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Valenz und diskursive Strategien

Die politische Rede in der Romania zwischen 1938 und 1945: . Franco – Mussolini – Pétain – Salazar

0725
2007
978-3-8233-7239-4
978-3-8233-6239-5
Gunter Narr Verlag 
Paul Danler

In der vorliegenden Arbeit geht es um eine streng sprachwissenschaftliche Analyse mehrerer Reden, die Franco, Mussolini, Pétain und Salazar zwischen 1938 und 1945 zu verschiedensten Anlässen hielten. Auf der Grundlage der syntaktischen, semantischen, pragmatischen und kognitiven Valenz werden zunächst die eingesetzten diskursiven Strategien identifiziert und dann die diskursiven Ziele eruiert. Vereinfacht gesagt, betrachten wir als diskursive Strategien in erster Linie die Art und Weise der morphosyntaktischen Argument- bzw. Modifikatorrealisierungen, während wir unter diskursiven Zielen die daraus resultierenden Effekte, wie beispielsweise Polarisierung, Abschieben von Verantwortung, Verschleierung, Täuschung, Mystifizierung, Nicht-Identifizierbarkeit des Gemeinten aber etwa auch das Schaffen von Spannung u.a.m. verstehen. Die politische Rede wird sprachwissenschaftlich durchleuchtet, um deren tatsächliches Funktionieren zu erfassen.

<?page no="0"?> Paul Danler Valenz und diskursive Strategien Die politische Rede in der Romania zwischen 1938 und 1945 Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="1"?> Valenz und diskursive Strategien <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 494 T B L <?page no="3"?> Paul Danler Valenz und diskursive Strategien Die politische Rede in der Romania zwischen 1938 und 1945: Franco - Mussolini - Pétain - Salazar Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft Wien, der Abteilung Kultur im Amt der Tiroler Landesregierung Innsbruck sowie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. © 2007 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6239-5 <?page no="5"?> ... vielen Menschen darf ich dafür danken, dass sie mich durch ihre langjährigen Arbeiten bereicherten und mein Nachdenken förderten, dass sie mich in Gesprächen zu Auseinandersetzungen anregten, dass sie mir fachlich und freundschaftlich bei dieser Arbeit zur Seite standen. Mein ganz besonderer Dank für die Ermutigung von Anfang an, für weisen Rat und kluge Kritik gilt meiner verehrten großen Lehrerin Frau Univ.-Prof. Dr. Drs. h.c. Maria Iliescu. <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 1. Introduktion ........................................................................................................... 5 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs .... 15 2.1 Thematik ................................................................................................................ 15 2.2 Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten............................. 16 2.3 Aktantielle Spezifizierungen............................................................................... 22 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive ................................... 25 2.4.1 Die Erstaktantenrealisierung im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen ........................................................................ 25 2.4.2 Die Realisierungsvarianten der Zweitbzw. dativischen Drittaktanten im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen .................... 35 2.4.3 Realisierungsvarianten der präpositionalen Drittaktanten im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen .................... 47 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive ... 53 2.5.1 Inklusion versus Exklusion .................................................................................. 53 2.5.2 Betonung der gemeinsamen Identität ............................................................... 57 2.5.3 Appell an das Identitätsbewusstsein ................................................................. 59 2.5.4 Demonstration der Autorität des Redners........................................................ 61 2.5.5 Intensivierte Argumentpräsenz durch mehrgliedrige Aktanten .................. 62 2.5.6 Aufrechterhaltung der Argumentpräsenz durch wiederkehrende identische Aktantenspezifizierungen ................................................................ 65 2.5.7 Spannung durch markierte Serialisierung und Realisierungsvarianten der Aktanten .......................................................................................................... 66 2.5.8 Quintärrealisierte Allusion statt Bezeichnung ................................................. 70 2.5.9 Transphrastik durch unterschiedliche Realisierungsvarianten eines Arguments ............................................................................................................. 71 2.6 Fazit......................................................................................................................... 72 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs ............................................................................................................ 75 3.1 Thematik ................................................................................................................ 75 3.2 Zirkumstanten in Abgrenzung gegen Aktanten.............................................. 76 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive ......................... 81 3.3.1 Die Primärrealisierung......................................................................................... 88 3.3.2 Die Sekundärrealisierung .................................................................................... 92 3.3.3 Die Tertiärrealisierung ......................................................................................... 95 3.3.4 Die Quartärrealisierung ....................................................................................... 96 3.3.5 Die Quintärrealisierung ....................................................................................... 98 <?page no="8"?> 3.4 Versuche von Zirkumstantenklassifizierungen ............................................... 99 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive ... 104 3.5.1 Die Vermittlung von Aspekt, Aktualität und Modalität .................................. 107 3.5.2 Die Vermittlung von Bedingung........................................................................ 113 3.5.3 Die kommunikativ notwendige Vermittlung von Umständen ..................... 114 3.5.4 Die Vermittlung der Legitimation des Redners Aussagen: attitudinale Zirkumstanten ..................................................................................................... 117 3.5.5 Die Vermittlung des Redners Sehweise von Zusammenhängen: diskursstrukturierende Zirkumstanten ................................................................. 121 3.5.6 Die Vermittlung des Redners Erklärungen seines Diskurses: metadiskursive Zirkumstanten.............................................................................. 125 3.5.7 Die Vermittlung der Spannung im Diskurs: markiert serialisierte Zirkumstanten ....................................................................................................... 126 3.5.8 Die Vermittlung von vermeintlicher Plausibilität: Leerzirkumstanten......... 130 3.5.9 Die Vermittlung der Einheit des gesamten Diskurses: Rahmenbildung durch iterative Zirkumstanten ............................................................................. 136 3.6 Fazit....................................................................................................................... 140 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung ....... 143 4.1 Thematik .............................................................................................................. 143 4.2 Denotatswissen und signifikative Brechung .................................................. 150 4.3 Sachwissen und Sprachwissen als Grundlage für Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung...................................................................... 155 4.4 Die Perspektivierung.......................................................................................... 158 4.4.1 Perspektivierung und Nullaktantifizierung ................................................... 165 4.4.2 Perspektivierung und Nullzirkumstantifizierung ........................................ 174 4.5 Die Fokalisierung ................................................................................................ 176 4.5.1 Große verbsememische Intension enger Rahmen für fokalisierte Extension .............................................................................................................. 178 4.5.2 Kleine verbsememische Intension weiter Rahmen für fokalisierte Extension .............................................................................................................. 179 4.6 Die Fokussierung ................................................................................................ 183 4.6.1 Die Hervorhebung durch Spaltsätze ............................................................... 184 4.6.2 Die Passivkonstruktion mit Nennung des Agentivs ..................................... 186 4.6.3 Die markierte Realisierung des Erstaktanten ................................................. 189 4.6.4 Die Spezifizierung von Zirkumstanten ........................................................... 190 4.7 Die Orientierung ................................................................................................. 192 4.7.1 Die Gebensversus Nehmens-Orientierung.................................................... 192 4.7.2 Die Mitteilensorientierung: Hörerversus Sachorientierung ...................... 198 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz .............................. 201 4.8.1 Die Passivdiathese .............................................................................................. 202 4.8.2 Die rezessive Diathese........................................................................................ 205 <?page no="9"?> 4.8.3 Die SE-Diathese ................................................................................................... 213 4.8.4 Die kausative Diathese....................................................................................... 236 4.8.5 Deverbale Substantive........................................................................................ 243 4.9 Fazit....................................................................................................................... 264 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln ............................................... 265 5.1 Thematik .............................................................................................................. 265 5.2 Die Bedeutung als zu analysierende Einheit .................................................. 266 5.3 Funktorenstrukturen .......................................................................................... 269 5.3.1 Funktorenstrukturen im Text............................................................................ 272 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln................................................... 281 5.4.1 Archisemformeln im Text.................................................................................. 284 5.5 Fazit....................................................................................................................... 310 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede............................................ 313 6.1 Diskursive Strategien ......................................................................................... 313 6.2 Diskursstrategische Mittel................................................................................. 314 6.3 Diskursstrategische Ziele................................................................................... 314 6.3.1 Die Übertragung der Verantwortung.............................................................. 314 6.3.2 Die manipulierte Orientierung ......................................................................... 315 6.3.3 Dynamisierung versus Statisierung der Darstellung ..................................... 315 6.3.4 Die Polarisierung ................................................................................................ 315 6.3.5 Die Konstruktion der Wir-Identität................................................................... 316 6.3.6 Die (Be-)Stärkung der Ihr-Identität ................................................................... 316 6.3.7 Die Betonung der Autorität des Redners ........................................................ 317 6.3.8 Die Fokussierung ................................................................................................ 317 6.3.9 Die Nicht-Identifizierbarkeit der bzw. des Gemeinten................................. 317 6.3.10 Die Aufrechterhaltung der Argumentpräsenz............................................... 318 6.3.11 Die Generizität .................................................................................................... 318 6.3.12 Die Habitualität................................................................................................... 318 6.3.13 Die Akzentuierung von Handlung oder Geschehen..................................... 319 6.3.14 Die Unterstreichung der Potentialität.............................................................. 319 6.3.15 Die Vermeidung von Konfrontation................................................................ 319 6.3.16 Die Mystifizierung.............................................................................................. 319 6.3.17 Die Vagheit .......................................................................................................... 320 6.3.18 Die Verschleierung ............................................................................................. 321 6.3.19 Die Täuschung..................................................................................................... 321 6.3.20 Die Subjektivierung der Darstellung ............................................................... 322 6.3.21 Das Herstellen von Kohärenz und Kohäsion ................................................. 322 6.3.22 Die Spannung im Diskurs ................................................................................. 322 7. Konklusion ......................................................................................................... 323 Bibliographie ................................................................................................................. 327 <?page no="11"?> 1. Introduktion Valenz und diskursive Strategien - eine unmögliche Verquickung, eine zulässige Junktimierung oder gar ein vielversprechender diskursanalytischer Ansatz? Und dann noch diskursive Strategien in der politischen Rede, konkret in der Romania zwischen 1938 und 1945, lokalisierbar, identifizierbar und begründbar auf valenztheoretischer Grundlage? Dies sind die prinzipiellen Fragen, auf die sich im Laufe der eben so konzipierten Untersuchung Antworten herauskristallisieren mögen. Als Begründer der modernen Valenztheorie gilt der Schöpfer der Éléments de Syntaxe Structurale Lucien Tesnière ( 2 1965). 1 Es wird gelegentlich behauptet (vgl. Helbig 1988, 7; 1992, 5; 1996, 43), 2 dass der Valenzbegriff an sich bei den Vätern der modernen Valenztheorie nicht klar definiert sei, weshalb man ihn von Anfang an nicht eindeutig als formalen oder aber als begrifflichen qualifizieren könne. Nun handelt es sich vordergründig bei der Valenztheorie um eine Syntaxtheorie, auf deren semantische Bedingtheit und im weitesten Sinne auch Funktion allerdings schon Tesnière ( 2 1965, 42 ff.) selbst dezidiert verwiesen hat: [...] le plan structural et le plan sémantique sont indépendants l’un de l’autre. Mais cette indépendance n’est qu’une vue théorique de l’esprit. Dans la pratique les deux plans sont en fait parallèles, parce que le plan structural n’a d’autre objet que de rendre possible l’expression de la pensée, c’est-à-dire du plan sémantique. Entre les deux, il n’y a pas identité, mais il y a parallélisme. [...] Ce parallélisme se manifeste dans les connexions. Aux connexions structurales se superposent en effet des connexions sémantiques. [...] En d’autres termes, on peut formuler le parallélisme en disant que le structural exprime le sémantique. [...] 3 Tesnière hebt also nicht nur hervor, dass es geradezu dem Wesen des Syntaktischen entspreche, Semantisches zum Ausdruck zu bringen, er nimmt ferner zumindest indirekt schon vorweg, dass es zwar die semantische Bedingtheit des Syntaktischen gebe, 4 was aber keinesfalls bedeute, dass es sich bei Syntax und Semantik um identische Ebenen handle. 5 1 Vgl. zur Geschichte der Valenzidee u.a. Ágel (2000, 13 ff.). 2 Laut Helbig (1996, 43) resultiert aus der mangelhaften Differenzierung und unpräzisen Definition des Valenzbegriffes selbst bereits bei Tesnière ( 2 1965) die Einebnung der Unterschiede zwischen Kategorien und Funktionen. 3 Die Hervorhebungen stammen von Tesnière. 4 Der von Tesnière verwendete Terminus parallélisme scheint allerdings nicht der günstigste, zumal er den Eindruck erweckt, als ob das Syntaktische und das Semantische nebeneinander bestünden. 5 Gerade Helbig (1992, 140) beteuert mit Nachdruck, dass es keine Isomorphie zwischen Ausdrucks- und Inhaltsebene gebe. <?page no="12"?> 1. Introduktion 6 Jeder Syntaxtheorie und somit auch der Valenztheorie geht es darum, auf ihre Weise den Satz als Konstruktion zu erklären. 6 Anders als viele mehr oder weniger geläufige und erfolgreiche Syntaxtheorien von Aristoteles bis Chomsky, in denen jeweils das Subjekt die ausgezeichnete Stellung einnimmt (vgl. Welke 1988a, 168), geht die Valenztheorie davon aus, dass das Verb das zentrale Element des Satzes ist, von dem die Konstruktion des jeweiligen Satzes - bzw. zumindest dessen Rohbau - abhängt. 7 Das Verb gilt als der Zentralknoten des Satzes (vgl. Ágel 2000, 76). Die Satzkonstituierung gehe vom Verb aus (vgl. Loga eva 1990, 65), das Verb, das den Satz in nuce schon in sich trage, sei gewissermaßen bereits „virtuelle Sachverhaltsdarstellung“ (Koch 1991, 301), zumal die für die Satzkonstituierung wesentlichen Elemente, meint Aktanten, nach dem Prinzip „the kernel syntactic relation is that of dependence“ (Daneš 1964, 227) - und zwar allein Verbdependenz im Rahmen der Valenz - vom Verb abhängig, im Sinne von determiniert, sind. Infolgedessen wird die Valenzbeziehung ganz allgemein als Ergebnis der Realisierung derartiger semantischer Determinationsbeziehungen zwischen dem Verb (Funktor) und den von diesem determinierten Aktanten (Argumenten), welche gemeinsam mit dem Verb die für den Satz konstitutiven Elemente darstellen, verstanden (vgl. Moilanen 1985, 189). Wenn wir zu unserem Bild des Rohbaus einer fertig zu stellenden Satzkonstruktion zurückkehren, das Verb als Fundament betrachten, von dem alles ausgeht, in den tragenden Wänden die Aktanten sehen und das Dach gewissermaßen als syntaktische und semantische Satzklammer interpretieren, so stellt sich die Frage nach den abteilenden Zwischenwänden, nach Balkonen, Erkern und Türmchen, die über eine minimale Gesamtkonstruktion hinausweisen, sowie nach Fenstern und Türen, die sozusagen in andere Dimensionen führen oder Ausblick in andere Umstände gewähren. Nicht immer ist jedoch leicht festzulegen, was zum Wesen der Konstruktion gehört, und was de facto nicht-notwendig ist und damit bereits über die notwendige Minimalkonstruktion hinausgeht. Dies trifft nun sowohl auf die architektonische als auch auf die Satzkonstruktion zu. Die Diskussion über unentbehrlich versus entbehrlich in der Satzkonstruktion durchzieht die Geschichte der Valenztheorie von ihren Anfängen bis heute. Für die Wohlgeformtheit des Satzes galten (und gelten) die Aktanten grosso modo als unentbehrlich, die Zirkumstanten hingegen als entbehrlich. Allein, es bleibt die Frage: Was sind Aktanten und was sind Zirkumstanten? Zahlreiche Testverfahren zur Überprüfung des aktantiellen bzw. zirkumstantiellen Status der Satzkonstituenten wurden entwickelt und mangels Tauglichkeit wieder verworfen. Eine Vielzahl von Valenzmodellen, von nach wie vor quasi dichotomischen (Askedal 1995) über Kontinuummodelle (Heringer 1984; 1985) oder Modelle gradueller Abstu- 6 „Syntax ist darauf gerichtet, die äußere wahrnehmbare Struktur von Sätzen zu erklären. Sie ist in diesem Sinne Oberflächensyntax. Sie kann das letztlich aber nur, wenn sie auch tiefere formal nicht oder nicht direkt ausgedrückte semantische Beziehungen berücksichtigt“, so Welke (1995, 169). 7 Welke (2001, 170; 2002, 110 ff.) gibt aber zu bedenken, dass die Sonderstellung des Subjekts in der Valenztheorie zwar aufgegeben wurde, auf der Grundlage der Reihenfolge 1., 2., 3. Argument aber quasi durch die Hintertür wieder hereingeholt wurde. <?page no="13"?> 1. Introduktion 7 fungen (Adamzik 1992; Storrer 2002) bis hin zur Valenzkonzeption als mehrdimensionales Phänomen (Jacobs 1992; 1993; 1994a; 1994b; 2003; Ágel 1995; 2000; 2004; Blume 1993; Zifonun 1995 8 ), zeugt im Grunde von der schier unlösbaren Problematik der eindeutigen aktantiellen bzw. zirkumstantiellen Statusbestimmung diverser Satzelemente im jeweils aktuellen Satz. 9 Es sind vor allem die Zirkumstanten, die aus formaler und funktionaler Sicht sowie unter dem Aspekt des syntaktischen Status eine sehr heterogene Gruppe bilden und die nach unterschiedlichen Kriterien subklassifiziert worden sind und werden. In der Regel gelten die Zirkumstanten als frei hinzufügbar, es gibt allerdings auch valenzgebundene. Die Zirkumstanten werden u.a. nach dem Kriterium sememindiziert vs. sememinduziert klassifiziert, oder aber auch nach einem rein pragmatischkommunikationstheoretischen. Eine weitere Möglichkeit, die Zirkumstanten zu klassifizieren, ist jene, nach dem Kriterium vorzugehen, ob sie durch die lexikalischen Eigenschaften des Verbs selektioniert, oder aber durch die grammatischen Werte desselben bestimmt werden. 10 In den siebziger und achtziger Jahren vollzieht sich eine Art pragmatische Wende von der Systemlinguistik zur angewandten Linguistik, im Zuge derer Heringer erklärt, dass die Frage der Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten prinzipiell fehlgeleitet sei, denn die Abgrenzung unterliege de facto semantischpragmatischen Bedingungen. Als entscheidendes Kriterium wird in der Folge immer mehr jenes der kommunikativen Relevanz angesehen (vgl. Juhász 1985, 149 ff.). Für die Valenztheorie bedeutet die pragmatische Wende ebenfalls eine Hinwendung zum aktuellen Text (vgl. u.a. R ži ka 1978; Sæbø 1984; Simmler 1985; 1994; Sommerfeldt 1973, 1989; 1991; 1992; 1999; Schwitalla 1985; 1988; Welke 1988a). Es geht verstärkt um die Realisierungsbedingungen von Argumenten (und Modifikatoren), d.h. es interessiert zunehmend, ob, und wenn ja, wie und warum Argumente (und Modifikatoren) realisiert - oder spezifiziert - werden und warum in bestimmten Fällen nicht. Auf die pragmatische Wende folgt gewissermaßen eine Art kognitive Wende, die im Rahmen der Valenztheorie - im weitesten Sinne - verstärktes Interesse an den Geschehenstypen der kognitiven Psychologie auslöst (vgl. u.a. Fillmore 1968; 1971; 1977a; 1977b; 1986; 1987; 2003; Klix 1987; 1990; Klix et al. 1979; 1984; 1987; Gansel 1992a; 1992b; 1992c; 1992d; 1993; 1996; 1997; 2003). Diese Geschehenstypen sollen Einblick in die konstitutiven Elemente und Relationen umfassender Szenen geben, die gewissermaßen die Folie darstellen (sollen), auf der linguistische Modelle skizziert und diskutiert werden, in die sowohl die entsprechenden Handlungsträger als auch Umstandsträger Eingang finden, wodurch sozusagen die Ak- 8 Zifonun (1995, 177) spricht davon, dass es nicht eine Valenz gebe, sondern dass Valenz aus mehreren recht handfesten Einzelexistenzen bestehe. Nach Zifonun (1972, 172) gibt es aber interessanterweise „nicht mehrere koexistente Valenzeigenschaften sprachlicher Einheiten [...], sondern die Erklärungsversuche betreffen alle eine Eigenschaft [...].“ 9 Aus diesem Grunde wurde mitunter gefordert, vom Ziel des definitorischen Erfassens der Aktanten und Zirkumstanten überhaupt abzusehen (vgl. etwa Vater 1978). 10 Vgl. die ausführlichere Übersicht in Kapitel 3.4 <?page no="14"?> 1. Introduktion 8 tanten und Zirkumstanten wiederum aus einer anderen Perspektive beleuchtet werden. Das ursprünglich (semantisch-)syntaktische Phänomen der Verbvalenz ist also im Laufe der Zeit im Wesentlichen nach zwei Richtungen ausgeweitet worden: zum einen vom Verb auch auf andere Wortarten (vgl. u.a. Bondzio 1976; 1977; 1978; 1980; 1993; 2001; Helbig 1976a; 1983b; 1992; Stepanowa/ Helbig 1978) und zum anderen von der (semantisch-)syntaktischen Ebene auf die kommunikativpragmatische und in der Folge auf die kognitive. Durch diese zweifache Ausweitung der Valenztheorie sind zweifellos aufschlussreiche Einblicke in neue Dimensionen gewonnen worden. Ob dadurch jedoch Licht ins Dunkel der ursprünglichen Kernfragen der Valenztheorie gebracht wurde, sei dahingestellt und ob es sinnvoll ist, so unterschiedliche Phänomene wie erstens die ursprüngliche (semantisch-)syntaktische Valenz im Sinne von Stelligkeit oder potentieller Kombinatorik, zweitens die im Rahmen der pragmatischen Valenz untersuchten definiten und indefiniten Auslassungen auf der parole-Ebene und drittens die im Bereich der kognitiven Valenz analysierten, sich an den Geschehenstypen orientierenden kognitiven Szenen unter Valenz zu subsumieren, ist wohl eher fraglich. 11 Die verschiedenen Typen von Auslassung sind zweifellos gut anhand der Valenztheorie zu beschreiben und zu erklären. Dieser Ansatz befindet sich aber im Kernbereich der Valenztheorie und schon deshalb ist die Bezeichnung dafür als pragmatische Valenz irreführend, da sie nämlich den Eindruck erweckt, als ob es sich um eine Valenz der anderen Art handelte, welche immer dies auch letztlich sein könnte. De facto geht es aber dabei um nichts anderes als um die Besetzung bzw. Nicht-Besetzung von Leerstellen, die vom Funktor, bedingt durch seine ihm inhärente Stelligkeit, eröffnet wurden. Logisch gesehen, stellt das Verb mit den von diesem eröffneten Leerstellen die Satzfunktion dar, und die Leerstellen sind dann eben explizit oder implizit besetzt (vgl. Nikula 1986, 264) oder aber sie bleiben unbesetzt. Wie dem auch sei, bestehen bleibt, dass die Valenz eine Eigenschaft des Lexikons ist, und zwar eine „zentrale Eigenschaft des Lexikons“, wie Helbig (1992, 149) sagt, die „im Schnittpunkt zwischen Semantik und Syntax [...] als wesentlicher Teil des Zuordnungsmechanismus von Semantik und Morpho- 11 Wotjak (1990; 159 ff.; 1991a, 111; 1994a, 188) geht davon aus, dass es keinen Sinn habe, die Valenz auf die Pragmatik auszudehnen, was aber keinesfalls heißen sollte, dass die Valenz nicht für die Beschreibung der kommunikativ-situativen Verwendung lexikalischer Einheiten nützlich wäre. Eine pragmatische Valenz bringe keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, weshalb es besser sei, die Valenz auf die morphosyntaktischen Aspekte der Kombinatorik zu beschränken (vgl. Wotjak 2000, 7 ff.). Das Valenzkonzept werde zu heterogen, eine pragmatische Valenz stifte Verwirrung (Wotjak 2002b, 468 ff.), womit Wotjak sicher Recht hat, zumal sich das eine auf der langue-Ebene und das andere auf der parole-Ebene befindet. Pragmatisch im Zusammenhang mit Valenz sei auch schon deshalb problematisch, so Nikula (2003, 499), weil es überhaupt keinen Konsens darüber gebe, was nun genau unter Pragmatik zu verstehen sei. Auch Helbig (1995, 269) äußert sich kritisch gegenüber einem zu heterogenen Valenzbegriff und meint, „wenn Valenz alles bedeutet, bedeutet sie nichts mehr.“ Wenn jedoch verschiedene Phänomene unter Valenz subsumiert werden, dann müssten diese auf alle Fälle streng auseinander gehalten werden. <?page no="15"?> 1. Introduktion 9 syntax verstanden wird“ (Helbig 1992, 150). Valenz ist insofern als „der zusammenfassende Begriff für alle in einem Wort enthaltenen Informationen über die Kombinierbarkeit dieses Wortes mit anderen Wörtern im Satz“ (Welke 1988a, 19) zu verstehen. Die Selektion der zu realisierenden Argumente ist somit in erster Linie eine Angelegenheit des Lexikons (vgl. Nikula 1999, 393) und erst auf der Grundlage der Vorgaben des Lexikons kommt die Pragmatik in zweiter Linie zum Zug. Es sind also die Verben als lexikalische Einträge, die aufgrund ihrer Stelligkeit die Satzbaupläne determinieren. Vor dem Hintergrund dieser Einsicht ist es nur nahe liegend, dass die Hauptanwendungsgebiete der Valenztheorie zum einen die Lexikographie und zum anderen, allerdings damit in unmittelbarem Zusammenhang stehend, der Fremdsprachenunterricht sind. Koch/ Krefeld (1991, 22) erachten die praktische Anwendbarkeit der Valenztheorie in der Lexikographie, die zu „Neuorientierungen in der Grammatikographie“ geführt habe, als deren entschiedenes Plus. Es sei an dieser Stelle aber doch darauf hingewiesen, dass die Valenztheorie als solche nicht als umfassende Grammatiktheorie zu verstehen ist. Wenngleich die Aktanten und möglicherweise auch manche Zirkumstanten 12 vom Verb determiniert werden, so kann man dennoch nicht leugnen, dass viele andere Satzelemente nicht vom Verb abhängen, weshalb ein Terminus wie Valenzgrammatik im Grunde unrealistisch ist (vgl. Helbig 1995, 270). Grammatik und Lexikon sind somit - nach Helbig (1998, 1) - trotz zahlreicher Interrelationen ihrem Wesen nach als zwei sich ergänzende und zugleich gegenüberstehende Komponenten der Sprache zu sehen, wobei wir doch auch sich gegenseitig bedingend hinzufügen würden, was aber keinesfalls bedeuten sollte, dass die dem Kern des Lexikons entstammende Valenztheorie nicht praktischen grammatischen Zwecken dienlich sein könnte. Zöfgen (1992, 157) erklärt, dass sich gerade im Fremdsprachenunterricht 13 „der Valenzgedanke gegenüber anderen Grammatikmodellen in vieler Hinsicht als überlegen erwiesen hat“, wenngleich es sich dabei um teilgrammatische und eben nicht um umfassend grammatische Ansätze handeln mag. Allein schon der Einsatz von Valenzlexika im Fremdsprachenunterricht scheint sinnvoll, zumal diese eben viel mehr für den Lerner unentbehrliche grammatische Informationen enthalten als Standardwörterbücher (vgl. Schumacher 1995, 288). Ein weiterer Bereich, in dem gerade im Zuge des Aufschwungs der linguistischen Pragmatik valenztheoretisch intensiv gearbeitet wurde, ist jener der textsortenspezifischen Realisierungsbedingungen für Aktantifizierungen von Argumenten bzw. Zirkumstantifizierungen von Modifikatoren (vgl. u.a. Simmler 1985; 1994; Schwitalla 1985; 1988). Es ist dabei jedoch nicht aus dem Auge zu verlieren, dass die Valenz als „systembezogene Größe“ streng von „textsortenpräferenten wie kommunikativ-situativ spezifisch aktualisierten Textbelegungen der LE-token“ (Wotjak 1991a, 111) zu unterscheiden ist. Sowohl dem theoretischen als auch dem angewandten Bereich der Valenz sind außerdem noch einige zum Teil umfassende und komplexe Untersuchungen 12 Darauf wird im entsprechenden Kapitel näher einzugehen sein. 13 Vgl. etwa für das Französische Klein (1983) oder für das Deutsche Helbig/ Buscha (2001). <?page no="16"?> 1. Introduktion 10 aus der historisch-synchronen Valenzsyntax zuzuordnen (vgl. u.a. Greule 1982a; 1982b; Ágel 1988). Es stellt sich infolge dieser Rundschau allerdings heraus, dass es für die hier anvisierte Untersuchung offensichtlich kein Modell gibt, an dem sich diese unmittelbar orientieren oder gegen das sie sich auch unmittelbar abgrenzen könnte. Worum geht es uns nun also konkret? Es geht darum, mit Hilfe des von der Valenztheorie zur Verfügung gestellten Instrumentariums diskursive Strategien der politischen Rede - im vorliegenden Fall in der Romania zwischen 1938 und 1945 - aufzuspüren, zu identifizieren und möglichst auch funktional zu interpretieren bzw. zu erklären. Diskursiv hat mehrere Bedeutungen, leitet sich aus Diskurs ab, und Diskurs geht wohl auf lateinisch discursus zurück, das im Mittellatein auch die Bedeutung / Gespräch/ annahm (vgl. Du Cange 1954, 134). 14 Es gibt nun eine Vielzahl von Definitionen von Diskurs, auf die einzugehen an dieser Stelle aber weder zweckmäßig noch möglich wäre. Strategisch kommt von Strategie und Strategie von griechisch stratêgia < stratêgos, 15 dem Heerführer oder Kommandanten. Strategie bedeutet also im ursprünglichen Sinn so etwas wie die Kunst der Kriegsführung. Im übertragenen und entsprechend weiteren Sinn hingegen ist darunter „predisposizione e coordinamento dei mezzi necessari per raggiungere un determinato obiettivo“ (Zingarelli 2003, 1808) zu verstehen. In Bezug auf die Sprache bedeutet Strategie folglich, dass durch den Einsatz gewisser sprachlicher Mittel sowie durch eine möglichst effiziente Abfolge derselben im Diskurs bestimmte außersprachliche Ziele verfolgt werden. 16 Die sprachlichen Mittel sind die zur Verfügung stehenden Waffen, der Redner ist der Kommandant, der stratêgos. Wir betrachten den Diskurs im Sinne von Brown/ Yule (1989) als vom Sprecher für den Hörer konstruierten Text, weshalb es in der entsprechenden Diskursanalyse darum gehen muss, das Konstrukt Text auseinander zu nehmen, um die Konstruktion 17 im Sinne von Zusammenbau sowie die dahinterstehenden Pläne zu verstehen bzw. zu durchschauen. Im Einladungsbrief zum fünften Lunder Symposium schrieb Rosengren Folgendes: Es scheint mir, dass wir uns nun schon sehr viele Jahre damit beschäftigt haben, zu beweisen, dass die Sprache bzw. das Sprachsystem keine von seiner Anwendung isolierte Erscheinung ist, dass im Gegenteil sprachliche Äußerungen [...] auch von Regeln außerhalb des sprachlichen Systems gesteuert werden. Während dieser 14 Zingarelli (2003, 558) vermutet, dass sich il discorso aus dem lateinischen Partizip Perfekt Passiv discursum ableitet. 15 Vgl. Rey/ Rey-Debove ( 2 1981, 1867). 16 Es sind, so gesehen, allerdings alle sprachlichen Kommunikationsarten oder -weisen als mehr oder weniger strategisch geprägt zu betrachten (vgl. Gumperz 12 1999). In diese Richtung geht die funktionale Betrachtungsweise, aus deren Warte sprachliche Mittel als „set of options by means of which a speaker or writer is enabled to create texts“ (Halliday 1970) verstanden werden, mittels derer pragmatische Ziele verfolgt werden. Die getroffene Entscheidung für den Einsatz der jeweiligen Mittel ist funktional bestimmt (vgl. auch Halliday 1967, 211 ff.). 17 Konstruktion ist hier also als nomen actionis zu verstehen, das entsprechende nomen acti ist Konstrukt. <?page no="17"?> 1. Introduktion 11 Aufbauzeit haben wir uns m.E. nicht immer ausreichend darum bemüht, die Rückkoppelung zum Sprachsystem zu finden. Wir haben z.B. Strategien aufgedeckt, die sich aus dem kommunikativen Ziel des Senders erklären, ohne gleichzeitig systematisch nach der sprachlichen Realisierung dieser Strategien zu fragen [...]. Es gibt heute, glaube ich, eine Tendenz, sich von der pragmatischen Wende wieder abzuwenden [...]. Wenn es sich aber nun so verhält, [...] müsste es doch jetzt unsere Aufgabe sein, die Beziehung zwischen Handlungssystem und Sprachsystem (weiter) aufzudecken. (cit. in Helbig 1986, 405) 18 Ganz in diesem Sinne ist es unser Ziel, in den politischen Reden verwendete kommunikative oder diskursive Strategien aus dem Sprachsystem heraus zu erklären, und zwar, wie gesagt, mit Hilfe des von der Valenztheorie bereitgestellten Instrumentariums. Das der Untersuchung dienende Korpus setzt sich aus vierzig politischen Reden zusammen, die allesamt zwischen 1938 und 1945 gehalten wurden. Zehn davon stammen von Franco, zehn von Mussolini, zehn von Pétain und zehn von Salazar. Der genannte Zeitabschnitt deckt sich fast exakt mit der Dauer des zweiten Weltkrieges und stellt außerdem, wenn auch nicht genau, so doch im Wesentlichen die Schnittmenge der Amtszeiten der genannten Politiker dar. Da diese Untersuchung jedoch nichts mit einer inhaltlich-ideologischen Auseinandersetzung zu tun hat, spielt die Tatsache, dass es sich bei genanntem Zeitabschnitt um einen politisch äußerst brisanten handelt, für die Analyse keine unmittelbare Rolle. Thematisch sind die Reden breit gefächert, sie sind verschieden lang und sie wurden außerdem vor sich völlig unterschiedlich zusammensetzenden Zuhörerschaften gehalten. Es geht bei dieser Untersuchung nicht darum, sprachliche Unterschiede zwischen den Reden eines Autors oder auch der verschiedenen Autoren herauszuarbeiten. Es geht auch nicht darum, etwaige Abhängigkeiten der diskursiven Strategien vom jeweiligen Publikum zu eruieren, und, wie gesagt, es geht schon gar nicht darum, eine ideologiekritische Analyse 19 vorzunehmen. All dies wäre soziopolitisch von eminenter Relevanz und soziolinguistisch zweifellos sehr interessant. Allein, es scheint uns unabdingbar, dass in einer ersten Phase einer linguistischen Analyse des politischen Diskurses, als die wir unsere Untersuchung betrachten, die verwendete Sprache an sich nach einer rigoros linguistischen Methode analysiert wird. Es ist also unser Ziel, die von Rosengren einst geforderte sprachliche Realisierung diskursiver Strategien - der politischen Rede in der Romania zwischen 1938 und 1945 in dieser Untersuchung - zu erforschen, und dadurch, wie sie verlangte, „die Beziehung zwischen Handlungssystem und Sprachsystem (weiter) aufzudecken“ (Rosengren cit. in Helbig 1986, 405). Bevor wir nun am Ende der Einleitung unsere Thesen aufstellen, halten wir zusammenfassend fest, warum uns gerade die Valenztheorie eine für unsere Untersuchung adäquate und interessante Methode erscheint. Bereits die Gegenüberstellung zweier Sätze wie a) *Der Politiker verspricht dem Volk vs. b) Der Politiker 18 Unsere Hervorhebungen. 19 Im Sinne der kritischen Diskursanalyse würde eine solche in einem zweiten Schritt der streng linguistischen Analyse folgen. <?page no="18"?> 1. Introduktion 12 hilft dem Volk macht deutlich, wovon die Notwendigkeit der Realisierung von Argumenten bzw. Modifikatoren abhängig ist, nämlich von der Natur des verbalen Funktors. Es wird klar, dass sowohl die Satzstruktur als solche, als auch die Funktionen der Syntagmen vom verbalen Funktor determiniert werden. Dieses valenztheoretische Grundprinzip dient jedoch nicht nur formalen syntaktischen Erklärungen, sondern ist auch kommunikativ-pragmatisch und speziell diskursanalytisch von größter Relevanz. Die Valenz des Verbs besagt also zunächst, wie viele und welche Relatpositionen der konkrete verbale Funktor für Argumente und gegebenenfalls für Modifikatoren eröffnet. Dann gilt es zu überprüfen, ob die eröffneten Relatpositionen prinzipiell besetzt sind, und in der Folge, wenn ja, auf welche morphosyntaktische Weise die Argumente bzw. Modifikatoren aktantiell bzw. zirkumstantiell realsiert sind, was diskursanalytisch wiederum von größter Bedeutung sein kann, wie zu sehen sein wird. Die Valenztheorie erscheint uns aber auch deshalb eine für unsere Untersuchung äußerst geeignete Methode, weil sie erstens vom Handlung-, Vorgang-, und Zustand-möglich-machenden Verb ausgeht und damit Dynamik versus Statik im weitesten Sinne als einen ihrer Kernbereiche anerkennt, weil sie sich zweitens in besonderem Maße den an Handlung, Vorgang bzw. Zustand essentiell Beteiligten - als Aktanten - widmet und weil sie drittens, dessen unbeschadet, gebührendes Augenmerk auf die Umstände - als Zirkumstanten - legt. Unsere beiden ersten globalen Kernthesen sind dementsprechend folgende: Es gibt diverse Aktantenrealisierungsvarianten. Diese stellen diskursstrategische Mittel dar und verfolgen als solche diskursstrategische Ziele, welche im Einzelnen zu eruieren sind. Ferner gibt es ebenfalls Zirkumstantenrealisierungsvarianten. Auch diese werden als diskursstrategische Mittel zu diskursstrategischen Zwecken eingesetzt. Um welche es sich dabei im Detail handelt, ist zu erheben. Verbinhärente Perspektiviertheit oder Stelligkeit meint, dass von jedem (verbalen) Funktor bestimmte Argumentvariablen abhängen, oder anders gesagt, dass jedes Verb bestimmte - im Zuge der Syntaktifizierung - zu besetzende Leerstellen eröffnet. Daraus resultieren die nächsten drei Thesen: Die Nichtrealisierung von perspektivierten Argumenten dient als diskursstrategisches Mittel verschiedenen erst auszulotenden diskursstrategischen Zielen. Die verbinhärente Perspektiviertheit ist manipulierbar, die Stelligkeit kann dementsprechend reduziert oder erhöht werden, was als diskursstrategisches Mittel zur Erreichung diskursstrategischer Ziele eingesetzt werden kann. Die in einer linearen Abfolge perspektivierten Argumente können auch in einer dieser Abfolge nicht entsprechenden Serialisierung realisiert werden, wodurch es zum diskursstrategischen Mittel der Fokussierung kommt, die zu unterschiedlichen diskursstrategischen Zwecken genutzt werden kann. Verben können auf der logisch-semantischen Ebene als Funktorenstrukturen, bestehend jeweils aus Funktor, Argumenten und gegebenenfalls auch Modifikatoren, behandelt werden, was u.a. darüber Aufschluss gibt, ob es sich um Handlungs-, Zustands- oder Vorgangsverben handelt. Eine Funktorenstruktur, die aber <?page no="19"?> 1. Introduktion 13 syntaktisch und semantisch bedingt ist, kann im Rahmen der Organisation des Verballexikons als Klassifikationskriterium gelten. Eine andere Möglichkeit, die Verben zu klassifizieren, ist die der semantischen Gleichgerichtetheit im Sinne von wesensmäßiger Ähnlichkeit, welche sich durch die jeweilige Ermittlung der Kernkonfigurationen - oder Archisemformeln 20 - ergibt. Unsere letzten beiden sich daraus ableitenden Thesen lauten daher: Die gezielte Verwendung von funktorenstrukturell bedingten Handlungs-, Vorgangs- oder Zustandsverben ist ein diskursstrategisches Mittel, mit dessen Hilfe diskursstrategische Ziele erreicht werden sollen. Das Erfassen und Analysieren der Verben, die einer für den politischen Diskurs relevanten Kernkonfiguration - oder Archisemformel - zuzuordnen sind, gibt darüber Aufschluss, dass auch die semantischen Rollen, die Teil der jeweiligen Kernkonfiguration sind, als diskursstrategische Mittel für sich aus dem Gesamtdiskurs ergebende diskursstrategische Ziele gebraucht werden. 20 Detaillierte Ausführungen dazu im Kapitel 5. <?page no="21"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 2.1 Thematik In diesem Kapitel geht es im Wesentlichen um zwei Fragen. Zum einen werden die verschiedenen formalen Spezifizierungsvarianten der Aktanten herausgearbeitet und zum anderen werden im Anschluss daran die unterschiedlichen Funktionen im Sinne diskursfunktionaler Qualitäten dieser Spezifzierungsvarianten in der politischen Rede am Beispiel Francos, Mussolinis, Pétains und Salazars untersucht. Es handelt sich also einerseits um eine formale, andererseits um eine funktionale Typologisierung aktantieller Realisierungs- oder Spezifizierungsvarianten, die darüber Aufschluss geben sollen, inwiefern unterschiedliche aktantielle Spezifizierungsvarianten als diskursive Strategien eingesetzt werden. Wenngleich es hier nicht unsere Aufgabe ist, das valenztheoretische Kernproblem der Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten neu aufzurollen, im Detail zu diskutieren oder etwa Alternativen zu den bisher erarbeiteten Lösungsvorschlägen vorzulegen, so kann diese Problematik dennoch nicht einfach stillschweigend übergangen werden. Aus diesem Grunde werfen wir zumindest kurz einen Blick auf einige Meilensteine in der langen Diskussion der Abgrenzungsversuche zwischen Aktanten und Zirkumstanten, bevor wir die aktantiellen Spezifizierungsvarianten aus formaler und funktionaler Perspektive beleuchten. Bezüglich der unterschiedlichen aktantiellen Spezifizierungsvarianten fällt zunächst auf, dass Aktanten materiell mehr oder weniger umfangreich realisiert werden können. In Celui qui fait de la linguistique, analyse la langue ist der Erstaktant phrastisch, in diesem Fall in Form eines Demonstrativpronomens mit darauf folgendem notwendigem, dieses spezifizierenden Relativsatz realisiert. Sagt man aber Le linguiste analyse la langue, so erscheint der Erstaktant als nominales Lexem mit dazugehörigem definitem Artikel. Ist kontextbedingt hingegen klar, dass etwa Roger Linguist ist, seine Frau aber Ärztin, so wäre es durchaus möglich zu sagen, Lui analyse la langue, alors qu’elle s’occupe des malades. Durch die Verwendung der tonischen oder betonten Pronomina als Erstaktanten wird hier vor allem Kontrast zum Ausdruck gebracht, die Klitika il und elle können in diesem Fall sogar ausgespart bleiben. Ginge es primär um Emphase, so wäre die doppelte Realisierung der Erstaktanten einmal durch tonische Pronomina und einmal durch Klitika wie etwa in Lui, il analyse la langue et elle, elle s’occupe des malades wahrscheinlich oder zumindest gut möglich. Beschreiben wir hingegen ganz einfach unseren Roger, so wäre die Satzverbindung Il habite Perpignan, il a deux en- <?page no="22"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 16 fants et en tant que linguiste il analyse la langue, [...] gut vorstellbar. Hier ist es nunmehr das Klitikon il, das den Erstaktanten realisiert. Auf Italienisch, Portugiesisch bzw. Spanisch wäre das unmarkierte Pendant dazu aber Abita a Perpignan, ha due bimbi e quale linguista analizza la lingua, Mora em Perpignan, tem duas crianças e como linguista analisa a lingua bzw. Vive en Perpignan, tiene dos niños y como lingüista analiza el idioma. Der auffälligste Unterschied zwischen einerseits dem Französischen und andererseits dem Italienischen, Portugiesischen und Spanischen ist, dass Letztere im unmarkierten Fall das im Französischen in der Regel obligatorisch gewordene Klitikon für die Erstaktantenrealisierung nicht benötigen. Der Erstaktant wird also im unmarkierten Fall und unter der Voraussetzung, dass der jeweilige Referent im sprachlichen oder auch außersprachlichen Kontext identifizierbar ist, im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen allein verbmorphologisch, sprich durch das Konjugationsmorphem, spezifiziert. Prinzipiell unterscheiden wir also, wie oben für den Erstaktanten dargestellt, zwischen fünf verschiedenen formalen Ebenen der Aktantenspezifizierung oder zwischen fünf Aktantenrealisierungsvarianten. Es bleibt zu untersuchen, ob das Gleiche für die anderen Aktanten gilt. Nach einer ausführlichen Darstellung der Aktantenrealisierungsvarianten im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen untersuchen wir anhand ausgewählter politischer Reden von Franco, Mussolini, Pétain und Salazar eingehend, inwiefern diese Aktantenrealisierungsvarianten auch diskursfunktionale Qualität haben und insofern als diskursive Strategien zu betrachten sind. 2.2 Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten Es ist hier - glücklicherweise - nicht unsere Aufgabe, die unendliche Geschichte der Abgrenzungsversuche zwischen Ergänzungen und Angaben oder Aktanten und Zirkumstanten fortzuschreiben oder gar dieser ein überzeugendes Ende zu bereiten. Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten ist seit Tesnière eine der größten Schwierigkeiten und - wohl deshalb - eines der zentralsten Anliegen der Valenztheorie überhaupt. Tesnière beschrieb oder umschrieb die drei grundlegenden Kategorien der Valenztheorie, nämlich Verb, Aktant und Zirkumstant, einst folgendermaßen: Le nœud verbal, que l’on trouve au centre de la plupart de nos langues européennes, exprime tout un petit drame. Comme un drame en effet, il comporte obligatoirement un procès, et le plus souvent des acteurs et des circonstances. Transposés du plan de la réalité dramatique sur celui de la syntaxe structurale, le procès, les acteurs et les circonstances deviennent respectivement le verbe, les actants et les circonstants. Le verbe exprime le procès. [...] Les actants sont les êtres ou les choses qui, à un titre quelconque et de quelque façon que se soit, même au titre de simples figurants et de la façon la plus passive, participent au procès. [...] Les circonstants expriment les circonstances de temps, lieu, manière, etc. [...] dans lesquelles se déroule le procès. (Tesnière 2 1965, 102) <?page no="23"?> 2.2 Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten 17 Dass die Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten keine einfache ist, wurde allerdings bereits von Tesnière selbst festgestellt, indem er sagte „à première vue la limite entre actants et circonstants est nette. Mais, à y regarder de près, on s’aperçoit qu’elle est délicate à fixer avec précision“ (Tesnière 2 1965, 127). Dies wird deutlich, indem man beispielsweise an die Verben französisch aller, italienisch andare, portugiesisch und spanisch ir oder französisch durer, italienisch durare, portugiesisch und spanisch durar denkt. Betrachten wir zunächst das Verb gehen/ fahren im Sinne von irgendwohin gehen oder irgendwohin fahren. Die erste Eintragung für aller in Busse/ Dubost ( 2 1983, 14) lautet N - V - qp < Inf fin >, 1 für andare in Blumenthal/ Rovere (1998, 80) N - V - Avv loc , also Nomen - Verb - Lokaladverb, für portugiesisch ir in Busse (1994, 278) Ncp - V - (D) 2 und für spanisch ir in Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 121) „06“, d.h. „complemento en nominativo (bzw.) complemento de dirección (o sea, complemento precedido por una preposición variable que indique de dónde o hacia dónde)“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 12). 3 Unser zweites Demonstrationsobjekt durer, durare bzw. durar im Sinne von dauern bzw. eine bestimmte Zeit in Anspruch nehmen wird in den jeweiligen Valenzlexika folgendermaßen präsentiert: Französisch durer in der Form von (1 + Adv): N - V - (Adv (pendant) N ) (Busse/ Dubost 2 1983, 105), wobei zumindest (1 + Adv) deutlich die Obligatorik nicht nur des Erstaktanten, sondern auch des Adverbs zum Ausdruck bringt, italienisch durare (Blumenthal/ Rovere (1998, 421) durch den Satzbauplan N - V - Avv mis / Avv temp , also Erstaktant, Verb und obligatorische Adverbialbestimmung quantitativer oder temporaler Art, portugiesisch durar durch die Formel N - V - Q (Busse 1994, 184), wobei Q für obligatorischen complemento de quantidade steht, und spanisch durar durch den formalisierten Satzbauplan „05“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 88), was soviel bedeutet wie obligatorischer Erstaktant und obligatorischer „complemento de situación (o sea, complemento de lugar o de tiempo precedido por una preposición [im Deutschen]“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 12). Bereits die Satzbaupläne dieser beiden Verben der von uns behandelten vier romanischen Sprachen machen deutlich, dass keine Rede davon sein kann, dass allein die klassischen Erst-, Zweit- und Drittaktanten im Gegensatz zu den adverbialen Zirkumstanten obligatorisch sein können. Emons (1978, 26 ff.) illustriert am Englischen, dass es - seinen Überlegungen zufolge - fünf Ergänzungsklassen mit etlichen Unterkategorien gibt. 4 Kotschi (1981) 5 führt am Bei- 1 qp steht für quelque part, < Inf fin > bedeutet: „Nicht unter die Valenz des Verbs fallender finaler Infinitiv bei Bewegungsverben, entweder ohne Präposition oder (nicht markiert) mit pour. Vgl. aller en ville (pour) faire des courses“ (Busse/ Dubost 2 1983, VIII). 2 Ncp - V - (D): Ncp bedeutet nome, also Nomen für coisa oder pessoa, d.h. Sache oder Person, (D) steht für complemento de direcç-o, also richtungsindizierendes Lokaladverb. 3 Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) gehen jeweils vom Deutschen aus und erstellen die Satzbaupläne entsprechend für das Deutsche. Infolgedessen ist jeweils anhand der angeführten prototypischen Beispiele zu überprüfen, ob der spanische Satzbauplan mit dem deutschen übereinstimmt. Falls dies nicht zutrifft, müssen die jeweiligen erforderlichen Änderungen vorgenommen werden. 4 Bei Emons (1978) entspricht E1 dem Subjekt, E2 dem direkten Objekt, E3 dem Präpositionalobjekt, E4 dem indirekten Objekt und E5 dem Prädikativ. <?page no="24"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 18 spiel des Französischen acht Ergänzungsklassen E1 bis E8 ein, denen sich Waltereit (2002) 6 weitgehend anschließt. Bianco (1986a; 1986b; 1987; 1988) listet gemäß dem Engel’schen Schema zehn Ergänzungsklassen auf, 7 in Bianco/ Di Maio (1991) sind es dann allerdings bereits elf. 8 Ergänzung wird im Deutschen in der Regel als Übersetzung des französischen actant bzw. als Äquivalent von Aktant gehandelt und Angabe als Übersetzung von circonstant bzw. als Äquivalent von Zirkumstant. Nun scheint es aber so, dass die Ergänzung als rein formal-grammatikalische Kategorie zwar bedenkenlos akzeptabel ist und deshalb Ergänzungsklassen von E0 9 bis E9 oder gar E10 nicht unbedingt ein Problem darstellen, während bei Aktant wohl zumindest noch ein Rest von Akteur oder Aktion in dem Sinne Tesnières mitschwingt, dass diese zumindest „même au titre de simples figurants et de la façon la plus passive participent au procès“ (Tesnière 2 1965, 102), weshalb au grenier in Max monte au grenier, de Paris in Max part de Paris oder etwa deux kilos in Le poulet pèse deux kilos 10 nicht ohne weiteres als Aktanten zu bezeichnen sind. Der Aktant muss allerdings keineswegs agentiv am Geschehen teilnehmen, sondern er kann, wie gesagt, durchaus auch affiziert oder effiziert patientiver Teilnehmer sein. Wir sprechen deshalb einerseits von Erst-, Zweit- und dativischen bzw. präpositionalen Drittaktanten und andererseits im Rahmen der Zirkumstanten, die zwar im Großteil der Fälle, aber eben längst nicht immer, fakultativ gesetzt werden, auch von obligatorischen Zirkumstanten, falls diese in der Stelligkeit des Verbs zwingend vorgesehen sind. 11 Dies scheint vor allem unter dem semantischen Blickwinkel eine sinnvolle Alternative zur Verlängerung der Liste der obligatorischen Aktanten, deren Ende wohl wiederum nicht eindeutig bestimmt werden könnte, weil sich semantisch gesehen eben auch obligatorische Zirkumstanten auf 5 E1 ist bei Kotschi (1981) das traditionelle Subjekt, E2 das direkte Objekt, E3 bis E8 repräsentieren indirekte Objekte und Umstandsbestimmungen, wobei in der traditionellen Terminologie E7 das innere Objekt und E8 das Objektattribut bezeichnen. 6 Auch bei Waltereit (2002, 261) ist nach der traditionellen Bezeichnung E1 das Subjekt, E2 das direkte Objekt, E3 das indirekte Objekt und E6 das Präpositionalobjekt, E4 bezeichnet Ortsangaben der Lage und des Ziels, E5 Ortsangaben der Herkunft, für E7 führt er Mengenangaben wie etwa jene des Gewichts oder des Preises an und für E8 steht schließlich die Gleichsetzungskonstruktion. 7 Biancos Liste der Ergänzungen gliedert sich folgendermaßen: E0 = Nominativergänzung, E1 = Akkusativergänzung, E2 = Genitivergänzung, E3 = Dativergänzung, E4 = Präpositivergänzung, E5 = Situativergänzung, E6 = Direktivergänzung, E7 = Subsumptivergänzung oder Nominalergänzung, E8 = Qualitativergänzung oder Adjektivalergänzung und E9 = Verbativergänzung. 8 E0 bis E4 sind analog zu Bianco (1986a; 1986b; 1987; 1988), E5 = Temporalergänzung, E6 = Situativ- und Direktivergänzung, E7 = Nominalergänzung, E8 = Adjektivalergänzung, E9 = Verbativergänzung, E10 = Expansivergänzung. 9 Es stellt sich allerdings sehr wohl die Frage, warum der Erstaktant als E0 bezeichnet wird und die Auflistung der Ergänzungsklassen nicht bei E1 beginnen soll. 10 Beispiele aus Waltereit (2002, 261). 11 Vgl. dazu Gärtner (1994), wo ebenfalls die Abhängigkeit der als Zirkumstanten fungierenden Adverbialsätze vom Prädikat diskutiert wird. <?page no="25"?> 2.2 Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten 19 die circonstances bzw. auf die lokalen, temporalen, modalen, kausalen, instrumentalen usw. Umstände beziehen. Unbestritten scheint jedenfalls, dass es unmöglich ist, eine klare und absolute Grenze zwischen Aktanten und Zirkumstanten zu ziehen, „la ligne de partage entre la fonction de complément de verbe et de complément circonstanciel reste assez floue“ (Borillo 1990, 75). Es scheint sich bei Aktanten und Zirkumstanten also nicht um zwei deutlich auseinander zu haltende Kategorien zu handeln, sondern eher um ein Kontinuum. Eine möglichst klare und eindeutige Grenzziehung zwischen Aktanten und Zirkumstanten war und ist nach wie vor ein zentrales Anliegen der Valenztheorie. So wurden seit dem Erscheinen von Tesnières chef d’œuvre 1959 zahllose Testverfahren entwickelt, um die Aktanten möglichst eindeutig von den Zirkumstanten abzugrenzen. Diese Testverfahren wurden durch Gegenbeispiele jedoch immer umgehend in Frage gestellt bzw. falsifiziert. Bereits 1978 bewies Vater, dass die bis dahin entwickelten Testverfahren keine absolute Gültigkeit hatten, weshalb er die Möglichkeit einer kategorialen Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten ganz grundsätzlich in Zweifel zog. Er argumentierte damit, „that there are no formal or operational criteria for the distinction of C [complements] and A [adjuncts] and that there are no types of constituents that are, as it were, C or A, by nature” (Vater 1978, 39), und folgerte daraus, dass eventuell eine graduelle Abstufung zwischen complements und adjuncts möglich, eine kategoriale Unterscheidung zwischen ihnen, d.h. in unserer Terminologie zwischen Aktanten und Zirkumstanten, jedoch unmöglich sei. Eine derartig kategoriale Unterscheidung, so Vater (1978, 39), „can no longer be upheld”. 1985 spricht Wotjak (1985, 200) davon, dass es letztendlich in hohem Grade semantisch gesteuert sei, was valenzgebundene Ergänzung und was freie Angabe sei. Aus Breindls Untersuchung zu Präpositionalobjekten und adverbialen Präpositionalphrasen in der Funktion als Aktanten oder Zirkumstanten geht hervor, dass es de facto keine klare Trennlinie zwischen obligatorischen Präpositionalobjekten und adverbialen Präpositionalphrasen gibt. 12 Welke (1988b, 136) versucht der Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten schließlich durch ein „pragmatisch interpretiertes Konzept der Grundvalenz“ näher zu kommen. Unter Grundvalenz versteht Welke (1988b, 137) „die Valenz, die der normalen, üblichen Valenzrealisierung zugrunde liegt,“ womit er sich allerdings von objektiven Unterscheidungskriterien für die Abgrenzung sowohl zwischen obligatorischen und fakultativen Aktanten als auch zwischen Aktanten und Zirkumstanten wieder 12 „Zwischen prototypischen POen [Präpositionalobjekten], die obligatorisch sind, desemantisierte Präpositionen enthalten, nicht vorhersagbare einzelverbspezifische Form und semantische Rolle aufweisen und prototypischen adverbialen PPen [Präpositionalphrasen], deren Auftreten keinerlei Restriktionen unterliegt und deren Form und Rolle in keiner Weise durch eine lexikalische Eigenschaft des übergeordneten Ausdrucks determiniert wird, gibt es fließende Übergänge“, so Breindl (1989, 266). So wie POe bezüglich der Notwendigkeit keine homogene Klasse darstellten, so sehr erweise sich auch die adverbiale PP „eher als Label für disparate und in ihren semantischen und syntaktischen Eigenschaften voneinander verschiedene Subklassen“ (Breindl, 1989, 79). <?page no="26"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 20 eher entfernt bzw. eingesehen hat, dass es diese einfach nicht gibt. Schwitalla (1985, 267) ist noch radikaler in seiner dahingehenden Forderung, indem er nämlich kompromisslos erklärt, dass die Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten auf der „intuitiven Kenntnis der Semantik des Verbs“ beruhe. Damit wäre der subjektiven Intuition allerdings Tür und Tor geöffnet und die Diskussion auch nur über die Möglichkeit einer objektiven Klassifizierung von Aktanten und Zirkumstanten ein für allemal beendet. Es wäre damit allerdings auch die Valenztheorie in ihren Grundfesten erschüttert oder überhaupt in Frage gestellt. Einen ganz eigenen Versuch, auch den Zirkumstanten als integralen Bestandteilen des Satzes einen aus valenztheoretischer Sicht soliden Status zuzuerkennen, unternahm schon Anfang der siebziger Jahre Wilhelm Bondzio (1974a, 1974b), indem er eine Valenz zweiter Stufe installierte oder zumindest zu installieren versuchte, um mittels semantischer Valenztheorie „den Gesamtsatz zu erfassen“ (Bondzio 1974b, 245), was wir hier allerdings nicht im Detail erörtern können. 13 Dieses mutige oder sogar gewagte Unterfangen wurde umgehend von Pasch (1977) vernichtend kritisiert und als unhaltbar bezeichnet. 14 Welke (1988a, 42 ff.) betrachtet die Adverbialbestimmungen zwar ebenfalls aus prädikatenlogischer Sicht, sieht sie aber noch etwas differenzierter. Er erachtet nämlich Adverbialbestimmungen als Prädikate höherer Stufe, nicht jedoch als Argumente zu diesen Prädikaten. 15 Im Zuge des Aufschwungs sowohl der pragmatischen als auch der kognitiven Linguistik und damit auch der pragmatischen und kognitiven Valenz wurde verstärkt nicht nur die Möglichkeit, sondern vor allem die Relevanz der absoluten Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten in Frage gestellt. Heringer (1984) 16 geht davon aus, dass die Betrachtungsweise hinsichtlich der versuch- 13 Konkret geht es bei der Valenz zweiter Stufe darum, dass es sich bei den Adverbialangaben - prädikatenlogisch formuliert - um Prädikate höherer Stufe handelt. Davon ausgehend, dass sowohl attributiv als auch adverbial gebrauchte Adjektive und Adverbien keine Leerstellen eines anderen Valenzträgers besetzten, geht es Bondzio darum, den Nachweis zu erbringen, dass dies generell für Adverbialangaben gelte. Am Beispiel er versank lautlos demonstriert Bondzio, dass eine auf der Valenz des Semems lautlos beruhende semantischlogische Beziehung bestehe. Die Leerstelle von lautlos (y) werde durch versinken (x) besetzt. Lautlos (y) sei nämlich definierbar als „eine bestimmte Eigenschaft bestimmter Eigenschaftsträger“ (Bondzio 1974b, 246 ff.). 14 Pasch (1977, 28 ff.) erklärt, dass der Valenzbegriff dadurch zu vage werde, was nicht sinnvoll sein könne. Ein Adverbial als Valenzträger zu betrachten sei ihrer Meinung nach unhaltbar, nicht mehr begründbar. Der Terminus Valenz werde überflüssig, wenn man ihn auf die syntagmatischen Beziehungen zwischen Konstituenten beliebiger lexikalischsyntaktischer Komplexität anwende. 15 Adverbialbestimmungen determinierten ein Prädikat oder eine Sachverhaltsbeschreibung, würden aber nicht durch dieses Prädikat determiniert, weshalb sie eben keine Argumente zu diesen Prädikaten darstellten. Temporal- und Modalbestimmungen seien als Prädikate (Funktoren) zu Prädikaten zu deuten, da sie eben ein Prädikat näher bestimmten (Welke 1988a, 42 ff.). 16 Heringers Eingangsfrage zu diesem Aufsatz lautet: „Wie weit muss die Grammatik pragmatisch sein? Das verstehe ich in zweierlei Sinn: Wieweit muss sie sprachliches Handeln einbe- <?page no="27"?> 2.2 Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten 21 ten Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten prinzipiell fehlgeleitet ist bzw. war. Wohl im Anschluss an Tesnières Dramenmetapher führt schließlich auch er einen Vergleich der kognitiven Szene mit der Inszenierung einer Szene ins Treffen, indem er sagt: „Ein Verb, das ist so, wie wenn man im dunklen Raum das Licht anknipst. Mit einem Schlag ist eine ganze Szene da“ (Heringer 1984, 49). Eine ganze Reihe von Mitspielern und deren Rollen würden vom Verb präsupponiert. Damit meint Heringer allerdings nicht nur die klassischen Aktanten, sondern eben auch die Zirkumstanten 17 bzw. den Graubereich, der sich zwischen vermeintlich eindeutigen Aktanten und Zirkumstanten befindet. Welke (1989, 8) führt in diesem Zusammenhang die Perspektiveerweiterung ins Treffen, wobei eine Ausweitung des Valenzbegriffs nach dem Relevanzkriterium gemeint ist und somit wiederum die Pragmatik eine zentrale Rolle spielt. 18 Aus der Perspektive der pragmatischen Valenz ist die kommunikative Relevanz das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung zwischen obligatorischen und fakultativen Satzelementen, seien es nun Aktanten oder Zirkumstanten. Wir begnügen uns für unsere Zwecke mit den jeweils verbspezifischen Eintragungen in den entsprechenden Valenzlexika, die mitunter, abhängig von der konkreten Verwendung des Verbs, mehrere Satzbaupläne für ein Verb, bestehend aus Verb, obligatorischen und/ oder fakultativen Aktanten und/ oder diversen Zirkumstanten entwerfen und in der Regel erläutern (vgl. Blumenthal/ Rovere 1998; Busse/ Dubost 2 1983; Busse 1994; Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980). 19 Wenngleich also die von Tesnière ( 2 1965) geforderte mehr oder weniger eindeutige Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten längst aufgegeben wurde und stattdessen von Stufen- oder Kontinuummodellen (Heringer 1984, 1985; Ágel 2000; Helbig 1992), von statischer und dynamischer Valenz (Sadzi ski 1989) oder überhaupt von der Unmöglichkeit einer klaren Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten und der daraus resultierenden Forderung, generell darauf zu verzichten (Vater 1978), die Rede war, so gehen wir doch davon aus, dass es so etwas wie eine semantisch bedingte syntaktische Valenz gibt. Die seziehen? Aber auch: Wie weit muss sie der Praxis dienen? “ (Heringer 1984, 34) Davon ausgehend kommt er zum Schluss, dass die Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten nicht so sehr syntaktisch als vielmehr semantisch-pragmatisch sei, dass man statt einer funktionalen Begründung eine operationale gesucht hätte, und dass es sich bei der vermeintlichen Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten eben nicht um ein dichotomisches, sondern um ein graduelles Phänomen handle. 17 Dies illustriert er an der Kaufszene. Durch das Verb kaufen würden automatisch vier Mitspieler eingeführt, nämlich jene, die die Antworten auf die naheliegenden Fragen wer? , was? , von wem? und für wie viel? gäben. 18 Als Beispiele nennt Welke etwa geben + Direktivum: X reichte mir Y ins Zimmer oder auch ein nach der klassischen Terminologie Modalbzw. Kausalzirkumstant wie in Er hat sein ganzes Geld beim Spiel verloren. 19 Blumenthal/ Rovere (1998, 792 ff.) sehen z.B. für das italienische Verb porre einundzwanzig Satzbaupläne vor, Busse/ Dubost ( 2 1983, 248) für französisch poser fünfzehn, Busse (1994, 338) für portugiesisch pôr vierzehn und Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 285), die ja jeweils vom deutschen Verb ausgehen, für poner all jene Satzbaupläne des Spanischen, die den deutschen Satzbauplänen für anziehen, beziehen, halten, legen, machen und setzen entsprechen. <?page no="28"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 22 mantische Funktorenstruktur determiniert die Argumente des Prädikats, die bei der Überführung der konzeptuellen in eine sprachliche Struktur (vgl. Gansel 1992a; 1992b; 1992c; 1992d; 1993; 1996) in der Regel morphosyntaktisch realisiert werden (vgl. Bondzio 1993). 20 Besonderes Augenmerk auf die Unterscheidung zwischen Argumenten und Modifikatoren, von denen Letztere u.a. zirkumstantiell realisiert werden, legt vor allem Wotjak (1994a) in der Diskussion der generischen und speziellen Archisemformeln. 21 Die Zirkumstanten seien nach Wotjak (1991a, 116; 1996b, 95) nicht auf Argumentvorgaben, sondern auf Modifikatoren zurückzuführen, wobei zudem zwischen sememindizierten und sememinduzierten Zirkumstanten zu unterscheiden sei. Den Aktanten entsprächen immer semantische Elemente des Verbalsemems, den Zirkumstanten hingegen nicht notwendigerweise. 22 Zugegebenermaßen ist es aber nicht immer leicht darüber zu entscheiden, welche Situationspartizipanten 23 als sememindiziert und welche als sememinduziert zu gelten haben. 24 2.3 Aktantielle Spezifizierungen Filius amat patrem ist einer der klassischen Sätze, an denen Tesnière ( 2 1965, 105) einst demonstrierte, dass im Lateinischen der Erstaktant bereits im konjugierten Verb enthalten ist und somit das Flexionsmorphem -t in amat quasi zum lexemisch realisierten Erstaktanten filius gehöre bzw. mit diesem eine Einheit bilde. Weiter unten führt Tesnière seine Überlegungen folgendermaßen aus: [...] lorsque l’on dit en latin: Aulus amat, le prime actant est en réalité exprimé deux fois: une première, mais à titre purement étymologique, par la désinence -t, [...] et 20 Vgl. zur Nullaktantifizierung von Argumenten 4.4.1 21 Vgl. 5.4. 22 „Entre los circunstantes o adverbios / locuciones adverbiales sólo algunos constituyen textualizaciones de modificadores semémicos, otros tantos - y tal vez, incluso la mayoría, - no se relacionan directamente con el semema, sino que se refieren - como los satélites o adverbios del grupo III de Dik - a proposiciones“ (Wotjak 1996b, 98). Die Gruppe III der Zirkumstanten nach Dik ( 2 1979) ist jene der sememinduzierten Adverbien, die auf der minimalen syntaktischen Konfiguration (= Verb + Aktanten + modifizierende Zirkumstanten) operieren und diese durch temporale und lokale circunstantes adjuntos libres, also Z Temp und Z Loc ergänzen (vgl. Wotjak 1996b, 99 ff.). 23 Man denke an die aus der kognitiven Psychologie stammenden kognitiven Szenen etwa bei Gansel (1992a) oder aber auch an den kognitiv-pragmatischen Ansatz Heringers (1984) zur Analyse der Szene. 24 Im deutschen Verb behandeln erachtet Wotjak (2001, 47 ff.) etwa drei Rollen als sememisiert, nämlich AGENS, ADRESSAT und INSTRUMENT, zu den nicht sememisierten Ko- Partizipanten zählt er TEMP, LOC, MOD, FIN/ TELOS und CAUS. Es wäre nun durchaus die Frage berechtigt, warum INSTRUMENT als sememisiert gelten soll, FIN oder etwa auch CAUS aber nicht. Bis zu einem gewissen Grad ist Subjektivität offensichtlich nicht auszuschließen. Bezüglich der nicht sememisierten Ko-Partizipanten stellt sich auch die Frage, warum etwa COND nicht dazugehören sollte, wo doch CONDITION genauso ein Bestandteil der kognitiven Szene ist oder sein kann wie etwa LOC oder TEMP. <?page no="29"?> 2.3 Aktantielle Spezifizierungen 23 une seconde par le mot Aulus lui-même, qui est le prime actant senti actuellement comme tel. En disant Aulus amat, c’est un peu comme si l’on disait en français: Alfred il aime [...]. (Tesnière 2 1965, 139) Weinrich (1967, 111) ortet das Verb, „das von einer Schicht von paradigmatisch geordneten, gebundenen Morphemen [...] umgeben ist, ohne die es gar nicht vorkommen könnte“, ebenfalls im Mittelpunkt des Satzes. Diese gebundenen Morpheme indizierten Person, Tempus und Assertion für Bejahung oder Verneinung. Ähnlich argumentieren Fourquet (1970, 56), der das konjugierte Verb als Mikrokosmos betrachtet, Heidolph/ Flämig/ Motsch (1981, 171), die davon ausgehen, dass von jedem Verb ein „Netz von Beziehungen (ausgeht), das semantisch begründet ist, aber syntaktische Einheiten (...) umschließt und die Wortkette, die dem Satz entspricht, organisiert“, oder auch Erben ( 10 1977, 148), der sagt, dass das finite Verb „der eigentliche Träger der aussagenden Bestimmung (Prädikation), der vom Sprecher eingesetzte Organisator des Bestimmungskomplexes“ sei. Nicht zu übersehen sei in diesem Zusammenhang, dass Hermann Paul bereits im 19. Jahrhundert darauf aufmerksam machte, dass Person und Numerus als ursprünglich selbständige Pronomina über ein enklitisches Stadium allmählich mit dem Verb verschmolzen seien (vgl. Pasierbsky 1981). Pasierbsky (1981, 161 ff.), der das finite Verb analog zu Bühler als das strukturelle Zentrum des Satzes betrachtet, unterscheidet in der Folge zwischen Mikrovalenz und Makrovalenz. Mikrovalenz definiert er als „Eigenschaft des Morphems [...], verschiedene Aktanten (eventuell auch Zirkumstanten, z.B. adverbiale Zeitbestimmung), die makrovalente Leerstellen im Satz besetzen, in der morphologischen Struktur des Verbs zu präsentieren.“ Die Makrovalenz hingegen beziehe sich auf die morphologisch-syntaktischen Beziehungen zwischen prädikativem Verb und anderen Redeteilen (vgl. Pasierbsky 1981, 162). Auf die Typologie von Milewski (1967) 25 zurückgehend, der zwischen konzentrischen und exzentrischen Sprachen differenziert, unterscheidet Ágel (2000, 143 ff.) zwischen inkludierenden und implizierenden Valenzträgern. In Cerco una casa sei demzufolge der Erstaktant, nämlich die erste Person Singular, inkludiert, weil mikrorealisiert, der Zweitaktant hingegen nur impliziert. Das Verb cercare ist zweiwertig. Es verfügt über eine Strukturstelle für den Erstaktanten und über eine weitere für den Zweitaktanten. Die konjugierten Formen von cercare indizierten bzw. inkludierten allerdings nur den Erstaktanten. Das heißt, dass z.B. in cerco, ho cercato, cercherò, cercherei usw. die Leerstelle für den Erstaktanten durch Inklusion gesättigt ist, jene für den implizierten Zweitaktanten aber nicht. Diese bleibt 25 Das Deklinationsmorphem in filius indiziert den Nominativ, jenes in patrem den Akkusativ, wodurch determiniert wird, welche Funktionen diese Satzelemente oder Redeteile, um auf Pasierbskys Terminologie zurückzugreifen, im Satz übernehmen. Milewski (1967, 70) erklärt den Unterschied zwischen konzentrischen und exzentrischen Sprachen folgendermaßen: „La structure de la proposition latine est excentrique, car chaque membre y est caractérisé par les moyens qui définissent son rôle syntaxique, chacun en est constitutif. Cette structure s’oppose à la structure concentrique, où le prédicat - unique membre constitutif de la phrase - détermine la fonction des autres membres.“ <?page no="30"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 24 einstweilen noch ungesättigt und bedarf einer verbexternen Realisierung, etwa durch una casa in Cerco una casa. Aus der Perspektive der generativen Transformationsgrammatik, in der von leeren Kategorien (EC) 26 und Spuren (traces) 27 die Rede ist, gehören Italienisch, Portugiesisch und Spanisch im Gegensatz zu Französisch zu den sogenannten Pro- Drop-Sprachen. 28 Es ist nicht das primäre Ziel der Valenztheorie, möglichst generalisierbar oder gar eine Art Universal Grammar zu sein, weshalb sie weder Kategorien entleeren muss, noch sich auf die Spurensuche zu machen braucht, sondern gerade in Bezug auf das Italienische, das Portugiesische und das Spanische den Erstaktanten in Cerco una casa, Procuro uma casa und Busco una casa als verbmorphologisch, d.h. als durch das entsprechende Konjugationsmorphem spezifiziert erachtet und infolgedessen diese Sätze als vollständig und wohlgeformt betrachten kann. Nichtsdestotrotz ist es ein Faktum, dass Aktanten, und wie wir später sehen werden auch Zirkumstanten, morphosyntaktisch auf unterschiedliche Weise realisiert werden können. Unterschiedliche morphosyntaktische Realisierungen von Aktanten und Zirkumstanten bedingen bzw. erfüllen jedoch unterschiedliche Funktionen. Betrachten wir zunächst, auf welche Weisen Aktanten realisiert oder spezifiziert werden können, und gehen wir im Anschluss daran auf die damit verbundenen unterschiedlichen Funktionen ein. Ágel (1993a, 1993b, 1995, 2000), Bossong (1980, 1998), Juhász (1985), László (1978, 1988), Páhi (1999) u.a.m. untersuchen die verschiedenen Realisierungsmöglichkeiten der Aktanten. Es ist kein Zufall, dass gerade sie, die bis auf Bossong alle aus Ungarn stammen, sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Im Ungarischen, einer agglutinierenden Sprache, inkludiere ihren Ausführungen zufolge nämlich das konjugierte Verb neben dem Erstaktanten gegebenenfalls auch den Zweitund/ oder den Drittaktanten, 29 weshalb es für sie von besonderem Interesse ist herauszufinden, welche Alternativen dazu, respektive welche 26 Das Leere-Kategorien-Prinzip oder ECP, d.h. empty category principle, besagt, dass leere Kategorien in der Struktur grundsätzlich aufscheinen müssen. 27 Die Spuren, traces oder empty nodes bezeichnen das Endsymbol einer abstrakten, hypothetischen Kategorie in einer ebenso hypothetischen Oberflächenstruktur. 28 In den Pro-Drop-Sprachen, die dem Pro-Drop-Parameter unterliegen, kann ein leeres Subjekt, das in der entsprechenden Terminologie eben als pro bezeichnet wird, das Subjekt eines finiten Verbs sein, und zwar aus folgendem Grund. In der Bewegungstransformation wird eine Konstituente im Baum verschoben. Waren Bewegungstransformationen in den frühen Fassungen der generativen Transformationsgrammatik strukturverändernd, so handelt es sich bei Move-im Gegensatz dazu um eine generalisierte Bewegungsregel, die aber eben nicht mehr strukturverändernd ist, sondern in der Ableitung Spuren oder traces t hinterlässt. Dies erklärt, dass Cerco una casa, Procuro uma casa und Busco una casa jeweils wohlgeformte Sätze darstellen. Zu den Charakteristika der Pro-Drop-Sprachen zählen „(i) missing subject, (ii) free inversion in simple sentences, (iii) ‚long wh-movement’ of subject, (iv) empty resumptive pronouns in embedded clause, (v) apparent violations of the *[that-t] filter” (Chomsky 7 1993, 240 ff., Rizzi 1982, 117 ff., Paiva Raposo, Eduardo 2 1998; Lorenzo, Guillermo/ Longa, Víctor Manuel 1996; Müller/ Riemer 1998, 161 ff.), auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen zu werden braucht. 29 So bedeutet etwa ungarisch Ismerik auf Deutsch Sie kennt ihn (László 1988, 220). <?page no="31"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 25 Evolutionstendenzen, das Deutsche sowie die romanischen Sprachen in dieser Hinsicht bieten bzw. aufweisen. Ágel (1993a, 51) stellt fest, dass im Ungarischen die Besetzung einer makrovalentiellen Position Diskurssog erzeuge, im Deutschen hingegen die Nicht- Besetzung einer makrovalentiellen Position zu Diskursdruck führe. Im Französischen wie im Deutschen stehen Substantive und Pronomina in dem Substitutionsverhältnis, in dem im Ungarischen Substantive und Konjugationsflexionen stehen (vgl. Juhász 1985, 148). In beiden von Ágel behandelten Fällen geht es um markierte Strukturen, weshalb die Opposition markiert - unmarkiert bei der Analyse der Realisierungsvarianten ein stets zu beachtendes Grundprinzip darstellt (vgl. auch Ágel 2002, 13). 30 Kotschi (1981) differenziert zwischen acht Ergänzungstypen, Bianco/ Di Maio (1991) sogar zwischen elf. Wir unterscheiden einerseits - Tesnière treu bleibend - zwar nur zwischen drei Aktanten(typen), nämlich Erstaktant, Zweitaktant und Drittaktant, 31 andererseits aber auch zwischen notwendigen - oder obligatorischen - und nicht notwendigen Zirkumstanten. In der Folge untersuchen wir die Erst-, Zweit- und dativischen bzw. präpositionalen Drittaktantenrealisierungen zunächst formal und im Anschluss daran auch funktional. 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 2.4.1 Die Erstaktantenrealisierung im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen 2.4.1.1 Die Primärrealisierung In den hier behandelten Sprachen inkludiert das finite Verb jeweils den Erstaktanten. Der Erstaktant wird also bereits verbmorphologisch durch das Kon- 30 Ágel (2002) weist auf die Notwendigkeit hin, die strukturell normale Valenzrealisierung von der emphatischen und elliptischen zu trennen. Unmarkierte und markierte Kategorien seien stets auseinander zu halten. So verlangt z.B. der unmarkierte deutsche Aussagesatz sowohl eine verbmorphologische als auch eine nominale Spezifizierung des Erstaktanten, nicht jedoch der Imperativ, wie das Gegensatzpaar Du suchst eine Wohnung vs. Such eine Wohnung! illustriert. 31 „Le tiers actant était connu autrefois dans la grammaire traditionnelle sous le nom de complément indirect,“ so Tesnière ( 2 1965, 109). In Bezug auf das Deutsche wären konsequenterweise die indirekten Objekte oder Dativobjekte von den Präpositionalobjekten zu unterscheiden. Im Rahmen unserer Untersuchung von vier romanischen Sprachen subsumieren wir diese beiden Kategorien zwar prinzipiell unter den Drittaktanten, zeigen aber zunächst trotzdem - zumindest im Abschnitt über die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive - dass es sich im Grunde auch im Romanischen um zwei verschiedene Kategorien, nämlich um dativische und non-dativische Drittaktanten handelt. Als formales Kriterium, gewissermaßen als Reflex des semantischen, setzen wir an, dass die dativischen im unmarkierten Aussagesatz präverbal durch die klitischen Objektpronomina lui, gli, le, lhe zu ersetzen sind, die non-dativischen hingegen nicht. Vgl. dazu Siller-Runggaldier (1996a) und 2.4.2. <?page no="32"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 26 jugationsmorphem repräsentiert, und das unabhängig davon, ob - aus welchen Gründen auch immer - eine weitere Spezifizierung des Erstaktanten erfolgt. In je cherch-e ist es das Konjugationsmorphem -e, in cerc-o, procur-o und busc-o jeweils das Konjugationsmorphem -o, das den Erstaktanten - in der Terminologie von Pasierbsky, Ágel, Páhi u.a.m. - mikrorealisiert. Da es sich um die erste oder primäre Realisierung des Erstaktanten handelt, die in unmarkierten italienischen, portugiesischen und spanischen Sätzen auch die einzige sein kann, 32 sprechen wir von Primärrealisierung. Auf eine der auffälligsten und wohl am häufigsten diskutierten Besonderheiten des Portugiesischen, nämlich den infinitivo pessoal, den persönlichen Infinitiv, wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen. Es sei hier nur gesagt, dass das Konjugationsmorphem des unpersönlichen Infinitivs analog zu den persönlich konjugierten Verben ebenfalls einen Erstaktanten, nämlich jenen des entsprechenden Infinitivsatzes indiziert (vgl. Hundertmark-Santos Martins 2 1998, 172). 33 In den folgenden Beispielsätzen ist der Erstaktant allein primärrealisiert: (II.1) Sé cuánto trabajáis en Marruecos; sé también el afán que tanto vuestras profesoras indígenas como las españolas, ponen al servicio de las niñas musulmanes. (Franco 1938, 65, 1-4) (II.2) Hemos venido a hacer. (Franco 1945b, 619, 6-7) (II.3) E salutiamo alla voce il Führer, il capo della grande Germania alleata. [...]. E vinceremo, per dare finalmente un lungo periodo di pace con la giustizia all’Italia, all’Europa, al mondo. (Mussolini 1940a, 405, 56-65) (II.4) [Nous avons à restaurer la France.] Montrez-la au monde qui l’observe, à l’adversaire qui l’occupe, dans tout son calme, tout son labeur et toute sa dignité. (Pétain 1940a, 66, 98-100) (II.5) Suivez-moi. Gardez votre confiance en la France éternelle. (Pétain 1940b, 96, 55-56) (II.6) [A Pátria Portuguesa n-o foi o fruto de ajustes políticos, criaç-o artificial mantida no tempo pela acç-o de interesses rivais.] Foi feita na dureza das batalhas, na febre esgotante das descobertas e conquistas, com a força do braço e do génio. (Salazar 1940, 258, 85-90) (II.7) Temos o mar, mas o subsolo n-o é comparável em combustíveis ou minérios ao da generalidade das nações europeias. (Salazar 1943, 395, 333-335) 32 Wotjak (1979, 310) bemerkte schon 1979, dass im eindeutigen Kontext das spanische Subjekt - abgesehen von der verbmorphologischen Realisierung - immer potentiell fakultativ sei. Dasselbe gilt auch für das Italienische und das Portugiesische. 33 In É impossível encontrarmos uma casa, auf Französisch in etwa Il est impossbile que nous trouvions une maison - als Variante von Il nous est impossible de trouver une maison - indiziert das Flektiv -mos in encontrarmos die erste Person Plural des Erstaktanten des Infinitivsatzes im Portugiesischen analog zu jener des Subjektsatzes im Französischen. <?page no="33"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 27 In (II.1) indiziert sé verbmorphologisch die erste Person Singular als Erstaktanten. Hemos in (II.2), salutiamo und vinceremo in (II.3) und temos in (II.7) inkludieren die erste Person Plural als Erstaktanten. Im Französischen ist hingegen, wie bereits besprochen, die alleinige Primärrealisierung des Erstaktanten nur im markierten Satz möglich, was in den Imperativformen (II.4) und (II.5) zum Ausdruck kommt, deren explizierter Anredenominativ 34 die zweite Person Plural wäre, wie etwa in Français, suivez-moi. In (II.6) ist es schließlich die konjugierte Auxiliarverbform foi der Passivkonstruktion foi feita, die indiziert, dass in diesem Satz die dritte Person Singular Erstaktant ist. Ist - z.B. in der politischen Rede - die erste Person Singular Erstaktant, dann ist die Referenz aufgrund der gegebenen kommunikativen Situation eindeutig. Das Gleiche gilt für die zweite Person Singular in einem Dialog mit bekannten Partizipanten, die in unseren Beispielen jedoch nicht vertreten ist. Hinsichtlich der dritten Person Singular und Plural, jedoch auch bezüglich der ersten und zweiten Person Plural müsste der Präzision halber im Zweifelsfalle genau angegeben werden, worauf diese referieren. Allerdings ist diesbezüglich eine gewisse Vagheit dem politischen Redner mitunter nicht unlieb, sodass diesem mangelnde Präzision gegebenenfalls sogar als willkommene diskursive Strategie dient, um die Zuhörerschaft im guten Glauben zu lassen und sich nicht wirklich festlegen zu müssen. Geht man in unseren Beispielen den angesprochenen Dingen nämlich auf den Grund, so stellt sich die Frage, wer laut vinceremo (II.3) trotz aller Entbehrungen und Verluste wirklich zu den Siegern zählen soll oder wer beispielsweise gemäß temos o mar (II.7) tatsächlich das Meer oder zumindest die Rechte darauf sein Eigen nennen kann. 2.4.1.2 Die Sekundärrealisierung Wie bereits oben dargelegt, gehört das Französische im Gegensatz zum Italienischen, Portugiesischen und Spanischen nicht zu den Pro-Drop-Sprachen. Der Erstaktant kann im Französischen somit nicht in Form einer empty category (EC) realisiert werden, sondern er muss nominal, respektive pronominal, spezifiziert werden. Sagte einst Tesnière ( 2 1965, 139 vgl. oben) „Aulus amat, c’est un peu comme si l’on disait en français: Alfred il aime [...],“ so wird dadurch unmissverständlich hervorgehoben, dass amat allein für französisch il (oder elle) aime steht. Im Französischen ist also die nominale bzw. pronominale Spezifizierung des Erstaktanten zusätzlich zu dessen verbmorphologischer Realisierung durch das Konjugationsmorphem i.d.R. obligatorisch. 35 Tesnière weist speziell auf die Funktion der unbetonten Personalpronomina im Französischen hin: L’indice personnel a pour fonction d’indiquer la personne et le nombre dans le verbe: fr. j’aime, tu aimes, il aime. […] L’indice personnel est donc l’équivalent syn- 34 Den Vokativ als eigenen Fall gibt es zwar im Rumänischen, nicht jedoch in den hier behandelten Sprachen. Im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen übernimmt der Anredenominativ die Funktion des Vokativs im Rumänischen. 35 Vor allem in Oppositionen kann - wie bereits eingangs erwähnt - jedoch der Erstaktant auch allein tertiär- und primärrealisiert sein, wie etwa in Lui danse, elle chante. <?page no="34"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 28 taxique exact des désinences personnelles d’une langue telle que le latin: fr. j’aime, tu aimes, il aime; lat. am-o, am-as, am-at. La seule différence est que l’indice est postposé et agglutiné en latin, tandis qu’il est préposé et autonome (au moins dans l’orthographe) en français. (Tesnière 2 1965, 85) Die lateinischen Formen ego amo, tu amas, ille amat wären also nicht mit j’aime, tu aimes, il aime, sondern mit moi, j’aime, toi, tu aimes bzw. lui, il aime in das Französische zu übersetzen (vgl. Tesnière 2 1965, 140). Sadi ski (1989, 95 ff.) verweist in seiner Abhandlung über die Realisierung pronominaler Subjektaktanten im Polnischen auf diese Problematik. 36 Er unterstreicht, dass vor allem das Englische und das Französische - nicht so sehr das Deutsche - eine „weitgehende Abschwächung der Personalendungen [aufweisen und dass] die Pronominalsubjekte [...] anstelle der eingegangenen Personalendungen zu analytischen Morphemen umfunktioniert und gleichzeitig von den freien Personalendungen abgehoben worden sind“ (Sadi ski 1989, 97). Auf der zweiten Ebene der Erstaktantenrealisierung in unserem Modell, auf der es um die obligatorische und unmarkierte Spezifizierung der Erstaktanten durch unbetonte Personalpronomina geht, sind also französisch je, tu, il/ elle, nous, vous und ils/ elles anzusetzen. Im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen bleibt diese Ebene dann unbesetzt, wenn erstens die Referenz im Kontext klar identifizierbar ist und es sich zweitens um einen unmarkierten Satz bzw. um eine unmarkierte Äußerung handelt. Ágel (1995, 11) erklärt in diesem Zusammenhang, dass das Konzept der Mikrorealisierung in der diskutierten Form nicht ausreicht und modifiziert werden müsste, um klitische Personalpronomina im Nominativ der Mikrorealisierung zuordnen zu können. Wir wollen der Klarheit halber die Differenzierung zwischen einerseits verbmorphologisch mikrobzw. primärrealisierten und andererseits durch obligatorische klitische Personalpronomina sekundärrealisierten Erstaktanten beibehalten: (II.8) C’est librement que je me suis rendu à l’invitation du Führer. Je n’ai subi, de sa part, aucun « diktat », aucune pression. (Pétain 1940b, 95, 14-16) (II.9) Ils [les démagogues] vous ont nourri d’illusions, ils vous ont tout promis. (Pétain 1941a, 112, 76-77) In (II.8) ist klar, dass der sekundärrealisierte Erstaktant je auf den Redner Pétain selbst referiert. In (II.9) hingegen muss der Kontext bekannt sein, um die Verweisfunktion des sekundärrealisierten Erstaktanten der dritten Person Plural maskulin erfassen zu können, der jedoch aus dem zitierten Satz unmittelbar vorangehenden Satz, „Ouvriers, mes amis, n’écoutez plus les démagogues, ils vous ont fait trop de mal“ (Pétain 1941a, 112, 74-75) zu eruieren ist. Ils bezieht sich folglich auf les démagogues. 36 „Der Vergleich (des Französischen und Deutschen) mit dem Polnischen zeigt, dass die Unterscheidung fakultativ/ obligatorisch viel zu vage ist und höchstens als Orientierungshilfe betrachtet werden kann. Das Subjekt im Polnischen müsste man - wenn man der genannten Unterscheidung folgt - als fakultativ bezeichnen“ (Sadi ski 1989, 95). <?page no="35"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 29 Die Erstaktanten von (II.8) und (II.9) sind in den konjugierten Auxiliarverben suis, ai und ont primärrealisiert inkludiert. 2.4.1.3 Die Tertiärrealisierung Als tertiärrealisierte Erstaktanten betrachten wir französisch moi, toi, lui/ elle etc., italienisch io, tu, egli bzw. lui, ella bzw. lei etc., portugiesisch eu, tu, ele/ ela etc. und spanisch yo, tú, él/ ella etc. Es handelt sich dabei also um die betonten oder tonischen Personalpronomina. Im Französischen treten diese in vollständigen und unmarkierten Sätzen nur gemeinsam mit den obligatorisch sekundärrealisierten klitischen Pronomina im Nominativ und den verbmorphologisch primärrealisierten Erstaktanten auf. 37 Im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen erfolgt die Tertiärrealisierung in Verbindung mit der Primärrealisierung der Erstaktanten. Außerdem kann im Italienischen in der dritten Person zwischen egli und lui bzw. ella und lei im Singular und zwischen essi und loro bzw. esse und loro im Plural gewählt werden. Die Hauptfunktion der tonischen Pronomina ist analog zu jener der klitischen Personalpronomina jene der Referenz, weshalb es naheliegend ist, dass sie sich semantisch-intensional in der Nähe der sekundärrealisierten Erstaktanten befinden, wenn nicht gar mit diesen decken. Im Hinblick auf Qualität und Quantität der Intension sind sie also auf alle Fälle weit weg von den quartär- und quintärrealisierten Aktanten. Syntaktisch-topologisch hingegen weisen sie Parallelen zu den quartär- und quintärrealisierten Aktanten auf. Einen Einblick in das Spektrum der tertiärrealisierten Erstaktanten sollen die folgenden Beispiele geben: (II.10) Nosotros, por nuestros sufrimientos pasados, no podemos desconocer la razón que a unos y a otros les asiste. (Franco 1945a, 11, 77-78) (II.11) Yo aspiro que elevando y dignificando a nuestros funcionarios volvamos a los otros tiempos anteriores, en que el haber servido al Estado era constitutivo de un timbre de honradez y de laboriosidad. (Franco 1939, 26, 564-567) (II.12) Noi vogliamo spezzare le catene di ordine territoriale e militare che ci soffocano nel nostro mare, poiché un popolo di quarantacinque milioni di anime non è veramente libero se non ha libero l’accesso all’Oceano. (Mussolini 1940a, 404, 31- 34) (II.13) Essa [l’Aviazione italiana] ha dominato e domina i cieli e i suoi bombardieri attingono le mete più lontane. (Mussolini 1940b, 32, 85-86) 37 Unter Umständen können jedoch auch im Französischen die tonischen Pronomina gemeinsam mit dem verbalen Konjugationsmorphem, also ohne Sekundärrealisierung, den Erstaktanten spezifizieren. Dabei handelt es sich jedoch durchwegs um markierte Serialisierungen. Möglich ist dies, wenn z.B. auf den durch ein tonisches Pronomen realisierten Erstaktanten eine Apposition, ein Adjektiv oder ein Relativpronomen folgt, wenn es um die Hervorhebung eines Gegensatzes geht, in Ellipsen, mit exklamativem, interrogativem oder narrativem Infinitiv, in absoluten Partizipialkonstruktionen oder etwa auch in der Präsentativformel der mise en relief (vgl. Grévisse 11 1980, 535 ff.) <?page no="36"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 30 (II.14) L’Assemblée nationale de juillet 1940 a, elle aussi, librement choisi, lorsqu’elle m’a confié le mandat de faire une nouvelle constitution. (Pétain 1943a, 300, 24-26) (II.15) Vous, vous avez attendu votre charte plus d’une année: mais la Charte n’est pas une création provisoire, et l’on ne devait pas l’improviser. (Pétain 1943b, 308, 65-67) (II.16) Nós somos um país pobre, que tanto quanto se enxerga no futuro n-o pode na metrópole aspirar a mais que à dignidade de uma vida modesta. (Salazar 1943, 395, 319-322) (II.17) [Pode aqui e além, por desconhecimento ou deturpaç-o dos factos, erguer-se uma ou outra voz a acusar o nosso regime de ditadura opressiva do povo português, desviado pela força da sua normalidade política.] Esses est-o confundidos; n-o vivemos em ditadura, mas antes de nós e por dezenas de anos - reconhecemo-lo com tristeza - as ditaduras foram a forma corrente da vida política, e vimo-las alternar-se ou suceder-se quase ininterruptamente, sob formas diversas. (Salazar 1945b, 118, 464-473) Alle Beispiele von (II.10) bis (II.17) könnten ohne weiteres auf die tertiärrealisierten Erstaktanten verzichten, ohne die grammatikalische Richtigkeit einzubüßen. Aus semantischen Plausibilitätsgründen gilt allerdings auch hier, wie bereits oben ausgeführt, dass die Bedingung der Identifikationsmöglichkeit des Referenzelementes im Kontext erfüllt sein muss. Ansonsten kann ein Satz zwar grammatikalisch durchaus wohlgeformt sein, semantisch, pragmatisch und vor allem kommunikativ wäre er aber sinnlos. Zu den tertiärrealisierten Aktanten zählen wir ferner auch die anderen Pronomina im engeren Sinn, d.h. also substantivisch, nicht aber attributiv gebrauchte, 38 wie beispielsweise das possessive in französisch Le tien ne marche pas, das demonstrative in italienisch Questo non m’interessa, das indefinite in portugiesisch Ninguém fica aqui oder das interrogative in spanisch ¿Quién lo sabe? 2.4.1.4 Die Quartärrealisierung Unter quartärrealisierten Erstaktanten verstehen wir ganz generell nominal 39 spezifizierte Erstaktanten. Weinrich (1967, 111 ff.) spricht im Zusammenhang mit nominal realisierten Aktanten davon, dass die „innerste Schicht der Morpheme, die das Verb umgeben, [...] nun expandiert werden kann.“ Er präzisiert weiter: Wenn ich z.B. das Verb habe ils prennent, so kann ich ils expandieren zu dem, was wir Subjekt nennen: les hommes d’équipage, und ils fällt dann weg. Sie sehen hier sehr deutlich, wie sich diese Analyse von der klassischen Analyse nach Subjekt und Prädikat unterscheidet; das, was wir Subjekt nennen, ist jetzt nicht einer der 38 Im Französischen - sowie in den anderen romanischen Sprachen - nennt man deshalb auch etwa attributiv gebrauchte Demonstrativ- oder Possessivpronomina adjectifs démonstratifs bzw. adjectifs possessifs. 39 Nominal verwenden wir fortan im Sinne von substantivisch. <?page no="37"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 31 Pfeiler des Satzes, sondern die semantische Expansion eines Morphems am Verb, eines Morphems unter einigen anderen. (Weinrich 1967, 111-112) Weinrich verweist hiermit einerseits auf die Grundidee der Valenztheorie, der zufolge allein das konjugierte Verb das strukturelle Zentrum des Satzes darstellt und andererseits prinzipiell auf die unterschiedlichen Realisierungsbzw. Expansionsmöglichkeiten der im konjugierten Verb inkludierten Aktanten, was sich allerdings hinsichtlich der romanischen Sprachen wohl (noch) mehr oder weniger auf den Erstaktanten beschränkt. 40 Nicht nur in morpho-syntaktischer, sondern vor allem auch in semantischintensionaler Hinsicht handelt es sich bei den Quartärrealisierungen um eine andere Kategorie als bei den Primär-, Sekundär- und Tertiärrealisierungen, zumal es hier um Autosemantica geht. Aus morphologischen und satzfunktionalen Gründen zählen wir auch die bereits in sich heterogene Kategorie der Eigennamen zur Gruppe der Quartärrealisierungen, obwohl deren Funktion wiederum die Identifikation von Personen, Objekten und Sachverhalten im jeweiligen Kontext ist und die Frage der Bedeutung von Eigennamen sehr kontroversiell diskutiert wird, worauf hier allerdings nicht näher einzugehen ist. (II.18) Esta fiesta me recuerda aquellas en que nos reuníamos los elementos castrenses cuando para mirar hacia la grandeza de España teníamos que marchar por las páginas de la Historia. (Franco 1940, 159, 4-7) (II.19) Los españoles amamos la libertad como el pueblo que más pueda estimarla; pero una libertad compatible con el orden, el progreso social de los españoles, el engrandecimiento de la Patria y el destino eterno de nuestra especie. (Franco 1945a, 11, 104-107) (II.20) L’Aviazione italiana è sempre, e più di sempre, all’altezza del suo compito. (Mussolini 1940b, 32, 84-85) (II.21) La victoire dépend des effectifs, du matériel et des conditions de leur emploi. (Pétain 1940a, 64, 11-12) (II.22) La dissidence est née en juin 1940 du sursaut des Français d’Outre-mer, qui les poussait à poursuivre la lutte, du sentiment que la France ne saurait, sur son propre sol, entreprendre l’œuvre de redressement nécessaire. (Pétain 1941b, 121, 41-44) (II.23) Quis o povo ser independente, livre no seu próprio território, e quiseram os reis que ele o fosse, conquistando-lhe e mantendo-lhe a independência. (Salazar 1940, 256-257, 41-44) (II.24) A obra política é sobretudo obra de resultados. (Salazar 1943, 384, 27) 40 In der Folge soll auch diskutiert werden, inwiefern Objektpronomina in den romanischen Sprachen (bereits) ebenfalls als Konjugationsmorpheme betrachtet werden können. <?page no="38"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 32 Alle hier aufgeführten Beispiele der Quartärrealisierungen außer (II.19) machen deutlich, dass es Numeruskongruenz zwischen der Primär- und der Quartärrealisierung des Erstaktanten gibt. Werden quartärrealisierte Aktanten durch sekundärund/ oder tertiärrealisierte Aktanten ersetzt, so stellt sich heraus, dass diese i.d.R. in der dritten Person Singular bzw. Plural stehen. Anders ist es jedoch um Beispiel (II.19) bestellt. Der Autor schließt sich in Los españoles [...] mit ein, weshalb die Primärrealisierung des Erstaktanten in der ersten Person Plural erfolgt. Der quartärrealisierte Erstaktant in Satz (II.19) ist gewissermaßen als partitive Apposition (vgl. Eisenberg et al. 6 1998, 674) zum nicht explizierten tertiärrealisierten Erstaktanten, also Nosotros, los españoles, amamos [...], zu verstehen und bei nosotros ist klar, dass es sich um eine Tertiärrealisierung des bereits verbmorphologisch primärrealisierten Erstaktanten in der ersten Person Plural handelt. (II.22) zeigt weiter, dass es im Französischen, wie übrigens auch im Italienischen, im Falle zusammengesetzter Tempora mit être bzw. essere durch die Markierung im Partizip Perfekt auch Genuskongruenz gibt, wie z.B. in Elle est venue bzw. Lei è venuta. 41 Diese Übereinstimmung gibt es im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen außerdem in den Passivkonstruktionen, die bekanntlich mit être, essere bzw. ser gebildet werden, wie für das Portugiesische bereits durch Beispiel (II.6), nämlich [A Pátria Portuguesa] foi feita [...] illustriert wurde. Analog dazu hieße es in den anderen Sprachen La patrie française a été faite [...], La patria italiana è stata fatta [...] und La patria española fue - bzw. ha sido - hecha. Dies bedeutet, dass das Partizip Perfekt in diesen Fällen eine erstaktantielle Primärrealisierung enthält. 2.4.1.5 Die Quintärrealisierung Expandiert nun die nominale Quartärrealisierung des Erstaktanten zu einem Satz, um es in Weinrichs Terminologie zu beschreiben, so resultiert daraus eine phrastische Quintärrealisierung des Erstaktanten. Phrastisch nennen wir die Realisierung deshalb, weil ein dergestalt spezifizierter Aktant - genauso wie der Zirkumstant - nicht notwendigerweise durch einen Hauptsatz realisiert werden muss, um dieser Kategorie anzugehören. Diese Art von aktantieller und zirkumstantieller Realisierung kann je nachdem auch in Form einer satzwertigen Infinitivkonstruktion, gerundivischen Konstruktion, Partizipialkonstruktion oder auch einfach durch einen Gliedsatz erfolgen. Tesnière unterscheidet zwischen Translation ersten Grades und Translation zweiten Grades. Voraussetzung für Tesnières Translationen ist, dass er den vier Grundwortarten Substantiv (O), Adjektiv (A), Verb (I) und Adverb (E) 42 vier originäre syntaktische Funktionen zuordnet, nämlich dem Substantiv die Ergänzung 41 Anders ist es im Portugiesischen und Spanischen. Sowohl das portugiesische pretérito perfeito composto als auch das spanische pretérito perfecto (compuesto) wird stets mit ter bzw. tener gebildet, weshalb Elle est venue bzw. Lei è venuta auf Portugiesisch bzw. Spanisch entsprechend Ela tem vindo bzw. Ella ha venido lautet. 42 Die Symbole O, A, I und E hat Tesnière ( 2 1965, 64) den Endungen der entsprechenden Wortarten im Esperanto entnommen: -o für das Substantiv, -a für das Adjektiv, -i für den Infinitiv und -e für das Adverb. <?page no="39"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 33 des Prädikats, dem Adjektiv die Attribution, dem Verb die Prädikation und dem Adverb die Prädikation zu einem Prädikat. Translation besagt nun bei Tesnière, dass jede einzelne dieser originären syntaktischen Funktionen in die jeweils drei anderen der entsprechenden Grundwortarten überführt werden kann. Tesnière erklärt die Operation der Translation folgendermaßen: Dans son essence la translation consiste donc à transférer un mot plein d’une catégorie grammaticale dans une autre catégorie grammaticale, c’est-à-dire transformer une espèce de mot en une autre espèce de mot. [...] A son tour, le changement de catégorie a pour effet d’entraîner, ou tout au moins de permettre, un changement de fonction, la fonction des différents mots étant attachée à leur catégorie. [...] Il y a donc lieu de distinguer soigneusement les deux opérations. La première est le changement de catégorie qui constitue la translation. Elle commande la seconde. La seconde est le changement de fonction qui en résulte, et qui commande à son tour toutes les possibilités structurales. (Tesnière 2 1965, 364) Dies ist die theoretische Grundlage für die in der Folge von Tesnière im Detail ausgeführten Translationen A > O, I > O, O > A, E > A, O > E usw. (vgl. Tesnière 2 1965, 414 ff.). Entscheidend für die Translation zweiten Grades ist nun, dass nicht mehr ein einzelnes Wort, sondern ein Verbalnexus in die Funktion einer der vier Grundwortarten überführt wird. Für die Translation I >> O heißt es etwa bei Tesnière ( 2 1965, 546): „Il s’agit du cas où une proposition indépendante, dont le centre est un verbe, se trouve transférée en substantif subordonné au verbe d’une proposition régissante, dont elle devient ainsi un simple élément.“ Allgemeiner bedeutet Translation zweiten Grades somit: „La proposition actancielle est ainsi un nœud verbal transféré en actant par une translation secondaire, la proposition circonstancielle un nœud verbal transféré en circonstant par une translation secondaire.“ Dies sei vorweg an folgenden konstruierten Beispielen eines - in der klassischen Terminologie - Subjektsatzes im Portugiesischen und eines den Erstaktanten realisierenden Demonstrativpronomens mit darauf folgendem notwendigem, dieses spezifizierenden Relativsatz im Französischen demonstriert: Quem quer conhecer a variedade das culturas, também tem que viver no estrangeiro bzw. Celui qui veut connaître la variété des cultures doit aussi vivre à l’étranger. Durch die Translation I >> O erhält jeweils I (quem quer conhecer a variedade das culturas bzw. celui qui veut connaître la variété des cultures) die O inhärente Funktion der Prädikatsergänzung und könnte etwa als Der Liebhaber der Vielfalt der Kulturen muss auch im Ausland leben verstanden werden. Die Quintärrealisierung des Erstaktanten ist - offensichtlich - in allen vier zur Diskussion stehenden Sprachen möglich. 43 Dazu jedoch folgende Textstellen: (II.25) ¿Es mucho pedir el que sacrifiquen unos pocos los excesos de su codicia? (Franco 1939, 15, 287-288) (II.26) È in questo modo che l’Austria inizia la sua vita di Stato indipendente, sotto il dominio interno della socialdemocrazia. (Mussolini 1938a, 68, 40-41) 43 Vgl. zur Satzförmigkeit von Ergänzungen Latour (1985, 96 ff.). <?page no="40"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 34 (II.27) [Nei riguardi della politica interna il problema di scottante attualità è quello razziale. (…).] Coloro i quali fanno credere che noi abbiamo obbedito a imitazioni, o, peggio, a suggestioni, sono dei poveri deficenti ai quali non sappiamo se dirigere il nostro disprezzo o la nostra pietà. (Mussolini 1938b, 146, 80-84) (II.28) Celui qui a pris en main les destinées de la France a le devoir de créer l’atmosphère la plus favorable à la sauvegarde des intérêts du pays. (Pétain 1940b, 95, 30-32) (II.29) O último motivo de n-o temer é conhecermos as posições que o inimigo ocupa e aquelas que se esforça por ocupar. (Salazar 1938a, 20, 131-133) (II.30) Que portugueses também nos ataquem, isso só quer dizer que a sua medida de dignidade patriótica n-o é a nossa. (Salazar 1943, 415, 865-868) In (II.25) spezifiziert eine satzwertige Infinitivgruppe den Erstaktanten, in (II.26) und (II.30) übernimmt dies jeweils ein in der klassischen Terminologie genannter Subjektsatz. In (II.27) und (II.28) wird der Erstaktant durch ein Demonstrativpronomen mit - in diesem Falle - notwendigerweise darauf folgendem Relativsatz realisiert, 44 weshalb wir auch hier von Quintärrealisierung sprechen. [...] conhecermos as posições [...] als satzwertige Infinitivgruppe mit infinitivo pessoal in (II.29) kann hingegen freilich als eine Art prädikativer Aktant verstanden werden. Andererseits macht eine geringfügige Transformation etwa in Que [nós] conhecemos as posições [...] é o último motivo [...] deutlich, dass dieser Teil des Satzes auch den quintärrealisierten Erstaktanten darstellen kann. Vergegenwärtigen wir uns nun die gesamte Palette der diskutierten Erstaktantenrealisierungen in den hier diskutierten romanischen Sprachen, so stellt sich heraus, dass ein dreistufiges Modell, das Mikro-, Meso- und Makrorealisierungen enthält, nicht ausreicht. Wir gehen deshalb von einem fünfstufigen Modell aus und bezeichnen die verschiedenen Aktantenspezifizierungen von jener des verbalen Flexionsmorphems bis hin zur phrastischen als Primär-, Sekundär-, Tertiär-, Quartär- und Quintärrealisierungen. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Ebenen der Erstaktantenrealisierung, wobei die Realisierung auf einer bestimmten Ebene natürlich nicht notwendigerweise all jene auf den darunter liegenden Ebenen impliziert, sehr wohl aber - i.d.R. - die Primärrealisierung. 45 Gerade in der gesprochenen Sprache sind Mehrfachrealisierungen des Erstaktanten aus verschiedenen Gründen bzw. zu verschiedenen Zwecken durchaus üblich. Ein Satz wie der französische Qui représente le pays à l’étranger, (à savoir) le Président, lui, il ne doit pas le dire oder, ebenfalls höchst emphatisch, Lui, le Président, celui qui représente le pays à l’étranger, il ne doit pas le dire, enthält alle fünf Realisierungsvarianten des Erstaktanten. Die Flexionsendung -t in doit ist die 44 Auf celui, celle, ceux und celles folgen i.d.R. entweder ein nominales Komplement oder ein Relativsatz, es sei denn, es stehen diese Demonstrativpronomina in Verbindung mit -ci oder -là. Die Verbindung dieser Demonstrativpronomina mit einem Partizip Perfekt gehört eher der Umgangssprache an (vgl. Dubois/ Lagane 1973, 94 ff.). 45 Einen Sonderfall stellt das bereits besprochene Beispiel (II.19) mit Los españoles amamos [...] dar. <?page no="41"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 35 Primärrealisierung, das klitische Pronomen im Nominativ il die Sekundärrealisierung, das betonte Pronomen lui die Tertiärrealisierung, das Nomen le Président die Quartärrealisierung und der Subjektsatz bzw. das Demonstrativpronomen mit darauffolgendem Relativsatz die Quintärrealisierung des Erstaktanten. Auf Italienisch könnte der Satz Chi rappresenta il paese all’estero, lui, (cioè) il Presidente, egli non deve dirlo heißen, auf spanisch Quién representa el país en el extranjero, (o sea) el Presidente, él no debe decirlo und auf Portugiesisch Quem representa o país no estrangeiro, (o seja) o presidente, ele n-o deve dizê-lo. Während im Französischen die Spezifizierung des Erstaktanten auf allen fünf Ebenen gegeben ist, nämlich auf der ersten durch -t (doit), auf der zweiten durch il, auf der dritten durch lui, auf der vierten durch le Président und auf der fünften durch qui (bzw. celui qui) représente le pays à l’étranger, entfällt im Italienischen die Sekundärrealisierung, zumal lui und egli beide der tertiären Ebene angehören. Im Spanischen entfällt ebenfalls die Realisierung auf der sekundären Ebene, da él ebenso bereits eine Tertiärrealisierung darstellt. Das Gleiche gilt für portugiesisch ele. Im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen ist allerdings im Gegensatz zum Französischen unter der Bedingung jeweils eindeutiger Referenz im Kontext die alleinige Primärrealisierung des Erstaktanten in der Form von Non deve dirlo, No debe decirlo bzw. N-o deve dizê-lo möglich. 2.4.2 Die Realisierungsvarianten der Zweitbzw. dativischen Drittaktanten 46 im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen Es stellt sich zunächst die prinzipielle Frage, ob es in den vier betrachteten Sprachen analog zu den Realisierungsvarianten der Erstaktanten überhaupt auch fünf unterschiedliche Spezifizierungsniveaus für Zweitbzw. Drittaktanten gibt. Aus 46 Zumindest in diesem Abschnitt über formale Realisierungsvarianten unterscheiden wir zwischen dativischen und präpositionalen Drittaktanten, und zwar nach formalen Kriterien: Erstere sind in der Sekundärrealisierung pronominal durch lui, gli, lhe, le etc. ersetzbar, während Letztere, mit Ausnahme der Sekundärrealisierungen en und y im Französischen und ci/ vi und ne im Italienischen - und das nur unter bestimmten Bedingungen - , nur durch die zu erhaltende Präposition mit darauf folgendem tonischem Pronomen, d.h. also in Form von Tertiärrealisierungen, ersetzt werden können: Z.B.: dativisch: Je téléphone à mon ami > Je lui téléphone vs. präpositional: Je compte sur mon ami > Je compte sur lui. Sowohl à mon ami als auch sur mon ami sind Drittaktanten und zählen in den romanischen Sprachen zu den indirekten Objekten. Der erste Drittaktant ist aber eben nach den obigen Kriterien ein dativischer, der zweite hingegen ein präpositionaler. Lui in sur lui, toi in nous pensons à toi und eux in renoncer à eux sind nach Grévisse ( 11 1980, 539) pronoms personnels compléments prépositionnels, weshalb wir hier in diesem Zusammenhang auch von präpositionalen Drittaktanten sprechen. Blumenthal/ Rovere (1998, XII) unterscheiden in ihrem Wörterbuch der italienischen Verben hinsichtlich des Italienischen ebenfalls zwischen N2 (oggetto indiretto, dativo) und N3 (tutti gli ulteriori oggetti (preposizionali)). Telefono al mio amico basiert infolgedessen auf “N - V - N2” (Blumenthal/ Rovere 1998, 1224), Penso al mio amico hingegen auf “N - V - aN3” (Blumenthal/ Rovere 1998, 764). Vgl. ausführlich zur Opposition Objektoid versus Dativobjekt Siller-Runggaldier (1996a, 53 ff.; 1996b), wo syntaktische Unterschiede vor allem auch semantisch begründet werden! <?page no="42"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 36 diesem Grunde wollen wir an dieser Stelle zumindest eine Differenzierung der Realisierungsniveaus für die an dieser Stelle zur Diskussion stehenden Aktanten versuchen. 2.4.2.1 Die Primärund/ oder Sekundärrealisierung Die Gretchenfrage hinsichtlich Primärund/ oder Sekundärrealisierung von Zweitbzw. Drittaktanten ist wohl, ob man in den vier betrachteten romanischen Sprachen (schon) von Primärrealisierung der Zweitbzw. auch Drittaktanten sprechen kann, oder ob es sich vielleicht zumindest irgendwie abzeichnet, dass man möglicherweise eines Tages davon wird sprechen können. Vor diesem Hintergrund sind die vermeintliche Primärund/ oder Sekundärrealisierung von Zweitbzw. Drittaktanten im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen jedenfalls gemeinsam zu ergründen. Die Frage, ob es eine Primärrealisierung von Zweit- und Drittaktanten in den für uns hier relevanten Sprachen gibt, betrachten wir auf der Grundlage von u.a. von Ágel (2000), Juhász (1985), László (1978; 1988) oder Páhi (1999) erläuterten Mikrorealisierungen der Zweit- und Drittaktanten im Ungarischen - einer, wie schon erwähnt, agglutinierenden Sprache - , deren konjugierte Verbformen offensichtlich außer einem mikrorealisierten Erstaktanten auch einen mikrorealisierten Zweitbzw. Drittaktanten aufweisen. 47 Gehen wir von folgendem konstruiertem Satz aus, in dem Zweit- und Drittaktant jeweils nominal realisiert sind: Je dis le secret à mon ami. Dico il segreto al mio amico. Digo o segredo ao meu amigo. (Le) Digo el secreto a mi amigo. Werden nun Zweit- und Drittaktanten pronominal realisiert, so ergibt sich immer noch ein relativ homogenes, trotzdem aber schon facettenreicheres Bild. Ich sage es, französisch Je le dis, ergibt im Italienischen Lo dico, im Portugiesischen Digo-o und im Spanischen Lo digo. Ich sage ihm, dass [...] heißt auf Französisch Je lui dis que [...], auf Italienisch Gli dico che [...], auf Portugiesisch Digo-lhe que [...] und auf Spanisch Le digo (a él) que [...]. Es fällt dabei auf, dass im unmarkierten bejahten Aussagesatz mit pronominaler Zweitbzw. Drittaktantenrealisierung das Portugiesische - zumindest graphisch - die stärkste Einheit zwischen konjugiertem Verb und dem dergestalt realisierten Zweitbzw. Drittaktanten bildet. Das Gleiche gilt für kombinierte Personalpronomina wie in französisch Je le lui dis, italienisch Glielo dico, portugiesisch Digo-lho und spanisch Se lo digo. Noch offensichtlicher wird diese Einheitenbildung des Portugiesischen im Futur und im Konditional, wo die klitischen Pronomina, auch die kombinierten, lediglich durch Bindestrich getrennt, 47 Ágel (2000, 240 ff.) erklärt dies u.a. am folgenden kontrastiven Beispiel aus Deutsch - Ungarisch: Deutsch Du sollst Esmeralda nicht töten vs. Du sollst nicht töten heißt auf Ungarisch Ne öld meg Esmeraldát! vs. Ne öld meg! Das finite Verb im Ungarischen inkludiert den Erst- und den Zweitaktanten. Auch im zweiten Satz, Ne öld meg! bleibt die Mikrorealisierung sowohl des Erstals auch des Zweitaktanten erhalten, die Konzentrizität beider Aktanten geht auch ohne nominale Explizierung des Zweitaktanten nicht verloren. Vorausgesetzt wird allerdings sehr wohl, dass der jeweilige Referent der inkludierten Aktanten aus dem Kontext eruierbar ist. Das absolut gebrauchte Du sollst nicht töten! würde man mit Ne ölj! - ohne inkludierte Aktanten - übersetzen. <?page no="43"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 37 zwischen Verbstamm und Endung geschoben werden, wie etwa in Ich werde bzw. würde es ihm sagen, nämlich Dir-lho-ei bzw. Dir-lho-ia. Es handelt sich dabei nicht mehr nur um eine relativ starke graphische Einheit, sondern gleichfalls um eine phonetische. Im Französischen, Italienischen und Spanischen ändert sich die Position der Pronomina auch in diesen Tempora nicht, weshalb die entsprechenden Formen im Futur bzw. Konditional Je le lui dirai/ dirais, Glielo dirò/ direi und Se lo diré/ diría lauten. Eine verstärkte Einheitenbildung, die allerdings keine Muss-Bestimmung ist, kann in italienischen und spanischen Sätzen mit Infinitivkonstruktionen festgestellt werden. Französisch Je veux le lui dire und portugiesisch Quero dizê-lho bzw. Quero-lho dizer kann auf Italienisch zu Voglio dirglielo und auf Spanisch zu Quiero decirselo werden. Die klitischen Pronomina werden in diesem Fall unmittelbar an den entsprechenden Infinitiv angehängt. Nach Hopper/ Traugott ( 2 1994, 7) ist im Rahmen der Grammatikalisierung im Allgemeinen davon auszugehen, „that there is a cline of grammaticality of the following type: content item > grammatical word > clitic > inflectional affix.“ 48 Aus dieser Warte wäre das Portugiesische, in dem gegebenenfalls Zweit- und Drittaktant auch in der konjugierten Verbform aufgehen bzw. mit dieser verschmelzen, in einem fortgeschritteneren Entwicklungsstadium als die anderen diskutierten romanischen Sprachen. Einen Sonderfall in dieser Hinsicht stellen allerdings die spanischen Objektpronomina dar. Im Spanischen treten auch in unmarkierten Sätzen häufig die unbetonten gemeinsam mit den betonten Pronomina bzw. mit den nominal realisierten Aktanten auf, wie etwa in María le lava la cabeza a Carmen (Marcos Marín et al. 2 1999, 148) oder in El jurado me eligió a mí, El jurado le/ lo eligió a él, El jurado nos eligió a nosotros. Wirklich emphatisch werden diese spanischen Sätze erst durch invertierte Wortstellung, wie in A mí me eligió el jurado, A nosotros nos eligió el jurado, etc. (Quilis et al. 3 1999, 173). Im vorliegenden Fall scheint es in der Tat so, als ob die Objektpronomina auf dem besten Wege dazu wären, Konjugationsmorpheme zu werden, wenn sie es nicht gar schon geworden sind. 49 Treten nun die klitischen Objektpronomina gemeinsam mit den nominal oder durch betonte Pronomina realisierten Zweitbzw. Drittaktanten auf, wie etwa in französisch Le secret, je le lui dirai, italienisch Il segreto, glielo dirò, portugiesisch O 48 Ein cline hat für sie historische und synchrone Implikationen. Sie definieren den Terminus cline folgendermaßen: „From a historical perspective, a cline is a natural pathway along which forms evolve, a kind of linguistic slippery slope which guides the development of forms. Synchronically a cline can be thought of as a continuum” (Hopper/ Traugott 2 1994, 6- 7). 49 Marcos Marín et al. ( 2 1999, 154) dazu: „En español existen oraciones en las que el mismo complemento puede aparecer dos veces, representado por un sintagma nominal pleno y por un pronombre átono o por dos pronombres, uno tónico con preposición y otro átono. Se trata de usos pleonásticos o redundantes de los pronombres personales [...]. Las lenguas romances desarrollan la posibilidad latina del régimen repetido, para evitar confusiones, en algunos casos (valor semántico) y para indicar la función del régimen que repite el pronombre átono (valor sintáctico). El español, rumano y portugués han desarrollado esta tendencia mucho más que las restantes lenguas románicas.” <?page no="44"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 38 segredo, dir-lho-ei und spanisch El secreto, se lo diré (a él), so handelt es sich nach Bossong (1980, 12 ff.) stets um Topikalisierung. Es muss jedoch nicht Topikalisierung im Sinne von Thematisierung sein, sondern es kann sich um eine Art von Fokussierung handeln, die durch Links- oder Rechtsdislozierung der entsprechenden Elemente bewerkstelligt wird. Es ist nämlich gar nicht so eindeutig, was in einem Satz mit anaphorischem Objektpronomen im Akkusativ wie Le secret, je le lui dirai, genauso aber in einem mit kataphorischem Objektpronomen im Akkusativ wie Je le lui dirai, le secret Thema bzw. Rhema ist. 50 Leichter zu bestimmen ist das jeweils fokussierte Satzelement. Der Zielpunkt der Entwicklung des Objektpronomens vom Klitikon zum Konjugationsmorphem wäre nach Bossong (1980, 13) dann erreicht, wenn die klitischen Objektpronomina automatisch und ohne daraus abzuleitende Fokussierung des entsprechenden Aktanten in Verbindung mit durch betonte Pronomina oder nominal realisierten Zweitbzw. Drittaktanten zu verwenden wären. Die klitischen Objektpronomina werden bereits in relativ unmarkierten Sätzen gemeinsam mit durch betonte Pronomina oder nominal spezifizierten Zweitbzw. Drittaktanten realisiert. Zum einen betrifft dies jedoch einstweilen noch vor allem die gesprochene Sprache, zum anderen erfolgt diese Art von Spezifizierung (noch) durchwegs fakultativ. 51 Eine gewisse Tendenz zur Wiederaufnahme von Zweitund/ oder Drittaktanten lässt sich zumindest in bestimmten Varianten oder Registern des Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen allerdings nicht leugnen. Am ehesten in Richtung normativer Verwendung klitischer Objektpronomina zur Wiederaufnahme von Zweitund/ oder Drittaktanten geht aber wohl, wie oben dargelegt, von den behandelten Sprachen das Spanische. Doch nun zu den Textstellen aus den Reden und dabei zunächst zu den Überlegungen bezüglich der Identifikation primärrealisierter Zweitaktanten: 50 Falls Thema mit Bekanntem und Rhema mit Neuem gleichgesetzt wird, so ist sowohl in Ersterem als auch in Letzterem le secret unabhängig von dessen Position im Satz das Rhema. 51 Koch (1994c, 175 ff.) stellt zunächst die Hypothese auf, dass ein redundantes Pronomen wie lo in lo trova, il lavoro zu einem Morphem des Verbalsyntagmas wird, d.h. zu einem Konjugationsmorphem, das die Verbmorphologie viel komplexer machen würde. Es werden sowohl direkte als auch indirekte und sowohl definite als auch indefinite Objekte durch klitische Pronomina wiederaufgenommen. Dies belegt Koch mit zahlreichen Beispielen aus der gesprochenen Sprache, wie etwa lo conosco, il presidente, gliel’ho detto a mio padre, e poi li mettono i voti lo stesso und Fanny lo vuoi […] un croassan? Als relativ fix bezeichnet Koch die Verwendung der Klitika in imperativen Formen wie Prendila questa pera. Eine „tendenza vistosa verso una coniugazione oggettiva” (Koch 1994c, 182) sieht Koch in der Tatsache der sehr gängigen Wiederaufnahme der pronominalen Objekte durch tonale wie in mi ha colpito (a) me oder (a) me mi ha colpito. Obwohl jedoch Koch in der Klitisierung der atonalen Pronomina „un fatto ben assodato“ (1994c, 178) erkennt, ist er der Auffassung, dass dies noch nicht notwendigerweise Grammatikalisierung der Klitika als Konjugationsmorpheme bedeute. Die Klitisierung der atonalen Klitika gehöre zum italiano avanzato und „questo italiano avanzato […] s’identifica in genere con le varietà dell’oralità concezionale: italiano parlato in senso stretto e varietà parlate dell’italiano (italiano familiare, italiano popolare, ecc.)” (Koch 1994c, 178). <?page no="45"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 39 (II.31) Può darsi che ci sia in giro qualcuno che ha dimenticato gli anni durissimi della vigilia, ma gli uomini delle squadre non li hanno dimenticati, non li possono dimenticare. (Mussolini 1939, 250, 17-20) (II.32) C’est le paysan qui l’[la France, nation laborieuse, économe, attachée à la liberté] a forgée par son héroïque patience. (Pétain 1941c, 126, 113-114) Wenn von eindeutiger Markierung des Zweitaktanten in der Verbmorphologie, also von primärrealisierten Zweitaktanten, die Rede ist, dann wohl am ehesten, wenn es um die von dem, dem Verb vorangestellten, pronominal realisierten Zweitaktanten abhängigen Kongruenzmorpheme des Partizips Perfekt im Französischen und Italienischen geht. Bei einer Transformation wären in (II.31) gli anni in Non hanno dimenticato gli anni und in (II.32) la France, nation laborieuse, économe, attachée à la liberté in C’est le paysan qui a forgé la France, nation laborieuse, économe, attachée à la liberté die jeweiligen Zweitaktanten, die - wie hier - im Falle, dass sie pronominal realisiert einer zusammengesetzten Tempusform vorangehen, zusätzlich als Kongruenzmorphem im Partizip Perfekt primärrealisiert werden. 52 Für die Drittaktanten trifft dies auf keine der hier behandelten Sprachen zu. Im Gegensatz dazu kommen die Sekundärrealisierungen sowohl von Zweitals auch von Drittaktanten in allen vier Sprachen vor. Zunächst zu den sekundärrealisierten Zweitaktanten: (II.33) [...] El sentido patriótico de nuestro pueblo le ha llevado a consumar el máximo de sacrificio por la Patria [...]. (Franco 1939, 15, 285-286) (II.34) [Por respetar la conciencia y actuación ajenas] nos creemos con derecho a que se respete y considere la propia [...]. (Franco 1945a, 12, 115-116) (II.35) [La Gran Bretagna è sola.] Questo isolamento la spinge verso gli Stati Uniti, dai quali invoca disperatamente e urgentemente soccorso. (Mussolini 1941a, 56, 246-247) (II.36) [Un grande onore e un sommo privilegio vi attendono e] sono sicuro che voi lo sentite nell’animo vostro di combattenti volontarî. (Mussolini 1941b, 113, 2-3) (II.37) [Vous étiez prêts à continuer la lutte.] Je le savais. (Pétain 1940a, 65, 69) (II.38) [Vous serez bientôt rendus à vos foyers.] Certains auront à les reconstruire. (Pétain 1940a, 66, 83-84) (II.39) [Pedem-me para vós (…) algumas palavras de estímulo e orientaç-o.] E eu hesito em proferi-las [...]. (Salazar 1939b, 159, 2-4) (II.40) [...] em meu pensar nada disso será um bem definitivo sem a revoluç-o moral - revoluç-o da nossa mentalidade e dos nossos hábitos - e essa só nós a 52 Dies trifft allerdings weder auf das Portugiesische noch auf das Spanische zu, wie die analogen Sätze Os anos, n-o os têm esquecido bzw. Los años, no los han olvidado demonstrieren. <?page no="46"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 40 achámos necessária a ponto de a empreendermos e dela n-o podermos desistir. (Salazar 1939b, 161, 56-60) Da wir bei den als klitische Personalpronomina realisierten Zweit- und Drittaktanten (noch) nicht von Konjugationsmorphemen und daher auch (noch) nicht von entsprechenden Primärrealisierungen sprechen, stellen wir fest, dass in (II.33) bis (II.40) der Zweitaktant eben jeweils als klitisches Pronomen sekundärrealisiert wird. Gerade (II.33) macht klar, dass das Klitikon eben (noch) ohne zugleich tertiär-, quartär- oder auch quintärrealisierten Zweitund/ oder Drittaktanten vorkommen kann. [...] le ha llevado a él [...] wäre allerdings genauso möglich. 53 Nos in nos creemos von creerse in (II.34) ist an und für sich ein Reflexivpronomen, das in diesem Fall aber als Zweitaktant fungiert, etwa im Gegensatz zu os creemos oder les creemos a ellos. Lo in (II.36) und le in (II.37) verweisen als sekundärrealisierte Zweitaktanten auf den jeweils gesamten vorangehenden Satz, während la in (II.35), les in (II.38) und las von as in (II.39) sowie a in (II.40) anaphorisch auf die jeweils vorerwähnten nominal realisierten - also quartärrealisierten - Zweitaktanten verweisen, nämlich auf la Gran Bretagna, les foyers, algumas palavras 54 und a revoluç-o moral. Eine mehr oder weniger analoge Situation findet sich bei den sekundärrealisierten Drittaktanten: (II.41) [...] yo os pido a todos disciplina, fe en la victoria final. (Franco 1940, 160, 23- 24) (II.42) [...] io vi domando: C’è uno solo fra voi di sangue e di anima italiani che possa per un solo istante - dico per un solo fugacissimo istante - dubitare dell’avvenire della vostra città unita sotto il simbolo del Littorio, che vuol dire audacia, tenacia, espansione o potenza? (Mussolini 1938b, 147, 120-124) (II.43) Resta la Russia, ma i suoi interessi fondamentali le consigliano di seguire anche per il futuro una politica di buon vicinato con la Germania. (Mussolini 1941a, 56, 222-224) (II.44) Paysans, mes amis, je vous fais confiance et je compte sur votre dévouement pour m’aider à relever la France et la sauver de la famine. (Pétain 1941c, 127, 129- 131) 53 (II.33) illustriert weiter das bekannte Phänomen des Spanischen, dass wenn der Zweitaktant das semantische Merkmal [+viv] enthält und sich auf Mensch oder Tier bezieht, diesem bei Tertiär-, Quartär- oder Quintärrealisierung die Präposition a vorangestellt wird und im Falle der Sekundärrealisierung neben lo/ la bzw. los/ las im Singular auch le und im Plural auch les verwendet wird. Dies ist allerdings nicht mit dem leísmo de cosa zu verwechseln, nach dem le/ les generell für alle möglichen Zweitaktanten verwendet werden (cf. Marcos Marín et al. 2 1999, 155). 