Verstehen und Übersetzen
Ein Lehr- und Arbeitsbuch
0919
2007
978-3-8233-7350-6
978-3-8233-6350-7
Gunter Narr Verlag
Paul Kußmaul
Bewusst verstanden - besser übersetzt! Das vorliegende Lehr- und Arbeitsbuch mit Aufgaben widmet sich einem Kernthema des Übersetzens: es geht um das Verstehen der Wörter des Ausgangstextes. Auf diesen Aspekt wird in der Übersetzer-Ausbildung großer Wert gelegt, da garantiert eine Fehlübersetzung heraus kommt, wenn ein Übersetzer ein Wort der Ausgangssprache nicht richtig verstanden hat - mit z.T. amüsanten, z.T. aber auch gravierenden Folgen. Erfahrungsgemäß sind Wörter für Studierende das größte Problem- größer noch als Syntax und Stil. Dies zeigt sich u.a. darin, dass die Studierenden beim Übersetzen eines Textes zunächst einmal viele Wörter nachschlagen. Ziel des Studienbuches ist es, den StudentInnen Verstehenstechniken und -strategien auf kognitionslinguistischer Grundlage an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie professionell übersetzen lernen.
<?page no="0"?> narr studienbücher Paul Kußmaul Verstehen und Übersetzen Ein Lehr- und Arbeitsbuch <?page no="1"?> narr studienbücher <?page no="2"?> Paul Kußmaul Verstehen und Übersetzen Ein Lehr- und Arbeitsbuch Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="3"?> Paul Kußmaul, Ph D, Akad. Direktor i. R., 34 Jahre tätig in der Ausbildung von Diplomübersetzerinnen und Diplomübersetzern am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2007 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Druck: Gulde, Tübingen Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6350-7 <?page no="4"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ..............................................................................................................................9 Einleitung ........................................................................................................................11 1 Der Blick auf die Wörter....................................................................................17 1.1 Scheinbare Entsprechungen ...............................................................................17 1.2 Mehrdeutigkeit.....................................................................................................19 1.3 Kollokation............................................................................................................24 1.4 Die Qual der Wahl ...............................................................................................26 1.5 Vorstellungen in unseren Köpfen......................................................................28 1.6 Wenn die Wörter zu fehlen scheinen ................................................................35 1.7 Aufgaben zu Kapitel 1.........................................................................................37 2 Die Umgebung von Wörtern ............................................................................41 2.1 Kulturelle Einbettung ..........................................................................................41 2.2 Situation und Stil..................................................................................................45 2.3 Auf zwei Stühlen zugleich..................................................................................53 2.4 Aufgaben zu Kapitel 2.........................................................................................57 3 Wie genau soll eine Übersetzung sein? ..........................................................61 3.1 Probleme, Gefahren und Risiken .......................................................................61 3.2 Äquivalenz............................................................................................................63 3.3 Der notwendige Differenzierungsgrad.............................................................65 3.4 Absicherung und Vertrauen...............................................................................70 3.5 Aufgaben zu Kapitel 3.........................................................................................72 4 Verstehen, Recherche und Textanalyse ..........................................................75 4.1 Arten der Wissenserweiterung ..........................................................................75 4.2 Erweiterung des mentalen Lexikons .................................................................78 4.3 Erweiterung des Weltwissens ............................................................................82 <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis 6 4.4 Wissenserweiterung durch Textanalyse ...........................................................85 4.5 Aufgaben zu Kapitel 4.........................................................................................87 5 Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen .............................................91 5.1 Methoden und technische Möglichkeiten ........................................................91 5.2 Versuchspersonen und ihre Verhaltensweisen ...............................................95 5.3 Allgemeine Erfolgsstrategien: So übersetzen Profis .......................................99 5.4 Eine Fallstudie ....................................................................................................102 5.4.1 Die Versuchspersonen.......................................................................................102 5.4.2 Der Text ...............................................................................................................103 5.4.3 Die technischen Hilfsmittel ..............................................................................104 5.4.4 Aspekte der Datenanalyse ................................................................................105 5.4.5 Kommentare der Testpersonen zu einzelnen Textstellen ............................106 5.5 Spezielle Erfolgsstrategien: So denken Profis ................................................113 5.6 Aufgaben zu Kapitel 5.......................................................................................116 6 Wie kreativ können Übersetzer sein? ...........................................................121 6.1 Ist Übersetzen überhaupt kreativ? ..................................................................121 6.2 Traditionelle Mystifizierungen der Kreativität..............................................122 6.3 Die Analyse kreativer Prozesse........................................................................125 6.4 Analyse eines Dialogprotokolls .......................................................................133 6.5 Aufgaben zu Kapitel 6.......................................................................................138 7 Visualisieren ......................................................................................................141 7.1 Visualisieren — ein zentraler Begriff ..............................................................141 7.2 Visualisieren im Alltag......................................................................................142 7.3 Visualisieren beim Übersetzen.........................................................................146 7.3.1 Stimulation einer visuellen Gesamtszene durch den Kontext.....................146 7.3.2 Aus dem Gedächtnis abgerufene Szenendetails............................................149 7.3.3 Ein schwieriger Fall: Ein Rahmen und zwei Szenen.....................................153 7.4 Aufgaben zu Kapitel 7.......................................................................................156 8 Übersetzen als professionelles Problemlösen .............................................161 8.1 Routine und Reflexion.......................................................................................161 8.2 Techniken und Strategien .................................................................................163 <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis 7 8.3 Die Ethik des Übersetzens ................................................................................164 8.4 Qualitätskontrolle und Evaluierung ...............................................................168 8.5 Wenn der Ausgangstext nicht gut genug ist ..................................................172 8.6 Professionelles Argumentieren ........................................................................174 8.7 Aufgabe zu Kapitel 8 .........................................................................................177 Lösungsvorschläge zu den Aufgaben ......................................................................179 Lösungsvorschläge zu Kapitel 1 .................................................................................179 Lösungsvorschläge zu Kapitel 2 .................................................................................182 Lösungsvorschläge zu Kapitel 3 .................................................................................186 Lösungsvorschläge zu Kapitel 4 W ................................................................................188 Lösungsvorschläge zu Kapitel 5 .................................................................................192 Lösungsvorschläge zu Kapitel 6 .................................................................................195 Lösungsvorschläge zu Kapitel 7 .................................................................................198 Lösungsvorschlag zu Kapitel 8 ...................................................................................200 Bibliographie ................................................................................................................203 Namenregister ..............................................................................................................213 Sachregister ...................................................................................................................215 <?page no="8"?> Vorwort Vor einigen Jahren wurden Hans Hönig und ich vom Gunter Narr Verlag gefragt, ob wir unser Buch Strategie der Übersetzung für eine Neuauflage überarbeiten wollten. Wir lasen daraufhin unser Buch unter diesem Aspekt durch und kamen zu dem Ergebnis, dass man das Buch so lassen sollte, wie es ist. Das Buch ist eng mit der Zeit seiner Entstehung verbunden, einer Zeit nämlich, in der mehr und mehr die Frage nach der Funktion einer Übersetzung gestellt wurde. Dass das Buch bis heute nachgefragt wird, ist ein Zeichen dafür, dass es immer noch von Interesse ist. Wir beschlossen, ein Buch über ein anderes Thema zu schreiben; es sollte um Verstehen und Semantik gehen. Wir freuten uns darauf, dieses Buch nach der Pensionierung, befreit von den Verpflichtungen des Unterrichtens, gemeinsam schreiben zu können. Zu diesem gemeinsamen Buch ist es nicht gekommen. Hans Hönig ist im Jahr 2004 gestorben. Ich entschloss mich, das Buch allein zu schreiben, aber ich habe mir vorgestellt, dass Hans Hönig mir über die Schulter schaut. Bei der Erörterung zentraler Fragen ist in diesem Buch immer wieder von ihm die Rede. Das Entstehen des Manuskripts wurde von einer Reihe von Personen durch konstruktive Kommentare begleitet. Das gesamte Manuskript hat Susanne Hagemann gelesen. Ihr bin ich für die kritische Lektüre und eine Vielzahl von Anregungen zu großem Dank verpflichtet. Zu danken habe ich ferner Sigrid Kupsch- Losereit, Ulrich Kautz und meiner Frau Gertrud Kußmaul-Ebbert für die wertvollen Kommentare zu einzelnen Kapiteln des Manuskripts. Jürgen Freudl vom Gunter Narr Verlag hat das Buch mit mir geplant und sein Entstehen mit Ermunterung und Geduld begleitet. Auch ihm danke ich von ganzem Herzen. Landau im Sommer 2007 Paul Kußmaul <?page no="10"?> Einleitung „Words, words, words“, antwortet Hamlet auf die Frage des Polonius: „What do you read my lord? “ (Hamlet, Act 2, Scene 2) Das ist eine sehr unkooperative Antwort, und Polonius sagt auch gleich: „What is the matter […] I mean, the matter that you read, my lord.“ Natürlich lesen wir nicht isolierte Wörter, sondern Texte, in denen es um ein bestimmtes Thema geht — da hat Polonius recht, und wenn uns jemand etwas sagt, hören wir ebenfalls nicht einzelne Wörter, sondern Äußerungen, die etwas bedeuten. Wir wollen Hamlet hier aber einmal ganz wörtlich nehmen und den Blick auf die Wörter richten, denn fragen wir nicht manchmal: „Was meinst du eigentlich mit diesem Wort? “ Und wenn wir Texte in einer Fremdsprache lesen, und zumal wenn wir sie übersetzen, fragen wir dann nicht oft genug: „Was bedeutet denn dieses Wort? “ Britta Nord hat in einer empirischen Studie festgestellt, dass Übersetzer in erster Linie die Bedeutung einzelner Wörter nachschlagen (Nord 2002: 216). Wortbedeutungen sind in der Tat das Hauptthema des Recherchierens. Dies entspricht auch meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Dozent. Wortbedeutungen sind die häufigsten Probleme der Studierenden und führen zu den gravierendsten Fehlern. Holen wir also Übersetzer dort ab, wo sie sind, und konzentrieren wir uns auf Wörter und ihre Bedeutungen. Wortbedeutungen, so höre ich immer wieder, schlage ich ganz einfach im Wörterbuch nach. Und meistens ist in solchen Äußerungen mit „Wörterbuch“ das zweisprachige Wörterbuch gemeint. Wenn wir recherchieren, spielen Wörterbücher tatsächlich eine wichtige Rolle. Darauf werde ich in diesem Buch immer wieder, vor allem aber in Kapitel 4, zu sprechen kommen. Und wir werden sehen, dass einsprachige Wörterbücher in vielen Fällen eine ergiebigere Quelle sind als zweisprachige, und wir werden auch sehen, dass es außer Wörterbüchern noch andere Recherchiermöglichkeiten gibt. Der Titel des Buchs lautet jedoch nicht „Die Bedeutung von Wörtern und das Übersetzen“, sondern „Verstehen und Übersetzen“. Dem Begriff „Bedeutung“ haftet etwas Statisches an. Bedeutungen sind, dies ist eine übliche Meinung, in Wörterbüchern sozusagen konserviert. Und auch in unserem Gedächtnis sind sie, das ist die übliche Ausdrucksweise, „gespeichert“. Der Begriff „Verstehen“ dagegen hat eine dynamische Komponente. Beim Verstehen laufen Prozesse in unserem Kopf ab, und bei Prozessen im menschlichen Gehirn kann man nicht mit Sicherheit sagen, wie das Ergebnis sein wird. Man kann etwas richtig verstehen; man kann etwas aber auch missverstehen. Was und wie etwas verstanden wird, ist keineswegs festgelegt. Die Alltagserfahrung zeigt, dass verschiedene Menschen ein und dieselbe Äußerung unterschiedlich verstehen, und Übersetzungen verschiedener Übersetzer zeigen, dass ein und derselbe Text unterschiedlich übersetzt und damit wohl auch unterschiedlich verstanden wurde. Auch Dozen- <?page no="11"?> Einleitung 12 ten, die Studierende in Übersetzerstudiengängen ausbilden, können ein Lied davon singen, wie vielfältig, ja kontrovers, eine Textstelle verstanden und übersetzt werden kann. Die theoretische Basis dieses Buchs ist daher eine Semantik des Verstehens. Sie befasst sich mit den Vorstellungen, die sprachliche Formen in unseren Köpfen hervorrufen. In der Linguistik wird sie als „kognitive Semantik“ bezeichnet. Sie ist eine relativ junge Semantik und ergänzt die schon seit längerem etablierte „strukturelle Semantik“. Wenn ich meine Beschreibungs- und Erklärungsmodelle der kognitiven Semantik entnehme, dann heißt das freilich nicht, dass ich die strukturelle Semantik über Bord werfe. Ich erkläre die wichtigsten Begriffe aus beiden Theorien in Kapitel 1. Wer sich schon mit dem Thema Verstehen befasst hat, wird nun vielleicht fragen: Wie steht es denn mit der Hermeneutik, der Kunst der Auslegung, als theoretischer Grundlage? In der Tat, die Hermeneutik beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Verstehen und spielt auch in der Übersetzungswissenschaft eine nicht unwichtige Rolle (z.B. Paepcke 1986, Stolze 1992). Und gerade der dynamische Charakter des Verstehens wird von den Hermeneutikern unter den Übersetzungswissenschaftlern hervorgehoben. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Richtung, Fritz Paepcke, hat das sehr treffend formuliert: In dieser Sicht hält das Übersetzen den Text in seiner ganzen Breite offen, es stellt ihn vor, und im tentativen Erproben aller Möglichkeiten entsteht die Übersetzung, wenn beim Übersetzen die jeweils vorausgehende Übersetzung durch einen neuen Entwurf abgelöst wird (Paepcke 1986: XVII, zit. nach Stolze 1998: 118) Ich selbst bin kein Hermeneutiker. Die von mir verwendeten Modelle haben aber eine Affinität zur Hermeneutik, denn sie tragen dem von der Hermeneutik in den Mittelpunkt gerückten Vorverständnis von Texten Rechnung. Sie berücksichtigen nämlich das im Gedächtnis des Lesers und Übersetzers gespeicherte Wort- und Weltwissen, das beim Verstehen, vor allem beim ersten und probeweisen Verstehen, von Texten eine große Rolle spielt. Ich ziehe jedoch für meine Zwecke die kognitive Semantik der Hermeneutik vor. Die Modelle der kognitiven Semantik sind leichter objektivierbar als die Methoden der Hermeneutik. Die erfolgreiche Anwendung der Modelle der kognitiven Semantik hängt meines Erachtens weniger von der Person ihres Benutzers ab als die Anwendung der Hermeneutik. Wenn man die Interpretationen genialer Hermeneutiker, z.B. Fritz Paepckes, liest, dann kann man oft nur bewundernd ausrufen: „Mit so viel Wissen und Gespür kann man freilich einen Text auf diese Weise verstehen und übersetzen, aber ich als Durchschnittsübersetzer schaffe das nicht. Ich bin nicht so genial.“ Mein Buch ist jedoch auch für nicht ganz so geniale Interpreten geschrieben. Es geht also in diesem Buch um das Verstehen, und wer sich mit Verstehen befasst, weiß, dass man Wörter nur im Zusammenhang mit den sie umgebenden Wörtern, dem Kontext, verstehen kann. Dies wird sofort bei den ersten Beispielen im 1. Kapitel deutlich, und im 2. Kapitel gehe ich ausführlich auf die „weitere <?page no="12"?> Einleitung 13 Umgebung“, in der Wörter erscheinen, ein. Ich behandle dort den Einfluss der Kultur und der Situation auf die Bedeutung von Wörtern und ihre Übersetzung. Als Übersetzer müssen wir Wörter erst einmal verstehen, bevor wir sie übersetzen können, aber mit dem Verstehen hört die Arbeit des Übersetzens nicht auf. Wir müssen für die verstandenen Wörter Formulierungen in der Zielsprache (= Sprache, in die übersetzt wird) finden. Und die zielsprachlichen Formulierungen müssen für den Leser gut verständlich sein, d.h. sie müssen auf seine Situation und Kultur ausgerichtet sein. In der Übersetzungswissenschaft gibt es eine Richtung, die den zielsprachlichen Leser in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt. Man spricht dort vom Funktionieren oder auch vom Zweck einer Übersetzung für den Leser in seiner Situation und Kultur. Dieser Richtung gehöre auch ich an. Ich frage also immer nach der Funktion eines Textes und davon abhängig nach der Funktion der jeweiligen Textstelle und der jeweiligen Wörter. Anders gesagt: Ich frage, ob die Übersetzung an den Stellen, die wir erörtern, ihren Zweck erfüllt. Durch die Lektüre eines populärwissenschaftlichen Artikels z.B. sollte der Leser in der Lage sein, einen bestimmten wissenschaftlichen Sachverhalt problemlos zu verstehen, bei der Lektüre eines Romans sollte der Leser sich in die Welt der Romanfiguren hineinversetzen können, und bei Umfragen muss der Befragte in der Lage sein, die Fragen mühelos zu beantworten. Die funktionale Richtung in der Übersetzungswissenschaft wird ebenfalls in Kapitel 2 vorgestellt. Der allgemeine Rahmen zur Lösung von Übersetzungsproblemen wird also in den Kapiteln 1 und 2 dargestellt. In den darauf folgenden Kapiteln gehe ich auf speziellere Fragen und Methoden ein. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Übersetzungen häufig länger sind als die Originale. Offenbar sind Übersetzer bemüht, nur ja keine Informationen verloren gehen zu lassen. Sie fügen häufig noch spezifizierende Wörter oder auch Erklärungen hinzu. Die Frage, wie genau wir übersetzen sollen, ist eine wichtige Frage, und ihr ist das Kapitel 3 gewidmet. Dem Grundprinzip des Buchs entsprechend wird diese Frage unter dem Gesichtspunkt der Funktion einer Textstelle beantwortet. Beim Verstehen machen wir, wie oben gesagt, von dem in unserem Gedächtnis gespeicherten Wissen Gebrauch. Oft reicht dieses Wissen aber nicht aus. Dann müssen wir recherchieren. Wie das möglichst ökonomisch unter funktionalem Aspekt geschehen kann, beschreibe ich in Kapitel 4. Ich gehe dabei auf Wörterbücher, Enzyklopädien und das Internet als Recherchiermittel ein. Beim Verstehen, so sagte ich ein paar Abschnitte weiter oben, laufen bestimmte Prozesse in unserem Kopf ab. Übersetzungswissenschaftler sind, wie man sich denken kann, sehr daran interessiert, solche Prozesse, die zu Übersetzungen führen, zu beobachten. Seit etwa zwei Jahrzehnten gibt es die Übersetzungsprozessforschung. In Kapitel 5 berichte ich über die bisherigen Ergebnisse dieser Forschungen und versuche, daraus Nutzanwendungen abzuleiten. Ein heutzutage häufig genanntes Wort mit einer sehr positiven Bedeutung ist das Wort „Kreativität“. Auch Übersetzen wird nicht selten, vor allem wenn es um literarische Übersetzungen geht, als kreative Tätigkeit bezeichnet. Meist denkt man bei Kreativität an glückliche Einfälle, die sich nicht bewusst herbeiführen <?page no="13"?> Einleitung 14 lassen. Die Kreativitätsforschung hat versucht, diese scheinbar unbewussten Vorgänge zu analysieren. Kreatives Denken lässt sich beschreiben, wenn nicht sogar trainieren. In Kapitel 6 zeige ich, dass kreatives Übersetzen etwas mit den von Wörtern hervorgerufenen mentalen Vorstellungen zu tun hat und dass sich kreative Ideen beim Übersetzen bis zu einem gewissen Punkt in die Wege leiten lassen. Mentale Vorstellungen sind oft, wenn auch nicht immer, visuell. Wenn wir z.B. einen Satz hören oder lesen wie „Sie trinkt einen Kaffee“, dann sehen wir vor unserem geistigen Auge eine weibliche Person, die eine Tasse vor sich stehen hat oder in der Hand hält und daraus trinkt. Wie die weibliche Person aussieht, wie groß die Kaffeetasse ist und wie der Kaffee schmeckt ist, ist natürlich individuell und auch kulturell unterschiedlich. Visuelle Vorstellungen können sehr hilfreich sein, um zielsprachliche Formulierungen zu finden, vor allem dann, wenn man nicht wörtlich übersetzen kann oder will. Visualisierungen als Übersetzungsmethode behandle ich in Kapitel 7. Kapitel 8 ist das Schlusskapitel. In ihm werden die wichtigsten Ergebnisse des Buchs zusammengefasst und gleichzeitig jeweils in einen größeren Rahmen gestellt. Um ein für Übersetzer zentrales Thema herauszugreifen: Wenn ich im vorliegenden Buch Übersetzungsbeispiele erörtere, komme ich notwendigerweise immer auch mehr oder weniger explizit auf Qualitätskontrolle und Evaluierung zu sprechen. Im Schlusskapitel stelle ich das, was ich zu diesen eng miteinander verknüpften Themen im Laufe des Buchs zu sagen hatte, in einen Zusammenhang mit dem, was die Übersetzungswissenschaft zu diesen Themen erarbeitet hat. Es versteht sich von selbst, dass solche Einbettungen in den übersetzungswissenschaftlichen Diskurs nur sehr summarisch geschehen können. Es kommt mir in erster Linie darauf an zu zeigen, dass einige der von mir behandelten Themen zu den Kernthemen der Übersetzungswissenschaft gehören. Weitere im Schlusskapitel aufgegriffene Themen sind: Routine und Reflexion, Techniken und Strategien, die Ethik des Übersetzens, die Verbesserung des Ausgangstextes (= der Text, der übersetzt wird) und professionelles Argumentieren. Das vorliegende Buch ist in erster Linie für Studentinnen und Studenten in Übersetzerstudiengängen gedacht. Dies heißt natürlich nicht, dass ich beim Schreiben des Buchs nicht auch an Dozentinnen und Dozenten gedacht habe. Bei der Auswahl meiner Beispiele hatte ich freilich die Studierenden im Blick. Die Beispiele stammen bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht aus fachsprachlichen Texten, denn diese werden vermutlich in den ersten Semestern des Studiums eine geringe Rolle spielen. Sie stammen hauptsächlich aus populärwissenschaftlichen Texten, aus Sachbüchern, aus Texten der literarischen Prosa, vor allem aber aus sozialwissenschaftlichen Umfragen. Die Sprachrichtung ist Englisch-Deutsch. Die in diesem Buch präsentierten Techniken und Strategien lassen sich aber auch auf andere Sprachen anwenden. Man könnte nun fragen: Sind sozialwissenschaftliche Umfragen nicht allzu spezielle Textsorten? Sind das nicht eigentlich Fachtexte? Abgesehen davon, dass ich seit einigen Jahren mit der Übersetzung sozialwissenschaftlicher Umfragen befasst bin, halte ich diese Texte für die Zwecke des vorliegenden Buches für gut <?page no="14"?> Einleitung 15 geeignet. Es geht darin um ganz allgemeine Themen wie Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Arbeit und Freizeit, Staat und Gesellschaft, Kinder und Familie. Über diese Dinge wissen wir alle einigermaßen Bescheid; Fachwissen ist hier nicht gefordert. Ich halte diese Texte auch aus einem didaktischen Grund für gut geeignet. Texte zu übersetzen, die solche Themen zum Inhalt haben, so denken wir zunächst, dürfte nicht allzu schwierig sein. Auf den ersten Blick sind sie in der Tat auch leicht zu übersetzen; auf den zweiten Blick bieten sie allerdings oft (z.B. aus Gründen der kulturellen Anpassung) beträchtliche Schwierigkeiten. Gerade das macht sie aber interessant. Denn es geht mir in meinem Buch ja auch darum, dass wir lernen, Probleme zu erkennen. Für Probleme sensibilisiert zu sein, ist die Voraussetzung für ihre Lösung. Außerdem kann man bei den einzelnen Fragen dieser Texte sehr gut zeigen, wie wichtig eine gut funktionierende Übersetzung ist. Es ist anders als z.B. bei Romanübersetzungen. Eine schlechte Romanübersetzung leistet zwar dem Autor des Romans keine guten Dienste und beeinträchtigt vielleicht den Verkauf des Buchs, aber sie hat keine sofortigen gravierenden Auswirkungen. Romane sind in Bezug auf den Leser monologische Texte. Umfragen dagegen sind in Bezug auf den Leser als Befragten dialogische Texte. Bei Umfragen findet eine Frage-Antwort-Kommunikation statt. Eine übersetzte Frage, die man nicht richtig versteht, hat bei Umfragen unmittelbare Auswirkungen. Wenn die Fragen nicht leicht und schnell verstanden werden, ist eine Antwort der Befragten, in der Art und Weise, wie sie von den Verfassern von Umfragen erwartet wird, nicht gewährleistet. Im hier vorliegenden Buch geht es um das Verstehen von Wortbedeutungen. Natürlich gibt es noch andere Typen von Übersetzungsproblemen. Die Linguistik unterscheidet traditionellerweise vier Ebenen der Sprachbeschreibung: Phonologie, (Morpho-)Syntax, Semantik und Pragmatik. Ich verweise kurz auf Literatur, die mir für den Einstieg in die anderen Problembereiche als geeignet erscheint. Im Handbuch Translation (Snell-Hornby et al. Hrsg. 1998) ist den vier linguistischen Ebenen jeweils ein Artikel gewidmet. Wer sich einen kurzen Überblick über diese Ebenen (außer der Semantik, die ja Thema diese Buches ist) unter übersetzungsrelevantem Aspekt verschaffen will, sei auf dieses Handbuch verwiesen. Zu weiteren Problembereichen, die ich nur kurz streifen konnte, wie z.B. kontrastive Linguistik, Textlinguistik mit den Unterbereichen Texttyp und Textsorte finden sich ebenfalls Artikel im Handbuch Translation. Um auf die linguistischen Beschreibungsebenen zurückzukommen: Die Phonologie dürfte vor allem für Dolmetscher und weniger für Übersetzer interessant sein (vgl. dazu den Artikel von Dieter Huber (1998) über Phonologie im Handbuch Translation). Was syntaktische Fragen betrifft, bietet Karin Königs: Übersetzen Englisch- Deutsch (2000) anhand einer Fülle authentischer Beispiele eine gründliche Darstellung der Unterschiede zwischen dem Deutschen und Englischen im Bereich der infiniten Formen, der Wortstellung und der Tempora und der Modi. Für Übersetzer der Sprachrichtung Französisch-Deutsch erörtert Käthe Henschel- <?page no="15"?> Einleitung 16 mann in Problembewusstes Übersetzen. Französisch-Deutsch (1999) eine Reihe grammatischer und syntaktischer Fragen (S.32-137). Das Buch der Wiener TranslationswissenschaftlerInnen Mira Kadric, Klaus Kaindl und Michèle Kaiser-Cooke Translatorische Methodik (2005) bietet einen als Einführung gut geeigneten Überblick über die wichtigsten Aspekte des Übersetzens auf funktionaler Basis. Besonderes Gewicht wird in diesem Buch auf die Pragmatik im Sinne der Relation zwischen Sprache und ihren spezifischen Verwendungssituationen gelegt. Wer sich also noch weiter über das von mir in Kapitel 2 angeschnittene Thema „Die Umgebung von Wörtern“ informieren will, sei auf diese Einführung verwiesen. Ich habe mein Buch mit Aufgaben versehen, denn es ist als Lehrbuch gedacht. In den Aufgaben und ihren Lösungen werden die Themen der einzelnen Kapitel noch einmal durch praktische Anwendung vertieft. Am Schluss des Buchs erscheinen die Lösungsvorschläge zu den Aufgaben. Ich weiß, dass die Versuchung groß ist, sich sofort die Lösungen anzuschauen. Das ist zwar besser als nichts, ich empfehle aber dringend, dieser Versuchung zu widerstehen und sich zunächst eigene Gedanken zur Lösung der Aufgaben zu machen. Dadurch wird sich der Lernerfolg deutlich erhöhen. <?page no="16"?> 1 Der Blick auf die Wörter 1.1 Scheinbare Entsprechungen Zwischen Verwandten entdeckt man oft Ähnlichkeiten im Aussehen. Man vermutet dann gerne auch Ähnlichkeiten im Wesen. So ist es auch mit verwandten Sprachen. Ähneln sich z.B. Wörter in den europäischen Sprachen, oder sind sie gar gleich, dann denken viele, dass auch die Bedeutungen gleich seien. So zu denken ist naiv und gefährlich, wie die folgenden Beispiele zeigen. In einer Umkleidekabine eines Freibads in St. Johann entdeckte ein Freund von mir diesen Hinweis: Abb. 1 Der Übersetzer dachte offensichtlich, das englische Wort bank entspräche dem deutschen Wort „Bank“. Tatsächlich ist eine der Bedeutungen der deutschen Wortform „Bank“: „Unternehmen, das Geld- und Kreditgeschäfte betreibt und den Zahlungsverkehr vermittelt“ (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache). Und dafür wäre die englische Entsprechung tatsächlich bank. Aber die in unserem Text gemeinte Bedeutung ist natürlich: „Sitzgelegenheit aus Holz, Stein oder ähnlichem Material, die mehreren Personen nebeneinander Platz bietet“ (Duden a.a.O.). Das englische Wort dafür ist bench. Die Übersetzung hat noch weitere Schwächen, die wir hier beiseite lassen. Wir wollen uns nicht mit der sprachlichen Analyse begnügen. Die wichtigste Frage bei jeder Übersetzung ist, ob sie ihren Zweck oder, wie in der Einleitung gesagt, ihre Funktion erfüllt. Mit anderen Worten: Führt die Übersetzung in diesem Fall zu den richtigen Reaktionen und Handlungen beim Leser? Was tut also ein englischer oder amerikanischer Badegast, wenn er das Hinweisschild liest? Er wird vermutlich verstehen, dass ihm gesagt werden soll, wie er die Tür öffnen kann, und vielleicht schafft er es auch nach einigem Probieren. Aber er schafft es Zum Öffnen der Türen Zum Öffnen der Türen Zum Öffnen der Türen Zum Öffnen der Türen BANK ANHEBEN * * * * * * * * You are kindly request to lift the bank for opening the doors <?page no="17"?> Der Blick auf die Wörter 18 nicht rasch und bequem, und darauf wäre es hier angekommen. Es ist durchaus denkbar, dass der Badegast sich ärgert, ja sich vielleicht sogar beschwert. Der Hinweis im Freibad ist sicher nicht das Werk eines professionellen Übersetzers; vielleicht hat hier ja der Bademeister übersetzt. Aber auch in den Texten professioneller Übersetzer findet sich diese Art von Fehlern. In einer sozialwissenschaftlichen Umfrage, dem International Social Survey Programme (ISSP) 2003, wurden die Leute in Zusammenhang mit dem Thema nationale Identität gefragt, wie sie folgende Aussage beurteilen: Das Fernsehen sollte mehr deutsche Filme und Programme zeigen. Im englischen Original hatte die Frage gelautet: [Country’s] television should give preference to [country’s] films and programmes. Auch hier glaubte der Übersetzer offensichtlich, aus Ähnlichkeiten im Aussehen ließe sich auf ähnliche Eigenschaften schließen, d.h. das deutsche und das englische Wort hätten die gleiche Bedeutung. Im Englischen bezieht sich programme jedoch auf Dinge wie Nachrichten, Talkshows oder Krimis und hätte mit „Sendungen“ übersetzt werden müssen. Das deutsche Wort „Programm“ wäre im Englischen channel. Bei Umfragen — dies ist ihre Funktion — kommt es darauf an, dass das Original und die Übersetzung bei den jeweils Befragten die Reaktionen auf die gleiche Weise auslösen. Wenn Begriffe verzerrt, ja wie in unserem Fall verändert werden, ist dies nicht gewährleistet (Harkness et al. Hrsg. 2003: 349). Die Befragten werden die erste Hälfte der Aussage verstehen im Sinne von mehr deutsche Filme und z.B. weniger Hollywoodproduktionen, aber wie verstehen sie „mehr deutsche Programme“? Sie werden sich vielleicht fragen, ob der BBC oder französische Sender wie TV5 auf unseren Kanälen nicht angeboten werden sollten? Dass ihre Antworten ganz anders ausfallen als die Antworten der Befragten auf das Original, ist klar. Erfragt werden sollte natürlich, ob z.B. weniger englische oder amerikanische Fernsehkrimis gezeigt werden sollten. Wir wollen das von den Übersetzern hier nicht erkannte linguistische Problem etwas genauer betrachten. Es handelt sich um das in der Fremdsprachendidaktik seit langem bekannte Phänomen der sog. falschen Freunde (engl. false friends, franz. faux amis), z.B. engl. become dt. bekommen, engl. sensible dt. sensibel, engl. irritate dt. irritieren usw. Auf solche falschen Freunde hereinzufallen, ist typisch für eine naive und unreflektierte Einstellung zu Sprachen und zum Übersetzen. Die Ursache für solche Fehlübersetzungen ist die unreflektierte Übernahme von sprachlichen Elementen der Ausgangssprache (der Sprache, aus der übersetzt wird) in die Zielsprache (die Sprache, in die übersetzt wird). Dieses Phänomen erscheint nicht nur auf der Wortebene, sondern auch in der Idiomatik, der Grammatik und auf der Textebene. Es wird mit dem Begriff „Interferenz“ bezeichnet. (Wer sich darüber weiter informieren will, sei auf den Artikel von Kupsch-Losereit (1998) im Handbuch Translation verwiesen.) <?page no="18"?