quand tu grandis avec les deux longues tu y penses pas, c'est juste lä tu sais on parle pis on saute d'une langue ä l'autre (...) Moi je trouve quand tu paries les deux tu n'en as pas une qui est bonne (...) tu paries plus le bon franqais puis I'anglais non plus (...) t'es melangee (she laughs) {Sometimes {my husband) will try to listen and he says “I'd like it you guys if you'd speak one language, either English or French, so we can tell what you 're saying” (she laughs) Like I say, we go from one to the other you know <?page no="282"?> 282 Monica Heller and him he's English so he always says that (...) and I tell you it's very mixed (...) it comes naturally we don't sound so intelligent but anyway (she laughs) (...) Like I say when you grow up with the two languages you don't think about it, it's just there you know you talk andyou jumpfrom one language to the other (...) Myself I think when you speak both you don't have one which is good (...) you no longer speak good French and English neither (...) you're mixed (up) (she laughs)) This insecurity about bilingualism can affect people's desire or ability to transmit French to their children. Josiane, an Ottawa resident also married to an anglophone, says she stopped speaking French to her daughter (although she regrets it now) because her daughter had not yet begun to talk at an age when Josiane thought she should have begun to develop spoken language: Example 7: Interview with Josiane (1989) Fait que j'ai commence a (lu)i parier anglais parce que je voulais qu’elle commence ä parier, j'aurais peut-etre dü continuer en franqais parce qu'elle aurait appris (if) me semble, mais tout le monde t'sais il y en a qui me disaient “ben oui mais tout ä coup tu la melanges (...)” (So I started to talk to her in English because I wanted her to start to talk, maybe I should have continued in French, because it seems to me she would have learned, but everyone you know there were some who said to me “well yes but what ifyou mix her up (...)”) This insecurity manifests itself equally in performance. The next few examples concern Ginette, a tenth-grader (which means that she was about fifteen years old) in a French-language high school in the Toronto area. She actually lives in the next major town outside Toronto, but since at the time there was no French-language high school there, students like Ginette were bussed into the Toronto area. It is important to remember that schools are one of the most symbolically-charged arenas for Franco-Ontarian struggles over rights. Organized and politically mobilized francophones in Ontario (and elsewhere across Canada) have fought for generations for the right to use French as language of instruction, and to control French-language schools as monolingual spaces. This translates in practical terms into pressure to produce practices in school which conform to the idea of these schools as monolingual spaces protected from English. This is of course difficult for students whose background involves a form of French which does indeed show traces of language contact. <?page no="283"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 283 This is the case for Ginette, who comes from a working-class background, and at the time of the fieldwork was taking most of her courses in the stream for students bound not for university, but rather for technical training or the job market. In an interview in 1991, she explains to the interviewer (who is French it is Ginette who has chosen to speak English) why she is in the lower academic stream. Part of her account concerns her estimate of her abilities in French, some of which she attributes to poor-quality elementary education: Example 8: Interview with Ginette (1991) I went to Notre-Dame, it's a French school (...) I didn't learn a lot at that school, I wasn't prepared to come here, like grammar and all that stuff, so when I came here it was really hard (...) I didn't know how to spell and that was no good (...) Ginette's insecurity extends to her ambivalent participation in class. When the class members had to make individual oral presentations in French, Ginette resisted until her teacher agreed to let her do it in private in the teacher's office, instead of in front of the class. While much of the time in class Ginette remains silent, there are times when she does try to participate. The following are three examples from different moments in the semester when Ginette did speak up in her French class. As we can see, each of these times her contributions involved codeswitching, which here can be read at least partly as an index of Ginette's insecurity and ambivalence about participating in a French class at all. Example 9: The class is jointly constructing a narrative. Others have suggested that the protagonist wanders into an abandoned house, opens a door, and finds syringes and knives on the floor. Lise: qu'est-ce quipeut se what could happen with all passer avec tons ces sethese syringes, knives? ringues, couteaux? Ginette: il peut y avoir des psychos there could be psychos <?page no="284"?> 284 Monica Heller Example 10: Ginette: Mohamud: Ginette: Example 11: Lise: Student: Lise: Ginette: Lise: Mohamud, a Somali-speaking student, is making a presentation about arranged marriages. molje trouve que c'est pasjuste pour les filles comme, les femmes (xx) rien qu'ä choisir, comme quand tu te maries, c’est parce que like like you love each other comme (xx) mais ga c’estjuste comme payer you know pour unefemme, c'est pas vraiment non non tu choisis jamais un komme oui toi tu me instead of tu me choisis like (xx) on s'aime pas comme deux personnes, c’est quoil I think it isn'tfairfor girls like, women (xx)just to choose, like when you marry it's because like like you love each other like (xx) but that'sjust like paying you knowfor a wife (woman? ), it's not really no no you never choose a man yes you you (choose) me instead ofyou choose me like (xx) we don't love each other like two people, what's that? Lise, the teacher, is asking the class comprehension questions concerning the play L'Avare. (...) okay qu'est-ce que vous avez compris de l'histoire, comment s'est termini l'histoire? d'une bonnefagon Ginette Harpagon a retrouve sa cassette whatever Harpagon a retrouve sa cassette (...) okay what didyou understand ofthe story, how did the story end? in a good way Ginette Harpagonfound his purse whatever Harpagon found his purse A schoolmate of Ginette, Simone, talks about similar problems. In explaining why she dropped out of a class, she told us: “Je parle mal, j'utilise beaucoup d'anglais, et il y a beaucoup d'anglais dam mon franqais” (I speak poorly, I use a lot of English, and there is a lot of English in my French). In other words, she was unable to provide the linguistically normative performance that was required in that class. <?page no="285"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 285 At another point, she discusses language issues at school with an Englishspeaking graduate student on our team. She tells him a story about something that happened in one of her classes: Example 12: Interview with Simone (1994) and also last time it was Madame Martin, it was in geography class, and I started speaking French, and then she goes “you know, you really have a bad French” I'm like, “Excuse me, Madame, my Mom taught me how to speak that way”. You're not going to start dissin' my mother, because she kind of dissed my mother, because my Mom taught me how to speak that way, and I'm proud to be bilingual While Simone does not say so directly, her sense of herself as bilingual extends to her representation of how she speaks French, which includes English in ways which cause her teachers to classify her French as “bad”. Her identity is linked to her family, more than it is to the institution of the school. What this gives her is an impossible choice: try to stay bilingual by participating in institutions which do not recognize her form of bilingualism as legitimate, switch to English-language schools and attempt to retain some sense of identity through family, or abandon her family (and friends) and try to conform to the school's norms. What these examples all show is that the nature and the degree of mixing in bilingual speech, as well as what we might make of it, are intimately tied to prevailing ideologies of language and to the ways in which people are positioned with respect to them. We have to ask, for example, what Claude, Bob, Ginette, Annette, Josiane, Simone and Julie have in common that produces at least some similar practices and some similar representations, at least in the communicative activities to which we have access. Why do they, and not others, integrate elements of English and French into the same utterance? Why do they do so in department meetings, in classrooms, in interviews? Why do they situate themselves outside prevailing ethnolinguistic categories? 4. Conclusion Obviously, the different cases I have been able to assemble here have to be explained in somewhat different ways. They do, however, illustrate some of the major tendencies which I described earlier. Claude and Bob, in their different ways, profited from the accommodation to English which was the <?page no="286"?> 286 Monica Heller dominant orientation of their time, even among the elite. Their bilingualism remained valuable to them, in particular, as markers of authentic belonging to a francophone community, which ties were key dimensions of the value accorded to their role (as broker with francophone workers, in the case of Claude, as political representative in the case of Bob). Changing circumstances positioned them differently. Claude, in Quebec, must draw on his linguistic resources to deal with new pressures to speak only French, and old ones to accommodate to anglophone peers and superiors. Those pressures, of course, do not intersect all the time; they do intersect, however, in situations like the weekly department meeting. Bob's bilingualism became if anything an even more valuable form of linguistic capital; in the federal arena in which he operates, bilingualism has become over the years an ever more important symbol of legitimacy, and an essential criterion of selection for any position which is seen as carrying with it national credibility. Not that Bob always has to display this bilingualism in the course of a given activity; he himself says that in fact, most of the time he speaks English. But sometimes that display becomes important. In the interview situation, we see that Bob attends mainly to the new normative pressure to keep French and English separate. Only when his secretary interrupts in English, and one of the interviewers speaks English, and the talk turns to local Winchester authenticity, does Bob begin to codeswitch in locally-relevant ways. The women I have discussed (is this a coincidence? I cannot say) are less able to capitalize on their bilingualism. Most are not old enough to have grown up under the old norms of accommodation, or were so far from their local elites that they had no access to monolingual-type English (or monolingual-type French, for that matter, in some cases). Their mixed speech, like the origins of Bob's and Claude's, is connected to the old position of the francophone working-class as a principal source of labour for anglophone capitalist enterprises (remember that Bob comes from a community recruited to come from Quebec to Ontario as factory labour; Claude works in a factory with that francophone labour-anglophone management historical profile). It becomes a means of developing and maintaining classand kin-based networks of solidarity, which are essential in managing relations with anglophones (whether those anglophones are bosses, co-workers or even husbands), as well as in managing relations with the emerging francophone elite. <?page no="287"?> Identities, ideologies and the analysis ofbilingual speech 287 At the same time, it is an object of ambivalence, something to be both ashamed and proud of. There is no denying the normative pressure from both anglophones and other francophones to keep their languages separate. There are concrete negative consequences for not doing so. At the same time, to do otherwise constitutes a betrayal of some of the most important people in their lives. This has consequences, of course, for our understanding of bilingual speech. It is clear that the very context of an interview, for example, whether we want it to or not, orients participants towards prevailing norms, partly because of who the interviewers are understood to be, and partly because of what an interview is understood to be (cf. Briggs 1986). Similarly, practices are distributed across the community in ways that are directly connected to efforts to reproduce or resist prevailing norms, which are more likely to occur in some places rather than others, and be produced by some kinds of people rather than others. In francophone Canada, nationalism has succeeded insofar as it has imposed its ideological orientation to bilingualism. Everyone has to attend to it, whether one subscribes to it, or has the linguistic resources to enact it, or not. It is those who can keep their languages separate who judge, not those who mix. References Auer, Peter (ed.) (1998): Code-switching in Conversation: Language, Interaction and Identity. London. 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Von aktueller Bedeutung sind diese Fragen in der mehrsprachigen Gesellschaft und für den Unterricht in den Sprachen. Zwei- und mehrsprachige Kinder entwickeln ein polykulturelles Selbstverständnis, das über die Familie hinaus auf Kindergarten und Schule und in die Gesellschaft hineinwirkt. Sie lernen Deutsch simultan mit einer anderen Sprache oder sukzessiv nach einer anderen Sprache, und sie gebrauchen ihre Sprachen abwechselnd und „gemischt“. Dabei bringen sie ihre eigenen Erfahrungen mit und ihre Bewertungen von Sprachen in das Sprachenlemen ein, weil sie die Sprachen kombinieren und miteinander vergleichen. 2 Im besten Fall entwickeln sie eine Haltung der Aufmerksamkeit auf Sprachliches und als deren Ergebnis eine (metasprachliche) Bewusstheit der Funktionen und des Funktionierens von Sprachen. Durch Vergleich verschiedener Sprachen erkennen sie, dass die Mittel der Sprachen zum Ausdmck von gemeinten „Sachen“ ganz verschieden sein können. Diese polylinguale Aufmerksamkeit und Bewusstheit wird immer noch im besten Falle in der Klasse zusammen mit anderen Zweisprachigen und mit den Monolingualen gewonnen und wirkt also auch auf die nicht Mehrsprachigen zurück. 3 1 Zum Beispiel von Zimmer (1988), Merten (1997), Butzkamm/ Butzkamm (1999). 2 So im Rahmen der Gehimforschung Roth (1998); im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts Gnutzmann (1997). 1 Der Begriff ‘language awareness’, der fur diese Haltung eine Zeitlang auch in der Deutschdidaktik benutzt wurde, wird inzwischen auch monolingual gefüllt und passt deswegen hier nicht mehr. <?page no="290"?> 290 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher Sprachenlemen ereignet sich nicht nur curricular in den sog. „muttersprachlichen“ und fremdsprachlichen Schulfächern, sondern es findet auch statt im lebendigen Kontext der polylingualen Gesellschaft, mit allen Varianten zwischen sprachlicher Hybridität und sog. „sprachlicher Reinheit“. Beim Sprachenlemen entwickeln die Lernenden Einstellungen zu den Sprachen und subjektive Theorien über Sprachen und Sprachenlemen; 4 damit beschäftigt sich dieser Artikel. Unser Interesse ist es, nicht primär aufzuklären, wie das Sprachenlemen wirklich zustande gekommen ist; das würde kaum möglich sein. Vielmehr wollen wir die allgemeinen mentalen Repräsentationen der Lernenden bezüglich Lembedingungen, Lemvorgang, Eigenaktivität bzw. Selbststeuerung usw. kennen lernen und so eine Binnensicht der sozialen und sprachlichen Situation Zweisprachiger gewinnen. Davon soll hier die Rede sein. In unserem Projekt ging es darüber hinaus um die engere Frage der metasprachlichen Bewusstheit der Schulkinder (über Sprachsysteme, Sprachengebrauch, Sprachenkontakt, sprachliche Operationen), die wir aus ihren Argumentationen herauszudestillieren versuchen. 5 Mit Beidem beschäftigen wir uns in der Annahme, dass die Einstellungen, also auch die eigene Sicht, für den weiteren Lernprozess eine wichtige Rolle spielen. 2. Zu unserer Felduntersuchung Unser Projekt „Sprachaufmerksamkeit und Sprachbewusstheit bei ein- und mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen“ wurde von 1995 - 1999 im Raum Freiburg durchgefuhrt. Das Projekt basiert auf Fallstudien, Unterrichtsdokumenten und einer Feldbefragung 6 (halboffenes Leitfadeninterview in Kleingruppen) zu kindlichen und jugendlichen Vorstellungen von Sprachen und Sprachlichem mit den folgenden Fragebereichen: Dialekt, Muttersprache, Fremdsprache, Geheimsprachen, Tiersprachen, Sprachenlemen, Struktur von Sprachen, Sonstiges. 4 Zum Beispiel Kallenbach (1996) für schulischen Englischunterricht. 5 Siehe dazu unseren Projektbericht demn. 6 Die methodischen Fragen können hier nicht diskutiert werden. Genannt seien als neuere Literatur DFG-Memorandum (1999), Flick (1995; 3 1998), Grotjahn (1999). Veröffentlicht sind Teilberichte des Projekts, so Oomen-Welke (1998b) und Oomen-Welke (2002). Vgl. auch Candelier u.a. (2003). <?page no="291"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 291 Der Leitfaden wurde von der Projektgruppe entwickelt; ihm lagen viele Gespräche mit Kinder- und Jugendgruppen über Sprachen und Sprachliches zugrunde. Innerhalb der genannten Fragebereiche wurde nach Wissen, Methodischem, Einstellungen gefragt. Es waren zu jedem Bereich einleitende Formulierungen und Stichworte vorgeschlagen; allerdings waren die Interviewer 7 gehalten, im Gespräch möglichst adressatenfreundliche Formulierungen zu finden und möglichst keine traditionelle Unterrichtsatmosphäre entstehen zu lassen. Vor dem Einsatz wurde der Leitfaden in Gruppen verschiedenen Alters erprobt und entsprechend modifiziert. Das Hauptproblem war seine Länge; mehr als eine Dreiviertelstunde sollte ein Interview nicht dauern, bei jüngeren Kindern kürzer, bei Ermüdung sollte abgebrochen werden. Unter anderem deswegen werden die Antworten gegen Ende der Interviews jeweils spärlicher. An der Feldstudie nahmen 196 Kinder und Jugendliche von 4 bis 19 Jahren (als Erhebungsgesamtheit) teil. Sie wurde durchgeführt als aufsuchende direkte mündliche Befragung, und zwar mit Freiwilligen, damit wir brauchbare Antworten erhielten. Orte waren meist Schulen (dort wollten immer alle Kinder teilnehmen), jedoch fanden die Gespräche außerhalb des Unterrichts und ohne Lehrpersonen statt. Die Explikation der Vorstellungen wurde durch Frageimpulse elizitiert. Die Gespräche wurden auf Band aufgenommen und transkribiert. Die Kinder sprachen flüssig, sehr viele Kinder hatten eine dialektale Färbung; die Transkription erfolgte um der Lesbarkeit willen orthografisch, mit sehr wenigen Ausnahmen dort, wo die standardsprachliche Orthografie u.E. ein falsches Signal für den Stil gesetzt hätte („weng/ ä weng“ statt „ein wenig“). Nicht hörbare Flexionsendungen wurden nicht ergänzt. Für eine Analyse grammatischer Korrektheit wäre allerdings eine partielle Re-Transkription erforderlich. Eine Legende für die Minimaltranskription findet sich am Ende des Artikels. Die Interviewten wurden mit Nummern und Sozialmerkmalen verschlüsselt, 7 Projektmitarbeiter und -mitarbeiterinnen sowie geschulte Studentinnen und Studenten der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Vgl. Flick (1995; 3 1998), Kap. 6. Unter unseren Interviewern gab es Ein- und Zweisprachige verschiedenen Typs. Die Interviews wurden auf Deutsch geführt. Wie sich die Ein- oder Zweisprachigkeit der Interviewer auf das Interview auswirkt, haben wir noch nicht auswerten können; wir sehen das Problem. Eine Reihe methodischer Fragen der Interviewfuhrung ist nach unserer Kenntnis noch nicht untersucht: Welche Fragen sind vorgesehen, wie stellen die Interviewer sie wirklich, wie wirkt sich das aus? <?page no="292"?> 292 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher ihre Antworten wurden durch Raters reduziert und für die Eingabe in MS- Excel aufbereitet. Für die Gesamtübersicht wurden die Daten über Basic konvertiert. Dokumentiert sind im vorliegenden Artikel nur Äußerungen der 141 Kinder im Pflichtschulalter, insbesondere die der 54 Zwei- und Mehrsprachigen (im Folgenden nicht unterschieden), weil für jüngere Kinder die Interviewmethode nicht besonders geeignet ist. Ältere Interviewpartner (Einzelinterviews) waren mehrsprachige Gymnasiasten der Sekundarstufe II mit dezidierten Einstellungen; auf sie soll an anderer Stelle eingegangen werden. Zu Wort kommen in diesem Artikel Kinder, deren Beiträge den Berichtenden aussagekräftig erschienen. Von allen 141 Schulkindern äußerten sich 138 zum Sprachenlemen. Insbesondere die Zweisprachigen hatten hier viel zu sagen und taten das recht ausführlich. Wir trafen unter ihnen die bekannten Typen von Sprachbiografien an, die öfter gemischt auftreten: 1) durch Eltern mit zwei (oder mehr) verschiedenen Sprachen neunzehn Eltempaare der 54 mehrsprachigen Kinder sind deutschsprachig und anderssprachig; 2) durch andere Beziehungspersonen mit einer anderen Sprache; 3) durch eine Familiensprache, die nicht die Landessprache ist - 23 Eltempaare mit einer gemeinsamen Sprache sind anderssprachig; 4) durch vorübergehende Emigration aus und Remigration nach Deutschland. 1 und 3: Vier Eltempaare sind ursprünglich verschiedensprachig ohne Deutsch, nämlich algerisch-italienisch, karibisch-italienisch, italienischkroatisch, italienisch-griechisch (in der Reihenfolge Vater-Mutter). 2 und 4: Acht Kinder haben ihre andere Sprache durch einen Auslandsaufenthalt der deutschsprachigen Familie oder durch andere enge Sprachkontakte erworben. Nach den Bemfen der Eltern wurde nicht gefragt. Bei den Typen 1 und evtl, auch 3 besteht die doppelte Sprachlemsituation meist von Anfang an, zwei Sprachen werden simultan erworben. Bei den Typen 2 und 4 spielt das Alter, in dem die Zweitsprache (versetzt zur Erstsprache) erworben wurde, eine große Rolle. <?page no="293"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 293 Ihre gesprochenen Sprachen außer Deutsch sind nach den Angaben der Kinder: Afghanisch, Albanisch, Arabisch (aus Algerien, aus Irak, aus Libanon, aus Syrien), Bosnisch, Englisch (britisches, kanadisches, US-amerikanisches, karibisches, australisches), Französisch, Griechisch, Italienisch, Jugoslawisch, Kasachisch, Letzeburgisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Spanisch (iberisches, lateinamerikanisches). Thailändisch, Türkisch, Vietnamesisch. [m = männlich, w = weiblich, es = einsprachig, ms = zweibzw. mehrsprachig] Tabelle 1: Die Kinder in der Übersicht nach Sprachen, Geschlecht und Schulart Die Interviews fanden in der Regel in Kleingruppen von zwei bis vier Kindern statt, Ein- und Mehrsprachige waren nicht systematisch getrennt. Die Befragten hatten die Möglichkeit, die thematischen Schwerpunkte ihrer Äußerungen recht individuell zu wählen, weil die Interviews halboffen durchgeführt wurden. Dies erzeugte ein inhaltlich gefächertes Spektrum von Mitteilungen, die wir inhaltsanalytisch kategorisieren konnten. Da eine einzelne Äußerung durchaus mehrere, inhaltlich voneinander unterschiedliche Mitteilungen enthalten konnte, beschlossen wir, unser Augenmerk beim Kategorisieren auf die Mitteilungen zu richten. Dargestellt wird das Spektrum biografischer Erfahrungen mit und Reflexionen über Sprachen, das uns als Grund- <?page no="294"?> 294 Ingelore Oomen- Welke / Tornas Peha Schumacher läge fiir Sprachenlemen interessant scheint. Quantitative Verhältnisse werden erwähnt, um einen Anhaltspunkt dafür zu geben, wie stark eine Kategorie vertreten ist. Verallgemeinert wird nicht. Dennoch gibt es Auffälligkeiten; am stärksten fällt die hohe Beteiligung der Zweisprachigen an den Antworten auf. Auch bei den zur Sprache gebrachten Typen von Vorstellungen (s. Kap. 3.1 und Tab. 2) ist die inhaltliche Vielfalt der Beiträge Zweisprachiger auffällig. Gesamt Anzahl Schülerinnen ES 87 MS 54 Antworten absolut 1011 1459 Mittelwert 11,6 pro Kind 27 pro Kind inhaltliche Typen insgesamt 115 157 Tabelle 2: Interviewbeiträge Einsprachiger und Zweisprachiger Die Interpretation der Äußerungen verlangt Sorgfalt. Der interaktive Rahmen mit der Doppeladressierung an Interviewer und die anderen Kinder ist zu berücksichtigen. Die einzelnen Mitteilungen können nicht als vollständig und genau formuliert angesehen werden, sie sind kolloquial. Wir gehen jedoch davon aus, dass sie aufrichtig sind, zumal nicht bewusst nach privat Heiklem gefragt wurde und weil die Kinder sich kennen. Die Kinder werden mit Kürzeln ihres Vornamens und knappen Sozialdaten zitiert. Die Nummern in Klammem geben unsere Aufnahme ins Korpus an; hier dienen sie der Identifikation desselben Kindes. Unsere Nummerierungsentscheidungen spielen hier keine Rolle. 3. Die Sicht der Mehrsprachigen auf die eigene Sprachenbiografie Wie sehen Zweisprachige das Gelingen des Sprachenlemens? J schildert ihre Migration von Deutschland nach Kanada und zurück mit dem jeweiligen Wechsel der dominanten Sprache (Typ 1 und 4) und endet: Und dann sind wir wieder hierhin gekommen\ da hab ich wieder Deutsch gelernt und jetzt kann ich nicht mehr soviel Englisch''.; In Englisch habe ich ganz viel vergessen\ deswegen sprech ich das manchmal mit meinem Papa\ also* meine Mama wohnt nicht mehr mit meinem Papa zusammen\ aber ich besuch den oft\ und dann red ich mit dem Englisch\ der <?page no="295"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 295 ist nämlich Engländer\ und wenn man eine Sprache nicht spricht* dann vergisst man alles\ deswegen kann ich auch nicht mehr so gut DeutsdA J (78) w ms 10 J. 2. Kl. In diesem Interview wird zweimal auf Sprachverlust durch Migration verwiesen sowie auf den Versuch, drohenden Verlust durch Sprechpraxis zu vermeiden. (Angemerkt ist im Transkript, dass die Interviewerin Js Deutsch für altersgemäß muttersprachlich hält.) Die Zwei- und Mehrsprachigen stellen die eigene Sprachensituation als normal dar; wir finden kaum Aussagen, die sie explizit als problematisch kennzeichnen. Das heißt nicht, dass in der Sprachen- und Familienbiografie keine problematischen Momente anzunehmen oder zu erkennen wären, wie Js Beispiel zeigt. Für die meisten Kinder stehen beim Interview jedoch nicht die Schwierigkeiten im Vordergrund, sondern das erreichte Sprachkönnen als Teil ihrer Persönlichkeit. In den Selbstaussagen erfahren wir, dass die Kinder ihre Sprachenbiografie ganz überwiegend als gelungen betrachten, wie weitere Beispiele zeigen werden. Bemerkenswerter ist dem gegenüber, dass sie wie Einsprachige auch öfter Abstriche beim schulischen Fremdsprachenunterricht machen. 3.1 Welche Ordnung bringen die Zweisprachigen in ihre jungen Biografien? Die Kinder rekonstruieren ihre Sprachenbiografien meist in chronologisch aufeinander folgenden Etappen oder Stationen; in die Rekonstruktion werden Episoden und Anekdoten, Vergleiche mit anderen sowie Reflexionen eingeschlossen. Nicht immer wird in einem Zug/ turn erzählt; die Situation des interaktiven Gruppeninterviews bringt Unterbrechungen und Fortsetzungen bzw. neue Starts mit sich. Nach Eröffnung eines Themenkomplexes durch die interviewende Person äußern sich die Kinder meist in spontaner Selbstwahl; Fremdwahl/ direkte Ansprache durch den Interviewer oder die Interviewerin erfolgt bei Nachfragen und um schweigsamere Kinder zu Wort kommen zu lassen. Als relativ willkürlich gegriffenes - Beispiel sei hier V aus Kasachstan mit allen seinen Äußerungen zum Sprachenlemen (aus mehreren turns) zitiert: (Eine Muttersprache ist) ja halt** eine Fremdsprache wenn man von einem anderen Land kommt** und dann** halt die Eltern sprechen auf einer anderen Sprache; (Muttersprache ist) Die wo man als Baby lemt\; <?page no="296"?