54 Bemerkenswert erscheint vielleicht noch, dass hier ein Nomen mit vorangehendem indefinitem Artikel Plural, nämlich algumas palavras, durch ein klitisches Personalpronomen mit vermeintlich eindeutiger Referenz wiederaufgenommen wird, was in der geschriebenen Sprache nicht üblich ist. <?page no="47"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 41 (II.45) S-o certos e graves estes males e no entanto afigura-se-me que os podemos considerar antes como sintomas de uma crise passageira e curável do que doença sem esperança, excepto se os princípios em nome dos quais a Europa pretende resolver os seus problemas contiverem em si o vírus mortal da guerra ou, por outras palavras, se a própria soluç-o dos problemas importar a guerra, em vez de colaboraç-o na paz. (Salazar 1939a, 141-142, 112-120) (II.41) repräsentiert wiederum den für das Spanische typischen Fall, dass nämlich auf das konjugierte Verb mit vorangestelltem sekundärrealisiertem Drittaktanten os pido dieser tertiärrealisiert als Indefinitpronomen, nämlich a todos, wiederaufgenommen wird. (II.42), (II.43) und (II.45) stellen den Regelfall der Sekundärrealisierung des Drittaktanten dar, während in (II.44) zusätzlich zum sekundärrealisierten Drittaktanten vous der Anredenominativ paysans auf die Empfänger der Rede referiert. 2.4.2.2 Die Tertiärrealisierung Auf der Ebene des grammatical word nach Hopper/ Traugott bzw. auf unserer Ebene der Tertiärrealisierung sind, wie bereits oben angemerkt, für die Zweitaktanten außer den betonten Personalpronomina auch die anderen substantivisch gebrauchten Pronomina anzusetzen, für die Drittaktanten jeweils Präpositionen plus Pronomina. Der Zweitbzw. Drittaktant in beispielsweise französisch Je te l’ai acheté, italienisch Te l’ho comprato, portugiesisch Comprei-to und spanisch Te lo he comprado wird auf entsprechende Weise als J’ai acheté cela pour toi, Ho comprato questo per te, Comprei isto para ti bzw. He comprado ésto para ti realisiert. Die intermediäre Position dergestalt realisierter Zweit- und Drittaktanten zwischen einerseits Primär- und Sekundärrealisierung und andererseits Quartär- und Quintärrealisierung tritt dadurch deutlich zutage, dass die hier diskutierten Pronomina einerseits im Gegensatz zu den klitischen Pronomina als sekundärrealisierte Aktanten allein stehen können, andererseits ist ihre Referenz aber im Gegensatz zu den quartärrealisierten nominalen Aktanten naturgemäß - oder besser gesagt systemgemäß - im jeweiligen Kontext zu suchen. Folgende Textstellen demonstrieren zunächst exemplarisch mögliche Tertiärrealisierungen von Zweitaktanten: (II.46) [Para lograrla (la grandeza de España) no sólo se requiere la unión necesaria, la unión absoluta de los Cuerpos armados, sino que] es también preciso un pueblo, y éste lo forman estos chicos, esas Juventudes constituídas por nuestros propios hijos, que serán las que de manera definitiva la labren. (Franco 1940, 160, 27-32) (II.47) [Nosotros iniciamos la libertad desde la cuna, en los albores de la vida, y] ello lo hacemos preparando a la madre para el cuidado de sus hijos, sin que a éstos les falten las asistencias médicas y sanitarias ni la adecuada nutrición de los primeros días. (Franco 1942a, 225, 53-57) <?page no="48"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 42 (II.48) Sono venuto per vedere ciò che avete fatto e per vedere altresì come sia possibile di bruciare rapidamente le tappe per giungere alla meta. (Mussolini 1938b, 144, 20-22) (II.49) Suivez-moi. (Pétain 1940b, 96, 55) (II.50) [(…) La condition paysanne était dédaignée, l’enseignement agricole insuffisant.] Le régime nouveau veut changer tout cela. (Pétain 1941c, 125, 84-86) (II.51) [Français, mes amis, libérez votre conscience des préjugés et des rancunes,] vous comprendrez mieux alors ceux qui ont la charge douloureuse de vous conduire. (Pétain 1943a, 301, 87-89) (II.52) [...] e essa [a revoluç-o] só nós a achamos necessária a ponto de a empreendermos e dela n-o podermos desistir. (Salazar 1939b, 161, 58-60) (II.53) Agora alguns dos meus bons portugueses, precisamente muito amigos do seu sossego e comodidades, pretendem que tivéssemos estado na luta, assim como quem deseja neutralidade na guerra e beligerância na paz - mas isto n-o pude consegui-lo. (Salazar 1945b, 106, 139-144) In (II.46) verweist das Demonstrativpronomen éste auf das vorangehende un pueblo und analog dazu verweist essa in (II.52) auf das vorangehende a revoluç-o, während das betonte oder tonische Personalpronomen ello in (II.47) sowie die Demonstrativpronomina cela in (II.50) und isto in (II.53) jeweils auf den vorangehenden Satz referieren. In (II.48) ist das Demonstrativpronomen ciò der eigentliche tertiärrealisierte Zweitaktant, der jedoch als Antezedens des darauf folgenden restriktiven Relativsatzes mit diesem eine Einheit bildet, sodass im Grunde der tertiärrealisierte Zweitaktant gemeinsam mit dem Relativsatz, also ciò che avete fatto, eine phrastische Spezifizierung, d.h. Quintärrealisierung des Zweitaktanten darstellt. 55 Ähnlich gelagert ist der Fall (II.51), in dem der eigentliche Zweitaktant die Tertiärrealisierung ceux ist. Hier ist die Einheit bzw. die Unzertrennlichkeit zwischen Demonstrativpronomen und dazugehörigem Relativsatz noch offensichtlicher als im vorhergehenden italienischen Beispiel, zumal, wie oben ausgeführt, die Demonstrativpronomina celui, celle, ceux und celles gar nicht allein vorkommen können. Die Einheit aus tertiärrealisiertem Zweitaktanten in Form des Demonstrativpronomens mit dazugehörigem Relativsatz stellt also wiederum einen quintärrealisierten Zweitaktanten dar. Interessant ist auch der Satz (II.49), weil hier erneut die vollständige, d.h. fünfstufige Realisierungspalette der Aktanten des Französischen im Gegensatz zu den anderen hier behandelten romanischen Sprachen zum Ausdruck kommt. Suivez-moi wäre auf italienisch Seguitemi, auf portugiesisch Sigam-me und auf spanisch Seguidme. Der unmarkierte Aussagesatz lautet in den vier Sprachen Vous me suivez, Mi seguite, Siguem-me bzw. Me seguís. Das heißt im Standardfall des Imperativs findet allein im Französischen der tertiärrealisierte Zweitbzw. Drittaktant Anwendung, im Italienischen, Por- 55 Ciò kann allerdings auch allein stehen, wie etwa in Ciò non è giusto. Viel häufiger folgt ihm jedoch, wie oben dargestellt, ein restriktiver Relativsatz. <?page no="49"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 43 tugiesischen und Spanischen hingegen werden die Zweitbzw. Drittaktanten durch die klitischen Pronomina sekundärrealisiert. 56 Folgende Passagen geben einen Einblick in die Möglichkeiten der Tertiärrealisierungen von Drittaktanten: (II.54) De poco nos serviría a nosotros haber obtenido una victoria a costa de derramamientos de sangre y sacrificios tan costosos si esta victoria había de servir para que dejásemos las cosas como estaban, que volverían a conducir a España al estado de anarquía del que la levantamos. (Franco 1945e, 333, 6-9) (II.55) L’uomo delle squadre dice a colui che si attarda dietro le persiane che la rivoluzione non è finita, ma, dal punto di vista del costume, del carattere, delle distanze sociali, è appena incominciata. (Mussolini 1939, 250, 25-27) (II.56) À celui qui refuse aujourd’hui de donner quelque chose par amour, tout sera peut-être emporté demain par la haine. (Pétain 1943c, 319, 35-36) (II.57) O Portugal de nossos pais, explorador de sertões, fundador de colónias a repetir-se e multiplicar-se pelo Mundo - pedaços da sua alma, da sua carne e do seu sangue - tirando dos reveses da fortuna, dos azares da sorte e até da desconsideraç-o alheia a revolta e orgulho que nos transmitiu a nós! (Salazar 1938a, 21-22, 169-175) In (II.54) und (II.57) erfolgt die Tertiärrealisierung des Drittaktanten mittels tonischer Personalpronomina, die zusammen mit den klitischen Pronomina, also den Sekundärrealisierungen derselben Drittaktanten, auftreten. A colui in (II.55) und à celui in (II.56) repräsentieren tertiärrealisierte Drittaktanten in Form von Demonstrativpronomina als Antezedenzien zu den jeweils unmittelbar folgenden restriktiven Relativsätzen, mit denen sie gemeinsam die phrastischen Quintärrealisierungen der entsprechenden Drittaktanten darstellen. 2.4.2.3 Die Quartärrealisierung und die Quintärrealisierung Auf der vierten Realisierungsebene, jener des content item bzw. der Quartärrealisierung, werden die Aktanten nominal spezifiziert, auf der fünften, jener der Quintärrealisierung, hingegen analog zur fünften der Erstaktantenrealisierung phrastisch. Dies sei zunächst wiederum an konstruierten Musterbeispielen demonstriert. In französisch Je donne la clé au client, italienisch Do la chiave all’ospite, portugiesisch Dou a chave ao cliente und spanisch (Le) Doy la llave al cliente sind sowohl Zweitals auch Drittaktant quartärrealisiert. 56 Tertiärrealisierte Zweitbzw. Drittaktanten können allerdings zum Zwecke besonderer Emphase auch im Imperativ des Italienischen, Portugiesischen und Spanischen gebraucht werden. Im Italienischen (vgl. Dardano/ Trifone 1997, 268 ff.) hieße der Satz Seguite me. Im Portugiesischen (vgl. Gärtner 1998, 249 ff.) können die betonten Formen des Objektpronomens, also Tertiärrealisierungen, auch den Zweitaktanten spezifizieren, allerdings - analog zum Spanischen - mit der Präposition a und mit zusätzlicher Sekundärrealisierung desselben. Der Imperativ des obigen Satzes hieße also mit betonten Pronomina im Portugiesischen Sigam-me a mim und im Spanischen Seguidme a mí. <?page no="50"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 44 In französisch J’espère que cela ira bien und Je lui dis ce que je voudrais faire, italienisch Spero che vada bene und Gli dico quello che vorrei fare, portugiesisch Espero que vá bem und Digo-lhe o que eu gostaria de fazer bzw. spanisch Espero que vaya bien und Le digo (a él) lo que (a mí) me gustaría hacer ist der Zweitaktant phrastisch realisiert, d.h. quintärrealisiert. Nach Tesnière 57 findet hier wiederum eine Translation zweiten Grades statt. Zunächst zu den Quartärrealisierungen der Zweitaktanten: (II.58) Vosotros lleváis la transformación espiritual, la educación y formación de la mujer, envolviendo los hogares españoles en la idea de Dios; pero ello no podría triunfar plenamente si el hogar se conservase en las mismas condiciones de miseria en que ha vivido durante el último siglo. (Franco 1945e, 334, 64-68) (II.59) Ora, con la stessa certezza assoluta - ripeto assoluta - vi dico che spezzeremo le reni alla Grecia. (Mussolini 1940b, 36, 223-225) (II.60) L’immense désastre matériel et moral qui a bouleversé notre malheureux pays, et dont il souffre encore, a atteint profondément la paysannerie. (Pétain 1941c, 123, 2-4) (II.61) Serei muito breve, pois toda a palavra a sinto inferior ao momento e todo o discurso se me afigura profanar o recolhimento das almas e a comunh-o espiritual desta hora. (Salazar 1940, 255, 1-4) Handelt es sich in (II.58) und (II.61) um nominale Realisierungen, also Quartärrealisierungen der Zweitaktanten des jeweiligen Hauptsatzes, so ist le reni in (II.59) der quartärrealisierte Zweitaktant des quintärrealisierten Zweitaktanten - che spezzeremo le reni alla Grecia - von dico. 58 In (II.60) ist notre malheureux pays quartärrealisierter Zweitaktant des Relativsatzes qui a bouleversé notre malheureux pays und la paysannerie ist quartärrealisierter Zweitaktant des Hauptsatzes, in den obiger Relativsatz eingebettet ist. Im Folgenden betrachten wir zunächst jedoch einige Stellen mit jeweils quartärrealisierten Drittaktanten der Verben im Hauptsatz: (II.62) [...] Yo comprendo que ésta es una tarea difícil y que es grande la responsabilidad [...], y por ello quiero deciros en este acto a los falangistas, que si en todos los momentos de la vida de España se requiere espíritu de servicio y de sacrificio, hoy os son mucho más necesarios. (Franco 1942a, 227, 132-136) (II.63) [Ciononostante,] io sono grato al Führer di aver accettato la mia offerta: nulla più del sangue versato in comune o del sacrificio comune sopportato rende solidi e duraturi i rapporti fra i popoli, quando siano animati da una lealtà assoluta e da un’identità di interessi e di ideali. (Mussolini 1940b, 35, 177-181) 57 vgl. 2.4.1.5. 58 Beginnt man die Aktanten- und Zirkumstantenanalyse beim Hauptsatz, so stellt sich heraus, dass sowohl die einen als auch die anderen u.a. auch durch Gliedsätze, Infinitivkonstruktionen, gerundivische Konstruktionen und Partizipialkonstruktionen spezifiziert werden, die sich dann ihrerseits wiederum aus Aktanten und Zirkumstanten zusammensetzen und analog zu den Hauptsätzen analysiert werden können. Die unterschiedlichen Satzebenen sind aber streng auseinander zu halten. <?page no="51"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 45 (II.64) Aux agriculteurs, je demande instamment, une fois assurée leur subsistance, de livrer exactement leurs produits à la consommation [...]. (Pétain 1941c, 123, 23- 25) (II.65) Quando o Primeiro-Ministro britânico dirigiu ao povo da Itália a sua célebre mensagem sobre a democracia, tinha naturalmente vivo no seu espírito o quadro das instituições inglesas, tanto no respeitante à garantia das liberdades públicas, como à orgânica dos poderes do Estado. (Salazar 1945b, 115, 387-392) Die in (II.62) bis (II.65) markierten quartärrealisierten Drittaktanten sind also jeweils jene des Hauptsatzes. Allein in (II.62), also wiederum in der spanischen Rede, wird dieser durch den kataphorisch fungierenden sekundärrealisierten Drittaktanten os in quiero deciros vorweggenommen. Die fünfte Ebene der Spezifizierungsvarianten besteht auch hinsichtlich der Zweit- und Drittaktanten analog zu jener der Erstaktanten in der phrastischen Realisierung oder Quintärrealisierung, wie in der Folge, zunächst für die Zweitaktanten und im Anschluss daran für die Drittaktanten, exemplarisch dargestellt wird: (II.66) Yo os aseguro que en estas recepciones que a mi presencia han tenido lugar en las provincias cuando desfilaban con los trajes raídos, su aire cansino y sus rostros macilentos por el trabajo y la vigilia tantos honrados funcionarios, he sentido la gran tragedia de España y el ansia de esta Revolución de que tanto se asustan los timoratos. (Franco 1939, 25, 636-642) (II.67) [Siamo alla crisi economica mondiale, che ha ripercussioni tremende sulla fragile economia austriaca. Ancora una volta l’idea dell’Anschluss risorge sotto la specie di un progetto di unione doganale austro-tedesco Curtius-Schober. Il progetto non va perché incontra l’immediata opposizione della Francia e della Cecoslovacchia. Viene presentato alla Corte dell’Aja per sapere se tale unione doganale sia compatibile o meno con la indipendenza dell’Austria.] La Corte dice che è incompatibile. (Mussolini 1938a, 68, 54-61) (II.68) [Sa transformation (celle de l’entreprise) peut seule, fournir la base de la profession organisée, qui est elle-même une communauté de communautés.] Cela exige qu’une élite d’hommes se donne à cette mission. [Ces hommes existent parmi les patrons, les ingénieurs, les ouvriers.] […] Je leur demande: 1° de se pénétrer de la doctrine du bien commun au-dessus des intérêts particuliers, de s’instruire des méthodes d’organisation du travail capables de permettre à la fois un meilleur rendement et plus de justice, en donnant à chacun sa chance dans l’entreprise et dans la profession. (Pétain 1941a, 111, 27-38) (II.69) Nem eu sei o que havia de dizer. [Em v-o procuro, no tropel de ideias e de emoções, focar pensamento ou imagem, facto ou anseio, nome ou sentimento que aos outros sobreleve e me prenda.] (Salazar 1940, 255-256, 11-15) In (II.66) ist der Objektsatz Zweitaktant des dreiwertigen asegurar, in (II.67) jener des dreiwertigen dire und in (II.69) jener des zweiwertigen saber. In (II.68) ist ein Objektsatz Zweitaktant des zweiwertigen Verbs exiger und zwei satzwertige Infi- <?page no="52"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 46 nitivkonstruktionen, von denen die zweite außerdem einen phrastischen, weil gerundivischen Modalzirkumstanten, nämlich en donnant à chacun sa chance dans l’entreprise et dans la profession, bei sich führt, bilden sozusagen einen zweigliedrigen Zweitaktanten des dreiwertigen Verbs demander. Die phrastische Spezifizierung des Drittaktanten sei - rein formal - anhand folgender Beispiele illustriert: (II.70) A los que hayáis analizado la historia económica de los tiempos contemporáneos no os pasará desapercibido que España dió en las últimas décadas un salto de gigante en la multiplicación de sus riquezas. (Franco 1939, 21, 475-479) (II.71) L’uomo delle squadre dice a colui che si attarda dietro le persiane che la rivoluzione non è finita, ma, dal punto di vista del costume, del carattere, delle distanze sociali, è appena incominciata. (Mussolini 1939, 250, 25-27) (II.72) À tous ceux qui attendent aujourd’hui le salut de la France, je tiens à dire que ce salut est d’abord entre nos mains. (Pétain 1940b, 95, 20-22) (II.73) A todos os que lembraram, apoiaram ou viveram esta grandiosa manifestaç-o [...]; aos que por todo o País, nas ilhas ou no vasto Império, neste mesmo dia, levantaram os olhos por momentos do que é transitório ou efémero na vida e serenamente os volveram para o que é perene na Pátria [...] - a todos dirijo a express-o mais sincera do meu agradecimento. (Salazar 1941, 297, 1-18) Die Legitimation der Annahme quintärrealisierter Drittaktanten mag zunächst vielleicht schwierig oder gar unmöglich erscheinen. Vergleichen wir aber vorweg (II.70) etwa mit der folgenden Äußerung, die ebenfalls von Franco stammt: (II.74) [...] Sobre los Estados, sobre la vida propia de los Gobiernos, existe un super Estado: el super Estado masónico, que dicta sus leyes a los afiliados, a los que envía sus órdenes y sus consignas. (Franco 1945e, 335, 93-97) oder auch (II.71) mit einer weiteren Äußerung von Mussolini: (II.75) Potevamo, senza rinnegare noi stessi, non accorrere a dare il nostro aiuto a un movimento di riscossa che aveva trovato in Antonio de Rivera il creatore, l’asceta e il martire? (Mussolini 1941a, 50, 17-19) Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Drittaktantenrealisierungen in einerseits (II.70) bis (II.73) und andererseits in (II.74) und (II.75) ist unübersehbar: Weder a los in (II.70) noch a colui in (II.71) 59 noch à tous ceux in (II.72), genauso wenig wie a todos os oder aos in (II.73) kann für sich allein den Drittaktanten spezifizieren. Los, colui, ceux und os mit ihren jeweiligen Paradigmen bedürfen in Aktantenfunktion einer Spezifizierung, die allerdings etwa auch adverbial materialisiert werden kann, wie beispielsweise in los de abajo, colui di ieri, ceux-là oder os de cà. In unseren Äußerungen ist der jeweils unmittelbar auf das Pronomen folgende restriktive Relativsatz somit, d.h. mangels anderer Spezifizierung, obligatorisch. In 59 Colui kann zwar im Gegensatz zu los, ceux und os allein stehen, wie etwa in Chi è colui? , in der Regel steht es jedoch heute zumindest in Verbindung mit einem darauf folgenden Relativsatz (vgl. Dardano/ Trifone 1997, 251). <?page no="53"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 47 (II.74) und (II.75) ist der Sachverhalt aber ein anderer. Ein Relativsatz wie [...] que dicta sus leyes a los afiliados oder auch die obige Infinitivkonstruktion mit einem Drittaktanten wie a un movimento di riscossa würden - zumindest syntaktisch gesehen - der Wohlgeformtheit der jeweiligen Sätze Genüge tun. Im Falle von (II.74) und (II.75) handelt es sich infolgedessen um quartärrealisierte Drittaktanten, die aus semantisch-pragmatischen Gründen durchaus eines Relativsatzes bedürfen mögen. In den Fällen (II.70) bis (II.73) hingegen bilden die tertiärrealisierten Pronomina mit den darauf folgenden restriktiven Relativsätzen eine Einheit, und zwar nicht nur eine semantische, sondern auch eine morphosyntaktische, weshalb wir in diesen Fällen tatsächlich von Quintärrealisierungen sprechen. 2.4.3 Realisierungsvarianten der präpositionalen Drittaktanten 60 im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen 2.4.3.1 Die Sekundärrealisierung In keiner dieser vier Sprachen können analog zu den dativischen Drittaktanten die präpositionalen Drittaktanten primärrealisiert werden, es sei denn, man spricht von objektivischer Konjugation (vgl. László 1978, 164) oder objektiver Konjugation (vgl. Bossong 1980, 2) - in diesem Fall ginge es um das indirekte Objekt -, im Zuge derer die klitischen Pronomina, die gemeinsam mit den tonischen die entsprechenden Argumente realisieren und den analogen Fall zu der oben diskutierten Zweitaktantenspezifizierung darstellten, als Konjugationsmorpheme und infolgedessen als aktantielle Primärrealisierungen verstanden würden. Ci in Pensaci un po’, a questa cosa und en in Je m’en occupe, de ce travail wären unter diesen Bedingungen die entsprechenden Primärrealisierungen der präpositionalen Drittaktanten. Wir erachten konsequenterweise nach wie vor aber auch diese (noch) als Sekundärrealisierungen. Die Möglichkeiten der von uns definierten Sekundärrealisierung der präpositionalen Drittaktanten beschränken sich auf das Französische und auf das Italienische, was aber nicht heißt, dass jeder präpositionale Drittaktant sekundärrealisiert werden kann, wie die Beispiele Je pense à lui > *J’y pense oder On renonce à eux > *On y renonce deutlich machen. (II.76) Tali rivendicazioni, più che legittime, potevano essere oggetto di discussione anche prima della guerra, se non ci si fossero opposti i ridicoli e tragici a un tempo « jamais ». (Mussolini 1940b, 34, 156-158) 60 Mit Gärtner (1998, 124 ff.) - für das Portugiesische, analog dazu aber auch für das Italienische, Französische und Spanische gültig - gehen wir zum einen davon aus, dass die Präpositionalgruppe entweder aus Präposition + Substantiv oder aus Präposition + betontem Personalpronomen bestehen kann und zum anderen, dass „im Unterschied zum indirekten Objekt [...] das präpositionale Objekt mit der Präposition a immer durch a + betontes Pronomen [...] und nie durch lhe [französisch lui, italienisch gli/ le, spanisch le] usw. pronominalisiert [wird].“ <?page no="54"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 48 (II.77) [L’unità del comando politico-militare nelle salde mani del Führer, di colui che fu un tempo il soldato semplice volontario Adolfo Hitler, imprime alle operazioni un ritmo entusiastico irresistibile, rivoluzionario, cioè nazionalsocialista, che muove tutti, dai sommi generali agli ultimi soldati.] La Gran Bretagna se ne accorgerà ancora una volta fra poco. (Mussolini 1941a, 55-56, 203-208) (II.78) [Devant une telle épreuve, la résistance armée devait cesser. Le gouvernement était acculé à l’une de ces deux décisions: soit demeurer sur place, soit prendre la mer.] Il en a délibéré et s’est résolu à rester en France, pour maintenir l’unité de notre peuple et le représenter en face de l’adversaire. (Pétain1940a, 64, 40-45) (II.79) [Sans votre adhésion enthousiaste à l’œuvre de reconstruction sociale, rien de grand ne peut être fait.] Sachez vous y donner avec un désintéressement total. (Pétain 1941a, 112, 71-73) Das Klitikon ci in (II.76) ersetzt den obligatorischen Drittaktanten a X von opporsi, ne in (II.77) steht für den ebenfalls obligatorischen Aktanten di X von accorgersi, en in (II.78) verweist auf die obligatorische Ergänzung de X von délibérer und y in (II.79) referiert schließlich auf die ebenfalls obligatorische Ergänzung a X von se donner. Es handelt sich also bei italienisch ci und ne bzw. französisch y und en um Klitika, die zu den sekundärrealisierten Erst-, Zweit- und dativischen Drittaktanten analoge Fälle darstellen. 2.4.3.2 Die Tertiärrealisierung Tertiärrealisierte präpositionale Drittaktanten werden wiederum, analog zu den bisher dargestellten Tertiärrealisierungen durch tonische Pronomina, personale oder auch durch andere, spezifiziert, die jedenfalls gemeinsam mit der ihnen jeweils vorangehenden Präposition einen selbständigen Aktanten, sei es ein obligatorischer oder wie in den Textstellen (II.81) und (II.85) ein syntaktisch fakultativer, kommunikativ aber durchaus relevanter, darstellen. 61 (II.80) Y no puede ser para vosotros nuevo esto que yo os digo, pues si investigáis en la historia de nuestros mejores caídos hallaréis sus vidas plenas de virtudes. (Franco 1942b, 244, 104-106) (II.81) [Ora che i dadi sono gettati e la nostra volontà ha bruciato alle nostre spalle i vascelli, io dichiaro solennemente che l’Italia non intende trascinare altri popoli nel conflitto con essa confinanti per mare o per terra.] Svizzera, Jugoslavia, Grecia, Turchia, Egitto prendano atto di queste mie parole e dipende da loro, soltanto da loro, se esse saranno o no rigorosamente confermate. (Mussolini 1940a, 404, 41-46) 61 Bei para vosotros in (II.80) und para ela in (II.84) könnte man in Anlehnung an den dativus iudicantis von fakultativen, präpositionalen Drittaktanten der Judikanz, d.h. des Standpunktes, sprechen. Wenn man hingegen eine sehr breite Palette an Zirkumstanten ansetzt, wie etwa Grévisse ( 11 1980, 191), dessen Typologie dreiunddreißig unterschiedliche Kategorien enthält, könnte auch dafür argumentiert werden, dass es sich bei den genannten Ergänzungen - oder eben Angaben - um compléments circonstanciels de relativité handelte. Dies erachten wir hier nur als ein weiteres Indiz dafür, dass die Grenze zwischen Aktanten und Zirkumstanten eine fließende bzw. dynamische ist. <?page no="55"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 49 (II.82) Il faut que nos fils en captivité puissent éprouver l’affection de la nation tout entière et la sollicitude collective qui veille sur eux. (Pétain 1940c, 97, 26-28) (II.83) Estamos sempre na vigilância, na contradita, na acç-o, estamos em toda a parte - nos cafés, nos teatros, nos serviços públicos ou particulares, nos comboios, nas serras, nos campos, nas cidades, na praças e nas ruas, e depois que nos mostrámos dispostos a ocupá-las, nunca mais o inimigo conseguiu apoderar-se delas. (Salazar 1938a, 20-21, 147-154) (II.84) [Para além do Estado está a Naç-o - a vida da comunidade nacional com suas necessidades, o seu trabalho, as suas aspirações.] Para ela existe o Estado, isto é, em seu benefício se organiza o poder, se criam e funcionam serviços. (Salazar 1943, 394, 302-306) In (II.80) wäre No puede ser nuevo esto que yo os digo natürlich syntaktisch vollkommen korrekt, kommunikativ allerdings im Vergleich zu No puede ser para vosotros nuevo esto que yo os digo sinnverändernd, es sei denn, man ginge von der Implikation para z, d.h. para alguien, aus. Trotzdem kann es aus prinzipiell ökonomischen Gründen - analog zu Konstruktionen mit ethischem Dativ - keinen eigenen, einen fakultativen Aktanten para z enthaltenden Satzbauplan für die Satzkonstruktion x ser y para z geben. Analoges gilt für (II.84). Die präpositionalen Drittaktanten da x in (II.81), sur x in (II.82) und de x - kontraktiert zu delas im Falle von de elas - in (II.83) sind hingegen obligatorisch. 2.4.3.3 Die Quartärrealisierung Quartärrealisierte präpositionale Drittaktanten sind formal analog zu den dativischen auf Präpositionen folgende nominale Spezifizierungen von Argumenten: (II.85) [El pueblo marroquí ha sido el pueblo de los guerreros más bravos, así como el pueblo español ha sido también el de los soldados más valientes; ] los dos pueblos tenían una elevada espiritualidad y un carácter entero que siempre les impulsó al trabajo. (Franco 1938, 65-66, 17-21) (II.86) Io vi esorto alla storia, o signori. (Mussolini 1938a, 70, 135-136) (II.87) [N’espérez pas trop de l’État. Il ne peut donner que ce qu’il reçoit.] Comptez, pour le présent, sur vous-mêmes et, pour l’avenir, sur les enfants que vous aurez élevés dans le sentiment du devoir. (Pétain 1940a, 66, 94-97) (II.88) Mas n-o deixando já lugar a quaisquer dúvidas, atirando fora as confusões possíveis, desistindo de diáfanas separações estabelecidas e fingidamente aceites entre órg-os de Estado e organismos revolucionários, o homem que parece depositário do maior poder efectivo no Império russo, claramente, expressivamente retoma a tese da revoluç-o universal para defesa e consolidaç-o dos sovietes, e prega e promete ajudar a luta civil em todos os países para a implantaç-o do comunismo. [Temos de reconhecer-nos obrigados! ] (Salazar 1938a, 17-18, 63-73) <?page no="56"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 50 (II.89) [Todos podiam notar que a uma vis-o porventura demasiado continental da Europa estava contraposta a concepç-o històricamente mais exacta da sua universalidade, e era a todos evidente que a vitória inglesa e dos Estados Unidos da América (em que o Brasil colaborava activamente) teria como resultado arrastar para o Atlântico o centro de gravidade da política internacional, no que importava ao Ocidente.] E numa e noutra coisa nós somos interessados. (Salazar 1945a, 97, 104- 113) Das Verb impulsar ist in Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) nicht enthalten. Es kann als zweiwertiges, eventuell mit direktivem Lokalzirkumstanten, nach dem Satzbauplan „impulsar: 01 (6” oder wie in (II.85) mit der obligatorischen invariablen Präposition a als dreiwertiges verwendet werden. Nach Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) 62 würde der der obigen Verwendung entsprechende Satzbauplan „impulsar: 014” lauten. Das Verb esortare (II.86) ist in Blumenthal/ Rovere (1998) ebenfalls nicht enthalten. Jedoch auch in diesem Fall ist von qualcuno esorta qualcuno a qualcosa mit der invariablen Präposition a auszugehen. Nach Blumenthal/ Rovere (1998) entspräche dem der Satzbauplan N - V - N1 - PrepN3. 63 In compter sur quelqu’un (II.87) ist sur die obligatorische invariable Präposition vor der nominalen Ergänzung, und infolgedessen muss der diesbezügliche Satzbauplan nach Bus- 62 Dem Titel des Werkes Diccionario de valencias verbales. Alemán - Español entsprechend, gehen Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 12 ff.) jeweils von den deutschen Verben aus, untersuchen deren Satzbaupläne und übertragen diese dann in das Spanische. Aufbauend auf Engel/ Schumacher (1976) nehmen sie zehn Ergänzungsklassen an: “E0: complemento en nominativo, E1: complemento en acusativo (que corresponde en algunos casos al complemento directo del español, E2: complemento en genitivo (que corresponde en algunos casos a un complemento precedido por de), E3: complemento en dativo (que corresponde en algunos casos a un complemento indirecto), E4: complemento preposicional (o sea, complemento precedido por una preposición invariable), E 5: complemento de situación (o sea, complemento de lugar o de tiempo, precedido por una preposición variable), E6: complemento de dirección (o sea, complemento precedido por una preposición variable que indique de dónde o hacia dónde), E7: complemento nominal (o en nominativo o en acusativo, o precedido por als/ wie), E8: complemento calificativo (o sea, un adjetivo), E9: complemento en infinitivo (u otra oración subordinada que no conmute con ninguna otra clase de E anteriores).” Ein fakultativer Aktant wird durch die offene Klammer ( gekennzeichnet. 63 Das Abkürzungsverzeichnis in Blumenthal/ Rovere (1998, V) lautet folgendermaßen: Agg pred (adjektivisches Prädikat), Avv (adverbialer Verbzusatz - Verbindung Verb + Avv mehr oder weniger lexikalisiert), Avv loc (lokale Adverbialbestimmung), Avv mis (Adverbialbestimmung quantitativer Art - Maß, Preis, usw.), Avv modo (modale Adverbialbestimmung - Art und Weise, Instrument), Avv temp (temporale Adverbialbestimmung), Ger (Gerundium), Inf (Infinitiv), Inf interrog (Infinitiv als indirekte Frage), Inf pred (Infinitiv in prädikativer Funktion), inf S (Infinitivsatz „AcI“), N (Nomen oder Pronomen als Subjekt), N plur (Subjekt, das Pluralisches bezeichnet oder Koordination von mindestens zwei N umfasst - bei N1, N2 und N3 hat plur entsprechende Bedeutung), N pred (substantivisches Prädikat), N1 (direktes Objekt), N2 (indirektes Objekt - Dativ), N3 alle anderen präpositionalen Objekte, Pred (Prädikativ (wenn nicht die Spezialfälle Agg pred oder N pred gelten)), Prep (Präposition), S ((Glied-) Satz, z.B. Komplementsatz, Adverbialsatz, Relativsatz), S cong (Satz im Konjunktiv), S interrog (indirekter Fragesatz), si V (reflexives Verb), V (Verb). <?page no="57"?> 2.4 Die Aktantenrealisierungen aus formaler Perspektive 51 se/ Dubost ( 2 1983, 53) N - V - sur N <pourN/ pour Inf> sein. 64 Desistindo de diáfanas separações estabelecidas e fingidamente aceites entre órg-os de Estado e organismos revolucionários in (II.88) ist ein gerundivischer, d.h. phrastischer Kausalzirkumstant, in dem allerdings systemgemäß die unpersönliche Verbform nicht einmal mehr den Erstaktanten inkludiert. Er könnte aber problemlos durch porque (ele) desiste de separações [...] in einen Gliedsatz transformiert werden. Desistir führt die invariable Präposition de mit sich, woraus der Satzbauplan „N - V - deN“ (Busse 1994, 166) 65 resultiert. (II.89) ist insofern interessant, als das Verb interessarse zwar die obligatorische invariable Präposition por mit sich führt, die periphrastische Konstruktion wie in diesem Beispiel - somos interessados numa e noutra coisa - jedoch em. Allein in (II.86) ist die Sekundärrealisierung des präpositionalen Drittaktanten durch Vi ci esorto möglich, in den anderen Sätzen jeweils nur die Tertiärrealisierung mittels Präposition und tonischem Pronomen: in (II.85) a él, in (II.87) sur eux, in (II.88) delas und in (II.89) nelas. 64 Die wichtigsten Abkürzungen in Busse/ Dubost ( 2 1983, VIII ff.) sind folgende: V = Verb; N = nominales Satzglied, d.h. Subjekt oder Objekt; Nqc = Substantiv für quelque chose; Nqn = Substantiv für quelqu’un; Nqc/ qn = keine klassematische Beschränkung; qp = quelque part; Funktionskennzeichnung: N-V-N = Die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekten ist in den Strukturangaben durch die Abfolge von N in Bezug auf V markiert: das N vor V steht für das Subjekt, das oder die N nach V stehen für die Objekte; (...) = fakultative Ergänzungen des Verbs; <...> = nicht unter die Valenz des Verbs fallende Umstandsangaben; inf = Infinitive in den A.c.I.-Konstruktionen bei Verben wie entendre, voir ...; Struktur der Satzglieder: N = Satzglied mit nominalem Status und nominaler Struktur (Substantiv und seine Bestimmungen): Subjekt, Objekte. Beim indirekten Objekt erscheint zudem die geforderte Präposition; V = Verb, einschließlich der periphrastischen Konstruktionen; Inf = Infinitivstruktur; Inf = präpositionsloser Infinitiv; à ... Inf = von einer Präposition (à/ de usw.) eingeleiteter Infinitiv; < Inf fin > = nicht unter die Valenz des Verbs fallender finaler Infinitiv bei Bewegungsverben, entweder ohne Präposition oder (nicht markiert) mit pour; S = untergeordneter Satz (Nebensatz) in der Funktion des Subjekts oder eines Objekts; que S = durch que eingeleiteter untergeordneter Satz; à ... ce que S = durch Präposition (zusammen mit ce que) eingeleiteter untergeordneter Satz; Int.ind = „interrogation indirecte“ bzw. entsprechende Infinitivkonstruktion in Objektsfunktion (si, comment, pourquoi, quand ...). 65 Auch in Busse (1994, III ff.) enthalten die Satzbaupläne nicht stringent die Aktantenfunktionen, sondern sind teilweise nach den Wortarten, teilweise nach den Satzgliedfunktionen und teilweise nach der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten ausgerichtet, wobei einige Funktionen eher unorthodox scheinen. Einige wichtige verwendete Abkürzungen sind folgende: V = Verb/ Prädikat; N = Substantiv entweder als Subjekt oder direktes Objekt; aN = indirektes Objekt; M = Modalergänzung (complemento modal), wie etwa in Ela n-o se comporta bem; L = Lokalergänzung (complemento local); D = Richtungsergänzung (complemento de direcç-o); T = Temporalergänzung (complemento temporal); Q = Quantitätsergänzung (complemento de quantidade; P = Prädikativergänzung (complemento predicativo); fakultative Ergänzungen stehen in Klammern; = mehr als eine der vorgesehenen Ergänzungen können fehlen (Quando é possível omitir-se mais que um complemento, as estruturas sintácticas respectivas s-o precedidas pelo símbolo ); p = menschlich (pessoa); c = gegenständlich (coisa); F = phrastischer Aktant (frase); I = Infinitivkonstruktion (construç-o infinitiva subordinada); der Modus des Verbs im Gliedsatz ist durch i (Indikativ) bzw. c (Konjunktiv) jeweils im Anschluss an F indiziert. <?page no="58"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 52 2.4.3.4 Die Quintärrealisierung Quintärrealisierte präpositionale Drittaktanten sind analog zu den bisher diskutierten Quintärrealisierungen phrastische Aktanten, die konkret entweder als Gliedsätze, als satzwertige Infinitivkonstruktionen, als Partizipialkonstruktionen oder als gerundivische Konstruktionen Argumente spezifizieren. (II.90) El fariseísmo político se encarga de desfigurar nuestra realidad. [No somos derechas ni somos izquierdas, ni somos centro.] (Franco 1945a, 10, 57-59) (II.91) Quando una monarchia manca a quelli che sono i suoi compiti, essa perde ogni ragione di vita. (Mussolini 1943, 4, 131-132) (II.92) Le rôle de l’État va se borner ici à donner à l’action sociale son impulsion, à indiquer les principes et le sens de cette action, à stimuler et orienter les initiatives. (Pétain 1941a, 110-111, 18-21) (II.93) De nada nos serviria bater e afastar o mais próximo inimigo, se depois nos limitássemos a deixar repor o estado de coisas que pelos seus vícios profundos lhe deu condições de vida. (Salazar 1939b, 160, 35-38) Encargarse de ist analog zum deutschen sich kümmern um das Zentrum eines Satzes mit der Struktur „encargarse: 04“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 155). Das heißt, dieses Verb, dessen obligatorische invariable Präposition de ist, perspektiviert 66 einen Erstaktanten und einen Präpositionalaktanten bzw. in unserer Terminologie einen präpositionalen Drittaktanten, der in (II.90) als Infinitivkonstruktion realisiert wird. Pronominal kann dieser tertiärrealisiert durch se encarga de ello ersetzt werden. Mancare a mit dem Satzbauplan N - V - aN3 (Blumenthal/ Rovere 1998, 658) ist das strukturelle Zentrum von (II.91), in dem der präpositionale Drittaktant durch ein Demonstrativpronomen mit darauf folgendem Relativsatz quintärrealisiert wird. In diesem Falle ist, vorausgesetzt, dass der Referent im Kontext identifiziert werden kann, die Sekundärrealisierung des präpositionalen Drittaktanten durch ci in quando una monarchia ci manca [...] möglich. In (II.92) ist der präpositionale Drittaktant von se borner à mit dem Satzbauplan N - se V - àN (Busse/ Dubost 2 1983, 35) mehrgliedrig, und zwar besteht er aus drei Infinitivkonstruktionen, die sekundärrealisiert durch y in va s’y borner ersetzbar sind. Auch in (II.93) realisiert eine Infinitivkonstruktion den präpositionalen Drittaktanten von limitar-se a alguma coisa, dem der Satzbauplan N,I - Vse - aN,I (Busse 1994, 292) zugrunde liegt, die allerdings im Falle des Portugiesischen wiederum nur durch eine Tertiärrealisierung wie etwa a isso substituiert werden kann. 66 Vgl. Kapitel 4. <?page no="59"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 53 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive Es ist deutlich geworden, dass zum einen die Aktantenrealisierung zum Teil systemabhängig ist, wie etwa die Sekundärrealisierung des Erstaktanten in je veux vs. voglio, quero und quiero, und zum anderen die Wahl der Aktantenrealisierungsvariante zumindest teilweise kontextbedingt - im Sinne von diskursbedingt - eingeschränkt ist. Um einen Aktanten sekundär- oder tertiärrealisieren zu können, muss die Identifizierbarkeit seiner Referenz im Kontext gewährleistet sein, ansonsten kommt keine kommunikativ sinnvolle Äußerung zustande. Es hat sich aber ebenfalls bereits gezeigt, dass der Autor oder Redner sehr wohl häufig zwischen verschiedenen Aktantenrealisierungsvarianten wählen kann. Denken wir etwa nur an die durch tonische Pronomina realisierten Erstaktanten im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen, an die Kombinationen aus sekundär- und tertiär bzw. quartärbzw. quintärrealisierten Zweit- und Drittaktanten in allen vier Sprachen oder an detaillierte und nuancierte Quintärrealisierungen statt nominaler Quartärrealisierungen, egal welcher Aktanten, ebenfalls in allen vier Sprachen. In der Folge geht es nun darum herauszuarbeiten, welche Funktionen die jeweiligen Aktantenrealisierungsvarianten im Diskurs übernehmen können. 2.5.1 Inklusion versus Exklusion Anhand folgender Textstellen soll herausgearbeitet werden, wie das Gefühl des wir in Abgrenzung zu ihnen, den anderen, auf mehr oder weniger subtile Weise gestärkt oder überhaupt erst bewusst gemacht wird. In den untersuchten politischen Diskursen unterhält der Redner durchwegs Beziehungen zu zwei Gruppen, nämlich zur freundlichen (friendly) Wir-Gruppe und zur feindlichen (hostile) Sie-Gruppe, von denen entweder nur eine explizit, die andere aber implizit oder aber beide explizit angesprochen werden. Im Falle, dass die Sie-Gruppe thematisiert wird, wird diese meist klar benannt, was allerdings längst nicht immer auf die Wir-Gruppe zutrifft. Der Redner könnte auch das wir definieren und die jeweiligen Referenzträger explizit beschreiben. Offensichtlich gibt es aber auch andere, wahrscheinlich wirksamere Methoden, das Wir-Gefühl aufkommen zu lassen, zu nähren und zu festigen. (II.94) Nosotros no hemos venido a establecer una dictadura ni a pensar por todos los demás, sino a organizar un país y a devolver a los españoles su fe y su personalidad. (Franco 1945b, 619, 28-30) Weder aus (II.94) noch aus dem entsprechenden Kontext geht hervor, wer die eigentlichen Referenzträger von nosotros no hemos venido sind. Logisch erschiene in der Rede, wenn sich Franco auf sich selbst und auf seine Getreuen, d.h. auf die absolut zu ihm stehenden Politiker bezöge. Trotz vager Referenz wird der Erstaktant aber nicht nur primär-, sondern auch tertiärrealisiert, wodurch zum einen der Eindruck entstehen könnte, dass die Referenz außer Zweifel stünde und zum <?page no="60"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 54 anderen, dass es sich immerhin um eine Gruppe von Menschen und nicht um einen autoritären Diktator handelte, die das Beste für das Land wollte. (II.95) Lo que quedó de ello vosotros lo sabéis por haber tenido la desgracia de vivir los trágicos días que esta provincia padeció bajo la barbarie roja. ¿Qué fué entonces de los derechos del hombre, de la libertad, de la igualdad y de la fraternidad humanas? Vosotros lo sabéis, pues cuando llegaron los momentos de pagar las cuentas, los dirigentes atravesaron las fronteras con el fruto de sus rapiñas, dejando abandonadas a las masas, y continuando en el extranjero la más irritante de las desigualdades, ya que mientras ellos disfrutan del oro robado, de los vasos sagrados y de las joyas de las gentes ricas, otros compatriotas se agotan, explotados por el extranjero, sobre las arenas ardientes del desierto africano sin sueldo ni jornal. (Franco 1942a, 224, 22-35) In dieser Textstelle findet sich zweimal vosotros lo sabéis. Die Tertiärrealisierung des Erstaktanten vosotros könnte aus inhaltsrelevanten Gründen in umgestellten Sätzen wie etwa Sabéis lo que quedó de ello bzw. einfach Lo sabéis, pues [...] durchaus ausgespart bleiben, denn die Primärrealisierung desselben in sabéis indiziert diesen eindeutig. Die Referenz sind die konkret Angesprochenen, es ist die Zuhörerschaft. Kommunikationsrelevant ist die doppelte Tertiärrealisierung des Erstaktanten aber allemal, und zwar aus zwei Gründen. Unter dem label vosotros zusammengefasst, entsteht in der Zuhörerschaft zum einen das Gefühl der Zusammengehörigkeit, zum anderen erfolgt dadurch eine doppelt explizite Abgrenzung gegen die Bösen, die als los dirigentes ebenfalls nicht nur nominal quartärrealisiert und verbmorphologisch durch atravesaron und disfrutan primärrealisiert werden, sondern in ellos disfrutan del oro robado, de los vasos sagrados y de las joyas de las gentes ricas eine zusätzliche Tertiärrealisierung erfahren, die zweifach im Dienste der Exklusion steht. Einmal dient sie der Abgrenzung der Bösen gegen vosotros und einmal gegen das darauf folgende otros compatriotas. (II.96) Quando i problemi posti dalla storia sono giunti ad un grado di complicazione tormentosa, la soluzione che si impone è la più semplice, la più logica, la più radicale, quella che noi fascisti chiamiamo totalitaria. (Mussolini 1938b, 145, 57-60) (II.96) enthält eine phrastische, d.h. quintärrealisierte prädikative Ergänzung, nämlich quella che noi fascisti chiamiamo totalitaria. Beschränkte sich der Satz auf La soluzione è quella, so wäre dieser zwar morphosyntaktisch wohlgeformt, kommunikativ aber irrelevant, es sei denn, das prädikative Demonstrativpronomen verwiese auf einen im Kontext identifizierbaren Referenten und funktionierte insofern anaphorisch oder kataphorisch. Da dies in (II.96) aber nicht der Fall ist, qualifizieren wir diese aus Demonstrativpronomen mit dazugehörigem Relativsatz bestehende Ergänzung analog zu colui che/ colei che als phrastischen Aktanten, dessen Glieder wiederum analysiert werden können. Mussolini könnte sagen [...] è quella che chiamiamo totalitaria, wodurch er den Erstaktanten auf minimalistische Weise primärrealisierte. Mussolini sagt aber [...] è quella che noi fascisti chiamiamo totalitaria. Fascisti ist eine partitive Apposition zum formal redundanten tertiärrealisierten Erstaktanten noi. Diese allerdings nur <?page no="61"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 55 vermeintlich Klarheit stiftende Mehrfachrealisierung des Erstaktanten dient vor allem dem Zwecke der Inklusion. Es geht nämlich weder aus dem Text noch aus dem Kontext hervor, auf wen noi fascisti tatsächlich referiert. Es scheint wohl am ehesten so, als ob dieses noi fascisti der Zuhörerschaft gölte, weil diese inkludiert werden sollte, was implizierte, dass diese auf alle Fälle die Meinung des obersten Faschisten, Mussolini, teilten. (II.97) [Gli ufficiali e gli equipaggi della Marina compiono silenziosamente e spesso eroicamente il loro dovere sui molti mari e oceani - dall’Indiano all’Atlantico - dove sono impegnati.] Essi obbediscono a una severa consegna e duri colpi sono stati inflitti alla Marina nemica. (Mussolini 1940b, 32, 77-80) In (II.97) dient die anaphorische Wiederaufnahme des nominalen Erstaktanten gli ufficiali e gli equipaggi aus dem vorangehenden Satz durch das tonische Pronomen essi nur mittelbar der Opposition wir - sie. Durch die Tertiärrealisierung des Erstaktanten mittels essi werden nämlich vielmehr Helden hervorgehoben, die zwar innerhalb der Wir-Gruppe als die anderen gezeichnet werden und gerade deshalb Bewunderung und Unterstützung verdienen, außerhalb der Wir-Gruppe aber in scharfem Kontrast zu den wirklich - weil ideologisch - anderen im Sinne von Feinden herausragen. (II.98) Davanti a questa sovrumanamente eroica decisione, si comprende l’atteggiamento di taluni circoli americani, che si domandano se non sarebbe stato meglio per gli statunitensi che Roosevelt avesse tenuto fede alla promessa da lui fatta alle madri americane che nessun soldato sarebbe andato a combattere e a morire oltremare.] Egli ha mentito, come è nel costume di tutte le democrazie. (Mussolini 1944, 137, 458-464) (II.98) stellt gewissermaßen den entgegengesetzten Fall zu (II.97) dar. Roosevelt wird aus dem vorangehenden Satz aufgegriffen und als Erstaktant tertiärrealisiert. Dies ist gerade so, als zeigte man mit dem Finger auf ihn, den anderen, den Bösen, mit dem man nichts gemeinsam hat. Hier handelt es sich also quasi um die Betonung oder Hervorhebung des Feindbildes, das die Wir-Gruppe von denjenigen hat, die auszuschließen sind. (II.99) Si deve tuttavia riconoscere che i tradimenti dell’estate 1944 ebbero aspetti ancora più obbrobriosi, poiché romeni, bulgari e finnici, dopo avere anch’essi ignominiosamente capitolato, e uno di essi, il bulgaro, senza avere sparato un solo colpo di fucile, hanno nelle ventiquattro ore rovesciato il fronte ed hanno attaccato con tutte le forze mobilitate le unità tedesche, rendendone difficile e sanguinosa la ritirata. (Mussolini 1944, 127, 67-72) Auch in (II.99) werden die anderen, die Feinde, die Auszuschließenden durch den tertiärrealisierten Erstaktanten essi, der auf den vorangehenden mehrgliedrigen quartärrealisierten Erstaktanten romeni, bulgari e finnici verweist, hervorgehoben. Durch einen leicht transformierten Satz, wie etwa Dopo (avere) capitolato [...] könnte dieser inhaltlich redundante, aber kommunikativ offensichtlich sehr wohl relevante bzw. funktionale tertiärrealisierte Erstaktant ausgespart werden. Es würde ferner auch genügen zu sagen, [...] e il bulgaro, senza avere sparato [...], da bereits <?page no="62"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 56 vorher geklärt wurde, dass die Bulgaren zu den anderen, zur Sie-Gruppe, gehören. Essi in uno di essi, il bulgaro [...] verstärkt aber den Eindruck der Front der Sie- Gruppe, der gegenüber die Wir-Gruppe umso stärker zusammenhalten muss. (II.100) La terre, elle, ne ment pas. (Pétain 1940a, 66, 90) Zunächst fällt in (II.100) die für das Französische markierte Aktantenspezifizierung bzw. Serialisierung auf. La terre, in diesem Fall der Boden, das Land, ist Erstaktant, der zusätzlich zur nominalen und verbmorphologischen Realisierung eine weitere durch das tonische Pronomen elle erfährt. Dass es sich in diesem Fall tatsächlich um eine Tertiärrealisierung und nicht etwa um eine Sekundärrealisierung durch das Klitikon elle handelt, ist durch die Punktuation, nämlich durch den Beistrich, gekennzeichnet. In der Rede ist folglich eine Pause zwischen elle und ne ment pas anzunehmen. La terre ist in Pétains Reden durchwegs positiv konnotiert und in Verbindung mit Heimat und Erdverbundenheit zu verstehen. Durch die tertiärrealisierte Wiederaufnahme und die dadurch eigentlich zustande gebrachte Hervorhebung des Lexems la terre in der Funktion als Erstaktant von ne ment pas wird deutlich, dass dieser vor allem im Gegensatz zu jenen, die sehr wohl lügen, wahrzunehmen sei. Genau dadurch wird la terre als legitimer Bereich der Wir-Gruppe reklamiert. (II.101) Depuis trois ans, nous payons, vous et moi, les fautes de ceux qui nous ont précédés et de ceux qui nous ont menti. (Pétain 1943b, 306, 13-14) In diesem Beispiel wird der sekundärrealisierte Erstaktant nous durch die lockere Apposition vous et moi präzisiert bzw. spezifiziert. Diese Spezifizierung dient erstens der Stärkung des Wir-Gefühls der Zuhörerschaft, zweitens der Beteuerung dessen, dass sich auch Pétain persönlich dieser Wir-Gruppe zugehörig fühlt, d.h. dass er einfach einer von ihr ist und drittens der Abgrenzung der Wir-Gruppe, eben inklusive Pétain, gegenüber den Bösen, die durch das zweigliedrige phrastische complément d’objet de ceux qui nous ont précédés et de ceux qui nous ont menti realisiert werden. (II.102) [On attend votre don,] l’hiver lui n’attend pas. (Pétain 1940c, 97, 17) Die Passage (II.102) stellt gewissermaßen das negative Pendant zum metaphorischen Beispiel (II.100) dar. Es handelt sich hier zum einen insofern um eine Metapher, als der Winter nicht warten kann, sondern immer irgendwann unerwartet einbricht, weshalb auf jeden Fall Vorsorge geboten und Hilfe für die Bedürftigen angesagt ist. Zum anderen steht der Winter für etwas Feindliches, das andere, das nicht nur nominal, sondern auch durch das tonische Pronomen lui, nicht aber durch das Klitikon il realisiert und dadurch hervorgehoben wird. Diese markierte Serialisierung zum Zwecke der Fokussierung dient erneut der Warnung vor dem Feindlichen, angesichts dessen sich die Mitglieder der Wir- Gruppe gegenseitig unterstützen müssen, was wiederum soviel heißt wie Solidarität innerhalb der Wir-Gruppe gegenüber dem Feind. <?page no="63"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 57 (II.103) Les responsables de vos maux, les fauteurs de la guerre et de la défaite, vous les connaissez. (Pétain 1943a, 299, 14-15) Auch in (II.103) geht es um die Hervorhebung der feindlichen Sie-Gruppe, die in diesem Fall zunächst durch den zweigliedrigen, nominal realisierten, linksdislozierten Zweitaktanten les responsables de vos maux, les fauteurs de la guerre et de la défaite und dann anaphorisch, in präverbaler Position durch das Klitikon les sekundärrealisiert spezifiziert wird. Die Sie-Gruppe, die für alles Verderben verantwortlich gemacht wird, weshalb man mit ihr nichts zu tun haben will, wird charakterisiert und morphosyntaktisch quasi an den Pranger gestellt. (II.104) Nós n-o somos uma força destinada só a batalhar; nós somos uma força destinada a vencer e a manter intacta a vitória. (Salazar 1938a, 15-16, 14-16) Der tertiärrealisierte, morphosyntaktisch an und für sich redundante Erstaktant nós in (II.104) ist einerseits ein prototypischer Fall der vagen Referenz, andererseits ein genauso prototypisches politolinguistisches Mittel, das zum Zwecke der Inklusion eingesetzt wird. Vage ist die Referenz deshalb, weil sich nós entweder auf die Zuhörer und Salazar selbst, auf alle Portugiesen inklusive der regimekritischen oder aber ausschließlich auf Salazar und dessen Gleichgesinnte beziehen kann. Ein raffiniertes politolinguistisches Mittel ist die Verwendung des inkludierenden nós einerseits insofern, als die Inklusion der gesamten Zuhörerschaft in die Wir-Gruppe nicht nur suggeriert, sondern präsupponiert wird und andererseits, weil der Zuhörerschaft als angesprochener Teil der Wir-Gruppe implizit der Auftrag a vencer e a manter intacta a vitória erteilt wird, ohne dass sich diese möglicherweise dessen Tragweite bewusst wird. (II.105) [Que entre nós alguns estrangeiros se queixem, admite-se por mal habituados; ] que portugueses também nos ataquem, isso só quer dizer que a sua medida de dignidade patriótica n-o é a nossa. (Salazar 1943, 415, 864-868) Das Beispiel (II.105) reflektiert die konstruierte Polarisierung innerhalb eines Volkes bzw. das manipulierte Auseinanderdriften der Wir-Gruppe und der Sie-Gruppe innerhalb einer Nation. Que portugueses também nos ataquem ist der quintärrealisierte, isso der wiederaufgenommene tertiärrealisierte Erstaktant von (quer) dizer. Diese Aktanten beziehen sich auf einen Sachverhalt, und zwar auf den, dass es innerhalb des portugiesischen Volkes eine feindliche Sie-Gruppe gibt, die die freundliche Wir-Gruppe, spezifiziert durch den sekundärrealisierten Zweitaktanten nos des - in klassischer Terminologie - Subjektsatzes, bekämpft. Die gegebene markierte Serialisierung kann als Ausdruck von Salazars Entrüstung darüber verstanden werden. Der entscheidende Unterschied zwischen der Wir-Gruppe und der Sie-Gruppe innerhalb des portugiesischen Volkes liege nach Salazar im jeweiligen Verständnis von bzw. Ausmaß an patriotischer Würde. 2.5.2 Betonung der gemeinsamen Identität In den folgenden Textpassagen geht es nicht mehr um den Kontrast zwischen Wir-Gruppe und Sie-Gruppe. Es geht hier vielmehr um die Identität der Wir- <?page no="64"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 58 Gruppe, die aber nicht mehr über den Gegensatz zur Sie-Gruppe definiert wird. Dennoch spielt auch hier die Morphosyntax für das Bewusst-Machen der gemeinsamen Identität der Wir-Gruppe durch den Redner eine bedeutende Rolle. (II.106) Los españoles amamos la libertad como el pueblo que más pueda estimarla. (Franco 1945a, 11, 104-105) Die Tatsache, dass zwischen dem nominalen Erstaktanten los españoles und dem Verb amamos in der ersten Person Plural Kongruenz besteht, ist wohl ein sehr starkes Indiz dafür, dass Franco sich selbst und die gesamte Zuhörerschaft in eine umfassende, homogene Wir-Gruppe hineinprojiziert, deren Mitglieder allesamt gleichermaßen die Freiheit lieben und implizit vor allem das Gleiche darunter verstehen. Bei diesem Fall von Kongruenz spricht man von „concordancia ad sensum“, in der das formale Kriterium zugunsten des semantischen aufgegeben wird (vgl. Marcos Marín et al. 2 1999, 324). (II.107) È per noi, italiani della Repubblica, motivo di orgoglio avere a fianco come camerati fedeli e comprensivi i soldati, i marinai, gli aviatori del Tenno, che colle loro gesta s’impongono all’ammirazione del mondo. (Mussolini 1944, 137, 465-468) Per noi, italiani della Repubblica, [...] in (II.107) ist in Analogie zu den Textstellen (II.80) und (II.84) entweder als fakultativer, präpositionaler Drittaktant der Judikanz, d.h. des Standpunktes, oder aber auch als complément circonstanciel de relativité zu verstehen. Die Kommas signalisieren, dass es sich bei italiani della Repubblica eher um eine lockere Apposition als um eine partitive Apposition zu noi handelt. Diskursfunktional ist (II.107) ähnlich angelegt wie (II.106). Mussolini konstruiert eine homogene Wir-Gruppe aller Italiener der Republik, die gemeinsame Interessen haben und Ziele verfolgen. Eine eventuelle feindliche Sie-Gruppe innerhalb der italienischen Republik wird erst gar nicht in Betracht gezogen bzw. demonstrativ völlig ignoriert. Falls es sie doch gäbe, so zählten deren Anhänger nicht einmal zu den italiani della reppublica. (II.108) Quando noi come soldati della Repubblica riprenderemo contatto con gli italiani di oltre Appennino, avremo la grata sorpresa di trovare più fascismo di quanto ne abbiamo lasciato. (Mussolini 1944, 138, 506-508) In (II.108) wird die große Wir-Gruppe der italienischen Faschisten in Untergruppen gegliedert. Noi erhält durch die Spezifizierung mittels der italienischen Variante der Apposition mit als, nämlich come soldati della Repubblica, eine primäre militärische bzw. militante Identität, die sich jedoch dann als Bestandteil der faschistischen gesamtitalienischen herausstellen soll. (II.109) Ouvriers, techniciens, patrons, si nous sommes aujourd’hui confondus dans le malheur, c’est qu’hier vous avez été assez fous pour vous montrer le poing. (Pétain 1941a, 113, 102-104) Nous sommes steht in (II.109) nicht im Gegensatz zu ils sont, sondern eben zu vous avez été. Das heißt, die Wir-Gruppe steht nicht der Sie-Gruppe gegenüber, sondern die Wir-Gruppe sieht sich in der Gegenwart mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Im Anredenominativ werden die ouvriers, techniciens und patrons ange- <?page no="65"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 59 sprochen, im darauf folgenden sekundärrealisierten, die Angesprochenen wiederaufnehmenden Erstaktanten nous hat sich Pétain selbst stillschweigend inkludiert, womit er Wir-Gefühl signalisiert, zweifellos um solidarische Unterstützung zu erhalten. (II.110) [Na última crise já as grandes nações chamadas livres tinham restringido o trabalho estrangeiro, bloqueado créditos, dificultado transferências de dinheiro, proibido a circulaç-o de capitais, alterado por muitas formas as correntes comerciais e financeiras] e ainda nós, quase ilha perdida no mar das restrições, conservávamos abertas de par em par as portas da nossa casa e mantínhamos com escândalo do mundo a liberdade de importações, de câmbios, de circulaç-o de capitais. [Somos assim.] (Salazar 1943, 399, 431-441) In (II.110) stellt quase ilha perdida no mar das restrições wiederum eine lockere Apposition zu nós dar und verweist metaphorisch auf das große Glück der Referenten des Erstaktanten. Auch Salazars Konzept des wir bzw. der Wir-Gruppe ist das umfassendst mögliche, weil es a priori alle Portugiesen inkludiert, wodurch die aufgezählten Leistungen Portugals in der Vergangenheit zu Verdiensten aller Portugiesen, d.h. der umfassendst möglichen Wir-Gruppe, werden. Durch das Nicht-Ausgrenzen von im eigenen Volk sehr wohl vorhandenen feindlichen Sie- Gruppen wird diesen eine Chance gegeben, sich stillschweigend in die umfassende freundliche Wir-Gruppe zu integrieren. 2.5.3 Appell an das Identitätsbewusstsein Dieser Abschnitt demonstriert die persönliche Adressierung der Zuhörerschaft durch den Redner zum Zwecke der Stärkung des Identitätsbewusstseins derselben, welches letztlich die Identität der Wir-Gruppe entscheidend mitprägen sollte. In den folgenden Passagen sagt der Redner nicht wir bzw. uns, sondern ihr bzw. euch. Dadurch soll verhindert werden, dass unter den Zuhörern von vornherein auch nur der Eindruck entstehen könnte, dass die propagierte Wir-Identität von einer politischen Obrigkeit, meint vom Redner und dessen nächsten Vertrauten, autoritär konzipiert bzw. konstruiert worden wäre. Es soll unter den Zuhörern vielmehr der Eindruck entstehen, dass sie selbst eigenverantwortlich, selbständig und initiativ an der Schaffung der Wir-Identität beteiligt wären. (II.111) Vosotros, los productores españoles, veníais clamando en lo que va de siglo contra la indiferencia de la política en el campo de lo económico, contra la invasión de la mala política en las actividades todas y contra la falta de puesto y de un lugar para vosotros en los organismos institucionales para que las actividades nacionales pudiesen ayudar a engrandecer a la nación. (Franco 1942a, 226-227, 115-121) In (II.111) besteht die von Franco angesprochene Zuhörerschaft aus den productores españoles, weshalb die Anrede durch den tertiärrealisierten Erstaktanten mit darauf folgender lockerer Apposition im Grunde redundant ist. Diese morphosyntaktisch redundante, aus tertiär-, quartär- und primärrealisiertem Erstaktanten bestehende Anrede ist aber insofern diskursfunktional, als sie der Zuhörerschaft erstens die persönliche Adressierung bewusst macht und diese zweitens an <?page no="66"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 60 ihre für alle Spanier lebensnotwendige Funktion, eben als productores, erinnert, wodurch zunächst das Selbstbewusstsein und daraus resultierend das Identitätsbewusstsein der angesprochenen Subgruppe als Teil der großen Wir-Gruppe gestärkt wird. (II.112) Legionarî! Sul fronte russo voi combatterete insieme non solo con i camerati tedeschi, ma con i finlandesi, i magiari, i romeni, gli slovacchi e con volontarî d’altre nazioni. (Mussolini 1941b, 113-114, 18-21) Mussolini spricht in (II.112) zu einer Gruppe von Legionären, weshalb auch hier, analog zu (II.111), der quartärrealisierte Erstaktant bzw. Anredenominativ morphosyntaktisch eigentlich redundant ist. Jedoch auch in diesem Fall wird den Angesprochenen durch diese Anrede ihre als heldenhaft beurteilte Identität bewusst gemacht, über die sie sich innerhalb der Wir-Gruppe definieren sollen. Auch der im Anschluss daran verwendete, morphosyntaktisch ebenfalls redundante tertiärrealisierte Erstaktant voi dient offensichtlich der Unterstreichung der Ausgezeichnetheit der angesprochenen Subgruppe innerhalb der umfassenden Wir- Gruppe. (II.113) Je m’adresse aujourd’hui à vous, Français de la métropole et Français d’outremer, pour vous expliquer les motifs des deux armistices conclus, le premier, avec l’Allemagne, il y a trois jours, le second avec l’Italie. (Pétain 1940a, 63, 1-4) In (II.113) spricht Pétain zu den Français de la métropole et Français d’outre-mer, sodass wohl auch hier davon auszugehen ist, dass die persönliche Anrede mittels quartärrealisiertem Erstaktanten bzw. Anredenominativ im Diskurs sehr wohl eine Funktion zu erfüllen hat. In diesem Fall scheint es am ehesten um Respekt vor den Angesprochenen zu gehen. Pétain ist bemüht, den Angesprochenen seine Politik als im Dienste Frankreichs stehend zu verkaufen. Für ihn ist es aber entscheidend, sowohl die Français de la métropole als auch die Français d’outre-mer als starke und wichtige Komponenten für die erst zu schaffende, aber für ihn überlebensnotwendige Wir-Gruppe zu gewinnen. (II.114) Vous, vous avez attendu votre charte plus d’une année: mais la Charte n’est pas une création provisoire, et l’on ne devait pas l’improviser. (Petain 1943b, 308, 65-68) Auch (II.114) ist zumindest Ausdruck der Kenntnisnahme seitens Pétains einer für sich bestehenden Subgruppe, nämlich derjenigen, die auf die Charta wartete, die Pétain gerne zur Wir-Gruppe zählte. Der tertiärrealisierte vor dem sekundär- und primärrealisierten Erstaktanten hebt diese Subgruppe hervor und verleiht ihr Eigenständigkeit und Konturen. (II.115) Eis o que espera tranquilamente de vós, Legionários, a Revoluç-o Nacional. (Salazar 1939b, 163, 104-105) In dieser Textstelle folgt der quartärrealisierte Erstaktant bzw. Anredenominativ legionários auf den tertiärrealisierten präpositionalen Drittaktanten de vós. Diskursfunktional ist dieser aber analog zu Legionarî! in (II.112) zu verstehen. <?page no="67"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 61 2.5.4 Demonstration der Autorität des Redners In den Passagen (II.116) bis (II.121) ist es der Redner selbst, der auf seine Autorität rekurrierend, bzw. diese präsupponierend, das Wir-Gefühl einerseits zwischen den von ihm Angesprochenen und andererseits zwischen den auf ihn Hörenden und sich selbst als oberste Instanz der Wir-Gruppe entstehen lässt bzw. neue Aspekte davon definiert. Es handelt sich in den folgenden Passagen quasi um ein expliziertes argument d’autorité, das jedoch sehr häufig attackiert und als „pseudo-argument destiné à camoufler l’irrationnel de nos croyances, en les faisant soutenir par l’autorité de personnes éminentes, le consentement de tous ou du plus grand nombre“ (Perelman/ Olbrechts-Tyteca 5 1992, 412) enttarnt wurde. In unseren Textstellen ist es der Redner, der sich allerdings selbst, bedingt durch die Morphosyntax seiner Äußerungen, implizit zur Autorität hochstilisiert. Etwas ist eben so, weil er selbst, der Redner, es sagt. (II.116) Yo os aseguro que podéis sentiros orgullosos de vuestra ascendencia o de vuestra cuna. (Franco 1945a, 9, 14-15) (II.116) enthält keine wirklichen Argumente dafür, dass die Zuhörerschaft auf ihre Abstammung stolz sein könnte. Allein die Tatsache aber, dass sie Franco, betont durch den tertiärrealisierten Erstaktanten yo, dazu berechtigt, schafft eben ein Wir-Gefühl des Stolzes, das die Angesprochenen mit dem Redner verbindet, woraus gemeinsames Engagement hervorgehen sollte bzw. das der Zuhörerschaft ausreichen sollte, die Worte ihrer auctoritas prinzipiell anzuerkennen. (II.117) È con emozione profonda che, a venti anni di distanza dalla fondazione dei Fasci Italiani di Combattimento, io vi dirigo la parola, mentre, guardandovi fermamente negli occhi, io rivedo tante giornate che abbiamo vissuto insieme, liete, tristi, tempestose, drammatiche, ma sempre indimenticabili. (Mussolini 1939, 249, 2-6) Auch in (II.117) ist der tertiärrealisierte Erstaktant io in io vi dirigo [...] und io rivedo [...] redundant. Vi dirigo [...] und rivedo [...] sind propositional gesehen identisch mit io vi dirigo [...] und io rivedo [...]. Aus der Perspektive der Kommunikation ist der tertiärrealisierte Erstaktant io aber offensichtlich relevant, ansonsten stünde er nicht da. Es geht wieder darum, dass Mussolini durch diese Aktantenspezifizierung seine über der Zuhörerschaft stehende Position zum Ausdruck bringt, wenngleich er sie vordergründig nur dafür benutzt, einerseits einen möglichst persönlichen Kontakt zwischen ihr und ihm selbst herzustellen und andererseits Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes aus seiner subjektiven Perspektive hochkommen zu lassen, was durchaus wiederum der Stärkung des Wir-Gefühls dienlich sein soll. (II.118) In una memorabile adunata, quella di Berlino, io dissi che, secondo le leggi della morale fascista, quando si ha un amico si marcia con lui sino in fondo. (Mussolini 1940a, 404, 48-50) Der Passage (II.117) durchaus ähnlich ist die Textstelle (II.118), in der Mussolini bekundet, dass er, als die Autorität des Faschismus, sprachlich wiederum hervor- <?page no="68"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 62 gehoben durch den tertiärrealisierten Erstaktanten io, einst die obengenannte Maxime formulierte, die von der Zuhörerschaft als eben solche bedingungslos internalisiert werden sollte. Die freundliche Wir-Gruppe besteht naturgemäß aus Freunden, die sich folglich gegenseitig und damit auch gegenüber Mussolini zu Treue verpflichtet sind. (II.119) Ce n’est pas moi qui vous bernerai par des paroles trompeuses. [Je hais les mensonges qui vous ont fait tant de mal.] (Pétain 1940a, 66, 88-89) Die formule présentative in (II.119) impliziert gewissermaßen, dass es sehr wohl jemanden gibt, der die Zuhörer einst täuschte, womit hier sehr wohl eine implizite Opposition angedeutet wird. Die mise en relief bezieht sich aber auf Pétain, der ja alternativ zu (II.119) unmarkiert auch Je ne vous bernerai pas par des paroles trompeuses sagen könnte. Der Redner hebt sich aber hervor, um seine Ehrlichkeit und Solidarität als Grundlage für ein Wir-Gefühl zwischen den Zuhörern und ihm selbst zu propagieren. (II.120) C’est moi seul que l’histoire jugera. (Pétain 1940b, 96, 51-52) Auch (II.120) enthält eine mise en relief, die darauf angelegt ist hervorzuheben, dass er, Pétain, zum einen allein die Verantwortung für seine politischen Entscheidungen trägt, die zum anderen aber auch andeutet, dass er von der Geschichte positiv beurteilt werden wird, ansonsten würde er wohl auf diese Äußerung verzichten. Aus pragmatischer Perspektive impliziert die Äußerung, dass die Zuhörerschaft ihm, demjenigen, der einst von der Geschichte beurteilt werden wird, wohl schon aufgrund dieser Position vertrauen kann, was durchaus wiederum das Wir-Gefühl zwischen Zuhörern und Redner stärken soll. Unmarkiert, nicht hervorgehoben und wohl auch wesentlich weniger wirksam wäre wohl die zu (II.120) alternative Äußerung L’histoire me jugera. (II.121) Eu confesso humildemente que a esperança só se me converteu em certeza ao contemplar um esforço de guerra que, embora dentro das extraordinárias possibilidades do povo britânico, se duvidará de alguma vez ter sido atingido na história da humanidade. (Salazar 1945a, 97, 95-100) Salazar verwendet in (II.121) den tertiärrealisierten Erstaktanten sogar, um zu betonen, dass er in seiner Position ein Geständnis ablegt. Salazar betont, dass selbst er etwas gestehen müsse, nämlich dass eine Hoffnung zur Gewissheit geworden sei, wodurch er aber für die Zuhörerschaft trotz syntaktischer Hervorhebung wiederum bescheiden und menschlich wird, was durchaus der Stärkung des Wir-Gefühls dienlich sein mag. 2.5.5 Intensivierte Argumentpräsenz durch mehrgliedrige Aktanten Die Mehrgliedrigkeit der Aktanten hat den Effekt der verstärkten Argumentpräsenz, da die einzelnen Bestandteile eines - falls archilexemisch überhaupt vorhanden - eher generischen Referenten detailliert expliziert werden. Bestandteile, Facetten und Nuancen werden nicht unter einem Terminus subsumiert, sondern in ihrer Vielfalt als Aktantenglieder präsentiert. <?page no="69"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 63 (II.122) Ni nuestras tradiciones, ni nuestro carácter individualista e independiente, ni el sentido católico de la vida que en España predomina son compatibles con las fórmulas que sacrifican al hombre y la iniciativa privada a la absorción de un Estado monstruoso y omnipotente. (Franco 1945a, 10, 37-41) (II.122) enthält sowohl einen mehrgliedrigen Erstaktanten als auch einen mehrgliedrigen Zweitaktanten, deren einzelne Bestandteile jeweils durch anreihende Konjunktionen, im ersten Fall durch eine mehrgliedrige, im zweiten Fall durch eine eingliedrige, miteinander verbunden sind. Ferner ist der zweite Bestandteil des Erstaktanten durch zwei attributive qualifizierende Adjektiva näher bestimmt, der dritte durch eine attributive Präpositionalgruppe mit anschließendem sich auf den gesamten dritten Teil beziehenden Relativsatz. Der zweigliedrige Zweitaktant besteht aus den zwei Quartärrealisierungen al hombre und la iniciativa privada. Ein generischer Terminus wie etwa ideología könnte u.U. den dreigliedrigen Erstaktanten ersetzen. Hinsichtlich des zweigliedrigen Zweitaktanten müsste, bevor man einen generischen Terminus hierfür suchen wollte, geklärt werden, was Franco mit sacrificar al hombre in diesem Zusammenhang wirklich zu verstehen geben will. Unbestritten scheint jedoch, dass die Mehrgliedrigkeit der Aktanten diesen im Satzverband und im Diskurs ein erheblich größeres Gewicht im Sinne von mehr diskursiver Präsenz verleiht als eingliedrige Aktanten. (II.123) Porque la masonería en España no presentaba lucha franca, que incluso el mismo marxismo ha presentado muchas veces era la lucha sorda, la maquinación satánica, el trabajar en la sombra, los centros y los clubs desde los cuales se dictaban consignas, los hombres más perversos de España, asociados y vendidos para ejecutar el mal al servicio de la anti España. [Por eso desde el primer día de nuestra Cruzada tomamos por norte el destruir en España la planta parásita de la masonería.] (Franco 1945e, 335, 82-89) In diesem Fall ist es das mehrgliedrige Prädikatsnomen, 67 das nach Tesnière „une qualité du prime actant“ (Tesnière 2 1965, 160) zum Ausdruck bringt, das das größte Gewicht, meint größte Präsenz durch größte Extension, im Satz erhält. Ferner werden die hier sehr zahlreichen Aktantenglieder durch attributive, qualifizierende Adjektive wie sorda oder satánica, durch einen kommunikativ absolut notwendigen Lokalzirkumstanten, nämlich en la sombra, durch den Relativsatz, desde los cuales [...], bzw. durch die Partizipialkonstruktionen, asociados y vendidos [...], näher spezifiziert, wodurch das Gewicht des Prädikatsnomens noch weiter zunimmt. Die auf diese Weise vorgebrachten Gründe für die Anklage gegen die Freimaurer wirken jedenfalls in diesem Ausmaß und durch den nachgezeichneten politolinguistischen Trick der aktantiellen Mehrgliedrigkeit im Diskurs erdrückend. (II.124) La nostra volontà, il nostro coraggio, la nostra fede ridaranno all’Italia il suo volto, il suo avvenire, la sua possibilità di vita e il suo posto nel mondo. (Mussolini 1943, 5, 168-170) 67 Prädikatsnomen bei Busse/ Dubost ( 2 1983, VIII) n, bei Blumenthal/ Rovere (1998, VII) N pred , bei Busse (1994, V) Pn und bei Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) E7 für complemento nominal. <?page no="70"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 64 Dieser Satz enthält einen dreigliedrigen Erstaktanten und einen viergliedrigen Zweitaktanten. Der abstrakte, als Source fungierende Erstaktant gibt durch seine Komplexität im Detail darüber Aufschluss, wo Mussolini die moralischen Stärken der Faschisten ortet, während der noch komplexere Zweitaktant deutlich machen soll, dass der Fortbestand, die Lebensfähigkeit sowie das internationale Ansehen Italiens allein von den Faschisten und deren Ideologie abhänge. In beiden Fällen erhalten die Aktanten durch die jeweilige Mehrgliedrigkeit überproportionales Gewicht. (II.125) Sarà tempo di dire agli italiani, ai camerati tedeschi e ai camerati giapponesi che l’apporto dato dall’Italia repubblicana alla causa comune dal settembre del 1943 in poi [...] è di gran lunga superiore a quanto comunemente si crede. (Mussolini 1944, 128, 80-84) In (II.125) ist es der Drittaktant, der dreigliedrig realisiert wird, wodurch zum Ausdruck kommt, dass es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene eine Wir-Gruppe gibt. Die faschistische Ideologie finde demgemäß durchaus in weiten Kreisen Anklang. (II.126) Récriminer contre les petites erreurs inévitables, contre les difficultés inhérentes à la situation, ne servirait qu’à rendre la tâche de chacun plus pénible. Il est mieux de s’adapter aux circonstances présentes, de travailler d’arrache-pied, de produire au maximum, de ne rien gaspiller, d’utiliser tout ce qui peut encore servir, et surtout d’observer la réglementation que la situation tragique du ravitaillement a imposée. (Pétain 1941c, 125, 72-78) Der Erstaktant des ersten Satzes ist in (II.126) durch eine satzwertige Infinitivkonstruktion mit doppelt realisiertem präpositionalem Drittaktanten quintärrealisiert. Im zweiten Satz ist il, wiederum in der klassischen Terminologie, das sujet apparent, während das sujet réel durch sechs satzwertige Infinitivkonstruktionen realisiert ist. Durch derartig komplexe, gewichtige Aktanten, die in ihrer inneren, sprich semantisch-pragmatischen, Struktur durchaus den Charakter eines Verhaltenskodex aufweisen, scheint Pétain in der Tat Vorschriften für das Verhalten zu erteilen, was an seine Äußerung vom 30. Oktober 1940 erinnert, durch die er Folgendes klar machte: „Je vous ai tenu jusqu’ici le langage d’un pére. Je vous tiens aujourd’hui le langage du chef“ (Pétain 1940b, 96, 53-54). (II.127) Nenhuma dor, nenhuma angústia, nenhum mal de quantos a pobre humanidade em séculos de desvario ou de expiaç-o inventou e sofreu lhe foram poupados, a esta mártir, m-e de civilizações: nem conflitos trágicos de conceitos fundamentais da vida dos homens e das sociedades, nem divisões intestinas e lutas fratricidas, nem as maiores aberrações da inteligência e do sentimento, nem destruições ciclópicas de vidas e haveres, de economias e culturas, de cidades e de nações. (Salazar 1945a, 93-94, 12-22) Die Initialposition des passiven Satzes (II.127) besetzt der dreigliedrige Erstaktant nenhuma dor, nenhuma angústia, nenhum mal [...]. Lhe verweist in der Folge kataphorisch auf den auf Portugal verweisenden Drittaktanten a esta mártir mit der lockeren Apposition m-e de civilizações, und darauf folgt schließlich in Form einer Aufzählung eine Vierfachspezifizierung samt jeweils ausgedehnter, attributiver <?page no="71"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 65 Ergänzungen des bereits eingangs dreigliedrig realisierten Erstaktanten. Die auf diese Weise, d.h. mittels eines derart komplexen Erstaktanten, nachgezeichneten Leiden Portugals scheinen schon rein mengenmäßig nicht mehr überbietbar und sollten im Diskurs auf diese Weise ihre Wirkung nicht verfehlen. 2.5.6 Aufrechterhaltung der Argumentpräsenz durch wiederkehrende identische Aktantenspezifizierungen Ein Redner hat immer verschiedene Möglichkeiten, eine Proposition auszudrücken. In Bezug auf die Intensität der Argumentpräsenz bedeutet dies, dass er ein Argument in einem Satz bzw. in einer Äußerung einmal oder aber auch mehrmals aktantiell spezifizieren kann. Gehen wir von einer unmarkierten Einfachspezifizierung eines Arguments aus, dann bedeutet dies in den meisten Fällen, dass eine markierte Mehrfachspezifizierung - im vorliegenden Fall sogar durch denselben Aktantenrealisierungstyp - sehr wohl aus diskursfunktionalen Gründen erfolgt. (II.128) [El que duda de un superior ya empieza a faltar a la disciplina.] La razón del jefe no han de dársela ni quitársela la aprobación de sus inferiores, sino la de sus superiores. (Franco 1942b, 245, 126-129) Grammatikalisch korrekt müsste es heißen A la razón del jefe [...], da dies der fokussierte Drittaktant des Satzes ist, auf den anschließend zweimal durch die entsprechende Sekundärrealisierung, die in Kombination mit dem Klitikon für den Zweitaktanten aus le zu se geworden ist, anaphorisch verwiesen wird. Die zweifache kataphorische Referenz auf la aprobación durch das entsprechende Klitikon la in dársela und quitársela findet noch eine weitere Spezifizierung, und zwar durch den homonymen Artikel la in la de sus superiores, der die formal ausgelassene aprobación determiniert. Zweit- und Drittaktant werden in diesem einen Satz also jeweils einmal quartär- und zweimal sekundärrealisiert, der Zweitaktant, wie oben dargestellt, zusätzlich noch ein viertes Mal, nämlich elliptisch. Der Verweis auf den Drittaktanten erfolgt anaphorisch, jener auf den Zweitaktanten kataphorisch. Unbestritten scheint, dass in diesem Satz eine sehr starke Präsenz der Argumente dieser beiden Aktanten aufgrund ihrer Vielfachspezifizierung gegeben ist. (II.129) Può darsi che ci sia in giro qualcuno che ha dimenticato gli anni durissimi della vigilia, ma gli uomini delle squadre non li hanno dimenticati, non li possono dimenticare. (Mussolini 1939, 250, 17-20) Che ci sia in giro qualcuno che [...] ist in (II.129) phrastischer Erstaktant mit Relativsatz von può darsi. Gli anni durissimi della vigilia ist der Zweitaktant des vom quintärrealisierten Erstaktanten abhängigen Relativsatzes. Dieser Zweitaktant des Relativsatzes besetzt die rhematischste Position des ganzen Satzgefüges, wodurch er den höchsten Grad an kommunikativer Dynamik 68 erhält. Dieses komplexe Satzgefüge enthält nun weiter zwei einfache Sätze, von denen jeder genauso gut für 68 Vgl. 3.5.7. <?page no="72"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 66 sich allein stehen könnte, oder die gemeinsam eine Satzreihe bilden könnten. 69 In beiden wird der im Relativsatz des Kernsatzgefüges quartärrealisierte Zweitaktant, also jenes Satzglied mit dem höchsten Grad an kommunikativer Dynamik, durch das Klitikon li wiederum in der Funktion des Zweitaktanten, sekundärrealisiert. Durch diese zweifache anaphorische Referenz ist die nachhaltige Präsenz des genannten Arguments gewährleistet. (II.130) Un chef d’industrie, un patron, pour mériter le commandement dont il est investi, doit se considérer comme ayant charge d’existences et même, en un certain sens, charge d’âmes. Il doit avoir le souci majeur de la dignité, du bien-être, de la santé, du moral de ses collaborateurs et de leurs familles. Il doit même faire un pas de plus et, respectant la liberté de ses ouvriers, ne pas vouloir à toute force leur bien tel qu’il le conçoit lui, mais tel qu’ils le conçoivent eux. (Pétain 1941d, 128, 32- 39) In (II.130) geht es um die Pflichten der Eigentümer und Verantwortlichen in der Industrie, die sie, laut Pétain, den Dienstnehmern gegenüber wahrzunehmen hätten. Der zweigliedrige, aber konjunktionslose quartärrealisierte Erstaktant des ersten Satzes, der trotz indefiniten Artikels Thema des Satzes zu sein scheint - zumal anstatt des indefiniten genauso gut der definite Artikel verwendet werden könnte, wodurch nur die zweifellos intendierte Generizität deutlicher zum Ausdruck käme - , wird, sekundärrealisiert durch das Klitikon il, innerhalb von drei Sätzen viermal anaphorisch wiederaufgenommen. Die anhaltende Präsenz des Themas dieses Absatzes scheint somit auch hier gesichert. (II.131) Quis o povo ser independente, livre no seu próprio território, e quiseram os reis que ele o fosse, conquistando-lhe e mantendo-lhe a independência. (Salazar 1940, 256-257, 41-43) Der komplexe Satz (II.131) besteht aus einem einfachen Satz mit attribuiertem Adjektiv im Nachfeld, das seinerseits wiederum durch eine attributive Präpositionalergänzung im Nachfeld spezifiziert ist, und einem Satzgefüge mit phrastischem Modalzirkumstanten, der als gerundivische Konstruktion realisiert ist. Der Erstaktant des einfachen Satzes ist o povo, der im Modalzirkumstanten des Satzgefüges in der Funktion des Drittaktanten zweifach sekundärrealisiert wiederaufgenommen wird, und zwar durch das Klitikon lhe in conquistando-lhe und mantendo-lhe. Auf diese Weise ist die Aktualität des durch o povo realisierten Arguments in höchstem Ausmaß bis zum Ende des komplexen Satzes sichergestellt. 2.5.7 Spannung durch markierte Serialisierung und Realisierungsvarianten der Aktanten Der Redner entscheidet sich in den meisten Fällen entweder für die unmarkierte oder für die markierte Serialisierung seiner Äußerung. Unmarkiert bedeutet aller- 69 Da es sich um die Aufzeichnung einer mündlichen Rede handelt, wäre es auch gut möglich, dass der komplexe Satz (II.129) ursprünglich als zwei Sätze, nämlich als ein Satzgefüge mit anschließender Satzreihe, konzipiert war. <?page no="73"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 67 dings längst nicht immer, dass der Erstaktant vor dem Verb steht und der Zweitbzw. Drittaktant dahinter, was der klassischen S-V-O Ordnung entspräche. Auch die unmarkierte Serialisierung ist durch die Einzelsprache selbst, durch das konkrete Verb und durch den Kontext bedingt. Wandruszka (1982) demonstriert ausführlich am Italienischen, dass bei bestimmten Verben der Erstaktant im unmarkierten Fall postverbal gesetzt wird. 70 Ágel (1993a; 2000) macht ferner darauf aufmerksam, dass gerade in Pro-Drop-Sprachen, und somit auch im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen, der Erstaktant unmarkiert ausschließlich verbmorphologisch, also ausschließlich primärrealisiert wird, wenn der Referent im Kontext eindeutig identifizierbar ist. Bezüglich der Aktantenrealisierung wurde schon in den vorangehenden Abschnitten mehrfach demonstriert, dass der Redner, wiederum kontextbedingt, oft die Wahl zwischen verschiedenen Varianten hat. Es ist nun das Zusammenspiel zwischen aktantiellen Realisierungsvarianten und Serialisierung, das in hohem Maße dafür verantwortlich ist, dass das Interesse und die Neugierde seitens der Zuhörer aufrechterhalten wird. (II.132) Estos sacrificios gloriosos y aquellas alegrías con que las provincias españolas recibían la noticia anhelada es lo que no pueden o no quieren comprender fuera. (Franco 1945c, 617, 15-17) Der Satz (II.132) beginnt mit einem zweigliedrigen Nominalsyntagma mit darauf folgendem unterscheidendem Relativsatz. Unmittelbar nachdem der Redner dieses Nominalsyntagma geäußert hat, können die Zuhörer allerdings noch nicht wissen, welche aktantielle Funktion es im Satz übernehmen wird. Da es um die sacrificios und alegrías der Spanier geht, ist anzunehmen, dass die Erwartungshaltung hoch ist. Auf die Kopula folgt ein prädikativer Relativsatz, eingeleitet durch das Relativpronomen que mit dem definiten Artikel Neutrum lo, „[que] se comporta como un pronombre, siendo núcleo de un sintagma nominal“ (Marcos Marín et al. 2 1999, 136) als Antezedenz. Das Nominalsyntagma in Initialposition des Satzes ist also Erstaktant. Der den prädikativen Relativsatz einleitende Artikel lo bezieht sich auf den zweigliedrigen Erstaktanten und hat daher in diesem Fall „un valor colectivo“ (Marcos Marín et al. 2 1999, 138), wodurch die Referenz eine eher umfassende ist. Zusammen mit den demonstrativen Adjektiven estos und aquellas, die ihrerseits schon keine klare Referenz im vorangehenden Textabschnitt haben, bleibt im Grunde offen, was nun wirklich im Ausland nicht verstanden wird. (II.133) Y no puede ser para vosotros nuevo esto que yo os digo, pues si investigáis en la historia de nuestros mejores caídos, hallaréis sus vidas plenas de virtudes. [Hasta ahora, deslumbrados por los hechos de nuestra gloriosa Cruzada y por la epopeya de nuestros voluntarios de Rusia, han sido los ejemplos heroicos los que más fácilmente han embargado vuestro corazón y cautivado vuestro espíritu, aunque ya no sean para nosotros los más importantes, porque, innatas en nuestra 70 Vgl. 3.5.7. <?page no="74"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 68 raza las virtudes heroicas, surgen siempre al conjuro de los peligros.] (Franco 1942b, 244, 104-106) In (II.133) ist der Erstaktant zunächst verbmorphologisch primärrealisiert, semantisch daher aber noch nicht erahnbar, geschweige denn erfassbar, wodurch in der Zuhörerschaft die Aufmerksamkeit auf das erst zu Äußernde gelenkt wird. Dadurch entsteht Spannung. Der Erstaktant in satzfinaler Position wird schließlich durch einen Relativsatz mit Demonstrativpronomen als Antezedenz realisiert, der kataphorisch auf das ihm Folgende verweist. (II.134) Io dico, e voi lo sentite, che è un privilegio combattere con loro [con le forze americane]. (Mussolini 1941c, 141, 24) Mussolini beginnt die Äußerung (II.133) mit dem durch das tonische Pronomen realisierten Erstaktanten io, wodurch er gleich am Anfang die Autorität des Sprechers signalisiert. Dem konjugierten dreiwertigen Verb dico fehlt der Drittaktant, wodurch unmittelbar der Eindruck entsteht, dass es sich um etwas Allgemeingültiges handelt, das nicht an einen geschlossenen Adressatenkreis gerichtet ist. In voi lo sentite werden nun die Empfänger betont angesprochen, was deren Betroffenheit und Aufmerksamkeit weiter steigert, und das Klitikon lo als linksdislozierter Zweitaktant von sentite verweist schließlich kataphorisch auf die Quintärrealisierung des somit bereits vorher sekundärrealisierten Zweitaktanten in satzfinaler Position. Die Spannung wird somit erst ganz am Satzende gelöst. (II.135) Che cosa significhi la « liberazione » nel Belgio, in Italia, in Grecia, lo dicono le cronache odierne. [Miseria, disperazione, guerra civile.] (Mussolini 1944, 135-136, 413-414) (II.135) beginnt mit dem quintärrealisierten Zweitaktanten von dicono. Die Linksdislozierung dieses quintärrealisierten Zweitaktanten verlangt dessen Wiederaufnahme durch das ebenfalls linksdislozierte, diesen sekundärrealisierende Klitikon lo. In rhematischster Position mit dem höchsten Grad an kommunikativer Dynamik steht schließlich der Erstaktant le cronache odierne. Die Zuhörer müssen also wiederum bis zum Ende des Satzes warten, bis sie erfahren, wer die angesprochene Autorität nun wirklich ist. (II.136) Je vous le dis avec toute la conviction dont je suis pénétré: si la paix qu’attendent ces mauvais Français consiste à revenir aux mœurs politiques, économiques et sociales d’avant-guerre, la France ne se relèvera pas. (Pétain 1943a, 300, 35-38) Spannung und Emphase erzeugt in (II.136) die linksdislozierte und damit kataphorisch fungierende Sekundärrealisierung des Zweitaktanten, der schließlich das zweite Mal durch ein separates Satzgefüge, bestehend aus einfachem Satz und davon abhängigem konditionalem Gliedsatz, spezifiziert wird. (II.137) [Seule l’autorité permettra, quand la France sera délivrée des contraintes de la guerre, d’abattre les privilèges et de réaliser le programme social que j’ai formulé à Saint-Étienne et à Commentry.] Une phrase le résume: supprimer la condition prolétarienne. Tel est le but de la charte du travail. (Pétain 1943a, 300, 46-50) <?page no="75"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 69 Auch in (II.137) nimmt der sekundärrealisierte Zweitaktant le zumindest materiell den in satzfinaler Position durch Infinitivkonstruktion realisierten Zweitaktanten vorweg. Hier entsteht ebenfalls Spannung durch Kataphorik. (II.138) Disto e só disto me arreceio - que a Europa que nenhum problema pode resolver pela guerra dentro de si n-o saiba organizar em si mesma a paz e, de um modo ou de outro, procurando progredir e viver, lance ela própria, como semente sobre a terra, princípios de ruína e de morte. (Salazar1939a, 144-145, 195-200) (II.138) beginnt mit der zweifachen Tertiärrealisierung des kataphorisch fungierenden präpositionalen Drittaktanten disto, kontraktiert aus de isto. Das allein löst schon Hochspannung aus, denn die Zuhörer wollen wissen, wovor die politische Leitfigur Salazar so große Angst hat. Das zweite Mal erfolgt die Aktantifizierung des Arguments jedoch nicht durch die invariable Präposition de plus Quartärrealisierung, sondern durch eine komplexe phrastische Quintärrealisierung, die darauf angelegt ist, die Spannung schließlich zu lösen. (II.139) Para honrar compromissos muitas vezes entrámos em guerra e batalhámos por esses campos da Europa, sem que nunca recebêssemos acrescentamentos territoriais, buscássemos paz interna, auferíssemos lucros ou benefícios de qualquer ordem, e de outro conflito n-o os queremos nem esperamos. (Salazar 1939a, 145, 210-216) (II.139) ist im Portugiesischen nicht nur ein ungewöhnlicher, sondern sogar ein grammatikalisch inkorrekter Satz, der an die französische Konstruktion d’autres conflits, nous n’en voulons pas erinnert und somit ein Gallizismus sein mag. Der quartärrealisierte linksdislozierte Zweitaktant muss sekundärrealisiert, sprich durch das entsprechende Klitikon, präverbal wiederaufgenommen werden (vgl. Gärtner 1998, 590 ff.). Das Portugiesische verfügt nun über kein zu französisch en analoges Personalpronomen, weshalb die anderen Personalpronomina, die die direkte Ergänzung substituieren, also a, as, o, os, hier Verwendung finden. Der linksdislozierte quartärrealisierte Zweitaktant ist durch das Indefinitpronomen Singular outro determiniert, dem die Präposition de - offensichtlich in partitiver Funktion - vorangeht. Für die sekundärrealisierte Wiederaufnahme des linksdislozierten quartärrealisierten Zweitaktanten im Singular verwendet Salazar allerdings das entsprechende Personalpronomen im Plural. Spannung entsteht dadurch, dass bereits die Präposition de vor dem nominalen Aktanten erkennen lässt, dass outro conflito keinesfalls Erstaktant ist. Es sind jedoch erst die Verben esperamos bzw. queremos in satzfinaler Position als rhematischste Satzglieder mit dem höchsten Grad an kommunikativer Dynamik, die diese Spannung lösen können. (II.140) E quando dentro de pouco [...] subir no alto do castelo a bandeira sob a qual se fundou a nacionalidade, veremos, como penhor que confirma a nossa fé, a cruz a abraçar, como no primeiro dia, a terra portuguesa. (Salazar 1940, 259, 117-122) In (II.140) wird erneut der quartärrealisierte Zweitaktant a terra portuguesa als rhematischstes Element durch die entsprechende Sekundärrealisierung a in der AcI Konstruktion veremos [...] a cruz a abraçar kataphorisch vorweggenommen, <?page no="76"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 70 wodurch - analog zu (II.134), (II.136) und (II.137) - die Zuhörer darauf neugierig gemacht werden, zu erfahren, was der sekundärrealisierte Zweitaktant letztlich substituiert. Dies ist allerdings erst ganz am Satzende in Erfahrung zu bringen, sodass der Anstieg der Spannungskurve bis zum Schluss gewährleistet ist. 2.5.8 Quintärrealisierte Allusion statt Bezeichnung Aktanten können darauf angelegt sein zu beschreiben, anstatt zu bezeichnen. Es handelt sich dabei um quintärrealisierte Aktanten, die es dem Redner erlauben anzudeuten, statt zu benennen, wodurch der referenzielle Skopus zwar vager, dafür aber unvergleichlich größer wird. (II.141) [Es preciso liquidar los odios y pasiones de nuestra pasada guerra, pero no al estilo liberal, con sus monstruosas y suicidas amnistías, que encierran más de estafa que de perdón, sino por la redención de la pena por el trabajo, con el arrepentimiento y con la penitencia; ] quien otra cosa piense, o peca de inconsciencia o de traición. (Franco 1939, 19-20, 438-444) Der Relativsatz quien otra cosa piense als quintärrealisierter Erstaktant mit dem Verb im Konjunktiv eröffnet die breiteste aller möglichen Paletten von potentiellen politischen Gegnern, die sich in Francos Augen - und Worten - unbewusst durch Ignoranz, oder aber auch bewusst durch Verrat in toto zu politischen Feinden machen und dadurch zugleich zu Sündern werden. Es wird in (II.141) kein bestimmter Dissidententyp bezeichnet, sondern politisches Fehlverhalten global beschrieben. (II.142) Tutto ciò che gli angloamericani promisero, si è appalesato un miserabile espediente propagandistico. (Mussolini 1944, 133, 318-320) (II.142) beginnt ebenfalls mit einem quintärrealisierten Erstaktanten, der in diesem konkreten Fall durch ein durch das indefinite Adjektiv tutto determiniertes Demonstrativpronomen mit dazugehörigem Relativsatz spezifiziert wird. Analog zu (II.141) wird nichts Konkretes bezeichnet, sondern es wird beschrieben. Es werden keine konkreten amerikanischen Versprechen benannt, wodurch es schier unmöglich wird, eine eventuell konkretere Referenz im Text oder im Kontext zu eruieren. De facto präsupponiert (II.142) konkrete amerikanische Versprechen, im gegebenen Kontext ist es allerdings nicht möglich, etwaige amerikanische Versprechen zu lokalisieren. Was Mussolini allerdings gelingt ist, die Worte der amerikanischen Politiker als hohle Propaganda erscheinen zu lassen. (II.143) L’histoire dira plus tard ce qui vous fut épargné. (Pétain 1943a, 299, 10) In (II.143) ist es der Zweitaktant, der als Relativsatz quintärrealisiert wird. Pétain lässt durch diesen phrastischen Aktanten anklingen, dass den Franzosen - dank seiner Politik - vieles erspart geblieben sei, wiederum jedoch, ohne dies konkret zu benennen, offensichtlich auch, ohne dies konkret zu wissen, zumal er es schlicht und einfach nicht wissen kann. Nichtsdestotrotz entsteht aufgrund dieser vagen Aussage der Eindruck, dass die Franzosen seinetwegen vor dem <?page no="77"?> 2.5 Die Aktantenrealisierungsvarianten aus diskursfunktionaler Perspektive 71 Schlimmsten bewahrt worden wären, weshalb sie ihm Dank und Solidarität schuldeten, was sicherlich in sein politisches Kalkül passte. (II.144) Quem quer que haja reflectido na política tradicional inglesa e no sentido essencialmente defensivo da sua actuaç-o internacional terá podido compreender quanto a Inglaterra deve apreciar a criaç-o desta verdadeira zona de paz na península, dado que um dos Estados é seu velho aliado e o outro foi sempre seu amigo. (Salazar 1939a, 149-150, 330-336) (II.144) stellt den analogen Fall zu (II.141) dar, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Auch hier ist der Erstaktant durch einen Relativsatz mit konjunktivischem Verb quintärrealisiert. Salazar schafft dadurch ein sehr breites Fangbecken für alle, die sich jemals irgendwelche Gedanken zur Politik Großbritanniens gemacht haben. All jenen attestiert er a priori ausreichend politische Einsicht, die internationale Politik aus seiner Warte nachvollziehen zu können. Darf es nach Franco niemand wagen, anders zu denken, so muss es nach Salazar jedem informierten und einsichtigen Bürger möglich sein, seinen - d.h. Salazars - Anschauungen Folge zu leisten. 2.5.9 Transphrastik durch unterschiedliche Realisierungsvarianten eines Arguments Abschließend geht es noch einmal darum, dezidiert auf einen der zentralsten Bereiche der Textlinguistik, nämlich auf die Transphrastik mittels unterschiedlicher Aktantenspezifizierungsvarianten aufmerksam zu machen. Es ist deutlich geworden, dass Argumente zum einen syntaktisch und semantisch bedingt auf unterschiedlichen Ebenen realisiert, oder anders gesagt, durch verschiedene Realisierungsvarianten spezifiziert werden können und dass zum anderen ein und dasselbe Semem bzw. Lexem in verschiedenen Propositionen bzw. Sätzen unterschiedliche Argumentbzw. Aktantenfunktionen übernehmen kann. Sowohl das eine als auch das andere leisten unbestritten einen wesentlichen Beitrag zur Textualität. (II.145) [Para lograrla (la grandeza de España) no sólo se requiere la unión necesaria, la unión absoluta de los Cuerpos armados, sino que] es también preciso un pueblo, y éste lo forman estos chicos, esas Juventudes constituídas por nuestros propios hijos, que serán las que de manera definitiva la labren. (Franco 1940, 160, 27-32) Un pueblo ist zunächst Erstaktant in Es preciso un pueblo. Anschließend wird un pueblo zweimal wiederaufgenommen. Das erste Mal als linksdislozierter tertiärrealisierter Zweitaktant von [estos chicos] forman [...] und aufgrund dieser markierten Konstruktion obligatorischerweise auch das zweite Mal, und zwar sekundärrealisiert in derselben aktantiellen Funktion. Das erste Mal also durch éste, das zweite Mal durch lo. Dadurch ist die Kohärenz garantiert. (II.146) È supremamente ridicolo speculare su un eventuale cedimento morale del popolo italiano. Questo non accadrà mai. (Mussolini 1941a, 56, 235-236) <?page no="78"?> 2. Varianten und Funktionen aktantieller Spezifizierungen im Diskurs 72 In (II.146) ist es der quartärrealisierte präpositionale Drittaktant su un eventuale cedimento morale del popolo italiano, der im darauf folgenden Satz wiederaufgenommen wird. Es ist das Demonstrativpronomen questo in der Funktion des Erstaktanten, das aufgrund der geänderten Funktion somit nun allerdings ein präpositionsloses un eventuale cedimento morale del popolo italiano substituiert. (II.147) Nous avons à restaurer la France. Montrez-la au monde qui l’observe, à l’adversaire qui l’occupe, dans tout son calme, tout son labeur et toute sa dignité. (Pétain 1940a, 66, 98-100) In dieser Textstelle weisen beide Sätze den gleichen Zweitaktanten auf. Im ersten Satz ist es das quartärrealisierte la France, im zweiten das sekundärrealisierte klitische la, das das Argument / la France/ wiederholt bzw. den Zweitaktanten von restaurer in einer anderen Variante nun in der Funktion des Zweitaktanten von montrer realisiert. (II.148) Quando muito, defendemos o nosso direito e mostrámos que a vida fácil nunca foi nosso quinh-o: isso nos dá direito a falar de paz sem se poder dizer que o fazemos por covardia ou comodidade. É por convicç-o; é por dever. (Salazar 1939a, 145, 220-224) Der tertiärrealisierte Erstaktant isso des zweiten Satzes steht in (II.148) zum einen für den einfachen Satz defendemos o nosso direito und zum anderen für den phrastischen Zweitaktanten que a vida fácil nunca foi nosso quinh-o des Satzgefüges, wodurch ein starkes Mittel der Kohärenz gegeben ist. Ein weiteres starkes Mittel der Kohärenz ist in diesem Beispiel die Tatsache, dass die attributive Infinitivergänzung a falar de paz zu direito einmal als sekundärrealisierter Zweitaktant o von fazemos und überdies noch zweimal als primärrealisierter Erstaktant, das erste Mal in É por convicç-o und das zweite Mal in É por dever in Erscheinung tritt. 2.6 Fazit Betrachten wir nun abschließend exemplarisch noch ein Beispiel von mehrfachrealisierten Zweitaktanten in einem konstruierten Satz, der durchaus aus einem Korpus der gesprochenen Sprache stammen könnte. In französisch Ça (bzw. cela), je vous l’apporterai, ce que je vous ai promis il y a longtemps, l’amour, italienisch Questo, ve lo porterò, quello che vi ho promesso (promisi) tanto tempo fa, l’amore, portugiesisch Isto, vo-lo trarei, (oder Trar-vo-lo-ei isto,) o que vos prometi há muito tempo, o amor und spanisch Éso, os lo llevaré, lo que os prometí hace mucho tiempo, el amor wird der Zweitaktant, vorausgesetzt dass wir die klitischen Objektpronomina (noch) nicht als Konjugationsmorpheme erachten, jeweils sekundär-, tertiär-, quartär- und quintärrealisiert. Le und lo stellen die Sekundärrealisierungen oder clitics nach Hopper/ Traugott ( 2 1994) dar, ça, questo, isto bzw. éso die Tertiärrealisierungen oder grammatical words, l’amour, l’amore, o amor bzw. el amor die Quartärrealisierungen oder content items und ce que je vous ai promis il y a longtemps, quello che vi ho promesso (promisi) tanto tempo fa, o que vos prometi há muito tempo bzw. lo que os prometí hace mucho tiempo repräsentieren schließlich die <?page no="79"?> 2.6 Fazit 73 phrastischen Realisierungen oder Quintärrealisierungen des jeweiligen Zweitaktanten. Im Zuge unserer Untersuchung hat sich herausgestellt, dass die fünf Ebenen der Aktantenrealisierung nicht nur aus systemlinguistischen Gründen auseinander zu halten sind, sondern vor allem auch deshalb, weil die Aktanten längst nicht immer systembedingt oder gar zufällig auf einer bestimmten Ebene realisiert werden. 71 Die Wahl der jeweiligen Aktantenrealisierungsvariante ist - zumindest im Großteil der Fälle - diskursfunktional, weil die individuelle, spezifische Aktantenrealisierung im Diskurs wichtige Aufgaben u.a. der Emphase, des foregrounding und backgrounding, des Kontrastes, der Graduierung, der Deixis und der Referenz erfüllt. In der politischen Rede, wie hier exemplarisch an ausgewählten Reden von Franco, Mussolini, Pétain und Salazar demonstriert wurde, werden unterschiedliche Aktantentenrealisierungsvarianten (auch) nach pragmatischen Kriterien gewählt, und zwar u.a. um die Wir-Gruppe von der Sie-Gruppe abzuheben, um die Identität innerhalb der Wir-Gruppe zu unterstreichen, um der Autorität des Redners Profil zu geben, um Argumenten besonderes Gewicht zu verleihen oder einfach, um diese in der Zuhörerschaft präsent zu halten, um die Rede spannend zu machen, um anzudeuten, anstatt zu bezeichnen oder schließlich einfach, um ein Maximum an Kohärenz zu gewährleisten. 71 Aus dieser funktionalen Betrachtungsweise der Aktantenrealisierung ist offensichtlich die obligatorische Primärrealisierung der Erstaktanten auszuschließen. <?page no="81"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 3.1 Thematik Gewissermaßen in Analogie zu Kapitel 2 geht es auch in Kapitel 3 um zwei zentrale Fragen, nämlich einerseits um die Zirkumstanten aus formaler Sicht und andererseits um die Zirkumstanten aus funktionaler Sicht. In Kapitel 2 ist bereits eingangs die seit Anbeginn der Valenztheorie virulente und kontroversiell diskutierte Problematik der Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten angesprochen worden. Wenn es sich nun als problematisch erweist, den Aktantenstatus überhaupt klar zu definieren, dann gilt eo ipso das Gleiche für die Zirkumstanten. Und dennoch gehen wir davon aus, dass es kategoriale Unterschiede zwischen Aktanten und Zirkumstanten gibt, wenngleich sich diese auch nicht immer im Rahmen einer dichotomischen Zweiteilung erfassen lassen mögen und deshalb gegebenenfalls eine diplomatische Lösung in Form eines Kontinuummodells oder eines dynamischen Valenzmodells den einzigen Ausweg aus dem Dilemma zu bieten scheint. Sprach Tesnière ( 2 1965, 102) von den Aktanten als „les êtres ou les choses qui, à un titre quelconque et de quelque façon que se soit, même au titre de simples figurants et de la façon la plus passive, participent au procès“, so muss es auch möglich sein, trotz der gegebenen Komplexität und Heterogenität der großen Gruppe der Zirkumstanten diese ihrem Wesen nach zu erfassen. Dahingehende Ansätze werden vorweg in Abschnitt 3.2 diskutiert, bevor im Anschluss daran auch die Zirkumstanten aus formaler und funktionaler Sicht beleuchtet und die Möglichkeiten ihrer diskursstrategischen Anwendungen unter die Lupe genommen werden. Oppositionen wie beispielsweise französisch je vins vs. je suis venu(e), italienisch leggo vs. sto leggendo, portugiesisch venho de falar vs. falei vs. tenho falado oder spanisch (cuándo) contesta vs. (cuándo) conteste geben zwar (auch) über die zeitlichen Umstände, les circonstances temporelles, Auskunft, inkludieren aber zudem - oder sogar in erster Linie - noch weitere Umstände, wie gerade durch die Gegenüberstellungen deutlich wird. Es handelt sich hier also um verbmorphologisch ausgedrückte Umstände. 1 1 Wotjak (2003, 327) argumentiert, dass sich durch die Dekomposition der lexikalischen Bedeutung von Verben u.a. auch „Angaben zur Aktionsart/ Aspekt und zu weiteren Charakteristika/ Modalisationen der grundlegenden Sachverhaltsrepräsentation (etwa Einstellungsoperatoren, evaluative Seme, etc.)“ ermitteln ließen. Solche Angaben können offensichtlich lexikalisch und/ oder grammatikalisch gemacht werden. <?page no="82"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 76 Beginnt eine Äußerung im Französischen mit eh bien, wie etwa Eh bien, c’est comme ça, so sagt diese Interjektion bereits etwas über den Umstand der Haltung des Redners zur Äußerung aus, sei es je nach Kontext etwa Resignation oder auch Genugtuung. In Parla chiaro ist es ein adverbial gebrauchtes Adjektiv, das den Modus des Sagens determiniert, in Quero, pois, [...] die Abtönungspartikel pois, die wiederum über den Umstand der Haltung und der emotionalen Nähe des Sprechers zur Äußerung Auskunft gibt und in Se quedó una semana ist es schließlich ein Substantiv, das über den zeitlichen Umstand Auskunft gibt. Anhand dieser Beispiele sei vorweg geklärt, dass es längst nicht immer Adverbien sein müssen, die Umstände zum Ausdruck bringen. Die Satzelemente, die aber prototypischerweise Umstände explizieren, sind zum einen die Adverbien als lexikalische Kategorie - wie bien in Il chante bien - und zum anderen adverbiale Präpositionalgruppen, wie in questo libro in Ho scoperto una cosa interessante in questo libro. Jedoch auch im Hinblick auf die Zirkumstanten gibt es die materiell umfangreichste oder umfassendste Variante der uns von den Aktantenspezifizierungen schon bekannten phrastischen Realisierung in Form von Nebensätzen, gerundivischen Konstruktionen, Partizipialkonstruktionen und Infinitivkonstruktionen, wie etwa die Realisierung des Kausalzirkumstanten in J’irai en Grèce parce que j’aime ce pays, jene des Modalzirkumstanten in Leggendo il libro mi sono accorto che aveva ragione, jene des Temporalzirkumstanten in Vendido el coche, me compré una bicicleta oder auch jene des Finalzirkumstanten in Convidou-nos para vermos o filho dele illustrieren. Hinsichtlich der formalen Realisierung von Zirkumstanten unterscheiden wir also wiederum zwischen fünf Ebenen oder Kategorien. Dass es sich analog zu den aktantiellen Realisierungen wiederum um fünf Gruppen handelt, ist allerdings zufällig, zumal die Kriterien für die Zirkumstantenklassifizierung naturgemäß nur zum Teil jenen entsprechen, die der Einteilung der Aktantenrealisierungen zugrunde liegen. Für unsere Untersuchung besonders relevant ist dann jedoch die im Anschluss an die Demonstration der unterschiedlichen formalen Zirkumstantenrealisierungen stattfindende Analyse der Funktionen der Zirkumstanten im Diskurs, d.h. in unserem Fall in der politischen Rede. Es geht grosso modo also auch in diesem Kapitel einerseits um eine Typologisierung nach formalen Gesichtspunkten und andererseits um eine nach diskursfunktionalen Kriterien. 3.2 Zirkumstanten in Abgrenzung gegen Aktanten Die Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten ist also alles andere als eindeutig oder geklärt. Näherten wir uns in 2.2 dieser Kernproblematik der Valenztheorie aus der Perspektive der Aktanten, so geht es uns hier zunächst darum, das Wesen der Zirkumstanten beleuchtend, syntaktische und semantische Unterschiede, so vorhanden, zwischen den beiden Kategorien zu erfassen, allerdings <?page no="83"?> 3.2 Zirkumstanten in Abgrenzung gegen Aktanten 77 sehr wohl eingedenk der Tatsache, dass eine absolut dichotomische Abgrenzung schier unmöglich ist. Nach Tesnière sind es jeweils Adverbien, die die Zirkumstanten repräsentieren. Es gilt hier allerdings wiederum das Prinzip der Translation O > E, A > E, I > E, sodass in seinem Modell die Wortarten O, A, I jeweils in E, d.h. Adverbien, überführt werden können. Bezüglich der Menge und Arten von Zirkumstanten sagt Tesnière ( 2 1965, 125) „il y a donc autant d’espèces de circonstants qu’il y a d’espèces d’adverbes: temps, lieu, manière, etc.“ (vgl. auch Tesnière 2 1965, 74 ff.) und weiter unten „le nombre des circonstants n’est pas défini comme celui des actants. Il peut n’y en avoir aucun, tout comme il peut y en avoir un nombre illimité“ (Tesnière 2 1965, 125). Wenn es nun problematisch ist, die Aktanten zu definieren, so bedeutet dies eo ipso das Gleiche für die Zirkumstanten, wie wir schon sagten. Das heißt, dass zunächst in Form einer Positivdefinition geklärt werden müsste, was Zirkumstanten ihrem Wesen nach sind. Golay (1959, 65) warf diese prinzipielle Frage schon 1959 auf, indem er sagte, „circonstanciel se trouve [...] défini par circonstance et circonstance par l’énumération des circonstances. Le concept de circonstance n’est pas expliqué.“ In der Diskussion der so heterogenen Gruppe der Zirkumstanten scheint jedoch zumindest eine prinzipielle subkategoriale Unterscheidung unentbehrlich. Nach Cervoni (1990, 7 ff.) sind die zwei wesentlichen Kriterien für eine Typologisierung der Zirkumstanten a) die „prédicativité“ und b) die „incidence en cours“. Prädikativ sei ein Wort, so Cervoni, „si sa signification, dans la relation de prédicat à sujet, lui permet de fournir la matière notionnelle du prédicat.“ In einem Satz wie Der Politiker hat heimtückisch gelogen könnte dies durch die Transformation des Satzes in Das Lügen des Politikers war heimtückisch verdeutlicht werden. Eine derartige Transformation funktioniert allerdings längst nicht immer. Cervonis zweites Kriterium ist die incidence en cours, die er an den Satzadverbialen illustriert. Es geht dabei um Inzidenz im Sinne von „portée“ (Nølke 1990a, 3), also im Sinne von Tragweite, Einwirkung bzw. auch Auswirkung des Zirkumstanten auf das Sagen, nicht auf das Gesagte im Sinne des Propositionalen. Die incidence en cours impliziert nach Cervoni „la prise en compte d’un niveau qui n’est ni la langue […] ni le discours […] mais la transition de la langue au discours ou effection.“ Inzidente Satzadverbiale qualifizieren also „le dire et non la chose dite“ (Cervoni 1990, 10). Je nachdem, ob sich der Zirkumstant nun auf die Proposition oder aber auf die Äußerung im Sinne von auf das Äußern als nomen actionis und nicht als nomen acti bezieht, unterscheidet man zwischen endophrastischer und exophrastischer Inzidenz. Im Falle von beispielsweise doucement in Il parle doucement handelt es sich prototypisch um endophrastische Inzidenz, bei franchement etwa in Franchement, je ne peux plus hingegen um exophrastische Inzidenz (vgl. Guimier 1993b, 129). Die Zuordnung der Zirkumstanten im Kontext zu endophrastischer bzw. zu exophrastischer Inzidenz ist zwar eine durchgehend mögliche, für unsere Untersuchung jedoch nicht die relevanteste. Golay (1959) illustrierte anhand der Modalzirkumstanten, dass eine grundsätzliche Subkategorisierung der Zirkumstanten nach dem Wesenskriterium not- <?page no="84"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 78 wendig sei. Fasste man modale Zirkumstanten gemeinsam mit den lokalen und temporalen in einer bzw. eben der großen Gruppe der Zirkumstanten zusammen, so liefe man Gefahr, das Wesentliche ihrer jeweiligen Funktion nicht differenziert genug zu sehen. Lokale und temporale Zirkumstanten seien insofern referentiell, als sie auf den Ort bzw. auf die Zeit verweisen, an dem bzw. zu der eine Handlung vollzogen wird, ein Ereignis geschieht oder ein Zustand besteht. Anders sehe es aber mit den modalen Zirkumstanten aus, die eben nicht von Handlung, Ereignis oder Zustand getrennt gesehen werden könnten. 2 Calmement in Il marche calmement, so Golay (1959, 68), „dégage une des manières essentielles de l’événement - qui permet de distinguer cet événement d’autres marches qui sont d’autres événements.“ Weiter unten fährt er fort: „Peut-il exister un événement sans manière de se dérouler? Peut-il y avoir un je cours qui ne soit pas automatiquement un je cours d’une certaine manière? “ Durch das Modale werde somit ein Teil der eigentlichen Handlung oder des eigentlichen Ereignisses erfasst, keinesfalls jedoch ein äußerer Umstand, „en aucun cas le complément de manière ne peut être un complément circonstanciel: il y a antinomie entre ces deux termes,“ bekräftigt schließlich Golay (1959, 71). Setzen wir nun aber im Sinne der Ereignissemantik 3 eine Variable für ein abstraktes Ereignis, so würde diese erst im Zuge der Konkretisierung die unausweichliche Bestückung mit den diversen Zirkumstanten erfahren, weil alles irgendwo, irgendwann, irgendwie, aus irgendeinem Grund, unter irgendwelchen Umständen etc. getan wird oder geschieht. Dies wäre zumindest eine den endophrastischen Zirkumstanten gemeine Eigenschaft. Eine kategorische Unterscheidung zwischen einerseits den lokalen und temporalen Zirkumstanten als referentielle und andererseits all den anderen als nicht-referentielle scheint jedoch eher problematisch, wenn man referentiell als die außersprachliche Wirklichkeit betreffend versteht. Man denke z.B. an instrumentale Zirkumstanten, die impliziert, inkorporiert oder aber auch expliziert sein können, 4 durchaus aber auch auf die außersprachliche Wirklichkeit referieren. Eine Zweiteilung in konkrete vs. abstrakte Zirkumstanten schiene allerdings genauso problematisch, wollte man etwa die temporalen neben den lokalen den konkreten zuordnen, die modalen oder finalen hingegen den abstrakten. Zeit ist sicherlich nicht weniger abstrakt als Art und Weise, ein temporaler Zirkumstant wie lange genauso wenig intersubjektiv zu erfassen oder einzuordnen wie ein konditionaler oder finaler. Eine Möglichkeit böte wieder einmal ein Kontinuummodell mit den Polen einerseits konkret/ extern, spezifiziert etwa durch Lokalzirkumstanten, und andererseits abstrakt/ intern, realisiert z.B. durch Modalzirkumstanten. Setzten wir nun jedoch eine fixe Variable für den Modalzirkumstanten, weil eben alles auf irgendeine Weise getan wird oder geschieht, so stellte sich berechtigterweise die Frage, warum etwa keine solchen fixen Variablen für etwa Ziel oder Bedingung angenommen werden sollten, wo doch alles genauso zu irgendeinem 2 Bei Zirkumstanten gehe es um das, was ein Ereignis umgebe, nicht um das, was im Ereignis sei, „il s’agit exactement de tout ce qui entoure l’événement, autour et non pas dans“, so Golay (1959, 65). 3 Vgl. Engelberg (2000a, 100 ff.). 4 Z.B. X hat Y erschossen, erdolcht, mit einer Strumpfhose erdrosselt. <?page no="85"?> 3.2 Zirkumstanten in Abgrenzung gegen Aktanten 79 Zweck im weitesten Sinne und unter irgendwelchen Bedingungen getan wird oder geschieht. Gosselin (1990, 43) betrachtet diese Frage aus der Perspektive der konzeptuellen Semantik und meint dazu: „Dans le champs de la sémantique conceptuelle, dont nous tentons de rendre compte au moyen d’une ontologie sémiologique, tout événement suppose des circonstances de lieu, de temps, de cause et de manière.“ Nicht erwähnt werden von ihm allerdings etwa but oder condition. Ohne einstweilen auf alle aufgeworfenen Fragen eingegangen zu sein, halten wir vorerst aber zumindest fest, dass es satzobligatorische Zirkumstanten gibt. 5 Die Problematik der satzobligatorischen Zirkumstanten, jener also, die bereits allein für die Wohlgeformtheit des Satzes unentbehrlich sind, sei exemplarisch an folgenden Beispielen illustriert: (III.1) Mientras unos pretenden encuadrarnos entre los paladines de la reacción, otros nos sitúan dentro del campo de lo demagógico. (Franco 1945a, 10, 56-57) (III.2) Una illusione e una menzogna stanno alle basi dell’interventismo americano: l’illusione che gli Stati Uniti siano ancora una democrazia, mentre sono, di fatto, una oligarchia politico-finanziaria dominata dall’ebraismo, attraverso una forma personale di dittatura. (Mussolini 1941a, 57, 285-288) (III.3) C’est vers l’avenir, que désormais nous devons tourner nos efforts. (Pétain 1940a, 66, 81-82) (III.4) Ora a guerra pode ou n-o lançar a Europa na subvers-o das suas instituições e no aniquilamento da sua civilizaç-o e cultura - e muitos o pensam […]. (Salazar 1939a, 142, 139-141) Spanisch encuadrar und situar, italienisch stare, französisch tourner und portugiesisch lançar verlangen, zumindest in den gegebenen Kontexten, obligatorisch eine Umstandsbestimmung des Ortes bzw. der Zeit, die somit nach unserem Verständnis prototypische obligatorische Zirkumstanten darstellen. Wotjak (1994b, 74) spricht bei ähnlichen Fällen von „manifestaciones circunstanciales“ ebenfalls von „textualizaciones obligatorias“, die zur „combinatoria (valencia? ) sintáctica del verbo“ gehörten. 6 Galten die Zirkumstanten - oder sogenannten freien Angaben - in den ersten Anfängen der Valenztheorie noch im Gegensatz zu den subkategorisierenden Aktanten oder Ergänzungen als prinzipiell frei hinzufügbar, so machte Helbig (1971, 37) bereits klar, dass derartige freie Angaben durchaus mit dem Verb auch inkompatibel sein konnten. Wotjak illustrierte schon 1975 am Beispiel des Verbs fahren, in dem bestimmte freie Angaben latent angelegt seien (Wotjak 1975, 20), dass letztlich auch die freien Angaben nicht so ganz frei sind. 7 Auch nach Bondzio 5 Baron (1994, 30) unterscheidet einerseits zwischen complément essentiel und adverbe essentiel und andererseits zwischen complément circonstanciel und adverbe circonstanciel. 6 Vgl. dazu Bondzios (1994) Circonstants und Valenz zweiter Stufe. 7 In der Mikrostruktur des Verbs fahren seien bereits Merkmale wie Geschwindigkeit, Gerichtetheit oder auch Instrument latent angelegt, die durch adverbiale Bestimmungen konkretisiert würden. <?page no="86"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 80 (2001, 157) stellen Zirkumstanten keinesfalls uneingeschränkte Erweiterungsmöglichkeiten für Sätze dar. Im Falle des Verbs fahren meint Welke (1988b, 136) zunächst, dass als latent angelegte Zirkumstanten Herkunft, Weg und Ziel in Frage kämen. Später betont er (Welke 1990b, 7), dass freie Angaben generell oft nicht weniger sinnnotwendig seien als fakultative Ergänzungen, was er anhand des Satzes Er fährt morgen demonstriert. Fahren bedürfe einer zeitlichen Situierung, was wohl bedeutet, dass er nun zu den ursprünglich genannten in diesem Verb latent angelegten Zirkumstanten Herkunft, Weg und Ziel auch Zeit 8 bzw. eine temporale Adverbialbestimmung im Sinne der minimalen Sinnnotwendigkeit im Gegensatz zur maximalen Sinnnotwendigkeit nach Wotjaks Aktantifizierungsmodell rechnet (vgl. Wotjak 1990). Sadi ski (1989, 165) 9 belegt zumindest für das Deutsche, dass es unter Umständen auch obligatorische Zirkumstanten gibt, wodurch er die ursprünglich angepeilte kategoriale Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten nicht nur anzweifelt, sondern grundsätzlich für unmöglich erklärt. 10 Etwas anders hingegen Nikula (1978, 22), der zwar durchaus anerkennt, dass freie Angaben auch satzobligatorisch sein könnten, aber dennoch postuliert, dass adverbiale Bestimmungen nicht als Ergänzungen zu betrachten seien. 11 Später bezeichnet er jene Angaben, die schlechthin am ehesten als frei hinzufügbar erachtet werden, als Aktantoide (Nikula 1995b, 141). 12 Werfen wir nach diesem kleinen Panorama über die Reflexionen zum Wesen der Zirkumstanten als Nächstes einen Blick auf die Varianten der Zirkumstantenrealisierungen, und zwar aus der formalen Perspektive. 8 Contreras ( 2 1983, 57) hingegen postuliert, dass lokale Zirkumstanten von diesem Prädikat gefordert seien, temporale hingegen nicht, ohne dies jedoch wirklich zu begründen. 9 Sadi ski (1989, 161 ff.) postuliert dies für die Modaladverbiale der kongruenten Rezessiva im Deutschen und erklärt: „Es sei vorweggenommen, dass die Modaladverbien in R3 [= kongruente Rezessiva mit obligatorischem Modaladverbial] als Aktanten einzustufen sind. Bei Verben, die nur R3 zulassen, handelt es sich dabei um obligatorische Aktanten, dagegen bei Verben, die auch R2 [= kongruente Rezessiva ohne Modaladverbial] bilden können, sind es fakultative Aktanten.“ (Vgl. auch Ágel 2000, 170 ff.). 10 Storrer (1992, 209) plädiert dafür, ARG [=Argumenthaftigkeit] nicht als relevantes Kriterium für die Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten heranzuziehen. Sie argumentiert damit, dass ARG aufgrund ihrer Abstraktheit keine relevante Information für konkrete Äußerungen liefere, „ARG ist eine Beziehung zwischen Einheiten der System-Ebene, die in Text-Sätzen auf Individual-Ebene keine Entsprechung hat und ist von daher nicht von didaktischer Relevanz.“ 11 Nikula (1978, 22) betrachtet sie ungeachtet der möglichen Satzobligatorik dennoch als „frei hinzufügbare, zusätzliche Bestimmungen.“ 12 Damit spricht er vor allem temporale und lokale Adverbialbestimmungen an. <?page no="87"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 81 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive „Das Verb ist eine Art Mikrokosmos, da hier in einem Segment der Kette neben dem Lexem ein Teil des Subjekts und die Anzeiger für Tempus und Modus [...] enthalten sind,“ schreibt Fourquet (1970, 56). Offensichtlich geht es um das konjugierte Verb, das auch Tempus und Modus enthält, wie Fourquet es formuliert. Davon ausgehend stellt sich die Frage, ob diese temporalen und modalen Bestandteile des konjugierten Verbs etwa als Primärrealisierungen von Umständen - sprich Zirkumstanten - verstanden werden können und ob es ähnlich den oben skizzierten Niveaus der Aktantenspezifizierungen 13 auch verschiedene Ebenen der Zirkumstantenrealisierungen gibt, wenngleich, wie oben erwähnt (vgl. 3.1), die Kriterien für die Zirkumstantenklassifizierung naturgemäß andere als jene für die Aktantenklassifizierung sein müssen. Wie bereits erwähnt, 14 definiert Pasierbsky (1981, 163) die Mikrovalenz als die „Eigenschaft eines Morphems in der Funktion eines Valenzträgers, verschiedene Aktanten (eventuell auch Zirkumstanten, z.B. adverbiale Zeitbestimmungen), die makrovalente Leerstellen im Satzbauplan besetzen (bzw. als freie Angaben benutzt werden), in der morphologischen Struktur des Verbs zu repräsentieren.“ Aus der Perspektive der semantisch-syntaktischen Valenz wäre nun zu argumentieren, dass, außer im oben besprochenen Falle obligatorischer Temporalzirkumstanten, 15 Verben keine Leerstelle für Temporalzirkumstanten eröffnen. In der kognitiven Valenz hingegen könnte der Temporalzirkumstant als Partizipant jeder beliebigen Situation betrachtet werden und somit gewissermaßen einen Fixplatz im Geschehenstyp einnehmen, was hieße, dass es für diesen in der konzeptuellen Struktur automatisch eine Leerstelle gäbe. In der Folge wäre zu untersuchen, wie viele derartige Fixplätze für welche Zirkumstanten im Konzept der kognitiven Valenz vorgesehen sein müssten. Analog dazu wäre auch das durch den temporalen und lokalen Zirkumstanten - und vielleicht auch durch andere mehr 16 - näher bestimmte Ereignisargument in der Ereignissemantik (vgl. Engelberg 2000a) zu sehen. Das heißt, das Ereignisargument hätte analog zu den jeweiligen Argumenten der einzelnen Verben als Variable einen Fixplatz in deren Stelligkeit. Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass die Funktorenstrukturanalyse auf der Grundlage des isolierten Verbs losgelöst von jeglichem Kontext erfolgt, weshalb 13 Vgl. Kapitel 2. 14 Vgl. Kapitel 2. 15 Eine Leerstelle für einen obligatorischen Temporalzirkumstanten enthält etwa das Verb dauern, wenngleich zumindest in der gesprochenen Sprache Das dauert und Es dauert durchaus als wohlgeformte Sätze im Sinne von Das/ Es dauert lange erachtet werden. 16 Es könnte durchaus so argumentiert werden, dass jede Situation an einem Ort stattfindet, unter bestimmten Bedingungen passiert, im weitesten Sinne eine Ursache hat etc. Insofern könnten genauso die LOC-, COND-, CAUS-Zirkumstanten als Determinanten des Ereignisarguments betrachtet werden. <?page no="88"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 82 es prinzipiell eine theoretische Entscheidung ist, ob für Zirkumstanten bzw. für das Ereignisargument überhaupt Relatpositionen angesetzt werden oder nicht. Bondzio (1993, 29), der Valenz als wortartunabhängige, universale Eigenschaft erachtet und losgelöst von jeglicher speziellen Grammatik als lexikalische Eigenschaft definiert (Bondzio 1993, 28 ff.), erklärt konsequent, dass im Hinblick auf die Flexion der Wörter und die mit ihr gegebenen grammatikalisierten Kategorien gilt, dass sie die FS [= Funktorenstruktur] der betreffenden Sememe nicht berühren. Diese Kategorien haben überhaupt den Status von Bedeutungsanteilen der jeweiligen Satzbedeutung und müssen im Zusammenhang des valenzorientierten syntaktischen Modells beschrieben werden. (Bondzio 1993, 29) Unter diesem Blickwinkel wären die (auch) morphologisch realisierten Kategorien Tempus, Modus und allfällige andere nicht im Rahmen der (isolierten) Verbvalenz, sondern - wie von Bondzio gefordert - im Rahmen der Satzsemantik zu untersuchen. In der Diskursanalyse gehen wir vom realisierten Diskurs aus. Es interessiert uns das Verb im Gebrauch, das heißt im Satz, das heißt im Text. Aus diesem Grunde scheint es unerlässlich, zusätzlich zur Funktorenstrukturanalyse die jeweiligen kognitiv-pragmatischen Szenen in die Untersuchung mit einzubeziehen, und zwar gerade dann, wenn es um die kommunikativ-pragmatische Relevanz der eben nicht durch virtuelle Leer- oder Strukturstellen in der Funktorenstruktur aufscheinenden Zirkumstanten geht. Bedeutung könne in einer Sprache grammatisch, d.h. morpho-syntaktisch, in einer anderen Sprache aber lexikalisch ausgedrückt werden, umschreibt Helbig (vgl. 1998, 3). 