> Mehrdeutigkeit 19 1.2 Mehrdeutigkeit Um von einer naiven zu einer professionellen Haltung gegenüber Wörtern zu gelangen, kann uns die Linguistik, speziell die Teildisziplin Semantik, helfen, die sich mit der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke beschäftigt. Sie liefert uns dazu das nötige theoretische Wissen. In der Übersetzungswissenschaft, die ja noch immer relativ jung ist, wurde vor allem die strukturelle Semantik schon sehr früh als Beschreibungsbasis für Übersetzungsprobleme und -prozesse herangezogen, z.B. von Eugene E. Nida (1964, 1975) in den U.S.A. und in Deutschland von Albrecht Neubert und Otto Kade (1973) in der sog. „Leipziger Schule“, ferner z.B. von Werner Koller (2001), Wolfram Wilss (1977) und Hans Hönig & Paul Kußmaul (1982). Machen wir uns also zunächst einmal mit einigen Begriffen der strukturellen Semantik vertraut. Anschließend wird auch noch von Modellen der kognitiven Semantik die Rede sein, die vor allem für das Verstehen und die Lösungsfindung sehr viel zu bieten haben. Das deutsche Wort „Bank“, um auf unser Beispiel zurückzukommen, hat in Wörterbüchern in der Regel zwei getrennte Einträge. Für Einträge in Lexika hat sich der Terminus Lexem als hilfreich erwiesen, denn damit lässt sich besser zwischen Wortform und Bedeutung unterscheiden. Unter dem einen Lexem erscheinen hier die mit der „Sitzgelegenheit“ und unter dem anderen die mit „Geldinstitut“ zusammenhängenden Bedeutungen. Diese Bedeutungen haben für den Sprachbenutzer nichts miteinander zu tun. In der Linguistik bezeichnet man solche Übereinstimmungen als Homonymie. Betrachtet man dieses Beispiel freilich etymologisch, so erfährt man in entsprechenden Wörterbüchern, dass die beiden Bedeutungen doch miteinander in einem Zusammenhang stehen. Das mittelhochdeutsche Wort „wehselbanc“ hatte die Bedeutung „langer Tisch des Geldwechslers“ (Duden, Etymologie). Anders ist es bei den Wörtern „Programm“ und programme. Sie haben in Wörterbüchern jeweils nur einen Eintrag, der allerdings stark untergliedert ist, denn die Wörter haben viele Bedeutungen, die miteinander in einem mehr oder weniger deutlich erkennbaren inhaltlichen Zusammenhang stehen. Die Linguistik hat für diese Bedeutungsvielfalt den Begriff Polysemie geprägt, und für die verschiedenen Bedeutungen gibt es den Terminus Semem (Plural Sememe). Polysemie ist eine Grundeigenschaft aller Sprachen. Sie werden dadurch ökonomischer. Gäbe es für jede Bedeutung ein einzelnes Wort, würde die Anzahl der Wörter ins Unermessliche steigen. Polysemie ist eines der häufigsten Probleme beim Übersetzen. Wir wollen uns dieses Phänomen anhand von Wörterbucheinträgen einmal veranschaulichen. Die Sememe sind dort nummeriert. Die Sememe des englischen Lexems (Worts) programme sind (nach dem Longman Dictionary of Contemporary English, in diesem Buch zitiert mit der üblichen Abkürzung DCE): <?page no="19"?> Der Blick auf die Wörter 20 programme 1 PLAN a series of actions which are designed to achieve something important the US space program programme to do something a United Nations programme to control the spread of AIDS programme of a programme of economic reforms 2 TELEVISION/ RADIO something that you watch on television or listen to on the radio What’s your favourite television programme ; news and current affairs programmes programme about/ on There’s a programme about killer whales next. see/ watch a programme 3 EDUCATION American English a course of study Stanford University’s MBA program; a research program 4 IMPROVEMENTS actions that have been planned to keep something in good condition or improve something a new fitness programme 5 PLAY/ CONCERT a small book or piece of paper that gives information about a play, concert etc and who the performers are a theatre programme 6 LIST OF EVENTS a series of planned activities or events, or a list showing what order they will come in programme for What’s the programme for tomorrow? programme of a programme of exhibitions throughout the year 7 MACHINE a series of actions done in a particular order by a machine such as a washing machine The light goes off when it finishes the programme. Die Sememe des deutschen Lexems (Worts) „Programm“ (nach Wahrig: Wörterbuch der deutschen Sprache, auf CD-ROM) sind: Programm 1 Folge der Darbietungen bei Veranstaltungen, Sendungen im Rundfunk; Rundfunkprogramm, Sendeprogramm, Filmprogramm, Theaterprogramm; das Programm der Woche; auf dem Programm stehen tänzerische Darbietungen 1.1 Blatt od. Heft mit dem Programm(1); ein Programm kaufen, mitnehmen 2 Angebot von Waren = Sortiment(1); Möbelprogramm 3 Plan, Pläne, Vorhaben; hast du für heute Abend ein Programm? ; jmds. Programm stören; das passt mir nicht in mein Programm 3.1 das steht nicht in unserem Programm (auch fig.) das beabsichtigen wir nicht 3.2 öffentlich verkündete Gesamtheit der Tätigkeiten u. Ziele einer politischen Partei; Parteiprogramm, Godesberger Programm; ein Programm aufstellen, verkünden <?page no="20"?> Mehrdeutigkeit 21 4 (EDV; Kyb.) eindeutige Anweisung an eine Maschine, bestimmte Aufgaben in einer bestimmten Reihenfolge zu erfüllen; ein benutzerfreundliches Programm entwickeln; Programm zur Textverarbeitung Die Sememe der beiden Lexeme stimmen teilweise überein, z.B. 1 a series of actions … mit 3 Plan, Pläne, Vorhaben … oder 7 a series of actions done in a particular order by a machine … mit 4 (EDV; Kyb.) eindeutige Anweisung an eine Maschine … . In diesen Fällen passt sowohl im Englischen als auch im Deutschen das Lexem programme bzw. Programm. Die Sememe stimmen aber nicht überein in Bezug auf den Verwendungsbereich Radio und Fernsehen, und deshalb können dafür auch nicht die sich ähnelnden Lexeme benützt werden: Im Englischen bezieht sich das Semem (Nr.2), wie aus den Beispielen hervorgeht, auf einzelne Sendungen, im Deutschen dagegen bezieht sich das Semem (Nr.1) auf eine Folge von Sendungen. Das ist ein relativ feiner Unterschied, und deshalb hatte wahrscheinlich auch der professionelle Übersetzer hier Schwierigkeiten. Solche Fälle sind falsche Freunde von der besonders gefährlichen Sorte. Es sind Lexeme, die teils die gleichen, teils aber auch unterschiedliche Bedeutungen haben. Einen Satz wie What is your programme for tonight? kann man gefahrlos übersetzen mit „Was ist dein Programm für heute Abend? “ What’s your favourite television programme dagegen wird übersetzt mit „Was ist deine Lieblingssendung im Fernsehen? “ Wir haben englische und deutsche Wortbedeutungen miteinander verglichen. Linguisten sprechen hier von kontrastiver Semantik. Der kontrastive Aspekt macht uns die Unterschiede (und natürlich auch die Gemeinsamkeiten) zwischen Sprachen bewusst, übrigens nicht nur in Bezug auf die Wörter, sondern auch auf die Grammatik. Dies ist der erste Schritt in Richtung auf reflektiertes Übersetzen. Ich habe ganz bewusst die Einträge in einsprachigen Wörterbüchern zitiert, denn in ihnen wird die semantische Struktur von Lexemen besonders deutlich. Aber auch in guten zweisprachigen Wörterbüchern gibt es Hinweise auf die verschiedenen Bedeutungen von Lexemen. In Langenscheidt/ Collins Großwörterbuch Englisch z.B. sieht der Eintrag für die relevanten Sememe unseres Beispiels wie folgt aus: programme Programm nt; (Rad, TV also) Sendung f Mit der Angabe in Klammern kann man beim Übersetzen, wenn man genau hinschaut, schon etwas anfangen. Wir erhalten freilich keine Definition und keine Beispiele, und gerade durch diese prägen sich Bedeutungen im Gedächtnis ein. Und oft sind sie, wie wir noch sehen werden, ein Stimulus für Übersetzungen. Polysemie führte in unserem Beispiel beim Übersetzer sicher nicht zu einem Verstehensproblem. Der Kontext Fernsehen machte klar, dass es z.B. nicht um Computerprogramme gehen konnte. Die Auflösung der Polysemie durch den Kontext wird in der Linguistik als Disambiguierung oder Monosemierung bezeichnet. Wir benützen in diesem Buch den Begriff Monosemierung, denn er passt zu Polysemie. In unserem Beispiel ist die Monosemierung, wie gesagt, problemlos, wir müssen aber generell auch damit rechnen, dass Polysemie Verstehensprobleme verursachen kann und dass dann die Monosemierung nicht so einfach vonstatten geht. Zum Beispiel ist in einem isolierten Satz wie Let’s have a <?page no="21"?> Der Blick auf die Wörter 22 look at the programme! völlig unklar, ob eine Fernsehsendung, ein Theaterprogrammheft oder ein Computerprogramm gemeint ist. Aufgrund der Situation und des Kontexts lässt sich meist das Gemeinte erschließen, aber wie wir noch sehen werden, muss man den Kontext erst einmal wahrnehmen, und manchmal kann man ihn verschieden interpretieren. Es gibt Fälle, in denen die Polysemie die Pointe des Texts ist, und wenn wir versuchen, solche Texte zu übersetzen, darf nicht monosemiert werden. Gemeint sind Wortspiele (engl. pun), z.B. Frage: Wann ist es gefährlich, in den Garten zu gehen? Antwort: Wenn der Salat schießt und die Bäume ausschlagen. Wortspiele zu übersetzen ist schwierig, denn die entsprechenden Lexeme haben in den jeweiligen beiden Sprachen selten die gleichen Polysemien. Es gibt aber im Englischen ein Wortspiel, das inhaltlich vergleichbar ist, wenn es auch syntaktisch etwas bemüht klingt: Question: When is it dangerous to go out? Answer: When the pillar boxes and the wire fences. Solche Frage-Antwort-Witze findet man auch im Internet. Ob die Missverständnisse echt oder absichtlich sind, wie im nächsten Beispiel, bleibt freilich offen: Question: What gear were you in at the moment of the impact? Answer: Gucci sweats and Reeboks. Wir wollen nicht versuchen, dieses Wortspiel (gear a) Gang b) „Kluft“) zu übersetzen. Es würde uns wohl auch kaum gelingen. Wir kehren zu unserem Beispiel zurück und betrachten, um die Sache noch etwas komplizierter zu machen und um zu sehen, in welcher Beziehung Wörter zwischen zwei Sprachen grundsätzlich stehen, die deutsche Entsprechung „Sendung“ für engl. programme. Sie ist wiederum eines unter mehreren Sememen eines Lexems. Laut Wahrig ist die Bedeutungsstruktur: Sendung 1 das Senden, Schicken; die Sendung der Bücher ist für morgen vorbereitet 2 das Gesendete; den Empfang einer Sendung bestätigen; wir haben eure Sendung erhalten 3 Fernsehsendung, Funkübertragung; in der heutigen Sendung sahen, hörten wir ...; der Schulfunk bringt eine Sendung über... 4 hoher (göttlicher) Auftrag, geschichtlich wichtige, schicksalhafte Aufgabe, Berufung; eine diplomatische, politische Sendung erfüllen; er betrachtet es als seine Sendung, diesen Menschen zu helfen Für unser Beispiel relevant ist Semem 3. Auch die englische Entsprechung channel für die Fehlübersetzung „Programm“ ist wiederum eines unter mehreren Sememen eines Lexems. Dieses Lexem hat z.B. laut DCE unter anderem die Bedeutungen (ich führe nicht alle auf): <?page no="22"?> Mehrdeutigkeit 23 channel 1. a television station and all the programmes that it broadcasts 2. the area of water between France and England synonym the English Channel 3. the deepest part of a river, harbour, or sea, especially where it is deep enough to allow ships to sail in 4. a passage that water or other liquids flow along an irrigation channel Um das Bild vom Anfang wieder aufzugreifen: Zu den Verwandten haben sich nun fremde Personen hinzugesellt, die völlig anders aussehen, aber ein paar gleiche Eigenschaften haben. Die relativ komplexen Relationen zwischen den deutschen und englischen Lexemen und Sememen unseres Beispiels lassen sich graphisch veranschaulichen (die Nummern stehen für die Sememe): Abb. 2 Die Relationen zwischen den zitierten Sememen sind durch Pfeile gekennzeichnet. Das für unsere Übersetzung relevante Semem 2 von programme (something that you watch on television or listen to on the radio) entspricht dem Semem 3 von „Sendung“ („Fernsehsendung, Funkübertragung“). Das als Übersetzung falsche Semem 1 von „Programm“ („Folge der Darbietungen bei Veranstaltungen, Sendungen im Rundfunk“) entspricht dem Semem 1 von channel (a television station and all the programmes that it broadcasts). Zur Vollständigkeit seien noch zwei weitere Entsprechungen erwähnt, welche für die Übersetzung unseres Beispiels aber keine Rolle spielen: Semem 1 von programme (a series of actions which are designed to achieve something important) entspricht dem Semem 3 von „Programm“ („Plan, Pläne, Vorhaben“), und Semem 7 von programme (a series of actions done in a partiprogramme Programm Sendung channel 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 3 4 4 4 4 5 6 7 <?page no="23"?> Der Blick auf die Wörter 24 cular order by a machine such as a washing machine) entspricht Semem 4 von „Programm“ („eindeutige Anweisung an eine Maschine, bestimmte Aufgaben in einer bestimmten Reihenfolge zu erfüllen“). Ich habe die Wörter und ihre Bedeutungen, die in bestimmten Kontexten als Übersetzung in Frage kommen, einander gegenüber gestellt, um die naive Vorstellung auszuräumen, beim Übersetzen könne man von Wortgleichungen ausgehen. Es gibt sie zwar, aber eher vereinzelt. Banana z.B. entspricht „Banane“ und apple entspricht „Apfel“, aber schon in idiomatischen Wendungen oder bei Metaphern stimmt diese Gleichung nicht mehr: „in den sauren Apfel beißen“ hat im Englischen die Entsprechung to swallow the bitter pill. „Birne“ entspricht pear, aber wenn es um eine Glühbirne geht, ist die Entsprechung (light) bulb. Wir sollten uns als Übersetzer immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir keine Wörter übersetzen, sondern Bedeutungen. 1.3 Kollokation Ich möchte an dieser Stelle ein Phänomen erwähnen, das mit idiomatischen Wendungen in einem engen Zusammenhang steht und beim Übersetzen erfahrungsgemäß immer wieder Schwierigkeiten bereitet. Hierbei handelt es sich um das, was Linguisten als Kollokation bezeichnen. Dabei geht es nicht um die Relation zwischen Wörtern und ihren Bedeutungen wie in unserem Beispiel programme, sondern um die Kombination von Wörtern miteinander, aber nicht unter grammatischen, sondern unter semantischen Gesichtspunkten. Mit anderen Worten, es handelt sich um häufig auftretende, erwartbare Wortverbindungen und Wortgruppen. Wir sprechen normalerweise z.B. von „blonden Haaren“ (im Englischen fair hair) und nicht etwa von „gelben Haaren“ und wir sagen „Der Hund bellt“, aber nicht „Der Hund schreit“, und wir sagen zu jemand, der zu laut spricht: „Schrei’ nicht so! “, obgleich man natürlich im metaphorisch-übertragenen Sinne z.B. sagen kann „Erich hat mich mal wieder angebellt“, wobei Erich kein Hund ist. Diese festen Kombinationen gilt es auch beim Übersetzen zu beachten, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, vom Leser als sprachlich nicht kompetent beurteilt zu werden; und der Eindruck sprachlicher Inkompetenz wirkt sich natürlich negativ auf die intendierte Funktion einer Übersetzung aus. Auch für Kollokationen trifft zu, dass es keine automatischen Wortgleichungen gibt. Zwar können wir z.B. engl. strong in vielen Kontexten mit „stark“ übersetzen, z.B. He picked her up with his strong arms mit „Er hob sie mit seinen starken Armen hoch“, aber nicht immer ist dies möglich. Beim Übersetzen von Umfragen gibt es häufig eine Kästchengruppe, mit der die Befragten das Maß ihrer Zustimmung zu einer bestimmten Äußerung angeben sollen (und dabei wird natürlich ein anderes Semem von strong verwirklicht), z.B. Strongly agree Agree Neither agree nor disagree <?page no="24"?> Kollokation 25 Disagree Strongly disagree Die deutsche Entsprechung für die Kombination strongly agree bzw. strongly disagree ist wohl eher nicht „Stimme stark zu“ bzw. „stimme stark nicht zu“. Würden die Antworten so formuliert, hätten die Befragten vielleicht Schwierigkeiten, ein Kästchen anzukreuzen, weil die Formulierungen ungewöhnlich klingen und vielleicht auch semantisch unklar sind und damit den Kommunikationsfluss stören. In den bereits erwähnten ISSP-Fragebögen hat man sich darauf geeinigt zu sagen: „Stimme voll und ganz zu“ bzw. „Stimme überhaupt nicht zu“. Das hört oder sagt man normalerweise. Das sind Kollokationen von „zustimmen“, und das wird ohne weiteres verstanden. Wenn wir als Übersetzer nicht sicher sind, wie die übliche Kollokation lautet, dann können wir Wörterbücher mit Beispielen zu Rate ziehen. Mit etwas Glück finden wir dann die zur Frage stehende Kollokation in einem der Beispiele. Bei zustimmen finden wir z.B. in Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache „in diesem Punkt stimme ich Ihnen völlig zu“. In Umfragen hat sich allerdings, wie gesagt, eine etwas andere Variante etabliert. Eine weitere Recherchiermöglichkeit soll hier auch noch erwähnt werden. Wir können die bei der Suchmaschine „Google“ (www.google.de oder www.google.com) erscheinenden Internetseiten als Textkorpus benützen, um Kollokationen, aber auch andere Wörter und Formulierungen (s. Kap. 4), auf ihre Üblichkeit zu überprüfen. Natürlich muss man bedenken, dass die von Google aufgeführten Texte auch von inkompetenten Autoren verfasst sein können; es empfiehlt sich ein kritischer Blick auf die jeweiligen Texte. Andererseits fallen bei der schieren Menge der Textstellen einzelne mangelhafte Formulierungen nicht ins Gewicht. Für „stimme völlig zu“ erscheinen bei Google z.B. 771 Seiten, für „stimme voll und ganz zu“ erscheinen 18 700 Seiten, und ein genauerer Blick auf letztere Seiten zeigt, dass es sich überwiegend um Fragebögen handelt. Ein gewisses Problem bei der Google-Recherche ist die Syntax der eingegebenen Wendung. Ich habe die Wörter zwischen Anführungszeichen in ihrer für Fragebögen typischen syntaktischen und grammatischen Form eingegeben. Nehmen wir aber einmal an, wir wollten die Kollokation in anderen Kontexten als in Fragebögen überprüfen, dann wären Formen wie „ich stimme dir völlig zu“, „ich stimmte ihm völlig zu“, „wir stimmen … zu“ usw. bei unserer soeben durchgeführten Suche ausgeschlossen. In solchen Fällen müssten wir dann die jeweiligen anderen Kombinationen eingeben, wobei dann desto weniger Seiten erscheinen, je spezieller die Kombination in einem Textkorpus ist. Für „ich stimme dir völlig zu“ erscheinen z.B. 405 Seiten, aber für „ich stimmte ihm völlig zu“ erscheint nur 1 Seite. Eine einzige Seite ist natürlich statistisch irrelevant. Wenn wir in die Fremdsprache übersetzen, sind wir bei Kollokationen meist noch unsicherer. Auch da helfen natürlich Beispiele in Wörterbüchern und auch wieder die Recherche mit Google. Allerdings müssen wir bei Google schon eine Idee haben, wie die Kollokation lauten könnte, und in der Fremdsprache sind wir manchmal ideenlos. Auch Wörterbücher bieten nicht immer einen Ausgangs- <?page no="25"?> Der Blick auf die Wörter 26 punkt. Die Kombination agree + Adverb finden wir z.B. im DCE nicht. Strongly agree kennen wir aus dem obigen Beispiel. Für diese Kollokation erscheinen bei Google 1 150 000 Seiten, und sie stammen offenbar fast alle aus Umfragen. Dies ist allerdings nicht die übliche Kollokation in Kontexten, die keine Umfragen sind. Was sagen wir in einem Gespräch, wenn wir jemandem völlig zustimmen wollen? Um das mit Google zu recherchieren, brauchen wir, wie gesagt, eine Intuition. Wenn wir bei Google I fully agree eingeben, erhalten wir 1 220 000 Seiten, von denen die meisten einen allgemeinsprachlichen Kontext haben. Das wäre also dann wohl die übliche Kollokation. Übrigens sind auch Kollokationen, wie oben schon angedeutet, eine Hilfe, um Monosemierungen vorzunehmen; sie sind sozusagen der engste Kontext, in dem dies möglich ist. In dem Satz He picked her up with his strong arms hat strong etwas zu tun mit Muskelkraft. In I strongly agree hat strongly etwas zu tun mit Gefühlen und Meinungen. Natürlich ist hier auch der Bedeutungsunterschied zwischen strong als Adjektiv und als Adverb zu berücksichtigen. 1.4 Die Qual der Wahl Kommen wir wieder auf die Relation zwischen Wörtern und ihren Bedeutungen zurück. Wenn der Übersetzer sich in unseren beiden Beispielen „Bank“ und programme über die Bedeutungsrelationen zwischen den englischen und deutschen Wörtern Klarheit geschaffen hat, dürfte es keine Probleme mehr geben. Er erkennt dann, welche Sememe sich entsprechen, und es steht ihm dann für das ausgangssprachliche (AS) ein bestimmtes zielsprachliches (ZS) Wort zur Verfügung. Oft ist es aber so, dass er die Wahl zwischen mehreren Wörtern hat, d.h. für ein AS-Semem gibt es mehrere ZS-Lexeme. In der Übersetzungswissenschaft spricht man in solchen Fällen von Divergenz oder Diversifikation (vgl. Koller 2001: 230f.). Betrachten wir dazu einige Beispiele. Das englische Lexem brush z.B. hat, wie die meisten Lexeme, laut dem DCE mehrere Sememe: 1. object for cleaning and painting, 2. small bushes or trees that cover an area of land, 3. a movement in which you brush something oder a quick light touch. Dem Semem object for cleaning and painting entsprechen im Deutschen „Pinsel“ oder „Bürste“. Abb. 3 Abb. 3 Je nach Kontext wird man sich hier ohne große Probleme entscheiden können. Etwas schwieriger ist es beim folgenden Beispiel, das wieder aus einer Umfrage stammt, und zwar aus dem European Social Survey des Jahres 2004 (ESS 2004). Am Pinsel brush Bürste <?page no="26"?> Die Qual der Wahl 27 Schluss der Befragung werden dem Interviewer selbst ein paar Fragen zum Verlauf der Befragung gestellt, u.a. Did you feel that the respondent was reluctant to answer any questions? Die Frage wurde zunächst übersetzt mit Hat der/ die Befragte Ihrem Eindruck nach bestimmte Fragen nur mit Widerwillen beantwortet? Widerwille drückt eine starke Abneigung aus. Der Interviewer würde hier vielleicht gerne spontan mit „nein“ antworten. Er soll aber Wörter in einer Antwortskala ankreuzen, und zwar: „nie / fast nie / ab und zu / oft / sehr oft / weiß nicht“. Er wird vermutlich zögern, dies zu tun. Er könnte so reagieren: „Mit Widerwillen hat er/ sie die Fragen nie beantwortet, aber ungern eigentlich schon ab und zu.“ Was der Interviewer aber tun soll, ist, ein einziges Wort in der Skala ankreuzen. Das dürfte ihm schwer fallen. Es ist also auch in diesem Fall fraglich, ob die Übersetzung ihren Zweck erfüllt. Reluctant ist nicht wie die bisherigen Beispiele ein polysemes Lexem. Im DCE erscheint nur eine Definition: slow and unwilling: She gave a reluctant smile. Man könnte versuchen, die deutschen Entsprechungen, wie sie z.B. von Langenscheidt/ Collins Großwörterbuch Englisch zur Verfügung gestellt werden, graduell nach abnehmender Intensität des Gefühls zu ordnen. Das könnte dann so aussehen: widerwillig, unwillig, widerstrebend, ungern. Man kann auch dies wieder als Divergenz darstellen: Abb. 4 Welche deutsche Entsprechung passt in den Kontext? Die vorausgehende Frage lautete: Did the respondent ask for clarification on any questions? Und die nachfolgenden lauteten: Did you feel that the respondent tried to answer the questions to the best of his or her ability? Overall, did you feel that the respondent understood the questions? Was anyone else present, who interfered with the interview? reluctant widerwillig unwillig widerstrebend ungern <?page no="27"?> Der Blick auf die Wörter 28 Es geht hier also vermutlich darum herauszufinden, ob die Kommunikation zwischen Interviewer und Befragtem reibungslos ablief. Widerwille wäre in diesem Kontext ein allzu außergewöhnliches Verhalten. Ich sagte oben: Wir übersetzen keine Wörter, sondern Bedeutungen. Ich muss den Satz nun ergänzen: Wir übersetzen keine Wörter, sondern Texte. Dies ist inzwischen eine Binsenweisheit der Übersetzungswissenschaft. Denn nur wenn wir den Text anschauen, werden wir uns über die Bedeutungen von Wörtern klar. Doch die Sache ist nicht so ganz einfach. Dass „widerwillig“ hier keine gute Übersetzung ist, dürfte inzwischen klar geworden sein, aber können wir eine der anderen deutschen Entsprechungen benützen, und welche? In den Entsprechungen kommen mehrere miteinander konkurrierende Interpretationen zum Ausdruck, auch wenn sie sich nur in Nuancen unterscheiden. Darin zeigt sich ein Grundproblem des Übersetzens. Umberto Eco, der Schriftsteller, Semiotiker und Übersetzungsspezialist, formuliert dieses Problem sehr umfassend und treffend: […]um einen Text zu verstehen — also erst recht, um ihn zu übersetzen —, muss man eine Hypothese über eine mögliche Welt aufstellen, die er repräsentiert. Das heißt, eine Übersetzung muss sich, wenn geeignete Spuren fehlen, auf Mutmaßungen stützen, und erst nachdem der Übersetzer eine Mutmaßung aufgestellt hat, die ihm plausibel erscheint, kann er sich daran machen, den Text von einer Sprache in eine andere zu bringen. (Eco 2006: 52) Wir haben für unseren Text die Mutmaßung aufgestellt, dass die Frage dazu dient, die Reibungslosigkeit der Umfragekommunikation zu überprüfen. Um die Mutmaßung noch leichter nachvollziehbar zu machen und die Übersetzung zu begründen, kann uns die Kognitionslinguistik helfen. Ich bitte den Leser um etwas Geduld und stelle die Lösung noch für einen Augenblick zurück. Ich schiebe einen Exkurs über die Kognitionslinguistik ein. 1.5 Vorstellungen in unseren Köpfen Ich habe oben bereits die kognitive Semantik erwähnt. Sie kann uns eine Hilfe bei der Problembeschreibung, bei den Mutmaßungen und bei der Lösungsfindung sein. Betrachten wir sie etwas genauer, um dann mit dem nötigen theoretischen Wissen auf unser Beispiel zurückkommen. Die kognitive Semantik unterscheidet sich von der strukturellen Semantik. Für die strukturelle Semantik ist der Beschreibungsgegenstand die Sprache als System. Sie beschränkt sich auf das, was als geschriebenes Wort schwarz auf weiß vor uns liegt oder was als Lautfolge in unser Ohr dringt. Was anschließend passiert, interessiert sie nicht. Die kognitive Semantik als Teilgebiet der Psycholinguistik macht nun gerade dies zu ihrem Thema. Sie beschäftigt sich mit dem Vorgang des Verstehens. Für das Übersetzen ist er außerordentlich wichtig, und er soll daher hier gleich zu Anfang etwas ausführlicher besprochen werden (vgl. dazu Kußmaul 2000a: 60-70). <?page no="28"?> Vorstellungen in unseren Köpfen 29 Verstehen ist ein Zusammenspiel zwischen dem, was als geschriebener Text (oder als gesprochenes Wort) auf uns zukommt, und dem, was wir über das Thema bereits wissen, oder um es kurz und bündig mit Hans Hönig zu sagen: „Wir verstehen etwas, indem wir es in bereits vorhandene Wissensbestände integrieren.“ (Hönig 1995: 66). Der Psycholinguist Hans Hörmann drückt dies mit anschaulicher terminologischer Metaphorik so aus: Der Vorgang des Verstehens ist [...] keine Einbahnstraße [...]; wer ihn durchsichtig machen will, muss wissen, daß bottom-up-Prozesse — also das, was als Input von draußen hereinkommt — mit top-down-Prozessen, also dem, was aus dem Wissen, dem Können, den Erwartungen des Hörers kommt, in Interaktion tritt. (Hörmann 1981: 124) Es erscheint mir wichtig, den Begriff der Interaktion hervorzuheben, denn das Bottom-up/ Top-down-Modell wird fälschlicherweise manchmal als ein statisches Modell verstanden, so als gäbe es im Verstehensprozess eine jeweils unabhängige Existenz des „Bottom-Materials” und der „Top-Vorstellungen“. Vielleicht rührt dieses Missverständnis daher, dass man sich noch in den Verstehensbahnen der nicht-psychologischen Linguistik bewegt. Dort haben Wörter bereits unabhängig vom Sprachbenutzer eine Bedeutung. Auch Wörterbücher suggerieren den Benutzern, es gebe eine „feste“ Bedeutung. Die in Wörterbüchern archivierten Bedeutungen sind jedoch potenzielle Bedeutungen; sie werden erst im Gebrauch der Sprache lebendig. Das englische Wort programme hat, wie wir sahen, sieben verschiedene potenzielle Bedeutungen, aber erst im Kontext werden sie aktiviert. Dies hatte der Übersetzer unseres Beispiels vermutlich nicht berücksichtigt. Um unter den für reluctant in Langenscheidt/ Collins Großwörterbuch Englisch angegebenen Entsprechungen „unwillig“, „widerwillig“, „widerstrebend“, „ungern“ eine auswählen zu können, brauchen wir den Kontext, und wie das in diesem Fall funktioniert, werden wir gleich sehen. Wörterbücher, das sei an dieser Stelle erwähnt, sind eines der wichtigsten Hilfsmittel beim Übersetzen, und wir können sie mit Erfolg nutzen, wenn wir uns der Potenzialität der dort archivierten Bedeutungen bewusst sind. Wie wir als Übersetzer von Wörterbüchern, vor allem von einsprachigen, Gebrauch machen können, um unsere Verstehensprozesse zu unterstützen und uns zu Übersetzungen inspirieren zu lassen, wird in diesem Buch immer wieder thematisiert werden. Das Bottom-up- und Top-down-Modell ist ein dynamisches Modell. Das Bottom-up-Material, z.B. graphische oder akustische Wortformen, ist zunächst einmal „leer”. Wortformen werden „gefüllt“, indem durch sie — sozusagen als Stimulus — in unserem Gedächtnis gespeichertes lexikalisches Wissen und Weltwissen abgerufen wird. Bei Bedarf ergänzen wir als Übersetzer dieses Wissen durch Informationen aus Wörterbüchern und durch andere Recherchemittel (s. Kap. 4). Auch bei Definitionen in Wörterbüchern müssen wir uns etwas vorstellen, und erklärende Beispiele dienen in guten Wörterbüchern dazu, diese Vorstellungen (auch durch Abbildungen) zu erleichtern. Das in unserem Gedächtnis gespei- <?page no="29"?> Der Blick auf die Wörter 30 cherte und durch Recherche ergänzte Wissen ist zunächst einmal ein passives Wissen; erst durch die „hereinkommenden“ sprachlichen Formen wird es aktiviert, wird die Tür zu diesem Wissen sozusagen geöffnet. Verstehen kommt also erst zustande und Bedeutung entsteht erst durch die Interaktion dessen, was hereinkommt, mit dem, was in uns drin ist. Noch zugespitzter ausgedrückt: Bedeutung ist nichts anderes als diese Interaktion. Bedeutung ist nicht statisch, sondern beweglich und momentan. Für die Beschreibung des in unseren Köpfen gespeicherten Wissens gibt es nun weitere spezifischere und für Übersetzer sehr nützliche Modelle, zunächst einmal die Prototypensemantik. Dieser Theorie liegt die empirisch getestete Hypothese zugrunde, dass sprachliches kategoriales Denken in entscheidendem Maße von unseren Erfahrungen bestimmt wird. Sie bewirken, dass Kategorien einen Kern und unscharfe Ränder (fuzzy edges) haben. Die Prototypensemantik ist eng mit dem Namen Eleanor Rosch (1973,1977) verbunden. Roschs Beispiele sind inzwischen „klassisch“ geworden: Befragt man englische Sprecher zur Kategorie „Vogel“ (und bei deutschen Sprechern wäre das wohl ähnlich), so stimmen sie darin überein, dass z.B. Rotkehlchen oder Sperlinge für diese Kategorie typischer sind als Pinguine, Strauße oder auch Hühner. Ein Pinguin ist kein Prototyp eines Vogels, denn wir sehen ihn seltener — im Zoo vielleicht, aber nicht in unserem Garten. Er ist eher am Rand dieser Kategorie angesiedelt. Was als Prototyp gilt, ist erfahrungs- und damit auch kulturbedingt. Erfahrungen haben etwas mit Häufigkeit zu tun. Je häufiger wir einen Vogel sehen, desto eher ist er für uns prototypisch. Es ist durchaus denkbar, dass Strauße bei den Steppenvölkern Afrikas zum täglichen Erfahrungsbereich und damit zum Kern der Kategorie Vogel gehören. Eleanor Rosch (1977, zit. nach Clark/ Clark 1977: 464f.) demonstrierte ihre Theorie mit Sätzen, welche die Kategorienbezeichnung „Vogel“ (bird) enthalten, z.B.: I heard a bird twittering outside my window. Three birds sat on the branch of a tree. A bird flew down and began eating. Rosch ersetzte in ihren Experimenten die Kategorienbezeichnung durch ein Exemplar der Kategorie (z.B. Rotkehlchen, Adler, Huhn) und bat dann Testpersonen anzugeben, wie sinnvoll die Sätze waren. Wenn „Vogel“ durch „Rotkehlchen“ ersetzt wurde, ergab sich ein sinnvoller Satz, aber wenn „Vogel“ z.B. durch „Huhn“ ersetzt wurde, beurteilten die Testpersonen die Sätze als seltsam, denn Hühner zwitschern nicht, sitzen normalerweise nicht auf Bäumen und fliegen auch nicht von Bäumen herunter, um zu fressen. Je typischer ein Vogel ist, so Roschs Fazit, desto leichter kann er die Kategorienbezeichnung ersetzen, d.h. desto ähnlicher ist er dem Prototyp der Kategorie. Die Häufigkeit von Erfahrung allein genügt also nicht, um prototypische Vorstellungen entstehen zu lassen. Auch ein Geflügelzüchter wird ein Huhn vermutlich nicht als prototypischen Vogel bezeichnen. Es müssen noch bestimmte Eigenschaften des Vogels hinzukommen, z.B. dass er einigermaßen gut fliegen kann. <?page no="30"?