> 296 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pefia Schumacher Doch! * für die Deutscher^ {ist Deutsch die Muttersprache)-, Ich bin dann** für zwei Monate in den Kindergarten* dass ich mich halt* so* so mit Kindern verständigen kann* dass ich* dass ich ein wenig Deutsch lern und dann* nach zwei Monaten bin ich in die erste Klasse gekommen\ äh** das ist einfach von selber gekommen\ {das Deutsch im Kindergarfe«)**meine Dings** meine Betreuer vom Kindergarten/ * die haben halt mit mir so geredet* und geredet/ * und manchmal hab ich denen auch nachge* schwafelt* und dann hab ich auch so* mit der Zeit auch gelemt\das war was anderes\* (als die Muttersprache zu lernen) das war schwierige^* für die Ausländer ist es schwieriger** Deutsch zu lemen\ und bei uns sind die Griechen/ ** und da ist einer** der versucht** dem bring ich jetzt auch Deutsch bei* für den ist** es ziemlich schwierig\ (wie? ) ja/ * ich sag halt einen Satz** und** da plappert die nach\* manchmal schreiben wir auch was\* {es ist schwieriger) weil das eine ganz andere Sprache ist\** wenn die*** wenn die länger in ihrem Lan-* Land sind* dann kommen sie* in ein anderes Land\* müssen sie es jetzt erst mal lernen* und** wird ganz schön schwierig^ Ja/ ** jetzt {in der Schule im Gegensatz zum Kindergarten) ist halt so besser zum Lemen\** weil da kann man* alles Mögliche lemen\* halt die Wörter/ ** wenn man keine Wörter weiß** werden sie dir erklärt\** so* Fremdwörter** und schwierige Wörter** und das ist halt im Kindergarten nicht\; Ich würde gern Russisch lesen und schreiben lemen\; V (192) m ms 14 J. Kl. 7 Die Anderssprachigkeit von V erscheint in der Gruppe als normal akzeptiert; dieser interaktive Situationsrahmen in der Gruppe ist zu berücksichtigen, wenn V spricht. V antwortet zunächst mit einer allgemeinen Reflexion zum Muttersprachenerwerb (siehe oben); über den Erwerb seiner eigenen Erstsprache spricht er nicht explizit. Wie bei den meisten, orientiert sich Vs Sprachenbiografie an den Orten als Stationen des Spracherwerbs, seien sie regional, lokal oder institutionell. V nennt die Institutionen „Kindergarten“, „erste Klasse“ und „Schule“, offensichtlich in Deutschland bzw. Südbaden, wo er auf unterschiedliche Weise Deutsch gelernt hat. Der Unterschied der Lemprozeduren in Kindergarten und Schule, die Frage des Wie, wird von V recht deutlich beschrieben und sogar in den Zusammenhang des Ziels, des Warum, gestellt. Für die Schule, offensichtlich in der Sekundarstufe, wird die Perspektive gewechselt: V wird zum Lehrenden eines anderen im Zweitsprachenerwerb. Möglicherweise wollte er die Schwierigkeiten lieber nicht am eigenen Beispiel explizieren. <?page no="297"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 297 3.2 Analytische Bearbeitung der Mitteilungen Vs wörtliche Äußerungen und die der anderen Kinder können mit Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse bearbeitet und verstanden werden. 8 Die Äußerungen werden im Kontext der Interviewsituation und der Lebenssituation gesehen; sie werden auf Stationen des Sprachenlemens, auf Ziele und Modalitäten sowie Erläuterungen durchforstet; sie lassen sich dann abstrahieren und damit reduzieren und zusammenfassen. Wir wollen das Verfahren in Kurzform in der folgenden Tabelle wiedergeben. Frage 1. Schritt: Segmentieren einer Sinneinheit — Antwort wörtlich 2. Schritt: Abstrahieren zu über-individueller Formulierung 3. Schritt: Zuordnung zur nächsthöheren Ebene, Typik Station Kindergarten WARUM? mit Kindern verständigen ein wenig Deutsch lernen * Kommunikation mit peers * Landessprache * Kommunikationsfahigkeit in der Landessprache oder Mehrheitssprache WIE? von selber Betreuer reden und reden, V schwafelt nach mit der Zeit für Ausländer schwieriger * „automatischer“ Lemvorgang * durch Methode des Hörens und Wiederholens von Äußerungen * längere Dauer * Probleme besonderer Gruppen * ohne bewusste Aneignung * bei interaktivreproduktiver Prozedur * Zeitfaktor * zielgruppenspezifisch Vgl. zur Definition und Beschreibung Mayring ( 6 1997), Flick ( 3 1998, S. 212ff.). An dieser Stelle geht es uns um den Hinweis darauf, dass die Äußerungen der Kinder nicht impressionistisch-global, sondern nach expliziten Regeln analysiert verstanden werden sollen. Frequenzgesichtspunkte stehen bei unserer Darstellung nicht im Vordergrund, wenngleich wir einige quantitative Angaben machen. <?page no="298"?> 298 Ingelore Oomen- Welke / Tomas Pena Schumacher Station Schule man kann alles Mögliche lernen gutes Lemangebot * positive Bewertung des schulischen Angebots WARUM? Ausländer kommen in ein anderes Land, müssen die Deutsch lernen * Landessprache muss erlernt werden * Kommunikationsfähigkeit in der Landesbzw. Mehrheitssprache WIE? schwierig einen Satz vorgesagt bekommen nachplappem manchmal schreiben Wörter werden erklärt * nötig, aber schwierig * Methode des Hörens und Wiederholens von Sätzen * Schreiben als Methode * Paraphrasen oder Beispiele zur Semantisierung * Probleme des versetzten/ sukzessiven Sprachenerwerbs * reproduktive orale Prozedur * reproduktive litterale Prozedur * kognitiver Zugang als Lemmethode ERGEBNIS dem bring ich Deutsch bei Wörter, Fremdwörter werden erklärt * Vs Deutsch ist so gut, dass er es lehren kann * Verstehen von Erklärungen schwieriger Wörter * gelungener Deutscherwerb, Anwendung der Methoden als Lehrer * gehobenes Niveau Tabelle 3: Bearbeitungsschritte der Inhaltsanalyse Dieses Reduktionsverfahren liegt im Folgenden überall dort zugrunde, wo wir die Äußerungen der Kinder zu Kategorien zusammengefasst haben. Es führt von den individuellen Besonderheiten weg und schafft dadurch Übersicht im Feld. Daneben stehen die Interpretationen der authentischen Äußerungen. <?page no="299"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 299 V rekonstruiert also seine Sprachlernbiografie in groben Stationen folgendermaßen: Die Muttersprache lernt man als Baby von den Eltern, das gilt für alle. Im Kindergarten hat er selbst in zwei Monaten durch Hören und Nachsprechen quasi automatisch eine Basisfähigkeit zur Kommunikation in der Zweitsprache Deutsch erreicht, die von der 1. Klasse ab in der Schule ausgebaut wurde (implizit). Das Schreiben wurde zu einer weiteren Methode des Sprachenlemens (explizit für den griechischen Freund). V hat ein Niveau erreicht, auf dem er schwierige Wörter und Fremdwörter lernen und ihre Erklärungen auf Deutsch verstehen kann; er kann sogar als Deutschlehrender einem Griechen beim Deutscherwerb helfen, indem er die erfahrenen Sprachlemmethoden selbst anwendet. Damit stellt er seine Sprachenbiografie als recht erfolgreich dar, nicht zuletzt aufgrund institutionell angeleiteter Lemprozeduren, und er generalisiert sie als auch für andere gültiges Modell. In der Rekonstruktion der Stationen und in der Bewertung stimmt er mit vielen anderen Kindern und Jugendlichen überein. 3.3 Wieso Rekonstruktion? Es ist plausibel, hier von autobiografischer Rekonstruktion zu sprechen, die sich aus Erinnerung 9 an Vergangenes und dessen Reflexion zusammensetzt. Autobiografische Rekonstruktion ist ein nachträglicher Verarbeitungsprozess des Lebenskontinuums, bei dem Episoden der eigenen Biografie im Rückblick erkannt und als ähnlich oder verschieden erinnert werden. Eine Überprüfung auf „Wahrheit“ findet von seiten der Interviewer nicht statt, subjektive „Wahrhaftigkeit“ wird unterstellt, die subjektive Sicht ist ja gerade gefragt. Die Konstellation in der Gruppe verhindert allerdings, auf jeden Fall für die Zeit des gemeinsamen Schulbesuchs, allzu große Abweichungen von den realen Ereignissen. Dem lebensweltlichen Kontinuum wird eine Struktur zugeordnet. V stellt dabei die erinnerten Situationen als Realisierung von Typen dar, um sie entsprechend zusammenfassen zu können. Wir nennen die gruppierten Situationen, die sich räumlich, zeitlich und von ihren Merkmalen her unterscheiden, Stationen. V erzählt seine Biografie in aufeinander folgenden Stationen des Sprachlemens, also nach einer Verlaufsstruktur. Zu den einzelnen Stationen 9 Erinnerung als kognitive Konstruktion, dagegen Gedächtnis als neurophysiologische Funktion. Dazu z.B. Schmidt (1991, S. 32f.). Zur sozialen Einbindung der Erinnerung Assmann (1992), die auf Maurice Halbwachs und Nachfolger verweist. <?page no="300"?> 300 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Peha Schumacher gehören typische Situationen sowie Prozeduren (immer wieder Hören - Nachsprechen evtl. Schreiben) und Prozesse sowie evtl. Ergebnisse des Lernens. Darüber hinaus hat er an den Anfang (Station Kindergarten) eine Zielperspektive des Zweitsprachenlemens gestellt und im weiteren Verlauf (Station Schule, griechischer Mitschüler) bekräftigt. Diese Zielperspektive verengt den Blick auf das Thema des Zweitsprachenlemens. Dem gegenüber steht der nicht primär zielgerichtete Erwerb der Erstsprache in der Station Familie (Geburt/ Baby/ Eltem). Wie rekonstmiert V aus den erlebten Situationen beim Erzählen eine Station mit repetierten Episoden? Die vielen einzelnen Situationen, bei denen das Personal im Kindergarten mit V gesprochen hat, werden in einem einzigen Satz thematisiert, dessen gedoppeltes Vollverb „geredet und geredet“ die Rekurrenz der Situation als Typ markiert. Eine Rolle spielt dabei die Lernzeit in dieser Station, in der die Situationen iterativ/ repetitiv stattfmden. Entsprechend verfahrt V für das Deutschlehren und -lernen in der Schule, indem er mittels iterativem Präsens Vorsprechen und Nachplappem als Standardsprechakte darstellt. Die Imitation durch den jeweiligen Lernenden wird als reproduktiv und nicht per se sinnhaltig gekennzeichnet durch die Verben „nachgeschwafelt“ bzw. „plappert nach“. Im Gegensatz dazu stehen die unmarkierten Ausdrücke „reden“ bzw. „sagen“ als Kennzeichnung des Sprechens der Lehrenden. Der Kontext des Lernens und dann des Könnens legt allerdings die sonst möglichen abwertenden Konnotationen nicht nahe, denn das Ergebnis der Imitation ist doch der (implizit vorhandene) Lernerfolg. 3.4 Biografische Rekonstruktionen des Zweitspracherwerbs Die Stationen des Sprachenlemens werden von den mehrsprachigen Kindern generell in der skizzierten Weise rekonstmiert, Lemorte werden fast immer benannt. (Ich heiße) M; Ich bin in Italien geboren/ und meine Eltern auch\; {Welche Sprachen kannst und kennst du? ) Deutsch und Italienisch und ich kenne noch Arabisch); {Sprechen deine Eltern Deutsch? ) Meine Eltern nicht/ nur meine Mama); {Wann/ Wo sprichst du Deutsch? ) In der Schule und zu Hause)* meine Mutter spricht mit mir immer Deutsch und ich sage/ sie soll mit mir Italienisch reden/ weil ich kann noch nicht viel Deutsch); <?page no="301"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 301 {Welche Sprache sprichst du besser? ) Italienisch {und lieber? ) Deutsch* Deutsch ist gut\* Ich kann Mama und Papa in Italienisch schreiben und nur Deutsch leseh; Ich kann nur in Italienisch singen nicht in Deutsch* ich träume immer in Italienisch; (Wie hast du Deutsch gelernt? ) Ich habe das schnell gelemt\* ich war im Kindergarteh; {und deine Muttersprache? ) hab ich schon gekonnt\ Deutsch hab ich durch ein Buch gelemt\; {Andere Fremdsprachen spricht man) in Südafrika oder am Nordpol'.; M (K2-oN) m ms 6 J. M fokussiert hier auf Deutsch als seine Zweitsprache, in deren Erwerbsprozess er sich voll bewusst befindet, er rekonstruiert seine Gegenwart. Die Station Italienisch als Erstsprache (Familie) lässt er als absolviert hinter sich. Lemort für Deutsch war der Kindergarten und ist die Schule, also zwei Institutionen als durchlaufene und aktuelle Stationen; das Deutschangebot der Mutter, d.h. aktuell der Familie, nimmt M eher widerwillig auf. Medium des Deutschiemens, das ihm nach seiner Ansicht schnell gelang, war ein Buch. Wie damit oder auch sonst gelernt wird, sagt er nicht. Ergebnis sind ein Schreibanfang in Italienisch und ein Leseanfang in Deutsch; letzteres beherrscht er nach seiner Meinung noch nicht gut. Er beschreibt auch die Sprachenverteilung in seiner aktuellen Lebenswelt: Italienisch in der Familie, beim Singen und beim Träumen, Deutsch zum Teil bei der Mutter und in der Schule. Es hat den Anschein, als wünsche er die private und die öffentlichere Lebenswelt bzw. die Mikro- und die Mesoebene seiner Lebenswelt nach Sprachen getrennt. Diese Trennung scheint es in der Lebenswelt des gleichzeitig interviewten P zu geben, dessen Eltern zwar in Geschäften Deutsch, in der Familie jedoch Polnisch sprechen. Deutsch spricht P in der Schule, am Nachmittag draußen und beim Computer. Für ihn spielt das Lesen im Deutscherwerb eine große Rolle; er liest gern, weil er gut Deutsch kann, und er kann gut Deutsch, weil er liest, und er benennt die Wechselwirkung explizit: Ich kann besser Deutsch\* {und lieber? ) Deutsch\* Deutsch ist leichter für mich\* ich kann besser in Deutsch lesen als in Polnisch\; Ich lese manchmal sehr viel/ damm kann ich so gut Deutsch\; P (K2-2) m ms 7 J. <?page no="302"?> 302 Ingelore Oomen- Welke / Tomas Pena Schumacher Dagegen träumt er „immer“ in Polnisch, er sei in Polen und versage sprachlich. Ältere Kinder erklären typische Lemprozeduren in mehreren Schritten und formulieren Ziele des Zweitsprachenlemens. Z, eine Viertklässlerin, hat sehr genaue Vorstellungen über das Lernen der Sprachen in den verschiedenen Stationen: (Ich kann) Bosnisch; Von Geburt an (haben wir unsere Sprachen gelernt)'. Ich weiß noch wie ich Deutsch gelernt hab\ also* ich bin hierher gekommen und konnte gar kein Deutsch! Und da bin ich in die Schule gegangen und habe gar nichts/ * gar nichts verstanden\ und da haben sie immer alle mit mir geredet\ und ich habe gehört* und habe ein oder zwei Wörter gelernt\ und am nächsten Tag zwei andere\ und dann wieder andere und immer so weiter\* und so habe ich Deutsch gelemt\; Nein\ das (Bosnisch im Gegensatz zum Deutschen) hab ich von meinen Eltern gelemt\* das könnt ich von Geburt an\; Nein\ das (Französischlernen in der Schule ) geht ganz anders! Also* da sagt die Lehrerin was und wir müssen es aufschreiben* so wie wir's hören\ also auf Französisch und dann lernen wir das\** wir müssen es aufschreiben und lesen und immer wieder lesen* bis wir es können\* und so lernen wir das\ (Klappt das so? ) Ja\; Z (K27 75) wms 10 J. 4. Kl. Z macht scharfe Unterschiede zwischen erstsprachlichem, zweitsprachlichem und fremdsprachlichem Lernen. Station des erstsprachlichen Lernens ist die Familie; „von Geburt an“ meint vermutlich nicht die volle Sprachbeherrschung, sondern den Beginn des Lernprozesses. Die Prozedur des Zweitspracherwerbs in Deutschland („hierher gekommen“), Station Schule, wird genau rekonstruiert: „gar nichts verstanden alle mit mir geredet gehört ein oder zwei Wörter gelernt zwei andere wieder andere immer so weiter“. Prozeduren sind das (Vor-)Sprechen und Hören, implizit das Wiedererkennen von Einheiten und deren Speicherung. Die Grundsituation des Vorsprechens - Hörens - Wiedererkennens - Speichems ist implizit für die gesamte Dauer des Lernprozesses präsent, nicht nur am Anfang, wo sie so genau beschrieben wird; Zweitsprachenerwerb geschieht interaktiv, im interpersonalen Austausch. Dieses Lemmodell funktioniert in einem als zuwendungsintensiv wahrgenommenen sozialen Umfeld („da haben sie immer alle mit mir geredet“), wie wir es auch schon bei V gesehen hatten. Das Sprachangebot kommt von mehreren Personen, offenbar weitgehend ungesteuert. <?page no="303"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 303 „Ganz anders“ rekonstruiert Z ihr Lernen in der Station Fremdsprachenunterricht, hier das Grundschulfranzösisch in Südbaden ab Klasse 3. Auffällig ist die zweifache Verwendung des Modalverbs „müssen“; man interpretiere diesen lexikalischen Gebrauch jedoch nicht zu scharf in Richtung einer <Verpflichtung ohne Konsens>, da „müssen“ von fast allen Schülern beim Sprechen über angeleitete Schulaktivitäten hochfrequent gebraucht wird, auch außerhalb dieser Untersuchung. Für Z liegen die Unterschiede zum Zweitspracherwerb in der frontalen Lehrsituation, in der Steuerung durch die Lehrerin, in der Monodirektionalität, in den lehrergesteuerten Schüleraktivitäten Schreiben und Lesen und so Lernen. 10 Es ist hier nicht zu klären, ob die Lehrperson tatsächlich so unterrichtet oder ob Z zum Zwecke des Kontrastierens die Methodenvielfalt reduziert. Jedenfalls stellt sie diese Fremdspracheniemprozedur auf Nachfrage als einigermaßen? erfolgreich dar: Das klappt so. Mit diesen Rekonstruktionen des Lernens schafft sich Z ein soziales und institutionelles Orientierungswissen, das ihr beim weiteren Sprachenlernen hilfreich sein kann. Ohne es an dieser Stelle weiter zu diskutieren, nehmen wir an, dass die Einsicht in die Sinnhaftigkeit der Ziele und Methoden für das Lernen förderlich ist, ebenso wie die Erfahrung des gelungenen Lernens." Neben vielen realitätskonformen Rekonstmktionen stehen einige, die geprägt sind von einem übermächtigen Eltembild und der Identifikation mit den Eltern. Diese kindliche Konstruktion wird in den Äußerungen von Sb deutlich, die ihr eigenes Sprachkönnen u.a. (quasi als Erbteil? ) aus dem der Eltern herleitet. Ob sie sich selbst so wahmimmt oder ob sie nur in kindlicher Manier renommiert, lässt sich nicht sagen. Aufjeden Fall scheint sie die Beherrschung vieler Sprachen für prestigeträchtig zu halten, sonst würde sie das nicht so hervorheben. Auf den evtl, geringen Umfang des Könnens einzelner Sprachen gibt sie selbst einen Hinweis. 10 Diese Unterrichtsverfahren stehen allerdings nicht in Übereinstimmung mit dem Konzept des Begegnungssprachenprogramms. 11 Hier wollen wir uns nicht in neurobiologische Begründungen vertiefen, sondern verweisen auf Kandel u. a. (1996), Roth (1998), Spitzer (1996; 2000). Zur Bedeutung der Neurobiologie beim (Sprachen-)Lemen und seiner Methode zusammenfassend Oomen-Welke (1998a, Kap. 16). <?page no="304"?> 304 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pefia Schumacher Ich kann auch Türkisch\** weil mein Vater Türke ist\; Ich kann sieben Sprachen* also** Deutsch* Türkisch* Italienisch* Englisch* Russisch** Französisch (2 Sekunden) hmm*** das sind sechs\ was war denn noch mal die Siebte? * (Spanisch? ) Spanisch\ ja** meine Mutter kann sieben Sprachen\ und deswegen kann ich das auch\* (Sag mal was auf Italienisch! ) ich kann nur bis vier zählen; Ich hab auch von meinem Vater Türkisch gelernt\ und von meiner Mutter die anderen Sprachen\ und Französisch von Ths Mutter; Sb (K27 73) w ms 8 J. 2. Kl. Schließlich noch die Sprachenbiografie von A, die vor allem durch Vagheitsinsertionen des Nichtwissens und des Irgendwie (Modalia der Abtönung) einen desorientierten Eindruck macht (im Transkript wohl stärker als in gesprochener Sprache, wo das stiltypisch sein kann), die aber doch einige Lemprozeduren erkennt und beschreibt. Ihre Sprachenbiografie beginnt A mit den Biografien der Oma und der Mammi als Vorläufer des eigenen Zweitsprachenerwerbs. Rekonstruierte Stationen sind die Oma/ Familie ab dem Alter von vier Jahren sowie die Institutionen Kindergarten und Schule in Deutschland. Ziel ist die Verständigung, für die man die Sprache lernen muss. Das gilt nicht nur für A selbst, sondern auch für andere Mädchen. Also ich mein ich konnte schon ein bisschen weil meine Oma die ist in Deutschland geboren und die hat es mir dann ein bisschen beigebracht bevor wir hergekommen sind); Ja sie (die Oma) ist in Deutschland geboren und hat halt hier (D) noch eine Schwester)* aber sie wollte dann nach Polen zurück und dann hat sie Mammi ein bisschen beigebracht -* meiner Mutter)** ähm* das weiß ich nicht mehr so gut) (wie sie das gemacht hat)** Sie hat halt Wörter gesagt und ich hab sie nachgesagt und dann hat sie mir gesagt was das heißt)* [A war 4 Jahre alt]\ dann hat sie mich so jeden Tag gefragt und dann habe ich es langsam gelernt); Ich habe es vom Kindergarten)* das was die Kinder so geredet haben das habe ich dann so langsam auch verstanden) und dann habe ich es irgendwie gelernt)* meine Mutter hat mir auch geholfen); Wenn man im Ding im Kindergarten oder Schule ich weiß nicht was da sind halt andere Mädchen halt auch hingegangen um sich mit den anderen zu verständigen)* mussten sie auch irgendwie die Sprache von denen lernen. A (178) w ms 13 J. 6. Kl. Es wäre möglich, weiter so zu verfahren, um andere Kinder durch ihre Selbstaussagen in ihren biografischen Rekonstruktionen kennen zu lernen. Das soll hier nicht geschehen. Statt dessen versuchen wir eine Gesamtsicht, <?page no="305"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 305 die Stationen, Sprachlempartner und Prozeduren als inhaltsanalytisch gewonnene Kategorien auffuhrt. Dabei tauchen noch nicht thematisierte Aspekte auf wie kleinere Geschwister und Babysprache, größere Geschwister als Tutoren, andere Familienmitglieder als erstsprachliche Gesprächspartner usw. Aus den Mitteilungen ist die soziale Welt ein- und zweisprachiger Schulkinder in wichtigen Momenten rekonstruierbar. 4. Mitteilungen zum Erstspracherwerb Die einzelnen biografischen Rekonstruktionen des Spracherwerbs wiesen beim Erstellen einer Übersicht Ähnlichkeiten und Unterschiede auf, die wir in Kategorien voneinander abgrenzen wollten. Aus unserer Sicht schien es besonders aufschlussreich, diese Kategorien in einem zweiten Arbeitsschritt auf Unterschiede zwischen Ein- und Mehrsprachigen zu untersuchen: Gibt es bei der Gruppe der mehrsprachigen Kinder eine eigene, abgrenzbare Art subjektiver Vorstellungen über den Verlauf des Erstspracherwerbs? Beim Themenkomplex Erstspracherwerb fiel uns auf, dass die interviewten Schulkinder auf ähnliche Fragen formal unterschiedlich antworteten. So lautete eine der Fragen zu diesem Thema: „Wisst ihr noch, wie ihr eure Muttersprache gelernt habt? “. Viele Kinder nahmen diese Frage nicht eng als „wie“-Frage auf, sondern benannten vielmehr Personen, Orte, Zeitpunkte und Institutionen, die etwas mit ihrem Mutterspracherwerb zu tun hatten. Als beispielsweise H gefragt wird, wie er seine türkische Erstsprache erworben habe, antwortet er: Also** Türkisch ist meine Heimatsprache\; Von Geburt an\ {haben wir unsere Muttersprachen gelernt)-. Nee hier! ** {bin ich geboren) aber meine Eltern sind beide türkisch\; H (K 27 76) m ms 5. Kl. Diese Äußerung ist typisch für eine weit gefasste Auffassung der „wie“- Frage: Die enthaltenen Mitteilungen beziehen sich erstens auf die Eltern als Bezugspersonen, zweitens auf das Erwerbsalter und drittens auch auf die Heimat, dem zu einer Sprache passenden Ort. „Heimat“ ist aber nicht nur ein Ort, sondern wohl auch eine Lebensweise, in der man geborgen ist, sich kennt und miteinander spricht, also ein psychischer Ort. Die Äußerung präsupponiert das allgemeine Wissen, wie man in der primären Sozialisation seine Sprache erwirbt. <?page no="306"?> 306 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Peha Schumacher Wir haben solche Äußerungen, die nicht explizit den Vorgang des Mutterspracherwerbs erklärten, zu einer Gruppe kategorisiert. Unterhalb dieser Kategorie ließen sich vier Unterkategorien voneinander trennen, die in folgender Übersicht dargestellt sind: 4a von der Mutter/ den Geschwistem/ dem Vater/ zu Hause Alle 40 x ms 17 x es 23 x 4b vom Kindergarten/ von der Schule 7 x 1 x 6 x 4c von einem Land/ weil irgendwo geboren/ Heimat 24 x 15 x 9 x 4d von Geburt an/ von klein auf 15 x 10x 5 x 43 86 43 Tabelle 4: Erstspracherwerb von wem, wo, wann? Auffällig ist zuallererst die Anzahl der Mitteilungen im Verhältnis zu den Teilgruppen. Von den 141 befragten Schulkindern waren 54 mehrsprachig, nämlich 38 Prozent. Hinsichtlich ihrer Mitteilungen zum Erstspracherwerb macht ihr Anteil genau die Hälfte aus. Von Kategorie 4 wiederum ließen sich jene Mitteilungen trennen, die den Prozess des Erstspracherwerbs erklärten. So erklärt zum Beispiel Da: Die die Eltern/ * gerade so wenn du ein Baby bist dass sie dir das beibringen/ * du hörst dann ja auch die Sprache** dann lernst du das denke ich auch mittlerweile so\ als Kind hörst* als als Baby hörst du ja die Sprache was was die sprechen* deine Eltem\*** und wenn du das hörst* dann* dann fängst du auch als Baby an das nachzureden\*** und irgendwann mal kannst du ja dann auch\; Da (193 A 46) w es 7. Kl. Dieser Beitrag enthält zwar auch Äußerungen über die am Erstspracherwerb beteiligten Personen (Kat. 4a) und den-Zeitraum des Lernens (Kat. 4d), geht aber insofern weiter, als der Prozess des Spracherwerbs sowohl durch das Hören als auch durch das Nachreden rekonstruiert wird. Auch bei dieser Art Mitteilung gab es unterschiedliche Typen, die wir hier als Unterkategorien differenzierter aufschlüsseln: Zum einen gibt es die Idee, <?page no="307"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 307 die Muttersprache sei eher passiv gelernt worden, beispielsweise durch Zuhören, wobei aber dennoch der Prozess des Zuhörens als zielgerichtete Anstrengung verstanden wird. Eine andere Vorstellung ist dagegen, kleine Kinder seien zwar aktiv im Lemvorgang beteiligt, hätten dabei aber kein System, würden z.B. einfach „drauflosplappem“. Diese Vorstellung unterscheiden wir von der Idee, nach welcher der Mutterspracherwerb systematisch und aktiv vor sich gegangen sei. Als Beispiel hierfür äußern die Interviewten häufig anzutreffende Zeige-Frage-Handlungen kleiner Kinder: „Was ist das? “ im Sinne von ‘Wie bezeichnet man diesen Gegenstand? ’. Diese Handlung deuten die befragten Kinder als klar aktive Anstrengung, die Muttersprache zu lernen. Eine vierte Unterkategorie fokussiert einen ganz anderen Faktor: Kern dieser Äußerungen ist, die Muttersprache sei wie nebenbei, ohne bewusste Anstrengung erlernt worden. Sprache ist diesen Äußerungen zufolge ein derart elementares Kommunikationsmittel, dass der Spracherwerb nicht von seiner kommunikativen Funktion zu trennen ist. Die Weisen und Verfahren des Spracherwerbs (aktiv oder passiv, zielgerichtet oder nicht) ist im Bewusstsein dieser Kinder zweitrangig. 5a vom Hören/ weil ich es mir gemerkt habe eher passiv Alle 25 x ms lOx es 15 x 5b vom NachredenZ-plappern/ Ausprobieren unsystematisch aktiv 8 x 3 x 5 x 5c auf etwas zeigen und es erklärt bekommen aktiv mit System 9 x 3 x 6 x 5d als beiläufige Selbstverständlichkeit 5 x 5 x Ox 47 21 26 Tabelle 5: Erstspracherwerb wie? Was fällt hier auf? Die Verteilung der Mitteilungen der Typen 5a, b und c korreliert ziemlich genau mit den relativen Anteilen der Teilgruppen „ms“ und „es“. Zwei anschauliche Beispiele dieser Kategorie wollen wir hier vorstellen: <?page no="308"?> 308 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Peha Schumacher Also wenn ich klein war -* also-* da haben mich die Eltern immer so geruft-* also auf Albanisch „komm her“ und so und dann*** hab ich was gelernt; W (149 A) m ms 4.Kl. Als ich ein Baby war habe ich die ganze Zeit nur zugehört\* als die Mama mir keine Milch mehr geben wollte/ * da habe ich „Nein“ gesagt\* das war das erste Mal dass ich ein Wort gesagt habe\* da hat meine Mutter gestaunt\; P (2) m ms 7 J. P erwähnt im Gegensatz zu W das Zuhören explizit. Implizit enthält Ws Äußerung diese Komponente ebenfalls; wenn jemand ruft, hört der andere in der Regel zu. Inhaltlich sind diese Mitteilungen jedoch nur Zusatzinformationen zu den eigentlich wichtigen Aussagen, dass nämlich Sprache eine Funktion erfüllt. Die Funktion der Muttersprache ist bei W eher in der Verständigung mit den Eltern zu sehen als bei P, der in seiner Rekonstruktion des Mutterspracherwerbs die Notwendigkeit der eigenen Mitteilungsfähigkeit in den Vordergrund stellt. Die Äußerungen der Kinder lassen sich noch weiter kategorisieren. So brachten einige Kinder Schwierigkeiten oder Regelmäßigkeiten beim Erwerb der Muttersprache zum Ausdruck (Kat. 6). Meistens sind es Beobachtungen und Erklärungsmodelle, die sie zur Sprache bringen. Dass sich Mitteilungen dieser Art durchaus auf verschiedenen Niveaus befinden können, zeigen die beiden folgenden Beispiele: (Babys? ) Die stottern half* die können das noch nicht alles aussprechen; C (72) m es 6.K1. Also bei uns sagen die Babys oft das erste Wort ist* nicht oft/ * aber nicht immer „njanja“ oder „Mama“\* „njanja“ ist eigentlich auch „Mama“-* aber dort/ * sie hören das recht oft die Babys und dann können sie es noch nicht recht gut ausdrücken\* da sie noch keine Zähne haben und sagen eben „njanja“\** die Sprachfehler bei den Babys entstehen oft weil die Babys manche Zähne schon haben\* aber oft noch Zahnlücken da die anderen Zähne nicht ganz kommen und dann lispeln sie eben oft\; M (6) m ms 10 J. Die Frage nach der Babysprache wurde von den Interviewern gestellt, jedoch nur von wenigen Kindern beantwortet. Charakteristische Mitteilungen dieses Typs sind folgende, vgl. Kat. 8: <?page no="309"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 309 Babys sprechen ihre Sprache einfach so „blablabla“\* denken sich einfach eine Sprache aus\* Babys können miteinander sprechen\; S (153 A) ms 4. Kl. (Kennt ihr Babysprache? ) Ja* weil die Babys/ * die lernen erst den seine Sprache\* dann lernen sie unsere Sprache und dann können die die Sprache (die Babysprache) auch nicht mehr\: M (16) m ms 8 J. Einige einsprachige Kinder verglichen den Erwerb der Erstsprache mit anderen Arten des Spracherwerbs. Obgleich nur selten erwähnt, zeigt doch das folgende Beispiel eine eigene Überlegung zum Thema Erstspracherwerb, die sich deutlich von den anderen Kategorien unterscheidet und von Zweisprachigen vermutlich nicht so geäußert würde: Ja ich mein das Baby spricht halt so* wie als würde einer von denen (meint Ausländer) frisch nach Deutschland kommen\* so ähnlich -* so ungefähr/ ** im Prinzip)** von der Aussprache her oder sowas ist es ja fast gleich); S (56) m es 6. Kl. Eine Übersicht über diese zuletzt genannten Kategorien bieten folgende Tabellen: 6 Schwierigkeiten/ Regelmäßigkeiten/ besondere Beobachtungen Alle 17 x ms 8 x es 9 x Tabelle 6: Sonstiges 7 Vergleich mit anderen Typen von Spracherwerb Alle 4 x ms 0x es 4 x Tabelle 7: Sonstiges Alle ms es 8 1st Babysprache eine Sprache? 