17 Vergleichen wir beispielsweise die beiden italienischen Sätze Domani vado in Sicilia und Andrò in Sicilia, so stellt sich heraus, dass - in diesem Fall - das Futur einmal lexemisch und einmal verbmorphologisch zum Ausdruck gebracht wird, und dies also auch innerhalb einer Sprache. Ähnliches gilt für den Modus, wie aus dem Vergleich von Tais-toi und Je t’ordonne de te taire, 18 das heißt, aus dem Gegensatz zwischen einem grammatikalisch und einem lexemisch realisierten Befehl, hervorgeht. Hiermit sind wir bei der Möglichkeit der Primärrealisierung der Zirkumstanten - oder zumindest bestimmter Zirkumstanten - angelangt. Werfen wir zunächst noch einmal einen Blick auf die primärrealisierten temporalen Zirkumstanten. In Sie lachte immer zu Hause, und auch vielleicht, wenn es nicht recht war, und du lachtest so wenig indizieren dementsprechend das grammatische Morphem -t in lach-t-e und -te in lach-te-st die temporale Situierung (vgl. Fourquet 1970, 24). Davon ausgehend betont Ágel (1995, 8) in Anlehnung an Pasierbsky (1981, 164), dass etwa in Damals kannten wir [...] die Tempusmorpheme -a und -t in k-a-nn-t-en mit 17 Bedeutung kann sich hier offensichtlich nicht auf die lexikalische Bedeutung beschränken, sondern es muss um Bedeutung im weitesten Sinne gehen. 18 Je t’ordonne de te taire etwa im Gegensatz zu Je t’encourage à te taire oder Je te conseille de te taire etc. <?page no="89"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 83 dem Adverb als temporalem Zirkumstanten damals korrelierten bzw. eine Einheit bildeten. Analog zu unserer Darstellung im ersten Abschnitt handelt es sich dabei um unterschiedliche Realisierungsvarianten ein und desselben Phänomens: Der temporale Modifikator der konzeptuellen Struktur wird nach ihrer Überführung in die sprachliche zirkumstantiell einmal verbmorphologisch und einmal lexemisch koindiziert. Das Gleiche gilt offensichtlich für die romanischen Sprachen, etwa in Alors nous connaissions [...], Allora conoscevamo [...], Ent-o conhecíamos [...] bzw. Entonces conocíamos [...], in denen die grammatikalischen Morpheme französisch -ions, italienisch -evamo und portugiesisch bzw. spanisch -íamos folglich die Primärrealisierungen von alors, allora, ent-o bzw. entonces darstellen. Adverbiale Präpositionalgruppen oder Nebensätze 19 wären auf der Grundlage dieser Erkenntnis als Realisierungen temporaler Zirkumstanten natürlich genauso gut möglich, wie etwa in À l’époque nous connaissions [...], In quel periodo conoscevamo [...], Nessa altura conhecíamos [...] bzw. A la sazón conocíamos [...] oder Lorsque nous avons été à Montpellier, nous connaissions [...], Quando siamo stati a Bari, conoscevamo [...], Quando ficámos em Coimbra, conhecíamos [...] bzw. Cuando estuvimos en Salamanca, conocíamos [...]. Die jeweilige grammatikalische Tempusrealisierung indiziert also bereits eo ipso implizit einen temporalen Zirkumstanten. In den Sätzen Le mois prochain je travaillerai (je vais travailler) beaucoup, Il mese prossimo lavorerò molto, No próximo mes trabalherei (vou trabalhar) muito oder El mes que viene trabajaré (voy a trabajar) mucho bzw. Le mois dernier j’ai beaucoup travaillé, Il mese scorso ho lavorato molto, No mes passado trabalhei (tenho trabalhado) muito oder El mes pasado trabajé (he trabajado) mucho wird der temporale Zirkumstant somit also ebenfalls jeweils doppelt, nämlich implizit verbmorphologisch und explizit durch eine Substantivgruppe realisiert. Ein nicht zu leugnender und zweifellos sehr gravierender Unterschied zwischen einerseits den Realisierungsvarianten der Aktanten und andererseits jener der Zirkumstanten besteht allerdings darin, dass im Falle aktantieller Mehrfachrealisierungen ein und desselben Arguments im gegebenen Kontext die jeweiligen unterschiedlichen aktantiellen Spezifizierungsvarianten des entsprechenden Arguments de facto referenzidentisch sind. Dies trifft hingegen zugegebenermaßen auf die unterschiedlichen Realisierungsvarianten der Zirkumstanten nicht zu. Ai -é in j’ai travaillé indiziert - hinsichtlich des Tempus - eine recht vage Vergangenheit ohne Anfang und Ende, -erò in lavorerò einen genauso wenig klar begrenzten Abschnitt in der Zukunft. Die durch Substantivgruppen realisierten 19 Le Goffic (1993, 69 ff.) unterscheidet streng zwischen propositions subordonnées circonstancielles und anderen Nebensätzen, die jeweils als „groupes adverbiaux ou prépositionnels, en fonction de complément circonstanciel, contenant une subordonnée“ zu analysieren seien. Er differenziert zwischen 1) subordonnées complétives, 2) subordonnées relatives, 3) subordonnées interrogatives indirectes und 4) subordonnées circonstancielles. Die Ersten enthalten den connecteur que und spezifizieren das Subjekt oder Objekt, die Zweiten enthalten ein Relativpronomen, die Dritten sind eben indirekte Fragesätze und die Vierten sind schließlich die zirkumstantiellen Nebensätze, die notwendigerweise entweder mit quand, où, comme, que oder si eingeleitet werden. <?page no="90"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 84 Zirkumstanten le mois passé bzw. il mese prossimo legen hingegen die Grenzen der Referenzgröße zumindest relativ präzise fest. Analoges gilt für die oben demonstrierten phrastischen Zirkumstantenrealisierungen. Cuando ficámos em Coimbra ist kontextgebunden und in diesem Sinne deiktisch. Aus dem Kontext, möglicherweise aus einem erweiterten Kontext, muss aber eruierbar sein, auf welchen Zeitabschnitt dieser phrastische Zirkumstant referiert, ansonsten sind die Maximen der kommunikativen Relevanz verletzt. Wir halten also fest, dass der verbmorphologisch realisierte temporale Zirkumstant - zumindest in der Regel - vager ist als der adverbial, nominal oder phrastisch realisierte. 20 Zu untersuchen ist ferner, ob nicht etwa bereits allein die vermeintliche verbmorphologische Tempusrealisierung zugleich noch weitere Zirkumstanten impliziert, die ihrerseits gegebenenfalls auch adverbial, nominal oder phrastisch expliziert werden können. Vergleichen wir etwa nur unterschiedliche indikativische Tempora wie le passé simple (je travaillai), le passé composé (j’ai travaillé) und l’imparfait (je travaillais), il passato remoto (lavorai), il passato prossimo (ho lavorato) und l’imperfetto (lavoravo), o pretérito perfeito simples (trabalhei), o pretérito perfeito composto (tenho trabalhado) und o pretérito imperfeito (trabalhava) bzw. el pretérito indefinido (trabajé), el pretérito perfecto compuesto (he trabajado) und el imperfecto (trabajaba), also allesamt Tempora, die zunächst einmal vor allem auf die Vergangenheit verweisen und insofern eo ipso einen temporalen Zirkumstanten indizieren bzw. inkludieren, so drängt sich der Verdacht auf, dass diese außer dem inkludierten Umstand der Zeit noch weitere Umstände zumindest implizieren. Harald Weinrich ( 5 1994, 8 ff.) moniert zunächst zwar, dass die Tempusfunktionen für jede Sprache neu, d.h. separat, zu bestimmen seien, unternimmt aber dann dennoch eine Grobklassifizierung in besprechende und erzählende Tempora ( 5 1994, 18 ff.), die mutatis mutandis auch für die romanischen Sprachen Gültigkeit hätten. Zur ersten Gruppe, also zu jener der besprechenden Tempora, gehörten Präsens, Perfekt, Futur und Futur II und zur zweiten, zu jener der erzählenden Tempora, Präteritum, Plusquamperfekt, Konditional und Konditional II, in den jeweils einzelsprachspezifischen romanischen Ausprägungen, wobei er hier, wie gesagt, weitere einzelsprachspezifische Differenzierungen unterlässt, die allerdings zweifellos notwendig wären. Le passé composé, il passato prossimo und el pretérito perfecto compuesto seien als die Rückschau-Tempora (vgl. Weinrich 5 1994, 77 ff.) der besprochenen Welt der jeweiligen Sprachen zu verstehen. Weder besprochen noch erzählt wird in Weinrichs Meisterwerk allerdings die Situation bzw. Funktion des portugiesischen pretérito perfeito composto, das im portugiesischen System doch eine ganz andere Stellung einnimmt - vor allem in Abgrenzung zum pretérito perfeito simples - als le passé composé im Französischen, il passato prossimo im Italienischen und el pretérito perfecto compuesto im Spanischen, 21 worauf hier jedoch 20 Nicht viel präziser als die verbmorphologisch realisierten temporalen Zirkumstanten wären aber beispielsweise jadis, un giorno, outrora, antaño etc. 21 Bei der Bestimmung der Funktionen dieser Tempora müsste für das Italienische zumindest grob zwischen den diatopischen Varianten Nord- und Süditaliens unterschieden werden und für das Spanische müssten wenigstens die Varietäten Nordspaniens im Gegensatz zu jenen Andalusiens sowie jene Lateinamerikas gesondert betrachtet werden. <?page no="91"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 85 nicht im Detail eingegangen werden kann. Ein großes Verdienst Weinrichs bleibt unbestritten erkannt zu haben, dass „die Tempora [...] eine Strukturgrenze mitten durch die Vergangenheit [legen] und [diese] nach Gesichtspunkten, die nicht zeitlicher Natur sind, sondern eine Stellungnahme zur Vergangenheit implizieren, gliedern“ (Weinrich 5 1994, 82 ff.). Diese Stellungnahme spielt auch eine wesentliche Rolle in der Verwendung des Präsens etwa im Gegensatz zum Präteritum. Fabricius-Hansen (1986, 371) hält dazu Folgendes fest: „Das Präteritum verlangt bei nicht-sprechzeitlicher Verankerung, dass das Betrachtzeitintervall der Sprechzeit vorangeht [...]; das Präsens erlaubt hingegen jede beliebige Relation zwischen Betrachtzeitintervall und Sprechzeit, wird nur je nach den Umständen als historisch, gegenwartsbezogen oder futurisch aufgefasst.“ 22 Diesen Aspekten wird jedenfalls bei der konkreten Analyse der Textstellen aus den Reden in den Abschnitten 3.1 und 5.1.2 dieses Kapitels nachzugehen sein. Besonderes Augenmerk ist ferner bei der Frage nach möglichen, bereits im konjugierten Verb implizierten Zirkumstanten auf das Phänomen der Verbalperiphrasen 23 zu legen. Betrachten wir dazu vorweg die folgende Gegenüberstellung, die allerdings nur exemplarisch einige wenige auffällige Gegensätzlichkeiten zwischen romanischen Verbalperiphrasen und deren Äquivalenten im Deutschen erkennen lässt. Es kann hier natürlich keinesfalls um ein möglichst vollständiges Inventar der jeweiligen Verbalperiphrasen gehen, sondern lediglich um das Prinzip: J’ai failli oublier [...] Ich hätte beinahe vergessen [...] Je viens de rentrer. Ich bin soeben zurückgekommen. Je vais le faire. Ich werde es gleich machen. Sto per cominciare. Ich bin dabei/ im Begriffe anzufangen. Finirò per perdere. Ich werde letztlich (noch) verlieren. Mi andavo stancando. Ich wurde langsam müde. 24 Como irei viver sem dinheiro? Wie werde ich wohl ohne Geld auskommen? Vou indo. Ich gehe nun langsam. Vim a tomar estas medidas. 25 Ich habe doch diese Maßnahmen ergriffen. 22 Fabricius-Hansen (1986) bezieht sich allerdings ausschließlich auf das Deutsche, wobei die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zweifellos bis zu einem gewissen Grad auch für die von uns hier behandelten romanischen Sprachen Gültigkeit haben. 23 Schwarze ( 2 1995, 220) spricht von Aspektperiphrasen. 24 Die italienischen Verbalperiphrasen mit andare und venire gehören mittlerweile der sehr gehobenen Sprache an (vgl. Schwarze 2 1995, 220). <?page no="92"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 86 Suelo levantarme a las seis. 26 Ich stehe gewöhnlich um sechs Uhr auf. Vengo contándotelo desde julio. Ich erzähle es dir schon seit Juli. Voy comprendiendo su postura. Ich verstehe allmählich seine Haltung. Es fällt dabei auf, dass die romanischen Verbalperiphrasen zumindest mitunter neben den temporalen Zirkumstanten noch weitere Aspekte - möglicherweise eben Zirkumstanten - indizieren, die im Deutschen durch Partikeln oder Adverbien wiederzugeben sind. Diese sind also in den romanischen Sprachen sememindiziert, im Deutschen hingegen sememinduziert. Vou indo oder beispielsweise voy comprendiendo drücken einen bestimmten Modus aus, in dem sich das Geschehen bzw. die Handlung ereignet. Es ereignet sich nämlich auf langsame Weise, es ereignet sich allmählich, nach und nach. Vim a tomar estas medidas bzw. Vengo contándotelo desde enero hingegen bringen neben dem propositionalen Gehalt auch die ganz persönliche Haltung des Sprechers zum Ausdruck. Im ersten Fall handelt es sich um etwas Überraschendes oder Unerwartetes, der zweite Beispielsatz lässt hingegen durchklingen, dass der Sprecher möglicherweise gereizt oder ärgerlich ist. In beiden Fällen scheint es sich jedoch um verbmorphologisch realisierte attitudinale Nuancen bzw. eben Zirkumstanten zu handeln. Wenn wir nun in den romanischen Sprachen auch von primärspezifizierten, weil im verbalperiphrastisch realisierten Verb implizierten modalen und attitudinalen Zirkumstanten sprechen, dann können diese - zumindest teilweise - auf anderen Realisierungsebenen wiederaufgenommen werden, d.h. also in ein und demselben Kontext unterschiedlich realisiert werden, wie etwa in Pouco a pouco foram percebendo a história oder A mi parecer debe de tener sesenta años. 27 Im ersten Satz wird allmählich/ langsam durch foram -endo verbmorphologisch primärrealisiert und durch pouco a pouco adverbial tertiärrealisiert. Im zweiten Satz ergibt sich die Primärrealisierung der persönlichen Mutmaßung durch debe de + Infinitiv und die Quartärrealisierung durch die adverbiale Präpositionalgruppe a mi parecer. Auf die Frage nach den Möglichkeiten und Varianten primärrealisierter Zirkumstanten durch Verbalperiphrasen soll anhand konkreter Textbeispiele in den Abschnitten 3.1.1 bzw. 5.1.1 noch näher eingegangen werden. Nachdem wir nun einen Blick auf verbmorphologisch realisierte temporale, modale und attitudinale Zirkumstanten im Romanischen geworfen haben, stellt sich die Frage, ob es nicht etwa noch weitere dergestalt realisierte Zirkumstanten gibt. Es mag vielleicht gewagt anmuten, unter bestimmten Umständen auch einen lokalen Zirkumstanten auf diese Weise realisiert zu sehen, einiges spricht jedoch dafür. 25 „Vir + Präposition a + Infinitiv drückt eine Handlung aus, die vom vorangehenden Kontext aus gesehen überraschenderweise doch/ in der Tat stattfindet“ (Hundertmark-Santos Martins 2 1998, 222). 26 Soler + Infinitiv wird von Quilis, Antonio et al. ( 13 1999, 225) neben anderen explizit als modale Verbalperiphrase bezeichnet. 27 Der Beispielsatz Debe de tener sesenta años stammt aus Marcos Marín et al. ( 2 1999, 280). <?page no="93"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 87 Die französische Verbalperiphrase venir de faire quelque chose hat synchron nichts mehr mit einem primärrealisierten lokalen Zirkumstanten zu tun. Die portugiesische Verbalperiphrase vir de + Infinitiv bezeichnet ursprünglich, so Gärtner (1998, 35), „dass das Subjekt von dem Ort kommt, an dem die Handlung stattgefunden hat: Eu venho de comprar uma entrada para o teatro“ hieße bzw. hätte zumindest dementsprechend einst geheißen Ich komme vom Kauf einer Theaterkarte. Auch nach Hundertmark-Santos Martins ( 2 1998, 224) drückte die Verbalperiphrase vir de + Infinitiv „gerade irgendwo etwas getan haben, woher man kommt, gerade an einem anderen Ort etwas getan haben“ aus. Damit wäre klargestellt, dass diese Verbalperiphrase sehr wohl einen lokalen Zirkumstanten sememisiert, der natürlich nicht lexemisch spezifiziert werden muss, sondern auch rein implizit bleiben kann. Cunha/ Cintra ( 16 2000, 396) stellen bezüglich dieser Verbalperiphrase Folgendes fest: „Esta [...] construç-o, que desde o século passado se documenta em bons escritores do idioma, tem sido condenada por alguns gramáticos como galicismo.“ Das heißt, dass die Verbalperiphrase vir de + Infinitiv als Äquivalent von acabar de fazer alguma coisa bzw. französisch venir de faire quelque chose (noch) längst nicht allgemein akzeptiert ist. Des Weiteren drücken offensichtlich auch der Modus des gebrauchten Verbs, also Indikativ, Konjunktiv und Imperativ sowie der Konditional Modalitäten wie etwa Sicherheit, Unsicherheit, Möglichkeit, Wunsch oder Zweifel aus. In Je te le dirais, si je le savais, Te lo direi se lo sapessi, (Eu) dir-to-ia, se o soubesse bzw. Te lo diría si lo supiera verweist das konditionale Konjugationsmorphem kataphorisch auf den Konditionalsatz 28 bzw. zumindest auf einen virtuellen Umstand, unter dem ich es dir sagen würde. Beim Vergleich von portugiesisch a) N-o falemos mais nisso (Vilela 2 1999, 174) mit b) N-o falamos mais nisso oder analog dazu spanisch a) Ya no hablemos de eso vs. Ya no hablamos de eso wird deutlich, welch entscheidende modale Kraft, in diesem Falle sogar illocutionary force, der Modus birgt: a) ist jeweils ein Befehls- oder Aufforderungssatz, b) ein Aussagesatz. Der formale Unterschied besteht allein zwischen dem konjunktivischen und indikativischen Morphem des konjugierten Verbs. Ein weiteres Beispiel soll die Bedeutung des Konjunktivs als verbal sememisierter Modus illustrieren. Quando ela vier, conta (contará) muitas novidades heißt: Wenn - im Sinne von wann immer - sie kommt, wird sie viele Neuigkeiten erzählen. Quando ela vem, conta muitas novidades hingegen bedeutet: Immer wenn sie kommt, erzählt sie viele Neuigkeiten (Hundertmark-Santos Martins 2 1998, 163). Analog dazu verhält sich das Spanische mit Cuando venga [...] bzw. Cuando viene [...]. Der im Portugiesischen und Spanischen verbmorphologisch realisierte indikativische Modus muss in diesem Fall im Deutschen wiederum adverbial, nämlich mit immer wenn, übersetzt werden. 28 Befindet sich der Konditionalsatz in initialer Satzposition, dann verweist das konditionale Konjugationsmorphem natürlich anaphorisch auf diesen. Ferner kann es auch eine exophorische Verweisfunktion haben oder überhaupt auf einen nicht explizierten - eventuell aktuell hinderlichen - Umstand referieren, wie etwa in J’aimerais bien faire un voyage, Mi piacerebbe fare un viaggio, (Eu) gostaria de fazer uma viagem, bzw. Me gustaría hacer un viaje. <?page no="94"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 88 Es stellt sich also die Frage, ob bereits in der Funktor-Argument-Modifikator- Struktur eine Bedingungsvariable bzw. Bedingungsrelatposition anzusetzen ist, die dann in der sprachlichen Struktur besetzt wird oder eben nicht. Ausgehend von den umfassenden kognitiven Szenen der kognitiven Valenz erschiene es auf alle Fälle legitim, eine Bedingungsvariable für einen entweder implizit bleibenden oder eben zu explizierenden konditionalen Zirkumstanten anzunehmen, da alles unter irgendwelchen Bedingungen getan wird bzw. geschieht. Wenn wir nun aber in der Funktor-Argument-Modifikator-Struktur eine konstante Variable für konditionale Zirkumstanten annehmen, dann müssen solche auch für die weiteren Zirkumstanten vorgesehen sein. Dies ist auch durchaus plausibel, da es andernfalls kaum berechtigt schiene, etwa nach Ursachen oder Zielen von Handlungen oder Ereignissen zu fragen, was gerade im politischen Diskurs eine bedeutende Rolle spielt. Im Folgenden sei eine Klassifizierung der Zirkumstanten nach streng formalen Gesichtspunkten versucht, und zwar von maximaler Implizitheit bis zu maximaler Explizitheit. Analog zu Kapitel 2, jedoch, wie bereits mehrfach erwähnt, nach anderen Klassifikationskriterien, nehmen wir für die zirkumstantiellen Realisierungsvarianten wiederum fünf Ebenen an. 29 3.3.1 Die Primärrealisierung Wie schon oben dargestellt, können Zirkumstanten also bereits verbmorphologisch inkludiert sein. Genau diesen Fall zirkumstantieller Spezifizierung bezeichnen wir als zirkumstantielle Primärrealisierung. Konkret geht es dabei um die Inklusion der Zirkumstanten einerseits im einzelnen konjugierten Verb und andererseits im Verbverband der Verbalperiphrase. Dietrich (1973) vertritt in seinem Werk Der periphrastische Verbalaspekt in den romanischen Sprachen, und zwar im Kapitel Tempus und Aspekt im romanischen Verbalsystem, die Ansicht, dass sich „die Bedeutung aller romanischer Verbalformen [inklusive Verbalperiphrasen, die ebenfalls als Formen des jeweiligen Verbalparadigmas anzusehen seien] in Hinsicht auf Tempus und Aspekt genau beschreiben“ (Dietrich 1973, 151) lassen, und zwar in genau zehn Kategorien. 30 Der Kate- 29 Guimier (1993a, 25 ff.) schlägt zwanzig syntaktische Kategorien vor, durch die Adverbiale realisiert werden können: 1. adverbe, 2. adjectif invarié, 3. interjection, 4. groupe nominal, 5. groupe adverbial, 6. groupe adjectif invarié, 7. groupe participial, 8. groupe infinitival, 9. groupe prépositionnel nominal, 10. groupe prépositionnel adjectival, 11. groupe prépositionnel adverbial, 12. groupe prépositionnel pronominal, 13. groupe prépositionnel prépositionnel, 14. groupe prépositionnel infinitival, 15. groupe prépositionnel participial, 16. groupe prépositionnel complétif, 17. proposition participiale, 18. proposition subordonnée, 19. proposition subordonnée nominale und 20. proposition. Um die formale Typologisierung etwas übersichtlicher zu gestalten, beschränken wir uns auch hier auf fünf Ebenen, obwohl es natürlich weder eine formale noch eine funktionale Analogie zwischen den Aktanten- und den Zirkumstantenrealisierungen gibt. 30 1) die Zeitebene, die aktuell oder inaktuell ist, 2) die primäre Perspektive, die retrospektiv oder prospektiv ist, 3) die sekundäre Perspektive, die für den jeweiligen Zeitraum der primären <?page no="95"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 89 gorie Dauer stellt er die Kategorie Wiederholung gegenüber, betont hinsichtlich Letzterer aber, dass die romanischen Sprachen allein für die einmalige Wiederholung über eine eigene Ausdrucksform verfügten. 31 (III.5) [Mientras los guerreros iban a la guerra quedaban las mujeres en sus hogares entre los bastidores fabricando las piezas y luego habían de decir los guerreros: ] « Nosotros mejoraremos las condiciones de esos vuestros talleres para que en ellos podáis seguir fabricando los vestidos de vuestros maridos y de vuestros padres ». (Franco 1938, 65, 10-16) (III.6) Señores Asesores: Es para mí una satisfacción el poder estrechar vuestra mano y el estar con vosotros unos momentos, escuchar esas palabras tan alentadoras de fray Justo Pérez de Urbel y el sentir vuestra presencia para poderos estimular en esta obra que, en colaboración con la Sección Femenina, venís llevando a cabo. (Franco 1945e, 333, 1-5) In (III.5) wird durch seguir fabricando prospektive Wiederholung ausgedrückt, allerdings gerade nicht eine einmalige. Somit kann argumentiert werden, dass die Verbalperiphrase seguir fabricando neben dem prospektiv-imperfektivischen Aspektzirkumstanten 32 einen indefiniten, iterativen Frequentativzirkumstanten inkludiere. Die Verbalperiphrase que [...] venís llevando a cabo in (III.6) drückt erstens ebenfalls einen bestimmten Aspekt aus (vgl. Quilis et al. 13 1999, 222), nämlich den retrospektiv-durativ-imperfektivischen, inkludiert daneben zweitens einen indefiniten Temporalzirkumstanten, der die Spanne von einem unbestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit bis zum Augenblick des Sprechaktes umfasst, und drittens schließlich noch einen Modalzirkumstanten, der zum Ausdruck bringt, dass sich dieses llevar a cabo langsam, nach und nach, allmählich ereignet. (III.7) Può darsi che qualcuno nel frattempo si sia posto a sedere, ma gli uomini delle squadre sono in piedi, pronti a imbracciare il moschetto, a saltare sul camion, come facevate nelle spedizioni di un tempo. (Mussolini 1939, 250, 21-23) (III.8) [Taluni che oggi affettano di pensare essere stato l’intervento dell’Italia prematuro, sono probabilmente gli stessi che allora lo ritenevano tardivo.] In realtà, il momento fu tempestivo, poiché se è vero che un nemico era in via di liquidazione, restava l’altro, il maggiore, il più potente, il numero uno, contro il quale abbiamo Perspektive wiederum retrospektiv, prospektiv oder aber parallel ist, 4) die Dauer, die in den romanischen Sprachen als lexikalisch impliziert und nicht grammatisch realisierte Kategorie betrachtet wird, 5) die Wiederholung, 6) die Vollendung im Gegensatz zur Nicht- Vollendung, 7) das Resultative im Gegensatz zum Nicht-Resultativen, 8) die Schau, worunter er versteht, dass eine Verbalhandlung entweder partialisierend oder globalisierend gesehen wird, wobei er zwischen komitativer, kontinuativer, prospektiver und retrospektiver Winkelschau unterscheidet, 9) die Phase, die sich auf den Grad der Verwirklichung der Handlung im Moment des Sprechens bezieht und 10) die Situierung, in der es um die Einreihung einer bestimmten Handlung in eine Reihe von anderen Handlungen geht (Dietrich 1973, 133 ff.). 31 Damit sind u.a. gemeint: italienisch torno a dire, portugiesisch volto a dizer, spanisch vuelvo a decir. 32 Als aspektuelle Grundkategorien setzen wir analog zu den slawischen Sprachen perfektiv vs. imperfektiv an. <?page no="96"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 90 impegnato e condurremo la lotta « sino all’ultimo sangue ». (Mussolini 1941a, 52, 54-59) Durch die zeitreferentielle Bedeutung der Formen facevate in (III.7) und fu, era, restava und abbiamo impegnato in (III.8) werden auf der Zeitachse jeweils Relationen zu bzw. zwischen Intervallen in der Vergangenheit hergestellt. Zusätzlich dazu kann die jeweilige Handlung oder das jeweilige Geschehen aber auch noch in ihrem bzw. in seinem Vorgang oder aber auch unter dem Blickwinkel des Resultates als abgeschlossen betrachtet werden. Diese beiden Sehweisen kommen durch den entsprechenden Aspekt zum Ausdruck, also entweder durch den imperfektivischen oder durch den perfektivischen Aspekt. Die beiden Formen facevate und restava im imperfetto repräsentieren den imperfektivischen Aspekt, während die Formen fu im passato remoto und abbiamo impegnato im perfektivischen Aspekt realisiert werden (vgl. Schwarze 2 1995, 718 ff.). L’imperfetto bezeichnet Serianni ( 5 1999, 468) als „un tipico tempo aspettuale: segnala infatti un’azione incompiuta nel passato […] o, meglio, un’azione passata le cui coordinate (momento d’inizio, conclusione, ecc.) restano inespresse.“ Etwas schwieriger scheint schon eine eindeutige Funktionsbestimmung von passato remoto vs. passato prossimo, zumal eine Form im passato remoto durchaus auf ein viel weniger weit in der Vergangenheit zurückliegendes Zeitintervall verweisen kann, als eine Form im passato prossimo, wenngleich der umgekehrte Fall eher dem Regelfall entspricht. 33 Als prinzipielle Richtlinien für die Verwendung des passato remoto und des passato prossimo gibt Serianni ( 5 1999, 471) Folgendes vor: „Il passato remoto indica un’azione: 1) sempre collocata in un momento anteriore rispetto a chi parla; b) priva di legami, obiettivi o psicologici, col presente. Il passato prossimo qualifica invece un’azione a) che è, sì, relativa al passato ma non è necessariamente anteriore al momento dell’enunciazione […]; b) e in cui emerge la rilevanza attuale del processo (considerato psicologicamente attuale nei suoi perduranti effetti).“ Dardano/ Trifone (1997, 322) verweisen ebenfalls auf die durch das passato prossimo ausgedrückte Aktualität. 34 Dies bedeutet nun, dass der Autor zumindest bis zu einem gewissen Grad auch seine Haltung dem Vergangenen gegenüber verbmorphologisch realisieren kann. Abbiamo impegnato drückt eine bis zur Gegenwart anhaltende intersubjektive Aktualität aus, zugleich aber auch die für den Redner bestehende psychische Aktualität der denotierten Handlung. Durch die Imperfektform facevate in (III.7) entsteht andererseits der Eindruck eines Kontinuums in der Vergangenheit. Die Anzahl der Expeditionen bleibt offen, es scheint sich um etwas Routinemäßiges zu handeln. Facevate indiziert somit wiederum einen indefiniten Frequentativzirkumstanten. 33 Keinesfalls außer Acht gelassen werden dürfen dabei außerdem die diatopischen Bedingungen. 34 Dardano/ Trifone (1997, 322) illustrieren dies am vergleichenden Beispiel: Moravia scrisse/ scriveva/ ha scritto Gli Indifferenti […] und erklären, „il passato prossimo ha scritto esprime insieme la compiutezza dell’azione e la sua attualità: Moravia è autore di questo libro, questo libro esiste, possiamo leggerlo.“ <?page no="97"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 91 (III.9) À tous ceux que de nobles scrupules tiendraient éloignés de notre pensée, je tiens à dire que le premier devoir de tout Français est d’avoir confiance. (Pétain 1940b, 95, 23-25) (III.10) [Je me permets ici de donner quelques conseils.] Récriminer contre les petites erreurs inévitables, contre les difficultés inhérentes à la situation, ne servirait qu’à rendre la tâche de chacun plus pénible. (Pétain 1941c, 125, 71-74) Nach Dubois/ Lagane (1973, 214) wird der conditionnel verwendet, „quand la vérité de l’énoncé est présentée comme soumise à une condition, quand on ne prend pas l’énoncé entièrement à son compte“, und laut Mauger ( 8 1968, 249) spezifiziert der conditionnel vor allem „un fait éventuel“. Der conditionnel présent in (III.9) indiziert zwar eine Bedingung, diese wird aber durch keine weitere Spezifizierung koindiziert. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es sich um eine entfernte, wenig wahrscheinliche oder plausible, rein hypothetische Bedingung handelt, unter der manche Franzosen gar auf die Idee kommen könnten, Pétain nicht zu folgen. Grévisse ( 11 1980, 847) führt dazu aus : „Le conditionnel proprement dit exprime un fait éventuel ou irréel dont la réalisation est regardée comme la conséquence d’un fait supposé, d’une condition.“ Auch in (III.10) wird die verbmorphologisch indizierte Bedingung nicht etwa durch einen klassischen Bedingungssatz wie Si on récriminait contre [...] spezifiziert, sondern durch einen quintärrealisierten Erstaktanten in Form einer Infinitivkonstruktion vorweggenommen, wodurch die Bedingung eine durchaus generische - und allgemeingültige - Qualität erhält. (III.11) Temos conseguido e, digamos, merecido viver em tranquilidade na Península e temos a certeza de que nos acompanham na nossa conduta a simpatia e solidariedade moral de muitos povos, n-o seguramente pelo egoísmo de uma atitude mas pelo real valor europeu de uma política. (Salazar 1941, 299, 59-64) (III.12) [Nós procuramos fugir ao socialismo e ao comunismo por meio das corporações, aplicado o princípio da organizaç-o corporativa n-o só à agricultura, comércio e indústria, (…) mas a actividades espirituais e morais (…)]. Na verdade amesquinharíamos o conceito de Naç-o quando nela víssemos apenas a comunidade de agricultores ou comerciantes que exigem do Estado a protecç-o e desenvolvimento dos seus interesses materiais. (Salazar 1943, 402, 508-520) In erster Linie dient der Konjunktiv dazu zu verbinden 35 und findet daher vorwiegend in Nebensätzen Anwendung. Jedoch, „quando usado em orações absolutas, ou orações principais, envolve sempre a acç-o verbal de um matiz afectivo que acentua fortemente a express-o da vontade do indivíduo que fala“ (Cunha/ Cintra 16 2000, 464). In diesem Fall wird also eine affektive Nuance verbmorphologisch ausgedrückt. In (III.11) handelt es sich um eine Inzise in der ersten Person Plural. Der Konjunktiv spezifiziert hier den Imperativ und drückt somit 35 Lateinisch conjunctivus: „que serve para ligar“ (Cunha/ Cintra 16 2000, 464). <?page no="98"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 92 wiederum die Haltung des Sprechers aus, 36 d.h. er gibt eine Haltung vor, der sich die Zuhörerschaft anschließen möge. In (III.12) steht der Hauptsatz im condicional, der irreale Konditionalsatz im pretérito imperfeito do conjuntivo. Prinzipiell werden in irrealen Konditionalsätzen „Bedingungsbeziehungen zwischen irrealen, also nicht real existierenden Sachverhalten bezeichnet“ (Gärtner 1998, 465). Die Geringschätzung des Konzeptes der Nation entstünde nach Salazar dann, wenn man quasi die Gemeinschaft der Nation für die Befriedigung materieller Eigeninteressen verantwortlich machte. Durch die Formulierung in (III.12) wird dies aber als Irrealis dargestellt, wodurch zum einen wiederum Salazars Haltung zum Ausdruck kommt und zum anderen eine klare Warnung artikuliert wird. Anders gesagt, inkludieren die konjugierten Verben wiederum einen attitudinalen Zirkumstanten. 3.3.2 Die Sekundärrealisierung Als sekundärrealisierte Zirkumstanten bezeichnen wir jene, die von ihrer Wortart her keine Adverbien sind und erst durch die Translation im Tesnière’schen Sinne adverbiale Funktionen übernehmen können. Ihre primäre Funktion ist also a priori nicht die des Adverbs bzw. Adverbials. 37 Im Hinblick auf die funktionale Klassifizierung sei schon vorweggenommen, dass in unserer Analyse gerade auch attitudinalen, metadiskursiven und diskursstrukturierenden Zirkumstanten besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist. Insofern mag es weniger verwunderlich sein, dass wir davon ausgehen, dass neben unflektierten Adjektiven und Substantivgruppen auch Partikeln, Konjunktionen und Interjektionen zirkumstantielle Funktionen übernehmen können. (III.13) Por lo que se refiere a vosotras, es preciso que cada día desarrolléis una mayor aplicación en una labor que nosotros completaremos cuando acabe la 36 Zum Imperativ der ersten Person Plural vermerken Cunha/ Cintra ( 16 2000, 474): „Como no imperativo o indivíduo que fala se dirige a um interlocutor, só admite este modo as pessoas que indicam aquele a quem se fala: […] a I. a pessoa do plural, que no caso denota estar o indivíduo que fala disposto a associar-se ao cumprimento da ordem, conselho ou súplica que dirige a outros.“ 37 Vgl. zur Differenzierung zwischen Adverb und Adverbial Eisenberg et al. ( 6 1998, 361): „Die Schwierigkeiten, die die Behandlung des Adverbs oft bereitet, rühren daher, dass diese Bezeichnung in einem zweifachen Sinne gebraucht wird. Erstens wird Adverb benutzt, um eine lexikalische Kategorie, nämlich die Wortart Adverb, zu bezeichnen, zweitens aber bezeichnet Adverb eine syntaktische Kategorie, nämlich die mit einem Verb verbundene Umstandsangabe. Die neuere grammatische Terminologie benutzt für diese Unterscheidungen auch die Bezeichnungen Adverb und Adverbial (bzw. adverbiale Bestimmung). Wir verstehen hier Adverb nur in dem erstgenannten Sinne, meinen also damit nur die lexikalische Kategorie (Wortart).“ In diesem Sinne verwenden auch wir Adverbial als grammatische Funktion, die eben nur unter anderem auch von Adverbien wie in Il est resté longtemps wahrgenommen wird. Das Adverbial kann aber beispielsweise auch durch eine Substantivgruppe wie in Il est resté une semaine oder phrastisch etwa durch eine Partizipialkonstruktion wie in Fermatosi qua una settimana, conosceva bene il paese, durch eine Infinitivkonstruktion wie in Ele fica cá, até sairmos oder durch einen Nebensatz wie in Se queda aquí porque le gusta el pueblo spezifiziert werden. <?page no="99"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 93 guerra para mejorar las condiciones de vuestras escuelas y de vuestros talleres y para alegrar también la vida interior de vuestros hogares. (Franco 1938, 65, 4-9) (III.14) Estimo que vosotras sóis las que mejor podéis ofrecernos una colaboración sincera en esta obra, colaboración que ha de consistir en que pongáis el máximo entusiasmo en vuestros trabajos y el afán por adquirir las perfecciones de que nosotros queremos rodearos. (Franco 1938, 66, 38-42) (III.15) ¡Arriba España! (Franco 1945c, 618, 78-79) (III.16) È il momento in cui l‘Italia consiglia l’Austria di riavvicinarsi alla Germania, perché uno Stato che si proclama tedesco non può esistere in funzione antigermanica. (Mussolini 1938a, 69, 87-89) (III.17) [Notre cœur se serre à la pensée des souffrances dont les uns et les autres sont menacés.] Mais il ne s’agit pas de les plaindre, il faut les aider et les défendre contre les rigueurs du froid. (Pétain 1940c, 97, 6-9) (III.18) O inimigo é pois conhecido e mais do que conhecido, confessado - « tu o dizes ». [...] Como poderia pois haver medo, se n-o há raz-o para o temor? [E como poderia o inimigo vencer-nos, se n-o temos medo dele? ] (Salazar 1938a, 18-21, 87- 157) Wenn Substantivgruppen als Adverbiale fungieren, so können diese pronominal nicht ersetzt werden (vgl. Eisenberg et al. 6 1998, 642), wie etwa in (III.13). Für die Wohlgeformtheit des Satzes sind sie aber in der Regel nicht unbedingt erforderlich. 38 Auch Adjektive können u.U. als Adverbiale fungieren und somit als adverbiale Satzadjektive zirkumstantielle Funktionen erfüllen (Eisenberg et al. 6 1998, 262). In (III.14) ist mejor, die Komparativform sowohl von bueno als auch von bien, der Funktion nach ein Modalzirkumstant. Setzte man hier den Positiv ein, so käme allerdings allein das entsprechende Adverb bien zum Zug. Faktum ist jedoch, dass die eine Form mejor zum einen adjektivische, d.h. sowohl attributive als auch prädikative, und zum anderen auch adverbiale Funktionen übernimmt, wodurch in der Tat eine Analogie zu zahlreichen Fällen, in denen es sehr wohl prinzipiell einen formalen Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb gibt, wie etwa bei 38 *es preciso que lo desarrolléis una mayor aplicación en una labor que [...]; aber: es preciso que [ø] desarrolléis una mayor aplicación en una labor que [...]; <?page no="100"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 94 französisch bas in voler bas, 39 italienisch chiaro in parlar chiaro, 40 portugiesisch fundo in respirar fundo 41 oder spanisch duro in trabajar duro, 42 gegeben ist. Im Allgemeinen führen Interjektionen dazu, dass der Hörer entweder auf die Gefühlslage des Sprechers aufmerksam wird oder sich auf eine ganz bestimmte Situation als Teil einer Schilderung konzentriert. Es sind in der Regel Lautverbindungen, deren pragmatische Bedeutung zumindest innerhalb der betreffenden Sprachgemeinschaft bekannt ist, oder aber auch Lexeme oder feste Verbindungen, die als Interjektionen gebraucht werden (vgl. Eisenberg et al. 6 1998, 382). Die Interjektion ¡Arriba España! in (III.15) wird verstanden, möglicherweise als elliptischer Satz, obwohl eine logische satzsemantische Analyse wohl nur auf der Grundlage von Präsuppositionen und Implikationen möglich wäre. In (III.16) ist es die kausale unterordnende Konjunktion perché, die den Kausalzirkumstanten zumindest kataphorisch indiziert, 43 indem sie diesen als phrastisch explizierten, nämlich als kausalen Nebensatz, einleitet. Darüber hinaus impliziert sie allerdings noch einen attitudinalen und einen diskursstrukturierenden Zirkumstanten, auf die weiter unten eingegangen wird. Die adversative Konjunktion mais in (III.17) kündigt eine Einschränkung bzw. einen Gegensatz an, die kopulative Konjunktion et hingegen eine Aneinanderreihung von Zusammengehörendem. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass die Verwendung sowohl der einen als auch der anderen Konjunktion in einem beträchtlichen Ausmaß vom logischen Verständnis des Redners abhängig ist. Diese Konjunktionen haben somit einerseits diskursstrukturierende Funktion, zum anderen aber auch eine attitudinale Qualität, und zwar insofern, als sie die Haltung des Redners zum Ausdruck bringen. 39 Grévisse ( 11 1980, 408 ff.) gibt eine ganze Liste von adverbial verwendeten Adjektiven an und erklärt dazu: „ce sont surtout des adjectifs courts et très usuels qui s’emploient ainsi, et le plus souvent dans des expressions consacrées comme voir clair, parler haut, chanter juste, etc.“ Allerdings gibt es zahlreiche derartige Verwendungsweisen von Adjektiven bereits in der klassischen Literatur, wie etwa in Des roses fraîches cueillies oder Les yeux et la bouche larges ouverts (Grévisse 11 1980, 418). 40 Dardano/ Trifone (1997, 340) nennen für diese „semplice modificazione funzionale, senza che muti la forma della parola [= dell’aggettivo] stessa” exemplarisch parlar chiaro und camminare veloce. 41 Neben der standardmäßigen adverbialen Verwendung der Adjektivform wird zur besonderen Hervorhebung manchmal gerade im Portugiesischen anstelle des Adverbs das Adjektiv benutzt, das sich dann in Genus und Numerus nach dem Subjekt richtet, wie etwa in E o vento soprava brando e meigo (= branda e meigamente,) sem contribuir de modo algum para esta desolaç-o (aus: Pinheiro Chagas, História de Portugal, cit. in Hundertmark-Santos Martíns 2 1998, 247). 42 Auch in María trabaja duro (Marcos Marín et al. 2 1999, 258) ist es formal eindeutig ein Adjektiv, das eine adverbiale Funktion erfüllt, zumal es auch das Adverb duramente gibt. 43 Besonders deutlich wird die kataphorisch den Kausalzirkumstanten indizierende Funktion der kausalen unterordnenden Konjunktion für sich allein etwa in Parce que als Antwort auf irgendeine Frage im Dialog, wie z.B. Pourquoi as-tu fait ça? - Parce que. <?page no="101"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 95 Pois in (III.18) erfüllt zweimal die Funktion einer Partikel. 44 Partikeln haben vielfältige Funktionen, wie etwa jene der Graduierung, der Fokussierung, der Abtönung, der Gliederung, der Negation etc. Auffallend ist, dass Partikeln i.d.R. aus anderen Klassen der Unflektierbaren stammen und im Diskurs dann eben als Partikeln die oben genannten Funktionen erfüllen (vgl. Eisenberg et al. 6 1998, 377 ff.). Pois ist a priori sowohl den Adverbien als auch den Konjunktionen zuzurechnen. In O inimigo é pois conhecido [...] ist pois als nun mal im Sinne von Der Feind ist nun mal bekannt zu verstehen, in Como poderia pois haver medo als wohl, im Sinne von Wie sollte man wohl Angst haben. Diese Partikeln haben eine modalisierende Funktion und drücken in der Funktion attitudinaler Zirkumstanten die Haltung des Redners aus. 3.3.3 Die Tertiärrealisierung Das Adverb ist eine der prototypischen Zirkumstantenrealisierungen, dessen inhärente Funktion es bereits ist, Beiwort oder Nebenwort, lateinisch adverbium, (Eisenberg et al. 6 1998, 361) zu sein. Für die vorliegende Klassifizierung ist es die lexikalische Kategorie des Adverbs, die das Repertoire für tertiär zu realisierende Zirkumstanten darstellt. Im Gegensatz zu den sekundärrealisierten Zirkumstanten verlangen adverbial, also tertiärrealisierte Zirkumstanten, quasi bereits isoliert ein Bezugswort bzw. einen Bezugssatz, dessen Bestimmung ihre Funktion ist. (III.19) [Y una vez formados, asegurándoles un hogar higiénico, honesto y digno, a cubierto del paro, de la enfermedad, de la incapacidad o de otro infortunio. Todo ello a través de nuestras grandes Obras sociales.] Entonces, y sólo entonces, podremos hablar de libertades. (Franco 1942a, 225, 70-75) (III.20) ¿No percibís cómo, insidiosa y malévolamente, se intenta sembrar dudas y fomentar desconfianzas, dentro y fuera, contra nuestro Movimiento [...]? (Franco 1939, 18, 397-399) (III.21) [In altra sede, per non tediarvi con troppe cifre, tutto ciò sarà documentato per quanto riguarda il nostro intervento nella rivoluzione falangista.] Ecco perché avremmo preferito, e fu pubblicamente dichiarato nel dicembre del 1939, che, se a una resa dei conti si doveva venire tra i due mondi irriducibilmente antagonisti, questa fosse ritardata di quanto era necessario per reintegrare tutto ciò che era stato da noi consumato o ceduto. (Mussolini 1941a, 51-52, 34-40) (III.22) Tutta l’opera dei governatori che si avvicendarono in Libia fu diretta a potenziare economicamente, demograficamente, militarmente quella vasta regione, tras- 44 Im weitesten Sinne werden unter Partikeln alle unflektierbaren Wörter verstanden, also auch Adverbien, Konjunktionen und Präpositionen. Fasst man den Begriff etwas enger und rechnet etwa Adverbien, Konjunktionen und Präpositionen nicht dazu, so ist ihnen allen immer noch gemein, dass sie für sich keine lexikalische Bedeutung haben bzw. zumindest bedeutungsarm sind und nicht als Satzglieder, also weder als Aktanten noch als Zirkumstanten auftreten können (vgl. Eisenberg et al. 6 1998, 377 ff.). <?page no="102"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 96 formando zone predesertiche o desertiche in terre feconde. (Mussolini 1941a, 52, 71-74) (III.23) Ebbene, nella guerra scorsa non vi fu un aviatore che non riuscendo ad abbattere con le armi l’aeroplano nemico, vi si precipitò contro, cadendo insieme con lui? [Non ricordate voi questo nome? Era un umile sergente: Dall’Oro.] (Mussolini 1944, 137, 471-474) (III.24) [Je leur demande (à une élite d’hommes): 1° de se pénétrer de la doctrine du bien commun au-dessus des intérêts particuliers, de s’instruire des méthodes d’organisation du travail capables de permettre à la fois un meilleur rendement et plus de justice (...). 2° de s’informer des réalisations sociales qui existent déjà et que des hommes clairvoyants et généreux ont su accomplir (…).] Ainsi, peu à peu, et par l’action de tous, une œuvre définitive s’accomplira sous l’autorité et avec l’encouragement de l’État. (Pétain 1941a, 111, 33-45) (III.25) [En outre, afin de réduire les malentendus qui peuvent exister entre les services du ravitaillement et les producteurs des campagnes, une commission mixte sera établie dans chaque canton.] Les maires ruraux et les groupements agricoles y seront représentés. (Pétain 1941c, 123, 13-17) (III.26) [Este simples facto (...) é claramente revelador de como entendemos manter-nos dentro das constantes da nossa História, assegurando na fidelidade à aliança luso-britânica a defesa dos interesses comuns, e ressalvando no que lhe é estranho n-o só a liberdade de acç-o como a existência de muitas outras amizades.] Foi sempre assim durante séculos, sem que possam estranhá-lo os que se habituaram a distinguir alianças com fundas raízes nas determinantes da geografia ou da evoluç-o histórica [...]. (Salazar 1939a, 151, 373-383) Die Tatsache, dass wir eine eigene Ebene für die Zirkumstantenrealisierung durch Adverbien annehmen, nämlich die dritte, kann trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gruppe der Adverbien immer noch eine sehr heterogene ist. In diese Richtung geht auch Cervonis Kommentar, der sich fragt, inwiefern Wörter wie „joyeusement, aujourd’hui, pourquoi, très, ne, cependant“ allesamt der einen Gruppe der Adverbien angehören können (Cervoni 1990, 5). Es kann hier allerdings nicht unsere Aufgabe sein, dieser Frage nachzugehen. Wir stellen somit bezüglich obiger Textpassagen resümierend fest, dass die Adverbien entonces (III.19) und vi (III.23) als temporale Zirkumstanten, dentro y fuera (III.20), ecco (III.21) und y (III.25) als lokale Zirkumstanten und economicamente, demograficamente, militarmente (III.22), ainsi, peu à peu (III.24) sowie assim (III.26) als modale Zirkumstanten fungieren. 3.3.4 Die Quartärrealisierung Als quartärrealisierte Zirkumstanten erachten wir adverbiale Präpositionalgruppen und Konjunktionalgruppen. Laut Leeman (1990, 6) ist die zirkumstantielle <?page no="103"?> 3.3 Die Zirkumstantenrealisierungen aus formaler Perspektive 97 Realisierung durch adverbiale Präpositionalgruppen die mit Abstand am häufigsten vorkommende und insofern überhaupt die prototypische. 45 (III.27) España es lo contrario de lo que esas campañas han hecho se la suponga desde fuera, y su demonstración más clara y trascendente la encontraréis en el mantenimiento de la paz durante los seis años más difíciles de la vida del mundo, no obstante las amenazas, intrigas y conspiraciones que desde el Extranjero contra ella se movieron. (Franco 1945a, 9, 15-20) (III.28) Nosotros, por nuestros sufrimientos pasados, no podemos desconocer la razón que a unos y a otros les asiste. (Franco 1945a, 11, 77-78) (III.29) [La Gran Bretagna non può vincere la guerra. Ve lo dimostrerò con un rigore strettamente logico. Qui l’atto di fede è suffragato dal fatto.] Questa dimostrazione parte da una premessa dogmatica, e cioè che l’Italia, qualunque cosa accada, marcerà con la Germania, a fianco a fianco, sino alla fine. (Mussolini 1941a, 55, 175- 179) (III.30) [La bataille des Flandres s’est terminée par la capitulation de l’armée belge en rase campagne et l’encerclement des divisions anglaises et françaises. Ces dernières se sont battues bravement.] Elles formaient l’élite de notre armée; malgré leur valeur, elles n’ont pu sauver une partie de leurs effectifs qu’en abandonnant leur matériel. (Pétain 1940a, 64, 17-22) (III.31) L’exode des réfugiés a pris, dès lors, des proportions inouïes: dix millions de Français rejoignant un million et demi de Belges, se sont précipités vers l’arrière de notre front, dans des conditions de désordre et de misère indescriptibles. (Pétain 1940a, 64, 34-37) (III.32) Servez-la [la France] avec moi de tout votre cœur. (Pétain 1941b, 122, 71) (III.33) Uma publicidade desaforada, estúpida umas vezes, outras inteligentíssima e intencional, esquadrinha as atitudes, dá sentido às coisas indiferentes, perverte as intenções mais puras, desvirtua o pensamento mais lúcido, açula paixões, espalha o ódio, lança o terror, suscita problemas e lembra soluções que s-o outros tantos problemas, e com falsas notícias e com meias verdades cria a atmosfera de guerra com que alguns, é certo, podem resolver dificuldades de política interna e outros n-o se percebe que intuito tenham sen-o a mesma guerra. (Salazar 1939a, 140-141, 81-92) (III.34) Nós somos um país pobre, que tanto quanto se enxerga no futuro n-o pode na metrópole aspirar a mais que à dignidade de uma vida modesta. (Salazar 1943, 395, 319-322) Die adverbiale Präpositionalgruppe in (III.27) ist satzobligatorisch und realisiert einen Lokalzirkumstanten, wenn auch im figurativen Sinn. In den Textstellen 45 Leeman (1990, 6) verweist jedoch explizit darauf, dass ein circonstanciel aber eben auch durch eine einfache Nominalphrase spezifiziert werden könne, wie etwa in Il s’avança, la main tendue oder Nous partirons le 31 août. <?page no="104"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 98 (III.28) bis (III.34) sind die adverbialen Präpositionalgruppen für die Wohlgeformtheit der Sätze zwar nicht mehr obligatorisch, kommunikativ jedoch absolut relevant. 46 In (III.28) realisiert die adverbiale Präpositionalgruppe einen kausalen Zirkumstanten, in (III.29) und (III.32) jeweils einen komitativen, in (III.30) einen konzessiven, in (III.31) einen konditionalen, in (III.33) einen instrumentalen und in (III.34) schließlich einen temporalen. 3.3.5 Die Quintärrealisierung Quintärrealisierte Zirkumstanten sind in unserer Typologie wiederum phrastische im weitesten Sinne, obwohl, wie bereits erwähnt, das formale Zirkumstantenrealisierungsmodell keinesfalls als Analogie zum ebenfalls fünfstufigen Aktantenrealisierungsmodell verstanden werden darf. Das heißt, dass wir Nebensätze genauso dazu zählen wie satzwertige Infinitivkonstruktionen und Partizipialkonstruktion - und damit auch gerundivische Konstruktionen - , die im Satz adverbiale Funktionen übernehmen. (III.35) [Si aspiramos a engrandecer a España hemos de trabajar en los tres campos señalados, y al enfrentarnos con lo económico y lo político nos encontramos todas las actividades españolas invadidas por los viejos tópicos, que dejaron en ellas honda huella.] Lo que quedó de ello vosotros lo sabéis por haber tenido la desgracia de vivir los trágicos días que esta provincia padeció bajo la barbarie roja. (Franco 1942a, 224, 17-24) (III.36) Comandati da un soldato di razza quale il viceré e da un gruppo di generali di alto valore, i nostri soldati, nazionali ed indigeni, daranno molto filo da torcere alle masse nemiche. (Mussolini 1941a, 53, 98-101) (III.37) Mentre nella guerra mondiale la Germania era isolata in Europa e nel mondo, oggi l’Asse è arbitro del continente ed è alleato col Giappone. (Mussolini 1941a, 56, 214- 216) (III.38) Pur non esagerando, si può osservare che la situazione politica non è oggi favorevole agli Alleati. (Mussolini 1944, 135, 393-394) (III.39) [Une deuxième bataille s’est livrée sur l’Aisne et sur la Somme.] Pour tenir cette ligne, soixante divisions françaises, sans fortifications, presque sans chars, ont lutté contre cent cinquante divisions d’infanterie et onze divisions cuirassées allemandes. (Pétain 1940a, 64, 23-27) (III.40) Pendant des années, ils [les démagogues] ont injurié et affaibli la patrie, exaspéré les haines, mais ils n’ont rien fait d’efficace pour améliorer la condition des travailleurs, parce vivant de leur révolte, ils avaient intérêt à encourager ses causes. (Pétain 1941a, 112-113, 79-82) 46 Auf die kommunikative Relevanz der adverbialen Präpositionalgruppen ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen, zumal es hier um die streng formalen Kriterien geht. <?page no="105"?> 3.4 Versuche von Zirkumstantenklassifizierungen 99 (III.41) Tous, vous surmonterez mieux vos malheurs en ouvrant votre cœur au malheur des autres. (Pétain 1943c, 319, 29-30) (III.42) [...] mas, se a Europa proclamar o princípio de que esses núcleos representam projecç-o ou afirmaç-o de soberania estrangeira em verdadeiros enclaves, logo haverá quem divise no fenómeno começo de invas-o política e novos obstáculos surgir-o à colocaç-o no mundo de excedentes demográficos. (Salazar 1939a, 144, 172-179) (III.43) [Mas nós realizamos hoje também acto magnífico de fé: fé na nossa vitalidade e na capacidade realizadora dos portugueses, fé no futuro de Portugal e na continuidade da sua História.] N-o somos só porque fomos, nem vivemos só por termos vivido; [vivemos para bem desempenhar a nossa miss-o e perante o mundo afirmamos o direito de cumpri-la.] (Salazar 1940, 259, 105-112) In (III.35) wird der kausale Zirkumstant durch einen infinitivo compuesto mit anschließendem Relativsatz realisiert. Als infinitivo compuesto fungiert dieser zugleich als temporaler Zirkumstant und drückt Vorzeitigkeit aus. Der Kausalzirkumstant in (III.36) wird hingegen durch eine Partizipialkonstruktion spezifiziert. (III.37) enthält einen Adversativsatz zur Realisierung eines adversativen Zirkumstanten. Gerade im politischen Diskurs spielen adversative Zirkumstanten zum Ausdruck widriger Umstände eine wichtige Rolle. Der konzessive und damit ebenfalls einschränkende Zirkumstant in (III.38) wird durch eine gerundivische Konstruktion, das heißt also durch eine Konstruktion mit Partizip Präsens realisiert. Die Infinitivkonstruktion in (III.39) spezifiziert einen finalen Zirkumstanten, genauso wie pour améliorer la condition des travailleurs in (III.40). (III.40) enthält ferner aber eine einen kausalen Zirkumstanten spezifizierende gerundivische Konstruktion mit der einleitenden - ungewöhnlichen, fast literarischen - Konjunktion parce. Die gerundivische Konstruktion in (III.41) realisiert einen modalen Zirkumstanten, der mit se eingeleitete und einen futurischen Konjunktiv enthaltende Nebensatz in (III.42) hingegen einen konditionalen. In (III.43) spezifiziert schließlich die satzwertige Konstruktion mit zusammengesetztem persönlichem Infinitiv (infinitivo pessoal composto) zugleich einen kausalen und einen temporalen Zirkumstanten. Formal unterscheiden wir also zwischen fünf verschiedenen Ebenen bzw. Kategorien, auf denen bzw. mittels derer, Zirkumstanten realisiert werden. Es sind allerdings bereits mehrfach Typologisierungen der Zirkumstanten auf formal-funktionaler Basis versucht worden, die wir, bevor wir unsere eigene diskursfunktionale Typologie der Zirkumstanten vornehmen, kurz zu betrachten haben. 3.4 Versuche von Zirkumstantenklassifizierungen Mehrfach ist mittlerweile darauf hingewiesen worden, dass die Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten längst nicht so eindeutig ist, wie ursprünglich - trotz der eingeräumten Translationsmöglichkeiten - zumindest noch in den Ansätzen von Tesnière angenommen. Infolgedessen kann auch ein wie <?page no="106"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 100 immer konzipierter Klassifizierungsversuch der Zirkumstanten kein Leichtes sein. Gehen wir aber weiterhin davon aus, dass es so etwas wie eine semantisch bedingte syntaktische Valenz gibt, so ist dies nur dann sinnvoll, wenn wir zumindest prinzipiell die Unterscheidung zwischen valenzgebundenen und valenzungebundenen Satzelementen aufrechterhalten, seien dies nun Aktanten oder Zirkumstanten. Diese prinzipielle Möglichkeit der Unterscheidung lässt grundsätzlich auch zu, dass es für ein und dasselbe Verballexem unterschiedliche Satzbaupläne mit verschiedenen Aktanten- und Zirkumstantenstrukturen gibt. 47 Dass die Zirkumstanten 48 sowohl formal als auch funktional eine sehr heterogene Gruppe darstellen, ist nicht neu (Melis 1983; Wotjak 1994a, 1996a, 1996b). 49 Dass bestimmte Zirkumstanten als valenzgebunden, d.h. also quasi als Aktantenstatus innehabend, oder aber als valenzungebunden identifiziert werden, ist objektiv sehr oft nicht begründbar und beruht nicht selten auf subjektiver Intuition. 50 Werfen wir zunächst aber einen Blick auf bereits angestellte Überlegungen zu Klassifizierungen von Zirkumstanten, um im Anschluss daran die für unsere Untersuchung relevanten Kriterien zu erfassen. Wotjaks grundsätzliches Kriterium für die erste Subklassifizierung der Zirkumstanten ist, ob sie bereits im Verb sememisiert sind oder nicht, ob sie also sememindiziert oder sememinduziert sind. Sememindizierte Zirkumstanten sind im Gegensatz zu den sememinduzierten Zirkumstanten nach Wotjak (2001, 48) jene LE-token, als deren semantische Korrelate Modifikatoren der Verbsystembe- 47 Ein Valenzlexikon müsste dementsprechend präzisieren, dass etwa legt in Die Henne legt den Zweitaktanten impliziert, dieser aber nicht spezifiziert werden muss oder wegen Redundanz gar nicht spezifiziert werden darf oder dass legt in Peter legt Fliesen den Lokalzirkumstanten sememisiert, dieser aber wiederum nicht realisiert wird, es sei denn, es handelt sich um einen ganz bestimmten kommunikativ wichtigen Ort, und im Falle von gibt in Martin gibt - beim Kartenspiel - sowohl der an und für sich valenzgebundene Zweitals auch der valenzgebundene Drittaktant unrealisiert bleibt. 48 Sollte der Terminus freie Angabe Anwendung finden, so ist darauf zu achten, dass er sich tatsächlich nur auf freie Angaben bezieht, die also keine „sememisch prädeterminierten Belegungen von Modifikatorsemvorgaben“ darstellen (Wotjak 1990, 163). 49 Melis (1983, 131) verweist auf die formalen Unterschiede, inhaltlichen Divergenzen und die Vielzahl der Relationen, die die Zirkumstanten an den Satz binden. Nach Wotjak (1994a, 182; 1996a, 105; 1996b, 100) lassen sich die Zirkumstanten trotz ihrer anerkannten Heterogenität prinzipiell in zwei Gruppen einteilen, nämlich in sememindizierte und sememinduzierte, die dann allerdings weiter subklassifiziert werden können. 50 Sommerfeldt (1992, 120) spricht im Zusammenhang von kausalen und temporalen Zirkumstanten von Valenzerweiterung; Gil (1999, 64) spricht im Falle von LOC, TEMP, MOD und EXPANSIV von valenzgebundenen Adverbialen; Wotjak (1987, 10) argumentiert, dass INSTR im Gegensatz etwa zu TEMP oder FIN ein integrativer Bestandteil der Verben der Fortbewegung sein könne und LOC ohnedies als konstitutiv zu erachten sei; Gansel (1992d, 17ff.) betont, auf Meiner 1781 zurückgehend, dass das Prädikat Bestimmungen des Ortes und der Zeit verlangen könne, und Welke (1994b, 231) führt ins Treffen, dass DIRECTIVA, die traditionell als Aktanten gewertet würden, durchaus auch zirkumstantiell, weil relativ frei hinzufügbar, angewandt werden könnten, wie etwa in Er lächelte nach oben, z.B. im Gegensatz zu Er fuhr nach oben. <?page no="107"?> 3.4 Versuche von Zirkumstantenklassifizierungen 101 deutung ausgemacht werden können. Es ist folglich individuell, das heißt einzelverblexemisch zu untersuchen, welche Zirkumstanten sememindiziert und welche sememinduziert sind. Ein für unsere Untersuchung durchaus wesentlicher Punkt, auf den Wotjak (1988a, 332) dezidiert verweist, ist, dass es zum shared knowledge gehöre, dass Handlungen intentional und zielorientiert sind. Eine Handlung ist zielgerichtet und zweckorientiert, durch Handlung wird ein Ziel verfolgt (Wotjak 1987b, 544). Dasselbe gilt offensichtlich auch für sprachliches Handeln, wie spätestens seit Austins ( 2 1980) How to do Things with Words allgemein bekannt ist. Da wir es im Text mit kommunikativem Sinn (Wotjak 2001, 55) zu tun haben, spielen mitunter gerade sememinduzierte Konfigurationen eine entscheidende Rolle. Es liegt nämlich im Entscheidungsbereich des Sprechers oder Senders, was zusätzlich zum für die Wohlgeformtheit des Satzes notwendigen Minimum artikuliert wird. Auf einer distinkten Ebene lokalisieren Wotjak (2000, 7) und Báez San José (1996) 51 jene Satzadverbien, die als Einstellungsoperatoren fungieren und sich ebenfalls für unsere Untersuchung als aufschlussreich erweisen können. Simmlers Kriterium für die Abgrenzung zwischen obligatorischen und fakultativen Satzelementen und somit auch für jene zwischen den unterschiedlichen Typen von Zirkumstanten ist ein pragmatisch-kommunikationstheoretisches. Für ihn sind die situativen Merkmale des Makrokontexts wie Sprecher, Hörer, aber auch Ort und Zeit i.d.R. notwendige Satzglieder, da es keine situationslose Äußerung gibt (Simmler 1985, 455 ff; 1994, 4 ff.). Ähnlich Gil (1999, 64 ff.), der eine starke Verzahnung von Valenzstruktur und situationeller Verbundenheit des Verbs mit Ko- und Kontext feststellt und daraus auf valenzgebundene Adverbiale schließt, die als Lokal-, Temporal-, Expansiv- und Modalergänzungen spezifiziert werden. Dik unterscheidet vier Gruppen von Adverbien (vgl. Wotjak 1994a; 1996b). Da es nach Tesnière - wie oben erwähnt - die Adverbien E sind, die die Zirkumstanten spezifizieren, scheint Diks Ansatz für die Valenztheorie allemal interessant. Die erste Gruppe besteht aus Modifikatoren, die mit den jeweiligen Funktoren zusammenhängen, es sind F-Modifikatoren, die sich auf das Prädikat beziehen. Auch in der zweiten Gruppe handelt es sich um Modifikatoren, die sich jedoch im Gegensatz zu jenen der ersten Gruppe jeweils auf die gesamte Basisproposition bzw. auf die prädikative Einheit beziehen. Gruppe eins und Gruppe zwei stellen nach Melis (1983) und Kotschi (1991) gemeinsam die sogenannten K- Zirkumstanten dar. Die Adverbien der Gruppe drei sind vom verbalen Semem induziert und beziehen sich auf eine ganze Proposition. Dazu würden etwa die TEMP- und LOC-Partizipanten zählen. Die Adverbien der vierten Gruppe spezifizieren schließlich jene Zirkumstanten, die über den ganzen Satz bzw. über die ganze Äußerung operieren (vgl. dazu Wotjak 1994a, 181 ff. und 1996b, 98 ff.). 51 Baez San José (1996, 10) teilt jene Adverbien auf -mente, die die kommunikative performative Substruktur determinieren, in zwei Gruppen ein: „o indican la actitud del hablante respecto a lo que va decir, abiertamente, claramente, francamente, honradamente, o su intención de excluir otro contenido de su decir que no sea el que realmente dice, simplemente, simple y llanamente, [...].“ <?page no="108"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 102 Melis (1983, 28 ff.) differenziert zunächst zwischen zwei Gruppen von Zirkumstanten. Zur ersten Gruppe gehören jene, die von den lexikalischen Eigenschaften des Verbs selektioniert werden. Es sind die compléments du nœud actanciel (Melis 1983, 31). Dazu zählt er a) die compléments d’attitude, die das Verhalten oder die Art der Beteiligung des jeweiligen acteur zum Ausdruck bringen, b) die compléments instrumentaux, c) die compléments aspectuels 52 und d) die compléments sémiématiques, die schlicht ein Konglomerat aus verschiedensten, oben nicht zuordenbaren Zirkumstanten darstellen. 53 Jene der zweiten Gruppe werden von grammatischen Werten bestimmt, die das jeweilige Verb enthält. Zu diesen systematischen grammatischen Werten zählt er etwa Tempus, Aspekt, Modus oder auch die diskursive Form. Besonderes Augenmerk legt Melis (1983, 131 ff.) jedoch auf die compléments de phrase, compléments transpropositionnels et propositionnels, d.h. generell auf die Satzadverbiale und nicht nur auf die Satzadverbien, 54 die sich auf den entsprechenden ganzen Satz bzw. auf die entsprechende ganze Aussage beziehen. Sie sind vor allem für die Aktualisierung des Inhalts und für die Einfügung des Satzes in den Diskurs wichtig. Sie drücken aus, wie sich der Sprecher zu seiner Aussage positioniert, wie zum Beispiel in Pierre a probablement raison. Sie beziehen sich aber auch auf die Umstände des Sagens, wie etwa in Franchement, tu as raison, oder auf die Form der Aussage, wie in En bref, je vous dis [...] (Melis 1983, 131 ff.) und stellen somit eine bereits recht heterogene Gruppe dar, die wir differenzierter sehen wollen. Zu den compléments de phrase oder Satzadverbialen zählt Melis (1983, 144 ff.) a) in bestimmten Fällen die mit si eingeleiteten Nebensätze, wie in Si vous permettez [...], b) die compléments phraséologiques, die entweder die Wahl eines Terminus erklären, wie in [...], pour ainsi dire, [...], oder den Satz in den Diskurs integrieren, wie in [...], en un mot, [...], c) die compléments de style, die die Beziehung zwischen den Sprechern signalisieren, wie zum Beispiel in Honnêtement, [...], 55 und schließlich d) die compléments interprétatifs, die zum Ausdruck bringen, wie der Sprecher seine eigene Aussage bewertet bzw. beurteilt. Diese beziehen sich entweder auf die Wahrheit der Aussage, wie etwa durch probablement, manifestement, sans aucun doute, oder sie beziehen sich nicht auf die Wahrheit der Aussage und stellen ausschließlich eine Bewertung dar, wie etwa durch curieusement oder étrangement. 56 52 Diese befinden sich an der Grenze zwischen compléments de manière und compléments temporels. „Les adverbes caractérisent le déroulement du procès et plus exactement la manière dont il se déroule dans le temps“ - wie etwa in Il a été vite renseigné (Melis 1983, 64). 53 Bezüglich dieser Gruppe sagt Melis (1983, 88) „en fait, chaque complément semble lié à un verbe particulier, ou à un groupe de verbes: surveiller étroitement, blesser mortellement, charger lourdement, décorer joliment.“ 54 Zu diesen gehören, wie oben dargestellt, auch Präpositionalphrasen und Nebensätze. 55 In einem Aussagesatz charakterisieren diese etwa die Haltung eines Sprechers, der sich eventuell besonders vorteilhaft präsentieren will, um Vertrauen zu gewinnen. Melis (1983, 157) betont dazu, „l’adverbe ne se rapporte donc pas au contenu de la phrase, mais il constitue comme une indication de régie par laquelle le locuteur veut établir un lien particulier avec son auditeur.“ 56 Erstere nennt Melis (1983, 162) compléments assertifs, Letztere compléments évaluatifs. <?page no="109"?> 3.4 Versuche von Zirkumstantenklassifizierungen 103 Zu den compléments transpropositionnels et propositionnels zählt Melis (1983, 168 ff.) a) Lokal- und Temporalzirkumstanten und b) die Implikation, wobei das Entscheidende bei der Implikation ist, dass eben etwas impliziert wird und nicht nur eine Aussage über einen Zeitpunkt gemacht wird. 57 Kotschi (1991, 129 ff.) unterscheidet zwei Klassen von nicht-valenzabhängigen Satzgliedern. Der ersten, die Sprechereinstellungen zum Ausdruck bringt, rechnet er Satzkomplemente und modale Satzadverbiale zu, die zweite umfasst die bereits in die Sachverhaltsdarstellung integrierten Zirkumstanten. Diese zweite Klasse untergliedert er weiter a) in P-Zirkumstanten oder propositionale Zirkumstanten, zu denen er temporale und lokale Angaben sowie adverbiale Nebensätze zählt, und b) in sogenannte K-Zirkumstanten (Kern-Zirkumstanten), 58 die in Relation zu bestimmten Teilen einer prädikativen Struktur stehen. Diese subklassifiziert er mit Melis in attitudinale, instrumentale, aspektuelle und verbmodifizierende K-Zirkumstanten. 59 Guimiers dynamisches, auf der psychomécanique basierendes Modell geht von der oben skizzierten Inzidenz 60 aus (Guimier 1993b). Demnach unterscheidet er zwischen 1. adverbes de degrés (aussi, si tout, très etc.), 2. circonstants marquant la fréquence (souvent etc.), 3. circonstants marquant une localisation temporelle ou spatiale (aujourd’hui, jadis etc.), 4. circonstants caractérisant la visée du discours (en réalité, d’ailleurs, en effet etc.), 61 5. circonstants à fonction métalinguistique (d’une part - d’autre part, pour ainsi dire, à proprement parler etc.) 62 und 6. circonstants paradigmati- 57 Durch folgende Beispiele illustriert Melis (1983, 173 ff.), was mit Implikation gemeint ist: „a) S’il meurt, tout son argent sera à vous [...], b) Depuis qu’il avait un bon chef de chantier, il ne travaillait plus guère, c) Il écrit un roman, alors qu’il pense écrire une thèse.“ Impliziert wird, a) dass x der betreffenden Person y das Geld vererben wird, b) dass der Chef hart arbeitet und c) dass er einen Fehler macht. „Il existe, au moins pour les relations implicatives ordonnées, une condition de déductibilité: il doit, en effet, être possible de construire un enchaînement d’éléments qui relient l’antécédent et le conséquent“, so Melis (1983, 184). 58 Den Terminus K-Zirkumstanten hat Kotschi von Melis entlehnt. 59 Attitudinal wäre [...] avec brutalité, instrumental [...] avec une pioche, aspektuell [...] en dix minutes und verbmodifizierend [il surveillait la maison] étroitement (Kotschi 1991, 130). Gemeinsam ist den K-Zirkumstanten, dass sie „in Relation zu einer unvollständigen, weil noch nicht abgeschlossenen prädikativen Struktur“ stehen. Diese Zirkumstanten werden alle noch vor dem Erstaktanten in die prädikative Struktur integriert, sodass die jeweils eine Einheit bildenden Prädikate folgendermaßen lauten würden: disperser la foule avec brutalité, déraciner le peuplier avec une pioche, couper la viande en dix minutes, surveiller étroitement la maison (Kotschi 1991, 131). 60 Nach Guimier (1993b, 128) bedeutet Inzidenz „la mise en rapport d’un apport de signification et d’un support de signification.“ Sein Modell beruht darauf, dass „une part importante du sens global de l’énoncé résulte des opérations de genèse de cet énoncé, notamment de l’ordre dans lequel ses divers constituants sont introduits et mis en relation les uns par rapport aux autres.“ Aus diesem Grunde sieht er die Äußerung aus zwei Etappen bestehend, nämlich aus „la visée phrastique ou dire puissanciel et la chaîne parlée ou dire effectif.“ 61 Die circonstants caractérisant la visée du discours betreffen die Äußerung als Gesamtheit (Guimier 1993b, 143). 62 Diese Zirkumstanten beschreibt Guimier (1993b, 148) insofern als metalinguistisch, „qu’ils caractérisent la forme du dire effectif [...]. Ils n’affectent nullement le contenu de l’énoncé <?page no="110"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 104 sants, die jeweils als Präsupposition ein Paradigma ähnlicher Elemente einführen (également, aussi, notamment, surtout, avant tout, à la fois etc.). Aus diesen verschiedenen, nur überblicksmäßig dargestellten Klassifizierungsversuchen geht hervor, dass eine, wenn nicht sogar die grundlegende Unterscheidung, die in diesen Modellen getroffen wird, jene - wie bereits mehrfach angedeutet - Wotjak’sche zwischen sememindizierten und sememinduzierten Zirkumstanten ist. Wie oben dargelegt, sind die sememindizierten Zirkumstanten im Gegensatz zu den sememinduzierten Zirkumstanten bereits im Verb sememisiert. Ein für unsere Untersuchung ebenfalls bedeutendes Unterscheidungskriterium hinsichtlich der sememinduzierten Zirkumstanten ist jenes, ob es sich um für die Sachverhaltsdarstellung konstitutive Zirkumstanten oder um evaluative Zirkumstanten bzw. Einstellungsoperatoren handelt. Ferner ist zu betonen, dass in der linguistischen Pragmatik und somit auch in der pragmatischen Valenz das Kriterium der kommunikativen Relevanz eine wichtige Rolle spielt, weshalb wir auch dieser im Lichte der Zirkumstantenrealisierung unsere Aufmerksamkeit zu schenken haben. 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive In Anlehnung an Bluhm (1978) argumentiert Sommerfeldt (1991, 23), dass die kommunikative Notwendigkeit das eigentliche Kriterium des Sprachgebrauchs sei. Bluhm postulierte einst, dass die kommunikative Notwendigkeit eben „nicht Zusammensetzungen einer Sprache wie der Saussure’schen Langue, sondern Verwendungen in der Parole“ (Bluhm 1978, 13) kennzeichne. In diese Richtung argumentierend, stellt Juhász (1985, 149) die prinzipielle Frage, ob es überhaupt sinnvoll sei, die ohnedies äußerst problematische Trennung zwischen Aktanten und Zirkumstanten weiter zu verfolgen, wenn doch die kommunikative Funktion das Wichtigste sei. Wenn auch weit davon entfernt, die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zwischen langue und parole in Frage oder gar in Abrede zu stellen, erachten wir es allerdings sehr wohl für notwendig, die Unterscheidung zwischen struktureller Notwendigkeit und kommunikativer Notwendigkeit zu treffen. Die bereits oben besprochene Grundvalenz eines verbalen Valenzträgers gibt an, wie viele und welche Aktanten und gegebenenfalls auch Zirkumstanten notwendigerweise spezifiziert werden müssen, um das Kriterium der Wohlgeformtheit eines Satzes zu erfüllen. Es ist klar geworden, dass Zirkumstanten sehr wohl satzobligatorisch, d.h. strukturell notwendig sein können (Simmler 1985, 463). Manche Sätze, so beobachtet Moilanen (1985, 186), sind ohne Zirkumstanten in keiner Kommunikation zu verwenden. Kommunikativ können Zirkumstanten gegebenenfalls sogar wesentlich wichtiger sein als Aktanten (Helbig 1992, 107 in Anlehnung an lui-même mais sont le signe d’un regard que porte l’énonciateur sur les outils linguistiques auxquels il a recours.“ <?page no="111"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 105 Moilanen 1985). In diesem Fall stellten diese die eigentliche Prädikation bzw. Assertion der entsprechenden Äußerung dar. I.d.R., d.h. im Großteil der Sätze bzw. Äußerungen, sind die Zirkumstanten jedoch nicht strukturell, sondern kommunikativ notwendig (Nikula 1978, 22; 1985, 173 ff.; 1995a, 328). Die durch die Grundvalenz bedingte Grundstruktur eines Satzes kann aus pragmatischer Perspektive durch strukturell nicht notwendige, aber kommunikativ notwendige Zirkumstanten zwar erweitert werden, die strukturelle Notwendigkeit, die eben keinen pragmatischen Bedingungen unterliegt, kann allerdings nicht reduziert werden (vgl. Nikula 1999, 392; 2003). Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass kommunikativ - oder textgrammatisch (Helbig 1985, 155) - Obligatorisches zumindest aus der Perspektive der semantisch-syntaktischen Valenztheorie nicht eo ipso über den Status der Notwendigkeit verfügt. Anders ist die Frage der Notwendigkeit aus dem Blickwinkel der kognitivpragmatischen Valenztheorie 63 zu beleuchten. In kognitiver Hinsicht wird davon ausgegangen, dass mit dem Verb automatisch diverse Rollen eingeführt werden (Gansel 1992d, 61). 64 Im Stile der Geschehenstypen der kognitiven Psychologie (Klix 1984, 1987, 1990; Klix et al. 1979; 1984, Klix et al. 1987) werden umfassende Szenen entworfen, die sowohl die Handlungsträger als auch die Umstände, d.h. also Aktanten und Zirkumstanten, enthalten. Das bedeutet, dass Aktanten und Zirkumstanten in der konzeptuellen Struktur angelegt sind. Sowohl die Frage der Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten als auch jene der Hierarchie, d.h. der Obligatorik bzw. Fakultativität der Zirkumstanten, ist vor diesem Hintergrund an und für sich eine sekundäre, zumal die Handlungsträger und die diversen Umstände a priori gleichberechtigt in die Szene Eingang finden bzw. als Bestandteile derselben in Erscheinung treten. 65 Gansel (1992a, 270 und 1993, 159) argumentiert dann jedoch pragmatisch, dass Aktanten und Zirkumstanten über 63 Nach Welke (1988a, 85) betrifft die pragmatische oder kommunikative Valenz „die pragmatischen oder kommunikativen Bedingungen, unter denen Abweichungen von der Grundvalenz erfolgen.“ 64 Gansel (1992d) illustriert dies am Beispiel der Gerichtsszene, wo neben den Handlungsträgern HT, das sind in syntaktischer Diktion die Aktanten, auch zahlreiche Umstandsbestimmungen, wie der Ort des Geschehens LOC, die Sitzordnung MOD, aber auch CAUS, TEMP usw. eingeführt, weil damit assoziiert werden. Doch auch Ágel (2000, 260), der nicht unbedingt dieser Linie der Valenztheorie verpflichtet ist, geht davon aus, dass etwa in Es geschah ein Unfall ein lokaler Zirkumstant stillschweigend mitverstanden wird. 65 Sommerfeldt (1995, 158) spricht von der SIT-Relation der lokalen und temporalen Einordnung. Diese Situationspartner sind aber aus semantisch-syntaktischer Sicht keine Valenzpartner, wenngleich auch er (Sommerfeldt 1999, 199) einräumt, dass sie, diese Typen von Situationspartnern, sprich Zirkumstanten, zuweilen kommunikativ wichtiger sind als Aktanten. Auch dies scheint ein Hinweis darauf, dass zwischen struktureller und kommunikativer Notwendigkeit zu unterscheiden ist. In der Ereignissemantik behilft man sich bezüglich der Einordnung der zirkumstantiellen Situationspartner LOC, TEMP, INSTR, MOD zuweilen durch die Einführung eines Ereignisarguments. Man geht davon aus, dass diese adverbialen Modifikatoren Prädikate über Ereignisse sind, d.h. entweder über jeweils ein Teilereignis oder über den Endzustand (Engelberg 1994, 4 ff.; 2000a, 101 ff; 2000b; Davidson 1966; Pustejovsky 1991). <?page no="112"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 106 den unterschiedlichen Wert in der Kommunikation zu determinieren seien. Damit ist allerdings die Frage einer dichotomischen Abgrenzung zwischen Aktanten und Zirkumstanten erneut aufgeworfen und im Grunde aber lediglich in die Pragmatik abgeschoben. In der pragmatischen Valenz ging es bislang primär um die Auslassung obligatorischer Aktanten. Es ist aber genauso die Aufgabe der pragmatischen Valenz, die Hinzufügung einerseits der fakultativen Aktanten und andererseits der (nicht obligatorischen) Zirkumstanten zu erklären. Pragmatisch gesehen, können also durchaus auch Zirkumstanten notwendig, d.h. kommunikativ obligatorisch, werden. Dass Zirkumstanten trotz struktureller Nicht-Notwendigkeit kommunikativ äußerst relevant sein können, scheint unbestritten. Wie bereits wiederholt angedeutet, werden Zirkumstanten oft als quasi selbstverständliche Situationspartizipanten stillschweigend vorausgesetzt oder mitverstanden. 66 Im Falle, dass sie spezifiziert werden, ist nun davon auszugehen, dass sie kommunikativ relevant sind. Ansonsten wäre allein durch die Spezifizierung der entsprechenden Zirkumstanten das cooperative principle (Grice 1975, 45 ff.) bzw. die Maxime der kommunikativen Relevanz (Sperber/ Wilson 10 2001, 158 ff.; Nikula 1995a, 336) verletzt. 67 Welke (1988a, 86) postuliert daher auch kompromisslos, dass davon auszugehen sei, dass bereits jede Realisierung einer fakultativen Ergänzung oder einer freien Angabe zu einem für die „Realisierung der kommunikativen Absicht des Sprechers notwendigen Bestandteil der Mitteilung“ werde. Moilanen (1985, 195) geht sogar soweit anzunehmen, dass, wenn aufgrund der anzunehmenden kommunikativen Notwendigkeit valenzunabhängige Glieder realisiert werden, diese dann automatisch den Fokus darstellten. Bestimmte Textsorten fordern nach Schwitalla (1985, 269) die Realisierung bestimmter Angaben. Davon abgesehen ist es aber in der Regel der Sender, der darüber entscheidet, was über das Minimum (Wotjak 1985, 204), d.h. über die gesättigte Grundvalenz hinaus, spezifiziert, meint vertextet, wird. Heringer (1984, 41 ff.) vertritt dezidiert den Standpunkt, dass gegebenenfalls nicht nur Aktanten, sondern auch Zirkumstanten unrealisiert blieben, weil der Sender diese - aus welchen Gründen auch immer - verschweigen wolle. 68 66 Koller (1995, 111) spricht davon, dass „bedeutungsinhärente Angaben, etwa zur Lokalisation, Modalität, Kausalität und Temporalität“ aus dem Fokus der Proposition (Prädikation) ausgeblendet werden, und deshalb, wenn sie spezifiziert werden, lediglich als freie Angaben qualifiziert werden. 67 Die Annahme über die optimale Relevanz wird von Sperber/ Wilson ( 10 2001, 158) folgendermaßen definiert: „The set of assumptions I which the communicator intends to make manifest to the addressee is relevant enough to make it worth the addressee`s while to process the ostensive stimulus. The ostensive stimulus is the most relevant one the communicator could have used to communicate I” und daraus folgert das Relevanzprinzip: “Every act of ostensive communication communicates a presumption of its own optimal relevance.” Wäre der entsprechende Zirkumstant nicht relevant, so dürfte er folglich gar nicht kommuniziert werden. 68 Heringers (1984, 41) Beispiel lautet: „Ihr müsst bei mir kaufen“, wo einerseits der Zweitaktant unspezifiziert bleibt, am ehesten wohl weil es sich um den absoluten Gebrauch des <?page no="113"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 107 In zahlreichen Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass vermeintlich objektive Testverfahren nicht nur für eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Aktanten und Zirkumstanten untauglich sind, sondern genauso für eine über das rein Morphologische hinausgehende Subklassifizierung der Zirkumstanten. Diese hängt nämlich im Grunde von semantisch-pragmatischen Kriterien ab (vgl. Nølke 1990b, 20 ff.). 69 Aus den bereits unternommenen Klassifizierungen der Zirkumstanten nach funktionalen Kriterien Anleihen nehmend, geht es uns in der Folge darum, die Zirkumstanten nach diskursfunktionalen Kriterien, die sich ganz besonders in der Analyse politischer Diskurse als relevant herausstellen, zu typologisieren. Wir haben die zirkumstantiellen Funktionen in neun Gruppen unterteilt, die teilweise morphologisch bzw. unter dem Blickwinkel der lexikalischen Kategorie homogen, teilweise aber auch sehr heterogen sind, was allerdings bei der funktionalen Typologisierung keine Rolle mehr spielt. 3.5.1 Die Vermittlung von Aspekt, Aktualität und Modalität Als aspektuelle Grundkategorien erachten wir in Analogie zu den slawischen Sprachen die perfektivische und die imperfektivische. 70 Unter Aktualität hingegen verstehen wir das implizit oder explizit zum Ausdruck gebrachte emotionale Näheverhältnis des Autors oder Redners zum entsprechenden Denotat und unter Modalität - mit Dietrich (1996, 227) - des Autors oder Redners subjektive Betrachtungsweise der Handlung oder des Geschehens, und zwar im Hinblick auf Notwendigkeit, Verpflichtung, Möglichkeit, Intention und Zugeständnis. 71 Die Modalität bezieht sich somit im Gegensatz zur emotionalen Nähe der Aktualität auf eine Verbs handelt (eigene Anmerkung), andererseits aber auch kein Preis genannt wird, und zwar deshalb, so Heringer, weil es nicht der Intention des Senders entspräche, wenn die Empfänger diesen erführen. 69 Vgl. auch Gosselin (1990, 44), der von der „impossibilité d’étudier les circonstanciels sans prendre en compte la catégorie sémantique des circonstances“ spricht. 70 Yo hablé wäre maximal perfektiv, yo estaba hablando maximal imperfektiv. Zwischen diesen Polen wären he hablado und hablaba anzusiedeln. Unter Aspekt werden oft auch die Aktionsarten subsumiert, die sich auf inhaltliche Aspekte der Verbbedeutung beziehen. I.d.R. geht es um den Beitrag, den verbmorphologische Ableitungen zur Bedeutung leisten. Konkret geht es dabei um die Dynamizität einer Situation, um die Verlaufsweise, um die Wiederholung oder auch um Kausalität. 71 Modalität ist hier in leichter Abänderung der modalisation nach Dubois et al. ( 2 2001, 305) zu verstehen. Für sie bedeutet modalisation „[...] la composante du procès d’énonciation permettant d’estimer le degré d’adhésion du locuteur à son énoncé.“ Dabei unterscheiden sie zwischen drei verschiedenen Konzepten der modalisation: „Le concept de distance envisage le rapport entre sujet et monde par l’intermédiaire de l’énoncé: dans le cas de distance maximale, le sujet considère son enoncé comme partie intégrante d’un monde distinct de lui-même; la distance minimale est le fait de l’énoncé totalement assumé par le locuteur. Le concept de transparence étudie la présence ou l’effacement du sujet d’énonciation [...]. Le concept de tension enregistre les rapports entre locuteur et interlocuteur par le moyen du texte: être et avoir marqueront la tension minimale, les auxiliaires vouloir, pouvoir, etc., la tension maximale.“ Das Konzept der Distanz erfasst bei uns der aktualisierende Zirkumstant. <?page no="114"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 108 reflektiv-kritische Nähe, kurz reflektive Nähe, des Sprechers zu seiner Äußerung bzw. zur Proposition seiner Äußerung. Aspektuelle, aktualisierende und modalisierende Zirkumstanten, auf die im Folgenden genauer einzugehen ist, werden in den romanischen Sprachen vorrangig primär-, sprich verbmorphologisch realisiert, was allerdings nicht heißt, dass dies die einzig mögliche Realisierungsvariante wäre. Es handelt sich hier zwar um die funktionale Klassifizierung, in deren erster Kategorie wir die aspektuellen, die aktualisierenden und die modalisierenden Zirkumstanten untersuchen, da diese aber, wie gesagt, in erster Linie durch Verbalperiphrasen, durch die verschiedenen Tempora sowie durch den konjunktivischen Modus meist allein verbmorphologisch spezifiziert, d.h. also primärrealisiert werden, behalten wir in diesem ersten Abschnitt der Übersicht halber die formale Dreifachgliederung bei. 3.5.1.1 Verbalperiphrasen Unter Verbalperiphrasen versteht man mehrgliedrige verbale Ausdrücke, die jedoch jeweils eine einheitliche grammatische Funktion innehaben. Sie sind als analytische Verbformen und nicht als Umschreibungen von etwas anderem zu sehen (vgl. Dietrich 1996, 223). Nach Böckle (1979, 195 ff.) sind die zahllosen Verbalperiphrasen der romanischen Sprachen weder zur Gänze erfasst noch nach funktionalen Kriterien bis in alle Einzelheiten untersucht. Dietrich (1973, 151; 1996, 224 ff.) hingegen geht sehr wohl davon aus, dass seine funktionale Typologie einen Raster für alle Verbalperiphrasen biete. Er unterscheidet funktional prinzipiell zwischen temporalen, aspektuellen, situierenden und modalen Verbalperiphrasen, 72 wobei durch die situierenden Verbalperiphrasen Handlungen zueinander in Beziehung gesetzt werden und durch die modalen vor allem die „Befindlichkeit des Subjekts in Bezug auf die Ausführung der Handlung“ ausgedrückt wird. Dabei geht es in erster Linie um Notwendigkeit, Verpflichtung, Möglichkeit, Intention und Zugeständnis (Dietrich 1996, 227). Wie wir aber sehen werden, drücken sehr wohl auch a priori der Schau zuzurechnende Verbalperiphrasen bis zu einem gewissen Grad des Sprechers Befindlichkeit aus. Untersuchen wir nun exemplarisch mit Blick auf die zirkumstantiellen Realisierungen von Aktualität, Aspekt und Modalität einige Textstellen aus den Reden 72 In seiner verbalperiphrastischen Zusammenschau nennt Dietrich (1996, 224 ff.) nun als Funktionen der aspektuellen Verbalperiphrasen subkategorisierend: 1. die Wiederholung, 2. die objektive Vollendung der Verbalhandlung, 3. die produktiv-resultative Funktion, 4. die Schau (partialisierende Winkelschau, partialisierende komitative Schau, partialisierende prospektive Schau, partialisierende retrospektive Schau, partialisierende kontinuative Schau, partialisierende extensive Schau und die globalisierende Schau) und 5. die Phase der Realisierung (die imminentielle Phase, die inzeptive oder ingressive Phase, die progressive Phase, die kontinuative Phase, die konklusive Phase und die egressive Phase). Als Funktionen der situierenden Verbalperiphrasen nennt er 1. die Einreihung durch Verba adiecta, 2. die resultierende Handlung und 3. die Abhebung einer Handlung von einer anderen implizit anzunehmenden. <?page no="115"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 109 Francos, und zwar in einem ersten Schritt hinsichtlich ihrer verbalperiphrastischen Realisierungen. (III.44) Somos un pueblo que ha sabido descubrir, por encima de las ficciones de la política, que el mundo viene moviéndose desde hace algunos años por el impulso de los intereses, y que los partidos que tienen un nexo económico-social acaban barriendo a los que, encastillados en doctrinas románticas, pero ya inoperantes, se atomizan en la esterilidad. (Franco 1945a, 10, 59-64) In der Verbalperiphrase venir + Gerundium ist es das Verb venir, a priori ein Vollverb, das als Auxiliarverb fungiert. Den Auxiliarverben kommt in den Verbalperiphrasen eine wichtige, im Grunde sogar eine entscheidende Rolle zu, da gerade sie in diesen für die temporale, aspektuelle, situierende bzw. modale Bedeutung verantwortlich sind, wie durch die Oppositionen estar moviéndose vs. venir moviéndose, ir moviéndose vs. venir moviéndose, llevar moviéndose vs. venir moviéndose etc. deutlich wird. Durch venir + Gerundium kommt einerseits aspektuell der progressive Charakter der Handlung bzw. des Geschehens zum Ausdruck (vgl. Bruyne 1993, 503), andererseits wird aber auch die für den Redner im Augenblick des Sprechaktes anhaltende Aktualität, emotionale Nähe und Brisanz der Handlung bzw. des Geschehens betont. Franco gibt sich somit als derjenige, der den Zeitgeist erfasst hat und für ein modernes Spanien stehen will. Die aspektuelle Nuance der gerundivischen Verbalperiphrase acabar barriendo in (III.44) drückt zum einen Unvollendetheit aus, zum anderen aber auch, dass der Sieg der Moderne über die verkrustete Vergangenheit ein im Grunde längst überfälliger ist. Die Veränderung war sozusagen - zumindest in den Augen des Sprechers - mehr oder weniger in the air. Acabar + Gerundium impliziert so etwas wie schließlich oder endlich in der Funktion eines modalisateur 73 und vermittelt insofern eine bestimmte Modalität, als es sich um eine gewisse Betrachtungsweise bzw. subjektive Einsicht von situativer oder persönlicher Notwendigkeit handelt. Anders gesagt, präsupponiert acabar + Gerundium eine der denotierten Handlung vorangehende anhaltende, angespannte Situation der Unsicherheit, der Zögerlichkeit oder einfach des Unvermögens, schon früher dem propositionalen Gehalt der Verbalperiphrase entsprechend zu agieren, d.h. schon früher das durch die Verbalperiphrase Denotierte umzusetzen, was dann, nach dem Ende der Phase der Unsicherheit, der Zögerlichkeit oder des Unvermögens, letztlich doch geschieht. Die Darstellung dieser Überwindung der inneren oder äußeren Hürde, d.h. des Sieges über die oben genannte Situation der Unsicherheit, der Zögerlichkeit oder des Unvermögens, ist nicht zuletzt eine Frage der Wahrnehmung und Sehweise und insofern Teil der Modalität. (III.45) [...] Luego vino la época del dejar hacer, signo de todo el siglo XIX, y al compás de ese « dejar hacer » España se ha ido deshaciendo. (Franco 1945b, 619, 3-5) 73 Unter modalisateurs kann man also zusammenfassend „les moyens par lesquels un locuteur manifeste la manière dont il envisage son propre énoncé“ (Dubois et al. 2 2001, 305) verstehen. <?page no="116"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 110 Ir + Gerundium drückt primär aus, dass etwas langsam und allmählich vonstatten geht (vgl. Bruyne 1993, 503). In (III.45) klingt dadurch auch eine gewisse Unaufhaltsamkeit eines Prozesses, nämlich des Zerfallsprozesses des alten Spaniens, das dem neuen Spanien unter Franco quasi naturgemäß Platz machen sollte, an. 74 Der in der Verbalperiphrase inkludierte aspektuelle Zirkumstant ist der imperfektivische, und der modalisierende ist die Notwendigkeit des langsamen Zerfallsprozesses als subjektive Wahrnehmung oder Betrachtungsweise. (III.46) Claro que no vamos a hacerlo [resolver el problema más importante de la provincia de Badajoz] en un mes ni un año; vamos a hacerlo en etapas [...]. (Franco 1945b, 620, 63-64) In (III.46) wird zweimal das analytische Futur in der Form der Verbalperiphrase ir a + Infinitiv verwendet. Diese immer gebräuchlicher werdende Form des Futurs drückt unter dem Blickwinkel des Aspekts bzw. der Modalität ein persönlicheres und näheres Verhältnis des Sprechers zum durch die Aussage denotierten Geschehen aus, als dies das synthetische Futur haremos täte. Insofern gilt auch hier, „el verbo cuasiauxiliar aporta las significaciones morfemáticas y algún matiz léxico de modo de acción, mientras que el valor léxico central lo proporciona el infinitivo“ (Marcos Marín et al. 2 1999, 237). Die in dieser Verbalperiphrase inkludierte Modalität liegt also im persönlichen reflektiven Näheverhältnis des Redners zum Tun in der Zukunft. Lo haremos wäre formeller und sachlicher und entspräche somit einer distanzierteren Betrachtungsweise. Das synthetische Futur mutet außerdem weniger aktuell an als das hier verwendete analytische, wobei sich bezüglich der durch die jeweilige Futurform erfassten prospektiven Distanz allerdings keine klaren Unterschiede zwischen synthetischem und analytischem Futur ausmachen lassen. 3.5.1.2 Die Tempora Betrachten wir nun in einem zweiten Schritt Aktualität, Aspekt und Modalität als Ergebnis der jeweiligen Tempusrealisierung, und zwar exemplarisch anhand von Textstellen aus Reden von Mussolini. (III.47) Ebbene, camerati, in queste tre parole [Credere! Obbedire! Combattere! ] fu, è e sarà il segreto di ogni vittoria. (Mussolini 1939, 253, 149-150) Das passato remoto kann als die prototypische Perfektivrealisierung des Italienischen angesehen werden. Selbst wenn diese Verbform - zumindest in der heutigen Verwendung - nicht mehr unbedingt große zeitliche Distanz zwischen dem Augenblick des Sprechaktes und der denotierten Handlung impliziert, so wird diese oder das denotierte Geschehen allemal perfektivisch als abgeschlossen oder vollendet betrachtet. 74 Diese Bedeutung wird ferner dadurch verstärkt, dass Spanien als Erstaktant Malefaktiv ist, und ein für den Zerfallsprozess verantwortlicher Agens an der Textoberfläche gar nicht erst in Erscheinung tritt. <?page no="117"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 111 Das einfache Präsens, il presente, drückt in seiner primären Verwendungsfunktion 75 einerseits aktuell Gültiges und andererseits generisch gesehen zeitlos Allgemeingültiges aus. 76 Das Futur als „Tempus der Prophezeiung“ (Schwarze 2 1995, 725) hat analog zu den anderen Tempora ebenfalls verschiedene Verwendungszwecke, bezieht sich aber in seiner primären oder originären Funktion auf Zukünftiges. In (III.47) entsteht durch die Aneinanderreihung der Realisierungen von essere im passato remoto, im presente und im futuro der Eindruck überzeitlicher Aktualität oder Gültigkeit. In der indikativischen Verwendung inkludieren fu, è und sarà ferner als modalisierende Zirkumstanten des Autors Sehweise einer Art Notwendigkeit, quasi als logische Folge von Naturgesetzen oder apodiktischen Wahrheiten. (III.48) Date queste condizioni, non è il regime che ha tradito la monarchia, ma è la monarchia che ha tradito il regime, anche se oggi è decaduta nella coscienza e nel cuore del popolo. (Mussolini 1943, 4, 127-129) Durch das passato prossimo Denotiertes entbehrt nicht einer gewissen Aktualität im Augenblick des Sprechaktes, obwohl es sich a priori um ein Vergangenheitstempus handelt. Serianni ( 5 1999, 471) spricht in Anlehnung an Bertinetto von der „rilevanza attuale del processo considerato psicologicamente attuale nei suoi perduranti effetti.” In der obigen Textstelle heißt es La monarchia ha tradito […] und la monarchia è decaduta […]. Sowohl Fall als auch Verrat haben sich bereits ereignet. Beide sind jedoch im Augenblick des Sprechaktes von eminenter aktueller Relevanz. Aspektuell punktuell-perfektivisch dargestellt, liegen sowohl die Handlung als auch das Geschehen für Redner und Zuhörer in der Vergangenheit. Durch das passato prossimo schafft der Redner allerdings den Spagat zwischen perfektivischem Aspekt und aktueller Brisanz im Augenblick des Sprechaktes. Dies bedeutet ferner, dass die beiden Verben neben dem aktualisierenden und dem aspektuellen auch einen modalisierenden Zirkumstanten inkludieren, der des Redners emotionale Nähe zum Geschehen indiziert. (III.49) Il giorno 15 settembre il Partito Nazionale Fascista diventava il Partito Fascista Repubblicano. Non mancarono allora elementi malati di opportunismo o forse in stato di confusione mentale, che si domandarono se non sarebbe stato più furbesco eliminare la parola « fascismo », per mettere esclusivamente l’accento sulla parola « Repubblica ». (Mussolini 1944, 129, 128-133) Obwohl es sich um ein punktuelles, in der Vergangenheit liegendes Ereignis handelt, steht diventare in (III.49) im imperfetto. Es handelt sich dabei offensichtlich 75 Generell empfiehlt es sich, zwischen tempo fisico und tempo linguistico - im Sinne von Zeit vs. Tempus - zu unterscheiden, die - wie unzählige Male beschrieben - keinesfalls immer korrelieren (Serianni 5 1999, 383; Dardano/ Trifone 1997, 279; etc.) 76 Bezüglich der Verwendung des presente heißt es bei Serianni ( 5 1999, 466): „Nel suo valore tipico e fondamentale è il tempo che situa un’azione in prospettiva di simultaneità, sottolineando la contemporaneità fra momento del fatto e momento della parola, dell’esecuzione della frase.“ An zweiter Stelle nennt er das presente acronico, „[che] qualifica una situazione come fuori dal tempo, in quanto ad essa viene attribuita validità perenne, applicabilità universale.“ <?page no="118"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 112 um ein imperfetto narrativo, storico oder auch cronistico, das die durch das Verb denotierte Handlung scheinbar andauern lässt (vgl. Serianni 5 1999, 469). 77 Ein punktuelles Ereignis wird somit erstens aspektuell imperfektivisch, zweitens mit gesteigerter Aktualität und drittens, daraus resultierend, mit erhöhter Betroffenheit des Redners als inkludiertem modalisierendem Zirkumstanten präsentiert. Die zwei Verben im passato remoto non mancarono und si domandarono inkludieren den perfektivischen Aspekt. Die Aktualität des betreffenden Ereignisses bzw. der betreffenden Handlung ist für Mussolini offensichtlich so weit aus dem Blickfeld gerückt, wie der Angesprochenen Idee, auf den Namen Partito Fascista zu verzichten. Modalisierend sind diese beiden Verbformen insofern, als sie im Gegensatz zu diventava des Redners Distanz zu dem durch diese Verben Denotierten inkludieren und somit emotionale Ferne ausdrücken. (III.50) Difatti, gli angloamericani entrano in Roma il 5 giugno. (Mussolini 1944, 134, 338) In (III.50) ist das Verb entrare, das sich auf ein punktuelles, in der Vergangenheit liegendes Ereignis bezieht, im presente realisiert. Es handelt sich hierbei um einen prototypischen Fall eines presente storico, dessen Funktion das Herausholen des Ereignisses aus der Vergangenheit, also dessen Aktualisieren ist. Nach Serianni ( 5 1999, 467) ist die zentrale Funktion des presente storico jene, „di drammatizzare il narrato, coinvolgendovi il lettore o l’ascoltatore.“ Das Verb entrano in diesem Kontext inkludiert somit einen aktualisierenden und einen modalisierenden Zirkumstanten. Der aktualisierende rückt das Ereignis für alle in die Gegenwart, der modalisierende bringt des Redners persönliche Betroffenheit zum Ausdruck. 3.5.1.3 Der Konjunktiv Trotz zahlreicher Parallelen in der Verwendung des Konjunktivs in den hier behandelten Sprachen gibt es auch viele Unterschiede. Am Beispiel von Auszügen aus Reden von Salazar wollen wir jetzt den durch den konjunktivischen Modus primärrealisierten aktualisierenden, aspektuellen und modalisierenden Zirkumstanten im Portugiesischen nachgehen. Ohne im Detail auf die Verwendung des Konjunktivs einzugehen, gilt für die vier uns hier interessierenden romanischen Sprachen, was Cunha/ Cintra ( 16 2000, 464) einleitend zur Verwendung des Konjunktivs im Portugiesischen feststellen: „Ao empregarmos o modo conjuntivo [...] encaramos [...] a existência do facto como uma coisa incerta, duvidosa, eventual ou, mesmo, irreal.“ (III.51) [...] se a Europa proclamar o princípio de que esses núcleos representam projecç-o ou afirmaç-o de soberania estrangeira em verdadeiros enclaves, logo haverá quem divise no fenómeno começo de invas-o política e novos obstáculos surgir-o à colocaç-o no mundo de excedentes demográficos. (Salazar 1939a, 144, 173-179) 77 Auf gleiche Weise beschreibt Grévisse ( 11 1980, 835) das imparfait narratif: „On étend, en quelque sorte, le moment précis dont il s’agit et l’on présente l’action comme si elle avait eu une certaine continuité.“ <?page no="119"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 113 (III.51) enthält den futurischen Konjunktiv o futuro do conjuntivo simples, der Eventualität in der Zukunft indiziert. Proclamar in se a Europa proclamar inkludiert somit neben dem primärrealisierten temporalen Zirkumstanten einen primärrealisierten modalisierenden Zirkumstanten, der eine zukünftige Möglichkeit zum Ausdruck bringt. (III.52) [...] o comunismo, embora fortemente batido na Península, n-o morreu e n-o desarma, e há-de prosseguir na sua luta, à luz do dia ou na sombra das organizações secretas, sempre pronto a reviver e a infiltrar-se enquanto lho permitam a fraqueza das nações e o desvario dos homens. (Salazar 1939b, 160, 15-20) Auf enquanto, d.h. während bzw. solange, folgt im Portugiesischen in Bezug auf die Zukunft der Konjunktiv, in Bezug auf die Vergangenheit der Indikativ, zumal das Zukünftige eine gewisse Unsicherheitskomponente enthält. In (III.52) steht das Verb im presente do conjuntivo und drückt somit Möglichkeit und Ungewissheit aus. In permitam ist der temporale Zirkumstant insofern nur sehr vage primärrealisiert, als er sich sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Zukunft bezieht. Durch den konjunktivisch realisierten modalisierenden Zirkumstanten in permitam wird also eine Möglichkeit ausgedrückt. (III.53) [...] Bendigamos a Paz! Depois a Providência dispôs em seus altos desígnios que pudéssemos atravessar o conflito sem sermos directa e activamente envolvidos nele e sem nele sacrificarmos mais que dinheiro, esforços, cuidados, algumas privações, o que, sendo muito em si, tudo se deve ter por pouco, em face do que outros houveram de sofrer. (Salazar 1945a, 95, 49- 56) Das presente do conjuntivo in bendigamos realisiert den Imperativ der ersten Person Plural, das imperfeito do conjuntivo in (que) pudéssemos ein Ziel in der Vergangenheit. Bendigamos inkludiert insofern einen modalisierenden Zirkumstanten, als der Redner durch den Imperativ eine Verpflichtung bzw. eine Notwendigkeit zum Ausdruck bringt. Mit dem Verb im Indikativ wäre es ein neutraler Aussagesatz. Im zweiten Fall ist die Verwendung des Konjunktivs grammatisch bedingt, d.h. also die einzige mögliche Lösung, drückt aber ebenfalls eine zukünftige Möglichkeit aus, allerdings aus der Perspektive der Vergangenheit. 3.5.2 Die Vermittlung von Bedingung Wie bereits oben ausgeführt, indiziert der Konditional im Allgemeinen die Möglichkeit oder auch die Unmöglichkeit des Eintretens eines Ereignisses infolge bestimmter genannter oder ungenannter Bedingungen. Doch auch der Konditional kann neben dieser prototypischen Funktion noch weitere weniger typische Funktionen erfüllen. So dient er etwa - hier speziell im Französischen - auch dazu, des Redners Zweifel an dem durch das Verb Denotierten zu indizieren, dessen Entrüstung darüber zu kennzeichnen, sein Ansiedeln desselben im Reich der Phantasie zu markieren oder auch einfach dazu, einen Wunsch auszudrücken (vgl. Grévisse 11 1980, 848 ff.). <?page no="120"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 114 (III.54) [C’est dans l’honneur et pour maintenir l’unité française - une unité de dix siècles - dans le cadre d’une activité constructive du nouvel ordre européen, que j’entre aujourd’hui dans la voie de la collaboration.] Ainsi, dans un avenir prochain, pourrait être allégé le poids des souffrances de notre pays, amélioré le sort de nos prisonniers, atténuée la charge des frais d’occupation. Ainsi pourrait être assouplie la ligne de démarcation et facilités l’administration et le ravitaillement du territoire. (Pétain 1940b, 95, 33-41) In erster Linie ist im Verbverband pourrait + être + Partizip Perfekt, der ganz im Sinne der Verbalperiphrasen als verbale Einheit zu sehen ist, jeweils ein konditionaler Zirkumstant primärrealisiert. Die Bedingung für das Eintreten des Erwünschten stellt Pétain als bereits von ihm selbst erfüllt dar, und zwar durch das Adverb ainsi als tertiärrealisiertem Modalzirkumstanten, der auf seinen Entschluss zur Kollaboration rekurriert. Ferner inkludiert der Konditional prinzipiell einen modalisierenden Zirkumstanten, der jeweils zwischen Möglichkeit und Verpflichtung angesiedelt ist. Hier ist es die Möglichkeit, die akzentuiert wird. (III.55) [Vous trouverez, dans l’adversité même, le sens et le chemin de la grandeur. Mais sachez vous garder des tentations et des chimères.] La barbarie communiste, si elle triomphait, ne pourrait que détruire à jamais notre civilisation et notre indépendance nationale. (Pétain 1943a, 302, 95-99) Auch in (III.55) wird durch pourrait + Infinitiv in erster Linie ein konditionaler Zirkumstant primärrealisiert. In diesem Fall wird aber die Bedingung selbst phrastisch durch einen untergeordneten Konditionalsatz, nämlich si elle [la barbarie communiste] triomphait, quintärrealisiert. Der inkludierte modalisierende Zirkumstant verweist in diesem Fall fast auf eine situationsinhärente Notwendigkeit. Es liegt quasi in der Natur der barbarie communiste zu zerstören, sodass sie auch die westliche oder französische Kultur zerstörte, wenn sie nur Gelegenheit dazu hätte. 3.5.3 Die kommunikativ notwendige Vermittlung von Umständen Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die syntaktische Wohlgeformtheit allein in der Kommunikation sehr oft kein hinreichendes Kriterium ist. Um die Äußerung kommunikativ relevant zu machen, bedarf es in vielen Fällen der Explizierung von Umständen, worin eine zentrale Funktion der Zirkumstanten zu sehen ist, was anhand der folgenden Textstellen deshalb auch ausführlich zu illustrieren ist. (III.56) Nuestra Nación, que luchó con heroísmo durante tres años por salvar a la civilización cristiana de su desaparición en Occidente, vive en estos momentos los dolores de los otros pueblos de Europa y une su voz a la suprema Autoridad de la Iglesia Católica, de nuestra dilecta hermana la Italia Imperial y de tantos Estados que propugnan el cese de una lucha que, de llevarse hasta el final, abrirá el paso hacia Occidente de la barbarie asiática. (Franco 1939, 30, 724-732) <?page no="121"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 115 Con heroísmo ist ein quartärrealisierter modaler Zirkumstant, durante tres años ein quartärrealisierter temporaler, por salvar a la civilización cristiana de su desaparición en Occidente ein durch eine satzwertige Infininitivkonstruktion quintärrealisierter finaler, de llevarse hasta el final ein quintärrealisierter konditionaler und hacia Occidente ein quartärrealisierter direktiv-lokaler Zirkumstant. Machte Franco diese Äußerung ohne die Zirkumstanten, also im Sinne von Nuestra Nación, que luchó, vive los dolores de los otros pueblos [...], so wären zwar alle Relatpositionen der Verben besetzt, und die Äußerung wäre eine wohlgeformte, Franco hätte die Essenz seiner Botschaft jedoch nicht vermittelt. (III.57) Estaban justificados el ceño y la violencia cuando no existía otro camino para salvar a España, cuando estábamos en la brecha. (Franco 1942b, 245, 142-144) (III.57) präsupponiert aufgrund der beiden quintärrealisierten temporalen Zirkumstanten, dass die finstere Miene und Gewalt a priori nicht gerechtfertigt sind. Verzichtete Franco auf die temporalen Zirkumstanten, so bedeutete dies, dass er einst, ohne Bedingungen zu spezifizieren, Gewalt gutgeheißen hätte, was wahrscheinlich auch bei der Zuhörerschaft nicht gut ankäme. Die Spezifizierung der Zirkumstanten lässt ihn hingegen als den Retter Spaniens erscheinen. (III.58) [Il morale dei popoli dell’Asse è infinitamente superiore al morale del popolo inglese.] L’Asse lotta nella certezza della vittoria, la Gran Bretagna lotta perché, come ha detto Halifax, non ha altra scelta. (Mussolini 1941a, 56, 232-234) Die Relevanz der Äußerung (III.58) liegt genau in der Gegenüberstellung des quartärrealisierten Modalzirkumstanten nella certezza della vittoria und des quintärrealisierten Kausalzirkumstanten perché […] non ha altra scelta. Die entsprechende Äußerung ohne explizierte Zirkumstanten, wie L’Asse lotta, la Gran Bretagna lotta, wäre kommunikativ irrelevant. Die Zirkumstanten scheinen aus diesem Grunde im Diskurs besonders wichtig und werden möglicherweise von der Zuhörerschaft schon deshalb nicht auf ihre inhaltliche Stichhaltigkeit überprüft. (III.59) La parola fedeltà ha un significato profondo, inconfondibile, vorrei dire eterno nell’anima tedesca. (Mussolini 1943, 2, 32-33) Fehlte in (III.59) der quartärrealisierte Lokalzirkumstant nell’anima tedesca, so hätte die Aussage eine völlig veränderte Bedeutung. Es wären hohle, allgemeine Ausführungen zum Begriff der fedeltà. Somit ist es auch in (III.59) wiederum der Zirkumstant, bzw. noch auf der Ebene der Semantik der Modifikator, der den kommunikativ entscheidenden Beitrag zur Proposition leistet. (III.60) Je m’adresse aujourd’hui à vous, Français de la métropole et Français d’outre-mer, pour vous expliquer les motifs des deux armistices conclus, le premier, avec l’Allemagne, il y a trois jours, le second avec l’Italie. (Pétain 1940a, 63, 1-4) Auch in (III.60) ist der quintärrealisierte finale Zirkumstant - mit attributiver Partizipialkonstruktion - hinsichtlich der kommunikativen Relevanz unentbehrlich. Je m’adresse aujourd’hui à vous, Français de la métropole et Français d’outre-mer wäre ohne jeden Zirkumstanten als Eingangsstatement zu einer Rede kommunika- <?page no="122"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 116 tiv völlig irrelevant. Der explizierte finale Zirkumstant erlangt dadurch das entscheidende semantisch-pragmatische Gewicht der Äußerung. (III.61) Dans la France nouvelle, nul ne sera sauvé s’il [le terrien] n’a d’abord travaillé à se réformer lui-même. (Pétain 1941c, 126, 95-96) Noch fataler als in (III.60) wäre die auf das Minimum reduzierte Aussage in (III.61), nämlich Nul ne sera sauvé. Fehlte der quartärrealisierte Lokalzirkumstant, so erwürbe die Aussage eine allgemeingültige Qualität. Unterließe Pétain jedoch die Spezifizierung der Bedingung - hier in Form des quintärrealisierten konditionalen Zirkumstanten - , so käme seine Aussage einem Zeichen von Hoffnungslosigkeit gleich, was sich in einer politischen Rede zweifellos nicht besonders konstruktiv anhörte. Gleichzeitig gewinnt dadurch vor allem der konditionale Zirkumstant in satzfinaler, sprich a priori rhematischer Position, im Sinne der kommunikativen Dynamik an kommunikativer Relevanz. (III.62) Le travail répond à cette loi sévère de la nature que rien ne s’obtient sans effort. (Pétain 1941d, 128, 16-17) Ähnliches wie für (III.61) gilt für (III.62). Eine Aussage wie Rien ne s’obtient für sich allein, d.h. ohne den quartärrealisierten Modalzirkumstanten, der an und für sich allerdings eine Bedingung ausdrückt, wäre Pessimismus pur bzw. in der politischen Rede sogar kommunikativer non-sense. (III.63) Faites loyalement un retour sur vous-mêmes. (Pétain 1943a, 300, 58) Loyalement ist ein tertiärrealisierter Modalzirkumstant, sur vous-mêmes ein quartärrealisierter direktiver Lokalzirkumstant. Der modale Zirkumstant schiene kommunikativ u.U. entbehrlich, der lokale hingegen unter keinen Umständen. Faites un retour wäre in dieser Form sinnlos, wodurch erneut die in vielen Fällen kommunikativ entscheidende Rolle der Zirkumstanten deutlich wird. (III.64) Atravessámos incólumes a guerra e, podemos dizê-lo, sem sacrificar nem a dignidade da Naç-o nem os seus interesses e amizades. (Salazar 1945a, 95, 56-59) Incólume ist von der lexikalischen Kategorie her ein Adjektiv, das in (III.64) aber sehr wohl als Zirkumstant fungiert. Ohne diesen - folglich - sekundärrealisierten Modalzirkumstanten und ohne den quintärrealisierten Modalzirkumstanten sem sacrificar nem a dignidade da Naç-o nem os seus interesses e amizades - und in diesem Fall wohl auch unter Einsparung der Inzise podemos dizê-lo - lautete Salazars reduzierte Äußerung Atravessámos a guerra, die im Vergleich zur getätigten Aussage nur sehr beschränkt aussagekräftig wäre, geht es dem Redner doch sowohl beim ersten als auch beim zweiten Modalzirkumstanten um die Feststellung und Hervorhebung der Unversehrtheit Portugals im und nach dem Krieg. (III.65) A guerra foi conduzida pelas potências aliadas sob a bandeira da democracia e do antinazismo, mas sempre me pareceu evidente que estes dois termos traduziam apenas as duas faces ou aspectos da mesma concepç-o filosófica e política e n-o envolviam o ataque a formas diversas de organizaç-o do Poder. (Salazar 1945b, 114, 354-360) <?page no="123"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 117 (III.65) enthält wiederum einen quartärrealisierten Modalzirkumstanten, nämlich sob a bandeira da democracia e do antinazismo, der unter der Voraussetzung, dass der Kontext bekannt ist, kommunikativ eventuell entbehrlich wäre und dann primär der Hervorhebung der Ideologie der Alliierten diente. 3.5.4 Die Vermittlung der Legitimation des Redners Aussagen: attitudinale Zirkumstanten Eine Rede besteht aus einer Reihe von Aussagen mit propositionalen Inhalten. Es genügt nun aber offensichtlich in der Regel nicht, dass der Redner die Propositionen in Äußerungen kleidet und diese aneinander reiht. Um ganze Überzeugungsarbeit zu leisten, versucht der Redner oft, anstatt logisch und plausibel zu argumentieren, was ihm in der Tat nicht selten zum Verhängnis werden könnte, apodiktische Aussagen zu zementieren, seine geäußerte Meinung zu bekräftigen, seine kund getane Haltung zu verstärken. Dieser Funktion dienende Zirkumstanten nennen wir deshalb attitudinale Zirkumstanten. Attitudinale Zirkumstanten rekurrieren nicht auf das Sagen, sondern auf das Gesagte, „ils portent sur des aspects du contenu en ajoutant [...] des commentaires à la valeur de vérité de l’énoncé“ (Nølke 1990b, 25). 78 Guimier (1993b, 142) sagt zu en réalité, bei uns die Funktion eines attitudinalen Zirkumstanten innehabend, in seiner Klassifizierung der Gruppe der circonstants caractérisant la visée du discours zugehörig, en réalité „concerne donc l’ensemble de la phrase, laquelle constitue son support d’incidence syntaxique, […] l’adverbe affecte la phrase dans sa totalité.“ Entweder der Redner beteuert mittels attitudinaler Zirkumstanten die Wahrheit des von ihm Gesagten, oder er bewertet dieses kommentierend, oder aber er intensiviert die Proposition des von ihm Gesagten. 3.5.4.1 Wahrheitswert (III.66) [Una illusione e una menzogna stanno alle basi dell’interventismo americano: ] l’illusione che gli Stati Uniti siano ancora una democrazia, mentre sono, di fatto, una oligarchia politico-finanziaria dominata dall’ebraismo, attraverso una forma personale di dittatura. (Mussolini 1941a, 57, 285-288) In (III.66) liefert Mussolini kein einziges Argument, um seine rassistische, antisemitische Behauptung nachvollziehbar zu machen oder zu beweisen. Durch die präpositionale Fügung di fatto, die wir formal zu den quartärrealisierten Zirkumstanten zählen, beteuert er, dass es sich bei seiner Aussage eben um ein unwiderlegbares Faktum handle. (III.67) [Les crises agricoles du passé sont nées de l’absence d’une vraie politique terrienne.] En réalité, la condition paysanne était dédaignée, l’enseignement agri- 78 Nølke (1990b) klassifiziert die Adverbiale (von denen die Adverbien nur ein Teil sind) grob in drei Gruppen: 1. les adverbes connecteurs, 2. les adverbiaux d’énonciation, 3. les adverbiaux d’énoncé. <?page no="124"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 118 cole insuffisant. [Le régime nouveau veut changer tout cela.] (Pétain 1941c, 125, 83- 86) Zum attitudinalen Zirkumstanten en réalité führt Guimier (1993b, 143) u.a. aus, „en réalité ne porte donc sémantiquement ni sur la forme de l’énoncé ni sur son sens mais il dit quelque chose de la visée de discours du locuteur (son vouloir dire).“ Pétains Formulierung mit en réalité in satzinitialer Position impliziert sogar oder deutet zumindest an, dass es auch eine andere, der Nicht-Realität entsprechende Sehweise der Dinge gab oder gibt, die aber nicht seine ist. Pétain gibt somit vor, über die Wahrheit zu sprechen, die Wahrheit erkannt zu haben, ja sogar der Zuhörerschaft die Wahrheit zu bringen. (III.68) Le bon sens indique, en effet, lorsqu’il n’est pas obscurci par la passion ou par la chimère, que l’intérêt primordial, essentiel, des membres d’un même métier, c’est la prospérité réelle de ce métier. (Pétain 1941d, 129, 73-76) Der attitudinale Zirkumstant en effet ist dazu eingesetzt und angelegt, den Wahrheitsgehalt von Pétains Verständnis von gesundem Menschenverstand, le bon sens, zu betonen. Präsupponiert ist, dass man über den gesunden Menschenverstand ohnedies nicht streiten könne. Ob Pétains Schlussfolgerungen eine Frage des gesunden Menschenverstandes sind oder nicht, steht erst gar nicht zur Diskussion. (III.69) [O inimigo tem do seu lado dinheiro com que procura comprar consciências e armamento, técnica com que busca vencer as dificuldades, a eterna fascinaç-o do mal, absoluta independência de regras morais, o ódio - o ódio ao homem, ao pai, ao filho, à mulher, à inteligência, à cultura, à bondade, o ódio que parece n-o cansar, que parece n-o se satisfazer nunca e desdobra sobre as nações desprevenidas o manto negro da crueldade e do terror.] Armas temíveis, sem dúvida; melhores que as nossas? N-o o direi: sobretudo diferentes. (Salazar 1938a, 18-19, 94-105) Sem dúvida, so Salazar, verfüge der Feind über schreckliche Waffen. Durch diesen attitudinalen Zirkumstanten wird der Wahrheitsgehalt der Aussage als über jeden Zweifel erhaben dargestellt. Auch Salazar liefert weder einen Beweis noch eine schlüssige Argumentation für seine Aussage, deren Wahrheit aber offensichtlich keinesfalls in Zweifel zu ziehen sei. (III.70) Há certamente para exame mais profundo muitos conceitos a corrigir; mas sob o aspecto que nos interessa, as recriminações, as queixas, as discussões azedas, as críticas bem ou mal intencionadas, os programas dos partidos ou dos governos fizeram vir ao de cima da consciência pública, como espuma em águas agitadas, a enunciaç-o de grandes problemas nacionais. (Salazar 1943, 387, 103-111) Der tertiärrealisierte attitudinale Zirkumstant certamente in (III.70) räumt scheinbar ein gewisses Zugeständnis ein, allerdings nur um für eine im Anschluss daran zu präsentierende weitere Wahrheit den Boden zu bereiten. So sicher wie es sei, dass manche Konzepte verbessert werden könnten, so unumstößlich sollte die Wahrheit in Salazars Aussage scheinen. <?page no="125"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 119 3.5.4.2 Bewertung Bei dieser Untergruppe der attitudinalen Zirkumstanten geht es nicht mehr um des Redners Beteuerung der Wahrheit des propositionalen Inhalts des von ihm Gesagten, sondern vielmehr um einen vermeintlich kritischen Kommentar dazu. (III.71) [Cada nación resuelve sus problemas internos de acuerdo con sus tradiciones y peculiaridades.] Por ello el problema español es exclusivamente español, y no puede juzgarse a través de la mentalidad ni de la situación de los otros pueblos, que, gracias a Dios, no han llegado todavía al estado de descomposición política que la nación española había alcanzado bajo el signo republicanosocialista. (Franco 1945a, 10, 42-47) Durch die präpositionale Fügung, bei Guimier (1993a, 29) „un groupe prépositionnel prépositionnel“, drückt der Redner zum einen seine Zufriedenheit darüber aus, dass sich andere europäische Staaten im Gegensatz zu Spanien nicht im Auflösungsprozess befinden bzw. befanden, zum anderen impliziert dieser attitudinale Zirkumstant aber auch, dass jene, die durch Gottes Gnaden davor verschont geblieben seien, sich nun auch nicht in Spaniens Angelegenheiten einmischen sollten. (III.72) [(…) no es el mismo el concepto filosófico en una sociedad católica que el que puedan tener los pueblos más materialistas o laicos. (...).] Por ello, en el orden políticofilosófico tiene que haber forzosamente diferencias y matices en la forma de enjuiciar los mismos hechos. (Franco 1945a, 11-12, 109-114) Franco erklärt, dass das philosophische Konzept einer katholischen Gesellschaft ein anderes sei als das einer materialistischen. Aus seiner von ihm unbegründeten Behauptung folgert - und bewertet - er, dass es notwendigerweise zu unterschiedlichen Beurteilungen derselben Fakten kommen müsse. Durch den durch forzosamente realisierten attitudinalen Zirkumstanten entsteht der Eindruck, als ob Francos Einsicht als das einzig mögliche Ergebnis einer kritisch-logischen Auseinandersetzung mit der Problematik wäre. (III.73) En Oviedo alcanza por segunda vez la horda roja los contrafuertes de su catedral, que, batidos por el fuego enemigo, resisten milagrosamente las embestidas rojas. (Franco 1942b, 243, 54-57) Franco bewertet durch den tertiärrealisierten attitudinalen Zirkumstanten milagrosamente die Tatsache, dass die Strebebögen der Kathedrale von Oviedo dem Ansturm der roten Horden standhielten, als ein Wunder, was darauf hindeuten sollte, dass Spanien auf seinem politischen Weg Gottes Segen habe. (III.74) [non è il regime che ha tradito la monarchia, ma è la monarchia che ha tradito il regime (…); ] ed è semplicemente assurdo supporre che ciò possa minimamente compromettere la compagine unitaria del popolo italiano. (Mussolini 1943, 4, 127-131) Semplicemente in è semplicemente assurdo supporre che […] repräsentiert insofern eine Bewertung der Aussage, als die Absurdität der angesprochenen Annahme als eine äußerst offensichtliche, nicht zu hinterfragende dargestellt wird. Kein <?page no="126"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 120 Mensch sollte auf die Idee kommen, die Absurdität der angesprochenen Annahme auch nur im Geringsten zu bezweifeln. (III.75) [O último motivo de n-o temer è conhecermos as posições que o inimigo ocupa e aquelas que se esforça por ocupar. Ele está em muita parte (…).] Simplesmente nós também estamos, estamos sempre e em toda a parte. (Salazar 1938a, 20, 131-147) Simplesmente in (III.75) verweist analog zu (III.74) ebenfalls auf die Offensichtlichkeit der darauf folgenden Aussage, impliziert aber außerdem, dass es geradezu naiv oder eben zu einfach gedacht wäre - und das ist Salazars Bewertung der Situation - zu glauben, dass sie, diejenigen, die einfach dort sind, dem Feind das Feld räumen würden. (III.76) Felizmente os deveres da nossa aliança com a Inglaterra, […], n-o nos obrigam a abandonar nesta emergência a situaç-o de neutralidade. (Salazar 1939c, 174, 15-18) Die Tatsache, dass die Verpflichtungen, die Portugal aus der Allianz mit England erwachsen, keinen Grund für die Preisgabe der Neutralität darstellen, bewertet Salazar als einen glücklichen Umstand. Diese Haltung vermittelt er durch das entsprechende Satzadverbial felizmente. Es handelt sich in diesem Fall also wiederum um einen tertiärrealisierten attitudinalen Zirkumstanten. 3.5.4.3 Intensität Diese dritte Gruppe der attitudinalen Zirkumstanten bezieht sich auf das Sagen und somit nur mittelbar auf das Gesagte. (III.77) Vi dico con la massima schiettezza che ho trovato superfluo convocare una Costituente quando il territorio della Repubblica, dato lo sviluppo delle operazioni militari, non poteva in alcun modo considerarsi definitivo. (Mussolini 1944, 130, 185-188) Um allein den propositionalen Inhalt dieser Äußerung zu vermitteln, könnte Mussolini genauso gut mit Ho trovato superfluo convocare [...] beginnen. Eine erste Intensivierung des propositionalen Inhalts der Äußerung ereignet sich durch die Konstruktion des Satzgefüges. Vi dico che [...] ist satzsemantisch entbehrlich, pragmatisch aber funktional, und zwar insofern, als der Redner als Erstaktant - mit Autorität - in Erscheinung tritt. Der quartärrealisierte Modalzirkumstant in attitudinaler Funktion - con la massima schiettezza - bezieht sich unmittelbar auf das Verb des Sagens, das dadurch näher bestimmt und intensiviert wird und somit mittelbar auf die Proposition des quintärrealisierten Zweitaktanten che ho trovato superfluo convocare [...], die dadurch ebenfalls eine mittelbare Intensivierung erfährt. (III.78) Aux agriculteurs, je demande instamment, […], de livrer exactement leurs produits à la consommation […]. (Pétain 1941c, 123, 23-25) Auch in (III.78) bezieht sich der - in diesem Falle tertiärrealisierte - Pétains Haltung ausdrückende Modalzirkumstant zunächst auf das verbum dicendi demander <?page no="127"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 121 und dadurch mittelbar auf die Proposition der Bitte. Das verbum dicendi wird unmittelbar näher bestimmt, die Proposition der davon abhängigen Infinitivgruppe wird mittelbar intensiviert, und zwar insofern, als sie an Dringlichkeit gewinnt. (III.79) Je vous le dis avec toute la conviction dont je suis pénétré: si la paix qu’attendent ces mauvais Français consiste à revenir aux mœurs politiques, économiques et sociales d’avant-guerre, la France ne se relèvera pas. (Pétain 1943a, 300, 35-38) (III.79) stellt einen analogen Fall zu (III.78) dar. Der attitudinale Zirkumstant in (III.79) rekurriert allerdings auf die Überzeugung als Haltung, während er in (III.78) auf die Dringlichkeit oder Brisanz als Haltung verweist. (III.80) [Eu n-o quero forçar conclusões, mas, se a democracia pode ter, além do seu significado político, significado e alcance social, ent-o os verdadeiros democratas somos nós.] Afirmo-o sem acrimónia, mas convicto. (Salazar 1945b, 119- 120, 501-505) Salazar gibt in (III.80) vor, die Behauptung X ohne Verbitterung aufzustellen. Erneut definiert ein Modalzirkumstant, hier sem acrimónia, unmittelbar des Redners Art zu behaupten, mittelbar aber sehr wohl seine Haltung der Proposition des sekundärrealisierten Zweitaktanten o von afirmar gegenüber, wodurch der Modalzirkumstant sem acrimónia im Grunde erst seine eigentliche attitudinale Funktion erhält. 3.5.5 Die Vermittlung des Redners Sehweise von Zusammenhängen: diskursstrukturierende Zirkumstanten Mittels diskursstrukturierender Zirkumstanten gliedert der Redner seinen Diskurs. Er signalisiert etwa durch kopulative Konjunktionen, was zusammengehört, durch adversative, was zueinander im Gegensatz steht und durch kausale, was wofür eine Erklärung ist. Die verschiedenen Adverbien verweisen interphrastisch - aber intratextuell - auf lokale, temporale, kausale, modale, konsekutive etc. Zusammenhänge, die allerdings wiederum durch den Redner hergestellt werden bzw. hergestellt worden sind. Diskursstrukturierende Zirkumstanten markieren also die Zusammenhänge zwischen den Propositionen einer Rede und zwar - und dies ist hier von entscheidender Bedeutung - aus der Perspektive des Redners. Es ist erstens der Redner, der sowohl die Einheiten als auch die Gegensätze im Text schafft. Es ist zweitens auch der Redner, der für eine chronologisch-lineare oder eine mosaikartig-modulare Darstellungsweise verantwortlich zeichnet und die seiner Meinung nach erforderlichen diskursstrukturierenden Signale setzt, zumal „la linéarisation“, so Guimier (1993b, 128), „constitue [...] un moyen pour l’énonciateur de manifester sa stratégie discursive. Elle a ainsi sa part dans la production du sens, si, en tout cas, on ne réduit pas le sens à sa composante dénotative mais qu’on y inclut tout ce que, sous une forme ou sous une autre, l’énonciateur communique.