> Vorstellungen in unseren Köpfen 31 Ein prototypischer Vogel? Abb. 5 Eine Alternative zur strukturalistischen (und generativen) Semantik zu finden, lag in den 1970er Jahren in der Luft. Der Philosoph Hilary Putnam hat 1975 — meines Wissens unabhängig von Eleanor Rosch — eine sehr ähnliche Theorie mit anderen Begriffen entwickelt. Er spricht nicht vom Prototyp, sondern vom Stereotyp, und nicht von Kernvorstellungen, sondern von obligatorischen Vorstellungen. Er demonstriert dies am Beispiel „Tiger“. Das sprachliche Tiger- Stereotyp ist obligatorischerweise gelb und hat Streifen, obwohl es in der Wirklichkeit auch weiße Tiger (Albinos) gibt (vgl. Putnam 2004: 67-72). Die Prototypen- und Stereotypentheorie ist eine folk theory; sie geht von volkstümlichen Klassifikationen aus (Lakoff 1987: 398ff.). Es wäre zu prüfen, ob sie auch für die Fachsprache und das Fachübersetzen geeignet ist, denn Experten bemühen sich - z.B. durch Terminologien -, in ihre Kategorien auch Randvorstellungen mit einzubeziehen (vgl. Putnam 2004: 78). Ein Biologe wird, wenn er als Biologe kommuniziert, Pinguine und Strauße selbstverständlich zu den Vögeln rechnen. Als Fachmann sieht man die Dinge unter fachlichem Aspekt, und Kategorien sehen dann an den Rändern anders aus. „Vogel“ ist ein gemeinsprachliches Wort und zugleich ein Klassifikationsbegriff der Biologie, und dieser drängt Pinguine und Strauße nicht an den Rand. Der lateinische Terminus Aves hilft Pinguinen und Straußen möglicherweise dabei, mehr im Zentrum zu bleiben. Doch auch Fachleuten schadet es nicht, von Kernvorstellungen auszugehen, wenn sie Klassifikationsbegriffe übersetzen, denn der zielsprachliche Klassifikationsbegriff schließt auf jeden Fall den Kern ein. Wie Kernvorstellungen zu semantisch angemessenen Übersetzungen führen, wird in den nächsten Kapiteln immer wieder ein Thema sein. Im Übrigen sind auch Fachleute die meiste Zeit über ganz normale Menschen und haben dann bei Kategorien die gleichen Vorstellungen wie andere Leute. Fachsprache hat also auch etwas mit der Situation zu tun, in der wir uns befinden. (Darüber etwas mehr in Kap. 2.2.) <?page no="31"?> Der Blick auf die Wörter 32 Eine Weiterentwicklung der Prototypensemantik ist die Scenes-and-frames- Semantik. Der Ausgangspunkt ist auch in diesem Modell eine prototypische, erfahrungsbedingte (und damit kulturbedingte) Bedeutung von Wörtern, aber diese Bedeutung ist nichts Statisches, wie es die Metapher vom Kern und den Rändern nahe legt, sondern sie wird durch die Kommunikationssituation und den Kontext beeinflusst, ja oft sogar durch diese geschaffen. Charles Fillmore (1977) bezeichnet sie mit der Metapher Szene ( scene ). Diese prototypischen Szenen sind Vorstellungen in unseren Köpfen, und in der sprachlichen Kommunikation sind sie jeweils begrenzt durch einen Rahmen ( frame ), d.h. eine sprachliche Form. Die Rahmen werden in der aktuellen Kommunikation sozusagen durch die Szenen gefüllt. Dies entspricht dem oben genannten psycholinguistischen Modell der Bottom-up- und Top-down-Prozesse. Das von außen auf uns zu kommende sprachliche Material löst Vorstellungen in unserem Gehirn aus, die bis zu einem gewissen Grade bereits vorhanden sind. Der Begriff „Szene“ wird von Fillmore sehr weit gefasst. Er verwendet das Wort etwas anders, als wir es in seiner gemeinsprachlichen Bedeutung kennen. (Dies ist ein Beispiel für die soeben erwähnte fachsprachliche Bedeutung.) Fillmore bezieht sich mit diesem Begriff nicht nur auf Aktionen wie z.B. eine Liebesszene in einer Fernsehsendung, sondern auch auf institutionelle Strukturen, auf Meinungen, Erfahrungen oder Vorstellungen (Fillmore 1977: 63). Hervorzuheben ist, dass Wörter (= Rahmen) nicht als allein stehende Einheiten gesehen werden, sondern als Teil einer Szene. So ruft z.B. das Wort „schreiben“ nach Fillmore prototypische Vorstellungen hervor wie Stift/ Kugelschreiber, ein Blatt Papier und Wörter (Fillmore 1977: 63ff.); heute gehören dazu sicher auch ein Bildschirm und ein Tastenfeld. Im Grunde suggerieren die oben zitierten Beispielsätze Roschs eigentlich auch Szenen. Man könnte sagen: Die Szene „Vogel“ realisiert sich für uns durch prototypische Vögel wie Rotkehlchen, Spatzen und Amseln, die wir uns in prototypischen Aktionen vorstellen, wie zwitschern, auf Bäumen sitzen, fliegen oder Körner aufpicken. Die Scenes-and-frames-Semantik ist in der Prototypensemantik bereits angelegt, denn deren Grundgedanke ist, dass wir uns bei Kategorien genauso wie bei Szenen etwas vorstellen. Man könnte nun sagen: „Szenen“ und „Rahmen“ sind doch nur neue Wörter für Altbekanntes. Wie wir in Abschnitt 1.2 bereits sahen, unterscheidet die strukturelle Semantik zwischen Wortform und Bedeutung, zwischen Lexem und Semem. Die Antwort darauf lautet: Durch Fillmores Metaphern werden die mentalen Vorstellungen erfasst (in der Kognitionswissenschaft spricht man von „mentalen Repräsentationen“, z.B. Rickheit/ Strohner 1993: 15); diese hat die strukturelle Semantik bewusst ausgeschlossen. Sie ermittelt z.B. die Polysemie von Wörtern auf logische Weise anhand von sprachlichem Material (vgl. dazu z.B. Leisi 1985; Kap. 9). Wir gehen auf die strukturellen Methoden hier nicht näher ein; wir begnügen uns mit den Ergebnissen, wie sie z.B. in Wörterbüchern festgehalten sind. Um die für uns als Übersetzer so wichtigen mentalen Repräsentationen in den Blick zu bekommen, sind Fillmores Metaphern meiner Meinung nach sehr gut <?page no="32"?> Vorstellungen in unseren Köpfen 33 geeignet. „Szene“ suggeriert etwas Visuelles und oft auch Akustisches oder mit den anderen Sinnen Wahrnehmbares, und viele unserer Vorstellungen lassen sich, auch wenn sie mit einem abstrakten Begriff bezeichnet werden, als mentale Bilder darstellen. Beim Übersetzen sind diese Bilder der Ausgangspunkt für eine zielsprachliche Formulierung (dazu mehr in den Kapiteln 5, 6 und 7). Und „Rahmen“ suggeriert, dass diese Vorstellungen nicht beliebig sind, sondern eben durch die sprachlichen Formen, durch die sie evoziert werden, begrenzt sind, so wie nicht jedes Bild in jeden Rahmen passt. Das Szenen-und-Rahmen-Modell ist als Erklärungshypothese für die Verstehens- und Reverbalisierungsvorgänge beim Übersetzen gut geeignet und von der Übersetzungswissenschaft inzwischen auch weitgehend rezipiert (Neubert 1988: passim, Snell-Hornby 1988: passim, Vermeer/ Witte 1990: passim, Hönig 1995: 91-96, Kußmaul 1995: passim, 2000: passim, Kupsch-Losereit 1997: 257f., Kautz 2000: 66-75, Lewandowska-Tomaszczyk 2004: 304ff., Snell-Hornby 2006: 110-114). Die hier beschriebenen Modelle der Kognitionslinguistik sind ein Versuch, die Verstehensprozesse beim normalen Leser oder Hörer zu erklären. Ist aber der Übersetzer ein normaler Leser? Er ist ein Leser sub specie translationis (vgl. Hönig 1986: 232-234). Sein Verstehen eines Textes kann nie so unverbindlich bleiben, wie dies bei einem normalen Leser möglich ist. Ein normaler Leser kann sich sagen: „Das ist mir nicht ganz klar, aber na ja.“ Ein Übersetzer muss Farbe bekennen und sein Verständnis schwarz auf weiß in der Zielsprache festhalten. Sich Verstehensprozesse bewusst zu machen, kann ihm dabei eine Hilfe sein. Und noch etwas kommt hinzu: Er hat einen bestimmten Auftrag, und damit hat die Übersetzung für ihn eine bestimmte Funktion, und diese beeinflusst sein Verstehen, und zwar bis in alle Einzelheiten. (Mehr dazu in Kap. 3.3. und Kap.4.) Bei Umfragen wird der Auftrag z.B. lauten: „Übersetzen Sie so, dass die Fragen auch im Zieltext die gleiche Funktion wie im Ausgangstext haben, und passen Sie die Fragen, wenn nötig, der Zielkultur an! “ Beim Lesen des Ausgangstexts wird also ein Übersetzer die mit dem Auftrag verbundenen Überlegungen immer schon im Hinterkopf haben, und sie werden seinen Verstehensprozess steuern. (Die kulturelle Anpassung ist Thema von Kap. 2.1.) Kommen wir nun auf unser Beispiel der Übersetzung von reluctant zurück. Ich hoffe, der Leser hat es nicht inzwischen vergessen. Mit den Begriffen der Scenesand-frames-Semantik könnte man sagen: Durch den Kontext wird hier mittels Top-down-Prozessen eine Szene abgerufen, in der es um eine ganz normale Umfragekommunikation geht. In einer solchen Szene gehört Widerwille seitens des Befragten nicht zu den Kernvorstellungen, sondern zu den unscharfen Rändern der Szene. Um den Zusammenhang mit der „Plausibilität“ in Umberto Ecos Zitat (1.4) herzustellen: Kernvorstellungen sind plausible Vorstellungen. Eine Frage, auf die man mit Widerwillen antwortet, müsste schon ziemlich peinlich oder provozierend sein. Solche Fragen werden aber in sozialwissenschaftlichen Umfragen nicht gestellt. Sie sind wohl nicht einmal am Rand unserer Vorstellungen von Umfragen angesiedelt. Mit anderen Worten: Solche Funktionen haben Fragen in Umfragen nicht. <?page no="33"?> Der Blick auf die Wörter 34 Auch das Beispiel aus dem DCE weist ja darauf hin, dass an Widerwillen nicht gedacht werden soll. She gave a reluctant smile könnte man schlecht mit „Sie lächelte widerwillig“ übersetzen, denn Lächeln und der Ausdruck von Widerwillen schließen sich in der Regel gegenseitig aus. Wie es freilich übersetzt werden könnte, hängt von der „Szene“ ab, in die es eingebaut ist. Wenn z.B. ein Mann nach einem Streit mit seiner Frau wieder nett zu sein versucht, wäre eine Übersetzung mit „Sie lächelte widerstrebend“ oder „Sie lächelte zögernd“ denkbar. Um durch die Übersetzung keine Verwirrung zu stiften, sollten wir im Kernbereich der Szene einer normalen Umfragekommunikation bleiben, und die Übersetzung könnte dann lauten: Hat der/ die Befragte Ihrem Eindruck nach bestimmte Fragen nur ungern beantwortet? Auch „zögernd“ wäre hier, denke ich, möglich. Kontrastiv und strukturell gesehen handelt es sich in diesem Beispiel, wie gesagt, um das Phänomen der Divergenz. Es gibt auch den umgekehrten Fall, die Konvergenz oder Viele-zu-eins-Entsprechung; dies sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt (vgl. Koller 2001: 231f.). Sie verursacht im Allgemeinen keine Probleme, weil man keine Wahl hat und somit keine Entscheidungen treffen muss. Für die englischen Wörter flesh und meat z.B. gibt es nur das eine deutsche Wort „Fleisch“. Abb. 6 Bei der Übersetzung ins Englische ergibt sich eine Divergenz: Abb. 7 Man muss darauf achten, ob das Fleisch noch am Körper eines Tieres ist (flesh) oder bereits in der Bratpfanne (meat). Oder ein anderes Beispiel: engl. oven ist ein Backofen und stove ist ein Ofen für Heizzwecke. Meist benützen wir aber für beide Dinge im Deutschen das einfache Wort „Ofen“. Konvergenzen und Divergenzen gibt es natürlich auch in der Richtung Deutsch Englisch. Die Wörter „wissen“ und „kennen“ haben im Englischen nur die Entsprechung know. Für „Knochen“ und „Gräte“ gibt es im Englischen nur flesh Fleisch meat flesh Fleisch meat <?page no="34"?> Wenn die Wörter zu fehlen scheinen 35 bone. Auch diese Beispiele lassen sich in umgekehrter Richtung betrachten. Dann ergeben sich wieder Divergenzen, und konkrete Vorstellungen (Szenen) sind dann wieder eine Übersetzungshilfe. Ein Satz wie She was cutting the meat off the bone erweckt eher nicht die Vorstellung vom Entgräten eines Fischs, sondern vom Fleischtranchieren, und die Übersetzung von bone ist dann nicht „Gräte“, sondern „Knochen“. 1.6 Wenn die Wörter zu fehlen scheinen Es wird immer wieder gesagt, es gebe Wörter, die unübersetzbar seien. Ein oft genanntes Beispiel ist „gemütlich“. Gemütlichkeit, so heißt es, sei etwas so typisch Deutsches, dass es dafür im Englischen, Französischen oder Italienischen kein Wort gebe. Natürlich kann man das Wort „gemütlich“ übersetzen, es wird ja nicht ohne Kontext gebraucht. „Ein gemütliches kleines Zimmer“ lässt sich bei entsprechender Größe und Möblierung mit a cosy little room übersetzen, und „Er ist ein gemütlicher Mensch“ bei entsprechendem Wesen und Verhalten mit He is an easy-going person. Es wird auch hier wieder deutlich, dass es auf unsere Vorstellungen (Szenen) von den Dingen und Personen ankommt. Zwar gibt es im Englischen kein Wort, das die gleiche umfassende Bedeutung wie „gemütlich“ hat, aber innerhalb der jeweiligen Szenen gibt es durchaus Entsprechungen. Gute zweisprachige Wörterbücher deuten zumindest an, was wir hier als Szene bezeichnen. Langenscheidt/ Collins Großwörterbuch Englisch z.B. differenziert: a (=bequem, behaglich) comfortable (=freundlich) friendly (=zwanglos) informal (=klein und intim) cosy b Mensch good-natured, pleasant (=leutselig) approachable, friendly (=gelassen) easy-going, relaxed c (=gemächlich) unhurried, leisurely Bei dem englischen Wort local wird zwar niemand sagen, man könne es nicht übersetzen, aber es ist oft schwierig, eine Entsprechung zu finden. Es ist ein falscher Freund der gefährlichen Sorte. Es kann manchmal mit „lokal“ übersetzt werden, z.B. local news mit „Lokalnachrichten“ oder local newspaper mit „Lokalzeitung“, aber nicht immer ist das möglich. Manchmal fehlt uns das passende Wort. Im bereits erwähnten ISSP, hier aus dem Jahr 2001, lautete eine Frage: Suppose you wanted the local government to bring about some improvement in your local community. How likely is it that you would be able to do something about it? Local taucht hier gleich zweimal auf. Als Übersetzer tendiert man meist dazu, zunächst einmal Entsprechungen auf Wortebene zu suchen. Dass „Lokalverwal- <?page no="35"?> Der Blick auf die Wörter 36 tung“, aber auch „Ortsverwaltung“ für local government nicht der passende Terminus ist, erkennen wir vermutlich rasch, und wir kommen dann vielleicht auf „Gemeindeverwaltung“. Aber wie sagen wir für local community: „örtliche Gemeinde“ oder „Ortsgemeinde“? Die für den Fragebogen in Erwägung gezogene Übersetzung lautete: Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie möchten, dass Ihre Stadt oder Gemeinde eine Verbesserung oder Modernisierung in Ihrem Stadtteil / Ihrer Gemeinde veranlasst. Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie das erreichen können? Statt „Gemeindeverwaltung“ wurde hier das weniger amtlich klingende „Stadt oder Gemeinde“ benützt. Dies ist in Bezug auf die Befragten eine passende Übersetzung, denn sie sind ja nicht in der Stadtverwaltung tätig. (Die Anpassung an die Situation der Leser oder Hörer wird im nächsten Kapitel ausführlich behandelt.) Wie steht es aber mit „Ihrem Stadtteil / Ihrer Gemeinde“ für local community? Es ist zweifellos besser als „örtliche Gemeinde“ oder „Ortsgemeinde“, denn es bezeichnet einen kleineren Bereich, was hier ja wohl gemeint ist. Allerdings ist den Befragten wahrscheinlich der Unterschied zwischen „Stadt oder Gemeinde“ und „Ihrer Gemeinde“ nicht sofort klar. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass „Stadtteil“ und vor allem „Gemeinde“ eigentlich amtliche Begriffe sind. Sie werden benützt, wenn die „Stadt“ über die Teilgebiete einer Stadt redet. Hier wird die Situation aber aus der Sicht der Befragten, also der Einwohner, gesehen. Ein zusätzliches Problem ergibt sich, wenn die Befragten in einem Dorf wohnen. Dann können sie „Stadtteil“ vermutlich nur mit Schwierigkeiten auf ihre Situation beziehen. So wie die Frage in der Übersetzung formuliert ist, ist die leichte und schnelle Kommunikation mit den Befragten und damit eine soziologisch brauchbare Antwort nicht sichergestellt. Wir können auch hier wieder den Begriff „Szene“ zur Lösung des Problems heranziehen. Wir stellen uns vor, worum es hier gehen könnte. Typische Dinge (Kernvorstellungen) der Szene „Modernisierung“ sind z.B. bessere Straßen, Fußwege oder Straßenbeleuchtung. Und wenn wir über solche Dinge reden, sagen wir „in unserer Gegend“ oder „in der Gegend, in der wir wohnen“. Die Übersetzung könnte dann lauten: … Sie möchten, dass Ihre Stadt oder Gemeinde eine Verbesserung oder Modernisierung in der Gegend, in der Sie wohnen, veranlasst. … Wir haben hier statt mit einem einzelnen Wort durch eine Paraphrase übersetzt. Wir sollten uns als Übersetzer dieser Möglichkeit immer bewusst sein. „Fehlende Wörter“ sind ein Scheinproblem. Wir können die entsprechenden Inhalte immer ausdrücken. Der Weg dazu, und das ist mir wichtig, sind szenische Vorstellungen. Ich sagte oben, dass Definitionen in einsprachigen Wörterbüchern Übersetzungen stimulieren könnten. Im DCE wird community definiert als people who live in the same area, town etc. Es ist durchaus denkbar, dass diese Definition, in der ja area und live erscheinen, zu unserer Übersetzung führen könnte. Zweisprachige Wörterbücher haben übrigens nicht das gleiche Potenzial zur Stimulation. Sie <?page no="36"?> Aufgaben zu Kapitel 1 37 enthalten fertige Lösungen, die oft problematisch, wenn nicht sogar schlichtweg unbrauchbar sind. Das bereits erwähnte Langenscheidt/ Collins Großwörterbuch Englisch bietet z.B. für local community „Kommune“ an. Dies ist ein Terminus der Verwaltungssprache, der nicht in unseren gemeinsprachlichen Kontext passt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Befragten durch dieses Wort verwirrt würden, denn es hat eine zweite Bedeutung. Die Befragten könnten an die antibürgerlichen Wohngemeinschaften der 68er-Generation und an „Kommunarden“ denken, und manche vielleicht an die Pariser Kommune von 1871. 1.7 Aufgaben zu Kapitel 1 Aufgabe 1 a) Die Entsprechung für national anthem ist „Nationalhymne“; das ist kein falscher Freund. Aber wie sind die unterstrichenen Wörter in den folgenden Sätzen zu übersetzen? Am besten übersetzen Sie die ganzen Sätze. 1. The following graph shows how the National Debt has grown year by year since 1940 2. You pay National Insurance contributions to build up your entitlement to certain social security benefits, including the State Pension. 3. This page links first to online versions of national newspapers and then to local papers. Sie können zur Übersetzung, vor allem, wenn Deutsch nicht Ihre Muttersprache ist, zweisprachige Wörterbücher heranziehen. Das ist dann auch ein Test, was zweisprachige Wörterbücher für das Übersetzen zu bieten haben und was nicht. Weitere Möglichkeiten der Recherche sind einsprachige Wörterbücher (z.B. Duden und Wahrig) und die Suche mit Google, wobei Sie allerdings schon eine Vermutung haben müssten, wie die Begriffe heißen. (Zur Recherche mehr in Kap. 4.) Bedenken Sie: je üblicher die Entsprechungen, desto leichter werden die Sätze verstanden und desto besser erfüllt die Übersetzung ihre Funktion. b) In der ersten Übersetzungsversion der Umfrage International Social Survey Programme (ISSP) 2003 zum Thema nationale Identität gab es offensichtlich Probleme mit falschen Freunden. Eine zu beurteilende Aussage, zu der die Befragten Stellung nehmen sollten, lautete dort: Die zunehmende Verbreitung ausländischer Filme, Musik und Bücher schadet unserer nationalen und regionalen Kultur. (Ausgangstext: Increased exposure to foreign films, music, and books is damaging our national and local cultures.) Beurteilen Sie die Übersetzung und beschreiben Sie ihre Wirkung mit den Begriffen „Szene“ und „Rahmen“ und schlagen Sie eine bessere Übersetzung vor. <?page no="37"?> Der Blick auf die Wörter 38 Aufgabe 2 Dass das Finden der passenden Kollokationen Schwierigkeiten bereiten kann, habe ich im Übersetzungsunterricht immer wieder festgestellt. Es ist wichtig, dass wir uns für Kollokationen sensibilisieren. a) Ein häufiges Problem sind phrasal verbs, denn ihre Bestandteile lassen sich häufig nicht direkt ins Deutsche übertragen. Übersetzen Sie die folgenden Sätze ins Deutsche und achten Sie auf die unterstrichenen Textstellen: 1. In this case there are special features to be taken into account. 2. Let me give an example. 3. Will you be able to keep this promise? 4. With the assistance of my friends I shall be able to overcome the problem. 5. James was keen to put some of the things he had learned into practice. b) Da uns Kollokationen in der Fremdsprache meist mehr Probleme machen als in der Muttersprache, folgen nun noch ein paar englische Beispiele: Füllen Sie die Lücken aus! Wenn Sie nicht sicher sind, können Sie im DCE unter den jeweiligen Bezugswörtern nachschlagen. He did not feel like cooking, so they decided to eat ……………………… In Cornwall there are many steep hills, so you have to …………………… gear all the time. The mistake really had not been his fault, and he had a perfectly ……………………………… conscience. Paul is very sad. He …………………………… his chemistry exam. Pete …………………… a talk on the image of the Irish in Britain. (Beispiele aus David Heath et al. 1997: 21) Aufgabe 3 Das folgende Beispiel stammt wiederum aus der ersten Übersetzungsversion des ISSP 2003. Die Befragten sollten zu folgender Aussage Stellung nehmen: Politische Parteien bieten den Wählern keine echten politischen Wahlmöglichkeiten. (Ausgangstext: Political parties do not give voters real policy choices.) Die Übersetzung enthält ein missverständliches Wort. Welches? Beschreiben Sie die Wirkung der Übersetzung in einem Fragebogen! Ersetzen Sie das Wort durch ein besseres! Beschreiben Sie, in welchen Relationen dieses Wort und seine Verbesserung zu den entsprechenden englischen Wörtern stehen. <?page no="38"?> Aufgaben zu Kapitel 1 39 Aufgabe 4 In einer Umfrage zum Thema Social Relations and Support Systems lautete eine Frage: How many adult brothers and/ or sisters we mean brothers or sisters who are age 18 and older do you have? Sie wurde übersetzt durch: Wie viele erwachsene Geschwister haben Sie das heißt, Brüder oder Schwestern, die 18 Jahre oder älter sind? Beurteilen Sie die Übersetzung und machen Sie Verbesserungsvorschläge! Aufgabe 5 Die Frage im European Social Survey (ESS) 2004 Have you ever been divorced wurde vom Übersetzer zunächst übersetzt mit Sind sie jemals geschieden worden? Beurteilen Sie die Übersetzung und ihre Wirkung! Versuchen Sie, die dadurch beim Befragten erweckten Vorstellungen mit dem Begriff „Szene“ zu beschreiben. Machen Sie einen eigenen Übersetzungsvorschlag. <?page no="40"?> 2 Die Umgebung von Wörtern 2.1 Kulturelle Einbettung Wörter existieren nicht im luftleeren Raum; dort wären sie auch bald tot. Um zu leben, ja eigentlich um lebendig zu werden, brauchen sie wie die Luft zum Atmen eine Umgebung, den Kontext. Vom Kontext war bisher schon immer wieder die Rede; dabei ging es um den verbalen Kontext, also um den Text, der dem zur Diskussion stehenden Wort vorausging oder folgte. Durch diesen Kontext wurde jeweils die Bedeutung eines Worts lebendig. In diesem Kapitel sollen nun die Kultur und die Situation in den Blick kommen, in denen ein Text erscheint. Man spricht in der Linguistik in diesem Zusammenhang vom non-verbalen Kontext, denn man meint damit Bereiche, die unabhängig von der Sprache bestehen. Kulturen und Situationen existieren ja auch, wenn nicht gesprochen oder geschrieben wird; für uns relevant sind sie aber natürlich im Hinblick auf sprachliche Kommunikation. Was uns, vor allem in Bezug auf das Übersetzen, interessiert, sind die Manifestationen von Kultur und Situation in der Sprache. Die Linguisten haben dafür den Begriff Pragmatik geprägt. Während sich die Semantik mit der Relation zwischen Sprachzeichen und ihrer Bedeutung befasst, geht es in der Pragmatik um die Relation zwischen Sprachzeichen und ihren Benutzern, diese aber befinden sich immer in einer Situation innerhalb einer Kultur. Die Kultur ist der umfassendere Aspekt; er soll hier als erster behandelt werden. Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Heinz Göhring hat den Kulturbegriff des Kulturanthropologen Ward H. Goodenough erfolgreich in die Übersetzungswissenschaft eingeführt: (vgl. z.B. Reiß/ Vermeer 1984: 26, Snell-Hornby 1988: 40, Witte 2000: 50f.). Göhrings Definition soll als Ausgangspunkt dienen: Kultur ist all das, was man wissen, beherrschen und empfinden können muss, um beurteilen zu können, wo sich Einheimische in ihren verschiedenen Rollen erwartungskonform oder abweichend verhalten, und um sich selbst erwartungskonform verhalten zu können, sofern man dies will und nicht etwa bereit ist, die jeweils aus erwartungswidrigem Verhalten entstehenden Konsequenzen zu tragen. (Göhring 2002: 108) Als kulturelle Mittler können sich Übersetzer und Übersetzerinnen in Rollen sprachlichen Verhaltens hineindenken. In der Regel werden sie sich erwartungskonform verhalten — dies ist jedenfalls die ihnen von der Gesellschaft zugeschriebene Rolle. Sie werden den Erwartungen der zielsprachlichen Leser entsprechen. Der Vollständigkeit halber habe ich jedoch die gesamte Definition Göhrings zitiert. <?page no="41"?> Die Umgebung von Wörtern 42 Es ist nun so, dass manche ausgangssprachlichen (AS-) Wörter in der Zielkultur Schwierigkeiten hätten, lebendig zu werden; die Luft der Zielkultur ist ihnen nicht zuträglich. Doch dies ist kein unlösbares Problem. Ich erwähnte bei der Präsentation der Prototypensemantik, dass unsere im Gedächtnis gespeicherten Vorstellungen beim Gebrauch von Wörtern kulturbedingt sein können. Damit müssen wir auch beim Übersetzen rechnen. Wir finden kulturbedingte Vorstellungen in besonderem Maße im Bereich von Institutionen, etwa in der Bildung. In einer Umfrage, in der es um Stigma and mental illness in cross-national perspective (Stigma und seelische Krankheiten unter multinationalem Aspekt, Version Sommer 2004) geht, wird u.a. nach dem Bildungsabschluss gefragt: What is the highest educational level or degree that you have achieved? Als Antworttabelle stehen folgende Rubriken zur Auswahl: 1. None 2. Lowest formal qualification attainable 3. Above lowest qualification but below usual entry requirements for college/ university (intermediary secondary completed) 4. Usual entry requirement for university 5. Above usual but less than university degree 6. University degree 8. Don’t know Rubrik 5 ist durch die allgemeine Formulierung etwas unklar. Es sind vermutlich Bildungsabschlüsse wie technical college, polytechnical college und college for further education gemeint. Der Entwurf für eine Übersetzung lautete: Welchen höchsten Bildungsabschluss haben Sie erreicht? 1. Keinen Bildungsabschluss 2. Niedrigster möglicher Bildungsabschluss (Hauptschulabschluss) 3. Mittlerer Abschluss (aber ohne Hochschulbefähigung, z.B. Realschulabschluss) 4. Abitur 5. Fachhochschulabschluss 6. Hochschulabschluss 7. Weiß nicht Die Übersetzung enthält kulturspezifische Ergänzungen. Die Anpassung an das deutsche Bildungssystem zeigt sich bei Rubrik 2 durch die Konkretisierung „Hauptschulabschluss“. In der Terminologie der kognitiven Semantik ist dies ein Rahmen, bei dem man sich leichter eine Szene vorstellen kann. Auch Rubrik 3 ist <?page no="42"?> Kulturelle Einbettung 43 durch den Zusatz „Realschulabschluss“ konkreter als der Ausgangstext. Außerdem wird dort statt der beiden Begriffe college (was etwa der deutschen Fachhochschule entspricht) und university der im Deutschen vorhandene Oberbegriff (d.h. der größere Rahmen) „Hochschulbefähigung“ verwendet. In Rubrik 4 wird wie bei den anderen Schulabschlüssen wieder konkretisiert; ebenso in Rubrik 5, wo die entsprechende deutsche Institution „Fachhochschule“ genannt wird. Zu überlegen wäre, ob man für Deutschland noch zusätzlich Berufsbildungsabschlüsse einfügen müsste. Sie sind im Ausgangstext nicht vorgesehen, weil es in Großbritannien die Kombination von Lehre und Berufsschule nur sehr vereinzelt gibt. Um auch hier den Begriff Übersetzungsfunktion wieder aufzugreifen: Dadurch, dass in der Übersetzung Begriffe der deutschen Bildungsinstitutionen genannt werden, kann sich der Befragte problemlos die entsprechenden Abschlüsse vorstellen und die Frage beantworten. Die Kommunikation „funktioniert“. Es gibt bestimmte Bereiche, bei denen man als Übersetzer vorsichtig sein muss. Manche Dinge werden tabuisiert, oder der Umgang mit ihnen ist zumindest heikel. Kulturen unterscheiden sich in dieser Hinsicht. Vorsicht ist z.B. geboten bei religiösen Tabus, wie die dänischen Mohammed-Karikaturen und die Reaktionen darauf in muslimischen Ländern zu Beginn des Jahres 2006 schmerzhaft deutlich machten. Tabus gibt es auch im sexuellen Bereich. Im Englischen beziehen sich Kraftausdrücke häufig auf den Genitalbereich, und ihre Wirkung besteht darin, dass sie Tabus verletzen. Der bekannteste Kraftausdruck ist wohl fuck/ fucking. Das Wort wird so häufig gebraucht, dass der sexuelle Tabubruch freilich gar nicht mehr empfunden wird. Natürlich ist es immer noch ein Wort, das man nicht in jeder Situation benützen sollte. Dies gilt auch für viele andere Wörter aus diesem Bereich. In Nick Hornbys Roman A Long Way Down wird die Romanfigur Jess als aufmüpfige Tochter eines Staatsekretärs im Bildungsministerium unter anderem dadurch charakterisiert, dass sie solche Wörter ohne jede Scheu gebraucht. Im folgenden Beispiel werden sie von ihr freilich nur zitiert. Bei der Übersetzung sollte die charakterisierende Funktion der Textstelle erhalten bleiben. Jess sagt über Martin: I’ve known him for a while now, and I’d say I’ve heard people, complete strangers, call him a cunt about fifteen times, a prick about ten times, a wanker maybe about the same, and an arsehole approximately half a dozen times. Also: tosser, berk, wally, git, shithead and pillock (Nick Hornby: A Long Way Down, London 2005, S.65) Die Zahlen über die Häufigkeit sind natürlich keine Statistik, aber doch ein Anhaltspunkt. Im Deutschen beziehen sich Kraftausdrücke eher auf den Analbereich. Übersetzen bedeutet dann oft Ersetzen. In der deutschen Übersetzung des Romans lautet die Stelle: Ich kenne ihn jetzt schon länger und würde sagen, ich hab schon ungefähr fünfzehnmal gehört, wie ihn Leute, völlig Fremde, als Fotze beschimpft haben, etwa zehnmal als Arschloch, ungefähr genauso oft als Wichser und etwa ein <?page no="43"?> Die Umgebung von Wörtern 44 halbes Dutzend Mal als Penner. Außerdem: Trottel, Flachwichser, Schwanzlutscher, Vollidiot, Schleimscheißer und Pimmelfresse. (Nick Hornby: A Long Way Down. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Köln 2005, S. 91) Man müsste überlegen, ob „Fotze“ tatsächlich ein häufiges allgemeines Schimpfwort für einen Mann ist oder ob es eher in der Jugendsprache zuhause ist. „Penner“ erscheint mir in der Reihe der anderen Wörter zu brav. Die Aufnahme von Wörtern der Analsphäre in die Aufzählung ist eine richtige Entscheidung. Sie sind sozusagen prototypische Exemplare für die Kategorie „Beschimpfung“. Insgesamt bleibt meines Erachtens die Charakteristik von Jess erhalten, die mit Genuss Kraftausdrücke, die gegen Tabus verstoßen, zitiert, und damit eben auch selbst Tabus bricht. “The fucking bastard! “ Abb. 1 Wir wollen dieses Thema nicht überstrapazieren. Ich will ein anderes Beispiel anführen, das sich auf etwas bezieht, das man als politisches Tabu bezeichnen könnte. Ich erörterte im Jahr 2004 mit Umfragespezialisten (Soziologen) eine Frage zum Thema nationale Identität. Sie lautete: Are you proud to be British/ American? Ich äußerte die Meinung, man könne diese Frage nicht wörtlich ins Deutsche übersetzen und begründete es damit, dass Nationalstolz in Deutschland, selbst zwei Generationen nach dem Naziregime, immer noch, wenn auch kein Tabu, so doch ein heikles Thema sei. Anders als in den U.S.A. steht z.B. die deutsche Nationalflagge nicht in Vorgärten, es sei denn, der Hausbesitzer möchte demonstrieren, dass er einer rechtsradikalen Partei angehört. Mit dem deutschen Nationalstolz ist es so eine Sache, man ist vielleicht stolz auf deutsche Leistungen, z.B. im Sport, in der Technik und in der Wirtschaft, aber die wenigsten Deutschen würden eine solche Frage spontan mit ja beantworten. Vielleicht sollte man übersetzen: „Macht es Ihnen etwas aus, Deutscher zu sein? “ Ich habe die Frage „Sind sie stolz darauf, ein Deutscher zu sein? “ an Personen meiner W Generation (Personen um die Sechzig), aber auch an Leuten um die W Drei- <?page no="44"?> Situation und Stil 45 ßig getestet, und bekam Antworten wie „Da denke ich an die Republikaner“ oder „Da denke ich an Rechtsradikale“. Kognitionslinguistisch gesprochen werden hier unerwünschte politische Szenen aus dem Gedächtnis abgerufen. Solche Vorstellungen müssen in Umfragen natürlich vermieden werden. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde dann von den Soziologen darauf hingewiesen, dass man Nationalstolz auch indirekt erfragen könne, z.B.: „Sind Sie stolz, wenn das deutsche Fußballnationalteam gewinnt? “ Nach der Winter-Olympiade 2006 hätte man z.B. fragen können: „Sind Sie stolz darauf, dass die deutsche Olympiamannschaft die meisten Medaillen gewonnnen hat? “ Im ISSP 2003 lautete z.B. eine Feststellung, zu der die Befragten Stellung nehmen sollten: When my country does well in international sports, it makes me proud to be [COUNTRY NA- TIONALITY]. Schließlich wurde beschlossen, die direkte Frage aus der Umfrage zu entfernen mit der Begründung, dass man wahrscheinlich verfälschte Antworten bekäme. Dies ist zweifellos ein ungewöhnlicher Fall einer Entscheidung beim Übersetzen, aber er zeigt, wie wichtig es ist, die Wirkung einer Übersetzung vorauszusehen, wenn man funktionsgerecht übersetzen will. Nach der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 in Deutschland wäre die Frage vielleicht anders beantwortet worden; zumindest hing die deutsche Nationalflagge während der Weltmeisterschaft an vielen Häusern und Autos. Die Frage ist freilich, ob dieser unbeschwerte Umgang mit der deutschen Nationalität anhält oder nur ein momentanes Phänomen war. 2.2 Situation und Stil Der bekannte Fernsehkoch Sante de Santis redet in seinen Kochkursen sehr leger mit den Teilnehmern. Er sagt z.B. „Hol mir doch mal den großen Topf aus der unteren Schublade, Schatz! “ oder „Komm her, Schatz, du kannst jetzt mal zehn Minuten rühren“ oder „Gut gemacht, Schatz, danke.“ Normalerweise wird die Anredeform „Schatz“ innerhalb der Familie verwendet. Natürlich weiß Sante de Santis das; er will aber durch den häufigen Gebrauch des Worts auch unter Leuten, die sich nicht kennen, eine vertraute und entspannte Atmosphäre entstehen lassen. Mit Wörtern können wir eine Situation schaffen, aber auch das Umgekehrte gilt: In bestimmten Situationen werden bestimmte Wörter erwartet oder auch nicht. Die oben erwähnten Kraftausdrücke, so würden wohl manche Leute sagen, sollte man in keiner Situation gebrauchen. Auf jeden Fall sollte man sie nur dann gebrauchen, wenn man sein Gegenüber sehr gut kennt, d.h. wenn man die Situation richtig einschätzen kann. Zwischen einer Situation und bestimmten sprachlichen Formen besteht also ein enger Zusammenhang. Die Umsetzung einer Situation in Sprache bezeichnen wir als Stil. Als Linguisten in den 1960er Jahren den Zusammenhang zwischen Situation und Stil erforschten (Halliday/ McIntosh/ Strevens 1964, Crystal/ Davy 1969), gab es die Scenes-and-frames-Semantik von Charles Fillmore (1977) noch nicht. Aus jetziger Sicht kann man sagen, dass der metaphorische Begriff „Szene“ eine Affinität zum Begriff „Situation“ hat. Wenn wir eine Situation im Hinblick auf die <?page no="45"?> Die Umgebung von Wörtern 46 Kommunikationsteilnehmer beschreiben, so ist das ganz ähnlich, wie wenn wir eine Szene mittels szenischer Details beschreiben. Im Folgenden kombiniere ich die Begriffe der kognitiven Semantik mit dem Modell der deskriptiven Stilistik, denn es geht mir ja immer wieder darum, die Vorstellungen in unseren Köpfen für das Übersetzen nutzbar zu machen. Wenn wir übersetzen, müssen wir den Kommunikationsteilnehmern Rechnung tragen. Die deskriptive Stilistik hat eine Reihe von situativen Faktoren oder „Dimensionen“ ins Gespräch gebracht, die für unsere Zwecke nützlich sind (vgl. dazu Crystal/ Davy 1969). Um den Bezug zur Prototypensemantik herzustellen, bezeichne ich sie hier gelegentlich auch als „Kategorien“. In englischen Wörterbüchern (z.B. dem DCE) wird diesen Faktoren durch Etikettierungen wie formal, informal, technical usw. in gewisser Weise entsprochen und in deutschen Wörterbüchern (z.B. Duden, Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache) durch Etikettierungen wie „fam.“ (familiär), „ugs.“ (umgangssprachlich), „fachspr.“ (fachsprachlich) usw. Es ist hilfreich, diese Faktoren in ein System zu bringen. Betrachten wir zunächst einmal die situativen Faktoren in ihrer Gesamtheit. Ich übernehme das für unsere Zwecke leicht modifizierte Modell von Crystal/ Davy, das sich in der Übersetzungswissenschaft recht gut etabliert hat (vgl. Kußmaul 1998b): Dimensionen der Sprachbenutzer Geographische Herkunft Soziale Schicht Zeit Dimensionen des Sprachgebrauchs Soziale Relation Vertrautheitsgrad Partizipation Medium Verwendungsbereich Beginnen wir mit den Dimensionen der Sprachbenutzer, als erstes mit der geographischen Herkunft. Wenn ein Schwabe sagt „Ich gehe jetzt auf die Bühne“, dann meint er nicht, dass er jetzt einen Auftritt als Schauspieler hat, sondern dass er auf den Dachboden geht, vermutlich, wie es sich für einen ordnungsliebenden Schwaben gehört, um dort aufzuräumen. Im schwäbischen Dialekt hat „Bühne“ eine andere Bedeutung als im Hochdeutschen. Außerdem verstehen wir manchmal Wörter eines Dialektsprechers nicht, obwohl wir sie eigentlich kennen; das liegt dann meist daran, dass sie in der Phonetik oder in den grammatischen Formen von der Standardsprache abweichen. Wir konzentrieren uns in diesem Buch zwar auf Wörter, aber wenn es um Stil und Situation geht, ist es unumgänglich, dass gelegentlich auch andere sprachliche Ebenen in den Blick kommen. Abweichungen von der Standardsprache charakterisieren auch den Soziolekt als sprachlichen Ausdruck einer sozialen Schicht. Im britischen Englisch besteht zwischen Dialekt und Soziolekt ein enger Zusammenhang. Die mangelnde Fähig- <?page no="46"?> Situation und Stil 47 keit, vom Dialekt in die Standardsprache zu wechseln, ist z.B. das Thema des Musicals My Fair Lady (literarisches Vorbild: Bernhard Shaws Pygmalion). Die Blumenverkäuferin Eliza Doolittle spricht Cockney und nimmt bei Professor Higgins Unterricht, um die englische Standardsprache in received pronunciation zu lernen. Eine wirkungstreue Übersetzung ist schwierig, denn im Deutschen sind Dialekte nicht im gleichen Maße wie im Englischen sozial stigmatisiert. Bekannt sind die Wiedergabe von Eliza Doolittles Cockney als Berlinerisch (dt. Fassung von Robert Gilbert, Erstaufführung am 25.10.1961 am Berliner Theater des Westens) oder als Wienerisch (der Text von Gilbert wurde von Hugo Wiener und Alexander Steinbecher für die Aufführung an der Wiener Volksoper 1979 „eingewienert“). Mit dem Faktor Zeit lässt sich erklären, warum ein Text manchmal altertümlich klingt. Bei der Übersetzung älterer Texte müssen der Auftraggeber und Übersetzer entscheiden, ob sie das Zeitkolorit beibehalten wollen oder nicht. Heutige Shakespeare-Übersetzungen sind meist in modernem Deutsch geschrieben. Wer Patina liebt, kann zur Schlegel-Tieckschen Übersetzung greifen. Die eben genannten sprachlichen Ausprägungen der Faktoren geographische Herkunft, soziale Schicht und Zeit sind relativ unveränderlich (Crystal/ Davy 1969: 66f.). Sie spielen vor allem bei literarischen Übersetzungen eine Rolle (vgl. dazu die Beispiele bei Albrecht 2005: 236-242). Fachtexte, mit denen Übersetzerinnen und Übersetzer vor allem ihr Brot verdienen, sind in der Regel nicht im Dialekt oder in einer altertümlichen Sprache geschrieben. Für solche Texte sind die unter „Sprachgebrauch“ zusammengefassten Dimensionen von Bedeutung. Sie sind relativ temporär und veränderlich und gehören zum Kernbereich stilistischer Untersuchungen (Crystal/ Davy 1969: 71). Sie werden oft auch als „Register“ bezeichnet (Halliday/ McIntosh/ Strevens 1964, Crystal 1987: 52, Albrecht 2005: 232), eine Metapher die gerade den temporären Charakter dieser Faktoren, z.B. in der Wendung „ein Register ziehen“, sehr gut zum Ausdruck bringt. Was in der Metapher außerdem mitschwingt, ist die Wahlmöglichkeit. Dieser Aspekt ist, wie wir noch sehen werden, übersetzungsrelevant. Um die Übersetzung auf ihre Leser auszurichten, kann der Übersetzer nämlich ein bestimmtes Register benützen. Betrachten wir die Faktoren des Sprachgebrauchs im Einzelnen. Es gibt drei Typen der sozialen Relation: gleich-zu-gleich, höher-zu-tiefer und tiefer-zu-höher. Sehr gut lässt sich dies an Äußerungen demonstrieren, mit denen eine Handlung bewirkt werden soll. Behördliche Vorschriften wie der Satz aus einer Prüfungsordnung „Der Antrag auf Zulassung zur Vorprüfung ist schriftlich beim Vorsitzenden des Prüfungsausschusses zu stellen“ bringen eine Höher-zu-tiefer- Relation zum Ausdruck. Das autoritäre, aber auch verbindliche Äquivalent für „ist zu“ lautet im Englischen shall. Man könnte - vielleicht etwas boshaft - sagen, dass Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern in Deutschland eine prototypische Szene für die Kategorie höher-zu-tiefer darstellt. In der mündlichen Kommunikation hat sich hier freilich vieles geändert; die dabei zugrunde liegende Kategorie ist heute eher gleich-zu-gleich, wenn nicht gar das höfliche tiefer-zu-höher (ähnlich wie in der Kommunikation zwischen Verkäufer und Kun- <?page no="47"?> Die Umgebung von Wörtern 48 den). In anderen Kulturen kann es bei Behörden natürlich andere Konventionen geben. Wir können, wie wir es eben schon taten, die situativen Faktoren generell aus der Sicht der Prototypen- und Scenes-and-frames-Semantik sehen. Unseren Denkkategorien (im Sinne der Prototypensemantik) entsprechen dann die für die Kommunikation relevanten situativen Faktoren, z.B. höher-zu-tiefer. Die prototypischen Vorstellungen (Szenen) sind dann z.B. Verordnungen von Behörden für Bürger, und prototypische sprachliche Verwirklichungen sind dann z.B. Formen wie „ist zu“ und shall. Kategorien, prototypische Szenen und prototypische sprachliche Formen rufen sich in unserem Gedächtnis gegenseitig hervor. Bei bestimmten sozialen Relationen stellen wir uns typische Szenen vor, und dazu fallen uns bestimmte sprachliche Formen ein und umgekehrt. In der folgenden Graphik ist dies durch in beide Richtungen zeigende Pfeile dargestellt. Abb. 2 In Geschäftsbriefen als prototypischen Szenen, um ein weiteres Beispiel zu nennen, spielt Höflichkeit und daher die Tiefer-zu-höher-Relation als Kategorie eine große Rolle. Prototypische sprachliche Formen in Mahnungen sind Bitten wie We must ask you to send us your cheque without further delay und „Wir bitten Sie, den Betrag innerhalb einer Woche zu überweisen“. Und wenn wir solche Sätze hören, denken wir automatisch an Mahnungen. Das heißt natürlich nicht, dass es keine anderen sprachlichen Formen für Mahnungen gibt. In letzter Zeit sind manche Firmen in diesem Punkt sehr kreativ. („Sie haben wohl übersehen, dass …“.) Wenn man in der Familie eine leicht zu erfüllende Bitte äußert, so entspricht dem in der Regel die Gleich-zu-gleich-Relation und man sagt z.B.: „Reich mir doch mal das Salz“ und auf englisch Can you pass me the salt? Es handelt sich bei den sozialen Relationen natürlich nicht um unveränderliche Positionen, sondern um Rollen, die konventionellerweise eingenommen werden, um bestimmte Handlungen erfolgreich auszuführen. Der Übersetzer muss die kulturspezifischen Rollenkonventionen kennen, um hier als Experte mithandeln zu können. Der Faktor Vertrautheitsgrad bezieht sich auf die verschiedenen Abstufungen sozialer Distanz. (In Lexika gibt es dafür die Etiketten informal bzw. „familiär“ und „umgangssprachlich“.) Die bereits erwähnte Anredeform „Schatz“ bringt Kategorien/ situative Faktoren prototypische Szenen prototypische sprachliche Formen <?page no="48"?> Situation und Stil 49 eine geringe Distanz, also einen hohen Vertrautheitsgrad zum Ausdruck. Man kann sich die durch Anredeformen evozierten Vorstellungen ebenfalls als prototypische Szenen vorstellen. Die Form „Schatz“ z.B. passt zu einer Szene, in der sich Ehepartner oder Eltern mit Kindern unterhalten. Das Gespräch zwischen Sante de Santis und seinen Kochkursteilnehmern stellt sicher keine prototypische Szene dar. Sie ist eher eine Randszene für die Kategorie Vertrautheit. Auch Vornamen, Kosenamen und das Pronomen „du“ drücken einen hohen Grad der Vertrautheit aus; einen niedrigen Vertrautheitsgrad enthalten Formen wie „Herr Dr. Müller“, „sehr geehrte Damen und Herren“ und engl. Sir, Madam. Bereits die Tatsache, überhaupt angeredet zu werden, kann ein Zeichen höherer Vertrautheit sein. In deutschen fachinternen Bedienungsanleitungen z.B. wird meist der unpersönliche (anredelose) Infinitiv verwendet (z.B. „Kopf aufsetzen und festschrauben.“), in fachexternen Anleitungen, etwa Handbüchern zu Computersoftware, aber erscheint immer häufiger die persönliche Form Imperativ + Sie (z.B. „Wählen Sie aus dem Menü Einfügen den Befehl Datum und Uhrzeit.“) (vgl. Schmitt 1998a). Die höhere Vertrautheit kann man sich leicht verdeutlichen, indem man die persönlichen Anweisungen mit der unpersönlichen Infinitivform vergleicht, also z.B. „Aus dem Menü Einfügen den Befehl Datum und Uhrzeit wählen“. Der Vertrautheitsgrad, und dies gilt für alle Faktoren, zeigt sich natürlich nicht nur in Anredeformen, sondern potenziell auf sämtlichen linguistischen Ebenen. In der Syntax zeigt er sich z.B. in Kontraktionen (can’t, haven’t etc.), in der Lexik z.B. in als informell oder formell markierten Wörtern (z.B. bloke, guy statt man, person) und in der Satzverknüpfung z.B. in einer weniger expliziten Logik: John can’t go to work. He is ill statt John can’t go to work because he is ill. Auch der Faktor Partizipation hat etwas mit Sprecher und Hörer bzw. Autor und Leser zu tun. Er steht in einem engen Zusammenhang mit gesprochener Sprache (s.u.). Es geht dabei um den Einbezug des Hörers bzw. Lesers. Crystal und Davy sprechen hier vom monologischen oder dialogischen Charakter sprachlicher Äußerungen (1969: 69f.). Dazu gehören die für das Englische so typischen Frageanhängsel (isn’t it, don’t they, hasn’t she etc.) als Formen des Hörereinbezugs. Im Deutschen dienen dazu Wörter wie „nicht wahr“, „oder“, das süddeutsche „gell“ sowie rhetorische Fragen. Bei „oder“ denken manche von uns vielleicht an die berühmten Sketche des Schweizers Emil Steinberger aus den 1980er Jahren, der dieses Wort im Schweizer Dialekt höchst wirkungsvoll verwendete. Das wären dann prototypische Szenen der situativen Kategorie Partizipation, verwirklicht durch die sprachliche Form „oder“. In vielen Sprachen gibt es spezielle Formen der Leseranrede, z.B. das den Leser bzw. Hörer mit einbeziehende dt. „wir“ und engl. we. Diese Form findet sich häufig in wissenschaftlichen Abhandlungen, sowohl im Englischen als auch im Deutschen (vgl. Kußmaul 1978: passim). Man muss jedoch darauf achten, dass sie nicht als Pluralis majestatis interpretiert werden kann. Der Faktor Partizipation ist vor allem für Texte relevant, die Dialoge enthalten, z.B. Bühnen- und Filmtexte und Romandialoge mit ihren vielfältigen Formen von Äußerungen und Erwiderungen. Auch sog. metakommunikative Äußerungen sind ein Zeichen der Partizipation. Sie finden sich in Anleitungen, Handbüchern <?page no="49"?> Die Umgebung von Wörtern 50 und den soeben erwähnten wissenschaftlichen Abhandlungen und erleichtern dem Leser die Orientierung, z.B. In the first chapter I shall deal with …, as we shall see in a moment …, let us now turn to more specific problems (Kußmaul 1978: passim). Unter Medium versteht man den Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Der Faktor „gesprochene Sprache“ spielt ebenfalls bei der Übersetzung von Theaterstücken und Romandialogen eine Rolle, wobei zu beachten ist, dass dort die gesprochene Sprache nur nachgeahmt wird. Wir betrachten dazu gleich ein Beispiel im Detail. Der Faktor Verwendungsbereich ist in der Berufspraxis des Übersetzens von großer Relevanz. Es geht dabei um die Fachsprachlichkeit von Texten. Wenn Fachleute für Fachleute schreiben, benützen sie die Terminologie ihres Fachgebietes. Man bleibt dann sozusagen unter sich. Die Terminologie, d.h. der Fachwortschatz, ist in der Übersetzerausbildung ein zentrales Thema. Man kann auch diesen Aspekt als Autor-Leser-Verhältnis sehen. Autor und Leser sind auf gleicher Stufe, weil sie Fachleute auf dem gleichen Gebiet sind. In diesem Punkt herrscht Ungleichheit, wenn Fachleute für Laien schreiben. Sie müssen sich dann dem terminologischen Kenntnisstand der Laien anpassen. Die Liste der situativen Faktoren ist prinzipiell offen, d.h. ihre Menge ist nicht abgeschlossen. Es ist durchaus denkbar, dass durch neue empirische Beobachtungen weitere Faktoren hinzukommen, z.B. das Geschlecht der Sprachbenutzer. Frauen sprechen, wie wir seit dem Bestseller Du kannst mich einfach nicht verstehen der Linguistin Deborah Tannen (1991) wissen, anders als Männer. Auch die „soziale Schicht“ ist eigentlich eine zu weite Dimension. Jugendliche sprechen anders als Erwachsene, auch wenn sie der gleichen Schicht angehören wie sie. Kinder haben ebenfalls je nach Alter einen bestimmten Sprachstand. Für Übersetzer sind die Situation und der Stil in zwei Erscheinungsformen relevant. (1) Texte sind in eine außersprachliche (eigentlich außertextliche) Situation eingebettet, d.h. ein Autor schreibt für bestimmte Leser, und dies spiegelt sich im Stil seines Texts. Dafür stehen die oben erwähnten Beispiele aus der Behördensprache, aus Bedienungsanleitungen, Geschäftsbriefen und wissenschaftlichen Abhandlungen. (2) In einem Text, z.B. in einem Roman, kommunizieren Personen miteinander, die sich in einer bestimmten Situation befinden. Dies ist dann eine innertextliche Situation. Betrachten wir einen Textausschnitt einer solchen innertextlichen Situation und seine Übersetzung, um uns die situativen Faktoren im Zusammenhang miteinander zu verdeutlichen. David Lodge lässt in seinem Roman Therapy die Romanfiguren in längeren Abschnitten zu Wort kommen; für ihn ist das eine Gelegenheit, sie durch ihre Sprechweise zu charakterisieren, z.B. die Romanfigur Ollie: O H , H ALLO George, how goes it in Current Affairs? Good good. Oh, surviving, just about. Thanks, I need one. Draught Bass, please. Oh, make it a pint. Ta. Yeah, one of those mornings. My secretary is off sick, our fax machine is on the blink, the BBC have snapped up a Canadian soap I had my eye on, and some cunt of a solicitor is suing us because he has the same name as the bent lawyer in that episode of Motorway Patrol - did you see it. No, the week before last. <?page no="50"?> Situation und Stil 51 Ah, thank you, Gracie. And a packet of crisps, smoky bacon flavour. No, no, George, let me pay for the crisps. Well, if you insist. Thanks, Gracie. Cheers, George. … (David Lodge: Therapy. London 1996, S. 170) Der Text gibt eine Unterhaltung in einem englischen Pub wieder. Das W Medium ist zwar ein gedruckter Text, aber es wird ein gesprochener, dialogischer Text imitiert; mit anderen Worten, er ist gekennzeichnet durch Partizipation. Dies zeigt sich an den Stellen, wo wir erkennen, dass Gesprächspartner impliziert sind. Der Sprecher (Ollie) reagiert auf die Äußerungen der anderen Personen z.B. durch Wörter wie Oh, Ah, yeah, no, Ta, und durch Anredeformen wie George und Gracie wendet er sich explizit an sein jeweiliges Gegenüber. Die soziale Relation zwischen Sprecher und implizierten Gesprächspartnern ist vermutlich gleich-zu-gleich; es ist offensichtlich eine Unterhaltung zwischen Kollegen, doch die soziale Relation zwischen ihnen wird nicht sprachlich explizit gemacht. Interessant sind nun aber in dieser Hinsicht die kurzen Dialoge mit der Bedienung, die Bestellungen von Bier und Snacks: Draught Bass, please. … Oh, make it a pint. … And a packet of crisps, smoky bacon flavour. Um welche soziale Relation handelt es sich? Bei einer Tiefer-zu-höher-Relation würden Bitten z.B. lauten: Could I have a Draught Bass, please? ... Could you make it a pint? ... And could I have a packet of crisps, smoky bacon flavour, please? Diese indirekten Bitten sind bei Bestellungen natürlich nicht üblich. Der Gast spielt nicht die Rolle des Tieferstehenden. Aber verhält er sich hier dann nicht wie ein Höherstehender? Er gebraucht einen Imperativ: Make it a pint. Auch die anderen Äußerungen könnte man als verkürzte Imperative interpretieren. Man kann die Situation wohl so sehen, dass es sich um leicht erfüllbare Bitten handelt; zudem ist es ja die Aufgabe einer Bedienung, Getränke und Speisen zu bringen, und dann sind keine besonderen Höflichkeitskonventionen im Sinne indirekter Bitten nötig. Die Relation lässt sich also auch hier als gleich-zu-gleich sehen. Dieser Eindruck wird auch noch dadurch verstärkt, dass der Vertrautheitsgrad relativ hoch ist. Die Bedienung wird mit dem Vornamen angeredet, und Gracie ist zudem noch vertrauter als Grace. Ein hoher Vertrautheitsgrad ermöglicht es, Bitten relativ direkt zu formulieren. Zu Familienmitgliedern können wir z.B. sagen: „Reich mir doch mal das Buch vom Regal! “ Der Vertrautheitsgrad zwischen George und seinem Kollegen zeigt sich in der informellen Sprechweise. Der Text enthält eine Fülle von informellen Wörtern, ja sogar Vulgarismen. Dies kann man sich leicht dadurch verdeutlichen, dass man diese Wörter mit eher formellen Wörtern kontrastiert. Ollie sagt How goes it in Current Affairs? und nicht What is the situation like in Current Affairs? Er sagt thanks und später Ta und nicht thank you. Er sagt Yeah und nicht yes, er sagt our fax machine is on the blink und nicht our fax machine is not working properly, und er sagt bent lawyer und nicht dishonest lawyer. Auch das uns bereits bekannte cunt finden wir hier wieder. Es zeigt sich in diesem Abschnitt, dass es im Englischen kein Wort der Jugendsprache ist, sondern von Erwachsenen gebraucht wird. Insgesamt lässt sich sagen, dass David Lodge prototypische sprachliche Formen für die situativen Kategorien benützt; darin besteht der Reiz dieses Abschnitts für den <?page no="51"?> Die Umgebung von Wörtern 52 Leser, der diese Formen sozusagen als alte Bekannte wiedererkennt. Die Übersetzung von Renate Orth-Guttmann lautet: Hallo, George, wie geht’s in der Nachrichtenredaktion? Freut mich. Na ja, man lebt. Danke, kann ich gebrauchen. Dunkles vom Fass bitte. Eine Halbe. Danke. Ja, heute Vormittag waren mal wieder alle Puppen am Tanzen. Meine Sekretärin ist krank, unser Faxgerät ist im Eimer, die BBC hat mir eine kanadische Seifenoper weggeschnappt, und so ein Arschloch von Anwalt will uns verklagen, weil er denselben Namen hat wie der krumme Hund in der letzten Folge von Motorway Patrol — hast du die gesehen? Nein, vorletzte Woche. Dank dir schön, Gracie. Und eine Tüte Chips, Räucherspeckaroma. Nein, nein, George, die Chips zahl ich. Na gut, wenn du unbedingt willst. Danke, Gracie. Prost, George. (David Lodge: Therapie. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. Diana Verlag München 2000, 205) Wie sind die einzelnen situativen Faktoren versprachlicht? Zunächst die Zeichen der Partizipation: Die Namen als Anredeformen sind problemlos. Das englische Oh, das in deutschen Übersetzungen oft nicht sehr glücklich mit „Oh“ wiedergegeben wird, ist hier semantisch sehr treffend und idiomatisch übersetzt mit „Na ja“, eine (proto)typische Form als Antwort auf die Frage „Wie geht’s? “. Das englische Ah wird weggelassen, dafür ist „Dank dir schön, Gracie“ dialogischer, als wenn hier nur gesagt würde „Danke, Gracie“. Die Übersetzungen der Bestellungen bezüglich der sozialen Relation sind problemlos, denn auch im Deutschen herrschen hier die gleichen Konventionen der syntaktischen Verkürzungen von Imperativen. Der Vertrautheitsgrad ist auch in der Übersetzung am deutlichsten markiert. Für … how goes it in Current Affairs? gibt es in Deutschen eine ziemlich direkte Entsprechung: „… wie geht’s in der Nachrichtenredaktion? “ Syntaktische Kontraktionen (geht’s) sind ein gängiges Mittel, um Informalität und zugleich gesprochene Sprache deutlich zu machen. Weitere Stellen, bei denen es sich allerdings um den Wegfall von Endungen handelt, sind „Dank dir schön“ und „zahl ich“. Auch derartige Kurzformen kann man als prototypisch für das Medium gesprochene Sprache bezeichnen. Für die informellen Wörter thanks, ta und yeah gibt es im Deutschen keine Entsprechung. Die Übersetzerin gleicht das aber durch einen informellen Stil an anderen Stellen ihres Texts aus: z.B. durch das Begrüßungswort „Hallo“, das im Deutschen informell ist, im Englischen dagegen neutral, und durch „waren mal wieder alle Puppen am Tanzen“, was durch die Idiomatik informeller ist als die entsprechende Stelle im Original. Die Übersetzerin betrachtet, was den Stil betrifft, den Text als Ganzes; sie stellt sich die Unterhaltung vermutlich als Szene vor. Das ist eine gute Strategie. Es kommt nicht darauf an, für jedes einzelne Wort eine stilistische Entsprechung zu finden; der Gesamteindruck muss stimmen. „Unser Faxgerät ist im Eimer“ entspricht stilistisch genau der Stelle im Original. Das gleiche gilt für „der krumme Hund“ als Übersetzung von bent lawyer. Bei der Wiedergabe von cunt durch „Arschloch“ hat die Übersetzerin sich an die deutschen Konventionen des Tabubruchs gehalten und das prototypische deut- <?page no="52"?> Auf zwei Stühlen zugleich 53 sche Schimpfwort gewählt. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass die Romanfigur durch ihre Redeweise gut charakterisiert wird und dass damit die Übersetzung gelungen ist. 2.3 Auf zwei Stühlen zugleich Ich fasse die im bisher Gesagten immer wieder angesprochenen Beziehungen zwischen Übersetzer, Text, Situation und Kultur in einer Graphik zusammen. Um die Sache nicht zu komplizieren, habe ich Wörter in Texten nicht noch einmal extra graphisch umgesetzt. Man muss sie sich als Bestandteil von Texten denken. Ausgangskultur Abb. 3 Worauf es ankommt, sind die Einbettungen. Ein Text ist eingebettet in eine Situation und diese wiederum in eine Kultur. Ausgangs- und Zielsituationen und Ausgangs- und Zielkulturen überschneiden sich. Die englische Kultur hat vieles mit der deutschen gemeinsam, aber natürlich nicht alles. Die Überschneidungsbereiche zwischen Kulturen sind unterschiedlich groß. Zwischen der chinesischen und der deutschen Kultur ist der Bereich vermutlich kleiner. Der Übersetzer als sprachlicher Kulturmittler hat teil an beiden Kulturen. Deshalb erscheint er hier im Bereich der Überschneidung. Er sitzt, wenn er kompetent ist, nicht zwischen zwei Stühlen, sondern auf zwei Stühlen zugleich. Da der (proto)typische Übersetzer weiblich ist und, wie sich das die meisten Chefs wünschen, zudem noch jung, erscheint in unserer Graphik eine junge Frau. Ihre Körperhaltung drückt Nachdenken aus. Auch das ist typisch für Übersetzerinnen und Übersetzer oder sollte es zumindest sein. Zielsituation Zielsituation Zielkultur Ausgangskultur Ausgangssituation Ausgangssituation Ausgangstext Zieltext Übersetzer <?page no="53"?> Die Umgebung von Wörtern 54 Bei den in diesem Kapitel erörterten Beispielen hatte die Übersetzung die gleiche Funktion wie der Ausgangstext. Eine Umfrage z.B. blieb eine Umfrage und wurde nicht etwa ein Romandialog. Funktionskonstanz ist der normale und wohl auch häufigste Fall in der Übersetzungspraxis. Bedienungsanleitungen bleiben auch in der Übersetzung Bedienungsanleitungen, Handbücher bleiben Handbücher, Verträge bleiben Verträge, Urkunden bleiben Urkunden und literarische Kunstwerke bleiben literarische Kunstwerke letzteres gelingt allerdings nicht immer. (Wenn in den Beispielen und Aufgaben in diesem Buch der Auftrag nicht weiter spezifiziert ist, soll davon ausgegangen werden, dass die Übersetzung funktionskonstant mit dem Ausgangstext zu sein hat.) Es gibt aber auch das, was traditionellerweise als Bearbeitung oder Adaptation bezeichnet wird. Romane werden manchmal als Kinderbücher übersetzt; immer wieder genannte Beispiele sind Jonathan Swifts Gulliver’s Travels und Daniel Defoes Robinson Crusoe. In solchen Fällen verändert sich die Situation; aus Erwachsenen als Adressaten in der Ausgangskultur werden in diesen Beispielen Kinder als Adressaten in der Zielkultur. Der Übersetzer passt seinen Text den Erwartungen, der Aufnahmefähigkeit und dem sprachlichen Kenntnisstand von Kindern an. Für die funktionale Richtung innerhalb der Übersetzungswissenschaft sind auch solche Texte Übersetzungen, freilich mit Funktionsveränderung. Die Handlungstheorie von Justa Holz-Mänttäri (1984) und die Skopostheorie von Hans J. Vermeer (Reiß/ Vermeer 1984, Vermeer 2000) haben diese Dinge in unser Bewusstsein gerückt. Der Ausgangstext ist letzten Endes ein „Informationsangebot“, von dem wir je nach dem Zweck (bei Reiß/ Vermeer Skopos) unserer Übersetzung für einen Zielleser in einer Zielkultur Gebrauch machen, und zwar in Absprache mit dem Auftraggeber. Logisch gesehen ist die Festlegung des Skopos die übergeordnete Entscheidung. Der Skopos kann sich dann so auswirken, dass entweder Funktionskonstanz oder aber Funktionsveränderung hergestellt wird. Der funktionale Ansatz ist in der Übersetzungswissenschaft ziemlich populär geworden. Auch diesem Buch liegt er zugrunde. (Einen guten Überblick bietet Nord 1997.) Betrachten wir weitere Beispiele. Man könnte sich folgende Situation vorstellen: Eine ausländische Studentin versteht den oben zitierten Satz aus einer deutschen Prüfungsordnung nicht und fragt eine Kommilitonin, was da eigentlich stehe. Die Kommilitonin wird dann versuchen, ihr die Vorschrift mit einfachen Worten zu erklären — auch das könnte man als Übersetzung bezeichnen — und z.B. sagen: „Wenn du die Vorprüfung machen willst, musst du ein Formular ausfüllen und das dann beim Prüfungsamt abgeben.“ Wenn die Studentin Engländerin ist, wird sie vielleicht sagen: „If you want to do the intermediary exam, you have to fill in a form and hand it in at the examinations office.“ Die Sprecher-Hörer-Relation ist dann nicht mehr höher-zu-tiefer, sondern gleich-zugleich, und die Übersetzung ist dann natürlich keine behördliche Verordnung mehr und hat auch keine verpflichtende Wirkung. Fachbücher und Fachaufsätze werden gelegentlich für Laien übersetzt — auch das ist eine Funktionsveränderung. Ich selbst hatte einmal den Auftrag, einen übersetzungswissenschaftlichen Aufsatz, der an Fachleute gerichtet war, für eine <?page no="54"?> Auf zwei Stühlen zugleich 55 Anthologie für Studierende zu übersetzen. Ich erklärte die Fachwörter und fügte informative Abschnitte über den jeweiligen theoretischen Hintergrund hinzu. Auch in diesem Fall ist die Übersetzung situationsbedingt. Fachleute bleiben nicht unter sich, sondern ihr Text richtet sich, wenn man so will, an Außenstehende. Ich habe das oben schon kurz erwähnt. Um ein Beispiel aus der schönen Literatur anzuführen: Gedichte werden gelegentlich als Beispiele in nicht-literarischen Werken zitiert, z.B. in literaturwissenschaftlichen oder linguistischen Abhandlungen. Für den zielsprachlichen Leser werden sie dann meist als Prosa übersetzt, damit er wenigstens über ihren Inhalt informiert ist. Der ästhetische Gesamteindruck wird damit natürlich nicht vermittelt. Hier wird also aus einem literarischen Kunstwerk ein schlichter Informationstext. Mit den oben genannten Situationsfaktoren lassen sich derartige Übersetzungen klassifizieren, wenn man den Faktor „Medium“ spezifiziert und zwischen gebundener Sprache (Reim und Metrum) und Prosa differenziert. In den soeben genannten Beispielen war die Funktionsveränderung durch die Situation der Zielkultur bedingt. Auch die Zielkultur an sich kann bereits eine Funktionsveränderung notwendig machen. Ich übersetzte vor einiger Zeit mit meinen Studentinnen und Studenten humorvolle, zum Teil satirische Texte über England (viele aus der inzwischen nicht mehr existierenden Zeitschrift Punch) mit Themen wie die englischen Klassengesellschaft, das englische Essen und englische Pubs. Man könnte wohl die meisten von ihnen der journalistischen Textsorte Glosse zuordnen. Das Übersetzungsproblem bestand darin, dass sich bei solchen Texten die humorvolle Kritik auf Sachverhalte bezieht, die oft nur der Engländer kennt, und dass außerdem die Textintention, nämlich bestimmte Verhaltensweisen und Zustände satirisch aufs Korn zu nehmen, bei deutschen Lesern eigentlich ins Leere läuft, denn diese werden ja nicht kritisiert und können auch die Zustände nicht ändern. Wir wagten dennoch eine Übersetzung, freilich mit Funktionsveränderung. Aus Satiren und Glossen wurden humorvolle englandkundliche Texte ein Balanceakt zwischen Amüsement und Information. Unsere Ergebnisse vervielfältigten wir dann in einem Heft mit dem Titel „Engländer sehen England“. Kulturbedingte Funktionsveränderungen wie die eben genannte sind eher selten. Was aber häufig vorgenommen werden muss, sind zielkulturelle Anpassungen bei Funktionskonstanz. Wir haben das oben bei den Bildungsabschlüssen gesehen, ferner bei den Schimpfwörtern und bei der Frage zum Nationalstolz. In der Fachübersetzung hat die zielkulturelle Anpassung einen neuen Namen hervorgebracht. In der elektronischen Datenverarbeitung hat sich die sog. Softwarelokalisierung als Tätigkeitsfeld etabliert. Man versteht darunter die Anpassung von Softwaredokumentation (z.B. Handbücher und Hilfstexte zu Softwareprogrammen) an die Kultur eines fremden Marktes (vgl. Gerhardt 1998: 213). Speziell geht es z.B. um die Anpassung an das zielsprachliche Schriftsystem, an Maßeinheiten, Währungsangaben und Datum und Zeitangabe. Dies sind natürlich relativ oberflächliche und leicht erkennbare Dinge; schwieriger wird es, wenn Übersetzer kulturelle Unterschiede im Denken, Handeln und Verhandeln berücksichtigen müssen. Im Übrigen scheint mir „Lokalisierung“ nichts anders als ein <?page no="55"?