10x 7 x 3 x Tabelle 8: Sonstiges Es wäre sicherlich interessant gewesen, diese 3 Kategorien ebenfalls auf Unterkategorien zu untersuchen. Die geringe Anzahl der Mitteilungen hätte uns jedoch keine verlässlichen Ergebnisse geliefert. Während sich in Kat. 4 <?page no="310"?> 310 Ingelore Oomen- Welke / Tomas Pena Schumacher nämlich 52 Prozent aller Mitteilungen finden ließen, ergab der relative Anteil der Mitteilungen der drei letzten Kategorien zusammen nur ca. 18 Prozent, immer noch weit weniger als auf Kat. 5 fielen (knapp ein Drittel). Wir sehen deshalb von einer weiteren Differenzierung ab. Bezüglich der einleitenden Frage nach Unterschieden zwischen den Sprachgruppen ist als Tendenz ersichtlich, dass Zweisprachige den Erstspracherwerb eher als beiläufig darstellen. Simultan Zweisprachige betonen, dass die Erstsprache von klein auf gelernt werde und die Heimatsprache der Familie sei. Die Babysprache halten sie z.T. für eine eigene Sprache, und manche geben physiologische Begründungen dafür an. 5. Mitteilungen zum Fremdsprachenlernen Ein zweiter Komplex enthält die Mitteilungen zum Fremdsprachenlemen, bezieht sich also auf diejenigen Sprachen, die weder Landesnoch in irgendeiner Form die Familiensprache der Kinder sind. Es geht hier also nicht um den versetzten Zweitspracherwerb bei Migration; dazu s. Kap. 3. Das Fremdsprachenlemen in der Schule ist in gleichem Maße für ein- und mehrsprachige Kinder aktuell. Begünstigt wurden Vorstellungen und Theorien der jüngeren Kinder zum Fremdsprachenlemen dadurch, dass eine große Anzahl durch das Französischprogramm für die Grundschule „Lerne die Sprache des Nachbarn“ bereits Erfahrungen mit dem Erwerb von Fremdsprachen hatte. Außerdem verhalf die Erfahmng älterer Geschwister vielen Kindern zu einer eigenen Idee vom Fremdsprachenlemen. Die Antworten der Kinder warfen neue Fragen unserer Untersuchung auf. Wir hatten erwartet, dass sich mehrsprachige Kinder auch bei diesem Thema durch einen erhöhten Mitteilungsdrang auszeichnen würden. Wie kommt es nun, dass sich, relativ betrachtet, hier die Proportionen umkehren? Von 178 erfassten Mitteilungen kamen ein Drittel von mehrsprachigen Kindern. Bei näherem Hinsehen fiel uns auf, dass sich insbesondere mehrsprachige Migrantenkinder nicht lange beim Thema Fremdsprachenerwerb aufhielten, sondern schnell zum Deutschiemen im versetzten Zweitspracherwerb übergingen. Fast schien es, als seien viele versetzt Zweisprachige froh gewesen, Gehör für ihre Erfahmngen mit dem Deutschiemen zu finden. Wir wählen das Beispiel von A: <?page no="311"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 3 1 1 Also ich komm aus Russland da bin ich geboren\* kann so auch Deutsch hier und auch Französisch von der Schule\ aber ich bin rausgegangen\* hatt keine Lust mehr\* und kann auch ein bisschen Italienisch vom Hören\; Also ich war-* Russland nach Deutschland gekommen\* da konnte ich die Sprache also Deutsch nicht sehr gut\ aber in ein Jahr hab ich dann die ganze Sprache gelemt\ also die geht relativ so/ ** ein bisschen leicht- (leichter als Russisch? ) ja\* also wenn ein Deutscher nach Russland kommt/ da ist das nicht so leicht\* aber ein paar Wörter kann man schon-* (Wie Deutsch gelernt? ) ich hab es gehört! und so hab ich bisschen auch geübt\* also „Guten Tag“ hab ich-* von den Kindern oder Erwachsenen und dann hab ich noch ein bisschen mit meiner Mutter gelernt/ * (Kann die auch Deutsch? ) ja-** sehr gut! ; Wir sprechen meistens Russisch/ (zuhause)* aber wenn wir Wörter nicht verstehen-ja also „Guten Tag“ da ist es aus dem Kopf gefallen da sagen wir einfach „Guten Morgen Mama“ oder so/ (mit Eltern und Geschwistern? ) Russisch und manchmal auch Deutsch/ * aber manchmal nur-* mehr Russisch/ A (163 A 16) m ms 4. Kl. A geht auch auf den Erwerb von Fremdsprachen ein. Er sagt, er könne auch Französisch und gibt an, woher er das kann. Italienisch hat er in eigener Regie gelernt (auf welchem Niveau, das ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung). Sobald A jedoch die Möglichkeit erhält, über seine Sprachenbiografie zu berichten, geht er darauf ausführlich ein. Sein Deutschiemen beschreibt er räumlich, zeitlich, bezüglich der Personen und der Methoden sowie mit einfachen Beispielen. Wir haben in Kap. 3 gesehen, dass die sprudelnden Mitteilungen der Zweisprachigen uns erlaubten, kindliche Sprachenbiografien mit ihren Stationen und Lernweisen zu zeichnen. Beim Fremdsprachenlernen ist das nicht so, trotz interessanter Einzeläußerungen; hier dominieren die Einsprachigen, wie die folgende Tabelle zeigt. Auch hier unterscheiden die Kinder Prozeduren und Methoden, teils festgemacht an den Medien des Unterrichts. Nicht nur denen, die explizit das Lernen von Muttersprache, Zweitsprache und Fremdsprache unterscheiden (z. B. Z (K27 75) in 3.3), ist die Verschiedenartigkeit des Lernens bewusst, auch bei der Darstellung eines Lemfeldes können sie Spezifika angeben. <?page no="312"?> 312 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher Deutsch als FS/ ZS es ms 72 Antw./ 15 Typen Muttersprachelemen 8 Typen 10 Typen Fremdsprachenlernen in der Schule 16 Typen: Vokabeln, Schule, Lehrer, Schreiben, Lesen, Sprechen, Filme, Bücher, Spiele, Test, Lieder, Auswendiglernen, Bilder, Zuhören, Raten, Texte 7 Typen: Schule, Schreiben, Lesen, Bücher, Lehrer, Sprechen, Vokabeln Fremdsprachenlemen außerschulisch 20 Typen 13 Typen Tabelle 9: Fragebereich Sprachenlemen Die Mehrsprachigen erleben den Fremdsprachenunterricht traditionell bis trocken, die Einsprachigen offenbar offen und abwechslungsreich. Ein Grund ist das Grundschulprogramm „Lerne die Sprache des Nachbarn“, dessen Methoden benannt werden. Zwei mehrsprachige Kinder äußern sich recht kritisch zum Grundschulfranzösisch. Auf den Fremdsprachenunterricht soll in diesem Kontext nicht weiter eingegangen werden. In unserem Projektbericht wird dieser Fragebereich ausführlich dargestellt. 6. Einstellungen zu den Sprachen und zum Sprachenlernen In Kap. 3 sind wir bereits verschiedenen Einstellungen zu den Sprachen begegnet. Wir haben während der Interviews Einstellungen beiläufig erfragt {Welche Sprache/ Was sprichst du denn lieber? - Welche Sprachen würdet ihr denn gern noch lernen? ), weil in den Antworten Interesse, Motivation und Lembereitschaft sowie die eigene Befindlichkeit in der plurilingualen Lebenswelt zum Ausdruck kommen, die das Lernen begünstigen oder auch behindern können. 12 Erfahren haben wir auch etwas über die Einstellungen der Umwelt zu den Sprachen und über die Funktionen des Sprachengebrauchs. Einstellungen stehen in Zusammenhang mit der subjektiven Orientierung der Kinder und ihres Umfelds in ihrer Lebenswelt, einer Orientierung, die das Konzept der subjektiven Theorien in den Griff zu bekommen 12 Vgl. zu Leistungsmotivation und Lemleistung z.B. Schmält (1988). <?page no="313"?> Sprachenlernen ~ Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 313 versucht. 13 Der Hinweis darauf soll hier genügen; auf Erfahrungswissen und subjektive Theorien als Erklärungsansätze irn Rahmen unserer Untersuchung gehen wir im Projektbericht ein. 6.1 Sprechen in der Erstsprache: Wer traut sich? Der Fragenkomplex beginnt mit der Aufforderung, etwas in der Erstsprache bzw. der anderen Sprache, also nicht auf Deutsch, zu sagen. Nur ein Drittel der Zweisprachigen nimmt diese Möglichkeit wahr, sechzehn Kinder. Da den Interviewerinnen und Interviewern bekannt war, dass für das Sprechen der anderen Sprache in deutscher Sprachumgebung eine Hemmung besteht, insistierten sie nicht; übrigens sollten sie auch den Anschein vermeiden, dass die Sprachkompetenz geprüft würde. Es ist wahrscheinlich, dass auch hier die Einstellung zur Erfolgsmotivation gilt: Kann das Kind annehmen, dass die Äußerung akzeptierend aufgenommen wird, oder hat es gegenteilige Erfahrungen gemacht? 14 Die Kinder, die antworten, tun dies nämlich auch nach partnertaktischen Aspekten: In einer Interviewgruppe mit anderen Mehrsprachigen sprechen sie eher als unter Monolingualen. Wir haben eine Gruppe mit russischdeutschsprachigen Kindern im Alter von 10 Jahren, in der alle etwas auf Russisch sagen; eine libanesisch/ arabisch-deutschsprachige Gruppe im Alter von 12 Jahren, in der sich alle auf Arabisch äußern. Sobald die Gruppe sprachlich gemischt ist, äußern sich nicht alle: In der Gruppe mit Kindern aus Libanon, Russland, Vietnam zum Beispiel sagt nur das russisch-deutschsprachige Kind etwas auf Russisch; in der Gruppe aus Bosnien, Italien, Russland, Syrien spricht nur das bosnische Kind in seiner Erstsprache; in der Gruppe aus Bosnien, Türkei, Saudiarabien spricht nur ein türkischsprachiges Kind Türkisch usw. In Gruppen mit einsprachigen Deutschen äußern sich die 13 Genannt seien hier Scheele (1992) für die grundlegende Arbeit der Gruppe um Groeben/ Scheele, Kallenbach (1996) für die Einstellungen zum Fremdsprachenunterricht in der Schule. In unserem Projekt haben wir auf das Verfahren der Strukturlegetechnik verzichtet, weil wir viele (neun) Fragenkomplexe bearbeitet haben und auch weil die Mehrzahl der Kinder u.E. zu jung war, um mit dieser Technik zu arbeiten. Es scheint uns aber nicht ausgeschlossen, die Strukturlegetechnik für die Grundschule als Methode der nachträglichen Reflexion weiterzuentwickeln. - Über Vorwissen und Orientierungsrahmen beim Lernen und über die unauflösliche Einheit von Kognition und Emotion siehe Roth (1998). 14 Vgl. Schmält (1988). <?page no="314"?> 314 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Peha Schumacher Mehrsprachigen durchweg nicht. Über Gründe kann man spekulieren: Es kann sein, dass den Kindern auf Anhieb kein passender Satz einfällt und/ oder dass sie selbst die andere Sprache als zu schwach empfinden dann wären eher interne Faktoren verantwortlich. Es kann sein, dass die deutsche Umgebung den Sprachwechsel erschwert und/ oder auch dass die Kinder ihre nichtdeutsche Sprache nicht dem kritischen Urteil der Deutschen aussetzen wollen, die sagen könnten, sie klinge blöd dann wären eher externe Faktoren verantwortlich. Wir müssen mit dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren rechnen. 15 6.2 Zur Sprachenpräferenz Zwanzig mehrsprachige Kinder äußern sich zu der Frage, welche Sprache sie lieber sprächen. Drei sprechen lieber ihre ‘nicht deutsche’ Sprache, sie bevorzugen Spanisch bzw. Russisch. Drei Kinder stellen ihre Sprachenwahl als partner- und situationsabhängig dar ,je nach Gelegenheit“, drei Kinder geben an, sie sprächen beide gleich gern. Fünf Kindern fällt Deutsch leichter als die andere Sprache. Sechs weitere bevorzugen Deutsch mit anderen Begründungen. Deutsch wird laut Angaben bevorzugt in der Konkurrenz zu Arabisch, Italienisch, Persisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Türkisch, Vietnamesisch. Es wird gesagt. Deutsch sei einfacher als Türkisch; habe „bessere Bedeutungen“ als Arabisch; man spreche Deutsch lieber. Vietnamesisch aber besser; man spreche Deutsch lieber, obwohl Arabisch die bessere und geheimnisvollere Sprache sei. Auch wenn sie Deutsch lieber spricht, bemerkt K: „Russisch will ich nicht vergessen.“ K (7) w ms 10 Jahre. Die Äußerungen dürfen keinesfalls scharf interpretiert werden; immer sind situations- und partnerabhängige Momente kritisch mitzubedenken. Wir kennen den Effekt komplexer Interview-Situationen, in denen Mehrfachbindungen nicht in ihrer Mehrschichtigkeit, sondern als Parteinahme für eine Seite geäußert werden, weil Interviewte das sagen, was der Interviewer ihrer Vermutung nach positiver einschätzt. Es ist allerdings plausibel, dass die als leichter oder einfacher empfundene Sprache, also wohl die starke Sprache, die in der Lebenswelt dominante ist und daher oft gewählt wird. Dadurch wird sie wiederum gestärkt und die andere Sprache geschwächt. Nicht bezweifelt werden soll, dass die Einstellung zum Deutschen überwiegend positiv ist. Besonders interessant sind die Beispiele, in denen die Bequemlichkeit 15 Zu den Faktoren beim Zweitsprachenlemen übersichtlich Apeltauer (1987). <?page no="315"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 315 des Gebrauchs des Deutschen den Qualitäten anderer Sprachen gegenüber gestellt wird. Dabei kann auch sichtbar werden, wie bei demselben Kind mal die eine, mal die andere Sprache überwiegt. Ein Beispiel: In Arabien\ *{geboren) Meine Eltern sind auch in Libanon geboren\; Ich bin F und kann auch Libanesisch und Deutsch reden\; {Mit wem? ) Ich mit meinen Geschwister meinen Eltern und Freunde und so Cousinen und so\; {Sprechen Eltern Deutsch? ) Ja ein bisschen\ aber die verstehn nicht viel\; {Wann Deutsch? ) Also in der Schule\ wo so im Hof/ * draußen so und zu Hause manchmal auch* mit Geschwister\; {Welche Sprache besser gesprochen? ) Deutsch'* (Welche lieber? ) Also ich versteh' viel mehr Deutsch weil ich red auch mehr Deutsch wie Arabisch)* aber Arabisch find ich irgendwie mehr geheimnisvoller) so bessere Sprache und so); Ehm ich kann zwar nicht Arabisch schreiben/ aber Deutsch kann ich schreiben lesen und alles); Also ich find Deutsch ist besser wie Arabisch)* Arabisch/ so spricht man* so aus/ * so ganz komisch aus); {Schreiben? ) Ja ganz anders schreibt man sie da); {Lieder in Muttersprache? ) Ich kenn zwar ein Gedicht/ * aber das ist etwas versaut) [sagt es auf\\ {Träumen in der anderen Sprache? ) Ich nicht so oft); F (12) w ms 13 J. Arabisch wird von F einerseits als positiv qualifiziert: „geheimnisvoller, so bessere Sprache und so“ mit Vagheitspartikel, andererseits negativ als komisch auszusprechen, wieder mit Vagheitsangabe. Obwohl F soeben ihre Erstsprache als komisch klingend bezeichnet, gibt sie eine Probe zweifelhaften Inhalts in dieser Sprache zu hören. Die bewertenden Adjektive „geheimnisvoller, besser, komisch“ gelten global und unspezifisch, sie werden nicht auf Befunde in der Sprache gestützt, sondern durch „und so“, „so ganz“ eher noch vager. Dass Deutsch in der Lebenswelt als dominierend betrachtet wird, mag u.a. ein Effekt davon sein, dass das Interview in den Räumen der Schule geführt wurde. Es lässt sich erkennen, dass die geäußerte Einstellung zur arabischen Muttersprache ambivalent ist, zumindest der deutschen Interviewerin gegenüber. Die Bewertung kippt in der Mitte des Interviews. Ambivalenz gegenüber beiden Sprachen finden wir bei M, dessen Sprachenbiografie oben beleuchtet wurde. Obwohl er Italienisch für seine starke Spra- <?page no="316"?> 316 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher che hält, spricht er angeblich Deutsch lieber, jedoch nicht mit der Mutter. Der Gebrauch des Deutschen mit ihr wird nicht als Lemprozedur anerkannt, sondern explizit als kommunikative Erschwernis gewertet. Dahinter kann ein Versuch stehen, die bisherige Biografie mit der Trennung der Stationen zu verteidigen. Sein Statement „Deutsch ist gut“ kann sowohl eine Konzession an den Interviewer sein als auch das sozialisatorische Ziel, durch Deutsch so zu werden wie alle Kinder, seine peers. (Wann Deutsch? ) In der Schule und zuhause\* meine Mutter spricht mit mir immer Deutsch und ich sage sie soll mit mir Italienisch reden\ weil ich kann noch nicht viel Deutsch\; (Welche Sprache sprichst du besser? ) Italienisch (und lieber? ) Deutsch* Deutsch ist gut\ M (K2-oN) m ms 6 J. Andere Interviews sind eindeutiger. Sie zeigen die Dominanz des Deutschen in Deutschland, des Gemischtsprechens in der anderssprachigen Gruppe (hier: Türkisch) und den Gebrauch des Deutschen als Geheimsprache unter Nichtdeutschen. M mit seinen nur acht Jahren äußert sich über die Sprachenverteilung in seiner Lebenswelt recht kompetent, und er benutzt die Sprachen funktional nach seinen Interessen. Bewertungen der Sprachen gibt er nicht ab. (Sprechen Eltern auch Deutsch? ) Mein Vater kann ein bisschen mehr als meine Mutter',* aber die kann fast alle beide gleich (welche Sprachen sprechen sie denn noch? ) Afghanisch Persisch und ** und Deutsch; (Wo sprecht ihr Deutsch? ) Hier in Deutschland\ und daheirh* Ich sprech 1 mit meinen Eltern und mit meinem Bruder so Türkisch und Deutsch** gemischt* wir machen’s gemischt; Ja wenn wir draußen/ wenn ich draußen wandere rede ich immer mit Taylah der isch auch ein Türke\ da rede ich immer mit ihm Deutsch und mit meinem Bruder\; (Vielehe Sprache besser gesprochen? ) Deutsch (welche lieber? ) Deutsch* weil das jetzt für uns einfacher isch weil wir jetzt so lange in Deutschland wareh; (Türkisch lesen/ schreiben? ) Ich kann nicht so gut schreiben/ * aber ich les ein bisschen manchmal',; Weischt/ mein Bruder sagt mal zum Türken „Arschloch“ und der Türke verstehfs; Aber wenn ich in Türkei jetzt mi'm Flugzeug flieg'/ dann sag ich deutsche Sachen wenn sie mich ärgerh* dann verstehen sie mich nicht; <?page no="317"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 317 {Sag mal was auf Türkisch! ) Benim adim Murat\* ich heiße Murat\* mein Name heißt Murat\; {Vater) Meiner kann auch alles sprechen\* meine Eltern können auch türkisch schreiben\ manchmal streiten sie sich auf Türkisch/ * und dann noch wenn wir im Bett liegen -* da beten wir immer was\; {Können beide Eltern Deutsch schreiben? ) Mein Papa kann\ meine Mama nicht\ meine Mama -* ich weiß nicht\; {Träumst du auf Türkisch? ) Nur Deutsch/ vom Kinderfilm/ ; M (16) m ms 8 J. 6.3 Zum Lernen weiterer Sprachen Welche weiteren Sprachen würden Zweisprachige gerne lernen? Auf diese Frage antworten nur zwölf Kinder. V (192) möchte auf Russisch, also in seiner Erstsprache, lesen und schreiben können. Sechs Kinder möchten Englisch bzw. Amerikanisch oder Französisch oder beides lernen, ein Kind Englisch und Spanisch, ein Kind Chinesisch und Arabisch. Zwei Kinder äußern sich statt einer Antwort hier kritisch über das Grundschulfranzösisch, das nicht leicht sei. Vom Lernen weiterer Sprachen ist dabei nicht die Rede. Unsere Annahme, dass Zweisprachigkeit Lust auf Sprachenlemen in der Schule mache, wurde also enttäuscht, vgl. hier Kap. 5. K aus Thailand ist die Einzige, die neben Englisch noch Latein und weitere Sprachen lernen möchte. Also ich -* ich hab mit drei hab ich auch so weng [Dialekt: ‘ein wenig’’] Italienisch gesprochen und dann als ich nach Deutschland bin/ * bin ich dann in so ner Umgebung wo immer Deutsch gesprochen wird und dann hab ich halt -* also musst ich nicht mehr umändem mit der Sprache sondern dann hab ich gleich Deutsch gelernt und dann nicht mehr Thailändisch reden/ und dann könnt ich -* dann könnt ich Thailändisch und dann Deutsch und dann das mit dem Englisch war* dass ich ein paar größere Cousinen und Cousins hab und die sind alle auf dem Gymnasium und dann -* ja und dann sagen sie dann geh ich manchmal zu denen und dann sagen sie mir halt immer was vor und dann -* dort lernen die halt immer mit mir weil ich immer gern Englisch und Lateinisch -* ja sprechen möchte/ ; Also Englisch mag ich auch ä weng lieber als Französisch weil Französisch find ich nicht so interessant/ aber Englisch des würd ich sehr gern lernen und Lateinisch (? ) dafür besser als Deutsch und -** ich find das irgendwie so toll dass die (? ) des ist halt irgendwie ganz anders als als als die anderen Sprachen ja und es ist auch ä weng schwerer aber ich find sie toll/ * {die lateinische Sprache) das macht einen ganz großen Unterschied zwischen Englisch/ * ich kann jetzt nicht ich weiß nicht wie ich das jetzt erklären soll <?page no="318"?> 318 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher aber das klingt so als wär das halt so weng älter\* viel älter als ja als so andere Sprachen und dass Englisch nicht also noch ganz modern wär und das(s) -* das Lateinisch so als wär -* so Atlantis als hält man das da schon gesprochen^ Ich würd am liebsten halt - (? ) ich konnte neun Sprachen',* mir kommts gar nicht drauf an ob eine schwerer ist oder leichter\* ich würd eigentlich ganz viele Sprachen - (? )* weil ich das gut finde* Sprachen)** und da versteht man dann sich fast überall); K (160) w ms 4. Kl. Dem Lateinischen, das K subjektiv äußerst positiv bewertet, werden sagenhafte Merkmale zugeschrieben, die die bewundernde Einstellung begründen: „älter, Atlantis, (wenngleich) schwerer“. Warum sie Englisch interessanter findet als Französisch, begründet sie nicht. Nach ihrer Darstellung scheut sie Schwierigkeiten beim Sprachenlemen keineswegs und würde gern viele Sprachen lernen. Wie sich dieses Interesse in ihrer Lebenswelt bewährt und wie weit es trägt, mag aus den Angaben zur Sprachenbiografie vermutet werden: Ks Thailändisch ist recht schwach geworden, Grundschulfranzösisch, d.h. Lernen im Kurs, ist für K nicht interessant. Interessant ist das (sporadische) Lernen von den älteren Cousinen und Cousins, also gelegentliches Lernen durch Identifikationsfiguren und Zuwendung. 7. Ergebnisse Mit dieser Befragung haben wir Einblick in die soziale und sprachliche Welt Zweisprachiger bekommen. Die Kinder haben über ihre Familien und über die Schule gesprochen; in beiden spielen Sprachen, Spracherwerb und sprachliches Lernen sowie die Einstellungen zu den Sprachen eine Rolle. Die Zweisprachigen selbst machen sich viele Gedanken zum Sprachenlernen. Sie schätzen die Sprachenkompetenz ihrer Eltern ein und erkennen die Bedeutung der Sprachen in ihrer eigenen Lebenswelt. Sie haben Vorstellungen davon, wie das sukzessive Lernen verschiedener Sprachen vor sich geht, und sie können einige Methoden des Lernens charakterisieren. Nicht viele haben den Wunsch, noch weitere als die bisherigen Sprachen zu lernen, zumal das schulisch erfolgen würde. Unsere Frage danach, wie die Kinder selbst ihr Sprachenlemen wahmehmen, wurde von vielen mit der Nennung von Orten und Personen beantwortet. Auf diese Weise rekonstmierten insbesondere die Kinder mit sukzessivem Sprachenerwerb ihre eigene Sprachenbiografie in Stationen, meist Familie <?page no="319"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 319 mit Erstsprache, Kindergarten mit Zweitsprache, Schule evtl, mit Fremdsprache. Kinder mit simultan erworbener Zweisprachigkeit können Stationen nur bei Auslandsaufenthalten der Familie markieren; sonst läuft die nichtdeutsche Sprache nebenher und wird nach eigener Wahrnehmung schwächer. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Eltern sich trennen und das Kind beim deutschsprachigen Eltemteil bleibt eine einleuchtende Erkenntnis, die hier durch Biografien belegt wird. Ausdrücklich äußern einige Kinder, dass sie die nichtdeutsche Sprache beibehalten und ausbauen möchten. Manche Kinder, auch Einsprachige, haben genauere Vorstellungen davon, wie das Lernen von Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache vor sich geht. Der Erstspracherwerb in der Familie wird als natürlicher Prozess dargestellt, der vom ersten situationsabhängigen Wort über die Stufe der unvollkommenen Babysprache zur Vollsprache abläuft. Dagegen erkennen die Zweisprachigen im Zweitspracherwerb einen bewussten Aneignungsprozess, bei dem die interaktive Rolle der deutschsprachigen Sprachpartner von großer Bedeutung ist. Der Anteil der Zweitspracherwerbenden kann reproduktivimitativ oder bewusst aktiv sein, und es können Hilfsmittel (Bücher, Kassetten) genutzt werden. In jedem Fall sind Stetigkeit und Sprechquantität („immer mit mir gesprochen“) von erheblicher Bedeutung für den Erfolg, ebenso die darin zum Ausdruck kommende positive Zuwendung der Sprachpartner. Das Lernen einer Fremdsprache in der Schule kommt nicht so gut weg. Nur die Einsprachigen im Grundschul-Programm „Lerne die Sprache des Nachbarn“ erkennen eine Methodenvielfalt, die Zweisprachigen weniger. Sie skizzieren eher den traditionellen Fremdsprachenunterricht aus Vorsagen, Nachsprechen, Aufschreiben. Besondere Lemlust auf weitere Fremdsprachen äußern die Zweisprachigen nicht, jedenfalls nicht auf deren Lernen in der Schule. Ihre Äußerungen widersprechen einer verbreiteten Ansicht, Zweisprachigen falle das schulische Fremdsprachenlemen leicht. Warum finden wir das nicht bestätigt? Werden die vorhandenen Spracherfahrungen nicht so gewürdigt, dass die Kinder sich anerkannt fühlen könnten? Erdrückt das Prestige der Schulfremdsprache das (oft ohnehin geringe) Prestige der Erstsprachen? Die Zweisprachigen unserer Untersuchung haben ein überaus freundliches Bild ihrer Zweisprachigkeit und des Zweitspracherwerbs in deutscher Umwelt gezeichnet. Es steht in Gegensatz zu anderen Untersuchungen, etwa der von Dietrich (1997), die in zwanzig Tiefeninterviews ausländische Eltern <?page no="320"?> 320 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher verschiedener Herkunft und verschiedenen Bildungsniveaus nach ihren Erfahrungen mit der deutschen Schule befragt hat. Die Eltern äußerten sich durchweg kritisch, fanden die Leistungen ihrer Kinder durch deutsche Lehrpersonen nicht angemessen beurteilt und unterstellten ihnen generell eine negative Einstellung zur Zweisprachigkeit. Die Kinder hier stehen der eigenen Zweisprachigkeit, der Schule und der mehrsprachigen Gesellschaft allem Anschein nach positiv gegenüber. Ihre Sprachenbiografie und deren Stationen kennzeichnen sie spontan nicht als besonders problematisch. Die deutsche Sprache sprechen sie gern, sie finden ihren Gebrauch recht praktisch, und sie wollen meist ihre andere Sprache erhalten. Manchen fallt es verständlicherweise schwer, einer Sprache affektiv den Vorzug zu geben. In pragmatischer Hinsicht wissen sie genau, dass Deutsch in Deutschland dominant ist. Wir halten diese Äußerungen für authentisch, geben jedoch zweierlei zu bedenken: 1) Bei Mehrfachbindungen, wie die Zugehörigkeiten Zweisprachiger sie darstellen, kann jeweils eine Seite situationsbedingt das Übergewicht bekommen. In deutscher Umgebung und beim Interview in deutscher Sprache verlagerte sich das Gewicht vermutlich bei manchen in diese Richtung. Das heißt nicht, dass sie sonst negativ geurteilt hätten; vorhandene positive Einstellungen zum Deutschen wurden aber im Interview zur Sprache gebracht, andere vielleicht nicht. 2) Im Gruppengespräch werden Probleme, die das eigene Gesicht bedrohen, kaum als solche thematisiert. Daher erscheinen problematische Personalbeziehungen und Stationen (Trennungen von Eltern und Migration) relativ beiläufig. Schwierigkeiten der sozialen Integration in die Gruppe oder Klasse werden gar nicht erwähnt. Der Erfolg des Zweitspracherwerbs wird hervorgehoben. Bei aller sonstigen sachlichen Offenheit schützen die Kinder sich und ihr eigenes Selbstkonzept auf diese Weise. Im Ergebnis scheint das Leben zwischen zwei Sprachen und Kulturen den zwei- und mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen trotz der Einschränkungen in der Gültigkeit ihrer Äußerungen gelungen. Sie sind in der Lage, ihre Biografie strukturiert zu rekapitulieren und das Sprachenlemen in verschiedenen Typen zu skizzieren, mehr als die Einsprachigen. Dass sie auch aufmerksam auf Sprachen sind und sich auf dem Weg zu metasprachlicher Bewusstheit befinden, kann hier nicht mehr gezeigt werden. <?page no="321"?> Sprachenlernen - Biografische Rekonstruktionen zweisprachiger Schulkinder 321 Einleitend wurde vermutet, dass die eigene Wahrnehmung des Sprachenlernprozesses nicht ohne Wirkung auf das Lernen von Sprachen bleibe. Die positive Selbsteinschätzung ist in der befragten Gruppe deutlich; sie befördert, wie man weiß, das gelingende Lernen. Allerdings mag die vielfältige Kompetenz der Mehrsprachigen oft nicht erkannt werden oder untergehen. In didaktischer Hinsicht wäre das sehr bedauerlich. Stärker unterstützt und sogar dinglich sichtbar gemacht werden kann die positive Selbstwahmehmung durch ein Sprachenportfolio, wie es gegenwärtig vom Europarat entwickelt wird. 15 Das könnte dem Lernen dienen und auch die Beurteilung durch Lehrpersonen umsichtiger machen. 