“ Und drittens ist es ebenfalls der Redner, der aus Prämissen Schlussfolgerungen zieht, somit nicht selten eine eigene intratextuelle Logik etabliert und diese durch neutra- <?page no="128"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 122 le, d.h. a priori nur grammatische Bedeutung innehabende Konjunktionen und Adverbien als objektive Logik erscheinen lässt. (III.81) [¿Es que pueden sentir fidelidad a un sistema quienes sufren en él una situación perpetua de injusticia y de miseria ...? Este ha sido el gran motor explotado por nuestros enemigos; ] y, sin embargo, en la zona nacional, este pueblo, que no es distinto del otro, pues solo la suerte de las armas en los primeros días decidió su situación entre los bandos, ¡qué ejemplos no dió de patriotismo! (Franco 1939, 20, 465-472) Durch die kopulative Konjunktion y werden zunächst zwei Propositionen aneinandergereiht. Semantisch-pragmatisch wird dadurch aber - aus der Sicht des Redners - auch eine gewisse Zusammengehörigkeit der beiden ausgedrückt. Die adversative Konjunktion sin embargo bringt eine Opposition zum Ausdruck, hier - der Meinung des Redners nach - ein positives Verhalten trotz widriger Umstände, während der Redner durch die kausale Konjunktion pues schließlich einer Äußerung erklärende Qualität verleiht. Im Falle von y und pues handelt es sich um sekundärrealisierte Zirkumstanten, im Falle von sin embargo, das als Konjunktion lexikalisiert von der wörtlichen Bedeutung weit entfernt ist, nach dem rein formalen Kriterium um einen quartärrealisierten Zirkumstanten. Alle drei strukturieren jedoch den Diskurs aus dem Blickwinkel des Redners. Anders gesagt, die im Diskurs zum Ausdruck gebrachten Zusammenhänge sind die vom Redner persönlich hergestellten. (III.82) [La prosperidad de todas las clases sociales españoles está íntimamente ligada a la fortaleza de la nación en todos sus órdenes. Fortaleza política, fortaleza económica y fortaleza militar. La quiebra de cualquiera de ellas daría al traste con las otras dos.] Así, lo mismo que no puede concebirse potencia económica sin fortaleza y estabilidad política, tampoco es hoy aceptada la militar que no esté respaldada por la industrial y la económica. (Franco 1942a, 223, 5-13) Das Adverb así ist insofern ein tertiärrealisierter diskursstrukturierender Zirkumstant, als es von Franco als kausales und zugleich konsekutives Bindeglied zwischen Äußerungen eingesetzt wird. Aus der Prämisse La quiebra de cualquiera de ellas daría al traste con las otras dos, die als apodiktische Wahrheit dargestellt wird, ergibt sich die Konsequenz, dass Industrie und Wirtschaft das Militär unterstützen müssen. (III.83) [Il problema razziale non è scoppiato all’improvviso come pensano coloro i quali sono abituati ai bruschi risvegli, perché sono abituati ai lunghi sonni poltroni. È in relazione con la conquista dell’impero; poiché la storia c’insegna che gli imperi si conquistano con le armi, ma si tengono col prestigio. E per il prestigio occorre una chiara, severa coscienza razziale, che stabilisca non soltanto delle differenze, ma delle superiorità nettissime.] Il problema ebraico non è dunque che un aspetto di questo fenomeno. (Mussolini 1938b, 146, 85-93) In (III.83) wird durch das Adverb dunque ebenfalls die Beziehung zwischen Prämisse und Konsequenz hergestellt. Il problema ebraico resultiere - aus der Sicht Mussolinis - notwendigerweise aus der präsentierten, nicht zu diskutierenden <?page no="129"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 123 Prämisse, dass eine klare Rassentrennung Grundvoraussetzung für Prestige sei. Auch in diesem Fall sind die scheinbar logischen Zusammenhänge reine Erfindungen - im Sinne von syntaktischen Konstruktionen - des Redners. (III.84) Tuttavia gli ebrei di cittadinanza italiana, i quali abbiano indiscutibili meriti militari o civili nei confronti dell’Italia e del regime, troveranno comprensione e giustizia; quanto agli altri, si seguirà nei loro confronti una politica di separazione. Alla fine il mondo dovrà forse stupirsi più della nostra generosità che del nostro rigore. (Mussolini 1938b, 146, 99-104) (III.84) ist durch eine adversative Konjunktion eingeleitet, die als sekundärrealisierter diskursstrukturierender Zirkumstant einen Gegensatz zum vorher Gesagten einleitet. Vor dem Hintergrund der Prämisse der natürlichen Notwendigkeit der Rassentrennung entsteht dadurch sogar der Eindruck von Großzügigkeit gegenüber den Juden italienischer Staatsbürgerschaft. Durch das temporale Adverb alla fine als quartärrealisierten diskursstrukturierenden und zugleich temporalen Zirkumstanten wird ein scheinbar beschlossener Endzustand - eine scheinbar beschlossene Endlösung - als Folge der präsentierten Ausführungen zum Thema diskursiv eingeordnet. Auch hier ist die etablierte Abfolge von Ereignissen eine vom Redner konstruierte und diskursiv strukturierte. (III.85) Ils [les ouvriers] veulent ensuite échapper à l’incertitude du lendemain […]. Ils veulent en outre: participer dans une mesure raisonnable aux progrès de l’entreprise à laquelle ils sont associés […]. (Pétain 1941d, 129, 47-53) Die Adverbien ensuite und en outre indizieren in (III.85) ein bereits eingeführtes Paradigma von phrastisch zweitaktantiell realisierten Wünschen der Arbeiter, zu denen Pétain échapper à l’incertitude du lendemain und participer […] aux progrès hinzufügt. 79 Während Pétain durch ensuite gewissermaßen eine syntagmatische Gliederung vornimmt, entbehrt das durch en outre eingeführte Element diese Position in einer linearen Ordnung. (III.86) [Forcés de pourvoir à des tâches nouvelles et pressantes, avons-nous le temps, les moyens, la liberté de bâtir? ] Mais l’Histoire reconnaîtra que nous avons fait tout ce qui était possible pour protéger les ouvriers contre la misère présente et pour répartir l’inévitable épreuve selon la justice. (Pétain 1943b, 306, 17-21) Die adversative Konjunktion mais in (III.86) führt zum einen den von Pétain etablierten Gegensatz zwischen der Enge der gegenwärtigen Situation und dem Weitblick bzw. der Großzügigkeit der Geschichte ein, andererseits aber auch die Opposition zwischen Gegenwart und Zukunft. Durch diese von Pétain vorgenommene 79 Nølke, Henning (1982, 8) erklärt grundsätzlich zu den paradigmatisierenden Adverbialen: „Sémantiquement, ils introduisent une présupposition sur l’existence d’un paradigme, d’où leur dénomination. L’interprétation d’un énoncé renfermant un tel complément adverbial présuppose en effet que l’énoncé actuel est mis en rapport avec un paradigme d’autres énoncés semblables.“ Zu den Adverbialen, die prototypisch als derartige paradigmatisierende Zirkumstanten fungieren können, zählt er etwa même, aussi, surtout, seulement, précisement etc. <?page no="130"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 124 Gliederung entsteht der Eindruck, dass die Bürden der Gegenwart angesichts einer hoffnungsvollen Zukunft leichter zu ertragen sein müssten. (III.87) O inimigo é pois conhecido […]. E aqui temos a primeira raz-o para n-o o temer. (Salazar 1938a, 18, 87-90) Das Adverb pois, im Sinne von also, nun denn, referiert auf eine bereits stattgefundene Abhandlung des entsprechenden Themas. Der Erstaktant o inimigo des ersten Satzes wird somit im Diskursverlauf als wiederaufgenommenes Thema situiert und identifiziert. Durch die kopulative Konjunktion e wird - analog zu (III.81) - der Konnex zwischen den beiden betreffenden Äußerungen hergestellt, die somit semantisch-pragmatisch als eine Einheit zu betrachten sind. Verstärkt wird diese Einheit durch den lokalen Zirkumstanten aqui, der metasprachlich auf den Ort Äußerung der vorangehenden Erklärungen verweist. (III.88) Penso, ao contrário, mais devem interessar-nos os problemas da paz, pois se a guerra tudo pode destruir, por si mesma nada construirá. (Salazar 1941, 299, 70- 73) Die adverbiale Präpositionalgruppe ao contrário ist eine prototypisch adversative. 80 Als diskursstrukturierender Zirkumstant fungiert sie in (III.88) insofern paradigmatisierend, als bereits eingeführt worden sein muss, was Salazars Meinung nach Portugal im Augenblick des Sprechaktes weniger interessieren sollte als der Frieden - a paz. Die Verwendung von pois ist analog zu jener in (III.87). 81 Es wird darauf verwiesen, dass das Thema bereits diskutiert wurde, woraus der Autor nun seine Schlüsse zieht. (III.89) [A economia nacional n-o é necessàriamente autárquica, no sentido de insuficiência e de isolamento, orientaç-o que de um lado esbarra com a multiplicidade das trocas e a interdependência da vida moderna, e do outro provoca desvios contrários ao melhor aproveitamento e divis-o do trabalho no mundo.] Finalmente a economia nacional n-o impõe o exclusivismo em favor do capital ou do trabalho nacionais contra o capital ou o trabalho estrangeiros […]. (Salazar 1943, 398, 408-418) Das Adverb finalmente fungiert schließlich wiederum paradigmatisierenddiskursstrukturierend. Es indiziert zum einen paradigmatisierend, dass bereits für das aktuelle Thema Relevantes diskutiert wurde, und zum anderen diskursstrukturierend, dass der Redner nun zum Thema einen Schlusspunkt setzt. 80 Im Portugiesischen bezeichnet man die adverbialen Präpositionalgruppen als locuções adverbiais (Cunha/ Cintra 16 2000, 540 ff.). 81 Im Portugiesischen, vor allem im gesprochenen, gibt es unzählige Verwendungsmöglichkeiten für pois. Im Deutschen müsste man die dadurch zum Ausdruck gebrachten Nuancen oft durch Partikeln wie nun, doch, schon, ja etc. übersetzen (vgl. Hundertmark-Santos Martins 2 1998, 355 ff.). <?page no="131"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 125 3.5.6 Die Vermittlung des Redners Erklärungen seines Diskurses: metadiskursive Zirkumstanten Die metadiskursiven Zirkumstanten, die Nølke (1990b, 25) als adverbiaux d’énonciation bezeichnet, beziehen sich auf das Sagen, „[ils] portent sur le dire.“ 82 Guimier (1993b, 147) hält zu diesem Typus von Zirkumstanten, den er als circonstant à fonction métalinguistique bezeichnet, fest, „[les circonstants à fonction métalinguistique] caractérisent la forme du dire effectif. Ils n’affectent nullement le contenu de l’énoncé lui-même mais sont le signe d’un regard que porte l’énonciateur sur les outils linguistiques auxquels il a recours.“ Der Redner erklärt also vor- oder rückverweisend, dass er etwa bereits Gesagtes zusammenfasst, detaillierter diskutiert oder anders formuliert. (III.90) [La misión del Movimiento nacional no acabó con nuestra Cruzada ni con el restablecimiento de la paz.] Hubiera sido bien menguado nuestro horizonte si hubiéramos dejado a nuestros mejores soldados frente a esa brecha de los muros de Badajoz para devolver su solar de nuevo a la injusticia, al aprovechamiento, para que, en una palabra, continuaran las cosas como están. (Franco 1945b, 619, 11- 17) Die präpositionale Fügung en una palabra als quartärrealisierter metadiskursiver Zirkumstant bedeutet in (III.90), dass Franco die Quintessenz der Folge eines bestimmten Verhaltens in einem Wort komprimieren wird. Eine derartige Reduktion bedeutet eine massive Vereinfachung der Sachverhaltsdarstellung, die auch viel weniger eine Beschreibung als eine Warnung darstellt. Durch diesen metadiskursiven Zirkumstanten gelingt es dem Redner allerdings sehr wohl, die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf das zu Sagende zu lenken, da es sich offensichtlich um den Kern der Aussage handelt. (III.91) [(...) la Costituente nazionale austriaca, sotto il Governo socialista Bauer- Renner, dichiara l’Austria parte integrante del Reich tedesco col nome di « Repubblica dell’Austria tedesca ». (...)] È dunque stabilito che agli inizî di quella che può definirsi l’epoca socialdemocratica, tanto Vienna, quanto Weimar ritenevano logica l’unione dei due Stati in uno solo. (Mussolini 1938a, 67, 17-32) Durch die Quintärrealisierung des metadiskursiven Zirkumstanten che può definirsi [...] gibt Mussolini vor, erläuternde Hilfestellung für leichteres Verständnis zu leisten. In der Tat ist es aber die Absicht des Redners, selbst Definitionen vorzugeben, die en passant als metadiskursive Zirkumstanten eingeführt werden. (III.92) L’armistice, au demeurant, n’est pas la paix. (Pétain 1940b, 96, 45) Das Satzadverbial au demeurant in der Funktion eines metadiskursiven Zirkumstanten bedeutet in (III.92), dass Pétain diese Aussage nur nebenbei macht und ihren propositionalen Inhalt ohnedies als trivial erachtet. Aus der Perspektive der 82 Nølke (1990b, 25) unterscheidet innerhalb dieser Zirkumstantengruppe zwischen adverbiaux illocutoires (franchement, blague à part, etc.), adverbiaux d’interlocuteurs (à mon avis, entre nous, etc.), adverbiaux de présentation (bref, en d’autres termes, etc.) und adverbiaux de pertinence (Si tu as soif, ...). <?page no="132"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 126 Pragmatik hat dieser metadiskursive Zirkumstant aber viel eher die Funktion, den Zuhörern zu bedeuten, dass man sich nach einem Waffenstillstand noch nicht in Sicherheit wiegen kann - und wahrscheinlich aus diesem Grund Pétains Anweisungen Folge leisten soll. (III.93) Nestes termos e para o que nos importa, posta de lado toda a pretens-o científica e mais às luzes da filosofia e do direito político, o que é o Estado? (Salazar 1943, 389, 168- 171) In diesem Satz definiert Salazar ausführlich, nämlich in Form von vier metadiskursiven Zirkumstanten, die Perspektive, aus der er die Frage o que é o Estado? stellt. Die Bestimmung der Perspektive erfolgt erstens durch die präpositionale Fügung nestes termos, zweitens durch die eingeschobene indirekte Frage para o que nos importa, drittens durch die Partizipialkonstruktion posta de lado toda a pretens-o científica und viertens durch den Lokalzirkumstanten mais às luzes da filosofia e do direito político in modaler Funktion. Mittelbar legt Salazar dadurch die für diese Fragestellung relevanten Parameter fest. (III.94) [Contudo, e embora com os olhos embaciados de lágrimas, um íntimo contentamento de alma é justo e devido.] Apontarei, resumidamente, os três motivos seguintes. [...]. (Salazar 1945a, 94, 29-32) In (III.94) signalisiert Salazar wiederum durch den tertiärrealisierten metadiskursiven Zirkumstanten resumidamente, dass er der Zuhörerschaft gewissermaßen die Quintessenz von drei Beweggründen für angestrebtes Verhalten präsentieren wird, sodass sich diese im Vertrauen auf seine Redlichkeit nicht mit unnötigem Informationsballast belasten müsste. Welche Informationen ihr allerdings vorbehalten bleiben, kann sie auf diese Weise natürlich nicht mehr rekonstruieren. 3.5.7 Die Vermittlung der Spannung im Diskurs: markiert serialisierte Zirkumstanten In 2.5.7 war bereits von Spannung im Text durch markierte Aktantenserialisierung die Rede. Es ging vor allem darum aufzuzeigen, dass in Bezug auf die Aktanten Spannung durch Abweichung von der auch für romanische Sprachen i.d.R. gültigen unmarkierten Standardserialisierung S-V-O entsteht. 83 S-V-O sagt nun noch nichts über die topologischen Bedingungen der Zirkumstanten aus. In der Tat ist die Position der Zirkumstanten weniger rigide fixiert als jene der Aktanten. So heißt es einleitend bezüglich der Position der Adverbien im Französischen bei Grévisse: „La place de l’adverbe est assez variable: souvent ce sont des raisons de style - équilibre, rythme, harmonie, mise en relief - qui assignent à ce mot sa place dans la phrase“ (Grévisse 11 1980, 1003) und ähnlich hinsichtlich der compléments circonstanciels ganz allgemein: „Dans un grand nombre de phrases, le 83 Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass es in den romanischen Sprachen sehr wohl Fälle gibt, in denen S-V-O nicht der unmarkierten Serialisierung entspricht, wie etwa im Falle der von Verben der Existenz, des Erscheinens, der Präsentation, der Ankunft, der Abreise etc. abhängigen Serialisierung (vgl. Wandruszka 1982; Contreras 2 1983; Koch 1995, 121; etc.). <?page no="133"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 127 complément circonstanciel se place après le verbe et le complément d’objet […]. - Mais ce sont souvent certaines raisons de style […] ou la suite naturelle des idées qui assignent au complément circonstanciel la place qui lui convient relativement au verbe ou aux autres compléments“ (Grévisse 11 1980, 193). Salvi/ Vanelli (1992, 106) stellen hinsichtlich der Position der Zirkumstanten im Italienischen fest „[che] possono trovarsi in posizione iniziale o finale o tra il soggetto e il verbo come gli Avv frasali [avverbi frasali], e in posizione postverbale come gli Avv verbali [avverbi verbali]. Non si trovano in genere tra ausiliare e verbo.” Das Portugiesische betreffend heißt es bei Hundertmark-Santos Martins: „Normalerweise stehen Adverbien nach dem Verb, auf das sie sich beziehen“ (Hundertmark- Santos Martins 2 1998, 366), bzw. „adverbiale Bestimmungen stehen normalerweise nach der Objektbezeichnung. Sie können aber aus stilistischen Gründen (Emphase, Rhythmus) in einer anderen Position erscheinen, ohne dass der Sinn des Satzes sich ändert“ (Hundertmark-Santos Martins 2 1998, 364). 84 Quilis et al. ( 13 1999, 271) bemerken schließlich noch ganz allgemein zu den Charakteristika der complementos circunstanciales im Spanischen: „son […] elementos opcionales relativamente marginales y facultativos de la oración que gozan de gran movilidad de situación en la misma.“ Aus alldem geht hervor, dass man zumindest im Hinblick auf die Zirkumstanten nicht ohne weiteres von unmarkierter Serialisierung und folglich auch nicht von klar markierter Serialisierung sprechen kann. Und dennoch, ein Unterschied besteht zwischen beispielsweise a) Porque nuestro Movimiento es una manera de ser y de pensar existe en España el Frente de Juventudes (III.95) und b) Existe en España el Frente de Juventudes porque nuestro Movimiento es una manera de ser y de pensar. Am offensichtlichsten ist der oberflächensyntaktische, sich in zwei verschiedenen Serialisierungen manifestierende Unterschied. Es ist nun davon auszugehen, dass verschiedene Serialisierungen weder sprachlicher Luxus zu dekorativen Zwecken noch reine Zufallsprodukte der Kommunikation sind. Der syntaktische Unterschied erfüllt sehr wohl pragmatische Zwecke, und dies betrifft auch die Position der Zirkumstanten. Die Grundlagen der auf einer binären Thema-Rhema-Struktur basierenden funktionalen Satzperspektive (FSP) stammen von der Prager Schule. 85 Zunächst schien diese binäre Thema-Rhema-Struktur ziemlich eindeutig. Das in einer gegebenen Situation Bekannte, von dem der Sprecher ausging, war Thema (vgl. Firbas 1964, 268), das Neue, Unbekannte, über das Thema Prädizierende war das Rhema. In der Folge führte Firbas (1964, 270) den Begriff der kommunikativen Dynamik 86 ein, unter der er „the extent to which the sentence element contributes to the development of the communication, to which it pushes the communication forward“ verstand. Das Grundprinzip der kommunikativen Dynamik ist, dass neue Information prinzipiell einen höheren Grad an kommunikativer Relevanz hat als gegebene. Aus dem Blickwinkel der kommunikativen Dynamik sind Thema und Rhema dann jedenfalls als relative Werte zu betrachten (vgl. Sornicola 1986, 121). 84 Emphase würden wir allerdings nicht als rein stilistischen Grund für eine geänderte Position der adverbialen Bestimmung bezeichnen. 85 Es war vor allem Mathesius, der diesbezüglich Pionierarbeit leistete. 86 Firbas (1964, 270) spricht vom „degree of communicative dynamism.“ <?page no="134"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 128 Für Trávní ek (vgl. Firbas 1964) wie für Halliday (1967) war die satzinitiale Position einer Konstituente hinreichendes Kriterium dafür, diese als thematisch zu erachten, was allerdings in der Zwischenzeit mehrfach widerlegt worden ist (vgl. Wandruszka 1986, 14). Trotzdem kann man zumindest innerhalb der akkusativen Sprachen von einer allgemeinen Tendenz sprechen, thematische Elemente links und rhematische Elemente rechts des Verbs zu positionieren. In diesem Sinne spricht Tonfoni (1985, 182) davon, dass die unmarkierte Serialisierung prinzipiell doch als „rigida” zu erachten sei. Ein prototypisch unmarkiert thematisches Element charakterisiert Casielles-Suárez (1999, 347) folgendermaßen: „[it is] what the sentence is about, what the speaker takes as the point of departure for the sentence, that which is not part of the focus; placed towards the beginning of the sentence, often a subject; often active or salient in the discourse; and often expressed by pronominal or unaccented lexical phrases.“ Etliche dieser Merkmale können nun auch auf Zirkumstanten zutreffen. Exemplarisch sei hierfür nur der adverbiale Situationsverweis - etwa als Lokal- oder als Temporalzirkumstant - in satzinitialer Position genannt, durch den die Situation selbst im weitesten Sinne zum eigentlichen Thema wird (vgl. Wandruszka 1981a, 372). Wandruszka (1981a, 1981b, 1982, 1986), 87 Atkinson (1973) und Contreras ( 2 1983) 88 haben u.a. ausführliche Studien zur markierten Serialisierung durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass auch die Zirkumstanten für sie relativ typische oder relativ untypische Positionen im Satz einnehmen können, dass also auch sie durchaus zur Markiertheit der Serialisierung beitragen, wodurch eine Äußerung beispielsweise Verzögerungseffekte (vgl. Wandruszka 1982, 32; Wehr 1984, 122 ff.) oder „emotive colouring“ (vgl. Firbas 1964, 272) erhalten kann. Die binäre Zerlegung in thematische und rhematische Elemente kann jedenfalls nicht mechanisch erfolgen, sie kann allenfalls ein erster Schritt im Erfassen der Informationsstruktur sein. Wandruszka (1982, 212) resümiert, dass „die präzise Erfassung der Informationsstruktur einzelner Äußerungen [...] die Berücksichtigung verschiedener syntaktischer, semantischer und pragmatischer Faktoren [erfordert].“ Wenn wir nun mit Koch (1994a, 113 ff.; 1994b, 40 ff.; 1995, 16 ff.; 1996, 212 ff.) und Oesterreicher (1991, 351 ff.) zwischen drei Ebenen der Satzstruktur unter- 87 „Die initialen, meist lokalen oder temporalen Adverbiale, sogenannte settings, bezeichnen die Situation, die als Thema der Mitteilung fungiert“, so Wandruszka (1982, 22). Außerdem stellt Wandruszka (1982, 24) generell für das Italienische die Dominanz von A-V-S gegenüber A-S-V fest, wobei das initiale Adverbial - tendenziell als Satzdeterminator - Skopus über den gesamten Restsatz hat. Bezüglich der Adverbiale in postverbaler Position handle es sich entweder um inhärent thematische, die in einem engen Determinationsverhältnis zum Verb stehen, oder ebenfalls um inhärent thematische, die aber aus bestimmten Gründen aus der satzinitialen Position verdrängt werden. Prototypisch für Letztere sei das Direktionaladverbial. In satzfinaler Position ist das Adverbial entweder fokussiert - als rhematischstes Element mit dem höchsten Grad an kommunikativer Dynamik - , oder es hat aber einen deutlich niedrigeren Mitteilungswert als das Subjekt (vgl. Wandruszka 1982, 26 ff.). 88 Als Grundregel für die lineare, normale Serialisierung nennt Contreras ( 2 1983, 97): 1. Rhema rechts von Thema und 2. je stärker die Rhematizität, desto weiter rechts. Dies gilt prinzipiell für Aktanten und Zirkumstanten, wenngleich es natürlich grammatische Beschränkungen für deren Topologie gibt. <?page no="135"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 129 scheiden, nämlich zwischen erstens der syntaktischen, zweitens der semantischsachverhaltsdarstellenden und drittens der Informationsstruktur, dann wird deutlich, dass die jeweilige spezifische informationsstrukturelle Serialisierung sehr wohl nach funktional-pragmatischen Kriterien ausgerichtet wird und so im Dienste der kommunikativen Relevanzgebung steht (vgl. Wotjak 1991a, 124). Betrachten wir anhand der folgenden Textstellen die durch topologische Besonderheiten der Zirkumstanten bedingte Erzeugung von Spannung als eine ihrer textuellen Funktionen. (III.95) Porque nuestro Movimiento es una manera de ser y de pensar existe en España el Frente de Juventudes, que busca las tierras vírgenes de nuestros muchachos, abiertas a la generosidad y a la justicia, para depositar en ellas sus mejores semillas. (Franco 1942b, 241, 2-6) Der Satz (III.95) beginnt mit dem quintärrealisierten Kausalzirkumstanten porque nuestro Movimiento es una manera de ser y de pensar, der laut Franco die Existenz des Frente de Juventudes begründe. Zum einen verstärkt die topikale Position des Kausalzirkumstanten, dass es sich dabei um etwas Gegebenes, hinlänglich Bekanntes und nicht zu Hinterfragendes handelt, zum anderen tritt aufgrund der satzinitialen Position des Kausalzirkumstanten ein doppelter Verzögerungseffekt ein, zumal der Frente de Juventudes als Erstaktant des prototypischen Existenzverbs existir ohnedies schon unmarkiert eine postverbale Position einnimmt. Der Erstaktant gelangt dadurch in satzfinale Position. Er erhält somit zwar den höchsten Grad an kommunikativer Dynamik, der Zuhörer muss sich aber bis zum Ende des Satzgefüges gedulden, um endlich herauszufinden, worüber prädiziert wird. Dadurch entsteht Spannung. (III.96) Chiamandoci ancora e sempre fascisti, e consacrandoci alla causa del fascismo, come dal 1919 ad oggi abbiamo fatto e continueremo anche domani a fare, abbiamo dopo gli avvenimenti impresso un nuovo indirizzo all’azione e nel campo particolarmente politico e in quello sociale. (Mussolini 1944, 129, 141-145) Die von den gerundivischen Konstruktionen - als adverbiale Formen des Verbs 89 - bezeichneten Handlungen, Vorgänge oder Zustände werden semantisch als mit einem anderen Sachverhalt als besonders eng verbunden dargestellt. Das Gerundium an sich präzisiert aber nicht, welcher Natur diese enge Verbundenheit ist. Sie kann - je nach sprachlichem oder außersprachlichem Kontext - modal, instrumental, konsekutiv, kausal, konditional oder auch adversativ interpretiert werden (vgl. Schwarze 2 1995, 217 ff.). In (III.96) indizieren die gerundivischen Konstruktionen Kausalität. Es handelt sich hier also um quintärrealisierte Kausalzirkumstanten, die eine zu (III.95) analoge Funktion innehaben. Die Tatsache, dass sie sich Faschisten nennen, genannt haben und nennen werden, verpflichtet 89 Schwarze ( 2 1995, 217) bezeichnet das Gerundium als adverbiale Form des Verbs, weil es einerseits mit dem Verb die Valenzverhältnisse gemeinsam hat und andererseits mit dem Adverb „die Tatsache, dass es indeklinabel ist und dass die Gerundialkonstruktionen im Satz in gleicher Weise Adjunkt sein können wie Adverbiale und Präpositionalphrasen und auch mit ihnen koordiniert werden können.“ <?page no="136"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 130 quasi zu bestimmten Handlungen, die dadurch auch legitimiert werden. Auch hier entsteht Spannung, weil die Zuhörerschaft zunächst gar nicht wissen kann, erstens wie die gerundivischen Konstruktionen semantisch zu verstehen sind, ob also kausal, modal oder konditional etc., und zweitens was von diesen bezeichnet werden soll. Ein weiterer Zirkumstant, nämlich der quartärrealisierte Temporalzirkumstant dopo gli avvenimenti, sorgt außerdem für weitere Verzögerung, bis endlich der Zweitaktant un nuovo indirizzo und im Anschluss daran der durch e nel campo particolarmente politico e in quello sociale näher spezifizierte Drittaktant all’azione realisiert werden. (III.97) C’est dans l’honneur et pour maintenir l’unité française - une unité de dix siècles - dans le cadre d’une activité constructive du nouvel ordre européen, que j’entre aujourd’hui dans la voie de la collaboration. (Pétain 1940b, 95, 33-36) (III.97) beginnt mit der mise en relief eines quartärrealisierten Modalzirkumstanten, dem ein quintärrealisierter Finalzirkumstant mit Apposition und ein quartärrealisierter Lokalzirkumstant im figurativen Sinn folgen. Der sekundärrealisierte Erstaktant von entrer ist je, zwischen dem Verb und dem von diesem abhängigen, also obligatorischen Lokalzirkumstanten - hier wiederum im figurativen Sinn - ist allerdings noch ein weiterer Zirkumstant, nämlich der tertiärrealisierte Temporalzirkumstant aujourd’hui, eingeschoben. Es entsteht somit auch hier Spannung durch Verzögerung. Der obligatorische Lokalzirkumstant dans la voie de la collaboration ist rhematischstes Element. Hier entsteht dennoch der Eindruck, dass es Pétain um ein möglichst langes Hinausschieben des Geständnisses geht, zumal er die Ehre, die Einheit Frankreichs und die neue europäische Ordnung, hervorgehoben in satzinitialer Position, topikalisiert. Außerdem ist ihm bekannt, dass es in Frankreich großen Widerstand gegen seine collaboration gibt. Dies ist aber nur der Versuch einer Erklärung aus dem Kontext, die zugegebenermaßen nicht ganz frei von Spekulation ist. (III.98) Somos e orgulhamo-nos de ser pela nossa organizaç-o, pelo nosso trabalho, pelas nossas concepções políticas e sociais, pela nossa mesma estabilidade factor de paz. (Salazar 1939a, 145, 204-207) Ein Paradebeispiel für Spannung durch zirkumstantiell bedingte Verzögerung liefert Salazar in (III.98). Zwischen dem positiv konnotierten, eindeutig positive Gefühle erweckenden orgulhamo-nos de ser und dem dazugehörigen Prädikativ factor de paz fügt der Redner vier quartärrealisierte Kausalzirkumstanten ein, die, obwohl sie im Grunde nur leere Hülsen darstellen, eine ausreichende und überzeugende Begründung dafür liefern sollen, dass Portugal ein Friedensfaktor sei. Spannung entsteht, weil die Zuhörer erneut bis zum Ende des Satzes warten müssen, bis sie schließlich erfahren, worauf sie stolz sein können. 3.5.8 Die Vermittlung von vermeintlicher Plausibilität: Leerzirkumstanten Durch eine politische Rede sollten die Zuhörer von irgendetwas überzeugt werden. Aus diesem Grunde ist eine politische Rede i.d.R. über weite Strecken argu- <?page no="137"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 131 mentativ angelegt. „Eine Argumentation ist wie ein Organismus,“ sagt Toulmin ( 2 1996, 86), „sie hat eine grobe anatomische Struktur wie auch eine feinere, sozusagen physiologische Struktur.“ Die detaillierte Physiologie müsse nun im Rahmen des Gesamtorganismus studiert werden, das Gesamtwerk dürfe man aber auch bei den Detailanalysen nicht aus den Augen verlieren. In der Argumentation gilt Begründungspflicht (vgl. Kienpointner 1996, 31), d.h. die vorgebrachten Argumente müssen begründet werden können. Bei der politischen Rede haben die Zuhörer aber keine Gelegenheit, die Begründung einzufordern. Ferner gilt das Sachlichkeitsgebot, Appelle an Emotionen galten (und gelten) als verpönt, doch auch hier haben die Zuhörer keine Chance, sich dagegen zu wehren oder zu schützen. 90 Ferner sollte sich der Argumentierende klar ausdrücken, relevante Argumente (vgl. Kienpointner 1992, 17) und plausible Argumentationsmuster liefern, sodass der vertretene Standpunkt aus den Prämissen ableitbar ist (vgl. Kienpointner 1992, 20 ff; 1996, 54 ff.). Dass dem längst nicht immer so ist, illustrieren die folgenden Textstellen, die durchaus - u.a. mittels Leerzirkumstanten - „konstruierte Argumentationen“ darstellen. 91 Unter Leerzirkumstanten verstehen wir jene Zirkumstanten, die der Form nach durchaus auf lokale, temporale, kausale, finale, konditionale etc. Umstände rekurrieren, diese sogar meist aus argumentativ vermeintlich wichtigen Gründen in den Text einführen, sich bei genauerer Untersuchung jedoch als leere Hülsen entpuppen, zumal weder ihre textuelle noch ihre außersprachliche Referenz identifizierbar ist. Es gibt also keine für sich bestehenden, kontextfreien Leerzirkumstanten als inhaltliche - bzw. inhaltslose - Kategorie, sondern Leerzirkumstanten entstehen quasi erst als Pseudoargumente 92 im Text. Einleitend zum Traité de l’argumentation halten Perelman/ Olbrechts-Tyteca ( 5 1992, 1) u.a. Folgendes fest: La nature même de la délibération et de l’argumentation s’oppose à la nécessité et à l’évidence, car on ne délibère pas là où la solution est nécessaire et l’on n’argumente pas contre l’évidence. Le domaine de l’argumentation est celui du vraisemblable, du plausible, du probable, dans la mesure où ce dernier échappe aux certitudes du calcul. Indem man nun die Referenz der zur Diskussion stehenden Zirkumstanten im Dunkeln belässt, steht nichts Evidentes mehr zur Debatte, weshalb die verschiedensten Argumentationslinien 93 die Beweisführung ersetzen können. Wären die Leerzirkumstanten inhaltlich spezifiziert, so käme es mitunter sogar zu evidenter 90 Dazu zählen vorrangig Appelle ad hominem, meint personenstatt sachbezogen, ad baculum, also Angststatt Sachargumente, ad misericordiam, d.h. Mitleidstatt Sachargumente und ad populum, was soviel bedeutet wie, die Masse zu emotionalisieren, anstatt Sachargumente zu liefern (Kienpointner 1996, 39 ff.). 91 Als „konstruierte Argumentation“ im Gegensatz zu einer „realen Argumentation“ bezeichnet Kienpointner (1983, 71) eine „zu Demonstrationszwecken erfundene Argumentation.“ 92 Als Pseudoargument wird in der Argumentationstheorie allerdings auch das argument d’autorité bezeichnet (vgl. Perelman/ Olbrechts-Tyteca 5 1992, 410 ff.). 93 Vgl. vor allem Teil III in Perelman/ Olbrechts-Tyteca ( 5 1992, 251 ff.). <?page no="138"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 132 Inkompatibilität zwischen dem jeweiligen Leerzirkumstanten - der dann natürlich kein Leerzirkumstant mehr wäre - und der von diesem vermeintlich argumentativ unterstützten Äußerung. Der semantisch nicht spezifizierte Leerzirkumstant stellt insofern eine Kompromisslösung dar, als er unspezifiziert aufgrund des allgemeinen Sprach- und Sachwissens auf Kompatibilität mit der entsprechenden Äußerung schließen lässt, spezifiziert jedoch mit dieser oft nicht mehr kompatibel wäre. Perelman/ Olbrechts-Tyteca ( 5 1992, 266) sprechen von der attitude diplomatique, die solche und andere incompatibilités zu vertuschen imstande ist. 94 Folgende Textpassagen enthalten Zirkumstanten, die diesen vorausgehende oder nachfolgende Äußerungen plausibel erscheinen lassen sollen. Sie fungieren somit als Argumente für die Plausibilität der jeweils argumentativ davon abhängigen Äußerung. 95 Es geht hier also um Zirkumstanten, die, auf Autorität, Analogie, Opfergeist etc. basierend, Argumente für die Glaubhaftigkeit von Äußerungen, nicht aber logische Beweise dafür darstellen. (III.99) [...] nos felicitaremos de que, dentro del recato natural de la muchacha mora, que todo lo guarda para el hogar, tengáis todo cuanto los hombres y las mujeres puedan apetecer en el mundo civilizado como regalo para su vida. (Franco 1938, 66, 43-46) Franco sagt den Marokkanern indirekt zu, dass sie einst alles haben würden, was die Menschen der zivilisierten Welt genießen könnten und zugleich aber der natürlichen Sittsamkeit des Maurenmädchens entspräche. Dentro del recato natural de la muchacha mora mit der näheren Spezifizierung durch den Relativsatz que todo lo guarda para el hogar entspricht somit einem quartärrealisierten Konditionalzirkumstanten, der im Grunde nur Schmeichelei bedeutet, und um in der Äußerung auch nur im Geringsten aussagekräftig zu sein, einer Definition bedürfte. Der pragmatische Wert der Äußerung ist Lobhudelei und bedeutet für den Redner keinerlei Verpflichtung. Perelman/ Olbrechts-Tyteca ( 5 1992, 423) zählen zu den techniques de rupture et de freinage u.a. auch das Loben des Gegners. Für Franco handelt es sich zugegebenermaßen bei den Mauren nicht (mehr) um Gegner, ganz im Gegenteil, er sucht ihre Unterstützung. Sein ihnen gegenüber zur Schau gestelltes Wohlwollen ist dennoch in diesem Lichte zu sehen, also nach dem Motto „l’éloge de l’adversaire est [...] le plus souvent autre chose qu’une formule de politesse: il exerce un effet argumentatif.“ 94 Als attitude diplomatique bezeichnen Perelman/ Olbrechts-Tyteca ( 5 1992, 266) jene, „où ne désirant pas, du moins à un moment et dans des circonstances déterminées, se mettre en opposition avec une règle ou résoudre, d’une façon ou d’une autre, le conflit né de l’incompatibilité entre deux règles pouvant s’appliquer à une situation particulière, on invente des procédés pour éviter que l’incompatibilité apparaisse, ou pour remettre à un moment plus opportun les décisions à prendre.“ 95 Vgl. dazu Anscombre/ Ducrot ( 3 1997, 11): „Lorsqu’un locuteur construit une argumentation, il présente […] un énoncé E 1 (ou un ensemble d’énoncés) comme un argument devant autoriser un autre énoncé E 2 explicite ou implicite.“ In den hier zur Diskussion stehenden Textstellen übernehmen jeweils die Zirkumstanten die Funktion des énoncé E 1. <?page no="139"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 133 (III.100) [Ahora comprenderéis los motivos que han llevado a distintas naciones a combatir y alejar de sus actividades a aquellas razas en que la codicia y el interés es el estigma que les caracteriza, ya que su predominio en la sociedad es causa de perturbación y peligro para el logro de su destino histórico.] Nosotros, que por la gracia de Dios y la clara visión de los Reyes Católicos hace siglos nos liberamos de tan pesada carga, no podemos permanecer indiferentes ante esta nueva floración de espíritus codiciosos y egoístas, tan apegados a los bienes terrenos, que con más gusto sacrifican los hijos que sus turbios intereses. (Franco 1939, 16, 316-327) Zwischen den tertiärrealisierten Erstaktanten nosotros und den Verbverband no podemos permanecer fügt Franco den umfangreichen attributiven Relativsatz que por la gracia de Dios y la clara visión de los Reyes Católicos hace siglos nos liberamos de tan pesada carga ein, der den zweigliedrigen quartärrealisierten Kausalzirkumstanten por la gracia de Dios y la clara visión de los Reyes Católicos enthält. Es ist genau dieser Kausalzirkumstant, der die angedeutete Judenvertreibung nicht nur legitim, sondern sogar als einzige (innen)politisch korrekte Maßnahme erscheinen lassen soll. Es handelt sich aber auch hier um einen leeren Kausalzirkumstanten. La clara visión de los Reyes Católicos bleibt unspezifiziert als leere Worthülse im Raum stehen, und vor allem das Heranziehen der gracia de Dios entbehrt jeder vernünftigen und plausiblen Grundlage. Wenn ein derartiger leerer Kausalzirkumstant auch nicht im Entferntesten Kausalität für Handlungen erklärt, so geht der Redner wohl davon aus, dass dieser leere Kausalzirkumstant in einer Gesellschaft, deren manera de ser y de pensar (III.95) zutiefst katholisch ist, auf der emotionalen Ebene seine Wirkung zeitigt. (III.101) Por respetar la conciencia y actuación ajenas, nos creemos con derecho a que se respete y considere la propia, y en este camino del derecho y del respeto mutuo estamos dispuestos a colaborar con entusiasmo en las tareas de la paz y del acercamiento entre los pueblos, para el que España, tan unida a los países americanos por su Historia, su lengua y su civilización, puede constituir uno de los más fuertes eslabones. (Franco 1945a, 12, 115- 121) (III.101) beginnt mit einem quintärrealisierten Kausalzirkumstanten, der die Begründung dafür liefern soll, dass es nur recht und billig ist, sein eigenes Selbstverständnis und Tun zu respektieren. Es fehlt auch hier zum einen eine inhaltliche Spezifizierung des Kausalzirkumstanten, die Franco mangels Tatsächlichkeit auch gar nicht geben könnte. Zum anderen werden implizit la conciencia y actuación propias unhinterfragt als Prämissen für politisches Verhalten eingeführt und postuliert. Es geht nicht darum, diese zu diskutieren oder zu erklären, sondern darum, dass sich Franco implizit einen selbst ausgestellten Blankoscheck für sein politisches Selbstverständnis und Tun von der Zuhörerschaft bestätigen lässt. (III.102) [...] noi vogliamo spezzare le catene di ordine territoriale e militare che ci soffocano nel nostro mare, poiché un popolo di quarantacinque milioni di anime non è veramente libero se non ha libero l’accesso all’Oceano. (Mussolini 1940a, 404, 31-34) Der Zweitaktant von spezzare wird metaphorisch durch das Nominalsyntagma le catene di ordine territoriale e militare mit dem dieses spezifizierenden, sogar ein <?page no="140"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 134 metaphorisch verwendetes Verb enthaltenden Relativsatz, che ci soffocano nel nostro mare, realisiert. Die doppelte Metapherverwendung in der an sich radikalen und kompromisslosen Äußerung bereitet gewissermaßen den Boden für ein starkes, aber emotionales Argument, das das geäußerte Vorhaben legitimieren soll. Der quintärrealisierte Kausalzirkumstant poiché un popolo di quarantacinque milioni di anime non è veramente libero se non ha libero l’accesso all’Oceano mutet allerdings wie eine apodiktische Wahrheit an, die keiner sachpolitisch-rationalen Argumentation standhielte. (III.103) Vinceremo, perché la storia dice che i popoli i quali rappresentano le idee del passato devono perdere dinanzi ai popoli che rappresentano le idee dell’avvenire. (Mussolini 1941b, 113, 15-17) Kurz und prägnant behauptet Mussolini ganz allgemein, d.h. ohne sich auf einen Einzelkonflikt zu beziehen, also generisch, vinceremo. Vinceremo inkludiert nicht nur den primärrealisierten Erstaktanten, sondern auch einen Sicherheit ausdrückenden modalisierenden Zirkumstanten. Auffällig ist in (III.103) jedoch, dass ein quintärrealisierter Kausalzirkumstant das materiell umfassendste Satzelement darstellt. Es handelt sich jedoch auch hier wiederum nicht um eine dem Umfang entsprechende umfassende Begründung, sondern um einen Leerzirkumstanten, der lediglich den Eindruck von Plausibilität und sogar historischer Notwendigkeit erwecken sollte, die keinesfalls gegeben sind. (III.104) Non posso, per evidenti ragioni, scendere a dettagliare le cifre nelle quali si compendia l’apporto complessivo, dal settore economico a quello militare, dato dall’Italia. (Mussolini 1944, 128, 85-87) Der quartärrealisierte, zwischen Modalverb und Infinitiv eingefügte Kausalzirkumstant per evidenti ragioni vermittelt den Eindruck von Einverständnis, ja sogar von Komplizenhaftigkeit, zwischen Redner und Zuhörerschaft. Die angeblich offensichtlichen Gründe für das Verschweigen der Details liegen, so wird zumindest suggeriert, im Umfang der angedeuteten Information. Tatsache ist, dass die möglicherweise relevante Information der Zuhörerschaft letztlich verborgen bleibt. (III.105) [...] grâce à un programme agraire méthodiquement conçu, nous développerons le nombre des propriétés paysannes ou familiales qui favoriseront l’accès des salariés à l’exploitation et multiplieront ainsi, sur des bases solides, le nombre des belles familles terriennes. (Pétain 1941c, 124, 55-59) In satzinitialer Position befindet sich ein quartärrealisierter, durch eine attributive Partizipialkonstruktion scheinbar näher spezifizierter Kausalzirkumstant, 96 in dessen Skopus die gesamte Äußerung steht. Die modale Bestimmung - oder der Modalzirkumstant - méthodiquement des Partizips conçu erweckt den Eindruck der Wissenschaftlichkeit. Es bleibt jedoch bei der Nennung der Form, über deren Inhalt die Zuhörer nicht aufgeklärt werden, wodurch der gesamte Zirkumstant zur leeren Hülse wird. Der Lokalzirkumstant im figurativen Sinn sur des bases 96 Grâce à zählt im Französischen zu den locutions prépositives (vgl. Grévisse 11 1980, 1102). <?page no="141"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 135 solides rekurriert letztlich ebenfalls auf den Kausalzirkumstanten in Initialposition und ist semantisch genauso leer wie dieser. Die Zuhörerschaft soll sich offensichtlich mit den Syntagmen un programme agraire, méthodiquement conçu und des bases solides als seriös und wissenschaftlich wirkenden Formen zufrieden geben, deren Inhalt - sofern es ihn gibt - gänzlich im Dunkeln verborgen bleibt. (III.106) Il [le 1er mai] sera désormais un symbole d’union et d’amitié parce qu’il sera la fête du travail et des travailleurs. (Pétain 1941d, 127, 7-8) In (III.106) stellt Pétain einen kausalen Zusammenhang her, den es nicht gibt. Wenn Pétain behauptet, dass der erste Mai ein Symbol der Einheit und Freundschaft sein werde, weil der erste Mai das Fest der Arbeit und der Arbeiter sein werde, so impliziert dies die Prämisse, dass die Arbeiter Einheit und Freundschaft repräsentieren, was Pétain allerdings an keiner Stelle sagt, geschweige denn erklärt. Der gesamte quintärrealisierte Kausalzirkumstant entpuppt sich somit als willkürlich konstruierte leere Floskel. (III.107) La France souffre dans son âme et dans sa chair. (Pétain 1943a, 301, 90) Zweifellos sehr poetisch drückt Pétain das Leid Frankreichs in (III.107) aus. Der quartärrealisierte zweigliedrige Lokalzirkumstant im figurativen Sinn dans son âme et dans sa chair wirkt aber geradezu pathetisch und erlaubt dem Redner vor allem, das tatsächliche Leiden nicht benennen zu müssen. Souffrir dans son âme könnte man durchaus als psychisches Leiden verstehen, souffrir dans sa chair als physisches Leiden. Damit bewegt man sich dann aber absolut auf dem Gebiet der Interpretation im Sinne von Spekulation. (III.108) E para cúmulo demos durante a tragédia espanhola, com olhos cegos ou a raz-o perturbada, bastas provas de n-o distinguirmos já bem a verdade e o erro, a virtude e o vício, a ideologia política e a mentalidade criminosa, o que é deplorável para quem se proponha dar exemplo ao mundo. (Salazar 1939a, 141, 105-111) Dieses Geständnis Salazars enthält u.a. das oberflächenstrukturell als Modalzirkumstant erscheinende, sich tiefenstrukturell als Kausalzirkumstant entpuppende Syntagma com olhos cegos ou a raz-o perturbada. Es sollte die Erklärung dafür liefern, dass sich Portugal während des spanischen Bürgerkrieges nicht immer klar positionierte. Blindheit und Verwirrtheit mögen für eine Entschuldigung hinreichende metaphorische Gründe sein, geben aber nicht darüber Auskunft, was Salazar nicht sah oder nicht sehen wollte, bzw. nicht darüber, was ihn tatsächlich und vor allem aus welchen Gründen verwirrte, sodass er mit dieser Äußerung seine Zuhörerschaft erst recht nicht sehend und verwirrt zurücklässt. (III.109) N-o puderam erguê-la (a história de Portugal) com egoísmos e comodidades, medo da morte e da vida, mas lutando, rezando e sofrendo. (Salazar 1940, 258, 94-96) Ohne den Modalzirkumstanten wäre die Äußerung (III.109) widerbzw. sogar unsinnig. Es handelt sich bei com egoísmos e comodidades, medo da morte e da vida, mas lutando, rezando e sofrendo also um einen kommunikativ notwendigen Modalzirkumstanten. Bezüglich des semantisch-pragmatischen Inhalts bleiben aber alle <?page no="142"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 136 Fragen offen, zumal die außersprachlichen Referenzen völlig ungeklärt bleiben. Egoismus, Bequemlichkeit, Angst, das Kämpfen, das Beten sowie das Leiden bleiben unspezifiziert als leere Schlagwörter im Raum - bzw. in der Rede - stehen. Mit Perelman/ Olbrechts-Tyteca ( 5 1992, 334) könnte man in diesem Fall von argumentation par le sacrifice sprechen: „Dans l’argumentation par le sacrifice, celui-ci doit mesurer la valeur attribuée à ce pourquoi le sacrifice est consenti.“ Das Leiden und der Verzicht werden als sehr groß beschrieben, a história de Portugal dementsprechend quasi als Heldenepos. 3.5.9 Die Vermittlung der Einheit des gesamten Diskurses: Rahmenbildung durch iterative Zirkumstanten Im weitesten Sinne gibt es in jedem Diskurs, und so auch in der politischen Rede, eine Einheit des Raumes und eine Einheit der Zeit. Diese Einheiten sind allerdings erst retrospektiv, d.h. nach dem Ende der Rede, zu erkennen. Sie sind durchaus so zu verstehen, dass ihre auf einer horizontalen Raumachse und auf einer vertikalen Zeitachse liegenden Untereinheiten erst im Laufe des Diskurses allmählich enthüllt werden. Aus diesem Grunde ist die volle räumliche und zeitliche Extension oder Expansion erst im Nachhinein erfassbar. Trotz dieser scheinbar modularen Zusammensetzung der globalen Raumbzw. Zeiteinheit sind diese in sich durchaus heterogenen Einheiten von großer Relevanz für die Rede. Gäbe es sie nicht, wüsste der Zuhörer niemals, wo er sich gerade räumlich oder zeitlich befände. Raumbzw. Zeiteinheit in der politischen Rede, jedoch auch die Einheit der Kausalität, der Modalität, der Finalität etc., spielen eine entscheidende Rolle für die Kohärenz der Rede. Die verschiedenen globalen Einheiten bilden jeweils den räumlichen, zeitlichen, modalen etc. Rahmen. 97 Nehmen wir nun exemplarisch an, L steht für den Raumrahmen oder die globale Einheit des Raumes, T für den Zeitrahmen oder die globale Einheit der Zeit und M für den Rahmen des Modus, die globale Einheit des Modus. Die verschiedenen Untereinheiten des Raumes werden nun durch l 1 , l 2 , l 3 , [...] l n , jene der Zeit durch t 1 , t 2 , t 3 , [...] t n und jene des Modus durch m 1 , m 2 , m 3 , [...] m n repräsentiert und ergeben in Summe den jeweiligen Gesamtrahmen. Es wird nun im Diskurs nicht für jede Äußerung separat indiziert, welcher lokalen, temporalen, modalen Untereinheit sie angehört. Findet jedoch ein Wechsel etwa von l 1 zu l 2 , von t 1 zu t 2 oder von m 1 zu m 2 statt, so wird dieser entweder explizit markiert, um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, oder aber der Zuhörer vollzieht, pragmatischen Maximen folgend, den switch für sich allein, ohne dass dieser gekennzeichnet wird (vgl. Gosselin 1990, 42 ff.). 98 97 Schwitalla (1988, 77) sieht bei Gesprächen innerhalb der Rahmung den quasi offiziellen Teil, in dem das zielgerichtete Gespräch stattfindet und außerhalb der Rahmung die weniger offiziellen Teile. Die weniger offiziellen Teile können sich vor oder nach dem offiziellen Teil ereignen oder auch in diesen eingeflochten werden. 98 Gosselin (1990, 42 ff.) betont, dass der Zuhörer weiß, dass aufeinander folgende Sätze, „qui expriment des événements entretiennent nécessairement un rapport circonstanciel qu’il <?page no="143"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 137 Betrachten wir im Folgenden exemplarisch durch Zirkumstanten geschaffene Rahmen bzw. sich aus Untereinheiten zusammensetzende globale Einheiten. (III.110) Sé cuánto trabajáis en Marruecos; [...]. Mientras los guerreros iban a la guerra quedaban las mujeres en sus hogares entre los bastidores fabricando las piezas y luego habían de decir los guerreros: “Nosotros mejoraremos las condiciones de esos vuestros talleres para que en ellos podáis seguir fabricando los vestidos de vuestros maridos y de vuestros padres.” [...] cuando acabemos esta guerra en que los dos pueblos se estrechan y se hermanan en la lucha, hemos de mejorar las condiciones de vuestras familias y de vuestros hogares para que [...] lo mismo que véis ahora en España - donde juegan los niños en los paseos y bajo la acogedora sombra de los árboles, junto a las fuentes de agua cristalina - , tengáis vosotras esas mezquitas blancas y esas bellas casas [...]; nos felicitaremos de que [...] tengáis todo cuanto los hombres y las mujeres puedan apetecer en el mundo civilizado como regalo para su vida. [...] al regresar a Marruecos seáis portadoras del más cordial saludo que para el pueblo marroquí os dedico, reflejando el auténtico sentir de España entera hacia sus hermanos que saben mostrar de tan magnífica manera como lo están haciendo en los frentes, su amor a nuestra Patria y su espíritu íntimamente identificado por los altos ideales de nuestra guerra salvadora. (Franco 1938, 65-66, 1-54) In (III.110) setzt sich der lokale Rahmen bzw. die globale Raumeinheit L aus den Untereinheiten l 1 = Marokko, l 2 = der Krieg und l 3 = Spanien zusammen. l 1 , l 2 und l 3 durchziehen nun als drei lokale Stränge die gesamte Rede und bilden somit den lokalen Rahmen L. Die einzelnen l 1 -, l 2 - und l 3 -Elemente müssen nun aber nicht referenzidentisch sein, sie können dem jeweiligen Hyperonym, hier also a) Marokko, b) Krieg und c) Spanien, durchaus hyponymartig untergeordnet sein. Zu l 1 zählen demnach en Marruecos, en sus hogares entre los bastidores, en ellos (= los talleres), a Marruecos, zu l 2 gehören a la guerra, en la lucha, en los frentes und Teil von l 3 sind en España - donde juegan los niños en los paseos y bajo la acogedora sombra de los árboles, junto a las fuentes de agua cristalina und en el mundo civilizado. Außerdem kommen diese lokalen Zirkumstanten semantisch zumindest teilweise noch in weiteren aktantiellen Funktionen vor. Es ist an diesem Beispiel aber bereits deutlich geworden, dass die Zirkumstanten, in diesem Falle die lokalen, wichtige textuelle Funktionen erfüllen. Zum einen tragen sie maßgeblich zur Kohärenz bei, zum anderen schaffen sie einen globalen Rahmen, innerhalb dessen sich der Zuhörer - zumindest geographisch, im wörtlichen und im übertragenen Sinn - leichter orientieren kann. (III.111) [La rotta della nostra navigazione è definita ed i nostri principî sono chiari: ] Primo: per quanto i pacifisti di professione siano individui particolarmente detestabili […], noi consideriamo che sia necessario un lungo periodo di pace […]. Secondo: il periodo dei giri di « valzer », se mai vi fu, è definitivamente chiuso. […]. E infine dichiaro che se avvenisse la vagheggiata costituzione di una coalizione contro i regimi autoritarî, questi regimi raccoglierebbero la sfida e passerebbero alla difesa e al contrattacco su tutti i punti del globo. Terzo: nel mio discorso di Ges’agisse d’un décalage explicitement marqué [ex.: plus tard, le lendemain, à gauche (…)] ou d’une identité de circonstances qui n’a pas même besoin d’être explicitement indiquée.“ <?page no="144"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 138 nova io parlai di una barricata che separava l’Italia dalla Francia. Questa barricata può considerarsi abbastanza demolita […]. Orbene, nella nota italiana del 17 dicembre del 1938, erano chiaramente stabiliti i problemi italiani nei confronti della Francia. […]. Non avrà, poi, a dolersi se il solco che divide attualmente i due paesi diventerà così profondo che sarà fatica ardua se non impossibile colmarlo. […]. Quarto: geograficamente, storicamente, politicamente, militarmente il Mediterraneo è uno spazio vitale […]. Quinto: ultimo, ma fondamentale e pregiudiziale: bisogna armarsi. […]. Ora io vi domando: Desiderate degli onori? Delle ricompense? La vita comoda? […]. Ebbene, camerati, in queste tre parole [Credere! Obbedire! Combattere! ] fu, è e sarà il segreto di ogni vittoria. (Mussolini 1939, 251-253, 56- 150) An diesem Ausschnitt aus einer Rede von Mussolini sei die Einheitenbzw. Rahmenbildung mittels diskursstrukturierender Zirkumstanten demonstriert. Der primäre, Ordnung schaffende Rahmen wird durch die Ordinalia primo, secondo, terzo, quarto und quinto abgesteckt, wodurch es dem Zuhörer wesentlich erleichtert wird, der Aufzählung zu folgen. Innerhalb dieser einzelnen Unterabschnitte finden sich jedoch weitere diskursstrukturierende Zirkumstanten, mittels derer der Redner Zusammenhänge herstellt. Das Temporaladverb infine mit konklusiver Qualität in der Funktion eines paradigmatisierenden Zirkumstanten verweist auf eine bereits eingeführte Argumentationslinie, die nun ihren Abschluss erfahren soll. Die Temporaladverbien poi und ora sind polyfunktional. Sie fungieren erstens als Temporalzirkumstanten, zweitens als paradigmatisierende Zirkumstanten und drittens als Konsekutivzirkumstanten, weil sie zugleich temporal lokalisieren, auf bereits eingeführte Ordnungen verweisen und außerdem Folgen indizieren. Damit sind sie diskursstrukturierend auch im Sinne von stark diskursunifizierend. Die Konjunktionen orbene und ebbene, ebenfalls mit stark konklusiver Qualität, leiten jeweils quasi eine Interimsconclusio ein. Sie sind insofern als diskursstrukturierende Zirkumstanten doppelt einheiten- oder rahmenbildend, als sie, wie gesagt, zum einen eine Zwischenbilanz einleiten und zum anderen des Redners Verständnis von semantisch-pragmatischer Einheit im Diskurs indizieren. (III.112) Je m’adresse aujourd’hui à vous [...] pour vous expliquer les motifs des deux armistices conclus, le premier, avec l’Allemagne, il y a trois jours, le second avec l’Italie. [...]. Pas plus aujourd’hui qu’hier, on ne gagne une guerre uniquement avec de l’or et des matières premières. [...]. Une deuxième bataille s’est livrée sur l’Aisne et sur la Somme. [...]. L’ennemi, en quelques jours, a rompu notre dispositif, divisé nos troupes en quatre tronçons et envahi la majeure partie du sol français. [...]. L’exode des réfugiés a pris, dès lors, des proportions inouïes. [...]. À partir du 15 juin, l’ennemi, franchissant la Loire, se répandait à son tour sur le reste de la France. Devant une telle épreuve, la résistance armée devait cesser. [...]. En ce jour de deuil national, ma pensée va à tous les morts, à tous ceux que la guerre a meurtris dans leur chair et dans leurs affections. [...]. Une grande partie de notre territoire va être temporairement occupée. [...]. Je n’ai jamais été moins soucieux de nos colonies que de la métropole. [...]. C’est vers l’avenir, que désormais nous devons tourner nos efforts. [...]. Vous serez bientôt rendus à vos foyers. [...]. Comptez, pour le présent, sur vous-mêmes et, pour l’avenir, sur les enfants que vous aurez élevés <?page no="145"?> 3.5 Die Zirkumstantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive 139 dans le sentiment du devoir. [...]. C’est à un redressement intellectuel et moral que, d’abord, je vous convie. (Pétain 1940a, 63-66, 1-104) In (III.112) interessiert uns der temporale Rahmen T, der sich aus t 1 , t 2 , t 3 , [...] t n zusammensetzt. Die hyperonymen temporalen Referenzpunkte sind t 1 = aujourd’hui, t 2 = der nicht präzisierte Zeitpunkt der Schlacht an der Aisne und an der Somme in der jüngsten Vergangenheit, t 3 = le 15 juin, t 4 = Zukunft, t 5 = Vergangenheit, t 6 = Gegenwart. t 1 umfasst somit aujourd’hui, il y a trois jours mit dem Referenzpunkt aujourd’hui, pas plus aujourd’hui qu’hier, en ce jour de deuil national, zu t 2 gehören (s’est livrée) (primärrealisierter, die Vergangenheit indizierender Temporalzirkumstant), en quelques jours (seit Beginn der obengenannten Schlacht), dès lors, t 3 besteht in à partir du 15 juin, t 4 umfasst (va être) temporairement, vers l’avenir, désormais, bientôt, pour l’avenir, d’abord, zu t 5 gehört (n’ai) jamais (été) und t 6 wird durch pour le présent realisiert. Es stellt sich heraus, dass etliche zeitliche Stränge, die auf unterschiedlichen Ebenen zirkumstantiell realisiert sind, die Rede durchziehen. Um so wichtiger ist für den Zuhörer die gegebene Dichte an temporalen Zirkumstanten, damit er zum einen den chronologischen Faden nicht verliert und zum anderen im Laufe der Rede den zeitlichen Rahmen T nach und nach erweitern kann, ohne sich in einer Koordinatenlosigkeit zu verlieren. (III.113) [...] milhões de portugueses se recolhem, de alma ajoelhada diante deste castelo, e comungam connosco nos mesmos sentimentos de devoç-o, de exaltaç-o, de fé. [...]. Passam pelo espírito séculos em revoada [...] com seus reis e seus cavaleiros, seus descobridores e seus legistas, seus capit-es e seus nautas, seus heróis e seus santos, sofrimentos e glórias, esperanças e desilusões. [...]. Para tanto [...] prodigalizou-se [o português] em maravilhas de pedra, cantou em versos imortais a sua própria epopeia, [...] nos serviu a liberdade; de nós se n-o pode afirmar que n-o soubemos que fazer da nossa independência: trabalhando e recebendo em nossa carne duros golpes, descobrimos, civilizámos, colonizámos. [...]: acto de devoç-o. Cobrimos de flores, trazidas dos quatro cantos do mundo, as pedras mortificadas sobre que se ergue este castelo, como se piedosamente se beijassem as feridas de um herói ou se alindasse o berço de um santo. Vimos [...] a cidade augusta onde primeiro bateu, com o coraç-o do primeiro rei, o coraç-o de Portugal. Sabemos dever-lhe o que fomos, e o que somos dele vem ainda - vivermos livres na nossa terra e honrados na terra alheia. Acto de exaltaç-o. A Pátria Portuguesa [...] foi feita na dureza das batalhas, na febre esgotante das descobertas e conquistas, com a força do braço e do génio. Com trabalho intenso e ingrato, esforços sobre-humanos na terra e no mar, ausências dilatadas, a dor e o luto, a miséria e a fome almas de heróis amalgamaram, fizeram e refizeram a História de Portugal. N-o puderam erguê-la com egoísmos e comodidades, medo da morte e da vida, mas lutando, rezando e sofrendo. Cada um deu, na modéstia ou grandeza dos seus préstimos, tudo quanto pôde, e por esse tudo lhe somos gratos. [...]. Mas nós realizamos hoje também acto magnífico de fé: [...]. Com a solidez das raízes seculares, ligados à História Universal, que sem nós seria ao menos diferente, sentimos com a glória desta herança as responsabilidades e o dever de aumentá-la. [...] e quando dentro de pouco [...] subir no alto do castelo a bandeira sob a qual se fundou a nacionalidade, veremos como penhor que confirma a nossa fé, a cruz a abraçar, como no primeiro dia, a terra portuguesa. (Salazar 1940, 255-259, 7-122) <?page no="146"?> 3. Varianten und Funktionen zirkumstantieller Spezifizierungen im Diskurs 140 In diesem Diskurs Salazars kristallisieren sich sechs unterschiedliche Betrachtungs- oder retrospektive Erlebnisweisen heraus, die gemeinsam den modalen, sich modular zusammensetzenden Gesamtrahmen M schaffen. Die einzelnen modalen Zirkumstanten gruppieren sich um folgende hyperonymische modale labels, die somit die globalen modalen Untereinheiten darstellen: m 1 = ergeben, ehrfürchtig; m 2 = heldenhaft; m 3 = opferbereit; m 4 = schön, heilsam; m 5 = frei; m 6 = stolz. Im Einzelnen lassen sich diesen hyperonymischen labels folgende Modalzirkumstanten zuordnen: m 1 (ergeben, ehrfürchtig): de alma ajoelhada; nos mesmos sentimentos de devoç-o, de exaltaç-o, de fé; como se piedosamente se beijassem as feridas de um herói; com o coraç-o do primeiro rei, rezando, como penhor que confirma a nossa fé; m 2 (heldenhaft): com seus reis e seus cavaleiros, seus descobridores e seus legistas, seus capit-es e seus nautas, seus heróis e seus santos, sofrimentos e glórias, esperanças e desilusões 99 ; em maravilhas de pedra; em versos imortais a sua própria epopeia; m 3 (opferbereit): trabalhando e recebendo em nossa carne duros golpes; na dureza das batalhas, na febre esgotante das descobertas e conquistas, com a força do braço e do génio; com trabalho intenso e ingrato, esforços sobre-humanos na terra e no mar, ausências dilatadas, a dor e o luto, a miséria e a fome; n-o [...] com egoísmos e comodidades, medo da morte e da vida, mas lutando e sofrendo; na modéstia ou grandeza dos seus préstimos; m 4 (schön, heilsam): como se piedosamente [...] se alindasse o berço de um santo; m 5 (frei): livres; m 6 (stolz): honrados; com a solidez das raízes seculares, ligados à História Universal, que sem nós seria ao menos diferente, com a glória desta herança, como no primeiro dia. Durch eine derartige Zuordnung der einzelnen Zirkumstanten in der Rede zu hyperonymischen modalen labels stellt sich heraus, dass Salazars Seh- und retrospektive Betrachtungsweise der Portugiesen von bestimmten modalen Konstanten charakterisiert wird, bzw. dass bestimmte modale Stränge seine Erlebnisweise der Portugiesen durchziehen, die gemeinsam den modalen Rahmen M herstellen. 3.6 Fazit In diesem Kapitel hatten wir uns eine zweifache Klassifizierung der Zirkumstanten vorgenommen, eine unter dem Blickwinkel der formalen Realisierungsvarianten und eine zweite nach diskursfunktionalen Kriterien. Formal unterscheiden wir zwischen fünf Ebenen oder Kategorien. Die Zirkumstantenrealisierungen der ersten Ebene, also die Primärrealisierungen, vollziehen sich verbmorphologisch im einzelnen konjugierten Verb oder im Verbverband einer Verbalperiphrase. Sekundärrealisierte Zirkumstanten sind jene, die durch nicht-adverbiale lexikalische Kategorien spezifiziert werden, also durch Substantive, Adjektive, Partikeln, Konjunktionen etc. Die durch Adverbien explizierten Zirkumstanten bezeichnen wir als tertiärrealisierte Zirkumstanten, die durch adverbiale Präpositionalgruppen oder Konjunktionalgruppen repräsentierten als quartärrealisierte Zirkumstanten und zirkumstantielle phrastische Spezifizierungen betrachten wir in unserem Modell als quintärrealisierte Zirkumstanten. 99 Dieser Zirkumstant kann im figurativen Sinn auch als komitativer verstanden werden. <?page no="147"?> 3.6 Fazit 141 Dieses Modell basiert auf streng formalen Unterscheidungskriterien. Es stellt jedoch auch eine Hierarchie dar, und zwar von maximaler Implizitheit bis zu maximaler Explizitheit. Im französischen Satz Quand je faisais ce travail, je me levais à six heures wird der Umstand des Frequentativen oder Habituativen genauso ausschließlich verbmorphologisch ausgedrückt wie etwa der aktualisierende, emotionale Nähe ausdrückende Umstand etwa im historischen Präsens oder auch im chronistischen Imperfekt. In Vengo diciéndotelo desde hace meses wird - abhängig vom Kontext - rein verbmorphologisch der Umstand einer persönlichen Haltung der Gereiztheit ausgedrückt. Die Zirkumstanten der zweiten Ebene werden durch jene lexikalischen Kategorien spezifiziert, die a priori nicht vermuten lassen, dass sie adverbiale Funktionen erfüllen. Die Funktion der Umstandsbeschreibung im weitesten Sinne der adverbial tertiärrealisierten und durch adverbiale Präpositionalgruppen quartärrealisierten Zirkumstanten ist hingegen weitgehend offensichtlich. Die i.d.R. umfangreichsten, ebenfalls funktional eindeutigen Zirkumstantenrealisierungen sind die phrastischen, in unserem Modell also die quintärrealisierten Zirkumstanten. Gab es bei den Aktanten mitunter plausible Korrelationen zwischen Realisierungsvariante und Funktion - man denke etwa an jene zwischen tertiärstatt bzw. zusätzlich zum sekundär- und primärrealisierten Erstaktanten im Französischen und der stärkeren Präsenz der Autorität des Redners - , so trifft dies auf die Zirkumstanten nur marginal oder auch überhaupt nicht zu. Schon bei der Analyse der unterschiedlichen Aktantenrealisierungsvarianten stellte sich heraus, dass dafür der Kontext, sprich der Diskurs, unentbehrlich ist. Dies gilt auch für das Erfassen der Funktionen der verschiedenen Zirkumstantenrealisierungsvarianten. Anders gesagt, ging es bei der Untersuchung der Funktionen der Zirkumstanten ebenfalls durchgängig um die Funktion der Zirkumstanten im Diskurs, weshalb wir bei der Analyse von diskursfunktionalen Kriterien sprachen. Entrano wird beispielsweise erst im Diskurs zum historischen Präsens, chiaro erst mit dem Verb parlare zum Modalzirkumstanten, der tertiärrealisierte Zirkumstant aujourd’hui erhält genauso wie der quartärrealisierte por este motivo erst im Kontext seine Referenz und ob ein quintärrealisierter Finalzirkumstant wie etwa para vermos o filho dele syntaktisch notwendig und/ oder kommunikativ relevant ist, ergibt sich ebenfalls erst im Diskurs. Wir haben festgestellt, dass die Zirkumstanten im Diskurs kommunikativ oft von entscheidender Bedeutung sind, mitunter aber auch nur als argumentative Fassade fungieren. Sie dienen u.a. dem Ausdruck von Aspekt, Aktualität und Modalität. Zirkumstantiell explizierte Umstände sind zum Teil von entscheidender kommunikativer Bedeutung, nicht explizierte lassen bei genauerem Hinsehen aber auch das Verschweigen von relevanter Information erkennen. Mittels Zirkumstanten legitimiert der Redner, was er sagt, strukturiert der Redner seinen Diskurs, modifiziert und manipuliert der Redner seine eigenen Äußerungen. Durch die markierte Serialisierung von Aktanten und Zirkumstanten entsteht schließlich auch Spannung im Diskurs, und zirkumstantielle Rahmen tragen wesentlich zur textuellen Kohärenz bei. <?page no="149"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 4.1 Thematik In diesem Kapitel befassen wir uns mit der Perspektivierung von Argumenten und Modifikatoren als Grundlage der Fokalisierung und Fokussierung von Aktanten und Zirkumstanten. Vorweg sei gleich darauf aufmerksam gemacht, dass der in der Literatur diskutierte Terminus der Perspektivierung eine große, nicht wirklich abgegrenzte Gruppe sehr heterogener sprachlicher Phänomene subsumiert. So werden aus dem Blickwinkel der Perspektivierung u.a. das In-Blick-Nehmen der Aktionsart, 1 der Reduktion bzw. Erweiterung der Grundvalenz, 2 der konversen Beziehungen wie jener zwischen Geber und Nehmer, 3 der Entscheidung für foregrounding bzw. backgrounding bestimmter Rollen, der Hörerbzw. Sachorientierung in der Äußerung, 4 des Effekts von Wortbildungsmorphemen auf die Argumentstruktur 5 und 1 Das zustandshaft Perspektivierte wird als statisch bezeichnet, das vorgangshaft und handlungshaft Dargestellte als dynamisch. Die Verlaufsweise von dynamisch Perspektiviertem kann aterminativ, also kontinuierlich, oder terminativ, d.h. zeitlich begrenzt, sein. Die Frequenz der Vorgänge bzw. Handlungen wird durch das Gegensatzpaar Iterativ versus Semelfaktiv erfasst. Ferner wirkt in Handlungen ein Agens, während dies in Vorgängen nicht der Fall ist oder zumindest oberflächensyntaktisch nicht der Fall zu sein scheint. Das Verb chercher, cercare, procurar bzw. buscar ist inhärent aterminativ. Unabhängig davon kann es aber imperfektivisch, etwa als je cherchais, (io) cercavo, (eu) procurava, (yo) buscaba, oder aber aufgrund impliziter oder expliziter inchoativer bzw. resultativer Markierung perfektivisch verwendet werden, wie etwa in der Form von j’ai cherché, (io) ho cercato, (eu) procurei bzw. tenho procurado und (yo) busqué bzw. he buscado. Das Russische z.B. verfügt hingegen bereits im Infinitiv über ein entsprechendes morphologisch markiertes Gegensatzpaar unvollendet - vollendet, nämlich versus . Da die Aktionsart bereits durch die Lexemwahl, durch Wortbildungsmittel, durch die syntaktische Umgebung oder durch die Wahl des Tempus ausgedrückt bzw. zumindest maßgeblich beeinflusst werden kann, ist prinzipiell zwischen nicht-verbinhärenter und verbinhärenter Aktionsart zu unterscheiden. 2 Die Grundvalenz eines Funktors erfasst die aufgrund seiner Argumentstruktur mit ihm üblicherweise assertierten Aktanten (vgl. Welke 1988b, 139). 3 Shopen (1973, 70) weist u.a. explizit darauf hin, dass die Entscheidung für / give/ oder / receive/ als Satzprädikat jeweils unterschiedliche Möglichkeiten zur Ellipse impliziert. 4 Bei Sachverhaltsorientierung indiziert der unmittelbar auf das Verb folgende Zweitaktant den Sachverhalt, wie etwa in annoncer quelque chose à quelqu’un, während bei der Hörerorientierung genau diese Position vom den Hörer indizierenden Zweitaktanten eingenommen wird, wie z.B. in informer quelqu’un de quelque chose (vgl. Koch/ Krefeld 1991, 17). Aus Koch/ Krefeld (1991) stammen auch die Beispiele. <?page no="150"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 144 des umgekehrt proportionalen Verhältnisses zwischen Intension des Funktors und Extension seiner Argumente 6 (vgl. Sommerfeldt 1991; Welke 1988b; 1989; 1990a; Nikula 1983; 1995a; Gansel 1993) untersucht. Helbig (1990b, 74 ff.) unterscheidet ferner zwischen kommunikativer und semantischer Perspektive. Die kommunikative Perspektive bezieht er auf die funktionale Satzperspektive bzw. Thema-Rhema-Gliederung, 7 während er die semantische Perspektive auf die Beziehungen zwischen Verb und semantischen Kasus anwendet. Helbig räumt allerdings ein, dass unter semantischer Perspektive durchaus Unterschiedliches verstanden werde. Unter semantischer Perspektive verstehe man erstens, dass ein und dieselbe Verbform durch Perspektivierung ihre Vorgangsbedeutung ändern könne, 8 zweitens die Tatsache, dass Verben, die mit von ihnen abgeleiteten affigierten Derivativa zusammenhingen, unterschiedlich perspektivierten und dementsprechend entweder holistisch oder partitiv interpretiert werden 9 könnten, und drittens aber auch, dass sich die Perspektive in dem Sinne auf verschiedene Verben beziehe, dass diese ein und dieselbe kognitive Szene unterschiedlich in Blick nähmen oder eben perspektivierten. Gansel (1992b, 62) unterscheidet zwischen a) Perspektivierung im System und b) Perspektivierung im Text. 10 Welke (2002, 92 ff.) hingegen differenziert zunächst 5 Helbig (1995, 261) bespricht den Perspektivierungsunterschied bzw. den Unterschied zwischen denotativen und signifikativen Kasus am seit Fillmore (1977a, 79 ff.) viel diskutierten Beispiel der regierten Argumente von / laden/ vs. / beladen/ ; Helbig (1990a, 65) illustriert, auf Welke rekurrierend, an den Verben / stehlen/ vs. / bestehlen/ , dass durch die Spezifizierung der jeweils vom Funktor geforderten Aktanten nicht nur eine unterschiedliche formal-syntaktische Realisierung der gleichen denotativ-semantischen Grundstruktur erfolgt, sondern dass eben aufgrund der unterschiedlichen Perspektivierungen verschiedene Bedeutungen entstehen. Die Veränderung der Perspektivierung durch Wortbildungsmorpheme wie etwa in franz. ranger - déranger, ital. volgere - svolgere, port. volver - envolver - desenvolver oder span. volver - devolver ist aus der Sicht des Systems zweifellos von größter Bedeutung, im Rahmen der Untersuchung diskursiver Strategien in der politischen Rede allerdings wenig relevant, weshalb hier von einer derartigen Untersuchung Abstand genommen wird. 6 „Je größer die Intension, desto kleiner die Extension“ (Nikula 1983, 52) heißt in Bezug auf Verballexeme bzw. -sememe, je reicher ein Valenzträger an Bedeutungsmerkmalen, desto kleiner die Zahl der durch ihn perspektivierbaren Rollen der aktivierten Szene oder des aktivierten Skripts (vgl. Nikula 1995a, 330). Ein Funktor wie / machen/ erlaubt eine schier unbegrenzte Zahl von Zweitaktanten, während einer wie / fletschen/ hinsichtlich möglicher Zweitaktanten äußerst restriktiv ist. 7 „Bei der FSP (TRG) handelt es sich im Kern um eine kommunikative Perspektivierung, die nicht primär festgemacht werden kann an topologischen, syntaktischen, semantischen oder kognitiven Merkmalen“ (Helbig 1990b, 74). 8 Helbig (1990b, 74) führt das Beispiel der Fortbewegungsverben an, die durch Perspektivierung des entsprechenden Zirkumstanten entweder source-, path- oder goal-orientiert sein können. 9 Als Beispiel führt Helbig (1990b, 76) / schmieren/ vs. / beschmieren/ an und verweist auf die damit zusammenhängende Auseinandersetzung zwischen ontologisch-situativen und syntaktivistisch-signifikativen Kasuskonzepten (vgl. Fillmore 1968, 48 ff.). 10 Perspektivierung im System meint nichts anderes als verbinhärente Perspektiviertheit, die sich auf die im Verb angelegten Argumente bezieht. Bestimmte Rollen werden durch die Prädikat-Argument-Struktur assertiert und durch Perspektivierung als Aktanten ausgezeichnet. Im ursprünglichen Sinne der Valenztheorie werden nur die Aktanten durch den Valenzträger <?page no="151"?> 4.1 Thematik 145 zwischen einerseits primärer oder inhärenter Perspektivierung und andererseits sekundärer Perspektivierung oder Thema-Rhema-Gliederung, 11 und eine weitere vorgenommene Subklassifizierung der Perspektivierungsmöglichkeiten ist jene zwischen a) systembedingter bzw. systeminhärenter oder -immanenter Perspektiviertheit bzw. Perspektivierung und b) pragmatischer Perspektivierung. 12 Aus dem Blickwinkel der kognitiven Pragmatik stellen sich dem Sender zunächst zwei Fragen: erstens welcher Ausschnitt aus der betreffenden Szene beleuchtet werden soll und zweitens wie der gewählte Ausschnitt beleuchtet werden soll. Es geht im Sinne von Leerstellen assertiert, nicht jedoch eventuelle Zirkumstanten (vgl. Nikula 1995b, 137 ff.), wenngleich diese gegebenenfalls impliziert oder präsupponiert werden können. Wie bereits erwähnt, finden jedoch im kognitiven Geschehenstyp sowohl syntaktisch spezifizierte Aktanten als auch Zirkumstanten ihre semantische Grundlage in den dafür bereit gestellten Relatpositionen der Szenen. Die Perspektivierung im Text hingegen hänge von der Sicht des Kommunizierenden auf den Kommunikationsgegenstand ab. Insofern sei für die Perspektivierung im Text sowohl die Kommunikationssituation als auch die Kommunikationsabsicht von entscheidender Bedeutung (vgl. Gansel 1992b, 62). 11 Welke führt dann aber eine Hierarchie der unmittelbaren Perspektiviertheit nach logischpragmatischen Rollen ein. Er geht davon aus, dass die Hierarchie der syntaktischen Positionen, nämlich in der klassischen Terminologie des Subjekts, des indirekten Objekts und des direkten Objekts, der syntaktische Ausdruck einer funktionalen Hierarchie sei. „Sprachliche relationale Zeichen und insbesondere Verben sind elementar hinsichtlich einer logischpragmatischen Reihenfolge ihrer Argumente als 1., 2., 3. Argument perspektiviert“ (Welke 2002, 103). Weiter unten führt Welke fort, dass die Rolle Agens an der Spitze der Hierarchie stehe, weil sie der logisch-pragmatischen Rolle 1. Argument zugeordnet sei. Das 1. Argument sei dasjenige Argument, von dem aus ein Verb einen Sachverhalt perspektiviere (vgl. Welke 2002, 105). Dazu seien nur zwei Anmerkungen gemacht. Die ursprüngliche Unterscheidung Welkes ist plausibel und aufschlussreich, während dies nicht unbedingt auf die Perspektiviertheit nach logisch-pragmatischen Rollen zuzutreffen scheint. Erstens ist die syntaktische Kategorie Subjekt keinesfalls mit der semantischen Kategorie Agens zu identifizieren und zweitens reflektiert die Abzählung 1., 2., 3. Argument die ohnedies auch von Welke bereits diskutierte verbinhärente oder -immanente Perspektiviertheit. Diese kann zweifellos funktional beschreiben, dass z.B. im spanischen Satz Me gusta el libro und im portugiesischen (Eu) gosto do livro die Leerstellen für das jeweils erste Argument unterschiedlich spezifiziert werden. Erstaktant im genannten spanischen Satz ist el libro, im portugiesischen hingegen das im unmarkierten Fall nicht einmal notwendigerweise morphologisch realisierte eu. Die Aussage allein, dass das 1. Argument dasjenige sei, „von dem aus ein Verb einen Sachverhalt perspektiviert“ (Welke 2002, 105), ist somit nur sehr beschränkt aussagekräftig. Über das aus der verbinhärenten Perspektiviertheit bereits Bekannte hinausgehend scheint diese Form von logisch-pragmatischer Perspektiviertheit nicht weiter aufschlussreich zu sein. 12 Die systembedingte Perspektiviertheit, bei der es um die durch den Valenzträger als Aktanten assertierten Argumente von Funktoren geht, wurde bereits ausführlich diskutiert. Sobald es jedoch im konkreten Sprachgebrauch um die Anwendung des Systems geht, werden vom Sender pragmatische Entscheidungen getroffen, womit die pragmatische Perspektivierung einsetzt. Nikula (1999, 397) stellt dazu fest: „Welche Rollen ... in der jeweiligen Kommunikationssituation aktuell perspektiviert werden, wird durch Regeln der Pragmatik gesteuert.“ Die erste pragmatische Entscheidung betrifft die Wahl des Verbs, mit seiner impliziten, systembedingten Perspektiviertheit. Die Wahl eines konkreten Verbs entscheidet also bereits darüber, welche Komponenten aus dem entsprechenden Sachverhalt überhaupt in Blick genommen werden können. <?page no="152"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 146 darum, was der Sender in den Vordergrund rücken möchte, 13 bzw. welche Rollen aus welchem Grund perspektiviert und in der Folge - in unserer Terminologie - fokalisiert und/ oder fokussiert werden sollen. 14 Bei der Entscheidung für ein bestimmtes Verb, das naturgemäß - oder besser gesagt systemgemäß bzw. systembedingt - „perspektivierungsfixiert“ (Storrer 1996a, 230) ist, geht es für den Sender zum einen darum, eine situationsangemessene Rollenwahl 15 zu treffen und zum anderen, ein dementsprechendes valenzgeeignetes Verb zu wählen. Nach der bereits pragmatisch motivierten Verbwahl gilt es aber für den Autor oder Redner, eine ganze Reihe weiterer pragmatischer Entscheidungen zu treffen, die - unserem Modell nach - in der Fokalisierung und/ oder Fokussierung ihren Niederschlag finden. Um Überlappungen und Inkongruenzen zwischen verwendeten Bezeichnungen zu entwirren, anstatt terminologisch weiter zu verwirren, scheint es zunächst jedoch angebracht, die Verwendung dieser big words in unserem Modell zu diskutieren bzw., weniger salopp ausgedrückt, die in unserem Modell verwendete Terminologie zu besprechen bzw. zu definieren. Bei Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung handelt es sich prinzipiell um drei wesensverschiedene Phänomene, die klar voneinander zu unterscheiden sind. Die Perspektivierung ist auf der Ebene des Systems, die Fokalisierung auf jener der Norm und die Fokussierung schließlich auf jener der Rede anzusiedeln. Die Unterscheidung zwischen System, Norm und Rede ist mittlerweile ein locus communis (vgl. Coseriu 1970). Eine Unterscheidung zwischen Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung im Rahmen der Orientierung im Sinne von semantischer Ausgerichtetheit der Argumentbzw. Aktantenstruktur einerseits auf Systemebene, andererseits auf der Ebene der Kommunikation, steht aber aus, stellt sich für unsere Untersuchung jedoch als äußerst relevant heraus, weshalb wir uns mit diesen Phänomenen im Detail zu beschäftigen haben. Perspektiviertheit meint Stelligkeit, was soviel heißt wie systembedingter, verbimmanent angelegter Satzbauplan, die Perspektivierung hingegen bezeichnet die Relation zwischen Funktor und Argument. Ein einwertiges Verb perspektiviert oder regiert ein Argument, ein zweiwertiges perspektiviert oder regiert zwei Argumente usw. Die Frage der Perspektivierung - bzw. der Perspektiviertheit - ist also eine Frage des Systems, der langue, unabhängig von der tatsächlichen Argument- 13 Sommerfeldt (1991, 307) meint dazu: „Durch die Wahl eines bestimmten Verbs legt der Sprecher (Schreiber) ... die Perspektive fest, er gibt an, welche Rolle, welcher Aktant in den Mittelpunkt gerückt werden soll.“ 14 Es muss nicht ein bestimmtes Verb das zentrale einer Szene sein. Eine Szene kann oder wird sogar durchaus aus mehreren Teilhandlungen bestehen, aus denen der Sender diejenige auswählt, aus deren Perspektive er die Szene beleuchten möchte. Gansel (1992d, 67 ff.) illustriert dies an der Gerichtsszene, die u.a. aus der Perspektive des Beschuldigens, des Anklagens, des Verteidigens, des Verurteilens oder des Beweisens beleuchtet werden kann. 15 Ein Situationstyp, Sit-Typ, der u.U. auch die Rekurssituation RS sein kann, über die der Sprecher S mit dem Hörer H kommunizieren will, vergleichbar in etwa mit der Szene, enthält die situationsangemessenen Rollen, aus denen die relevanten ausgewählt werden. Dementsprechend ist dann vom Sprecher ein valenzgeeignetes Verb auszuwählen, das eben die Perspektivierung der relevanten Rollen ermöglicht (vgl. Storrer 1992, 274 ff.). <?page no="153"?> 4.1 Thematik 147 realisierung in der parole. Unter Perspektiviertheit - oder Perspektivierung - wird allerdings gegebenenfalls auch das tatsächliche, sprachlich durch Aktantifizierung von Argumenten aktualisierte In-Blick-Nehmen von Argumenten verstanden, womit offensichtlich zwei Ebenen vermischt werden. Aus diesem Grunde bezeichnen wir das sprachliche im Gegensatz zum konzeptuellen In-Blick-Nehmen von Argumenten als Fokalisierung. Fokalisierung meint also nichts anderes als die aktantielle oder - im Falle eines obligatorischen Zirkumstanten - auch zirkumstantielle Realisierung einer argumenthaften Belegung einer Relatposition und hat nichts mit markierter Serialisierung oder Topikalisierung zu tun. Die besondere kommunikative Relevanz eines bestimmten Aktanten - oder Zirkumstanten - kann ferner im Diskurs dadurch signalisiert werden, dass dieser fokussiert wird, worunter wir hier aber weder notwendigerweise thematisiert noch notwendigerweise rhematisiert im Sinne der Thema-Rhema-Hierarchie aus der funktionalen Satzperspektive verstehen. Unter Fokussierung verstehen wir im wahrsten Sinne des Wortes das In-das-Zentrum-Rücken eines Satzelementes, und zwar auf morphosyntaktische Weise, wofür es verschiedene einzelsprachliche Möglichkeiten gibt. Die Fokussierung, wie immer sie auch einzelsprachlich realisiert sein mag, hat immer mit Hervorhebung im weitesten Sinne zu tun und ist im Diskurs folglich nicht nur morphosyntaktisch, sondern vor allem auch aus dem Blickwinkel der Pragmatik zu untersuchen. Unter Orientierung verstehen wir schließlich das sprachlich realisierte Ergebnis des Zusammenspiels von Perspektiviertheit, Fokalisierung und Fokussierung, wobei - vorweg - keinesfalls alle drei notwendigerweise an diesem Zusammenspiel beteiligt sein müssen. Bereits die Wahl des Verbs entscheidet kraft der verbimmanenten Perspektiviertheit darüber, welche Argumente überhaupt eine Chance auf aktantielle Realisierung und somit auf Fokalisierung bekommen. Es handelt sich dabei insofern um eine Chance, als im Satz oder in der Äußerung nicht alle perspektivierten Argumente realisiert, sprich fokalisiert, werden müssen. Um verstärkt Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes fokalisiertes Satzelement zu lenken, kann dieses, wie oben angedeutet, ferner fokussiert werden. Orientierung bedeutet anders ausgedrückt schlicht eine morphosyntaktische Realisierung, die es ermöglicht, dass ein bestimmtes Satzelement im kommunikativen Akt die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Es drängt sich dabei allerdings noch eine weitere Unterscheidung auf, nämlich jene zwischen primärer Orientierung und sekundärer Orientierung. Unter primärer Orientierung verstehen wir die Ausgerichtetheit des Verbs infolge verbinhärenter Perspektiviertheit. Orientiert sich nun aber das In-Blick-Nehmen an einem bestimmten perspektivierten und fokalisierten Argument oder gegebenenfalls auch Zirkumstanten, indem dessen Prominenz im Satz oder in der Äußerung durch Fokussierung erreicht wird, so handelt es sich dabei um sekundäre Orientierung, die aber, wie bereits hervorgehoben, in erster Instanz schon durch die entsprechende primäre Orientierung bedingt ist. <?page no="154"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 148 Betrachten wir zur Veranschaulichung einige auf einer gemeinsamen generischen Archisemformel 16 basierende Verben des Gebens, wie etwa geben, schenken, leihen, oder vererben mit den von diesen perspektivierten Argumenten, sprich Agens, Patiens und Benefaktiv. Die Analyse ihrer Funktorenstruktur bzw. ihrer Kernkonfiguration 17 ergibt, dass ihnen die Gebens-Orientierung gemeinsam ist. Dies ist die primäre Orientierung. Innerhalb der Gebens-Orientierung gibt es nun die bereits erwähnten Sub-Orientierungen, d.h. also unsere sekundären Orientierungen, wie etwa in diesem Fall die Patiensorientierung, die Benefaktivorientierung oder auch die Agensorientierung. Vergleichen wir exemplarisch a) Ich gebe Geld, ich schenke Zeit, ich biete alles an mit b) Ich gebe den Armen, den Hungernden, den Durstigen und weiter a) und b) mit c) Ich gebe, ich schenke, ich leihe ( - und du? ), so wird dadurch der Unterschied zwischen primärer und sekundärer Orientierung deutlich. Wie gesagt, perspektivieren die Verben des Gebens die drei Argumente Agens, Patiens und Benefaktiv. Dies ist ihre wesensmäßige Stelligkeit oder Perspektiviertheit. Die primäre Orientierung kann man nun als neutrales im Sinne von unmarkiertem verbalisiertem Resüme der entsprechenden formalisierten Funktorenstruktur betrachten. Die sekundäre Orientierung gibt im Gegensatz dazu darüber Auskunft, was auf der Grundlage der primären Orientierung gerade in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird. Im Satz a) ist somit die sekundäre Orientierung die Patiensorientierung, in b) die Benefaktivorientierung und in c) die Agensorientierung, eventuell jedoch auch jene des in der Äußerung durch die Kumulation von ich gebe, ich schenke, ich leihe zum Ausdruck kommenden Frequentativzirkumstanten (vgl. Kap. 3). Das deutsche Verb geben ist also analog zu französisch donner, italienisch dare, portugiesisch und spanisch dar ein dreiwertiges Verb, das als Agens einen Geber, als Benefaktiv einen Nehmer und als Patiens ein Objekt bzw. eine Sache perspektiviert. Die Perspektiviertheit des Verbs ändert sich nun aber auch dann nicht, wenn nicht alle systembedingt perspektivierten Argumente realisiert, sprich aktantiell fokalisiert, werden. Wie wir in den Beispielsätzen a), b) und c) bereits gesehen haben, werden bei der Überführung einer konzeptuellen Struktur in eine sprachliche aus verschiedensten Gründen längst nicht immer alle im Verb angelegten Argumente tatsächlich auch sprachlich realisiert, sprich fokalisiert. Im Satz Peter gibt den Obdachlosen Geld sind die drei von geben perspektivierten Argumente aktantiell realisiert, das heißt also fokalisiert. Lautet der Satz nun aber Peter gibt den Obdachlosen, so bleibt die Stelligkeit des Verbs vom Prinzip her unangetastet, d.h. geben perspektiviert nach wie vor drei Argumente, obwohl in diesem Fall der Patiens nicht fokalisiert wird. Der Benefaktiv nimmt einerseits aufgrund des nullrealisierten Patiens, andererseits wegen der rhematischsten Position die prominente Position im Satz oder in der Äußerung ein. Bezüglich der sekundären Orientierung sprechen wir hier daher von Empfängerorientierung. Benefaktivorientierung ist der generische, hyperonyme Begriff von Empfängerorientierung, systemgemäß daher 16 Vgl. Kap. 5.4. 17 Vgl. Kap. 5.4. <?page no="155"?> 4.1 Thematik 149 aber weniger konkret und in der Diskursanalyse vor allem auch weniger aussagekräftig als Empfängerorientierung. In Peter gibt Geld, (nicht aber Kleidung) wird von den drei systembedingt perspektivierten Argumenten des Verbs der Benefaktiv nicht fokalisiert. Die Perspektiviertheit des Verbs ändert sich aber wiederum nicht. Wenn sich nämlich die Perspektiviertheit - oder Perspektivierung - des Verbs abhängig von der Argumentrealisierung änderte, dann könnte man gar nicht mehr von Auslassungen sprechen, denn aus einem dreiwertigen Verb wäre - in diesem Fall - einfach ein zweiwertiges geworden. Im Rahmen der sekundären Orientierung erlangt in diesem Satz oder in dieser Äußerung der durch ein eine Sache denotierendes Lexem realisierte Patiens die prominente Stelle, weshalb wir in diesem Fall von Sachorientierung sprechen. Patiensorientierung wäre analog zur vorangehenden Benefaktivorientierung relativ abstrakt und in der Analyse konkreter Texte zu wenig aufschlussreich, vor allem dann, wenn es möglich ist, den Benefaktiv konkreter zu benennen. Fokussierung hat - anders als Fokalisierung - wie bereits erwähnt, immer mit Hervorhebung im weitesten Sinne zu tun, wie etwa mit der Hervorhebung durch Links- oder Rechtsdislozierung oder durch Spaltsätze, wie z.B. in Den Obdachlosen gibt Peter Geld oder in Peter gibt ihnen Geld, den Obdachlosen oder auch in Es sind die Obdachlosen, denen Peter Geld gibt. Wie wir aber oben bereits gesehen haben, führt auch die Nullrealisierung eines perspektivierten Arguments bereits bis zu einem gewissen Grad zur Fokussierung eines anderen sehr wohl aktantiell realisierten Arguments, wie beispielsweise des Zweitaktanten Geld in Peter gibt Geld, der allein aufgrund der Nullrealisierung des Arguments des Drittaktanten schon eine gewisse Prominenz im Satz oder in der Äußerung erlangt. Nach der kurzen einführenden Problemskizzierung geht es im zweiten Abschnitt darum, das Phänomen der signifikativen Brechung im Zuge der Lexematisierung einer Denotatswissen repräsentierenden Basisproposition herauszuarbeiten und dessen Relevanz für die Diskursanalyse zu klären. Ferner wird die Frage der Perspektivierung und Fokalisierung sowohl verbinhärenter als auch kontextbedingter oder eventuell lediglich präsupponierter Modifikatoren diskutiert. Thema des dritten Abschnitts ist das Wesen der Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung im Sinne einer spezifischen Sehweise, die durch das individuelle Sachwissen und Sprachwissen bedingt ist. Es ist schließlich das vom Autor gewählte Verb, das die jeweiligen Argumentrelationen vorgibt, aber auch indirekt die Möglichkeiten der Hervorhebung, Abschwächung und Tilgung semantischer Rollen sowie die Spezifizierung nicht-obligatorischer Elemente zumindest bis zu einem gewissen Grad determiniert. Im vierten Abschnitt wird einerseits verdeutlicht, dass sich der Redner trotz systembedingter Perspektiviertheit des Verbs zumindest eingeschränkt für oder gegen die Fokalisierung von Aktanten bzw. Zirkumstanten entscheiden kann. Dass perspektivierte Argumente bzw. auch Modifikatoren längst nicht immer realisiert, sprich fokalisiert werden, hat meist pragmatische Gründe. Die Nicht-Fokalisierung perspektivierter Argumente bzw. Modifikatoren kann daher durchaus als diskurs- <?page no="156"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 150 strategisches Mittel zur Erreichung linguistischer und textlinguistischer Ziele angesehen werden. Im fünften Abschnitt, in dem es um die Fokalisierung geht, betrachten wir die Korrelation zwischen funktorieller Intension und der jeweils davon abhängigen aktantiell zu realisierenden Extension und untersuchen dabei, inwiefern diese Korrelation diskursstrategisch von Bedeutung sein kann. Die Fokussierung ist Thema des sechsten Abschnitts. In diesem Abschnitt geht es darum herauszufinden, auf welche Weise und aus welchen Gründen Perspektiviertes und Fokalisiertes, also aktantifizierte Argumente und zirkumstantifizierte Modifikatoren, zusätzlich noch fokussiert werden und von welcher diskursstrategischen Bedeutung das sein kann. Das Zusammenspiel von Perspektiviertheit, Fokalisierung und Fokussierung ergibt schließlich das, was wir als primäre bzw. sekundäre Orientierung im Diskurs in Abschnitt sieben untersuchen. Im achten und letzten Abschnitt dieses Kapitels geht es darum, verschiedene Perspektivierungsmöglichkeiten eines verbal realisierten Funktors aufgrund dessen prinzipiell variabler Valenzpotenz zu diskutieren, was anhand der Passivdiathese, der rezessiven Diathese, der SE-Diathese, der kausativen Diathese und der Nominalisierung von Verben untersucht werden soll. Perspektivierung, Fokalisierung, Fokussierung und Orientierung sind komplexe sprachliche Phänomene. Aus der Perspektive der Valenztheorie soll hier versucht werden, diese zu ergründen, systematisch zu erfassen und deren jeweilige diskursstrategische Relevanz in der sprachlichen Struktur der politischen Rede zu verdeutlichen. 4.2 Denotatswissen und signifikative Brechung Franco hat vor, Spanien zu organisieren (vgl. (IV.1)). Was heißt es aber, ein Land zu organisieren? Heißt es, das Land zu reformieren, umzugestalten, aufzubauen, umzubauen, zu restrukturieren, zu modernisieren, zu ‚traditionalisieren’, diktatorisch zu verwalten oder demokratisch zu regieren? Und was genau würde im Detail von wem, wann, wo und unter welchen Bedingungen reformiert, umgestaltet, aufgebaut, umgebaut, restrukturiert, modernisiert, ‚traditionalisiert’, diktatorisch verwaltet oder demokratisch regiert? Viele Fragen und keine Anworten als Einstieg in das Thema Denotatswissen und signifikative Brechung. Die Verwendung eines bestimmten Verbs, wie z.B. organizar im Auszug aus Francos Rede, als Bestandteil eines paradigmatischen Feldes im Diskurs, zu dem dann alle oben genannten zu organizar alternativen Verben gehören könnten, ist bedingt durch die bestimmte Sehweise des Autors oder Redners. Es ist nun aber nicht zu übersehen, dass das im Reflex einer persönlichen Sehweise verwendete Verb generisches Denotatswissen (Wotjak 1984; 1985; 1987a; 1987b; 1988a; 1988b; 1991a; 1994a; 1996a; 1996b; 2000, 2001) transportiert. Es sind genau genommen die aus einer paradigmatischen Makrostruktur abgeleiteten semantischen Mikrostrukturen, die in ihren Basispropositionen generisches Denotatswissen enthal- <?page no="157"?> 4.2 Denotatswissen und signifikative Brechung 151 ten. 18 Diese semantischen Mikrostrukturen der verwendeten Verben, situiert im spezifischen diskursiven Kontext, sind nun gerade deshalb auf ihre Kompatibilität mit der unmittelbaren diskursiven Umgebung kritisch zu überprüfen. In den Basispropositionen der LE-Bedeutung finden sich demnach eingefroren „anteilig sozialisiert archisemformelkongruente Sachverhaltswiderspiegelungen als Konstruktionsanleitungen für Wissensorganisation/ Sachverhaltskomplexion“ (Wotjak 1988a, 327). 19 Daraus ergibt sich aber, dass die Spezifik der individuellen Mikrostruktur gerade nicht durch die Beschreibung der das generische Denotatswissen reflektierenden Basisproposition erfasst wird. Aus diesem Grunde ist die für die Diskursanalyse sehr wohl sehr relevante Spezifik der individuellen Mikrostrukturen auf eine andere Weise zu eruieren. Ein Aktantifizierungsmodell, in dem zwar die Argumente eines jeweiligen Verbs möglichst vollzählig spezifiziert werden, reicht also als denotativontologische Herangehensweise nicht aus, um die größtenteils modifikatorbedingten Unterschiede zwischen den individuellen Mikrostrukturen einer Makrostruktur herauszuarbeiten (vgl. Welke 1988b, 138; Wotjak 1970; 1976b; 1987b). Zu diesem Zweck bedarf es also über die Beschreibung der das generische Denotatswissen enthaltenden Basisproposition hinaus einer weiteren, die die signifikative Brechung (vgl. Wotjak 1988a, 327), d.h. das Basispropositionsunabhängige oder mikrostrukturell Spezifische, berücksichtigt und damit die Unterschiede zwischen den auf ein und derselben generischen Archisemformel beruhenden individuellen Mikrostrukturen erfasst. Dies ist insofern von eminenter Wichtigkeit, als es gerade das mikrostrukturell Spezifische ist, das das Persönliche der persönlichen Sehweise ausmacht. Jede Sehweise ist aber eine persönliche Sehweise, zumal es de facto keine neutrale Darstellung von Sachverhalten gibt. Gerade deshalb muss das mikrostrukturell Spezifische als für die Diskursanalyse besonders relevant erkannt und irgendwie herausgefiltert werden. Es gibt deshalb keine neutrale Darstellung, weil jedes Verb durch seine ganz spezifische Argumentstruktur und aufgrund der individuellen Modifikatoranlage bzw. -zulässigkeit „die subjektive Brechung der ontologischen Gegebenheiten“ (Welke 1988b, 138) widerspiegelt. Die Berücksichtigung der signifikativen - oder subjektiven - Brechung ist also für die exakte Verbbeschreibung im Sinne einer exakten Diskursanalyse unerlässlich (vgl. Welke 1988a, 266; Sommerfeldt 1992, 109). Welkes häufig zitierte These bezüglich der Perspektiviertheit - oder Perspektivierung - von Verben lautet: „Verben sind grundsätzlich perspektiviert. Es gibt keine sozusagen neutrale und sprachunabhängige Abbildung von Sachverhalten“ (Welke 1989, 5). Wie bereits eingangs angedeutet, bedeutet Perspektiviertheit also, dass jedem Verb seine eigene spezielle Argument- und gegebenenfalls auch Modifaktorstruktur inhärent ist. Es handelt sich dabei um eine Qualität des Verbs, um die verb- 18 Vgl. Kap. 5.4. 19 Wotjak (vgl. 1988a, 327) weist an dieser Stelle auf die enge Korrelation mit den Geschehenstypen aus der Psychologie bzw. aus der kognitiven Linguistik hin. <?page no="158"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 152 spezifische Stelligkeit, wohingegen wir, wie bereits dargestellt, unter Fokalisierung aktantiell realisiertes Sich-Beziehen auf Argumente und Modifikatoren als das sprachliche In-Blick-Nehmen derselben verstehen. Bereits der Vergleich von Verbsynonymen bzw. Quasi-Synonymen macht deutlich, dass nicht einmal diese notwendigerweise identische Rollenverhältnisse aufweisen (vgl. Oesterreicher 1991, 356), sondern dass selbst sie bereits gegebenenfalls bis zu einem gewissen Grad unterschiedlich bzw. Unterschiedliches perspektivieren. Die Verbwahl für die Textkonstituierung wird vom Autor - oder Redner - in Abhängigkeit davon vorgenommen, wie externe, außersprachliche Faktoren erfasst und systematisiert werden, werden sollen oder werden wollen (vgl. Simmler 1994, 5). 20 Sobald die Verbwahl jedoch getroffen ist, diktiert der Lexikoneintrag des gewählten Verbs die Perspektive (vgl. Welke 1994a, 13), da die Perspektiveunterschiede - kraft der oben besprochenen Perspektiviertheit - bereits in den Verben angelegt sind (vgl. Gil 1999, 53). Wie die Welt wahrgenommen wird, hängt von verschiedenen sprachlichen und außersprachlichen Faktoren ab; wie die Wahrnehmung der Welt wiedergegeben wird, ebenso. Der Sprecher ist allerdings in der Kommunikation, sprich in der Wiedergabe seiner Weltsicht, an die ihm von der Gesellschaft bzw. Sprachgemeinschaft zur Verfügung gestellten Abbilder 21 gebunden. Sprachwissen bedeutet für den kompetenten Sprecher u.a. auch Wissen sowohl über Perspektiviertheit (vgl. Gansel 1992a, 270; 1997, 89) als auch über Realisierungsmöglichkeiten des zu Fokalisierenden. Der kompetente Sprecher kann also sehr wohl durch die Wahl eines spezifischen Verbs sowohl die Argumentstrukur als auch das Modifikatorpotential genauso wie die Fokalisierungsmöglichkeiten seiner Aussage bestimmen. Mit der Wahl eines bestimmten Verbs wird jedenfalls bereits eine bestimmte Perspektive gewählt (vgl. Gansel 2003; Heringer 1984; Welke 2002, 107). Insofern wird deutlich, dass „sprachliche Strukturen das Ergebnis zielgerichteter mentaler Aktivitäten und Operationen“ (Gansel 1992c, 53; vgl. Hillert 1987) sind. Ein möglichst am Orientierungsgeschehenstyp 22 angelehntes und deshalb relativ modifikatorarmes bzw. sogar modifikatorloses Verb kann u.U. sowohl semantisch als auch morphosyntaktisch neutral erscheinen, zumal in einem solchen Verb semisch eben nur sehr wenige oder vielleicht überhaupt keine Modifikatoren angelegt sind und deshalb auch nicht expliziert werden müssen bzw. können. Dennoch ist es gut möglich, dass diese vermeintliche Neutralität des im Diskurs verwendeten Verbs nur eine scheinbare ist. Aus dem Kontext kann etwa relativ 20 Simmler illustriert im Rahmen einer Untersuchung der Verben, die Angriffs- und Zuspielaktionen in Mannschaftssportarten bezeichnen, die Abhängigkeit der Wahl eines bestimmten Verbs von externen, spielbestimmenden Faktoren (vgl. Simmler 1994). 21 Welke (1989, 15) spricht im Zusammenhang von Wörtern, Lexemen und ihren Bedeutungen von „gesellschaftlich bereitgestellten Abbildern ... , [die] eo ipso subjektiv gebrochen sind.“ 22 Darunter sind hochfrequente und prototypische Verben einer paradigmatischen Makrostruktur zu verstehen, die über eine sehr allgemeine Semstruktur verfügen, die den Kern des entsprechenden Geschehenstyps darstellt, der zugleich den semantischen Kern der Sememe weniger typischer Verben aus derselben Makrostruktur darstellt (vgl. Gansel 1992c, 54 ff.) <?page no="159"?> 4.2 Denotatswissen und signifikative Brechung 153 deutlich hervorgehen, dass eventuell trotz einer bestimmten Verbwahl, gewisse, diesem Verb a priori nicht inhärente Modifikatoren präsupponiert oder impliziert werden. 23 In einem isolierten Satz ist eine derartige Analyse allerdings kaum möglich. In den folgenden Beispielen geht es exemplarisch darum, einer derartigen Verschleierungsstrategie durch das Aufspüren zirkumstantiell nicht realisierter modaler Modifikatoren auf die Spur zu kommen. Es geht konkret darum herauszufinden, auf welche Weise eine Handlung durchgeführt wird bzw. ein Ereignis vonstatten geht. Die folgenden Textstellen mögen dies zur Verdeutlichung illustrieren: (IV.1) Nosotros no hemos venido a establecer una dictadura ni a pensar por todos los demás, sino a organizar un país y a devolver a los españoles su fe y su personalidad. (Franco 1945b, 619, 28-30) Organizar un país bedeutet im gegebenen Kontext für Franco das Einführen von Muss-Bestimmungen, d.h. von Gesetzen, deren Nichtbefolgung sanktioniert wird. A priori ist dies allerdings weder integrativer semantischer Bestandteil des Verbs organizar noch der Verbalphrase organizar un país. (IV.2) La cooperazione, offerta dal Führer, che reparti aerei e corazzati germanici attuano nel Mediterraneo, non è che la riprova che tutti i fronti sono comuni e che lo sforzo è comune. (Mussolini 1941a, 55, 184-186) Attuare la cooperazione hat an sich nichts mit dem Versenken feindlicher Schiffe oder dem Töten feindlicher Marineoffiziere oder -soldaten zu tun, in Mussolinis Rede ist dies allerdings damit gemeint, wie logische Schlussfolgerungen aus dem Kontext ergeben. (IV.3) [En juin 1940, vous m’avez d’un élan unanime donné votre confiance. Je vous ai demandé de rester unis.] Je vous ai promis de tout faire pour atténuer votre malheur. (Pétain 1943a, 299, 4-6) Atténuer votre malheur meint hier dem Kontext entsprechend in erster Linie, Grundnahrungsmittel und eventuell Heizmittel zur Verfügung zu stellen. Wiederum ist das Implizierte, hier der modale Zirkumstant, d.h. la façon d’atténuer, nur aus dem Kontext zu erschließen. (IV.4) Uma publicidade desaforada, estúpida umas vezes, outras inteligentíssima e intencional, esquadrinha as atitudes, dá sentido às coisas indiferentes, perverte as intenções mais puras, desvirtua o pensamento mais lúcido, açula paixões, espalha o ódio, lança o terror, suscita problemas e lembra soluções que s-o outros tantos problemas [...]. (Salazar 1939a, 140, 81-87) Esquadrinhar as atitudes bedeutet in der Textstelle aus Salazars Rede, das Beobachten aus einer kritischen Perspektive, perverter as intenções, das Interpretieren von Zielen in nicht-konformem politischem Sinn, desvirtuar o pensamento meint, systemtreues Denken kritisch darzustellen, açular paixões, durch das Aufmerksam- 23 Wird z.B. / geben/ statt / leihen/ oder / schenken/ verwendet, so kann dadurch das Festlegen auf durch Modifikatoren Impliziertes oder Expliziertes vermieden werden. <?page no="160"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 154 Machen auf Missstände Widerstand auszulösen, espalhar o ódio heißt, durch das Informieren der Öffentlichkeit die allgemeine Kritikbereitschaft auszudehnen und lançar o terror, durch das Aufzeigen von Veränderungsmöglichkeiten zu politischem Aktivismus anzustiften. Die Erläuterungen der nicht explizierten modalen Zirkumstanten in (IV.1) bis (IV.4) sind logische und kohärente Schlussfolgerungen aus dem Gesagten im Kontext und könnten deshalb höchstens argumentativ-logisch bewiesen werden. In den Satzbauplänen der genannten Verben sind keine modalen Zirkumstanten enthalten, 24 was den Redner jedoch nicht daran hindert bzw. was diesem gerade die geniale Chance gibt, solche implizit zu integrieren. Derartige Implikationen bzw. Präsuppositionen müssen dann im Zuge einer kritischen Analyse unter dem Blickwinkel der Kohärenz aus dem Text und dem Kontext herausgefiltert werden. Der Zuhörer sieht jedoch in der Regel spontan keine Notwendigkeit, diese syntaktisch nicht-notwendigen Zirkumstanten eines wohlgeformten Satzes zu hinterfragen bzw. zu ergründen, was offensichtlich auch nicht im Sinne des Redners wäre. Instrumentale, komitative, konditionale, modale, kausale, lokale etc. Zirkumstanten sind aber durchaus als sememinduzierte, wenn schon nicht als sememindizierte (vgl. Wotjak 1991a; 1994a; 1996a; 1996b; 2001) von organizar zu betrachten. Die genannten Verbalphrasen müssen bei Hinterfragung des Gesagten auf irgendeine der kontextbedingt möglichen Weisen zu verstehen sein. Wenn es der Redner unterlässt zu präzisieren, auf welche Weise sie nun genau zu verstehen seien, so ist dies eben aus dem Gesagten im Kontext zu folgern. Die Fragen nach der Existenz einer objektiven Welt und nach der prinzipiellen Möglichkeit der Wahrnehmung einer solchen sind so alt wie die Menschheit selbst. Welke stellt dazu fest, dass es keinen außersprachlichen Sachverhalt an und für sich gebe, sondern nur sprachliche Beschreibungen. Sätze bildeten Sachverhalte nicht ab, sondern konstruierten diese erst, und wir versuchten damit, Ordnung in unsere Erfahrungen zu bringen oder gar außersprachliche Tatsachen zu treffen (vgl. Welke 2002, 96). Damit bringt Welke das Wesen der sprachinhärenten Perspektivierung und der signifikativen Brechung auf den Punkt. Ein und dieselbe Situation kann stets unterschiedlich perspektiviert - weil durch verschiedene Verben unterschiedlich signifikativ gebrochen - dargestellt werden. Die Wahl der Darstellung bedingt die signifikative Brechung: Hätte Franco in (IV.1) statt organizar un país etwa introducir un sistema político totalitario gewählt, Mussolini in (IV.2) statt attuano nel Mediterraneo eventuell ammazzano marinai nemici, Pétain in (IV.3) statt pour atténuer votre malheur vielleicht pour vous donner un bout de pain und Salazar in (IV.4) statt desvirtua o pensamento mais lúcido zum Beispiel critica a nossa (oder gar a minha) política, so wären aufgrund der entsprechenden Funktoren Argumente perspektiviert, deren Realisierung jeweils andere semantische Merkmale enthielten als jene im gegebenen Diskurs und das Eruieren von für das 24 Wir gehen mit Blumenthal/ Rovere (1998) davon aus, dass gewisse Verben in ihren Satzbauplänen durchaus Adverbien - bzw. Adverbiale - enthalten, die man nun als Aktanten oder auch als obligatorische Zirkumstanten bezeichnen mag. <?page no="161"?> 4.3 Sachwissen und Sprachwissen als Grundlage 155 Verständnis notwendigen Zusatzinformationen in Form von impliziten Modifikatoren schiene weniger dringend. Die Botschaften wären expliziter, doch für die Redner verbindlicher und kompromissloser. Sie deklarierten sich und machten sich dadurch leichter angreifbar. 4.3 Sachwissen und Sprachwissen als Grundlage für Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung Das Erfassen von Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung hat unmittelbar mit Sprachwissen zu tun, mittelbar jedoch auch mit Sachwissen, was gerade in der Analyse politischer Reden von großer Bedeutung ist. Um die Relevanz von Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung im Allgemeinen und im politischen Diskurs im Besonderen deutlich zu machen, scheint es zunächst - wieder einmal - erforderlich, den Unterschied zwischen Sachwissen und Sprachwissen zu beleuchten und zu präzisieren. Das von der Einzelsprache unabhängige Sachwissen stellt als Ergebnis eines individuellen Erkenntnisprozesses einen Komplex von Begriffen und Beziehungen zwischen begrifflichen Merkmalsstrukturen dar. Es resultiert aus einem zielgerichteten gesellschaftlichen, gruppenspezifischen und individuellen Erkenntnisprozess von der Welt und den diesbezüglich entsprechenden Praxiserfahrungen (vgl. Gansel 1992c, 59; 1993, 158; 1996, 118). Das Sprachwissen hingegen lässt sich in Anlehnung an Coseriu (1988) und Gansel (1992d, 24 ff.) auf drei Ebenen lokalisieren: als allgemeinsprachliche Kompetenz, als einzelsprachliche Kompetenz und als Textkompetenz. 25 Wenngleich die Valenzbeziehungen unmittelbar mit Sprachlichem und mittelbar mit Sachlichem zu tun haben, indem sie nämlich sehr wohl bis zu einem gewissen Grad den Reflex von Außersprachlichem darstellen, ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es inadäquat sei, in den Valenzbeziehungen, sei es auf semantischer oder auf syntaktischer Ebene, ein direktes Abbild außersprachlicher Sachverhalte erkennen zu wollen (vgl. z.B. Helbig 1971, 43). Analog zu den Geschehenstypen der kognitiven Linguistik, die ein möglichst komplettes Inventar an syntaktisch entweder aktantiell oder auch zirkumstantiell zu realisierenden Argumenten enthalten, und zum Aktantifizierungsmodell, das möglichst alle vom jeweiligen Funktor abhängigen Argumente erfasst, enthält das Sachwissen alle Aspekte einer (kognitiven) Szene bzw. Variablen für alle möglichen Argumente und Modifikatoren des Funktors. Sobald jedoch die konzeptuellen Strukturen des Sachwissens auf der Grundlage von Sprachwissen in sprachli- 25 Coseriu (1988) spricht erstens von elokutionellem Wissen in Bezug auf das Sprechen im Allgemeinen, in dem es um die Fähigkeit zum kohärenten und kohäsiven Diskurs geht; zweitens von idiomatischem Wissen als einzelsprachlicher Kompetenz, d.h. von lexikalischsemantischem Wissen als linguistisch geprägtem Wissen; drittens führt Coseriu das expressive Wissen als Textkompetenz im Sinne von Textformulierungswissen an (vgl. auch Gansel 1996, 118 und Klix 1990, 173). <?page no="162"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 156 che Strukturen überführt werden, findet die Abkoppelung von Szenen bzw. Geschehenstypen und denotativer Semantik statt und es wird, wie eingangs angedeutet, Perspektiviertes vollständig - oder eben nur teilweise - fokalisiert. 26 Bezüglich der verschiedenen Zirkumstanten, deren Anzahl, wie oben erwähnt (vgl. Kap. 3), kaum definitiv zu begrenzen ist, muss sich der Redner oder Autor schon aus sprachökonomischen Gründen in seiner Äußerung auf eine bestimmte Auswahl beschränken. Auf welche er sich allerdings beschränkt, ist diskursfunktional von größter Relevanz und höchster Brisanz. Da sich das Denken in sprachlichen Strukturen ereignet, erachten wir mit Welke (1994a, 13) die Perspektivierung als Bedingung der Kognition. Wie bereits oben erwähnt, werden kognitiv erfasste (prototypische) Szenen sprachlich jedoch nicht - oder nur in den seltensten Ausnahmefällen - vollständig wiedergegeben. Die vollständige Wiedergabe einer Szene wäre theoretisch und praktisch sprachlich möglich, nicht jedoch die neutrale Wiedergabe einer Szene oder eines Sachverhaltes im Sinne von unperspektivierter Darstellung. Diese ist, wie bereits ausführlich dargestellt, naturgemäß sprachunmöglich. Jeder mögliche sprachliche Rahmen - im Sinne von Fokalisierungsvariante für die Wiedergabe einer kognitiven Szene - ist bereits das Ergebnis von Perspektivierung und bedeutet zugleich die Reduktion verschiedener Aspekte der entsprechenden kognitiven Szene. 27 Geschehenstypen enthalten eine höhere Anzahl zwischenbegrifflicher Relationen als in einem semantischen Satzmodell perspektiviert (vgl. Gansel 1990, 286) und im Satz oder in der Äußerung fokalisiert werden. Gerade aus diesem Grunde ist die allgemeine Repräsentation aller Aspekte einer Szene von der vom Kasusrahmen vorgegebenen spezifischen Perspektive (vgl. Gansel 2003; Helbig 1987, 201) zu unterscheiden. In Wotjaks Modell der generischen Archisemformeln (vgl. Kap. 5.4) sind spezifische Perspektivierungen als anteilige Aktualisierungen bzw. Spezifikationen gegenüber der jeweiligen Archisemformel zu verstehen (vgl. Wotjak 1987a, 8). 28 Derartige spezifische Perspektivierungen entsprechen bei Gansel (vgl. 1996, 119) den Feldvarianten im Gegensatz zu den Feldinvarianten als relativ unspezifischen Perspektivierungen. 26 Helbig (1990b, 73) hebt hervor, dass aus diesem Grunde allein die Perspektive für die vom Verb regierten Kasus determinierend ist. 27 Polenz ( 2 1988, 157) skizziert diesen Typus von Reduktion am Beispiel der Satzsemantik. Ausgangspunkt ist das vorsprachliche allgemeine Wissen über kommunikativ wichtige Zusammenhänge in der Wirklichkeit. Auf der ersten Reduktionsstufe geht es um das gemeinsame Wissen der Kommunikationspartner, auf der zweiten um deren kontextrelevantes und bewusstes Wissen. Davon wird wiederum nur ein bestimmter Teil gemeint, mitgemeint bzw. mitverstanden. Ein noch geringerer Teil davon wird schließlich ausgedrückt, was nach Polenz ( 2 1988, 157) dazu führt, dass wir uns nicht wundern, „wenn oft der Satzausdruck dürftiger erscheint als die erschließbare Satzinhaltsstruktur.“ 28 Es handelt sich bei der Perspektivierung nach Wotjak (1987a, 8) entweder generell um sprachspezifische signifikative Modalisationen und Spezifikationen der archisemformelhaften Basisproposition in Form von Modifikator- und Definitorsemen oder speziell um semantisch-denotative und semantisch-funktionale Spezifikationen der in der Basisproposition vorgegebenen Argumentleerstellen. <?page no="163"?> 4.3 Sachwissen und Sprachwissen als Grundlage 157 Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Verben grundsätzlich und immer perspektiviert sind bzw. perspektivieren (vgl. Welke 1989, 15; 1990a, 154; Sommerfeldt 1992, 109; 1995, 152) und aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaft der Perspektiviertheit den Kasusrahmen des Satzes bzw. der Äußerung bestimmen. 29 Die Wahl des Verbs legt also die Perspektive auf einen Sachverhalt oder auf eine Szene fest. Durch die Wahl des Verbs bestimmt der Sprecher, welche Kasus spezifiziert werden müssen 30 bzw. welche Mitspieler ins Spiel gebracht werden und welche Rolle bzw. welcher Aktant in den Mittelpunkt gerückt wird (vgl. Sommerfeldt 1991b, 307; Nikula 1985, 166). Nikula (1995b, 139) erachtet aus diesem Grunde die Perspektivierung überhaupt als die „wichtigste Funktion der Bedeutung des Valenzträgers.“ 31 Perspektivierung ist also als eine bestimmte Sehweise zu verstehen, als eine „spezifische Ausrichtung der Sehweise ... im Rahmen möglicher Realisierungen innerhalb einer Szene“ (Wotjak/ Wotjak 1995, 246) bzw. als Ergebnis einer spezifischen Sehweise auf eine konzeptuelle Struktur wie jene des Geschehenstyps (vgl. Gansel 1993, 162). 32 Jedes Verb ist als perspektiviertes Verb nach Welke (2002, 111) „ein Vorschlag der Sprachgemeinschaft an den Sprecher, ein Geschehen aus der im Verb niedergelegten Perspektive zu sehen.“ Durch die Verbwahl bestimmt der Sprecher indirekt die Perspektive auf den betreffenden Sachverhalt. Er entscheidet durch die Verbwahl aber auch über die Aktualisierung der in der Semantik des Valenzträgers eingefrorenen Kommunikation im Sinne von in der Semstruktur des Valenzträgers verankerten Voraussetzungs- und Implikationsrelationen zwischen Sememen, aber auch im Sinne von Hervorhebung, Abschwächung, Tilgung und Spezifizierung semantischer Rollen (vgl. Gansel 1993, 160). In der Kommunikation spielt die im Verb angelegte Perspektiviertheit vermittels ihrer „handlungsdeterminierende(n) bzw. handlungsanweisende(n) Funktion“ (Gansel 1992b, 44) insofern eine wichtige Rolle, als sie erstens die zu spezifizierenden Rollen bestimmt und zweitens darüber hinaus noch deren Hierarchie im Rahmen der Thema-Rhema-Gliederung oder funktionalen Satzperspektive festlegt. Sachwissen und Sprachwissen sind (möglichst) auseinander zu halten. Allein, bereits der Versuch, über konzeptuelles Sachwissen zu sprechen, macht deutlich, wie schwer es ist, Sachwissen und Sprachwissen wirklich absolut auseinander zu 29 Bei der Frage der grundsätzlichen Perspektiviertheit von Verben geht es nach Welke (1990a, 154) darum, „ob man Valenz und andere Phänomene auf einen sozusagen neutralen und objektiv gegebenen Sachverhalt der Realität an sich beziehen sollte oder auf die subjektiv gebrochene Sehweise, die sprachlich vorliegt.“ Welkes Antwort darauf lautet: „Ich favorisiere Letzteres, und das heißt für mich u.a., funktional vorzugehen.“ 30 Helbig (1990b, 73; 1996, 47) spricht in diesem Zusammenhang von der Perspektivenbildungspotenz der Verben. 31 Nikula (1995b, 139) illustriert anhand des Beispiels Sie tötete ihn und Er wurde getötet im Gegensatz zu Er starb, dass der Valenzträger / töten/ , nicht aber der Valenzträger / sterben/ assertiert, dass x verursacht hat, dass y gestorben ist. 32 Gansel (1993, 162) versucht, „Perspektivierungen, Präsuppositionen, Implikationen aus der Kernsemantik und in Wechselwirkung mit der Kontextsemantik zu erschließen und von daher Aussagen über die Grundvalenz mit obligatorischen und fakultativen Ergänzungen zu erwarten.“ <?page no="164"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 158 halten. Wir erinnerten oben daran, dass sich schon das Denken in sprachlichen Strukuren ereigne und Perspektivierung eine Bedingung der Kognition sei. Vielleicht sind Sachwissen und Sprachwissen dann auch nicht wirklich so absolut auseinander zu halten. Seien wir uns gerade in der Diskursanalyse aber zumindest dessen bewusst, dass Sachwissen und Sprachwissen nicht dasselbe ist und dass Einheiten aus dem Sachwissen so oder so besprochen oder gedacht werden können. 4.4 Die Perspektivierung In 4.1 definierten wir Perspektiviertheit als Stelligkeit im Sinne von systembedingtem, verbimmanent angelegtem Satzbauplan, bestehend jeweils aus Funktor, Argument(en) und gegebenenfalls Modifikator(en), und Perspektivierung als das In-Blick-Nehmen von Funktor(en) und Argument(en). In 4.2 sprachen wir davon, dass semantische Mikrostrukturen in ihren Basispropositionen generisches Denotatswissen enthalten und in 4.3 versuchten wir schließlich, die Bedeutung von Sachwissen und Sprachwissen für die Produktion und Rezeption von Sätzen bzw. Äußerungen herauszuarbeiten. Was bedeutet es nun, wenn trotz besetzter Relatpositionen, d.h. trotz aktantiell spezifizierter Argumentvariablen und möglicherweise sogar zirkumstantifizierter Modifikatoren „der Satzausdruck dürftiger erscheint als die erschließbare Satzinhaltsstruktur“, (Polenz 2 1988, 157)? Das bedeutet zum einen, dass selbst die kompetenten Sprecher ein und derselben Sprachgemeinschaft über keine identischen, intersubjektiv gültigen Konzepte der einzelnen Zeichen ihrer gemeinsamen Sprache verfügen - oder was wäre das Konzept von Freiheit, Gerechtigkeit, Sieg - oder auch einfach von Buch? Die sprachlichen Zeichen - einer Sprache - stellen den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft also lediglich konzeptuelle gemeinsame Nenner zur Verfügung, die die Kommunikation - in Ermangelung einer besseren Alternative - notdürftig ermöglichen. Polenz’ Feststellung bedeutet zum anderen auch, dass manch Mitgemeintes nicht vollständig expliziert wird. „Wir wissen ja“, so Heringer (1984, 37), „dass ein Text nicht etwas ist, wo alles explizit ist. Vielmehr brauchen wir sehr viel Wissen und Annahmen, um einen Text zu verstehen“, es werden sehr viel Sachwissen und sehr viel Sprachwissen dafür benötigt. Dieses Wissen und diese Annahmen sind selbst dann notwendig, wenn im Zuge der Überführung einer konzeptuellen Struktur in eine sprachliche alle perspektivierten Argumente aktantifiziert und möglichst viele Modifikatoren zirkumstantifiziert werden. Noch dringender und in einem noch größeren Umfang werden sie aber dann benötigt, wenn nicht einmal mehr alle perspektivierten Argumente aktantiell spezifiziert werden. Und dennoch ist dies überhaupt nichts Außergewöhnliches. <?page no="165"?> 4.4 Die Perspektivierung 159 Eine mittlerweile fast klassische Untergliederung der perspektivierten, aber aktantiell nullrealisierten Argumente ist jene, deren Kategorien als Ellipse, definite Auslassung und indefinite Auslassung bezeichnet werden. 33 Bondzio weist aber schon 1971 (Bondzio 1971, 87 ff.) mit Nachdruck darauf hin, dass in jedem Fall von Auslassung zwei Ebenen kategorisch auseinander zu halten sind: a) die kommunikative Notwendigkeit bestimmter Konstituenten in einem konkreten Satz und b) die notwendigen Mitspieler in semantisch-logischer Hinsicht. Er macht ferner klar, dass kein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Konstituenten, d.h. der Aktanten, im Satz und der Valenz des diese regierenden Verbs besteht: „Die Anzahl der Leerstellen ist eine Erscheinung auf der semantisch-logischen Ebene; die Leerstellen existieren unabhängig davon, ob die entsprechenden Mitspieler ständig auftreten oder nicht.“ Ähnlich argumentiert Nikula (1986, 264), indem er hervorhebt, dass Leerstellen nie in dem Sinne leer sind, dass sie keine Funktion hätten. - Betrachten wir aber als Nächstes die Unterschiede zwischen Ellipse, indefiniter Auslassung und definiter Auslassung. Kennzeichnend für die Ellipse ist die Inhaltsidentität oder völlige Bedeutungsgleichheit mit und ohne spezifiziertem Argument (vgl. Simmler 1985, 450; 1994, 4; Helbig 1971). 34 Die Ellipse ist also an die Rekonstruierbarkeit der Füllung gebunden (vgl. Blume 1993, 23). 35 Busse (1974, 131 ff.) unterscheidet zwischen Ellipsen der Rede, das sind die situationellen oder kontextuellen Ellipsen, „bei denen je ein bestimmtes, nach Situation oder Kontext aber wechselndes Objekt bei einem Verb mitverstanden wird“ und Ellipsen der Norm, bei denen unabhängig vom Kontext ein „genau bestimmbares Objekt“ mitverstanden wird. 36 Die Ellipsen der Norm entsprechen bei Breindl (1989, 17) den lexikalischen Ellipsen, die „eine spezifische idiomatische Lesart des Verbs bedingen.“ 37 In diesem Sinne beschreibt Ágel (1991, 27) treffend, dass die „Herausbildung einer neuen lexikalischen Norm als Endprodukt“ für die lexikalisierte Ellipse kennzeichnend sei, wodurch sich das entsprechende Verb dann an der Grenze zwischen ein- und zweiwertig befinde. Hebt Schwitalla (1988, 76) die Relevanz des Äußerungskontexts für die Rekonstruierbarkeit der Ellipse hervor und spricht von äußerungsbezogener Ellipse, so macht Sommerfeldt (1973, 99) dezidiert darauf aufmerksam, dass zwischen 33 Jacobs (1994a) argumentiert allerdings, dass die Opposition indefinit zu unpräzise sei und schlägt stattdessen (diskurs)ungebunden versus (diskurs)gebunden vor (vgl. auch Ágel 2000, 257). 34 Simmler (1985, 450) spricht von Inhaltsidentität mit getilgten Satzgliedern und ohne sie. Dies klingt allerdings so, als ob das entsprechende Argument zunächst realisiert und im Anschluss daran materiell wieder ausgelöscht würde. Um diesen Trugschluss zu vermeiden, sprechen wir von perspektivierten, aber aktantiell nullrealisierten Argumenten. 35 Ágel (1991, 31) demonstriert u.a. an einem Gegenbeispiel, was keine Ellipse ist. In Die Vokabeln sitzen ist nichts mitgemeint, folglich handle es sich auch um keine Ellipse! 36 Wotjak (1976a, 338 ff.) ortet in den Ellipsen graduelle Unterschiede in der Kointention i.S. des Mitverstehens und unterscheidet zwischen situativ-kontextuellen Ellipsen, Ellipsen der Norm und Ellipsen des Systems. 37 Auch Welke (1988a, 25) unterscheidet zwischen lexikalischen und kontextuellen Ellipsen. <?page no="166"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 160 sprachlichem und außersprachlichem Kontext zu unterscheiden sei. 38 In Bezug auf Letzteren muss generisches Wissen aktiviert werden, was über das „Laufwissen“ (Heringer 1984, 40) geschehe. Entscheidend für die Ellipse sei, dass sie nicht von der Wahl des Verbs, sondern von der syntaktischen Konstruktion abhängig sei, so Jacobs (1994a, 305). Das Argument x ist also zwar nicht als Aktant x’ realisiert, bleibe aber als „unhörbare Konstituente“ vorhanden, 39 was nicht auf nullrealisierte fakultative Ergänzungen zutreffe. 40 Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass die Weglassung fakultativer Ergänzungen etwas ganz anderes sei als die potentielle Weglassbarkeit von Ergänzungen im Allgemeinen, also auch der obligatorischen (vgl. Schwitalla 1985, 267 ff.; Fries 1987, 206; Jacobs 1994a, 285 ff., Ágel 2000, 248; etc.). 41 Es ist nun aber so, dass im Text oder in der Kommunikation sehr oft gerade sememindizierte Argumente nicht aktantifiziert werden. Die für uns hier relevante Frage ist in der Tat jene nach den Gründen, dem Wesen und den Folgen der Auslassungen systemgemäß von den Funktoren perspektivierter Argumente, jener also, die ihre fixe Relatposition im Stellenplan der entsprechenden Verben haben. D.h., es geht um die obligatorischen Aktanten, die in der Kommunikationssituation, bedingt durch die „situative Semantik“ (Wotjak 1974a, 259), die Erschließungsmöglichkeiten im Kontext ermöglicht, ausgelassen werden und somit „elípticos de habla“ (Wotjak 1979, 311) erzeugen. Es sind also kommunikativ-situative Faktoren, die Abweichungen bei der Aktantifizierung a priori obligatorischer Aktanten verursachen (vgl. Wotjak 1984, 403). Dabei drängt sich allerdings erneut die valenztheoretische Urfrage nach den Obligatheitskriterien von Ergänzungen auf. Ohne auch hier ausführlich auf diese Prinzipiendiskussion der Valenztheorie eingehen zu können, sei zumindest auf Storrer (1992), Jacobs (1994b), und Ágel (2000) verwiesen. Storrer (1992, 105) unterscheidet zwischen vier Notwendigkeitskriterien, nämlich zwischen SEM-NOT, SYN-NOT, TEX- NOT und KOM-NOT, 42 die sich entsprechend jeweils entweder auf die Semantik, 38 Ist das nullrealisierte Argument aus dem sprachlichen Kontext zu erschließen, so übernimmt ein Element desselben oder eines anderen Satzes die Rolle des entsprechenden Aktanten, ist es aus dem außersprachlichen Kontext zu erschließen, so sind Erfahrungen, Kenntnisse - das enzyklopädische Wissen - für das Auffinden des aktantiell nullrealisierten Arguments entscheidend. 39 Dies stellt nach Jacobs (1994a, 305) einen markanten Wesensunterschied zwischen Ellipse und Weglassung einer fakultativen Ergänzung dar, da im letzteren Fall die nullrealisierte fakultative Ergänzung nicht als „unhörbare Konstituente“ erhalten bleibe, sondern ein anderes vom Lexikon bereit gestelltes Valenzmodell gewählt wurde. 40 Shopen (1973, 65) unterscheidet ferner zwischen funktionaler Ellipse und Konstituentenellipse, wobei Erstere durch die Argumente ohne die sie regierenden Verben und Letztere durch das Prädikat ohne die Argumente repräsentiert werden. 41 Fakultativität sei strikt von Weglassbarkeit zu trennen. 42 NOT - Notwendigkeit: NOT (K1, V1) in (1), NOT (K2, V2) in (2) - definiert Jacobs (1994b, 13) folgendermaßen: „Dabei gilt für alle S und alle Konstituenten X und Y von S: NOT (X,Y) in S gdw. X aufgrund der lexikalischen Füllung von Y in S nicht weggelassen werden kann, ohne dass die dadurch entstehende Struktur bei gleichbleibender Interpretation von Y ungrammatisch wird.“ <?page no="167"?> 4.4 Die Perspektivierung 161 auf die Syntax, auf den Text oder auf die Kommunikation beziehen, wobei Ágel (2000, 175 ff.) wohl zu Recht darauf hinweist, dass sich die verschiedenen NOT- Typen in der Praxis nur sehr schwer unterscheiden lassen. Ágel (2000, 105 ff.) nennt als Kernfragen der Valenztheorie a) die Frage nach dem verbalen Valenzträger, b) jene nach dem Aktantenpotenzial des Valenzträgers, c) jene nach den Formen und Typen der grammatischen Realisierung der Valenz in verschiedenen Einzelsprachen und d) jene nach den kontextuellsituativen Bedingungen der Valenzrealisierung. 