> Die Umgebung von Wörtern 56 prestigeträchtiger Name für das zu sein, was man beim funktionalen Übersetzen schon seit längerem tut. (Zum Thema Lokalisierung vgl. Göpferich 2002: 335f.) Um noch ein Beispiel des literarischen Übersetzens zu zitieren: Den Begriff Lokalisierung (und auch den Begriff funktionales Übersetzen) gab es noch nicht, als George Lamb zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Liebeslieder Catulls ins Englische übersetzte. Er hat aber gerade das auf eine höchst gekonnte Weise getan. Er „domestizierte“ Catull, wie Lawrence Venuti feststellt, und passte ihn dem Zeitgeschmack an, indem er bürgerliche Wertvorstellungen wie Anstand und die Geheimhaltung der Liebe in seinen Übersetzungen erkennen ließ. (Venuti 1995: 81- 98) Bei den eben genannten Beispielen ging es um zielkulturelle Anpassungen. Man würde nun freilich das Wesen des funktionalen Übersetzens verkennen, wenn man glaubte, dass es dabei immer um Anpassung geht. Je nach Skopos kann die Übersetzung auch die Ausgangskultur sichtbar machen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von verfremdender Übersetzung. In literarischen Übersetzungen ist dies heute eine gängige Konvention. Leicht erkennbar ist dies z.B. daran, dass Personen- und Ortsnamen des Originals erhalten bleiben; auch das englische Sir als Anredeform finden wir in deutschen Dialogen, z.B. in Fernsehkrimis, die in England oder den U.S.A. spielen. Dadurch wird bewirkt, dass sich der Hörer/ Leser/ Zuschauer in die Ausgangskultur versetzt fühlt. Man ist dabei allerdings nicht ganz konsequent; wie wir sahen, werden z.B. Schimpfwörter den zielkulturellen Tabus angepasst. Allzu fremd soll uns ein Text eben doch nicht vorkommen. Ich denke, hier haben die Semantik und der Stil von Wörtern Vorrang gegenüber der Verfremdungskonvention. Wir wollen diesen Gedanken hier nicht weiter verfolgen; es wäre aber sicher interessant, literarische Übersetzungen einmal unter diesem Aspekt zu untersuchen. Wir haben die Aufgabe des Übersetzers als Kulturmittler betrachtet. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass Übersetzerinnen und Übersetzer immer häufiger mit Textproduktion in einem allgemeinen Sinne betraut werden. Einer meiner ehemaligen Studenten (Heiko Ahmann) hatte einmal die Aufgabe, Werbetexte für eine Sprachenschule zu verfassen. Bei einem Flyer der auf Messen in Peking und Shanghai verteilt werden sollte und der zunächst auf Deutsch verfasst und später ins Chinesische übersetzt wurde, ging es darum, die Wichtigkeit der deutschen Sprache in der Welt darzustellen. Zu diesem Zweck wurde Deutschland zum einen als Land mit großer Tradition und Kultur präsentiert, das Personen wie Einstein, Beethoven und Dürer hervorgebracht hat, und da laut Aussagen eines chinesischen Geschäftspartners Karl Marx in der VR China (noch) großes Ansehen genießt, wurde auch dieser in die Reihe aufgenommen. Zum anderen wurden Deutschlands wirtschaftliche Potenz und seine führende Stellung in der EU hervorgehoben und als Beispiele dafür aktuelle Großprojekte und große deutsche Firmen genannt, neben Daimler, VW etc. auch Siemens mit dem Staudammprojekt am Yangtse. Einige Zeit später wurde der Flyer als Grundlage für eine Werbebroschüre „Warum Deutsch lernen“ für das Ausland allgemein benützt. Aus nahe liegenden Gründen wurde auf Karl Marx in der Aufzählung verzichtet. Auch das Stau- <?page no="56"?> Aufgaben zu Kapitel 2 57 dammprojekt wurde weggelassen, nicht nur, weil es in der westlichen Welt kritische Stimmen (Umweltschutz! ) dazu gab, sondern ganz einfach wegen mangelnder Relevanz auf einem internationalen Markt (persönliche Information von Heiko Ahmann). 2.4 Aufgaben zu Kapitel 2 Aufgabe 1 In der oben erwähnten Umfrage Stigma wird eine Frage mit Antwortkategorien zur Religionszugehörigkeit gestellt. Die Antwortkategorien lauten: 00. None (Skip to Q88) 01. Protestant 02. Catholic 03. Jewish 04. Buddhism 05. Hinduism 06. Other Eastern 07. Moslem/ Islam 08. Orthodox Christian 09. Christian 10. Aboriginal 11. Inter-denominational 12. Other (specify) 13. DK (Don’t Know) Übersetzen Sie die Kategorien und achten Sie mindestens an zwei Stellen auf die kulturelle Anpassung an Deutschland bzw. an das deutschsprachige Land, in dem Sie leben! Begründen Sie Ihre Übersetzung, wenn Sie eine Anpassung vorgenommen haben. Aufgabe 2 Wir bleiben noch einen Augenblick bei der Religion. In der Umfrage Stigma wird an anderer Stelle danach gefragt, an wen sich ein psychisch Kranker nach Meinung des/ der Befragten um Hilfe wenden soll. Unter anderem erscheint hier die Kategorie: Turn to a minister, priest, Rabbi or other religious leader Übersetzen Sie die vorgegebene Antwort unter Anpassung an die deutsche Kultur. Begründen Sie Ihre Übersetzung kognitionssemantisch. <?page no="57"?> Die Umgebung von Wörtern 58 Aufgabe 3 Um noch ein anderes kulturelles Thema anzuschneiden: Die Stigma-Umfrage interessiert sich auch für den politischen Hintergrund ihrer Befragten. Zur Auswahl für die Antwort stehen: 1. Far left (communist etc.) 2. Left / centre left 3. Centre / liberal 4. Right / conservative 5. Far right (fascist etc.) 6. Other 7. No party, no preference 8. Don’t know 9. No answer Übersetzen Sie diese Kategorien! Zur Anpassung an Deutschland sollte eine Kategorie verändert werden. Außerdem empfiehlt es sich, ein paar Parteien als Beispiele zu nennen. Begründen Sie Ihre Übersetzungen mit den passenden kognitionslinguistischen und funktionalen Denkmustern. Aufgabe 4 In Aufgabe 4 des ersten Kapitels ging es um die Übersetzung von brothers and sisters. Wir greifen dieses Problem noch einmal auf, dieses Mal aber nicht unter dem Aspekt der lexikalischen Lücke, sondern der Situation und des Stils. An die Frage zum Thema Social Relations and Support Systems der Aufgabe 4 in Kap. 1 schließt sich folgende Frage an: Of your adult brothers and sisters, with whom do you have most contact? Als Antwort war anzukreuzen: With a brother With a sister Die Frage wurde übersetzt mit: Mit welchem Geschwisterteil haben Sie am meisten Kontakt? Beurteilen Sie die Übersetzung unter dem Gesichtspunkt Situation und Stil und machen Sie Verbesserungsvorschläge! Aufgabe 5 Der folgende Abschnitt ist wieder David Lodges Roman Therapy entnommen. In ihm kommt die Romanfigur Samantha zu Wort. Auch hier handelt sich um einen Dialog mit einer implizierten Gesprächspartnerin. Machen Sie sich zunächst einmal zum besseren Verständnis klar, wo dieses Gespräch stattfindet und in wel- <?page no="58"?> Aufgaben zu Kapitel 2 59 chem Zustand sich die Gesprächspartnerin befindet. Führen Sie dann eine Stil- und Situationsanalyse durch und versuchen Sie, den Abschnitt zu übersetzen! Samantha Hetty, darling, how are you? Omigod, I don’t need to ask, do I? Poor you. Your jaw is swollen out like a pumpkin. I expect you’re surprised to see me, but I phoned and your flatmate told me you were here, and as I was passing I thought I’d pop in even though it’s not a proper visiting hour. I don’t think they really mind, do they? Can’t you talk at all? Oh dear, what a shame. I was looking forward to a nice chat. Well, you’ll just have to nod and shake your head and use your eyes, darling, like a good television actress. (David Lodge: Therapy, London: 1996, S. 177) Aufgabe 6 Der folgende Textabschnitt (er stammt von mir) ist für Fachleute geschrieben. Übersetzen Sie ihn für Laien, die noch nie etwas von Sprach- und Übersetzungswissenschaft gehört oder gelesen haben. Die Übersetzung soll nicht Teil einer Einführung für Studierende sein, sondern Teil eines populärwissenschaftlichen Buchs für gebildete Leser, die sich für das Thema Übersetzen interessieren. The first step when translating words is the disambiguation of polysemous lexemes within their context. It may happen that for the lexeme in the source language there is a divergence of lexemes in the target language. Skilful translators will then imagine a prototypical scene for the meaning they have disambiguated. This will help them to choose the equivalent target lexeme. <?page no="60"?> 3 Wie genau soll eine Übersetzung sein? 3.1 Probleme, Gefahren und Risiken Als Übersetzer kennen wir Situationen wie diese: Soeben lief alles noch glatt und zügig. Quasi automatisch fielen uns zielsprachliche Formulierungen ein, bei denen wir das Gefühl hatten: Genau so stimmt es. Aber plötzlich kommt der Übersetzungsprozess ins Stocken. Wir müssen mühsam nach einer Entsprechung suchen. Was wir dann finden, verwerfen wir wieder. Wir schauen nochmals den Ausgangstext an. Die Suche beginnt von neuem. Vielleicht sind wir mutig und entfernen uns vom Text und stellen fest: So klingt es doch gut. Aber vielleicht fragen wir dann: Dürfen wir das? Altbekannte Klischees fallen uns ein: „So wörtlich wie möglich, so frei wie nötig“ (aber wer bestimmt, was nötig ist? ) oder „Traduttore - traditore“. Und Fragen tauchen auf wie: Wird es der Auftraggeber akzeptieren? Wird es der Leser verstehen? Sind wir noch loyal gegenüber dem Autor des Texts? Ist der Stil angemessen? Bleibt das Gemeinte erhalten? Oder allgemeiner: Erfüllt die Übersetzung ihren Zweck? So viele Fragen — sind sie ein Zeichen der Unsicherheit? Ein Zeichen, dass wir Probleme erkennen und Gefahren sehen, sind sie gewiss. Übersetzen ist ein Wagnis und birgt Risiken. „Ich gehe immer auf Nummer sicher“, sagte mir unlängst eine Kollegin, als wir die Übersetzung einer sozialwissenschaftlichen Umfrage diskutierten. In der Tat, wir wollen das Risiko möglichst gering halten. Und oft denken wir: Wenn wir nur genau genug übersetzen — was auch immer damit gemeint ist —, kann nichts passieren. Übersetzungswissenschaftler haben häufig beobachtet, dass Übersetzungen länger sind als die jeweiligen Originale, was damit zusammenhängt, dass Übersetzer offenbar das Bedürfnis haben, expliziter zu sein als das Original. (Explicitation als bekanntes Phänomen ist ein Eintrag im Dictionary of Translation Studies von Mark Shuttleworth und Moira Cowie, 1997.) Nuancen von Wortbedeutungen, die im Original nur impliziert sind, werden dann in der Übersetzung durch zusätzliche Wörter ausgedrückt, implizierte logische Relationen zwischen Sätzen werden durch Konjunktionen und Adverbien deutlich gemacht, kulturspezifische Begriffe, geographische Namen werden von den Übersetzern erklärt usw. Manche Übersetzungswissenschaftler sind sogar der Ansicht, dass die größere Explizitheit ein universales Phänomen des Übersetzens sei; es ist sogar von einem translation law die Rede. (Zum Thema Explizitheit vgl. Chesterman 1997: 71, Englund-Dimitrova 2005: 33-44.) Man kann dieses Verhalten im Zusammenhang mit Risikominderung sehen. Je expliziter ich formuliere, so denken wohl viele Übersetzer, desto genauer formuliere ich und desto sicherer kann ich sein, dass nichts an Informationen verloren geht und der Leser die Dinge richtig versteht. <?page no="61"?> Wie genau soll eine Übersetzung sein? 62 Dies ist eine menschlich verständliche, aber kommunikativ gesehen problematische Einstellung. Ich werde im Folgenden zeigen, wie man sie ersetzen kann. Nehmen wir einmal an, in einem Roman wäre folgende Stelle zu übersetzen (Beispiel von mir): He looked rather intellectual to us, and we were curious to find out what his profession was, so I said to him: „My wife and I were wondering if you are a journalist? ” „I am only a solicitor“, he replied with a smile. Wäre der letzte Satz genau genug übersetzt mit „Ich bin nur ein Rechtsanwalt“? Im Britischen Englisch wird ja unterschieden zwischen barrister (a lawyer in Britain who can argue cases in the higher law courts, DCE) und solicitor (a type of lawyer in Britain who gives legal advice, prepares the necessary documents when property is bought or sold, and defends people, especially in the lower courts of law, DCE). Sollte man nicht, um auf Nummer sicher zu gehen, die im DCE angegebene Spezifizierung für die Übersetzung verwenden, zumal im Kontext von only? Wir kommen auf dieses Beispiel unten zurück; zunächst sei aber noch etwas weiter ausgeholt, um zu zeigen, welchen Stellenwert die Risikofrage beim Übersetzen einnimmt und welche Verfahren es gibt, um Risiken zu vermeiden oder wenigstens zu mindern. Oder vielleicht ist es ja auch so, dass Übersetzen gar nicht möglich ist, ohne dass wir Risiken eingehen. Wie wir sehen werden, spielen Verstehensprozesse auch in diesem Zusammenhang eine Rolle. Risiken sind mit allen Arten von Übersetzungen verbunden. Literarische Übersetzungen können z.B. durch einen undifferenzierten Stil die Qualität eines Werks und damit das Ansehen des Autors mindern. Übersetzungen von technischen Dokumentationen können durch unklare oder unverständliche Sicherheitshinweise Schäden verursachen. Der Auftraggeber hat dann das Recht, den Übersetzer auf Schadenersatz zu verklagen (Schmitt 1999: 129). Übersetzer schließen deshalb Haftpflichtversicherungen ab. Bei der Übersetzung sozialwissenschaftlicher Umfragen, aus denen viele unserer Beispiele stammen, wird das Thema Risiko auf exemplarische Weise deutlich. Sie ist auf den ersten Blick einfach, birgt aber viele Arten von Gefahren. Unangemessene Übersetzungen und Fehler, vor allem im Bereich der Wortbedeutung, gefährden das Verständnis von Fragen und können dadurch die Antworten der Befragten verfälschen und die Umfrage stellenweise entwerten. Dies kann sehr hohe Kosten verursachen (Harkness 2003: 40). Vor kurzem hat der Übersetzungswissenschaftler Wolfram Wilss den Begriff „Risikomanagement“ ins Spiel gebracht (Wilss 2005). Dieser, wie Wilss zeigt, zunächst in der Betriebswirtschaftslehre entstandene und inzwischen in vielen Lebensbereichen benützte Begriff bezeichnet ziemlich genau, was Übersetzer und Übersetzerinnen beim Problemlösen tun oder zumindest zu tun versuchen. Wer kein Übersetzer ist, wird vielleicht sagen, und sagt dies auch oft genug als Auftraggeber: „Was redet ihr von Risiko? Ihr habt es doch leicht. Euch ist doch genau vorgegeben, was ihr tun müsst. Ihr habt einen Text vor euch. Übersetzt einfach, was da steht! “ Dies ist natürlich völlig naiv. Wie die Probleme aus der Sicht der Übersetzer empfunden werden, habe ich in diesem Kapitel einleitend impressionistisch zu beschreiben versucht. Weniger impressionistisch ausgedrückt: Es geht <?page no="62"?> Äquivalenz 63 um die komplexen Beziehungen zwischen sprachlichen Formen und Strukturen und ihrer Bedeutung in einer bestimmten Situation in der Ausgangskultur und darum, wie diese Bedeutung in der Zielsprache, deren Formen und Strukturen häufig genug ganz anders sind, unter Berücksichtigung von Situation, Kultur und Übersetzungsauftrag wiedergegeben werden kann. Wilss hebt hervor, dass es beim Übersetzen um Entscheidungen geht, und er spricht von der in unserem Zusammenhang wichtigen „Entscheidung unter Unsicherheit“ (Wilss 2005: 662). 3.2 Äquivalenz Übersetzungswissenschaftler haben sich natürlich schon seit langem Gedanken gemacht, wie man Risiken mindern kann, auch wenn sie dies nicht ausdrücklich mit dem Begriff „Risiko“ in Zusammenhang gebracht haben. Schon sehr früh wurden, vor allem in der „Leipziger Schule“ (dazu Neubert 1968 Hrsg. und Neubert/ Kade 1973), Begriffe erörtert, die, obgleich umstritten, bis heute eine Rolle spielen und mit denen man versucht hat, Probleme zu lösen und Risiken zu mindern. Es sind dies die Begriffe „Invarianz“, „Äquivalenz“ und „Adäquatheit“. Diese Begriffe übten zunächst eine starke Faszination aus, denn man erhoffte sich, mit ihnen einen von Zufälligkeiten befreiten Kern des Übersetzens herausschälen zu können. Und je weniger Zufälle es gibt, desto geringer ist das Risiko. Otto Kade formulierte es so: Hauptaufgabe der speziellen Übersetzungswissenschaft ist […] die Aufdeckung und Beschreibung des objektiv vorhandenen Systems der potenziellen Äquivalenzbeziehungen zwischen zwei Sprachen, das überhaupt die Translation ermöglicht und das jedem konkreten Translationsakt zugrunde liegt. Dabei ist zu beachten, dass das sprachliche System eine Abstraktion ist. (Kade 1968: 95) Objektivität wird hier freilich um den Preis der Ausgrenzung pragmatischer Faktoren erzielt, also der Situation und der Kultur. Kade hat das natürlich gesehen. Er spricht ja auch von Abstraktion. Die Geschichte des Äquivalenzbegriffs hat allerdings deutlich gemacht, dass man bei dieser Ausgrenzung nicht stehen bleiben kann. Der Begriff wurde immer mehr differenziert, so dass auch textuelle, kommunikative, funktionale und die in Kap. 2 beschriebenen pragmatischen Faktoren einbezogen werden konnten (Neubert 2004: 338, Koller 2004: 351, Wotjak 1997: passim). Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass die so genannten Funktionalisten und die Anhänger der Skopostheorie, zu denen ich mich auch zähle, in den 1980er Jahren gegen den Äquivalenzbegriff polemisierten. Äquivalenzvertreter, so hieß es polarisierend, schauen nur auf den Ausgangstext, aber Funktionalisten schauen auf den zielsprachlichen Empfänger, und bei einem entsprechenden Skopos — wenn z.B. die Textfunktion verändert wird — spielt dann Äquivalenz keine Rolle mehr. (Vgl. dazu z.B. Snell-Hornby 1986: 13-22, Kußmaul 1986: 224f.) Inzwischen haben wir die Phase der Polemik und des Polarisierens hinter uns <?page no="63"?> Wie genau soll eine Übersetzung sein? 64 gelassen. Man kann die Dinge wohl so sehen, dass Äquivalenz kein von vornherein gültiges Übersetzungsprinzip ist. Der übergeordnete Aspekt beim Übersetzen ist vielmehr der Skopos oder die Funktion der Übersetzung. Aber wenn der Skopos die Funktionskonstanz zwischen Ausgangs- und Zieltext ist (vgl. Kap.2.3), dann kann Äquivalenz, allerdings mit allen Differenzierungen des Begriffs, ein nützlicher Gesichtspunkt sein. In der hier immer wieder erwähnten Umfragenübersetzung spielt das Äquivalenzprinzip, wie man sich denken kann, eine nicht unwichtige Rolle. Äquivalenz in Umfragen heißt: In der Übersetzung soll die gleiche Frage gestellt werden wie im Ausgangstext, damit es nicht zu Verfälschungen der Antworten kommt. In der Literatur zur Umfragenübersetzung wird dies als ASQ (Ask the Same Question) Model bezeichnet (Harkness 2003: 35, Harkness et al. Hrsg. 2003: 8). Zu diesem Zweck wird eine ganze Reihe von Schritten durchgeführt, bis eine Übersetzung schließlich in einer groß angelegten Umfrage verwendet werden kann. Dies ist das so genannte TRAPD-Verfahren. Das Akronym steht für translation, review, adjudication, pretesting, documentation (Harkness et al. Hrsg. 2004: 465). Es lässt sich wiedergeben mit „Übersetzung, Überprüfung, Entscheidung für eine Übersetzungsvariante, Testlauf, Dokumentation“. Durch diese Vielzahl von Phasen ist die organisatorische Grundlage für Äquivalenz gegeben. Doch es kommt darauf an, was in diesen Phasen inhaltlich passiert. Und man wird sich als Übersetzer immer wieder fragen müssen, was es eigentlich heißt, die gleiche Frage zu stellen wie im Ausgangstext. Ganz sicher kann es nicht heißen, die Frage des Ausgangstextes einfach Wort für Wort zu übersetzen. Ein im Zusammenhang mit dem ASQ Model von den Soziologen häufig verwendeter Begriff ist close translation (Harkness at al. Hrsg. 2004: 461f.). Gemeint ist damit ein in hohem Maße wörtliches Übersetzen. Im Idealfall soll die Rückübersetzung wieder zum Ausgangstext führen. Dies ist, wie die Übersetzungswissenschaft längst erkannt hat, natürlich eine höchst problematische Vorstellung. Eine Rückübersetzung ist nur in solchen Fällen möglich, in denen Texte oder Textsegmente zweier Sprachen völlig strukturgleich sind (z.B. The flower is blue. - Die Blume ist blau.), aber das ist eher selten der Fall, und Probleme werden damit schon gar nicht gelöst. Wer glaubt, dass man durch Rückübersetzungen Äquivalenz testen kann, übersieht, dass die Systeme zweier Sprachen eher verschieden sind als ähnlich. Was gleich aussieht, ist oft nicht gleich. Wir haben dies in Kap. 1 in Bezug auf die lexikalischen Systeme gesehen. Mit einem oberflächlichen Gleichheitsbegriff können wir nichts anfangen. Man kann mit dem Linguisten und Übersetzungswissenschaftler Jörn Albrecht nicht genug betonen, dass Äquivalenz nicht „Gleichheit“, sondern „Gleichwertigkeit“ bedeutet (2005: 33). Was heißt aber nun Gleichwertigkeit? <?page no="64"?> Der notwendige Differenzierungsgrad 65 3.3 Der notwendige Differenzierungsgrad Als Hans Hönig und ich 1982 unser Buch Strategie der Übersetzung publizierten, schlugen wir als Antwort auf die Frage „Wie genau soll man übersetzen? “ die Strategie des notwendigen Differenzierungsgrades vor. Durch Mary Snell-Hornbys ausführliche Erörterung in ihrem erfolgreichen Buch Translation Studies. An Integrated Approach (1988) wurde diese Strategie auch in der angelsächsischen Übersetzungswissenschaft bekannt und unter dem Namen Degree of Differentiation oder Degree of Precision in das Dictionary of Translation Studies von Mark Shuttleworth und Moira Cowie (1997) aufgenommen. Auch in Arbeiten zur Übersetzungsdidaktik und in Einführungen in die Übersetzungswissenschaft wird das Prinzip des Differenzierungsgrads als Entscheidungskriterium inzwischen diskutiert (Hohenadl/ Will 1994: 39,84; Kautz 2000: 110-113, Prun 2001: 158-160, Stolze 2001: 146). Ich referiere, was wir damals geschrieben haben, und kommentiere es aus heutiger Sicht. Wir beschrieben die Strategie als eine Abfolge von Schritten: Er [der Übersetzer] nimmt den AS-Text als Übersetzer zur Kenntnis und bezieht ihn auf seine Situation als Übersetzer. Er präzisiert den Übersetzungsauftrag und legt die kommunikative Funktion des ZS-Textes fest, wobei er sich an den pragmatischen Erwartungen seiner Adressaten orientiert. Aus dieser kommunikativen Funktion leitet er den notwendigen Grad der Differenzierung ab, indem er die relevante Grenze zwischen Verbalisierung und soziokulturellem Situationshintergrund im AS-Text bestimmt, und dann als Sender des ZS-Textes auf dem Hintergrund der soziokulturellen Situation seiner Adressaten den notwendigen Grad der Differenzierung seiner Verbalisierung festlegt. (Hönig/ Kußmaul 1982: 58) Diese etwas abstrakte Beschreibung illustrierten wir am Beispiel des Worts public school (vgl. zum Folgenden Hönig/ Kußmaul 1982: 53f. und 58). Im Zitat ist die Rede von kommunikativer Funktion eines ganzen Texts. Aus Gründen der leichteren Überschaubarkeit beschränkten wir uns jedoch auf einzelne Sätze als Beispiele; man kann ja auch Sätze als Texte betrachten. Außerdem ist zu bedenken, dass auch die einzelnen Sätze eines Texts eine Funktion haben, die natürlich in einer Relation zur Gesamtfunktion des Texts steht. In den folgenden beiden Beispielen erscheint jeweils der Name einer berühmten public school. Aber der Satz (1) In Parliament he fought for equality, but he sent his son to Winchester. ist anders zu übersetzen als der Satz (2) When his father died, his mother could not afford to send him to Eton any more. In beiden Beispielen gibt bereits der Kontext des vorausgehenden Teilsatzes Aufschluss über die Funktion des Worts. Wenn man will, kann man sich größere Kontexte dazu denken; für (1) z.B. eine kritische Glosse über einen Politiker, für (2) z.B. die Geschichte einer Familie der englischen Mittelschicht. Nach dem Prin- <?page no="65"?> Wie genau soll eine Übersetzung sein? 66 zip des notwendigen Differenzierungsgrads wären die folgenden Übersetzungen ausreichend genau. Man könnte auch sagen, sie wären gleichwertig mit dem Ausgangstext. (1a) Im Parlament kämpfte er für Chancengleichheit, aber seinen eigenen Sohn schickte er auf eine der englischen Eliteschulen. (2a) Als sein Vater starb, konnte seine Mutter es sich nicht mehr leisten, ihn auf eine der teuren Privatschulen zu schicken. Man könnte überlegen, ob nicht auch in (1a) „teure Privatschule“ eine passende Übersetzung wäre, mit dem Argument „teuer“ sei auch ein Gegensatz zu Chancengleichheit. Sicher kann man „teuer“ im Kontext dieses Satzes so verstehen, aber ich denke, „Eliteschule“ macht noch deutlicher, worum es geht. Wie wir inzwischen durch die Prototypensemantik wissen, sind die Grenzen zwischen Vorstellungen fließend, und manche Wörter treffen eher den Kern einer Vorstellung als andere. Zu überlegen wäre also, ob „Eliteschule“ eher den Kern eines Verstoßes gegen Chancengleichheit trifft als „teure Privatschule“. Dies mag jeder für sich selbst entscheiden. In dem Wort public school ist natürlich viel mehr Information enthalten, als in den beiden Übersetzungen zum Ausdruck kommt, aber die Übersetzungen „englische Eliteschulen“ und „teure Privatschulen“ enthalten genau die Information, die in diesem Kontext notwendig ist. Man könnte auch sagen: Sie sind, informativ gesehen, gleichwertig mit public school. Nachdem meine Studentinnen und Studenten das Buch Die Strategie der Übersetzung gelesen hatten — dies als Ergänzung aus heutiger Sicht —, wurde ich manchmal gefragt: „Gibt es jetzt eigentlich bei Fehlern überhaupt noch die Beurteilung ‚richtig’ und ‚falsch’, oder heißt das, was man bisher ‚falsch’ nannte, jetzt ‚unterdifferenziert’ oder ‚überdifferenziert’? “ Zur Bewertung von Übersetzungen schlägt Anthony Pym (1992) vor, zwischen binären (binary) und nichtbinären (non-binary) Fehlern zu unterscheiden. Binäre Fehler können innerhalb der Dimension richtig-falsch beschrieben werden, d.h. wir können dann ein qualitatives Urteil abgeben. Wäre der Satz (1) also z.B. übersetzt worden durch (1b) Im Parlament kämpfte er für Chancengleichheit, aber seinen eigenen Sohn schickte er auf die öffentliche Schule in Winchester, so wäre das schlicht und einfach falsch. Es handelt sich ja gerade nicht um eine öffentliche, sondern um eine private Schule. Bei nichtbinären Fehlern lautet ein typischer Kommentar dagegen: „Es ist nicht direkt falsch, aber…“ Solche Fehler können quantitativ beschrieben werden, und man kann sagen, eine Lösung sei nicht gut genug, eine Lösung sei besser als eine andere usw. So wäre z.B. eine Übersetzung wie (1c) Im Parlament kämpfte er für Chancengleichheit, aber seinen eigenen Sohn schickte er nach Winchester. <?page no="66"?> Der notwendige Differenzierungsgrad 67 für einen deutschen Leser, der nicht weiß, wofür Winchester steht, nicht direkt falsch, aber nicht genau genug, also unterdifferenziert, und müsste nach einem nichtbinären Maßstab klassifiziert werden. Die in public school enthaltene und durch den Satz im Ausgangstext in den Vordergrund gerückte Eigenschaft „elitär“ könnte vom Leser nicht ohne weiteres erschlossen werden. Eine Übersetzung dagegen wie (2b) Als sein Vater starb, konnte seine Mutter es sich nicht mehr leisten, ihn nach Eton zu schicken, jene teure englische Privatschule, aus deren Absolventen auch heute noch ein Großteil des politischen und wirtschaftlichen Führungsnachwuchses hervorgeht. wäre viel zu detailliert. Zwar hat der Übersetzer hier die im Originalsatz implizierte Tatsache, dass es sich um eine teure Schule handelt, explizit gemacht, aber so viele zusätzliche Informationen hinzugefügt, dass man geradezu sagen kann, dass die hier wichtigste Information, nämlich „teuer“, verdeckt wird. Wenn der Text jedoch das Thema „das englische Bildungssystem“ hätte, könnte man sich überlegen, ob man public school auf diese Weise detailliert übersetzen sollte. Das Prinzip des notwendigen Differenzierungsgrads — dies ein weiterer Zusatz aus heutiger Sicht — lässt sich durch psycholinguistische Beobachtungen untermauern. Eine Gruppe von Psycholinguisten (Barcley et al. 1974) stellte anhand von Experimenten fest, dass wir im Verstehensprozess nicht alle potenziellen Eigenschaften einer Vorstellung (mit Fillmore können wir hier auch von einer „Szene“, die „Elemente“ enthält, sprechen) aktivieren, sondern nur die im Kontext relevanten, manchmal nur eine einzige. („Aktivieren“ ist ein von Psycholinguisten in diesen Zusammenhängen verwendeter Terminus, wir könnten auch sagen „wird in unserer Vorstellung lebendig“.) Dies lässt sich durch ein inzwischen häufig zitiertes Beispiel aus diesen Experimenten illustrieren (Barcley et al. 1974: passim). Das Wort lavier hat potenziell eine ganze Reihe von Eigenschaften: SCHWER, HÖLZERN, TÖNEND, SCHÖN usw. Wenn jedoch jemand die Sätze 1. Der Mann hob das Klavier. 2. Der Mann zertrümmerte das Klavier. 3. Der Mann stimmte das Klavier. 4. Der Mann photographierte das Klavier. hört oder liest, aktivieren die Verben jeweils nur eines der verschiedenen Elemente der Szene „Klavier“. Der erste Satz aktiviert das Element SCHWER, der zweite das Element HÖLZERN, der dritte das Element TÖNEND, der vierte das Element SCHÖN (Barcley et al. 1974: 476). Es erscheint mir wichtig, auf die Rolle der Verben in diesen Sätzen hinzuweisen. Sie sind der Kontext, in dem eine Vorstellung lebendig wird. In diesen Beispielen, die ja jeweils nur aus einem Satz bestehen, ist der Kontext nicht sehr umfangreich. In der Praxis des Übersetzens ist ein solch minimaler Kontext eher die Ausnahme. Meist müssen wir etwas weiter blicken, manchmal ganze Abschnitte ins Auge fassen, um zu merken, was aktiviert wird, d.h. um zu erkennen, was <?page no="67"?> Wie genau soll eine Übersetzung sein? 68 relevant ist. Es ist wichtig, den Kontext auf sich wirken zu lassen. Er löst bei uns die szenischen Vorstellungen aus, mit Hilfe derer wir entscheiden können, wie genau wir übersetzen sollen. Manche Psycholinguisten (z.B. Langacker 1987: 120f.) sprechen in diesen Zusammenhängen auch von Fokussierung und Vordergrund und Hintergrund. Man könnte dann z.B. sagen, im ersten Satz werde das Element SCHWER fokussiert, trete also in den Vordergrund, und die übrigen Elemente träten in den Hintergrund. Wenn wir diese Beobachtungen auf unser Beispiel public school anwenden, können wir sagen: Im Satz (1) wird das Element „elitär“ und im Satz (2) die Eigenschaft „teuer“ der Szene public school, die noch eine ganze Reihe von Elementen, wie z.B. „traditionell“ und „erfolgsfördernd“ enthält, vom Leser aktiviert. Kommen wir nun auf die Übersetzung des Beispiels „solicitor“ in Abschnitt 3.1 zurück; manche Leser werden schon ungeduldig darauf warten. In der Äußerung des ersten Sprechers kommt eine Klischeevorstellung (eine prototypische Szene) von Journalisten als Intellektuellen mit meist hohem gesellschaftlichem Status zum Ausdruck. Der Angesprochene nimmt dazu durch das Wort only ironisch Stellung und stellt seinen Beruf bescheiden als weniger statusträchtig dar. Dies ist die Funktion der Textstelle. Psycholinguistisch gesprochen wird hier das Element „Status“ aktiviert. Elemente wie „Rechtsberatung“, „Erstellen von Dokumenten“ usw., wie sie in der Definition des DCE enthalten sind, treten in den Hintergrund. Eine Übersetzung wie Ich bin nur ein kleiner Anwalt ist ausreichend differenziert. Durch die Wörter „nur“ (wie im Ausgangstext) und „kleiner“ wird das Element „Status“ fokussiert. (Didaktische Anmerkung: Es ist hilfreich sich beim Übersetzen ins Gedächtnis zu rufen, dass wir Elemente, die in einem Wort implizit enthalten sind, durch ein zusätzliches Wort explizit machen können.) Wenn solicitor und barrister in einem Informationstext über englische juristische Berufe erscheinen würden, müsste natürlich mit zusätzlichen Erklärungen genauer differenziert werden. Die Szene spielt in England. In Deutschland wäre dieser Dialog mit den gleichen Statusimplikationen nicht möglich. Bei uns genießt ein Rechtsanwalt vermutlich einen höheren Status als ein Journalist, zumindest keinen geringeren. Hans Hönig und ich verwendeten einen kulturspezifischen Begriff als Beispiel. Dadurch entstand wohl bei manchen Lesern der Eindruck (z.B. Shuttleworth/ Cowie 1997: 37f.), die Strategie des notwendigen Differenzierungsgrads gelte nur für solche Fälle. So war das keineswegs gemeint; im weiteren Verlauf unseres Buchs wandten wir diese Strategie ja auch auf andere Beispiele an. Da im vorliegenden Buch für Praxisbeispiele immer wieder auf sozialwissenschaftliche Umfragen zurückgegriffen wird, sei gezeigt, wie sich die Strategie generell anwenden lässt. Eine Frage des European Social Survey (ESS) 2004 lautete: <?page no="68"?