8. Minimal-Transkription der Interviews: / \ * ** *** i ? • > • ? {Text) [Text] V (178 A4) m ms 12 J. w es 4. Kl. steigende Intonation fallende Intonation etwa gleich bleibende Intonation kurze Sprechpause, evtl, zum Atemholen Sprechpause ca. 0,5 Sek. Sprechpause ca. 0,5 bis 1 Sek. Ausruf, Frageintonation Ende eines Redeabschnitts sinngemäße Ergänzungen bzw. Frage der Interviewenden Erklärungen der Interviewenden Sigle des Vornamens, Probandennummer. Deren Zusammensetzung spielt hier keine Rolle. Geschlecht, mehrsprachig, Alter Geschlecht, einsprachig, Klasse 16 Sprachenportfolio, Entwurf hrsg. v. d. AG „Cadre de reference pour revaluation en langues etrangeres en Suisse“ (vgl. Schneider u.a. 1999). Im Sprachenportfolio wird die Sprachenbiografie festgehalten mitsamt Checklisten zur Selbsteinschätzung, Dokumenten der Fremdbeurteilung, Perspektiven des weiteren Lernens. Schon die Existenz eines solchen Portfolios, wenn sie denn Lehrpersonen bekannt wird, kann dazu fuhren, dass Elementen der Biografie und der Selbstwahmehmung von Schülern und Schülerinnen im Lernprozess stärkere Beachtung zuteil wird. Den Lernenden geben die einzelnen differenzierten Kriterien der Checklisten Impulse, ihre Selbsteinschätzung genauer vorzunehmen und festzustellen, wo weitere Entwicklungen nötig sind. <?page no="322"?> 322 Ingelore Oomen-Welke / Tomas Pena Schumacher 9. Literatur Apeltauer, Emst (1987): Einführung in den gesteuerten Zweitspracherwerb. In: Ders. (Hg.): Gesteuerter Zweitspracherwerb. Voraussetzungen und Konsequenzen für den Unterricht. München. S. 9-50. Assmann, Aleida (1992): Zeit-Strategien. Einige Querverbindungen zwischen Systemtherapie und Kulturtheorie. In: Fischer, Hans Rudi/ Retzer, Amold/ Schweitzer, Jochen (Hg.): Das Ende der großen Entwürfe. Frankfürt a.M. S 147-155. Butzkamm, Wolfgang/ Butzkamm, Jürgen (1999): Wie Kinder sprechen lernen. Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen. Tübingen. Candelier, Michel/ Andrade, Ana-lsabel/ Bemaus, Merce/ Kervran, Martine/ Martins, Filomena/ Murkowska, Anna/ Noguerol, Arthur/ Oomen-Welke, Ingelore/ Perregaux, Christiane/ Saudan, Victor/ Zielinska, Janina (2003): Janua Linguarum - La porte des langues. L'introduction de l'eveil aux langues dans le curriculum. Graz: Centre europeen pour les langues vivantes/ European Center for Modem Languages. Deutsche Forschungsgemeinschaft (1999): Qualitätskriterien der Umfrageforschung. Denkschrift. Hrsg. v. Max Kaase. 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EDK - Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Bern. Spitzer, Manfred (1996): Geist im Netz. Modelle für Lernen, Denken und Handeln. Heidelberg. Zimmer, Dieter E. (1988): So kommt der Mensch zur Sprache. Über Spracherwerb, Sprachentstehung, Sprache und Denken. Zürich. <?page no="325"?> Helmut Daller Migration und bilinguale Sprachentwicklung: Türkische Rückkehrer aus Deutschland 1. Einleitung Seit Mitte der 60er-Jahre gibt es eine konstante Arbeitsmigration aus Ländern des Mittelmeerraumes nach Westeuropa (für die türkische Migration siehe u.a. Zentrum für Türkeistudien 1993). Dies hat zu einer Vielzahl von Untersuchungen zur sprachlichen Entwicklung dieser Gruppe geführt (für eine Übersicht vgl. Reich 1995 sowie Treffers-Daller/ Daller 1995). Daneben gibt es jedoch noch eine Re-Migration in die Herkunftsländer, die insbesondere durch die so genannten Rückkehrprämien Mitte der 80er-Jahre einen gewissen Höhepunkt erreichte. Dieser Rückkehrstrom hält immer noch an, wenn auch die Anzahl der Rückkehrer heute geringer ist. Vergleicht man die Schätzungen (Daller 1999) so kann jedoch auch heute noch davon ausgegangen werden, dass jährlich mehrere tausend Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter in die Türkei zurückkehren. 1 Im Vergleich zur Situation der Arbeitsmigranten in den Einwanderungsländem liegt nur eine geringe Anzahl von Arbeiten zur Migration der Rückkehrer und deren Sprachstand vor. In der Regel wird hierbei der bilinguale Sprachstand der Rückkehrer mit der jeweiligen monolingualen Norm verglichen. In der Literatur werden immer wieder grundsätzliche Bedenken gegen diesen Forschungsansatz erhoben. So unterstellen Edelsky et al. (1983) einen Mittelklasse-Bias, der in einer Defizithypothese mündet (vgl. hierzu auch die Erwiderung von Cummins und Swain 1983). Pritsche (1996) fragt nach einem möglichen ideologischen Bias gegenüber Mehrsprachigkeit schlechthin, der vielen Untersuchungen zugrunde liegen könne. Sehr deutlich wendet sich Grosjean gegen diese Art der Untersuchung bilingualer Sprachfähigkeiten mit dem folgenden Bild: The high hurdler blends two types of competencies, that of high jumping and that of sprinting. When compared individually with the sprinter or the high jumper, the hurdler meets neither level of competence, and yet when taken as 1 Nach den letzten mir zur Verfügung stehenden Daten waren bei der türkischen Wohnbevölkerung in Deutschland 1997 insgesamt 46.820 Fortzüge zu verzeichnen, darunter 9.648 Personen unter 18 Jahren (Zentrum für Türkeistudien 2001). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl dieser Personen in die Türkei übersiedelte. <?page no="326"?> 326 Helmut Daller a whole the hurdler is an athlete in his or her own right. No expert in track and field would ever compare a high hurdler to a sprinter or a high jumper, even though the former blends certain characteristics of the latter two (Grosjean 1992, S. 55). Überträgt man dieses Bild des Hürdenläufers als „athlete on his or her own right“ auf Untersuchungen zum Bilingualismus, muss ebenfalls von einer eigenständigen bilingualen Kompetenz ausgegangen werden. Das Anlegen der jeweiligen monolingualen Norm greift bei der Beschreibung dieser Kompetenz zu kurz. 2. Methodologie Die vorliegende Arbeit trägt den oben angeführten Einwänden in zweifacher Hinsicht Rechnung. Zum einen kommen die untersuchten Informanten selbst zu Wort, zum anderen sollen Vergleiche mit einer ebenfalls bilingualen Kontrollgruppe durchgeführt werden. Die erwähnte Problematik des Vergleichs der bilingualen Sprachkompetenz ausschließlich mit einer monolingualen Norm wird hierdurch vermieden. Die vorliegende Studie stützt sich im wesentlichen auf Daten, die in Interviews mit insgesamt 28 Rückkehrern gewonnen wurden. Die Informanten waren zum Zeitpunkt der Befragung (1993) alle im Studiengang Deutsch der Universität Bursa eingeschrieben. 2 Diese Universität wurde ausgewählt, weil sie eine mittlere Position zwischen den angeseheneren Universitäten in Istanbul und Ankara einerseits und den Provinzuniversitäten andererseits einnimmt. Bei der Auswahl der befragten Studenten musste auf die organisatorischen Bedingungen der Universität insbesondere auf den Stundenplan - Rücksicht genommen werden. Es kann somit nicht der Anspruch erhoben werden, dass die vorliegende Stichprobe eine Zufallsstichprobe darstellt. Die Interviews dauerten durchschnittlich ca. 15 Minuten. Sie wurden auf Tonband aufgenommen. Den Interviews lag ein Interviewleitfaden zu Grunde, doch wurde auch Raum für freie Äußerungen gegeben. Die Interviews wurden auf Deutsch in den Räumen der Universität durchgeführt. Die Berichte und Selbsteinschätzungen aus den Interviews werden durch eine Analyse von türkischen und deutschen Bildbeschreibungen ergänzt. Hierzu wurden die Informanten und eine Kontrollgruppe gebeten, zwei „Vater-und- Dieser Studiengang bereitet auf ein Lehramt im Fach Deutsch vor, das allerdings nur ein sehr geringer Teil der Studenten tatsächlich anstrebt. Für viele Studenten ist eine Arbeitsstelle in der Tourismusbranche oder bei deutschen Firmen ein wesentlich lohnenderes Ziel. <?page no="327"?> Migration und bilinguale SprachentM’icklung 327 Sohn-Geschichten“ (Plauen 1996) mündlich zu beschreiben. Bei der Kontrollgruppe handelt es sich um türkische Kollegiaten des Oberstudienkollegs Bielefeld. Diese Einrichtung fuhrt Jugendliche, die aufgrund ihres Schulabschlusses in der Regel nicht zu einem Universitätsstudium Zugang fänden, an ein solches Studium heran. Erwartungsgemäß finden sich viele Kinder von Arbeitsmigranten in Deutschland an diesem Kolleg. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die untersuchte Gruppe und die Kontrollgruppe einen vergleichbaren sozialen und schulisch-universitären Hintergrund haben. 3 Die Beschreibungen wurden auf Band aufgenommen und transkribiert. Die in den Bildbeschreibungen gebrauchten Wörter wurden dann in Grundwortschatz und Erweiterungswortschatz eingeteilt, wobei für die Definition des Grundwortschatzes im Deutschen die Einteilung von Oehler (1993) herangezogen wurde. Für das Türkische wurde zur Bestimmung des Grundwortschatzes auf das Urteil von sieben erfahrenen Lehrkräften des Türkischen als Fremdsprache zurückgegriffen. Auf dieser Basis wurde dann ein „Advanced Index of Guiraud“ entwickelt, der dadurch errechnet wird, dass die Anzahl der Wörter des Erweiterungswortschatzes (Types) durch die Quaratwurzel aus der Gesamtzahl der Wörter (Token) geteilt wird. Für eine ausführliche Beschreibung und Diskussion diese Maßes für den Wortschatzreichtum verweise ich auf Daher/ Van Hout/ Treffers-Daller (1998 und 2003). Dieser Index erweist sich als weit aussagekräftiger als andere zu Recht kritisierte traditionelle Verfahren, die auf dem Type-Token-Verhältnis basieren. Die hier vorgenommene Analyse und der wie oben dargelegt berechnete Index beziehen sich auf Wortschatzreichtum in Bezug auf die vorliegende Aufgabe, d.h. auf eine Beschreibung einer eher alltäglichen Geschichte. Aussagen über sprachliche Fähigkeiten in komplexeren Situationen sind hierdurch nur bedingt möglich. 3 Der soziale Hintergrund von beiden Gruppen (Bursanern und Bielefeldern) ist gleich: knapp 80% der Eltern sind ungelernte Arbeiter, der Rest sind Facharbeiter und einfache Angestellte. Für die Mehrzahl der Informanten in beiden Gruppen wäre die direkte Aufnahme eines Studiums aufgrund der schulischen Vorausbildung nicht möglich gewesen (den Bielefeldern gelang der Zugang zum Studium erst über das Kolleg, die Bursaner hatten in Deutschland mehrheitlich ebenfalls keine weiterführenden Schulen besucht). <?page no="328"?> 328 Helmut Duller 3. Ergebnisse 3.1 Migrationsverläufe der Informanten Das Alter bei Zuzug nach Deutschland variiert innerhalb der Stichprobe (n = 28) zwischen 0 und 4 Jahren. 4 Das durchschnittliche Alter bei Rückkehr beträgt 12,8 Jahre. Das Jahr der Rückkehr liegt in der vorliegenden Stichprobe zwischen 1982 und 1987. Die Rückkehr liegt durchschnittlich 8,3 Jahre zurück. Neben dieser typischen Migrationslaufbahn liegen jedoch eine Reihe von stark abweichenden Einzelbiografien vor. Als Beispiel soll hier der Fall von Orhan 5 angeführt werden. In Deutschland geboren und aufgewachsen besuchte er dort zunächst den Kindergarten und die beiden ersten Grundschulklassen. Dann kehrte er mit seinen Eltern in die Türkei zurück und ging auf eine türkische Schule. Nach zwei Jahren entschieden sich die Eltern, wieder nach Deutschland zurückzukehren, und Orhan besuchte drei Jahre lang eine deutsche Schule bis zur siebten Klasse. Nach der siebten Klasse kehrte er nun vorläufig endgültig in die Türkei zurück. Immerhin sechs der 28 befragten Rückkehrer, also ca. 20%, weisen eine vergleichbar wechselhafte Migrationslaufbahn auf. Typisch für viele Rückkehrerlaufbahnen scheint auch die Tatsache zu sein, dass viele Jugendliche zunächst ohne Eltern in die Türkei zurückgeschickt werden und bei Verwandten wohnen. Sechs (ca. 20%) der Befragten in der vorliegenden Untersuchung gaben an, dass sie zunächst ohne ihre Eltern in die Türkei kamen und bei Verwandten lebten. Ähnliche Zahlen werden auch von Schäfer (1995) berichtet. Als Fachleiter für Deutsch an der Kartal Anadolu-Schule in Istanbul führte er eine Befragung unter 104 Rückkehrer-Schülern durch, die alle 1995 aus dem deutschsprachigen Raum zurückkamen und an dieser Schule eingeschult wurden. 20% der befragten Schüler waren ohne Eltern zurückgekehrt (Schäfer 1995, S. 50). Dies ist ein Indiz dafür, dass ein wichtiges Rückkehrmotiv die rechtzeitige Eingliederung der Kinder in das türkische Schulsystem ist. Dies muss nicht zwangsläufig mit einem Scheitern auf der deutschen Schule in Verbindung gebracht werden, da unter den Rückkehrern der vorliegenden Studie auch Jugendliche sind, die nach eigenen Angaben in Deutschland erfolgreich das Gymnasium besuchten. 4 Eine einzige Informantin, die wegen ihres nur zweijährigen Aufenthaltes in Deutschland nicht als typische Rückkehrerin einzustufen ist, kam erst mit 10 Jahren nach Deutschland. 5 Alle Namen wurden von mir geändert. <?page no="329"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 329 Auffallend ist, dass das durchschnittliche Rückkehralter in allen mir bekannten Untersuchungen relativ konstant ist. Für die vorliegende Stichprobe liegt es bei 12,8 Jahren. Schmitz-Bewyl (1983) untersuchte den sprachlichen Werdegang von 50 Rückkehrer-Studenten. Das Durchschnittsalter bei der Rückkehr liegt in dieser Untersuchung bei knapp unter 14 Jahren. Bilen und Develi (1995, S. 44) geben ca. 15 Jahre 6 als durchschnittliches Rückkehralter der von ihnen untersuchten Gruppe (n = 48) von Germanistikstudenten der Universität Istanbul an. Die Untersuchungen von Daher (1999, S. 35ff.) ergeben für eine Gruppe von Rückkehrer-Studenten (n = 185) ein durchschnittliches Alter bei der Rückkehr von 13,6 Jahren und für eine Gruppe von Rückkehrer-Schülern (n = 68) ein fast gleiches Rückkehralter von durchschnittlich 13,9 Jahren. Das Rückkehralter scheint somit über die Jahre hinweg bei 13 bis 14 Jahren zu liegen. Die Vermutung liegt nahe, dass das Rückkehralter eine bewusste Entscheidung der Eltern reflektiert, ihre Kinder in einem Alter in der Türkei einzuschulen, in dem eine Integration in das dortige Schulsystem noch möglich erscheint. Typisch in diesem Zusammenhang ist die Aussage eines Rückkehrers: „Meine Eltern wollten nicht, dass wir mit meiner Schwester dort aufwachsen und die deutsche Kultur aufnehmen.“ (Murat, 21 Jahre, geboren in Deutschland, Rückkehr mit 12 Jahren, zum Zeitpunkt der Befragung seit 7 Jahren wieder in der Türkei.) Die Informanten der vorliegenden Untersuchung nennen eine Vielzahl von Rückkehrmotiven, wobei die Entscheidung entsprechend dem Alter der Informanten bei der Rückkehr in der Regel von den Eltern gefällt wurde. Neben Einzelgründen wie etwa der Arbeitslosigkeit des Vaters in Deutschland werden hierbei insgesamt häufig Gründe genannt, die mit der sozialen und schulischen Integration in der Türkei in Zusammenhang stehen. Auch in der Untersuchung (n = 146) von Stenzei und Homfeldt (1985, S. 31) war der meistgenannte Rückkehrgrund (56% der Nennungen) die Möglichkeit eines guten Schulabschlusses in der Türkei. Topraklar führte 18 Familieninterviews mit 74 Personen, die mehrheitlich 1984 wieder in die Türkei kamen, durch. Hierbei wurden „Probleme der Kinder“ als häufigster Grund der Rückkehr genannt (Topraklar 1986, S. 20). Schäfer (1995) stellte in seiner Untersuchung ebenfalls die Frage nach den Rückkehrmotiven. 6 Es liegen nur von 16 Rückkehrern Bildbeschreibungen vor, da nicht alle Informanten aus organisatorischen Gründen (z.B. Stundenplan an der Uni) zum Zeitpunkt der Testdurchführung anwesend waren. <?page no="330"?> 330 Helmut Daher Als Motive für die Rückkehr werden ... Arbeitslosigkeit, Pensionierung oder andere wirtschaftliche Gründe, bessere schulische Chancen in der Türkei, der Wunsch der Eltern oder eigener Wunsch und Heimatliebe angeführt (Schäfer 1995, S. 51). Ausländerfeindlichkeit in Deutschland spielt nach der Untersuchung von Schäfer kaum eine Rolle. Dies steht im Gegensatz zur Untersuchung von Abali/ Widman (1990), bei der Ausländerfeindlichkeit als zweitwichtigster Rückkehrgrund genannt wurde. In der vorliegenden Untersuchung nannten nur zwei Informanten Ausländerfeindlichkeit als Grund für die Rückkehr. Insgesamt lässt sich festhalten, dass neben einer Vielzahl von Motiven vor allem die schulische Eingliederung der Kinder und ein damit verbundener eventueller schulischer Aufstieg ein wichtiger Grund für die Rückkehr ist. Dies wird aus den Angaben der Informanten selbst, aber auch indirekt aus dem recht konstanten Rückkehralter deutlich. Die Entscheidung zur Rückkehr ist jedoch in vielen Fällen nicht auf ein Scheitern in Deutschland, sondern auf einen vermeintlichen sozialen Aufstieg und bessere Chancen in der Türkei zurückzufuhren. Was die Rückkehr in die „Heimat“ betrifft, hatten die meisten Informanten kein klares Bild von den Lebensumständen in der Türkei. Typisch dürfte folgende Äußerung sein: „wir kamen immer in die Türkei, in der Ferienzeit, es war alles toll, super, Verwandten (sic) und so, sie gingen ins Meer, alles mögliche, aber hier leben, das ist was anderes, das hatten wir nicht begriffen, und wir kamen her, wir wollten zurück.“ (Zeynep, mit 4 Jahren nach Deutschland, Rückkehr mit 15, seit 10 Jahren wieder in der Türkei) 7 Die Äußerung „wir kamen her, wir wollten zurück“ muss wohl so interpretiert werden, dass die Informantin direkt nach der Übersiedlung in die Türkei sofort wieder nach Deutschland zurück wollte. Was die Rückkehrwünsche nach Deutschland angeht, so scheinen sich zum Zeitpunkt der Untersuchung, d.h. durchschnittlich 8,3 Jahre nach der Rückkehr, die meisten der Befragten mit der Rückkehr abgefunden zu haben. Ein Informant gab an, dass nach seiner Einschätzung 95% der Rückkehrer sofort wieder nach Deutschland gingen, wenn dies möglich wäre. Ich bezweifle, dass die Angabe tatsächlich in dieser Höhe der Wirklichkeit entspricht. Quantitative 7 Die Kommata geben hier und in den folgenden Zitaten den Verlauf der Rede (kurze Sprechpausen) wieder. <?page no="331"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 331 Angaben sind hier nur schwer möglich, doch würde ein nicht unerheblicher Teil eine Rückkehr nach Deutschland zumindest erwägen, wenn dies möglich wäre. 8 Hinsichtlich der Sprachwahl ergibt sich für die Zeit vor der Rückkehr ein differenziertes Bild. Wenn auch die meisten Informanten angeben, mit den Eltern in Deutschland vornehmlich Türkisch gesprochen zu haben, gibt es eine Reihe von Ausnahmen. Immerhin sechs (ca. 20%) der Befragten gaben an, dass sie in Deutschland mit ihren Eltern mehr Deutsch oder sogar ausschließlich Deutsch gesprochen haben. Beide Sprachen wurden in der Regel für die Kommunikation mit Geschwistern und Freunden benutzt. Für die Situation nach der Rückkehr ergibt sich erwartungsgemäß ein umgekehrtes Bild. Außer an der Universität wird in allen Kommunikationssituationen nur noch Türkisch gesprochen. Auch diejenigen, die angaben, in Deutschland mit ihren Geschwistern ausschließlich Deutsch gesprochen zu haben, sind jetzt in der Kommunikation mit den Geschwistern zu Türkisch übergewechselt. Deutsch wird nur noch im Sommer mit Touristen gesprochen, und wenn Besucher aus Deutschland kommen. An der Universität selbst ist Türkisch ebenfalls die wichtigste Sprache unter den Rückkehrern, wobei hier offensichtlich häufig Deutsch und Türkisch gemischt werden. Fast alle Befragten geben an, dass sie regelmäßig beide Sprachen mischen. Hierfür wird meist der Ausdruck „mix“ gebraucht. Gemeint ist hierbei offensichtlich Code-Switching, also der abwechselnde Gebrauch von zwei (oder mehr) Sprachen in einem Gespräch. Die Informanten der vorliegenden Untersuchung geben an, dass sie diese Art der Kommunikation vor allem „untereinander“ führen. Dieses Phänomen wird durch eine Einzelfalluntersuchung von Treffers-Daller/ Yalpin (1995) bestätigt. Es wurden hierbei freie Gespräche eines Rückkehrers in verschiedenen deutsch-türkischen bilingualen Kommunikationssituationen aufgezeichnet. Die Untersuchung ergab, dass der Sprecher Code-Switching besonders häufig benutzte, wenn der Gesprächspartner ebenfalls Rückkehrer war. Ein Beispiel für Code-Switching unter Rückkehrern aus dieser Untersuchung (TreHers-Da 11cr/ Yal9in 1995, S. 278) ist: Ondan sonra, baloya gittigimizde, sind wir telefonieren gegangen Nachher, als wir zum Tanzen gegangen sind, ... Sehr eindrucksvoll wird dieses Spannungsverhältnis von Fremde und Heimat dargestellt in Tuk (1998). <?page no="332"?> 332 Helmut Daller Die Informanten der vorliegenden Untersuchung sind sich dieser Art der Sprachmischung erstaunlich genau bewusst. Eine typische Äußerung in den vorliegenden Interviews stammt von der Informantin Hülya, die über die Kommunikation mit ihrer besten Freundin, Aysel, spricht: 9 „Wenn ich zum Beispiel mit Aysel rede, unter uns, machmal sprech ich Deutsch, auf einmal Türkisch, und dann wieder Deutsch, also zusammen, gemischt einfach, es geht bei uns so gemischt halt irgendwie.“ Es liegt nahe, Code-Switching hier als sprachlichen Ausdruck einer besonderen bilingualen Identität zu interpretieren, doch sind weitergehende, quantitative Angaben nicht möglich. 3.2 Sprachfähigkeiten im Deutschen und Türkischen 3.2.1 Selbsteinschätzung der Sprachfähigkeiten Auf die Rückkehr in die Türkei scheinen viele der Befragten sprachlich nur schlecht vorbereitet gewesen zu sein. Die Mehrheit (17 Personen) der Befragten gab an, dass sie besser Deutsch konnten und dass das Türkische teilweise nur sehr ungenügend beherrscht wurde. Acht Personen gaben an, dass sie nicht sagen können, welche Sprache sie besser beherrschten, und nur drei der Befragten konnten nach eigener Einschätzung bei der Rückkehr besser Türkisch. Zwei dieser drei Befragten hatten Türkischunterricht auf der deutschen Schule. Ein weiterer Informant hatte speziell als Vorbereitung auf die Rückkehr ein halbes Jahr Türkischunterricht erhalten. Alle anderen erfuhren in Deutschland keinerlei schulische Unterstützung beim Erwerb des Türkischen. An dieser Stelle soll nochmals betont werden, dass es sich hier um Selbsteinschätzungen handelt, die nicht unbedingt den tatsächlichen Sprachstand exakt wiedergeben müssen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Mehrheit der Befragten nach eigenem Empfinden bei der Rückkehr das Türkische nur mangelhaft beherrschte. Über besondere Schwierigkeiten auf der Schule in der Türkei wird vor allem bezüglich Fächern wie Geschichte berichtet. Hier ist offensichtlich die verwendete Lexik 10 weit von der der 9 Beide sind in Deutschland geboren. Hülya kam 1987 mit 16 Jahren, Aysel 1985 mit 13 Jahren in die Türkei. Hülya war zum Zeitpunkt des Interviews 22 und Aysel 21 Jahre alt. 10 Zwei Informanten gaben an, dass die Geschichtsbücher in „Alttürkisch“ geschrieben seien. Sie wollten damit offensichtlich eine Diskrepanz zwischen der Sprache der Schüler und der Sprache der Lehrwerke ausdrücken. Die grundlegenden Änderungen, die die türkische Sprache durch die staatliche Sprachreform erfuhr, werden ausführlich beschrieben in: Lewis (1999). <?page no="333"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 333 Schüler entfernt (vgl. auch Schäfer 1995, S. 49). ln einer Umfrage unter 104 Rückkehrer-Schülern (Schäfer 1995) gaben 80% der Befragten an, dass sie sprachliche Probleme mit den auf Türkisch erteilten Fächern hatten. Diese Befragung wurde im ersten Schuljahr nach der Rückkehr der befragten Schüler durchgeführt. In der vorliegenden Befragung äußerten sich insgesamt zwölf Informanten recht konkret über den Zeitraum, der nötig ist, um einen Sprachstand im Türkischen zu erreichen, der dem ihrer türkischen Altersgenossen entspricht. Die Angaben für diesen Zeitraum liegen durchschnittlich bei zweieinhalb Jahren. Pritsche (1996, S. 16) nennt einen Zeitraum von 6 Monaten bis zwei Jahren für die sprachliche Reintegration der von ihm befragten Rückkehrer. Untersuchungen unter Migranten in Nordamerika (Cummins 1981, S. 148, Skutnabb-Kangas 1984, S. 113, Collier 1989, S. 529) kommen zu dem Ergebnis, dass ein Zeitraum von ca. zwei Jahren notwendig ist, um zumindest alltagssprachliche Fähigkeiten in der neuen Zielsprache zu erwerben. Es ist auffallend, dass in diesen recht unterschiedlichen Migrationssituationen vergleichbare Angaben über die Zeitspanne, die zur sprachlichen Integration notwendig ist, gemacht werden. Möglicherweise spielen hier Konstanten des Spracherwerbs in einer Migrationssituation eine Rolle. Dieser Zeitraum von zwei Jahren bezieht sich auf alltagssprachliche Fähigkeiten. Für die Entwicklung von altersadäquaten schulisch-akademischen Fähigkeiten wird in den angeführten nordamerikanischen Studien eine wesentlich längere Zeitspanne genannt. Möglicherweise spielt dies eine Rolle, wenn einige der Befragten angeben, dass sie auch heute noch unzufrieden mit ihren türkischen Sprachkenntnissen sind. Sieben der 28 Befragten geben an, dass sie auch noch mehr als acht Jahre nach der Rückkehr das Gefühl haben, Türkisch nicht richtig zu beherrschen. Bei dieser Selbsteinschätzung mag auch die in der Türkei übliche sehr starke Betonung der Sprachnorm (vgl. Pritsche 1996) eine Rolle spielen." In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass alle Befragten trotz der geäußerten Bedenken hinsichtlich der eigenen Sprachkompetenz ihre Mehrsprachigkeit grundsätzlich als positiv beurteilen. Dies hängt sicher auch mit den größeren Chancen auf dem türkischen Arbeitsmarkt zusammen, wo Fremdsprachenkenntnisse (zum Beispiel in der Tourismusbranche) vorteilhaft sind. ii Ein weit verbreitetes Phänomen unter Bilingualen allgemein sind Zweifel an der eigenen Sprachkompetenz (vgl. Grosjean 1992, S. 235, 268). <?page no="334"?> 334 Helmut Datier Für die Türkischkenntnisse sei auf eine Untersuchung von Treffers-Daller/ Özsoy/ Van Hout (i.Dr.) verwiesen, die beim Vergleich mit einer monolingualen türkischen Kontrollgruppe nachweisen, dass die untersuchten Rückkehrer auch noch durchschnittlich 8 Jahre nach ihrer Rückkehr einfachere syntaktische Strukturen verwenden und komplexere Strukturen vermeiden. Eine weitere neuere Untersuchung (Treffers-Daller/ Van Hout 1999) weist für den Bereich des peripheren Wortschatzes nach, dass die untersuchten Rückkehrer hinter der monolingualen türkischen Kontrollgruppe zurückliegen. Vor dem Hintergrund der erwähnten Untersuchungen zur Entwicklung sprachlicher Kompetenz in der Migrationssituation scheint es aufgrund der Angaben der Befragten folgerichtig anzunehmen, dass es sich bei der Re- Migration nicht um die sprachlich problemlose Rückkehr ins Land der Erstsprache handelt, sondern dass die Rückkehrer mit der Re-Migration vor eine sprachliche Aufgabe gestellt werden, die mit der von anderen Migranten vergleichbar ist. Die Migrationslaufbahn der Rückkehrer zeichnet sich somit auch von den sprachlichen Problemen tatsächlich durch eine zweifache Migration aus: Eine Migration nach Deutschland und eine Migration in die Türkei. 3.2.2 Messungen zum Wortschatzreichtum Inwieweit die oben erwähnten Selbsteinschätzungen die tatsächlichen Sprachfähigkeiten reflektieren ist nicht mit letzter Sicherheit anzugeben. Als Ergänzung wurde deshalb ein Sprachtest zur Höhe der Sprachfähigkeiten durchgeführt. Dieser Test basiert auf deutschen und türkischen Bildbeschreibungen der Informanten, die hinsichtlich des verwendeten Wortschatzes analysiert wurden. Als Kennwert für den Wortschatzreichtum in der jeweiligen Sprache wird der „Advanced Index of Guiraud“ errechnet (siehe unten). Die Ergebnisse für die deutschen Bildbeschreibungen sind in Tabelle 1 wiedergegeben: <?page no="335"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 335 Tabelle 1: Index für den Wortschatzreichtum im Deutschen (Advanced Index of Guiraud) Der Index für den Wortschatzreichtum im Deutschen ist bei den Bursanem deutlich niedriger als bei den Bielefeldern. Der Unterschied zwischen diesen Gruppen ist statistisch signifikant (p = .005, f-Test zweiseitig). 13 Die Ergebnisse für die türkischen Bildbeschreibungen sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Tabelle 2: Index für den Wortschatzreichtum im Türkischen (Advanced Index of Guiraud) Für den Wortschatzreichtum im Türkischen ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Hier erzielen erwartungsgemäß die Bursaner einen höheren Index. Auch hier ist der Unterschied zwischen den Gruppen statistisch signifikant (p = .008, / -Test zweiseitig). Die obige Analyse der Bildbeschreibungen zeigt, dass beide bilingualen Gruppen über eine starke und eine schwächere Sprache verfügen. Für die Bielefelder ist Deutsch die stärkere Sprache, für die Bursaner ist es Türkisch. Dieses Ergebnis stimmt mit den Erwartungen aus der Migrationslaufbahn überein. Auffallend ist, dass der Abstand zwischen den beiden Gruppen für das Deutsche größer ist als für das Türkische. Die Bielefelder Gruppe erzielt für das Deutsche einen um 48% höheren Index, während die Bursaner in ihrer stärkeren Sprache, dem Türkischen, nur um 23% über den Bielefeldern liegen. 12 Es liegen nur von 16 Rückkehrern Bildbeschreibungen vor, da nicht alle Informanten aus organisatorischen Gründen (z.B. Stundenplan an der Uni) zum Zeitpunkt der Testdurchführung anwesend waren. 13 Aufgrund der hochsignifikanten Werte in der vorliegenden Untersuchung sind hier wiederholte / -Tests methodologisch unproblematisch. <?page no="336"?