43 An den Tests zur Abgrenzung der Ergänzungen von den Angaben kritisiert Ágel (2000, 170) zunächst, dass zwar am laufenden Band getestet werde, ohne dass man allerdings wisse, was eigentlich getestet werde. Das NOT-Kriterium nach Jacobs (1994b) sei ferner schon deshalb kein Unterscheidungskriterium, „weil mit NOT alleine kein Valenzbegriff begründet werden kann“ und außerdem habe bereits Tesnière schon auf die Wichtigkeit semantischer Tests verwiesen (Ágel 2000, 172). Ágels Vorschlag für die Bestimmung von Aktanten und Zirkumstanten bzw. Ergänzungen und Angaben besteht schließlich in zwei Typen einer Zentrum/ Peripherie-Theorie der Valenz (Ágel 2000, 198 ff.). Der erste Typ gründet auf einer multidimensionalen Auffassung, 44 nach der die Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben zwar nicht aufgehoben wird, nach der es aber zentrale (prototypische), mittlere und periphere (atypische) Ergänzungen gibt. Der zweite Typ ist jener der graduellen Auffassung, nach der Valenz prinzipiell als graduelles Phänomen beurteilt wird. Nach Jacobs’ multidimensionellem Valenzmodell ist Valenz als ein Sammelbegriff für eine Anzahl von Relationen zu verwenden. Valenz „hätte dann einen gänzlich anderen Status als in der bisherigen Literatur“ (Jacobs 1994b, 54) und wäre dann ein cover term für inhaltlich verschiedene Phänomene, die allerdings gewisse Ähnlichkeiten aufwiesen. 45 43 Bei a) geht es um die Definition des Verbs als Valenzträger, bei b) darum, die Valenzpotenz von Verbalternanten und Verbvarianten zu bestimmen, bei c) um die bereits in Kapitel 1 und 2 besprochenen unterschiedlichen Aktanten- und gegebenenfalls auch Zirkumstantenrealisierungsvarianten in den Einzelsprachen und bei d) um die Valenz im Text. 44 Für eine multidimensionale Interpretation des Begriffs Valenz spricht sich Jacobs (1992, 95) schon 1992 aus, nämlich „für eine Reihe von ausdrucksinhärenten Selektionseigenschaften [...], die eigenständig sind, aber in prototypischen Fällen gemeinsam vorliegen und darüber hinaus in empirischen Implikationsverhältnissen stehen.“ Zu diesen Selektionseigenschaften zählt er neben den semantischen Forderungen nach einer Anzahl von Argumenten (Arg-Sel) mit bestimmten sortalen Eigenschaften (Sort-Sel) auch Eigenschaften, die sich auf die Form möglicher Begleiter der jeweiligen Valenzträger beziehen (Form-Sel) sowie solche, die die Nicht-Weglassung (Real-Sel) betreffen. 45 Zu diesen Relationen zählt Jacobs (1994b, 13 ff.) NOT (Notwendigkeit), BET (Beteiligtheit), ARG (Argumenthaftigkeit), EXO (Exozentrizität), FOSP (formale Spezifizität), INSP (inhaltliche Spezifizität) und ASSOZ (Assoziiertheit). Diese sieben Beziehungen wären nicht als Aspekte eines Phänomens, sondern als eigenständige Beziehungen zu erachten, die eine „koaspektuelle Interpretation“ (Jacobs 1994b, 53) ermöglichten. In seiner Nachschrift zu dieser Arbeit stellt Jacobs allerdings fest, dass seiner Meinung nach Valenz nach wie vor eine Verknüpfung voneinander weitgehend unabhängiger Phänomene darstelle, dass aber EXO und ASSOZ nicht auf eine Ebene mit NOT und ARG gestellt werden könnten. Zur Unabhängigkeit der verschiedenen Dimensionen meint Jacobs (2003, 391) weiter: „Die theoretische Bri- <?page no="168"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 162 Einmal mehr ist klar geworden, dass es keine absolute Grenze zwischen Aktanten und Zirkumstanten gibt. Alternanten und Varianten eines Valenzträgers sorgen schon für unterschiedliche Valenzpotenzen in der langue, und die Besetzung der Relatpositionen eines Valenzträgers in der Kommunikation bzw. im Text bedingt weitgehend erst die tatsächliche Valenzrealisierung in der parole. 46 Was wir im Rahmen der Auslassungen untersuchen, ist die Valenzrealisierung in der parole, denn obligatorische Aktanten sind nur in der parole, d.h. im sprachlichen Kontext weglassbar, fakultative hingegen auch ohne Kontext (vgl. Nikula 1978, 26). 47 Für die Valenzrealisierung in der parole ist es aber unabdingbar, dass der Valenzpotenz der Varianten 48 und Alternanten 49 der jeweiligen Valenzträger gebührend Rechnung getragen wird. Bezüglich des Wesensunterschiedes zwischen definiter und indefiniter Auslassung 50 gilt es hervorzuheben, dass dieser im Kern darin begründet liegt, dass das ausgelassene definite Satzelement im Gegensatz zum ausgelassenen indefiniten Satzelement 51 eindeutig aus dem sprachlichen Kontext zu erschließen ist. Ist ein aktantiell nicht realisiertes Argument, das vom Funktor sehr wohl perspektiviert wird, im Kontext aber nicht eindeutig zu identifizieren, so handelt es sich um eine indefinite Auslassung und der Empfänger ist gefordert, das unspezifiziert gebliebene Argument für sich selbst zu realisieren. Der Sender überlässt also die Realisierung dieses perspektivierten, aber unspezifizierten Arguments, d.h. das Auffinden der indefiniten Auslassung als Referenz des entsprechenden Arguments, dem „Vorwissen der Inferenz des Empfängers.“ Der Sender stellt also, um es in Wotjaks (1985, 203 ff.) Worten auf den Punkt zu bringen, „das enzyklopädische Denotatswissen des Empfängers sowie dessen kognitiv-kombinatorische (Inferenz)Fähigkeit in Rechnung.“ Im Grunde sind dies auch Helbigs (1992, 106) Kriterien für die Unterscheidung zwischen definiter und indefiniter Auslassung. Die „Ausfüllung“ für die definite Auslassung finde sich im Vorgängersatz, jene der indefiniten bleibe ganz einfach indefinit. Es sei außerdem unerheblich, was diese sanz der Zerlegung der Valenz in verschiedene Dimensionen liegt darin, dass diese Dimensionen unabhängig voneinander sind. Es handelt sich also nicht um verschiedene Aspekte ein und desselben Phänomens, die immer zusammen vorliegen müssen, sondern um verschiedene Phänomene, die zusammen vorliegen können, aber nicht müssen.“ 46 Vgl. Ágel (2000, 105 ff.; 2002, 6 ff.) zu Valenzpotenztheorie und Valenzrealisierungstheorie. 47 Schwitalla (1988, 74) kommt bei seinen Untersuchungen zum Ergebnis, dass die meisten Auslassungen definiter Natur sind. 48 Das Variantenproblem bezeichnet Ágel (2000, 129) als „ein Fass ohne Boden.“ Es geht dabei um die wechselnden semantischen Anforderungen des Funktors als Valenzträger an die von ihm regierten Argumente. Als Beispiel nennt Ágel Sie verschlief den Zug versus Sie verschlief die Sorgen. 49 Beim Alternantenproblem geht es um die „regelhaften/ rekurrenten grammatischsemantischen Beziehungen zwischen und innerhalb verbaler Sprachzeichen/ Interimzeichen“ (Ágel 2000, 116). Als Beispiel hierfür führt Ágel laden/ malen/ werfen versus beladen/ bemalen/ bewerfen an. 50 Korrekterweise müsste die definite bzw. indefinite Auslassung eigentlich Auslassung eines definiten bzw. indefiniten Satzelementes heißen. 51 Als strukturelles Kriterium der indefiniten Auslassung nennt Ágel (1993a, 43) mit László die makrovalenzielle Nichtrealisierung eines mikrovalenziellen 0-Aktanten. <?page no="169"?> 4.4 Die Perspektivierung 163 Ausfüllung der indefiniten Auslassung darstelle. - Dies scheint allerdings eine zu sehr vereinfachte Darstellung, weshalb die angesprochene Unerheblichkeit der Ausfüllung der indefiniten Auslassung zu hinterfragen ist. Dazu scheint ein kurzer Exkurs notwendig. Wenn auf die Frage Wann isst du immer? die Antwort Ich esse immer um 14 Uhr folgt, oder auf die Frage Was machst du montags? die Antwort Ich wasche, so scheint es in der Tat unerheblich und außerdem unmöglich aufzuzählen, was immer gegessen bzw. montags gewaschen wird. Doch selbst in viel eingeschränkter generischen Äußerungen ohne diese umfassende Gültigkeit, wie etwa Ich habe heute um 13 Uhr gegessen oder Ich habe heute gebügelt, ist es offensichtlich sowohl für den Sender als auch für den Empfänger unerheblich, was gegessen oder gebügelt wurde. 52 Vergleichen wir diese beiden Äußerungen aber etwa mit jener Mussolinis: „Solo obbedendo, solo avendo l’orgoglio umile ma sacro di obbedire si conquista poi il diritto di comandare (Mussolini 1922, 6)“, so wird mit einem Schlag deutlich, dass der Sender Mussolini offensichtlich an eine sehr konkrete Autorität als nicht realisierten Referenten für das dritte Argument von obbedire denkt, die weder die Taufpatin noch die Großmutter, noch der Dorfpfarrer, noch der Dorflehrer darstellt, was sehr wohl erheblich ist. Die Unterscheidung zwischen definiter und indefiniter Auslassung scheint also in der Tat zu eng gegriffen, sodass hinsichtlich der indefiniten Auslassungen eine weitere skopusabhängige Subklassifizierung in diskursgebundene und diskursungebundene Auslassung notwendig erscheint (vgl. Jacobs 1994a, 301). 53 Shopen (1973, 67) nähert sich den definiten Auslassungen über die Präsuppositionen und verweist darauf, dass die Argumente von definiten Auslassungen 54 präsuppositionell gegeben seien. Sæbø (1996, 1987) verweist genau darauf, indem er feststellt, dass seit Shopen (1973) klar sei, dass viele fehlende Argumente eine anaphorische Interpretation verlangten, was mit Präsupposition zu tun habe. Die Präsupposition löse die anaphorische Interpretation des zero-argument aus, sie verursache die definite Interpretation des zero-argument (vgl. Sæbø 2003). Für kontextbestimmte Mitspieler, für jene also, die aus dem Kontext zu erschließen seien, müsse man sich eine Anapher hinzudenken (Sæbø 1984, 101). Manche Nullargumente seien somit anaphorisch zu interpretieren, manche hingegen existenziell. „Zero-anaphora“ sind bei ihm jene Nullargumente, die vom Kontext abhängen, anaphorische Präsuppositionen hängen hingegen unmittelbar vom Prädikat ab. Definit versus indefinit sei davon abhängig, wo der Referent einge- 52 Eingeschränkt ist die Generizität insofern, als davon auszugehen ist, dass es sich bei den jeweiligen Zweitaktanten um etwas im Kulturkreis üblicherweise für Menschen Essbares - also nicht etwa um Wiesenblumen - bzw. um Körper-, Tisch-, Bettwäsche im weitesten Sinne handelt und nicht etwa um Snowboards, Schischuhe oder Computer, die montags gewaschen werden. 53 Jacobs (1993, 11) hebt hervor, dass die Denotation des impliziten Arguments nicht unbedingt kontextuell unabhängig ist - im Gegensatz zur Denotation von Existenzquantorpronomen. Bei Peter hat akzeptiert muss der Empfänger wissen, was Peter akzeptiert hat, während er bei Peter hat geheiratet nicht wissen muss, wen Peter geheiratet hat, damit die kommunikative Interaktion Sinn macht. 54 Definite Auslassungen sind bei Shopen (1973) definite Ellipsen. <?page no="170"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 164 führt werde, ob bereits in der Präsupposition oder erst in der Assertion. Wird das Argument erst in der Assertion eingeführt, so sei es „essentially novel“ (Sæbø 1996, 192 ff.). 55 Nikula (1986, 264) charakterisiert schließlich die definite Auslassung als durch implizite Anapher gegebene Anweisung, Leerstellen zu suchen bzw. Extensionen zu ermitteln, wofür der Kontext, des Empfängers Wissen und die Bedeutung des Verbs entscheidend seien. Für die indefiniten Auslassungen sei der Kontext ein entsprechend weiterer. Die Untersuchung der Nullrealisierung perspektivierter Argumente, deren Referenz nun entweder präsuppositionell gegeben oder anaphorisch zu suchen ist, stellt den Kernbereich der sogenannten pragmatischen Valenz dar (vgl. R ži ka 1978). 56 Der Sender hat sehr oft die Wahl, etwas - d.h. Argumente oder Modifikatoren - an der Oberfläche zu realisieren oder nicht zu realisieren (vgl. Helbig 1985, 153). I.d.R. werden aber nach Wotjak (1991a, 114) weniger Argumente aktantifiziert, als sememindiziert sind. In unserer Terminologie heißt das, dass längst nicht immer alle perspektivierten Argumente aktantiell fokalisiert werden. Die Bedingungen für die Weglassbarkeit sind pragmatischer Natur (vgl. Nikula 2003). 57 Hinsichtlich der Zirkumstantifizierung von Modifikatoren haben wir schon mehrfach darauf hingewiesen, dass diese noch viel dürftiger ausfällt als die Aktantifizierung von Argumenten. Erstens ist die Wohlgeformtheit des Satzes nur in Ausnahmefällen von der Zirkumstantifizierung von Modifikatoren abhängig, zweitens ist völlig ungeklärt, wie viele Variablen für welche Modifikatoren bzw. Zirkumstanten in einer kognitiven Szene anzusetzen wären, und drittens ist es schon aus sprachökonomischen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit, ein Maximum an Zirkumstantifizierungen von Modifikatoren auch nur anzustreben. In der linguistischen Pragmatik geht es um die Verwendung der sprachlichen Zeichen im interaktionalen Kontext. Problematisch scheint die Bezeichnung pragmatische Valenz allerdings insofern, als die Valenz eindeutig eine nichtpragmatische Eigenschaft des entsprechenden Valenzträgers ist. Valenz ist als 55 Bei refuse ist z.B. das Argument in der Präsuppositionsstruktur enthalten, nicht so bei receive Sæbø (1996, 194). 56 R ži ka (1978) zählt zu den Begründern oder Entdeckern der pragmatischen Valenz. Er postuliert vor allem, dass die Intention der Auslassung die Vermeidung von Redundanz sei. Das Beispiel, an dem er dies zunächst illustriert, ist (Wir wählten Boris zum Präsidenten). Es scheine irrelevant, aus welcher Gruppe von Menschen gewählt wurde. Wohlgeformt seien aber auch (Wir wählten Boris) und (Wir wählten den Präsidenten). Andererseits könnten bestimmte Variablen - oder Kombinationen von Variablen - aber nicht ausgelassen werden, wie etwa * (Wir wählten) R ži ka (1978, 48 ff.). - Wir würden zum einen sagen, dass bestimmte Variablen nicht unbesetzt bleiben dürfen - anstatt ausgelassen zu werden, zum anderen, und das scheint noch viel wesentlicher, ist (wählen) durchaus auch allein mit realisiertem Erstaktanten kommunikativ vorstellbar, wie etwa in der Schlagzeile (Österreich hat gewählt). Dadurch wird deutlich, dass nicht nur die Satzobligatorik (vgl. Nikula 1986, 263), sondern selbst die Textobligatorik im Einzelfall zu diskutieren ist. 57 Blume (1993, 28 ff.) hat diesbezüglich weglassungsbegünstigende Kontexte eruiert, zu denen sie vor allem folgende zählt: 1) Imperativ- und Aufforderungssätze, 2) generische und habituelle Kontexte, 3) bestimmte Aktionsarten und 4) Exklamativität. <?page no="171"?> 4.4 Die Perspektivierung 165 „lexikalisches Phänomen“ (Nikula 1999, 398) eine Eigenschaft des Systems, die Pragmatik bezieht sich aber auf die praktische Realisierung bzw. Nullrealisierung von Argumenten. In der semantischen, in der syntaktischen und selbst in der kognitiven Valenz kann man noch von systemhaften Relatpositionen des Valenzträgers ausgehen bzw. zumindest diese untersuchen. In der sogenannten pragmatischen Valenz geht es aber nicht um die Ermittlung systemhafter Relatpositionen, sondern um die Realisierung bzw. Nullrealisierung, d.h. um die Fokalisierung bzw. Nullfokalisierung, bereits perspektivierter Argumente - und gegebenenfalls - Modifikatoren, deren Relatpositionen schon im Vorfeld semantisch oder kognitiv ermittelt wurden. Aus diesem Grunde scheint es in der Tat angebracht, die sogenannte pragmatische Valenz nicht auf einer Ebene mit der syntaktischen, semantischen und kognitiven Valenz als theoretischen Ansatz für die Verbuntersuchung zu erachten. 4.4.1 Perspektivierung und Nullaktantifizierung In der Folge geht es darum, anhand einer Reihe von Beispielen aus den Reden der zur Diskussion stehenden Politiker zu demonstrieren, wie indefinite diskursgebundene Auslassungen in der politischen Rede (vermutlich) kommunikativ gesteuert werden und zu welchen Zwecken a priori perspektivierte Argumente im Diskurs nullrealisiert werden. In den konsultierten Valenzwörterbüchern werden häufig auch Satzbaupläne für die absolute Verwendung der entsprechenden Verben mitgeliefert. Diese erachten wir aber nicht als die neutralen Standardsatzbaupläne, sondern als Satzbaupläne für Sätze bzw. Äußerungen, die bestimmten pragmatischen Bedingungen unterliegen. 58 D.h. wir gehen etwa im Falle von französisch manger, italienisch costruire, spanisch resistir oder portugiesisch lutar von einer natürlichen Stelligkeit aus, die zumindest die beteiligten Argumente - wenn schon nicht die Modifikatoren - miteinbezieht. Dies bedeutet folglich x mange y, x costruisce y, x resiste contra 58 Gutiérrez Ordóñez (2004, 149 ff.) diskutiert einen besonderen Fall von Auslassungen, nämlich jenen von „usos neutros en los que el verbo cobra un significado nuevo y que modifican la combinatoria sintagmática.“ Dies illustriert er an den (klassischen) Beispielen: Pepe canta (= Es cantante); Ramón bebe (= Es bebedor); Jesús escribe (= Es escritor); Mi hijo fuma (= Es fumador). Er erklärt dazu weiter: „En estos usos el verbo no permite la incorporación de complementos directos ni explícitos ni pronominales. […] Creo que estamos ante casos de homonimia verbal. El cambio de significado comporta una modificación de la valencia combinatoria. Son dos signos diferentes.“ In der Fußnote ergänzt er aber, dass sehr wohl „complementos directos en plural que no alteran su significado habitual“ - also etwa wie in Pepe escribe novelas oder Luis fuma puros - hinzugefügt werden könnten. Von Valenzreduktion sprechen wir im Rahmen der Auslassungen aber nur dann, wenn das Verb, das auch eine transitive Variante hat, ohne den von ihm fokalisierten Zweitaktanten quasi eine selbständige Eigenbedeutung (erhalten) hat, von der der affizierte - oder auch effizierte - Zweitaktant integrativer, nicht mehr zu explizierender Bestandteil (geworden) ist. Explizierte man den Zweitaktanten, so führte dies - zumindest in kommunikativpragmatischer Hinsicht - zu einer Bedeutungsveränderung. Sagt man etwa Er trinkt, so bedeutet dies in der Regel Er ist Alkoholiker. Sagt man Er trinkt Wein, so sagt man damit keinesfalls, dass er Alkoholiker sei. <?page no="172"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 166 y bzw. x luta contra y. Auch in der absoluten Verwendung dieser Verben ist y eine am jeweiligen Sachverhalt beteiligte Konstituente. Die Bedingungen, die die Weglassung von Aktanten begünstigen, sind insofern als pragmatisch zu erachten, als sie „kommunikativ-illokutiver“ Natur sind (vgl. Wotjak 2001, 36; Storrer 1996a, 225). Die Nullrealisierung von Aktanten dürfte aber an und für sich nur stattfinden, wenn das Quantitätsprinzip, das Relevanzprinzip und das Prinzip der Eindeutigkeit gewahrt bleiben (vgl. Ágel 1991, 37). Es wäre nach Nikula (1985, 175) sogar unkooperativ, nach indefinit Ausgelassenem zu fragen, denn man würde dadurch dem Redner implizit unterstellen, dass dieser die Kooperationsprinzipien (Grice 1975, 45 ff.) nicht befolge. Dass es aber mitunter durchaus angesagt wäre, nach indefinit Ausgelassenem zu fragen, stellt sich spätestens bei der Untersuchung der folgenden Textstellen heraus. Das indefinit Ausgelassene sei weiter nicht erfragenswürdig, weil es sich, nach Nikulas (1985, 173) Verständnis, um Unbekanntes oder Irrelevantes handle. Heringer (1984, 40 ff.) geht davon aus, dass der Sprecher nichts Bekanntes oder Irrelevantes sagen würde und somit dem indefinit Ausgelassenem wohl weiter keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken sei. 59 Dass es sich beim indefinit Ausgelassenen aber längst nicht immer um Bekanntes oder Irrelevantes handelt, wird ebenfalls bei der Betrachtung der folgenden Textpassagen klar. Weglassungen oder Auslassungen sind auf verschiedenste Weisen interpretiert worden. 60 Uns geht es im Folgenden darum, sechs für den politischen Diskurs besonders relevante Sehweisen oder Verständnismöglichkeiten von indefinite Auslassungen enthaltenden Äußerungen zu beleuchten. 4.4.1.1 Generizität: (IV.5) Nuestra obra podría no ser perfecta, y nuestros hombres, discutidos; quizá no sean ni los más sabios ni los mejores, pero de lo que no hay duda es de que son los que tienen mejor voluntad de hacer. (Franco 1945b, 619, 18-21) hacer: „01“ [El alumno hace sus tareas.] (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 167). 59 Zu den Gründen für Auslassungen zählt Heringer (1984), dass das Ausgelassene überflüssig sei, einen Teil des Dauerwissens darstelle, trivial sei oder einfach stillschweigend vorausgesetzt werde. 60 Welke (1988b, 136) verweist u.a. auf die Betonung des Verlaufes, auf die Art des Geschehens oder die Allgemeingültigkeit, die durch Auslassungen zur Geltung kommen können. Durch Auslassungen könne etwas aber auch als potentieller, nicht aktueller Vorgang dargestellt werden. Auslassungen dienten ebenfalls der Kontrastbildung (vgl. Welke 1988a, 26 ff.). Ágel (2000, 250) nennt als Kriterien für Auslassungen u.a. die lexikalische Ellipse, die Vorwärtsellipse, die Rückwärtsellipse, fachsprachliche Verwendung, Generizität, Habitualität, Textsortenspezifik, Inkonstanz des Valenzträgers etc. Schwitalla (1988, 78) erklärt, dass eine Äußerung eine generalisierende Funktion erhalte, falls das aktuell ausgelassene Element auch nicht vorerwähnt wurde. Nikula (1995a, 329) weist aber auch nach, dass im Falle von Auslassungen der Valenzträger mit den restlichen Ergänzungen automatisch stärker fokussiert wird. <?page no="173"?> 4.4 Die Perspektivierung 167 Der Zweitaktant von hacer bleibt unspezifiziert. Es wird dadurch die allgemeine Bereitschaft zum Handeln, zum Tun signalisiert, was durchaus eine positive Bewertung seitens der Zuhörerschaft erwarten lässt. Die Signalisierung einer allgemeinen Bereitschaft zum Handeln soll es offensichtlich irrelevant scheinen lassen, worin die konkreten Handlungen bestehen werden. (IV.6) I popoli diventano grandi osando, rischiando, soffrendo, non mettendosi ai margini della strada in una attesa parassitaria e vile. (Mussolini 1941a, 57, 274-276) osare: 1. N - V - (N1); 2. N - V - (di) Inf. (Blumenthal/ Rovere 1998, 737). rischiare: N - V - N1 (Blumenthal/ Rovere 1998, 998). soffrire: N - V - di/ su N3 (Blumenthal/ Rovere 1998, 1136). In (IV.6) fehlen ebenfalls die Zweitaktanten. Wagemut, Risikobereitschaft und die Fähigkeit zu leiden oder Entbehrungen zu ertragen mögen durchaus zum Groß- Werden beitragen. Indem das jeweils zweite Argument von osare, rischiare bzw. soffrire aber aktantiell unrealisiert bleibt, kann der Redner zwar einerseits den allgemeinen Wert dieser Tugenden hervorheben, andererseits aber auch Argumente nach seinem Gutdünken perspektivieren und an anderen Stellen weiter suggerieren. (IV.7) Nós n-o somos uma força destinada só a batalhar; nós somos uma força destinada a vencer e a manter intacta a vitória. (Salazar 1938a, 15-16, 14-16) batalhar: N - V - por/ contra N. Dieses Verb ist nicht in Busse (1994) enthalten. vencer: N - V - (N) (Busse 1994, 402). Im ersten Fall fehlt der Drittaktant, im zweiten - gegebenenfalls - der Zweitaktant. Ohne realisierten Drittbzw. Zweitaktanten erhält jedoch auch diese Aussage einen hohen Grad an Generizität. Es geht nicht um etwas Punktuelles, für oder gegen das gekämpft werden soll, sondern um die Bereitschaft zum Engagement. Es geht auch nicht mehr darum, etwas zu besiegen, sondern generell darum, einfach Sieger zu sein. Wiederum wird somit allerdings verschwiegen, wofür bzw. wogegen es sich zu kämpfen lohnt und worüber letztlich gesiegt werden wird. Die Zuhörerschaft soll dem Redner beipflichten, ohne dies ausfindig machen zu wollen oder zu können. (IV.8) Enquanto o Exército que fez a Revoluç-o ocupa os postos que lhe foram indicados, a Naç-o tem o dever de mostrar a sua unidade, força e coes-o, numa palavra, plena consciência nacional. (Salazar 1943, 414, 837-841) mostrar: Np - V - (a Np) - N (Busse 1994, 311). Wenn etwas gezeigt wird, dann wird es jemandem gezeigt, unabhängig davon, ob der Drittaktant in der Äußerung realisiert wird oder nicht. Wenn Salazar, der Chef der Nation, der Nation mitteilt, dass er es als deren Pflicht erachtet, Einigkeit zu zeigen, so wird sie in erster Linie ihm diese Einigkeit zeigen müssen, und er wird dafür Sorge tragen, dass sie es tut. Indem der Drittaktant jedoch unrealisiert bleibt, kann jeder Einzelne der Zuhörer für sich davon ausgehen, dass ihm diese Einigkeit geoffenbart werden soll. <?page no="174"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 168 4.4.1.2 Habitualität: (IV.9) La Germania è in grado di resistere e di determinare il fallimento dei piani nemici. (Mussolini 1944, 135, 382-383) resistere: N - V - (a N3) (Blumenthal/ Rovere 1998, 904). Indem der Drittaktant von resistere ausgespart und damit die perspektivierte Argumentvariable unbesetzt bleibt, referiert der Funktor auf eine Klasse von Situationen. Es entsteht der Eindruck, dass Italien grundsätzlich immer gegen jede Feindseligkeit Widerstand leisten könnte. (IV.10) J’ai maintes fois demandé, et avec quelle insistance, d’établir entre vous l’accord des pensées. (Pétain 1943c, 319, 39-40) demander: N - V - à N - de Inf (Busse/ Dubost 2 1983, 83). Pétain unterlässt es zu präzisieren, wen er mit der Herstellung des Einverständnisses beauftragt hat. Er betont, dass er es schon wiederholt gemacht habe, was der Dringlichkeit der Angelegenheit Nachdruck verleiht. Indem der Drittaktant von demander ungenannt bleibt, muss sich niemand persönlich angegriffen fühlen - was der von Pétain gewünschten Solidarität der Zuhörerschaft mit ihm kaum zuträglich wäre - , es kann aber jeder für sich die Chance erkennen, Verabsäumtes nachzuholen. (IV.11) Muitas vezes nos batemos por honra, dever ou ideal, n-o por interesses materiais, e tendo malbaratado fazenda e vidas, nunca a guerra nos foi negócio ou fonte de negócios. (Salazar 1939a, 145, 216-220) bater-se: 1. Np - Vse - com Np; 2. Np - Vse - contra N (Busse 1994, 84). Dass sich die Portugiesen oft wegen der Ehre, aus Pflichtbewusstsein oder für bestimmte Ideale schlugen, lässt durchaus den Eindruck entstehen, dass die Portugiesen ein ehrenvolles, pflichtbewusstes und Ideale hochhaltendes Volk sind. Die Betonung liegt einerseits auf muitas vezes, andererseits auf den Gründen por honra, dever ou ideal. Ausgespart bleibt der Drittaktant, der als obligatorischer Partizipant der entsprechenden Interaktion somit in den Hintergrund rückt. Da sich dieses Sich-Schlagen aus ehrenvollen Gründen oft wiederholt hat, reflektiert es eine ehrenvolle Grundhaltung der Portugiesen. (IV.12) Trabalhando e recebendo em nossa carne duros golpes, descobrimos, civilizámos, colonizámos. […] Com trabalho intenso e ingrato, esforços sobrehumanos na terra e no mar, ausências dilatadas, a dor e o luto, a miséria e a fome, almas de heróis amalgamaram, fizeram e refizeram a História de Portugal. N-o puderam erguê-la com egoísmos e comodidades, medo da morte e da vida, mas lutando, rezando e sofrendo. (Salazar 1940, 257-258, 64-96) descobrir: N - V - N (Busse 1994, 157). civilizar: N - V - N (Busse 1994, 107). colonizar: N - V - N (Busse 1994, 112). lutar: 1. N - V - com N; 2. N - V - contra N; 3. N - V - por N (Busse 1994, 294- 295). sofrer: N - V - de N (Busse 1994, 377). <?page no="175"?> 4.4 Die Perspektivierung 169 Im ersten Satz fehlt jeweils der Zweitaktant, im zweiten jeweils der Drittaktant. Dadurch besteht keine spezifische Referenz auf ein bestimmtes Ereignis, sondern es wird wieder Habitualität und somit eine Grundhaltung ausgedrückt. Außerdem wird vermieden, dass durch die Rekurrenz auf Einzelereignisse Individuelles und Persönliches in Blick genommen wird, wodurch leichter Kritik an der angeblich so ehrenvollen Grundhaltung aufkommen könnte. Die Tatsache, dass Portugiesen plötzlich gegen Menschen in anderen Ländern kämpften und dann noch unter etwas Nicht-Genanntem, aber nichtsdestotrotz Bestimmtem zu leiden hatten, weil sie von den politischen Machthabern Portugals dazu gezwungen worden waren, gegen die Nicht-Genannten zu kämpfen, könnte unter den Zuhörern durchaus Solidarität mit ihren einst kämpfenden und leidenden Landsleuten, anstatt Solidarität mit den dafür verantwortlichen Machthabern auslösen, was keinesfalls in Salazars Interesse läge. 4.4.1.3 Verstärkung versus Kontrast: (IV.13) [Teníamos que ir, como digo, a las páginas de la Historia para encontrar ecos del Imperio y del camino de la victoria.] Teníamos que luchar para levantar a España, y fueron nuestros cuarteles castillos roqueros donde se fraguó la victoria, como eran nuestros hogares cristianos y honrados escuela perenne de sacrificio. (Franco 1940, 159, 10-16) luchar: „04.“ In Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 196) findet sich luchar als das spanische Äquivalent des deutschen sich schlagen für und verlangt folglich in dieser Verwendung einen präpositionalen Drittaktanten. levantar: „01(6“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 45) Luchar impliziert, dass mit jemandem oder gegen etwas gekämpft wird, levantar, dass etwas von irgendwo oder aus einer Situation gehoben wird. Es fehlen in diesem Satz beide Drittaktanten, sodass zwar intensives Tun, dieses aber ohne konkreten Bezug dargestellt wird. Durch die zwei aufeinander folgenden Verben ohne den jeweiligen Drittaktanten wird zwar die Darstellung des Tuns verstärkt, ebenso jedoch die Vagheit, die in dieser Intensität durchaus auch Fragen aufwerfen könnte. (IV.14) El haber querido cambiar nuestro Derecho, el haber querido transformar nuestras Instituciones, saturándolas de las nuevas doctrinas de la Enciclopedia, produjo aquellas reacciones españolas que tantas veces ensangrentaron nuestras tierras, y que tuvieron coronación y remate en nuestra gloriosa Cruzada. (Franco 1945c, 618, 47-52) transformar: „014“ [Transforman cobre en oro]. Transformar ist in Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) nicht enthalten, nach Blumenthal/ Rovere (1998, 1257) wäre der Satzbauplan für das analoge italienische trasformare N - V - N1 - in N3, der auch dem spanischen Satzbauplan entspricht. Wird etwas transformiert, so impliziert dies, dass etwas in irgendetwas anderes transformiert wird. Transformieren klingt nach Reform, nach etwas Neuem, nach Entledigung von Überholtem und Verkrustetem und konnotiert daher a priori etwas Fortschrittliches und Modernes. Es wird zwar angedeutet, wie die Instituti- <?page no="176"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 170 onen transformiert werden sollen, letztlich bleibt jedoch offen, was das Endprodukt nach der Transformation sein soll. Der Verstärkungseffekt ergibt sich dadurch, dass dem transformar nuestras Instituciones das cambiar nuestro Derecho vorangeht, das ebenfalls eine Änderung bzw. eine Transformation ankündigt, ohne dass präzisiert wird, wie das Geänderte letztlich aussehen soll. (IV.15) Nosotros no venimos a dejar hacer; hemos venido a hacer. (Franco 1945b, 619, 6-7) hacer: siehe (IV.5). Analog zu (IV.5) wird das zweite Argument von hacer nicht realisiert, und zwar zweimal. Es bleibt somit sowohl offen, was Franco und seine Getreuen nicht machen lassen, als auch das, was sie machen werden. Der Agens von hacer in no hemos venido a dejar hacer ist unbekannt bzw. generisch, jener von hacer in hemos venido a hacer ist die aus hemos venido bezogene erste Person Plural. Es wird hier wiederum das Tun als Handlung in den Vordergrund gerückt, verstärkt durch das doppelte Erscheinen von hacer im Satz. Was ungesagt bleibt, ist allerdings wieder, was zu tun nicht angeht bzw. was zu tun ansteht. (IV.16) L’Asse lotta nella certezza della vittoria, la Gran Bretagna lotta perché, come ha detto Halifax, non ha altra scelta. (Mussolini 1941a, 56, 233-234) lottare: 1. N - V - con/ contro N3; 2. N - V - per/ su N3 (Blumenthal/ Rovere 1998, 656). In (IV.16) findet das Verb lottare doppelte Anwendung. Der Agens ist einmal die Achse und einmal Großbritannien. Es wird allerdings weder präzisiert, wogegen bzw. gegen wen gekämpft wird, noch wofür bzw. für wen gekämpft wird. Der massive Kontrast entsteht dadurch, dass ein Verb in zweifacher Verwendung in einem Satz erstens die gegensätzlichen, sprich feindlichen, Agenzien und zweitens unterschiedliche, semantisch-pragmatisch absolut konträre Zirkumstanten regiert. 4.4.1.4 Potentialität: (IV.17) Sólo cuando le [al hombre] hayamos redimido podremos decir que le hemos hecho libre. (Franco 1942a, 224, 46-47) redimir: Auch wenn im religiösen Sinn der absolute Gebrauch dieses Verbs geläufig ist, scheint hier der Satzbauplan „014“ im Sinne von redimir a alguien de algo impliziert. Das Verb ist allerdings nicht in Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) enthalten. Wenn jemand erlöst wird, erlösungsbedürftig bzw. erlösungswürdig ist, dann wird er von etwas bzw. aus etwas erlöst. Der Drittaktant bleibt aber unspezifiziert, sodass die Erlösungsambitionen auf viele potentielle Bedingungen referieren. (IV.18) D’ora innanzi può accadere che, specie nei rapporti privati, ogni italiano sia sospettato. (Mussolini 1943, 3, 99-100) sospettare: N - V - N1 - di N3 (Blumenthal/ Rovere 1998, 1151). <?page no="177"?> 4.4 Die Perspektivierung 171 In (IV.18) fehlt der Drittaktant, der spezifizierte, welchen Vergehens jeder Italiener verdächtigt werden könnte. Der Skopus potentieller Referenzen ist somit unbegrenzt, es entsteht der Eindruck überall lauernden Misstrauens und omnipräsenter Unsicherheit. (IV.19) Je me permets ici de donner quelques conseils. (Pétain 1941c, 125, 71) donner: N - V - N - (à N) (Busse/ Dubost 2 1983, 103). Auch in (IV.19) fehlt der Drittaktant, sodass nicht expliziert wird, wer die Empfänger der Ratschläge sein könnten. Jeder einzelne könnte dazu gehören, muss sich aber nicht notwendigerweise als Adressat von Belehrungen fühlen. Jedem einzelnen Zuhörer wird der Eindruck vermittelt, dass er für sich entscheiden könne, ob er dazu gehören wolle, und keiner von ihnen sollte Angst haben, dass ihm etwas aufoktroyiert werde. (IV.20) Vieira escreveu magistralmente: « a audácia é a metade da vitória e quem temeu ao inimigo já vai vencido ». Eis onde eu veria um risco enorme; por isso, antes de apelar para o sentimento, n-o fujo, segundo a minha predilecç-o, a fazer apelo à inteligência, e desta solicito as razões de n-o temer. (Salazar 1938a, 16, 20- 26) temer: N - V - N (Busse 1994, 385). Das zweite Argument von temer ist aktantiell nullrealisiert. Außerdem wird dieses Verb in einer Infinitivkonstruktion verwendet, sodass aufgrund des nicht zu realisierenden Erstaktanten Generizität im Sinne von Gültigkeit für alle Anwesenden und indirekt auch für alle Nicht-Anwesenden postuliert wird. Es geht um nichts Konkretes, das nicht gefürchtet werden soll, sondern um alle gegenwärtig und zukünftig potentiell auftretenden Gefahren. 4.4.1.5 Hervorhebung der Modifikatoren bzw. Zirkumstanten: (IV.21) Todo esto, que es la transformación de un pueblo; todo esto, que como decía fray Justo, es la semilla que depositamos en el surco, necesita tiempo para fructificar, y no sería suficiente si paralelamente no transformábamos la vida patria en todos los sentidos. (Franco 1945e, 334, 61-64) transformar: siehe (IV.14). Das Konzept der vida patria umfasst das Selbstverständnis eines Volkes, geprägt durch dessen kulturelles Erbe und Gewohnheiten im weitesten Sinn. Die Spanier müssten also, nach Franco, ihre vida patria in etwas anderes transformieren. Allein, bedingt durch die Auslassung des Drittaktanten, bleibt das Ziel der Transformation völlig offen. Das Fehlen dieses Drittaktanten wird vor allem dadurch geschickt kaschiert, dass ein Zirkumstant seinen Platz einnimmt, der als modaler oder im übertragenen Sinne gegebenenfalls auch als direktionaler Lokalzirkumstant verstanden werden kann. Verstärkt wird dieses Kaschiermanöver zusätzlich dadurch, dass sowohl die Präposition des gegebenen Zirkumstanten als auch jene des perspektivierten präpositionalen Drittaktanten en ist bzw. wäre. <?page no="178"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 172 (IV.22) Dove possibile, si è resistito con accanimento e talvolta con furore. (Mussolini 1941a, 53, 119-120) resistere: siehe (IV.9). In (IV.22) wird die Ergänzungsbedürftigkeit von resistere dadurch gemildert, wenn nicht gar verdeckt, dass ein modaler Zirkumstant, der außerdem noch zweigliedrig ist, die rhematischste Stelle des Satzes einnimmt. Wenn davon gesprochen wird, dass Widerstand geleistet wurde, so präsupponiert das gewählte Verb irgend etwas, gegen das Widerstand geleistet wurde. Durch den gewichtigen Modalzirkumstanten con accanimento e talvolta con furore verliert das nullrealisierte dritte Argument, das also aktantiell verschwiegen wird, an Brisanz, obwohl es für die Aussage von zentraler Bedeutung ist. (IV.23) Renoncez à la haine, car elle ne crée rien; on ne construit que dans l’amour et dans la joie. (Pétain 1941a, 113, 109-110) construire: N - V - (N) (Busse/ Dubost 2 1983, 58). Auch im Falle von construire wird selbst im generischsten aller Fälle etwas gebaut. D.h., construire als Funktor perspektiviert in jedem Fall ein zweites Argument. Die Tatsache, dass dieses in obiger Äußerung aktantiell nicht realisiert wird, verliert insofern wieder an Bedeutung, als erneut ein relativ umfangreicher, weil zweigliedriger Modalzirkumstant die in der unmarkierten Serialisierung für den Zweitaktanten übliche Position einnimmt. (IV.24) Com o alto nível da nossa tradiç-o histórica e as exigências de uma herança de pesados deveres para com a nossa gente e para com os outros povos, seria louca tentativa - louca e v- - construir sobre lutas de partidos, ódios de classes, antagonismos de fortuna ou profiss-o, divisões em nós mesmos. (Salazar 1941, 298, 31-37) construir: N - V - N (Busse 1994, 127). In (IV.24) unterlässt es Salazar analog zu Pétain in (IV.23), das zweite Argument von construir zu realisieren. War es in (IV.23) ein Modalzirkumstant, der den Zweitaktanten von construire quasi ersetzte, so ist es in (IV.24) ein viergliedriger Lokalzirkumstant im übertragenen Sinn, der somit noch wesentlich umfangreicher ist als der Modalzirkumstant in der Äußerung Pétains. Es bleibt auf diese Weise aber erneut ungeklärt, was gebaut werden soll. 4.4.1.6 Vermeidung direkter Konfrontation: (IV.25) È Milano che deve dare e darà gli uomini, le armi, la volontà e il segnale della riscossa! (Mussolini 1944, 138, 537-538) dare: N - V - N1 - (N2/ a N3) (Blumenthal/ Rovere 1998, 333). In dieser Äußerung Mussolinis fehlt der Drittaktant des Verbs dare, das einmal im Infinitiv und einmal konjugiert im Futur steht. Zum einen wird durch die Zweifachrealisierung des Verbs die Dynamik des Tuns unterstrichen, zum anderen durch den viergliedrigen Zweitaktanten die Aufmerksamkeit auf diesen gelenkt. Abgelenkt wird dadurch implizit hingegen vom perspektivierten, aber null- <?page no="179"?> 4.4 Die Perspektivierung 173 realisierten dritten Argument. Würde es von Mussolini realisiert, dann käme mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck, dass auch die Männer dem Krieg gegeben bzw. geopfert werden sollten, was unter den Zuhörern möglicherweise die eigene Betroffenheit bewusst machte. (IV.26) Vous avez souffert, vous souffrirez encore. (Pétain 1940a, 66, 85) souffrir: N - V - (de N) (Busse/ Dubost 2 1983, 326). Das Leiden wird durch irgendetwas ausgelöst, auch wenn das Verb absolute Anwendung findet und sich dieses Leiden dadurch nicht aus einer bestimmten, konkreten - denotierten - Ursache ableiten lässt. In (IV.26) fehlt der die Ursache explizierende präpositionale Drittaktant. Nichtsdestotrotz wird das dritte Argument a priori vom Funktor souffrir perspektiviert. Die Nullaktantifizierung dieses perspektivierten Arguments verhindert seitens der Zuhörerschaft Furcht und Schrecken vor allzu Konkretem. Es ist weniger wahrscheinlich, dass die Zuhörer eine Beziehung persönlicher Betroffenheit zu Vagem, Abstraktem und Unbenanntem herstellen als zu Präzisiertem, Konkretem und Benanntem. (IV.27) Noto porém haver muitos jornalistas que tratam por essa Europa fora com grande desenvoltura altos problemas de Estado, e se ocupam de nós com insistência n-o equivalente ao conhecimento dos factos; e fantasiam, e inventam, e deturpam, mas sobretudo ignoram. (Salazar 1939a, 152, 392-397) fantasiar: N - V - (N) steht nicht in Busse (1994). Das Verb fantasiar kann aber transitiv oder intransitiv verwendet werden. inventar: N - V - (N) (Busse 1994, 277). deturpar: N - V - N. Das Verb deturpar ist in Busse (1994) nicht enthalten. ignorar: N - V - N (Busse 1994, 259). Salazar wirft vielen Journalisten vor, dass sie phantasierten, erfänden, verdrehten und vor allem unwissend wären. Selbst wenn das portugiesische Verb fantasiar syntaktisch intransitiv verwendet wird, so sind semantisch-konzeptuell trotzdem auch Inhalte im Spiel. Wird das Verb transitiv verwendet und bedeutet in diesem Fall so etwas wie umgangssprachlich zusammenphantasieren, so wird besagter Inhalt vom Funktor fantasiar bereits als zweites Argument perspektiviert und in der Folge bei der Überführung der konzeptuellen Struktur in die entsprechende sprachliche zweitaktantiell realisiert. Inventar, deturpar und ignorar perspektivieren in der natürlichen, d.h. in der unmarkierten, von der konzeptuellen Struktur ausgehenden Stelligkeit jeweils ein zweites Argument, das es in der syntaktischen Struktur entsprechend zu realisieren oder fokalisieren gelte. Spezifizierte Salazar das jeweilige zweite Argument obiger Verben, so müsste er Beweise für die Stichhaltigkeit seiner Anschuldigungen liefern, um nicht den Verdacht zu wecken, selbst ein Lügner zu sein. Indem er jedoch das jeweilige zweite Argument aktantiell nullrealisiert, entgeht er jeder möglichen diesbezüglichen Konfrontation mit den Zuhörern und vor allem mit den Journalisten. <?page no="180"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 174 (IV.28) Teimo em crer que s-o as úteis [directrizes] à Naç-o Portuguesa, à sua paz e ao seu progresso, e é isso que acima de tudo me importa, me conduz e me inspira. (Salazar 1945b, 122, 574-577) conduzir: 1. N - V - D; 2. Nc - V - Np - a Nc, I; 3. Nc - V - a Nc, Fc (Busse 1994, 121). inspirar: 1. N - V - Np - a I; 2. N - Fc, I - V - Nc - (a Np) (Busse 1994, 271-272). Conduzir perspektiviert in seiner neutralen Stelligkeit einen Weg oder ein Ziel, sei es im wörtlichen oder im übertragenen Sinn. Das Verb inspirar impliziert in den verschiedenen syntaktischen Konstruktionen, dass jemand von jemandem bzw. von etwas veranlasst wird, etwas zu tun. Aus (IV. 28) geht allerdings aufgrund der Nullaktantifizierung der entsprechenden Argumente weder hervor, auf welchem Weg Salazar wohin geführt wird, noch wozu er inspiriert wird. Sowohl den Weg als auch das Ziel seiner Handlungen hält Salazar auf diese Weise vor seiner Zuhörerschaft verborgen - und vermeidet dadurch jede mögliche Konfrontation. 4.4.2 Perspektivierung und Nullzirkumstantifizierung In 3.5 sind wir bereits detailliert auf die verschiedenen diskursfunktionalen Aspekte der Zirkumstanten in der politischen Rede eingegangen. In 3.5.3 haben wir uns mit der kommunikativ notwendigen Vermittlung von Umständen beschäftigt und erkannt, dass viele Äußerungen im kommunikativen Akt ohne Zirkumstanten nicht nur irrelevant, sondern sogar sinnlos wären. Aus 3.5.8 hingegen geht hervor, dass so manche Zirkumstanten aber auch leere Hülsen - daher Leerzirkumstanten - darstellen, da sie im Grunde nur eine kommunikative Funktion vortäuschen, in Wahrheit aber keine wahrnehmen. Von der kognitiven Szene in der kognitiven Valenz (Gansel 1990; 1992a; 1992b; 1992c; 1992d; 1993; 1996; 1997; 2003; Klix 1987; 1990; Klix et al. 1987) ausgehend, ist bei der Betrachtung einer - z.B. in der politischen Rede - dargestellten Szene von einer Vielzahl von Handlungs-, vor allem aber Umstandsträgern auszugehen. Wie bereits oben ausgeführt, muss der Sprecher nicht alles sagen, was er weiß, er muss im Kontext nicht einmal alle Argumente aktantifizieren, geschweige denn alle Modifikatoren zirkumstantifizieren. Letzteres steht ihm i.d.R. auch ohne entsprechenden Kontext frei. Die kommunikative Relevanz hingegen ist eine andere Frage. Sobald die Realisierung der Argumente oder Modifikatoren kein Kriterium für die Wohlgeformtheit der Äußerung ist, obliegt die Entscheidung dafür oder dagegen dem Sprecher. Im Geschehenstyp der kognitiven Valenz sind Variablen als zu belegende Umstandsträger anzusetzen, deren jeweilige Belegung im Zuge der Überführung der konzeptuellen in eine syntaktische Struktur zirkumstantifiziert wird. Aus verschiedenen Gründen kann sich der Redner nun aber auch gegen die Realisierung der die Umstandsträger belegenden Modifikatoren entscheiden. Anhand der folgenden vier Passagen sei noch einmal kurz auf die kommunikative Relevanz der Zirkumstanten im Diskurs hingewiesen, die vor allem dann deutlich zutage tritt, wenn die Zirkumstantifizierung der Modifikatoren unterbleibt und sich <?page no="181"?> 4.4 Die Perspektivierung 175 dadurch offensichtliche Lücken in einer vermeintlich konsistenten und kohärenten Argumentationslinie auftun. (IV.29) [He aquí hermanados en un interés común lo militar, lo sindical y lo político. Aclarado este concepto se explica fácilmente la actuación de nuestro Movimiento.] Si aspiramos a engrandecer a España hemos de trabajar en los tres campos señalados, y al enfrentarnos con lo económico y lo político nos encontramos todas las actividades españolas invadidas por los viejos tópicos, que dejaron en ellas honda huella. (Franco 1942a, 223-224, 14-21) Im quintärrealisierten Konditionalzirkumstanten, der die Bedingung expliziert, unter der auf den oben genannten Gebieten hart zu arbeiten ist, nämlich in Si aspiramos a engrandecer a España [...], wird nicht ausgeführt, warum, wozu, wie, wann, unter welchen Umständen, in welcher Hinsicht oder beispielsweise auch um wieviel Spanien vergrößert werden sollte. All das ist scheinbar impliziert und präsupponiert außerdem, dass die Zuhörerschaft ohnedies damit einverstanden ist. All dies Implizierte, also dass Spanien aus irgendeinem Grund, zu irgendeinem Zweck, irgendwie, irgendwann, unter irgendwelchen Umständen, in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Ausmaß vergrößert werden soll, wird vor allem deshalb nicht hinterfragt, weil diese impliziten Zirkumstanten selbst Teil des quintärrealisierten Konditionalzirkumstanten des Hauptsatzes sind. (IV.30) Vi dichiaro che se le grandi democrazie piangono amaramente sulla fine prematura e alquanto inonorata di quella che fu la loro più cara creatura, questa è un’ottima ragione per non associarsi alle loro lacrime più o meno decenti. Aggiungo che se il problema viene messo sul piano della morale, nessuno, dico nessuno, ha il diritto di scagliare la prima pietra, come la storia antica e moderna d’Europa abbondantemente dimostra. (Mussolini 1939, 251-252, 80-86) In dieser Passage wird von Mussolini eine Behauptung aufgestellt, ohne dass diese allerdings auch nur irgendwie belegt wird. Ein lokaler Zirkumstant müsste die Stellen in den Geschichtsbüchern lokalisieren, an denen sich in der antiken und modernen Geschichte Europas die von Mussolini erwähnten angeblichen Parallelen befinden, damit seine Behauptung auch einer Überprüfung standhielte. (IV.31) Cette collaboration doit être sincère. Elle doit être exclusive de toute pensée d’agression. Elle doit comporter un effort patient et confiant. (Pétain 1940b, 96, 42- 44) Pétain schreibt vor, wie Frankreichs Kollaboration mit Deutschland auszusehen habe, ohne jedoch durch einen kausalen bzw. finalen Zirkumstanten zu erklären, aus welchem Grund bzw. zu welchem Zweck sie sich auf die von ihm präzisierte Weise gestalten müsse. (IV.32) Temos conseguido e, digamos, merecido viver em tranquilidade na Península e temos a certeza de que nos acompanham na nossa conduta a simpatia e solidariedade moral de muitos povos, n-o seguramente pelo egoísmo de uma atitude mas pelo real valor europeu de uma política. (Salazar 1941, 299, 59-64) Salazar unterschlägt zum einen, warum es sich die Portugiesen bzw. alle Bewohner der iberischen Halbinsel verdient hätten, in Ruhe zu leben, und zum anderen, <?page no="182"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 176 auf welche Weise er die von ihm erwähnte Gewähr bezüglich der Unterstützung Portugals durch die anderen Völker erhalten habe. Ein kausaler und ein modaler Zirkumstant würden diese offenen Fragen beantworten. 4.5 Die Fokalisierung Ging es im vorangegangenen Abschnitt darum zu untersuchen, erstens, welche der perspektivierten Argumente bzw. welche der zu einer umfassenden kognitiven Szene gehörenden Umstände oder Modifikatoren in den syntaktischen Strukturen der zu behandelnden Reden nullrealisiert werden und zweitens, warum diese (möglicherweise) nullrealisiert werden, so untersuchen wir im folgenden Abschnitt perspektivierte Argumente, die in den entsprechenden syntaktischen Strukturen sehr wohl realisiert, meint fokalisiert, werden. Es geht also um die Aktantifizierung von Argumenten. Dies scheint auf den ersten Blick einfach das neutrale Standardmodell zu sein. Es fragt sich, möchte man meinen, was es da großartig zu betrachten gebe. Bei genauerer Betrachtung der Reden stellt sich heraus, dass die Selektion der Argumente mit der Quantität der Verbseme im Zusammenhang steht. 61 Es geht also um den Zusammenhang zwischen verbsememischer Intension und fokalisierter Extension. Es soll nun im Rahmen dieser Untersuchung gerade darauf geachtet werden, ob dieser Zusammenhang auch diskursstrategisch genutzt bzw. ausgenützt werden kann. Das Verhältnis zwischen Intension eines funktorialen Semems und der Extension der von diesem abhängigen Argumente ist ein umgekehrt proportionales. Das heißt in der Regel, dass umso weniger potentielle Argumente als Aktanten fokalisierungsfähig sind, je umfangreicher sich der Sembestand des entsprechenden Verbs darstellt. Dies bedeutet logischerweise umgekehrt, dass umso mehr potentielle Argumente für die aktantielle Realisierung, sprich Fokalisierung, in Frage kommen, je geringer der Sembestand des betreffenden Verbs ist. Als Kurzformel heißt das: Je größer die Intension des Verbs, desto kleiner der Skopus seiner Fokalisierungsextension - und umgekehrt. 62 61 Unter dem Aspekt des Zusammenhanges zwischen verbsememischer Intension und aktantieller bzw. auch zirkumstantieller Extension sind auch Wotjaks Überlegungen zu den semantischen Mikro- und Makrostrukturen zu sehen: „Zwischen semantischen Mikro- und Makrostrukturen - im Folgenden vor allem paradigmatischer Art - bestehen enge Beziehungen, die zur Ermittlung und Beschreibung der Strukturen bestmöglich ausgenutzt werden sollten. Während eine Beschreibung der semantischen Mikrostruktur ihr Hauptaugenmerk auf eine Untersuchung der internen Beziehungen der Sememkonstituenten im Verband eines Semems richtet, ist die Untersuchung der lexikalischen Strukturen, d.h. der semantischen Makrostrukturen, auf eine Darlegung der externen paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungen der Sememe orientiert, damit allerdings auch auf die extrasememischen Beziehungen der Seme“ (Wotjak 1971, 58). Die semantische Untersuchung eines Lexems hat somit neben der Innenschau auch eine Außenschau zu umfassen. 62 Mit absoluter Sicherheit kann der Zuhörer oder Leser niemals wissen, welches Argument von einem Funktor regiert wird. Zur Amalgamierung von Lexemen stellt Eco ( 3 1998) Folgen- <?page no="183"?> 4.5 Die Fokalisierung 177 Bei den von uns in der Folge zu Demonstrationszwecken gewählten Verbalsyntagmen handelt es sich um zweiwertige Verben. Der Zweitaktant, in der klassischen Terminologie das direkte - transitive - Objekt, scheint im Vergleich zu anderen Satzelementen die engstmögliche semantische Bindung zum Verb zu haben (vgl. Hopper/ Thompson 1980). Ein Verb von reichem Sembestand hat nun - ausgehend von oben Gesagtem - im Zuge der Argumentrealisierung nur relativ wenige Zweitaktanten zur Auswahl, die die vom intensional komplexen Verb an die Aktanten gestellten semantischen Bedingungen erfüllen. Im Extremfall gibt es sogar nur einen einzigen zulässigen Zweitaktanten. Umgekehrt ist aber, wie oben ausgeführt, die Auswahl an möglichen vom Verb zu determinierenden Aktanten umso größer, je kleiner dessen Intension ist, oder anders ausgedrückt, je vager dessen semantische Vorgaben sind. Mittlerweile drängt sich vielleicht die prinzipielle Frage auf, welche Relevanz eine derartige Untersuchung im Rahmen der Diskursanalyse im Allgemeinen und im Rahmen der Untersuchung politischer Reden im Besonderen haben kann. Mögliche Antworten sind jedoch naheliegend. Für die diskursiven Strategien ist die angesprochene Problematik insofern von Bedeutung, als Verben mit großer Intension vor allem ihren jeweils fokalisierten Zweitaktanten bis zu einem gewissen Grad quasi erahnen oder erwarten lassen, 63 während Verben mit kleiner Intension a priori sogar in puncto Zweitaktant quasi alle Möglichkeiten offen haben, weshalb es mitunter zu großer Spannung und zu Überraschungseffekten im Text kommt, was durchaus als textuelle oder eben als weitere diskursive Strategie zu beurteilen ist. 64 des fest: „Angesichts eines Lexems weiß der Leser nicht, welche der Eigenschaften oder Seme des entsprechenden Semems aktualisiert werden müssen, um die Vorgänge der Amalgamierung auszulösen. Wenn man jede semantische Eigenschaft, die das Semem umfasst oder impliziert, während der Decodierung des Textes vergegenwärtigen wollte, wäre der Leser verpflichet, das gesamte Netz miteinander verknüpfter Eigenschaften, welches [...] das Umfassende Semantische Feld konstituiert, zu einem unmöglichen geistigen Diagramm zusammenzusetzen. Glücklicherweise macht man so etwas nie. Gewöhnlich bleiben die Eigenschaften des Semems virtuell, das heißt sie sind weiterhin in der Enzyklopädie des Lesers verzeichnet, der sich ganz einfach darauf einrichtet, jene Eigenschaften nach und nach zu aktualisieren, so wie dies im Verlauf des Textes erforderlich wird. Von all dem, was semantisch umfasst oder impliziert wird, expliziert der Leser nur, was er gebrauchen kann. Dabei hebt er einige Eigenschaften hervor, während er andere in Narkose versetzt.“ Je umfassender sich nun die verbsememische Intension gestaltet, desto gezielter kann der Leser oder Hörer aktualisieren, was er für die wahrscheinlich auftretenden Makrostrukturen an semantischen Relationen präsent haben muss. Pottier (1964, 130-131) spricht sogar von einem Wahrscheinlichkeitsindex des gemeinsamen Auftretens von Lexemen, „chaque lexie a [...] un certain nombre de virtualités conmbinatoires (sic! ), qu’on peut appeler ses virtuèmes. Ceux-ci peuvent être caractérisés par un indice, très approximatif, de probabilité.“ 63 Die mehr oder minder große Erwartbarkeit bestimmter funktoriell regierter Argumente kann als in dem begründet gesehen werden, was Coseriu (1967, 293) nach Porzig als „syntagmatische Implikationen zwischen Wörtern“ bezeichnet. 64 Wotjak (2002a, 141) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass man „aus semantischkommunikativer Sicht von einem unterschiedlichen Grad an sememisch signalisierter Erwartbarkeit/ Plausibilität hinsichtlich konkreter Leerstellenbesetzungen ausgehen“ könne. <?page no="184"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 178 In den Beispielen (IV.33) bis (IV.36) wird die relative Vorhersehbarkeit der fokalisierten Aktanten aufgrund der großen sememischen Intension der sie regierenden Verben demonstriert, in den Beispielen (IV.37) bis (IV.52) das Gegenteil davon, d.h. die absolute Unvorhersehbarkeit der von Verben mit sehr kleiner Intension regierten Aktanten. 4.5.1 Große verbsememische Intension enger Rahmen für fokalisierte Extension Spanisch sojuzgar in (IV.33), italienisch bolscevizzare in (IV.34), französisch récriminer in (IV.35) und portugiesisch apostolizar in (IV. 36) sind Verben, die über einen relativ reichhaltigen Sembestand verfügen, was, wie oben angedeutet, massive Auswirkungen auf den Skopus der potentiell zu fokalisierenden vom jeweiligen Verb regierten Zweitbzw. Drittaktanten hat. Dies sei an den folgenden vier Textstellen demonstriert. (IV.33) [Jamás Gobierno alguno tuvo que enfrentarse con mayores y más graves problemas. La mayoría de los españoles ignoran cuál era la vida económica de la nación antes del Movimiento, a qué cifras monta el importe de la alimentación de nuestro pueblo.] Una muestra tenéis en que, con todo el oro de la nación, el cuantioso robado a los particulares y con crédito abierto en las principales naciones, los rojos no pudieron durante sólo tres años mitigar el hambre del pueblo que sojuzgaban. (Franco 1939, 333, 57-62) Im Gran Diccionario de la lengua española (Guardia Masó, Pedro et al. 7 1995, 1756) findet man unter dem Eintrag sojuzgar lediglich Folgendes: „someter alguien con violencia o avasallamiento a otro, reprimiendo cualquier intento de respuesta de los que están sometidos.” Der von sojuzgar zu fokalisierende Zweitaktant hat folglich u.a. die semantischen Merkmale [+hum], [+feindlich] und im Großteil der Fälle wohl [+plur]. (IV.34) Un giorno un ambasciatore sovietico a Roma, Potemkin, mi disse: « La prima guerra mondiale bolscevizzò la Russia, la seconda bolscevizzerà l’Europa ». Questa profezia non si avvererà, ma se ciò accadesse, anche questa responsabilità ricadrebbe in primo luogo sulla Gran Bretagna. (Mussolini, 1944, 135, 404-408) In lo Zingarelli 2003 (Zingarelli, Nicola 2003, 244) ist unter bolscevizzare „rendere bolscevico“ zu finden und unter bolscevico „relativo o appartenente alla tendenza di sinistra e maggioritaria dell’antico partito socialdemocratico russo.” Dementsprechend ist auch hier anzunehmen, dass der von bolscevizzare zu fokalisierende Zweitaktant [+hum], [+feindlich] und keine Einzelperson, sondern eben [+plur] sein wird. (IV.35) [Je me permets ici de donner quelques conseils.] Récriminer contre les petites erreurs inévitables, contre les difficultés inhérentes à la situation, ne servirait qu’à rendre la tâche de chacun plus pénible. (Pétain 1941c, 125, 71-74) Es ließen sich „graduierte Mengen von mehr oder minder plausiblen Fillern/ Leerstellenbesetzungen nachweisen.“ <?page no="185"?> 4.5 Die Fokalisierung 179 Récriminer regiert einen präpositionalen Drittaktanten. Der Funktor récriminer perspektiviert diesen aber schon weniger eng, als vorher die Funktoren sojuzgar und bolscevizzare ihr jeweils zweites Argument perspektivierten, nicht zuletzt wohl deshalb, weil das Verb heute vor allem im übertragenen Sinn verwendet wird. Der Petit Robert (Rey, A./ Rey-Debove 2 1981, 1630) enthält zu récriminer „1. vieux: répondre par des accusations aux accusations d’un adversaire; 2. moderne : critiquer avec amertume et âpreté.” Der fokalisierte präpositionale Drittaktant von récriminer enthält somit die Merkmale [±hum] und [±plur]. Gemeinsam hat der fokalisierte präpositionale Drittaktant von récriminer mit den fokalisierten Zweitaktanten von sojuzgar bzw. bolscevizzare a priori lediglich das semantische Merkmal [+feindlich]. Das heißt, sowohl den fokalisierten Zweitaktanten aus (IV.33) und (IV.34) als auch dem fokalisierten präpositionalen Drittaktanten aus (IV.35) schwingt bereits, bedingt durch die jeweilige verbale Sememstruktur, eine negative Konnotation voraus. (IV.36) Passam séculos, e o português a expulsar o mouro, a firmar a fronteira, a cultivar a terra, a alargar os domínios, a descobrir a Índia, a apostolizar o Oriente, a colonizar a África, a fazer o Brasil - glória da sua energia e do seu génio político. (Salazar 1940, 256, 20-25) Unter apostolizar findet sich im Dicionário da língua portuguesa (Almeida Costa, J./ Sampaio e Melo, A. 8 1999, 135) „pregar ou ensinar publicamente (uma doutrina) à maneira dos apóstolos; difundir pela pregaç-o.“ Der perspektivierte Zweitaktant von apostolizar enthält somit wiederum die semantischen Merkmale [+hum] und [+plur], im Gegensatz zu den vorhergehenden zu fokalisierenden Zweitbzw. Drittaktanten aber [±feindlich]. Dem Zweitaktanten von apostolizar schwingt somit a priori nicht die negative Konnotation voraus. Verben mit großer Intension verfügen bereits per se, d.h. kontextlos, über eine relativ starke Aussagekraft. Schon die wenigen demonstrierten Beispiele zeigen, dass große verbsememische Intension zur Folge hat, dass zumindest bestimmte semantische Merkmale der von diesen zu regierenden oder zu fokalisierenden Aktanten vorhersehbar sind. Die Spannung zwischen dem Verb und dem von ihm abhängigen Zweitbzw. Drittaktanten ist selbst bei Einschüben zwischen dem Verb und diesem relativ gering, weil der entsprechende Zweitbzw. Drittaktant eben bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar oder voraussagbar ist. Ganz anders verhält es sich im Falle aktantieller Dependenz bei kleiner verbsememischer Intension, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden. 4.5.2 Kleine verbsememische Intension weiter Rahmen für fokalisierte Extension Im Folgenden untersuchen wir in einer Reihe von Äußerungen der vier Politiker, in welchen Kontexten das Verb crear, creare, créer bzw. criar - auf Deutsch schaffen im weitesten Sinne - verwendet wird. Um die Beziehung zwischen verbsememischer Intension und fokalisierter Extension weiter zu ergründen, haben wir hier besonderes Augenmerk auf den jeweils fokalisierten Zweitaktanten zu legen. <?page no="186"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 180 4.5.2.1 crear - creare - créer - criar Betrachten wir zunächst, was in den folgenden Passagen geschaffen wird: (IV.37) Una masa trabajando crea siempre riqueza, es un capital rindiendo. (Franco 1939, 23, 574-575) (IV.38) [Podemos decir que no ha habido un solo lugar donde la malicia de los intereses políticos no haya dejado su huella, lo mismo en las grandes empresas que en los Sindicatos españoles, que en las Hermandades de labradores, de pescadores o regantes.] Por ello, si hemos de crear una nueva manera de ser y de pensar, hemos de enfrentarnos con la situación e imponer el remedio. (Franco 1942a, 226, 107-114) (IV.39) [L’Italia aveva già scelto, fino dal maggio del 1939, la sua via.] […] Solo dopo questo totale chiarimento, sarà possibile, nell’orbita della nuova Europa quale sarà creata dall’Asse, iniziare un nuovo capitolo, nella storia, che fu così agitata, dei rapporti fra Italia e Francia. (Mussolini 1940b, 34, 159-166) (IV.40) È il re che ha col suo gesto, dettato dalla preoccupazione per l’avvenire della sua corona, creato per l’Italia una situazione di caos, di vergogna e di miseria […]. (Mussolini 1943, 3, 89-91) (IV.41) La guerre était déjà gagnée virtuellement par l’Allemagne lorsque l’Italie est entrée en campagne, créant contre la France un nouveau front […]. (Pétain 1940a, 64, 30-32) (IV.42) [Il est donc urgent qu’ils (les travailleurs) aient la possibilité de défendre leurs intérêts légitimes, d’exprimer leurs besoins et leurs aspirations.] Il est indispensable de créer des organismes qui puissent résoudre vite les questions posées […]. (Pétain 1941a, 112, 53-56) (IV.43) A grande força de progresso social e político que os nacionalismos representam só parece ser benéfica enquanto se mantém nos domínios da competiç-o pacífica, aliás tenderá a criar dificuldades à soluç-o dos problemas próprios nos outros nacionalismos despertos. (Salazar 1939a, 143, 152-157) (IV.44) Se a Revoluç-o ordenou a casa lusitana, refez e fortaleceu a sua economia, despertou o patriotismo, provocou a unidade e a coes-o das forças nacionais, reorganizou e dotou o Exército e a Marinha, ganhou prestígio pelos princípios que defende, a obra que realiza, a colaboraç-o que se tornou capaz de prestar, nenhuma dúvida pode existir de que n-o só criou à Naç-o condições de melhor se determinar como de seguir com dignidade entre as mais o seu caminho. (Salazar 1943, 404-405, 573-582) Rekapitulieren wir, was in den oben angeführten Äußerungen geschaffen wird, um die von crear, creare, créer bzw. criar fokalisierten Zweitaktanten miteinander vergleichen zu können: a crea riqueza; b crea una nueva manera de ser y de pensar; c crea la nuova Europa; <?page no="187"?> 4.5 Die Fokalisierung 181 d crea una situazione di caos, di vergogna e di miseria; e crée un nouveau front (contre la France); f crée des organismes (qui puissent résoudre vite les questions posées); g cria dificuldades; h cria (à Naç-o) condições (de melhor se determinar como de seguir […] o seu caminho); i cria uma naç-o (vgl. Beispiel (IV.51)) Die angeführten Beispiele enthalten zwar nur einen Bruchteil der möglichen Zweitaktanten, die von crear, creare, créer bzw. criar fokalisiert werden können, geben aber dennoch zumindest einen Einblick in die schier unbegrenzten Möglichkeiten zu fokalisierender Extensionen, aus denen das Verb seinen Zweitaktanten wählen kann. Die entsprechenden Lexikoneintragungen sprechen die gleiche Sprache. Für créer findet man beispielsweise im Petit Robert (Rey, A./ Rey-Debove 2 1981, 420) als Synonyme, die anstatt créer im jeweils entsprechenden Kontext verwendet werden könnten, u.a. faire, composer, concevoir, élaborer, imaginer, inventer, produire, constituer, établir, fonder, instituer, organiser, bâtir, édifier, élever, causer, engendrer, occasionner, produire, provoquer und susciter. Es ist somit naheliegend oder sogar augenscheinlich, dass das Verb crear, creare, créer bzw. criar per se auch nicht nur im Entferntesten semantische Merkmale des regierten Zweitaktanten erahnen lässt. Auf diese Weise lässt es das Verb für sich, d.h. ohne fokalisierten Zweitaktanten, völlig offen, was letztlich geschaffen wird. Dadurch entsteht Spannung zwischen dem Verb und dem zu fokalisierenden Zweitaktanten, die nicht vor der Spezifizierung des Zweitaktanten gelöst wird. Gesteigert wird diese Spannung zusätzlich, wenn es zwischen Verb und Zweitaktant einen oder mehrere Einschübe anderer Satzelemente gibt (vgl. 2.5.7 und 3.5.7). Zur Verdeutlichung dieses Phänomens sei zumindest ein weiteres prototypisches Beispiel für einen großen Rahmen für die zu fokalisierende Extension infolge kleiner verbsememischer Intension angeführt, nämlich jenes des Verbs hacer, fare, faire bzw. fazer. 4.5.2.2 hacer - fare - faire - fazer Auch im Falle von hacer, fare, faire bzw. fazer betrachten wir zunächst einige exemplarische Beispiele, um dieses Verbs weites Land oder großen Rahmen für die zu fokalisierende zweitaktantielle Extension auszukundschaften: (IV.45) Y en esta obra [del Movimiento], lo único que lamentamos son los obstáculos que la situación del mundo nos pone a su rápida realización y el camino que nos falta por recorrer para hacer realidad las divinas palabras evangélicas del « Amar al prójimo como a nosotros mismos ». (Franco 1942b, 243-244, 86-90) (IV.46) Es frecuentísimo el caso de escuchar a cuantos extranjeros nos visitan las mismas e invariables frases: «¿Por qué esta situación de España no se comenta ni se conoce fuera? ¿Por qué no hacen ustedes más propaganda de su realidad, de sus grandes obras económicas y sociales, de su resurgimiento en todos los órdenes? » (Franco 1945a, 9, 24-29) <?page no="188"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 182 (IV.47) È ormai chiaro che l’Asse non vuole fare una pace di rappresaglia o di rancori, ma è altresì inteso che talune rivendicazioni devono essere soddisfatte. (Mussolini 1940b, 34, 153-155) (IV.48) [In realtà noi siamo in guerra dal 1922, cioè dal giorno in cui alzammo contro il mondo massonico-democratico-capitalistico la bandiera della nostra rivoluzione, che allora era difesa da un pugno di uomini.] Da quel giorno il mondo del liberalismo, della democrazia, della plutocrazia ci dichiarò e ci fece la guerra […]. (Mussolini 1941a, 51, 22-26) (IV.49) En faisant de la France une société humaine, stable, pacifiée, vous serez les meilleurs artisans du redressement de la Patrie. (Pétain 1941a, 113-114, 111-113) (IV.50) Si chacun prétendait se faire une idée particulière de ce que commande le devoir patriotique, il n’y aurait plus ni patrie ni nation. (Pétain 1941b, 120, 4-6) (IV.51) A nossa [medida de dignidade patriótica] tomámo-la daqueles portugueses que valiam mais do que valemos e fizeram uma História e criaram uma Naç-o que somos obrigados, mesmo contra alguns, a respeitar e a defender. (Salazar 1943, 415, 868-872) (IV.52) Passam séculos, e o português a expulsar o mouro, a firmar a fronteira, […] a colonizar a África, a fazer o Brasil […]. (Salazar 1940, 256, 20-24) Resümierend halten wir folgende für diese Untersuchung interessanten Verbalsyntagmen, bestehend eben aus dem Verb und seinem fokalisierten Zweitaktanten, fest: a hace realidad (las divinas palabras evangélicas) b hace propaganda c fa pace d fa la guerra e fait une société humaine f (se) fait une idée g faz uma historia h faz o Brasil Es wird deutlich, dass das in Bezug auf das schier unbegrenzte Feld der möglichen Zweitaktanten von crear, creare, créer bzw. criar Gesagte in mindestens dem gleichen Ausmaß für hacer, fare, faire bzw. fazer gilt. Unterstützt wird diese These beispielsweise durch die Eintragungen kontextabhängiger Synonyme für fazer im Dicionário da língua portuguesa (Almeida Costa, J./ Sampaio e Melo, A. 8 1999, 739), unter denen u.a. folgende genannt werden: criar, gerar, construir, produzir, inventar, realizar, arranjar, representar, concluir, alcançar, causar, haver, trabalhar, proceder, conceder. Die Intension von hacer, fare, faire bzw. fazer ist in etwa gleich minimalistisch angelegt wie jene von crear, creare, créer bzw. criar, wodurch auch in diesem Fall die obenerwähnte Spannung im Diskurs entsteht. <?page no="189"?> 4.6 Die Fokussierung 183 4.6 Die Fokussierung Vor allem in der funktionalen Grammatik (vgl. Dik 2 1979, 19 ff.; 1997a, 326 ff.; Welke 1993; 2002) 65 bezeichnet Fokus den Teil des Satzes, der die neue, unbekannte und daher zentrale Information einbringt. Es handelt sich dabei also um den - ebenfalls in der Terminologie der funktionalen Satzperspektive - rhematischen Teil des Satzes, der in kommunikativer Hinsicht den Kern der Botschaft transportiert. Lateinisch focus bedeutet Herd, aber auch Mitte oder Zentrum. Wird nun ein Argument, gegebenenfalls auch ein Modifikator, aber auf irgendeine Weise markiert realisiert, so wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, was schließlich der Zweck der markierten Realisierung ist. Dieses durch die markierte Realisierung in das Zentrum des Satzes oder der Äußerung gelangte Satzelement muss nun aber keinesfalls das Neue, das Unbekannte oder den Kern der Botschaft repräsentieren. Ganz im Gegenteil, es kann sich dabei durchaus um etwas Gegebenes, d.h. um etwas Bekanntes handeln, eventuell sogar mit dem Ziel, die kommunikative Relevanz des Neuen, des Unbekannten zu relativieren, in den Hintergrund zu rücken oder um das Neue, Unbekannte quasi als Gegebenes, Bekanntes darzustellen, sprich zu präsupponieren, was durchaus eine übliche diskursive Strategie in der politischen Rede ist. Als fokussiertes Element betrachten wir aus diesem Grunde jenes, das, unabhängig von dessen Grad an kommunikativer Dynamik, morphosyntaktisch in den Mittelpunkt gerückt wird. Aus welchem Grunde das jeweilige Element fokussiert wird, ist in einem zweiten Schritt nach dessen Identifikation als fokussiertes Element zu eruieren. Die morphosyntaktische Fokussierung eines Satzelementes, wie immer sie einzelsprachlich bewerkstelligt wird, ist aber keinesfalls mit dem semantischpragmatischen Mitteilungskern eines Satzelementes gleichzusetzen. 66 Fokussierung darf aus diesem Grund nicht mit Rhematizität gleichgesetzt werden. Sagt ein Politiker etwa: „J’ai trouvé la solution“, „Ho trovato la soluzione“, „Encontrei a soluç-o” bzw. „He encontrado la solución”, so ist der Zweitaktant jeweils das rhematische Element mit dem höchsten Grad an kommunikativer Dynamik. Da diese 65 Dik ( 2 1979, 19) definiert Fokus folgendermaßen: „The focus presents what is relatively the most important or salient information in the given setting“ und später vermerkt er unter Focus and focality (Dik 1997a, 326): „The pragmatic function of Focus pertains to the focality dimension of discourse. The focal information in a linguistic expression is that information which is relatively the most important or salient in the given communicative setting, and considered by S to be most essential for A to integrate into his pragmatic information.“ Welke (1993, 89) erklärt, dass es für Subjekt und Thema eine „identische funktionale Bestimmung als Satzgegenstand bzw. Empathy-Focus gibt“, wobei er mit Kuno unter Empathy versteht, dass sich der Sprecher mit einer Person oder Sache in der von ihm beschriebenen Handlung oder in dem von ihm beschriebenen Ereignis identifiziert. 66 Nicht zu verwechseln ist Fokussierung auch mit Topikalisierung, unter der, wiederum aus der funktionalen Satzperspektive, im Grunde eine Veränderung der neutralen, sprich unmarkierten, Serialisierung zum Zwecke der Dislozierung eines Satzelementes in die satzinitiale, d.h. i.d.R. thematische Position, die dieses unmarkiert nicht einnehmen würde. <?page no="190"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 184 Serialisierung aber unmarkiert ist, betrachten wir den jeweiligen Zweitaktanten nicht als fokussiert. Sagte der Politiker: „C’est moi qui ai trouvé la solution“, „Io ho trovato la soluzione“, „Eu encontrei a soluç-o” bzw. „Yo he encontrado la solución”, so wäre jeweils der Erstaktant aufgrund seiner markierten morphosyntaktischen Tertiärrealisierung als fokussiert zu erachten, das rhematische Element bliebe aber nichtsdestotrotz jeweils der Zweitaktant. In diesem Sinne untersuchen wir als Nächstes diverse Fokussierungsmöglichkeiten mit durchaus diskursstrategischen Funktionen. 4.6.1 Die Hervorhebung durch Spaltsätze Unter Satzspaltung, deren Resultat der Spaltsatz ist, versteht man, dass ein nominales Satzglied getilgt wird, das durch Transposition in die Subjektposition des im Zuge der Fokussierung gebildeten Kopulasatzes gelangt, wobei der Matrixsatz i.d.R. in einen Relativsatz umgewandelt wird (vgl. Glück 2 2000, 646). (IV.53) Son las otras virtudes que los malos hábitos del liberalismo han destruído las que vosotros necesitáis de nuevo despertar, y entre ellas tiene puesto de honor por su importancia la disciplina, que si necesaria es en todos los pueblos y para todas las empresas, se hace más indispensable hoy para los españoles [...]. (Franco 1942b, 244, 115-120) In der unmarkierten Serialisierung wäre las otras virtudes que [...] der Zweitaktant von necesitáis despertar [...]. In (IV.53) wird dieses Satzelement dadurch fokussiert, dass es durch die Satzspaltung in die - in klassischer Terminologie - Subjektposition des Kopulasatzes, der außerdem noch die satzinitiale Position einnimmt, gelangt. Eine zusätzliche Hervorhebung erfährt dieses Subjekt des Kopulasatzes, also las otras virtudes, dadurch, dass ein Attributsatz von ihm abhängt und dadurch der morphosyntaktische Umfang der Einheit des Erstaktanten wesentlich zunimmt. (IV.54) [La situazione dell’Austria non migliora.] È l’Italia che interviene ora direttamente a risollevarne l’economia con gli accordi del Semmering. (Mussolini 1938a, 68, 62-64) Das in (IV.54) fokussierte Satzglied l’Italia wäre auch in unmarkierter Serialisierung Erstaktant, nämlich von intervenire in Interviene l’Italia [...]. Es ist hier also die Satzkonstruktion selbst, d.h. das Satzgefüge, bestehend aus dem Kopulasatz È l’Italia als Hauptsatz in Initialposition des Gefüges und dem davon abhängigen Relativsatz che interviene [...], und nicht etwa eine zu (IV.53) analoge Funktionsänderung des betreffenden Satzelementes, in (IV.54) also l’Italia, die die Fokussierung desselben ermöglicht. (IV.55) Ce n’est pas moi qui vous bernerai par des paroles trompeuses. [Je hais les mensonges qui vous ont fait tant de mal.] (Pétain 1940a, 66, 88-89) Wird im Französischen der sekundärrealisierte Erstaktant eines Hauptsatzes durch Transposition zum Erstaktanten eines Kopulasatzes als Hauptsatz, so wird <?page no="191"?> 4.6 Die Fokussierung 185 dieser im Spaltsatz durch die mise en relief 67 notwendigerweise durch das tonische Pronomen tertiärrealisiert. Unmarkiert hieße obiger Satz Je ne vous bernerai pas [...]. Mit fokussiertem Erstaktanten hingegen lautet er eben wie in (IV.55) Ce n’est pas moi qui [...]. (IV.56) C’est librement que je me suis rendu à l’invitation du Führer. [Je n’ai subi, de sa part, aucun « diktat », aucune pression.] (Pétain 1940b, 95, 14-16) In (IV.53), (IV.54) und (IV.55) handelt es sich bei den fokussierten Satzelementen um Aktanten, die bereits in der semantischen Struktur vom jeweiligen Funktor als Argumente perspektiviert und in unmarkierter Serialisierung entsprechend fokalisiert werden bzw. würden. Durch die Spaltsätze erfahren diese schließlich die Fokussierung. Anders sieht die Situation der fokussierten Satzelemente in den Textstellen (IV.56) und (IV.57) aus. Diese enthalten zwar ebenfalls Spaltsätze mit der Funktion, ein Satzelement zu fokussieren, dabei handelt es sich aber jeweils um Zirkumstanten, die in der Funktorenstruktur zumindest nicht obligatorisch perspektiviert werden. Geht man aber im Sinne der kognitiven Szene davon aus, dass alles auf eine bestimmte Weise getan wird, vor sich geht bzw. einfach ist, so ist in der konzeptuellen Struktur der Handlungs-, Vorgangs- und Zustandsverben durchaus auch eine Variable für den Modus anzunehmen, die in der entsprechenden Szene durch einen Modifikator belegt wird, der bei der Überführung der konzeptuellen Struktur in eine unmarkiert syntaktische gemäß der jeweiligen grammatischen Regeln fokalisiert wird und infolge einer entsprechenden kommunikativpragmatischen Entscheidung auch fokussiert werden kann. Ein Satz wie Je me suis rendu à l’invitation du Führer kann nach dem Kriterium der Wohlgeformtheit durchaus auf den Modalzirkumstanten librement verzichten. In (IV.56) ist der nicht-satzobligatorische, aber kommunikativ besonders relevante Modalzirkumstant librement jedoch nicht einmal nur unmarkiert fokalisiert, sondern sogar durch Spaltsatz fokussiert, wodurch die kommunikative Relevanz desselben unterstrichen wird. (IV.57) É neste espírito que o Governo, tendo dado o assentimento à viagem do Chefe do Estado, espera lho dê também a Assembleia Nacional. (Salazar 1939a, 155, 479-481) In den Absätzen vor der in (IV.57) wiedergegebenen Textstelle geht es um die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Portugal und Großbritannien, um das Interesse Portugals an seiner eigenen Präsenz in Afrika und konkret um wichtige diplomatische Reisen des portugiesischen Staatschefs nach Afrika. Aus diesem Grund übernimmt der Zirkumstant neste espírito, der modal, aber auch kausal interpretiert werden kann, zunächst die wichtige diskursive Funktion der Kohä- 67 Dubois/ Lagane (1973, 93) sprechen bei ce + être von présentatif. Grévisse ( 11 1980, 589 ff.) spricht im Falle der locutions c’est [...] qui bzw. c’est [...] que von „gallicismes [...] qui s’emploient très souvent pour mettre en relief, en le détachant et en le plaçant en tête de la phrase, non seulement l’attribut, mais n’importe quel élément de la pensée, sauf le verbe a un mode personnel.“ <?page no="192"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 186 sionsbzw. Kohärenzstiftung zwischen dem vorab ausgebreiteten Argument und der daraus in (IV.57) abgeleiteten Forderung nach bzw. Bitte um die Genehmigung der Reise. Durch die Satzspaltung wird der Zirkumstant sogar fokussiert, was der Argumentation zusätzlich Nachdruck verleiht. Der Satz O Governo espera lho [o assentimento à viagem; ao Chefe do Estado] dê também a Assembleia Nacional könnte den in (IV.57) fokussierten Zirkumstanten allein unter dem Aspekt der Wohlgeformtheit durchaus entbehren. Kommunikativ hingegen ist dieser Zirkumstant äußerst relevant, da er die gesamte Argumentation, die die Grundlage für das in (IV.57) explizierte Ansuchen darstellt, in sich birgt. Wohl aus diesem Grunde wird der auf die Argumentation referierende Zirkumstant nicht nur unmarkiert fokalisiert, sondern sogar mittels Spaltsatz in satzinitialer Position fokussiert. 4.6.2 Die Passivkonstruktion mit Nennung des Agentivs 68 Die Passivdiathese stellt zunächst eine grammatikalische Möglichkeit der Valenzreduktion dar (vgl. Welke 1988b, 138). Als „grammatikalische Konverse“ (Koch 1995, 125) zur Aktivdiathese bedeutet sie eine Änderung der Valenzpotenz (vgl. Ágel 1995, 15). Betrachten wir beispielsweise das zweiwertige Verb suchen, französisch chercher, italienisch cercare, portugiesisch procurar und spanisch buscar in einem Satz wie Der Politiker sucht eine Lösung, französisch L’homme politique cherche une solution, italienisch Il politico cerca una soluzione, portugiesisch O político procura uma soluç-o bzw. spanisch El político busca una solución, so stellt sich dabei heraus, dass der jeweils verbinhärente Satzbauplan N - V - N1 (Blumenthal/ Rovere 1998, 204) ist. In der entsprechenden Passivdiathese lauten die Sätze, wenngleich sie mitunter auch in der jeweiligen Sprache nicht die geläufigsten Formulierungen darstellen, Eine Lösung wird [vom Politiker] gesucht, Une solution est cherchée [par l’homme politique], Una soluzione è cercata [dal politico], Uma soluç-o é procurada [pelo político] bzw. Una solución es buscada [por el político]. Der Agentiv wird in der Passivdiathese zum fakultativen Satzelement, 69 der jeweilige Satzbauplan lautet entsprechend N - V - (N2). Die semantische Agensrolle wird ausgeblendet, nach Ágel (1995, 18) aus dem Aktantenpotential „herauskatapultiert“, was zu einer veränderten Informationsstruktur führt (vgl. Oesterreicher 1991, 66). 70 Damit einher geht jedoch, dass aufgrund der geänderten abstrakt-logischen Reihenfolge der spezifizierten Argumente, in der das logische und das grammatische Subjekt nicht mehr über- 68 Um den Unterschied zwischen dem semantischen Agens und der syntaktisch fakultativen Präpositionalergänzung der Passivkonstruktion, die in der entsprechenden konversen Aktivkonstruktion in der Funktion des Erstaktanten das erste Argument realisiert, dabei allerdings längst nicht immer den semantischen Agens spezifizieren muss, (vgl. Eisenberg et al. 6 1998, 177 ff.) nicht zu verwischen, bezeichnen wir diese Präpositionalergänzung der Passivkonstruktion nicht als Agens, sondern als Agentiv. 69 Der Agens hat in der Passivform dadurch nur mehr den Status der Angabe (Ágel 1995, 18). 70 Die Agenstilgung und die Topikalisierung des Tiefenobjekts sind aber auseinander zu halten und als zwei verschiedene Vorgänge zu betrachten (vgl. Wandruszka 1982, 11). <?page no="193"?> 4.6 Die Fokussierung 187 einstimmen (vgl. Bondzio 1971, 97), 71 die Bedeutung selbst eine Veränderung erfährt (vgl. Welke 1988a, 108; 1988b, 139). 72 Die Passivdiathese kann nach Welke (1994a, 13) nämlich als Anweisung an den Rezipienten verstanden werden, eine andere Perspektive - im Sinne von Blickwinkel - einzunehmen. 73 Es ist dabei allerdings nicht zu übersehen, dass - syntaktisch gesehen - sowohl die Aktivdiathese als auch die Passivdiathese „subjektorientierte Kategorien“ sind (vgl. Wehr 1993, 643). Wird in der Passivkonstruktion der Agentiv trotz seines fakultativen Status expliziert, so ist von großer kommunikativer Relevanz desselben auszugehen und dieser als fokussiert zu betrachten, zumal, dem Relevanzkriterium entsprechend, ansonsten von seiner Spezifizierung abzusehen wäre. 74 Ganz in diese Richtung argumentierend, erklärt Heringer (1984, 56), „wenn strukturell Entbehrliches steht, so wird es besonders informativ.“ Betrachten wir in der Folge anhand einiger Stellen aus unseren politischen Reden die Funktion der zwar strukturell entbehrlichen, nichtsdestotrotz aber syntaktisch spezifizierten und dadurch unserer Auffassung nach eo ipso fokussierten Realisierungen des Agentivs. (IV.58) Y esta esperanza fué colmada por la virtud de la Sección Femenina, por la generosidad de estas muchachas que, abandonando las frivolidades de la vida moderna, supieron sacrificarse y entregarse a esta obra de educación y formación de la mujer. (Franco 1945e, 334, 48-51) In (IV.58) ist der Agentiv erstens syntaktisch - rein materiell gesehen - die gewichtigste Komponente. Er besteht aus zwei Gliedern, von denen das zweite ferner durch einen Relativsatz, der zudem einen gerundivischen, also quintärrealisierten Modalzirkumstanten enthält, spezifiziert wird. Der Agentiv ist aber auch satzsemantisch von großer Relevanz, zumal ein Satz wie Esta esperanza fué colmada für 71 Bondzio (1974a, 48) verweist in Bezug auf Aktiv-Passiv-Diathesen folgendermaßen auf den Anteil der grammatischen Ausdrucksform am Gesamtinhalt des Ausdrucks: „Die Tatsache, das z.B. ein Aktivsatz und der dazugehörige Passivsatz [...] auf eine gemeinsame semantisch-logische Valenzstruktur zurückführbar ist, macht die Frage nicht überflüssig, welchen Anteil die jeweilige grammatische Ausdrucksform am Gesamtinhalt eines Ausdrucks hat.“ Die Passivkonstruktion bietet also hinsichtlich der Satzbedeutung Möglichkeiten, die die unmarkierte aktive Serialisierung nicht bieten kann. Dazu zählen u.a. die Rhematisierung des Agens und die Thematisierung des Patiens. 72 Bedeutung ist in diesem Sinne offensichtlich nicht als Wortbedeutung, sondern als Satzbzw. Äußerungsbedeutung zu verstehen. 73 Helbig (1992, 59) spricht von „unterschiedlicher Blickrichtung.“ 74 Die Passivfunktionen sind nach Ágel (1995, 14) nicht auf den Satz, sondern auf die durch ihn gemeinte außersprachliche Wirklichkeit zu beziehen. Ágel erklärt in der Folge Tesnières rein innersprachliche Bestimmung von vox (vgl. Tesnière 2 1965, 243 ff.) als verfehlt. Im Sinne einer Passivdiathese aus funktionaler Perspektive argumentiert auch Fici Giusti (1998, 62 ff.). Einer anderen Auffassung war offensichtlich Weinrich (1967, 126), als er erklärte: „Die Figuren wechseln im Passiv die Plätze, an der Sprechsituation als solcher ändert sich nichts.“ Diese Meinung liegt eher auf der Linie, die lange Zeit von den Generativisten vertreten wurde, wonach Aktiv- und Passivdiathese als „cognitively synonymous“ (Cinque 1976, 11) erachtet wurden. Vgl. Chomsky 1965, 223, Fußnote 3. <?page no="194"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 188 sich allein wahrscheinlich im Diskurs mehr inhaltliche Fragen aufwürfe, als er beantwortete. Aus der kommunikativ-pragmatischen Perspektive ist festzuhalten, dass der Agentiv die rhematischste, weil satzfinale, Position einnimmt und daher über den höchsten Grad an kommunikativer Dynamik verfügt. (IV.58) zeigt deutlich, dass die Wohlgeformtheit des Satzes allein kein hinreichendes Kriterium für die Adäquatheit einer Aussage im Diskurs sein kann. Die Fokussierung des Agentivs basiert jedoch wohl auf einer weiteren pragmatisch bedingten Entscheidung des Redners, nämlich jener zu unterstreichen, dass es besonders tugendhaft sei, sich aufzuopfern und der Ausbildung von Frauen zu widmen, anstatt den Frivolitäten des Lebens zu frönen. (IV.59) [Il popolo italiano, il popolo fascista merita e avrà la vittoria.] Le privazioni, le sofferenze, i sacrifizî che dalla quasi unanimità degli italiani e delle italiane vengono affrontati con coraggio e con dignità che può dirsi veramente esemplare, avranno il loro compenso, il giorno in cui [...] il triplice, immenso grido attraverserà fulmineo le montagne e gli oceani ed accenderà di nuove speranze e consolerà di nuove certezze l’anima delle moltitudini: vittoria, Italia, pace con giustizia tra i popoli. (Mussolini 1941a, 58, 312-320) In (IV.59) dient der präverbale Einschub des Agentivs der Legitimationssicherung. Mussolini behauptet durch diesen agentiven Einschub quasi en passant, dass fast alle Italiener und Italienerinnen auf seinem, also dem faschistischen Kurs wären. Den höchsten Grad an kommunikativer Dynamik hat im Hauptsatz der in rhematischster Position stehende zweigliedrige Modalzirkumstant con coraggio e con dignità. Allein durch die Spezifizierung des Agentivs dalla quasi unanimità degli italiani e delle italiane, der für die Wohlgeformtheit des Satzes nicht notwendig ist, wird dieser bereits bis zu einem gewissen Grad fokussiert. Der Agentiv trägt aber nicht den Hauptfokus, sodass die Hinterfragung dieser Behauptung Mussolinis seitens der Zuhörerschaft relativ unwahrscheinlich ist, zumal ihr nicht die zentrale Aufmerksamkeit geschenkt wird oder zumindest geschenkt werden soll. (IV.60) [Du moins l’honneur est-il sauf. (...)] Le gouvernement reste libre, la France ne sera administrée que par des Français. (Pétain 1940a, 65, 64-68) Der in rhematischster Position stehende Agentiv in (IV.60) ist kommunikativ absolut relevant. Ein Satz wie La France sera administrée ist grammatikalisch korrekt. Ohne Agentiv ist der Sinn des Satzes - vor allem im gegebenen Kontext - ein völlig anderer, zumal La France sera administrée inhaltlich alles offen ließe. Ohne Spezifizierung des Agentivs wären sowohl das Relevanz-, als auch das Quantitätsprinzip verletzt - und die Äußerung im Diskurs wäre mehr oder weniger überflüssig. (IV.61) [N-o desejaria que a Miss-o militar inglesa abandonasse Portugal sem que eu tivesse o ensejo de lhe exprimir o apreço do Governo pela sua vinda a este país e pela importância dos trabalhos empreendidos. (...)] Ainda que me parecesse dever a Miss-o encontrar muitas dificuldades inerentes à própria natureza dos problemas em estudo, tenho a convicç-o de todas terem sido vencidas pela <?page no="195"?> 4.6 Die Fokussierung 189 competência e boa vontade dos oficiais e pelo desejo que todos animava de encontrar a melhor fórmula de garantia dos nossos comuns interesses. (Salazar 1938b, 123-124, 1-19) Dadurch, dass Salazar in (IV.61) präzisiert, wodurch die Schwierigkeiten besiegt worden seien, nämlich einerseits durch die Kompetenz und den guten Willen der Offiziere und andererseits durch den Wunsch aller, im Sinne der gemeinsamen Interessen zu handeln, scheint er implizit für Zustimmung zum einen zur Linie seines Militärs und zum anderen zu seinem Konzept von Gemeininteressen zu werben. Diese bringen offensichtlich ja die Lösung. Sagte Salazar lediglich Tenho a convicç-o de todas [as dificuldades] terem sido vencidas, so wäre der Satz korrekt, er ließe aber den Grund für diesen Sieg im Dunkeln und gäbe Anlass zu allerlei Spekulationen. Der Agentiv wird in (IV.61) realisiert und dadurch eo ipso fokussiert. Außerdem steht er in rhematischster Position, wodurch er bereits auf hohe kommunikative Relevanz schließen lässt. 4.6.3 Die markierte Realisierung des Erstaktanten Wie bereits in 2.4.1.1 dargestellt, ist der Erstaktant im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen unmarkiert verbmorphologisch realisiert, d.h. also primärrealisiert. Die semantisch-pragmatische Voraussetzung dafür ist, dass die Referenz aus dem sprachlichen oder außersprachlichen Kontext bekannt ist. Im Französischen hingegen ist die Sekundärrealisierung des Erstaktanten, zusätzlich zu dessen Primärrealisierung, die unmarkierte. Die Tertiärrealisierung des Erstaktanten, also moi, io, eu, yo, nous (tonisch), noi, nós, nosotros etc. bedeutet folglich in allen vier Sprachen Markiertheit und stellt somit bereits eine Fokussierung des Erstaktanten dar. Bei der Untersuchung der verschiedenen Aktantenrealisierungen aus diskursfunktionaler Perspektive in 2.5 sind wir bereits im Detail auf die diskursstrategische Bedeutung des materiellen, sprich morphologischen, Gewichts der Aktantenspezifizierung eingegangen. Aus diesem Grund soll hier nur noch exemplarisch auf die durch markiert realisierte Aktanten ausgeübte Funktion der Fokussierung der entsprechenden Satzglieder verwiesen werden. (IV.62) [Y en la parte femenina hubimos de buscar a aquellas muchachas que durante la guerra habían mantenido en nuestra retaguardia la fe, que habían ido a los campamentos y habían lavado las ropas en los arroyos y en los ríos (...) para que organizasen, una vez lograda la victoria, a la mujer española, para que la ilustrasen con su experiencia, para que le infundieran fe.] Porque vosotros sabéis muy bien que la mujer es esencial en la vida del hogar español. (Franco 1945e, 334, 38-47) Sagte Franco Porque sabéis muy bien [...], so ginge aus der morphosyntaktischen Struktur der Äußerung genauso klar hervor, dass die Zuhörer die Angesprochenen, d.h. die Empfänger der Botschaft sind. Durch die Tertiärrealisierung des Erstaktanten wird dieser fokussiert in den Vordergrund gerückt. 75 75 Siehe 2.5 bezüglich der pragmatischen Funktionen der Tertiärrealisierung von Erstaktanten. <?page no="196"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 190 (IV.63) Vent’anni dopo, nel marzo del 1938, si compie un evento fatale, che si delineava già dal 1878, come voi ben sapete. [Milioni di uomini lo hanno voluto, nessuno si è opposto. Trieste si trova di fronte ad una nuova situazione, ma Trieste è pronta ad affrontarla e a superarla.] (Mussolini 1938b, 145, 40-43) (IV.63) stellt einen zu (IV.62) analogen Fall dar. Die Adressierung ginge aus come ben sapete genauso eindeutig hervor wie aus come voi ben sapete. Obige Formulierung impliziert jedoch wesentlich stärker vermeintlich gemeinsames Wissen und präsupponiert eine Mussolini und der Zuhörerschaft gemeinsame Haltung. (IV.64) Français, mes amis, libérez votre conscience des préjugés et des rancunes, vous comprendrez mieux alors ceux qui ont la charge douloureuse de vous conduire. (Pétain 1943a, 301, 87-89) Im unmarkierten Imperativ ist auch im Französischen der Erstaktant, d.h. der Anredenominativ, lediglich primärrealisiert. Pétain erteilt den Anwesenden auf imperative Weise den Auftrag: „Libérez votre conscience des préjugés et des rancunes [...].“ Bereits die unmarkierte Primärrealisierung des Anredenominativs lässt keinen Zweifel darüber, dass die Zuhörer die Angesprochenen, sprich die Empfänger der Botschaft sind. Um im Imperativ allerdings den Anredenominativ fokussiert in Blick zu nehmen, wird dieser wie in (IV.64) zusätzlich zur Primärrealisierung noch quartärrealisiert, hier sogar zweifach, das zweite Mal nämlich durch eine lockere Apposition. (IV.65) O último motivo de n-o temer é conhecermos as posições que o inimigo ocupa e aquelas que se esforça por ocupar. Ele está em muita parte, sem dúvida, e até em nós mesmos, se n-o sabemos medir a gravidade desta hora nem cumprir todo o nosso dever. (Salazar 1938a, 20, 131-136) Está em muita parte [...] genügte vollends, um die Identität des primärrealisierten Erstaktanten zu identifizieren. Es handelt sich dabei nämlich um o inimigo, der in den Relativsätzen des vorangehenden Satzes einmal quartär- und zweimal primärrealisiert ist. Durch die Tertiärrealisierung des Erstaktanten erhält dieser aber ein markiert oder markant großes morphosyntaktisches Gewicht, wodurch er gewissermaßen in den Fokus gelangt. 4.6.4 Die Spezifizierung von Zirkumstanten Auf die kommunikative Relevanz der Zirkumstanten, dargestellt aus der diskursfunktionalen Perspektive, sind wir bereits im Detail in 3.5 eingegangen. Moilanen (1985, 186 ff.) weist nach, dass viele Sätze ohne die sogenannten freien Angaben, als die die Zirkumstanten i.d.R. zumindest bezeichnet wurden, 76 in keiner Kommunikationssituation verwendet werden können, da sie die eigentliche Prädikation oder Assertion der entsprechenden Satzäußerungen darstellen. 76 Mittlerweile ist klar geworden, dass die sogenannten freien Angaben durchaus nicht in dem Sinne frei sind, dass sie in jedem beliebigen Satz stehen könnten, wovon in den Anfängen der Valenztheorie wohl noch ausgegangen wurde. <?page no="197"?> 4.6 Die Fokussierung 191 Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass gerade das strukturell Nicht- Notwendige, aber trotzdem Explizierte kommunikative Relevanz besitzen muss, damit dessen Explizierung - nach dem Relevanzkriterium - überhaupt gerechtfertigt ist. Im Rahmen der Fokussierung im weitesten Sinne behandeln wir deshalb auch fokalisierte nicht-obligatorische Zirkumstanten, jene also, die nicht im Satzbauplan des entsprechenden Verbs enthalten, sprich perspektiviert, trotzdem aber realisiert werden. 77 (IV.66) [Por encima de la victoria se descubre la lucha entre las viejas doctrinas y las formas nuevas, de apariencias halagadoras y de formas despóticas y bárbaras.] Nosotros, por nuestros sufrimientos pasados, no podemos desconocer la razón que a unos y a otros les asiste. (Franco 1945a, 11, 75-78) Der zwischen tertiärrealisiertem Erstaktanten und Verb eingefügte Kausalzirkumstant liefert praktisch die Legitimation für Francos Urteil über die viejas doctrinas und die formas nuevas. Der inkludierende Erstaktant nosotros impliziert die Gleichförmigkeit der Haltung der Zuhörer und jener Francos. Der Kausalzirkumstant por nuestros sufrimientos pasados wird deshalb spezifiziert und eo ipso fokussiert, weil es gegen die vermeintlich gemeinsame Erfahrung kein Gegenargument geben kann. (IV.67) Da quel giorno il mondo del liberalismo, della democrazia, della plutocrazia ci dichiarò e ci fece la guerra con campagne di stampa, diffusione di calunnie, sabotaggi finanziarî, attentati e congiure, anche quando eravamo intenti a quel lavoro di ricostruzione interna che rimarrà nei secoli quale indistruttibile documentazione della nostra volontà creatrice. (Mussolini 1941a, 51, 25-29) Der fünfgliedrige Modalzirkumstant in (IV.67) wird erstens bereits durch die Spezifizierung selbst und zweitens durch seinen Umfang fokussiert. Stünde jedoch Il mondo del liberalismo, della democrazia, della plutocrazia ci dichiarò e ci fece la guerra allein, d.h. ohne obigen Zirkumstanten, so wäre die Äußerung uneindeutig und nicht nachvollziehbar. Die Kollokation fare la guerra verlangt im übertragenen Sinn also bereits aus Präzisionsgründen einen Zirkumstanten. Die Tatsache, dass er hier fünfgliedrig ist, erhöht zumindest das morphosyntaktische Gewicht der Anklage, die Mussolini gegen den mondo del liberalismo, della democrazia, della plutocrazia erhebt. (IV.68) [N’espérez pas trop de l’État. Il ne peut donner que ce qu’il reçoit.] Comptez, pour le présent, sur vous-mêmes et, pour l’avenir, sur les enfants que vous aurez élevés dans le sentiment du devoir. (Pétain 1940a, 66, 94-97) Die beiden temporalen Zirkumstanten pour le présent bzw. pour l’avenir dienen der Präzisierung der referentiellen Zeit, sind somit aber integrativer Bestandteil der Äußerung. Der Modalzirkumstant dans le sentiment du devoir hingegen trägt eindeutig manipulative Züge, und zwar in dem Sinne, dass Pétain seiner Zuhörer- 77 Es sei an dieser Stelle zur Erinnerung noch einmal darauf hingewiesen, dass wir etwa nach oben in Er schaut nach oben oder gut in Es riecht gut als obligatorische Zirkumstanten bezeichnen. <?page no="198"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 192 schaft suggeriert, dass sie ihre Kinder auf eine bestimmte Weise, die implizit nämlich seinen Vorstellungen entspricht, erzogen haben wird, so, als ob es quasi keine Diskussion darüber geben könnte. (IV.69) Está o inimigo ainda na repartiç-o pública, está ainda no ensino, está ainda na imprensa, está ainda no teatro e no cinema, no boato, na má língua, no desalento dos derrotistas. (Salazar 1938a, 20, 136-140) In dieser Rede Salazars kommt quasi als Replike auf das oben Gesagte auch die Äußerung „Simplesmente nós também estamos“ (Salazar 1938a, 20, 146) vor. Estar kann auch ohne Zirkumstanten verwendet werden und bedeutet in diesem Fall hier sein, da sein bzw. präsent sein. In (IV.69) werden acht lokale Zirkumstanten bzw. ein achtgliedriger Lokalzirkumstant, teilweise im wörtlichen, teilweise im übertragenen Sinn zu verstehen, in der Verbindung mit estar realisiert. Auch hier sind es analog zu den vorhergehenden Fällen einerseits die Realisierung selbst, andererseits analog zu (IV.67) der morphosyntaktische Umfang, die gemeinsam die Fokussierung des Lokalzirkumstanten ermöglichen. 4.7 Die Orientierung Als primäre Orientierung bezeichneten wir die Ausgerichtetheit des Verbs infolge individueller, verbinhärenter Perspektiviertheit, meint Ausgerichtetheit des Verbs, bedingt durch dessen immanente Funktor-Argument-(Modifikator)-Struktur. Wird nun auf der Grundlage einer spezifischen primären Orientierung ein bestimmtes Argument bzw. ein bestimmter Aktant fokussiert, so sprechen wir von sekundärer Orientierung. Um nicht ganz zwischen Orientierung, Fokussierung, Fokalisierung und Perspektivierung die Orientierung zu verlieren, betrachten wir als Nächstes das Phänomen der Orientierung mitsamt seiner diskursstrategischen Potenz am Beispiel verschiedenster Textstellen aus den zur Diskussion stehenden Reden. 4.7.1 Die Gebensversus Nehmens-Orientierung Die Gebens-Orientierung bzw. Nehmens-Orientierung bringt u.a. Aktivität bzw. Passivität zum Ausdruck. Unmarkiert ist der Erstaktant der Verben des Gebens ein Agens, jener der Verben des (An-)Nehmens ein Benefaktiv bzw. Malefaktiv. Im Rahmen einer konsequenten Untersuchung der Verben des Gebens bzw. (An-) Nehmens in einer Rede können somit in diesem Sinne die eigene und des anderen Disposition zu Agentivität oder Aktivität und die Wahrnehmung der eigenen Rolle und die des anderen in der Geben-Nehmen-Interaktion erfasst werden. Folgende selektive Beispiele, die isoliert natürlich nicht umfassend über das eigene Rollenverständnis der entsprechenden Redner in der Geben-Nehmen- Interaktion Aufschluss geben können und daher auch in überhaupt keiner Weise dafür repräsentativ sein sollen, geben aber zumindest einen Einblick in die Möglichkeiten einer derartigen Orientierungsuntersuchung, die ja auch in einem größeren Rahmen gemacht werden kann. <?page no="199"?> 4.7 Die Orientierung 193 4.7.1.1 Die Gebens-Orientierung Betrachten wir nun exemplarisch vier Passagen aus vier Reden der zur Diskussion stehenden Politiker, die jeweils ein oder mehrere Verben des Gebens enthalten. (IV.70) [(...) nos sentimos con fuerzas para superar las dificultades y realizar las tareas que permitan resolver el problema más importante de la provincia de Badajoz. (...) Nada más y nada menos que esto hemos venido a hacer.] No a construiros el edificio, sino a daros los elementos para que vosotros lo construyáis, para que sean todos los españoles los que den la vida y colaboren en esta obra que a mí me corresponde dirigir, secundado por mis Ministros, pero ayudado por vuestro propio esfuerzo. (Franco 1945b, 620, 60-72) Dar ist dreiwertig und impliziert - in der Notierung von Blumenthal/ Rovere (1998) 78 - den Satzbauplan N - V - N1 - N2. Secundar und ayudar hingegen sind zweiwertig mit der jeweiligen Stelligkeit N - V - N1. Letztere können aber insofern auch zu den Verben des Gebens gezählt werden, als sie jemandem Unterstützung bzw. Hilfe zukommen lassen bedeuten. Die Infinitivkonstruktion a daros los elementos bezieht den Agens bzw. den primärrealisierten Erstaktanten aus hemos venido a hacer, spezifiziert den Zweitaktanten durch los elementos und den Drittaktanten durch das klitische Pronomen os. Der Erstaktant von que den la vida hingegen ist todos los españoles, der Zweitaktant ist la vida, der Drittaktant wird nicht spezifiziert, wodurch ein bestimmter Grad an Generizität erreicht wird. Erstaktant als Agens von secundar sind Francos Minister, Erstaktant als Source von ayudar sind die Anstrengungen derjenigen Spanier, die Francos Rede hören. Der Benefaktiv von secundar und ayudar ist jeweils Franco selbst. In dieser Textstelle ist das Gegebene, also der patientive Zweitaktant, durchaus positiv konnotiert, die Geberschaft setzt sich aus Franco und dessen Anhängerschaft zusammen, und der Benefaktiv ist das spanische Volk. (IV.71) È Milano che deve dare e darà gli uomini, le armi, la volontà e il segnale della riscossa! (Mussolini 1944, 138, 537-538) In (IV.71) gibt der metaphorisch-metonymische Agens Milano den Patiens Männer, Waffen, den Willen und das Signal zum Gegenangriff. Der Drittaktant wird ausgespart, wodurch das Verb dare mit dem Satzbauplan N - V - N1 - N2 absolute Verwendung findet, wodurch der Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erhoben oder einfach eine nicht zu hinterfragende Feststellung getroffen wird, was wohl möglichst von der Zuhörerschaft unbemerkt bleiben soll. Mailand wird metaphorisch-metonymisch und global als Verbündeter bezeichnet, der bereit ist, alles zu geben, was Mussolinis Sache dienlich sein kann. Der implizite Benefaktiv ist Mussolini selbst. 78 Blumenthal/ Rovere (1998, 332 ff.) bringen zahlreiche Satzbaupläne für das italienische Verb dare. Einer der Satzbaupläne von spanisch dar, wahrscheinlich der am häufigsten vorkommende Standardsatzbauplan dieses Verbs im Spanischen, ist analog zu jenem von italienisch dare N - V - N1 - N2. <?page no="200"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 194 (IV.72) L’ordre social nouveau, tenant compte de la réalité économique et de la réalité humaine, permettra à tous de donner leur effort maximum dans la dignité, la sécurité et la justice. (Pétain 1941d, 130, 98-100) Permettre quelque chose à quelqu’un mit dem Satzbauplan N - V - à N - de Inf (Busse/ Dubost 2 1983, 238) zählen wir deshalb zu den Verben des Gebens, weil es als jemandem die Möglichkeit bzw. die Erlaubnis geben zu verstehen ist. Pétains neue Ordnung gibt allen die Möglichkeit, ihr Bestes zu geben. Pétain selbst gibt also den Franzosen die Möglichkeit zu geben. Pétain und seine Gefolgsleute sind im Falle von permettre die Gebenden, das Gegebene besteht in der Möglichkeit zu geben, und der Benefaktiv ist das französische Volk. Im Falle von donner ist der implizierte Geber nun das französische Volk, das Gegebene sind die größtmöglichen Anstrengungen der Franzosen, und der Benefaktiv ist wohl wieder der oberste politische Chef, also Pétain selbst, der gestärkt werden soll, indem seiner Sache gedient wird. (IV.73) E para cúmulo demos durante a tragédia espanhola, com olhos cegos ou a raz-o perturbada, bastas provas de n-o distinguirmos já bem a verdade e o erro, a virtude e o vício, a ideologia política e a mentalidade criminosa, o que é deplorável para quem se proponha dar exemplo ao mundo. (Salazar 1939a, 141, 105-111) In (IV.73) gesteht Salazar, dass die Portugiesen, er selbst mitgemeint, während des spanischen Bürgerkrieges auch den Beweis für menschliche Schwächen lieferten bzw. gaben, obwohl sie ja im Grunde beispielhaft sein wollten, d.h. der Welt ein gutes Beispiel geben wollten. Im ersten Fall von dar ist der Geber das portugiesische Volk, das Gegebene ein Zeugnis der Schwäche, und der den (An-)Nehmenden als Malefaktiv zu denotierende Drittaktant bleibt unspezifiziert. Im zweiten Fall von dar ist der Geber generisch, das Gegebene das gute Beispiel, und der Empfänger, diesmal als Benefaktiv, ist die Welt. Summa summarum lassen die begangenen Irrtümer die Portugiesen aber nur menschlicher erscheinen. Als Quintessenz der Aussage bleibt bestehen, dass die Portugiesen bestrebt sind, der Welt ein Vorbild zu sein, bzw. eben ein gutes Beispiel zu geben. Die primäre Orientierung der besprochenen von Verben des Gebens abhängigen Äußerungen ist die Gebens-Orientierung. Die sekundäre Orientierung ist, so vorhanden, i.d.R. je nach Einzelfall gesondert zu bewerten. Dennoch gibt es zumindest eine auffällige Parallele zwischen den untersuchten Auszügen. (IV.71) ist aufgrund des fehlenden Drittaktanten und der Mehrgliedrigkeit des Zweitaktanten patiensbzw. sachorientiert. Auch in (IV.72) bleibt das durch den Drittaktanten zu spezifizierende Argument implizit, d.h. aktantiell nullrealisiert, wodurch (IV.72) ebenfalls als patiens- oder sachorientiert zu betrachten ist. Dasselbe gilt für die vom ersten dar in (IV.73) abhängige Äußerung. Bezüglich der Geber-Orientierung lässt sich resümierend festhalten, dass in den angeführten Beispielen der Geber fast durchwegs als großzügig und ethischmoralisch hochstehend betrachtet wird. Es ist deshalb nur naheliegend, dass die sekundäre Orientierung dem Redner selbst bzw. seiner (vermeintlichen) Anhänger- <?page no="201"?> 4.7 Die Orientierung 195 schaft gilt. Diejenigen, denen gegeben wird, sind entweder die Redner selbst, oder es sind politisch Gleichgesinnte, oder aber im Falle von Salazar sollte sogar der ganzen Welt ein gutes Beispiel gegeben werden. Die ganze Welt sollte somit Benefaktiv sein. 4.7.1.2 Die Nehmens-Orientierung Hinsichtlich der primären Orientierung ist die Nehmens-Orientierung konvers zur Gebens-Orientierung und aus dem Blickwinkel der sekundären Orientierung ist die Nehmer-Orientierung konvers zur Geber-Orientierung. Charakterisiert Aktivität den Gebenden, so kennzeichnet Passivität den (An-)Nehmenden als Erhaltenden. Ist der prototypische Kasus des Gebers der Agens, so ist jener des Nehmers oder Erhaltendenen der Benefaktiv bzw. Malefaktiv. Lässt sich das Geben als vorrangig selbstbestimmt beschreiben, so ist das (An-)Nehmen im Sinne von Erhalten insofern fremdbestimmt, als es in erster Instanz vom anderen als Geber abhängig ist und erst in zweiter Instanz u.U. vom potentiellen Erhaltenden nicht angenommen werden muss. Die Untersuchung der Nehmens-Orientierung ist nach jener der Gebens- Orientierung eine weitere Möglichkeit, das Selbstverständnis des Redners bzw. dessen Sicht der eigenen bzw. des anderen Rolle zu betrachten. Nehmen wir unter diesem Aspekt wiederum vier Textstellen aus den untersuchten Reden unter die Lupe. (IV.74) Vosotros conocéis cómo es la España que recibimos: con los grupos en lucha, con sus burgos tristes y sus viviendas míseras, sus funcionarios hambrientos y sus obreros sin trabajo; la que entregaba a la muerte, sin defensa, millares de vidas de tuberculosos por año, la que registra la más alta mortandad infantil, la que ofrece el irritante contraste de los palacios suntuosos y de las viviendas míseras. (Franco 1939, 19, 429-436) Franco beschreibt das Spanien, das er und seine Anhängerschaft von seinen Vorgängern übernommen hatten, nämlich ein Spanien, geprägt durch inneren Unfrieden, Armut, Hunger und Krankheit sowie durch eine große Kluft zwischen Arm und Reich. Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 62) notieren für obtener bzw. recibir 79 „01(4“, was in der Transkription von Blumenthal/ Rovere (1998) N - V - N1 - (Prep N3) bzw. N - V - N1 - (de N3) heißt. Der Erstaktant von obtener bzw. recibir ist unmarkiert - semantisch gesehen - Benefaktiv bzw. Malefaktiv. Die Nennung des Agentivs ist fakultativ. De facto wird im vorliegenden Fall der Agentiv nicht expliziert, er ist nur implizit vorhanden. Franco und seine Gesinnungsgenossen sind der erstaktantiell realisierte (an-) nehmende Malefaktiv, denn sie haben vom inneren Feind ein zerrissenes und heruntergekommenes Spanien - als zweitaktantiell realisierten Patiens - bekommen. 79 Sie gehen von deutsch bekommen aus und führen die Übersetzungen obtener und recibir an. <?page no="202"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 196 (IV.75) A consacrare la fraternità delle armi italo-germaniche ho chiesto e ottenuto dal Führer una diretta partecipazione alla battaglia contro la Gran Bretagna con velivoli e sottomarini. (Mussolini 1940b, 34, 168-171) Ottenere impliziert den Satzbauplan N - V - N1 - (da N3) (vgl. Blumenthal/ Rovere 1998, 742). Mussolini ist erstaktantiell realisierter Benefaktiv, der Führer ist der durch einen präpositionalen Drittaktanten realisierte Agentiv, und des Führers Unterstützung im Krieg ist zweitaktantiell realisierter Patiens. Mussolini ist der (An-)Nehmende, der, anders ausgedrückt, vom äußeren Freund Hilfe erhält. (IV.76) Ils vous ont nourri d’illusions, ils vous ont tout promis. Souvenez-vous de leur formule : « Le pain, la paix, la liberté ». Vous avez eu la misère, la guerre et la défaite. (Pétain 1941a, 112, 76-78) Avoir, in gewissen Kontexten annähernd synonym für obtenir bzw. recevoir (vgl. Rey, A./ Rey-Debove 2 1981, 145), ist bei Busse/ Dubost ( 2 1983) im Sinne von bekommen nicht angeführt. Als Satzbaupläne werden für das entsprechende obtenir N - V - (de N) - N (Busse/ Dubost 2 1983, 222) bzw. für recevoir N - V - N - de Nqn (= de quelqu’un) (Busse/ Dubost 2 1983, 276) notiert. Das heißt, auch im Französischen ist im Falle von obtenir bzw. recevoir von der bereits oben dargestellten aus Blumenthal/ Rovere (1998) stammenden Formel N - V - N - (Prep N3) auszugehen. Pétain versucht in (IV.76) seinen Anhängern bzw. denjenigen, um deren Unterstützung er wirbt, klarzumachen, dass sie von den Demagogen, d.h. vom inneren Feind, leere Versprechungen und in der Folge nur Elend bekommen haben. Das Verb nourrir wäre zu den Verben des Gebens zu zählen, da es mit Nahrung geben umschrieben werden kann. Die von Pétain Angesprochenen sind als erstaktantiell realisierter, angenommen habender Malefaktiv Opfer des Agentivs die Demagogen, von denen die Angesprochenen den zweitaktantiell realisierten Patiens Elend, Krieg und Niederlage annehmen mussten. (IV.77) [...]; de nós se n-o pode afirmar que n-o soubemos que fazer da nossa independência: trabalhando e recebendo em nossa carne duros golpes, descobrimos, civilizámos, colonizámos. (Salazar 1940, 257, 62-66) Salazar formuliert in diesem Abschnitt wie schon im vorangehenden vager als seine Zeitgenossen. Der Satzbauplan N - V - N - (de N) (vgl. Busse 1994, 353) gilt auch für das portugiesische receber. Portugal bzw. die Portugiesen hätten als Malefaktiv metonymisch bzw. metaphorisch Schläge bekommen, trotzdem aber erfolgreich entdeckt, zivilisiert und kolonialisiert. Der Patiens duros golpes ist negativ konnotiert. Dementsprechend ist zu erwarten, dass der Agentiv feindlich ist. In der Tat scheinen auch diejenigen den Agentiv darzustellen, die sich gegen Portugals Imperialismus zur Wehr setzten, die Portugals Expansionspolitik bekämpften. Der Agentiv bleibt aber implizit, wodurch die eventuelle Legitimität, Portugal wegen seiner <?page no="203"?> 4.7 Die Orientierung 197 imperialistischen Feldzüge duros golpes zu verpassen, gar nicht erst zur Diskussion gestellt wird. Die Nehmens-Orientierung sieht die zwingende erstaktantielle Realisierung des Benefaktiv bzw. Malefaktiv vor sowie in der Regel, d.h. im unmarkierten Fall, die zweitaktantielle Realisierung des Patiens, also desjenigen, das vom Benefaktiv bzw. Malefaktiv angenommen, aufgenommen oder übernommen wird. Der den Agentiv explizierende präpositionale Drittaktant ist im Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen auf der semantischen Ebene als fakultatives Argument perspektiviert und infolgedessen syntaktisch ebenfalls jeweils fakultativ. Wird er allerdings realisiert, so bedeutet dies, dem Relevanzprinzip und den kommunikativen Kooperationsprinzipien Folge leistend (vgl. Watzlawick et al. 10 2000, 24 ff.; Grice 1975, 45 ff.; Sperber/ Wilson 10 2001, 24 ff.), 80 automatisch zumindest eine relative Fokussierung desselben, da davon auszugehen ist, dass er kommunikativ relevant ist. Ginge man hingegen von einer umfassenden kognitiven Szene aus, so wären der Agentiv in dieser aber genauso enthalten wie der benefaktive bzw. malefaktive sowie der patientive Handlungsträger. Analog zur Gebens-Orientierung lassen sich aus dem Blickwinkel der Nehmens- Orientierung Freund- und Feindbilder eruieren und in diesem Sinne Darstellungstendenzen als diskursive Strategien festellen. Ist der (an-)nehmende Erstaktant Malefaktiv und der Patiens negativ konnotiert, so ist der - nicht zwingend explizierte - Agentiv entweder innerer oder äußerer Feind. Ist hingegen der Patiens positiv konnotiert und der Erstaktant infolgedessen Benefaktiv, so ist der Agentiv innerer oder äußerer Freund. In den ersten drei Textstellen (IV.74), (IV.75) und (IV.76) bezeichnet der Erstaktant jeweils das angesprochene Volk bzw. in Mussolinis Rede den Redner selbst, d.h., in (IV.74) ist es der primärrealisierte Erstaktant von recibimos, in (IV.75) jener von ho [chiesto e] ottenuto und in (IV.76) der primär- und sekundärrealisierte von vous avez eu. In der vierten Textstelle, also in (IV.77), bezieht die Partizipialform recebendo den Malefaktiv, der in der konjugierten Form den Erstaktanten realisierte, aus descobrimos, civilizámos, colonizámos. In den dargestellen Beispielen beschreiben Franco, Pétain und Salazar sich und ihr jeweiliges Volk als Opfer, das sie, die Politiker, aus dem Elend und der Ungerechtigkeit, also aus der Opferrolle, herauszuholen versprechen. Mussolini sieht sich in (IV.75) als Benefaktiv, sprich Nutznießer, der vorbildhaften Solidarität des Führers. Es geht natürlich auch in diesem Abschnitt über die Nehmens-Orientierung nur darum, ein weiteres mögliches Kriterium in der Diskursanalyse aufzuzueigen, nach dem diskursive Strategien in der politischen Rede eruiert werden können. Schon aufgrund der geringen Anzahl von exemplarischen Textstellen, die außerdem nicht nach den Kriterien der Repräsentativität, sondern nur nach jenen der Illustrationskraft ausgewählt wurden, kann es sich selbstverständlich keinesfalls um eine Untersuchung mit repräsentativem Ergebnis handeln. 80 Unter „idea of communication“ verstehen Sperber/ Wilson ( 10 2001, 24) „to attribute intentions to each other […], communication involves the publication and recognition of intentions.” <?page no="204"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 198 4.7.2 Die Mitteilensorientierung: Hörerversus Sachorientierung Orientierung definierten wir allgemein als das sprachlich realisierte Ergebnis des Zusammenspiels von Perspektiviertheit bzw. Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung, welches als diskursstrategisches Mittel dafür eingesetzt wird, etwas morphosyntaktisch irgendwie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Als primäre Orientierung bezeichneten wir die globale semantische Ausgerichtetheit des Verbs infolge verbinhärenter Perspektiviertheit. Sekundäre Orientierung hingegen nannten wir die auf der Folie der primären Orientierung stattfindende spezielle Orientierung an einem bestimmten im Verb perspektivierten und in der Kommunikation durch den Sender fokalisierten und fokussierten Argument - bzw. gegebenenfalls auch Zirkumstanten (vgl. 4.1). Mitteilensorientierung bezeichnet somit die primäre Orientierung. In der Diskussion der Hörerversus Sachorientierung geht es infolgedessen um sekundäre Orientierung auf der Folie der Mitteilensorientierung als ihrer primären Orientierung. Wir sprechen folglich von Hörerorientierung, wenn der Hörer im Mittelpunkt des Interesses steht, von Sachorientierung hingegen, wenn es vorrangig um die Sache des Mitgeteilten geht. Die Wahl des Verbs mit seiner inhärenten Perspektiviertheit ist wiederum das erste entscheidende Kriterium für Hörerbzw. Sachorientierung. Nur jene Verben erlauben die Hörerorientierung, die das explizite Erscheinen respektive die explizite Adressierung des (Zu-)Hörers zulassen. Ferner sind es die markierte Serialisierung, die definite oder indefinite Auslassung sowie eine der Fokussierung dienende Kombination aus verschiedenen Realisierungsvarianten des entsprechenden Aktanten, die die Hörerbzw. Sachorientierung begünstigen oder überhaupt erst ermöglichen. 4.7.2.1 Die Hörerorientierung Die für die Demonstration der Hörerorientierung relevanten Verben der zu untersuchenden Textstellen sind spanisch corresponder, italienisch ascoltare und parlare, französisch demander und portugiesisch dirigir. Die entsprechenden Satzbaupläne sind folgende: Für corresponder im von Franco verwendeten Sinn von zukommen lässt sich Inf - V - N2 81 eruieren. Corresponder in diesem Sinn ist in Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) nicht enthalten. Ascoltare impliziert den Satzbauplan N - V - (N1) - (da N3) (Blumenthal/ Rovere 1998, 117), parlare N - V - N2/ a N3 - (di N3) (Blumenthal/ Rovere 1998, 751), demander nach Busse/ Dubost ( 2 1983, 83) N - V - N - (à N), was in der Notierung von Blumenthal/ Rovere (1998) N - V - N1 - (N2) bedeutet, und dirigir nach Busse (1994, 177) N - V - N - a N, was in der Transkription von Blumenthal/ Rovere (1998) N - V - N1 - N2 ergibt. (IV.78) [¿Que hay españoles que hurtan su cooperación o su sacrificio en esta etapa histórica, en que se juega el destino del mundo, o que no les importa ni la fe, ni la 81 Es geht dabei um den Satzbauplan von corresponder, nach dem Sätze wie A ti te corresponde sentarte allí oder A los padres les corresponde cuidar de la educación de los hijos (Guardia Masó, Pedro et al. 7 1995, 473) - in etwa analog zum Satzbauplan von italienisch convenire (vgl. Blumenthal/ Rovere 1998, 301). <?page no="205"?> 4.7 Die Orientierung 199 Patria, ni el bien de los españoles? No os preocupéis: llevarán siempre consigo la maldición eterna de la Historia.] Al Estado le sobran medios y resortes para vencerlos; a vosotros os corresponde el convencerlos. (Franco 1942b, 245-246, 154-160) Indem Franco a vosotros os corresponde sagt, also euch [Zuhörern] kommt die Aufgabe zu, ... , spricht er die Zuhörer direkt an. Der Drittaktant ist durch das klitische Pronomen os sekundär- und zusätzlich dazu durch das tonische Pronomen a vosotros tertiärrealisiert. Zudem ist der Drittaktant topikalisiert. Die Verbwahl, die doppelte Realisierung des Drittaktanten und dessen Topikalisierung erklären die Hörerorientierung dieser Passage. (IV.79) Sono venuto per ascoltarvi e per parlarvi. (Mussolini 1938b, 144, 22) Mussolini könnte sagen Sono venuto per ascoltare un rapporto dettagliato della situazione e per parlare del nostro futuro. Mussolini sagt aber, per ascoltarvi e per parlarvi, also um euch zu hören und um zu euch zu sprechen. Das klitische Pronomen vi ist der sekundärrealisierte Zweitaktant von ascoltare und der sekundärrealisierte Drittaktant von parlare. Sowohl Parla di politica als auch Parla al presidente sind syntaktisch wohlgeformt. Trotzdem impliziert der erste Satz in der Regel einen Gesprächspartner bzw. eine Zuhörerschaft, der zweite Satz hingegen ein Thema. Der das Thema denotierende, streng syntaktisch gesehen, somit fakultative präpositionale Drittaktant di qualcosa des Verbs parlare ist in obiger Äußerung nullrealisiert, wodurch der Adressat, sprich die Zuhörerschaft, bereits eine relativ prominente Position in der Äußerung erlangt. Mussolini geht es offensichtlich nicht darum, etwas Bestimmtes zu hören oder zu sagen, sondern es geht ihm primär um die Zuhörerschaft selbst. Außerdem wird die Zuhörerschaft von Mussolini direkt persönlich angesprochen. Aus alldem erklärt sich die Hörerorientierung dieser Textstelle. (IV.80) Aux Français qui s’interrogent et doutent, je demande de mesurer les progrès que notre pays a réalisés depuis neuf mois. (Pétain 1941b, 122, 55-57) Durch die markierte Serialisierung von (IV.80) ist der Drittaktant von demander bereits fokussiert. Außerdem ist dieser durch einen Relativsatz spezifiziert. Indem Pétain alle kritischen Franzosen expressis verbis einlädt, die Leistungen seiner Regierung zu überprüfen, ist implizit auch die gesamte Zuhörerschaft dazu aufgefordert. Dies impliziert allerdings wiederum, dass die Zuhörer nicht dazu aufgefordert sind, irgendwelche Zweifel anzumelden, sondern vielmehr Pétain aufgrund des vermeintlichen Vertrauensvorschusses einfach zu glauben. Pétains Einladung zu kritischer Überprüfung gleicht also einem Vertrauensvorschuss, der lediglich darauf angelegt ist, die Unterstützung durch die Zuhörerschaft zu festigen bzw. noch mehr Solidarität zu erhalten, etwa nach dem Motto: Da ich dir schon Kritik gestatte, wirst du diese Freiheit wohl nicht schamlos ausnutzen. Die Zuhörerschaft wird in dieser Äußerung nicht direkt, sondern indirekt angesprochen, steht aber aus den dargelegten Gründen ebenfalls im Mittelpunkt des Interesses. (IV.81) A todos os que lembraram, apoiaram ou viveram esta grandiosa manifestaç-o; [...] aos que por todo o País, nas ilhas ou no vasto Império, neste mesmo dia, levantaram os olhos por momentos do que é transitório ou efémero na vida e serenamente os volveram <?page no="206"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 200 para o que é perene a Pátria; a todos quantos, dominados por sentimentos de simpatia ou dedicaç-o, por imperativo da consciência, pela compreens-o reflectida ou simples intuiç-o das necessidades nacionais, por este ou aquele caminho trouxeram seu contributo de afecto, de apoio, de solidariedade, de confiança - a todos dirijo a express-o mais sincera do meu agradecimento. (Salazar 1941, 297, 1-18) Salazar richtet seinen Dank an all jene, die sich irgendwie mit Portugal identifizieren. Auch in diesem Beispiel ist der Drittaktant topikalisiert, er besteht aber zudem aus einer nicht enden wollenden Aufzählung von gesplitteten, satzförmig realisierten Drittaktanten, die gemeinsam den mehrgliedrigen Drittaktanten ergeben. Auch in diesem Fall wird sich der Zuhörer auf die eine oder andere Weise im Adressatenkreis wiederfinden. Der Zweitaktant ist im Vergleich dazu mit a express-o mais sincera do meu agradecimento knapp, abstrakt und damit wenig aussagekräftig gehalten. Für alle vier Textstellen gilt, dass sich der jeweilige Redner aus all den dargelegten Gründen in seinen Ausführungen am perspektivierten, fokalisierten und - unterschiedlich stark - fokussierten Hörer orientiert. 4.7.2.2 Die Sachorientierung Sachorientierung bedeutet also, dass im Rahmen des Mitteilens als primärer Orientierung weder der Sender noch der Empfänger, sondern die Nachricht als das Mitgeteilte im Zentrum des Interesses steht. Die sekundäre Orientierung gilt der Sache des Mitgeteilten. Die Sachorientierung wird an Äußerungen demonstriert, deren Satzstrukturen von den Verben spanisch prometer, italienisch narrare, französisch montrer bzw. portugiesisch lembrar abhängen. Der Satzbauplan von spanisch prometer ist nach Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 254) „013“, jener von italienisch narrare N - V - N1 - (N2) - (in N3) - (come N pred ) (Blumenthal/ Rovere 1998, 709), jener von französisch montrer N - V - (à N) - N < de N > (Busse/ Dubost 2 1983, 214) und schließlich jener von portugiesisch lembrar Np - V - a Np - Nc (Busse 1994, 288). (IV.82) Nuestra victoria fué una victoria de principios, una victoria de la espiritualidad sobre el materialismo, la victoria de los que no nos comformábamos con un estado de miseria, de injusticia, de decadencia de toda una Patria, que habíamos prometido defender. (Franco 1945e, 333, 10-13) Franco behauptet, die Verteidigung eines Sieges der Prinzipien und der Spiritualität versprochen zu haben. Prometer erscheint erst im Relativsatz, der das mehrgliedrige Prädikatsnomen spezifiziert. Die Tatsache, dass der Zweitaktant von prometer, nämlich nuestra victoria, durch das mehrgliedrige, auf alle Fälle hinsichtlich des Umfangs die Aufmerksamkeit auf sich lenkende Prädikatsnomen repräsentiert wird und dass obendrein noch der Drittaktant nullrealisiert wird, verweist auf die Sachorientierung dieser Textstelle. Dadurch, dass das Argument für den Drittaktanten unrealisiert bleibt - ein Versprechen muss selbst bei generischer Verwendung des Verbs irgendjemandem gegeben werden - , könnte auch niemand etwas Versprochenes, aber niemals Erhaltenes einklagen. <?page no="207"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 201 (IV.83) [...] Queste sono le responsabilità indiscutibili, documentate anche dal Führer, il quale ha narrato ora per ora l’inganno teso alla Germania, inganno rafforzato dai micidiali bombardamenti, che gli angloamericani, d’accordo con Badoglio, hanno continuato, malgrado la firma dell’armistizio, contro grandi e piccole città dell’Italia centrale. (Mussolini 1943, 4, 122-126) Die Täuschung oder Irreführung Deutschlands, die den Zweitaktanten von narrare darstellt, steht im Zentrum dieser Aussage Mussolinis. Mussolini berichtet, dass der Führer davon stundenlang erzählt habe, verschweigt aber den Adressaten, d.h. er lässt ebenfalls das dritte Argument des Funktors von narrare aktantiell nullrealisiert. Es geht hier um die Sache und nicht darum, wem es der Führer erzählt hatte, oder darum, welchen Bezug Mussolini zwischen dem Geschehen und seiner Zuhörerschaft herstellen will. Außerdem bleibt das Gesagte dadurch wiederum unüberprüfbar. Die Sachorientierung ergibt sich in (IV.83) somit zum einen aus der Extension des Zweitaktanten und zum anderen aus der Nullrealisierung des Drittaktanten. (IV.84) À Alger, à Rabat, à Tunis, à Dakar, le général Weygand a fièrement montré ce qu’est et doit être l’unité française. (Pétain 1941b, 121, 28-31) Der quintärrealisierte Zweitaktant von montrer ist der Objektsatz ce qu’est et doit être l’unité française. Der Drittaktant ist unspezifiziert und kann höchstens aus dem mehrgliedrigen Lokalzirkumstanten erahnt bzw. abgeleitet werden. Im Zentrum des Interesses steht weder der Bezug Pétains zum Hörer noch der Bezug Weygands zu seiner damaligen Zuhörerschaft, sondern das gezeigte oder definierte Verständnis von französischer Einheit. (IV.85) T-o extensa e profunda foi a tragédia que nem mesmo todos os vencedores - e lembro piedosamente o Presidente Roosevelt - puderam sorrir ao claro sol da sua vitória. (Salazar 1945a, 94, 22- 26) Distanziert berichtet Salazar von der Tragik des Sieges und erinnert dabei an Roosevelt. Doch auch Salazar unterlässt hier die Realisierung des Drittaktanten von lembrar, wodurch die Zuhörer verstärkt gefordert sind, ihren eigenen Bezug zum dargestellten Sachverhalt herzustellen. 