> Der notwendige Differenzierungsgrad 69 Suppose you had a very sore throat. Who, if anyone, would you go to first for advice or treatment? Please choose one answer from this card. Als Antwort war zu wählen zwischen: Nobody / Friends and family / Pharmacist / Chemist / Drugstore / Doctor / Nurse / The internet / A medical helpline / Other practitioner. Other practitioner wurde übersetzt durch Andere Gesundheitsspezialisten oder Alternativmediziner. Diese Übersetzung entspricht auf den ersten Blick nicht dem Prinzip der für Umfragen so nachdrücklich geforderten Äquivalenz. Sie enthält zu viele Wörter. Als Äquivalent hätte man so etwas wie „Andere Ärzte“ oder „Andere Allgemeinmediziner“ erwartet. Doch eine solche Übersetzung wäre unterdifferenziert. Die Befragten hätten dann Schwierigkeiten mit der Wahl ihrer Antwort. Worauf es in diesem Kontext ankommt, ist der Gegensatz zu Doctor, was auch durch die Endposition in der Liste deutlich wird, nämlich eine Alternative zur Schulmedizin. Genau das bringt die Übersetzung durch die Hinzufügung des Worts „andere“ und die Spezifizierung durch das Kompositum „Alternativmediziner“ zum Ausdruck. Auch eine Übersetzung durch „Heilpraktiker“ würde hier den notwendigen Gegensatz ausdrücken. Die hier erforderliche Präzision kommt der Genauigkeit eines Fachtexts nahe. Die Übersetzung ist eigentlich genauer als der Ausgangstext. Vielleicht wäre es, um das Risiko gering zu halten, nicht schlecht gewesen, auch im Ausgangstext zu spezifizieren und damit eine passende Szene im Gedächtnis des Befragten aufzurufen, z.B. durch Hinzufügung eines Beispiels wie nature healer. Auch das Umgekehrte kommt vor: Der Zieltext ist weniger spezifisch als der Ausgangstext. In der Frage (ebenfalls aus dem ESS 2004; das Thema des Abschnitts ist „soziale Kontakte“) How often do you meet socially with friends, relatives or work colleagues? wurde meet socially schlicht und einfach mit „treffen Sie sich” übersetzt. Dies ist ausreichend differenziert, klar genug und damit risikofrei, denn man denkt dabei an eine Szene wie: Man trifft sich zu einer Tasse Kaffee, zum Essen, in der Kneipe usw. Eine scheinbar genauere Übersetzung wie „treffen Sie sich bei geselligen Ereignissen oder gesellschaftlichen Anlässen” würde ganz andere Szenen wie z.B. eine Einladung, einen Empfang oder ein Betriebsfest wachrufen, die hier sicher nicht in erster Linie gemeint sind, sondern höchstens „am Rande“. Dadurch könnte die Beantwortung der Frage verfälscht werden. An diesen Beispielen aus Umfragen wird deutlich, dass die Strategie des notwendigen Differenzierungsgrads dem Äquivalenzprinzip nicht widerspricht, sondern im Gegenteil dazu dienen kann, Äquivalenz, richtig verstanden, herzustellen. Äquivalenz herstellen, heißt, sich zu überlegen, was sich in den Köpfen der Leser abspielen soll, und sich von diesen Überlegungen beim Formulieren leiten zu lassen. <?page no="69"?> Wie genau soll eine Übersetzung sein? 70 3.4 Absicherung und Vertrauen Das Bedürfnis, Risiken zu mindern, ist wohl allgemein menschlich, und dem entspricht das Bestreben von Übersetzern, möglichst genau zu sein und Äquivalenz zu erzielen. Die Maxime vom notwendigen Differenzierungsgrad knüpft an dieses Bedürfnis an und stellt einen Entscheidungsrahmen für das Maß der Genauigkeit zur Verfügung. Sie entspricht, wie wir sahen, im Gehirn ablaufenden, von der Psycholinguistik erforschten Verstehensprozessen. Man kann das in diesem Kapitel bisher Gesagte mit zwei Alltagsbegriffen zusammenfassen, und zwar mit den Begriffen „Absicherung“ und „Vertrauen“. Wenn wir uns beim Sprechen oder Schreiben absichern wollen, können wir unsere Begriffe klären („Ich meine damit…“), manche Dinge umformulieren („mit anderen Worten …“), im mündlichen Gespräch nachfragen, ob der Gesprächspartner das Gesagte richtig verstanden hat („Verstehst du, was ich meine? “) usw. Psycholinguistisch gesprochen, unterstützen wir damit beim Hörer bzw. Leser die bereits in Kap. 1 erwähnten Bottom-up-Prozesse. Wenn wir übersetzen, entsprechen wir dem Bedürfnis nach Absicherung, indem wir sorgfältig den Ausgangstext analysieren und dann die passenden Wörter in der Zielsprache suchen und unter Umständen noch Wörter hinzufügen, um das im Ausgangstext Gemeinte auch ja richtig wiederzugeben. Damit verstärken wir die Bottom-up-Prozesse beim Leser. Das ist, wie oben schon gesagt, vielleicht auch einer der Gründe, weshalb Übersetzungen meist länger sind als das Original. Das Prinzip des Vertrauens dagegen beruht auf der Annahme, dass Kommunikation besonders dann ökonomisch und reibungslos abläuft, wenn wir bestimmte Dinge als gegeben voraussetzen. Wir vertrauen darauf, dass unser Gegenüber uns richtig versteht, auch wenn wir nicht alles ganz ausführlich sagen. Wir wissen, dass unsere mentalen Repräsentationen, wie schon in Kap. 1 erwähnt, unscharfe Ränder haben, und nehmen bei unseren sprachlichen Äußerungen ein gewisses Maß an Unschärfe (fuzziness) in Kauf. Wenn wir z.B. jemanden treffen, der von einer Party nach Hause kommt, dann fragen wir meist: „Wie war es? “ Und die Erwiderung lautet normalerweise nicht: „Was meinst du mit ‚es’? “ Wir verstehen, worauf sich das Pronomen bezieht, auch wenn der Sprecher hier vage bleibt. Das Vertrauensprinzip basiert darauf, dass wir mit dem richtigen Funktionieren der Top-down-Prozesse rechnen, durch die unser im Gedächtnis gespeichertes Wissen zum Einsatz kommt. Mit anderen Worten, was wir hören oder lesen, ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist das Wissen, welches in unseren Köpfen schon vorhanden ist. Umberto Eco liefert für das, was ich hier meine, ein schönes, romantisches Beispiel, in dem es ebenfalls um ein Pronomen geht: Nach langer Bekanntschaft mit einem unglücklich Liebenden, der unablässig und obsessiv von einer Geliebten schwärmte, die ihn verlassen hatte (und von der ich nicht einmal weiß, ob sie ein reales Wesen oder eine Ausgeburt seiner <?page no="70"?> Absicherung und Vertrauen 71 Phantasie war), würde ich, wenn er mich plötzlich anriefe, um mir mit freudetrunkener Stimme zu sagen: Sie ist endlich zu mir zurückgekommen! , die mögliche Welt der Erinnerungen oder Phantasien des Betreffenden zu rekonstruieren versuchen und wäre so in der Lage zu verstehen, dass die zurückgekommene Sie ebenjene Geliebte ist — und es wäre roh und gefühllos von mir, wenn ich ihn fragen würde, von wem er spreche. (Eco 2006: 55) Übersetzen nach dem Vertrauensprinzip bedeutet, dass wir uns mit einer Lösung zufrieden geben, auch wenn sie nicht alles explizit macht. Es macht uns nichts aus, manche Dinge unscharf zu lassen, weil wir die berechtigte Hoffnung haben, dass der Leser die Dinge aufgrund seines Wissens, des Kontexts und der Situation richtig verstehen wird. Mit anderen Worten: Wir vertrauen darauf, dass der Leser das, was wir geschrieben haben, plausibel interpretiert. Es stellt sich nun die Frage: Welches Prinzip hat beim Übersetzen Vorrang — das Prinzip der Absicherung oder das Prinzip des Vertrauens? Es gibt Textsorten, bei denen das Absicherungsprinzip Vorrang hat, z.B. Gesetzestexte und Verträge, denn hier muss alles hieb- und stichfest sein. Dies gilt wohl auch für bestimmte Passagen in Anleitungen, Handbüchern und Produktdokumentationen, also in Fachtexten. In den so genannten gemeinsprachlichen Texten (und bis zu einem gewissen Grad gehören auch Umfragen dazu) herrscht normalerweise das Vertrauensprinzip vor. Allzu explizit zu sein, wäre in solchen Texten eher unnatürlich. Aber „vorherrschen“ bedeutet nicht, dass das jeweils andere Prinzip ausgeschlossen ist. Übersetzen ist wohl immer ein Balanceakt zwischen Vertrauen und Absicherung. Die Strategie des notwendigen Differenzierungsgrads kann uns helfen, die Balance zu halten. Übersetzen — ein Balanceakt <?page no="71"?> Wie genau soll eine Übersetzung sein? 72 3.5 Aufgaben zu Kapitel 3 Aufgabe 1 Im International Social Survey Programme (ISSP) 2003 ging es unter anderem um das Thema nationale Identität und dabei um die Einstellung zu Migranten. Eine Frage lautete: How much do you agree or disagree with the following statements a. Immigrants increase crime rates b. Immigrants are generally good for [COUNTRY’S] economy c. Immigrants take jobs away from people who were born in [COUNTRY] Die letzte Frage lautete in der Rohübersetzung: Zuwanderer nehmen Menschen, die in Deutschland geboren sind, Arbeitsplätze weg. Beurteilen Sie die Übersetzung nach dem Prinzip des notwendigen Differenzierungsgrads! Aufgabe 2 In einem Klausurtext für die Vorprüfung am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim ging es um das Thema Essgewohnheiten. Hier der Anfang des Texts: Are you an emotional eater? Stress, anxiety often lead to poor food choices By Karen Collins, R.D. Dec. 21 — What’s one of the biggest stumbling blocks for people trying to lose weight or eat more healthfully? For many, it’s not a rational problem solved by reading labels or planning meals. It’s emotion-based eating that gets them side-tracked. ACCORDING TO the American Dietetic Association, many people eat for emotional reasons, and this often leads to overeating or making poor food choices. Studies suggest that emotional eating is often related to stress or anxiety. One recent study in the International Journal of Eating Disorders compared the daily journals kept by a group of normal-weight women, half of whom were binge-eaters. Those who engaged in binge eating rated daily hassles as significantly more stressful than those who did not. […] (MSNBC (Internet Version) 21.12.2002) Für die Wortgruppe poor food choices im Untertitel erhielt ich von den Klausurteilnehmern eine Reihe von Varianten: <?page no="72"?> Aufgaben zu Kapitel 3 73 Stress und Sorgen führen oft zu nicht ausreichender Ernährung. zu ungesundem Essverhalten. zu schlechter Ernährung. dazu, zu viel, zu unregelmäßig und nicht abwechslungsreich genug zu essen. dazu, sich falsch zu ernähren. Beurteilen sie die Varianten nach dem Grad der notwendigen Differenzierung. Aufgabe 3 In einem anderen Vorprüfungstext ging es um das Thema, welche Rolle die Natur bei der Therapie in Kliniken und Rehabilitationszentren spielen kann. Ein Textabschnitt lautete: A similar experience inspired Seattle landscape architect Daniel Winterbottom to begin designing healing gardens. Taking care of his mother, an ovarian cancer patient, when she was being treated in a city hospital, he found that the sterile smells, cold, institutional furniture and „pea-green walls“ all seemed to make her sicker. „The smell of the food alone was enough to make her nauseous,” he laughs ruefully. Yet she drew solace from the sight of a single tree outside her window. „What a beautiful tree that is! “ she would remark. (MSNBC (Internet-Version) 12.01.2002) Überlegen Sie sich eine Übersetzung für das Wort cold in der dritten Zeile. <?page no="74"?> 4 Verstehen, Recherche und Textanalyse 4.1 Arten der Wissenserweiterung Man kann Recherchieren als eine eigenständige Tätigkeit betrachten. In der Übersetzerausbildung gibt es dafür spezielle Lehrveranstaltungen in „Recherchierkompetenz“, oder sie werden zumindest gefordert. Recherchieren, vor allem mit elektronischen Hilfsmitteln, ist eine komplexe Tätigkeit, deren Beherrschung einen beträchtlichen Zeitaufwand erfordert. Es gibt dafür sogar schon eigene Lehrbücher, z.B. Frank Austermühl: Electronic Tools for Translators (2001). Auch im Handbuch Didaktik des Übersetzens und Dolmetschens von Ulrich Kautz (2000) nimmt das Recherchieren einen breiten Raum ein (Kap. 4.2.1.4). Die Untersuchung von Britta Nord: Hilfsmittel beim Übersetzen. Eine empirische Studie zum Rechercheverhalten professioneller Übersetzer (2002) enthält ebenfalls ein detailliertes Kapitel (3.2) zur Hilfsmitteldidaktik. Auf diese drei Bücher möchte ich hier ausdrücklich hinweisen. Mit solchen Büchern und Kapiteln wollen und können die folgenden Abschnitte nicht konkurrieren. Nicht nur im Titel des vorliegenden Buchs, sondern auch in der Überschrift dieses Kapitels erscheint das Wort Verstehen. Damit soll deutlich gemacht werden, dass Recherchieren hier nicht als selbständige Tätigkeit dargestellt wird, sondern als Teil des Verstehens- und Reverbalisierungsprozesses. Ich stimme Hans Hönig zu, wenn er sagt: Den für ein ausreichendes Textverstehen nötigen Recherchierbedarf zu erkennen ist ein wichtiger Teil professioneller Kompetenz. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Textverstehen und Recherchieren eng aufeinander bezogen werden. (Hönig 1998a: 160) Verstehen, das wissen wir inzwischen, ist eine Interaktion von Bottom-up- und Top-down-Prozessen. Ich habe zwar schon angedeutet, dass unser im Gedächtnis gespeichertes Wissen, das ja die Basis für die Top-down-Prozesse ist, ergänzungsbedürftig sein kann, habe diesen Punkt aber noch nicht genauer behandelt. Dies soll hier geschehen. Bevor wir anhand von Beispielen aufzeigen, wie wir während des Übersetzungsprozesses unser Wissen erweitern können, fragen wir zunächst einmal, welche Arten des Wissens für Übersetzer relevant sind. Betrachten wir dazu folgende Graphik: <?page no="75"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 76 Abb. 1 Die prototypische Übersetzerin ist uns schon aus Kap. 2.3 bekannt. Dort agierte sie als Mittlerin zwischen Kulturen und machte sich Gedanken über die Funktion einer Übersetzung. Dies ist ja die Frage, die immer als erstes geklärt werden muss. Jetzt wollen wir etwas genauer in den Kopf der Übersetzerin hineinschauen. In den beiden oberen Kästchen erscheint das Wort „Langzeitgedächtnis“. Für unsere Zwecke nützlich ist die von der Gedächtnisforschung getroffene Unterscheidung zwischen Langzeitgedächtnis und Arbeitsgedächtnis. Diese Begriffe sind theoretische Konstrukte, um zu beschreiben, wie wir Erinnerungen speichern. Im Langzeitgedächtnis werden, wie schon der Name sagt, Erinnerungen für lange Zeit, also dauerhaft, gespeichert. Dort sind die Wörter der Sprachen, die wir sprechen, und ihre Bedeutungen, aber auch alles nichtsprachliche Wissen und alle Erlebnisse gespeichert. Von den Schwierigkeiten, diese Erinnerungen abzurufen, wollen wir hier nicht reden. (Wie wir jedoch beim kreativen Denken mentale Blockaden überwinden können, erwähne ich kurz in Kap. 6.) Der Begriff „Arbeitsgedächtnis“ bezieht sich auf die Erinnerungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiviert sind (Rickheit/ Strohner 1993: 39). Beim Übersetzen spielt das Arbeitsgedächtnis eine Rolle, wenn wir Texte lesen und interpretieren, und uns an vorher gelesene Abschnitte erinnern und das Gelesene mit unserem Weltwissen verbinden. Mentales Lexikon im Langzeitgedächtnis Erweiterung des mentalen Lexikons durch Recherche Weltwissen im Langzeitgedächnis Erweiterung des Weltwissens durch Recherche Top-down-Prozesse Bottom-up- Prozesse Wissenserweiterung durch Textanalyse <?page no="76"?> Arten der Wissenserweiterung 77 Wir unterscheiden ferner zwischen dem mentalen Lexikon (oben links), d.h. dem Wissen über die Bedeutung und den Gebrauch von Wörtern, und dem Weltwissen (oben rechts), d.h. dem Wissen, das wir durch Erfahrungen, Erlebnisse, die Medien, Lesen usw. über die Welt angesammelt haben. Ich treffe diese Unterscheidung aus methodischen Gründen, bin mir aber bewusst, dass die Trennung künstlich ist, denn aus der Sicht der Prototypen- und der Scenes-andframes-Semantik rufen Wörter erfahrungsbedingte Vorstellungen in unserem Gedächtnis ab, die man auch zum Weltwissen zählen könnte. In der Praxis der Recherchiermittel wird jedoch zwischen lexikalischem Wissen und Weltwissen unterschieden. In unserer Graphik befinden wir uns nun bei den beiden Kästchen „Erweiterung des mentalen Lexikons durch Recherche“ und „Erweiterung des Weltwissens durch Recherche“. In Wörterbüchern, z.B. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Wahrig: Wörterbuch der deutschen Sprache und Longman Dictionary of Contemporary English (DCE), aus denen wir bereits zitiert haben, ist lexikalisches Wissen, also die Bedeutung und der Gebrauch von Wörtern, gesammelt. In enzyklopädischen Lexika, z.B. Brockhaus Enzyklopädie, Bertelsmann Universallexikon oder Encyclopedia Britannica ist Weltwissen gesammelt. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht. Unter dem Eintrag „Mensch“ finden wir z.B. in Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache die relativ umfangreiche Definition „Mit der Fähigkeit zu logischem Denken u. zur Sprache, zur sittlichen Entscheidung u. Erkenntnis von Gut und Böse ausgestattetes höchstes Lebewesen.“ Definitionen in Wörterbüchern liegt in der Regel die Maxime zugrunde „definitio fit per genus proximum et differentiam specificam“, d.h. man nennt die nächsthöhere Kategorie (hier „Lebewesen“) und fügt die Unterschiede für das betreffende Wort hinzu (Leisi 1985: 143). In der Definition des Duden werden relativ viele Unterschiede genannt. Das Wörterbuch der deutschen Sprache von Wahrig begnügt sich mit „das höchstentwickelte Lebewesen“. Man könnte fragen, ob in der Definition des Duden nicht auch enzyklopädische Informationen enthalten sind. Im Bertelsmann Universallexikon z.B. wird unter dem Eintrag „Mensch“ die Information aus dem Duden „höchstes Lebewesen“ weiter spezifiziert, indem der Mensch aus biologischer Sicht in die Systematik der Säugetiere eingeordnet wird; außerdem wird die Stammesgeschichte des Menschen dargestellt und u.a. seine ebenfalls in der Duden-Definition erwähnten Fähigkeiten zum abstrakten Denken und zur artikulierten Sprache hervorgehoben. Es ist wohl so, dass die Grenzen zwischen linguistischen und enzyklopädischen Informationen fließend sind. Dass Kategorien unscharfe Ränder haben, wissen wir ja inzwischen. Beim Übersetzen kommt es häufig nicht auf die Unterscheidung zwischen linguistischen und enzyklopädischen Informationen an, sondern auf die Informationen an sich; wir haben dies bereits im Abschnitt über den notwendigen Differenzierungsgrad gesehen (Kap. 3.3). Für Recherchezwecke jedoch ist die Unterscheidung sinnvoll; wir müssen ja schließlich wissen, in welchen Nachschlagewerken wir welche Informationen finden können. Wir sehen unten links in der Graphik ein Kästchen „Wissenserweiterung durch Textanalyse“. Wir glauben oft, die Bedeutung bestimmter Wörter und be- <?page no="77"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 78 stimmte Aspekte des in einem Text behandelten Sach- und Fachwissens recherchieren zu müssen, ohne zu merken, dass uns der Text selbst, wenn wir ihn genauer lesen (analysieren) würden, die Bedeutung der betreffenden Wörter und das betreffende Sachwissen liefern könnte. Eine Textanalyse kann häufig unsere Recherche ersetzen oder zumindest ergänzen. Dabei spielen dann wieder die uns bereits gut bekannten Bottom-up- und Top-down-Prozesse eine Rolle. Sie sind in der Graphik durch die geschwungenen Blockpfeile angedeutet, um den Prozesscharakter anzudeuten. Für diese Prozesse ist das Arbeitsgedächtnis zuständig. Ich stelle die Textanalyse für den Augenblick zurück; ich komme weiter unten in diesem Kapitel auf sie zu sprechen. Während man lexikalisches und enzyklopädisches Wissen als Faktenwissen bezeichnen kann, spricht man bezüglich textanalytischer Fähigkeiten von prozessualem Wissen. Manchmal löst Faktenwissen jedoch Prozesse aus (Wissen über Wortbedeutungen führt z.B. in Verbindung mit dem Kontext zu bestimmten szenischen Vorstellungen), und umgekehrt muss man bestimmte Prozesse (z.B. effiziente Recherchiertechniken) beherrschen, um an Faktenwissen heranzukommen. Auch hier sind die Grenzen unscharf. 4.2 Erweiterung des mentalen Lexikons Wie Wörterbücher helfen können, unser Wissen über Wortbedeutungen zu erweitern, haben wir ansatzweise bereits in Kap. 1 gesehen. Ich erinnere an die unterschiedlichen Bedeutungsstrukturen von engl. programme und dt. „Programm“. Wir sahen ferner am Beispiel community, wie Definitionen in einsprachigen Wörterbüchern Übersetzungen stimulieren können. Durch zweisprachige Wörterbücher ist dies nicht in gleicher Weise möglich. Sie liefern uns immer fertige Lösungen als zielsprachliches Äquivalent, zu denen wir höchstens durch Assoziationen noch weitere Äquivalente hinzufügen können, die dann mit etwas Glück in unsere Übersetzung passen. Der bereits erwähnte Übersetzungsdidaktiker und literarische Übersetzer Ulrich Kautz formuliert dies sehr treffend: Selbst wenn die angebotenen Entsprechungen präzise sind, versperren sie dem Übersetzer mitunter den Blick für die — im Kontext — optimale Entsprechung. Denn zweisprachige Wörterbücher operieren wie alle Wörterbücher auf der langue-Ebene: Sie geben „Äquivalenzen“ an, seien sie nun „1: 1“ oder „1: viele“. Der Übersetzer dagegen hat es mit parole-Texten zu tun […]. Er stellt häufig fest, dass z.B. die Wörterbuchentsprechung für ein ausgangssprachliches Substantiv nicht zu der für das dazugehörige ausgangssprachliche Verb passen will. Oder, wenn doch, dass der ganze Ausdruck nicht zu dem restlichen Text passt. Gerade in solchen Situationen wird dem nach dem treffenden Wort suchenden Übersetzer die ausschlaggebende Bedeutung des Textzusammenhangs und der Textanalyse im Vergleich zur bloßen „Wörterbuchweisheit“ bewusst. (Kautz 2000: 94) <?page no="78"?> Erweiterung des mentalen Lexikons 79 Für den Nicht-Linguisten: Die Begriffe langue und parole, die von dem berühmten französischen Linguisten Ferdinand de Saussure stammen, lassen sich für unsere Zwecke übersetzen mit „Sprachsystem“ und „Sprachverwendung“. Natürlich sind zweisprachige Wörterbücher, obwohl von Didaktikern oft gescholten, nicht nutzlos. Sie wären sonst sicher für die Verlage auch kein so gutes Geschäft, wie sie es sind. Außerdem sind sie der empirischen Studie von Britta Nord (2002: 226) zufolge bei professionellen Übersetzern das häufigste und erfolgreichste Recherchiermittel. Natürlich kommt es darauf an, was man wissen will. Wie aus obigem Zitat von Kautz ersichtlich und wie wir gleich sehen werden, gibt es typische Fälle, in denen zweisprachige Wörterbücher keine Informationen liefern können, weil sie darauf nicht angelegt sind. Hilfreich sind sie aber in folgender für das Übersetzen typischer Situation: Wenn wir in die Fremdsprache übersetzen, haben wir oft das Gefühl, dass uns das gesuchte Wort auf der Zunge liegt, aber es fällt uns nicht ein. Wenn wir dann die von zweisprachigen Wörterbüchern vorgeschlagenen Entsprechungen anschauen, erkennen wir meist sofort, welches Wort wir gesucht haben. Eine Hilfe sind zweisprachige Wörterbücher vor allem auch dann, wenn es in der Zielsprache eine festgelegte Terminologie oder terminologieähnliche festgelegte Begriffe gibt (vgl. Kautz 2000: 94). Wir sahen dies bei Aufgabe 1 in Kap. 1. Manchmal freilich helfen uns Wörterbücher — sowohl einsprachige als auch zweisprachige — nur ein Stück weit, und wir müssen zusätzlich zu anderen Recherchiermitteln greifen. Den folgenden Beispielanalysen möchte ich eine kurze Bemerkung vorausschicken. Ich orientiere mich bei der Auswahl an den anhand der Graphik beschriebenen Arten der Wissenserweiterung. Da die Beispiele aus meiner Übersetzungs- und Unterrichtspraxis stammen, ergibt sich für die Darstellung ein anekdotischer Stil. Das bedeutet aber nicht, dass die Beispiele nicht repräsentativ sind; sie sind es, hoffe ich, vor allem dadurch, dass ich meinem didaktischen Anliegen entsprechend versuche, die Recherche in den Übersetzungsprozess zu integrieren. Ich greife ein Beispiel aus Kap. 3 wieder auf. In Aufgabe 1 ging es dort um die Übersetzung einer Frage aus dem ISSP 2003: Immigrants take jobs away from people who were born in [COUNTRY]. Wir erörterten dort den Satzteil people who were born in [COUNTRY] unter dem Aspekt der notwendigen Differenzierung. Als ich mit Umfragespezialisten die Übersetzung dieses Satzes unter die Lupe nahm, war auch das Wort immigrants ein Problem. Im DCE wird das Wort wie folgt definiert: immigrant someone who comes from abroad to live permanently in another country — compare emigrant Als deutsche Entsprechung fiel uns dazu natürlich sofort „Einwanderer“ ein, aber sogleich fragten wir uns, ob man das Wort nicht mit „Zuwanderer“ übersetzen sollte. In Duden, das große Wörterbuch der deutschen Sprache fand sich folgende Definition: <?page no="79"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 80 Einwanderer jmd., der in ein Land einwandert oder eingewandert ist; Immigrant Und unter „einwandern“: In ein fremdes Land gehen, um sich dort anzusiedeln [und die Staatsbürgerschaft zu erwerben]. Unter „zuwandern“ fanden wir im Duden: Von auswärts, bes. aus einem anderen Land, in ein Gebiet, an einen Ort kommen, um dort zu leben. Es stellten sich uns folgende Fragen — und durch sie kam der Übersetzungsprozess ins Stocken: Gibt es einen Unterschied zwischen „ansiedeln“ und „leben“? Ist der unterscheidende Aspekt der Erwerb der Staatsbürgerschaft? Wie ist die eckige Klammer in der Definition von „einwandern“ zu interpretieren? Ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft für die Wortbedeutung von „Einwanderer“ obligatorisch oder fakultativ? Und um welche Personen geht es eigentlich in der Umfrage? Die Fragen betrafen sowohl unser sprachliches als auch unser Weltwissen. Eine sehr hilfreiche Methode zur Erweiterung unseres Wissens ist der Einbezug von Parallel- und Hintergrundtexten (Kautz 2000: 97f.). Im Zeitalter des Internets können wir sehr bequem mit Suchmaschinen, z.B. „Google“, auf solche Texte zugreifen. (Wir haben dies in Kap. 1 bei den Kollokationen schon getan.) Wir gaben also die zur Frage stehenden Begriffe (Einwanderer, Deutschland) bei www.google.com ein, und ich tue dies heute noch einmal, um die aktuellsten Informationen zu bekommen. Für „Einwanderer“ kombiniert mit „Deutschland“ erhalten wir etwa 1,6 Millionen Seiten; für „Einwanderung“ kombiniert mit „Deutschland“ ca. 800 000 Seiten. Für „Zuwanderer“ kombiniert mit „Deutschland“ erhalten wir ca. 400 000 Seiten; für „Zuwanderung“ und „Deutschland“ ungefähr 1,1 Millionen Seiten. Für die Gebräuchlichkeit der Begriffe erscheint es mir unerheblich, ob von Personen oder vom Sachverhalt die Rede ist. Sowohl für „Einwanderer“ bzw. „Einwanderung“ als auch für „Zuwanderer“ bzw. „Zuwanderung“ erhalten wir sehr viele Seiten. Worin besteht der Unterschied in der Bedeutung und im Gebrauch der beiden Wörter? Auf einer Informationsseite des BMI (Bundesministerium des Inneren) (http: / / www.zuwanderung.de/ 2_neues-gesetz-a-z/ einwanderung.html) findet sich z.B. folgender Text: Zuwanderung A - Z Einwanderung In Deutschland wird nur dann von „Einwanderung“ gesprochen, wenn Einreise und Aufenthalt von vornherein auf Dauer geplant und zugelassen werden. In den letzten Jahren haben sich außerdem die Begriffe der „Zuwanderung“ und der „Zuwanderer“ für alle Formen der grenzüberschreitenden Migration (lang- und kurzfristig) eingebürgert. <?page no="80"?> Erweiterung des mentalen Lexikons 81 Hier ist zwar bezüglich Einwanderung nicht von Staatsbürgerschaft die Rede, aber von „Aufenthalt auf Dauer“. In „Zuwanderung“ ist diese Spezifikation nicht enthalten. Offensichtlich ist also „Zuwanderer“ bzw. „Zuwanderung“ der umfassendere Begriff. Man geht mit diesem Begriff auf Nummer sicher, und wir haben ihn deshalb auch für die Frage des ISSP benützt. Das dafür seit 2005 geltende Gesetz heißt übrigens, wie wir ebenfalls vom BMI erfahren können (http: / / www.zuwanderung.de/ ), „Zuwanderungsgesetz“. Wir sind hier zweifellos im Bereich der Fachsprache angelangt. Der Unterschied zwischen „Zuwanderung“ und „Einwanderung“ ist von juristischer Art. Im Text des BMI ist auch von Migration die Rede, und wer die Zeitung liest und Nachrichten hört, wird sich erinnern, dass neuerdings auch viel von Migranten die Rede ist. In der Tat finden wir unter den Stichwörtern „Migranten“ kombiniert mit „Deutschland“ 5,1 Millionen Seiten. Der Schluss liegt nahe, dass auch „Migranten“ ein gebräuchliches Wort ist. Wir könnten auch dieses Wort für unsere Übersetzung verwenden. Wenn wir funktional übersetzen wollen, wie wir das ja bisher getan haben, müssen wir natürlich auch hier fragen, in welchem Zusammenhang die Frage aus dem ISSP gestellt wird. Erinnern wir uns an die Aufgabe 1 in Kap. 3: Es ging um nationale Identität und dabei um die Einstellung zu immigrants. Die Frage würde wahrscheinlich auch mit „Einwanderer“ funktionieren; sie funktioniert aber wohl besser mit „Zuwanderer“. Man könnte sich vorstellen, dass die Befragten sagen: „Es ist doch ganz normal, dass Einwanderer einen Arbeitsplatz haben sollen.“ Damit würde die Antwort in eine bestimmte Richtung gelenkt. „Zuwanderung“ lässt die Richtung eher offen. Weshalb man die Frage nicht mit „Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg“ übersetzen kann, haben wir bei der Lösung zu Aufgabe 1 in Kap. 3 schon erklärt. In unserem Beispiel kannten die Übersetzer bereits zwei zielsprachliche Wörter und waren sich nur nicht sicher, welches von beiden in Frage kam. In solchen Fällen kann man sich, wie wir es getan haben, über den Gebrauch der jeweiligen Wörter in zielsprachlichen Texten im Internet informieren. Es versteht sich von selbst, dass man auf die Verlässlichkeit der Texte achten muss. In unserem Fall war sie gegeben, denn es handelte sich um Informationen des BMI. Wie ist es nun, wenn wir keine zielsprachlichen Entsprechungen kennen und wenn sie uns auch durch zweisprachige Wörterbücher nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden und wenn wir auch keine Idee haben, was dann als Übersetzung noch in Frage kommen könnte. Für immigrant erscheint z.B. in Langenscheidt/ Collins Großwörterbuch Englisch nur „Einwanderer“ und „Immigrant“. Es empfiehlt sich in solchen Fällen, multilinguale Terminologiedatenbanken zu konsultieren. Sie werden in Austermühl (2001) ausführlich vorgestellt. Der Übersetzungsdienst der Europäischen Kommission stellt eine solche Datenbank kostenlos zur Verfügung. Wir finden sie unter http: / / europa.eu.int/ eurodicautom/ Controller. Wenn wir dort engl. immigrant und als subject criterion „society“ eingeben, finden wir z.B. für social integration of immigrants die deutsche Entsprechung „soziale Eingliederung der Zuwanderer“ mit der Quelle „Gesamtbericht E.G., <?page no="81"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 82 1990“. Es wäre in diesem Fall empfehlenswert, die Verwendung des Worts noch einmal durch neuere Texte abzusichern, wie wir es getan haben. Ich erwähnte oben die Repräsentativität von Beispielen. Im Beispiel immigrants ging es um Wortbedeutungen, für die das Wörterbuch keine ausreichenden Informationen lieferte, und für die daher weitere Recherchequellen herangezogen werden mussten. Dies dürfte immer dann der Fall sein, wenn Wörter noch ganz neu im Wortschatz einer Sprache sind oder, wie in unserem Fall, neue Bedeutungsnuancen erhalten haben. 4.3 Erweiterung des Weltwissens Das nächste Beispiel stammt aus einer meiner Übersetzungsübungen für Studierende des 1.-2. Semesters. Es geht in dem Text um Verhaltensunterschiede zwischen amerikanischen und englischen jungen Männern in Partnerschaften, dargestellt aus der Sicht einer jungen Amerikanerin, die einen englischen Freund hat. Amerikanische junge Männer, so der Text, sprechen, kurz gesagt, viel über die Partnerbeziehung, englische junge Männer dagegen nicht; sie sprechen über Themen des Alltags. Der (fiktive) Übersetzungsauftrag lautete: Übersetzung für eine deutsche Tageszeitung. Die Einbettung in die englische und amerikanische Kultur soll erhalten bleiben. Unter anderem mussten wir in folgenden Textabschnitten Weltwissen recherchieren: He’d rather lay an egg than share his emotions […] I learnt it the hard way: English boys might possess the gift of the gab, but they tend to talk about things that you can draw pictures of, such as spaghetti and Martin Amis’s hair and the 41 bus. There’s no getting an English boy to go on about mushy things, no discussing anything that might come in italics. Sex and the City creator Candace Bushnell hasn’t revealed why she split up from her London beau, but I have a hunch I know the reason. […] Only an American boy will stalk you to show that he cares. Once you get used to the English boys’ way, it’s refreshing to have a beloved who would sooner try to lay an egg than engage in an Oprah-style conversation. (The Daily Telegraph, March 13, 2002, p.17) Das Hintergrundwissen von Übersetzern ist unterschiedlich; nicht jeder wird bei den gleichen Stellen recherchieren müssen. Und wenn wir Wissen aus unserem Gedächtnis abgerufen oder recherchiert haben, müssen wir überlegen, was wir dem Leser erklären müssen. Nicht alle Stellen, wo auf Hintergrundwissen Bezug genommen wird, sind erklärungsbedürftig. Wir dürfen den Leser nicht unterfordern, indem wir ihm zuviel erklären. Sonst könnte er pikiert reagieren. Die Serie Sex and the City (erster Abschnitt) z.B. lief auch bei uns mit viel Erfolg im Fernsehen, brauchte also nicht erklärt zu werden. <?page no="82"?