> 336 Helmut Duller Um diesen Unterschied näher zu untersuchen muss zunächst auf eine Besonderheit der verwendeten Indizes eingegangen werden. Diese basieren auf einem Vergleich von verwendetem Grund- und Erweiterungswortschatz im Deutschen und Türkischen. Diese Sprachen haben eine unterschiedliche Sprachstruktur. Viele Wörter, die im Deutschen zum Grundwortschatz gezählt werden, wie etwa die meisten Funktionswörter, sind im türkischen Affixe und tauchen somit in der Zählung für das Türkische gar nicht als eigenständige Types auf. Aufgrund dieser Unterschiede haben die deutschen Bildbeschreibungen mehr Types, die zum Grundwortschatz gerechnet werden, und dies führt damit automatisch zu einem niedrigeren Index. Dies muss bei einem Vergleich zwischen beiden Sprachen berücksichtigt werden. Um den Abstand zwischen der Höhe der Sprachfähigkeiten in beiden Sprachen genauer zu untersuchen, wurde die Differenz zwischen den Werten für den Wortschatzreichtum im Deutschen und Türkischen errechnet (Guiraud advanced Deutsch - Guiraud advanced Türkisch). Aus den erwähnten methodologischen Gründen bei der Berechnung der Indizes muss davon ausgegangen werden, dass es sich bei dieser Differenz nicht mehr um eine Intervall-Skala handelt. Es wurde daher bei der folgenden Berechnung aus Vorsichtsgründen auf einen nichtparametrischen Test, den Mann-Whitney U-Test zurückgegriffen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 wiedergegeben. Gruppe Mean Rank Bielefeld 25 26.72 Bursa 16 12.06 Mann-Whitney U-Test, p = .0001 (zweiseitig) Tabelle 3: Differenz Wortschatzreichtum im Deutschen und Türkischen (Guiraud advanced Deutsch - Guiraud advanced Türkisch) Die Bielefelder Informanten haben einen signifikant höheren Rang auf der durch das Testverfahren gegebenen Ordinalskala. Dies bedeutet, dass die Differenz zwischen dem deutschen und dem türkischen Index höher ist. Die Bielefelder Gruppe zeigt einen statistisch signifikant größeren Abstand zwischen den Sprachfähigkeiten im Deutschen und Türkischen als die Bursaner Gruppe. <?page no="337"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 337 3.3 Zusammenfassung Beide Gruppen haben eine unterschiedliche Form der bilingualen Sprachkompetenz. Die Gruppe in Deutschland hat entsprechend ihrer spezifischen Migrationslaufbahn im Vergleich zu den Rückkehrern einen deutlich höheren Wortschatzreichtum im Deutschen. Das Türkische liegt entsprechend zurück. Die Gruppe der Rückkehrer zeigt das umgekehrte Bild, wobei der Abstand zwischen den beiden Sprachen geringer ist als bei den Bielefeldern, d.h., die Bielefelder haben eine sehr starke Sprache (Deutsch) und eine schwächere (Türkisch). Die Messergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Rückkehrer keine derart ausgeprägte Dominanz einer der beiden Sprachen haben. Die Kompetenzen im Deutschen und Türkischen liegen näher beieinander. Es liegt nahe, diese gemessenen Ergebnisse als Bestätigung der in vielen Interviews geäußerten Unzufriedenheit der Rückkehrer mit ihrer Kompetenz in beiden Sprachen zu interpretieren. Es scheint hier notwendig, auf den Begriff der doppelten Halbsprachigkeit oder Semilingualismus, kurz einzugehen. Wie Pritsche (1996) zu Recht feststellt, ist dieser Begriff sowie verwandte Konzepte ideologisch bedenklich. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf die teilweise recht polemisch geführte Diskussion zum theoretischen Modell von Jim Cummins verwiesen (Edelsky et al. 1983, Cummins/ Swain 1983). Der Begriff „doppelte Halbsprachigkeit“ wird heute wegen der heftigen Kritik, die er auslöste, auch von Cummins nicht mehr verwendet. Von einer wie auch immer gearteten „Halb“-sprachigkeit kann bei den Rückkehrern nicht die Rede sein, weil diese, wie dies z.B. an den Informanten der vorliegenden Untersuchung deutlich wird, eine erfolgreiche Universitätslaufbahn in der Türkei einschlagen konnten. 14 Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass es verschiedene Formen bilingualer Kompetenz gibt. Hier unterscheiden sich die deutsch-türkischen Bilingualen in Deutschland und die Rückkehrer signifikant. Die Kompetenzen in beiden Sprachen liegen bei den Rückkehrern näher beieinander. Die Rückkehrer haben im Deutschen einen deutlich niedrigeren Wortschatzreichtum. Für das Türkische liegen für den Bereich der peripheren Lexik und komplexerer syntaktischer Strukturen 14 Da die Mehrzahl der Rückkehrer in Deutschland Schulformen besucht hatte, die in der Regel keinen Zugang zum Studium ermöglichen (Haupt- und Realschule, siehe Daher 1999, S. 33) wird von vielen die Tatsache, dass in der Türkei ein Studium begonnen werden konnte, als sozialer Aufstieg gewertet. <?page no="338"?> 338 Helmut Duller Forschungsergebnisse vor, die auf eine geringere Sprachkompetenz der Rückkehrer im Vergleich mit monolingualen Kontrollgruppen hindeuten. Diese Messergebnisse entsprechen der Selbsteinschätzung der Informanten. 4. Sprachverlust Für die Rückkehrer als Gruppe liegen nur wenige Untersuchungen vor, die sich mit einem möglichen Sprachverlust (language attrition) des Deutschen nach der Rückkehr beschäftigen. Besonders hervorgehoben werden muss die Untersuchung von Kuhberg (1992), der eine Longitudinalstudie mit zwei türkischen Mädchen durchfiihrte und diese Ergebnisse mit dem Spracherwerb des Deutschen durch einen türkischen Jungen vergleicht. Die Mädchen waren in Deutschland aufgewachsen und hatten Deutsch dort erworben. Nach der Rückkehr hatten sie außer bei den in regelmäßigen Abständen durchgefuhrten Interviews keinerlei Kontakt mehr mit dem Deutschen. Nach 15-20 Monaten war der Verlust des Deutschen so weit fortgeschritten, dass „free conversation in German has become virtually impossible“ (Kuhberg 1992, S. 150). Wie Schöpper-Grabe (1998) betont, lassen sich aus Mangel an empirischen Studien nur wenige gesicherte Aussagen über allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Sprachverlusts machen. Dies mag auch daran liegen, dass in diesem Forschungsbereich in der Regel sehr viele Variablen aus den verschiedenen Migrationslaufbahnen der Informanten berücksichtigt werden müssen und von daher allgemeingültige Aussagen erschwert werden. Es lassen sich jedoch gewisse Tendenzen feststellen. So scheint der Verlust von Fremd-ZZweitsprache bei jüngeren Kindern schneller zu erfolgen als bei älteren (vgl. Olshtain 1989). Auch scheint es gewisse sprachliche Bereiche zu geben, die zuerst betroffen sind und andere, die länger erhalten bleiben. 15 Cohen (1974) weist für den Fremdsprachverlust auf die Sprechflüssigkeit hin, die bei Nichtgebrauch einer Fremdsprache recht schnell zurückgeht und offensichtlich mit Schwierigkeiten bei der Wortfindung zusammenhängt. Für Rückkehrer, die auf der Schule oder Universität weiterhin mit dem Deutschen in Kontakt blieben, liegen Befunde vor, die auf eine besondere Form des Sprachverlusts hindeuten (Daher 1999, Daller/ Grotjahn 1999). Während bei dieser Gruppe schulisch-akademische Sprachfahigkeiten erhalten und eventuell ausgebaut werden, liegt ein Rückgang bei den alltagssprachlichen Fähigkeiten 15 Für eine Diskussion der sogenannten Spiegeltheorie, nach der zuletzt erworbene sprachliche Elemente zuerst verloren gehen, verweise ich auf Schöpper-Grabe (1998) und Daher (1999). <?page no="339"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 339 vor. Da Sprachverlust und Spracherwerb gleichzeitig stattfinden, liegt eine Verlagerung der Kompetenz von einer Zweitsprachenkompetenz hin zu einer eher schulisch-universitären Fremdsprachenkompetenz vor. Es ist zu vermuten, dass bei der vorliegenden Stichprobe ähnliche Prozesse eine Rolle spielen. In der vorliegenden Untersuchung wurden die Informanten zu ihrer Einschätzung eines möglichen Sprachverlusts befragt, wobei eine möglichst offene Fraugetechnik verwendet wurde. Dies hat den Vorteil, dass unvorhersehbare Informationen elizitiert werden können. Es muss jedoch beachtet werden, dass Selbsteinschätzungen von der tatsächlichen Sprachkompetenz abweichen können. Flier ist die Untersuchung von Weltens et al. (1989) zu nennen. Weltens et al. untersuchen den Fremdsprachverlust des Französischen bei niederländischen Studenten, die diese Fremdsprache längere Zeit nicht mehr benutzten. Sie stellen fest, dass eine starke Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Sprachverlust und der Selbsteinschätzung der Studenten hinsichtlich dieses Sprachverlusts vorliegt. „Contrary to the test results, the self-assessments suggested a lot of attrition“ (Weltens et al. 1989, S. 213). Hier muss angemerkt werden, dass sich die verwendeten Sprachtests auf Fähigkeiten wie die Lese- und Schreibfähigkeiten beziehen, während bei der Selbsteinschätzung auch die Fähigkeit zur mündlichen Kommunikation am Telefon einbezogen wurde. Weltens et al. (1989, S. 215) legen dann auch nahe, dass die Informanten bei ihrer Selbsteinschätzung an tatsächliche Kommunikationssituationen dachten und dass hierdurch der Unterschied zwischen Selbsteinschätzung und gemessenem Sprachverlust erklärt werden kann. Diese Interpretationsschwierigkeiten der Testergebnisse machen deutlich, dass bei einer empirischen Studie durch die Wahl des Testverfahrens der untersuchte sprachliche Bereich definiert und dadurch eingeschränkt wird. Interviews mit offenen Fragestellungen unterliegen dieser Einschränkung nicht. Von den Informanten gaben 23 Personen an, dass sie seit der Rückkehr Deutsch vergessen hätten. Die Formulierung vieler Antworten auf die Frage nach dem Verlust des Deutschen („na klar“ oder auch „natürlich“) macht deutlich, dass es für viele der Befragten eine Selbstverständlichkeit ist, dass das Deutsche trotz Kontakt in der Schule und an der Universität verloren geht. Nur zwei Informanten konnten sich zum Sprachverlust nicht festlegen und nur drei Informanten gaben an, dass ihr Deutsch besser geworden sei, wobei einer dieser drei Informanten eine Ausnahme darstellt, da diese Person als einzige aus der Gruppe eine (teure) Privatschule mit Deutschun- <?page no="340"?> 340 Helmut Daller terricht besucht hat. 16 Aufschlussreich ist die Begründung eines der beiden anderen Informanten, warum bei ihm statt Sprachverlust ein Zuwachs an Sprachkompetenz vorliegt: „ ... als wir in Deutschland waren, da verwendete ich vielleicht nie Plusquamperfekt oder Futur II ... jetzt können wir es ... hier im Grammatikunterricht haben wir das gelernt... vielleicht hatten wir es verwendet (in Deutschland, Anmerkung von mir), aber wir wussten es nicht ...“ (Cemal, in Deutschland geboren, Rückkehr mit 12, zum Zeitpunkt der Befragung wieder seit 11 Jahren in der Türkei). Offensichtlich setzt diese Person explizite Grammatikkenntnisse mit einem Zuwachs an sprachlicher Kompetenz gleich. Es ist fraglich, ob diese Äußemng als Beleg dafür dienen kann, dass bei der betreffenden Person tatsächlich kein Sprachverlust vorliegt. Die Mehrheit der Befragten ist sich wie erwähnt sehr genau bewusst, dass sie Teile ihrer ehemaligen Kompetenz im Deutschen verloren hat. Die Antworten auf die Frage, was genau verloren wurde, sind in Tabelle 4 aufgelistet. Teilgebiet Anzahl Nennungen Wortschatz 11 Flüssigkeit im Sprechen, Wortfmdungsprobleme Grammatik Aussprache Schreiben Wortbildung Umgangssprache Tabelle 4: Teilgebiete des Sprachverlustes (Mehrfachnennungen möglich) Die überwiegende Zahl der Antworten sieht Sprachverlust vor allem in der mündlichen Sprachkompetenz. Mängel im Wortschatz und Wortfmdungsprobleme sind den Informanten offensichtlich deutlich bewußt. Hier ist anzumerken, dass der Bereich der Lexik der Bereich ist, in dem Mängel in der Sprach- 16 Das türkische Schulsystem gliedert sich im wesentlichen in drei Schulformen: Staatliche Schulen, Staatliche Anadolu-Schulen mit bilingualem Schulprogramm und Privatschulen. Das Schulgeld für Privatschulen kann durchaus dem Gehalt eines Beamten entsprechen. <?page no="341"?> Migration und bilinguale Sprachentwicklung 341 kompetenz sehr schnell auffallen, da hier Missverständnisse in der Kommunikation besonders wahrscheinlich sind. Die Befunde decken sich mit den aufgeführten Untersuchungsergebnissen (siehe Daher 1995, 1999 und Daher/ Grotjahn 1999). Offensichtlich liegt Sprachverlust vor allem im Bereich der Ahtagssprache vor, während die Sprachkompetenz im schulisch-akademischen Bereich weniger betroffen ist. Viele Informanten sind sich der Gründe hierfür bewusst. Der Kontakt mit monolingualen Muttersprachlern ist auf einige Unterrichtsstunden und gelegentliche Ferienjobs in den Sommerferien im Tourismus reduziert. 5. Fazit Die sprachliche Entwicklung der Rückkehrer ist durch eine zweifache Migration bestimmt. Mit der Rückkehr in die Türkei ändert sich die bilinguale Situation der Gruppe grundsätzlich. Während in Deutschland beide Sprachen im Alltag verwendet wurden, setzt mit der Rückkehr ein Bruch in der Entwicklung des Deutschen ein. Dieser Bruch ist durch einen einsetzenden Sprachverlust gekennzeichnet, der von den Betroffenen selbst insbesondere im Bereich des Wortschatzes und der Sprechflüssigkeit empfunden wird. Die meisten der Befragten geben an, dass sie zum Zeitpunkt der Rückkehr besser Deutsch als Türkisch konnten und dass sie Schwierigkeiten mit dem Türkischen auf der türkischen Schule hatten. Ein Grund hierfür ist sicher, dass zumindest bei der vorliegenden Stichprobe die Erstsprache in Deutschland schulisch so gut wie nicht gefördert wurde. Zum Zeitpunkt der Befragung, d.h. mehr als acht Jahre nach der Rückkehr, wird von allen Befragten angegeben, dass Türkisch jetzt die Sprache mit der höheren Kompetenz ist. Eine Analyse der mündlichen Sprachkompetenz und ein Vergleich mit einer Gruppe von türkisch-deutschen Bilingualen in Deutschland unterstützt diese Selbsteinschätzung. Beide Gruppen haben eine „starke“ und eine „schwache“ Sprache. Für die Gruppe in Deutschland ist Deutsch die „starke“ Sprache, während es für die Rückkehrer Türkisch ist. Dennoch liegt keine rein spiegelbildliche Verteilung der Kompetenz in beiden Sprachen vor. Eine eingehendere Analyse der Daten führt zu dem Ergebnis, dass der Abstand zwischen „starker“ und „schwacher“ Sprache bei den Rückkehrern weit geringer ist als bei der Kontrollgruppe aus Deutschland. Insbesondere die Kompetenz im Deutschen liegt hier weit zurück. Für das Türkische wird auf derzeit laufende Forschungsprojekte verwiesen, die ebenfalls einen Rückstand gegenüber monolingualen Sprechern belegen, der aber eher periphere Bereiche betrifft und zumindest die Alltagskommunikation mehr <?page no="342"?> 342 Helmut Daller als 8 Jahre nach der Rückkehr nicht mehr beeinflusst. Die Selbsteinschätzung hinsichtlich der eigenen Sprachkompetenz deckt sich mit den Messergebnissen. Die besondere Zusammensetzung der bilingualen Kompetenz wird von den Betroffenen selbst gesehen und teilweise als nachteilig empfunden. Dennoch wird die eigene Mehrsprachigkeit von allen Befragten grundsätzlich positiv eingeschätzt. Literatur Abali, Ünal/ Widmann, Horst (1990). Zur Reintegration türkischer Migrantenkinder, ln: Steinig, Wolfgang (Hg.): Zwischen den Stühlen - Schüler in ihrer fremden Heimat. München. S. 17-37. 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Einleitung Warum sollte ein bilinguales Individuum von einem Moment zum nächsten die Sprache wechseln, wie beispielsweise geschehen in dem Zitat, mit dem wir unseren Beitrag überschrieben haben? Eine naheliegende, in Unkenntnis der Herkunft des Zitats sicherlich verzeihliche Hypothese wäre, dass dieser Mensch möglicherweise in Folge seiner Mehrsprachigkeit verwirrt ist oder sich überhaupt nicht in nur einer Sprache zu helfen weiß und somit eigentlich auch nicht wirklich als bilingual gelten kann. Dies jedenfalls wäre wohl die Antwort derjenigen, die sich an Weinreichs Languages in Contact (1953, S. 73) orientieren, wo zu lesen ist: „The ideal bilingual switches from one language to the other according to appropriate changes in the speech situation (interlocutor, topic, etc.), but not in an unchanged speech situation, and certainly not within a single sentence.“ ln den fünfzig Jahren, die seither vergangen sind, haben wir gelernt, dass Bilinguale nicht verwirrter sind als andere und dass Sprachmischungen nicht dazu dienen müssen, ein Defizit zu kaschieren, d.h., der Wechsel vom Englischen ins Deutsche in unserem einleitenden Zitat geschieht mit Sicherheit „ohne Not“. Was dieser Wechsel leistet, lässt sich unter Berufung auf elementare semiotische Funktionen als indexikalisch bzw. sogar als ikonisch bezeichnen, da er die doppelte Identität des Sprechers zu erkennen gibt. Aber das ist nicht alles. Der Sprachwechsel in unserem Beispiel verrät auch etwas über die Einschätzung der sprachlichen Kompetenz des Gegenübers. Zudem legt er die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Kontext der Äußerung wohl um ein informelles Gespräch handelte. Der Sprachwechsel selbst wird mithin zum Zeichen, das in viele simultane Funktionszusammenhänge eingebunden sein kann. Obwohl Bühlers Orga- 1 Diese Studie wurde im Rahmen unseres DFG-Projekts Sprachkontakt Deutsch-Englisch: Code-switching, Crossover & Co., Teil der Forschergruppe Sprachvariation und kommunikative Praxis: Formale und funktionale Parameter, durchgefuhrt. Für Transkription, Gegenhören, Unterstützung bei der Durchführung von Suchläufen danken wir Alexandra Münch, Doris Stolberg, Diana Gierling und Alexia Kallia. <?page no="346"?> 346 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy nonmodell (1934 (1965, S. 24f.)) bereits vor vielen Jahren verdeutlichte, dass ein Zeichen nicht nur Symbol-, sondern zugleich Symptom- und Signalfunktionen erfüllt, tut sich die Forschung immer noch schwer damit, angemessene Modelle für dieses multiple Potenzial und die sich dem individuellen Sprecher dadurch eröffnenden Ressourcen zu entwickeln. Wir haben mittlerweile eine Vorstellung von der Vielfalt der Aufgaben, die der Sprachwechsel in der Kommunikation bilingualer Gemeinschaften übernehmen kann (vgl. Blom/ Gumperz 1972, Fishman 1965, Gumperz 1976, Myers-Scotton 1993, die Aufsätze in Heller 1988, Jacobson 1990, in Milroy/ Muysken 1995 und in Auer 1998a). Aber wir wissen immer noch reichlich wenig darüber, wie das formale Repertoire aussieht, das sich Einzelne dabei zu Nutze machen können, und ob es dabei individuelle Präferenzen gibt. Das heißt, die Bereitschaft, die eigene bi-kulturelle Identität kund zu tun, ist eine Sache, die Form, in der dies geschehen kann, eine andere. Gibt es, um bei unserem Beispiel zu bleiben, plausible Gründe für / tell you, das war'n Zeiten! anstatt Ich sag euch, those were times! ! Könnten wir nicht auch 1 sage euch, ich tell you etc. erwarten? Ist alles erlaubt oder gibt es Universalien der Sprachmischung, die der Kreativität und dem spielerischen Umgang bilingualer Individuen mit ihren Sprachen Grenzen auferlegen? Hierzu wurden in den letzten dreißig Jahren Vorstellungen entwickelt, die der Überprüfung anhand detaillierter Fallstudien bedürfen (vgl. Pfaff 1979, Poplack 1980, Gumperz 1982, Woolford 1983, Di Sciullo et al. 1986, Myers-Scotton 1993, Muysken 1995). Ziel unserer Ausführungen ist es, anhand der zweisprachigen kommunikativen Praxis einer Deutsch-Amerikanerin der ersten Auswanderergeneration zu untersuchen, wie sich Kooperation und Konkurrenz zweier Sprachen konkret gestalten können, welcher funktionale und formale Aktionsradius dabei ausgeschöpft wird und welche Rolle Kontraste und Ähnlichkeiten zwischen den beteiligten Systemen dabei spielen. Obgleich Sprachwechsel nicht sein muss und daher auch nicht vorhersagbar ist, werden wir zeigen, dass es durchaus möglich ist, systematische Züge eines Sprecherprofils zu identifizieren, bis hin zu dem Punkt, an dem Vorhersagbarkeit deshalb wieder möglich ist, weil bereits ein individueller Prozess des Sprachwandels im Gange ist. Der Erläuterung begrifflicher Grundlagen in Kap. 2. folgen in Kap. 3. allgemeine Angaben zum Hintergrund unserer Studie, illustrative Textbeispiele <?page no="347"?> „Well, 1 tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 347 und eine kurze Erörterung charakteristischer Probleme im Umgang mit deutsch-englischen Mischdaten, ln Kap. 4. diskutieren wir die Ergebnisse verschiedener Teiluntersuchungen: u.a. zu lexikalischer Entlehnung, zum Verhältnis von Sprachwahl und Redebeitrag sowie inter- und intrasententialem Sprachwechsel. In Kap. 5. und 6. erörtern wir diverse Hypothesen über formale und funktionale Voraussetzungen, die das sprachliche Verhalten unserer Informantin in besonderer Weise beeinflussen. Kap. 7. enthält Fazit und abschließende Überlegungen. 2. Terminologie und konzeptuelle Grundlagen Wir verwenden Sprachmischung hier als neutralen Oberbegriff, wohlwissend, dass sich darunter ein Kontinuum formal, funktional und in ihrer Dichte differenzierbarer Kontaktphänomene verbirgt. Da sich die Grenzen zwischen diesen Mischtypen in einer der Semantik und Pragmatik längst vertrauten Weise als unscharf („fuzzy“) erweisen, ist es sinnvoll, sie sich, wie beispielsweise auch von Auer (1998b, S. 1-5) vorgeschlagen, als Prototypen vorzustellen, die sich zwar durch jeweils besonders charakteristische funktionale und formale Eigenschaften voneinander unterscheiden, aber auch Schnittmengen aufweisen (vgl. zur Differenzierbarkeit auch die Diskussion in Muysken 1995, Gardner-Chloros 1995, Tracy 1995). Auers Prototypen reichen vom funktional motivierten Code-switching („interpreted as locally meaningful event by participants“, S. 1) über Language Mixing (hier stellt sich angesichts der Dichte der Mischung die Frage nach der pragmatischen Motivation der einzelnen Kontaktpunkte nicht) bis hin zur Fusion, bei der sich aus der Perspektive des individuellen Kenntnissystems die Frage einer synchronen on-line Interaktion schon deswegen nicht mehr stellt, weil bereits ein Wandel zu einem neuen hybriden System stattgefunden hat. Im Folgenden sprechen wir auch von „Sprachwechsel“ als Oberbegriff für verschiedene Phänomene, ungeachtet dessen, ob es dabei um alternierende Beiträge zweier Sprachen oder um den Einschub von Fragmenten einer Sprache in eine andere Matrixsprache geht, ln Bezug auf zwei Mischphänomene, die uns im Folgenden auch beschäftigen werden, erweist sich der Begriff des Sprachwechsels jedoch als fundamental inadäquat. Dabei handelt es sich zum einen um Kontaminationen, wie wir sie auch aus der Versprecherforschung kennen (z.B. Kisserei < kiss + Küsserei), d.h. Fälle, in denen es nicht nur zur Koaktivierung, sondern auch zur Koproduktion in Form von Überblendungen kommt (vgl. Lattey 1979, Tracy 2001). Zum anderen geht <?page no="348"?> 348 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy es um einen Mischtyp, der bisher in der Forschung allenfalls eine marginale Rolle gespielt hat, der sich aber als Spitze eines Eisbergs erweisen könnte. Wir bezeichnen dieses Phänomen als Crossover? bei dem trotz lexikalischer Realisierung in einer Sprache die Syntax den grammatischen Vorgaben der anderen Sprache folgt (traditionell Lehnübersetzung oder Calquing genannt; vgl. auch Stolberg 1999 und i.Vorb.). Crossover-Phänomene unterstreichen, wie problematisch die Vorstellung eines alle Ebenen der Strukturierung simultan umfassenden Sprachwechsels ist, denn das Ergebnis ist Koexistenz, nicht Alternation, vgl. (1), wo ein englischer Ausdruck, What's new with you? , mit ausschließlich deutschem Vokabular realisiert wurde. (1) Und was ist neu mit euch? [T7: 118] 3 Mit diesen konzeptuellen und methodischen Problemen werden wir uns im Folgenden immer wieder auseinandersetzen. 3. Die Fallstudie 3.1 Projekthintergrund und Aufnahmebedingungen Die Daten, die unserer Untersuchung zu Grunde liegen, sind Teil eines umfangreichen Forschungsprojekts zum Sprachkontakt Deutsch-Englisch. Im Rahmen dieses Projekts werden zur Zeit vierzehn Deutsch-Amerikaner, die vor vierzig bis sechzig Jahren in die USA ausgewandert sind, in unterschiedlichen kommunikativen Situationen aufgenommen. Für die folgenden Analysen stützen wir uns auf drei mit einer Informantin (wir nennen sie im Folgenden Toni, in den Beispielen abgekürzt zu T) geführte Gespräche, die im Herbst 1999 und Frühjahr 2000 in ihrem Haus in Florida bzw. während eines Telefongesprächs aufgenommen wurden. 4 Diese drei Datensets (Korpus T2, T5 und T7) sind Teile eines Gesamtkorpus, in In Anspielung an Phänomene in der Musik, wo von Crossover gesprochen wird, wenn ein Werk eines Genres in einem anderen wieder aufgenommen wird, z.B. sogenannte E-Musik (ernste Musik) als U-Musik (Unterhaltungsmusik). Unser Konzept ist nicht zu verwechseln mit Crossing, von dem in diesem Band auch die Rede ist. 3 Bezeichnungen in eckigen Klammem nach den Beispielen weisen auf Korpus und Zeilennummer hin. 4 Die Aufnahmen wurden mit einem SONY Diktiergerät (Pilotaufnahme 1999) und mit einem SONY TC-D5M (2000) mit Sennheiser Kugelmikrofon K3U/ MKE40 gemacht. Der Analyse liegen bereinigte Transkripte zugrunde. Die Aufnahmen wurden von vier Personen, damnter den beiden Verfasserinnen, gegengehört. <?page no="349"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 349 dem Toni in Einzelgesprächen, in Gesprächen mit beiden Autorinnen, sowie in größeren Runden mit ihren deutsch-amerikanischen Freunden aufgenommen wurde. Dies bezieht sich auf die bisher erfolgten Gespräche. Geplant sind des Weiteren Aufnahmen mit einsprachigen amerikanischen und deutschen Gesprächspartnern. Die drei Teilkorpora T2, T5 und T7 basieren auf Gesprächen mit beiden Autorinnen (folgend EL und RT): bei T2 und T5 saß man gemeinsam am Tisch; T7 besteht aus zwei aufeinander folgenden Einzelgesprächen im Rahmen eines Telefonanrufs. Für ein Verständnis der Aufnahmebedingungen ist von Bedeutung, dass sich die beiden Autorinnen im Vorfeld darauf verständigt hatten, sich mit Toni möglichst konsistent auf deutsch zu unterhalten. Inwieweit dies tatsächlich durchgehalten wurde, werden wir an späterer Stelle ausfiühren. Wichtig ist, dass Toni EL von deren Geburt in New York an als Tochter ihrer Cousine kennt, während sie RT erst einen Tag vor der ersten Aufnahme kennenlemte. RT wurde ihr als in Deutschland aufgewachsene und dort lebende Freundin und Kollegin von EL vorgestellt, die aufgrund eigener familiärer und professioneller Kontakte regelmäßig in die USA fährt und auch Englisch beherrscht. Am zweiten Tag des Besuchs erzählten EL und RT Toni von ihrem Projekt, das sich mit Migrationserfahrungen deutscher Auswanderer in den USA beschäftigt, und baten sie um ihre Mitarbeit und ihr Einverständnis, gemeinsame Gespräche aufzeichnen zu dürfen. Nach Tonis Zustimmung wurde das Aufnahmegerät eingeschaltet. 3.2 Unsere Informantin: Persönlicher Hintergrund und soziolinguistisches Netz Die Sprecherin, deren sprachliches Profd wir hier nachzeichnen, wurde 1917 in Bayern geboren und wanderte 1936 im Alter von 19 Jahren mit Vater, Mutter und jüngerer Schwester in die Vereinigten Staaten aus. Unmittelbares Motiv für die Auswanderung war die drohende Verhaftung des Vaters, der durch seine Kritik an den Nationalsozialisten aufgefallen war. Toni hatte in Deutschland nach dem Besuch der Hauptschule eine Friseurlehre abgeschlossen und fand kurz nach ihrer Ankunft in New York in diesem Beruf Arbeit. Die vierköpfige Familie wohnte zunächst mehrere Monate lang bei Familienmitgliedern, die ein Jahr vorher ausgewandert waren. Toni heiratete zweimal. Beide Männer stammten aus Norddeutschland, beide starben nach etwa 20 Ehejahren. Aus der ersten Ehe hat Toni eine Tochter, die als Kind auch deutsch sprach, heute nur noch einiges versteht und die einen Amerika- <?page no="350"?> 350 Elsa Latley / Rosemarie Tracy ner irischer Abstammung ohne Deutschkenntnisse heiratete. Die Kommunikation mit der Familie ihrer Tochter, mit ihren Enkeln und Urenkeln erfolgt auf Englisch. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung (1999 und 2000) ist Toni 81 bzw. 82 Jahre alt. Seit dem Tod ihres zweiten Mannes lebt sie allein in ihrem Haus in Florida, pflegt aber regen Kontakt mit ihrer Familie, amerikanischen Nachbarn sowie amerikanischen und deutsch-amerikanischen Freunden. Ihre ebenfalls in Florida lebende Schwester sieht sie monatlich. Mit einigen in Deutschland lebenden Familienmitgliedern (u.a. EL) unterhält sie schriftlich und telefonisch Kontakt. Sie hat Deutschland seit ihrer Auswanderung mehrmals besucht, zum ersten Mal nach 11 Jahren. Das polykulturelle Selbstverständnis von Tonis deutsch-amerikanischem Freundeskreis zeigt sich im intensiven Gebrauch beider Sprachen, in Gesprächen über die gemeinsame Herkunft und die zum Teil ähnlichen Lebenswege bis hin zur vollständigen Integration in die neue Gesellschaft. Für keinen von ihnen kommt eine Reimmigration nach Deutschland in Frage. Man trifft sich regelmäßig zum Kartenspielen, nimmt die kulturellen Angebote eines deutschen Clubs vor Ort wahr und bezieht neben englischen auch deutschsprachige, in den USA publizierte Zeitschriften. 5 Vor ihrer Ankunft in Amerika hatte Toni nur in der 8. Klasse etwas Englisch gelernt, aber, in eigenen Worten, „not the English that they spoke, äh, in Amerika“. 