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz Die systembedingte, verbinhärente Perspektiviertheit der Verben ist insofern veränderlich, als entweder a) die Anzahl funktoriell regierter Argumente vermindert oder erhöht wird oder b) Argumente auf der logisch-semantischen Ebene zu Modifikatoren werden, die im Zuge der Syntaktifizierung zirkumstantiell zu realisieren sind, oder aber c) sich der Argument- und infolgedessen der entsprechende Aktantenstatus von obligatorisch zu fakultativ verschiebt. Dies zu beleuchten, dem zugrundeliegende pragmatische Motive zu erwägen und daraus resultierende pragmatische Konsequenzen in Betracht zu ziehen, ist unser Vorhaben in diesem Abschnitt. <?page no="208"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 202 4.8.1 Die Passivdiathese In 4.6.2 haben wir uns bereits eingehend mit der Passivdiathese als grammatikalischer Möglichkeit der Valenzreduktion, als grammatikalischer Konverse zur Aktivdiathese, auf der Grundlage geänderter Valenzpotenz (vgl. Ágel 1995, 15) beschäftigt. Unter Diathese versteht man Oppositionen von syntagmatischen Strukturen, die ein und dasselbe Ereignis oder ein und dieselbe Handlung oder Tätigkeit durch die Zuweisung verschiedener semantischer Rollen zu syntaktischen Funktionen repräsentieren (vgl. Gutiérrez Ordoñez 2004, 150). 82 Diathese bedeutet weiter, dass die oppositionellen Strukturen über unterschiedliche Valenzstrukturen im Sinne von jeweils verschiedener Valenzpotenz verfügen. I.d.R. wird durch die Passivdiathese die Objektkonstituente (vgl. Berruto 1985, 74) der Aktivdiathese zum Thema und der Erstaktant der Aktivdiathese verliert seinen Status als obligatorische Satzkonstituente. 83 Als den Passiv-Effekt bezeichnet Tasmowski (1993, 289) in diesem Sinne, dass weniger obligatorische Komplemente an der Oberfläche erscheinen. In 4.6.2 haben wir allerdings gesehen, dass gerade aufgrund der fakultativen Realisierung des Agens davon auszugehen ist, dass im Falle von dessen Explizierung dieser, eingedenk des Relevanzkriteriums, über besonders hohe kommunikative Relevanz verfügt. Die Passivdiathese wird mitunter vorrangig als Mittel der De-Aktivierung oder De-Agentivierung verstanden, um einen „von Haus aus agentivischen Sachverhalt unter Absehen von jeglicher Aktivität darzustellen“ (Engel 1995, 59). In diesem Sinne erachtet La Fauci (1985, 329) die Passivdiathese im Gegensatz zur Aktivdiathese als „modo del fatto più che del fare“ und Eroms (2001, 22) beschreibt Passivkonstruktionen schließlich als „Konstruktionen, die agenshaltige Konstruktionen vermeiden helfen.“ 84 Eroms betont an dieser Stelle ferner, dass Passivkonstruktionen deutlich machen, dass die Valenzen in periphrastischen Konstruktionen nicht einfach verschoben, sondern neu aufgebaut werden, zumal der zunächst getilgte Agens sekundär - als fakultatives Element - wieder eingeführt werden kann. Einer geläufigen und weit verbreiteten Annahme zufolge wird die Passivdiathese vor allem zum Zwecke der Tilgung des Erstaktanten der Aktivdiathese, zur sogenannten Subjekttilgung, verwendet (vgl. Cinque 1976, 20 ff.; Nikula 1978, 38; La Fauci 1985, 334; Blume 1993, 51; Ineichen 1998, 37; etc.). 85 Cinque (1976, 20) 82 „Entendemos por diátesis toda oposición de estructuras sintagmáticas que representan un mismo evento o experiencia mediante una diferente asignación de papeles semánticos a funciones sintácticas“ (Gutiérrez Ordoñez 2004, 150). 83 Ein Passivsatz ohne explizierten Agens kann nichtsdestotrotz agentiv sein (vgl. Lonzi 1986, 109). Ähnlich Schwarze (1987, 111), der betont, dass in der Passivdiathese der (ursprünglich) transitiven Verben der Agens postuliert bleibt, auch wenn er nicht (mehr) durch seine Urheberangabe bezeichnet wird. 84 Auch Welke (2001, 189) geht davon aus, dass die Primärfunktion der Passivdiathese jene ist, ein Geschehen, das in der Aktivform als Handlung dargestellt wird, nunmehr als Vorgang darzustellen, was durch den Rollentausch ermöglicht wird. 85 La Fauci (1985, 334) betrachtet die „rimozione (nell’assenza) del nominale soggetto” sogar als sostanza della passività. <?page no="209"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 203 führt aber auch an, dass es viele Gründe dafür geben kann, dass das Subjekt nicht expliziert wird, wie etwa jene, dass es unbekannt ist, dass es nicht leicht zu identifizieren ist, oder aber auch, dass es, aus welchen Gründen auch immer, verschwiegen werden soll, womit ein eindeutig diskursstrategisches Motiv angesprochen ist, auf das weiter unten einzugehen ist. 86 Wir halten zunächst also fest, dass, abgesehen von den verbalen morphosyntaktischen Konstruktionsunterschieden zwischen Aktiv- und Passivdiathese, der oberflächlich augenscheinlichste Unterschied zwischen Aktiv- und entsprechender Passivkonstruktion der ist, dass ein Aktant, dessen Realisierung in der Aktivdiathese obligatorisch ist, in der Passivdiathese fakultativ geworden ist. Entscheidend ist aber, dass es um einen neuen Begriff mit einer neuen Merkmalstruktur geht (vgl. Welke/ Meinhard 1974). 87 Die Analyse sowohl morphosyntaktischer Unterschiede zwischen Aktiv- und Passivdiathese als auch möglicher pragmatischer Gründe für die Präferenz der Passivdiathese gegenüber der Aktivdiathese sei an folgenden Textstellen aus unseren Reden versucht: (IV.86) [Fortaleza política, fortaleza económica y fortaleza militar. La quiebra de cualquiera de ellas daría al traste con las otras dos.] Así, lo mismo que no puede concebirse potencia, tampoco es hoy aceptada la militar que no esté respaldada por la industrial y la económica. (Franco 1942a, 223, 7-12) Der Satzbauplan von aceptar lautet x acepta y, „01“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 38) bzw. in der Notierung von Blumenthal/ Rovere (1998) N - V - N1, für ser aceptado hingegen N - V - (Prep N3). Der Zweitaktant der Aktivkonstruktion wird obligatorischer Erstaktant der Passivkonstruktion, während der Erstaktant der Aktivkonstruktion nur noch als fakultativer Agentiv der Passivkonstruktion in Blick genommen bzw. perspektiviert bzw. schließlich fokalisiert wird. Es handelt sich dabei um einen fundamentalen Perspektivierungsunterschied. Der Satz La fortaleza militar no es aceptada ist grammatikalisch wohlgeformt und erfordert keineswegs die Spezifizierung eines Agentivs por x. Durch die Nicht- Spezifizierung erlangt die Aussage einerseits einen gewissen Grad an Generizität und andererseits erlaubt sie dem Redner zu verschweigen, wer diese zeitgeistprägende, offensichtlich alles entscheidende Autorität, die sogar Akzeptanz beurteilt, darstellt. (IV.87) [Per quanto più particolarmente vi riguarda, o triestini, tutto sarà fatto per alimentare e potenziare il vostro emporio, che è il secondo d’Italia; ] sarà dato lavoro alle vostre officine e ai vostri cantieri, che hanno una fama meritamente mondiale. (Mussolini 1938b, 146-147, 108-111) 86 Cinque (1976, 20) ergänzt, „[that] passive is used when the logical object is a more prominent entity than the logical subject“, wie immer diese Prominenz eruiert bzw. bewertet werden kann. 87 Welke/ Meinhard (1974, 261) führen dazu aus: „Die Passivform des Verbs ist die Bildung eines neuen Begriffs mit grammatischen Mitteln. Dieser neue Begriff unterscheidet sich von dem im Lexikon eingetragenen Begriff dadurch, dass er einen zum Lexikonbegriff konversen Begriff darstellt, d.h. er hat eine andere Merkmalstruktur.“ <?page no="210"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 204 Der Satzbauplan für dare ist N - V - N1 - N2/ a N3 (Blumenthal/ Rovere 1998, 335), für essere dati entsprechend N - V - N2. N spezifiziert den Patiens, N2 den Benefaktiv bzw. Malefaktiv. Der durch die Präpositionalphrase da qualcuno realisierte Agens, d.h. der Gebende, ist fakultativ. Auch in diesem Fall bleibt es dem Redner aus morphosyntaktischen Gründen erspart zu spezifizieren, wer der konkrete Arbeitgeber sein wird, wodurch die Verbindlichkeit der Aussage stark reduziert wird. (IV.88) Pour permettre un meilleur équilibre entre les ressources des départements excédentaires et les besoins des départements déficitaires, le gouvernement a été amené à organiser des groupements provisoires qui, répondant à une nécessité immédiate, n’engagent nullement l’avenir de la constitution des provinces. (Pétain 1941c, 123, 7-12) Für amener in der Bedeutung von jemanden dazu bringen, veranlassen, bewegen, etwas zu tun lautet der obiger Äußerung in der Aktivdiathese entsprechende Satzbauplan Nqc/ qn - V - Nqn - à Inf (Busse/ Dubost 2 1983, 15), in der Formalisierung von Blumenthal/ Rovere (1998) N - V - N1 - a Inf. Die von être amené abhängige Passivdiathese impliziert den in (IV.88) aktivierten Satzbauplan N - V - a Inf - (par N3). Neben dem Patiens als Erstaktant ist in diesem Fall ein weiterer, Finalität spezifizierender Aktant als Infinitivergänzung obligatorisch. 88 Der Agentiv par quelqu’un bleibt fakultativ. Die Tatsache, dass der Agentiv in der Passivdiathese fakultativ gesetzt wird und in (IV.88) tatsächlich nullrealisiert bleibt, erlaubt es dem Redner zu verheimlichen, wo die wahre politische Autorität oder Macht zu lokalisieren ist, wodurch eine eventuelle Verunsicherung der Zuhörerschaft aufgrund erahnter gefährlicher Machtkonzentration vermieden werden kann. (IV.89) Espera-se uma nova ordem, dependendo precisamente do desfecho da guerra saber-se quem a definirá. Por declarações autorizadas ela terá aliás de ser aceite de boa vontade ou por meio de coacç-o. (Salazar 1943, 407, 648-652) Aceitar impliziert in der Aktivdiathese den Satzbauplan Np - V - Nc (Busse 1994, 10), nach Blumenthal/ Rovere (1998) analog zu (IV.86) N - V - N1. Der pronominal realisierte Erstaktant ela der Passivkonstruktion ela terá aliás de ser aceite referiert auf den substantivisch, also quartärrealisierten Erstaktanten des vorangehenden unpersönlichen Satzes uma nova ordem. Die Stelligkeit von ser aceite ist analog zu jener von ser aceptado in (IV.86) einwertig und impliziert den Satzbauplan N - V - (por N3). Salazar vermeidet es tunlichst zu explizieren, von wem die neue Ordnung angenommen werden müsse, wodurch die wahrscheinliche oder zumindest mögliche Betroffenheit der Zuhörerschaft von seinem anti-demokratischen, totalitären Führungsanspruch gar nicht erst thematisiert wird. 88 Anstatt der Infinitivergänzung könnte auch eine nominale Präpositionalergänzung, sprich ein präpositionaler Drittaktant, stehen. <?page no="211"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 205 4.8.2 Die rezessive Diathese Wir hielten oben fest, dass sich diathetische Oppositionen dadurch auszeichnen, dass ein und dieselbe Handlung oder ein und derselbe Vorgang durch zwei unterschiedliche syntagmatische Strukturen dargestellt werden, in denen den syntaktischen Funktionen verschiedene Rollen zugewiesen werden. Die einander gegenüberstehenden syntagmatischen Strukturen unterscheiden sich aufgrund der verschiedenen Stelligkeiten der Verbvarianten in ihrer Valenzstruktur. In diesem Abschnitt stellt sich die Frage, inwiefern dies auf Rezessiva zutrifft. 89 Bestand die Opposition in 4.8.1 zwischen Aktiv- und Passivdiathese, so besteht sie hier zwischen faktitiver oder kausativer und rezessiver oder anti-kausativer Diathese. Tesnière ( 2 1965, 272) führt dazu aus: „A l’inverse de la diathèse factitive, la diathèse récessive diminue d’une unité le nombre des actants.“ 90 Dem Wesen nach geht es also bei der rezessiven Diathese analog zur Passivdiathese um Valenzreduktion, wenngleich diese nicht in derselben Qualität erfolgt. 91 Zu den Rezessiva werden häufig - und gerade auch bei Tesnière ( 2 1965, 272) - sowohl die um eine Argumentstelle reduzierten, in Opposition zu kausativen Homonymen stehenden, aus der ergativen Gruppe stammenden Verben als auch die sich durch Pseudoreflexivierung mittels SE ergebenden Antikausativa gezählt. Wir untersuchen hier zunächst die rezessiven, in Opposition zu jeweils homonymen kausativen Verben stehenden Varianten der ergativen Verben, im Abschnitt über die SE-Diathese unter 4.8.3 u.a. auch die Antikausativa und unter 4.8.4 schließlich die faktitiven bzw. kausativen Varianten der ergativen Verben. Rezessiva und Faktitiva sind als die komplementären Phänomene oder Varianten der ergativen Verben zu verstehen. 92 Bei ergativen Verben handelt es sich um jene Verben, die ohne formale Markierung kausative und anti-kausative, sprich rezessive, Verwendung finden. Es sind also jene Verben, die sowohl transitiv als 89 Heuer (1977, 140) hebt aber Folgendes in Bezug auf Verbvarianten hervor: „Da bei einem Verb verbales Geschehen und nominale Umgebung zusammengehören, muss sich die Differenzierung der Verbvarianten sowohl auf die Verbinhalte als auch auf die semantischen Relationen erstrecken.“ Das ausschließlich formale Kriterium reiche für die Klassifizierung nicht aus. 90 Prototypische rezessive Diathesen stellen für Tesnière ( 2 1965, 272 ff.) Les maisons se construisent, La porte s’ouvre, aber auch Si parla italiano bzw. Se habla español dar. Auf diese Konstruktionen, die u.a. auch als si-passivante bzw. pasiva refleja und si-impersonale bzw. se-impersonal bezeichnet werden, gehen wir im Abschnitt über die SE-Diathese ein. 91 In I prezzi aumentano ist der Agens überhaupt nicht mehr perspektiviert, in I prezzi sono stati aumentati kann der als Modifikator perspektivierte Agens bei der Realisierung der Funktor- Argument-Modifikator-Struktur zumindest zirkumstantiell als Agentiv - da X - realisiert werden. Siller-Runggaldier (vgl. 2001b, 66) erklärt den intransitiven Status von - beispielsweise - cresce in cresce il caldo versus crescere i figli als Resultat einer Valenzreduktion des transitiven Äquivalents. 92 Herslund (2001, 36) spricht bei den Verben, die kausativ und antikausativ verwendet werden, von verbes symétriques. Den patientiven Zweitaktanten aus der kausativen Variante, der zum (agentiv-) patientiven Erstaktanten der antikausativen Variante wird, erachtet er als den „actant fondamental [qui] ne change pas.“ <?page no="212"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 206 auch intransitiv verwendet werden, wobei die transitive Variante die Kausation ausdrückt. 93 Welke (2002, 220) stellt fest, dass es sich bei den ergativen Verben um jene intransitiven Verben handelt, die auf transitive zurückgeführt werden. Die originäre Variante sei die transitive. Auch Fici Giusti (1998, 61) geht davon aus, dass die unmarkierte voce basica derjenigen Verben, die über eine transitive und eine intransitive Variante verfügen, potentiell also auch über einen hohen Grad an Transitivität verfügen können, diejenige sei, in der alle Argumente, inklusive des agentiven, realisiert seien. 94 Die davon abweichende, mit verringerter oder erhöhter Valenzpotenz, sei die voce marcata. Von ergativen Verben spreche man aber selbst dann, wenn es kein transitives Pendant zum entsprechenden intransitiven Verb gibt, dieses aber bestimmte Bedingungen erfüllt. In diesem Falle würde das intransitive ergative Verb auf ein „virtuelles transitives Verb“ (Welke 2002, 220) zurückgeführt. Bezüglich der labilen Verben, für die im Lexikon nicht festgelegt ist, ob sie als Vorgang oder als Handlung zu interpretieren sind, müsse man aber auch „Überführungen von der intransitiven Verwendung in die transitive zulassen“ (Welke 2002, 219). 95 Es sei allerdings schwer auszumachen, ob es sich bei den diversen labilen Verben um originäre Handlungs- oder Vorgangsverben handelt (vgl. Welke 2002, 220). Die rezessive Diathese bietet die Möglichkeit, eine Handlung nicht vom Agens aus zu betrachten, sondern als Vorgang darzustellen, hinter dem (möglicherweise) Tätigkeiten stehen. Es geht also bei der Betrachtung der rezessiven Diathese darum, die Möglichkeiten einer vorgangshaften Darstellungsweise einer durchaus verursachten Handlung oder Tätigkeit im Rahmen des jeweiligen Systems zu untersuchen. 96 Die grundlegende Funktion der rezessiven Diathese besteht folglich in einer Änderung der Perspektive auf eine Handlung oder Tätigkeit (vgl. Welke 1994a, 10 ff.). Fillmores Kasusrahmen für Rezessiva gemäß, nämlich [_ O (A)], ist der Agens in Konstruktionen mit Verben, die diathetisch rezessiv gebraucht werden, fakultativ (vgl. Welke 1988a, 186 ff.). D.h., wenn das der natürlichen Stelligkeit entsprechende erste Argument getilgt wird, so rückt das zweite Argument, zumindest in den Akkusativsprachen, in diese Position auf. Gutiérrez Ordóñez 93 Nikula (1978, 36) spricht von der Doppelfunktion transitiv und intransitiv zu verwendender Verben, wie z.B. jener des Verbs brechen, etwa in Er bricht den Stab versus Der Stab bricht. Es gibt allerdings auch weiter gefasste Definitionen von ergativen Verben. 94 Bianco (1986a, 57) lässt die Frage der originären Valenzstruktur zunächst offen, wenn sie sagt, „i transitivi possono assumere lo statuto di intransitivi e vice-versa.“ 95 Die Beispiele, die Welke (2002, 219) hier anführt, sind die Verben kleben und brennen. Geht man hier von originär intransitiven Verben aus, dann wird in der jeweiligen transitiven Verwendung das ursprünglich erste Argument zum zweiten und ein erstes Argument muss hinzugefügt werden. 96 Dik ( 2 1979, 34) kommentiert sein mittlerweile klassisches Beispiel Mary cooked the potatoes (Action) versus The potatoes are cooking (Process) mit den Worten: „A predicate like cook may figure in an Action-predication or in a Process-predication.“ <?page no="213"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 207 (2004, 158) definiert die zwei Schritte der rezessiven Diathese dementsprechend folgendermaßen: 1) Anulación del funtivo sujeto que contraía el papel semántico « instigador », es decir, un tipo especial de agente que se caracteriza, no por realizar la acción, sino por desencadenarla. 2) Incorporación del complemento directo « experimentante » a la función sujeto. Es wird somit ein Erstaktant eingeführt, der ursprünglich, d.h. in der transitiven Variante, eine zweitaktantielle Funktion innehatte. 97 Es geht hier also nicht mehr wie im Abschnitt über die Auslassungen um die Nullrealisierung oder Nullfokalisierung des ersten Arguments, sondern es geht um eine Nullperspektivierung desselben, es geht in Diks Worten, um den fundamentalen Unterschied „between argument positions which have been left unspecified and those which have been removed through valency reduction“ (Dik 2 1997a, 90). Die Agensrolle bleibt unausgedrückt im Sinne von ausgelöscht, der Patiens wird als Erstaktant realisiert. Die Parallele zwischen Passivdiathese und rezessiver Diathese ist die Tilgung des ersten Arguments der Aktivdiathese bzw. der kausativen Diathese. Allein, in der Passivdiathese bleibt das erste Argument präsupponiert, was auf die rezessive Diathese nicht mehr zutrifft (vgl. Welke 1997, 225 ff.). Ágel (2000, 122 ff.) wirft die Frage auf, ob es sich bei derartigen transitiv und intransitiv zu verwendenden Verben etwa um polyvalente Verben handelt, im Falle des Verbs brechen dann etwa um brechen 1P und brechen 2P und schlägt dann einen Systemvalenzträger brechen P vor, aus dem sich der primäre, der sekundäre und der neutrale Normvalenzträger ableiten ließen. 98 Als einheitliche Beschreibung der je nach Variante unterschiedlichen Valenzpotenz entwickelt Ágel (2000, 124) folgende Formel, hier exemplarisch für das Verb brechen P : (A 1 , A 2 ), wobei (real(A 1 ) A 2 ) & (real(A 2 ) 0). 99 97 Diese weitverbreitete These wird allerdings von Welke (2002, 229) heftig kritisiert: „Ergative Verben besitzen die angeführten Objekteigenschaften nicht invariant, sondern nur in bestimmten Kontexten. Ein syntaktisches Subjekt ist erst einmal ein Subjekt und kein Objekt. Zu sagen, dass ein oberflächenstrukturelles Subjekt auf ein tiefenstrukturelles Objekt zurückgeht, ist eine von den Fakten nicht gedeckte Verabsolutierung einer Tendenz, deren Bedingung der persönliche Dativ ist. [...] Die Rückführung auf transitive Verben ist aus unserer Sicht jedoch bereits grundsätzlich deshalb nicht gerechtfertigt, weil ergative Verben nicht aus wirklich vorhandenen transitiven Verben transformationell abgeleitet werden können, entweder weil es ein transitives Verb gar nicht gibt oder weil die Ableitung eigentlich umgekehrt erfolgen müsste.“ 98 Siller-Runggaldier (2004, 245) erklärt Valenzvarianz konfigurationell-konstruktivistisch: „Sie [die Valenzvarianz] stellt das Resultat der Interdependenz von Verbbedeutung und Valenzrealisierungsstruktur dar, ergibt sich demnach gleichzeitig aus einem Projektions- und einem Kompositionalitätsprinzip. Voraussetzung dafür ist, dass die Ausgangsbedeutung relativ vage ist bzw. dass referenzielle Toleranz besteht.“ 99 Diese Formalisierung bedeutet: Der Valenzträger brechen P ist ein zweiwertiges Verb. Die Realisierung der Erstaktantenstelle als Aktivsubjekt impliziert notwendigerweise die Zweitaktantenstelle als direktes Objekt, und die Realisierung der Zweitaktantenstelle als Aktivsubjekt impliziert notwendigerweise keine weitere Aktantenstelle (vgl. Ágel 2000, 124). <?page no="214"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 208 Eingangs stellten wir fest, dass die hier zur Diskussion stehende Opposition jene zwischen rezessiver und kausativer bzw. zwischen antikausativer und faktitiver Diathese ist. Hinsichtlich der in den Rezessiva bzw. Kausativa implizierten Agentivität oder auch Aktivität kennzeichnet Ágel (2002, 19) diese Opposition als endoaktiv versus exoaktiv, wodurch die jeweilige syntaktische Indikation von Agens oder Source treffend bezeichnet wird. Betrachten wir als Nächstes anhand konkreter Beispiele aus den Reden erstens, wie die Valenzreduktion vollzogen wird, und dann vor allem zweitens, inwiefern diese Art von Valenzreduktion eine diskursive Strategie der politischen Rede darstellt. (IV.90) Por lo que se refiere a vosotras, es preciso que cada día desarrolléis una mayor aplicación en una labor que nosotros completaremos cuando acabe la guerra para mejorar las condiciones de vuestras escuelas y de vuestros talleres y para alegrar también la vida interior de vuestros hogares. (Franco 1938, 65, 4-9) In Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980, 49) findet sich acabar nur im Sinne von mit etwas aufräumen und ist somit für die Realisierung von acabar in (IV.90) unbrauchbar. In der transitiven Verwendung und Bedeutung im Sinne von x acaba y, also x beendet y, ist das Verb bivalent. Nach Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) wäre die entsprechende formalisierte Notierung „01“, nach Blumenthal/ Rovere (1998) N - V - N1. (IV.90) enthält aber die rezessive Variante von acabar, in der der Zweitaktant in die Position des getilgten Erstaktanten aufgerückt ist. Die entsprechend konjugierte Form von acabar in (IV.90) impliziert somit nach Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) den Satzbauplan „0“, der nach Blumenthal/ Rovere (1998) N - V ergibt. Krieg denotiert nicht einfach eine Zeitspanne, die nolens volens unaufhaltsam abläuft. Es sind Stärken, Schwächen oder aber auch Entscheidungen eines oder mehrerer am Krieg Beteiligter, die den Krieg beenden. Gemäß cuando acabe la guerra beendet sich der Krieg quasi aus sich heraus, er hört quasi von selbst auf. La guerra wird insofern nicht als affiziertes Objekt, sondern quasi als selbständige, mit Eigen-Leben ausgestattete Entität perspektiviert, deren Leben eben irgendwann vorbei ist. Jede menschliche Verantwortung für besagten Krieg wird somit erst gar nicht thematisiert. (IV.91) Hubiera sido bien menguado nuestro horizonte si hubiéramos dejado a nuestros mejores soldados frente a esa brecha de los muros de Badajoz para devolver su solar de nuevo a la injusticia, al aprovechamiento, para que, en una palabra, continuaran las cosas como están. (Franco 1945b, 619, 13-17) Das Verb continuar mit der Bedeutung etwas fortführen oder fortsetzen ist ebenfalls bivalent und impliziert analog zu acabar den Satzbauplan „01“ bzw. N - V - N1. In x continúa y, wie etwa in x continúa las cosas, ist x der für die Fortführung verantwortliche Agens oder gegebenenfalls Source. Wird dieser getilgt, so rückt der Zweitaktant, in (IV.91) las cosas, in die Position des Erstaktanten auf. Las cosas continúan, die Dinge setzen sich fort, gerade so, als ob diese selbst über ihre Kontinuität entschieden. Ausgeblendet im Sinne von getilgt ist wiederum der oder das wirklich dafür die Verantwortung Tragende. <?page no="215"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 209 (IV.92) [(...) se da la monstruosidad de que por gentes que nos desconocen en absoluto se hace una terrible campaña de difamación contra las cosas de España, llenándonos de insultos y de acerbas críticas.] Ello sucede porque se ha dado una consigna para que la calumnia corra de boca en boca, de pueblo en pueblo, de «radio» en «radio», de Prensa en Prensa, para formarle a España de nuevo una leyenda negra. (Franco 1945e, 335, 99-105) Correr als bivalentes transitives kausatives Verb, wiederum mit dem Satzbauplan „01“, bedeutet etwas irgendwo hinbewegen oder hinschieben. Im einwertigen corre la calumnia ist es vermeintlich wieder der Erstaktant, mit dem - möglicherweise unbewusst -, wie oben erwähnt, durchaus prototypische Eigenschaften assoziiert werden, der von sich aus läuft, der sich von Mund zu Mund bewegt. Es werden in der Rede Anschuldigungen gemacht, allerdings nicht ad personam, sondern auf subtile Weise, nämlich in Form der rezessiven Diathese, die den Agens ganz einfach nicht mehr perspektiviert. Wie dem auch sei, die indirekte Anschuldigung bleibt, Franco allerdings ist außer Obligo. (IV.93) Claro que no vamos hacerlo [resolver el problema más importante de la provincia de Badajoz] en un mes ni un año; vamos a hacerlo en etapas, en quinquenios sucesivos, y esperamos que con estos esfuerzos podamos muy pronto decir que ha desaparecido por muchos años el paro obrero en la provincia de Badajoz y que han terminado las viejas injusticias y los abusos. (Franco 1945b, 620, 63- 67) Terminar als kausatives Verb bzw. als kausative Verbvariante regiert ebenfalls einen Erst- und einen Zweitaktanten und ist somit zweiwertig. Analog zu den vorangehenden Beispielen wird in der rezessiven Diathese der Erstaktant getilgt, sodass der ursprüngliche Zweitaktant aufrückt. In han terminado las viejas injusticias y los abusos erhält der zweigliedrige Erstaktant las viejas injusticias y los abusos quasi eine eigene Wesenheit, die zunächst besteht und irgendwann zu bestehen aufhört. Der eigentliche Verursacher dieses Aufhörens der vermeintlichen Wesenheit wird nicht nur nicht fokalisiert, sondern auch nicht perspektiviert und somit - im Gegensatz zur Passivdiathese - auch nicht präsupponiert. Völlig aus dem Blickfeld geraten auf diese Weise auch die Kriterien, nach denen etwas überhaupt von einem an der Handlung bzw. am Geschehen menschlichen Beteiligten als injusticia oder abuso beurteilt wird. Indem es Franco vermeidet, sich und seine Gesinnungsgenossen als Agens des Beendens darzustellen oder auch nur zu präsupponieren, muss er auch nicht erklären, was er konkret zu unternehmen gedenkt, um die alten Ungerechtigkeiten und den Missbrauch abzustellen. (IV.94) Anche il nostro potenziale bellico migliora quotidianamente, in qualità e quantità. (Mussolini 1941a, 57, 262-263) Auch migliorare verfügt als ergatives Verb über eine kausative und über eine rezessive Variante. Betrachten wir wiederum die transitive zweiwertige Variante mit der impliziten Stelligkeit N - V - N1 (Blumenthal/ Rovere 1998, 686) als Standardvariante, so vollzieht sich auch hier das mittlerweile hinlänglich bekannte Phänomen der Tilgung des ursprünglichen Erstaktanten mit anschließender Promotion <?page no="216"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 210 des Zweitaktanten in die Position des ursprünglichen Erstaktanten, was schließlich zu obigem il nostro potenziale bellico migliora führt. Der für die Verbesserung des Militärpotentials Verantwortliche wird nicht in Blick genommen, weshalb die Frage nach der Natur dieser vermeintlichen Verbesserung wohl noch weiter in den Hintergrund gerückt wird und zunächst das positiv konnotierte migliorare mit il nostro potenziale bellico assoziiert wird, was wohl durchaus im Sinne des Redners zu sein scheint. (IV.95) Comincia la lotta fra il Governo e il movimento nazista. [Dollfuss è costretto a domare energicamente una rivolta socialista nel febbraio del 1934.] Pochi mesi dopo scoppia il putsch nazista di Vienna. (Mussolini 1938a, 68, 68-71) Die Basisformel der Stelligkeit sowohl von cominciare als auch von scoppiare ist erneut N - V - N1 (Blumenthal/ Rovere 1998, 230 bzw. 1082), wenngleich scoppiare als Kausativum eher selten Anwendung findet. Als Rezessiva implizieren beide Verben wiederum den Satzbauplan N - V (Blumenthal/ Rovere 1998, 230 bzw. 1081). Der Kampf beginnt quasi aus sich heraus, genauso wie der Putsch scheinbar von selbst losbricht. Auf diese Weise kann niemand wirklich für sich auf die Bevölkerung negativ auswirkende Folgen, die sich wohl immer auch aus einem Kampf oder aus einem Putsch ergeben, zur Verantwortung gezogen werden. (IV.96) [Quando noi come soldati della Repubblica riprenderemo contatto con gli italiani di oltre Appennino, avremo la grata sorpresa di trovare più fascismo di quanto ne abbiamo lasciato.] La delusione, la miseria, l’abbiezione politica e morale esplode non solo nella vecchia frase « si stava meglio », con quel che segue, ma nella rivolta che da Palermo a Catania, a Otranto a Roma stessa serpeggia in ogni parte dell’Italia « liberata ». (Mussolini 1944, 138, 506-512) Die kausative Variante von esplodere verfügt über den Satzbauplan N - V - N1 - (contro, addosso a N2 / all’indirizzo di N3) (Blumenthal/ Rovere 1998, 449), die rezessive über den reduzierten, der lediglich aus N - V besteht. Die rezessive Variante von esplodere in La delusione, la miseria, l’abbiezione politica e morale esplode […] lässt wiederum den Eindruck entstehen, dass der hochexplosive Cocktail aus Enttäuschung, Elend, politischer und moralischer Niederträchtigkeit von sich aus höchste Sprengkraft entwickelte, die sich ganz natürlich entladen müsste. Es steht allerdings bedingt durch die rezessive Diathese weder zur Debatte, wer für die Enttäuschung, das Elend, die politische und moralische Niederträchtigkeit verantwortlich ist, noch wer tatsächlich die Zündschnur bediente. (IV.97) Il potenziale bellico della Germania non solo non è diminuito dopo diciassette mesi di guerra, ma è aumentato in proporzioni gigantesche. (Mussolini 1941a, 55, 198-200) Sowohl diminuire als auch aumentare ist ergativ, kann also kausativ oder rezessiv verwendet werden. In (IV.97) findet jeweils die rezessive Variante Anwendung, wodurch der hinter dem Nicht-Abnehmen bzw. hinter dem Zunehmen stehende Agens nicht ins Spiel gebracht wird. Aus dem Satzbauplan N - V - N1 der jeweils <?page no="217"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 211 transitiven Variante ist wieder der Satzbauplan N - V der jeweils intransitiven Variante geworden. Analog zu (IV.94) kann zum einen niemand konkret für eine bestimmte Politik mit all ihren eventuellen Folgen zur Rechenschaft gezogen werden. Mussolini ist somit nicht gefordert zu erklären, unter welchen Bedingungen und auf wessen Kosten der Agens, d.h. die zuständigen Verantwortlichen, die deutsche Kriegsmaschinerie ausgebaut haben. Zum anderen entsteht aber auch durchaus der Eindruck, also ob es sich beim potenziale bellico della Germania um einen Wesenszug oder ein Wesenselement des Verbündeten handelte, das nicht von einzelnen Personen abhinge. (IV.98) [C’est vers l’avenir, que désormais nous devons tourner nos efforts.] Un ordre nouveau commence. (Pétain 1940a, 66, 81-82) Commencer kausativ verwendet ist analog zu den vorhergehenden Verben zweiwertig und impliziert den Satzbauplan N - V - Nqc. Rezessiv verwendet hingegen ist es wiederum einwertig, d.h. der einzige regierte Aktant ist gemäß dem entsprechenden Satzbauplan N - V (Busse/ Dubost 2 1983, 51) der Erstaktant. Durch die rezessive Verwendung von commencer wird es in (IV.98) der Erstaktant un ordre nouveau, der scheinbar seine eigene Existenz instantiiert, gerade so, als ob keine menschlichen agentiven Kräfte dahinterstünden, wodurch das betreffende Geschehen als ein quasi natürliches Phänomen erscheint und die nichtfokalisierten, nicht-perspektivierten und somit nicht-präsupponierten agentiven Kräfte absolut außer Acht gelassen werden. (IV.99) [(...) voici qu’une propagande subtile, insidieuse, inspirée par des Français, s’acharne à le (le lien qui unit les éléments les plus divers de l’empire français) briser.] Un instant suspendus, les appels à la dissidence reprennent, sur un ton chaque jour plus arrogant. (Pétain 1941b, 120-121, 23-26) Das ergative Verb reprendre mit den jeweiligen Satzbauplänen, also kausativ N - V - N bzw. rezessiv N - V (Busse/ Dubost 2 1983, 298-299), regiert, rezessiv gebraucht, in (IV.99) den Erstaktanten les appels à la dissidence. Auf diese Weise vermeidet es Pétain, französische Landsleute, die zwar seine politische Haltung (noch) nicht teilen, direkt anzuklagen und dadurch an den Pranger zu stellen. Sagte er auch hier etwa Ces mauvais français reprennent […], so würde er diese expressis verbis der feindlichen Sie-Gruppe (vgl. 2.5.1) zuordnen und ihnen praktisch jede Möglichkeit einer Umorientierung in Richtung Pétain, um die dieser ja ständig bemüht ist, nehmen. (IV.100) Bourgeois, vous voyez fondre vos ressources. [Mais des milliers de réfugiés n’ont pas retrouvé leur toit et d’autres ont dû fuir les bombardements.] (Pétain 1943c, 319, 24-26) In (IV.100) sind es die ressources selbst, qui fondent, die also quasi vor sich hinschmelzen und dadurch zur Neige gehen. Es gibt keine präsupponierte Source, die dafür verantwortlich zu machen wäre. Auch hier ist die Valenzpotenz des rezessiv gebrauchten Verbs auf das Minimum, d.h. N - V im Gegensatz zu N - V - N (Busse/ Dubost 2 1983, 154), reduziert. Niemand wird konkret dezidiert angeklagt <?page no="218"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 212 oder für das Schmelzen des Vorrats verantwortlich gemacht, wodurch sich Pétain auf diplomatische Weise alle Türen offen lässt. (IV.101) Du sang français a déjà coulé dans les luttes fratricides; c’en est assez! (Pétain 1941b, 121, 49-50) In der kausativen Verwendung mit Satzbauplan N - V - N hat couler die Bedeutung von gießen, in der rezessiven Verwendung mit Satzbauplan N - V jene von fließen (Busse/ Dubost 2 1983, 63). In Pétains Aussage ist du sang français patientiver Erstaktant. Pétain wählt die Formulierung Blut ist geflossen, anstatt etwa x hat französisches Blut vergossen, wodurch der weder fokalisierte noch perspektivierte und somit nichtpräsupponierte Agens nicht benannt wird und eventuelle Gründe für das Blutvergießen von geringerer aktueller Relevanz scheinen. Die Bluttaten bleiben anonym. (IV.102) O conflito dos interesses imediatos e das obrigações assumidas terminou em várias conjunturas com a vitória dos primeiros e o sacrifício dos valores morais. (Salazar 1939a, 141, 102-105) Analog zu (IV.93) findet in (IV.102) das ergative Verb terminar, das über die entsprechenden Satzbaupläne N - V - N bzw. N - V (Busse 1994, 388) verfügt, rezessive Anwendung. Der Konflikt als Erstaktant endet scheinbar, ohne dass er agentiv beendet wurde. Der Modalzirkumstant gibt allerdings zu verstehen, dass die valores morais aber auf der Strecke blieben. Auf diplomatische Weise wird dadurch zwar eine ideologische Grundhaltung transportiert, ohne jedoch persönlich auszugrenzen. Denjenigen, die sich angesprochen fühlen, wird im Stile von (IV.99) unter Wahrung des Gesichtes auch eine Chance zur Umkehr geboten. (IV.103) […] o comunismo, embora fortemente batido na Península, n-o morreu e n-o desarma, e há-de prosseguir na sua luta, à luz do dia ou na sombra das organizações secretas, sempre pronto a reviver e a infiltrar-se enquanto lho permitam a fraqueza das nações e o desvario dos homens. (Salazar 1939b, 160, 15-20) Das ergative Verb desarmar ist in Busse (1994) nicht enthalten. Die kausative Variante mit dem Satzbauplan in der Notierung N - V - N1 von Blumenthal/ Rovere (1998) bedeutet entwaffnen, die rezessive Variante mit dem Satzbauplan N - V hingegen soviel wie abrüsten. In (IV.103) ist es der Kommunismus als Erstaktant, über den Salzar prädiziert, dass er erstens (noch) nicht verstorben sei und zweitens, dass er ferner auch nicht abrüste, weshalb er weiterhin zu bekämpfen sei. Es sind laut Salazars Formulierung nicht die Kommunisten als Menschen, die eine abzulehnende Ideologie vertreten und diese ihre Ideologie verwerfen sollten, sondern es ist der Kommunismus selbst als Ideologie, der sich implizit quasi selbst auflösen sollte. (IV.104) Apesar dos incansáveis esforços de eminentes Chefes de Governo e da intervenç-o directa dos Chefes de muitas nações, eis que a paz n-o pôde ser <?page no="219"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 213 mantida e a Europa mergulha de novo em dolorosa catástrofe. (Salazar 1939c, 173, 1- 5) Dem Satzbauplan N - V - N - (L) gemäß bedeutet die kausative Variante von mergulhar etwas eintauchen, die rezessive Variante mit dem Satzbauplan N - V hingegen versinken bzw. untergehen (Busse 1994, 304). Salazars rezessiver Konstruktion zufolge versinkt Europa in einer schmerzvollen Katastrophe, was sehr gut durch eigenes Verschulden, also durch die anonyme Schuld Europas, verursacht sein kann. Salazar vermeidet es somit zu präzisieren, wer Europa in dieser Katastrophe versinken lässt bzw. wer Europa in diese Katastrophe stürzt oder eben eintaucht. Salazar klagt niemanden an und macht sich somit auch niemanden zum Feind. (IV.105) […] e quando dentro de pouco - e nenhum de nós pode mais reviver este momento - subir no alto do castelo a bandeira sob a qual se fundou a nacionalidade, veremos, como penhor que confirma a nossa fé, a cruz a abraçar, como no primeiro dia, a terra portuguesa. (Salazar 1940, 259, 117-122) Das kausative subir mit dem Satzbauplan N - V - N bedeutet etwas hochbefördern, das rezessive subir mit dem Satzbauplan N - V hingegen steigen (Busse 1994, 380). In Salazars Worten wird die Flagge nicht gehisst, wodurch unter Umständen die die Flagge Hissenden zu besonderen Ehren gelangten, sondern die Flagge steigt quasi aus eigenem Antrieb und aus eigener Stärke empor. 4.8.3 Die SE-Diathese Im Abschnitt 4.8.1 wurde illustriert, wie mittels Passivdiathese der Agens aus der Handlung ausgeblendet, nicht mehr argumenthaft perspektiviert und deshalb bedingt durch seinen Modifikatorstatus in der Funktor-Argument-Modifikator-Struktur bei der Überführung der konzeptuellen Struktur in die sprachliche nicht mehr aktantifiziert, sondern nur noch zirkumstantifiziert werden kann. Im Abschnitt 4.8.2 wurde hingegen demonstriert, wie der Agens durch die rezessive Diathese nicht nur ausgeblendet, sondern absolut getilgt werden kann, wodurch er in der Funktor-Argument-Modifikator-Struktur überhaupt nicht mehr aufscheint. Es gibt aber eine weitere Möglichkeit, Handlungen als agensloses Geschehen darzustellen, nämlich jene der SE-Diathese. 100 Viel Tinte ist geflossen und viele Bits und Bytes wurden strapaziert, um etwas Licht ins Dunkel des so komplexen und wohl deshalb sehr kontroversiell diskutierten SE-Phänomens 101 zu bringen. Obgleich für uns die SE-Konstruktionen speziell im Hinblick auf die - vermeintliche - Opposition si impersonale versus si passivante bzw. se-pronome indefinido versus se-partícula apassivante bzw. se impersonal versus pasiva refleja sowie hinsichtlich der medialen Lesart von zentraler Relevanz ist, haben wir zumindest einen Blick auf die Gesamtdiskussion des SE- 100 Wir verwenden den Terminus SE-Diathese in Anlehnung an Wehr (1993; 1995). Die SE- Diathese subsumiert die von uns hier behandelten SE-Verwendungsweisen, nämlich die unpersönliche, die passivierende und die mediale. 101 Wenn wir in der Folge von SE sprechen, dann ist das italienische si bzw. SI mitgemeint. <?page no="220"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 214 Phänomens zu werfen, um zu erfassen, worum es dabei im Grunde geht. Aufgrund des so komplexen und kontroversiell diskutierten linguistischen Problems der SE-Diathese, die sich aber für uns als diskursstrategische Waffe in der politischen Rede als sehr aufschlussreich herausstellen soll, scheint es unerlässlich, dass wir uns mit ihrem theoretischen Fundament sogar relativ ausführlich auseinandersetzen. Wir werden uns zunächst mit der unpersönlichen im Gegensatz zur passivierenden Verwendung von SE beschäftigen, und zwar, aus sprachsystembedingten Gründen, im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen, im Anschluss daran einen Blick auf die mediale Lesart des SE-Phänomens werfen, und zwar im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen sowie auch im Französischen und abschließend wiederum anhand konkreter Textstellen aus den Reden Francos, Mussolinis, Pétains und Salazars die SE-Diathese auf ihr diskursstrategisches Potential hin untersuchen. Zunächst jedoch zur vermeintlichen Opposition zwischen unpersönlichem und passivierendem SE. Vorweg sei festgehalten und demonstriert, dass die SE-Diathese in verschiedenen Grammatiken unterschiedlich behandelt wird und dass man mitunter auch schier unerschütterlich an einer dichotomischen Unterscheidung zwischen unpersönlichem und passivierendem SE festzuhalten scheint. Laut Wehr (1995, 45), die das SE-Phänomen anhand des Italienischen diskutiert, ist es sogar so, dass „die Auffassung von si impersonale und si passivante […] fest etabliert [ist]; sie wird an italienischen Schulen unterrichtet und an Universitäten gelehrt, […]; d.h. es sieht so aus, als sei sie nicht mehr aus der Welt zu schaffen.“ Ein Blick in einige exemplarische Grammatiken ergibt dann aber folgendes Bild: In der Grammatik der italienischen Sprache findet sich Folgendes zum unpersönlichen und passivierenden SE: „Das It. hat keine Form, die funktional dem dt. man oder dem fr. on entspräche. 102 Zur Übersetzung von man steht vor allem das sog. si impersonale zur Verfügung“ (Schwarze 2 1995, 328). Unter Reduktion des Subjekts durch Reflexivierung heißt es ferner bezüglich der transitiven Verben „bei der medialen Lesart wird mit dem Subjekt auch das entsprechende Argument gestrichen: die reflexivierten Verben in der medialen Lesart haben keinen Agens“ und weiter „auch bei intransitiven Verben (Funktionsrahmen <Subjekt>) ist Subjekt- Reduktion möglich. Es ergibt sich ein intransitives Verb mit leerem Funktionsrahmen. Auf semantischer Ebene bleibt das dem Subjekt entsprechende Argument als existent postuliert. Die Lesart ist die abstrahierend-generische“ (Schwarze 2 1995, 185 ff.). Zum einen heißt es also bei Schwarze weder, dass si das formalfunktionale italienische Äquivalent von man sei, noch dass es sich bei si impersonale und si passivante um zwei kategorisch auseinander zu haltende Phänomene handle. Zudem diskutiert Schwarze auch die mediale Lesart von SE. Sowohl transitive als auch intransitive Verben könnten den Agens ausblenden. Bei den transitiven werde dieser durch die SE-Diathese getilgt, wohingegen er bei den intransiti- 102 Trotz der häufigen Gleichsetzung von deutsch man und französisch on scheint dies äußerst fragwürdig und kaum gerechtfertigt, zumal on im Gegensatz zu man i.d.R. den Sprecher miteinbezieht und wohl im Großteil der Fälle mit wir ins Deutsche übersetzt werden müsste. <?page no="221"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 215 ven Verben auf semantischer Ebene als existent postuliert bleibe. Dies heißt allerdings nicht, dass er in der Funktor-Argument-Struktur erhalten bleibt! In der Grammatica Italiana von Serianni ( 5 1999, 426) findet man u.a. unter verbi impersonali: „Per esprimere l’impersonale si può ricorrere anche ad altre modalità e precisamente: a) Pronome atono si con un verbo intransitivo oppure transitivo attivo (senza oggetto espresso) o passivo: si giunge, si dice, si è detto“, und als eine Möglichkeit der Passivdiathese nennt er (Serianni 5 1999, 385) „il cosiddetto si passivante, vale a dire un costrutto costituito dal pronome atono si combinato con la 3 a e 6 a persona di un verbo transitivo attivo (di tempo semplice): si affitta un magazzino, […] si affittano dei magazzini […].” Zunächst steht bei Serianni also die Qualität des Unpersönlichen im Vordergrund, und zwar sowohl bei intransitiven Verben als auch bei transitiven, wenn bei Letzteren der perspektivierte Zweitaktant nullrealisiert wird. Es werden also primär die Funktionen der syntagmatischen Konstruktionen von si + 3. P. Singular bzw. si + 3. P. Plural diskutiert, nicht jedoch die (Subjektbzw. Objekt-) Funktionen der Aktanten. Außerdem spricht Serianni vom cosiddetto, also dem sogenannten si-passivante, wodurch er bereits - zumindest subtil - eine kritische Haltung dieser Bezeichnung gegenüber andeutet. Serianni spricht also zwar von unterschiedlichen Funktionen, die sich allerdings aus der Syntagmatik ergeben und nicht etwa der Reflex unterschiedlicher Funktionen von si wären. 103 Hundertmark-Santos Martins ( 2 1998, 102) erklärt zur Übersetzung des deutschen man: „Bezieht sich man auf eine unbestimmte Allgemeinheit, wird es im Portugiesischen folgendermaßen wiedergegeben: a) durch eine Reflexivkonstruktion, z.B. Às vezes, fala-se demais. […] Já n-o se usam mini-saias. […] Daqui vêem-se os barcos dos pescadores no mar […].“ Hier wird - bewusst oder unbewusst - nicht zwischen unpersönlich und passivierend differenziert. Die zwei traditionellerweise auseinander gehaltenen Kategorien fallen in dieser ihrer Beispielgruppe zusammen: das sich hier aus dem intransitivisch verwendeten falar (demais) 104 ableitende fala-se wäre in der klassischen Terminologie unpersönlich, usam-se mini-saias und vêem-se os barcos, auf der Grundlage der transitiven Verben usar und ver hingegen, passivierend. Weiter unten präzisiert sie: „In der dritten Person Singular und Plural, wenn der Urheber der Handlung (Agens) unbestimmt ist oder nicht angegeben wird, gebraucht man im Portugiesischen […] statt des Passivs meistens eine Reflexivkonstruktion mit se. Die aktivische Verbform richtet sich in der Zahl […] nach dem Substantiv, auf das sie sich bezieht“ (Hundertmark-Santos Martins 2 1998, 210). Dieses Substantiv, auf das sie (die Verbform) sich bezieht, ist offensichtlich der Erstaktant-gewordene ehemalige Zweitaktant aus der entsprechenden transitiven Variante. Auch hier wird nur eine der verschiedenen Funktionen der SE-Konstruktionen beleuchtet, die aber nicht einmal als passivierend bezeichnet, sondern nur in ihrer diskurs-pragmatischen Funktion mit dem Passiv 103 Als Grammatik ist sein Werk außerdem praxisorientiert, weshalb er verständlicherweise an die gebräuchliche Terminologie anknüpft. 104 In A criança ainda n-o fala ist falar intransitivisch, in O rapaz fala muitas linguas hingegen transitivisch. <?page no="222"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 216 des Deutschen verglichen wird. Sowohl im ersten als auch im zweiten Fall sei die Unbestimmtheit das entscheidende Kriterium für die Wahl der Ausdrucksform. Schon eher der traditionellen Zweiteilung treu bleibend, schreibt etwa Arruda (2000, 99) in ihrer Gramática de Português para estrangeiros bezüglich se als pronome indefinido, das dem unpersönlichen SE entspricht, dass es dazu gebraucht werde, „para indeterminar o sujeito.“ Sie schränkt diese Funktion von se zwar nicht explizit auf Syntagmen mit intransitiven Verben ein, ihr (einziges) Beispiel lautet jedoch: Diz-se que rir faz bem à saúde. 105 Se als partícula apassivante hingegen „dá valor passivo a frases cuja forma verbal (sempre na 3. a pessoa) está na voz activa e cujo agente da acç-o é indeterminado […].“ Hier nennt sie zwar auch die Transitivität der Verben nicht als Kriterium, hinsichtlich der Kongruenz heißt es aber weiter: „Se o sujeito também for indeterminado, a forma verbal fica no singular; se este estiver expresso, ent-o a forma verbal concorda em número com ele, ou seja, singular ou plural consoante o sujeito.” Aus dieser Formulierung geht hervor, dass sie hier einerseits unter indeterminado versteht, dass bei transitiven Verben, etwa in ihrem absoluten Gebrauch, der Zweitaktant nicht genannt wird - wie etwa in Nesta cidade construi-se por toda a parte - und dass sie andererseits davon ausgeht, dass, wenn genannt, der Zweitaktant aus der jeweils entsprechenden transitiven Variante durch se als partícula apassivante zum Erstaktanten bzw. eben zum sujeito geworden ist. Als Beispiele für se als partícula apassivante führt sie Aqui estuda-se […], Vendem-se casas […] und Fala-se Português […] an, Beispiele, die allerdings aufgrund der potentiellen Zweiwertigkeit auch von estudar und falar alles andere als eindeutig sind - oder, vielleicht etwas gewagt, einfach darauf verweisen (sollen), dass es sich beim unpersönlichen und beim passivierenden SE eben nicht um zwei wesensverschiedene Phänomene handelt. Manch eine Grammatik unterscheidet allerdings sehr wohl - vermeintlich eindeutig - zwischen unpersönlichem und passivierendem SE. So steht bei Salvi/ Vanelli (1992, 35-36) unter si impersonale: „Il pronome clitico si può essere usato come soggetto indefinito con la 3. pers. sg. del verbo“ und weiter unten „se nella costruzione del si impersonale compare un verbo transitivo, l’oggetto diretto può diventare il soggetto della costruzione, accordandosi con il verbo […]: 5b. Si mangiano le mele / Le mele si mangiano. Chiameremo la costruzione in 5b si PASSI- VO.“ Auch auf die so oft aufgeworfene Frage, was denn passiere, wenn le mele durch ein klitisches Pronomen substituiert, der Zweitaktant also sekundärrealisiert werde, haben sie eine zumindest scheinbar klare Antwort: (Esse) si mangiano sei ein si PASSIVO, Le si mangia hingegen wiederum ein si impersonale. Nicht weniger eindeutig fällt das Urteil bei Marcos Marín et al. ( 2 1999, 249-250) aus. Als eine Form der voz pasiva beschreiben und erklären sie die pasiva refleja folgendermaßen: „[…] consiste en el empleo del verbo acompañado por un pronombre reflexivo. En estos casos el sujeto paciente debe concordar necesariamente en número y persona con el verbo, y no aparece expreso el agente.“ Dass weder das eine noch das andere zutreffen muss, werden wir weiter 105 Natürlich kann auch dizer transitivisch gebraucht werden, etwa in dizer a verdade oder dizer as verdades. <?page no="223"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 217 unten sehen. Als impersonal gelte global „aquel verbo que no tiene sujeto gramatical.“ Bei der genaueren Erläuterung wird ausgeführt: „El verbo no tiene sujeto gramatical alguno, ni expreso ni omitido. El proceso expresado por el verbo tiene un actor, aunque no sepamos quién es. El verbo debe ir siempre en tercera persona del singular. No debe establecer concordancia alguna con ningún SN del enunciado.“ Auf ein zu oben analoges Beispiel wie Se comen la manzanas Se las come wird allerdings erst gar nicht eingegangen. Als letztes Beispiel und zugleich Muster angeblich besonders klarer Unterscheidbarkeit sei der Curso Superior de Sintaxis Española von Gili Gaya ( 15 1998, 127-128) angeführt. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - zum Teil heftiger Kritik an der rigorosen Trennung zwischen impersonal und pasiva refleja wird auch in der fünfzehnten Ausgabe des Werkes unerschütterlich daran festgehalten: En la oración se cometieron muchos atropellos expresamos que los atropellos (sujeto pasivo) fueron cometidos, y no decimos nada acerca de su autor, el cual queda oculto en una tercera persona de significación indeterminada. El se es conjuntamente signo de pasiva y de impersonalidad, pero no hay duda de que la oración es pasiva, puesto que el sujeto (atropellos) está concertado con el verbo (cometieron). Si el sujeto está en singular, el verbo lo estará también: Se cometió un atropello. […] En se desea informes sobre el paradero de Fulano, en lugar de se desean, es evidente que informes es complemento directo, y se sujeto. Se queda convertido en expresión del sujeto impersonal. Nach diesem flüchtigen Blick in diverse Grammatiken, der nur einen kleinen Einblick in die praxisbezogene Auseinandersetzung mit der SE-Diathese geben kann, betrachten wir als Nächstes, welchen Ausblick die wissenschaftliche Diskussion diesbezüglich gewährt. Die gesamte Diskussion über die SE-Problematik reduziert sich im Grunde auf eine Kern- oder Wesensfrage: Handelt es sich um verschiedene SE-Phänomene oder geht es eigentlich um ein einziges Phänomen, das unterschiedlich interpretiert wird. So eindeutig die Frage ist, so vieldeutig sind die Antworten, die darauf gegeben werden, wenngleich sich in letzter Zeit in wesentlichen Punkten weitgehend ein Grundkonsens abzuzeichnen scheint. Napoli (1976, 140) spricht kategorisch davon, „[that] Italian has at least two clitic si’s.“ 106 Mit der gleichen Überzeugung argumentiert auch Cinque (1976, 20 ff.) dafür, dass es sich im Italienischen bei der impersonal construction und bei den si passives um grundlegend verschiedene Phänomene handle und führt die geläufigen syntaktischen und semantischen Kriterien an, 107 und Dévis Márquez (1993, 189 ff.) erachtet - mit Carrasco - das se-impersonal als „sujeto generalizado“ mit auf alle Fälle aktivem Charakter. 106 Dabei handelt es sich ihrer Auffassung nach um „the reflexive one and the indefinite one“ (Napoli 1976, 140). 107 Die Kriterien für die si passives seien: 1. transitives Verb, 2. Übereinstimmung Numerus, 3. Übereinstimmung Genus, 4. paraphrasierbar mit Passivkonstruktion; die Funktion der impersonal construction sei, das logische Subjekt auszuschließen (Cinque 1976, 20 ff.) <?page no="224"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 218 Ganz anders bereits Wotjak (1979, 317), der im Rahmen des SE-Phänomens zwischen a) reflexividad, b) reciprocidad, c) uso medial und d) uso pasivo o intensivo 108 unterscheidet und damit schon keine separate Kategorie mehr für ein unpersönliches SE vorsieht. Hinsichtlich der Reflexivität wird in der Folge mitunter ferner zwischen echter Reflexivität und Pseudoreflexivität unterschieden. Bei der echten Reflexivität würden im Gegensatz zur Pseudoreflexivität durch SE aktantiell Argumentstellen besetzt, weshalb SE in diesem und nur in diesem Fall als echtes Pronomen anzusehen sei (vgl. Schmidt-Riese 1998, 43 ff.). 109 Oesterreicher (1991, 365) nennt als verschiedene Nutzwerte der Pseudoreflexivität a) Medium, b) Reflexiv- Passiv und c) unpersönliches Reflexivum und illustriert dies u.a. an den Beispielen ad a) La cuerda se rompe, ad b) Periódicos se venden en los quioscos und ad c) Se cura a los enfermos bzw. Se abre a las cinco, wobei er den fließenden Übergang zwischen b) und c) betont. Ineichen hingegen (1998, 34 ff.) verweist, ausgehend von Dardano/ Trifone (1997), auf fünf Anwendungsbereiche von si im Italienischen, nämlich auf den reflexiven, den reziproken, den pronominalen, den unpersönlichen und den passivierenden und hebt den typologischen Unterschied zwischen dem unpersönlichen und dem passivierenden hervor. Auch Schwarze (1987, 106 ff.) gliedert das SE-Phänomen in fünf Untergruppen, die sich aber wiederum von Ineichens bzw. von jenen Dardanos und Trifones unterscheiden. Er differenziert zwischen dem reflexiv-reziproken, dem inchoativen, dem passivierenden, dem unpersönlichen und dem intrinsischen Vorkommen von si, wobei inchoativ in diesem Zusammenhang die mediale Lesart - etwa von La barca si è staccata - bedeutet (vgl. Schwarze 2 1995, 186). Als intrinsisches si bezeichnet er jenes, das zu einem verbalen Basislexem gehört, wie etwa in Paolo si pente di essere rimasto a casa. Dieses si entspricht den reflexiven Deponentia bei Ágel (1997, 182 ff.; 2000, 154 ff.). Schwarze (1987, 111 ff.) unterscheidet dann aber deutlich zwischen unpersönlichem und passivierendem si. Bezüglich des passivierenden hält er fest: „Das dem getilgten Subjekt entsprechende Argument (der Agens) bleibt als existent postuliert. In dieser Hinsicht gleicht diese Konstruktion dem Passiv der (ursprünglich) transitiven Verben, bei dem der Agens als existent postuliert bleibt, auch wenn er nicht durch eine Urheberangabe bezeichnet ist.“ Genau hier sehen wir jedoch einen entscheidenden Unterschied. Im analytischen Passiv kann der Urheber zumindest als zirkumstantiell zu realisierender Modifikator perspektiviert werden und im Zuge der Syntaktifizierung der Funktor-Argument-Modifikator-Struktur sogar diskurs-pragmatisch die rhematischste Position mit dem höchsten Grad an kommunikativer Dynamik einnehmen. In der Konstruktion mit dem sogenannten 108 Als uso medial betrachtet Wotjak (1979, 317) die indicación de un suceso: la puerta se abre, beim uso intensivo führt er se lo comió todo an, was später, wie wir noch sehen werden, auch als se aspectual bezeichnet wird. 109 Verblüffend ist allerdings, dass Schmidt-Riese (1998, 46) dafür das Beispiel Los hermanos se construyeron una casa anführt und se dabei auf diese Weise argumentierend als Aktant bezeichnet, wobei es sich hier um ein reziprokes SE genauso gut wie um einen Dativus commodi handeln kann, der höchstens als fakultativer Aktant bezeichnet werden könnte, zumal die Grundwertigkeit oder Grundvalenz von construir die Zweiwertigkeit wohl nicht überschreitet. <?page no="225"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 219 passivierenden SE wird dies i.d.R. absolut ausgeschlossen (vgl. Quesada 1997, 75), was allerdings auch nicht ganz zutreffend zu sein scheint. Sánchez López (2002, 36) belegt nämlich, dass in Ausnahmefällen auch in der sogenannten pasiva refleja der Agens expliziert werden kann. 110 Es könnten nun zahlreiche weitere Subklassifizierungen oder Nutzwertdeutungen des SE-Phänomens bis hin zu den von Cartagena/ Gauger (1989b, 415) neun ausgemachten vermeintlich unterschiedlichen Funktionen von SE 111 präsentiert und diskutiert werden. Da es uns aber keinesfalls darum gehen kann, eine möglichst vollständige Palette von qualitativen Nutzwertdeutungen des SE-Phänomens oder gar einen Guinness-Rekord der quantitativen Subklassifizierungskategorien der SE-Verwendungsmöglichkeiten zu eruieren, wollen wir in der Folge zunächst das Wesen des angeblich unpersönlichen bzw. passivierenden SE unter die Lupe nehmen, um anschließend daran Verbindendes und Trennendes zwischen diesen viel diskutierten Phänomenen zu erheben und vor allem auf deren diskursstrategische Funktionen einzugehen. Die sich teilweise mit dem unpersönlichen und dem passivierenden Nutzwert von SE deckende, teilweise aber auch gegen diese Nutzwerte von SE abgrenzende mediale Lesart von SE soll im Anschluss daran beleuchtet werden. Die prototypische unpersönliche SE-Konstruktion besteht aus SE und einem intransitiven oder intransitiv verwendeten Verb, wie si scia bzw. si sa che [...], esquiase bzw. sabe-se que [...], se esquia bzw. se sabe que [...] (vgl. u.a. Gutiérrez Ordóñez 2004, 154; Sánchez López 2002, 16). Außer im Hinblick auf die ohnedies unpersönlichen Verben, die logischerweise nicht doppelt unpersönlich gemacht werden können, 112 gibt es keine Restriktionen bezüglich der unpersönlichen Verwendung von Verben. Der Erstaktant bzw. das Subjekt wird annulliert, doch das Verb behält in der konkreten Verwendung all seine Eigenschaften, inklusive der aspektuellen und jener, die aus der Aktivdiathese abzuleiten sind. Dem si impersonale fehle das Subjekt, es scheine aber aktiv und ähnele indefiniten aktiven Konstruktionen (vgl. Ulrich 1989, 37 ff.). Es gibt also in der unpersönlichen SE-Konstruktion kein Oberflächensubjekt. SE als Quasi-Platzhalter ist andererseits auch kein Reflexivum, sondern es wirkt lediglich generisch-pseudoreflexiv (vgl. Albrecht 1993, 263). Da dieser Konstruktion der Erstaktant abhanden gekommen ist und systemgemäß intransitive Verben keinen Zweitaktanten regieren, stellt sich allerdings berechtigterweise die Frage der Verbkongruenz, auf die einstweilen lediglich geantwortet werden kann, dass mangels Konkordanzmöglichkeit mit irgendeinem Nominalsyntagma das Verb in der dritten Person Singular konjugiert wird. Dies verbunden mit dem Aktivstatus des Verbs hat verständlicherweise - wie bereits eingangs angeführt - immer wieder dazu Anlass gegeben, SE als Subjekt(ersatz) im Sinne von deutsch man oder 110 Ein Beispiel, das sie dafür nennt, ist Se buscan camareros por el INEM (Sánchez López 2002, 36). 111 Ohne auf sie näher einzugehen, sind diese: Reflexiv, Reziprok, Kausativ, Dativisch, unechtes Reflexivum, Medium, metaphorisches se, passivisches se und modales se. 112 Dies bedeutet, dass etwa Witterungsverben wie piovere, chover, und llover von diesem Prozess ausgeschlossen sind: *se piove, *chove-se, *se llueve. <?page no="226"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 220 französisch on zu betrachten. Obwohl etwa Fici Giusti (1998, 71) zum Ergebnis kommt „[che] sia nei costrutti impersonali che in quelli riflessivi, medi, passivi e antipassivi, SI è sempre segnale di una posizione attanziale non riempita”, sagt sie kurz zuvor, „la nostra ipotesi è che questo SI impersonale sia la traccia di un soggetto con i tratti semantici di agente” (Fici Giusti 1998, 64), und im Vergleich zu noi lediglich „indebolito, meno intenzionale.” 113 Ihre Vorsicht weicht allmählich der Vehemenz, sodass sie schließlich dezidiert sagt, dass ihrer Auffassung zufolge das SI impersonale „corrisponde infatti a on francese e man tedesco.“ 114 Klar gegen den Subjektstatus von SE im si impersonale spricht sich hingegen u.a. Koch (1994b, 50; 1995, 132) aus, der die Frage aufwirft, ob SE möglicherweise einfach zu on uminterpretiert wurde. Karolak (1986, 89) erklärt, dass durch SE eine Argumentstelle in der Oberfläche blockiert sei. Dies führe offensichtlich dazu, dass die Subjektposition ganz einfach unbesetzt bleibe (vgl. auch Wehr 1993, 629). Die Tatsache, dass die Zahl der Aktanten kleiner oder gleich groß wie die Zahl der perspektivierten Argumente ist, ergibt sich nach Helbig (1992, 166) aus Tilgungen und Implikationen im Prozess der Syntaktifizierung, was wir bereits ausführlich im Abschnitt 4.4.1 über Perspektivierung und Nullaktantifizierung demonstriert haben. Bei der SE-Diathese handelt es sich aber keinesfalls einfach um Nullaktantifizierung. Wie bereits dargelegt, ist der Erstaktant im Falle des unpersönlichen SE also blockiert und nicht durch SE realisiert, was, wie oben mehrfach demonstriert, zwar immer wieder angezweifelt wird, durch einen kurzen Exkurs ins Russische möglicherweise aber noch deutlicher veranschaulicht werden kann. Si dice, diz-se, se dice oder aber auch man sagt bzw. on dit heißt auf Russisch . ( ) - heißt er, sie, es sagt, und - ist der Marker des Unpersönlichen oder je nach Kontext der Medialmarker. Der betonte Reflexivmarker heißt . 115 Es schiene schwer vorstellbar, ein ausschließlich als gebundenes Morphem vorkommendes Element wie - , das außerdem für alle Personen Anwendung findet und lediglich in der ersten Person Singular und in der zweiten Person Plural durch das Allomorph - realisiert wird, als Erstaktanten im Sinne von deutsch man bzw. französisch on zu erachten. Ein gravierender morphosyntaktischer Unterschied zwischen SE und - bzw. - besteht aber eben auch darin, dass Ersteres ein ungebundenes oder freies Morphem ist, Letzteres hingegen ein gebundenes. 116 Nicht beantwortet ist freilich nach wie vor die Frage, was durch dice bzw. diz primärrealisiert wird. Die Primärrealisierung ist zum einen nicht wegzuleugnen, 113 Si in Noi si fermò sei als eine Art hanging topic zu betrachten, so Wehr (1993, 640). 114 Als Argumente für ihre ipotesi führt sie u.a. noch an, dass man vor allem in Süditalien durchaus auch Si cuoce i biscotti, aber auch Si credevano trovarlo morto zu hören bekäme und ferner Li si incontra ihre These stütze (Fici Giusti 1998). 115 Vgl. dazu auch Ágel (2000, 148 ff.), der anhand der Opposition versus die unterschiedlichen Funktionen des Medialbzw. Reflexivmarkers aufzeigt. 116 Wollte man auf der Subjekthaftigkeit von - bestehen, dann könnte allerdings auch dahingehend argumentiert werden, dass - so etwas wie eine Primärrealisierung des Erstaktanten wäre, womit wir uns hier allerdings nicht weiter beschäftigen können. <?page no="227"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 221 zum anderen gehen wir mit Wotjak (1994a, 172) 117 davon aus, dass es keine nullwertigen Prädikate gibt. Bedingt ganz einfach durch die Gegebenheiten des Sprachsystems scheint es uns am ehesten so, dass die Primärrealisierung der dritten Person Singular in Opposition zur deiktischen ersten und zweiten Person Singular quasi als Archiperson das kommunikative Dreierschema oder Dreierparadigma neutralisiert (vgl. Weinrich 1967, 124 ff.). 118 Keinesfalls handelt es sich jedoch um eine Primärrealisierung von SE! Wie bereits angedeutet, ist der zweite für uns bedeutende Nutzwert der SE- Konstruktionen im sogenannten passivierenden SE begründet, der am Beispiel Si raccontano sempre le stesse storie, Contam-se sempre as mesmas histórias, Se cuentan siempre las mismas historias bzw. Les mêmes histoires se racontent demonstriert sei. 119 Im Gegensatz zum unpersönlichen SE, das für das Italienische, das Portugiesische und das Spanische, nicht aber auf diese Weise für das Französische relevant ist, zumal dort dem se der unpersönlichen SE-Konstruktion das unpersönliche il als sujet apparent vorangeht, wodurch diese Konstruktion leicht als unpersönliche zu identifizieren ist, finden passivierende SE-Konstruktionen als pronominaux passifs auch im Französischen, abhängig vom Sprachstil bzw. -register, recht häufig Anwendung. 120 Das passivierende Des rapports se sont établis entre eux ergibt in der entsprechenden unpersönlichen Konstruktion des Französischen mit il + se folglich: Il s’est établi des rapports entre eux. Verbkongruenz besteht mit dem unpersönlichen Subjekt in der dritten Person Singular. Prinzipiell handelt es sich beim passivierenden SE um SE-Konstruktionen mit transitivem Verb, deren ursprünglicher agentiver Erstaktant abhanden gekommen ist, wodurch der ursprünglich patientive Zweitaktant in die Position des Erstaktanten aufrückt. Auf diese Weise gelangt dieser Typus von SE- Konstruktion zum jeweils patientiven Erstaktanten. „Das begriffliche Objekt [wird] als grammatisches Subjekt ausgedrückt“ (Ulrich 1989, 37), oder in den Worten von Sánchez López (2002, 16), „llamamos pasivas reflejas o pasivas con se aquellas construcciones que se caracterizan por tener como sujeto gramatical al objeto nocional o paciente, y que pueden, si bien de forma restringida, hacer 117 Wotjak (1994a, 172) macht deutlich, dass selbst die Witterungsverben nicht nullwertig sind. Möglicherweise seien es die im Lexemkörper des Verbs aktantifizierten Assertionsargumentkonstanten Schnee oder Regen, die als „Teil eines Fallen-Sachverhalts“ bzw. eines „auditiven oder visuellen Wahrnehmungsperzeptions-Sachverhalts“ fungierten. Nevica, neva oder cai neve und nieva bzw. piove, chove und llueve heißen auf Russisch bzw. , also wörtlich ‚Schnee geht’ bzw. ‚Regen geht’. Im Russischen sind die Assertionsargumentkonstanten Schnee oder Regen also sogar expliziert. 118 Bei Tesnière ( 2 1965, 275 ff.) entspräche dem wohl die Opposition autoontif & antiontif versus anontif. 119 ? Les mêmes histoires se racontent toujours würde man eher nicht sagen. Ist toujours jedoch kommunikativ relevant, so würde man wohl On raconte toujours les mêmes histoires sagen. 120 „Le pronominal passif s’emploie fréquemment comme impersonnel (Grévisse 11 1980, 697). Zitiert werden, wie üblich, literarische Beispiele, hier: „Il se brûle par an dans la cathédrale mille livres de cire (Th. Gautier); Il s’effeuillait d’innombrables carnets de chèques sur le Palais-Bourbon (A. France); Il se pense toujours bien plus de choses qu’il ne s’en dit (É. Henriot).“ <?page no="228"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 222 explícito el agente mediante un complemento con la preposición por.“ 121 Das Verb kongruiert in Numerus und - abhängig von der Sprache - Genus mit dem neuen Erstaktanten, also Si raccontano sempre le stesse storie aber Si racconta sempre la stessa storia und analog dazu das Portugiesische und Spanische. Im Falle der SE-Konstruktionen mit transitiven Verben wird die Handlung quasi aus der Perspektive des affizierten Objekts, oder in den Worten Ulrichs (1989, 34), „vom Gesichtspunkt des von ihr am Objekt Bewirkten aus als Tat ohne Täter gesehen.“ 122 Unweigerlich müssen jedoch Probleme für dieses vermeintlich klare Konzept einer eindeutigen Auseinanderhaltung zwischen unpersönlichen und passivierenden SE-Konstruktionen auftreten, und zwar spätestens dann, wenn man sich a) obiges Beispiel aus Salvi/ Vanelli (1992, 36) Le si mangia und b) die pronominale Substituierung belebter Zweitaktanten im Spanischen vergegenwärtigt (vgl. u.a. Gutiérrez Ordóñez 2004; Sánchez López 2002). Wenn wir oben sagten, dass es in der passivierenden SE-Konstruktion Verbkongruenz mit dem neuen patientiven Erstaktanten gäbe, dann dürfte das nicht nur für Si raccontano le stesse storie gelten, sondern es müsste auch für den gleichen Satz mit dem einzigen Unterschied eines sekundärrealisierten Erstaktanten Gültigkeit haben. Konsequenterweise müsste es heißen *Le si raccontano, es heißt aber Le si racconta. 123 Was b) anbelangt, ist es so, dass im Spanischen belebten Zweitaktanten, also belebten direkten Objekten, in der Regel die Präposition a vorangeht, wodurch die Verbkongruenz mit dem neuen, aufgerückten Erstaktanten blockiert ist. Ein analytisches Passiv wie etwa Los alumnos fueron consultados oder Los pobres serán ayudados ergibt in der passivierenden SE-Konstruktion, ausgehend von der Aktivkonstruktion Alguien consultó a los alumnos bzw. Alguien ayudará a los pobres, Se consultó a los alumnos bzw. Se ayudará a los pobres (Gutiérrez Ordóñez 2004, 156). 124 Die vermeintlich uniforme Beschreibung der passivierenden SE- Konstruktion kommt also nicht zustande, die klare Differenzierung zwischen unpersönlichem und passivierendem SE ist gescheitert. Wie eingangs angekündigt, wollten wir vor dem angewandten Teil dieses Abschnitts noch einen Blick auf die mediale Lesart der SE-Konstruktionen werfen. Der Terminus medial wird wie so viele andere in der Linguistik sehr uneinheitlich verwendet. Zum einen versteht man darunter jene Verben, die weder als 121 Vgl. Fußnote 298: Se buscan camareros por el INEM (Sánchez López 2002, 36). 122 Sie vergleicht in dieser Arbeit vor allem die diskurs-pragmatischen Unterschiede im Ausdruck des Unpersönlichen einerseits mittels dritter Person Plural, also etwa in Raccontano che [...], andererseits mittels sogenanntem si passivante (Ulrich 1989). 123 Mit Cennamo und Givón argumentiert Siller-Runggaldier (2001b, 73), dass „die Kongruenz im Allgemeinen durch das referentiell stärkere Element im Satz bestimmt wird.“ In unserem Fall ist es dann der pluralische substantivische Undergoer le stesse storie, der, wie Siller- Runggaldier (2001b, 73) sagt, „in seiner Kodierung als Subjekt dem semantisch ausgebleichten und damit referentiell schwächeren Reflexivum si die Kongruenzkontrolle entreißt und sie auf sich selbst überträgt.“ 124 Noch verwirrender wird diese vermeintliche Eindeutigkeit, wenn man bedenkt, wie Roegiest (2001, 200) ins Treffen führt, dass die Präposition vor dem belebten Zweitaktanten, die es offensichtlich auch im Rumänischen im präpositionalen direkten Objekt gibt, dort in der dem pasivo pronominal äquivalenten Struktur aber nicht mehr vorhanden ist! <?page no="229"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 223 transitive noch als intransitive gelten, trotzdem aber einen Zweitaktanten regieren, kein Passiv bilden können und nicht gemeinsam mit Modaladverbien auftreten. 125 Zum anderen versteht man darunter aber auch jene ursprünglich transitiven Verben, die durch formale Reflexivierung, d.h. also, wie oben dargestellt durch SE-Affigierung detransitiviert und damit eigentlich intransitiviert werden und dadurch Handlungen in Vorgänge überführen (vgl. Welke 2002, 248). Die so definierten medialen Verben werden auch als Antikausativa bezeichnet, weil das ursprünglich transitive, Kausalität ausdrückende Verb durch die SE-Affigierung genau um die kausative Dimension reduziert wird. In der hier stattfindenden Auseinandersetzung mit der SE-Diathese ist es offensichtlich der Nutzwert der nach letzteren Kriterien definierten medialen Verben, der für uns von Interesse ist. Bei Tesnière ( 2 1965, 272 ff.) sind die so definierten medialen Verben ein Teil der Rezessiva (vgl. 4.8.2), bei deren Diskussion er zu folgender Einsicht kommt: „On conçoit dès lors que, de la notion de deux actants représentant une même personne, on puisse passer très facilement à la notion d’un seul actant.“ Es gebe viele Fälle, die durch Reflexivität überhaupt nicht zu erklären seien, wie etwa Les maisons se construirent lentement, La porte s’ouvre (Tesnière 2 1965, 273) etc. Diese gehörten zur voix récessive. Offensichtlich von echten Reflexiva ausgehend, erklärt Tesnière ( 2 1965, 280-281) schließlich: „Dans ces conditions, il peut paraître paradoxal d’employer l’indice se, dont la valeur propre est d’exprimer un actant, puisqu’il ne s’agit pas d’exprimer un actant, mais au contraire de diminuer d’un le nombre des actants.“ Genau dies beschreibt die Überführung der Kausativa in Antikausativa durch Argumentreduktion. Argumentreduktion haben wir nun schon sowohl beim - in traditioneller Terminologie - unpersönlichen SE als auch beim passivierenden SE beobachtet. Es stellt sich folglich die Frage nach dem Wesen der medialen SE-Konstruktionen im Gegensatz zu jenem der unpersönlichen und passivierenden. Ágel (1997, 166) spricht bei Die Tür öffnet sich und Das Buch liest sich leicht von patientiven Mittelverben bzw. von medialen Konstruktionen. Ein deutlicher Unterschied lässt sich zwischen diesen beiden Beispielen jedenfalls hinsichtlich der nicht explizierten agentiven Kraft ausmachen. Grundsätzlich entsteht bei den durch SE-Affigierung argumentreduzierten antikausativen Verben der Eindruck, so Siller-Runggaldier (2001b, 66), „dass das zum Ausdruck gebrachte Geschehen durch intrinsische Kraft der in das Geschehen involvierten und mit dem grammatischen Subjekt kodierten Größe zu Stande kommt.“ Beim Beispiel La porte s’ouvre muss nun keineswegs ein menschlicher Agens involviert sein, es müssen auch kein Hund und kein Windstoß sein, die die Tür öffnen. Es könnten schlecht montierte Türbänder oder einfach die Spannung im Holz sein, die das Öffnen der Tür auslösen. Es wäre somit de facto ein Bestandteil der Tür selbst, der für deren Aufgehen verantwortlich wäre. Genauso gut könnte es auch einfach das hohe Gewicht des Bootes sein, dem ein zu schwaches Tau nicht mehr standhielte, das somit wohl ganz eindeutig als Bestandteil des Bootes die Schuld an dessen Loslösungsprozess in Si stacca la barca trüge. 125 Dazu würden Verben wie behalten, umfassen, kosten, ähneln etc. zählen. <?page no="230"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 224 Anders sieht es in Beispielen wie Este libro se lee fácilmente oder Estas maç-s comem-se só em Portugal aus. Es bedürfte wohl einer ganz besonderen Phantasie sich vorzustellen, dass sich ein Buch selbst liest oder dass sich ein Apfel selbst isst. Wenn Welke (1997, 214 ff.; 2002, 248 ff.) die Medialisierung als ein „Ergebnis eines metaphorischen Prozesses“ sieht, bei dem der Aspekt der Kausativierung in den Hintergrund gerückt wird, wodurch der Eindruck entsteht, als ob der Gegenstand aus sich heraus etwas täte, so kann sich das nur auf die ersten beiden Beispiele, also auf La porte s’ouvre und Si stacca la barca, nicht aber auf Este libro se lee fácilmente oder Estas maç-s comem-se só em Portugal beziehen. In den beiden letzteren Fällen würde man, so man überhaupt von unterschiedlichen SE-Nutzwerten ausgeht, wohl von passivierenden SE-Konstruktionen sprechen. Eine klare Trennlinie zwischen passivierendem SE und medialem SE wird allerdings sehr oft kaum möglich sein. Schwarze ( 2 1995, 187) hält bezüglich der medialen Lesart dezidiert fest: „Diese Reduktion ist dem Passiv sehr ähnlich: Es findet Subjekt-Reduktion statt, und das Objekt des aktiven Verbs erscheint als Subjekt. Hierauf beruht die traditionelle Bezeichnung si passivante.“ Gutiérrez Ordóñez (2004, 159 ff.) weist auf ein weiteres recht subtiles und keinesfalls absolutes Unterscheidungskriterium hin, das aber zumindest tendenziell zwischen dem passivierenden und dem medialen 126 Wesen von SE-Konstruktionen unterscheiden hilft, und zwar handelt es sich dabei um die Serialisierung: „Aquí se produce una fuerte proximidad entre las « impersonales pasivas con / se/ y las anticausativas ». Ambas recurren al morfema / se/ , en ambas se produce la incorporación. Sólo el orden parece diferenciarlas (aunque no son infrecuentes los casos de ambigüedad.“ 127 In der medialen SE-Konstruktion ist der patientive Erstaktant, aus dessen intrinsischer Kraft sich das Geschehen zu vollziehen scheint, tendenziell in präverbaler Position. In der passivierenden SE-Konstruktion, in der der intrinsischen Kraft des patientiven Erstaktanten weniger Bedeutung beigemessen wird als in der medialen, ist dieser tendenziell in postverbaler Position. Hierbei handelt es sich aber, wie gesagt, nur um eine relativ vage Tendenz. Das erste und entscheidende Kriterium für die mediale Lesart bleibt somit die Möglichkeit der Vorstellung eines betreffenden Geschehens zumindest noch in einem metaphorischen Rahmen, die etwa bei Si leggono i giornali bzw. I giornali si leggono oder Comem-se as maç-s bzw. As maç-s comem-se nicht mehr gegeben ist. Ist es einerseits noch irgendwie, und wenn auch nur im metaphorischen Sinne, vorstellbar, dass sich die Tür öffnet oder das Boot löst, so übersteigt es andererseits wohl das kühnste Vorstellungsvermögen, dass sich eine Zeitung (selbst) liest oder dass sich ein Apfel selbst isst. Die Differenzierung zwischen medialen und passivierenden SE-Konstruktionen bleibt letztlich jedoch aufgrund der dargelegten Bedingungen eine unscharfe. 126 Gutiérrez Ordóñez (2004) spricht allerdings von construcciones inagentivas o anticausativas. 127 Diese Opposition zwischen passivierend und medial illustriert er dann an den Beispielen Se aclaró la situación versus La situación se aclaró; Se alteró el orden versus El orden se alteró; Se acallaron los rumores versus Los rumores se acallaron; Se recompuso la paz versus La paz se recompuso; Se contaminó la piscina versus La piscina se contaminó (Gutiérrez Ordóñez 2004, 161). <?page no="231"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 225 So wie Gutiérrez Ordóñez (2004, 155) nicht darüber erstaunt zu sein scheint, dass der unpersönliche, der passivierende und der mediale Nutzwert der SE- Konstruktionen nicht klar voneinander zu trennen sind, und sagt „la llamada pasiva refleja no es sino un caso particular del proceso de impersonalización efectuado por el / se/ ,“ sind auch durchaus andere Ansätze festzustellen, die vielmehr das Gemeinsame als das Trennende zwischen den unpersönlichen, den passivierenden und den medialen SE-Konstruktionen herausarbeiten und entweder primär historisch 128 oder funktional eine einzige SE-Diathese darauf begründen. Kemmer (1993, 179) hat im Zuge ihrer Recherchen eruieren können, dass „the impersonal passive constructions“, die sowohl die unpersönlichen als auch die passivierenden und medialen SE-Konstruktionen umfassen, in den romanischen Sprachen seit dem dreizehnten Jahrhundert belegt sind. „Such constructions apparently began with transitive verbs, and remain so restricted to this day in French and some other Romance languages. In Spanish and Italian, however, they have been extended to intransitive verbs as well.” Das Portugiesische gehört offensichtlich auch dazu. Quesada (1997, 72) 129 und Sánchez López (2002, 123) führen die SE-Konstruktionen ganz allgemein auf eine ursprünglich reflexive Verwendung von SE zurück, von der sie sich zunächst auf die transitiven und später auch auf die intransitiven Verben ausdehnten. Einer der vehementesten Vertreter einer unifizierten Sicht der SE-Phänomene bzw. eben des SE-Phänomens ist, funktional argumentierend, wohl Coseriu (1987, 139), der konkret zur spanischen Konstruktion se + Verbum in der dritten Person Folgendes feststellt: Dieser Fügung hat man gleich eine ganze Reihe sprachlicher Funktionen zugeschrieben: so würde sie zum Ausdruck des Reflexivs, des Reziproks, des Inchoativs, des « Spontaneums », des Passivs und der unpersönlichen Form dienen. Funktionell, d.h. von der langue her gesehen, sind dies aber nur Gebrauchstypen bzw. Bezeichnungsvarianten. Man kann nämlich nachweisen, dass der Sprachwert dieser Konstruktion, die allen ihren Verwendungen gemeinsame grammatische Bedeutung, allein die « Umkehrung der Transitivität » ist [...]. Von einer Subjektfunktion der SE-Konstruktion ist bei Coseriu keine Rede, er betont ganz im Gegenteil die gemeinsame grammatische Bedeutung der SE- Konstruktionen. 128 Bezüglich der symmetrischen Verwendung des Passivs, des se réfléchi und des se moyen (SM) im Französischen argumentiert Zribi-Hertz (1982, 347) ebenfalls historisch „[que] la symétrie couramment établie, en synchronie, entre Passif et SM (=SE moyen), peut être rapportée notamment à la relation historique unissant ces deux constructions.“ Im français classique sei es außerdem durchaus üblich gewesen, auf das se moyen auch den complément d’agent folgen zu lassen, wie etwa in L’élection s’en faisait [des rois] par tout le peuple (Bossuet) (vgl. Zribi-Hertz 1982, 351). 129 Quesada (1997) verwendet dann den Terminus Medium für alle SE-Konstruktionen, wogegen sich Wehr allerdings vehement zur Wehr setzt, zumal das Medium bereits im Lateinischen verschwunden sei und infolgedessen für die romanischen Sprachen überhaupt keine Rolle mehr spiele (Wehr 1993; 1995). <?page no="232"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 226 Stellte Tesnière ( 2 1965, 106) bezüglich der Funktion von il in unpersönlichen Konstruktionen des Französischen, wie beispielsweise in il pleut, „où il semble être un actant“, fest, „[qu’] il n’est en réalité que l’indice de la 3 e personne et ne désigne nullement une personne ou une chose qui participerait d’une façon quelconque au phénomène de la pluie“, weshalb man il in derartigen Konstruktionen als sujet apparent bezeichnet, 130 so erachten wir das SE der unpersönlichen Konstruktionen, das, wie Siller-Runggaldier (2001a, 598) sagt, nichts anderes als den Status eines Affixes hat, lediglich als Indiz der dritten Person Singular, welche bereits im konjugierten Verb primärrealisiert wird. Wie bereits oben festgehalten, ist es die dritte Person Singular im Gegensatz zur deiktischen ersten und zweiten Person Singular, die die Möglichkeit der Non-Referenz bietet und damit die notwendige semantisch-pragmatische Grundlage für unpersönliche Konstruktionen darstellt. Allein aus diesem Grund ist das Verb in der unpersönlichen SE-Konstruktion, wie beispielsweise in si crede che [...], crê-se que [...] bzw. se cree que [...] in der dritten Person Singular konjugiert. Die unpersönliche SE-Konstruktion ist aber „subjektlos“ (Wehr 1993, 632). Um trotz der soeben angesprochenen Non-Referenz nicht Opfer absoluter textueller Orientierungslosikeit zu werden, bietet es sich an, den Horizont der jeweils unpersönlichen Konstruktion zu eruieren. Weinrich (1982, 102) demonstriert dies am französischen Horizont-Morphem il, das aber keinesfalls mit dem bestimmbaren Referenz-Pronomen il der dritten Person Singular zu verwechseln ist. Das Horizont-Morphem il stellt „keinerlei inhaltliche Referenz her, sondern lässt die Gesprächsrolle des Referenten leer. Diese kann dann im weiteren Kontext nachträglich ausgefüllt werden.“ Weinrich (1982, 103 ff.) unterscheidet in der Folge vier Horizont-Typen: erstens den natürlichen Horizont, zweitens den Situations- Horizont, drittens den gesellschaftlichen Horizont und viertens den textuellen Horizont. Der natürliche Horizont umfasst primär Verben, die ein Naturgeschehen bezeichnen, unter dem Situations-Horizont stehen jene, die allgemein auf Situationen referieren, welche erst später zu identifizieren sein werden, der gesellschaftliche Horizont bezeichnet solche, die gesellschaftliche, ethisch-moralische Normen, Konventionen und Wertvorstellungen transportieren und der textuelle Horizont liefert schließlich quasi das Thema als Hintergrund für im Text Abzuhandelndes bzw. Abgehandeltes. 131 Im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen gibt es 130 Kotschi (1981, 94) spricht von kombinatorisch determiniertem Allomorph des Verblexems. Die Beweisführung dafür, dass es sich bei il in unpersönlichen Konstruktionen um keinen Aktanten handelt, tritt er allerdings damit an, dass er sagt, man könne im gesprochenen Französisch il in il faut, wie etwa in (Il) faut que tu partes auch auslassen. In diesem konkreten Fall scheint es sich allerdings um ein idiosynkratisches Merkmal zu handeln. Denkt man etwa an all die Witterungsverben, so ist dort das Auslassen von il nicht möglich: *Pleut. *Neige. *Gèle. Faut que tu partes muss also insofern als Sonderfall des Französischen angesehen werden, als die Primärrealisierung des Erstaktanten, nämlich einer unpersönlichen dritten Person, ausreicht. Für obige Beweisführung ist dieser Sonderfall jedoch eher ungeeignet. 131 Als Beispiele für den natürlichen Horizont nennt Weinrich (1982, 103 ff) u.a. il pleut, il fait froid, il fait jour, für den Situations-Horizont il se produit un bruit terrible ici, qu’est-ce qu’il se passe, il m’arrive parfois d’avoir peur, für den gesellschaftlichen Horizont il est bon de faire des économies, il est nécessaire de se débrouiller, il est indispensable que vous vous rendiez compte de votre <?page no="233"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 227 freilich kein als sujet apparent auftretendes non-referentielles Morphem, das zumindest als semantisch-pragmatisches Horizont-Morphem fungieren könnte, nichtsdestotrotz lässt sich - zumindest gegebenenfalls - beispielsweise mittels explizierter Zirkumstanten eine Art Horizont ausmachen, wodurch auch für SE zumindest mittelbar ein Referenzbereich ausgemacht werden kann. Siller-Runggaldier (2001b, 69 ff.) stellt diesbezüglich fest, dass sich für SE aus dem Kontext sehr wohl eine sogar klare bis variable Referenz ergeben kann. 132 Doch machen wir noch einmal den Schritt zurück zu den angeblich diversen Nutzwerten der SE- Konstruktionen. Dass die passivierende SE-Konstruktion nichts mit agentiver Funktion zu tun hat, scheint unbestritten. Aus diesem Grunde gibt es (mittlerweile) in weiten Kreisen darüber Konsens, dass die unpersönliche SE-Konstruktion und die passivierende SE-Konstruktion im Grunde ein und dieselbe Grundfunktion (vgl. Wehr 1993, 628 ff.) erfüllen bzw. darstellen, nämlich jene, den Agens zu tilgen, und dass sie genau aus diesem Grunde „due aspetti del medesimo fenomeno“ (La Fauci 1985, 334) repräsentieren und es nicht sinnvoll sein kann, von wesensmäßig unterschiedlichen Funktionen zu sprechen (vgl. Siller-Runggaldier 2001a, 2001b). Prinzipiell gilt es jedoch bezüglich der Aktiv-, Passiv- und SE-Diathese unter dem Aspekt der Verbvalenz auf einen sehr wichtigen Unterschied aufmerksam zu machen: Ist der Agens in der Aktivdiathese argumenthaft perspektiviert und i.d.R. aktantiell fokalisiert, so wird er in der Passivdiathese lediglich als Modifikator perspektiviert und in der SE-Diathese (i.d.R.) schließlich völlig getilgt. Aus valenzstruktureller Sicht ist also entscheidend, dass es in der SE-Diathese prinzipiell um Argumentreduktion geht. Stellt Tesnière ( 2 1965, 106) bezüglich der Witterungsverben fest, „[que] les verbes sans actant expriment un procès qui se déroule de lui-même, sans que personne ni rien y participe“, so drücken wir dies leicht modifiziert für die zwei Seiten der SE-diathetischen Medaille dadurch aus, dass wir sagen, dass durch die agenslose SE-Diathese die Möglichkeit der Darstellung d’un procès qui se déroule de lui-même geschaffen wird. Eine Handlung wird ohne Täter wahrgenommen, die Handlung verselbständigt sich, „die SE-Konstruktion hat ihre Täter verloren“, wie Ulrich (1989, 34) es treffend formuliert. Wehr (1993, 643 ff.) beschreibt die SE-Diathese infolgedessen als prozessorientiert und sachverhaltsorientiert. Aufgrund des vorrangigen Ziels der SE-Diathese „[de] la démotion de l’agent“ (Manoliu-Manea 1988, 198; Roegiest 1993, 446) eigne sich diese besonders für die Darstellung von allgemeinen Sachverhalten, in die kein spezifischer Agens involviert sei, sowie für generalisierende, potentielle, normative und prohibitive Äußesituation, il est vrai que la vie est dure und für den textuellen Horizont il se présente parfois des gens qui connaissent tout et qui ne savent rien, il existe des enfants qui sont plus cultivés que les adultes, il vous appartient de corriger mes impressions, il est pourtant quelques philosophes qui […]. 132 In Quella sera si sono dette molte cose inutili lasse sich aufgrund des Temporalzirkumstanten und folglich aus dem Kontext eine klare Referenz erschließen, in Al giorno d’oggi si richiedono livelli sempre più alti di professionalità hingegen sei die Referenz variabel, da beliebige menschliche Referenten gemeint sein können (Siller-Runggaldier 2001b, 69). <?page no="234"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 228 rungen (Wehr 1993, 644). 133 Sie eignet sich aber unter diskursstrategischem Aspekt vor allem auch für die Darstellung von zu Geschehen gewordenen Handlungen, deren Agens ungenannt bleiben möchte, soll oder muss. Siller-Runggaldier (2001b) verweist ferner auf die diskurspragmatische Funktion der SE-Diathese, den Grad der Agentivität zu reduzieren. Betrachten wir nun die Verwendung der SE-Diathese in unseren Reden, wobei wiederum besonderes Augenmerk auf den funktional-pragmatischen Aspekt zu legen ist, um gegebenenfalls die SE-Diathese auch als diskursstrategische Waffe zu entlarven. Die in den Textstellen enthaltenen SE-Diathesen werden hier in etwas umfangreicheren Kontexten wiedergegeben, damit der referentielle Horizont eher fassbar wird. 4.8.3.1 SE + V intrans In den Textstellen (IV.106) bis (IV.108) steht für uns das sogenannte unpersönliche SE bzw. der unpersönliche Nutzwert der SE-Diathese im Zentrum der Aufmerksamkeit: (IV.106) La Falange sabéis está inspirada en lo castrense y en lo monástico, y tanto en la milicia de Dios como en las de la Patria se asciende sólo por el camino de la virtud. (Franco 1942b, 244, 96-98) Allein durch die Tugend oder Tugendhaftigkeit sei es möglich, sowohl in den Streitkräften Gottes als auch in jenen des Vaterlandes aufzusteigen. Durch die Metaphorik erlangt diese Aussage absolute Allgemeingültigkeit. Jedes menschliche Wesen kann sich zumindest als Streiter Gottes verstehen, weshalb Tugendhaftigkeit jedem Einzelnen garantiert, wenn auch nur in irgendeinem metaphorischen Sinn, in Form eines Aufstiegs zugute käme. Einen Horizont als Begrenzung der möglichen Referenz gibt es hier nicht. Durch die SE-Diathese ergibt sich hier die absolute Generizität, die alle einschließt und zugleich jeden einzelnen zu einer bestimmten Lebensführung veranlassen soll. (IV.107) [Oso credere che gli italiani di qualsiasi opinione saranno felici il giorno in cui tutte le Forze Armate della Repubblica saranno raccolte in un solo organismo e ci sarà una sola Polizia, l’uno e l’altra con articolazioni secondo le funzioni, entrambi intimamente viventi nel clima e nello spirito del fascismo e della Repubblica, poiché in una guerra come l’attuale, che ha assunto un carattere di guerra « politica », la politicità è una parola vuota di senso ed in ogni caso superata.] Un conto è la « politica », cioè l’adesione convinta e fanatica all’idea per cui si scende in campo, e un conto è un’attività politica, che il soldato ligio al suo dovere e alla consegna non ha nemmeno il tempo di esplicare, poiché la sua politica deve es- 133 Wehr (1995, 49) ferner dazu: „Das Passiv dient dazu, einen Patiens zum Topic zu machen, während SE-Konstruktionen dazu dienen, einen menschlichen Agens ungenannt zu lassen. Auch als Aktivmorphologie kann SE + V nicht angesehen werden, da in Aktivkonstruktionen der Agens die Subjektposition besetzt, der in SE-Konstruktionen ja gar nicht ausgesetzt werden darf, weder als Subjekt noch in einer anderen syntaktischen Position.“ <?page no="235"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 229 sere la preparazione al combattimento e l’esempio ai suoi gregarî in ogni evento di pace e di guerra. (Mussolini 1944, 129, 115-127) Scendere in campo ist eine (bereits) bei Mussolini sehr häufig vorkommende Kollokation. In Zingarelli (2003, 1628) findet sich unter scendere in campo: „presentarsi, venire […], accingersi ad affrontare una gara, uno scontro (anche fig.).” In dieser Passage ist der referentielle Horizont nur insofern begrenzt, als sich die Gültigkeit der Aussage nicht auf alle Menschen, sondern nur auf alle Italiener bezieht, von denen Mussolini schließlich zu erwarten vorgibt, dass sie sich allesamt den absoluten Totalitarismus herbeisehnen. Alle unter dem aktuellen Horizont Stehenden würden - oder mögen - dem Feind im weitesten Sinne aus Überzeugung und Fanatismus gegenübertreten. Die SE-Diathese ermöglicht es dem Redner, die Aufforderung oder Ermahnung nur implizit zu vermitteln, wodurch auf subtilere Weise als in der direkten Anrede manipuliert wird und das implizit Vermittelte möglicherweise - bzw. aus der Sicht des Redners wohl wünschenswerterweise - im Unbewusstsein der Zuhörerschaft zu arbeiten beginnt. (IV.108) [No Estado moderno a excessiva preocupaç-o da defesa dos direitos e liberdades individuais contra os possíveis abusos do Rei e seus Ministros pôs por toda a parte em crise a chefatura do Estado. (…) Com a translaç-o operada nas forças políticas e as deduções porventura apressadas dos conceitos correntes acerca da sede da soberania, entraram igualmente em crise a formaç-o, estabilidade e prestígio dos governos. Conforme as qualidades dos povos e a permanência de instintos de defesa, os resultados foram diferentes. Em Portugal porém fez-se tudo quanto era humanamente possível e razoável fazer para anular os principais órg-os da soberania, aqueles em que principalmente reside a força e autoridade do Estado.] A vergonhosa estatística que apresentamos como express-o de havermos passado todas as marcas revela, com o completo desprestígio das instituições políticas, termos criado as condições óptimas em que n-o se podia governar. [Só por si o Parlamento o n-o permitiria, com seus partidos, grupos e paixões, sua ânsia de impor-se ao Chefe do Estado e aos governos e sua total irresponsabilidade diante de Deus e dos homens. Pela sua origem e constituiç-o, em ambas as Câmaras, n-o poderia mesmo aspirar a qualquer representaç-o nacional (…)]. (Salazar 1943, 390-392, 199-232) Auf zynische Weise erklärt Salazar in dieser Textstelle, wie es dazu kommen konnte, dass das Regieren unmöglich gemacht wurde. Der referentielle Horizont ist im Vergleich zu (IV.107) und vor allem zu (IV.106) sehr eng. Er umschließt nämlich nur diejenigen, die Portugal zu regieren bestimmt worden waren. Die SE-Diathese ermöglicht es jedoch, diese privilegierte Elite nicht nur nicht zu explizieren, sprich nicht zu fokalisieren, sondern sie nicht einmal in Blick zu nehmen, sie also nicht einmal zu perspektivieren. Träte diese Elite auch nur irgendwie in Erscheinung, so könnte dies durchaus Verweigerung und Missmut auslösen. <?page no="236"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 230 4.8.3.2 SE + V trans + Inf. bzw. SE + V trans + SN Von (IV.109) bis (IV.112) wird das sogenannte passivierende SE, bzw. aus unifizierter Sicht der SE-Diathese, der passivierende Nutzwert der SE-Konstruktionen in unseren Reden auf mögliche diskursstrategische Funktionen hin untersucht. (IV.109) ¿No percibís cómo insidiosa y malévolamente se intenta sembrar dudas y fomentar desconfianzas, dentro y fuera, contra nuestro Movimiento, al tiempo que se lanzan especies de anacrónicas dictaduras militares o de restauración de viejos poderes, intentando hacer ambiente al sistema bicéfalo que esterilizó la obra y facilitó la caída del general Primo de Rivera? (Franco 1939, 18, 397-403) In (IV.109) geht es zum einen um den quintärrealisierten Zweitaktanten von percibís, zum anderen um den notwendigen Relativsatz des komplexen Temporalzirkumstanten. Die zweigliedrige Infinitivkonstruktion sembrar dudas y fomentar desconfianzas ist patientiver Erstaktant bzw. Undergoer von se intenta, im Falle von se lanzan wird diese Funktion des Undergoers von especies de anacrónicas dictaduras militares o de restauración de viejos poderes realisiert. Der jeweilige Agens bzw. Actor ist scheinbar arbeitslos, er ist in der Terminologie der Relationalen Grammatik zum Chômeur geworden. 134 Der Lokalzirkumstant dentro y fuera umreißt den Horizont für den ersten Fall: Die Referenz ist insofern eingeschränkt generisch, als alle Gegner Francos innerhalb und außerhalb Spaniens gemeint sind. Im Falle von se lanzan especies de anacrónicas dictaduras militares o de restauración de viejos poderes ist die Referenz noch eingeschränkter, zumal sie nur jene politisch Potenten betrifft, die die genannten Systeme zu installieren bzw. zu restaurieren versuchen. Die SE-Diathese gestattet es Franco, alle Gemeinten auf diplomatische Weise lediglich ungenannt schattenhaft in Erscheinung treten zu lassen. (IV.110) [Una illusione e una menzogna stanno alle basi dell’interventismo americano: l’illusione che gli Stati Uniti siano ancora una democrazia, mentre sono, di fatto, una oligarchia politico-finanziaria dominata dall’ebraismo, attraverso una forma personale di dittatura; la menzogna che le potenze dell’Asse vogliono attaccare, dopo la gran Bretagna, l’America.] Né a Roma, né a Berlino, si covano fantastici progetti del genere. (Mussolini 1941a, 57- 58, 285-291) In (IV.110) ist fantastici progetti del genere patientiver Erstaktant von si covano. Bei diesen fantastici progetti geht es also darum, dass die Achsenmächte nach Großbritannien auch Amerika ins Visier nehmen könnten. 134 Siller-Runggaldier (2001a, 600 ff.; 2001b, 67) untersucht das Schicksal von Agens und Patiens in der SE-Diathese aus der Sicht der Relationalen Grammatik und erläutert, weshalb ihr die entsprechenden Termini Actor und Undergoer bzw. auch Chômeur für den arbeitslosen Actor aus der Relationalen Grammatik adäquat erscheinen: „Die beiden Begriffe [Actor und Undergoer] scheinen mir zur Bezeichnung der entsprechenden Rollen adäquater zu sein als die Begriffe Agens und Patiens, auch weil sie als Überbegriffe das breite Spektrum aller möglichen semantischen Rollen inkludieren und als Kontinuum fassen“ (Siller-Runggaldier 2001b, 67 Fußnote 11). <?page no="237"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 231 Es ist auch hier wiederum ein Lokalzirkumstant, der den referentiellen Horizont absteckt, nämlich né a Roma, né a Berlino. D.h., die Referenz erstreckt sich auf die politischen Drahtzieher Deutschlands und Italiens. Wer diese Drahtzieher tatsächlich sein könnten, wird dank der SE-Diathese verschwiegen. (IV.111) J’ai tenu à passer au milieu de vous cette journée du 1 er mai, la première depuis l’armistice, afin de bien marquer l’importance que j’attache à l’idée du travail autour de laquelle doit s’opérer, selon moi, la réconciliation de tous les Français. (Pétain 1941d, 127, 2-6) Der zum Chômeur gewordene Actor ist getilgt, la réconciliation de tous les Français ist Undergoer oder patientiver Erstaktant von doit s’opérer. Die attributive Präpositionalgruppe de tous les Français, die la réconciliation determiniert bzw. einschränkt, zeichnet den referentiellen Horizont: es geht um die Versöhnung aller Franzosen. Durch die SE-Diathese gelingt es Pétain, die Versöhnung als von allen Franzosen anzustrebendes und anzupeilendes Ziel darzustellen, ohne von oben herab konkrete Aufgaben oder gar Befehle an explizierte Referenten zu erteilen. (IV.112) [A obra política é sobretudo obra de resultados. (…)] Seja como for, n-o se devem confundir os resultados gerais com dificuldades de momento, os sacrifícios individuais com o bem-estar colectivo que os tornou necessários; e para se fazer o balanço exacto da situaç-o devem ainda ter-se em conta correctamente as circunstâncias em que se desenvolveu. (Salazar 1943, 384, 27-41) N-o se devem confundir regiert den zweigliedrigen patientiven Erstaktanten - oder Undergoer - os resultados gerais [...], os sacrifícios individuais, für se fazer wird dieser eingliedrig durch o balanço exacto mit der attributiven Präpositionalgruppe da situaç-o realisiert und as circunstâncias mit dem notwendigen Relativsatz em que se desenvolveu übernimmt diese Funktion schließlich für den aus einer verbalen Konstruktion bestehenden Phraseologismus 135 devem [...] ter-se em conta. Ausgehend von dem Allgemeingültigkeit beanspruchenden Satz A obra política é sobretudo obra de resultados lässt sich feststellen, dass es keine referentielle Einschränkung durch einen Horizont gibt, dass die Referenz somit absolut zeitlos und generisch ist. Im zweiten und im dritten Fall ist die Referenz zwar ebenfalls eine potentiell generische, sie kann sich aber durchaus auch einfach auf diejenigen beziehen, die sich aktuell ein Bild von der sozio-politischen und ökonomischen Lage Portugals machen wollen. Bedingt durch die SE-Diathese, kann Salazar seine philosophischen Einsichten und politischen Mahnungen generisch formulieren, ohne zu belehrend oder autoritär zu wirken. 135 Ter em conta betrachten wir als fest gefügten und lexikalisierten Phraseologismus und nicht als Funktionsverbgefüge, wobei vor allem die formalen Kriterien aber auch für Letzteres sprechen könnten. Bei ter em conta ist aber nicht nur das Verb weitgehend desemantisiert, sondern es ist vor allem auch das deverbale Substantiv, das mit dem verbalen Basislexem contar, semantisch gesehen, nichts mehr gemeinsam hat, sondern metaphorisch verwendet wird. <?page no="238"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 232 4.8.3.3 SN + SE + V trans In (IV.113) bis (IV.116) nehmen wir die mediale Lesart der SE-Diathese unter die Lupe. Wie oben im Detail ausgeführt, haben wir zunächst das semantische Kriterium zu beachten, nach dem zumindest in metaphorischem Sinne die Tätigkeit aus intrinsischer Kraft des eigentlich patientiven, aber agentiv scheinenden Erstaktanten vorstellbar ist. Der exemplarischen Eindeutigkeit willen ziehen wir außerdem hier nur Beispiele in Betracht, die ferner auch das syntaktische Kriterium der SN + SE + V trans - Serialisierung erfüllen, welche, wie oben dargelegt, nach Gutiérrez-Ordóñez (2004) ein zusätzliches Indiz für den antikausativen, sprich medialen Nutzwert der SE-Diathese darstellt. (IV.113) [(…) se destaca la energía que nuestro pueblo ha revelado en la Cruzada y su voluntad de bien patrio, lo que nos permite mirar serenamente el porvenir, augurando el resurgimiento español, de que es piedra básica la realización de la revolución económicosocial que España espera hace más de un siglo.] La guerra, con sus inseparables consecuencias, fué el único camino de redención que a España se ofrecía si no quería sumirse, por siglos, en el abismo de barbarie y anarquía en que hoy, desgraciadamente, se debaten otros pueblos mártires del Nordeste europeo. (Franco 1939, 8, 24-35) El único camino de redención ist Undergoer und dabei doch agierend wirkender Erstaktant von se ofrecía. Der referentielle Horizont wird durch den Drittaktanten von se ofrecía, nämlich a España gezogen. Wenn sich ein einziger Weg der Erlösung anbietet, so könnte - oder sollte - dies so verstanden werden, dass Spanien metaphorisch in seinem Überlebens- oder Heilswillen aus sich heraus einen Ausweg aus der Misere zustande bringt. Da der Ausweg als Weg der Erlösung bezeichnet wird, könnte die Äußerung Francos im zutiefst katholischen Kontext auch so ausgelegt werden, dass davon auszugehen ist, dass ein diesem Spanien zweifellos wohlwollend gesonnener Gott das Seinige zur Offenbarung dieses Weges der Erlösung beigetragen haben wird. Damit die intrinsische Offenbarung des Weges der Erlösung aber überhaupt eine Chance bekommt wahrgenommen zu werden, bedarf es eines entsprechenden perzeptiven Judikans, der durch Franco und seine Gesinnungsgenossen verkörpert wird. Der Weg der Erlösung scheint sich - auf welche Weise auch immer - Franco kundgetan zu haben. Die SE-Diathese ist gerade hier ein sehr starkes diskursstrategisches Mittel: Der Weg der Erlösung wird durch den Redner mit eigener Heilskraft für Spanien ausgestattet. Die Frage, wer oder was tatsächlich als agentive Kraft dahinter stehen sollte oder könnte, ist weit in den Hintergrund zurückgedrängt und scheinbar völlig irrelevant. (IV.114) [Quello che sto per dirvi è dettato da un senso di coscienza che vorrei chiamare, più che italiano, europeo.] Quando i problemi posti dalla storia sono giunti ad un grado di complicazione tormentosa, la soluzione che si impone è la più semplice, la più logica, la più radicale, quella che noi fascisti chiamiamo totalitaria. (Mussolini 1938b, 145, 56-60) <?page no="239"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 233 Die mediale Lesart betrifft in (IV.114) die SE-diathetische Konstruktion la soluzione[...] si impone. La soluzione ist wiederum zumindest scheinbar handelnder, dem Wesen nach aber doch patientiver Erstaktant - oder Undergoer - von si impone. Der Actor oder die agentive Kraft, die in der entsprechenden aktivdiathetischen kausativen Konstruktion X impone Y bzw. X impone la soluzione argumenthaft als X perspektiviert ist und infolgedessen im Zuge der Syntaktifizierung der Funktor- Argument-Struktur aktantiell zu realisieren, d.h. zu fokalisieren wäre, ist in vorliegender Konstruktion getilgt. Der Geltungsbereich oder referentielle Horizont wird durch den die Passage einleitenden Satz Quello che sto per dirvi è dettato da un senso di coscienza che vorrei chiamare, più che italiano, europeo abgesteckt: Die von Mussolini angedeutete Lösung dränge sich im Grunde ganz Europa auf. La soluzione ist Kernbestandteil einer bestimmten Ideologie, der eine gewisse Eigendynamik und daher auch intrinsisches Potential zugesprochen wird. Der diese sich aufdrängende Lösung registrierende perzeptive Judikans ist Mussolini. Die wahren, diese Lösung konstruierenden Agenzien scheinen kraft SE- Diathese überhaupt nicht vorhanden zu sein, wodurch der Eindruck entsteht, dass die Lösung als systemimmanentes Phänomen geradezu darauf wartete, ohne menschliches Zutun endlich zum Zug zu kommen. (IV.115) [L’Assemblée nationale de juillet 1940 a, elle aussi, librement choisi, lorsqu’elle m’a confié le mandat de faire une nouvelle constitution. La nation française a donc rompu légalement avec un régime que les faits ont condamné et qui est mort de ses fautes.] Mais la guerre se prolonge dans le monde et chacun, pour échapper aux angoisses du présent, se réfugie dans l’espoir d’une fin prochaine de cette lutte cruelle qui met en péril notre civilisation. (Pétain 1943a, 300, 24-32) In (IV.115) ist es la guerre, der Krieg, der in erstaktantieller Funktion aktivisch als sich selbst erhaltend dargestellt wird. In der entsprechenden kausativen aktivdiathetischen Variante müsste spezifiziert werden, wer den Krieg verlängert. Der Horizont wird durch den Lokalzirkumstanten dans le monde festgelegt, implizit wird aber sehr wohl vermittelt, dass nur diejenigen Länder unter dem aktuellen Horizont stehen, die tatsächlich unmittelbar oder auch mittelbar in den Krieg involviert oder aber auch nur auf irgendeine Weise vom Krieg betroffen sind. Mittels SE-Diathese ist es Pétain möglich, auf geschickte diplomatische Weise über die Greuel des Krieges zu lamentieren, ohne diejenigen anklagen zu müssen, mit denen er kollaboriert. (IV.116) Em política os problemas simplificam-se pela delimitaç-o de fronteiras e de poderes. [O princípio é que nem duas soberanias num território nem competência de autoridades para a mesma actuaç-o.] A regra aplica-se também aos territórios coloniais, acerca dos quais algumas ideias correntes est-o longe de ser claras e inofensivas. (Salazar 1943, 411, 760-767) Auf gewohnt unverfängliche und generalisierende Weise erklärt Salazar, wie die politischen Probleme ganz einfach würden und dass seine Patentlösung außerdem auch für koloniale Gebiete gelte. Os problemas ist agentiv wirkender, aber im <?page no="240"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 234 Grunde doch patientiver Erstaktant von simplificam-se und a regra entsprechend von aplica-se. Dadurch scheint es erneut so, als ob sich Probleme von selbst lösten und Gesetze quasi naturgemäße Anwendungsbereiche hätten. Hinsichtlich des Horizonts gibt es für den ersten Fall keine referentielle Einschränkung, der zweite Fall könnte sich u.U. auf die portugiesischen Kolonialgebiete beschränken. Mit Hilfe der SE-Diathese propagiert Salazar seine Lösungsvorschläge für Probleme mitsamt dem von ihm dafür vorgeschlagenen Anwendungsbereich, ohne dass er selbst, also Salazar als de facto dahinterstehender Actor, syntaktisch aktantiell oder auch nur semantisch argumenthaft ins Spiel gebracht wird. 4.8.3.4 SE-Diathesen der anderen Art Wie wir im theoretischen Teil dieses Abschnitts ausgeführt haben, gibt es vor allem diatopisch, diastratisch, aber auch diaphasisch bedingte Konkordanzdifferenzen in SE-diathetischen Konstruktionen. Hinsichtlich der auf SE + V trans + SN - (vgl. 4.8.3.2) bzw. der auf SN + SE + V trans - Struktur (vgl. 4.8.3.3) basierenden SE- Konstruktionen sieht die jeweilige Standardnorm des Italienischen, des Portugiesischen und des Spanischen allerdings die Kongruenz zwischen dem regierenden Verb und dem erstaktantiellen Undergoer vor. In (IV.117) und (IV.118) ist diese - aus welchen Gründen auch immer - nicht gegeben. (IV.119) stellt im Rahmen der hier stattfindenden Untersuchung insofern einen Sonderfall dar, als es sich zwar um eine SE-diathetische Konstruktion im weitesten Sinne handelt, die aber, dem Französischen entsprechend, also systemgemäß, über ein sujet apparent verfügt. (IV.117) No son ya sólo nuestras voces las que se alzan invocando la espiritualidad, son las de los hombres más representativos del mundo las que piden la vuelta de una espiritualidad que en medio de un caos y de unas tinieblas no pueden encontrarse más que bajo la luz del Evangelio. (Franco 1945c, 617, 27-31) Der syntaktischen Konstruktion zufolge müsste sich no pueden encontrarse auf las voces beziehen, was aber absolut unlogisch wäre. Es muss sich auf una espiritualidad beziehen, denn was sich nur noch im Lichte des Evangeliums finden lässt, muss logischerweise genannte Spiritualität sein und nicht etwa irgendwelche Stimmen. Die SE-Konstruktion aus (IV.117) verfügte sozusagen über passivierenden Nutzwert, stimmte die konjugierte Form des Verbs poder mit una espiritualidad überein. Es könnte nun so sein, dass hier in etwa analog zu Si credevano trovarlo morto (vgl. Fici Giusti 1998, 66) ein pluralischer generischer durch SE spezifizierter Agens angenommen wird. (IV.118) [Tuttavia, se tali comandanti (i comandanti delle Armate schierate oltre frontiera) evitarono il peggio, cioè l’estrema infamia, che sarebbe consistita nell’attaccare a tergo gli alleati di tre anni, la loro condotta dal punto di vista nazionale è stata nefasta. Essi dovevano, ascoltando la voce della coscienza e dell’onore, schierarsi armi e bagaglio dalla parte dell’alleato: avrebbero mantenuto le nostre posizioni territoriali e politiche; la nostra bandiera non sarebbe stata ammainata in terre dove tanto sangue italiano era stato sparso; le Armate avrebbero <?page no="241"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 235 conservato la loro organica costituzione; ] si sarebbe evitato l’internamento coatto di centinaia di migliaia di soldati e le loro grandi sofferenze di natura soprattutto morale. (Mussolini 1944, 127, 53-62) Der patientive postverbal gesetzte Erstaktant der SE-Konstruktion in (IV.118) ist l’internamento coatto di centinaia di migliaia di soldati e le loro grandi sofferenze di natura soprattutto morale, der ein zweigliedriger ist und dessen zweites Glied allein schon pluralisch ist. Die normkonforme Konkordanz in dieser Textstelle wäre folglich si sarebbero evitati […]. Die der Konkordanz zwischen regierendem Verb und dem davon abhängigen Undergoer entbehrende Formulierung dieser Passage erweckt aber den Eindruck, als ob Mussolini hier SE, also si, sehr wohl als unpersönliches Subjekt, ganz im Sinne von deutsch man oder französisch on, verstünde. (IV.119) [Aux agriculteurs, je demande instamment, une fois assurée leur subsistance, de livrer exactement leurs produits à la consommation, et aux consommateurs, de se plier volontairement aux réglementations qu’impose la dureté du temps présent.] Il s’agit d’une discipline vitale pour tous. (Pétain 1941c, 123, 23-27) Koch (1995, 121) bezeichnet il in den unpersönlichen Konstruktionen des Französischen als keinen vollgültigen kommutierenden Subjekt-Ausdruck, so wie auch es in den unpersönlichen Konstruktionen des Deutschen kein echter Aktant sei (Koch 1996, 220). Welke (1988a, 50) betrachtet dieses zum französischen il analoge deutsche es als formal-grammatische, nicht aber als semantische Ergänzung, 136 und Ágel (1995, 14) sieht in diesem unpersönlichen es als makrorealisiertem Kategoremwort eine Valenzleiche. 137 Syntaktisch gesehen haben allerdings sowohl es als auch il Satzgliedstatus (vgl. Siller-Runggaldier 2001a, 605), zumal sie - im Gegensatz zu SE im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen - sehr wohl die Funktion des grammatischen Subjekts erfüllen. Es handelt sich sowohl beim deutschen es als auch beim französischen il der unpersönlichen Konstruktionen um formale Subjektergänzungen (vgl. Nikula 2006, 917), 138 die innere Subjekte (vgl. Busse 1974, 198) 139 spezifizieren. In Bezug auf Il s’agit d’une discipline vitale pour tous aus (IV.119) stellt sich nun zum einen die Frage, worauf sich das SE, das auf die ein inneres Subjekt spezifizierende Valenzleiche il folgt, bezieht und zum anderen, welche Funktion die Präpositionalergänzung d’une discipline vitale pour tous erfüllt. Nach Busse (1974, 199) 136 Páhi (1999, 72 ff.) bezeichnet es etwa in es regnet ebenfalls nicht als Erstaktant, sondern als Valenzträger in sich selbst, es + -t seien völlig grammatikalisiert und bildeten einen diskontinuierlichen Valenzträger. Für das Französische wäre dafür entsprechend il + dritte Person Singular anzusetzen. 137 Valenzleiche bedeutet bei Ágel (1995, 14) unechte strukturelle Valenzrealisierung. 138 Als Beispiele hierfür nennt Nikula (2006) u.a. es hapert, es bleibt bei, il s’agit, il manque. 139 „Aber genau so wenig, wie die Verben mit innerem Objekt als transitive Verben interpretiert werden können, da das innere Objekt nur den Verbalinhalt noch einmal artikuliert, also keinen wirklichen Bezug des Verbs bildet, genau so wenig liegt bei dem il der unpersönlichen Verben ein Bezug des Verbs vor. Il repräsentiert eine Art inneres Subjekt [...]“ (Busse 1974, 198). <?page no="242"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 236 kann die von agir regierte Präpositionalergänzung „nicht als Subjekt, sondern höchstens als Objekt eines unpersönlichen Verbs interpretiert werden.“ 140 Im vorliegenden Fall haben wir es offensichtlich mit einem präpositionalen Drittaktanten zu tun und was das SE dieses Satzes anbelangt, se also als indice réfléchi, stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Pseudoreflexivmarker handelt, der keinesfalls die aktantielle Realisierung eines Arguments repräsentiert. Die Unpersönlichkeit dieser Konstruktion ist also allein auf das non-referentielle il zurückzuführen und hat nichts mit dem SE zu tun. 4.8.4 Die kausative Diathese Oben bezeichneten wir die kausative und die rezessive Diathese als die zwei komplementären Varianten oder Perspektiven, die ergative Verben zur Disposition stellen. Wie wir bei der Betrachtung der rezessiven Diathese gesehen haben, ist ein Merkmal der kausativen Verben, dass, wenn der agentive Erstaktant der kausativen Konstruktion - der Instigator sozusagen - getilgt wird, der Zweitaktant in die Position des getilgten Erstaktanten aufrückt, was zur rezessiven Diathese führt. 141 Es wäre allerdings zu eng gesehen, wenn man nur jeweils die eine Variante der polyvalenten Systemvalenzträger (vgl. Ágel in 4.8.2) bzw. eben nur die in Opposition zur rezessiven Variante stehende kausative Variante von jeweils zwei homonymen Valenzträgern als kausative Verben betrachtete, hatte doch Tesnière ( 2 1965, 260 ff.) bereits ein viel umfassenderes Konzept der Kausativa. Tesnière beschreibt kausativ nämlich folgendermaßen: „Si le nombre des actants est augmenté d’une unité, on dit que le nouveau verbe est causatif par rapport à l’ancien […]“ und weiter unten präzisiert er „le nouvel actant à valeur d’instigateur […] entraîne dans tous les verbes causatifs la présence d’une valence de plus que dans les verbes non causatifs correspondants“ (Tesnière 2 1965, 265). Es ist hier also keine Rede davon, dass ein Kausativum notwendigerweise die homonyme Variante des entsprechenden Rezessivums sein müsste. Es geht vielmehr darum, dass das hinzukommende als Aktant realisierte Argument, also der Instigator, dasjenige ist, das die Handlung verursacht bzw. das Geschehen auslöst, und zwar unabhängig von formalen Bedingungen. „Renverser est le causatif de tomber, montrer est le causatif de voir“, erklärt Tesnière ( 2 1965, 260). Dementsprechend sind folgende Ableitungen zu sehen: La chaise tombe < Albert fait que la chaise tombe bzw. Albert fait tomber la chaise < Albert renverse la chaise und Étienne voit les photos < Albert fait qu’Étienne voie les photos bzw. Albert fait voir les photos à Étienne < Albert montre les photos à 140 Zu unterscheiden sei demnach nach Busse zwischen unpersönlichen Verben ohne Subjekt, die aber ein Objekt regieren und „allen anderen Verben“ (Busse 1974, 199), womit hier wohl alle anderen unpersönlichen Verben bzw. Konstruktionen mit postverbalem sujet réel und präverbalem sujet à la il manque beaucoup d’argent oder il manque trois livres gemeint zu sein scheinen. 141 Dies demonstriert Gutiérrez Ordóñez (2004, 157 ff.) u.a. an den Beispielen Mamá hervía la leche La leche hervía; El presidente concluyó la sesión La sesión concluyó; El gerente mejoró los resultados Los resultados mejoraron; El antibiótico bajó la fiebre La fiebre bajó; La tensión enloqueció a la familia La familia enloqueció. <?page no="243"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 237 Étienne. 142 In derartigen Fällen geht es um Suppletivbeziehungen zwischen den entsprechenden zueinander in Opposition stehenden Verben, wie hier zwischen tomber und renverser oder voir und montrer, aber auch etwa zwischen mourir und tuer, die jeweils keine formale Relation zueinander aufweisen. Das Kausativum als komplementäre Variante zum Rezessivum auf der Grundlage eines Systemvalenzträgers, der als ergativer eben beide Varianten zur Disposition stellt, wird insgesamt als Sonderfall der Kausativa betrachtet (vgl. Glück 2 2000, 338). Für das Deutsche unterscheidet man, abgesehen vom Sonderfall der aus den ergativen Verben stammenden Kausativa, grob zwischen analytischen, morphologischen und lexikalischen Kausativa (vgl. Glück 2 2000, 338), 143 was allerdings - ausgenommen die ohnedies auch im Deutschen nicht mehr produktive Kausativierung durch Vokalwechsel - auch weitgehend auf die romanischen Sprachen zuzutreffen scheint. Allgemein formuliert, sind Kausativa „Veranlassungsverben“ (Eisenberg et al. 6 1998, 478), die eine Handlung und eo ipso eine Relation zwischen Kausalität und Effekt ausdrücken. Sie bezeichnen zugleich den Vorgang des Verursachens und den eingetretenen Effekt. Kausativa oder Faktitiva verknüpfen sozusagen zwei Äußerungen kausal zu „einer einheitlichen komplexen Makrosituation“, wie die Beispiele a) Fritz wacht auf und b) Werner weckt Fritz deutlich machen (Glück 2 2000, 338). Als Untergruppe der agentiven Verben sind die kausativen Verben generell als jene zu sehen, die durch die Periphrase mit kausativem Machen/ Lassen bzw. faire, fare, fazer, hacer etc. + Vollverb ersetzt werden können. 144 Gerade in den romanischen Sprachen regieren kausative Verben, die a priori einen durchaus prototypischen Erstaktanten mit den typischen Eigenschaften der „Agent Proto-Role“ (Dowty 1991, 572; vgl. auch Keenan 1976, 312 ff.) erwarten 142 Die Erhöhung der Wertigkeit demonstriert Tesnière ( 2 1965, 265 ff.) an folgenden Beispielen: nullwertig > einwertig: Il pleut La condensation de la vapeur d’eau fait pleuvoir; einwertig > zweiwertig: Bernard tombe Alfred fait tomber Bernard; zweiwertig > dreiwertig: Bernard frappe Alfred Charles fait frapper Alfred par Bernard; dreiwertig > vierwertig: Charles donne le livre à Alfred Daniel fait donner le livre à Alfred par Charles; auffällig ist hier jedoch, dass Tesnière die fakultativen agentiven Angaben als Aktanten wertet, wobei in der Passivdiathese der Erstaktant aus der Aktivdiathese als Agentiv der entsprechenden Passivdiathese zumindest den Status als obligatorischer Aktant eingebüßt hat „el agente, o bien se elimina, o bien aparece como circunstancial, es decir, como complemento periférico” (Gutiérrez Ordóñez 2004, 153). 143 Analytische Kausativa werden mit dem kausativen Hilfsverb machen bzw. lassen gebildet, morphologische Kausativa durch Präfigierung oder prinzipiell auch durch Vokaländerung. Falls das Muster der entsprechenden Vokaländerung allerdings nicht mehr produktiv ist, wie im Großteil der Fälle, beispielsweise bei fallen vs. fällen; springen vs. sprengen; schwimmen vs. schwemmen, werden diese aber bereits zu den lexikalischen Kausativa gezählt, zu denen ferner auch jene Kausativa gehören, die aus den zueinander in Suppletivbeziehung stehenden Verbpaaren oder -oppositionen gehören, die, wie oben erwähnt, keine formale Relation zueinander aufweisen (vgl. Glück, 2 2000, 338). 144 Gutiérrez Ordóñez (2004, 157) illustriert dies an den Beispielen: María coció el pescado María hizo que el pescado cociera; Juan alegró a sus hijos Juan hizo que sus hijos se alegraran; Luis explosionó la bomba Luis hizo que la bomba explosionara. <?page no="244"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 238 lassen würden, häufig Erstaktanten, die auf Argumentebene die semantischen Merkmale [- viv], [- hum] und [- vol] aufweisen, was Blumenthal (vgl. 1982, 152 ff.) speziell für das Italienische und das Französische nachweist. „Le français baigne dans la causalité,“ resümiert er, macht dies aber ähnlich für das Italienische geltend. Im Folgenden untersuchen wir exemplarisch die Verwendung kausativer Verben in der politischen Rede. Es soll die Frage der Valenzpotenz beleuchtet und im Anschluss daran geklärt werden, welche politisch-pragmatischen Möglichkeiten derartige Konstruktionen als diskursive Strategien dem Redner bieten. In unserer Untersuchung scheint erstens der Sonderfall der sich aus den ergativen Verben ergebenden Kausativa als Homonyme der zu diesen in Opposition stehenden Rezessiva und zweitens die Gruppe der mittels Auxiliarverben gebildeten analytischen Kausativa von besonderem Interesse. Erstere erscheinen deshalb besonders relevant, weil sie die zu den bereits betrachteten Rezessiva komplementäre Gruppe darstellen, und Letztere, weil sie die Valenzerhöhung besonders deutlich zeigen. 4.8.4.1 Die kausative Realisierung ergativer Verben (IV.120) [(...) y luego habían de decir los guerreros: ] « Nosotros mejoraremos las condiciones de esos vuestros talleres para que en ellos podáis seguir fabricando los vestidos de vuestros maridos y de vuestros padres. » (Franco 1938, 65, 13-16) (IV.94) illustrierte die rezessive Verwendung von migliorare mit dem Satzbauplan N - V. Spanisch mejorar verfügt als analoges ergatives Verb ebenfalls über den Satzbauplan „0“ für den rezessiven Gebrauch sowie über den Satzbauplan „01“ (Rall/ Rall/ Zorilla 2 1980, 245) für den kausativen Gebrauch. In (IV.120) ist das Verb mejorar kausativ verwendet. Der Erstaktant ist primär- und tertiärrealisiert, der Zweitaktant ist quartärrealisiert. In dieser Textstelle wird zum einen bereits durch das kausative mejorar, das den Instigator als Erstaktanten regiert, und zum anderen durch die doppelte Realisierung desselben auf diesen besonderes Augenmerk gelegt, er wird perspektiviert, fokalisiert und dadurch bis zu einem gewissen Grad auch fokussiert. Franco könnte die Soldaten auch mittels detransitiviertem mejorar sagen lassen, mejorarán las condiciones de vuestros talleres. Hier geht es jedoch um positiv konnotiertes Engagement, das die Initiative der Soldaten als lobenswerte Haltung unterstreichen sollte, was die kausative Verwendung des Verbs mit zusätzlich durch Tertiärrealisierung fokussiertem Erstaktanten plausibel macht. (IV.121) [Vennero i trattati di pace: quello di Versaglia prima, quello di San Germano poi, che imposero - questa è la parola! - imposero all’Austria di rimanere indipendente. Ma l’imposizione appare fino d’allora così assurda e al tempo stesso così precaria, che si lasciò uno spiraglio aperto sull’avvenire: l’Austria, caso mai visto nella storia dei popoli, avrebbe potuto « alienare la sua indipendenza » col consenso del Consiglio della Società delle nazioni.] È in questo modo che l’Austria inizia la sua vita di Stato indipendente, sotto il dominio interno della socialdemocrazia. (Mussolini 1938a, 67-68, 33-41) <?page no="245"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 239 Der Satzbauplan der rezessiven Variante von iniziare ist N - V - ( con Avv modo ) - (Avv temp ), jener der kausativen N - V - N1 - ( con Avv modo / Ger) - (Avv temp ) (Blumenthal/ Rovere 1998, 585). L’Austria, also Österreich als generalisierende Synekdoche, initiiert selbst oder fängt selbst sein eigenes Dasein als unabhängiger Staat unter sozialdemokratischer Herrschaft an. Es heißt dezidiert nicht Inizia la sua vita di Stato indipendente, was auf rezessive Weise als sein Dasein beginnt oder es beginnt sein Dasein zu verstehen wäre, sondern Österreich selbst ist der erstaktantielle agentive Instigator. Dadurch wird implizit und global Österreich die Verantwortung für die sich daraus ergebenden Folgen zugeschrieben. (IV.122) [Les crises agricoles du passé sont nées de l’absence d’une vraie politique terrienne. En réalité, la condition paysanne était dédaignée, l’enseignement agricole insuffisant.] Le régime nouveau veut changer tout cela. (Pétain 1941c, 125, 83-86) Changer im rezessiven Sinne von sich verändern impliziert den Satzbauplan N - V, im kausativen Sinne von etwas verändern hingegen N - V - N (Busse/ Dubost 2 1983, 44). Sagte Pétain Tout cela changera, so bliebe der Auslöser der angeblich hoffnungsvollen Veränderungen im Dunkeln bzw. völlig in der Anonymität. Pétain geht es aber offensichtlich gerade darum, die Assoziation zwischen dem neuen Regime und den hoffnungsvollen Veränderungen herzustellen und im Bewusstsein der Zuhörerschaft zu verankern, was die kausative Verwendung des Verbs changer in diesem Zusammenhang durchaus einleuchtend erscheinen lässt. (IV.123) Assim servireis - na guerra ou na paz: na guerra que nos seja imposta para garantir a liberdade da terra que lavramos ou a continuida da Revoluç-o que iniciámos; na paz que ardentemente desejamos, pois temos necessidade de continuar trabalhando pela elevaç-o e prosperidade material do povo, e porque acima de tudo proclamamos a fé num património espiritual que a violência brutalmente devastaria. (Salazar 1939b, 162-163, 95-103) Der Satzbauplan Nc - V indiziert die rezessive Bedeutung von continuar, Nc/ Np - V - N dagegen die kausative (Busse 1994, 129-130). Salazar könnte sagen O trabalho vai continuar […] bzw. È necessario que o trabalho continue […] und damit, ohne den Agens bzw. den Instigator zu perspektivieren und zu fokalisieren, zum Ausdruck bringen, dass die Arbeit notwendigerweise weitergehen werde. Salazar verwendet aber die kausative Konstruktion und expliziert dadurch, wer die Arbeit fortsetzen werde. Der Infinitiv continuar der periphrastischen Konstruktion ter necessidade de fazer alguma coisa, hier de continuar trabalhando, bezieht auf semantischer Ebene den Agens aus seinem Regens temos der Kollokation temos necessidade de. Es handelt sich dabei also um die erste Person Plural, die auf semantisch-pragmatischer Ebene im vorliegenden Fall ein inkludierendes Wir darstellt. Der Zuhörerschaft wird auf diese Weise implizit der Auftrag zur Fortsetzung der Arbeit erteilt. <?page no="246"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 240 4.8.4.2 Analytische Kausativa Wie oben bereits erwähnt, führt auch die Kausativierung mittels Auxiliarverben wie faire, fare, fazer, hacer etc. zu Valenzerweiterung. Ein nullwertiges Verb - im Sinne Tesnières - wird einwertig, ein einwertiges wird zweiwertig, ein zweiwertiges wird dreiwertig und ein dreiwertiges wird vierwertig (vgl. Tesnière 2 1965, 260 ff.). 