> Erweiterung des Weltwissens 83 Was wir uns aber fragten, war: Wer ist Martin Amis (1. Abschnitt), und was hat er für Haare? Selbst wenn unsere Leser Martin Amis kennen, können wir nicht damit rechnen, dass sie sofort ein Bild von ihm vor sich sehen und über seine Frisur Bescheid wissen. Wie beim letzten Beispiel suchen wir nun Informationen zum heutigen Zeitpunkt. Über Google finden wir den Eintrag in der Wikipedia, einer mehrsprachigen, freien Online-Enzyklopädie, zu der jeder mit seinem Wissen beitragen kann (http: / / de.wikipedia.org). Die Wikipedia ist natürlich kein Brockhaus. Wer dort schreibt, ist nicht unbedingt ein Fachmann. Die Informationen sind also mit etwas Vorsicht zu genießen. Der große Vorteil der Wikipedia ist aber, dass dort auch über ganz aktuelle Themen neueste Informationen zu finden sind. Mit den folgenden beiden Beispielen kann sich jeder eine Meinung zur Qualität und Nützlichkeit der Informationen bilden: Martin Amis (*25. August 1949 in Oxford) ist ein englischer Schriftsteller und Sohn des Romanciers Kingsley Amis. Für seinen ersten Roman The Rachel Papers erhielt er (1974) den Somerset Maugham Award. Er veröffentlichte eine Reihe weiterer Romane, Kurzgeschichten, sowie einen Band Memoiren (Experience), in dem er sich vor allem mit seiner Beziehung zu seinem berühmten Vater auseinandersetzt. Über einen Link zu seiner Homepage können wir Bilder von ihm aufrufen, z.B.: Abb. 2 Seine Haare und seine Frisur sehen eigentlich ganz normal aus. Man fragt sich, was daran so besonders sein soll, dass sie ein Gesprächsthema sein könnten. Es wäre wenig sinnvoll, in der Übersetzung nach dem Prinzip des notwendigen Differenzierungsgrads zu erklären, wer Martin Amis ist, und dann seine Frisur zu beschreiben. Als ich den Text mit meinen Studentinnen und Studenten übersetzte, beschlossen wir, „Martin Amis’ hair“ durch „Das Outfit von Madonna“ zu ersetzen. Dazu führten uns Überlegungen über die kommunikative Funktion der <?page no="83"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 84 Textstelle, also prozessuale Überlegungen. Es geht an dieser Stelle darum, konkrete Themen zu nennen (things that you can draw pictures of), und zwar Themen, die die Leser kennen und sich vorstellen können; Madonna ist auch für deutsche Leser eine bekannte Vorstellung und ein passendes Gesprächsthema. Die nächste Informationslücke für uns war Oprah-style im 2. Abschnitt. (Manche Leser werden freilich wissen, wer Oprah ist.) In der Wikipedia fanden wir: Oprah Gail Winfrey (born January 29, 1954) is the multiple Emmy-winning host of the highest rated talk show in television history, an influential book critic, an Oscar nominated actress, and a best-selling magazine publisher. According to Forbes rich lists,[2] she was the richest African-American of the 20th century and the world’s only Black billionaire by 2004[3]. Bezüglich ihres Talkshow-Stils dürfte der folgende Abschnitt, vor allem die letzten Zeilen, ebenfalls aus der Wikipedia, interessant sein: Time magazine wrote, „Few people would have bet on Oprah Winfrey’s swift rise to host of the most popular talk show on TV. In a field dominated by white males, she is a black female of ample bulk. As interviewers go, she is no match for, say, Phil Donahue... What she lacks in journalistic toughness, she makes up for in plainspoken curiosity, robust humor and, above all, empathy. Guests with sad stories to tell are apt to rouse a tear in Oprah’s eye... They, in turn, often find themselves revealing things they would not imagine telling anyone, much less a national TV audience. It is the talk show as a group therapy session.” Beim Hören des Vornamens Oprah allein wird bei deutschen Lesern vielleicht nicht sofort die richtige Vorstellung wachgerufen. Wir fügten also sicherheitshalber den Nachnamen hinzu und übersetzten seinerzeit „sich an einem Gespräch im Talkshow-Stil von Oprah Winfrey zu beteiligen“. Heute überlege ich mir aufgrund der Information aus der Wikipedia allerdings, ob man den „Stil“ nicht noch etwas ausführlicher beschreiben sollte, um den Gegensatz zwischen englischen und amerikanischen Männern deutlich zu machen — eine Überlegung, die sich auf den zielsprachlichen Verstehensprozess bezieht. Zu überlegen ist außerdem, ob deutsche Leser tatsächlich eine Talkshowszene mit Oprah Winfrey vor sich sehen. Wenn nicht, würde es genügen zu sagen: „sich an einem einfühlsamen Gespräch zu beteiligen” oder „sich an einem Beziehungsgespräch zu beteiligen“. Dies wäre dann ausreichend differenziert. Zur Repräsentativität der beiden Beispiele lässt sich sagen, dass es sich um relativ neue Informationen handelte, und solche Informationen finden wir eher nicht in gedruckt vorliegenden Enzyklopädien, sondern mit größerer Aussicht auf Erfolg im Internet. <?page no="84"?> Wissenserweiterung durch Textanalyse 85 4.4 Wissenserweiterung durch Textanalyse Von meinen Studenten und Studentinnen hörte ich oft: „Dieses Wort kenne ich nicht, das muss ich nachschlagen“ oder „Diese Textstelle verstehe ich nicht; da muss ich wohl recherchieren“. Manchmal ist es aber so, wie oben schon kurz erwähnt, dass ein genauerer Blick auf den Text Nachschlagen und Recherche ersparen kann. Und nicht nur Studierenden, das sei hier zur Beruhigung gesagt, geht es so, dass sie das manchmal nicht merken. Wir sollten uns immer wieder ins Bewusstsein rücken, dass Textanalyse und Recherchieren nicht voneinander zu trennen sind. „Nur eine methodisch durchgeführte, übersetzungsrelevante Textanalyse kann den Weg zur gezielten Recherche weisen“ (Hönig 1998a: 162). Eine Gruppe von Umfragespezialisten und ich erörterten die Übersetzung eines Abschnitts aus dem International Social Survey Programme (ISSP) 2006 mit dem Thema Role of Government. Ein Fragenkomplex lautete: How successful do you think the government in [Country] is nowadays in each of the following areas? Providing health care for the sick? Providing a decent standard of living for the old? Dealing with threats to [Country’s] security? Controlling crime? Fighting unemployment? Protecting the environment? Das erste Übersetzungsproblem ergab sich bei der übergeordneten Frage: How successful do you think the government in [Country] is nowadays in each of the following areas? Es ging darum, wie government zu verstehen und zu übersetzen sei: mit „Staat“ (Variante a) oder „Regierung“ (Variante b)? Es handelte sich um das bekannte Phänomen der Divergenz. Wir analysierten also die Semantik der deutschen Wörter. „Staat“, stellten wir fest, impliziere eine lange, „Regierung“ dagegen eine kürzere Frist. Daraus ergab sich die nächste Frage: Wie ist nowadays zu verstehen? Denn davon, so glaubten wir, hänge unser Verständnis von government ab. Wie lang ist die mit nowadays bezeichnete Zeitspanne? Die Information im DCE half uns aufgrund ihrer Vagheit in diesem Punkt nicht weiter: nowadays now, compared with what happened in the past: Nowadays young people are much more aware of ecological issues than they used to be. Wir entschlossen uns — eine bisher noch nicht erwähnte, aber von professionellen Übersetzern praktizierte Recherchiermethode — eine Engländerin (also eine muttersprachliche Sprecherin) zu befragen. Ihre Antwort (per e-Mail) lautete: ‘Nowadays’ alludes to a fairly broad period, and is a usefully vague term in British English. In thinking about how I would answer this question in Britain, <?page no="85"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 86 however, I think that ‘now’, ‘at the moment’ or ‘currently’ would do instead - I would certainly be thinking of the Labour government as I answered. Linguistisch gesehen, nimmt sie hier eine Substitution vor (now, at the moment, currently), was aber nicht weiterhilft, denn die substituierten Begriffe sind genauso vage. Dazu ein Kommentar aus kognitionslinguistischer Sicht: Nowadays ist ein typisches Beispiel für Unbestimmtheit (fuzziness) von Kategorien. Die englische Kollegin sprach ja auch von usefully vague. Wir wollten aber in unserem Fall wissen, wie weit die Ausdehnung gehen darf. Interessant ist nun die weitere Antwort der Engländerin. Aus ihr wird deutlich, wie der Verstehensprozess abläuft. Es lässt sich hier ein Top-down-Prozess beobachten. Der zeitgeschichtliche politische Hintergrund, die Labour-Regierung, wird aus dem Gedächtnis abgerufen. Die englische Kollegin versteht nowadays also im Sinne von Regierungsperiode. In unserer Diskussion überlegten wir dann, ob man government mit „Regierung“ übersetzen sollte. Und hier setzte nun (endlich! ) die Textanalyse ein. Wir erkannten aus dem nachfolgenden Kontext: Es geht nicht um eine Umfrage über den Erfolg der gegenwärtigen Regierung, sondern um die generelle Verantwortlichkeit des Staates, z.B. für die Gesundheitsvorsorge, die Altersvorsorge oder die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Man könnte dies als Elemente einer größeren Szene bezeichnen, und der Rahmen wäre dann der bereits genannte Begriff „Verantwortlichkeit des Staats“. Also muss nowadays als große Zeitspanne interpretiert werden, und daraus ergibt sich: Government ist zu übersetzen mit „Staat“. Es kommt dann auch gar nicht mehr darauf an, wie man nowadays übersetzt, ob mit „heute“, „heutzutage“ oder „zur Zeit“. Wir übersetzten die Stelle mit „Was meinen Sie, wie erfolgreich ist der Staat zur Zeit, wenn es um Folgendes geht? “ Wenn es freilich bei einer Umfrage darum ginge, die Zufriedenheit der Wähler mit der aktuellen Regierungspolitik zu erfragen, müsste mit „Regierung“ übersetzt werden. Das ISSP Modul 2006 beschäftigt sich jedoch nicht, wie mir eine Mitarbeiterin des Zentrums für Umfragen, Meinung und Analyse (ZUMA) mitteilte, mit Parteipolitik als solcher, sondern mit Einstellungen zu Staat und Regierung. Natürlich können solche Einstellungen durch die Politik verschiedener Parteien und Politiker beeinflusst sein. Wie bei fast allen bisher erörterten Beispielen hängt das „Funktionieren“ der Textstelle von der richtigen Übersetzung ab. Wenn hier mit „Regierung“ übersetzt worden wäre, hätte die Frage ihren Zweck verfehlt. Ich möchte einen didaktischen Kommentar hinzuzufügen und damit auch hier wieder auf die Repräsentativität des Beispiels zu sprechen kommen. Man muss sich als Übersetzer vor einem Überwiegen der Top-down-Prozesse in Acht nehmen. Bei der englischen Kollegin überwogen die Top-down-Prozesse, aber vielleicht kannte sie den nachfolgenden Kontext nicht. Wichtig ist, dass ein Gleichgewicht zwischen Top-down- und Bottom-up-Prozessen herrscht. Die Textanalyse hilft den Bottom-up-Prozessen auf die Sprünge. Außerdem sollte man darauf achten, dass man den Kontext nicht zu eng sieht. Nowadays ist gar nicht der entscheidende Kontext. Die Befragung der englischen Kollegin war also ein unnöti- <?page no="86"?> Aufgaben zu Kapitel 4 87 ger Umweg. Hilfreich für das Verstehen ist der Blick auf den größeren Kontext. Das ist für routinierte Übersetzer natürlich eine Binsenweisheit. Aber es ist so, dass wir uns auch Binsenweisheiten immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen. Es ist eben bequem, nur auf einen einzigen Satz oder vielleicht sogar nur auf ein einziges Wort zu schauen, aber in vielen Fällen geht solch ein Blick nicht weit genug. 4.5 Aufgaben zu Kapitel 4 Aufgabe 1 In dieser Aufgabe geht es um die Erweiterung des mentalen Lexikons. Recherchieren Sie die Bedeutung der unterstrichenen Wörter in einsprachigen Wörterbüchern und übersetzen Sie die jeweiligen Sätze! Vergessen Sie nicht — dies gilt für alle Aufgaben —, dass Ihnen auch die semantische Textanalyse ein Stück weiter hilft. Wo Sie es für nötig erachten, können Sie auch im Internet recherchieren. Der Übersetzungsauftrag lautet: Funktionskonstante Übersetzung eines Sachbuchs für den gebildeten Leser. Students of general semantics are often derided for the emphasis they place on the rule that „the word is not the thing.” „Everyone,“ their critics say scornfully, „knows that! “ One can only reply, „The hell they do! “ Of course everyone says he knows the difference between words and things. But instead of listening to what people say, let us notice how they act. Recently a superintendent of public instruction of the State of California started a campaign to drive from high-school libraries throughout the state a certain plain-spoken dictionary on the ground that it contained definitions of obscene words. Students must be protected from such influences, it was argued, because knowledge of evil - in this case knowledge of words having to do with forbidden sexual behaviour - would incite evil. To imagine that the mere knowledge of words can be the cause of behaviour described by those words is certainly to subscribe to word-magic no less primitive than the belief that one must never talk about death, because death will surely result. This is one example of what general semanticists mean when they say that people often confuse words and things. (S.I. Hayakawa, Symbol, Status and Personality, New York 1966, S. 18f. Unterstreichungen von mir) Aufgabe 2 In einem Faltblatt des National Museum of American History in Washington fand ich vor einigen Jahren unter anderem den folgenden Text mit deutscher Übersetzung: From a Ford Model T to Duke Ellington musical transcripts, objects on display at the museum embody the nation’s scientific, technological and cultural heritage. Exhibitions show everyday life in America just after the Revolution- <?page no="87"?> Verstehen, Recherche und Textanalyse 88 ary War, the American Industrial Revolution, the Information Age, „Science in American Life” and diverse origins of the American people. Visitors will also find exhibitions on agriculture, armed forces history, graphic arts, ceramics, political history and many other areas. Die in diesem Museum dargebotenen Objekte, von einem Model-T Ford zu Duke Ellingtons musikalischen Aufzeichnungen, verkörpern das wissenschaftliche, technische und kulturelle Erbe der Nation. Wichtige neuere Ausstellungen widmen sich dem täglichen Leben in Amerika unmittelbar nach den Revolutionskriegen, der amerikanischen industriellen Revolution, dem Informationszeitalter und den uneinheitlichen Ursprüngen der Bewohner Amerikas. Der Besucher begegnet darüber hinaus Ausstellungen zu den Bereichen Landwirtschaft, Geschichte der Streitkräfte, Graphik, Keramik, politische Geschichte und zu vielen anderen Themen. Die Übersetzung könnte man sicher an manchen Stellen optimieren, an einer Stelle aber enthält sie einen gravierenden Fehler, der seine Ursache im Nichterkennen des kulturellen Hintergrunds hat. Vermutlich war das nötige Weltwissen nicht vorhanden, oder es wurde nicht aktiviert. Identifizieren, erklären und verbessern Sie den Fehler. Führen Sie eine Recherche durch, falls Sie Ihr Weltwissen ergänzen müssen. Aufgabe 3 Das Buch, aus dem der folgende Abschnitt entnommen ist, behandelt ein überkulturelles Thema: die unterschiedlichen Gesprächsstile von Frauen und Männern. Es ist der Bestseller von Deborah Tannen: You Just Don’t Understand. Women and Men in Conversation. New York 1990. Er enthält Bezüge zur Ausgangskultur. In der Übersetzung (Du kannst mich einfach nicht verstehen. Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Gütersloh 1991) bleiben diese Bezüge zur Ausgangskultur erhalten. Um welche Textstellen handelt es sich? Generalizations, while capturing similarities, obscure differences. Everyone is shaped by innumerable influences such as ethnicity, religion, class, race, age, profession, the geographical regions they and their relatives have lived in, and many other group identities — all mingled with individual personality and predilection. People are apt to sum up others by reference to one category or a few, such as „southern belle,” „New York Jewish intellectual,“ „Boston Brahmin,” or „hot-tempered Italian.” Although these categories might predict some of the behaviors of the people so described, they miss far more about them than they capture. In innumerable ways, every person is utterly unlike anyone else — including anyone else from many of the same categories. (Deborah Tannen: You Just Don’t Understand. Women and Men in Conversation. New York 1990, S. 16) Verallgemeinerungen decken zwar Ähnlichkeiten ab, aber sie verwischen die Unterschiede. Jeder Mensch wird von unzähligen Einflüssen wie Volkszuge- <?page no="88"?> Aufgaben zu Kapitel 4 89 hörigkeit, Religion, Klasse, Rasse, Alter, Beruf und von der Region, in der er und seine Angehörigen leben, und vielen anderen Gruppenidentitäten geprägt — von Einflüssen, die sich alle mit seiner Persönlichkeit und seinen individuellen Vorlieben und Abneigungen vermischen. Wir fassen andere leicht in einer oder einigen wenigen Kategorien zusammen, wie zum Beispiel „Südstaaten-Schönheit“, „jüdischer Intellektueller aus New York“, „Boston-Konservativer“ oder „heißblütiger Italiener“. Obwohl diese Kategorisierungen vielleicht auf einzelne Verhaltensweisen der so beschriebenen Personen hindeuten, lassen sie mehr aus, als sie umfassen. Jeder Mensch unterscheidet sich auf mannigfaltige Art völlig von anderen — auch von allen anderen Angehörigen derselben Kategorie. (Deborah Tannen: Du kannst mich einfach nicht verstehen. Gütersloh 1991, S.14f.) Übersetzen Sie diese Textstellen als Alternative so, dass die Übersetzung in die deutsche Kultur eingebettet ist! Auch wenn die Übersetzung in die amerikanische Kultur eingebettet bleibt, erkennt der deutsche Leser natürlich, dass es sich bei den Textstellen um Klischees handelt, aber wenn Klischees aus dem deutschen Erfahrungsbereich erscheinen, hat es der Leser leichter und die Übersetzung funktioniert besser. Recherchieren Sie, wenn nötig, die Bedeutung der Textstellen! Bestimmen Sie deren spezifische Funktion durch eine Textanalyse! Man könnte natürlich sagen: Es genügt, ein paar Klischeevorstellungen irgendeiner Art in der Übersetzung zu nennen. Es kommt in der Tat nicht darauf an, genau dieselben Klischeekategorien wie im Ausgangstext zu finden. Wir wollen aber, damit der übersetzte Text nicht zu langweilig wird, vier verschiedene Bereiche von Klischeevorstellungen benützen. <?page no="90"?> 5 Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 5.1 Methoden und technische Möglichkeiten Ist es überhaupt nötig, Übersetzungsprozesse zu beobachten? Wissen wir inzwischen nicht schon ziemlich gut, was professionelles Übersetzen ist? Wir haben gesehen, welche semantischen Probleme es geben kann und wie sie sich lösen lassen. Wir haben Fragen der kulturellen und situativen Einbettung erörtert, und ich habe dargelegt, wie man diesen Gegebenheiten unter Berücksichtigung der Übersetzungsfunktion Rechnung tragen kann. Wir haben die wichtige Frage nach der Genauigkeit gestellt, und ich habe die Richtlinien genannt, die uns helfen können, diese Frage zu beantworten. Und wir haben gesehen, wie sich das für eine Übersetzung nötige Wissen erweitern lässt. All dies haben Sie als Leser des Buchs, das hoffe ich zumindest, anhand der Aufgaben und ihrer Lösungen eingeübt und damit vertieft. Ich ging in den vorangegangenen Kapiteln präskriptiv vor. Ich sagte: So muss (oder sollte) es gemacht werden. Ich habe meine Empfehlungen mit übersetzungswissenschaftlichen und linguistischen Modellen begründet. Außerdem haben sich die empfohlenen Methoden, wie ich aufgrund einer (jahrzehntelangen) Erfahrung sagen kann, gut bewährt. Es könnte aber nun jemand sagen — und das wäre dann eine deskriptive Fragestellung: Arbeiten Übersetzer eigentlich wirklich so, wie es in den bisherigen Kapiteln dargestellt wurde? Sollte man nicht professionelle Übersetzer fragen, wie sie es machen? Von Meistern kann man lernen. Ich will diese Einwände berücksichtigen und den Vorschlag, von Meistern zu lernen, aufnehmen. Es geht also darum, sie bei ihrem Tun zu beobachten und sich zeigen zu lassen, wie man übersetzt. Zwar wurden fertige Übersetzungen schon immer, wenn sie gut gelungen waren, als beispielhafte Muster herangezogen, doch was uns nun interessiert, ist nicht das Produkt, sondern der Prozess. Wir wollen nicht nur wissen, wie eine gute Übersetzung aussieht, sondern auch, wie man sie anfertigt. Wenn wir die Wege gezeigt bekommen, auf denen erfolgreiche Übersetzer gegangen sind, können wir diese Wege vielleicht auch selbst beschreiten. In der Tat haben Übersetzungswissenschaftler seit Mitte der 1980er Jahre begonnen, Übersetzer und Übersetzerinnen während des Übersetzungsprozesses zu beobachten, um herauszufinden, was in ihren Köpfen vorgeht, um es mit den Worten im Titel des einflussreichen Buchs von Hans Krings (1986a) zu sagen. Ich beschreibe im Folgenden die verschiedenen Methoden und technischen Möglichkeiten der Beobachtung etwas genauer und berichte kurz über die damit erzielten Ergebnisse. In Übersetzerstudiengängen werden diese Methoden in <?page no="91"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 92 Seminaren zur Erforschung des Übersetzungsprozesses benützt, und daher ist es gut zu wissen, wie sie aussehen und was sie leisten können. Außerdem sind sie ein Mittel zur Selbstbeobachtung mit dem Ziel, die eigenen Übersetzungsprozesse zu verbessern. Ich werde auf diesen Punkt noch zurückkommen. Was die Ergebnisse betrifft, also das Verhalten der Testpersonen während des Übersetzungsprozesses und ihre Strategien und Techniken zur Lösungsfindung, so sind sie dann für uns von Interesse, wenn sie Vorbildcharakter haben. Hans Krings (1986a) verwendete so genannte Protokolle des lauten Denkens (LD-Protokolle). Die LD-Methode besteht, kurz gesagt, darin, dass Testpersonen sämtliche Gedanken äußern, die ihnen beim Übersetzen eines Textes durch den Kopf gehen. Diese Äußerungen werden auf Tonträgern, neuerdings gelegentlich auch mit Videokameras, festgehalten und anschließend transkribiert, um sie dann unter verschiedenen Gesichtspunkten analysieren zu können. Der Oberbegriff für diese Methode lautet Introspektion. Wie könnte ein Übersetzer beim Denken aussehen? Abb. 1 Walther von der Vogelweide hat zwar nicht übersetzt, aber er hat, was Übersetzer ja auch manchmal tun, nachgedacht. In seinem berühmten Gedicht Ich saz ûf eime steine und dahte bein mit beine. dar ûf sazt ich den ellenbogen. ich hete in mîne hant gesmogen <?page no="92"?> Methoden und technische Möglichkeiten 93 daz kinne und ein mîn wange. beschreibt er zunächst die Körperhaltung des Denkens, und dann liefert er einen Bericht über seine Gedanken, sozusagen ein frühes LD-Protokoll, wenn er fortfährt: dô dâhte ich mir vil ange, wie man zer welte sollte leben […] Ich will nicht das ganze Gedicht zitieren, denn auf seinen Inhalt kommt es hier nicht an. Walther von der Vogelweide liefert ein Monologprotokoll, und er wurde zwar nicht mit der Videokamera aufgenommen, aber das Bild in der Manessischen Liederhandschrift zeigt ganz deutlich, dass er gerade nicht schreibt, sondern nachdenkt, und seine Körperhaltung ist genauso, wie er sie in seinem Gedicht beschrieben hat. Vielleicht ist es ja so, dass wir nur den Kopf in die Hand stützen müssen, wenn wir denken wollen. In den Forschungen zum Übersetzungsprozess wird die Körperhaltung der Testpersonen meines Wissens bislang noch nicht visuell festgehalten und interpretiert, aber es werden sehr häufig Monologprotokolle verwendet, um den Gedanken der Übersetzer auf die Spur zu kommen. Dabei unterhält sich eine Testperson beim Übersetzen sozusagen mit sich selbst. Da Selbstgespräche beim Übersetzen normalerweise nicht das Übliche sind, versucht man, die Testpersonen in einer so genannten Warmlaufphase an diese Situation zu gewöhnen. Damit die Situation etwas natürlicher wird, kann der Versuchsleiter anwesend sein und, ohne etwas zu sagen, aufmerksam zuhören. Außerdem wird darauf geachtet, dass die Versuchsatmosphäre entspannt ist und dass die Versuchspersonen nicht das Gefühl haben, kritisiert zu werden (Krings 1986a: 56). Nach Krings ist die monologische LD-Methode besonders gut für die Beobachtung von Übersetzungsprozessen geeignet, da zwischen Übersetzen und lautem Denken eine enge Verwandtschaft besteht (Krings 1986b: 265f.). Monologprotokolle sind zwar immer noch die häufigste Form empirischer Prozessuntersuchungen, aber die inhärente Künstlichkeit der Situation hat einige Forscher dazu veranlasst, ihre Testpersonen miteinander reden zu lassen und Dialogprotokolle, vereinzelt sogar Gruppenprotokolle, zu erstellen (z.B. House 1988; Hönig 1990 und 1991; Kußmaul 1995, 2000a; Schmid 1994). Juliane House (1988) verglich in einer Studie Monologmit Dialogprotokollen und stellte fest, dass Monologprotokolle sehr viele triviale Informationen enthielten und dass gerade der Prozess der Auswahl unter zielsprachlichen Varianten und die Entscheidung für eine bestimmte Variante nicht verbalisiert wurde (House 1988: 89). In den Dialogprotokollen dagegen wurden Übersetzungsalternativen ausgehandelt. Die Dialogsituation ergab mehr und vor allem relevantere Daten als die Monologsituation (House 1988: 96). Hier ist natürlich zu bedenken, dass die Anzahl der beobachteten Daten vom jeweiligen Persönlichkeitstyp der Testpersonen abhängt und dass die entdeckte Relevanz der Daten vom Beobachtungsinteresse des jeweiligen Forschers beeinflusst wird. Ja es können sogar scheinbar überhaupt nicht vorhandene Daten, z.B. Pausen (s. u. in diesem Kapitel) und die während <?page no="93"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 94 der Pausen ablaufenden nichtsprachlichen Aktionen, von großem Interesse sein, z.B. wenn es darum geht, die Inkubationsphase bei kreativen Lösungen zu beschreiben (s. Kap. 6). Auf Pausen bezieht sich ein weiterer Einwand gegen Monologprotokolle. Man hat festgestellt, dass die Testpersonen mit zunehmender kognitiver Belastung, d.h. wenn sie „in Gedanken versunken sind“, ihre Gedanken nur noch unvollständig oder gar nicht mehr verbalisieren (Ericsson/ Simon 1984/ 1993: 91). Andererseits scheinen Testpersonen auch bei abnehmender kognitiver Belastung, d.h. wenn sie wenig denken müssen, mit dem Verbalisieren aufzuhören. Dies geschieht beim Routineverhalten. Da Übersetzen für professionelle Übersetzer oft zu einer Routineaufgabe geworden ist, enthalten von ihnen produzierte Protokolle oft wenig Verbalisierungen (Jääskeläinen/ Tirkkonen-Condit 1991: 91). Sie reden nicht über das Übersetzen, sie übersetzen einfach, sogar ohne viele Pausen. Wenn wir uns die kognitive Belastung als eine quantitative Skala vorstellen, so ist ausschließlich mit Monologprotokollen an beiden Enden der Skala vermutlich kein Zugang zu den mentalen Prozessen zu finden. Dialog- und Gruppenprotokolle können aus diesem Dilemma heraushelfen. Durch Fragen der Teampartner, durch Erklärungen, durch Argumente für und wider eine Lösung und durch Kritik und Verteidigung, also durch Sprechakte, wie sie in einer natürlichen Kommunikation vorkommen, können die mentalen Prozesse ans Licht gebracht werden. Ich selbst habe daher häufig Dialogprotokolle benützt. Man kann nun freilich gegen Dialogprotokolle einwenden, dass dadurch eigentlich nicht die Situation der Berufspraxis untersucht wird, wo in der Regel ein Übersetzer oder eine Übersetzerin für sich allein arbeitet, und dass dadurch eben nicht die Gedanken einer Person, sondern die Gedanken von zwei sich austauschenden Personen beobachtet werden. Meine Antwort lautet: Wenn wir an vorbildlichen Prozessen interessiert sind, spielt es keine Rolle, ob sie im Kopf einer Person oder in den Köpfen zweier miteinander kommunizierender Personen stattfinden. Wichtig sind uns die Prozesse als solche. Wenn wir sie erkennen, dann können wir sie für uns als Einzelperson übernehmen. Wir alle kennen doch das Alltagsphänomen, dass man mit sich selbst redet. Oft nehmen wir dabei auch zwei Perspektiven ein, wie es beim Gespräch zwischen zwei Personen der Fall ist. Solche Selbstgespräche können zum Erfolg führende Denkprozesse auslösen. Will man den Erfolg der Übersetzungsprozesse beurteilen, was ja unser Interesse ist, so kann man zusätzlich zu den Monolog- oder Dialogprotokollen natürlich auch die schließlich in schriftlicher Form vorliegende Übersetzung als Dokumentation hinzuziehen. Zunächst lagen Übersetzungen in schriftlicher Form nur als Endprodukt vor. Seit einiger Zeit nun lässt sich ihr Zustandekommen detailliert dokumentieren. Es gibt Computerprogramme (z.B. Translog, s.u.), die alle Tastenbewegungen beim Übersetzen registrieren und nach Abschluss der Übersetzung in einer Datei speichern. Die online gesammelten und gespeicherten Daten kann man sich in beliebiger Geschwindigkeit vom Computer abspielen oder ausdrucken lassen und dabei beobachten, wo Pausen gemacht, etwas entfernt, verbessert oder nachträglich überarbeitet wurde. Die einzelnen Stufen der <?page no="94"?> Versuchspersonen und ihre Verhaltensweisen 95 Lösungsfindung sind also festgehalten, und auch erste Übersetzungsversuche, die später verworfen werden, gehen nicht verloren. Diese Computeraufzeichnungen lassen sich mit LD-Protokollen oder nachträglichen Befragungen (Retrospektion) der Testpersonen kombinieren. (In englischen Publikationen wird für die Kombination der Begriff triangulation benützt, z.B. Alves 2003). Wenn die Testpersonen gebeten werden, ihre Gedanken zu verbalisieren, während sie die Übersetzung in Verbindung mit einem Aufzeichnungsprogramm in den Computer tippen, verlängert sich natürlich der gesamte Prozess, und die Segmente, welche die Testperson gerade übersetzt, werden kleiner (Jakobsen 2003: 91). Durch die Testsituation verändert sich also das Verhalten der Testpersonen, was eigentlich nicht wünschenswert ist. Dies geschieht nicht, wenn man die Testpersonen unmittelbar nach Fertigstellung der Übersetzung befragt. Man nimmt dann Pausen oder Korrekturen als Ausgangspunkt und fragt die jeweilige Testperson, ob sie sich noch daran erinnern kann, was sie in den Pausen gedacht oder weshalb sie Korrekturen vorgenommen hat. Dafür hat sich der englische Begriff cued recall eingebürgert. Natürlich hat auch die Methode der retrospektiven Befragung ihre Nachteile, denn es kann sein, dass sich die Testperson falsch oder gar nicht mehr erinnert oder dass sie im Nachhinein Gedanken äußert, die sie beim Übersetzen gar nicht gehabt hat. Bei der Studie, über die ich in diesem Kapitel berichte, wandte ich dennoch diese Methode an und benützte als technisches Hilfsmittel das an der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen von Arnt Lykke Jakobsen und Lasse Schou entwickelte Computerprogramm „Translog“. (Für weitere Informationen zu Translog s. Jakobsen 1999: passim.) Eine weitere Aufzeichnungsmöglichkeit möchte ich noch erwähnen. Sie ist zwar sicherlich nicht so exakt wie die bisher dargestellten Methoden, und sie wird meines Wissens in der Übersetzungsprozessforschung auch kaum verwendet. Ich erwähne sie, weil sie relativ einfach ist und gerade im Alltag des Übersetzens, wenn man z.B. mit Kollegen oder Kolleginnen ein Problem bespricht, und auch im Übersetzungsunterricht ad hoc benutzt werden kann. Es handelt sich um Notizen über erfolgreiche Übersetzungsprozesse, sofort nachdem man sie erkannt hat. Ich selbst praktiziere diese Methode immer wieder. Dabei halte ich die verschiedenen Stadien, die zu einer guten Lösung geführt haben, schriftlich fest. Anhand der Notizen lässt sich dann der Lösungsweg in groben Zügen rekonstruieren. In gewisser Weise ist die Methode vergleichbar mit der Beobachtung verschiedener Stadien einer Übersetzung, wie sie z.B. durch Translog möglich ist; hinzu kommen aber die kommentierenden Notizen. 