6 Sie konnte einfache englische Fragen stellen (z.B. nach der U- Bahnstation), aber bei ihrer ersten Arbeitsstelle, einem Friseursalon in New York, in dem mit der Kundschaft vor allem deutsch gesprochen wurde, sagte man ihr, man könne ihr nicht mehr bezahlen, weil sie nicht genug Englisch beherrsche. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen, mehr als sechzig Jahre nach ihrer Auswanderung, verfügt Toni über ein hervorragendes, idiomatisches Englisch, das sie mit leichten deutschen und ausgeprägten Merkmalen eines Brooklyn accent spricht. Ihr Deutsch ist vom Bairischen geprägt. Sie ist eine kompetente Sprecherin beider Sprachen, eine ausgesprochen kommunikati- Tonis engste Freunde, die später als sie, nämlich in den 50er oder 70er Jahren in die USA ausgewandert sind, sowie ihre Schwester, stehen im Mittelpunkt anderer Fallstudien unseres Projekts. 6 ln den Beispielen werden englische Anteile kursiv wiedergegeben, deutsche recte; Abbrüche werden durch „ angezeigt; Namen von Familienmitgliedern wurden anonymisiert; gefüllte Pausen werden als „ -äh(m) notiert, eine sprachliche Zuordnung ist (trotz deutscher Schreibung) nicht intendiert. <?page no="351"?> " Well, I tell you, das war'n Zeiten! “ ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 351 ve, selbstbewusste und humorvolle Frau, die gern und gut erzählt. Ihre positive Lebenseinstellung kommt in dem folgenden Fazit über ihre fast 65 Jahre in den USA prägnant zum Ausdruck: (2) it wasn't easy but irgendwie -ähda hat sich's rentiert. Net? You have a nice family, youyou live okay and and that's all that matters, you know? [T2: 374] An dieser positiven Einstellung konnten auch zeitweise negative Reaktionen ihrer amerikanischen Umgebung auf die Verwendung der deutschen Sprache (vgl. (25)) und kritische Einstellungen gegenüber den Deutschen nichts ändern. 3.3 Tonis Sprachmischungen: ausgewählte Beispiele Einen ersten Eindruck von der Dichte und Art der Kooperation und Arbeitsteilung beider Sprachen in den drei Korpora vermitteln die folgenden Episoden. 7 Alle entstammen Situationen, in denen die beiden Gesprächspartnerinnen konsistent (RT) bzw. vorranging (EL) deutsch sprechen. Dabei lassen sich vier Grundmuster der Interaktion erkennen. (3) Sprachwechsel zwischen Redebeiträgen T: Ah, we only have a twenty percent chance [of rain, vorangehendes Thema] on Tuesday, so- EL: Aha, aha. T: Ja. EL: Gu: t. T: Sonst geht's dir gut? EL: Ja, ja, kann mich net beklagen. T: Wunderbar. EL: Ja. T: Lisa was all right too, she had little John again. [T7: 18] (Lisa = ihre Tochter, John = ihr Urenkel) 7 Zum besseren Verständnis längerer englischer Passagen und einiger bairischer Textstellen wurden die Auszüge mit Übersetzungen versehen. In den Texten findet sich nicht nur ein deutsch-englischer Sprachkontakt, sondern wir haben es zudem mit einem Dialektkontinuum innerhalb des Deutschen zu tun. Obwohl der Varietätenwechsel Hochdeutsch- Bairisch in dieser Arbeit nicht weiter thematisiert wird, lässt sich anhand der Verschriftung ein Eindruck von der Dichte des innerdeutschen Varietätenwechsels erkennen. <?page no="352"?> 352 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy Hier wechselt Toni die Sprache zwischen einzelnen Turns. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Redebeiträge ihrer Gesprächspartner die Sprachwahl Tonis beinflussen, in dieser konkreten Episode beispielsweise die von uns als neutral bzw. ambig betrachteten Diskurspartikel ja, aha oder das deutsche gut von EL. Des Weiteren ließe sich vermuten, dass Toni die Sprache in tandem mit der Einführung eines neuen Themas wechselt (vgl. Alfonzetti 1998). In (3) finden wir eine thematische Bewegung vom Wetter (und dem Bericht über die von Toni auf Englisch vernommene Wettervorhersage) zu einer persönlichen Frage nach ELs Befinden bis hin zur Information über Familienmitglieder, mit denen sie ausschließlich auf Englisch kommuniziert. Aber wie stichhaltig ist diese Interpretation? Dieser Frage gehen wir in Kap. 6. nach. (4) Wechsel innerhalb einzelner Redebeiträge Ja! Und mir hat das amol jemand erzählt in die Poconos that er war aufm Schiff heimkommen von Frankreich oder wa-wo, und na ham s' aa Poker gspuit, und when he arrived in New York he he says I didn't even own my shirt that I had on my back, so, I mean, das is ja schrecklich, wewenn wenn wenn they take them over like that, well- [T2: 107] [Ja! Und mir hat das einmal jemand erzählt in den Poconos, dass er auf einem Schiff heimgekommen war von Frankreich oder [irgend]wo[her], und dann haben sie auch Poker gespielt, und als er in New York ankam, sagt[e] er, gehörte mir nicht einmal das Hemd, das ich anhatte, also, ich meine, das ist ja schrecklich, wenn sie sie so ausnehmen, TAG-] In dieser Passage finden wir subtilere Interaktionen: einen Wechsel ins Englische, der mit Poconos einherzugehen scheint und der nach that zu Ende geht, und Alternation sowohl vor als auch nach satzeinleitenden Komplementierem {when und wenn). Berücksichtigt man die für deutsche Nebensätze abweichende Wortstellung im ersten Komplementsatz, so zeichnet sich mehr englischer Einfluss ab, als die Lexikalisierung alleine vermuten lässt. Zusätzlich könnte man die Iteration von wenn als Anzeichen für Planungsprobleme deuten. Diesen Phänomenen gehen wir im Rahmen unserer Diskussion von Triggerelementen und Grauzonen (Kap. 5.) nach. <?page no="353"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 353 (5) Überwiegend deutscher Redebeitrag meiner Großmutter ihre Schwester, die hat Tina ghoaßn [geheißen], die is neunzehnhundertelf oder zwölf nach Buenos Aires ausgewandert, weil ihr Mann war scho dortnund, ah, sie hot scho [hat schon], I don't know, neun or zehn Kinder scho ghabt, und wenn wenn sie ihre Wohnung aufgebn hat, hat s' [hat sie] bei meiner Großmutter gschlafe, und die hat bloß zwoa Schlafzimmer gehabt, mit en Haufen Kinder, die ham alle am Bodn schlafen müssen und alles, bis eaner [ihr] Schiff gegangen is' von Hamburg, you know, und dann woit s't [wollte sie] mei Mama mitnehme, hat s' gsagt, die nehm i mit, zu meiner Großmutter, sagt mei Großmutter, du hast do' schon zehne, du brauchst sie net, you know, irgend so, aber sie hat gsagt, sie hätts' [hätte sie] so gern mitgnomme, die glaab i ham sechs Wochen gebraucht bis nach Südamerika mi'n Schiff, you know, die ham net die Schiffe ghabt, mir san in fünfehalb Dag rüwwerkomme [herübergekommen], mit der Europa, ne, awwer [aber] dann wie s' [wie sie] in in Buenos Aires war, hat s' [hat sie] no'mal Kinder kriegt, im ganzen ham s' [haben sie] dreizehn Kinder ghabt! Und stell dir mal vor, was da Nachkommen jetzt sind, mei mei ... [T2: 235] Während hier auf den ersten Blick nur Tags (you know) und koordinierendes or (dritte Zeile) dem Englischen entnommen wurden, stellt sich bei genauerer Betrachtung mindestens noch der Verdacht auf den Einfluss des englischen when (vierte Zeile, wenn anstatt dt. als oder bair. wie) ein. Der Eindruck, dass auch in vorwiegend deutschen Redebeiträgen englische Diskurspartikel eine wichtige Rolle spielen, wird sich später bestätigen (vgl. Kap. 6.). (6) Überwiegend englischer Redebeitrag and then, some of those people sent me gifts when Lisa was born, because meine Kollegen ham's gesagt that I had a little girl, then, years ago, there was Best and Company, was a very good store on Fifth Avenue, they sent beautiful stuff, I evenlittle shoes you know, I still have them. I had them bronzed. Lisa's toe went through in front, her big (...) and, ah, they're beautiful, and I thought that was awfully nice of those people to send you a gift after you're gone almost a year, you know, and äh, yeah, that was nice. Nice people, some of them. Not because they sent you something but the idea that they would. [T2: 465] [und dann schickten mir manche jener Leute Geschenke, als Lisa geboren wurde weil meine Kollegen (es) gesagt haben, dass ich ein kleines Mädchen bekommen habe, damals, vor Jahren, gab es Best und Company, war ein sehr gutes Geschäft auf der Fünften Avenue, die schickten wunderschöne Sa- <?page no="354"?> 354 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy eben, ich habe sogarkleine Schuhe, weißt du, ich habe sie noch. Ich habe sie mit Bronze überziehen lassen. Lisas Zeh ging vorne durch, ihr großer (...) und ah, sie sind wunderschön, und ich fand es außerordentlich nett von den Leuten, ein Geschenk zu schicken, nachdem man schon fast ein Jahr weg ist, weißt du, und äh, ja, das war nett. Nette Leute, manche von denen. Nicht weil sie einem was geschickt haben, aber (dass sie) die Idee (hatten), das zu tun.] Diese Passage ist weitgehend frei von lexikalischen Einflüssen des Deutschen und zeigt eindrücklich, wie sehr Toni im Englischen zu Hause ist. Angesichts der Toleranz des Deutschen gegenüber weil mit Verbzweitstellung (r/ e««-Lesart) muss man für die Wortstellung des durch because eingeleiteten und auf Deutsch weitergeführten Satzes nicht das Englische verantwortlich machen. Während diese vier Beispiele einen ersten Eindruck vom Spektrum der Mischphänomene in Tonis Daten vermitteln, werden wir nach der folgenden Identifikation typischer Analyseprobleme einige der bereits angesprochenen Aspekte näher beleuchten. 3.4 Analyseprobleme Die für die deutsch-englische Kontaktsituation charakteristischen analytischen und deskriptiven Herausforderungen sind gut bekannt (vgl. Clyne 1967, Salmons 1990, Tracy 2001; zu vergleichbaren Problemen bei englischschwedischen Daten vgl. Klintborg 1996). Allein die Zuordnung lexikalischer Elemente zum Wortschatz der einen oder anderen Sprache wird durch die Menge von Cognates (semantisch, phonologisch und eventuell orthografisch ähnliche Wörter gemeinsamer Herkunft) zweier Sprachen und das Ausmaß von Homophonie oder Fast-Homophonie erschwert. Beispiele in unseren Daten sind unter anderem in, bair. mei vs. engl, my, vorlfürlfor, an! am! on, und! and. Clyne (1967) prägte für diesen Problembereich den Begriff der homophonous diamorphs. Als neutral bzw. ambig haben wir auch, wie bei unserer Diskussion von Beispiel (3) bereits erwähnt, Diskurspartikel wie aha, okay und ja betrachtet, zumal letztes oft nur schwer von kurzem yeah zu unterscheiden wäre. Hinzu kommt die Bildung neutralisierter Kompromissformen oder Überblendungen, wie in Tonis Daten die Form [den], die wir im folgenden in phonetischer Schreibung wiedergeben, entstanden aus dann/ then, aber auch Mwce-Formen, wie das bereits erwähnte Beispiel Kisserei-, vergleichbare Beispiele finden sich in den deutsch-englischen und niederländisch-englischen Daten Clynes (1967). <?page no="355"?> „Well, 1 tell you, das war'n Zeiten! “ -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 355 In parallelen Satzstrukturen, wie im Falle einfacher Hauptsätze mit Kopulaformen, insbesondere die der 3. Person Singular (dt. «(t)/ engl. is), entstehen streckenweise über einzelne Elemente hinausgehende „Grauzonen“ (auch ein Begriff von Clyne 1987, S. 755), die ambig bleiben, z.B. Is (') Lisa okay? Im Prinzip sind alle SVO-Abfolgen mit einfachen Verben und ohne diagnostische Hilfestellung von Adverbien oder Negationselementen strukturell eine potentielle Grauzone (vgl. She likes books.! Sie mag Bücher.), da sie strukturell beiden Sprachsystemen angehören können. Offensichtliche sprachliche Verortungsprobleme entstehen bei Personen- und Ortsnamen. Während wir im Normalfall nicht erwarten, dass ein Sprecher aus Eric Nightingale einen Erich Nachtigall macht (s.u.), wenn der Name im Rahmen einer deutschen Äußerung fällt, so sieht dies bei Ortsnamen schon anders aus, zumal manche Sprachpaare Äquivalente bereitstellen (z.B. München vs. Munich). Dies bedeutet freilich nicht, dass sich einzelne Sprecher dieser Option auch bedienen. Toni beispielsweise spricht sowohl im englischen als auch im deutschen Kontext nur von München, aber variiert bei Rom! Rome, Paris, Norwegen! Norway und anderen Ortsnamen. Gemeinsam mit homonymen Präpositionen bilden Ortsnamen oftmals Konstituenten, die beiden Sprachen angehören könnten, wie beispielsweise im Fall der Präpositionalphrase [in Tampa]* Daher haben wir Personen- und Ortsnamen bei Quantifizierungen (vgl. Kap. 4.) nicht mitgerechnet. Des Weiteren wird jeder Versuch einer Quantifikation der Anteile beider Sprachen durch Grossover-Phänomene erschwert. Nicht in jeder Äußerung, die oberflächlich aus deutschem Wortgut besteht, steckt ein Satz des Deutschen, vgl. das unter (1) bereits erwähnte Beispiel „Und was ist neu mit euch? “ [T7: l 18], bei dem das englische „What's new with youT" Pate stand. Hier stellt sich zusätzlich die Frage, ob ein komplettes idiomatisches Syntagma neu lexikalisiert oder ob lediglich die Präposition bei einer möglichen deutschen Vorlage „Was ist neu bei euch? ''' ersetzt wurde. 9 8 In wurde nach Kontexten gezählt, als deutsch in ausschließlich deutscher Umgebung (z.B. in der Schule), als englisch in ausschließlich englischer Nachbarschaft (we spent the night in Norway). Nach gleicher Argumentation entschieden wir die Zuordnung des Homophons vor vs. for. Wie sehr man dabei das Ausmaß der Interferenz unterschätzen kann, zeigen wir anhand schriftlicher Daten in Lattey/ Tracy (2001). 9 Wir entschieden uns für die erste Möglichkeit, da eine idiomatische deutsche Entsprechung wohl eher „Was gibt's denn Neues bei euch? ''' oder „Gibt's was Neues bei euch? " lauten würde. <?page no="356"?> 356 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy Die für die Kontaktsituation Deutsch-Englisch besonders typischen Ambiguitäten sind nicht nur deshalb von Interesse, weil sie die Identifikation und Quantifikation der Beiträge beider Sprachen erschweren und punktuell (im Falle homophoner Diamorphe) unmöglich machen. Sie verdienen vor allem auch deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil potentielle Trigger und nicht zu verortende, neutrale Brückenelemente einem Sprachwechsel in größerem Stil Tür und Tor öffnen könnten. 4. Zum quantitativen Verhältnis beider Sprachen 10 4.1 Lexikalische Entlehnung Die Option, mithilfe von Sprache A eine lexikalische Lücke im System von Sprache B zu schließen, ist aus theoretischer Sicht wahrscheinlich ein trivialer Grund für die Sprachmischung, wenngleich von sprachhistorischem Interesse. Dabei kann es sich um das Ausgleichen eines prinzipiellen Fehlens von lexikalischen Äquivalenten handeln (der Fall amerikanischerjelly beans in unserem Korpus) oder um das Schließen einer individuellen Wissenslücke (momentan oder bedingt durch unvollständigen Erwerb). Aus psycholinguistischer Perspektive stellt sich die Frage, wie ein Individuum selbst beim Sprechen eine solche Lücke diagnostiziert, eine entsprechende Suche startet und nach erfolgreicher Suche morphologische Akkommodationen an den Kontext vomimmt (wie die Kasus- und Genusmarkierung in (7) unten). Besonders bemerkenswert ist die Entlehnung ohne Bedarf, z.B. dann, wenn im individuellen Wortschatz der Sprecher ein Äquivalent (oder auch mehrere) aus der gerade gesprochenen Sprache vorhanden ist, in bestimmten Situationskontexten aber nur das Lexem mit besonders hohem Äußerungspotenzial („utterance potential“, vgl. Lattey 1979 und s.u.) aus der anderen Sprache zum Zuge kommt. (7) Hauptsächlich wenn mir jetzt dann den Highway habm, der direkt zum Flughafen hingeht [T2: 658] Hier ersetzt Highway die in Tonis Wortschatz vorhandene Bezeichnung Autobahn in einem amerikanischen Situationskontext, in dem gerade deutsch gesprochen wird, ähnlich wie große Pause die auch vorhandene Bezeichnung recess bei amerikanischen Kindern im deutschen Schulkontext ersetzt, auch wenn sie gerade englisch sprechen. Nur anhand umfangreicher Korpora 10 Sofern nicht anders vermerkt, beziehen sich quantitative Angaben auf Tonis Äußerungen. <?page no="357"?> „Weil, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 357 lässt sich überprüfen, inwieweit ein Ausdruck einer Sprache A bereits in das Lexikon von Sprache B der jeweiligen Sprecher Eingang gefunden hat und dabei ein potenzielles Äquivalent völlig verdrängt. Laut Clyne (1967) besteht möglicherweise ein relevantes Motiv für die Entlehnung im Bemühen um die Reduktion von Verarbeitungskapazität, so, wenn ein komplexes deutsches Partikelverb, das im Hauptsatz ohne Modal- oder Hilfsverb Distanzstellung verlangt, durch ein einfaches englisches Lexem ersetzt wird (z.B. prefer anstelle von ziehe ... vor). Neue psycholinguistische Forschung legt überdies die Vermutung nahe, dass insbesondere solche Lexeme problemlos für einander eintreten, die durch eine gemeinsame konzeptuelle Repräsentation und enge phonologische Nachbarschaft verbunden sind, nämlich Cognates, die einander in Assoziationstests und Übersetzungsaufgaben nachweislich schneller evozieren als phonologisch unverwandte Übersetzungsäquivalente (zu diesen Effekten und zur Rolle, die Konkretheitseffekte spielen, vgl. van Hell 1998, van Hell/ de Groot sowie diverse Arbeiten in Schreuder/ Weltens 1993). Wie wir sehen werden, erweisen sich in Tonis Daten vor allem (Fast-)Homonyme und Cognates als besonders interessante Grenzgänger. Die folgende Übersicht zeigt die Gesamtwortzahl (ohne Eigennamen, z.B. Orts-, Personen-, Institutionsnamen) der drei Teilkorpora und die Aufteilung auf die beteiligten Sprachen, sofern möglich. Die letzte Spalte fasst die Häufigkeiten für ambige bzw. neutrale Formen zusammen (z.B. in, okay sowie lexikalische Kontaminationen, z.B. [den], und Personenbzw. Ortsnamen). Korpus Gesprächstyp N Partner Wortzahl total Dt. % Engl. % ambig/ neutral Namen etc. % T2 Face-to-face 5.460 64 30 T5 Face-to-face 1.130 69 31 <1 T7 T7a T7b Telefonat davon Anteil mit EL Anteil mit RT 574 442 132 63 56 87 32 39 7 Tabelle 1: Überblick über die lexikalische Zusammensetzung von Tonis Äußerungen in den Teilkorpora (Dt. = Deutsch; Engl. = Englisch) <?page no="358"?> 358 Elsa Lattey / Rosemarie Tracv Während der Gesamtanteil englischer und deutscher Lexeme in den drei Korpora in etwa vergleichbar ist, sagt diese Übersicht natürlich nichts darüber aus, wie sich diese Anteile auf Episoden der in (3) bis (6) geschilderten Art verteilen, wenngleich die Aufteilung von T7 bereits Tonis differenziertes Verhalten gegenüber ihren Gesprächspartnerinnen erkennen lässt. Da die Grundlage für die Quantifizierung nur overte Lexikalisierungen der einen oder anderen Sprache sind, verrät die Tabelle auch nichts darüber, welche Crossover-Phänomene mit im Spiel sind. Unter den Kontaktphänomenen, die sich in den Daten Tonis nachweisen lassen, macht die Entlehnung einzelner lexikalischer Elemente einen geringen Anteil aus. Allerdings verhalten sich englische und deutsche Kontexte hier unterschiedlich. In dem größten hier untersuchten Teilkorpus, T2, findet sich in überwiegend englischen Kontexten nicht mehr als ein halbes Dutzend isolierter deutscher Lexeme, darunter zweimal und, einmal ein Artikel sowie ein einziges Verb {kommen). Die Frage, ob es Toni womöglich an entsprechenden Äquivalenten fehlen könnte, stellt sich daher überhaupt nicht. Erweitert man die Suche auf zwei zusammenhängende deutsche Worte in englischen Kontexten, so fällt das Ergebnis kaum weniger belanglos aus, vgl. die einzigen Fälle (8) und (9): 11 (8) they had a Kindermädchen und then they took me tto Paris [T2: 142] (9) so we landed at midnight in in Norin Oslo in the airport, beautiful airport, und diese ground hostess invited us for, äh, supper [T2: 54] Entschieden anders sieht es aus, wenn man umgekehrt deutsche Kontexte mit einzelnen englischen Einschüben betrachtet. Dabei handelt es sich in T2 um etwa dreißig Nomen, ein Adjektiv {American) und ein Partizip. 12 Für die meisten Nomen gäbe es im Prinzip deutsche Äquivalente, d.h., sie füllen also keine eigentlichen Lücken des Kemvokabulars, aber sie sind dennoch vorwiegend an Tonis amerikanische Erfahrungskontexte gebunden, mit entsprechend hohem Äußerungspotenzial (u.a. highway, office, beauty parlor). ' 1 Dabei lassen wir hier die Kombination und [den] unberücksichtigt, da [den] eine Kompromissform darstellt. Zu beachten ist ferner, dass (9) auch problematisch ist, da es sich bei der Realisierung von diese um ein Crossover-Ptänomm zu handeln scheint. Eine idiomatische deutsche Entsprechung wäre eher „und eine Frau vom Bodenpersonal“. Im englischen informellen kolloquialen Erzählstil hingegen wäre this in „and this ground hostess invited usw. ...“ normal. Vgl. „und da hat er dann studiert, da hat er sich educated, glaab i [glaub' ich].“ [T2: 199]. 12 <?page no="359"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 359 Manche treten mehrfach auf {sailors, office) und belegen damit ihren Status als etablierte Entlehnungen. Insgesamt handelt es sich nur in wenigen Fällen um Cognates, (z.B. and/ und, or/ oder, for/ für, catalogue! Katalog, restaurant! Restaurant). Im hier untersuchten Korpus beträgt die Anzahl solcher Cognates höchstens ein Viertel der einzelnen Entlehnungen, wovon and/ und gemeinsam die Hälfte ausmachen. Die für die Linguistik wichtige etymologische Dimension (gemeinsame Herkunft) ist aus der Perspektive des einzelnen Sprechers hier nicht relevant. Vergleichbares finden wir auch in T5. Die meisten einzelnen englischen Lexeme in deutschen Sätzen sind Nomen mit überwiegender, im strikten Sinne überflüssiger Entlehnung des Kemvokabulars {car, truck, television, candy, cookies). Es finden sich nur wenige kulturelle Entlehnungen, z.B. french toast („armer Ritter“) und jelly beans (gelierte, eierformige Bonbons), bei denen man tatsächlich vom Füllen einer lexikalischen Lücke sprechen kann. Auch aus der konsistenten Genusmarkierung der Artikel kann man schließen, dass manche dieser Lexeme mittlerweile feste Bestandteile von Tonis deutschem Lexikon sind. Unter dem Einfluss des Englischen zeichnen sich in Tonis deutschem Lexikon einige semantische Verschiebungen ab, vgl. Platz, von place, anstatt Lokal in (10) und Plattform anstatt Bahnsteig {platform) in (11). (10) and then there was another is' noch ein Platz, das das heißt -äh- Arabian Nights, das ist auch schön, da isst man auch Dinner, so auf so Stufen, und die Pferde, die tanzen, tun alles mögliche [T2: 491] (11) and then hat er immer für mich gewartet an der Plattform [T2: 363] Im letzten Beispiel sehen wir auch mit warten für einen typischen Fall von kontaktbedingter Veränderung des Subkategorisierungsrahmens eines deutschen Verbs, wie ihn Stolberg (1999 und i.Vorb.) für das Pennsylvaniadeutsche untersucht hat. Aus pragmatischer Sicht ist vor allen Dingen bemerkenswert, dass etwa die Hälfte aller Importe einzelner englischer Lexeme entweder Diskurspartikel {well, anyhow) sind, 1 ’ oder Konnektoren wie and, or, but sowie der Komplementierer because (N=5), also eigentlich Elemente, für die es, anders als im Fall der Nomen, kein nennenswertes Entlehnungsmotiv geben sollte (vgl. 13 Vgl. auch Salmons (1990) zur Verwendung englischer „discourse markers" in deutschamerikanischen Dialekten. <?page no="360"?> 360 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy hierzu jedoch Schiffrin 1987, S. 191, die because als Marker von „subordinate idea units“ bezeichnet). Berücksichtigt man, welche englischen Zweiwortkombinationen in deutsche Kontexte Einzug halten, so findet man besonders häufig you know sowie and thenl\d£r\\. Auf diese Beobachtungen kommen wir an späterer Stelle zurück. Im Folgenden betrachten wir zunächst Mischphänomene, die über die Entlehnung einzelner Lexeme hinausgehen und die daher eher in einen Bereich fallen, der üblicherweise der Code-switching-Domäne zugerechnet wird. 4.2 Mischverhältnis innerhalb von Redebeiträgen Die folgende Tabelle gibt in absoluten Zahlen die Verteilung der Sprachen auf einzelne Redebeiträge (hier auch als Turn bezeichnet) wieder, die ihrerseits aus Äußerungen unterschiedlicher Komplexität bestehen. Die Spalte „ambig“ zeigt die Auftretenshäufigkeit von elliptischen Fragmenten wie in Tampa oder von nicht weiter zu verortenden Diskurspartikeln (ja, okay etc.) als einzigen Repräsentanten eines Turns. Die Häufigkeit der Redebeiträge mit gemischten Äußerungen wurde in einer separaten Spalte M aufgeführt. Tabelle 2: Quantitativer Überblick über die Korrelation von Tum und Sprache bei Toni (Dt. = Deutsch; Engl. = Englisch) Im Vergleich mit dem Wortschatzüberblick vermittelt diese Tabelle nun schon eher einen Eindruck von der Intensität des Sprachkontakts. Wie man sehen kann, überwiegen in beiden Face-fo-/ ace-Situationen die gemischten Turns. In Korpus T2 nimmt Toni 84 Turns wahr, wovon 26 nur deutsch, 4 rein englisch, 37 gemischt und 17 unbestimmbar bzw. neutral sind. Die beiden Gesprächspartnerinnen ihrerseits sprechen in 57 (EL) bzw. 30 (RT) eigenen Redebeiträgen fast ausschließlich deutsch. Als besonders interessant erweist sich dabei der Zusammenhang zwischen Mischung und Länge einzelner Gesprächsbeiträge. Die überwiegende Mehr- <?page no="361"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! “ ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 361 zahl Tonis deutscher Turns in T2 umfasst nicht mehr als 10 Wörter. Ihre vier ausschließlich englischen Beiträge sind gleichermaßen kurz, wohingegen nur vier von 37 gemischten Turns unter einer Länge von 10 Wörtern bleiben. Auch für Korpus T5 trifft dieses Gefälle zu. Mehr als die Hälfte der deutschen Turns ist nicht länger als 7 Wörter; keiner überschreitet 23 Wörter. Von den gemischten Redebeiträgen ist jedoch mehr als die Hälfte mindestens 20 Wörter lang, 12 sogar über 40. Wann immer also ein Redebeitrag länger, u.a. zur Erzählung wird, kommen bilinguale konversationeile Strategien in besonderer Weise zum Tragen. Aber dieses Rechenexempel ist noch aus einem ganz anderen Grund interessant: Je länger der Redebeitrag, desto komplexer letztlich auch die Aufrechterhaltung textueller Kohärenz und Kohäsion und desto größer möglicherweise auch das Risiko des Vergessens, in welcher Sprache bestimmte Stränge einer Erzählung zunächst entwickelt wurden. Dieses Risiko dürfte durch die Existenz weitgehend homonymer Konnektoren (wie beispielsweise and/ und, oder! or, so, then! denn) noch vergrößert werden. In diesem Zusammenhang erweist sich das Telefongespräch als aufschlussreich. Bei gleicher Anzahl von Turns nimmt T7 nur etwa ein Zehntel der Zeit von T2 in Anspruch, weil die Beiträge aller Gesprächspartnerinnen hier kürzer sind. Damit fehlen schlicht die Voraussetzungen für die von Toni präferierten Mischtypen. Hinzu kommt, dass das Telefongespräch sicher als formeller und auch kontrollierter gelten kann, was u.a. durch mehrfaches Nachfragen zum Zweck der Verständnissicherung belegt wird. 4.3 Inter- und intrasentenzialer Wechsel Der Wechsel an Satzgrenzen gilt als risikoarmer Fall von intersentenzialem Code-switching (vgl. Poplack 1980, S. 590, Romaine 1995, Kap. 4, Auer 1998b, S. 3). Auch in Tonis Daten vollzieht sich der Wechsel häufig an Satz- oder Gliedsatzgrenzen. Um hier nur ein quantitatives Beispiel zu nennen: In einem Korpussegment aus T2 mit 422 Satzgrenzen fällt ein Wechsel ca. 80 mal mit einer Satzgrenze zusammen. Aber ebenso häufig findet ein Wechsel nicht an einer Satzgrenze, sondern an anderen Konstituentengrenzen statt. Dabei erweist sich keine Konstituentengrenze als immun. Neben einigen abweichenden Nebensätzen (vgl. Beispiel (4) und (24) unten) fallen dabei nur zwei Strukturtypen auf, die das seit Poplack (1980, S. 586) als Äquivalenzbeschränkung („equivalence constraint“) bekannte Prinzip der Honorie- <?page no="362"?> 362 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy rung paralleler Serialisierung verletzen. Im ersten Fall handelt es sich um einen Konflikt zwischen kanonischer englischer SVO-Satzstellung und deutschem Verbzweiteffekt, vgl. (12) bis (15): (12) and then hot dei' Mama mich nach Eighty-six Street g'nomme [T2: 383] (13) and thefunniest thing is then san ma von ... [T2: 46-47] (14) and then the next morning hob i mer denkt... [T2: 82] (15) because [ded'] hamer [haben wir] nie lachen können [12: 421] Da ein englischer Satz nach dem Adverb then ein Subjekt verlangen würde, im Deutschen hingegen aufgrund der Verbzweitstellung ein finites Verb folgt, wird das Äquivalenzprinzip an dieser Stelle verletzt. Englisches then ist der häufigste Grenzgänger im Vorfeld deutscher Sätze. Auf diese Beobachtung kommen wir im Zusammenhang unserer Diskussion über neutralisierte Elemente in Kap. 5.2 zurück. In der zweiten Problemstruktur beginnt der Satz typischerweise mit deutschen Konstituenten und geht nach kanonischem englischen Muster (SVO) weiter, vgl. (16) bis (19): (16) das wos s' [was sie] net essen kenna they had to throw in the La Plata, der Fluss [12: 265] (17) Und um neun Uhr I call Franz [T2: 446] (18) Ach ja, dann you have to throw them out [T5: 70] (19) Und scheinbar die Mutter wasn't a good housekeeper [T2: 212] 14 Der letzte Fall unterscheidet sich von den anderen insofern, als auch das Subjekt auf Deutsch realisiert wird. Die Konfliktsituationen an der linken Satzperipherie machen in T2 einen nicht zu übersehenden Prozentsatz der intrasentenzialen Sprachwechsel aus (ca. 15%), wobei man berücksichtigen muss, dass Crassover-Effekte die genaue Stelle des Wechsels ohnehin maskieren können. Diesem quantitativen Überblick folgen nun einige Hypothesen bezüglich der Gründe, die für Tonis Mischverhalten maßgeblich sein könnten. 