145 (IV.124) La revolución española no puede comprenderse sin conocer el estado político, económico y social que la precedió, sin el análisis de un siglo de desdichas, que ya hace más de cuarenta y cinco años hacía exclamar a aquel gran patriota que se llamó don Antonio Maura aquellas frases de que « la revolución era de todo punto necesaria para la vida del país ». (Franco 1945a, 10, 48-53) Die Dreiwertigkeit der Verbalperiphrase hacer exclamar in (IV.124) entsteht auf folgende Weise: x exclama y z hace exclamar y a x: Cause z ist un siglo de desdichas als Vorgeschichte der Revolution, der Patiens y ist aquellas frases [...] und der Agens x der Handlung des Ausrufens ist Antonio Maura. Der Sachverhalt, der das komplexe Prädikat hace exclamar dreiwertig macht, ist der, dass Cause z Erstaktant dieses komplexen Prädikats ist und der semantisch-pragmatische Agens x des Ausrufens, nämlich aquel gran patriota que se llamó don Antonio Maura, dadurch als Drittaktant in Erscheinung tritt. Vordergründig entsteht auf diese Weise der Eindruck, dass es eine mehr oder weniger logische, aus der Geschichte resultierende Notwendigkeit war, aus der sich die Revolution quasi zwangsläufig ergab. Es war so gesehen Antonio Maura, der diese Notwendigkeit erkannte und schließlich ausformulierte bzw. auf den Punkt brachte. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass diese Darstellung der zutiefst persönlichen und subjektiven Sichtweise Francos entstammt. (IV.125) Coloro i quali fanno credere che noi abbiamo obbedito a imitazioni, o, peggio, a suggestioni, sono dei poveri deficenti ai quali non sappiamo se dirigere il nostro disprezzo o la nostra pietà. (Mussolini 1938b, 146, 82-84) Die Valenzpotenz der Verbalperiphrase far credere bildet sich analog zu (IV.124) folgendermaßen: x crede y z fa credere y a x: Cause z ist das nicht näher präzisierte coloro, der Patiens y wird durch che noi abbiamo obbedito a imitazioni, o, peggio, a suggestioni quintärrealisiert und das sich vom Erstzum Drittaktanten wandelnde x denotiert in der jeweiligen syntaktischen Funktion diejenigen, die dem Gesagten Glauben schenken. Der Nutzen, den der Redner aus der faktitiven Konstruktion dieser Textstelle zieht, ist der, dass er wahrscheinlich relativ unbemerkt den Drittaktanten, der 145 Tesnières ( 2 1965, 260 ff.) Beispiele dazu sind u.a. a) Alfred meurt Bernard fait mourir Alfred; b) Alfred apprend la grammaire Charles fait apprendre la grammaire à Alfred; c) Charles donne le livre à Alfred Daniel fait donner le livre à Alfred par Charles. In a) wird der Erstaktant zum Zweitaktanten, in b) wird der Erstaktant zum Drittaktanten und in c) wird der Erstaktant zum Viertaktanten. Wie bereits mehrfach angesprochen, scheint es aber wohl eher so zu sein, dass der Agentiv par Charles in c) Zirkumstantenstatus hat. Keinesfalls handelt es sich - syntaktisch gesehen - um einen obligatorischen Aktanten. <?page no="247"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 241 aufgrund der Dreiwertigkeit der periphrastischen Konstruktion sehr wohl perspektiviert ist, nicht spezifiziert und dadurch auch keine Beweisführung antreten muss, um zu belegen, dass das durch y Denotierte tatsächlich gesagt und geglaubt wird und somit tatsächlich derartige Manipulationen stattfinden. (IV.126) Più tardi il Führer mi fece pervenire una edizione veramente monumentale delle opere di Nietzsche. (Mussolini 1943, 2, 30-32) Der Funktor pervenire perspektiviert gemäß Satzbauplan N - V - (N2/ a N3) - (Avvtemp ) (Blumenthal/ Rovere 1998, 776) ein obligatorisches patientives erstes Argument. Ein drittes Argument ist genauso fakultativ, wie es eventuelle Zirkumstanten wären. Durch die Kausativierung x perviene a y z fa pervenire x a y wird die den Führer spezifizierende Cause z topikalisiert, doch der Agens als derjenige, der tatsächlich dafür Sorge trug, dass Mussolini das Werk erhielt, ist ausgeblendet. Der ursprünglich patientive Erstaktant x, nämlich die angesprochene Nietzsche Ausgabe, wird in der kausativen Konstruktion zum patientiven Zweitaktanten und der Adressat y, im vorliegenden Fall Mussolini selbst, ist Drittaktant. Auch in dieser Passage geht es offensichtlich darum, Cause z, sprich den Führer, zu fokussieren, bzw. ihn auf metonymische Weise für Großherzigkeit und ideologische Vorbildhaftigkeit als erstes Argument in Blick zu nehmen. Wer Mussolini tatsächlich das Werk schickte, ist irrelevant und daher auch kein Thema. (IV.127) Dans mon message du 10 octobre dernier, je vous ai dit que l’on ne peut faire disparaître la lutte des classes, qu’en faisant disparaître les causes qui ont dressé ces classes les unes contre les autres. (Pétain 1941a, 110, 2-5) In der kausativen Diathese wird das a priori einwertige disparaître mit dem Satzbauplan N - V - ((de) qp) (Busse/ Dubost 2 1983, 100) obigen Ausführungen zufolge nach dem Muster y disparaît z fait disparaître y zweiwertig. Als Erstaktant des komplexen Prädikats pouvoir faire disparaître repräsentiert das generische on in (IV.127) den Instigator oder Auslöser z, der sich semantisch zugleich auch auf die Konstruktion en faisant disparaître erstreckt. In der faktitiven Konstruktion ist la lutte des classes patientiver Zweitaktant. In der entsprechenden nicht-faktitiven Konstruktion y disparaît hingegen realisierte la lutte des classes einen patientiven Erstaktanten. Indem Cause, also eine Ursache, für das Verschwinden des Klassenkampfes durch ein analytisches Kausativum eingeführt, d.h. perspektiviert und fokalisiert wird, soll betont werden, dass es sehr wohl eine Art agentive Kraft oder Force gibt, die dies verursachen kann. Dass der Erstaktant letztlich durch das unpersönliche on sehr vage spezifiziert wird, ist einstweilen sekundär. In der rezessiven Diathese ist genau das Gegenteil davon der Fall, das Verschwinden wird als ein nichtkontrollierbares, quasi schicksalshaftes und autonomes Phänomen dargestellt. Aus pragmatischer Perspektive kann Pétains Formulierung so verstanden werden, dass sich menschliche Anstrengung durchaus lohnt, um den destruktiven Klassenkampf verschwinden zu lassen, um gemeinsam - mit Pétain - für die wohl von ihm vorgegebenen Ideale einzustehen und zu kämpfen. <?page no="248"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 242 (IV.128) [Umas (dificuldades e preocupações) teriam nascido de um sentido porventura exagerado de independência, outras de uma noç-o porventura excessiva de correcç-o ou dignidade externa.] Mas a principal fonte de dificuldades estava no choque, aliás natural e inevitável, de duas concepções - a do beligerante, que pretende instituir e fazer aceitar o seu direito de guerra, e a do neutro, cuja situaç-o só pode defender-se com o direito da paz. (Salazar 1945b, 105-106, 122-130) In der kausativen Konstruktion von (IV.128) geht es darum, [que a concepç-o] „do beligerante, [...] pretende [...] fazer aceitar o seu direito de guerra.“ Das zweiwertige aceitar, Np - V - Nc (Busse 1994, 10), wird in der kausativen Diathese durch den hinzukommenden Instigator z nach dem Muster x aceita y z faz aceitar y a x dreiwertig, der ursprüngliche Erstaktant x wird in der kausativen Variante zum Drittaktanten, der allerdings im vorliegenden Fall nur noch perspektiviert, nicht aber fokalisiert wird. Dadurch, dass der Adressat oder Destinator des fazer aceitar o seu direito de guerra unspezifiziert, d.h. nicht fokalisiert und somit ungenannt bleibt, handelt es sich hier um eine generelle, vage und im Grunde nicht überprüfbare Behauptung, die auf einer abstrakten Ebene wohl nur scheinbar Schwierigkeiten und Sorgen erklärt. (IV.129) [Estavam na doutrina nazista incluídos dois conceitos: o de Estado totalitário, a cuja potência e a cujos fins tudo estava subordinado - o trabalho, a inteligência, a liberdade da consciência humana, coisas mais preciosas do que a mesma vida; o de Estado hegemónico na organizaç-o da sociedade internacional, fundado na superioridade racial, de cultura e de força, entre nações dependentes, cuja segurança e destino deviam ser garantidos pelo primeiro. E tudo o mais era redutível a isto. (…)] Em tal sistema de doutrinas a deificaç-o do Estado fazia correr sérios riscos à dignidade humana e tornou, pela prática, instável e perigosa a vida internacional. [Mas nós n-o temos de lançar-lhe agora uma pedra.] (Salazar 1945b, 114-115, 360-380) In A dignidade humana corre sérios riscos ist correr zweiwertig, in der kausativen Diathese A deificaç-o do Estado fazia correr sérios riscos à dignidade humana wiederum dreiwertig. In Busse (1994, 133) ist dafür nur Np - V - N notiert. Sollten Abstrakta unter coisa subsumiert werden, dann müsste zumindest Np/ Nc - V - N stehen. Für die kausative Variante gilt wieder nach dem Schema x corre y z faz correr y a x, dass durch die Besetzung der Position des ersten Argumentes durch den neuen Erstaktanten a deificaç-o do Estado der ursprüngliche Erstaktant a dignidade humana in die Position des Drittaktanten verschoben wird. Salazar kritisiert zwar diese Vergötterung des Staates, seine diplomatische Vorsicht und seine zumindest in den Reden niemals eindeutig zu lokalisierende ideologische Position verbieten es ihm aber offensichtlich strengstens, diejenigen zu benennen, die sich als erste Vertreter dieser Staaten selbst zu Göttern machen. (IV.130) N-o sei porquê, mas a liberdade e independência da Espanha parecem ser postulado da política portuguesa; e na última crise mais uma vez se fez ouvir a voz da História e Portugal se manteve fiel à tradiç-o. (Salazar 1939a, 147, 265-270) <?page no="249"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 243 In (IV.130) sind die morphosyntaktischen und semantischen Gegebenheiten im Vergleich zu den vorangehenden Auszügen insofern verändert, als der Instigator bzw. Cause mit Source nach dem Schema x ouve y y faz ouvir y a x identisch ist. In der faktitiven Konstruktion se fez ouvir a voz da História ist a voz da História syntaktisch-semantisch gesehen zugleich agentiver Erstaktant und patientiver Zweitaktant. Erstaktant und Zweitaktant sind allerdings nicht wirklich als zwei voneinander getrennte Entitäten wahrnehmbar, der Transitivitätsgrad ist infolgedessen relativ gering. Es handelt sich bei derartigen Konstruktionen um Passivperiphrasen, die sich aus einer faktitiven und einer reflexiven Diathese zusammensetzen (vgl. Wüest 1998, 134). 146 Tesnière ( 2 1965, 265) bemerkt dazu, „[qu’] il y a simplement lieu d’observer que les factitifs réfléchis de ce type ont une valeur stylistique particulière, du fait que le renvoi anaphorique vise l’instigateur et non l’agent de l’action.“ Diese Konstruktion erlaubt es dem Redner allemal zu verschweigen, wer oder was tatsächlich agentiv die Stimme der Geschichte erklingen lässt bzw. hörbar macht. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Geschichte als hohe, nicht zu hinterfragende Autorität von sich heraus und durch sich selbst zu Wort gemeldet hätte. Die sich mit Salazar zumindest teilweise in einem virtuellen Dialog befindende Zuhörerschaft dürfte es sehr schwer haben, schlagkräftige Argumente gegen jenes der Autorität der Historie vorzubringen. 4.8.5 Deverbale Substantive Der sprachliche Stil eines Textes, sei es ein geschriebener oder ein gesprochener, kann nach verschiedenen Kriterien beschrieben und analysiert werden. Ein Kriterium, nämlich das für uns hier relevante, ist jenes, nach dem er entweder als Verbalstil oder als Nominalstil identifiziert, charakterisiert bzw. klassifiziert wird. Grosso modo ist der Verbalstil durch den vorrangigen Gebrauch finiter Verben geprägt, während der Nominalstil, der Bezeichnung entsprechend, durch die hohe Frequenz von Nomina gekennzeichnet ist. Der Nominalstil kann als eine Art verdichtete Bauweise angesehen werden, in der es keinen Platz mehr für Modus, Tempus, Person und Numerus gibt (vgl. Lüdtke 1978, 62). Diese Strategie der Ökonomisierung und Komprimierung geht allerdings einerseits auf Kosten der Präzision und Eindeutigkeit, 147 andererseits ist sie aber dem Ausdruck des Unpersönlichen dienlich. 148 Durch den Nominalstil wird gewissermaßen Anspruch auf anonyme Allgemeingültigkeit erhoben. 146 Wüest (1998) untersucht derartige kombinatorische Konstruktionen am Beispiel des Französischen, nämlich jene von se faire, se laisser, se voir, s’entendre + Infinitiv. 147 Die Ökonomisierung und Komprimierung „se font au détriment de certaines informations et d’une certaine précision.“ Sie führe u.a. mitunter zur „élimination […] des circonstants, des compléments et même de l’agent“ (Moirand 1975, 67). 148 Nach Wells (1966, 217) ist ein Hauptcharakteristikum des Nominalstils „[that] it helps impersonality“, weshalb der Nominalstil gerade auch in wissenschaftlichen Texten Verwendung finde. <?page no="250"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 244 A priori besteht zunächst also ein gewisses Konkurrenzverhältnis zwischen Verbalstil und Nominalstil. Da im Nominalstil die finiten Verben reduziert sind und daher nur eingeschränkt für Prädikationen 149 zur Verfügung stehen, sind es die Nomina, die in diesem Falle (auch) diese Funktion zu übernehmen haben. 150 Nicht jedes Nomen ist nun aber offensichtlich dafür geeignet, sondern es sind vor allem die deverbalen Substantive, die erst aufgrund ihrer Argumentstruktur dazu imstande sind und um die es uns hier ausschließlich geht. 151 Die Überführung der verbalen Kategorie in die substantivische heißt in der Terminologie Tesnières I > O Translation. Die beiden wichtigsten Derivationsty- 149 Gerade in der Satzsemantik ist nicht die lexikalische, sondern die funktionale Kategorie entscheidend. Dazu Polenz ( 2 1985, 159): „In der Satzsemantik geht es [...] nicht um Verbklassen, sondern um Prädikatsklassen, bei deren Realisierung neben Verben auch adjektivische und substantivische Prädikatsausdrücke zu berücksichtigen sind.“ Auch Koch (1981, 105 ff.) geht davon aus, dass es auch bei anderen Wortarten als dem Verb semantische Valenz gibt: „alle Prädikatoren können Leerstellen besitzen. Adjektive und Gattungsnamen, die sekundär prädikativ verwendet werden, sind durch die Kopula dazu befähigt, genau wie Verben Leerstellen für nennende Ausdrücke zu eröffnen. Man denke an die große Anzahl relationaler (d.h. mehrwertiger) Adjektive (z.B. (être) exempt de, (être) apte à). Ein weiterer Fall, wo man von der Valenz auch von Substantiven sprechen kann, sind bestimmte Universaliennamen (la grandeur de qn, l’application de qch à qch usw.). Die entsprechenden Prädikatoren treten hier zum Zwecke des Nennens in substantivierter Form auf, behalten aber ihre Valenz - wenigstens teilweise - bei. 150 Lüdtke (1978, 5) geht davon aus, dass Nominalisierungen erst dann als „autonomer Bereich der Wortbildung“ bestimmt werden können, wenn man die Prädikativität als unterscheidenden Zug hinzunimmt, wobei dann aber auch die nomina acti bzw. die Virtueme nach Pottier (1964, 128 ff.; 2 1971, 84 ff.) auszuschließen sind. Ferner betont Lüdtke (1978), dass die Nominalisierung durch Suffigierung von jener durch Zusammensetzung zu trennen sei. 151 Aus diesem Grunde werden wir hier auch nicht näher auf die prinzipielle und schon oft diskutierte Frage der Valenz originärer Substantive, seien diese nun relational und verfügen dadurch mindestens über eine Valenzrelation oder absolut und verfügen deshalb über keine Valenzrelation (vgl. Ágel 2000, 64 ff.), eingehen. Bondzio zählt zu den vehementesten Verfechtern jener Auffassung, dass „die Wortart für die Existenz von Leerstellen irrelevant“ (Bondzio 1971, 90) sei, dass man Valenz als „Eigenschaft von Wortbedeutungen“ (Bondzio 1993, 28) qualifizieren müsse und dass keinesfalls nur relationale oder gar nur deverbale Substantive über Leerstellen verfügten (vgl. Bondzio 2001, 158). Vgl. dazu auch Sommerfeldt (1991a; 1995). Teubert (1979, 81 ff.) eruiert insgesamt zwölf Substantivklassen, von denen Ergänzungen abhängen können: 1. Handlungsbezeichnung, 2. Vorgangsbezeichnung, 3. Ergebnisbezeichnung, 4. Zustandsbezeichnung, 5. Eigenschaftsbezeichnung, 6. relationale Personenbezeichnung, 7. Täterbezeichnung, 8. Kategorialbezeichnung, 9. Maßbezeichnung, 10. Qualifizierende Mengenbezeichnung, 11. Motionsmittelbezeichnung und 12. Benennbarer Begriff. Die verschiedenen Ergänzungen ordnet er siebzehn Ergänzungsklassen zu: 1. Agentiv-, 2. Objektiv-, 3. Experientiv-, 4. Explikativ-, 5. Personen-, 6. Stoff-, 7. Thema-, 8. Ziel-, 9. Beteiligten-, 10. Instrumental-, 11. Sach-, 12. Benefaktiv-, 13. Situativ-, 14. Direktiv-, 15. Maß-, 16. Benennungs- und 17. Gleichsetzungsergänzung (Teubert 1979, 91 ff.). Ferner erfasst er noch die nicht für bestimmte Substantivklassen spezifischen denominalen Angabeklassen, die „im Gegensatz zu Ergänzungen nicht die Funktion einer Argumentstelle in einer durch den Nominalkomplex ausgedrückten Prädikation [haben]. Eine Angabe ist vielmehr eine zusätzliche Prädikation, die sich auf eine Argumentstelle bezieht, die das Bezugssubstantiv in der verbal ausgedrückten Prädikation einnimmt“ (Teubert 1979, 145). <?page no="251"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 245 pen deverbaler Substantive sind die Affigierung und die Konversion als Wortartwechsel, die man auch als I > O Translation mittels Nullmorphem betrachten kann, 152 wobei bezüglich der vier hier untersuchten Sprachen auffällt, dass im Italienischen, Portugiesischen und Spanischen mehr oder weniger jeder Infinitiv substantivisch gebraucht werden kann, während dies im Französischen nur sehr eingeschränkt möglich ist. 153 Im Falle der Affigierung ist es das Affix, das als Translativ fungiert. Der translative Wert vor allem von Suffixen ist häufig offensichtlich, doch, so Tesnière ( 2 1965, 378-379), „en raison de l’ancienneté de la date à laquelle remonte leur autonomie, les translations qu’ils ont provoquées de leur vivant sont le plus souvent des translations actuellement figées.“ 154 Als Nomen kann das deverbale Substantiv sowohl aktantielle als auch zirkumstantielle Funktionen übernehmen, worauf bereits Tesnière ( 2 1965, 403) folgendermaßen explizit hingewiesen hat: „En se référant, par exemple, au verbe d’action, on distinguera parmi les substantifs dérivés qui en procèdent sémantiquement les noms d’action, les noms d’actants et les noms de circonstants“, und hinsichtlich der noms d’actants präzisiert er weiter: „De même que nous avons été amenés à distinguer trois types d’actants, le prime actant, le second actant et le tiers actant, nous sommes amenés à distinguer les trois types de dérivés substantivaux, qui leur correspondent exactement“ (Tesnière 2 1965, 404). Dem prime actant entspreche le nom d’agent, das nomen agentis, wie etwa l’acteur, le donneur, le chanteur, dem second actant der häufig mittels passiviertem Partizip Perfekt realisierte nom de patient, wie beispielsweise l’accusé, l’employé, le vaincu, und dem tiers actant schließlich le nom d’attributaire, wie u.a. le donataire, le légataire, le destinataire (Tesnière 2 1965, 403 ff.), also derjenige, dem etwas gegeben, vererbt bzw. gesandt wird. Der substantivierte Infinitiv, der ungeachtet des Funktionswechsels Aktanten und Zirkumstanten regieren kann, wird nach Tesnière ( 2 1965, 418) zu einer Art „intermédiaire entre la catégorie du verbe et celle du substantif.“ Er betrachtet ihn als „catégorie mixte, un terme médian entre deux catégories, [qui] n’est donc pas plus un verbe que ce n’est un substantif.“ Ganz in diesem Sinne erachtet Díaz Hormigo (1993, 490) den substantivierten Infinitiv, der ohne morphologische Veränderung lediglich eine Wesensveränderung im Sinne einer funktionalen Veränderung erfahren hat und zum Ausdruck bringt, als „derivación impropia.“ Der substantivierte Infinitiv verfüge sowohl über „valor nominal“ als auch über „valor verbal“ (Díaz Hormigo 1993, 482 ff.). Das Auffälligste und hier Entscheidende im 152 Ein weiterer bedeutender Derivationstyp deverbaler Substantive ist die Rückbildung. 153 Diese Einschränkung der Substantivierung des Infinitivs zeichnet sich im Französischen bereits seit dem 16. Jahrundert ab (vgl. Gili Gaya 15 1998, 187). Schepping (1996, 117 ff.) betrachtet die Infinitivnominalisierungen aber als stärker verbal geprägt, weil erstens zumindest die italienischen Infinitivnominalisierungen nicht in den Plural gesetzt werden können - was allerdings auf das Spanische nicht zutrifft, weil sie zweitens das inhärent reflexive Element behalten, drittens durch Verbadverbien modifiziert werden können und viertens, weil ferner das Thema-Argument der Basis auch bei der Nominalisierung obligatorisch erhalten bleibt. 154 Vgl. Tesnière ( 2 1965, 404 ff.) zur Etymologie verschiedener Suffixe. <?page no="252"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 246 Hinblick auf den nominalen Wert des Infinitivs ist, dass er alle Aktantenfunktionen erfüllen kann. Sein verbaler Wert äußert sich hingegen darin, dass er passivfähig ist, klitische Pronomina und Adverbien bei sich führen kann und ein explizites oder implizites Subjekt regiert. Nehmen wir nun aber exemplarisch aus einem Kontext x den Satz Este político prefiere la guerra und aus einem Kontext y Este político interessa-se pelo petróleo, so wird deutlich, dass das hier über den Politiker durch Verbalphrasen Prädizierte auch in Form nominaler Prädikationen zum Ausdruck gebracht werden kann, im vorliegenden Fall nämlich durch la preferencia por la guerra de este político bzw. durch o interesse pelo petróleo deste político. Der Satzbauplan von spanisch preferir wäre nach Rall/ Rall/ Zorilla ( 2 1980) „01(34“, in der Notierung von Blumenthal/ Rovere (1998, 810) analog zum italienischen preferire N - V - N1 - (N2/ Prep N3), jener von portugiesisch interessar-se nach Busse (1994, 274) Np - Vse - por N und auf der Grundlage von Blumenthal/ Rovere für italienisch interessarsi (1998, 606) N - siV - a/ di N3 155 lautete die entsprechende Notierung N - Vse - por N. Wenn wir die oben genannten Sätze zu (El hecho de) que este político prefiera la guerra es fatal bzw. zu (O facto) que este político se-interesse pelo petróleo é decisivo modifizieren, dann stellt sich heraus, dass im Rahmen einer versuchten Reduktion weder der Zweitaktant noch der präpositionale Drittaktant ausgelassen werden können. Weder *(El hecho de) que este político prefiera es fatal noch *(O facto) que este político se-interesse é decisivo ist für sich allein ein wohlgeformter Satz. Nominalphrasen wie la preferencia de este político oder o interesse deste político können allerdings sehr wohl die gleichen syntaktischen Funktionen übernehmen wie la preferencia por la guerra de este político bzw. o interesse pelo petróleo deste político. Dadurch wird bereits deutlich, dass der Nominalstil als diskursstrategisches Mittel dem Redner durchaus relevante Möglichkeiten der Auslassung und damit des Verschweigens bietet. Zunächst aber zurück zur Frage der Valenz. In einem eindeutigen Kontext mit entsprechenden aktantiellen und/ oder zirkumstantiellen Vorerwähnungen sind ? La preferencia es fatal und ? O interesse é decisivo u.U. vorstellbar, außerhalb eines derartigen Kontexts aber wohl nur La preferencia de este político es fatal, La preferencia por la guerra es fatal, O interesse pelo petróleo é decisivo und O interesse deste político é decisivo. Ausgehend von der deutschen Nominalphrase des Politikers Präferenz (oder Wahl) des Krieges scheint es so, als ob im nicht ganz eindeutigen Kontext entweder der genitivus subjectivus oder der genitivus objectivus notwendig wäre. Weder der eine noch der andere unterliegt aber dem Kriterium der absoluten Notwendigkeit. Und dennoch scheint es so, als ob sowohl das erste als auch das zweite bzw. dritte Argument der Funktoren preferir bzw. interessar-se auch durch die entsprechenden nominalen Funktoren la preferencia bzw. o interesse perspektiviert wären, da diese aus dem engeren oder weiteren Kontext rekonstruierbar sind bzw. rekonstruierbar sein müssen. Diese 155 Obwohl Blumenthal/ Rovere (1998, 606) für interessarsi N - siV - (a/ di N3) notieren, führen sie unter den zahlreichen Beispielen nur ein einziges ohne Drittaktanten an, in dem sie interessarsi außerdem mit Interesse bekunden übersetzen. Da es im obigen Beispiel keinesfalls um generisches Interesse-Bekunden geht, setzen wir den Drittaktanten nicht in Klammern. <?page no="253"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 247 Überlegung führt unmittelbar zur Frage der Obligatorik bzw. Fakultativität der Aktanten, und zwar nun im Zusammenhang mit Substantiven. 156 Helbig (1976a, 136) sprach sich zunächst dafür aus, dass die Aktanten der Substantive in der Regel als fakultativ zu betrachten wären und dass es beim Substantiv auf „syntaktischer Ebene keine obligatorischen Aktanten“ (Stepanowa/ Helbig 1978, 176) gäbe. Nach Sandberg (1979) räumt er jedoch ein, dass auch Substantive mitunter obligatorische Aktanten regieren (Helbig 1982b, 43ff.), 157 im Großteil der Fälle die obligatorischen Ergänzungen der den deverbalen Substantiven zugrunde liegenden Verben jedoch zu fakultativen Ergänzungen werden (vgl. Helbig 1992, 112). Eichinger (1995, 45) hingegen postuliert, „dass von der Nominalgruppe her nur von fakultativen Ergänzungen die Rede sein kann“, und Wiegand (1996, 138) bezeichnet den Valenzverlust schließlich geradezu als „das Wesentliche bei der Substantivierung von Verben.“ Ferner führt er aus, „wer Substantive korrekt verwenden will, muss [...] nichts berücksichtigen, was der Verbvalenz vergleichbar wäre [...], denn eine systemverankerte Eigenschaft von Substantiven, die ihm in dem Sinne strukturelle Korrektheitsauflagen macht, dass er Attribute setzen muss oder nicht, gibt es nicht. Was das Auftreten von Attributen betrifft, ist der Sprecher Herr der Substantivgruppe“ (Wiegand 1996, 138). Dass dies zwar auf einen Großteil der deverbalen Substantive zutreffen mag, nicht aber als generelle Regel gelten kann, hatte allerdings bereits Sandberg (1979) bewiesen. Warum beispielsweise die von élire regierten obligatorischen Aktanten le peuple und un nouveau président in einem Satz wie (Le fait) que le peuple ait élu un nouveau président est discuté dans toute la presse im Zuge der Nominalisierung des quintärrealisierten Erstaktanten, die zur erstaktantiellen Quartärrealisierung l’élection in L’élection est discutée dans toute la presse führt, zu fakultativen Aktanten werden, lässt sich vielleicht am besten durch die verschiedenen Valenzebenen erklären. Helbig (1992, 7 ff.) begründet die Unterscheidung zwischen logischer, semantischer und syntaktischer Valenz folgendermaßen: Vom Funktor als logischem Prädikat gehen, qualitativ und quantitativ abhängig von dessen individuellem Begriffsinhalt, gedankliche Beziehungen zu bestimmten Argumenten aus, für die vom Funktor sozusagen Leerstellen eröffnet werden. Diese Leerstellen als Variablen stellen sozusagen die Platzhalter für die Argumente des logischen Prädikats dar, weshalb man auf dieser Ebene von logischer Valenz spricht. Die diese Leerstellen ausfüllenden Argumente gehören bestimmten semantischen Klassen an, deren semantische Merkmale mit jenen des Funktors kompatibel sein müssen. Diese Art semantischer Relationen zwischen Funktor und Argumenten besteht auf der Ebene der semantischen Valenz. Die dritte Ebene, jene der syntaktischen Valenz, umfasst schließlich zum einen die obligatorischen oder eben fakultativen Besetzungen der Leerstellen und zum anderen die konkreten morphosyntaktischen 156 Erben (1984, 77) betont, dass es mittels Nominalisierungstransformation möglich sei, „notwendige Ergänzungen eines Verbs entbehrlich zu machen und Aussagen auf sehr abstraktem Niveau zu ermöglichen.“ 157 Als Beispiele führt Helbig (1982b, 44) nach Sandberg (1979) u.a. das Meiden des [...], die Berücksichtigung des [...], das Erblicken des [...], das Feststellen des [...] und das Erzielen des [...] an. <?page no="254"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 248 Spezifizierungen der argumenthaften Leerstellenbesetzungen in bestimmten Kasus und durch bestimmte Oberflächensatzglieder. Aus dieser Perspektive wird es zumindest beschreibbar, wenn auch nicht logisch nachvollziehbar, zumal es sich um systembedingte einzelsprachliche Gesetzmäßigkeiten handelt, dass Argumente, die zwar vom nominalen Funktor perspektiviert werden, nicht notwendigerweise in die sprachliche Struktur überführt, d.h. nicht fokalisiert, also nicht syntaktifiziert werden oder werden können. Die logisch-semantische Valenz deverbaler Substantive deckt sich mit der logisch-semantischen Valenz der entsprechenden Basisverben, aus denen sie sich ableiten. Die logisch-semantische Valenz deverbaler Substantive deckt sich aber längst nicht immer mit der syntaktischen Valenz dieser deverbalen Substantive (vgl. Stepanowa/ Helbig 1978, 178). 158 Die Valenz deverbaler Substantive ist zunächst von der Valenz der zugrunde liegenden Verben abhängig. Die deverbalen Substantive übernehmen aber nur dann die Valenz ihres Basisverbs, wenn erstens die Bedeutung desselben erhalten bleibt und es sich zweitens um ein nomen actionis handelt, das einen Prozess bezeichnet (vgl. Stepanowa/ Helbig 1978, 180 ff.; Helbig 1982b, 42 ff.; Helbig 1992, 113). 159 Es sind somit nach Stepanowa/ Helbig (1978, 180) sogar nur die einen Prozess bezeichnenden nomina actionis, die über „eine deutlich erkenn- und beschreibbare syntaktische Valenz“ verfügen. 160 Wenn wir nun zumindest hinsichtlich der einen Prozess bezeichnenden nomina actionis prinzipiell davon ausgehen, dass das Derivat die Valenz der Basis erbt, so kann dabei gar nicht deutlich genug hervorgehoben werden, dass grundsätzlich zwischen logisch-semantischer Valenz und deren syntaktischer Abbildung zu unterscheiden ist (vgl. Schepping 1996, 113). Da wir die deverbalen Substantive im Rahmen dieses Unterkapitels der Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz betrachten, müssen wir der Präzision halber einräumen, dass es sich bei den deverbalen Substantiven im Vergleich zu den Verben, die die jeweilige Derivationsbasis darstellen, nicht um veränderte Perspektiviertheit, sondern um veränderte Fokalisierung aufgrund einzelsprachlicher Bedingungen der Argumentspezifizierung handelt. Motsch (1999, 152) fasst diesen entscheidenden Punkt folgendermaßen zusammen: „1. Die Argumentstellen der semantischen Repräsentation von Verben mit den zugehörigen semantischen Rollen bleiben bei der reinen Nominalisierung erhalten; 2. Notwendigkeit und Art der sprachlichen Realisierung verändern sich mit der Nominalisierung.“ 158 Als Beispiel hierfür führen Stepanowa/ Helbig (1978, 178) folgende Nominalisierung an: Der Lehrer beantwortet dem Schüler die Frage *die Beantwortung der Frage an den Schüler. Auf der Ebene der semantisch-logischen Valenz perspektiviert sowohl der verbale Funktor beantworten als auch der deverbale nominalisierte Funktor Beantwortung einen Agens, einen Patiens und einen Adressaten bzw. Benefaktiv. Allein auf der Ebene der syntaktischen Valenz kann der vom nominalen Funktor perspektivierte Benefaktiv nicht mehr expliziert werden. 159 Nomina acti bezeichnen das Resultat eines Verbalprozesses oder sogar den durch das verbale Geschehen hervorgerufenen Gegenstand, weshalb sie sich sowohl in der Bedeutung als auch in der Stelligkeit von ihren Basisverben unterscheiden. Stepanowa/ Helbig (1978, 180) führen als Beispiele dafür u.a. Spaltung, Meldung, Ärgernis, Hemmnis an. 160 Es wird in der Tat immer wieder zurecht darauf verwiesen, dass nomina actionis und nomina acti Homonyme sein können (vgl. Helbig 1982b, 42), wie etwa im Falle von la livraison. <?page no="255"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 249 Konkret geht es im Großteil der Fälle um einen aktantiellen Statuswechsel von obligatorisch zu fakultativ. Die ehemals obligatorischen Aktanten des Verbs, die nach dem Nominalisierungsprozess zu fakultativen Aktanten des entsprechenden deverbalen Substantivs geworden sind, können nun aufgrund des neuen Status unauffällig, scheinbar unbemerkt unspezifiziert bleiben. Motsch (1999, 152) verweist ferner sowohl auf die semantischen Konsequenzen als auch auf die pragmatische Bedeutung dieses aktantiellen Statuswechsels, der sich gerade auch für unsere Untersuchung als äußerst relevant herausstellen soll: Es scheint für Nominalisierungen typisch zu sein, dass neben einer explizit sprachlichen Ausfüllung der Argumentstellen auch eine implizit semantische in Frage kommt, d.h. eine Ausfüllung der Argumentstellen durch geeignete semantische Repräsentationen, die im engeren oder weiteren Kontext ermittelbar sind. Das heißt: Es muss die prinzipielle Möglichkeit einer syntaktischen Ausfüllung von semantischen Argumentstellen geben, ob von ihr Gebrauch gemacht wird, hängt von pragmatischen Prinzipien und Strategien ab. In diesem Sinne wollen wir nun zunächst die durch die Nominalisierung geänderten Fokalisierungsbedingungen betrachten und deren Relevanz für die Analyse politischer Reden erheben. Im Anschluss daran seien weitere pragmatische Motive in Betracht zu ziehen, aufgrund derer in der politischen Rede - aber nicht nur dort - gegebenenfalls deverbalen Substantiven gegenüber finiten Verbformen der Vorzug gegeben wird. 4.8.5.1 Tätigkeit - Vorgang - Zustand Helbig (1976a, 139 ff.; 1982b, 41 ff.; 1992, 158 ff.) und Stepanowa/ Helbig (1978, 179 ff.) betrachten die deverbalen Substantive vor allem unter dem Aspekt der Opposition Tätigkeit versus Vorgang versus Zustand. Grob umrissen ist eine Tätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass eine Veränderung durch einen tätigen Agens verursacht wird. Von einem Vorgang wird im Gegensatz dazu gesprochen, wenn sich eine Veränderung ohne tätigen Agens ereignet und von einem Zustand ist die Rede, wenn es innerhalb des relevanten Zeitraumes zu keinen Veränderungen kommt. Stepanowa/ Helbig (1978, 181) charakterisieren die Tätigkeit durch die Merkmale / +Agens/ und / +prozessual/ , den Vorgang durch / - Agens/ , aber / + prozessual/ und den Zustand schließlich durch / -Agens/ und / -prozessual/ . Tätigkeitsbezeichnungen können nun ein-, zwei- oder dreiwertig sein, Vorgangsbezeichnungen null- oder einwertig und Zustandsbezeichnungen ein- oder zweiwertig. 161 Betrachten wir im Folgenden, welche Argumente der Basisverben, aus denen sich die deverbalen Substantive ableiten, in der nominalisierten Form ihren aktan- 161 Als Beispiele führen Stepanowa/ Helbig (1978, 179 ff.) u.a. folgende Syntagmen an: Tätigkeitsbezeichnungen: einwertig: das Spielen des Jungen, zweiwertig: die Reise der Delegation nach Moskau, dreiwertig: die Überreichung der Zeugnisse an die Abiturienten durch den Direktor; Vorgangsbezeichnungen: nullwertig: das Nieseln; einwertig: der Beginn der Vorstellung - wobei hier allerdings von einem Antikausativum auszugehen ist (! ); Zustandsbezeichnungen: einwertig: die Verzweiflung des Angeklagten; zweiwertig: der Aufenthalt des Gastes an der Universität. <?page no="256"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 250 tiellen Status wechseln, daher auf der syntaktischen Ebene nicht mehr in Blick genommen werden müssen und de facto in den vorliegenden Passagen auch nicht mehr fokalisiert werden. 4.8.5.1.1 Tätigkeit (IV.131) Que el orden económico necesita de grandes mejoras y perfeccionamientos es evidente, y nosotros así lo practicamos; pero a lo que conduce su destrucción lo demuestran de una manera elocuente los veintiocho años de ensayos y miserias comunistas. (Franco 1945a, 11, 96-99) Die Derivationsbasen der deverbalen Substantive la mejora, el perfeccionamiento und la destrucción sind die jeweils transitiven Verben bzw. Verbvarianten mejorar, perfeccionar bzw. destruir, die als Funktoren jeweils Argumentleerstellen für einen Agens und einen affizierten Patiens eröffnen. Der spezifizierte affizierte Patiens der drei Verben ist el orden económico. Völlig ungeklärt bleibt jedoch, wer - also quién - mejora, perfecciona bzw. destruye el orden económico, selbst wenn zumindest im Falle von destruir vage und allgemein auf die Kommunisten verwiesen wird. (IV.132) [...] ci sentiamo sicuri circa il grado di maturità nazionale raggiunto dal popolo italiano e circa lo sviluppo futuro degli eventi che noi continuiamo a praticare il culto della verità e a ripudiare ogni falsificazione. (Mussolini 1941a, 54, 123- 127) Falsificare als Derivationsbasis von la falsificazione ist transitiv und somit zweiwertig. Wenn von Mussolini und dessen Gesinnungsgenossen angeblich jede Verfälschung zurückgewiesen wird, so ist damit allerdings noch nicht geklärt, wovon jede Verfälschung zurückgewiesen wird, da der von falsificare perspektivierte affizierte Patiens nicht realisiert, sprich nicht fokalisiert wird. (IV.133) [C’est dans l’honneur et pour maintenir l’unité française (…) que j’entre aujourd’hui dans la voie de la collaboration. (…)] Ainsi pourrait être assouplie la ligne de démarcation et facilités l’administration et le ravitaillement du territoire. (Pétain 1940b, 95, 33-41) Die Stelligkeit der Basen von l’administration und le ravitaillement, also der transitiven Verben administrer bzw. ravitailler, lässt sich durch x administre y und x ravitaille y formalisieren. Der affizierte Patiens y ist - vage - le territoire, der Agens x bleibt wiederum unspezifiziert, wodurch sich der Redner hinsichtlich der diesbezüglichen Kompetenzübertragung alles offen lässt, und das wahrscheinlich, ohne dass die Zuhörerschaft dieser gravierenden Informationslücken gewahr wird. (IV.134) [Em todos os domínios onde era livre a nossa acç-o ajudámos no que pudemos o nacionalismo espanhol e a civilizaç-o crist-, directamente ameaçados por doutrinas e regimes que só os que andam à cata de desilusões esperam converter ou tornar inofensivos.] Mantendo-nos a nós próprios firmes contra os assaltos organizados cá dentro, [...] sem cansaço, sem desânimo, sem cálculo, fomos desde a primeira hora o que deveríamos ter sido - amigos fiéis da Espanha, no fundo peninsulares. (Salazar 1939a, 148, 282-301) <?page no="257"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 251 Assaltar und calcular, als Derivationsbasen von o assalto bzw. o cálculo, perspektivieren wiederum jeweils ein agentives und ein patientives Argument. Hinsichtlich der Angriffe, os assaltos, verweist der Lokalzirkumstant cá dentro vage auf den Raum, in dem diese Angriffe organisiert werden. Ungeklärt bleibt im Grunde jedoch zum einen, wer angreift und zum anderen was angegriffen wird. Weder das vom Basisverb funktoriell perspektivierte Agensnoch das Patiensargument wird als fakultativer Aktant des deverbalen o assalto fokalisiert, weshalb die Zuhörer im Grunde nicht wissen können, worum es eigentlich geht. Was cálculo bzw. calcular anbelangt, wird der Agens aus fomos desde a primeira hora [...] bezogen, es ist also Salazar mit seinen Gesinnungsgenossen. Sem cálculo ist zwar soweit lexikalisiert wie etwa das deutsche nicht berechnend (sein) im übertragenen Sinn, dennoch müsste es auch hier möglich sein, ein zweites perspektiviertes, nicht aber fokalisiertes Argument zu lokalisieren bzw. zu eruieren, und es würde sich aus dem Kontext wohl so etwas wie o proveito oder a vantagem, also der Nutzen oder der Vorteil ergeben. 4.8.5.1.2 Vorgang (IV.135) Nuestro Movimiento vino a salvar a España de su destrucción moral y material, y gracias a él no nos encontramos hoy en el estado en que se debaten tantos pueblos desgraciados del mundo, que si en el terreno material registran las máximas de las hecatombes y destrucciones, es todavía mucho mayor el relajamiento en el terreno de lo moral. (Franco 1945c, 617, 22-27) Beim deverbalen Substantiv el relajamiento im Sinne von Erschlaffung, Nachlassen ist vom antikausativen Basisverb relajarse auszugehen, da nicht anzunehmen ist, dass hier ein konkreter Agens in Blick genommen wird. Nach dem in 4.8.3 diskutierten medialen oder antikausativen Modell der SE-Diathese ist hier der Agens zugleich Patiens, der sowohl vom Verb relajarse als auch vom deverbalen Substantiv relajamiento perspektiviert, hier aber nicht fokalisiert, d.h. nicht syntaktifiziert wird. Durch den Lokalzirkumstanten im übertragenen Sinn en el terreno de lo moral wird der Geltungsbereich zwar vage abgesteckt, Franco unterlässt es aber zu bezeichnen, was er wirklich meint. Die Zuhörer können bzw. müssen Franco interpretieren. Ob sie ihn allerdings richtig interpretieren, kann je nach Bedarf und Gutdünken von Francos Gesinnungsgenossen im Einzelfall befunden werden - wodurch maximale Unsicherheit im entsprechenden Bereich entsteht. (IV.136) [L’Europa quindi, fatta eccezione del Portogallo, della Svizzera e, per qualche tempo ancora, della Grecia, è tutta al di fuori della Gran Bretagna e contro la Gran Bretagna.] Con questa situazione si è determinato un capovolgimento nettissimo di quanto accadde nel 1914-1918. (Mussolini 1941a, 56, 224-228) Auch beim Gebrauch von capovolgimento in dieser Äußerung ist kontextuell bedingt vom antikausativen Basisverb capovolgersi und nicht von der kausativen, einen konkreten Agens in Blick nehmenden Derivationsbasis capovolgere auszugehen. Si capovolse quanto accadde nel 1914-1918 wäre dann allerdings ein vollständi- <?page no="258"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 252 ger Satz. Die antikausative Lesart ist aber letztlich auf die kausative zurückzuführen. Gerade hier ist offensichtlich, dass sich eine Umwälzung oder eine Umkehr dieser Art nicht aus intrinsischer Kraft vollzieht. Die Umwälzung oder Umkehr wird zwar als Vorgang dargestellt, es muss aber notwendigerweise eine agentive Kraft dahinterstecken, die der Zuhörerschaft aber durch den Gebrauch der Nominalisierung eines antikausativen Verbs verborgen bleibt. Erst durch die Rückführung der antikausativen Variante auf die entsprechende kausative wird offensichtlich, dass eine existente, agentive, für den capovolgimento verantwortliche Kraft vom Redner verschwiegen wird. (IV.137) [...] c’est le gouvernement qui, par la taxation et le contrôle, lutte contre la hausse du prix des denrées. (Pétain 1943b, 306, 24-25) Auch für das Verb hausser mit der Bedeutung von augmenter gibt es eine kausative und eine antikausative Lesart, wobei die antikausative relativ selten gebraucht wird und archaisch ist. Vergleicht man aber - aus polito-pragmatischer 162 Perspektive - Les commerçants haussent les prix mit Les prix haussent, so klingt die zweite Variante, die nicht eine Tätigkeit, sondern einen Vorgang in Blick nimmt, diplomatischer, vielleicht sogar politisch korrekter als die erste, zumal niemand persönlich, aber auch keine bestimmte Berufsgruppe explizit an den Pranger gestellt wird. Auf der Suche nach den semantisch-pragmatischen Rollen gilt allerdings auch hier, dass die antikausative Variante auf die kausative zurückzuführen ist, da sich auch Preise nicht aus intrinsischer Kraft selbst zu erhöhen pflegen. Analog zum vorhergehenden Beispiel gilt also auch hier, dass ein deverbales Substantiv zunächst auf ein antikausatives Basisverb und dieses im Anschluss daran auf dessen kausative Entsprechung zurückgeführt wird, wodurch der Täter, in diesem Fall der Preistreiber, letztlich erst identifiziert werden kann. (IV.138) [Em todos os domínios onde era livre a nossa acç-o ajudámos no que pudemos o nacionalismo espanhol e a civilizaç-o crist-, directamente ameaçados por doutrinas e regimes que só os que andam à cata de desilusões esperam converter ou tornar inofensivos; ] [...] enfrentando por toda a parte a incompreens-o e cegueira da Europa (onde a Espanha nacional t-o poucas amizades contava); [...]. (Salazar 1939a, 148, 282-292) A incompreens-o leitet sich zunächst durch Präfigierung aus dem deverbalen Substantiv a compreens-o ab und dieses ist auf das transitive Verb compreender zurückzuführen. Das Verständnis kann zwar u.U. eine aktive mentale Tätigkeit darstellen, es kann sich aber auch als Vorgang im Sinne geistigen Geschehens abspielen. Salzar sagt, dass Europa ihm und seinen Gesinnungsgenossen Unverständnis entgegenbrachte, ohne jedoch zu präzisieren, was die Europäer konkret nicht verstanden. Nur aus dem Kontext ist zu folgern, dass sich das europäische Unverständnis sowie die angebliche europäische Verblendung global auf die offizielle portugiesische Haltung der spanischen Politik gegenüber bezogen. 162 Dieser Terminus ist von uns eingeführt. <?page no="259"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 253 Durch die Nicht-Fokalisierung des von compreender bzw. incompreens-o sehr wohl perspektivierten Zweitaktanten gelingt es Salazar, eventuelle Kritik an besagter Haltung aus den eigenen Reihen von vornherein zu unterbinden. 4.8.5.1.3 Zustand (IV.139) Nuestro Movimiento hizo posible la vuelta a España a su propio ser. (Franco 1945c, 618, 52-53) Der substantivierte Infinitiv el ser für das Sein oder das Wesen leitet sich durch Konversion bzw. mittels Nullmorphem vom Verb ser ab. Man kann zwar sagen A mí me gusta el ser de España, man kann aber nicht sagen *A mí me gusta que España sea, da hier im quintärrealisierten Erstaktanten keine Prädikation zustande kommt. Wollte Franco auf das nominalisierte ser verzichten und sagte etwa ? Nuestro Movimiento hizo posible que España volviera a ser, so wäre er wohl auch hier zu einer prädikativen Ergänzung gezwungen, die er sich durch den substantivierten Infinitiv sparen kann. (IV.140) Nel Mediterraneo l’Italia è alleata, la Spagna amica. Resta la Russia, ma i suoi interessi fondamentali le consigliano di seguire anche per il futuro una politica di buon vicinato con la Germania. (Mussolini 1941a, 56, 221-224) Essere interessati a qualcosa, also an etwas interessiert sein oder avere interesse a qualcosa, für oder an etwas Interesse haben, kann als ein Zustand qualifiziert werden, der eine bestimmte Zeit lang andauert. Das Basisverb ist jedenfalls interessarsi di qualcosa, das somit ein erstes und ein drittes Argument perspektiviert und in der Folge daher einen Erst- und einen präpositionalen Drittaktanten regiert. Es ist der perspektivierte Drittaktant, der in dieser Textstelle nicht nur nicht fokalisiert, sondern auch nicht eruierbar ist. Mussolini gelingt es dadurch, sein Wissen - oder seine Annahmen - über die Politik Russlands anzudeuten, ohne konkret zu werden, weshalb er dafür wiederum keine Rechenschaft ablegen muss. (IV.141) [Le citadin peut vivre au jour le jour. Le cultivateur doit prévoir, calculer, lutter; ] les déceptions n’ont aucune prise sur cet homme, que dominent l’instinct du travail nécessaire et la passion du sol. (Pétain 1941c, 126, 106-109) Die hier gegebenen Argumentrealisierungen deuten darauf hin, dass la déception im vorliegenden Kontext aus être déçu abzuleiten ist. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, dass es in (IV.141) prinzipiell um eine Zustandsbeschreibung geht: Selbst wenn der Bauer enttäuscht werde und in der Folge eben enttäuscht sei, könne ihm dies nichts anhaben, er bleibe davon unbeeindruckt. Nichtsdestotrotz muss es irgendeine agentive Kraft x geben, die diese Enttäuschungen auslöst, zumal in der aktivischen Variante x déçoit y gilt. Es ist nun aber genau x als die agentive Kraft, die von décevoir als obligatorisch und von déception als fakultativ zu realisieren perspektiviert wird, die Pétain in seiner nominalisierten Formulierung nicht fokalisieren muss und auch nicht fokalisiert, wodurch er nichts und niemandem die Verantwortung für les déceptions de cet homme zuschreiben muss und dennoch auf der Mitleidsschiene fahren kann. <?page no="260"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 254 (IV.142) [Simplesmente nós também estamos, estamos sempre e em toda a parte.] Estamos sempre na vigilância, na contradita, na acç-o; (Salazar 1938a, 20, 146-148) Die Derivationsbasis von vigilância ist vigilar bzw. vigiar, das transitiv im Sinne von etwas bewachen, aber auch intransitiv, und zwar im Sinne von wachsam sein bzw. auf der Hut sein verwendet werden kann. Implizit ist man aber trotzdem immer vor etwas auf der Hut, man nimmt sich vor etwas in Acht, auch wenn dessen Fokalisierung nicht obligatorisch ist. Der Gebrauch des Funktionsverbgefüges estar na vigilância lässt die Explizierung dessen, wovor sie auf der Hut sind, noch entbehrlicher erscheinen. 4.8.5.2 Nomina agentis - Nomina actionis - Nomina acti Eine eigene Ableitungskategorie, die sich deutlich von jener der nomina actionis abhebt, ist jene des Subjekttyps, die, wie Lüdtke (1978, 66) sagt, „mit gesonderter morphologischer Charakterisierung als Nomen agentis realisiert“ wird. Das häufigste Translativ, mittels dessen ein Verb des Französischen, Italienischen, Portugiesischen oder Spanischen in ein nomen agentis überführt wird, ist das auf das lateinische Suffix -or bzw. -tor zurückgehende Suffix des Französischen -teur, des Italienischen -tore bzw. des Portugiesischen respektive Spanischen -dor (vgl. Tesnière 2 1965, 404). Durch die Realisierung eines nomen agentis wird die Subjektstelle des Basisverbs absorbiert, die Themastelle im Falle der transitiven Verben bleibt jedoch erhalten, was allerdings nicht heißt, dass diese besetzt werden muss. Bei einer partikulären Tätigkeit wird sie aber i.d.R. besetzt, bei habituellen Tätigkeiten hingegen nicht (vgl. Motsch 1999, 154; Stepanowa/ Helbig 1978, 178 ff.). 163 Nomina actionis bezeichnen in erster Linie das Prozesshafte, nomina acti hingegen das Resultat. 164 Pottier (1964, 128) spricht bei der Diskussion der „trois situations essentielles d’un événement“, die in der Semantik von großer Bedeutung sind, von den aspectifs: L’origine, la puissance, l’agent, als verschiedene Aspekte einer virtualité, entsprechen den nomina agentis, le déroulement oder l’action en cours den nomina actionis und le résultat bzw. l’effet schließlich den nomina acti. 165 Das aus dem französischen Verb créer abgeleitete nomen agentis ist créateur, das entsprechende nomen actionis ist création und das den Effekt oder das Resultat bezeichnende nomen acti ist schließlich créature (vgl. Pottier 1964, 128 ff.), wobei création u.U. auch 163 Stepanowa/ Helbig (1978, 178) demonstrieren dies an folgenden Gegenüberstellungen: Er war Lehrer (= Berufsbezeichnung) versus *Goethe war Lehrer versus Goethe war Lehrer vieler Dichtergenerationen (= einfacher Tätername, der die partikuläre Tätigkeit in obigem Sinne bezeichnet). 164 Unter synchronem Aspekt lässt sich - zumindest semantisch gesehen - allerdings ein nomen acti längst nicht immer auf seine verbale Derivationsbasis zurückführen. Grimm (1977, 36) nennt als Beispiel dafür Sitzung < sitzen. 165 Baron (1994, 31 ff.), die sich offensichtlich stark an Pottier anlehnt, spricht bei den substantifs valentiels, die ihrer Auffassung nach im Grunde nichts anderes als die deverbalen Substantive sind, von nominalisation subjective, nucléaire und objective, wobei diese Typologie genau jener Pottiers entspricht. Ihr analoges, aber zweifellos sehr anschauliches Beispiel ist producteur - production - produit. <?page no="261"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 255 als mit dem formal identischen nomen actionis homonymes nomen acti zu verstehen sein kann. 166 In den folgenden Textstellen wollen wir dem nachgehen, was, wo, wie und vielleicht sogar warum vom jeweiligen deverbalen Substantiv absorbiert wurde. 4.8.5.2.1 Nomina agentis (IV.143) El árbol se conoce por sus frutos, y donde hay un murmurador, un sembrador de alarmas o de insidias, hay siempre un traidor. [¡En guardia todos los españoles! ¡Alerta la Falange! ¡Que puesto de honor le corresponde en esta lucha! ] (Franco 1939, 8-9, 52-56) Murmurador leitet sich aus murmurar: x murmura de y, sembrador aus sembrar: x siembra y und traidor aus traición < traicionar: x traiciona a y ab. Durch die Nominalisierung wird die Agensstelle verbraucht. In Verbindung mit dem indefiniten Artikel wird mittels murmurador, sembrador de alarmas o de insidias bzw. traidor auf keinen bestimmten Agens referiert, sondern die breitest mögliche Palette an potentiellen murmuradores, sembradores de alarmas o de insidias bzw. traidores anvisiert, zu denen sich besser keiner aus der Zuhörerschaft jemals zählen möge! (IV.144) [I nostri fronti si allungano per migliaia di chilometri e sono distanti migliaia di chilometri.] Taluni acidi e ignoranti commentatori stranieri dovrebbero tenerne conto. (Mussolini 1941a, 52, 65-67) Commentatore ist auf das transitive Verb commentare: x commenta y zurückzuführen. Der Agens x wird im Zuge der Nominalisierung absorbiert, die Stelle für den affizierten Patiens bleibt hier unrealisiert. Auch taluni commentatori bezeichnen keine bestimmten Agenzien, wodurch der Redner keine Beweise für seine Anschuldigungen liefern muss. (IV.145) [J’ai rencontré, jeudi dernier, le chancelier du Reich. (…)] Cette première rencontre, entre le vainqueur et le vaincu, marque le premier redressement de notre pays. (Pétain 1940b, 94-95, 2-13) Le vainqueur und le vaincu entstammen beide dem Verb vaincre: x vainc y, wobei offensichtlich nur Ersteres ein nomen agentis ist, während Letzteres den resultativen nomina acti zuzurechnen ist. Hier geht es sehr wohl um einen konkreten Agens, nämlich um den bereits vorerwähnten chancelier du Reich, den Reichskanzler. Indem Pétain jedoch vom vainqueur spricht, bleiben ihm und der Zuhörerschaft konkrete Namen erspart, und außerdem konnotiert le vainqueur per se noch nichts von der Gefahr des deutschen Nationalsozialismus und der deutschen Expansionspolitik, die Pétain ja gar nicht streng verurteilen will oder kann, zumal er sich bereits zur collaboration entschieden hat und deshalb keinesfalls vorhat, unter seinen Landsleuten ernsthaft Stimmung gegen Deutschland zu machen. 166 Ein analoges spanisches Beispiel ist el constructor für das nomen agentis, la construcción - im Prozess - für das nomen actionis und ebenfalls la construcción - im Sinne eines statischen Resultates - für das nomen acti (vgl. Pottier 2 1971, 84). <?page no="262"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 256 (IV.146) [Caiu finalmente o pano sobre a tragédia que a Europa representou e viveu na sua carne e no seu espírito durante os últimos seis anos. (…)] T-o extensa e profunda foi a tragédia que nem mesmo todos os vencedores - e lembro piedosamente o Presidente Roosevelt - puderam sorrir ao claro sol da sua vitória. (Salazar 1945a, 93-94, 10-26) Vencedor ist auf vencer zurückzuführen, das i.d.R. einen Agens und einen Patiens perspektiviert, wobei der Patiens im Stellenplan (Busse 1994, 402) als ein fakultativ zu realisierender notiert ist. Jedoch selbst wenn er nicht fokalisiert wird, ist auf logisch-semantischer Ebene davon auszugehen, dass im Falle des Siegens ein Sieg über jemanden oder über etwas errungen wird. Durch das nomen agentis ist jedoch die Agensstelle verbraucht, weshalb Salazar auf gewohnt diplomatische Weise von der Tragödie des Krieges sprechen kann, ohne die winners und losers zu benennen und ohne sich folglich klar positionieren zu müssen. 4.8.5.2.2 Nomina actionis (IV.147) Quería venir cuando tuviéramos los materiales en la mano, las organizaciones hechas; cuando tuviéramos los elementos preparados para la operación quirúrgica que es necesario hacer en las provincias españolas. (Franco 1945b, 620, 36-39) Operar: x opera (a) y ist die Derivationsbasis von operación. Durch den Lokalzirkumstanten en las provincias españolas wird zwar der Geltungsbereich für die durchzuführenden Operationen abgesteckt, es werden aber weder der von operar und infolgedessen auch vom davon abgeleiteten deverbalen Substantiv operación perspektivierte Agens x noch der von diesen perspektivierte affizierte Patiens y spezifiziert, d.h. also fokalisiert. Franco verschweigt also zum einen, wer die Operateure sein sollen und zum anderen, was konkret operiert werden soll. (IV.148) [L’ultimo appoggio della Gran Bretagna sul continente era ed è la Grecia, l’unica nazione che non ha voluto rinunciare alla « garanzia » britannica.] [...] Aggiungo che anche il piano operativo, preparato dal Comando superiore delle Forze Armate di Albania, fu unanimemente approvato, senza riserve di sorta, e non fu chiesto, nell’intervallo tra la decisione e l’inizio dell’azione, che un ritardo di due giorni. (Mussolini 1941a, 54, 131-138) Die transitive, kausative verbale Basis von la decisione ist decidere: x decide y, jene von l’inizio ist iniziare: x inizia y. Der Patiens y ist in beiden Fällen die Militäraktion, l’azione. Der Agens, der erstens die Entscheidung für die militärische Intervention getroffen und zweitens diese auch begonnen hat, ist hingegen ausgeblendet, weil, obwohl perspektiviert, nicht fokalisiert. Es wird von Mussolini dadurch verschwiegen, wer konkret für diese bestimmte Militäraktion verantwortlich ist. (IV.149) La première loi du patriotisme est le maintien de l’unité de la patrie. (Pétain 1941b, 120, 2-3) Le maintien leitet sich aus maintenir: x maintient y ab. Der zu erhaltende Patiens y ist die Einheit des Vaterlandes. Wer aber als agentive Kraft x tatsächlich dafür Sorge zu tragen hat, wird nicht präzisiert, wodurch der Skopus wohl ein möglichst umfas- <?page no="263"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 257 sender sein soll und sich auf diese Weise zunächst einmal alle Anwesenden angesprochen und beauftragt fühlen sollen. (IV.150) [Ora o período de 1928 até hoje pode ser caracterizado pela gestaç-o político-militar da maior guerra que o mundo viu, enxertada na maior crise que os economistas anotaram em todos os tempos.] Em quinze anos, quatro derrocadas económicas e financeiras, três de guerra na Península, que nos cortou da Europa por terra, quatro de conflagraç-o, que a bem dizer nos tem separado do resto do mundo por mar. (Salazar 1943, 385, 42-50) Die Derivationsbasis von conflagraç-o scheint zunächst das antikausative conflagrar-se zu sein, das seinerseits wiederum auf das kausative conflagrar: x conflagra y zurückzuführen ist. Durch den Gebrauch des deverbalen Substantivs conflagraç-o vermeidet es Salazar zu präzisieren, wer letztlich was - im übertragenen Sinn - in Brand gesteckt hat, bleibt dadurch erneut im Bereich des Vagen und Anonymen und vermeidet auf versöhnliche Weise Polarisierung durch Schuldzuweisung, offensichtlich um dadurch ehemalige und immer noch potentielle Gegner in das eigene Lager zu holen. 4.8.5.2.3 Nomina acti (IV.151) España es lo contrario de lo que esas campañas han hecho se la suponga desde fuera, y su demostración más clara y trascendente la encontraréis en el mantenimiento de la paz durante los seis años más difíciles de la vida del mundo, no obstante las amenazas, intrigas y conspiraciones que desde el Extranjero contra ella se movieron. (Franco 1945a, 9, 15-20) El mantenimiento kann als nomen actionis oder als nomen acti gebraucht werden. In (IV.151) handelt es sich um einen resultativen Zustand, weshalb hier Letzteres der Fall ist. Der Friedenserhalt beweise, dass Spanien nicht so sei, wie es von ausländischen Kampagnen dargestellt werde. El mantenimiento basiert auf mantener: x mantiene y. Der Patiens y ist der Frieden, wer diesen jedoch erhalten hat und vor allem auch, wie er erhalten wurde, wird von Franco aber verschwiegen. (IV.152) Ho tardato qualche giorno prima di indirizzarmi a voi, perché dopo un periodo di isolamento morale, era necessario che riprendessi contatto col mondo. (Mussolini 1943, 1, 6-8) L’isolamento könnte sich hier zwar auch aus isolarsi: x si isola ableiten, wahrscheinlicher ist jedoch die transitiv-kausative Derivationsbasis isolare: x isola y. Wer oder was Mussolini jedoch als agentive Kraft x tatsächlich isoliert hat, bleibt unspezifiziert, wodurch der scheinbaren Tragik seiner Isolation nicht wirklich auf den Grund gegangen werden kann. (IV.153) À tous ceux qui, loin de la mère patrie ou dans la brousse équatoriale, ont résisté courageusement aux appels, aux pressions, aux menaces, j’adresse l’expression de la reconnaissance nationale. (Pétain 1941b, 121, 51-54) Auch hier repräsentieren les appels, les pressions und les menaces Resultate von Handlungen und sind somit zumindest hier als nomina acti zu sehen. Die Basis- <?page no="264"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 258 verben sind appeler: x appelle y, presser: x presse y im Sinne von exercer une pression sur und menacer: x menace y. Aus dem Kontext lässt sich schließen, dass die Bedankten jeweils den Patiens y darstellen. Wer jedoch angeblich an diese appelliert, auf sie Druck ausgeübt und sie bedroht hat, bleibt absolut ungeklärt, weshalb Pétain seine Unterstellungen auch nicht weiter rechtfertigen muss. (IV.154) [Quando muito, defendemos o nosso direito e mostrámos que a vida fácil nunca foi nosso quinh-o: isso nos dá direito a falar de paz sem se poder dizer que o fazemos por covardia ou comodidade.] É por convicç-o; é por dever. (Salazar 1939a, 145, 220-224) A convicç-o basiert auf ficar convencido/ convicto und dieses auf dem kausativen Verb convencer: x convence y a + Infinitiv/ de + Nomen. Salazar behauptet, aus Überzeugung und aus Pflichtbewusstsein vom Frieden zu sprechen. Er und seine Gesinnungsgenossen geben sich überzeugt, er verschweigt allerdings das aus polito-pragmatischer Sicht zweifellos essentielle dritte Argument, das von convencer perspektiviert wird, und hält somit geheim, wovon sie letztlich überzeugt sind. 4.8.5.3 Anaphora - Kataphora - Diaphora Bezeichnen die Anaphora die Rückverweisfunktion und die Kataphora die Vorverweisfunktion, so steht die Diaphora, von griechisch "# für deutsch der Unterschied, in etwas unorthodoxer Weise gewissermaßen für eine Art Hinausverweisfunktion im Sinne einer Hinausverweisung aus dem unmittelbaren Text in einen sehr weiten Kontext. Mit Maillard spricht Moirand (1975, 62) von der Diaphora als „procédure de référence contextuelle.“ Ein deverbales Substantiv verweist in einem Text und somit auch in einer politischen Rede mitunter anaphorisch oder kataphorisch auf das ebenfalls im Text ein- oder mehrfach aufscheinende Verb, das seine Derivationsbasis darstellt. Auf diese Weise fungiert das jeweilige deverbale Substantiv als Mittel der textuellen Kohärenz- und Kohäsionsstiftung. Gegebenenfalls setzt das deverbale Substantiv gewissermaßen als „reprise nominale“ (Moirand 1975, 63) eines vorher verwendeten Verbs auch einen Schlusspunkt zu einem Absatz oder sogar zum Text, wodurch die Bedeutung zentralen verbalen Geschehens durch nominalisierte Wiederaufnahme in textrhematischster Position hervorgehoben wird. Wird das deverbale Substantiv jedoch mit dem indefiniten Artikel verwendet, so ist davon auszugehen, dass es einen signifikanten Bedeutungsunterschied zwischen ihm und seiner verbalen Basis gibt. Durch die Verwendung demonstrativer Adjektive in Verbindung mit Nominalisierungen, die finite Verben wieder aufnehmen, kann der Autor ferner ein gewisses Maß an subjektiver Haltung oder Interpretation des bereits Behandelten zum Ausdruck bringen. 167 Ein deverbales Substantiv kann aber auch auf ein oder mehrere finite Verben vor- oder rückverweisen, die zwar nicht seine formale Ableitungsbasis darstellen, 167 Moirand (1975, 66) führt als Beispiele hierfür „à cette étrange protestation d’innocence“ und „contre une telle interprétation“ an. <?page no="265"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 259 dennoch mit ihm aber inhaltlich verwandt sind. Das deverbale Substantiv nimmt in diesem Falle also entweder ein bestimmtes gedankliches Objekt wieder auf, das vorher schon abgehandelt wurde, oder es nimmt ein gedankliches Objekt vorweg, das erst in der Folge abzuarbeiten ist. In ersterem Fall spricht Moirand (1975, 65) von „anaphore conceptuelle“, in Letzterem würden wir analog dazu von cataphore conceptuelle sprechen. Nominalphrasen im Allgemeinen und somit auch deverbale Substantive haben in kataphorischer Verwendung eine starke illokutionäre Kraft, da sie jeweils als Teil einer umfassenderen Proposition zu verstehen sind. Sie enthalten insofern ein „feeling of anticipation“, als das kataphorisch verwendete deverbale Substantiv mit dem, worauf es vorverweist, schon vorweg als kohärentes Ganzes konzeptualisiert wird (vgl. Shopen 1973, 70 ff.). 168 Einen weiteren Spezialfall der Anaphora stellt die anaphore résomptive dar (Moirand 1975, 65 ff.), die als eine Art komprimierte Zusammenfassung - hier eben in Form eines deverbalen Substantivs - zu verstehen ist. Ein besonders adäquates Mittel, auf nicht explizierte, weil nur im Kontext gegebene Tätigkeiten, Vorgänge oder Zustände zu verweisen, gegebenenfalls ohne diese auch nur konkret zu benennen, scheinen deverbale Substantive eben nicht in textphorischer, sondern in kontext-phorischer Funktion, d.h. also deverbale Substantive als Diaphora im obengenannten Sinne. Betrachten wir nun zum Abschluss exemplarisch text- und kontext-phorische Funktionen, die deverbale Substantive in den von uns behandelten Reden erfüllen. 4.8.5.3.1 Anaphora (IV.155) Estimo que vosotras [las mujeres musulmanas] sóis las que mejor podéis ofrecernos una colaboración sincera en esta obra, colaboración que ha de consistir en que pongáis el máximo entusiasmo en vuestros trabajos y el afán por adquirir las perfecciones de que nosotros queremos rodearos. (Franco 1938, 66, 38-42) Franco berichtet in dieser Rede u.a. von der Lebensqualität, die die Spanier genießen, und verspricht, die musulmanes dahingehend zu unterstützen, dass sie, nachdem sie tapfer für die Sache Spaniens, d.h. für die Sache Francos, gekämpft haben werden - nach ihrer Rückkehr nach Marokko - , dort ebenfalls ihren Lebensstandard erhöhen können. Durch esta obra rückverweist er auf die explizit ausgesprochenen oder implizit mitzuverstehenden Ziele seines Movimiento. Als transitiv-kausatives Verb regiert obrar im Sinne von etwas vollbringen i.d.R. einen Zweitaktanten, der u.a. durch das semantische Merkmal / +wundersam/ gekennzeichnet ist. Die intransitive Variante von obrar im Sinne von werken führt i.d.R. einen modalen, temporalen oder auch lokalen Zirkumstanten bei sich. In obiger Passage ist jedenfalls weder das perspektivierte erste noch das gegebenenfalls auch perspektivierte zweite Argument realisiert, wodurch sich Franco sowohl 168 Shopen (1973) untersucht vor allem die illokutionäre Kraft von nominalen Titeln. Auch die Konzeptualisierung des coherent whole bezieht er auf Titel mit dem entsprechenden Gesamtwerk. <?page no="266"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 260 hinsichtlich der möglichen Agenzien als auch hinsichtlich der möglichen Patienzien alles offen lässt. (IV.156) [L’Italia aveva già scelto, fino dal maggio del 1939, la sua via. I dadi erano gettati. Ma appunto per il loro carattere di legittimità le nostre rivendicazioni dovranno essere accolte senza compromessi o soluzioni provvisorie, che noi sin da questo momento in maniera categorica respingiamo.] Solo dopo questo totale chiarimento, sarà possibile, nell’orbita della nuova Europa quale sarà creata dall’Asse, iniziare un nuovo capitolo, nella storia, che fu così agitata, dei rapporti fra Italia e Francia. (Mussolini 1940b, 34, 159-166) Questo totale chiarimento ist in seiner anaphorischen Funktion resümierend und interpretativ. Es stellt zwar eine Rückverweisung auf im Text scheinbar Abgehandeltes dar, was Mussolini aber nur durch das demonstrative Adjektiv zu verstehen gibt. Tatsächlich wird jedoch an keiner Stelle wirklich geklärt, was de facto Agens bzw. Patiens des kausativen Basisverbs chiarire: x chiarisce y ist. Dieselbe Agensvariable x und dieselbe Patiensvariable y sind allerdings aufgrund genannter Argumentstruktur der Derivationsbasis auch vom entsprechenden deverbalen Substantiv als Funktor perspektiviert. (IV.157) Aux Français qui s’interrogent et doutent, je demande de mesurer les progrès que notre pays a réalisés depuis neuf mois. Entre ces réalisations et les promesses trompeuses de la dissidence leur choix sera vite fait. (Pétain 1941b, 122, 55-58) Das deverbale Substantiv réalisations fungiert in diesem Textbeispiel als unmittelbarer, weil wörtlicher Rückverweis auf das transitiv-kausative Verb réaliser im vorangehenden Satz, das seine Derivationsbasis darstellt. Agens x von réaliser: x réalise y ist notre pays, und der in diesem Fall effizierte Patiens y ist les progrès depuis neuf mois. Das ebenfalls einen Agens und einen effizierten Patiens perspektivierende deverbale Substantiv réalisations bezieht diese somit aus dem unmittelbar vorangehenden Satz, in dem beide ebenfalls perspektiviert, aber auch fokalisiert werden. Réalisations als anaphorisches nomen acti dient diskursstrategisch offensichtlich dazu, die unter Pétain erzielten Leistungen hervorzuheben. (IV.158) [Eu n-o quero forçar conclusões, mas se a democracia pode ter, além do seu significado político, significado e alcance social, ent-o os verdadeiros democratas somos nós.] Afirmo-o sem acrimónia, mas convicto; nem tal conclus-o poderia ter o ar de desafio em boca de quem, sempre proclamou n-o sermos todos demais para servir Portugal. (Salazar 1945b, 119-120, 501-507) Concluir im Sinne von entnehmen, erschließen als Derivationsbasis von conclus-o impliziert den Satzbauplan N - V - (de, por N) - N (Busse 1994, 119). Der präpositionale Drittaktant mag syntaktisch fakultativ sein, semantisch-logisch ist er aber allemal perspektiviert. Conclus-o ist insofern anaphorisch, als es auf das vorher Gesagte referiert und aus dem vorher Gesagten das erste, das zweite und das dritte Argument bezieht. Das demonstrative Adjektiv tal unterstreicht ferner das Persönliche an der zusammenfassenden Anaphora. <?page no="267"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 261 4.8.5.3.2 Kataphora (IV.159) Todo esto, que es la transformación de un pueblo, todo esto, que, como decía fray Justo, es la semilla que depositamos en el surco, necesita tiempo para fructificar, y no sería suficiente si paralelamente no transformábamos la vida patria en todos los sentidos. [Vosotros lleváis la transformación espiritual (...). Era necesario realizar la gran obra social, y en ella la gran obra de transformación de los hogares (...). Esta transformación que hemos hecho se ha logrado a base de sacrificios.] (Franco 1945e, 334, 61-79) In der ersten Zeile dieses Textbeispiels wird la transformación gewissermaßen angekündigt, daher die kataphorische Funktion dieses deverbalen Substantivs, das sich aus dem kausativen transformar: x transforma y en z ableitet. Der Gebrauch des kataphorischen la transformación lässt gewissermaßen erwarten, dass im Laufe des Textes näher darauf eingegangen wird, d.h., dass für den Zuhörer in Erfahrung zu bringen sein wird, wer, was, worein transformieren soll oder transformieren wird. In der Folge werden transformar und la transformación in der Tat auch wiederholt aufgegriffen, und es werden zumindest Teilaspekte der angekündigten, scheinbar großen Transformation benannt, indem verschiedene konkrete affizierte Patienzien fokalisiert werden. Dazu gehören un pueblo, la vida patria, wenn das desubstantivische Adjektiv espiritual dazugerechnet wird, eventuell auch el espíritu und schließlich los hogares. Nicht in Erfahrung zu bringen ist für die Zuhörerschaft jedoch, erstens wer transformieren wird und zweitens worein transformiert wird. (IV.160) [Il 18 novembre del 1935 appare come una data decisiva nella storia d’Europa.] [...]. Da quel giorno ha inizio la separazione, l’antitesi, la lotta, che doveva, dopo i compromessi di Monacao, accettati dalle democrazie al solo scopo di guadagnare tempo, sboccare nella guerra dichiarata dalla Francia e dalla Gran Bretagna contro la Germania. (Mussolini 1940b, 31, 6-15) Der wahrscheinliche Satzbauplan des dem deverbalen Substantiv la separazione hier zugrunde liegenden Verbs ist N plur -si V (Blumenthal/ Rovere 1998, 1105), wenngleich sich dies auch erst im Laufe des Textes herausstellen soll. A priori könnte es nämlich genauso gut die kausative Variante von separare mit dem Satzbauplan N - V - N1 plur (vgl. Blumenthal/ Rovere 1998, 1105) sein. Zunächst kündigt Mussolini also eine Trennung oder eine Spaltung an, ohne dass der Zuhörer jedoch wissen kann, um welche es konkret geht. Dadurch ist aber auf alle Fälle für Spannung gesorgt. Bei la separazione handelt es sich hier um eine Art hyperonymische Kataphora, da Trennung als Oberbegriff für zahlreiche verschiedene Weisen des Sich-voneinander-Entfernens zu verstehen ist. Wie sich herausstellen soll, entfernen sich die Kontrahenten, auf der einen Seite Frankreich und Großbritannien, auf der anderen Seite Deutschland, im gegebenen Fall auf kriegerische Weise voneinander. (IV.161) [J’ai rencontré, jeudi dernier, le chancelier du Reich. Cette rencontre a suscité des espérances et provoqué des inquiétudes.] Je vous dois à ce sujet quelques explications. (Pétain 1940b, 94, 2-4) <?page no="268"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 262 Explication leitet sich aus expliquer: x explique y à z ab. Aus dem gegebenen Kontext ist zu schließen, dass Pétain selbst als Agens x die kataphorisch angekündigten Erklärungen abgeben wird, wenngleich dies nicht notwendigerweise so sein müsste. Der sekundärrealisierte Drittaktant ist die Zuhörerschaft. Was allerdings nicht wirklich fokalisiert wird, ist das von expliquer bzw. von explication perspektivierte zweite Argument, durch das das Thema der Erklärung fokalisiert würde, denn à ce sujet, also zu diesem Thema, ersetzt keinesfalls den Zweitaktanten. In der Rede ist Pétain dann bemüht, der Zuhörerschaft die collaboration als die beste Lösung zu verkaufen. In der angekündigten Erklärung geht es also im Endeffekt darum, den Zuhörern seine Entscheidung zur Kollaboration zu erklären. (IV.162) [A terra está ensopada de sangue e de lágrimas; sofreu-se e sofre-se de mais para que nos entreguemos a ruidosas manifestações de alegria.] Contudo, e embora com os olhos embaciados de lágrimas, um íntimo contentamento de alma é justo e devido. Apontarei, resumidamente, os três motivos seguintes. (Salazar 1945a, 94, 26-32) Das dem Substantiv o contentamento zugrunde liegende Verb contentar bzw. contentar-se (com), das sich wohl aus dem Adjektiv contento ableitet, impliziert den Satzbauplan Nc - V - Np bzw. Np - Vse - com N (Busse 1994, 129). Die verbale Basis des obigen Nominalsyntagmas o contentamento de alma ist infolgedessen entweder x contenta a alma oder a alma contenta-se (com). Träfe der erste Fall zu, so wäre hier das erste Argument unspezifiziert geblieben, und im zweiten Fall bedürfte es wohl eines instrumentalen Modifikators, der zirkumstantiell zu realisieren wäre. Um íntimo contentamento de alma ist jedenfalls insofern kataphorisch, als es auf die folgende - ebenfalls angekündigte - Auflistung vorverweist und damit die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. 4.8.5.3.3 Diaphora (IV.163) Pero esta gran obra de resurgimiento y formación que la Patria necesitaba no podía hacerse a través de los instrumentos fríos y burocráticos que representan los órganos normales de Gobierno [...]. Y por eso y para eso es nuestro Movimiento nacional, estas organizaciones juveniles constituídas por unas formaciones selectas que echaron sobre sus hombros la pesada carga de ser los portadores de este anhelo y de esta esperanza. (Franco 1945e, 333, 19-33) Sowohl anhelo, die Sehnsucht, als auch esperanza, die Hoffnung, sind durch demonstrative Adjektive determiniert, wodurch der Eindruck einer klaren textuellen Referenz entsteht, die man aber vergeblich sucht. El Movimiento wird zwar als der Hoffnungsträger dargestellt, es bleibt aber im Grunde offen sowohl, wer hoffen darf, als auch, worauf man hoffen darf. Es wird also weder x noch y von x anhela y bzw. x espera y spezifiziert. Um zu erfassen, was Franco de facto sagt, muss die Zuhörerschaft die Prinzipien des Movimiento als vom Redner deklarierten Hoffnungsträger kennen. Die Zuhörerschaft muss also über den Horizont der Rede hinausschauen. <?page no="269"?> 4.8 Perspektiveänderung infolge geänderter Valenzpotenz 263 (IV.164) [(...) la Germania non aveva bisogno del nostro concorso. (...). Le cifre di produzione di aeroplani e di sottomarini raggiunte dalla Germania sono veramente eccezionali ed in continuo progresso.] Ciononostante, io sono grato al Führer di aver accettato la mia offerta: nulla più del sangue versato in comune o del sacrificio comune sopportato rende solidi e duraturi i rapporti fra i popoli, quando siano animati da una lealtà assoluta e da un’identità di interessi e di ideali. (Mussolini 1940b, 34-35, 172-181) Offrire: x offre y a z ist die verbale Basis des deverbalen Substantivs offerta. Durch Transformationen bzw. durch Umformulierungen ergibt sich, dass x durch Mussolini und z durch den Führer spezifiziert sind. Die Realisierung des zweiten Arguments, also von y, lässt sich jedoch auch aus dem Kontext der gesamten Rede nicht eruieren. Irreführend - in der geschriebenen Version - ist ferner der Doppelpunkt nach la mia offerta, zumal dieser erwarten lässt, dass das Thema als Patiens, wenn schon nicht bezeichnet, zumindest beschrieben wird. Auch hier muss also die Zuhörerschaft mehr wissen, als Mussolini sagt, um auch nur die von ihm intendierte Bedeutung seiner Worte zu verstehen. (IV.165) Il me faut mieux que l’obéissance de la jeunesse, il me faut sa conviction ardente, sa volonté d’action et sa foi. (Pétain 1943a, 301, 71-73) Die Derivationsbasis von conviction ist convaincre: x convainc y de z bzw. être convaincu/ e de quelque chose: x est convaincu/ e de quelque chose. Es ist naheliegend, hier von der von être convaincu/ e regierten Zustandsbeschreibung auszugehen, die letztlich aber auch wieder von der transitiven Variante x convainc y de z abhängt, selbst wenn es sich um eine reflexive - oder mediale - durch x convainc x de z formalisierte Konstruktion handelt. In (IV.165) geht es um die Überzeugung der Jugend, die Pétain einfordert. Das große Rätsel, zu dem allerdings die gesamte Rede keine Lösung bietet, ist, de quoi, also wovon die Jugend überzeugt sein soll. Infolgedessen muss der Rezipient also auch in diesem Fall weit über die Grenzen des Textes hinausschauen, um herauszufinden, wovon die Jugend Pétains Auffassung nach überzeugt sein soll. (IV.166) Além do que possa significar a minha presença entre vós - pouco ou muito, vós o avaliareis - para mais n-o vim que para ouvir, gritada a toda a força dos pulmões sadios e do entusiasmo viril, a palavra que sobre tudo o que pudesse dividir, nos une na mesma aspiraç-o, na mesma luta e cremos firmemente que na mesma vitória: Portugal! (Salazar 1938a, 15, 1-8) Das deverbale substantivische Schlüsselwort in diesem Absatz ist (na mesma) aspiraç-o, das sich aus aspirar: x aspira a y ableitet. Aus dem Kontext lässt sich zwar eruieren, dass x für alle Portugiesen stehen soll, unmöglich ist es jedoch herauszufinden, wodurch das dritte Argument y realisiert sein sollte oder könnte. Salazar schafft den Eindruck gemeinsamer Ziele, die von allen zu verfolgen wären, ohne sie jedoch zu bezeichnen oder auch nur zu umschreiben. Für die Interpretation dieser Ziele muss wiederum der weite Kontext bemüht werden. <?page no="270"?> 4. Perspektivierung - Fokalisierung - Fokussierung - Orientierung 264 4.9 Fazit In diesem Kapitel ging es uns zunächst darum klar zu machen, dass es bei einer Textanalyse im Allgemeinen und zumindest in der Phase der konsequent linguistischen Analyse der politischen Rede im Besonderen unerlässlich ist, erstens zu differenzieren zwischen den verschiedenen Ebenen der Sprache, von der logischsemantischen bis hin zu jener des sprachlichen Endprodukts, die sich wie Sedimente unter dem einen sichtbaren Ausschnitt des Waldbodens verstecken, der bildlich für die syntaktische Oberfläche steht, zweitens zu klären, wie auch nur eine unmarkierte syntaktische Oberfläche zustande kommt, drittens zu beleuchten, wie bestimmte Satzelemente die besondere Aufmerksamkeit des Rezipienten erlangen können und viertens darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Ensemble dieser Ebenen so etwas wie Orientierungen ergeben können. Die erste Ebene in unserem Modell ist jene der Perspektiviertheit bzw. der Perspektivierung. Perspektiviertheit definieren wir als statische Stelligkeit im Sinne der Funktor-Argument-Modifikator-Struktur, während Perspektivierung die prozessuale Relation vom Funktor zur Relatposition bezeichnet. D.h. also, Perspektivierung meint funktorielles In-Blick-Nehmen von Argumenten. Unter Fokalisierung verstehen wir nichts anderes als die unmarkiert serialisierte Spezifizierung von Argumenten und gegebenenfalls auch von Modifikatoren. Fokussierung bedeutet schließlich generell, dass ein Satzelement syntaktisch bedingt in das Zentrum der Aufmerksamkeit des Rezipienten gerückt wird und dadurch dessen besondere Beachtung erlangt. Es handelt sich dabei also um einen Kunstgriff des Senders. Wir stellten fest, dass eine neutrale im Sinne von unperspektivierter Darstellung eines Sachverhalts im weitesten Sinne sprachunmöglich ist, dass die sprachliche Darstellung quasi der signifikativen Brechung nicht entkommt. Die Differenzierung zwischen Perspektivierung und Fokalisierung ermöglicht es, Nullaktantifizierungen von Argumenten und gegebenenfalls auch Nullzirkumstantifizierungen von Modifikatoren als diskursstrategische Waffe zu entlarven. Im Zuge der Untersuchung der Fokalisierung und der Fokussierung werden zum einen die semantischen Relationen zwischen Funktoren und Argumenten und zum anderen die speziellen syntaktischen Bauweisen unter dem Blickwinkel der diskursstrategischen Mittel unter die Lupe genommen. Das Zusammenspiel von Perspektivierung, Fokalisierung und Fokussierung führt zumindest mitunter zu bestimmten Darstellungsorientierungen, die gewissermaßen des Redners - bewusst oder unbewusst installierte - Blickrichtung auf das Abzuhandelnde enthüllen. Ferner hat sich herausgestellt, dass die Valenzpotenz häufig eine variable ist und diathetisch bedingt modifiziert werden kann. Wird in der kausativen Diathese die Anzahl der Argumente erhöht, so führen im Gegensatz dazu die Passivdiathese, die rezessive Diathese, die SE-Diathese sowie die Nominalisierung von Verben entweder zu Argumentreduktion oder zu aktantiellem Statuswechsel eines oder mehrerer Argumente, wodurch auf der logisch-semantischen Ebene Perspektiviertes bei der Überführung der konzeptuellen Struktur in eine sprachliche nicht mehr fokalisiert werden muss bzw. nicht mehr fokalisiert werden kann. Der diskursstrategische Wert der verschiedenen Diathesen liegt auf der Hand. <?page no="271"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 5.1 Thematik In diesem Kapitel geht es im Wesentlichen darum herauszufinden, ob, und wenn ja, auf welche Weise die Analyse von Funktorenstrukturen und Archisemformeln bzw. Kernkonfigurationen als Kernbereiche der semantischen Valenz für die Diskursanalyse nutzbar gemacht werden können. Da es sich bei den Funktorenstrukturen und Archisemformeln um Bereiche aus der semantischen Valenz handelt, ist es naheliegend, dass die Einheit der Bedeutung in diesem Kapitel im Mittelpunkt des Interesses steht. Dem Rechnung tragend, wird zunächst auf die Bedeutung als durch Funktorenstrukturen und Archisemformeln zu analysierende bzw. zu erfassende Einheit eingegangen, wodurch die Grundlage für die darauf folgenden Abschnitte geschaffen wird. Danach wird das Wesen der Funktorenstrukturen diskutiert und im Anschluss daran werden exemplarisch einzelne Funktorenstrukturen herausgegriffen, durch ausgewählte Textstellen aus den untersuchten Reden belegt und schließlich daraufhin untersucht, ob sich die Funktorenstrukturanalyse in der Diskussion politischer Reden als aufschlussreich erweist. Ähnlich verläuft die Diskussion über die Dienstbarmachung der generischen und speziellen Archisemformeln in der Diskursanalyse. Die verschiedenen Typen der Archisemformeln werden vorgestellt und anschließend auf ihre Tauglichkeit in der Diskursanalyse überprüft. Auch hier geht es darum herauszuarbeiten, ob eine archisemformelhafte Analyse der Verben in der politischen Rede diskursanalytisch relevante Ergebnisse liefern kann. Es geht allerdings weder im Hinblick auf die Funktorenstrukturen noch hinsichtlich der Archisemformeln um eine flächendeckende Analyse der Verben in den untersuchten Reden. Es sollen vielmehr punktuelle Ansätze vorgestellt werden, die u.U. zu ausgedehnteren Untersuchungen anregen können oder sollen. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werden die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen resümiert und im Anschluss daran wird prinzipiell die Anwendbarkeit der funktorenstrukturellen und/ oder archisemformelhaften Analyse von Verben im (politischen) Diskurs diskutiert. <?page no="272"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 266 5.2 Die Bedeutung als zu analysierende Einheit Durch Funktorenstrukturen und Archisemformeln soll im Wesentlichen die Bedeutung von Verben erfasst und klassifiziert werden. 1 Bedeutung darf weder generell mit einem erkenntnismäßigen Abbild, d.h. mit einer begrifflichen Vorstellung identifiziert noch aus sinnlich erfassten Daten im Glauben an die Wirklichkeitsdeterminiertheit abgeleitet werden (vgl. Gansel 1997, 86 ff.). Die Seme der Wortbedeutung sind einzelsprachlich in distinkten Oppositionen und mittels distinktiver semantischer Merkmale zu beschreiben. Die Bedeutungsbeschreibung zur Abgrenzung von Semen und Sememen ist jedoch strikt von der Sachbeschreibung zu trennen (vgl. Gansel 1992b, 43). Gemeinsam ist der Bedeutung und dem Sachwissen, dass Widerspiegelungselemente von Sachverhalten umfasst werden. Sachwissen ist aber einzelsprachunabhängig, während die Bedeutung als sprachliche Kategorie immer vom Sprachsystem einer Sprachgemeinschaft abhängig ist. Als wesentlichen Unterschied zwischen Sprachwissen und Sachwissen erachtet Gansel (1992c, 61), dass „die Bedeutung primär auf die Kommunikation, das Sachwissen dagegen primär auf die Reflexion über die Wirklichkeit gerichtet ist.“ Bondzio (1971, 92) betrachtet Bedeutung zunächst schlicht als „Bündel von semantischen Komponenten“, was die Zerlegbarkeit derselben voraussetzt. Unter „semantischen Primärkomponenten“ (Bondzio 1971, 93) seien schließlich jene Komponenten zu verstehen, die nicht mehr zerlegbar sind. Semantische Merkmale oder Komponenten sind Eigenschaften des Systems und somit auch nicht a priori universell zu verstehen (vgl. Simmler 1985, 457 ff.). Es handelt sich dabei um „prälexikalische kognitive Einheiten“ (Welke 1979, 754), die als Bestandteile des lexemisch realisierten Semems keine gesonderte Repräsentation erfahren. Es sind nun aber nicht semantische Merkmale, in denen wir denken, sondern Wörter als „gesellschaftlich erarbeitete Bedeutungen“ (Welke 1979, 755). Insofern ist nicht das semantische Merkmal, sondern das Wort als Teil einer historischen Sprache Ausgangspunkt für die Bedeutungsanalyse. „Sprache ist eine gesellschaftlich-historische Erscheinung. Die Wörter einer Sprache stellen das gesellschaftlich erarbeitete Klassifizierungssystem dar, in dem sich das Denken bewegt“ (Welke 1979, 755). Ginge man von einem Denken in Merkmalen statt von einem Denken in Begriffen aus, so handelte es sich dabei um ein völlig ahistorisches Verständnis von Wortbedeutung. „Begriffe, nicht Merkmale, sind die Grundbausteine unserer Gedanken“, so Welke (1979, 755). Nichtsdestotrotz sind es die semantischen Merkmale, über die wir zur Wortbedeutung gelangen, die ihrerseits als Kern des einzelsprachlichen Wissens Entscheidungsfindungen in der kommunikativen Tätigkeit auslösen (vgl. Gansel 1993, 158). Wotjak definiert Bedeutung als „relativ invariante durchschnittliche Denotatswiderspiegelungen und Kern der jeweiligen individuellen Abbilder“ (Wotjak 1 Nach Bondzio (1993) basieren mitunter jedoch Verben, Substantive und Adjektive auf ein und derselben Funktorenstruktur. <?page no="273"?> 5.2 Die Bedeutung als zu analysierende Einheit 267 1975, 13). In der Verbbedeutung sei ein bestimmter Sachverhalt „eingefroren“ (Wotjak 1974a, 258), der eine gewisse gesellschaftliche Norm widerspiegle. Wenngleich sich die individuellen Abbilder der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft wohl kaum absolut decken, so ist doch davon auszugehen, dass die Mitglieder der betreffenden Sprachgemeinschaft zumindest einen gesellschaftlich normierten invarianten Bedeutungskern interiorisiert haben, ansonsten wäre Kommunikation unmöglich. Wenn sich nun die Wortbedeutung aus semantischen Merkmalen oder Semen zusammensetzt, die nicht in ihrer Gesamtheit von den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft interiorisiert sind, so bedeutet dies unter der Voraussetzung der Möglichkeit zur Kommunikation, dass zumindest die den invarianten Bedeutungskern umfassenden Kernseme des jeweiligen Semems individuell, aber vor allem auch intersubjektiv abrufbar und in der Kommunikation aktualisierbar sind. Auf Seme und somit auch auf Kernseme rekurrierend, beschreibt Wotjak die Bedeutung von Lexemen später infolgedessen auch als „synchron relativ invariante, in spezifischer Weise geordnete Menge von kleineren Bedeutungsbestandteilen (Semen), die einem bestimmten Formativ F (Zeichenkörper) bzw. dessen Abbild F’ zugeordnet sind“; Bedeutung sei ein „durchschnittliches Abbild, eine historisch-gesellschaftlich eingefrorene, kondensierte und reduzierte Form einer Aussage über Sachverhalte“ (Wotjak 1987b, 538). Bedeutung als reduzierte Form einer Aussage über Sachverhalte meint, dass es sich um eine anteilige Interiorisierung des Sembestandes des jeweiligen Semems, eben um jene der Kernseme, handelt. Wenn wir im Hinblick auf die Bedeutung von Lexemen zwischen Kernsemen und peripheren Semen oder zwischen invarianten und varianten Merkmalen unterscheiden, so heißt das, dass die Kernseme oder invarianten Merkmale für die Bedeutung konstitutiv sind, während die peripheren Seme oder varianten Merkmale für die Bedeutung als latente Charakteristika zu erachten sind (vgl. Welke 2002, 40). Sememe können sich voneinander in ihrem Sembestand qualitativ und/ oder quantitativ unterscheiden. Je mehr Seme, nämlich Kernund/ oder periphere Seme, die semantische Repräsentation eines Verballexems enthält, desto enger und perspektivierter ist einerseits die Bindung vor allem bestimmter Zweitaktanten; das heißt, je konkreter die Kernmerkmale und je detaillierter die Kontextanforderungen sind, umso geringer ist die Kombinationsmöglichkeit des Verbs mit verschiedenen Ergänzungen (vgl. Wotjak 1974b, 53) bzw. die Anzahl der perspektivierbaren Rollen (vgl. Nikula 1995b, 142); andererseits kann ein reicher Sembestand eines Verballexems allerdings auch dazu führen, dass gerade aufgrund der reichen Bedeutungskomplexion des Verbs vor allem ein vom System her nicht nur fakultativer, sondern auch obligatorischer Zweitaktant relativ entbehrlich wird (vgl. Moilanen 1985, 192). 2 Die Tatsache, dass Bedeutung immer relational ist, ist die Grundprämisse für das Phänomen Valenz (vgl. Welke/ Meinhard 1980, 151). Sprachliche Zeichen sind somit naturgemäß relational. Die Relationalität der sprachlichen Zeichen manifes- 2 Vgl. dazu 4.5.1 und 4.5.2 <?page no="274"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 268 tiert sich gerade in der Ergänzungsbedürftigkeit der Verben. Hier gilt generell, dass die Ergänzungsbedürftigkeit des Verbs zum einen mit der Anzahl und zum anderen mit der Natur seiner Seme korreliert, wobei prinzipiell Ergänzungen bedeutungsärmerer und/ oder abstrakterer Verben eher obligatorisch erscheinen als jene bedeutungsreicherer und/ oder konkreterer Verben (vgl. Nikula 1995a, 329). Aus kognitiver Sicht bedeutet dies, dass ein verbaler Valenzträger mit vielen Bedeutungsmerkmalen ein relativ genau spezifiziertes Skript evoziert (vgl. Nikula 1995b, 141), was nichts anderes heißt, als dass hochimplikative Verben ihre Argumente, die die Rollen im jeweiligen Skript übernehmen, automatisch aktivieren (vgl. Gansel 2003). Generell lässt sich sagen, dass die Bedeutungsstruktur des Verbs die von ihm geforderten Argumente - wenn auch unterschiedlich stark - impliziert oder präsupponiert. Wenn Tesnière ( 2 1965, 287) sagt „un verbe dont on connaît le sens, mais dont on ignore la structure actantielle, est inutilisable“, so wird zwar betont, dass es für die Verwendung des Verbs unentbehrlich sei, über dessen Aktantenstruktur Bescheid zu wissen, es stellt sich aber doch grundsätzlich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, die Bedeutung eines Verbs zu erfassen, ohne seine Aktantenstruktur zu kennen, zumal die Kernkonfiguration der lexikalischen Bedeutung des Verbs aus dem semantischen Prädikat, d.h. dem Funktor mitsamt den von diesem geforderten Argumenten besteht (vgl. Wotjak 2000, 2). Es scheint aus diesem Grunde wohl eher schwer möglich. 3 Die Bedeutung als logische Proposition besteht aus einem Prädikat und 1.....n diesem zugeordneten Argumentvariablen, deren Anzahl und semantische Beschaffenheit von den Bestandteilen des synchron invarianten Bedeutungskerns determiniert wird (vgl. Wotjak 1975, 4 ff.). Die lexikalische Einheit (LE) als LEtype bleibt aber Träger mehrerer potentieller Bedeutungen, von denen jedoch die jeweils durch das entsprechende LE-token aktualisierte, d.h. also als Äußerungsbedeutung, eine weitere Spezifizierung erfährt (vgl. Wotjak 1988a, 326). Weinrich (1967, 114) geht davon aus, dass die Verbbedeutung erst im spezifischen Kontext aktualisiert durch diesen determiniert wird. Ähnlich Baskevic (1987, 153), die den Wörtern insgesamt zwar eine bestimmte Bedeutungsstruktur zugesteht, deren Ausformung allerdings erst im Kontext als möglich erachtet. Diese Auffassungen decken sich wohl grosso modo mit jener Helbigs (vgl. 1978, 67 ff.), der genau dann semantische Transitivität ins Spiel bringt, wenn das entsprechende Wort nicht allein, sondern erst in Kombination mit anderen Wörtern seine volle Bedeutung realisieren kann. Synsemantie im weitesten Sinne betreffe somit u.U. alle lexikalischen Einheiten, die Grenze zwischen Autosemantie und Synsemantie verlaufe aber auf alle Fälle quer durch den Bereich der Verben. Den unmittelbaren Kontext des Verbs bilden dessen Aktanten und Zirkumstanten, die sehr wohl einen entscheidenden Einfluss auf die Verbbedeutung ausüben (können), womit die angesprochene Wichtigkeit des unmittelbaren Kon- 3 Gleichzeitig ist aber auf die Komplexität bereits eines einfachen Verbs zu verweisen, sowie darauf, dass sich hinter einem syntaktischen Muster eine Vielzahl semantischer Muster verbergen (kann) (vgl. Seyfert 1976, 289). <?page no="275"?> 5.3 Funktorenstrukturen 269 texts für die Bedeutung der lexikalischen Einheit deutlich wird. Die lexikalische Bedeutung darf aber nicht etwa mit Denotatsrepräsentation oder gar mit Konzeptualisierung von Frames, Skripts oder Geschehenstypen gleichgesetzt werden. Die Unterscheidung zwischen der Bedeutung von LE-type und jener von LE-token muss prinzipiell aufrecht erhalten bleiben. Die Bedeutung als Einheit des Systems kann nach Wotjak (1988a, 139) als eine „gedächtnismäßig eingespeicherte, rekurrent mit dem Formativ korrelierte Systemgröße, eine kontextfreie Extrapolation aus den token-Bedeutungen“ verstanden werden. Es stellt sich hier jedoch unweigerlich die Frage nach der Eruierung der Systembedeutung der LE oder auch jene nach der Gewinnung der obengenannten kontextfreien Extrapolation aus den token-Bedeutungen. Wenn wir oben mit Wotjak sagten, dass die Kernkonfiguration der lexikalischen Bedeutung aus den Funktoren und den von diesen abhängigen Argumenten bzw. Argumentkonstanten bestehe, so darf dennoch nicht übersehen werden, dass die Modifikatoren als distinktive, differenzierende Merkmale ebenfalls Teil der Bedeutung sind (vgl. Bondzio 1971; 1993; Wotjak 1994a, 172). Bei der Bedeutungskonstituierung spielen sie jedoch offensichtlich eine andere Rolle als die Argumente. Vermittels Leerstellen oder Argumentpositionen des Funktors enthält die Systembedeutung eines Verbs generische Vorgaben bezüglich der konkreten Handlungsbeteiligten. Diese generischen Vorgaben in Verbindung mit der Reduktion komplexer Bedeutungen auf elementare Funktorenstrukturen können quasi die Klassifizierungsgrundlage für Verben im Allgemeinen bilden. Die Bedeutungsbeschreibung von Verben auf der Grundlage möglichst generischer Basispropositionsdarstellungen verdeutlicht zum einen Gemeinsamkeiten, zum anderen aber auch Unterschiede entweder zwischen den Verben ganz generell oder aber auch zwischen Verben innerhalb abgegrenzter Felder. Eine gemeinsame Funktorenstruktur und identische Stelligkeit erlauben eine erste Kategorisierung der Verben nach eben diesen Kriterien. Die dann noch bestehenden Unterschiede zwischen den Verben einer solchen Kategorie sind ebenfalls semantisch zu erklären, und zwar durch die Modifikatoren, zumal diese neben den „designativ-denotativ-referentiellen Komponenten des archisemformelhaften gemeinsamen Nenners“ (Wotjak 2000, 2) weitere Bestandteile der lexikalischen Bedeutung sind. Was Funktorenstrukturen und Archisemformeln im Rahmen der Diskursanalyse im Einzelnen ermöglichen, sei in den folgenden Abschnitten dargestellt. 5.3 Funktorenstrukturen Mit Pottier ( 2 1971) erachtet Wotjak (1994a, 171) Funktorenstrukturen als „sozialisierte und usualisierte Sachverhaltswissensrepräsentationen.“ Nach Wotjak (1994a, 171 ff.) handelt es sich bei den Funktorenstrukturen um komplexe Prädikationen, bestehend aus einem Funktor, das heißt dem semantischen Prädikat, und mindestens einem oder aber auch mehreren Argumenten. Die Argument- <?page no="276"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 270 leerstellen des Prädikats sind in dessen basispropositionaler semantischer Mikrostruktur sememisch prädeterminiert. Auf der semantischen Ebene enthält die Basisproposition also Platzhalter für Argumente, deren Spezifizierung vom aktualisierten Funktor verlangt wird. Funktoren sind ohne Argumente unvollständig. Typische non-complement constituents hingegen ändern mit dem complement die Bedeutung (vgl. Günther 1978, 131). Wiederholt wurde bereits auf die Relationalität von Bedeutung im Allgemeinen und von sprachlichen Zeichen im Besonderen hingewiesen. Die Welt wird als aus Dingen und Beziehungen zwischen diesen bestehend gedacht. Welke fasst den Konnex zwischen dieser Sicht und der Prädikatenlogik, fußend auf der erwähnten Grundidee, dass das Prädikat, also der Funktor, nämlich bereits die Leerstellen für die Argumente des Prädikats enthält (vgl. Bondzio 1971, 89), folgendermaßen zusammen: „Verben stellen Sachverhalte oder Situationen dergestalt dar, dass sie eine Beziehung herausgreifen und auf verbspezifisch eingegrenzte Mengen von Dingen beziehen. Dieser Bezug ist die sogenannte Prädikat- Argument-Struktur“ (Welke 2002, 39). Entscheidend scheint der Punkt, dass eine Relation auf verbspezifisch eingegrenzte Mengen von Dingen bezogen wird. Die semantische Begründung von Valenz basiert auf der Grundeigenschaft Relation einer Entität zu anderen Entitäten, was auch heißt, dass jede Entität über ihre eigene Relationalität verfügt. Da die Relationspartner wechseln können, handelt es sich stets um Klassen von Relationspartnern. Im Rahmen der Funktorenstrukturanalyse erfolgt nun die Subklassifizierung von Verben auf der Grundlage gemeinsamer Eigenschaften von Relationen der Funktoren und der zu ihnen komplementären semantisch-logischen Rollen der Relationspartner. Die aus den subklassifizierten Funktoren deduzierten Funktorenstrukturen enthalten hinsichtlich der Relationalität in qualitativer und quantitativer Hinsicht gemeinsame, invariante Komponenten von Sememklassen und repräsentieren damit jene Ähnlichkeit zwischen Sememen, die für die grammatisch-syntaktische Zuordnung entscheidend ist. Es handelt sich also um eine semantisch-syntaktisch determinierte Subklassifizierung der entsprechenden Sememe nach relationalen Typen. Aus dieser Subklassifizierung ergeben sich somit semantisch-syntaktische Felder (vgl. Bondzio 1993, 21 ff.), die die entsprechenden Relationen zu den oben erwähnten verbspezifisch eingegrenzten Mengen von Dingen herstellen. Aus syntaktischer Perspektive gehören somit nur jene lexikalischen Einheiten zu einem Feld, deren Sememe aufgrund der gleichen Funktorenstruktur die gleichen Argumentpotentiale aufweisen (vgl. Wotjak/ Wotjak 1995, 245). Aus semantischer Sicht ist für die sememische Feldbildung auf funktorenstruktureller Grundlage das feldkonstituierende Genussem 4 (Gansel 1992b, 49) das alles entscheidende Kriterium. Soviel zu den Funktoren und Argumenten als Kernbestandteile der Funktorenstrukturen. Nach der Analyse der Relationen zwischen Funktoren und den von diesen abhängigen Argumenten stellt sich allerdings heraus, dass das Erfassen eines wie oben beschriebenen semantisch-syntaktischen Feldes einer weiteren 4 Unter Genussem ist das Klassem zu verstehen. <?page no="277"?> 5.3 Funktorenstrukturen 271 Unter- oder Feingliederung bedarf. Koch/ Krefeld (1991, 25) geben zu bedenken, dass eine adäquate Verbbeschreibung nicht ohne tatsächliches Verständnis der Verbbedeutung möglich sei, was zunächst als Selbstverständlichkeit anmuten mag. Sie führen jedoch aus, dass es darum gehe, erstens die leerstellenunabhängigen, zweitens die leerstellenbezogenen, sprich aktantiellen, und drittens aber auch die typisch zirkumstantenbezogenen Merkmale des Verbs zu erfassen. Beim Gebrauch eines Elementes aus einem der eingegrenzten Felder werde, so Wotjak (1970, 71), die Gesamtheit des Feldes evoziert. Gerade aus diesem Grunde scheint es relevant, jene Merkmale zu erfassen, aufgrund derer sich die Elemente innerhalb eines der oben erwähnten semantisch-syntaktisch subklassifizierten Felder unterscheiden. Es handelt sich dabei um Modifikatoren als Differentiaseme im Gegensatz zu den identifizierenden Genussemen der Basisproposition (vgl. Wotjak 1991a, 113 ff.). Sind bedeutungsidentifizierende Funktoren valenzrelevant, so sind bedeutungsdifferenzierende Modifikatoren valenzirrelevant (vgl. Helbig 1992, 154 ff.). Prädizieren Funktoren über Argumente, so prädizieren Modifikatoren in erster Linie über Funktoren (vgl. Welke 2002, 38), gegebenenfalls aber auch über die gesamte Basisproposition. Die Funktorenstrukturen nach Bondzio (1993) erfassen alle möglichen Relationen von sememischen Entitäten zu anderen sememischen Entitäten. Da Valenz nach Bondzio eine Eigenschaft der Wortbedeutung ist, ist sie nicht auf Verben beschränkt, sondern charakterisiert alle Autosemantica. Das heißt, es gibt nach Bondzio (1993) keine wortartspezifischen Funktorenstrukturen, Funktorenstrukturen seien nicht durch die Wortart determiniert. Kennzeichnend für die Funktorenstrukturanalyse im Sinne Bondzios (vgl. Bondzio 1993, 28) ist, dass die Extension der Sememe mit den Argumenten und die Intension der Sememe mit den Funktoren und Modifikatoren erfasst wird, weshalb Aussagen über die Argumentleerstellen als komplementär zu Aussagen über die Funktoren-Modifikatorenstruktur zu erachten sind. Bondzio gliedert alle Funktorenstrukturtypen in sechs einstellige, neununddreißig zweistellige und neunzehn dreistellige Funktorenstrukturen sowie dreizehn Funktorenstrukturen von Klassensememen bei Appellativa (Bondzio 1993, 33 ff.). Da die Funktorenstrukturen alle möglichen Relationen zwischen Sememen zu erfassen haben, sind sie naturgemäß von sehr abstrakt bis sehr konkret. 5 Entscheidend ist, dass alle durch eine Funktorenstruktur repräsentierten sememi- 5 Dies sei an zwei Beispielen demonstriert. Die zweistellige Funktorenstruktur „ x y (ORI- ENTIERT AUF (y)) (Ziel)“ mit „x Statist als Träger des Zustandes“ und „y Ziel als Orientierungsgröße“ repräsentiert Zustände. X zeichnet sich durch Gerichtetheit auf y aus, die sich konkret damit verbindenden Aktivitäten sind für die Bedeutung selbst irrelevant. Zu typischen, diese Funktorenstruktur repräsentierenden Sememen zählt Bondzio / hoffen auf, aus sein auf .../ , / Hoffnung auf, Wut auf, Eifersucht auf .../ und / gefasst auf, bedacht auf, wild auf, eifersüchtig auf .../ (vgl. Bondzio 1993, 48). Als Beispiel einer dreistelligen Funktorenstruktur sei exemplarisch folgende angeführt: „ z x y (BEWIRKEN (z, - DETERMI- NIERT VON (x, y)))“, d.h., der Akteur z BEWIRKT: (Statist) x IST NICHT DETERMINIERT VON (Determinator) y und für diese Funktorenstruktur typische Sememe sind / lossprechen von, unterscheiden von .../ oder / Trennung von, Heilung von .../ (vgl. Bondzio 1993, 76). <?page no="278"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 272 schen Entitäten aber jedenfalls mindestens ein eine Relation bezeichnendes gemeinsames Genussem enthalten. Abgesehen davon, kann sich aber der Sembestand der einzelnen durch eine Funktorenstruktur erfassten Entitäten aus sehr unterschiedlichen Semen zusammensetzen. 6 Die Möglichkeiten und Grenzen der Ermittlung von Funktorenstrukturen als Analyseinstrument auch für den politischen Diskurs ist Thema des folgenden Abschnitts. 5.3.1 Funktorenstrukturen im Text Die Klassifizierung der Funktorenstrukturen unterliegt, wie bereits dargelegt, sowohl syntaktischen als auch semantischen Bedingungen. Das syntaktische Kriterium für die Zuordnung eines Verbs zu einer bestimmten Funktorenstruktur ist, dass es in der Repräsentation des entsprechenden Funktors mit all den von diesem obligatorisch geforderten Argumenten seine eigene Abbildung findet. Das semantische Kriterium ist, dass dieses Verb mindestens ein Genussem jener Funktorenstruktur, der es zuzuordnen ist oder zugeordnet werden soll, enthält. Es werden nun sechs Funktorenstrukturen, a) bis f), herausgegriffen, exemplarisch nach dem Bondzio’schen Modell (1993, 36ff.) vorgestellt und mit Textstellen aus unseren Reden belegt. Anschließend ist zu untersuchen, inwiefern diese doch sehr wesentlichen Aspekte der semantischen Valenz auch für die Analyse politischer Diskurse aufschlussreich sein können. a) x y (BEWIRKEN (x, EXISTIEREN (y))) Diese Formel drückt aus, dass der Akteur (oder Produzent) x bewirkt, dass der Patiens (oder das Produkt) y existiert: (V.1) Así, la unidad nacional que forjan nuestros Reyes Católicos va estrechamente unida a la unidad espiritual y a la expansión de nuestra fe, y al lado de las banderas de nuestros Capitanes marcha inseparable la Cruz del Evangelio. (Franco 1942b, 242, 21-25) forjar: x = die ‘Reyes Católicos’; y = die nationale Einheit; Die ‚Reyes Católicos’ schmiedeten die nationale Einheit. (V.2) È il re che ha col suo gesto, dettato dalla preoccupazione per l’avvenire della sua corona, creato per l’Italia una situazione di caos, di vergogna e di miseria, che si riassume nei seguenti termini: in tutti i continenti, dall’estrema Asia all’America, si sa che cosa significhi tener fede ai patti da parte di Casa Savoia. (Mussolini 1943, 3, 89-93) 6 Bondzio nennt etwa als typische Repräsentanten für die einstellige Funktorenstruktur „ x (IN AKTION (x)) (Agens)“ / lallen, klopfen, sich verstellen, zittern, umfallen, rauschen/ , was bedeutet, dass Agens x in den jeweiligen Vorgang - aktiv oder passiv - einbezogen ist. Folglich umfasst diese Funktorenstruktur eine Vielzahl von Prozessen und Vorgängen (vgl. Bondzio 1993, 38), die sememisch gesehen viel mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweisen. <?page no="279"?> 5.3 Funktorenstrukturen 273 creare: x = der König; y = Chaos, Schande und Elend; Der König hat für Italien Chaos, Schande und Elend geschaffen. (V.3) L’esprit de jouissance détruit ce que l’esprit de sacrifice a édifié. (Pétain 1940a, 66, 101-102) édifier: x = Genusssucht; y = die Produkte des Opfergeistes; Die Genusssucht zerstört, was der Opfergeist erbaut hat. (V.4) Passam séculos, e o português a expulsar o mouro, a firmar a fronteira, […] a fazer o Brasil - glória da sua energia e do seu génio político. (Salazar 1940, 256, 20- 25) fazer: x = die Portugiesen; y = Brasilien; Es dauerte Jahrhunderte, bis die Portugiesen Brasilien machten. b) x y (BEWIRKEN (x, E HABEN (y))) Diese Funktorenstruktur besagt, dass der Akteur (oder Täter) x bewirkt, dass der Patiens y die Eigenschaft E erhält: (V.5) […]: necesitábamos enfervorizar al pueblo, necesitábamos contagiar a las gentes con nuestra fe. (Franco 1945e, 333, 27-29) enfervorizar: x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = die Menschen; Franco und seine Gesinnungsgenossen mussten in den Menschen Begeisterung wecken, mussten sie begeistert sein lassen. (V.6) Tornai nel 1920 e 1921, quando eravamo tormentati dalle questioni di pace mediocre e per taluni aspetti storta, mentre lo squadrismo triestino ripuliva energicamente ed eroicamente la vostra città dai molti, dai troppi reliquati dell’antico regime. (Mussolini, 1938b, 144, 6-9) ripulire: x = lo squadrismo triestino; y = die Stadt Triest; Die Squadristi säuberten die Stadt Triest, sie machten sie sauber von den Heiligtümern des alten Regimes. (V.7) Pendant des années, ils [les démagogues] ont injurié et affaibli la patrie, exaspéré les haines, mais ils n’ont rien fait d’efficace pour améliorer la condition des travailleurs, parce vivant de leur révolte, ils avaient intérêt à encourager ses causes. (Pétain 1941a, 112-113, 79-82) affaiblir: x = die Demagogen; y = das Vaterland; Die Demagogen haben das Land geschwächt, sie haben es schwach gemacht. (V.8) Uma das maiores fontes do temor é a ignorância do inimigo: n-o saber quem seja, qual o seu número, a sua força, as armas de que dispõe, as suas posições, a direcç-o dos seus ataques paralisa ou enfraquece os mais esforçados ânimos. (Salazar 1938a, 16, 27-31) paralisar/ enfraquecer: x = die Richtung der Angriffe des Feindes; y = starke, gefestigte Gemüter; <?page no="280"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 274 Die Richtung der Angriffe des Feindes lähmt oder schwächt sogar die stärksten Gemüter, sie macht diese lahm oder schwach. c) x y (RELATION R ZU (y)) In dieser Funktorenstruktur geht es darum, dass die Beziehung R von x ausgeht und y lediglich der Relationspartner von x ist: (V.9) Así también, considerando puro y plausible el ideal de elevar y dignificar al hombre, redimiéndole por la justicia social de sus miserias y necesidades, condenamos de la manera más absoluta la explotación de estos anhelos de las masas para incurrir en la aberración de destruir un orden económico que, desaparecido, sumiría a las naciones en la catástrofe, y que forzosamente, con el tiempo, habría que volver a levantar. (Franco 1945a, 11, 89-95) elevar/ dignificar: x = unpersönlich; y = der Mensch; condenar: x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = die Bestrebungen, die wirtschaftliche Ordnung zu ändern; Man soll den Menschen erhöhen und würdigen. Franco und seine Gesinnungsgenossen missbilligen so mancher Bestrebungen, die wirtschaftliche Ordnung zu ändern. (V.10) I greci odiano l’Italia come nessun altro popolo. [(…). Il perché è un mistero.] (Mussolini 1940b, 35, 187-190) odiare: x = die Griechen; y = Italien, die Italiener; Die Griechen hassen Italien. (V.11) C’est pourquoi il faut que le paysan soit hautement honoré, car il constitue, avec le soldat, les garanties essentielles de l’existence et de la sauvegarde du pays. (Pétain 1941c, 126, 119-121) honorer: x = unpersönlich; y = die Bauern; Man muss die Bauern ehren. (V.12) A nossa [dignidade patriótica] tomámo-la daqueles portugueses que valiam mais do que valemos e fizeram uma História e criaram uma Naç-o que somos obrigados, mesmo contra alguns, a respeitar e a defender. (Salazar 1943, 415, 868- 872) respeitar: x = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y = die Geschichte Portugals und Portugal als Nation; Salazar und seine Gesinnungsgenossen achten die Geschichte Portugals und Portugal als Nation. d) x y (DOMINIEREN (x, y)) Diese Funktorenstruktur bezeichnet die Überlegenheit von Superior x über Inferior y: <?page no="281"?> 5.3 Funktorenstrukturen 275 (V.13) No es la España calumniada la que limita y vigila los abusos de la libertad en la cátedra; no son las naciones llamadas totalitarias las que coartan las libertades políticas en holocausto del bien patrio; es la propia cuna del liberalismo y las naciones paladines de las libertades las que niegan la libertad de pensamiento y su libre expresión al perseguir y exterminar a cuantos militan en el credo comunista. (Franco 1939, 29, 689-696) no vigilar: x = Spanien; y = Missbrauch von Freiheit an Universitäten; Spanien überwacht nicht den Missbrauch von Freiheit. (V.14) [L’Aviazione italiana è sempre, e più di sempre, all’altezza del suo compito.] Essa ha dominato e domina i cieli e i suoi bombardieri attingono le mete più lontane. (Mussolini 1940b, 32, 84-86) dominare: x = die italienische Luftwaffe; y = der Himmel; Die italienische Luftwaffe beherrscht nach wie vor den Himmel. (V.15) [Que veulent-ils donc au juste, les ouvriers, lorsque, délivrés de leurs mauvais bergers, ils s’interrogent dans l’honnêteté de leur conscience et dans la sincérité de leur cœur? ] Ils veulent d’abord: s’évader de l’anonymat où ils ont été jusqu’ici trop souvent confinés. (Pétain 1941d, 128, 40-44) confiner: x = unpersönlich - aber in der Zeit vor Pétain; y = die Bauern; Es wurden früher die Bauern in der Anonymität gefangen gehalten. (V.16) [A Europa, tal como resultou de condições mesológicas e de longa evoluç-o histórica, n-o pode resolver por si e dentro de si os problemas fundamentais da sua vida e cultura; necessita da cooperaç-o de outras partes do mundo. (…).] N-o basta também a África em que a Europa pode dizer-se quase inteiramente domina, e por isso se habituou a resolver aqui os problemas de lá; s-o-lhe precisas a Ásia em que só parcialmente manda, e a América em que deixou absolutamente de mandar. (Salazar 1939a, 142, 121-138) dominar: x = Europa; y = der Großteil Afrikas; mandar: x = Europa; y = ein Teil Asiens ; n-o mandar: x = Europa; y = Amerika; Europa beherrscht fast ganz Afrika, gebietet in einem Teil Asiens, herrscht aber nicht mehr in Amerika. e) x (KOMMEN ZU (EXISTIEREN (x))) Diese Formel bedeutet, dass der Statist x entsteht bzw. entstanden ist: (V.17) [No puede existir tampoco unidad ni grandeza de España si lo nacional y lo social marchan escindidos o divorciados; ése fue el mal de nuestras últimas décadas, que viene a corregir nuestro Movimiento.] No se trata de nada nuevo y atrevido lo que nuestra doctrina encierra, pues como he dicho otras veces, del Evangelio emana y de la propia filosofía de nuestra Iglesia se deriva. (Franco 1942b, 243, 73-80) emanar: x = die Doktrin des Movimiento; <?page no="282"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 276 Die Doktrin des Movimiento entspringt dem Evangelium. (V.18) [Gli uomini sono veramente quelli del nostro tempo: la loro caratteristica è una calma intrepidità.] Quanto alle macchine, ne escono al mese dalle nostre officine quattro volte più che prima della guerra. (Mussolini 1940b, 32-33, 87-90) uscire: x = Autos; Viermal so viele Autos gehen aus den Werkstätten hervor wie vor dem Krieg. Dass das dieser Funktorenstruktur entsprechende Entstehen nicht stattfindet, wird durch die Negation von Verben, die genau auf derselben Funktorenstruktur beruhen, erzielt: (V.19) Il problema razziale non è scoppiato all’improvviso come pensano coloro i quali sono abituati ai bruschi risvegli, perché sono abituati ai lunghi sonni poltroni. [È in relazione con la conquista dell’impero; poiché la storia c’insegna che gli imperi si conquistano con le armi, ma si tengono col prestigio. E per il prestigio occorre una chiara, severa coscienza razziale, che stabilisca non soltanto delle differenze, ma delle superiorità nettissime.] (Mussolini 1938b, 146, 85-91) scoppiare: x = das Rassenproblem; Das Rassenproblem ist nicht plötzlich entstanden / losgebrochen. Das Gleiche gilt für das Beispiel (20): (V.20) Da allora la guerra terrestre nel continente è finita, non può riaccendersi, ed è finita con la vittoria della Germania, facilitata dalla non belligeranza dell’Italia, che immobilizzò ingenti forze navali, aeree, terrestri del blocco franco-inglese. (Mussolini 1941a, 52, 50-53) riaccendersi: x = der Bodenkrieg in Europa; Der Bodenkrieg in Europa ist zu Ende gegangen und kann nicht (mehr) ausbrechen / sich nicht mehr entzünden. (V.21) [Nous avons à restaurer la France.] Montrez-la au monde qui l’observe, […]. Français, vous l’accomplirez et vous verrez, je vous le jure, une France neuve surgir de votre ferveur. (Pétain 1940a, 66, 98-106) surgir: x = ein neues Frankreich; Ein neues Frankreich wird aus dem Eifer der Franzosen erstehen. (V.22) A guerra n-o é estado permanente mas colapso da paz; o ódio n-o pode ser eterno, pois os corações anseiam pelo amor e rendem-se fàcilmente à bondade; o terror nem sempre paralisa as vontades: do paroxismo do medo brotam com o despreso da vida rasgos de heroísmo. (Salazar 1938a, 19, 106-111) brotar: x = Heldentaten; Dem Paradoxon der Angst entstammen (auch) Heldentaten. f) x (KOMMEN ZU (- EXISTIEREN (x))) Hier ist x jener Statist bzw. jene Entität, deren Existenz endet bzw. beendet ist: <?page no="283"?> 5.3 Funktorenstrukturen 277 (V.23) [Si examinamos las causas profundas de las luchas que ensangrientan a Europa, no podemos dejar de considerar la gran parte que en provocarlas han tenido los especuladores internacionales, dueños y señores del régimen liberal y de injusticia imperante en el mundo. Régimen que vemos en profunda crisis hasta en los propios países que lo crearon y lo propagaron.] Así, al contraste de la dura realidad, desaparece el patrón oro y la estabilidad de las monedas, surge el encadenamiento de la economía con la racionalización de la producción y del consumo, la desaparición de las más seculares libertades y hasta aquellos derechos consagrados por la Revolución francesa sucumben y se entierran entre los cascos y bajo el imperio de las bayonetas por los propios voceros de las libertades. (Franco 1939, 29, 674-688) desaparecer: x = der Goldstandard und die Währungsstabilität; sucumbir: x = die durch die französische Revolution etablierten Rechte; Der Goldstandard und die Währungsstabilität verschwinden, die durch die französische Revolution etablierten Rechte erliegen/ gehen unter. (V.24) [Ma varrebbe forse la pena di ricordare quante volte lo spaccio demoplutocratico della menzogna trionfante, quante volte ha annunciato ai greggi ormai dispersi delle sue pecore abbrutite la prossima, l’imminente, la certissima rovina dell’Italia fascista.] Perché si era dissanguata in Africa e ancora di più in Ispagna ed aveva, quindi, urgente bisogno di un prestito, che naturalmente non poteva essere che britannico. (Mussolini 1939, 250, 35-40) dissanguarsi: x = Italien; Italien sei in Afrika und in Spanien ausgeblutet / verblutet. (V.25) [Être français, c’est accepter de participer aux souffrances des Français malheureux comme à leurs espoirs. Paysans, vos difficultés s’aggravent chaque saison, mais il y a des ouvriers qui ont faim.] Bourgeois, vous voyez fondre vos ressources. Mais des milliers de réfugiés n’ont pas retrouvé leur toit et d’autres ont dû fuir les bombardements. (Pétain 1943c, 318-319, 20-26) fondre: x = die Mittel der Bürger; Die Bürger sehen ihre Mittel zur Neige gehen. (V.26) No período de alguns meses acabou a guerra de Espanha, e com a vitória nacionalista se desvaneceram algumas das causas do desassossego geral. Mas no resto da Europa e no mesmo espaço desmembraram-se Estados, proclamou-se a independência de outros, fizeram-se rectificações de fronteiras com transferência de vastos territórios, encorporaram-se nações sob formas diversas, e com tudo isto se alterou notàvelmente o valor estratégico e o potencial militar de alguns países. (Salazar 1939a, 138, 14-23) acabar: x = der spanische Bürgerkrieg; desvanecer-se: x = Ursachen für die Unruhe in Spanien; desmembrar-se: x = europäische Staaten; <?page no="284"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 278 Der spanische Bürgerkrieg ging zu Ende. Mit dem Sieg der Nationalisten verschwanden einige Ursachen für die allgemeine Unruhe in Spanien. Im Rest Europas lösten sich Staaten auf. Diese kleine Auswahl an Funktorenstrukturen macht bereits deutlich, welche Rolle diese als Grundlage für die Unterscheidung zwischen Handlungs-, Vorgangs- und Zustandsverben, spielen . 7 Es geht nicht darum, einen möglichst umfassenden Kriterienkatalog zu erstellen, der eine eineindeutige Zuordnung der Verben zu diesen Kategorien sicherstellt. 8 Für unsere Untersuchung hier genügen vereinfacht folgende Bedingungen: Handlungsverben regieren einen Agens mit dem semantischen Merkmal [+volitional] bzw. [+intentional], Zustandsverben umfassen die verschiedenen Formen der non-agentiven Relationen 9 und Vorgangsverben bezeichnen Ereignisse, d.h. als non-agentiv dargestelltes Geschehen. 10 Die Funktorenstrukturen a) x y (BEWIRKEN (x, EXISTIEREN (y))) und b) x y (BEWIRKEN (x, E HABEN (y))) bilden dementsprechend die Grundlage für Handlungsverben. Im Beispiel (V.1) fällt auf, dass das Verb forjar, das in erster Linie einen konkreten Patiens regiert, zumal im nicht-metaphorischen Sinn sehr konkrete Produkte geschmiedet werden, hier Funktor eines abstrakten Patiens ist. Das von den Reyes Católicos geschmiedete Produkt ist la unidad nacional. Ähnliches gilt für (V.2). Der König hat nicht etwa Chaos, Schande und Elend provoziert oder ausgelöst, sondern er hat die Situation des Chaos, der Schande und des Elends geschaf- 7 Eine erste Grobklassifizierung der Verben wäre jene in statische und dynamische Verben. Demzufolge wären Zustandsverben statische, Handlungs- und Vorgangsverben dynamische. Nach Helbig (1992, 159 ff.) kann eine weitere Feinklassifizierung anhand inhärenter semantischer Merkmale der Verben vorgenommen werden. Sommerfeldt (1992, 106 ff.) differenzierte zunächst Zustands-, Vorgangs- und Tätigkeitssätze weiter nach der quantitativen Valenz und schließlich nach dem dominierenden Sem, hebt aber auch hervor, dass sich die Differenzierung mittlerweile stärker an der Kommunikation orientiert. 8 Vendler (1967a) geht bei seiner Einteilung der Verben von einem Zeit-Schema aus: Die Frage For how long? ergebe state- oder activity-Verb, die Frage How long did it take? ergebe accomplishment-Verb und die Frage At what time? ein achievement-Verb (vgl. auch Engelberg 1994, 7 ff). Hopper/ Thompson (1980, 266) halten punctuality für das entscheidende Kriterium in der Unterscheidung zwischen action- und state-verbs, was Primus (1999, 57) allerdings kritisiert. 9 Dik ( 2 1979, 32 ff.) nimmt eine Untergliederung der Verben in vier Gruppen vor, und zwar nach den Kriterien [±dynamic] und [±controlled]. Action (Handlung) ist [+dynamic]; [+controlled], process (Vorgang) ist [+dynamic]; [-controlled], position (Haltung) ist [-dynamic]; [+controlled] und state (Zustand) ist [-dynamic]; [-controlled]. Die Verben der non-agentiven Relationen aus unserem Bereich der Zustandsverben müssten nach dieser Einteilung der Gruppe position zugerechnet werden (vgl. Welke 1988a, 184). 10 Chafe (1976, 96 ff.) unterteilt die Verben in vier Gruppen, nämlich a) Verben mit dem Merkmal Zustand, b) mit dem Merkmal Vorgang, c) mit dem Merkmal Tätigkeit und d) mit dem Merkmal Tätigkeit und Vorgang, wobei man nach Welke (1988a, 182) Tätigkeit und Vorgang unter Handlung subsumieren könnte, denn „Handlungen kann man als Vorgänge ansehen, die von einem Agens verursacht sind, also sich durch die Tätigkeit eines Agens realisieren.“ <?page no="285"?