14 Vgl. Clyne deutsch-englische Beispiele mit ähnlichen XSV-Strukturen, wie Jedes Jahr die Schafe werden geschert (1981, S. 750). <?page no="363"?> „ Well, I tell you, das war'n Zeiten! “ ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 363 5. Formale Aspekte von Sprachwahl und Mischtyp 5.1 Die Rolle von Triggerelementen Laut Clyne (1967, 1980) können sprach- oder kulturspezifische Eigennamen und Ortsnamen eine besonders privilegierte Katalysatorfunktion erfüllen und einen vorangegangenen oder darauffolgenden Sprachwechsel auslösen (anticipatory vs. consequential triggering). Obwohl wir bei unserer Quantifizierung Eigennamen als neutral betrachtet haben, lag es nahe zu überprüfen, ob sich auch in den Daten Tonis besonders häufige Wechsel als durch Trigger (u.a. kulturspezifische Eigennamen) provoziert erweisen würden. Sollte dies der Fall sein, so hätte der genannte Sachverhalt auch Konsequenzen für unsere Entscheidung, Eigennamen zunächst einmal als ambig zu betrachten und keiner Sprache zuzuordnen. Aus der Perspektive der Triggerhypothese stellt das folgende Beispiel gewissermaßen den Idealfall dar: (20) ich kenn an Eric Nightingale too, he was a friend o/ Tante Ida's, die 15 hab i bsucht in Paris [T2: 4] Der englische Eigenname, so die Triggerhypothese, hätte dabei einen Wechsel ins Englische ausgelöst, der später durch die Erwähnung von Tante Ida wieder rückgängig gemacht wird. Wenn wir jedoch berücksichtigen, was zwei weitere Male bei der Nennung der Nightingales passiert, sehen wir, dass für Toni englische oder mit den USA assoziierte Personennamen (auch wenn es sich um Menschen handelt, mit denen sie ausschließlich Englisch spricht) keine zuverlässige Triggerfunktion erfüllen. Bei der Erwähnung der Nightingales findet an anderer Stelle entweder überhaupt kein Wechsel statt (hier ohne Beispiel) oder zumindest kein unmittelbarer, vgl. (21), wobei wir uns im letzten Fall auch fragen müssten, ob die Wahl des Englischen Folge von Nightingales oder Antizipation von Waterfront Commission oder New York wäre. (21) da hab ich bei den Nightingales gwohnt in Paris and he was with the Waterfront Commission in New York [T2: 7] Berücksichtigen wir weiterhin, dass in dieser Äußerung gleichzeitig mit Waterfront Commission eine Institution genannt wird, für die Toni kaum eine deutsche Entsprechung bekannt sein dürfte, liegt die Vermutung nahe, 15 Antezedens von die ist die Familie Nightingale, nicht Tante Ida. <?page no="364"?> 364 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy dass hier mehrere Trigger gemeinsam das bewirken, was Nightingale nicht alleine und vor allem nicht unmittelbar gelingt. Aber auch die Kookkurrenz mehrerer Trigger reicht oft nicht aus, um einen Wechsel hervorzurufen, wie (22) verdeutlicht: (22) See, wie wie ich jetzt im Mai, fünfzehnten Mai bin ich nach äh West Virginia, nach, bis Pittsburgh geflogen, und dann ham se mich abgeholt und dann bin ich mi'm Auto nach, äh, Hudson, Ohio, bei Akron, and then, die Hochzeit war in Columbus, Ohio, bin ich mit denen im Auto gfahm, and then 'n Tag nach der Hochzeit sin mer von Columbus nach, äh, Pittsburgh, da bin ich wieder eingestiegen. [T2: 637] Ungeachtet der gehäuften Nennung amerikanischer Ortsbezeichnungen und ihrer englischen Aussprache bleibt Toni hier (mit Ausnahme der beiden and f/ tew-Sequenzen) beim Deutschen. Aus der Perspektive der Trigger-Hypothese sind auch solche Fälle rätselhaft, in denen ein ‘an sich’ idealer Trigger {America, Arizona) unerwartet in phonologischer Gestalt seines deutschen Äquivalents auftaucht, vgl. [amerlka] und [arltsona] in (23). (23) Da war'n sie von Mexiko da, von Südamerika und somebody von - [amerlka] came with a surrey with the fringe on top, die war'n da von von near [arltsona], weißt, wo's scho mehr -ähdie ham so Hüte aufghabt, weißt, .... [T2: 158] In diesem Beispiel überrascht nicht der Wechsel des Satzes somebody ... came with a surrey with the fringe on top, denn surrey bezeichnet eine typisch amerikanische Kutsche und „The Surrey with the Fringe on Top“ ist noch dazu der Titel eines Liedes aus dem Rodgers/ Hammerstein Musical „Oklahoma“, wäre daher wohl ganzheitlich gespeichert und als Einheit abrufbar. Erstaunlich ist vielmehr, dass innerhalb dieser Sequenz ausgerechnet {von) Amerika wieder deutsch realisiert wird. 16 Warum die Triggerhypothese allein nicht ausreicht, um Sprachwechsel zu erklären, lässt sich anhand weiterer Beispiele illustrieren. Vgl. dazu zunächst noch einmal (4), hier wiederholt als (24). (24) Und mir hat amol jemand erzählt in die Poconos that er war aufm Schiff heimkommen von Frankreich [T2: 107] 16 Möglicherweise spielt hier bei der Äußerungsplanung der Parallelismus der Präpositionalphrasen „von Mexiko ... von Südamerika ...von Amerika ... von Arizona“ eine Rolle. <?page no="365"?> „Well, 1 tell you, das ward Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 365 Hier bietet sich der Eigenname [poukdnouz], für den es, abweichend von den soeben diskutierten Fällen, kein deutsches Äquivalent gibt ([pokono]- Berge? ), als plausibler Trigger für das folgende that an. Selbst wenn man sich mit dieser Überlegung anfreunden kann, stellt sich umgehend die Frage, warum gleich nach that wieder ein Wechsel ins Deutsche erfolgt. Doch ist dies tatsächlich der Fall? Zumindest die Stellung des finiten Verbs, war, gehorcht nicht der im deutschen c/ as.y-cingeleiteten Nebensatz verlangten Verbendstruktur. Dies bedeutet, dass der Einfluss des Englischen auf einer syntaktischen Ebene möglicherweise über den Komplementierer hinausreicht. 17 Mit anderen Worten, wir haben es in diesem Fall nicht mit einem tatsächlichen Wechsel, sondern mit einem Cross<? ver-Phänomen zu tun. Betrachten wir nun den Kontext vor Poconos. Zwar wurde der bestimmte Artikel vor Poconos auf Deutsch realisiert, aber nicht in angemessener kasusmarkierter Form (dies wäre den). Dadurch wirkt [die Poconos] insgesamt wie eine in den deutschen Text hineinzitierte Form, bestehend aus Eigenname mit inkorporiertem, invariantem Artikel. u Fexikalische Realisierung und zugrunde liegendes Strukturmuster weichen mithin voneinander ab. Zusammenfassend kann man somit festhalten, dass sowohl die Kontexte vor als auch nach Poconos „tektonische“ Verschiebungen zeigen, wie sie für Crossover-Phänomene typisch sind, d.h., die deutsche Syntax und möglicherweise auch die deutsche Morphologie haben mit der Fexikalisierung nicht Schritt gehalten. Eine ähnliche Interpretation bietet sich im Fall von (25) an. (25) dann harn se mein Vater auf der New York subway in die Staatszeitung neigspuckt weil s' deutsch war [T2: 334] Hier ist nur New York subway overt englisch (mit subway als gut motivierter kultureller Entlehnung), der restliche verbale Kontext anscheinend deutsch, d.h., ein eigentlich „doppelter“ Trigger [New York, subway) bleibt ohne weitere Konsequenz auf lexikalischer Ebene. Auf abstrakter Ebene hingegen 17 Für die Stellung der PP [von Frankreich] im Nachfeld braucht man hingegen keinen englischen Einfluss geltend zu machen, da eine Ausklammerung ins Nachfeld in der deutschen Umgangssprache völlig natürlich ist. Vgl. auch Kap. 5.2. 18 Dies findet sich bestätigt durch weitere Belege wie „das Bild is noch von [die Poconos]“ anstatt von den Poconos. [T2: 1] sowie das Auftreten von dativmarkierten Artikeln in anderen Präpositionalphrasen; vgl. „auf der New Yorker subway" in (25) oder „mit der Mannschaft von unserm Flugzeug“ [T2: 94] und „von den Nightingales“ [T2: 146], Tonis Gebrauch von die Poconos wäre dann vergleichbar mit „Das habe ich in Die Zeit gelesen.“ Diese Hypothese muss durch weitere Analysen überprüft werden. <?page no="366"?> 366 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy scheint sich der Einfluss des Englischen mindestens auf die ganze Präpositionalphrase [auf der New York subway] auszudehnen. Zwei Gesichtspunkte sprechen dafür: die Lehnübersetzung des englischen präpositionalen Kopfes on durch aufund das fehlende -er- Suffix an New York. Vergleichbar subtile Interaktionen lassen sich auch mit Hilfe von Ausdrücken belegen, die sich eigentlich nicht nur als besonders solide Trigger, sondern vor allem als relativ ‘unangreifbar’ erweisen sollten, nämlich idiomatische Wendungen und Kollokationen. In der Tat verhält sich das Idiom in (26), wie wir es erwarten würden (vgl. dazu auch Poplack 1980), die Kollokation in (27) jedoch nicht. (26) mei mei T- Tante Tini war immer noch in touch with dem Mann von einer von dene Kusinen [T2: 247] (27) And one night do hot's ghoassn der Duke und Duchess of Windsor kommen for dinner und ... [T2: 17] In (27) stellen wir zunächst einmal fest, dass eine komplexe Nominalphrase [the Duke and Duchess of Windsor] die deutsche Koordinationspartikel und aufnimmt. Andererseits bleibt der Schritt zum Deutschen bestenfalls halbherzig, da eine entsprechende deutsche Wendung, [der Herzog und die Herzogin von Windsor], wegen der Genusmarkierung eigentlich zwei Artikel verlangt. Insgesamt sehen wir auch hier wieder, dass sich die Interaktion zwischen beiden Sprachen wesentlich komplexer und subtiler gestaltet, als es die Rede vom „Sprachwechsel“ vermuten lässt. 5.2 Grauzonen und Neutralisierungen Das eigentlich Besondere der „Grauzone“ zwischen zwei Sprachen und damit die Herausforderung für die Linguistik liegt in ihrer Unauffälligkeit. Wer wüsste schon zu sagen, ob die Stellung des Komplements von with in immer noch in touch with dem Mann in (26) dem Deutschen oder dem Englischen gehorcht? Handelt es sich bei den Fällen, in denen deutsche Konstituenten nicht-finiten Verbteilen folgen, d.h. im Nachfeld stehen, um ein Ausschöpfen der Spielregeln der deutschen Umgangssprache oder um Unterwanderung durch das Englische, das Komplemente und Adjunkte kanonisch rechts vom nicht-finiten Verb ansiedelt? Vgl. auch Beispiel (4), hier wiederholt als (28): (28) Und mir hat amol jemand erzählt in die Poconos that er war aufm Schiff heimkommen von Frankreich ... [T2: 107] <?page no="367"?> „Weil, 1 tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 367 Diese Frage werden wir im Rahmen dieses Beitrags jedoch nicht weiter verfolgen. Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass Eigennamen keine zuverlässige Triggerfunktion ausüben. Im Gegensatz dazu erweisen sich andere Elemente als zuverlässigere Grenzgänger: (fast-)homonyme Konjunktionen und Adverbien sowie koordinierende Partikel. Die folgenden Beispiele illustrieren zunächst offensichtliche Neutralisierungstendenzen am Übergang zwischen Haupt- und Nebensatz. (29) I remember wenn der Hitder Hindenburg gestorben is [T2: 315] (30) I remember {when? wcnn} 19 der Hitler zuzum -äh- Ruder gekommen is' [T2: 309] (31) and I went to school in Switzerland because they invited me, äh, years ago, you know, wenn ich zwölf Jahr alt war, bin ich wieder nach Deutschland zurück in die Schul [T2: 33] (32) und dann, wenn se rauskommen san, die ersten cars, die warn so hoch oben ... [T2: 279] (33) / mean, das is ja schrecklich, we-wenn wenn wenn they take them over like that [T2: l 11] (34) ja, dann denk ich oft, wewhen people complain, was wir alles ham ... [T2: 274] Hier usurpiert wenn unter dem Einfluss von engl, when die semantische Domäne von als bzw. bair. wie, vgl. (29) bis (32), und zwar, wie (31) und (32) zeigen, auch unabhängig von der unmittelbaren Subkategorisierung durch das Matrixverb remember. In (29) und (30) erkennt man noch die Auswirkungen weiterer Koaktivierung: in (29) das frühe Stadium einer Substitution (Hitler für Hindenburg), die on-line korrigiert wird, und in (30) die Kontamination von dt. ans Ruder kommen durch einen Calque von engl, come to power. Dabei ist die Iteration an Übergangsstellen wie in (33) und (34) für when/ wenn bemerkenswert, aber insgesamt nicht charakteristisch für Tonis Wechsel von einer Sprache in die andere. 19 Die geschweiften Klammern zeigen an, dass die phonologische Form nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. <?page no="368"?> 368 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy In Kap. 4.3 haben wir auf Strukturen hingewiesen, in denen eine englische Konstituente im Vorfeld eines deutschen Satzes erscheint. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um klar erkennbares englisches then. Zugleich finden wir [den], entstanden aus Überblendung von dann/ then, wahrscheinlich begünstigt durch den Brooklyner Dialekt, wo initiale interdentale Frikative oft als Verschlusslaute ausgesprochen werden, vgl. (35) bis (37): (35) ... and [den] sin mir nach- [T2: 48] (36) but anyhow [den] hob i mei Tante wiedergseng [T2: 31 ] (37) und [den] I had to fly to to Basel [T2: 29] Somit wird eine Art Diamorph im Sinne Clynes erzeugt, eine ambige Form, die in satzeinleitender Position (oft in Kombination mit and oder und) den Unterschied zwischen den beiden Sprachen neutralisiert, obwohl sie mit eindeutigen Formen {then und dann) koexistiert, vgl. (38) und (39). 20 (38) Ach ja, dann you have to throw them out. [T5: 64] (39) and thefunniest thing is then san ma von ... [T2: 46] Dies könnte das Vollziehen eines Wechsels in besonderer Weise begünstigen, gerade in Strukturen, die wegen der Nichtäquivalenz an dieser Stelle (engl. SVO vs. dt. Verbzweitstellung) problematisch sind. Was wir bisher über Elemente in satzeinleitenden Positionen beobachten konnten, trifft in besonderem Maße auf koordinierende Partikel zu, insbesondere und, and, or, oder. Gut die Hälfte aller Vorkommen der englischen Satzkonjunktion and tauchen zwischen zwei deutschen Satzkonjunkten auf (= 8) oder verknüpfen ein deutsches und ein englisches Konjunkt (D and E = 8; E and D = 11). Umgekehrt taucht und auch in rein englischen Kontexten auf (E und E = 3; D und E = 6; E und D = 6). Das deutsche und als Satzkonjunktion tritt insgesamt 15mal (von insgesamt 54) in Kontexten auf, an denen das Englische ausschließlich oder in Kooperation mit dem Deutschen beteiligt ist. Hierbei wurden and oder und in Kombination mit you know, I mean, well, then nicht mitgezählt. 20 Während then und dann die häufigsten Fälle sind, gibt es auch andere potenzielle Diamorphe in der hier als besonders kritisch identifizierten Position der linken Satzperipherie, vgl. „he couldn't speak English {.so? so} hat er sich auch nicht verteidigen können.“ [T2: 345] <?page no="369"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! “ -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 369 Alle diese Fälle verdeutlichen, dass gerade an den Satzgrenzen Elemente auftreten, die in hohem Maße ambig sind. Wenn uns bei der linguistischen Analyse die Zuordnung schwer fallt, so ist auch denkbar, dass individuelle Sprecher eben durch diese Elemente zum Sprachwechsel verleitet werden. 6. Funktionale Aspekte und konversationelle Ressourcen 6.1 Provoziert der unmittelbare Input Tonis Sprachwechsel? Anlässlich des ersten Gesprächbeispiels (3) hatten wir in Erwägung gezogen, dass Tonis Sprachwahl unmittelbare Folge einer vorangegangenen Partneräußerung sein könnte, eventuell auch provoziert durch neutrale Diskurspartikel (ja, okay, aha). Eine Untersuchung der Turns in sämtlichen hier diskutierten Teilkorpora zeigt jedoch, dass dem nicht so ist. Tonis Sprachwahl ist in der Tat weitgehend unabhängig von lokalen, d.h. unmittelbar vorangehenden Äußerungen ihrer Gesprächspartnerinnen, wenngleich insgesamt nicht unabhängig von der Konsistenz, mit der beide deutsch mit ihr reden. In Situationen, in denen Toni nur mit EL spricht, finden sich prozentual mehr englische Äußerungen seitens Tonis als in den Gesprächen, an denen auch RT teilnimmt. Dies zeigt sich auch in weiteren Teilkorpora, die hier nicht weiter diskutiert wurden (T3, eine Face-fo-yace-Unterhaltung zwischen Toni und EL), aber auch in dem Telefongespräch (T7), bei dem EL und RT nacheinander mit Toni reden. Mit einer Ausnahme treten alle komplett englischen Turns von Toni innerhalb der Unterhaltung mit EL auf, während beim Gespräch mit RT fast nur deutsche oder gemischte Turns Tonis Vorkommen. Tonis einzige englische Äußerung gegenüber RT besteht in der Wiederholung und Ergänzung des ebenfalls einzigen englischen (bzw. wegen der deutschen Partikel ne gemischten) Beitrags von RT, „the lightning capital“, vgl. den Gesprächsausschnitt in (40). Toni sucht hier erkennbar („wie sagt man gleich wieder? “) nach einer in den USA gängigen Bezeichnung für Florida, greift sie auf und ergänzt sie zu „the lightning capital of the world“ [‘die Gewitterhochburg der Welt’]. <?page no="370"?> 370 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy (40) RT: Ja. Also, wir hatten einen Tag, an dem's ganzpraktisch ganz geregnet hat. T: Ja, des -ähhat Elsa gesagt, dass's bei euch viel mehr geregnet hat. RT: Ja. Ja, und Gewitter hatten wir auch schon. T: Bitte? RT: Gewitter! T: Ja! RT: Ganzpaar starke Gewitter hatten wir, ähjaja, äh, was ich gar nich so gerne mag, also ich hab (diese) Gewitter nich sehr gerne. T: Oh no, ich auch nich. RT: Ja. Jaja. T: (...) Tampa is the lightening ähmwö- 21 wwie sagt man gleich wieder— RT: The lightning capital, ne? T: Ja. The lightning capital ofthe world. [T7: 176] Auch hier wird der Sprachwechsel von Toni initiiert. Für ihre Sprachwahl erweist sich immer wieder das Thema von größerer Bedeutung als die Sprache einer unmittelbar vorangegangenen Äußerung. Dies zeigt sich besonders deutlich dann, wenn Toni selbst ein neues Thema einbringt. Auch wenn sich nicht mit Sicherheit Voraussagen lässt, welche Sprache Toni in welchem Kontext gebrauchen wird (sofern ihre Gesprächspartner beide Sprachen verstehen), sind Tendenzen zu beobachten, wie sie auch in anderen Untersuchungen gut belegt sind (vgl. Romaine 1995, Kap. 4; Alfonzetti 1998, Auer 1998b, Li Wei 1998). Berichtet Toni von ihren in den USA lebenden Enkelkindern, mit denen sie nur auf Englisch kommuniziert, überwiegt das Englische, spricht sie über ihre Kindheit, überwiegt Deutsch (mit starker bairischer Färbung, vor allem in Zitaten). Englisch dominiert bei der Rede von Rezepten, denn Toni kocht und backt seit über 60 Jahren in Amerika mit amerikanischen Zutaten und Messgeräten. Flingegen erzählt sie von Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung, und zwar auch von englischsprachigen Nachbarn, in beiden Sprachen. Dass dies nur Tendenzen sind, zeigt sich anhand von Sequenzen aus dem Telefongespräch T7 mit EL. Dabei ist die Rede von Tonis Schwiegersohn, mit dem sie nur Englisch spricht und der kurz zuvor aus dem warmen Florida in den kalten Norden gereist war. 21 Das wökönnte man als Antizipation fur world verstehen. <?page no="371"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 371 (41) EL: Jim has gotten, äh, used to thefact ofbeing back in New York? T: Yes, I suppose, you know [lacht], letzte Woche wollt er wieder runterkommen, wie's geschneit hat, aber scheinbar is'jetzt besser geworden [T7: 40] Hier fährt Toni zunächst in der Sprache fort, die EL in ihrer Frage vorgibt und wechselt dann ins Deutsche, obwohl von ihrem Schwiegersohn die Rede ist, über den sie sonst eher auf Englisch spricht und der ihr im übrigen nur auf Englisch mitgeteilt haben kann, dass er wegen der Kälte im Norden der USA lieber wieder in Florida wäre. 6.2 Diskursstrukturierung und emblematische Code-Switches Anhand unserer Korpora zeigt sich, dass auch in längeren, vorwiegend deutschen Passagen bestimmte diskurspragmatische Elemente auf Englisch realisiert werden, z.B. you know, see, sure, well, anyhow etc. Allein in T2 tritt you know 27 mal auf, davon zur Hälfte in rein deutschen oder gemischten Kontexten. Dem gegenüber finden wir weißt {du) nur dreimal und nur in deutschen Kontexten. In deutschen Passagen fallen auch holistische englische Wendungen wie wouldn't it be nice und, wie in dem Zitat in unserem Titel, I tell you, auf. Diese Diskursgliederungsstrategie, bei der auch in deutschen Sprach- und Kulturkontexten auf das Englische zurückgegriffen wird, entspricht dem, was wir auch aus anderen Untersuchungen kennen (vgl. Klintborg 1996 zum englisch-schwedischen Sprachkontakt und Salmons 1990 zum deutschenglischen), wobei die spezifische Funktion der Diskurselemente nicht immer dieselbe ist. Elemente, die Klintborg „channel openers“ nennt (you know, (you) see etc.), werden von Toni eher als aufmerksamkeitssichemde channel maintainers verwendet. Sie erfüllen eine emblematische Funktion, indem sie durch die Verwendung der englischen Sprache den Diskurs im amerikanischen Kontext und in der mündlichen Alltagssituation verorten. Auf das Englische greift Toni auch bei begleitenden metasprachlichen Kommentaren, u.a. zum Markieren von Korrekturen, zurück. (42) da war -äh- American Unterseeboot -ähwhatever- Stützpunkt [T2: 85] (43) des is da ganz oben in in northern Georgia, near, an der Grenze zu -ähmwhat is it, Alabama ... [T2: 510] (44) und ich hab'n Kaffeetisch, 1 mean, {ala} an Teewagen da vom, der is' genauso. [T2: 521] <?page no="372"?> 372 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy Diese Diskursmarkierungen erweisen sich als sehr konsistent. Im Folgenden werden wir einige pragmatische Funktionen identifizieren, die auch mit einem Sprachwechsel korrelieren, wenngleich nicht notwendigerweise in Verbindung mit spezifischen lexikalischen Elementen. 6.3 Kommentare und Präzisierungen Betrachten wir (45), so erkennen wir zunächst an der Stelle des overten Wechsels das Iterieren der ambigen Präposition in. Unserer Ansicht nach wäre es verfehlt anzunehmen, die Ambiguität wäre der Auslöser für den Wechsel zum Deutschen. Was Toni an dieser Stelle tatsächlich ein Problem bereitet, ist vielmehr die Suche nach dem Ortsnamen, Versailles. (45) you know, they had those maids in in in wo i gwohnt hab in Pain Versailles an' na hat's gsagt zu mir, die Peggy Nightingale ... [T2: 130] Während dieser Suche füllt der deutsche Teilsatz erläuternd die Suchpause, wie umgekehrt ein englischer Einschub in (42) und (43). Eine Analyse der Wechsel, die sich an Satz- und Teilsatzgrenzen vollziehen, belegt, dass sie sich häufig als Präzisierungen oder Kommentare interpretieren lassen, wobei die Richtung des Sprachwechsels reversibel ist. In den folgenden Beispielen haben wir die relevanten Passagen unterstrichen. (46) I think we stayed two nights. And when we went to Amy, we stayed one night. No. Auch zwei. [T5: 118] (47) when they camefor dinner, they used to speak French, but anyhow, to Tante Ida and Doctor Miller, net zu mir ... and äh it was, well, an adventure ... [T2: 149] (48) das woss' net essen kenna they had to throw in the La Plata, der Fluss [T2: 265] (49) and -ähmes war so schön da, und nebn dene hot die Elsa Maxwell gwohnt, she was a gossip woman, you know? [T2: 15] (50) forty-seven the war wasn't over very long, you know, and -ähdie Deutschen war'n nicht sehr beliebt, you know [T2: 27] (51) ja, dann denk ich oft wewhen people complain, was wir alles ham [T2: 274] (52) des is grad wie wenn's an uns vorbeigegangen wär, so, you know, like a movie, nearly [T2: 177] <?page no="373"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 313 (53) That was nice. There were nice people in this world, and -ähwas, it wasn't easy but irgendwie -ähda hat sich's rentiert. Net? You have a nice family ... [T2: 369] (54) mei Tante hat gsagt, wir kenne rüberkomme, so we did und we were lucky [12: 331] (55) daneben san die Eisstickeln g'legen wo mir g'spig'lutscht hamtoday you would say, oh this is so unsanitary [T2: 295] In (46) bis (48) geht der Sprachwechsel mit einer faktischen Korrektur bzw. einer Präzisierung einher. In den Beispielen (49) und (50) liefert der Einschub Hintergrundinformation, z.B. über eine Person und über die Zeit eines Parisbesuchs. In (51) kontextualisiert Toni ihren Gedanken, und in (52) bis (55) korreliert der Wechsel mit evaluativen Äußerungen und schließt zugleich einen Redebeitrag oder eine Geschichte ab. Während wir in vielen dieser Fälle an den Übergängen die bereits angesprochenen formalen Grenzgänger finden (and, when, so), lässt sich noch eine weitere besonders interessante Korrelation von Form, Funktion und Sprachwechsel beobachten, und zwar im Zusammenhang mit Komplementsätzen von Verben des Sagens und kognitiven Verben. Vgl. die Reihe der folgenden Beispiele: (56) na sagt der Henry zu eam [ihm], maybe you could use a hair dresser [T2: 397] (57) hat sei Frau zu mir gesagt, why are you leaving us now? [T2: 425] (58) Da sog i, because I would like to laugh once in a while, und dann hat's gsagt, well I'm here too an' ich leb noch, hots' gmoant. Na 22 hab ich gsagt, well, gee, ... [T2: 427] (59) Na sagt er zu mir, Madam Toni, your slip is showing. Na hab i mer denkt: Na, is that all? [T2: 417] Wie in den Daten Alfonzettis (1998) spielt auch bei Toni die Sprache des Originalzitats (und damit der mimetische Effekt) eine untergeordnete Rolle, vgl. (60), wo von einer Unterhaltung berichtet wird, die auf Englisch stattfand. (60) die pursers on theon the plane said to all of us, wir ham diesen Flug für nix gemacht [T2: 101] 22 Na ist hier ebenso wie in den ersten zwei Vorkommen des nächsten Beispiels bairisch für (und) dann, während das dritte na der hochdeutschen Verwendung, wie in Na und? , entspricht. <?page no="374"?> 374 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy Wir finden im hier besprochenen Korpus nur eine Selbstkorrektur, die auf die Rekonstruktion der ursprünglichen Sprache eines Zitats hindeutet: (61) die hat zu mir gsagt, ich- / caich kann dir nich mehr bezahlen [T2: 400] Ein Wechsel findet sich auch bei indirekter Rede, vgl. (62), und virtuellen Zitaten, d.h., wenn Toni nicht selbst anwesend war, wie in (63), oder nur mögliche Sprechakte entwirft, siehe (64). (62) and then, some of those people sent me gifts when Lisa was born, because meine Kollegen ham's gesagt that I had a little girl, then, years ago, there was Best and Company ... [T2: 463] (63) und hat gsagt, take a little care ofmy niece, you know [T2: 134] (64) ich hab mir schon oft denkt, wouldn't it be nice, wenn man da mal nunterfahren kannt und könnt sagen, all the the descendants ofso and so, ... [T2: 261] Das folgende Beispiel, ohne offenkundiges verbum dicendi, zeigt besonders deutlich die Unverbindlichkeit der Korrelation von Funktion (Bericht über Gesagtes) und der Sprache der Berichterstattung. Beide Teilsätze beziehen sich auf eine Unterhaltung mit einer Frau, mit der Toni Englisch sprach, aber nur eines der Konjunkte wird teilweise auf Englisch realisiert. Dabei bleibt eine Phrase, in Bett, hoffnungslos ambig. (65) wenn du [in der Früh e bissei im Bett bleiben könntst] und [would take your Frühstück/ « {/ wUBett}] [T2: 136] Dieses Beispiel ist vor allen Dingen deswegen interessant, weil koordinierende Konjunktionen nur Konstituenten gleichen Typs miteinander verbinden. Die Existenz solcher Beispiele lässt uns schließen, dass Toni die koordinierten Elemente (siehe eckige Klammem), auch wenn sie aus zwei Sprachen kommen, auf einer abstrakten Ebene der Repräsentation als strukturell äquivalent betrachtet. 7. Abschließende Überlegungen Die Sprachkontaktforschung ist darauf angewiesen, umfangreiche Daten unter ökologisch validen Bedingungen zu erheben, d.h. in verbalen und nichtverbalen Kontexten, in denen ein Individuum seine sprachlichen Kompetenzen unter Beweis stellen kann und auch bereit ist, sein Repertoire auszuschöpfen. Die Beobachtungen, die wir hier systematisiert haben, stützten <?page no="375"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! " -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 375 sich zwar nur auf einen kleinen Ausschnitt des gesamten bisher von Toni erhobenen Korpus, lassen aber durchaus erkennen, in welcher Weise sie die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen einsetzt. Die dabei von uns getroffenen Generalisierungen werden nicht nur an umfangreichen Daten desselben Typs (basierend auf gleichen Gesprächskonstellationen) zu überprüfen sein, sondern auch anhand weiterer Diskurskontexte, z.B. anhand von Gesprächen zwischen Toni und ihrem deutsch-amerikanischen Bekanntenkreis, mit ihrer Schwester oder mit monolingualen, englischsprechenden Familienmitgliedern und Bekannten (Schwiegersohn, Enkel, Nachbarn) sowie mit monolingualen Deutschsprechem. Im Vergleich von monolingual definierten Kontexten und bilingualen Diskursen wird sich erweisen, welche der hier angesprochenen Phänomene sich möglicherweise bereits in Richtung Systemfusion (den „fused lects“ aus Auer 1998b, S. 13-21 oder der Konvergenz im Sinne von Salmons 1990) bewegen. Diese würden sich einer on-line von Toni zu treffenden Sprachwahl entziehen, weil möglicherweise bereits alle Konkurrenten einer Sprache aus dem Rennen geschlagen wurden (wie z.B. im Falle der Textstrukturierung mithilfe englischer tags in ansonsten überwiegend deutschen Diskursen). Einige lexikalische Entlehnungen (z.B. car, office) sind wahrscheinlich aus der Perspektive Tonis bereits jetzt als ambig oder neutral zu bezeichnen. Wenn unsere Überlegungen stichhaltig sind, dann sind and und und auf dem besten Weg zur freien Variation, und mit [den] ist ein neues Diamorph entstanden. Wie wir in 3.4 dargelegt haben, erweisen sich Sprachmischungen in theoretischer und empirischer Hinsicht als außerordentlich komplex (vgl. auch Tracy 2001). Dennoch lässt sich in den Daten Tonis in formaler und funktionaler Hinsicht ein hohes Maß intraindividueller Systematik erkennen. Toni funktionalisiert den Wechsel im Dienste pragmatischer Strategien, manchmal mit einer Präferenz für den Sprachwechsel in eine Richtung, wie im Fall englischer Diskursgliederungssignale, manchmal reversibel, z.B. bei Kommentaren, Präzisierungen, Zitaten oder generell beim Themenwechsel. Spezifische formale Grenzgängerelemente in Form von (Fast-)Homophonen, manchmal Cognates, an der linken Satzperipherie, scheinen sich dabei als besonders hilfreich zu erweisen. Die lokale Sprachwahl von EL und RT hingegen determiniert Tonis eigene so gut wie überhaupt nicht. Entscheidend ist vielmehr Tonis Wissen um die bilingualen Fähigkeiten beider und die von ihr getroffene Zuordnung ihrer Gesprächspartnerinnen zu einem eher deutsch-amerikanischen (EL) oder deutschen (RT) Kulturkreis. Als wichtig <?page no="376"?> 376 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy erwies sich auch der Gesprächstyp: Vor allem die Gelegenheit, Geschichten zu erzählen und von Erlebnissen zu berichten, eröffnete Toni den Spielraum, um aus der ganzen Breite ihrer formalen und funktionalen Ressourcen zu schöpfen. Darüber hinaus zeigte sich, dass wir bei der Suche nach Mischphänomenen (u.a. nach Triggereffekten) unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf overte Wirkungen richten sollten, weil wir sonst Crossover-Phänomene übersehen, die uns wichtige Hinweise auf Interaktionen und damit auch auf Planungsprobleme und Konkurrenz auf abstrakteren Ebenen liefern können. Vor allem zeigen sie uns, dass Vorstellungen eines geradlinigen, auf allen Ebenen wohlsynchronisierten Wechselns von einer Sprache zur anderen der Komplexität des Phänomens und der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Aspekte der Sprachplanung nicht gerecht werden. Poplack (1980, S. 601) schrieb, [...] characteristics of skilled code-switching include a seeming ‘unawareness’ of the alternation between languages, i.e. the switched item is not accompanied by metalinguistic commentary, it does not constitute a repetition of all or part of the preceding segment, nor is it repeated by the following segment; switches are made up of larger segments than just single nouns inserted into an otherwise L2 sentence; and code-switching is used for purposes other than that of conveying untranslatable items. All dies trifft im Wesentlichen auch auf die hier diskutierten Daten zu. Bei Tonis Sprachwechsel entstehen kaum Redundanzen, und sie sieht sich in der Regel auch nicht zur Korrektur eines Wechsels veranlasst. Dies unterstreicht, wie effizient die für eine solch intensive Kooperation zuständigen Sprachverarbeitungsprozesse und Kontrollinstanzen in ihrem Fall funktionieren. Dabei zeugen nicht allein die von uns hier diskutierten Belege intensiven Mischens von einem beachtlichen Ausmaß der Koaktivierung beider Systeme. Dies zeigt sich auch in Situationen, die aufgrund dessen, was geäußert wird, kaum offene Merkmale einer Interaktion zwischen Tonis beiden Sprachen aufweisen. Man vergleiche dazu ein letztes Beispiel, in dem Toni EL gegenüber innerhalb einer Gesprächssequenz, in der alle beide vorwiegend Englisch miteinander reden (Korpus T3), von einer Urlaubsreise berichtet. <?page no="377"?> „Well, I tell you, das war'n Zeiten! “ -ein deutsch-amerikanisches Sprachporträt 377 (66) T: / imagine they bought the whole place with the pool, see, it is right on the American River in Sacramento, and that river must haveflowed over many times, so they have a dike there, a high dike in back ofthe house, and on top of the dike is like a walkway, and you have to go up there and then you can walk all along- EL: Mhm, must be pretty. T: and see the river on the other side and the houses on this side and they all have pools, and if the dike would break, you know, the river would come right in, but it's nice. I liked Sacramento, and ähm then, you know, it's not far from Thunder Pass. You go over the Thunder Pass and then you get up to Lake Tahoe from Sacramento, and that's all almond -äh- [leiser] wie sagt man -äh-zu almond in Deutsch? EL: Zu was? T: [lauter] A Imonds. EL: Äh, Mandel. T: Mandelbäume ja, und die blühen schön und [den], äh, you get up there and then you remember, you know, the story about the people thatfroze to death, and that's Thunder Pass, and then, äh, you go up further and there's Lake Tahoe ... Mitten in ihrem englischen Text kommt Toni bei der Verwendung von almond zu Bewusstsein, dass ihr das deutsche Äquivalent im Moment fehlt. Da sie den deutschen Ausdruck innerhalb des Diskurses nicht wirklich braucht, gibt es kein pragmatisches Motiv für ihr Innehalten und die Nachfrage. Ihr Verhalten lässt vielmehr darauf schließen, dass das Erkennen einer momentanen Lücke auch ohne äußere Notwendigkeit ihre Neugierde weckt und das Bedürfnis, sie zu schließen. Künftige Forschung wird hoffentlich dazu beitragen können zu ermitteln, wo die Grenze zwischen bewussten und unbewussten und damit auch mehr oder weniger kontrollierbaren Komponenten dieser Prozesse verläuft. <?page no="378"?> 378 Elsa Lattey / Rosemarie Tracy Legende zur Minimaltranskription kursiv recte und dann- (diese) [leiser] [er] [den] {a? a} -äh / -ähm- [T2: 107] englische Anteile in den Beispielen deutsche Anteile Abbrüche unklar zu identifizierende Stellen Kommentare verständnissichemde Zusätze phonetische Schreibweise, sprachliche Zuordnung nicht möglich genau Rekonstruktion und sprachliche Zugehörigkeit nicht möglich gefüllte Pausen (trotz deutscher Schreibung ist eine sprachliche Zuordnung nicht intendiert). Die Bezeichnungen in eckigen Klammem nach den Beispielen weisen auf Korpus und Zeilennummer hin. Namen von Familienmitgliedern wurden anonymisiert Literatur Alfonzetti, Giovanna (1998): The conversational dimension in code-switching between Italian and dialect in Sicily. In: Auer, Peter (Hg.): Code-switching in conversation. London. S. 180-211. Auer, Peter (Hg.) (1998a): Code-switching in conversation. London. Auer, Peter (1998b): From code-switching via language mixing to fused lects: Towards a dynamic typology of bilingual speech. In: Interaction and Linguistic Structures (InLiSt) 6, S. 1-28. Und in: International Journal of Bilingualism 3, S. 309-332. Blom Jan P./ Gumperz, John J. (1972): Social meaning in linguistic structures: Codeswitching in Norway. In: Gumperz, John J./ Hymes, Dell H. (Hg.): Directions in sociolinguistics: The ethnography of communication. New York. S. 407-435. Bühler, Karl (1934 (1965)): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart. 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Pennsylvania German in Contact with English. Diss. Univ. Tübingen. Tracy, Rosemarie (1995): Child Languages in Contact. Habil. Univ. Tübingen. Tracy, Rosemarie (2001): Language Mixing as a Challenge for Linguistics. In: Döpke, Susanne (Hg.): Cross-linguistic structures in simultaneous bilingualism. Amsterdam. S. 11-36. Weinreich, Uriel (1953): Languages in Contact. The Hague. Woolford, Ellen (1983): Bilingual Code-Switching and Syntactic Theory. In: Linguistic Inquiry 14 (3), S. 520-536. <?page no="381"?> Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors of this volume Gabriela Birken-Silverman: Privatdozentin für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Mannheim und Wissenschenschaftliche Angestellte des Projekts „Sprache italienischer Migranten in Mannheim: Intra- und interlinguale Varianz, Funktionen und Dynamik“ (seit 2000 Teil des DFG-Projekts „Sprachvariation als kommunikative Praxis: Formale und funktionale Parameter“). Studium der Romanistik und Anglistik, 1989 Promotion mit einer dialektologischen Studie über die palermitanisehen Mundarten, 1996 Habilitation mit einer soziolinguistischen Untersuchung zum Sprachkontakt Italienisch- Albanisch in Kalabrien. Hauptarbeitsgebiete: Italienisch und Französisch mit Beiträgen zu Sprachkontakt und Sprachminderheiten. Auswahl neuerer Publikationen: (2002) (zus. mit Christine Bierbach): Kommunikationsstil und sprachliche Symbolisierung in einer Gruppe italienischer Migrantenjugendlicher aus der HipHop-Szene in Mannheim. In: Keim, Inken/ Schütte, Wilfried (Hg.): Soziale Welten und kommunikative Stile. Tübingen. S. 187-215; (2003): Lexikalische Europäismen französischer Provenienz. Soziolinguistische und lexikalische Aspekte historischer Sprachkontaktsituationen in ausgewählten europäischen Sprachen. In: Ureland, Sture (Hg.): Convergence and Divergence of European Languages. Studies in Eurolinguistics I. Berlin. S. 109-145; (2004): Language Crossing Among Adolescents in a Multiethnic City Area in Germany. In: Hoffmann, Charlotte/ Ytsma, Jehannes (Hg.): Trilingualism in Family, School and Community. Clevedon. S. 75-100. Adresse: PD Dr. Gabriele Birken-Silverman Universität Mannheim Romanistik II Postfach 10 34 62 68131 Mannheim e-mail: birkens@split.uni-mannheim. de <?page no="382"?> 3 82 Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors ofthis volume Helmut Daller: Senior Lecturer fur Linguistik und Deutsch an der University of the West of England, Bristol. Studierte in Wuppertal, Köln, Düsseldorf und Amsterdam Germanistik, Deutsch als Fremdsprache und Niederlandistik. Von 1991 bis 1996 DAAD- Lektor in Istanbul, Promotion 1996 (Utrecht): Migration und Mehrsprachigkeit. Der Sprachstand türkischer Rückkehrer aus Deutschland. Erweiterte Fassung Frankfurt a.M. (1999) unter gleichem Titel. Publikations- und Forschungsschwerpunkte sind Bilingualismus, Sprachstandsmessung, Sprachkontakt und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Adresse: Dr. Flelmut Daller University of the West of England, Bristol The School of Languages and Linguistics Frenchay Campus Coldharbour Lane Bristol BS16 1QY, UK. e-mail: Helmut. DallerOuwe .ac.uk Tnci Dirim: Juniorprofessorin am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Universität Hannover. Studierte in Ankara, Bremen und Hamburg Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft, Linguistik und Erziehungswissenschaft. Promotion 1997 an der Universität Hamburg. Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Hamburg und Freiburg. Arbeitsschwerpunkte: Bilingualer Spracherwerb, Sprachverwendung in multilingualen Kinder- und Jugendlichengruppen im schulischen und außerschulischen Bereich, Sprachstandsmessungen, Migrantinnen und Migranten in der Berufsbildung. Neuere Publikationen: (1998): „Var mi lan Marmelade? “ - Türkisch-deutscher Sprachkontakt in einer Grundschulklasse. Münster; (2000): „Almanca konu§, damit ich auch etwas verstehe! “ - Code-Switching und sprachliche Identität. In: Aguado, Karin/ Hu, Adelheid (Hg.): Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität. Berlin. S. 113-123; (2004) (zus. mit Peter Auer): Türkisch sprechen nicht nur die Türken über die Unschärfebeziehung zwischen Sprache und Ethnie in Deutschland. Berlin. <?page no="383"?> Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors ofthis volume 383 Adresse: Prof. Dr. inci Dirim Universität Hannover Fachbereich Erziehungswissenschaften Institut für Erziehungswissenschaft Bismarckstr. 2 30173 Hannover e-mail: i . dirimOerz .uni-hannover. de Monica Heller: Professor at the Ontario Institute for Studies in Education (OISE) of the University of Toronto. Her major areas of research concern the relationship between language ideologies, language practices and the construction of social difference and social inequality, with a focus on francophone Canada. Her recent books include: (2001) (co-edited with Marilyn Martin-Jones): Voices of Authority: Education and Linguistic Difference. Westport CT; (2003) (co-edited with Normand Labrie): Discours et identites. La francite canadienne entre modemite et mondialisation. Femelmont. Articles have appeared in such journals as Language in Society, Journal of Sociolinguistics, Discurso y Sociedad, Estudios de Sociolinguistica, and Critique of Anthropology. Adress: Prof. Dr. Monica Heller University of Toronto Department of Anthropology OISE/ UT Centre de recherche en education franco-ontarienne 252 Bloor St. West Toronto, Ontario M5SIV6, Canada e-mail: mheller@oise . utoronto. ca Volker Hinnenkamp: Professor für Interkulturelle Kommunikation an der Fachhochschule/ University of Applied Sciences Fulda. Studium der Linguistik, Anglistik und Pädagogik an der Universität Bielefeld; Promotion Universität Bielefeld, Habilitation Universität Augsburg (Germanistische Linguistik). <?page no="384"?> 3 84 Über die Autoren und Autorinnen des Bandes/ About the authors ofthis volume Schwerpunkte der Arbeit sind Interkulturelle Kommunikation, Sozio- und Pragmalinguistik, Gesprächsforschung und Kommunikationsmanagement, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Sprachkontakt. Forschungsprojekte und Publikationen zum Foreigner Talk der Muttersprachler gegenüber Nichtmuttersprachlem, zur Interaktionalen und Interpretativen Soziolinguistik, zu Interkultureller Kommunikation und zu Missverständnissen in alltäglichen Gesprächen; aktueller Forschungsschwerpunkt zum „Gemischtsprechen“ von Jugendlichen mit mehrsprachigem Hintergrund. Neuere Publikationen u.a.: (1998): Missverständnisse in Gesprächen. Eine empirische Untersuchung im Rahmen der Interpretativen Soziolinguistik. Opladen/ Wiesbaden; (2000): Critical Incidents nella comunicazione interculturale. In: Ricci-Garotti, Federica/ Rosanelli, Maurizio (Hg.): Programmi di scambio con i paesi di lingua tedesca e dimensione interculturale. Milano. S. 148-166; (2001) (zus. mit Jannis Androutsopoulos): Code-Switching in der bilingualen Chat-Kommunikation. In: Beißwenger, Michael (Hg.): Chatkommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Stuttgart. S. 367-401; (2003): Misunderstandings: Interactional structure and strategic resources. In: House, Juliane/ Kasper, Gabriele/ Ross, Steven (Hg.): Misunderstanding in social life. Discourse approaches to problematic talk. Harlow. S. 57-81. Adresse: Prof. Dr. Volker Hinnenkamp ICEUS - Intercultural Communication and European Studies FB Sozial- und Kulturwissenschaften FH Fulda/ University of Applied Sciences Marquardstr. 35 36039 Fulda e-mail: volker. hinnenkamposk. f hfulda. de Inken Keim: Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Pragmatik“ des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim; Privatdozentin an der Universität Mannheim. Schwerpunkt in Forschung und Lehre: Pragmalinguistischer, soziolinguistischer und gesprächsanalytischer Bereich, zu dem die Autorin viele Publikationen verfasst hat. Z.Zt. im DFG-Projekt „Sprachvariation und die Herausbildung kommunikativer Stile in jugendlichen Migrantlnnengruppen“. <?page no="385"?> Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors ofthis volume 385 Neuere Veröffentlichungen u.a.: (2002) (hrsg. zus. mit Wilfried Schütte): Soziale Welten und kommunikative Stile. Festschrift für Werner Kallmeyer zum 60. Geburtstag. Tübingen; (2002): Sprach- und Kommunikationsverhalten von jugendlichen Migrantlnnen türkischer Herkunft in Deutschland. In: Deutsche Sprache 30(2), S. 97-123; (2003) (zus. mit Werner Kallmeyer): Eigenschaften von sozialen Stilen der Kommunikation: Am Beispiel einer türkischen Migrantinnengruppe. In: Erfurt, Jürgen (Hg.): „Multisprech“: Hybridität, Variation, Identität. (= OBST Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65). S. 35-56. Adresse: PD Dr. Inken Keim Institut für Deutsche Sprache (IDS) Postfach 10 16 21 68016 Mannheim e-mail: keim@ids-mannheim.de Elsa Lattey: Im Ruhestand; vorher wissenschaftliche Angestellte am Seminar für Englische Philologie der Universität Tübingen. Amerikanerin deutscher Herkunft, zweisprachig aufgewachsen; 1980 Ph.D. an der City University of New York im Fach Linguistik (Grammatical Systems Across Languages); später tätig als freiberufliche Übersetzerin, Redakteurin und Sprachlehrerin. Interessen- und Publikationsschwerpunkte: Sprachkontakt, Bilingualismus, Sprachvariation, Idiomatik, Zweitsprachenerwerb. Präsidiumsmitglied des deutsch-amerikanischen Instituts, Tübingen. Eine Vielzahl von Publikationen zum Thema Sprachkontakt; jüngeren Datums sind: (2001) (zus. mit Rosemarie Tracy): Language Contact in the individual: a case study based on letters from a German immigrant in New Jersey. In: Ureland, Sture (Hg.): Global Eurolinguistics. European Languages in North America - Migration, Maintenance and Death. Tübingen. S. 413-433; (2003): The more, the better! Immersionsunterricht in einer jahrgangsgemischten Klasse. In: Grundschulmagazin Englisch 6/ 2003; (hrsg. zus. mit Jadranka Gvozdanovic): Communicative Practice and Linguistic Choice. Amsterdam (demnächst). <?page no="386"?> 386 Über die Autoren und Autorinnen des Bandes/ About the authors ofthis volume Adresse: Dr. Elsa Lattey [i. R.] Seminar für Englische Philologie Universität Tübingen Wilhelmstr. 50 72014 Tübingen e-mail: elsa. lattey@uni-tuebingen.de Katharina Meng: Im Ruhestand; 1969-1991 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR; 1992-2001 wiss. Angestellte am Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim; apl. Prof, der Universität Mannheim. Studium der Germanistik, Slawistik und Erwachsenenbildung in Leipzig, Tätigkeit als Lektorin für Deutsch als Erst- und Fremdsprache und Russisch als Fremdsprache, Promotion und Habilitation an der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1994-1998 Leiterin des IDS-Projekts Sprachliche Integration von Aussiedlem. Neuere Publikationen u.a.: (2001): Russlanddeutsche Sprachbiografien. Untersuchungen zur sprachlichen Integration von Aussiedlerfamilien. Tübingen; (2002): „Wir sind ja Deutsche.“ Zum kulturellen Selbstverständnis einer russlanddeutschen Aussiedlerin. In: Hartung, Wolfdietrich/ Shethar, Alissa (Hg.): Kulturen und ihre Sprachen. Die Wahrnehmung anders Sprechender und ihr Selbstverständnis. Berlin. S. 107-122; (2003) (zus. mit Ekaterina Protassova): Deutsche, Russlandsdeutsche, Russe-Deutsche, rusaki - Selbstbezeichnungen und Selbstverständnisse nach der Aussiedlung. In: Erfurt, Jürgen (Hg.): „Multisprech“: Hybridität, Variation, Identität. (= OBST Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65). S. 173-202. Adresse: Prof. Dr. Katharina Meng Wuggelmühle 15848 Friedland e-mail: kathmeng@aol. com <?page no="387"?> Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors ofthis volume 387 Ingelore Oomen-Welke: Professorin für deutsche Sprache und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br. Studium der Fächer Geschichte, Französisch, Deutsch in Tübingen, Dijon und Bonn; Promotion in Tübingen. Realschullehrerin in Tübingen, Wiss. Assistentin, Dozentin, Professorin an den Pädagogischen Hochschulen Karlsruhe, Esslingen und Ludwigsburg. Ehrenprofessorin in Ungarn (1997); BMW-Award LIFE für interkulturelles Lernen (wissenschaftlicher Bereich, 1998); Mitglied der Worlddidac-Jury; Vorsitzende des Vereins Symposion Deutschdidaktik e.V.; Koordinatorin im europäischen und euro-afrikanischen Studentenaustausch und in Pilotprojekten der Europäischen Kommission und des Europarats. Veröffentlichungen und Forschungen zur Sprachdidaktik Deutsch, Deutsch als Zweitsprache und Zweisprachigkeit, Sprachenunterricht im europäischen Kontext, Sprachaufmerksamkeit und Sprachbewusstheit (language awareness) im mehrsprachigen Kontext. Neuere Publikationen u.a.: (2000): Umgang mit Vielsprachigkeit im Deutschunterricht - Sprachen wahmehmen und sichtbar machen. In: Deutsch lernen 2, S. 143-163; (2002): Geschlechterdifferenzen bei entstehender Sprachbewusstheit? In: Cheaure, Elisabeth/ Gutjahr, Ortrud/ Schmid, Claudia (Hg.): Geschlechterkonstruktionen in Sprache, Literatur und Gesellschaft. Gedenkschrift für Gisela Schoenthal. Freiburg i.Br. S. 181-205; (2003): Deutsch und andere Sprachen im Vergleich: Skizze einer grenzüberschreitenden Vorlesung. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 14/ 1, S. 53-70. Adresse: Prof. Dr. Ingelore Oomen-Welke Pädagogische Hochschule Freiburg i. Br. Kunzenweg 21 79117 Freiburg e-mail: oomen@ph-freiburg.de Tomas Pena Schumacher: Gegenwärtig arbeitet er an einem Promotionsvorhaben im Fach Deutsch als Fremdsprache an der Pädagogischen Hochschule Freiburg zum Thema „Sprachbiografien von subjektiv erfolgreichen Migrantenfamilien“. Tomas Pena Schumacher wurde in Peru geboren, wuchs zweisprachig auf und be- <?page no="388"?> 388 Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors ofthis volume suchte die Deutsche Schule in Lima; er lebt seit 1987 in Deutschland, beendete 2001 sein Studium an der Pädagogischen Hochschule Freiburg als Diplom-Pädagoge mit dem Hauptfach Deutsch als Fremdsprache. Neben der Promotion ist er Mitarbeiter in verschiedenen Projekten und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Adresse: Tomas Pena Schumacher Fabrikstr. 2 79312 Emmendingen e-mail: penaschu@ph-freiburg.de Carol W. Pfaff: Professorin für Linguistik am John F. Kennedy-Institut der FU Berlin. Studium der Mathematik, des Deutschen und der Linguistik; Ph.D. an UCLA in Linguistik (1973). Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Linguistic Universals, Syntax; Soziolinguistik; Sprachkontakt; (Zweit-)Spracherwerb. Neuere Publikationen u.a.: (1999): Contacts and Conflicts: Perspectives from Code-Switching Research. In: Pütz, Martin (Hg.): Language Choices. Conditions, Constraints, and Consequences. Amsterdam/ Philadelphia. S. 341-360; (2000): Development and use of etand yapby Turkish/ German bilingual children. In: Göksel, Asli/ Kerslake, Celia (Hg.): Studies on Turkish and Turkic Languages. Wiesbaden. S. 365-373; (2001): The development of co-constructed narratives by Turkish children in Germany. In: Verhoeven, Ludo/ Strömqvist, Sven (Hg.): Narrative Development in a Multilingual Context. Amsterdam/ Philadelphia. S. 153-187. Adresse: Prof. Dr. Carol W. Pfaff Freie Universität Berlin John F. Kennedy Institute for North American Studies Lansstr. 7 14195 Berlin e-mail: j fkilxpf@zedat. fu-berlin.de <?page no="389"?> Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors ofthis volume 389 Ekaterina Protassova: Professorin an der Pädagogischen Akademie und der Pädagogischen Universität in Moskau; z.Zt. Fellow am Collegium for Advanced Studies der Universität Helsinki zum Thema finnisch-russischer Sprach- und Kulturkontakt. Studierte strukturelle und angewandte Linguistik an der Lomonosov-Universität in Moskau; Promotion 1987 am Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR; Habilitation 1996 an der Pädagogischen Akademie Russlands zum Thema „Grundlagen des Zweitspracherwerbs im Kindergarten“. Tätigkeit an der Pädagogischen Akademie und der Pädagogischen Universität; Leiterin der Abteilung „Frühe Zweisprachigkeit“ am Zaporozec-Zentrum „Frühe Kindheit“; mehrere Forschungsaufenthalte am Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim, Mitarbeit am dortigen Projekt „Sprachliche Integration von Aussiedlem“. Viele Veröffentlichungen in russischer Sprache, u.a. zu Erhalt und Entwicklung des Russischen bei Kindern in mehrsprachigen Situationen (1996) und zu ‘Kinder und Sprachen’ (1998); in Deutsch: (2003) (zus. mit Katharina Meng): Deutsche, Russlandsdeutsche, Russe-Deutsche, rusaki - Selbstbezeichnungen und Selbstverständnisse nach der Aussiedlung. In: Erfurt, Jürgen (Hg.): „Multisprech“: Hybridität, Variation, Identität. (= OBST Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65). S. 173-202; (2001): Mitarbeiterin an der Monografie von Katharina Meng: Russlanddeutsche Sprachbiografien. Tübingen. Adresse: Universität Helsinki Collegium for Advanced Studies P.O.Box 4 00014 University of Helsinki Finnland e-mail: ekaterina .protassova@helsinki . fi Pia Quist: Currently working on her Ph.D.Diss. on youth language at the Research Centre for Nordic Languages at the University of Copenhagen. From 2000 to 2002 Danish lecturer at Osaka University of Foreign Studies, Japan; before affiliated to the Department of Danish Dialectology, Copenhagen University, on a project on youth language and new varieties. <?page no="390"?> 390 Über die Autoren und Autorinnen des Bandes/ About the authors ofthis volume Recent publications: (2002) (co-authoring J. Normann Jorgensen): Native Speakers' Judgements of Second Language Danish. In: Language Awareness 10(1), S. 41-56; (2002): Sproglig habitus, symbolsk magt og standardisering. Pierre Bourdieus begreber anvendt pä sociolingvistik. In: IDUN 15 (Osaka University of Foreign Studies), S. 119-130; (2003) (co-authoring Janus Möller): Youth Language in Denmark. In: International Journal of the Sociology of Language 159, S. 45-55. Address: Pia Quist Ph.d.-stipendiat Nordisk Forskningsinstitut Kobenhavns Universitet Njalsgade 136 2300 Kobenhavn S. e-mail: pia.quist@hum.ku.dk Rosemarie Tracy: Professorin für Anglistische Linguistik in Mannheim. Studium der Anglistik, Romanistik, Allgemeinen Sprachwissenschaft und Psychologie in Mannheim, Göttingen und den USA; Promotion in Göttingen zum Erstspracherwerb; Habilitation in Tübingen zum doppelten Erstspracherwerb Deutsch-Englisch in der frühen Kindheit. DFG-Projekte zum monolingualen und bilingualen Spracherwerb; gemeinsam mit Dr. Elsa Lattey Leiterin des Projekts „Sprachkontakt Deutsch-Englisch“ der Mannheimer Forschergruppe „Sprachvariation als kommunikative Praxis: formale und funktionale Parameter“. Forschungsinteressen: Spracherwerb, Psycholinguistik, Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt. Neuere Publikationen u.a.: (2000): Mixed utterances as a challenge for linguistics: problems of observational, descriptive, and explanatory adequacy, ln: Döpke, Susanne (Hg.): Cross-linguistic Structures in Simultaneous Language Acquisition. Amsterdam/ Philadelphia. S. 11-36; (2001): Epigenese und Selbstorganisation. In: Feilke, Helmuth et al. (Hg.): Grammatikalisierung und Spracherwerb. Tübingen. S. 49-65; (2001) (zus. mit Elsa Lattey): Language Contact in the Individual: a case study based on letters from a <?page no="391"?> Über die Autoren und Autorinnen des Bandes / About the authors of this volume 391 German immigrant in New Jersey. In: Ureland, Sture (Hg.): Language Contact in North America - Migration, Maintenance, and Death of the European Languages. Tübingen. S. 413-433. Adresse: Prof. Dr. Rosemarie Tracy Lehrstuhl fur Anglistische Linguistik Universität Mannheim Postfach 10 34 62 68131 Mannheim e-mail: rtracyOrumms . uni -mannheim. de <?page no="392"?> Die Beitragenden des Bandes untersuchen, wie sich unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen in vorwiegend asymmetrischen Sprachkontaktsituationen unterschiedliche mischsprachliche Verhältnisse wie Code-Switching, Code-Mixing und Code-Oszillationen herausbilden und in situierter Kommunikation, in literarischen Verarbeitungen und in Zeugnissen metasprachlicher Reflexion zeigen. Allen Beiträgen liegt die gemeinsame Fragestellung nach den polykulturellen und/ oder mehrsprachigen Selbstverständnissen zu Grunde. Diese manifestieren sich nicht nur in diskursiven Formen des Neben- und Miteinanders von Sprachen, sondern auch im hybriden Ineinander, mithin in eigenständigen Codes aus eigenem Recht heraus. Urbane, migrationsbedingte Sprachkonstellationen stehen im Vordergrund. Fallstudien exemplifizieren den deutsch-türkischen, deutsch-sizilianischen und deutsch-russischen, aber auch den deutsch-amerikanischen und englisch-französischen Sprachkontakt. Die Autorinnen und Autoren des Bandes, die aus verschiedenen Ländern stammen und zum Teil über eigene Migrationserfahrungen verfügen, forschen seit Jahren auf dem Gebiet gesellschaftlicher Mehr- und Anderssprachigkeit. Methodologisch sind die meisten soziolinguistisch und gesprächsanalytisch ausgerichtet. So ist eine lebensnahe wissenschaftliche Reflexion aktueller Probleme von Vielsprachigkeit entstanden, die die Durchlässigkeit und interaktive Verfasstheit von sprachlichen und kulturellen Grenzen aufzeigt. ISBN 3-8233-6145-7