> 5.3 Funktorenstrukturen 279 fen oder gemacht. Una situazione di caos, di vergogna e di miseria ist Zweitaktant von creare. Das Verb édifier in (V.3) fordert zunächst einen Agens mit dem semantischen Merkmal [+hum] und einen Patiens mit dem semantischen Merkmal [+konkret]. Auf den angeführten Satz trifft weder das eine noch das andere zu. In (V.4) ist es schließlich so, dass die Portugiesen Brasilien machten. Fazer findet in zahllosen Kontexten und Kollokationen Anwendung, doch fizeram o Brasil lässt darauf schließen, dass Salazar den Staat bzw. die Nation Brasilien doch als etwas von den Portugiesen Produziertes erachtet. Die Verben des Produzierens oder Erzeugens, die a priori ein sehr konkretes Produkt als Patiens erwarten lassen, regieren in den angeführten Beispielsätzen durchwegs abstrakte Patienzien, die dadurch in den entsprechenden Kollokationen mit Verben des Erzeugens durchaus als konkreter oder reeller wahrgenommen werden können. In der Diskussion der Funktorenstruktur b) x y (BEWIRKEN (x, E HABEN (y))) hat sich herausgestellt, dass u.U. die Modifikatoren kommunikativ von entscheidender Bedeutung sind und deren Verschweigen zu einer verfälschten, weil unvollständigen Darstellung einer Handlung führt. Das heißt für die obengenannten Beispiele, dass enfervorizar, ripulire, affaiblir und paralisar/ enfraquecer nicht nur der jeweiligen Erst- und Zweitaktanten bedürfen, um Klarheit im Sinne einer politischen Aussage zu schaffen, sondern es sind de facto die zirkumstantiell realisierten Modifikatoren, die erst klären können, wie der Patiens die entsprechende Eigenschaft erhält, also auf welche Weise Menschen begeistert werden (V.5), die Stadt sauber gemacht wird (V.6), das Vaterland geschwächt wurde (V.7) und sogar die stärksten Gemüter gelähmt bzw. geschwächt werden (V.8). Genau diese Modalzirkumstanten, mittels derer erst eine entsprechende semantische Analyse der Kollokationen enfervorizar al pueblo, ripulire la città, affaiblir la patrie und paralisar/ enfraquecer os mais esforçados ânimos vorgenommen werden könnte, fehlen in den vier Beispielen (V.5) bis (V.8). Das heißt, Franco unterlässt es zu präzisieren, wie und nebenbei auch wofür in den Menschen Begeisterung geweckt werden sollte. Mussolini erklärt, dass die squadristi die Stadt Triest zwar heldenhaft und energisch von den Heiligtümern des alten Regimes säuberten, verschweigt aber zum einen tunlichst, auf welche Weise sie diese Heiligtümer entsorgten und zum anderen überhaupt, um welche Heiligtümer es sich eigentlich konkret handelte. Pétain unterstellt den Demagogen - wer immer diese auch konkret sein mögen - jahrelang das Vaterland geschwächt zu haben, ohne jedoch darauf einzugehen, wie sie dies bewerkstelligten und Salazar warnt schließlich davor, dass die Angriffe des unbekannten Feindes sogar die stärksten Gemüter schwächen bzw. lähmen, allerdings ebenso ohne auszuführen, auf welche Weise dies gelinge. Es bleibt also in diesen Textstellen - sowie im Verlauf der jeweiligen gesamten politischen Rede - unklar, wie es der jeweilige Akteur bewirkt, dass der entsprechende Patiens die Eigenschaft E erhält. Menschen könnten - rein hypothetisch - für eine Idee begeistert (V.5) werden, weil ihnen der Endsieg versprochen wird. Eine Stadt könnte in dem Sinne sauber (V.6) gemacht werden, dass alle Symbole der Demokratie zerstört werden. Ein Land könnte theoretisch dadurch geschwächt (V.7) werden, dass die Intelligenzija, die sich vielleicht mit der dort herrschenden Ideologie nicht identifizieren kann, <?page no="286"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 280 dieses Land verlässt. Starke Gemüter könnten insofern gelähmt bzw. geschwächt (V.8) werden, als ihnen klar gemacht wird, dass die herrschende Ideologie eine das Individuum verachtende ist. - Das sind konstruierte Modifikatoren, die zirkumstantiell realisiert, sprich expliziert, wohl kaum in irgendeine politische Rede Eingang fänden. Um jedoch tatsächlich die Aussagen einer politischen Rede zu verstehen, müssten diese aber unbedingt aus dem Kontext und/ oder Kotext erschlossen werden. Allerdings kann ein Redner wohl kaum für eventuell mitgemeinte, aber nicht zirkumstantiell realisierte Inhalte zur Verantwortung gezogen werden. Die Funktorenstrukturen c) x y (RELATION R ZU (y)) und d) x y (DOMINIEREN (x, y)) bilden Strukturen von Zustandsverben im weitesten Sinne ab. 11 Anhand der auf der Funktorenstruktur c) basierenden Verben lassen sich Haltungen 12 eruieren. Vom Autor werden eigene Positionen oder Haltungen propagiert bzw. hochstilisiert und jene des Feindes konstruiert und/ oder herabgewürdigt. Der Mensch sei nach Franco in (V.9) zu würdigen, die Bestrebungen derjenigen, die auf eine Änderung des Systems abzielen, jedoch abzulehnen. Mussolini erklärt in (V.10), dass die Griechen die Italiener hassten und schürt damit die Polarisierung. Die Bauern, die mit den Soldaten die Sicherheit des Landes garantierten, seien nach Pétain (V.11) zu ehren und nach Salazar (V.12) gebührt schließlich vor allem jenen Portugiesen Respekt, die die portugiesische Geschichte und Nation schufen. In den Textstellen (V.13) bis (V.16) verkünden die Redner gewissermaßen ex catedra apodiktische Wahrheiten, die weder zu hinterfragen noch anzuzweifeln sind. Auf der Grundlage der Funktorenstruktur d) werden in diesen Beispielen faktische oder hypothetische Überlegenheiten bzw. dementsprechende Machtverhältnisse repräsentiert, die je nach Situation entweder angestrebt oder befürchtet werden. So sei es nicht das ohnedies verleumdete Spanien, das den Missbrauch von Freiheit ahnde, sondern diese Art von Überwachung werde von der Wiege des Liberalismus selbst praktiziert (V.13). Laut Mussolini (V.14) sei es die italienische Luftwaffe, die den Himmel beherrsche. Ohne den Superior explizit zu nennen, erklärt Pétain in (V.15), dass die Arbeiter in der Vergangenheit in der Anonymität gehalten wurden, und nach Salazar (V.16) beherrsche Europa fast ganz Afrika und befehle zumindest einen Teil von Asien. All diese Überlegenheiten werden als faktische Zustände präsentiert. Die Funktorenstrukturen e) x (KOMMEN ZU (EXISTIEREN (x))) und f) x (KOMMEN ZU (- EXISTIEREN (x))) stellen schließlich Beispiele für Repräsentationen von Vorgangsverben dar. Die frankistische Doktrin sei nicht menschengemacht (V.17), sondern sie entspringe dem Evangelium. Es geht weiters offensichtlich nicht um die Kleinarbeit des Einzelnen, sondern darum, dass große Mengen von Autos aus den faschistischen Betriebsstätten hervorgingen (V.18). Das Ras- 11 Wir sprechen von Zustandsverben im weitesten Sinn, weil die gängigen Kriterien für Zustandsverben, wie etwa jene, dass sie keinen Imperativ bilden oder mit Modaladverbien wie z.B. freiwillig nicht auftreten können, hier keine Anwendung finden. Wie oben erwähnt, zählen wir jene Verben, die Dik unter position subsumierte, zu den Zustandsverben. 12 Vgl. Dik Fußnote 365. <?page no="287"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 281 senproblem per se sei nicht aus sich heraus entstanden, sondern deshalb, weil Grundsätze einer weisen, bewährten Politik nicht (mehr) befolgt worden seien (V.19). Ähnliches gilt für das Beispiel (V.20), das besagt, dass sich der dank Deutschlands Siege und Italiens Friedfertigkeit zu Ende gegangene Krieg nicht mehr selbst entfachen werde. Dies impliziert wohl, dass ein erneutes Aufflammen des Krieges anderen Nationen zuzuschreiben wäre. In (V.21) werde ein neues Frankreich aus sich heraus erstehen, es müssten lediglich die Bedingungen dafür von den Franzosen geschaffen werden. So sehr Salazar zwar prinzipiell Furcht und Angst bekämpft, so sieht er darin doch zumindest eine Chance, nämlich die, dass Heldentaten daraus hervorgingen, bzw. darin ihren Ursprung fänden (V.22). In (V.23) bis (V.26) geht es schließlich um das als Vorgang dargestellte Aufhören der Existenz der Entität x. Der Untergang des Goldstandards und der Währungsstabilität sowie das Ende der durch die französische Revolution begründeten Rechte werden als natürliche und somit unausweichliche Folge der Machenschaften der internationalen Spekulanten und Verfechter des Liberalismus dargestellt (V.23). Italien sei bereits in der Vergangenheit bei der Verteidigung seiner Ideologie bzw. Pfründe ausgeblutet (V.24) und sollte dies wohl nicht vergessen. Die Mittel der Franzosen schwänden (V.25), ohne dass von Pétain jedoch Gründe oder Nutznießer genannt werden. Der spanische Bürgerkrieg sei zu Ende gegangen und durch den Sieg der Nationalen seien Gründe für die allgemeine Unruhe in Spanien verschwunden, während sich im Rest Europas Staaten auflösten (V.26). All dies wird jeweils als mehr oder weniger natürlicher Vorgang und eben nicht als Resultat menschlicher Entscheidungen und Taten dargestellt. Dadurch wird zum einen die Hinterfragung menschlicher Aktivitäten verhindert und zum anderen werden auch die dahinterstehenden (menschlichen) treibenden Kräfte, die diese Vorgänge auslösten, bis zu einem gewissen Grad der Verantwortung entbunden. 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln Bondzio setzt in seiner Funktorenstrukturanalyse eine sehr begrenzte Anzahl von Funktorenstrukturen als Grundlage für Satzmodelle an. Hinsichtlich der Anzahl von Satzmodellen kommt im Grunde auch Korhonen, der jeden konkreten parole- Satz als aus einem Satzmodell auf langue-Ebene hervorgegangen betrachtet und Sätze von Satzmodellen trennt, prinzipiell zum gleichen Schluss. Er geht explizit davon aus, dass Sätze nach „verhältnismäßig wenig Mustern aufgebaut“ (Korhonen 1977, 21) werden. Dieselbe Ansicht wird von Gansel (2003) vertreten, die das Satzmodell im Sinne von sprachsystemimmanentem Satz als Abstraktion von aktuell produzierten Sätzen betrachtet. Es geht bei ihr um relativ neutrale verbale „Orientierungsgeschehenstypen“ (Gansel 1992b, 57; 1992c, 55; 2003), an deren funktorialen und aktantiellen Grundstruktur sich eine Vielzahl von Verben bei der Satzkonstituierung ausrichten. Die verschiedenen Elemente des vom jeweils relativ neutralen Orientierungsgeschehenstyp ausgehenden feldkonstituierenden <?page no="288"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 282 Paradigmas unterscheiden sich, wie in der Funktorenstrukturanalyse, wiederum durch Differentiaseme, sprich Modifikatoren, voneinander. Die aus der Prädikatenlogik stammenden Funktoren und Argumente bilden für Bondzios Funktorenstrukturen ebenso die Grundlage wie für Wotjaks Aktantifizierungsmodell, in dem es um das vollständige Erfassen des Argumentpotentials, also sowohl der obligatorischen als auch der fakultativen als auch der blockierten Argumente eines Verbs geht. Das Aktantifizierungsmodell sieht auf syntaktischer Ebene vor, dass zunächst die maximale Zahl der vom jeweiligen Verb geforderten Aktanten erhoben wird und dann deren Realisierungsbedingungen bestimmt werden. Nur in seltenen Ausnahmefällen wird allerdings das gesamte Argumentpotential aktantifiziert. In Wotjaks Aktantifizierungsmodell geht es nicht primär um Funktor- Argument-Formeln für einzelne selektive Verben, sondern vielmehr um prototypische, archisemformelhafte, valenzkonstituierende Basispropositionen als Feldoberbegriffe oder gemeinsame Bezugsrahmen für einzellexemische Semembeschreibungen (vgl. Wotjak 1990; 1991a, 112; Wotjak/ Wotjak 1995, 236). Eine generische Archisemformel (GAS) stellt stets als Funktor-Argument- Formel den gemeinsamen Nenner bzw. Hauptnenner (vgl. Wotjak 1988b, 142) mehrerer Sememe eines feldkonstituierenden Paradigmas dar. Es besteht weitgehende Kongruenz bezüglich der Anzahl und Beschaffenheit der Argumente und Prädikate einerseits zwischen den individuellen Mikrostrukturen einzelner Feldbestandteile und andererseits zwischen diesen und der ihnen zugrunde liegenden generischen Archisemformel (vgl. Wotjak 1984, 401). Das Archisemem im engeren Sinn umfasst all jene semantischen Charakteristika, die einer lexikalischen Einheit in „potentiell allen normgerechten Vorkommen und Verbindungen ... eigen sind“ (Wotjak 1974a, 248). Unter Archisemem im weiteren Sinn versteht man den gemeinsamen Durchschnitt der Sememe aller lexikalischen Einheiten einer paradigmatischen Makrostruktur (vgl. Wotjak B.1982, 34 ff.). Die von dieser abhängigen semantischen Mikrostrukturen geben Aufschluss über die dem jeweiligen Feld innewohnende Ordnung (vgl. Wotjak 1974b, 27). Mit Pottier (1964) geht Wotjak davon aus, dass die semantischen Mikrostrukturen, die er, Wotjak (1987b, 538), als „Teile eines eingefrorenen, sozialisierten, kommunikativ generalisierten generischen Denotatswissens“ versteht und die einer gemeinsamen paradigmatischen semantischen Makrostruktur zuzuordnen sind, weitgehende Übereinstimmung im Bedeutungskern, der sogenannten Basisproposition, aufweisen (vgl. Wotjak 1988a, 326). Allerdings betont Wotjak (vgl. 2001, 49) bezüglich der Feldbeschreibung, dass gleiche Feldzugehörigkeit nicht unbedingt bedeutet, dass sich die Sememe der betreffenden Verben bezüglich ihrer Kernkonfiguration, d.h. im Hinblick auf die generische Archisemformel, untereinander absolut decken müssen. 13 Semische Übereinstimmung zwischen 13 Dies illustriert Wotjak (2001, 49 ff.) an den Verben der Fortbewegung, bei denen er drei verschiedene Archisemformeln unterscheidet: 1. für Eigenfortbewegung eines Agens ohne <?page no="289"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 283 den Feldbestandteilen gibt es, analog zu den Funktorenstrukturen, mindestens in einem gemeinsamen Merkmal der jeweiligen Mikrostrukturen, 14 wenngleich häufig angeführte und offensichtlich prototypische Beispiele etwa aus den Feldern der Verben des Beförderns, der Fortbewegung oder der Veräußerung deutlich machen, dass gerade die Mehrfachüberschneidungen im Semembereich der Mikrostrukturen innerhalb einer paradigmatischen Makrostruktur für Klassifizierungen und Differenzierungen von Verben auf der Grundlage der generischen Archisemformeln typisch und als Kriterium sinnvoll sind. 15 Ausgehend von der generischen, archisemformelhaften Designatsklassenbildung oder Sachverhaltswissensdarstellung beschreiben semantische Mikrostrukturen zum einen die sememidentifizierenden Basispropositionen, zum anderen aber auch die semantisch-denotativen wie semantisch-funktionalen Spezifikationen der einzelnen Bestandteile dieser Basispropositionen. Diese Spezifikationen werden wie im Funktorenstrukturmodell durch die Modifikatoren repräsentiert. Wird die generische Archisemformel (GAS) als Konzeptualisierung eines Grundsachverhalts einer paradigmatischen Makrostruktur verstanden, so stellen spezielle Archisemformeln (SAS) von dieser abgeleitete, modifizierte Subklassifizierungen dar, in die bereits valenzirrelevante Differentiaseme Eingang gefunden haben (vgl. Wotjak 1996a, 110 ff.). 16 In anderen Worten repräsentiert die GAS eine allgemeine Sachverhaltswiderspiegelung, während in den von ihr abgeleiteten SAS zum Ausdruck kommt, dass die feldkonstituierenden Mikrostrukturen der jeweiligen paradigmatischen Makrostruktur nur eine anteilsmäßige Konkretisierung der GAS erfahren (vgl. Wotjak 1984, 406). gesonderte Fortbewegungsmittel, 2. für eigenverursachte, aber fremdbewirkte Fortbewegung des Agens, 3. für fremdverursachte und fremdbewirkte Fortbewegung. 14 Um eine weitere Differenzierung der Bestandteile eines Feldes, hier dargestellt am Beispiel der Verben des Beförderns, vorzunehmen, unterzieht Wotjak B. (1982, 36 ff.) die Archisemformel eines paradigmatischen Feldes einem Selektionsverfahren und demonstriert, dass die jeweils allgemeinere Subarchisemformel - oder spezielle Archisemformel (SAS) nach Wotjak (vgl. Wotjak 1996a, 110 ff.) - die speziellere inkludiert, wodurch ein heterogenes Feld Schritt für Schritt abgebaut oder ‚atomisiert’ wird. Die generische Archisemformel für die Verben des Beförderns lautet: (ti y ADESSE LOC 1 ) (ti + x CAUS y ADESSE LOC 2 ). Als erste am weitesten gefasste Subarchisemformel schlägt sie ‚X CAUS Y DELOC (bei +/ - SEPAR XY)’ vor. Die zweite schon engere Subarchisemformel wäre ‚X CAUS Y DELOC (bei + SEPAR XY)’, wodurch Verben wie führen, tragen, ziehen eliminiert würden, und die dritte und zugleich selektivste Subarchisemformel wäre ‚X CAUS Y DELOC (bei TERMINALSEPAR XY).’ Aufgrund von ‚TERMINALSEPAR XY’ würden schließlich Verben wie blasen oder werfen eliminiert werden. 15 Bei den Funktorenstrukturen nach Bondzio könnte genau der Punkt, dass bereits ein einziges gemeinsames und noch dazu sehr abstraktes Sem - wie etwa ‚hat RELATION zu’ - als ausreichendes Kriterium für eine Klassifizierung gilt, semantisch relativ heterogene Felder entstehen lassen. 16 Wotjak führt unter anderem das anschauliche Beispiel von / geben/ im Gegensatz zu a) / schenken, vererben, hinterlassen/ , b) / leihen, borgen, überlassen/ , c) / verkaufen/ an. Unterhalb der GAS von / geben/ werden dann die jeweiligen SAS von a, b und c deduziert (vgl. Wotjak 1996a, 110 ff.) <?page no="290"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 284 5.4.1 Archisemformeln im Text 5.4.1.1 Verben des Funktionsuntüchtig-Machens Die in den folgenden Textpassagen aus den ausgewählten Reden von Franco, Mussolini, Pétain und Salazar hervorgehobenen Verben basieren allesamt auf derselben Basisproposition, die vereinfacht ausgedrückt besagt, dass die Argumentvariable x verursacht, dass y funktionsuntüchtig wird. Eine detaillierte Analyse dieser Basisproposition folgt im Anschluss an die Diskussion der Texte. Eine Bedeutungskonstante, die für alle untersuchten Verben Gültigkeit hat, ohne jedoch auf deren Stelligkeit Einfluss zu nehmen, ist das Faktum, dass x insofern unter Gewaltanwendung handelt, als y zur von x durchgeführten Handlung keine Zustimmung gibt bzw. geben kann. Es werden in der Folge die ausgewählten Verben des Funktionsuntüchtig- Machens enthaltenden Textpassagen aus den Reden zitiert, jeweils ein minimaler, aktivischer Satzbauplan der entsprechenden Verben angeführt und schließlich eruiert, wodurch die Argumentvariablen jeweils spezifiziert werden. Die Reden Francos: (V.27) Tenemos que desechar de nuestras filas esa enfermedad de los malos ejércitos: que es la murmuración, de si la marcha es dura, el clima ingrato, el trabajo mucho o la retribución escasa, desterrando para siempre dar a la Falange un rostro hosco o un tono malhumorado. (Franco 1942a, 227, 147-152) desechar: x desecha y; x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = Kritik seitens der Soldaten; desterrar: x destierra y; x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = Kritik seitens der Soldaten; Franco und seine Gesinnungsgenossen beseitigen und verbannen jedwede Kritik an ihnen sowie an der Lage Spaniens in den Reihen der Soldaten. (V.28) Vuestra generosidad será muestra de vuestra fortaleza, de la fe y confianza en la obra en marcha de nuestras juventudes, cuyo espíritu anegará muy pronto esa sociedad maliciosa y corrompida y hará que brille para España el nuevo sol de otro Siglo de Oro. (Franco 1942b, 246, 161-165) anegar: x anega y; x = der Geist Francos Gesinnungsgenossen; y = die korrupte und böse Gesellschaft; Der Geist Francos Gesinnungsgenossen ertränkt die korrupte und böse Gesellschaft. (V.29) Somos un pueblo que ha sabido descubrir, por encima de las ficciones de la política, que el mundo viene moviéndose desde hace algunos años por el impulso de los intereses, y que los partidos que tienen un nexo económico-social acaban barriendo a los que, encastillados en doctrinas románticas, pero ya inoperantes, se atomizan en la esterilidad. (Franco 1945a, 10, 59-64) <?page no="291"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 285 barrer: x barre y; x = Parteien mit sozio-ökonomischem Verständnis; y = alten Ideen verhaftete Parteien; Parteien mit sozio-ökonomischen Verbindungen fegen alten Ideen verhaftete Parteien weg. (V.30) Esta transformación que hemos hecho se ha logrado a base de sacrificios. Hemos tenido que extirpar de nuestras tierras las malas hierbas, hemos arrancado el materialismo marxista, hemos desarraigado la masonería, que quizá fuera la hierba más peligrosa de todas las existentes en nuestro solar. Porque la masonería en España no presentaba lucha franca, que incluso el mismo marxismo ha presentado muchas veces; era la lucha sorda, la maquinación satánica, el trabajar en la sombra, los centros y los clubs desde los cuales se dictaban consignas; los hombres más perversos de España, asociados y vendidos para ejecutar el mal al servicio de la anti España. Por eso desde el primer día de nuestra Cruzada tomamos por norte el destruir en España la planta parásita de la masonería. (Franco 1945e, 334-335, 78-89) extirpar: x extirpa y; x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = (fig.) das Unkraut; arrancar: x arranca y; x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = der marxistische Materialismus; desarraigar: x desarraiga y; x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = das Freimaurertum; destruir: x destruye y; x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = das Freimaurertum; Franco und seine Gesinnungsgenossen vernichten das Unkraut, reißen den marxistischen Materialismus aus, entwurzeln und zerstören das Freimaurertum. Die Reden Mussolinis: (V.31) Segue, dal 1934 al 1936, la politica dei protocolli di Roma. Nel frattempo le condizioni generali dell’Europa e dell’Austria sono profondamente mutate. La solidarietà diplomatica dell’Italia con le potenze occidentali viene spezzata dalle sanzioni e dal tentativo confessato di strangolare il popolo italiano. (Mussolini 1938a, 69, 77-81) spezzare: x spezza y; x = die Feinde Italiens (nicht spezifiziert); y = die Solidarität Italiens mit den Westmächten; strangolare: x strangola y; x = die Feinde Italiens (nicht spezifiziert); y = das italienische Volk; Die Feinde Italiens brechen die Solidarität Italiens mit den Westmächten. Die Feinde Italiens wollen das italienische Volk erdrosseln. (V.32) I tentativi di scardinare o di incrinare l’Asse Roma-Berlino sono puerili. L’Asse non è soltanto una relazione fra due Stati: è un incontro di due rivoluzioni che si annunciano in netta antitesi con tutte le altre concezioni della civiltà contemporanea. Qui è la forza dell’Asse e qui sono le condizioni della sua durata. (Mussolini 1939, 251, 71-75) <?page no="292"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 286 scardinare: x scardina y; x = die Feinde Italiens (nicht spezifiziert); y = die Achse Rom-Berlin; Die Feinde Italiens versuchen, die Achse Rom-Berlin aus den Angeln zu heben. (V.33) Dissi che avremmo spezzato le reni al Negus. Ora, con la stessa certezza assoluta - ripeto assoluta - vi dico che spezzeremo le reni alla Grecia. [In due o in dodici mesi poco importa. La guerra è appena incominciata.] Noi abbiamo uomini e mezzi sufficienti per annientare ogni resistenza greca. (Mussolini 1940b, 36, 223-227) spezzare le reni: x spezza le reni a y; x = Mussolini und seine Gesinnungsgenossen; y = Griechenland; annientare: x annienta y; x = Italien; y = der griechische Widerstand; Italien werde Griechenland das Kreuz brechen und jeden griechischen Widerstand vernichten. (V.34) [Se fossimo stati pronti al cento per cento, saremmo scesi in campo nel settembre del 1939, non nel giugno del 1940. Durante questo breve lasso di tempo, abbiamo affrontato e superato difficoltà eccezionali.] Le fulminee, schiaccianti vittorie della Germania ad occidente eliminavano l’eventualità di una lunga guerra continentale. (Mussolini 1941a, 52, 44-50) eliminare: x elimina y; x = die Siege Deutschlands; y = die Möglichkeit eines langen Krieges auf dem Kontinent; Die Siege Deutschlands schließen die Möglichkeit eines langen Krieges auf dem Kontinent aus. (V.35) [Attraverso voi ho voluto parlare al popolo italiano, all’autentico, vero, grande popolo italiano, quello che combatte leoninamente sui fronti di terra, di mare, di cielo, quello che di buon mattino è in piedi per andare a lavorare nei campi, nelle officine, negli uffici, quello che non si permette lussi, nemmeno innocenti.] Non bisogna assolutamente confonderlo o contaminarlo con una esigua, trascurabile minoranza di ben identificati poltroni, piagnoni e asociali, che gemono sui razionamenti o rimpiangono le sospese « comodità », o con qualche rettile, rottame di loggia, che noi schiacceremo senza difficoltà quando e come vorremo. [Il popolo italiano, il popolo fascista merita e avrà la vittoria.] Le privazioni, le sofferenze, i sacrifizî che dalla quasi unanimità degli italiani e delle italiane vengono affrontati con coraggio e con dignità che può dirsi veramente esemplare, avranno il loro compenso, il giorno in cui, stroncata sui campi di battaglia, dall’eroismo dei nostri soldati, ogni forza nemica, il triplice, immenso grido attraverserà fulmineo le montagne e gli oceani ed accenderà di nuove speranze e consolerà di nuove certezze l’anima delle moltitudini: vittoria, Italia, pace con giustizia tra i popoli. (Mussolini 1941a, 58, 302-320) schiacciare: x schiaccia y; x = Mussolini und seine Gesinnungsgenossen; y = die Feinde innerhalb Italiens; stroncare: x stronca y; x = die Heldenhaftigkeit der italienischen Soldaten; y = die feindliche Macht; <?page no="293"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 287 Mussolini und seine Gesinnungsgenossen werden den inneren Feind in Italien erdrücken, und durch die Heldenhaftigkeit der italienischen Soldaten wird jede feindliche Macht gebrochen werden. (V.36) [Lo Stato che noi vogliamo instaurare sarà nazionale e sociale nel senso più alto della parola, sarà cioè fascista risalendo così alle nostre origini.] Nell’attesa che il movimento si sviluppi sino a diventare irresistibile, i nostri postulati sono i seguenti: […]. Annientare le plutocrazie parassitarie e fare del lavoro finalmente il soggetto dell’economia e la base infrangibile dello Stato. (Mussolini 1943, 4, 136-152) annientare: x annienta y; x = Mussolini und seine Gesinnungsgenossen; y = die Plutokratien; Mussolini und seine Gesinnungsgenossen wollen die Plutokratien vernichten. (V.37) [Churchill voleva che la zona d’influenza riservata alla democrazia nell’Occidente europeo fosse sussidiata da un patto tra Francia, Inghilterra, Belgio, Olanda, Norvegia, in funzione antitedesca prima, eventualmente in funzione antirussa poi.] Gli accordi Stalin-De Gaulle hanno soffocato nel germe questa idea, che era stata avanzata, su istruzioni di Londra, dal belga Spaak. (Mussolini 1944, 136, 431-436) soffocare: x soffoca y; x = die Abkommen zwischen Stalin und De Gaulle; y = die Idee, die Einflusssphäre der Demokratien in Westeuropa durch einen Pakt abzusichern; Die Abkommen zwischen Stalin und De Gaulle erstickten die Idee, die Einflusssphäre der Demokratien in Westeuropa durch einen Pakt abzusichern, im Keim. Die Reden Pétains: (V.38) [Une grande partie de notre territoire va être temporairement occupée. Dans tout le Nord, et dans l’Ouest de notre pays, depuis le lac de Genève jusqu’à Tours, puis le long de la côte, de Tours aux Pyrénées, l’Allemagne tiendra garnison.] Nos armées devront être démobilisées, notre matériel remis à l’adversaire, nos fortifications rasées, notre flotte désarmée dans nos ports. (Pétain 1940a, 65, 57-63) raser: x rase y; x = Deutschland; y = die französischen Festungen; Deutschland lässt die französischen Festungen schleifen. (V.39) [Notre défaite est venue de nos relâchements.] L’esprit de jouissance détruit ce que l’esprit de sacrifice a édifié. (Pétain 1940a, 66, 101-102) détruire: x détruit y; x = die Genusssucht; y = was der Opfergeist erbaut hat; Die Genusssucht zerstört, was der Opfergeist erbaut hat. (V.40) [L’armistice, au demeurant, n’est pas la paix. La France est tenue par des obligations nombreuses vis-à-vis du vainqueur. Du moins reste-t-elle souveraine.] Cette souveraineté lui impose de défendre son sol, d’éteindre les divergences de l’opinion, de réduire les dissidences de ses colonies. (Pétain 1940b, 96, 45-49) éteindre: x éteint y; x = die Souveränität Frankreichs; y = die Meinungsverschiedenheiten unter den Franzosen; <?page no="294"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 288 Die Souveränität Frankreichs verursacht das Auslöschen der Meinungsverschiedenheiten unter den Franzosen. (V.41) [En vous rappelant cette loi sacrée de l’unité de la patrie, de devoir de discipline, je ne fais que suivre l’exemple de tous les chefs qui ont dirigé la France dans les heures douloureuses. Sous aucun régime depuis que la France existe, aucun gouvernement n’a accepté que le principe de l’unité nationale fût mis en cause.] Henri IV, Richelieu, la Convention nationale ont écrasé sans faiblesse, les menées qui tendaient à diviser la patrie contre elle-même. Jeanne d’Arc fut l’héroïne de l’unité nationale. [L’orgueil de la France c’est, non seulement l’intégrité de son territoire, c’est aussi la cohésion de son empire. Le lien qui en unit, si étroitement, les éléments les plus divers ce sont les luttes, les sacrifices des meilleurs de nos fils qui l’ont créé.] Mais voici qu’une propagande subtile, insidieuse, inspirée par des Français, s’acharne à le briser. [Un instant suspendus, les appels à la dissidence reprennent, sur un ton chaque jour plus arrogant. L’œuvre de mon gouvernement, est attaquée, déformée, calomniée.] (Pétain 1941b, 120-121, 10-27) écraser: x écrase y; x = Henri IV, Richelieu, die Nationalkonvention; y = die für die staatliche Einheit bedrohliche Schwäche; diviser: x divise y; x = Schwächen und politische Umtriebe; y = das Vaterland; briser: x brise y; x = der innere Feind; y = das das Vaterland zusammenhaltende Band; Henri IV, Richelieu, die Nationalkonvention merzen die für die staatliche Einheit bedrohliche Schwäche aus. Diese für die staatliche Einheit bedrohliche Schwäche zerstückelt das Land. Der innere Feind versucht, das Band, das das Vaterland zusammenhält, zu zerreißen. (V.42) Seule l’autorité permettra, quand la France sera délivrée des contraintes de la guerre, d’abattre les privilèges et de réaliser le programme social que j’ai formulé à Saint-Étienne et à Commentry. (Pétain 1943a, 300, 46-49) abattre: x abat y; x = die Autorität; y = die Privilegien; Die (staatliche) Autorität hat das Recht, Privilegien abzuschaffen. (V.43) [Faites loyalement un retour sur vous-mêmes.] Vous vous joindrez alors à ceux qui ont compris et qui, pour sauver la patrie, travaillent avec moi à réveiller les indifférents, à ranimer le courage des tièdes et à briser la résistance des égoïstes et de profiteurs. (Pétain 1943a, 300-301, 58-62) briser: x brise y; x = Pétain und seine Gesinnungsgenossen; y = der Widerstand der Egoisten und Ausbeuter; Pétain und seine Gesinnungsgenossen werden den Widerstand der Egoisten und Ausbeuter brechen. (V.44) La France souffre dans son âme et dans sa chair. Que nos morts dont je salue avec émotion la mémoire, que ceux dont les foyers sont détruits par des bombardements injustifiables vous soient un exemple et vous donnent le courage et la force de supporter vos épreuves personnelles. <?page no="295"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 289 Vous trouverez, dans l’adversité même, le sens et le chemin de la grandeur. Mais sachez vous garder des tentations et des chimères. La barbarie communiste, si elle triomphait, ne pourrait que détruire à jamais notre civilisation et notre indépendance nationale. (Pétain 1943a, 301-302, 90-99) détruire: x 1 détruit y 1 ; x 1 = feindliches Bombardement; y 1 = Wohnungen der Franzosen; détruire: x 2 détruit y 2 ; x 2 = die kommunistische Barbarei; y 2 = die französische Zivilisation und die französische Unabhängigkeit; Feindliche Bombardements haben Wohnungen der Franzosen zerstört. Die kommunistische Barbarei würde sogar die gesamte französische Zivilisation und die französische Unabhängigkeit zerstören. (V.45) [Depuis trois ans, nous payons, vous et moi, les fautes de ceux qui nous ont précédés et de ceux qui nous ont menti.] L’armistice a mis fin au combat, il n’a pas supprimé la défaite, il n’a pas terminé la guerre qui déchire le monde et qui pèse sur nous. (Pétain 1943b, 306, 13-17) déchirer: x déchire y; x = der Krieg; y = die Welt; Der Krieg zerreißt die Welt. (V.46) [Je vous ai donné un outil pour la bonne lutte qu’il faudra mener sans haine. La lutte est légitime, la haine est inféconde et destructrice. Les révolutions qu’anime la haine n’ont jamais profité aux peuples.] Elles détruisent le bien commun et meurtrissent les innocents comme des avions qui, sous prétexte d’atteindre l’arsenal, écrasent l’école. (Pétain 1943b, 309, 96-101) détruire: x détruit y; x = von Feindseligkeit angetriebene Revolutionen; y = das gemeinsame Gut; meurtrir: x meurtrit y; x = von Feindseligkeit angetriebene Revolutionen; y = die Unschuldigen; écraser: x écrase y; x = feindliche Flugzeuge; y = Schulen in Frankreich; Von Feindseligkeit angetriebene Revolutionen zerstören das gemeinsame Gut und töten Unschuldige. Flugzeuge machen Schulen dem Erdboden gleich. Die Reden Salazars: (V.47) Podem deslocar-se soberanias - e esta deslocaç-o está pràticamente limitada a territórios e povos oscilantes -, podem sangrar-se populações, mas n-o podem aniquilar-se povos, raças, desenvolvimentos demográficos, energias e ambições de independência onde a maturidade da vida social a tenha por necessária. (Salazar 1939a, 142, 125-132) deslocar: x desloca y; x = unpersönlich; y = Hoheitsrechte; Man kann Hoheitsrechte beseitigen, aber man kann Völker, Rassen, demographische Entwicklungen, Energien und Unabhängigkeitsbestrebungen nicht vernichten bzw. auslöschen. (V.48) Ora a guerra pode ou n-o lançar a Europa na subvers-o das suas instituições e no aniquilamento da sua civilzaç-o e cultura - e muitos o pensam -, mas <?page no="296"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 290 é certo que econòmicamente a arruína, e a paz em que ela está a viver também. (Salazar 1939a, 142-143, 139-143) arruinar: x arruína y; x = der Krieg; y = die Wirtschaft und der Frieden in Europa; Der Krieg ruiniert die europäische Wirtschaft und zerstört den Frieden in Europa. (V.49) A Espanha conseguiu matar no seu próprio sangue o vírus que ameaçava a paz e civilizaç-o da Península. (Salazar 1939a, 149, 308-310) matar: x mata y; x = Spanien; y = das Virus, das den Frieden und die Zivilisation auf der iberischen Halbinsel bedrohe; Spanien tötete das Virus im Blut der Spanier, das den Frieden und die Zivilisation auf der iberischen Halbinsel bedrohte. (V.50) [S-o t-o difíceis porém os tempos que n-o só n-o pode ser permitido a ninguém perturbar no seu esforço de engrandecimento a parte viva da Naç-o, como n-o podemos sequer tomar o compromisso de deixar a muitos gastarem-se estèrilmente em devaneios, aconchegados em cómodas posições de desfrute.] Há equívoco em tais posições de espírito, e o meu primeiro dever é sem dúvida desfazê-lo. [De nada nos serviria bater e afastar o mais próximo inimigo, se depois nos limitássemos a deixar repor o estado de coisas que pelos seus vícios profundos lhe deu condições de vida.] (Salazar 1939b, 160, 26-38) desfazer: x desfaz y; x = was Salazar für seine Pflicht hält; y = die Haltung, jene daran zu hindern, sich auszudehnen, die das wollen und/ oder davon zu träumen, den Staat auszunutzen; Salazar fühlt sich verpflichtet, jene Geisteshaltung aufzulösen, der zufolge jene eingebremst werden müssen, die Ausdehnungsambitionen haben und/ oder den Staat ausnutzen wollen. Es würde aber nichts nützen, den Feind zu entfernen, wenn abgesehen davon alles beim Alten bliebe. (V.51) Assim servireis - na guerra ou na paz: [...]; na paz que ardentemente desejamos, pois temos necessidade de continuar trabalhando pela elevaç-o e prosperidade material do povo, e porque acima de tudo proclamamos a fé num património espiritual que a violência brutalmente devastaria. (Salazar 1939b, 162- 163, 95-103) devastar: x devasta y; x = die Gewalt; y = das geistige Erbe; Gewalt würde das geistige Erbe zerstören. (V.52) Passam séculos, e o português a expulsar o mouro, a firmar a fronteira, [...] - glória da sua energia e do seu génio político. (Salazar 1940, 256, 20-25) expulsar: x expulsa y; x = die Portugiesen; y = die Mauren; Nach Jahrhunderten gelang es den Portugiesen, die Mauren zu vertreiben. (V.53) [Temos conseguido e, digamos, merecido viver em tranquilidade na Península (...). Talvez por isso me n-o pareça razoável nos alimentem exclusivamente preocupações da guerra (...)]. Penso, ao contrário, mais devem interessar-nos os <?page no="297"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 291 problemas da paz, pois se a guerra tudo pode destruir, por si mesma nada construirá. (Salazar 1941, 299, 59-73) destruir: x destrui y; x = der Krieg; y = alles; Der Krieg kann alles zerstören. (V.54) Devo louvá-la [a consciência nacional] por essa atitude sem prejuízo de censurar alguns portugueses que de uma ou outra forma trabalham por destruir a armadura moral do País, quando se sabe ser esta um dos maiores factores da nossa defesa. (Salazar 1943, 414, 841-846) destruir: x destrui y; x = der innere Feind; y = die moralische Rüstung des Landes; Der innere Feind versucht die moralische Rüstung des Landes zu zerstören. (V.55) A paz é, como a ordem nas sociedades, sobretudo uma criaç-o do espírito: ou se vive ou de facto n-o existe. Se se alimenta da justiça, exige também a limitaç-o de ambições territoriais ou de simples influência, o respeito do direito alheio, a consciência da solidariedade internacional, o culto dessa deliciosa flor de humanidade que séculos de civilizaç-o foram amorosamente cuidando e vimos desfolhada, calcada, desfeita pelos horrores da actual guerra. (Salazar 1945b, 110, 240- 250) desfolhar: x desfolha y; x = die Schrecken des Krieges; y = die zarte Pflanze der Menschlichkeit, des Respekts vor anderen und der internationalen Solidarität; calcar: x calca y; x = die Schrecken des Krieges; y = die zarte Pflanze der Menschlichkeit, des Respekts vor anderen und der internationalen Solidarität; desfazer: x desfaz y; x = die Schrecken des Krieges; y = die zarte Pflanze der Menschlichkeit, des Respekts vor anderen und der internationalen Solidarität; Die Schrecken des Krieges in Europa haben die zarte Pflanze der Menschlichkeit - nämlich den Respekt vor anderen und die internationale Solidarität - entblättert, zertreten, vernichtet. (V.56) Esperemos que a organizaç-o corporativa, limpa de alguns abusos ou excessos, reconduzida à pureza dos seus princípios, de que em parte, por imposiç-o das circunstâncias da guerra, se afastou, chegue em breve à constituiç-o definitiva das várias corporações previstas e possa dar-nos, através da Câmara, a imagem viva do País na sua economia e na sua vida intelectual e moral. (Salazar 1945b, 121, 536-544) afastar: x afasta y; x = unpersönlich; y = die korporative Organisation; Man schaffte die korporative Organisation ab. 17 Die aus den Auszügen der Reden dargestellten Verben sind zusammenfassend folgende: 17 A organisaç-o (...) se afastou könnte allerdings auch mit die Organisation zog sich zurück übersetzt werden, d.h., se afastou kann, weil es sich um eine Form im Singular handelt, entweder als unpersönliche se-Konstruktion oder aber als reflexives Passiv verstanden werden. <?page no="298"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 292 Franco Mussolini Pétain Salazar anegar annientare abattre afastar arrancar eliminare briser arruinar barrer scardinare déchirer calcar desarraigar schiacciare détruire desfazer desechar soffocare diviser desfolhar desterrar spezzare écraser deslocar destruir strangolare éteindre destruir extirpar stroncare meurtrir devastar raser expulsar matar Als archisememisches Hyperonym für diese Verben, dem kein Archilexem entspricht, lässt sich deduzieren: verursachen, dass y nicht mehr die aktuelle Funktion erfüllt. Dieses Verursachen, dass y nicht mehr die aktuelle Funktion erfüllt wird dadurch bewerkstelligt, dass y auf irgendeine Weise beseitigt, zerstört oder getötet wird. Das Funktionsuntüchtig-Machen muss infolgedessen durch die generische Archisemformel GAS repräsentiert werden, das Beseitigen, das Zerstören und das Töten durch jeweilige spezielle Archisemformeln SAS1, SAS2 und SAS3. Die speziellen Archisemformeln sind allerdings nicht in dem Sinne subklassifizierend, dass eine generellere auf einer Vertikalen, an deren oberen Ende sich die generische Archisemformel befindet, jeweils die ihr untergeordneten inkludiert, sondern insofern, als SAS1, SAS2 und SAS3 sich kohyponym als Hyponyme der generischen Archisemformel auf einer Horizontalen befinden und gegenseitig ausschließen. Die Lexikoneintragungen der hier relevanten Verben machen jedoch deutlich, dass in vielen Fällen ein einzelnes Verb je nach Kontext SAS1, SAS2 und/ oder SAS3 repräsentieren kann, wie z.B. / eliminieren/ . Bei den hier zur Diskussion stehenden Verben ist es offensichtlich, dass ihre jeweilige Basisproposition aus mehreren Teilpropositionen besteht. Die erste Teilproposition, ohne die die weiteren Teilpropositionen unmöglich sind, ist nicht expliziert, sondern nur präsupponiert. Die verbale Handlung setzt also bereits bei der eigenen Präsupposition an bzw. in der eigenen Präsupposition ein. Õim/ Saluveer (1985, 298ff.) 18 schlagen als typisches internes Format für die Erfassung von Handlungen und Vorgängen eine dreistufige Repräsentation vor, nämlich (1) SETTING, (2) EVENT und (3) CONSEQ für consequence. Das SETTING enthält die (Vor-)Bedingungen für Handlungen und Vorgänge, im EVENT ereignet sich die eigentliche Handlung bzw. vollzieht sich der Kernprozess und CON- 18 Õim/ Saluveer (1985) versuchen zu ergründen, warum - zumindest bis 1985 - die frames kein wirklich erfolgreiches Konzept der Linguistik waren. Ein Hauptgrund besteht ihrer Meinung nach darin, dass nie klar wurde, was ein frame alles enthalten sollte. Dies war allerdings auch nicht gut möglich, zumal ungeklärt geblieben war, mit welchen anderen konzeptuellen Strukturen die frames interagieren sollten. Den zweiten, entscheidenden Hauptgrund vermuten sie in der mangelhaften Klarheit bezüglich der internen Struktur der frames selbst, weshalb sie zunächst zumindest eine dreistufige Repräsentation für Handlungs- und Prozessverben versuchen. <?page no="299"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 293 SEQ stellt die typischen Folgen der jeweiligen Handlung bzw. des jeweiligen Prozesses dar. Als generische Archisemformel für die Verben des Funktionsuntüchtig-Machens kann somit folgende angesetzt werden: GAS: [(y EXIST) (y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a )] ti [x CAUS (y NON HAB FUNCT a )] ti+j (y NON HAB FUNCT a ) ti+k. Diese generische Archisemformel stellt die Basisproposition für die in den oben angeführten Textpassagen hervorgehobenen Verben dar. Das SETTING ist durch die erste Teilproposition repräsentiert: SETTING: [(y EXIST) (y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a )] ti. Sie bedeutet, dass die Argumentvariable y zur Zeit ti existiert, sich am LOC 1 befindet und eine bestimmte Funktion, nämlich FUNCT a , innehat. Die Argumentvariable y kann insgesamt, auch zur Zeit ti, durchaus mehrere Funktionen FUNCT a...n besitzen oder über solche verfügen. Hier wird aber auf die eine bestimmte FUNCT a im SETTING referiert. 19 Die zweite Teilproposition ist jene des EVENT: EVENT: [x CAUS (y NON HAB FUNCT a )] ti+j Diese Teilproposition besagt, dass die Argumentvariable x zum Zeitpunkt ti+j verursacht, dass y nicht mehr die Funktion FUNCT a innehat. Durch Modifikatoren ist zu klären, wie y durch x die Funktion FUNCT a verliert. Mögliche Modifikatoren, die dies bezeichnen, sind u.a. / ohne Zustimmung von y/ , / durch Gewaltanwendung/ , / indem x das Ende der Existenz von y verursacht/ , wobei Letzteres auch heißen kann / indem x den Tod von y verursacht/ . Als dritte Teilproposition ergibt sich schließlich CONSEQ: CONSEQ: (y NON HAB FUNCT a ) ti+k Aus den Teilpropositionen SETTING und EVENT folgt CONSEQ, was in unserem Fall heißt, dass y zum Zeitpunkt ti+k FUNCT a nicht mehr innehat. Aufgrund der verbinhärenten Modifikatoren, die wie der Funktor selbst ebenfalls mehr oder weniger semdeterminierend für das zweite Argument bzw. für den zu realisierenden Zweitaktanten sind, 20 die aber keineswegs spezifiziert werden müssen, kann CONSEQ: (y NON HAB FUNCT a ) ti+k Unterschiedliches implizieren. Um dies zu eruieren, gehen wir zunächst von der EVENT-Teilproposition aus. Wenn wir die zweite Teilproposition [x CAUS (y NON HAB FUNCT a )] wei- 19 Als Funktionen der Pflanze können das Duften, das Zieren oder das Anlocken von Bienen betrachtet werden (=FUNCT a...n ), eine davon ist eben FUNCT a . Eine andere Funktion, aber immerhin auch eine Funktion, einer entwurzelten, abgerissenen oder abgeschnittenen Pflanze (vgl. die Verben in den Textpassagen) kann sein, dass sie zu Futter, zu einem Lesezeichen gepresst oder aber auch über Kompostierung zu Dünger wird. Hier geht es um die Funktion FUNCT a von y im SETTING. 20 Erdrosseln, it. / strangolare/ wird im Normalfall einen Zweitaktanten mit den Semen [+hum] und [+viv] regieren, während z.B. / zerstören/ bzw. fr. / détruire/ , it. / distruggere/ , port. und span. / destruir/ , span. / destrozar/ diesbezüglich längst nicht so eingeschränkt sind, da Hoffnung und Liebe, Mensch und Pflanze, ein Gebäude und ein Land zerstört werden können. Der Semembestand eines von diesem Verb regierten Zweitaktanten kann somit durchaus das Sem [±konkret] und / oder [±hum] enthalten. <?page no="300"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 294 ter präzisieren bzw. spezifizieren, so ergeben sich daraus unsere drei speziellen Archisemformeln SAS1, SAS2 und SAS3: SAS1: [(y EXIST) (y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a )] ti [x CAUS (y NON EXIST)] ti+j (y NON HAB FUNCT a ) ti+k. SAS2: [(y EXIST) (y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a )] ti [x CAUS (y NON ADESSE LOC 1 )] ti+j (y NON HAB FUNCT a ) ti+k. Eine dritte spezielle Archisemformel ist nur dann anzuführen, wenn bereits zwischen als Zweitaktanten zu realisierenden Argumenten in der Basisproposition nach den Kriterien [±hum] unterschieden werden soll. In diesem Fall lautet die dritte SAS: SAS3: [(y EXIST) (y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a )] ti [x CAUS (y NON VIV)] ti+j (y NON HAB FUNCT a ) ti+k. Die speziellen Archisemformeln unterscheiden sich also durch die jeweiligen EVENT-Propositionen: SAS1: [x CAUS (y NON EXIST)] bedeutet, dass y aufgrund der Einwirkung von x nicht mehr in der Form wie im SETTING besteht. SAS2: [x CAUS (y NON ADESSE LOC 1 )] heißt, dass sich y aufgrund der Einwirkung von x nicht mehr dort befindet, wo es sich im SETTING befand. SAS3: [x CAUS (y NON VIV)] meint schließlich, dass x verursacht, dass y nicht mehr lebt. Aus den fragmentarisch wiedergegebenen Lexikoneintragungen der oben genannten Verben geht hervor, dass diese auf sememischer Ebene dem generischen Typus verursachen, dass y nicht mehr die aktuelle Funktion erfüllt bzw. der oben erläuterten generischen Archisemformel [(y EXIST) (y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a )] ti [x CAUS (y NON HAB FUNCT a )] ti+j (y NON HAB FUNCT a ) ti+k entsprechen. Die Zuordnung der Verben zu den verschiedenen speziellen Archisemformeln gestaltet sich allerdings schwieriger, zumal eine Vielzahl von ihnen, abhängig vom jeweiligen Kontext, unterschiedliche semische Rektionsbedingungen an die potentiellen Argumentpartner stellen. Anders gesagt ist die zentrifugale Valenz dieser Verben insofern als relativ stark zu betrachten, als diese Verben trotz relativ fixierter Stelligkeit 21 ein breites Spektrum an voneinander völlig verschiedenen sememischen Kompositionen als Argumente an sich binden können. 22 Typischer Repräsentant der SAS1 ist frz. / raser/ , der SAS2 port. / afastar/ oder span. / barrer/ und der SAS3 ital. / strangolare/ oder port. / matar/ , wenngleich selbst diese für die jeweilige spezielle Archisemformel typischen Verben etwa gerade im metaphorischen Sinn jeweils anderen speziellen Archisemformeln zugeordnet werden können. Eine relative klassische Standardzuordnung der behandelten Verben könnte folgendermaßen aussehen: 21 Es sollen hier weder der ethische Dativ noch die fließende Grenze zwischen obligatorischen und fakultativen Aktanten noch die Frage der obligatorischen Zirkumstanten diskutiert werden. In Bezug auf die letzte Frage sei vor allem auf Sadzi ski (1989) verwiesen. 22 Aus der Perspektive der zentripetalen Valenz bedeutet dies, dass sich eine Vielzahl von sememisch ganz unterschiedlich komponierten Argumenten als bindungsfähig für die entsprechenden Verben erweisen. <?page no="301"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 295 Franco Mussolini Pétain Salazar anegar SAS3 annientare SAS1; 3 abattre SAS1; 3 afastar SAS2 arrancar SAS2; 3 eliminare SAS1; 2; 3 briser SAS1 arruinar SAS1 barrer SAS2 scardinare SAS2 déchirer SAS1 calcar SAS1; 3 desarraigar SAS2 schiacciare SAS1; 3 détruire SAS1; 3 desfazer SAS1 desechar SAS2 soffocare SAS3 diviser SAS1 desfolhar SAS1; 3 desterrar SAS2 spezzare SAS1; 3 écraser SAS1; 3 deslocar SAS2 destruir SAS1; 3 strangolare SAS3 éteindre SAS1; 3 destruir SAS1; 3 extirpar SAS2; 3 stroncare SAS1; 2; 3 meurtrir SAS1; 3 devastar SAS1 raser SAS1 expulsar SAS2 matar SAS3 Für unsere Untersuchung scheint jedoch relevanter, wie die jeweiligen x- und y- Argumentvariablen der dargestellten Verben des gewaltsamen Funktionsuntüchtig- Machens in den konkreten Äußerungen der Politiker spezifiziert werden und welche Schlüsse daraus gezogen werden können. Die diesbezüglich entscheidende Frage lautet: Wer oder was schaltet wen oder was aus? Aus den analysierten Textstellen geht diesbezüglich Folgendes hervor: Franco und seine Gesinnungsgenossen schalteten die Kritik seitens des inneren Feindes an ihnen und an ihrer Politik aus (V.27). Der Geist Francos und seiner Gesinnungsgenossen werde dafür Sorge tragen, dass der von ihm als bösartig und korrupt bezeichnete innere Feind verschwinde (V.28). Franco werde durch seine Politik die ihm unangenehmen Politiker beseitigen (V.29). Franco und seine Gesinnungsgenossen würden politische Gegner wie Kommunisten und Freimaurer vernichten (V.30). Die Feinde Italiens boykottierten Mussolinis Politik der Solidarität und beabsichtigten das italienische Volk zu erdrosseln (V.31). Sie versuchten die Achse Rom-Berlin aus den Angeln zu heben (V.32). Mussolini und seine Gesinnungsgenossen würden Griechenland klein kriegen und jeden griechischen Widerstand brechen, so wie sie auch dem Negus das Kreuz brachen (V.33). Ein siegreiches Deutschland eliminiere die Möglichkeit eines langen, schrecklichen Krieges (V.34). Mussolini werde durch seine Politik den inneren Feind ausrotten, die feindlichen Mächte von den Schlachtfeldern entfernen (V.35) und die Plutokratien vernichten (V.36). Die Abkommen zwischen Stalin und De Gaulle erstickten Churchills Vorstellungen im Keim (V.37). Deutschland lasse die französischen Festungen schleifen (V.38). Genusssucht zerstöre, was durch Opfergeist erbaut wurde (V.39). Frankreichs Chance für Souveränität verlange die Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der französischen Bevölkerung, d.h. Pétain wolle die Kritik seitens des inneren Feindes zum Verstummen bringen (V.40) so wie seine großen Vorbilder dies taten, denn diese als nationale Schwäche bezeichnete Kritik zerstöre die nationale Einheit. Es sei der innere Feind, der diese nationale Einheit zerbreche (V.41). Die staatliche Autorität werde die Privilegien der inneren Feinde beseitigen (V.42). Pétain und seine Gesinnungsgenossen würden den Widerstand der egoistischen inneren Feinde brechen (V.43). Feindliche Bombardements zerstörten französische Woh- <?page no="302"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 296 nungen, doch die Kommunisten würden sogar die französische Unabhängigkeit und die ganze französische Zivilisation zerstören (V.44). Der Krieg zerreiße die Welt (V.45), und durch Feindseligkeit motivierte Revolutionen zerstörten das Gemeingut, töteten Unschuldige und machten Schulen dem Erdboden gleich (V.46). Hoheitsrechte könnten zwar beseitigt, Unabhängigkeit jedoch nicht vereitelt werden (V.47). Der Krieg ruiniere Europa wirtschaftlich und politisch (V.48). Spanien sei es jedoch gelungen, das zersetzende Virus im eigenen Blut umzubringen (V.49). Salazar erachtet es als seine Pflicht, träge und staatsfeindliche Haltungen aufzulösen (V.50). Gewalt würde das geistige Erbe zerstören (V.51). Portugal benötigte Jahrhunderte, um die Mauren zu vertreiben (V.52). Der Krieg könne alles zerstören (V.53) und der innere Feind versuche, die Moral eines Landes zu korrumpieren (V.54). Der Krieg habe der Menschlichkeit in Europa schweren Schaden zugefügt, diese zertreten und vernichtet (V.55). Die korporativen Organisationen seien in diesem Zusammenhang abgeschafft worden (V.56). Als besonders relevant für unsere Untersuchung stellt sich die Frage heraus, wer bzw. was Agens bzw. Source und wer bzw. was Patiens der aus den originalen Textstellen herausfiltrierten Verben des Funktionsuntüchtig-Machens unter Gewaltanwendung im weitesten Sinne sind. Dabei kommen wir zu folgendem Ergebnis: Agens/ Source Franco Mussolini Pétain Salazar Total Total % A/ S1 Autor und dessen Gesinnungsgenossen/ deren Geisteshaltung / deren Land 8 5 3 2 18 47,38 A/ S2 äußerer Freund/ dessen Geisteshaltung 1 1 2 5,26 A/ S3 innerer Feind/ dessen Geisteshaltung 2 1 3 7,89 A/ S4 äußerer Feind/ dessen Geisteshaltung 4 2 6 15,79 A/ S5 unpersönlich 2 2 5,26 A/ S6 das Gute (je nach Autor) 0,00 A/ S7 das Schlechte (je nach Autor) 1 6 7 18,42 Total 8 10 8 12 38 100 Patiens Franco Mussolini Pétain Salazar Total Total % P1 Autor und dessen Gesinnungsgenossen/ deren Geisteshaltung/ deren Land 2 5 7 18,42 P2 äußerer Freund/ dessen Geisteshaltung 1 1 2,62 <?page no="303"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 297 P3 innerer Feind/ dessen Geisteshaltung 6 1 3 10 26,32 P4 äußerer Feind/ dessen Geisteshaltung 5 5 13,16 P5 unpersönlich 0,00 P6 das Gute (je nach Autor) 1 9 10 26,32 P7 das Schlechte (je nach Autor) 2 1 2 5 13,16 Total 8 10 8 12 38 100 Obwohl es hier wohl kaum zulässig sein kann, ein Gesamtergebnis zu eruieren, so fällt auf - falls man es annäherungsweise dennoch wagt - , dass beinahe 48% der Aggressivität, d.h. der Agentivität bezüglich des Funktionsuntüchtig-Machens, vom Autor und dessen Gesinnungsgenossen bzw. von deren Land ausgehen, vom äußeren Feind hingegen jedoch kaum 16%. Hinsichtlich der Patientivität verzeichnet der innere Feind gemeinsam mit dem je nach Autor als ideologisch schlecht Erachteten fast 40%. Zwischen den individuellen Autoren gibt es jedoch sehr große Unterschiede. Besonders auffällig ist jener zwischen Franco und Salazar. Franco und seine Gesinnungsgenossen zielen ganz klar darauf ab, den inneren Feind auszumerzen, während es sich bei Salazar primär um einen eher abstrakten Kampf zwischen Gut und Böse handelt. 23 Bezüglich der Patientivität fällt bei Mussolini auf, dass die Aggressivität klar auf einen oder den äußeren Feind gerichtet ist, während sich Pétain eher in einer allgemeinen Opferrolle sieht. Da es hier allerdings weder um eine Gesamtanalyse aller Reden dieser Autoren zwischen 1938 und 1945 noch um repräsentative Stichproben nach einem statistischen Auswahlverfahren geht, wird selbstverständlich kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhoben. Was sich dennoch mehr oder weniger deutlich abzeichnet, sind Tendenzen, die allerdings individuell je nach Autor zu betrachten sind und nicht als Durchschnitt der vier Autoren. 5.4.1.2 Verben des Funktionstüchtig-Erhaltens durch Abwehr von Gefahr Gewissermaßen antonymisch zu den unter 5.4.1.1 untersuchten Verben des Funktionsuntüchtig-Machens durch Gewaltanwendung werden in diesem Abschnitt jene des Funktionstüchtig-Erhaltens durch Abwehr von Gefahr aus den zur Diskussion stehenden Reden von Franco, Mussolini, Pétain und Salazar erfasst. Unter Funktionstüchtig-Erhalten durch Abwehr von Gefahr verstehen wir im weitesten Sinne, dass x einen aktiven Beitrag dazu leistet, dass y seine innehabende Funktion, die einer potentiellen oder aktuellen Gefahr ausgesetzt ist, weiterhin innehat. Für y nehmen wir u.a. das semantische Merkmal [±hum] an, sodass durchaus auch Menschen Objekte des Funktionstüchtig-Erhaltens sein können. In 23 Eine weitere Differenzierung zwischen Agens und Source schafft diesbezüglich noch mehr Klarheit. Hier geht es allerdings um die Darstellung eines Modells, weshalb davon Abstand genommen werden kann. <?page no="304"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 298 diesem Fall geht es darum, dass x dafür Sorge trägt, dass der Mensch y sein auf irgendeine Weise bedrohtes Sein oder Dasein in der gewohnten Weise erhalten kann bzw. seine Tätigkeit weiterhin auf die gewohnte Weise ausführen kann. Die aus den Reden ermittelten Verben des Funktionstüchtig-Erhaltens basieren analog zu jenen des Funktionsuntüchtig-Machens auf einer gemeinsamen generischen Archisemformel, die wiederum im Anschluss an die zitierten und analysierten Textpassagen mitsamt der jeweils eruierten Argumentvariablen detailliert diskutiert wird. Die Reden Francos: (V.57) [...] nos felicitaremos de que, dentro del recato natural de la muchacha mora, que todo lo guarda para el hogar, tengáis todo cuanto los hombres y las mujeres puedan apetecer en el mundo civilizado como regalo para su vida. (Franco 1938, 66, 43-46) guardar: x guarda y (para el hogar); x = die maurische Frau; y = alles; Die maurische Frau hütet bzw. ver- oder bewahrt alles für ihr Zuhause. (V.58) Todo lo que la vida y la Civilización ofrece al hombre requiere para su disfrute que le saquemos de su estado de indigencia, lo que sólo es posible con la educación y con el trabajo en un clima nacional de justicia y de solidaridad humana. (Franco 1942a, 224-225, 48-52) sacar: x saca y (de su estado de indigencia); x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = der Mensch, d.h. im Kontext der Spanier; Franco und seine Gesinnungsgenossen wollen bzw. sollen die Spanier aus ihrer Armut herausholen. (V.59) Y toda esta labor extradordinaria encomendada a nuestras organizaciones sanitarias toma nueva vida al recibir el esfuerzo del hermoso postulado que practica la Sección Femenina de nuestra Falange, que libra al niño de las primeras taras fisiológicas. (Franco 1942a, 225, 57-62) librar: x libra y (de las primeras taras fisiológicas); x = die Anstrengungen der Frauenabteilung der Falange; y = die Kinder, d.h. im Kontext die spanischen Kinder; Die Frauenabteilung der Falange befreit die Kinder von Grundmängeln. (V.60) La ofensiva de nuestro enemigo sobre Cáceres se detiene ante los muros del santo Monasterio de Guadalupe, que cobijan a la Virgen, Señora de nuestros descubrimientos. (Franco 1942b, 242, 47-50) cobijar: x cobija y; x = die Klostermauern; y = die Jungfrau Maria der Entdeckungen; Die Klostermauern von Guadalupe bergen bzw. hüten die Jungfrau Maria der Entdeckungen. (V.61) El orden económico no es un capricho, sino un proceso alcanzado por la aportación de siglos y basado en los principios de la propiedad privada y de la iniciativa privada; en cambio, encontramos bastardo el defender con este noble escudo los abusos del capital, las explotaciones sociales o el mantenimiento de posiciones injustas y arbitrariamente alcanzadas. (Franco 1945a, 11, 84-89) <?page no="305"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 299 defender: x defiende y; x = nicht präzisiert, dem Kontext nach aber der politische Gegner bzw. innere Feind; y = Missbrauch des Kapitals, soziale Ausbeutung und Beibehaltung ungerechter Strukturen; Der innere Feind verteidigt Missbrauch des Kapitals, soziale Ausbeutung und Beibehaltung ungerechter Strukturen. (V.62) Así también, considerando puro y plausibile el ideal de elevar y dignificar al hombre, redimiéndole por la justicia social de sus miserias y necesidades, condenamos de la manera más absoluta la explotación de estos anhelos de las masas […]. (Franco 1945a, 11, 89-92) redimir: x redime y (de miserias y necesidades); x = Franco und seine Gesinnungsgenossen; y = der Mensch, d.h. im Kontext der Spanier; Franco und seine Gesinnungsgenossen treten dafür ein, den Menschen (den Spanier) durch soziale Gerechtigkeit von seinem Elend und seinen Bedürfnissen zu erlösen bzw. zu befreien. (V.63) Al evocar aquellos días de nuestra gloriosa Cruzada, cuando vuestra ciudad albergaba aquel Cuartel General del glorioso general Mola y desde aquí dirigíamos las operaciones que iban liberando a las tierras hermanas, entre todos los recuerdos de aquel tiempo destacan aquella serenidad, fe y confianza ante los peligros y aquella legión de gloriosos muchachos cuyos nombres vimos esta mañana grabados en las lápidas del monumento de la Cruz de los Caídos. (Franco 1945c, 617, 8-14) liberar: x libera y; x = die von Franco und seinen Gesinnungsgenossen organisierten politisch-militärischen Unternehmungen; y = die verbrüderten Länder; Franco und seine Gesinnungsgenossen veranlassten, dass die verbrüderten Länder befreit wurden. (V.64) Nuestro Movimiento vino a salvar a España de su destrucción moral y material [...]. (Franco 1945c, 617, 22-23) salvar: x salva y (de su destrucción moral y material); x = Francos Bewegung; y = Spanien; Das Ziel von Francos Bewegung war, Spanien von seiner moralischen und materiellen Zerstörung zu erretten. (V.65) El Estado que nuestro Movimiento ha alumbrado aspira a reforzar la personalidad de nuestras provincias, a dotarlas y a facilitarlas los medios de encararse con sus propios problemas y ayudarles a conservar esas peculiaridades de cada una dentro de la unidad armónica e indestructible de la Patria. (Franco 1945c, 618, 59-63) conservar: x conserva y; x = die durch Francos Bewegung unterstützten Provinzen; y = die Besonderheiten der Provinzen; Franco und seine Gesinnungsgenossen tragen dafür Sorge, dass die Provinzen ihre regionalen Besonderheiten erhalten. (V.66) Y en la parte femenina hubimos de buscar a aquellas muchachas que durante la guerra habían mantenido en nuestra retaguardia la fe, que habían ido a <?page no="306"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 300 los campamentos y habían lavado las ropas en los arroyos y en los ríos, que habían atendido los hospitales, que habían auxiliado a las mujeres y a los huérfanos, que habían llevado la alegría y el socorro a la retaguardia [...]. (Franco 1945e, 334, 38- 43) mantener: x mantiene y; x = gewisse Frauen, d.h. im Kontext gewisse spanische Frauen; y = der Glaube; Gewisse Frauen hielten unter den Soldaten den Glauben aufrecht. Die Reden Mussolinis: (V.67) [...] la storia c’insegna che gli imperi si conquistano con le armi, ma si tengono col prestigio. [E per il prestigio occorre una chiara, severa coscienza razziale, che stabilisca non soltanto delle differenze, ma delle superiorità nettissime.] (Mussolini 1938b, 146, 88-91) tenere: x tiene y (col prestigio); x = unpersönlich; y = Imperien; Man behält bzw. erhält Imperien durch Ansehen. (V.68) (...) gli ebrei di cittadinanza italiana (...) troveranno comprensione e giustizia; quanto agli altri, si seguirà nei loro confronti una politica di separazione.] Alla fine il mondo dovrà forse stupirsi più della nostra generosità che del nostro rigore; a meno che i semiti d’oltre frontiera e quelli dell’interno, e soprattutto i loro improvvisati e inattesi amici che da troppe cattedre li difendono, non ci costringano a mutare radicalmente cammino. (Mussolini 1938b, 146, 99-107) difendere: x difende y; x = Semiten innerhalb und außerhalb Italiens sowie jüdische Universitätsprofessoren; y = Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft; Semiten innerhalb und außerhalb Italiens sowie jüdische Universitätsprofessoren verteidigen die Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft. (V.69) [Il 23 marzo del 1919 noi inalzammo la bandiera nera della rivoluzione fascista, anticipatrice del rinnovamento europeo.] Attorno a questa bandiera si raccolsero le vostre squadre, formate da veterani delle trincee e da giovanissimi, decisi tutti a marciare contro Governi imbelli e contro teorie orientali dissolvitrici per liberare il popolo dal nefasto influsso del mondo ottantanovesco. (Mussolini 1939, 249-250, 7-12) liberare: x libera y; x = Truppen der (angesprochenen) Vecchia Guardia; y = das Volk, d.h. im Kontext das italienische Volk; Truppen der Vecchia Guardia, der alten Garde, versammelten sich, um das Volk vom unheilvollen Einfluss der 89er Welt zu befreien. (V.70) [...] per quanto i pacifisti di professione siano individui particolarmente detestabili, per quanto la parola pace sia ormai un poco logorata dal soverchio uso e suoni equivocamente come le monete false, per quanto sia noto che noi considereremmo la pace perpetua come una catastrofe per la civiltà umana, noi consideriamo che sia necessario un lungo periodo di pace per salvaguardare nel suo sviluppo la civiltà europea. (Mussolini 1939, 251, 59-65) <?page no="307"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 301 salvaguardare: x salvaguarda y; x = Mussolini und seine Gesinnungsgenossen; y = die europäische Zivilisation in ihrer Entwicklung; Mussolini und seine Gesinnungsgenossen wollen die europäische Zivilisation in ihrer Entwicklung wahren, indem sie sich für eine ausgedehnte Friedenszeit aussprechen. (V.71) La pace poteva essere conservata se la Gran Bretagna non avesse con la supina complicità della Francia, iniziato, invece della costruttiva revisione dei trattati, la sua politica di accerchiamento, fatta, non allo scopo di lasciare ai polacchi la tedeschissima Danzica, ma allo scopo di abbattere la rinascente potenza politica e militare della Germania. La pace poteva essere salvata se l’Inghilterra non avesse rigettato tutti i tentativi di avvicinamento compiuti dalla Germania [...]. (Mussolini 1940b, 31, 21-27) conservare: x conserva y; x = Italien und seine äußeren Freunde; y = der Frieden; salvare: x salva y; x = Italien und seine äußeren Freunde; y = der Frieden; Italien und seine äußeren Freunde hätten den Frieden retten und erhalten können, wenn nicht ihre äußeren Feinde Großbritannien und Frankreich dem zuwider gehandelt hätten. (V.72) Il Partito deve liberarsi e liberare la nazione dalla superstite zavorra piccoloborghese, nel senso più lato che noi diamo a questo termine. Deve mantenere e accentuare il clima dei tempi duri, andare più e meglio di prima verso il popolo, tutelandone la salute morale e l’esistenza materiale. (Mussolini 1940b, 36, 251-255) liberare: x libera x und y 1 ; x = die faschistische Partei; y 1 = die Nation, d.h. im Kontext die italienische Nation; mantenere: x mantiene y 2 ; x = die faschistische Partei; y 2 = die Atmosphäre der harten Zeiten; tutelare: x tutela y 3 ; x = die faschistische Partei; y 3 = die moralische Gesundheit und die materielle Existenz des italienischen Volkes; Die faschistische Partei muss sich und die Nation vom übrig gebliebenen, kleinbürgerlichen Ballast befreien, die Atmosphäre der harten Zeiten wahren und die moralische Gesundheit und materielle Existenz des Volkes hüten. (V.73) Con l’aggravarsi della tensione europea e dopo gli eventi del 1935 - 1936, la Libia, riconquistata dal fascismo, venne considerata uno dei punti più delicati del nostro generale dispositivo strategico, in quanto poteva essere attaccata su due fronti. (Mussolini 1941a, 52, 76-79) riconquistare: x riconquista y; x = der Faschismus; y = Libyen; Der Faschismus hat Libyen zurückerobert. (V.74) Credo di essere nel vero se affermo che le popolazioni della valle del Po non solo non desiderano, ma deprecano l’arrivo degli anglo-sassoni, e non vogliono saperne di un governo, che, pur avendo alla vicepresidenza un Togliatti, riporterebbe a nord le forze reazionarie, plutocratiche e dinastiche, queste ultime oramai palesemente protette dall’Inghilterra. (Mussolini 1944, 133, 321-326) proteggere: x protegge y; x = England; y = die reaktionären, plutokratischen und dynastischen Kräfte; <?page no="308"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 302 England schützt die reaktionären, plutokratischen und dynastischen Kräfte. (V.75) Noi vogliamo difendere, con le unghie e coi denti, la valle del Po; noi vogliamo che la valle del Po resti repubblicana in attesa che tutta l’Italia sia repubblicana. (Mussolini 1944, 137, 486-488) difendere: x difende y; x = Mussolini und seine Gesinnungsgenossen, y = das Po- Tal; Mussolini und seine Gesinnungsgenossen wollen um jeden Preis das Po-Tal verteidigen. Die Reden Pétains: (V.76) [(...) Ces dernières (les divisions françaises) se sont battues bravement.] Elles formaient l’élite de notre armée; malgré leur valeur, elles n’ont pu sauver une partie de leurs effectifs qu’en abandonnant leur matériel. (Pétain 1940a, 64, 19-22) sauver: x sauve y; x = die französischen Divisionen, y = ein Teil ihres Bestandes; Die französischen Divisionen haben einen Teil ihres Bestandes nur dadurch retten können, dass sie ihr Material zurückgelassen haben. (V.77) [L’hiver commence, il sera rude. Rude pour les prisonniers de guerre. Rude aussi pour tant de populations civiles évacuées, éprouvées par la guerre et ses suites. (...)]. Mais il ne s’agit pas de les plaindre, il faut les aider et les défendre contre les rigueurs du froid. (Pétain 1940c, 96-97, 2-9) défendre: x défend y; x = unpersönlich, d.h. im Kontext die Franzosen, die nicht zu den notleidendsten gehören; y = die Franzosen, die am notleidendsten sind; Die weniger notleidenden Franzosen müssen die notleidendsten vor der unerbittlichen Kälte schützen. (V.78) Il faut que nos fils en captivité puissent éprouver l’affection de la nation tout entière et la sollicitude collective qui veille sur eux. (Pétain 1940c, 97, 26-28) veiller: x veille sur y; x = die allgemeine Fürsorge; y = die Franzosen in Gefangenschaft; Die allgemeine Fürsorge wacht über die Franzosen in Gefangenschaft. (V.79) L’honneur nous commande de ne rien entreprendre contre d’anciens alliés; mais l’intégrité du pays exige que soient préservées les sources de notre ravitaillement vital, que soient sauvegardés les postes essentiels de notre empire. [C’est contre ces nécessités que s’insurgent chaque jour les propagandistes de la dissidence.] (Pétain 1941b, 121, 35-40) préserver: x préserve y; x = unspezifiziert; y = die Versorgungsquellen; sauvegarder: x sauvegarde y; x = unspezifiziert; y = die kardinalen Orte des Reiches; Man muss die Versorgungsquellen wahren und die kardinalen Orte des Reiches sichern. (V.80) Dans la France nouvelle, nul ne sera sauvé s’il [le terrien] n’a d’abord travaillé à se réformer lui-même. [(...) Plusieurs mois séparent le labour de la récolte, pendant lesquels il faut vivre d’espérances.] Rien n’est certain aux champs; le tra- <?page no="309"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 303 vail ne suffit pas, il reste à protéger les fruits de la terre contre les caprices du temps, le gel, l’inondation, la grêle, la sécheresse. (Pétain 1941c, 126, 95-105) sauver: x sauve y 1 ; x = unspezifiziert; y 1 = unbestimmt; protéger: x protège y 2 ; x = unpersönlich; y 2 = die Früchte der Erde; Man wird im neuen Frankreich Bestimmtes retten können, wenn sich der Bauer verändert, doch man wird auch die Früchte der Erde vor den Wetterkapriolen schützen müssen. (V.81) Le travail répond à cette loi sévère de la nature que rien ne s’obtient sans effort. [...]. C’est une erreur de croire que l’on puisse conserver intacts ses dons ou ses facultés dans l’oisiveté. Nous ne développons nos capacités et n’augmentons nos forces que par l’exercice que nous nous donnons. (Pétain 1941d, 128, 16-27) conserver: x conserve y; x = unpersönlich; y = menschliche Fähigkeiten; Man kann seine Fähigkeiten nur erhalten, wenn man sie praktiziert. (V.82) Que veulent-ils donc au juste, les ouvriers, lorsque, délivrés de leurs mauvais bergers, ils s’interrogent dans l’honnêteté de leur conscience et dans la sincérité de leur cœur? [...]. Ils veulent [...] échapper à l’incertitude du lendemain; être protégés contre les aléas du chômage; trouver dans leur métier une sécurité ou, pour mieux dire, une propriété; avoir la possibilité d’y avancer jusqu’à la limite de leurs aptitudes. (Pétain 1941d, 128-129, 40-51) délivrer: x délivre y; x = unspezifiziert; y = die Arbeiter; protéger: x protège y; x = unspezifiziert; y = die Arbeiter; Man befreit die Arbeiter von ihren schlechten Herren bzw. Hirten und schützt sie vor willkürlicher Entlassung bzw. Arbeitslosigkeit. (V.83) Seule l’autorité permettra, quand la France sera délivrée des contraintes de la guerre, d’abattre les privilèges et de réaliser le programme social que j’ai formulé à Saint-Étienne et à Commentry. [(...). Faites loyalement un retour sur vous-mêmes.] Vous vous joindrez alors à ceux qui ont compris et qui, pour sauver la patrie, travaillent avec moi à réveiller les indifférents, à ranimer le courage des tièdes et à briser la résistance des égoïstes et des profiteurs. (Pétain 1943a, 300-301, 46-62) délivrer: x délivre y; x = unspezifiziert; y = Frankreich; sauver: x sauve y; x = Pétain und seine Gesinnungsgenossen; y = Frankreich; Man wird Frankreich von der Kriegsnot befreien, Pétain und seine Gesinnungsgenossen arbeiteten daran, Frankreich zu retten. (V.84) Mais l’Histoire reconnaîtra que nous avons fait tout ce qui était possible pour protéger les ouvriers contre la misère présente et pour répartir l’inévitable épreuve selon la justice. (Pétain 1943b, 306, 19-21) protéger: x protège y; x = Pétain und seine Gesinnungsgenossen; y = die Arbeiter; Pétain und seine Gesinnungsgenossen haben alles getan, um die Arbeiter vor dem Elend zu schützen. (V.85) Un temps viendra, plus proche que vous ne l’espérez, où le travail que je vous ai tracé s’accomplira plus facilement, dans un monde délivré de la guerre. (Pétain 1943b, 309, 102-104) <?page no="310"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 304 délivrer: x délivre y; x = unspezifiziert; y = die Welt; Man wird die Welt vom Krieg befreien. Die Reden Salazars: (V.86) O Portugal de vossos filhos, redimido no sacrifício e na dor, nas privações, no trabalho, na angústia destes calamitosos tempos, mas salvo, honrado, belo, forte, engrandecido, como o divisamos já na aurora de amanh-. (Salazar 1938a, 22, 177- 181) redimir: x redime y; x = unspezifiziert; y = Portugal; Man erlöste Portugal. (V.87) Amamos sinceramente a paz, e trabalhamos na medida das nossas possibilidades por que seja conservada entre as nações, mas n-o podemos esquecer que temos interesses consideráveis em diversas partes do mundo, cuja defesa somos obrigados a buscar através da melhoria das condições próprias e das garantias derivadas das nossas amizades, especialmente da aliança angloportuguesa. (Salazar 1938b, 124, 29-37) conservar: x conserva y; x = unspezifiziert; y = der Frieden zwischen den Nationen; Man soll den Frieden zwischen den Nationen erhalten. (V.88) Muitas vezes em oito séculos de vida Portugal lutou contra a Espanha ou contra Estados espanhóis, para manter ou consolidar a sua independência; muitas vezes também lutou a seu lado contra terceiros. (Salazar 1939a, 147, 258-262) manter: x mantem y; x = Portugal; y = die Unabhängigkeit; Portugal kämpfte gegen Spanien bzw. gegen spanische Länder, um seine Unabhängigkeit zu wahren. (V.89) Nós n-o fizemos a Revoluç-o Nacional apenas para dar combate ao comunismo: fizémo-la para dar ao País a consciência do seu valor e da sua miss-o no mundo; fizémo-la para reforçar a unidade nacional e para elevar o nível material e moral do nosso povo; fizémo-la para defender e aumentar o nosso património de oito séculos de história. (Salazar 1939b, 160-161, 42-50) defender: x defende y; x = die Portugiesen; y = das Erbe; Die Portugiesen machten die Revolution, um das Erbe zu verteidigen. (V.90) No trabalho ou nos sacrifícios, no sofrimento ou na caridade, nas alegrias ou nas preocupações da vida individual e colectiva fomos guiados - e salvos - pelo amor pátrio a reencontrar o elo de solidariedade que devia prender-nos como as pedras de um edifício - a sermos finalmente perante o mundo todos como um só. (Salazar 1941, 298-299, 43-49) salvar: x salva y; x = die Liebe zum Vaterland; y = die Portugiesen; Die Liebe zum Vaterland rettete bzw. erlöste die Portugiesen. (V.91) Mais de um movimento se inspirara no peregrino intento de libertar o País do funcionalismo, o que dá simultâneamente ideia da incompreens-o dos dirigentes e da consciência geral. (Salazar 1943, 392, 247-250) <?page no="311"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 305 libertar: x liberta y; x = so manche Bewegung; y = das Land; Manch eine Bewegung wollte das Land vom Beamtenstaat befreien. (V.92) Quando, ao lado da ponte ou da estrada que lançamos para comodidade dos povos, reparamos o castelo ou o monumento, reintegramos a pequena igreja secular ou o mosteiro abandonado, alguns n-o vêem que trabalhamos por manter a identidade do ser colectivo, reforçando a nossa personalidade nacional. (Salazar 1943, 402-403, 526-532) manter: x mantem y; x = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y = die kollektive Identität; Salazar und seine Gesinnungsgenossen arbeiten daran, die kollektive Identität zu erhalten. (V.93) N-o só a catastrófica extens-o do conflito como considerações de outras ordens levaram a concluir como desejável se mantivesse uma zona de paz na Península, por nós desde o princípio defendida, através da neutralidade de Portugal e da Espanha. (Salazar 1943, 406, 624-629) manter: x 1 mantem y; x 1 = unpersönlich; y = eine Friedenszone auf der iberischen Halbinsel; defender: x 2 defende y; x 2 = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y = eine Friedenszone auf der iberischen Halbinsel; Man sollte eine Friedenszone auf der iberischen Halbinsel erhalten. Salazar und seine Gesinnungsgenossen verteidigen dies. (V.94) Quaisquer outros na nossa situaç-o acolheriam refugiados, salvariam e agasalhariam náufragos, ajudariam a suavizar a sorte dos prisioneiros, enviariam donativos a necessitados, por dever de solidariedade humana e também para manter no mundo convulsionado por ódios mortais o que poderia ser chama, embora ténue, de caridade, antevis-o, embora pálida, da justiça e da paz. (Salazar 1945b, 105, 109-117) acolher: x acolhe y 1 ; x = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y 1 = Flüchtlinge; salvar: x salva y 1 ; x = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y 1 = Schiffbrüchige; agasalhar: x agasalha y 1 ; x = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y 1 = Schiffbrüchige; manter: x mantem y 2 ; x = Salazar und seine Gesinnungsgenossen; y 2 = Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Liebe; Jedes Land in Portugals Situation würde ebenfalls Flüchtlinge aufnehmen, Schiffbrüchige retten und beherbergen [die Präsupposition lautet: Salazar und seine Gesinnungsgenossen nehmen Flüchtlinge auf, retten und beherbergen Schiffbrüchige]; jedes Land in Portugals Situation würde dies auch tun, um Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Liebe zu erhalten. Die aus den Auszügen der Reden dargestellten Verben sind zusammengefasst folgende: <?page no="312"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 306 Franco Mussolini Pétain Salazar cobijar conservare conserver acolher conservar difendere défendre agasalhar defender liberare délivrer conservar guardar mantenere préserver defender liberar proteggere protéger libertar librar riconquistare sauvegarder manter mantener salvaguardare sauver redimir redimir salvare veiller salvar sacar tenere salvar tutelare Die generische Archisemformel GAS für diese Verben des Funktionstüchtig- Erhaltens - durch Abwehr von Gefahr - lässt sich folgendermaßen darstellen: GAS: [(y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a ) (y NON SALV)] ti [x CAUS (NON EXIST PERIC)] ti+j [(y HAB FUNCT a ) (y SALV)] ti+k. Das SETTING ist durch die erste Teilproposition repräsentiert: SETTING: [(y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a ) (y NON SALV)]. Sie bedeutet, dass sich die Argumentvariable y zur Zeit ti am LOC 1 befindet, eine bestimmte Funktion, nämlich FUNCT a , innehat, aber durch eine Gefahr bedroht und deshalb nicht sicher ist. Die zweite Teilproposition ist jene des EVENT: EVENT: [x CAUS (NON EXIST PERIC)] ti+j. Diese Teilproposition besagt, dass die Argumentvariable x zum Zeitpunkt ti+j verursacht, dass die wie auch immer geartete Gefahr außer Kraft gesetzt wird. Als dritte Teilproposition folgt schließlich CONSEQ: CONSEQ: [(y HAB FUNCT a ) (y SALV)] ti+k. Die dritte Teilproposition dieser generischen Archisemformel beschreibt, dass y wieder die ursprüngliche Funktion innehat bzw. im Sinne der ersten Teilproposition weiterhin funktionstüchtig ist. Auch bei den aus den Reden herausgefilterten Verben des Funktionstüchtig- Erhaltens durch Abwehr von Gefahr zeichnen sich im Groben drei spezielle Archisemformeln ab, die sich voneinander wiederum durch die jeweilige EVENT- Proposition unterscheiden: SAS1: [(y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a ) (y NON SALV)] ti [x CAUS (Y ADESSE LOC 2 )] ti+j [(y HAB FUNCT a ) (y SALV)] ti+k. Es geht in der EVENT-Proposition darum, dass x dafür Sorge trägt, dass y vom unsicheren Ort LOC 1 an den sicheren Ort LOC 2 gelangt. Auf dieser speziellen Archisemformel beruhen folgende Verben: Franco Mussolini Pétain Salazar cobijar acolher guardar agasalhar sacar <?page no="313"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 307 SAS2: [(y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a ) (y NON SALV)] ti [x CAUS (NON EXIST PERIC pot )] ti+j [(y HAB FUNCT a ) (y SALV)] ti+k. Die EVENT-Proposition dieser speziellen Archisemformel ist insofern eine relativ allgemeine, als sie lediglich beschreibt, dass eine potentielle, also nicht notwendigerweise aktuelle Gefahr für die Funktionstüchtigkeit von x abgewendet wird. Auf welche Weise diese genau abgewendet wird, ist jeweils durch die Modifikatoren zu klären. Folgende Verben basieren auf dieser zweiten speziellen Archisemformel: Franco Mussolini Pétain Salazar conservar conservare conserver conservar mantener mantenere préserver manter proteggere protéger salvaguardare sauvegarder tenere veiller tutelare SAS3: [(y ADESSE LOC 1 ) (y HAB FUNCT a ) (y NON SALV)] ti [x CAUS (NON EXIST PERIC act )] ti+j [(y HAB FUNCT a ) (y SALV)] ti+k. Das Spezifikum der dritten speziellen Archisemformel besteht darin, dass x eine bereits aktuell wirksame feindliche Gefahr, PERIC act , die die Funktionstüchtigkeit von y behindert bzw. verhindert, ausschaltet, d.h. unwirksam macht. Dieser Kategorie gehören folgende Verben an: Franco Mussolini Pétain Salazar defender difendere défendre defender liberar liberare délivrer libertar librar riconquistare sauver redimir redimir salvare salvar salvar Auch im Falle der Verben des Funktionstüchtig-Erhaltens durch Abwehr von Gefahr gibt es kontextbedingt durchaus wiederum Mehrfachzuordnungen zu den verschiedenen speziellen Archisemformeln, auf die wir hier allerdings nicht einzugehen brauchen. Analog zu den Verben des Funktionsuntüchtig-Machens durch Gewaltanwendung fassen wir übersichtsmäßig zusammen, wodurch die Argumentvariablen x und y der Verben des Funktionstüchtig-Erhaltens durch Abwehr von Gefahr in den zitierten Textpassagen spezifiziert werden, um daraus für uns relevante Schlüsse zu ziehen. Die maurische Frau hüte besorgt alles für ihr Heim (V.57). Die Frauen der Falange befreiten die Kinder von Grundmängeln (V.59) und es waren auch die Frauen, die unter den Soldaten den Glauben aufrecht erhielten (V.66). Die Klostermauern von Guadalupe bergen die für die spanischen Gläubigen wichtige Jungfrau <?page no="314"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 308 Maria der Entdeckungen (V.60). Franco zeigt sich bestrebt, die Spanier aus ihrer Armut herauszuholen (V.58) und von ihrem Elend zu erlösen (62). Er gibt sich bemüht, Spanien vor seiner moralischen und materiellen Zerstörung zu erretten (64), die verbrüderten Länder zu befreien (V.63) und die regionalen Besonderheiten der spanischen Provinzen zu erhalten (V.65). Der innere Feind hingegen verteidige den Missbrauch des Kapitals, die soziale Ausbeutung und die Beibehaltung ungerechter Strukturen (V.61). Mussolini erklärt es zu seinem Ziel, das Po-Tal zu verteidigen (V.75), die europäische Zivilisation in ihrer Entwicklung zu wahren (V.70), die italienische Nation vom übriggebliebenen kleinbürgerlichen Ballast zu befreien, die Atmosphäre der harten Zeiten zu wahren und die moralische Gesundheit sowie die materielle Existenz des italienischen Volkes zu sichern (V.72). Auf vorbildliche Weise seien schon die Truppen der Vecchia Guardia bemüht gewesen, das italienische Volk vom unheilvollen Einfluss der Ideale der 89er Welt zu befreien (V.69). Imperien erhielten sich durch Prestige (V.67), wofür klare rassische und nationale Vorstellungen unerlässlich seien. Doch die Semiten im Allgemeinen verteidigten auch die italienischen Juden (V.68), was dem hinderlich sei. Die Faschisten hätten Libyen zurückerobert (V.73), wären nun aber an Friedenserhaltung interessiert, doch Großbritannien, das reaktionäre, plutokratische und dynastische Kräfte schütze (V.74), und Frankreich handelten dem zuwider (V.71). Pétain erklärt, dass die französischen Divisionen einen Teil ihres Bestandes nur dadurch retten konnten, dass sie ihr Material zurückließen (V.76). In der sehr prekären Situation hätten er selbst und seine Gesinnungsgenossen alles unternommen, um die Arbeiter vor dem Elend zu schützen (V.84). Eines Tages werde man aber Frankreich von der Kriegsnot befreien, er selbst und seine Gesinnungsgenossen arbeiteten daran, Frankreich schließlich zu retten (V.83), man würde einst die ganze Welt vom Krieg befreien (V.85). Die weniger notleidenden Franzosen müssten die ärmsten vor der Kälte schützen (V.77). Man müsste die Versorgungsquellen und die kardinalen Orte des Reiches sichern (V.79). Nach einer Reform der bäuerlichen Arbeitsweise könnte man im neuen Frankreich durchaus Bestimmtes retten, man müsste aber dennoch stets die Früchte der Erde vor den Launen der Natur schützen (V.80). Pétain versichert, dass man seine Talente nur erhalten könne, indem man sie praktiziere (V.81). Den Arbeitern versichert Pétain, dass man sie von ihren ungerechten Herren befreien und vor willkürlicher Entlassung schützen würde (V.82), den Franzosen in Kriegsgefangenschaft, dass die allgemeine Fürsorge über sie wache (V.78). Salazar erklärt Portugal für erlöst (V.86), die Liebe zum Vaterland hätte die Portugiesen gerettet (V.90). Er und seine Gesinnungsgenossen hätten Flüchtlinge aufgenommen, Schiffbrüchige gerettet und beherbergt, um Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Liebe zu erhalten (V.94). Man solle nun eine Friedenszone auf der iberischen Halbinsel (V.93) und überhaupt den Frieden unter den Nationen erhalten (V.87). Portugal hätte in der Vergangenheit auch gegen Spanien gekämpft, um seine Unabhängigkeit zu wahren (V.88). Es gehe jetzt u.a. auch darum, die kollektive Identität zu erhalten (V.92). Die Portugiesen hätten dann die Revolution ge- <?page no="315"?> 5.4 Generische und spezielle Archisemformeln 309 macht, um ihr Erbe zu verteidigen (V.89), und schon manche Bewegung hätte versucht, das Land vom Beamtenstaat zu befreien (V.91). Die Textstellen (V.57) bis (V.94), die die Verben des Funktionstüchtig-Erhaltens unter Abwehr von Gefahr enthalten, geben darüber Aufschluss, wen die Autoren für die Hüter im Abendland positiv konnotierter ideeller Werte halten, wen sie als die Beschützer von Land und Leuten erachten und wen sie als die Verteidiger materieller Güter und Garanten der Versorgung der Bevölkerung betrachten. Es hat sich herausgestellt, dass es sich in weiten Zügen wohl eher um eine schmeichelhafte Selbstdarstellung der Autoren handelt, die aus dieser Sicht nur minimales Augenmerk auf die Gegner, d.h. auf innere oder äußere Feinde legen. Um analog zu den Verben des Funktionsuntüchtig-Machens unter Gewaltanwendung die Agentivität bzw. Patientivität zu erfassen, sei auch für die Verben des Funktionstüchtig-Erhaltens unter Abwehr von Gefahr ein entsprechendes Schema erstellt: Agens/ Source Franco Mussolini Pétain Salazar Total Total % A/ S1 Autor und dessen Gesinnungsgenossen 8 8 2 6 24 48 A/ S2 Land des Autors - metaphorisch und metonymisch/ äußere Freunde 1 2 2 2 7 14 A/ S3 ideelle Werte - positiv konnotiert 1 2 3 6 A/ S4 unpersönlich 1 9 3 13 26 A/ S5 innere/ äußere Feinde 1 2 3 6 Total 10 13 14 13 50 100 Patiens Franco Mussolini Pétain Salazar Total Total % P1 das eigene Land/ und erworbene Länder 3 4 3 2 12 24 P2 die Landsleute 3 1 6 1 11 22 P3 ideelle Werte - positiv konnotiert 2 6 2 7 17 34 P4 materielle Güter 1 3 4 8 P5 Fremde - als äußere Freunde 3 3 6 P6 innere/ äußere Feinde 1 1 2 P7 ideelle Werte - negativ konnotiert 1 1 2 4 Total 10 13 14 13 50 100 <?page no="316"?> 5. Funktorenstrukturen und Archisemformeln 310 Obwohl es zugegebenermaßen in diesem Fall genauso problematisch ist, von einem Gesamtergebnis zu sprechen wie im vorhergehenden, gibt es auch hier Auffälligkeiten. Bei Franco, Mussolini und Salazar sind jeweils der Autor und dessen Gesinnungsgenossen eindeutig die Hauptakteure, die für das Funktionstüchtig-Erhalten durch Abwehr von Gefahr des entsprechenden Patiens Sorge tragen. Bei Pétain hingegen ist der häufigste Agens unpersönlich. Hinsichtlich des Patiens, der jeweils erhalten, gehütet, beschützt, beherbergt oder auch zurückerobert wird, ist bei Franco das Verhältnis zwischen P1, P2 und P3 relativ ausgewogen, während es Mussolini und Salazar in erster Linie um den Erhalt ideeller Werte geht und Pétain vor allem um seine Landsleute besorgt scheint. Aufgrund der relativ geringen Anzahl an Textstellen kann wiederum nicht von einem repräsentativen Ergebnis die Rede sein, interessant scheinen die zum Vorschein kommenden Tendenzen aber allemal. 5.5 Fazit Wie wir gesehen haben, liefern die Funktorenstrukturen, bestehend jeweils aus Funktor und den davon abhängigen Argumenten, salopp ausgedrückt, die semantisch-syntaktischen Rohbauten für alle Verben einer Sprache. Verben mit gemeinsamem feldkonstituierendem Genussem und identischer Argumentstruktur basieren auf einer Funktorenstruktur bzw. aus den Verben mit gemeinsamem feldkonstituierendem Genussem und identischer Argumentstruktur lässt sich eine Funktorenstruktur ableiten. Funktorenstrukturanalysen dienen daher in erster Linie der Analyse des Verbwortschatzes einer Sprache. Ähnliches gilt für die elaborierten generischen und speziellen Archisemformeln oder Kernkonfigurationen, wenngleich deutlich geworden ist, dass die semantische Komponente in den Wotjak’schen Archisemformeln eine wesentlich zentralere Rolle spielt als in den Bondzio’schen Funktorenstrukturen. Die nach Wotjaks Archisemformeln konstituierten Verbfelder sind deshalb semantisch auch wesentlich homogener als jene, die sich von Bondzios Funktorenstrukturen ableiten. Außerdem wird im Wotjak’schen Modell den Modifikatoren als durchaus relevanten Differentiasemen explizit mitunter entscheidende Bedeutung beigemessen. Sowohl die Untersuchung der Verben auf die ihnen inhärenten Funktorenstrukturen hin als auch jene mit analytischem Blick auf deren generische und spezielle Archisemformeln versuchen a priori Antworten auf Fragen des Systems zu geben. Unsere Untersuchung ist angewandter Natur, allerdings auf der Basis akribisch ausgeklügelter theoretischer Ansätze, nämlich jener der Funktorenstrukturen nach Bondzio und jener der Archisemformeln oder Kernkonfigurationen nach Wotjak. Anhand ausgewählter Funktorenstrukturen gelang es zum einen zu zeigen, dass eine Äußerung, deren Valenzen gesättigt sind, zwar in Bezug auf ihre Wohlgeformtheit auf Zirkumstanten verzichten kann, nicht jedoch hinsichtlich ihrer sehr wohl kommunikativ relevanten Vollständigkeit, die sich nicht notwen- <?page no="317"?> 5.5 Fazit 311 digerweise aus belegten Relatpositionen ergibt. Unrealisierte Modifikatoren, die der Wohlgeformtheit der Äußerung keinen Abbruch tun, erlauben dem Redner, nicht näher spezifizierte Kollokationen zu verwenden, die im Grunde eher täuschen als informieren. Zum anderen wurde deutlich, dass viele Verben aufgrund ihrer funktorenstrukturellen Bedingung das agentive Argument quasi schlucken, sodass aus Handlungen Vorgänge zu werden scheinen. Durch die Erarbeitung und praktische Anwendung zweier gerade für den politischen Diskurs höchst relevanter generischer Archisemformeln mitsamt den daraus abgeleiteten speziellen Archisemformeln auf den theoretischen Grundlagen von Wotjak konnten die im Diskurs reflektierte Agentivität und Patientivität in besonders brisanten politischen Handlungsbereichen eruiert, lokalisiert und analysiert werden. Es hat sich somit herausgestellt, dass eine genaue Untersuchung der Verben im Sinne einer Funktor-Argument-Modifikator-Analyse ein durchaus sinnvoller Bestandteil der Diskursanalyse ist und möglicherweise überraschend aufschlussreiche Ergebnisse liefert. <?page no="319"?> 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede 6.1 Diskursive Strategien In den vorangehenden Kapiteln hat sich gezeigt, dass die Analyse eines Textes wie jenes der politischen Rede auf valenztheoretischer Grundlage, d.h. also ganz prinzipiell mit dem Verb als Ausgangspunkt, 1 sehr wohl aufschlussreich und infolgedessen sinnvoll ist. Bei einer derartigen vom Verb ausgehenden Analyse geht es zunächst darum, die oben diskutierte Grundvalenz des entsprechenden Verbs mitsamt dem, was wir als natürliche Stelligkeit bzw. als implizite Perspektiviertheit bezeichneten, zu erheben. In einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob die vom verbalen Funktor perspektivierten Argumente aktantiell spezifiziert werden und wenn ja, erstens auf welcher Realisierungsebene die Fokalisierung erfolgt und zweitens vor allem auch wie - im Sinne von wodurch - die Argumentvariablen realisiert werden. Ferner ist es aufschlussreich zu eruieren, ob die Fokalisierung die implizite Perspektiviertheit, meint die oben besprochene natürliche Argumentabfolge, 2 durch unmarkierte Serialisierung widerspiegelt oder aber ob das Resultat der Syntaktifizierung der konzeptuellen Struktur, welche auf der logisch-semantischen Ebene angesiedelt ist, ein markiert serialisiertes ist. Als markiert serialisiert ist in jedem Falle die Fokussierung zu betrachten, bei der es sich stets um eine Art Hervorhebung handelt, die aber über die Thematisierung bzw. auch über die Rhematisierung hinausgeht, falls das zu fokussierende Satzelement bereits systemgemäß die thematischste bzw. rhematischste Position einnimmt. Im Hinblick auf die Zirkumstanten ist, wie wir gesehen haben, zunächst zwischen satzobligatorischen und fakultativen zu unterscheiden, wenngleich Erstere wohl eher nur die Ausnahme darstellen. Ein weiteres Unterscheidungskriterium für die Zirkumstanten im Gebrauch, also im Text, ist jenes, nach dem diese entweder die Realisierung von bereits auf der logisch-semantischen Ebene sememindizierten oder aber von sememinduzierten Modifikatoren darstellen. Im Rahmen der Diskursanalyse gilt ferner auch für die Zirkumstanten, dass sowohl die Realisierungsebene als auch die Serialisierung von Relevanz sind. Summa summarum geht es also - auf eine Art Minimalformel reduziert - bei der Diskursanalyse auf valenztheoretischer Grundlage erstens um die sememi- 1 Nicht eingegangen sind wir auf die Diskussion der Valenz anderer Wortarten als jener des Verbs und der von diesen abgeleiteten deverbalen Substantive. Vgl. aber dazu u.a. Bondzio (1971; 1974a; 1974b; 1975; 1976; 1977; 1978; 1980; 1993; 2001; Bondzio/ Gollmer 1976) und Helbig (1992) sowie Stepanowa/ Helbig (1978). 2 Vgl. dazu auch Welke (2002), der allerdings nicht von natürlicher Argumentabfolge spricht, sondern diese eher als Reihenfolge der in Blick genommenen Argumente von 1...n betrachtet. <?page no="320"?> 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede 314 sche Intension des Verbs per se, zweitens um die formale und inhaltliche Gestaltung der Realisierung vom jeweiligen Verb perspektivierter Argumente und drittens um die formale und inhaltliche Ausprägung zirkumstantiell realisierter Modifikatoren des entsprechenden Verbs. Wenn wir nun von diskursiver Strategie sprechen, dann gilt es zu beachten, dass diese im Grunde zwei Phänomene subsumiert. Eine diskursive Strategie ist gewissermaßen wie die berühmten zwei Seiten der Medaille: Eine Seite sind die semantisch-pragmatisch bedingten, weil kommunikativ intendierten, morphosyntaktischen Operationen und die andere Seite sind die durch diese morphosyntaktischen Operationen zu erzielenden Effekte. Für eine klare Untersuchung der diskursiven Strategien im Text ist es also unerlässlich, zwischen einerseits strategischem Mittel und andererseits strategischem Ziel zu unterscheiden. 6.2 Diskursstrategische Mittel Auf der Grundlage des im Laufe der Kapitel herausgearbeiteten und hier resümierten Wesens der Diskursanalyse auf valenztheoretischer Grundlage sowie eingedenk der oben begründeten Notwendigkeit der Differenzierung zwischen strategischem Mittel und strategischem Ziel betrachten wir folgende als die zentralen Eckpfeiler der zweifellos noch differenzierter aufzufächernden Palette diskursstrategischer Mittel, mit denen diskursstrategische Ziele verfolgt werden: I. Verbwahl II.1 Markierte Aktantenrealisierung II.2 Aktantielle Mehrfachrealisierung II.3 Nullaktantifizierung - aktantieller Statuswechsel - Argumentreduktion II.4 Aktanten in markierter Serialisierung III.1 Zirkumstantenrealisierung III.2 Nullzirkumstantifizierung III.3 Zirkumstanten in markierter Serialisierung In der Folge wollen wir es in einer Art Zusammenschau auf den Punkt bringen, durch welche in den Reden eingesetzten diskursstrategischen Mittel die im Rahmen dieser Untersuchung bereits vielerorts angesprochenen diskursstrategischen Ziele offensichtlich - oder auch verdeckt - angestrebt werden. 6.3 Diskursstrategische Ziele 6.3.1 Die Übertragung der Verantwortung Aus 5.3.1 und 5.4.1 geht hervor, dass bereits die Wahl des Verbs - bis zu einem gewissen Grad verbunden mit der Wahl einer bestimmten Diathese - dafür ausschlaggebend ist, ob etwas als handlungshaft, vorgangshaft oder zustandshaft dargestellt wird. Steht die Agentivität im Vordergrund des Handlungshaften, so ist es die <?page no="321"?> 6.3 Diskursstrategische Ziele 315 Patientivität, die sowohl das Vorgangshafte als auch das Zustandshafte charakterisiert. Verantwortung wird nun insofern übertragen, als der Redner i.d.R. die erste Argumentposition des jeweils positiv konnotiert Handlungshaften durch Agenzien aus den eigenen Reihen und jene des jeweils negativ konnotiert Handlungshaften durch Agenzien aus dem feindlichen Lager besetzt bzw. für letzteren Fall die vorgangshafte oder zustandshafte Darstellungsweise wählt und somit jedwede Verantwortung in den Bereich des quasi Schicksalshaften abschiebt. 6.3.2 Die manipulierte Orientierung Anhand der exemplarischen Darstellung der Gebensversus Nehmens-Orientierung in 4.7.1 sowie der Hörerversus Sachorientierung in 4.7.2 wurde gezeigt, dass durch die sememische Konstellation des Verbs im Diskurs dem Blick des Rezipienten gewissermaßen eine Richtung vorgegeben wird. Anders gesagt, das verbale Semem determiniert die Blickrichtung oder Orientierung des Empfängers, und zwar zum einen durch die verbsememische Intension und zum anderen durch die vom jeweiligen Verb eröffneten Relatpositionen, die für das Entstehen der entsprechenden kognitiven Szene entscheidend sind. 6.3.3 Dynamisierung versus Statisierung der Darstellung Die Gegenüberstellung von 4.5.1 und 4.5.2 macht deutlich, dass Verben auf Grund ihres großen intensionalen Umfangs quasi self-sufficient sein können oder aber im Falle des geringen intensionalen Umfangs und der daraus resultierenden relativen semantischen Leere stark ergänzungsbedürftig sind. Ein merkmalreiches Verb bringt im Gegensatz zum merkmalarmen Verb tendenziell Bewegung oder eben Dynamik in die Handlung bzw. in das Geschehen. Der Einsatz des merkmalarmen Verbs kann aber im Gegenzug der Erzeugung von Spannung im Diskurs dienlich sein, zumal der Empfänger erst nach der Besetzung der von diesem Verb eröffneten Relatpositionen die entstehende oder auch entstandene Prädikation in den Griff bekommen kann. Der Redner kann also gerade in Verbindung mit merkmalarmen Verben die Möglichkeit des oben besprochenen Verzögerungseffektes effizient nutzen und dadurch die Spannungskurve ansteigen lassen. 6.3.4 Die Polarisierung In 2.5.1 wurde herausgearbeitet, dass in der politischen Rede die möglichst klare Abgrenzung der friendly We-Group von der hostile They-Group ein häufig verfolgtes Ziel darstellt. Wir sprachen auch von der Opposition Inklusion versus Exklusion im Sinne von den Einzuschließenden im Gegensatz zu den Auszuschließenden. Auf der semantisch-pragmatischen Ebene geht es um die Zuordnung bzw. Zuweisung von Werten und Wertigkeiten. Daraus ergibt sich i.d.R. eine positive, <?page no="322"?> 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede 316 weil positiv gezeichnete Wir-Identität, die sich scharf konturiert von der Sie- Identität abhebt. Auf morphosyntaktischer Ebene vollzieht sich diese Ab- oder auch Ausgrenzung u.a. mittels markierter Aktantenrealisierung. Das bedeutet etwa, dass tonische Pronomina verwendet werden, obwohl die klitischen Pronomina oder gar die verbmorphologische aktantielle Primärrealisierung für das Verständnis ausreichten. Es kann aber auch bedeuten, dass die entsprechenden Aktanten sogar nominal oder phrastisch, also quartärbzw. quintärrealisiert werden, obwohl aus Gründen der referenziellen Eindeutigkeit dafür keine Notwendigkeit bestünde. Aus 4.4.1 geht aber auch hervor, dass die Polarisierung das Ergebnis einer zirkumstantiell bedingten kontrastiven Tätigkeitsdarstellung sein kann. Ein und dasselbe Verb durch unterschiedliche Zirkumstanten determiniert, kann ein und dieselbe Tätigkeit in positivem oder in negativem Lichte erscheinen lassen und dementsprechend dem freundlichen oder dem feindlichen Lager zugeordnet werden. 6.3.5 Die Konstruktion der Wir-Identität Ging es bei der Polarisierung darum, mittels markierter Aktantenrealisierung die Gegensätze zwischen Freund und Feind zu betonen, so hat sich in 2.5.2 herausgestellt, dass mittels markierter Aktantenrealisierung auch eine bestimmte Wir- Identität konstruiert werden kann, und zwar nicht mehr im Gegensatz zur feindlichen Sie-Identität, sondern allein durch morphosyntaktische Akzentuierung derjenigen, die die Träger der, der Ideologie entsprechend, positiv konnotierten Qualitäten sind. Durch die markierte Aktantenrealisierung wird nicht nur eindeutig festgestellt, sondern deutlich hervorgehoben, dass es die Wir-Gruppe ist, über die möglichst positiv prädiziert wird und deren vom Politiker gewünschte, aber konstruierte konzeptuelle Identität durch dessen Artikulation zur Bedeutung der Wir- Identität wird oder zumindest werden soll. 6.3.6 Die (Be-)Stärkung der Ihr-Identität In verschiedenen Textstellen, vor allem in jenen unter 2.5.3, fällt auf, dass das Identitätsbewusstsein der Angesprochenen gestärkt werden soll, und zwar wiederum durch markierte Aktantenrealisierung. Es geht auch hier über die Identifizierung der Referenz mittels minimalistischer Aktantenrealisierung hinaus um die Fokussierung einer Identität, nämlich um die der Angesprochenen. Diese sollten offensichtlich durch die ihnen zugesprochene oder zuerkannte Identität - im Rahmen des ideologisch Erlaubten - Selbständigkeit und Verantwortung für sich selbst und vor allem für die Nation übernehmen, um letztlich den entsprechenden ideologischen Prinzipien gemäß konstruktiver Teil der Wir-Gruppe zu sein. <?page no="323"?> 6.3 Diskursstrategische Ziele 317 6.3.7 Die Betonung der Autorität des Redners Auch bei diesem diskursstrategischen Ziel geht es um die Profilierung einer Identität, nämlich jener des Redners selbst. Durch die markierte Realisierung des auf ihn selbst referierenden Aktanten signalisiert der Redner seine herausragende, ausgezeichnete Autorität und, wie vor allem in 2.5.4 deutlich wird, das besondere Gewicht seiner Worte. 6.3.8 Die Fokussierung Bei der Fokussierung als diskursstrategischem Ziel geht es im Gegensatz zu den in 6.3.4 bis 6.3.7 besprochenen Zielen nicht mehr um die Profilierung eines bestimmten Referenten, sondern generell um die durch verschiedene strategische Mittel erreichte Hervorhebung des jeweils individuell betroffenen Satzelementes. Die in 4.6.1 behandelten Spaltsätze haben offensichtlich auch mit dem diskursstrategischen Mittel der markierten Serialisierung zu tun, und die in 4.6.2 diskutierten Passivkonstruktionen mit Nennung des Agentivs gehörten aufgrund des aktantiellen Statuswechsels des in der aktivdiathetischen Variante ersten Arguments auch im Rahmen des diskursstrategischen Mittels der - zumindest möglichen - Nullaktantifizierung besprochen. Nichtsdestotrotz haben sowohl Erstere als auch Letztere aber auch mit dem diskursstrategischen Mittel der markierten Aktantenrealisierung zu tun, 3 weshalb beide hier angeführt werden. Grundsätzlich geht es bei der Fokussierung also darum, einer bestimmten Satzkonstituente - aus welchen Gründen auch immer - besondere Relevanz zu geben, was durch verschiedene diskursstrategische Mittel erreicht werden kann. Hinsichtlich der nicht vom verbalen Funktor abhängigen Zirkumstanten geht aus 3.5.2 und 3.5.3 hervor, dass bereits die zirkumstantielle Realisierung eines Modifikators per se auf dessen Relevanz schließen lässt. 4 Aus einer nicht definitiv begrenzbaren Palette von Umstandsbeschreibungen wird für die Syntaktifizierung der konzeptuellen Struktur sehr selektiv ausgewählt. Diejenigen nicht satzobligatorischen Modifikatoren, die für die Realisierung der Umstandsbeschreibung ausgewählt und spezifiziert werden, sind somit allein schon aufgrund ihrer Fokalisierung bis zu einem gewissen Grad als fokussiert im Sinne von hervorgehoben zu betrachten. 6.3.9 Die Nicht-Identifizierbarkeit der bzw. des Gemeinten In 2.5.8 sprachen wir von quintärrealisierter Allusion statt Bezeichnung. Ohne die Gemeinten direkt zu benennen, ist es möglich, an diesen Kritik zu üben, ihnen Vorwürfe zu machen und Anschuldigungen gegen sie vorzubringen. Aufgrund quintärrealisierter Beschreibungen von Einzelmerkmalen der Gemeinten stehen letztlich eine oder mehrere Eigenschaften metonymisch für die Gemeinten selbst. 3 Man denke nur etwa an C’est moi qui le dis oder La lettera è stata scritta da lei. 4 Vgl. dazu die oben diskutierten cooperative principles (Grice 1975) sowie das Prinzip der kommunikativen Relevanz (Sperber/ Wilson 10 2001; Watzlawick et al. 10 2000). <?page no="324"?> 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede 318 Das diskursstrategische Ziel besteht darin, sich so deutlich auszudrücken, dass daraus klar hervorgeht, wer gemeint ist, ohne jedoch die Gemeinten zu bezeichnen, um keinem allfälligen Rechtfertigungszwang ausgesetzt werden zu können. 6.3.10 Die Aufrechterhaltung der Argumentpräsenz Die aktantielle Mehrfachrealisierung geht offensichtlich Hand in Hand mit der Frage der Serialisierung. Das diskursstrategische Ziel der Aufrechterhaltung der Argumentpräsenz erfolgt, wie wir in 2.5.6 gesehen haben, vor allem auch durch die Mehrfachrealisierung ein und desselben Arguments. Durch die Mehrfachrealisierung erlangt das betreffende Argument besonderes Gewicht im Diskurs, seine Präsenz ist nachhaltig und anhaltend spürbar und lässt auf besondere kommunikative Relevanz schließen, die dann im Einzelfall konkret zu bestimmen ist. 6.3.11 Die Generizität In der Auseinandersetzung mit der Nullaktantifizierung auf der logischsemantischen Ebene sehr wohl perspektivierter Argumente in 4.4.1 wurde deutlich, dass diese den Effekt der absoluten - oder aber zumindest einer eingeschränkten, durch einen bestimmten Horizont begrenzten - Allgemeingültigkeit, sprich Generizität, haben kann. In gewissem Sinne besteht also auch hier die Möglichkeit des konkreten Mitmeinens, ohne zu bezeichnen, wenngleich dies nicht der primären Intention der Nullaktantifizierung perspektivierter Argumente zu entsprechen scheint. Als weiteres diskursstrategisches Mittel zur Erreichung des diskursstrategischen Ziels des Generizitätseffekts ist - mindestens eingeschränkt - auch die SE- Diathese zu betrachten, und zwar vor allem, falls wir uns überhaupt trotz des obigen Ergebnisses der unifizierten Lesart der SE-Diathese erlauben, zumindest auf einer Ebene zwischen verschiedenen Nutzwerten oder Lesarten der SE-Diathese zu unterscheiden, deren unpersönlicher Nutzwert, den wir unter 4.8.3.1 durch SE + V intrans formalisierten und anschließend im Text analysierten. 6.3.12 Die Habitualität Ebenfalls durch das in 4.4.1 abgehandelte diskursstrategische Mittel der Nullaktantifizierung perspektivierter Argumente wird das diskursstrategische Ziel der Darstellung von Habitualität verfolgt. Durch die indefinite Auslassung, also durch die Nullaktantifizierung eines oder sogar mehrerer vom verbalen Funktor regierter Argumente, wird keine eindeutige Referenz hergestellt, sondern das Verb mit dem spezifizierten Argument oder auch mit den spezifizierten Argumenten, zu denen wohl, vor allem bei den hier behandelten Sprachen, in erster Linie das erste gehören wird, referiert auf eine Klasse von Situationen, ohne dass eine besondere in Blick genommen wird. Daher stammt zumindest der Eindruck von Habitualität. <?page no="325"?> 6.3 Diskursstrategische Ziele 319 6.3.13 Die Akzentuierung von Handlung oder Geschehen Die in 4.4.1 beleuchtete Nullaktantifizierung vor allem des zweiten, aber auch des dritten Arguments kann ferner dazu führen, dass in erster Linie das durch die verbsememische Intension indizierte Handlungshafte bzw. Prozesshafte, gegebenenfalls aber auch das Zustandshafte, auf Kosten der Prominenz der Funktor- Argument-Relationen in den Vordergrund rückt. 6.3.14 Die Unterstreichung der Potentialität Die indefinite Auslassung von Aktanten, erneut also die Nullaktantifizierung, kann des Weiteren auch insofern diskursstrategisches Mittel sein, als es dem Redner u.U. darum geht, nicht die Aktualität, sondern die Potentialität referentieller Situationen als diskursstrategisches Ziel ins Spiel zu bringen, wofür er, salopp ausgedrückt, die konkrete Besetzung von Argumentvariablen nicht gebrauchen kann, zumal diese den Eindruck der Potentialität minderte. 6.3.15 Die Vermeidung von Konfrontation Wir befinden uns immer noch beim diskursstrategischen Mittel der in 4.4.1 erläuterten Nullaktantifizierung. Ein weiteres bedeutendes diskursstrategisches Ziel, das durch sie angepeilt und wohl auch erreicht wird, ist die Vermeidung von Konfrontation. Ein Argument, das im weitesten Sinne etwas zum Ausdruck brächte, was die Empfänger negativ aufnähmen, kann durch eine entsprechende syntaktische Struktur nullrealisiert werden, wodurch sich der Redner unwillkommene Reaktionen seitens der Empfänger auf seinen vermeintlichen Affront erspart. 6.3.16 Die Mystifizierung Unter Mystifizierung ist zum einen das mittlerweile nicht mehr so geläufige, durchaus negativ konnotierte Vortäuschen von etwas und zum anderen das eher mit Unerklärlichem, oft sogar Überirdischem assoziierte Geheimnisvoll-Erscheinen- Lassen von etwas zu verstehen. Die Mystifizierung als diskursstrategisches Ziel ist aber, wie sich im Laufe der Untersuchung herausgestellt hat, ein gar nicht so selten anzutreffender politolinguistischer Kunstgriff des politisierenden Redners. Zu den diskursstrategischen Mitteln, die sich dafür offensichtlich besonders gut eignen, zählen in erster Linie die rezessive Diathese und die SE-Diathese, bei denen es zu Argumentreduktion kommt, wie sich in 4.8.2 bzw. 4.8.3 gezeigt hat. Wenn nun im Paradefall gerade des medialen oder des passivierenden SE, 5 wie oben erläutert, der Actor zum Chômeur wird, und ein Undergoer 6 quasi zugleich das erste und das zweite Argument einer - wenn auch - hypothetischen transitiven Basiskonstruktion spezifi- 5 Zu Demonstrationszwecken wollen wir auch hier, der Tradition folgend, zwischen den verschiedenen Nutzwerten der SE-Diathese unterscheiden. 6 Vgl. Siller-Runggaldier (2001b, 66 ff.), diskutiert auch in 4.8.3. <?page no="326"?> 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede 320 ziert, dann ist keine wirklich agentive Kraft mehr zu orten, Handlungshaftes wird als Prozesshaftes dargestellt, das den Anschein erweckt, sich auf geheimnisvolle Weise aus sich selbst heraus, oder wie Siller-Runggaldier (2001b, 66) 7 sagt, aus intrinsischer Kraft zu ereignen, was offensichtlich durchaus im Sinne des Autors ist, weshalb wir auch vom diskursstrategischen Ziel der Mystifizierung sprechen. Diese Art von Mystifizierung führt dazu, dass die für das zwar prozesshaft Dargestellte, im Grunde aber handlungshaft Seiende verantwortliche agentive Kraft ausgeblendet, ja, mittels Argumentreduktion sogar getilgt ist und vordergründig wohl auch keine Identifizierung verlangt, wodurch die Frage der Verantwortung ganz allgemein weit in den Hintergrund abgedrängt wird. 6.3.17 Die Vagheit Ein durch verschiedene diskursstrategische Mittel angestrebtes diskursstrategisches Ziel ist jenes der Vagheit. Bis zu einem gewissen Grad ist dieses diskursstrategische Ziel auch Teil bereits abgehandelter anderer größerer diskursstrategischer Ziele, wie vor allem jenes der in diesem Kapitel unter 6.3.9 diskutierten Nicht- Identifizierbarkeit der bzw. des Gemeinten, bewerkstelligt durch quintärrealisierte Allusion statt eindeutiger Bezeichnung, sowie vor allem die in 6.3.12 bis 6.3.16 besprochenen durch Nullaktantifizierung verfolgten diskursstrategischen Ziele. Führten wir die Mystifizierung auf Argumentreduktion zurück, wodurch Agens oder Source im Dunkeln bleiben, so betrachten wir die unter 4.8.1 besprochene Passivdiathese und die unter 4.8.5 analysierte Nominalisierung von Verben als geradezu prototypische diskursstrategische Mittel zur Erreichung des diskursstrategischen Ziels der Vagheit. Systemgemäß hat der Redner nämlich sehr wohl die Möglichkeit, die funktoriell perspektivierten Argumente zu spezifizieren, er muss aber nicht, und zwar aufgrund des aktantiellen Statuswechsels eines oder mehrerer Argumente. Wie oben demonstriert, werden ursprünglich obligatorische Aktanten zu fakultativen oder gar zu Zirkumstanten. Im Zuge der Analyse der Reden hat sich gezeigt, dass dieses diskursstrategische Mittel in der Tat häufig Anwendung findet, sodass bestimmte Argumente nicht mehr fokalisiert werden müssen und de facto auch nicht mehr fokalisiert werden. Aufgrund der Tatsache, dass die hier nicht fokalisierten Argumente aber perspektiviert sind, werden sie jedoch im Gegensatz zu jenen, die im Rahmen der Mystifizierung getilgt werden, nicht existentiell in Frage gestellt. Der Redner lässt sich also so manches offen, er kann vage und relativ unverbindlich bleiben. Die Nicht-Realisierung von Zirkumstanten - oder Nullzirkumstantifizierung - kann analog dazu ebenfalls als diskursstrategisches Mittel zur Erreichung des diskursstrategischen Ziels der Vagheit verstanden werden. Wie in 4.4.2 erläutert, bleibt eine Vielzahl der im Geschehenstyp der kognitiven Szene angelegten Umstände nur latent in der konzeptuellen Struktur vorhanden, ohne Eingang in die sprachliche Struktur zu finden. Durch die Nicht-Realisierung der jeweiligen Modifikato- 7 Vgl. dazu die Ausführungen in 4.8.3. <?page no="327"?> 6.3 Diskursstrategische Ziele 321 ren bzw. durch die Nicht-Fokalisierung der jeweiligen Zirkumstanten bleibt der Redner auch in diesem Bereich vage. 6.3.18 Die Verschleierung Zur Verschleierung als diskursstrategischem Ziel im weiteren Sinne sind auch die unter 6.3.9 besprochene Nicht-Identifizierbarkeit der bzw. des Gemeinten, die von 6.3.12 bis 6.3.16 ausgeführten diversen durch Nullaktantifizierung angestrebten diskursstrategischen Ziele, die unter 6.3.17 diskutierte Mystifizierung sowie die unter 6.3.18 behandelte Vagheit zu zählen. Die Verschleierung im engeren Sinne unterscheidet sich aber von diesen insofern, als die Nicht-Realisierung von aufschlussreichen und relevanten Argumenten oder Modifikatoren scheinbar keine Lücken hinterlässt oder durch Tilgung gar zur Norm wird, weil weniger oder nicht aufschlussreiche und weniger oder gar nicht relevante Satzelemente die Nicht- Realisierung Ersterer verdecken oder eben verschleiern. Die Verschleierungsstrategie par excellence findet sich in 4.4.1 unter e) Hervorhebung der Modifikatoren bzw. Zirkumstanten, wo sowohl nicht realisierte Aktanten als auch nicht realisierte, kommunikativ aber sehr wohl relevante Zirkumstanten durch die Spezifizierung wenig relevanter und wenig aufschlussreicher Zirkumstanten verschleiert werden, sodass der Empfänger das informationelle Manko auf Anhieb wahrscheinlich nicht einmal registriert. 6.3.19 Die Täuschung Der Grat zwischen Mystifizierung, Vagheit, Verschleierung und Täuschung, auf dem der Diskursstratege wandelt, ist freilich ein schmaler, doch es gibt ihn. Mystifizierung, Vagheit und Verschleierung als diskursstrategische Ziele haben wir bereits oben voneinander abgegrenzt. Bezüglich der Täuschung als eigenes diskursstrategisches Ziel gilt es Folgendes festzuhalten: Es werden, wie aus 3.5.8 deutlich hervorgeht, mitunter Zirkumstanten in die politische Rede eingeführt, die nur scheinbar ihre Primärfunktion der Umstandsbestimmung erfüllen. Diskursfunktional sind derartige Zirkumstanten, deren Wahrheitswert oftmals nicht oder nur sehr schwer zu überprüfen wäre, darauf angelegt, Behauptungen oder Thesen des Redners argumentativ zu stützen. Die Überprüfung des Wahrheitswertes derartiger Zirkumstanten seitens der Zuhörerschaft ist schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil es sich dabei häufig um als Umstandsbestimmungen verpackte Prämissen für Aussagen des Redners handelt, die quasi als nicht zu hinterfragende Binsenweisheiten scheinbar en passant in die Rede einfließen und nicht selten als locus communis gehandelt werden. Wohl schon deshalb würden sie von niemandem in Frage gestellt. Würden sie jedoch in Frage gestellt, so wären diese Zirkumstanten als Täuschungen entlarvt und die gesamte auf ihnen fußende Argumentation bräche in sich zusammen. <?page no="328"?> 6. Diskursive Strategien in der politischen Rede 322 6.3.20 Die Subjektivierung der Darstellung Ein diskursstrategisches Ziel, das offensichtlich möglichst geheim und unentdeckt bleiben sollte, nichtsdestotrotz aber um jeden Preis gelingen muss, ist die Subjektivierung der Darstellung, zu der natürlich alle bislang besprochenen diskursstrategischen Ziele bzw. Mittel ihren Beitrag leisten. Von besonderer Relevanz hierfür sind allerdings u.a. auch die unter 3.5.1 analysierten Aspekt, Aktualität und Modalität vermittelnden primärrealisierten Zirkumstanten, die unter 3.5.4 diskutierten, des Redners Haltung im weitesten Sinne wiedergebenden attitudinalen Zirkumstanten sowie die unter 3.5.5 besprochenen des Redners subjektive Logik reflektierenden diskursstrukturierenden Zirkumstanten. Der Redner versucht zwar häufig, nach außen hin seine Sicht der Dinge als die objektiv richtige und eben nicht als eine primär subjektiv geprägte erscheinen zu lassen, sein offensichtlich nicht deklariertes, sondern nur implizites diskursstrategisches Ziel ist es jedoch sehr wohl, seine subjektive Sicht der Dinge als die objektiv wahre und allgemeingültige zu verkaufen, wodurch er nämlich seine Politik sowie seine Theorien und Thesen legitimieren kann. 6.3.21 Das Herstellen von Kohärenz und Kohäsion Die politische Rede ist auch ein Text wie jeder andere, und zwar insofern, als auch sie das Kriterium der semantischen Kohärenz erfüllen muss, welche in der oberflächensyntaktischen Kohäsion ihren Niederschlag zu finden pflegt. Das diskursstrategische Ziel des Herstellens von Kohärenz und Kohäsion durch die transphrastische Wiederaufnahme von Aktanten (und Zirkumstanten), demonstriert vor allem in 2.5.9, trifft gewiss auf andere Texte - oder Textsorten - in ähnlichem Ausmaß zu wie auf die hier behandelte politische Rede. Trotzdem ist das Herstellen von Kohärenz und Kohäsion aber eben auch ein auf valenztheoretischer Grundlage zu behandelndes diskursstrategisches Ziel, das durch aktantielle (und zirkumstantielle) Mehrfachrealisierung erreicht - und begründet - werden kann. Einen weiteren entscheidenden Beitrag zu Kohärenz und Kohäsion leisten die unter 3.5.6 diskutierten metadiskursiven Zirkumstanten, die anaphorisch und kataphorisch die Gesamtheit des Textes in Blick nehmen, gegebenenfalls aber auch diaphorisch den Text in einen größeren Kontext integrieren. 6.3.22 Die Spannung im Diskurs Das letzte diskursstrategische Ziel, das auf der Grundlage des diskursstrategischen Mittels der markierten Serialisierung verfolgt wird, ist die Erzeugung von Spannung im Diskurs, um das Interesse und die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft zu sichern. Aus 2.5.7 und 3.5.7 ergibt sich, dass es sich in vielen Fällen um ein Zusammenspiel der Aktanten- und Zirkumstantenrealisierung und vor allem auch -positionierung handelt, wodurch etwa die Fokussierung im weitesten Sinne sowie die häufig gebrauchten Verzögerungseffekte bewirkt werden. <?page no="329"?> 7. Konklusion Rufen wir uns nun abschließend unsere in 1. aufgestellten Ausgangsthesen in Erinnerung, so stellen wir fest, dass diese im Rahmen der durchgeführten breit angelegten Untersuchung bestätigt und anhand zahlreicher konkreter Textstellen aus den analysierten Reden untermauert wurden. Die französisch-italienischportugiesisch-spanische Polyphonie hat uns durch das Prisma der Untersuchung diskursiver Strategien in der politischen Rede auf valenztheoretischer Grundlage folgende zentrale Einsichten in die Sprache der politischen Rede gewährt: Es gibt tatsächlich unterschiedliche Aktantenrealisierungsvarianten, darstellbar auf einer Skala von maximaler Implizitheit bis maximaler Explizitheit, die wir entsprechend in einem fünfstufigen Modell lokalisierten. Es handelt sich dabei jedoch nicht nur um formal unterschiedlich umfangreiche oder gewichtige Realisierungen, sondern diese sind, wie unter 2.5 - aber auch unter 6. - gezeigt wurde, zumindest großteils eindeutig diskursfunktional bedingt. Unter 2.5 haben wir schließlich neun verschiedene zentrale diskursfunktionale Motive für bestimmte markierte Aktantenrealisierungsvarianten herausgearbeitet. De facto lassen sich auch die diversen Zirkumstantenrealisierungsvarianten nach dem Prinzip von maximaler Implizitheit zu maximaler Explizitheit abstufen, wie aus den Analysen und Belegen unter 3. eindeutig hervorgeht. Unter 3.5 ist es uns wiederum gelungen, mindestens neun essentielle diskursfunktionale Beweggründe für des Redners Wahl einer entsprechenden Zirkumstantenrealisierungsvariante zu erheben. Speziell unter 4.4.1 und 4.4.2 haben wir ferner zeigen können, dass es eine ganze Palette von diskursstrategischen Zwecken gibt, zu deren Erfüllung der Redner von der aktantiellen Argumentrealisierung und/ oder zirkumstantiellen Modifikatorrealisierung absieht, wodurch die aktantielle und/ oder zirkumstantielle Nullrealisierung als diskursstrategisches Mittel entlarvt wurde. In einem weiten Bogen theoretischer Auseinandersetzungen mit diversen sprachlichen Einzelphänomenen konnten wir unter 4.8 demonstrieren, dass die angeblich verbinhärente Perspektiviertheit - oder Stelligkeit - durchaus manipulierbar ist und aus diskursstrategischen Gründen in der Tat auch manipuliert wird. Vor dem Hintergrund einer quasi systemgemäßen Abfolge der Argumente vom ersten über das zweite zum dritten, deren Realisierung allerdings, wie dargestellt, auch schon normgemäß geändert sein kann - man denke nur an è venuto il mio amico - , lässt sich grosso modo die markierte Serialisierung von der unmarkierten unterscheiden, wobei es im Wesentlichen um die Anordnung der Aktanten und Zirkumstanten geht. Gerade unter 4.6, aber auch unter 2.5 und 3.5 haben wir klargestellt, dass die Fokussierung infolge manipulierter Aktanten- und Zirkumstantenabfolge ein wei- <?page no="330"?> 7. Konklusion 324 teres äußerst effizientes diskursstrategisches Mittel zur Erreichung diverser diskursstrategischer Ziele darstellt. Die in der Analyse freigelegten, Funktor-Argument-Relationen widerspiegelnden Funktorenstrukturen in den politischen Reden häufig verwendeter Verben haben uns deutlich vor Augen geführt, dass weder das prinzipielle Vorhanden- Sein von Leerstellen im Diskurs - etwa für Agenzien und Patienzien - noch deren individuelle Besetzung sprachgewollt ist. Sowohl Ersteres als auch Letzteres ist zum einen von des Redners Entscheidung für ein bestimmtes Verb und zum anderen in vielen Fällen von dessen Wahl der Diathese abhängig. Handlungshafte, vorgangshafte bzw. zustandshafte Darstellungsweisen stellen, so gesehen, weitere diskursstrategische Mittel dar, die, wie wir in 5.3, aber auch in 4.8.5 gesehen haben, zur Verfolgung bestimmter diskursstrategischer Ziele genutzt werden können und de facto auch genutzt werden. Die Ermittlung der die Dynamik bzw. Statik der jeweiligen Rede bis zu einem gewissen Grad determinierenden Kernkonfigurationen oder Archisemformeln gibt, wie wir in 5.4 veranschaulicht haben, einerseits Aufschluss über die Funktionen semantischer Kasus im Diskurs, wodurch enthüllt wird, wer oder was vom Redner agentiv, patientiv, benefaktiv oder etwa malefaktiv gezeichnet wird, und andererseits gewährt die Ermittlung dieser Kernkonfigurationen oder Archisemformeln auch die Erhebung von in der jeweiligen Rede dominierenden oder zumindest häufig vorkommenden, die Dynamik bzw. Statik des Textes in gewissem Maße prägenden Funktor-Argumentbzw. Funktor-Argument-Modifikator- Konstellationen, deren Gebrauch insofern als diskursstrategisches Mittel betrachtet werden kann, als der Redner zunächst indirekt prinzipiell über die Eröffnung von Leerstellen entscheidet und in der Folge, d.h. im Zuge der Überführung der konzeptuellen Struktur in die sprachliche, auch Herr über deren Besetzung ist. Es gelang uns, durch diese Untersuchung zu zeigen, dass sich eine linguistische Analyse politischer Reden - deren Ausdruck nun einmal sprachlicher Natur ist - nach einer rigoros linguistisch konzipierten Methode nicht nur als aufschlussreicher, sondern geradezu als unabdingbarer Bestandteil einer Gesamtanalyse des politischen Diskurses erweist. Die politische Rede als sprachliches Phänomen von Sender zu Empfänger muss in einem ersten Schritt sprachlich peinlich genau unter die Lupe genommen werden, um dann in einem zweiten Schritt im Rahmen einer umfassenden Analyse tatsächlich das, woraus die Rede ist, nämlich - zumindest vordergründig - irgendjemandes sprachlicher Ausdruck von irgendetwas für irgendjemanden ideologiekritisch, sozio-historisch, sozio-politisch, handlungs- oder auch kommunikationstheoretisch zu beleuchten. Unsere zugegebenermaßen sprachzentrierte Analyse der politischen Rede hat außerdem - möglicherweise - einen nicht unwesentlichen Nebeneffekt gezeitigt. In Anbetracht der erzielten aussagekräftigen und für die Diskursanalyse insgesamt höchst relevanten Ergebnisse unserer stringent und konsequent linguistischen Untersuchung der politischen Rede, die in ihrer Art ein Novum darstellt, muss die politische Rede offensichtlich als eigene Textsorte gewertet werden. <?page no="331"?> 7. Konklusion 325 Textsorten sind als strukturierte textuelle Subsysteme (vgl. Adamzik 2000, 109) zu betrachten. Die Kriterien, nach denen Texte klassifiziert werden, stellen sich allerdings als äußerst heterogen heraus. 1 Linke et al. ( 3 1996, 248 ff.) gehen davon aus, dass es, ganz abgesehen von diversen textinternen und textexternen Kriterien, innerhalb einer Sprachgemeinschaft so etwas wie Intuition gibt, mit der Texte gewissen Textsorten zugeordnet werden. 2 Ähnlich argumentieren Krause (2000, 49), der Textsorten als „im Sprachbewusstsein der Angehörigen einer Kommunikationsgemeinschaft fixiert“ sieht, und Heinemann/ Heinemann (2002, 140), die betonen, dass nicht Textsorten real existieren, sondern dass „real existent [...] vielmehr das Wissen der Sprachteilnehmer über mögliche Zuordnungen von Einzelexemplaren zu bestimmten Klassen“ ist, wobei durchaus auch gewisse „Gestaltungsspielräume“ (Heinemann 2000, 25) gewahrt bleiben. Heinemann/ Viehweger (1991, 147) sprechen schließlich von „Textmusterwissen“, das quasi sprachgemeinschaftsimmanent vorhanden ist, welches sie in einem fünfstufigen Modell illustrieren. In Bezug auf das sprachsystematische Kriterium haben wir eine Reihe von Merkmalen herausarbeiten können, die sicher nicht nur auf die politische Rede zutreffen, die in dieser aber ganz besondere Funktionen übernehmen. Was hingegen die kommunikationsorientierten Ansätze anbelangt, stellt sich heraus, dass die politische Rede als Textsorte in keine der von Brinker ( 4 1997) veranschlagten fünf Textklassen passt. 3 Die politische Rede als Textsorte enthält zwar Elemente aus allen fünf Textklassen, das wesentliche und für die politische Rede charakteristische Element, das wir in der quasi machiavellistischen Überzeugung orten, die keinesfalls mit redlicher Information und Argumentation oder mit mehr oder weniger transparenten Appellen gleichzusetzen ist und deshalb auch nicht in Brinkers Kategorien einzuordnen ist, verlangt die Begründung einer neuen Kategorie, eventuell jener der Überzeugungstexte. Die Valenztheorie hat sich als durchaus brauchbares Instrument für unsere sprachzentrierte und daher konsequent und rigoros linguistisch konzipierte Methode der Diskursanalyse erwiesen. Wir haben allerdings im Zuge der Untersuchung auch festgestellt, dass die Ausweitung des ursprünglich streng (semantisch-) syntaktisch angelegten Valenzkonzepts sowohl auf den pragmatischen als auch auf den kognitiven Bereich nicht nur vorteilhaft, sondern geradezu notwendig ist, wenngleich, wie wir oben ausführten, die Termini kognitive Valenz und vor allem pragmatische Valenz kritikwürdig sein mögen. Das hier auf der Grundlage der Valenztheorie anhand zahlreicher Reden von Franco, Mussolini, Pétain und Salazar elaborierte und getestete Modell kann und 1 Adam (1999, 82; 4 2001, 19) behauptet sogar, dass diese Kriterien zu heterogen seien, weshalb keine Klassifizierung auf der Ebene des Textes sondern nur auf dem niveau séquentiel sinnvoll sei. 2 Die zwei meist verbreiteten Forschungsrichtungen der Textsortenlinguistik sind a) die sprachsystematische und b) die kommunikationsorientierte (vgl. Brinker 4 1997, 131 ff.), die Lux (1981, 30 ff.) als transphrastisch bzw. kommunikationsorientiert bezeichnet. 3 Brinkers ( 4 1997, 133) fünf Textklassen sind folgende: 1. Informationstexte, 2. Appelltexte, 3. Obligationstexte, 4. Kontakttexte, 5. Deklarationstexte. <?page no="332"?> 7. Konklusion 326 soll keine ideologiekritische, sozio-historische, sozio-politische, handlungs- oder kommunikationstheoretische Untersuchung der politischen Rede ersetzen. Es soll vielmehr dazu dienen, die bereits bestehende Vielfalt an sich gegenseitig ergänzenden und befruchtenden Methoden der Analyse politischer Reden um eine Dimension zu bereichern, die allerdi