5.2 Versuchspersonen und ihre Verhaltensweisen Was die Versuchspersonen betrifft, so wurden in den ersten Untersuchungen (z.B. Gerloff 1986; Krings 1986a, 1986b; Lörscher 1986; Königs 1987) Studierende in neuphilologischen Studiengängen ausgewählt, und deren Studienziel war natürlich nicht professionelles Übersetzen. Bei der Auswahl der Texte war wichtig, dass sie eine möglichst große Anzahl von Schwierigkeiten enthielten. Ein Über- <?page no="95"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 96 setzungsauftrag wurde nicht erteilt und eine praxisnahe Situation nicht geschaffen. Diese Versuchsbedingungen waren von denen einer professionellen Übersetzerausbildung völlig verschieden. Die Übersetzung in neuphilologischen Studiengängen hat ja auch eine andere Funktion als in den Ausbildungsgängen für Berufsübersetzer. Sie dient im Wesentlichen dem Nachweis von Fremdsprachenkenntnissen. Neuphilologiestudenten übersetzen daher oft wörtlich, um den in sie gesetzten Erwartungen zu entsprechen. Sie wollen z.B. zeigen, dass sie ein bestimmtes Wort kennen. Im Zusammenhang mit Fremdsprachenerwerb ist die Vorstellung von einem Übersetzungsauftrag und einem gut funktionierenden zielsprachlichen Text normalerweise nicht existent oder zumindest irrelevant. Unter solchen Voraussetzungen kann man natürlich keine meisterhaften Übersetzungen erwarten, die als Vorbild dienen können. Das war in diesen ersten Versuchen auch gar nicht beabsichtigt. Es ging zunächst einfach darum, die von den Testpersonen verwendeten Techniken und Methoden, z.B. Nachschlagen in Wörterbüchern, Bedeutungserschließung aus dem Kontext oder Entscheidung für das statistisch häufigste Übersetzungsäquivalent, zu erkennen und zu sammeln. Um die Versuchsdesigns den Bedürfnissen einer Ausbildung zum professionellen Übersetzer anzupassen, wurden spätere Untersuchungen mit so genannten semi-professionellen Versuchspersonen, d. h. fortgeschrittenen Studierenden an Institutionen für Übersetzerausbildung, oder sogar mit professionellen, d.h. in der Praxis tätigen Übersetzern durchgeführt. Oft wurden auch professionelle mit nicht-professionellen Übersetzern verglichen, um professionelles Verhalten deutlicher erkennbar zu machen. Normalerweise wurde den Testpersonen in diesen Versuchen ein Übersetzungsauftrag erteilt, und es wurden Texte ausgewählt, die in der Praxis auch wirklich übersetzt werden oder für die eine praktische Übersetzungssituation zumindest simulierbar ist. Durch derartige Versuche erhoffte man sich unter anderem, professionelles Verhalten beobachten zu können. Wie machen es nun die professionellen Übersetzer? Können sie uns als Vorbild dienen? Können wir Verhaltensweisen von ihnen übernehmen? Die Arbeiten zur Prozessforschung sind durch den Forschungsbericht von Conny Opitz (2004) inzwischen gut dokumentiert. Ich benütze ihn zusätzlich zu den Originaluntersuchungen. Zunächst einmal muss allerdings gesagt werden, dass sämtliche Arbeiten auf eine relativ kleine Anzahl von Versuchspersonen zurückgreifen; die meines Wissens größte Anzahl, nämlich 24, liegt der Arbeit von Astrid Jensen (2001) zugrunde. Damit kann natürlich keine statistische Gültigkeit beansprucht werden, zumal auch von einer Randomisierung (zufälligen Auswahl) der Stichprobe keine Rede sein kann. Vermutlich handelt es sich bei den Professionellen um Personen, die der Versuchsleiter oder die Versuchsleiterin ohne Schwierigkeiten kontaktieren konnte und bei den Nicht-Professionellen um Studentinnen und Studenten aus seinen/ ihren Lehrveranstaltungen. In der Studie von Englund Dimitrova (2005) waren die Probandinnen und Probanden der Versuchsleiterin persönlich bekannt (76). Die Arbeiten sind aber deshalb nicht ohne Aussagekraft. Man muss sie als Fallstudien betrachten, und als solche machen sie Tendenzen sichtbar und tragen zur Hypothesenbildung bei. <?page no="96"?> Versuchspersonen und ihre Verhaltensweisen 97 Folgende Ergebnisse scheinen mir bisher die wichtigsten zu sein: Übersetzungseinheiten sind bei Professionellen länger als bei Anfängern (Lörscher 1991: 30). Anhand einer Translog-Studie stellte Jakobsen (2005: passim) fest, dass Professionelle längere Übersetzungssegmente am Stück in den Computer eintippten als Studenten. Zu ähnlichen Ergebnissen, vor allem bei Professionellen mit langjähriger Erfahrung, kommt Birgitta Englund Dimitrova (2005: 96-106, 140). Jakobsen vermutet, dass Professionelle ihre Prozesse besser organisieren und integrieren, indem sie das Sachgebiet des Textes im Auge behalten und sich von ihrem Verständnis seiner kommunikativen Funktion leiten lassen (2005: 115). Ähnliche Ursachen vermutete bereits Krings (1987: passim): Professionelle verwenden globale, d.h. den ganzen Text erfassende, Nichtprofessionelle eher lineare, d.h. nur eine Textstelle berücksichtigende Strategien. Die globalen Strategien haben eine ausgeprägtere Rekursivität zur Folge, d.h., Professionelle übersetzen nicht ganz simpel eine Textstelle nach der anderen, sondern bewegen sich souverän im Text vor und zurück, denn die an einer Stelle getroffenen Entscheidungen können Auswirkungen auf den ganzen Text haben (Opitz 2004: 668f.) Es wurde beobachtet, dass Übersetzungsprozesse sogar parallel ablaufen können (Séguinot 2000: 146 zit. nach Opitz 2004: 669). Zu den globalen Strategien gehört auch, dass Professionelle eine Makroanalyse durchführen, d.h. den größeren Kontext, den Texttyp und die Textsorte sowie rhetorische Muster berücksichtigen (Barbosa/ Neiva 2003: 150). Professionelle übersetzen außerdem stärker sinnorientiert und richten ihre Aufmerksamkeit auf das Textverstehen (Lörscher 1991: 272ff.), wobei sie durch Top-down-Prozesse auf ihr Text- und Weltwissen zurückgreifen (z.B. Jääskeläinen 1989: passim, 1996: passim, 1999: 120; Jensen 2001: 167). Lerner übersetzen dagegen eher formorientiert (Lörscher 1991: 272 ff.), d.h., sie versuchen z.B. für die ausgangssprachlichen Wörter jeweils ein zielsprachliches Wort zu finden, paraphrasieren also eher nicht. Außerdem benützen sie Wörterbücher allzu häufig und schlagen Einheiten nach, auch wenn sie eigentlich schon eine angemessene zielsprachliche Lösung gefunden haben, die sie dann wieder verwerfen (Livbjerg/ Mees 1999: 144f., Livbjerg/ Mees 2003: 131f.), was man als Zeichen der Unsicherheit und des mangelnden Selbstvertrauens sehen kann (Hönig 1995: 26). Die Sinnorientierung der Professionellen geht Hand in Hand mit einer stärker ausgeprägten Problemerkenntnis, die dann, wenn alles gut läuft, zu einer Problemlösung führt (Rothe-Neves 2003: 115ff.). Die Lösungen schließlich werden von den erfolgreichen Übersetzern laufend überprüft (Opitz 2004: 670). Häufig wird dabei eine wörtliche durch eine nicht-wörtliche Struktur ersetzt (Englund Dimitrova 2005: 146), ja bei erfahrenen Professionellen scheint die Schreibphase mit der Revisionsphase zu verschmelzen (Englund Dimitrova 2005: 148). Betrachten wir nun einen Abschnitt aus einem Dialogprotokoll, um zu sehen, wie ein Protokoll konkret aussieht. Es stammt aus einer Seminararbeit von Markus Kuhn und Lutz Fischer im Sommersemester 2004 am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim. Der zu übersetzende Text lautete: <?page no="97"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 98 So who, then, is the man that now occupies 16000 Pennsylvania Avenue? I’ll tell you who: He is George W. Bush, „President“ of the United States. The Thief-in-Chief. It used to be that politicians would wait until they were in office before they became crooks. This one came prepackaged. […] But because this coup was wrapped in an American flag, delivered in your choice of red, white, or blue, those responsible believe they’re going to get away with it. (Michael Moore: Stupid White Men. (… and other sorry excuses for the state of the nation! ). (Harmondsworth 2002, S.2) Die Testpersonen (Studierende) erhielten den Übersetzungsauftrag: Bitte übersetzen Sie den Text unter Beibehaltung des Stils ins Deutsche! Der folgende Abschnitt des Dialogprotokolls bezieht sich auf die Textstelle This one came prepackaged. A: (seufzt) This one came prepackaged. Prepackaged haben die ja normalerweise bei … bei so Fertigmahlzeiten. B: Vorverpackt. A: Ja. Oder abgepackt. Nee … (Pause) A: prepackaged … ähm (Pause) da wird das ja noch mehr ins Lächerliche gezogen, ne? Prepackaged. Wie sagt man das denn mit den Fertigmahlzeiten im Deutschen … Kennst du diese Lunchables von Amerika? Weißt du, wo sie dann so’n Sunkist und und Cracker und Cheese und haben se dann alles in so verschiedenen kleinen Abteilungen und alles ist so eingeschweißt. B: Ja, genau, stimmt. A: Wie heißt das denn? Vor … vorver … nee B: Vorverschweißt. (lacht) A: (lacht) Weil „vorverpackt“ ist ja auch nicht gut. B: Warte mal, lass mal bei prepackaged mal kurz nachgucken … (blättert) A: Das heißt ja eigentlich, dass er das schon alles mit sich gebracht hat. Ne? …. So, von Anfang an hat der das gebracht … Dieser Dialog illustriert zunächst einmal, dass ein Problem erkannt wird: Die problematische Textstelle wird — nach einem Seufzer als Problemindikator — vorgelesen. Dann wird deutlich, wie die Testpersonen durch Top-down-Prozesse auf das Weltwissen zurückgreifen, eine, wie oben festgestellt, professionelle Strategie. Testperson A stellt sich Fertigmahlzeiten vor und mit „vorverpackt“ und „abgepackt“ stehen auch gleich zwei Übersetzungen für prepackaged zur Verfügung. Testperson A beschreibt dann die Wirkung von prepackaged und fragt ganz explizit nach dem Weltwissen: „Kennst du diese Lunchables von Amerika? “ und erinnert sich an amerikanische Fertigmahlzeiten, und zwar an konkrete Einzelheiten: „so’n Sunkist und und Cracker und Cheese…“ Interessant beim Abrufen der Erinnerungen ist das Auftauchen des Worts „so“. Es hat laut Duden unter anderem die Funktion eines Demonstrativpronomens im Sinne von „solch, solche“ und verweist auf etwas Bekanntes. Ich habe derartige Wörter an anderer Stelle als „Szenenindikatoren“ (Kußmaul 2000a: 155, 182) bezeichnet. (Vgl. auch Kap. 6.4.) <?page no="98"?> Allgemeine Erfolgsstrategien: So übersetzen Profis 99 Aus der Lunchable-Szene versuchen die Testpersonen dann die Übersetzung für prepackaged abzuleiten, wobei die Übersetzungen sofort überprüft und kritisiert werden, auch dies, wie oben festgestellt, ein bei erfolgreichen Übersetzern beobachtetes Verhalten. Offenbar wird auch ein Wörterbuch zu Rate gezogen, allerdings ohne erkennbares Ergebnis. Eigentlich fand Testperson A mit „abgepackt“ gleich zu Anfang eine brauchbare Übersetzung, die aber nicht aufgegriffen wird. „Abgepackt“ scheint, wie ich feststellen konnte, häufiger gebraucht zu werden als „vorverpackt“: Eine Google-Suche im W eb ergab für „abgepackt“ 13 600 Seiten und für „vorverpackt“ 766 Seiten. An dieser Stelle zeigt sich meines Erachtens die oben erwähnte bei Lernern beobachtete Unsicherheit, zumindest die mangelnde Fähigkeit, Gutes sofort zu erkennen. Darin unterscheidet sich der Profi vom Lerner: Der Profi greift zu, wenn sich eine gute Lösung bietet, der Lerner lässt sie unbemerkt vorbeiziehen. An anderen Stellen aber verhalten sich die studentischen Testpersonen schon ganz profimäßig. Wenn in den bisherigen Untersuchungen mit Professionellen im Vergleich mit Anfängern bestimmte typische Verhaltensweisen beobachtet wurden, so sind das eher Tendenzen und keine festen Zuordnungen. Das hängt damit zusammen, dass die Untersuchungen aus den oben genannten Gründen keine statistische Gültigkeit haben können. Sie sind Fallstudien, und ein Fall ist eben nur ein Fall, und auch ein paar Fälle sind eben nur ein paar Fälle. 5.3 Allgemeine Erfolgsstrategien: So übersetzen Profis Ich habe oben gesagt, von Meistern könne man lernen. An unserem Dialogprotokoll wird deutlich, dass man mit gewissen Einschränkungen auch von Lernenden lernen kann. Auch sie verwenden oft vorbildhafte Strategien. Wir werden dies in den nächsten Kapiteln noch häufiger feststellen können. Wenn wir nun die an Professionellen und an dem eben analysierten Dialogprotokoll gemachten Beobachtungen zusammenfassen, so lässt sich eine Liste von allgemeinen Strategien aufstellen mit der Empfehlung: Wendet sie an, und ihr werdet erfolgreich sein! Weiter unten in diesem Kapitel werden im Anschluss an einen Bericht über eine Fallstudie dann noch speziellere Strategien genannt. Hier also zunächst einmal folgende Empfehlungen: Arbeitet mit globalen Strategien und führt eine Makroanalyse des Textes durch! Beachtet die generellen kommunikativen Bedingungen! Konzentriert euch auf den Sinn und nicht bloß auf die Wörter! Schaut euch größere Texteinheiten an und blickt im Text nach vorn und zurück! Macht Gebrauch von eurem Text- und Weltwissen und begnügt euch nicht mit den Informationen aus Wörterbüchern! Überlegt, wo Paraphrasen das Gemeinte klarer machen! <?page no="99"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 100 Vor allem aber, erkennt die Schwierigkeiten und Probleme nach dem Motto „Gefahr erkannt — Gefahr gebannt“! Vielleicht sind uns die Ratschläge aber doch etwas zu vage, und wir würden gerne wissen: 1. Wie sehen globale Strategien im Detail aus? Wie sieht eigentlich eine Makroanalyse aus? 2. Worauf müssen wir den Blick richten, wenn wir z.B. die Bedeutung eines Wortes aus dem vorausgegangenen und nachfolgenden Kontext erschließen wollen? 3. Welche mentalen Prozesse müssen wir dann in unserem Kopf in Gang setzen? 4. Wie aktivieren wir unser Text- und Weltwissen? Welches Wissen ist eigentlich relevant? 5. Wie finden wir eine passende Paraphrase für eine Wortbedeutung, das, was man gemeinhin als freie Übersetzung bezeichnet? 6. Wie entdecken wir überhaupt die Übersetzungsschwierigkeiten, die es zu lösen gilt? Die in den oben zitierten Arbeiten erwähnten professionellen Strategien bleiben relativ an der Oberfläche. Es käme nun darauf an, die darunter liegenden mentalen Prozesse zu erkennen. Über diese Prozesse gibt es bereits Theorien, die wir in den ersten Kapiteln unseres Buchs kennengelernt haben. Von Semantik und Verstehensprozessen war schon ausführlich die Rede; ebenso von kultureller Einbettung und Situationsanalyse. Die Kenntnisse dieser Prozesse lassen sich mit den beobachteten professionellen Strategien verknüpfen. Wer die in unseren Empfehlungen erwähnte Makroanalyse des zu übersetzenden Textes durchführt, kann die in Kapitel 2 dargestellte kulturelle Einbettung, Situationsanalyse und Funktionsbestimmung anwenden. Wer sinnorientiert übersetzt, kann die in Kap. 1, 2 und 4 auf der Grundlage von semantischen und psycholinguistischen Theorien beschrieben Verstehensprozesse bei sich aktivieren. Bis zu einem gewissen Grad sind Sie als Leser des Buchs ja schon Experten — natürlich nur, wenn Sie alle Aufgaben in diesem Buch gemacht haben. Um auf den deskriptiven Ansatz zurückzukommen: Wir ergänzen die von der Übersetzungsprozessforschung deskriptiv gemachten Beobachtungen, wenn es ums Detail geht, mit präskriptiven Empfehlungen. Oder umgekehrt gesehen: Unsere präskriptiven Empfehlungen werden in einen deskriptiven Rahmen eingepasst und dadurch in gewisser Weise durch die professionelle Übersetzungspraxis legitimiert. Wir werden aber in diesem Kapitel anhand der bereits angekündigten kleinen Fallstudie mit einer ganz besonderen Art von professionellen Übersetzern beobachten können, dass sich professionelles Verhalten in der Tat mit den von mir präsentierten Theorien beschreiben lässt, wenn Professionelle sich nicht sogar explizit von linguistischen Theorien und Begriffen leiten lassen. Zunächst aber soll noch von einer weiteren Art von Verhaltensweisen, die in der bisherigen Forschung beobachtet wurden, die Rede sein. Neben den bisher genannten Strategien und Techniken gibt es Verhaltensweisen, die etwas mit der <?page no="100"?> Allgemeine Erfolgsstrategien: So übersetzen Profis 101 psychischen Einstellung zur jeweiligen Aufgabe und vielleicht auch mit der Persönlichkeit der Übersetzerin oder des Übersetzers zu tun haben. Dass man Erfolg hat, wenn man mit Eifer und Begeisterung bei der Sache ist, ist sicher nichts Neues; das gilt auch für das Übersetzen (Jääskeläinen 1999: 237, Norberg 2003: 96-101, ). Ein nach meiner Erfahrung sehr wichtiger Verhaltensfaktor, der vor allem von der finnischen Forscherin Sonja Tirkkonen-Condit bei zunehmender Professionalität beobachtet wurde, ist die Toleranz von Unsicherheit und Ambiguität (1997: 78). Denn Übersetzungen sind, wie sie sagt, […] basically ridden with ambiguity. Translations are always compromises, and even the best translation is only an approximation. (Tirkkonen-Condit 1997: 78) Dies soll natürlich nicht heißen, ein Verhaltensmerkmal professioneller Übersetzer sei die Resignation. „Lassen wir’s halt so stehen“ ist sicher nicht Ausdruck einer professionellen Einstellung. Gemeint ist die Erkenntnis, und erfahrene Übersetzer können sie bestätigen, dass Texte interpretationsbedürftig sind, dass es oft mehr als eine plausible Interpretation gibt, und wenn wir uns für eine Interpretation entschieden haben, dass sich dann die optimale Lösung meist nicht sofort einstellt. Unsicherheit und Ambiguität zu ertragen und sich trotz der Unsicherheit für eine Übersetzung entscheiden zu können, erfordert weitere Verhaltensmerkmale, nämlich Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Bei Professionellen sind sie zu beobachten (Jääskeläinen 1996: 71). Die Stärkung des Selbstvertrauens als eines der Ausbildungsziele wurde von Übersetzungswissenschaftlern immer wieder hervorgehoben. Stellvertretend sei Hans Hönig zitiert, der dem Thema einen ganzen Artikel gewidmet hat: Selbstvertrauen ist die Grundlage einer effektiven und erfolgreichen Übersetzertätigkeit. Der professionelle Übersetzer kann sich dieses Selbstvertrauen durch Erfolge in seiner beruflichen Tätigkeit erwerben; dem semiprofessionellen Übersetzer fehlt diese Stütze. […] Selbstvertrauen lässt sich nur über die Stärkung des Selbstbewusstseins vermitteln, das heißt dadurch, dass man dem semiprofessionellen Übersetzer Einblicke in alle Dimensionen seiner übersetzerischen Handlungen vermittelt (Hönig 1993: 89). „Selbstbewusstsein“ hat zwei Bedeutungen: einmal die soeben gemeinte Bedeutung „Selbstvertrauen, Selbstsicherheit“ und zum anderen die Bedeutung „ein Bewusstsein von sich selbst“. Ich sagte oben, die Verfahren der Prozessbeobachtung könnten auch zur Selbstbeobachtung dienen. Wenn wir unser eigenes Übersetzen protokollieren, ist das eine Chance, unsere Verhaltensweisen zu erkennen und gegebenenfalls zu verbessern. LD-Protokolle und die anderen genannten Verfahren können so als didaktisches Mittel zur Bewusstmachung des eigenen Vorgehens dienen. Dozenten können, wenn sie nur kleine Gruppen haben, für jeden Studenten eine Diagnose stellen und ihn oder sie beraten (Hansen 1999: passim; Livberg/ Mees 1999: 146, 2003: 133). In gleicher Weise sind LD- <?page no="101"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 102 Protokolle für das Selbststudium nutzbar. Die Studentin oder der Student muss dann allerdings sich selbst diagnostizieren und therapieren. Das ist sicher nicht immer ganz einfach, aber wenn man dieses Buch gelesen hat, geht es sicher leichter. Wenn die Selbsttherapie gelingt, wird mit der Zeit auch das Selbstbewusstsein im Sinne des Selbstvertrauens gestärkt. 5.4 Eine Fallstudie Das Folgende ist der angekündigte Bericht über eine Fallstudie mit professionellen Übersetzern (vgl. Kußmaul 2003). Zunächst ein Wort zur Auswahl der Testpersonen. 5.4.1 Die Versuchspersonen Bei der Verwendung von Monologprotokollen wird, wie oben festgestellt, oft wenig verbalisiert. Bei Dialogprotokollen ist das, wie wir sehen konnten, anders, und wenn man Testpersonen wie in der vorliegenden Fallstudie direkt befragt, müssen sie natürlich etwas sagen. Die Frage ist freilich immer, wie gut sie über ihre Gedanken Auskunft geben können. Wenn eine Testpersonen z.B. nur sagt: „Ich war mit meiner Übersetzung nicht zufrieden, und dann habe ich mir eben eine andere Variante überlegt“, dann hat man es beim Auswerten dieser Äußerung ziemlich schwer, denn man kann über die Gründe der Unzufriedenheit und die Wege zur neuen Lösung nur spekulieren. Für unsere Zwecke besonders geeignet wären Personen, die über ihre Problemlösungsprozesse kompetent reden können, die also über ihre Techniken, Methoden und Strategien detailliert Auskunft zu geben imstande sind, mit anderen Worten, die eine metasprachliche (vielleicht sogar linguistische) Kompetenz besitzen. Von Personen, die sowohl beruflich übersetzen als auch Übersetzen unterrichten, ist dies eigentlich zu erwarten. Ich wählte also meine Testpersonen unter diesem Gesichtspunkt aus. Die Testpersonen haben folgende für unsere Zwecke relevante Biographien (die Namen sind geändert): Corinna: Zum Zeitpunkt des Experiments seit 2 Jahren fest angestellte Übersetzerin in einem Übersetzungsbüro. 1 Jahr Universitätsdozentin für Übersetzen. Susanne: Zum Zeitpunkt des Experiments seit 2 Jahren fest angestellte Übersetzerin in der Industrie. 1 Jahr Universitätsdozentin für Übersetzen. Robert: Universitätsdozent für Übersetzen und freiberuflicher Übersetzer. Zum Zeitpunkt des Experiments 12jährige Lehrerfahrung. Markus: Zum Zeitpunkt des Experiments Universitätsdozent für Übersetzen und Dolmetschen mit 30jähriger Lehrerfahrung. Freiberuflicher Übersetzer. Was ist mein Ziel und wie repräsentativ sind die Daten? Ich beabsichtige nicht, wie das in vielen der empirischen Studien der Fall ist, typische Verhaltensweisen einer bestimmten Gruppe von Übersetzern, z.B. Studierenden oder Professionel- <?page no="102"?> Eine Fallstudie 103 len, zu beobachten. Wollte man über das Verhalten von Studierenden oder Professionellen relevante Aussagen machen, z.B. über typische Defizite bzw. über typisches Expertenverhalten, dann müsste man eigentlich sehr viel Sorgfalt auf die Auswahl der Stichprobe verwenden. Die Größe und die Randomisierung der Stichprobe (Auswahl der Probanden nach dem Zufallsprinzip) wäre dabei immer ein Problem (vgl. Kußmaul 2000a: 55), und meines Wissens wurde, wie schon gesagt, in den bislang durchgeführten Studien das Prinzip der Randomisierung auch nicht berücksichtigt. Die Studie, über die ich hier berichte, ist also keine statistische Studie, sondern eine Fallstudie mit vier Versuchspersonen. Mein Beobachtungsinteresse richtet sich nicht darauf, ob professionelle Übersetzer besser sind als Anfänger, sondern ich will Problemlösungsprozesse beobachten, die zum Erfolg führen. Diese könnten auch bei Anfängern zu finden sein, nur haben Anfänger eben meist keine metasprachliche Kompetenz. Bei den erfolgreichen Problemlösungsprozessen kommt es mir nicht auf die statistische Häufigkeit an, in der sie auftreten, sondern darauf, wie sie aussehen. Wenn ich ein paar solche Prozesse beobachten kann, die als Vorbild für erfolgreiches Übersetzen dienen können, habe ich mein Ziel erreicht. Im Grunde würde eine Versuchsperson genügen, wenn in ihrem Kopf erfolgreiche Prozesse ablaufen, aber bei vier Personen sind die Chancen größer. 5.4.2 Der Text Meine Untersuchung war Teil einer Pilotstudie im Jahr 2001 für ein Forschungsprojekt der Gruppe Expertise (http: / / www.hf.uio.no/ ilos/ forskning/ forskningsprosjekter/ expertise), für das damals ein Förderungsantrag bei der europäischen Kommission gestellt wurde. Den Projektmitgliedern erschien es ratsam, für das Pilotprojekt durch die Wahl des Textes einen EU-Bezug herzustellen. Es wurde ein Text gewählt, der im Auswahlverfahren der Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Jahr 1989 benutzt wurde. Um es gleich vorwegzuschicken: Die für die Prüfungsaufgaben für EU-Übersetzer vorgelegten Texte sind meines Erachtens praxisfern, denn sie enthalten keinen Übersetzungsauftrag, ja nicht einmal die Angabe der Textquelle, und zudem soll der Text ohne Wörterbücher und andere Recherchiermittel übersetzt werden. Man könnte einwenden, dass unter solchen Bedingungen überhaupt kein professionelles Übersetzen möglich ist. Wir haben den Text dennoch benützt, und wie ich bei der Auswertung meines Versuchs feststellen konnte, versuchte eine meiner Versuchspersonen, den fehlenden pragmatischen Rahmen zu ergänzen (s.u.). Zudem lassen sich trotz nicht vorhandener Praxiseinbettung, wie sich zeigen wird, Problemlösungsstrategien beobachten, die auch auf praxisnahe Übersetzungssituationen übertragbar sind. The vision of unity that must not fail A great extravagance of language is devoted to a visionary concept of Europe. The founding fathers were certainly inspired by the prospect of a Europe <?page no="103"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 104 bound together by institutions through which the divisiveness of European history would be replaced by a common cause. But the real world of European politics is primarily concerned with the pursuit of self-interest. Britain’s failure to attend the conference that paved the way for the Treaty of Rome gave France and Germany the chance to enshrine their self-interest in institutional form. Thirty-five years later Britain still feels the same tension as France and Germany talk of faster progress towards the achievement of ill-defined aims. Do their words mean anything or nothing? At one extreme they can be taken to imply a full-blown European State. In Britain we could never accept the relegation of our Parliament to that type of federalism. It was no surprise to me that ‘political union’ in the text before Dublin became overnight ‘political dimension’. We have seen all these words before. Indeed we have even put our signature to them, with that sheepish smile that politicians reserve for the grandest forms of Eurospeak. But have no doubt, these words are the disposable wrapping beneath which lies the vigorous horse-trading that is the stuff of Community politics. Britain cannot accept a Europe dominated by the self-interest of a Franco- German alliance. Nor do we need to accept a looser concept: a two-tier Community, divided between the pacesetters and the rest. It is quite obvious who the pacesetters are determined to be. It is equally obvious that, while they may accept us as partners, they will never allow us to impose a brake on their ambition. (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C271 A/ 12, 16.10.91. Unterstreichungen von mir.) 5.4.3 Die technischen Hilfsmittel Für die Aufzeichnung des Übersetzungsvorgangs wurde das oben erwähnte Programm Translog verwendet. Von besonderem Interesse als Problemindikatoren waren für die Mitglieder der EXPERTISE-Gruppe in ihrer Funktion als Versuchsleiter die vom Programm registrierten Pausen (5 Sekunden und länger) sowie Veränderungen während des Übersetzungsprozesses und der Revisionsphase. Die Unterbrechungen des gleichmäßigen Übersetzungsflusses, so unsere Vermutung, könnten ein Indiz für bestimmte kognitive Vorgänge (z.B. Problemlösen) sein (vgl. Jakobsen 1999: 14, der von cognitive rhythm spricht). Wir benützten also Pausen und Veränderungen als Ausgangspunkte für die mit den Versuchspersonen durchgeführten retrospektiven Interviews, die auf Tonkassetten aufgezeichnet wurden. Dazu las die Versuchsperson je nach Präferenz entweder den Ausdruck der Translogtranskription ihrer soeben produzierten Übersetzung oder ließ sich ihren Schreibvorgang auf dem Bildschirm noch einmal abspielen. Idealerweise sollten die Versuchspersonen ihre Pausen und Veränderungen selbst kommentieren, der Versuchsleiter konnte aber Impulse geben. Ein paar Zeilen einer Translogtranskription (Textanfang) des Probanden Robert mögen als Illustration dienen (Abb. 2). <?page no="104"?> Eine Fallstudie 105 Abb. 2 Ein Sternchen steht für eine Pause von 5 Sekunden. Orthographische Verbesserungen, gekennzeichnet durch (Rücktaste) sind, obgleich in diesem Beispiel häufig, für unsere Zwecke uninteressant. Interessant sind aber z.B. die Stellen, an denen der Proband nach einer Pause die englischen Wörter (a great extravagance of language und divisiveness) eintippte. Sie sind ein Indiz für ein semantisches Problem, das er dann im Interview kommentiert (s.u.). Die weiteren häufigen Zeichen in diesem Ausschnitt haben folgende Bedeutungen: Leertaste Cursor nach unten Cursor nach oben Cursor nach links Cursor nach rechts 5.4.4 Aspekte der Datenanalyse Die Testpersonen brauchen keine Psycholinguisten, Semantiker, Kommunikationswissenschaftler und eigentlich auch keine Übersetzungswissenschaftler zu sein, um erfolgreich übersetzen zu können. Wer jedoch die Daten analysiert, benötigt Modelle, um überhaupt etwas zu sehen, denn kognitive Prozesse müssen aus den Protokollen erschlossen werden (Ericsson/ Simon 1984/ 1993: ). Wenn wir die Prozesse erschließen wollen, müssen wir schon irgendwie wissen, wie sie aussehen könnten. Das ist das bekannte Problem des hermeneutischen Zirkels. Wenn wir etwas suchen, müssen wir schon eine Ahnung davon haben, wo es zu finden ist. Modelle sind wie eine Brille. Ohne Brille sehen wir schlecht. Und mit Brille auch, wenn es die falsche ist. Ich benütze die in Kap. 1 erwähnten kognitionslinguistischen Modelle, also vor allem die Prototypensemantik, die Scenes-and-frames-Semantik, die Begriffe „Bottom-up- und Topdown-Prozesse“ und „Fokussierung“. Ferner benütze ich die in Kap. 4 erwähnten Grundbegriffe der Gedächtnisforschung. Ich hoffe, damit die richtige Brille aufgesetzt zu haben. A great extra avay gance of language ist d devoted to einem visionären Konzueotp ept v onEuripa o . Die Grüder nder v- -te äter dier er EU waren sicherlich besellt vo n e vonder Aussicht auf ein Eurio opy, a, das zusammengehalten wird vonInstitutionen , dank denen die DI EVISIVENESS der europäischen fga Geschichtge e ERSETZTE w wpr p ürde duc rch die gemeinasm same Sachen . <?page no="105"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 106 Auch Professionelle übersetzen nicht immer gut. Oft lässt sich ein Problemlösungsprozess zwar beobachten, und die Testpersonen glauben am Schluss vielleicht auch, das Problem gelöst zu haben, aber das Resultat ist unbefriedigend. Wir kommen als Versuchsleiter um eine Evaluation nicht herum. Ich habe sie selbst vorgenommen und mich dabei auf das „funktionale Konzept“ gestützt (vgl. Nord 1994: passim, Nord 1998: passim sowie Kußmaul 2000a: 36-51). Für eine funktionale Evaluation gilt als höchster Entscheidungsrahmen der Übersetzungsauftrag. Für unsere Studie wurde nun freilich dieser Auftrag in der Prüfungsaufgabe der Kommission nicht erteilt. Wir konnten und wollten ihn auch nicht eigenmächtig hinzufügen, um die ursprüngliche Situation des EU-Auswahlverfahrens nicht zu verändern. Ich schließe also einen Kompromiss zwischen der zugegebenermaßen unbefriedigenden Übersetzungssituation und meinen Bewertungskriterien. Ich beschränke mich auf die Beobachtung semantischer Probleme und lasse mit einem gewissen Bedauern pragmatische Probleme (z.B. Fragen der kulturellen und situativen Einbettung) in diesem Fall unberücksichtigt. 5.4.5 Kommentare der Testpersonen zu einzelnen Textstellen Ich konnte feststellen, dass die Übersetzung bestimmter Wörter oder Wortgruppen (von mir im obigen Text unterstrichen) allen oder den meisten Testpersonen Probleme bereitete, was natürlich nicht heißt, dass sie die Probleme nicht lösen konnten. Um den Leser nicht zu überlasten, präsentiere ich hier nicht die gesamte Fallstudie (Kußmaul 2003), sondern wähle ein paar Stellen aus, die mir für das Thema „Verstehen und Übersetzen im Sinne von Neuformulieren“ unter didaktischem Aspekt besonders interessant erscheinen. Ich behandle die Textstellen (im Folgenden unterstrichen im Satzkontext) in der Reihenfolge ihres Erscheinens. A great extravagance of language is devoted to a visionary concept of Europe. Corinna In der Translog-Transkription erscheint eine Pause von 30 Sekunden, die von der Probandin damit kommentiert wird, dass sie ein Problem mit der Textstelle gehabt habe und mit dem Begriff „Sprache“ zunächst nicht viel habe anfangen können. Sie übersetzt „ziemlich frei“, wie sie sagt: „Nach außen hin ist Europa durch ein visionäres Konzept von Europa verbunden“, und diese Formulierung erscheint dann auch in der Endversion. Susanne Eine Pause von 25 Sekunden kommentiert die Probandin damit, dass sie zunächst immer den ganzen Abschnitt noch einmal durchlese und dann übersetze. Ihre Übersetzung lautet: „Viele schöne Worte sind bereits über die Vision der Europäischen Union verloren worden.“ Die Probandin äußert zwar eine gewisse Unzufriedenheit mit der Formulierung — sie klinge „zu salopp“, kann aber nicht erklären, warum sie sich dafür entschieden hat. <?page no="106"?> Eine Fallstudie 107 Robert Vor der Übersetzung der Textstelle erscheint eine Pause von 45 Sekunden. Der Proband stellt das Problem zunächst einmal zurück und tippt die ausgangssprachlichen Wörter ein (s. Abb. 2). Im Interview sagt er, er habe den Eindruck gehabt, der Autor des Textes nehme eine kritische Haltung ein. Roberts Assoziationen sind: Schönfärberei und Wortklauberei. In der Revisionsphase übersetzt er die Stelle mit: „sprachlich wird viel Aufhebens gemacht“. Kognitiv lässt sich Roberts Verhalten wie folgt interpretieren: Er betrachtet den Ausgangstext als Ganzes, verwendet also eine globale Strategie, und benützt seine Interpretation für die Problemlösung. Genauer gesagt: Durch den Text wird eine Szene aufgebaut, die im Arbeitsgedächtnis gespeichert wird. Sie bildet dann den Hintergrund für die Übersetzung der Textstelle, d.h. für das Finden eines sprachlichen Rahmens. Markus Zwar erscheint in der Translogtranskription des Probanden keine lange Pause vor dieser Textstelle, aber als er die Metaphern des letzten Abschnitts kommentiert (s.u.), sagt er, dass er nach der Lektüre des Textes vor Beginn der Übersetzung sich klarzumachen versuchte, was das Thema des Textes war. Bei seinem Textverständnis habe er sich auf Wörter konzentriert, die zur Kohärenz des Textes beitragen (z.B. grandest forms of Eurospeak, disposable wrappings). Seine Übersetzung für die Textstelle lautet: „mit sehr gewählten Worten“, und er benützt diese Formulierung auch für die Textstelle do their words mean anything or nothing: „Hinter ihren sehr gewählten Worten kann sich vieles verbergen - möglicherweise auch nichts“ und eine modifizierte Form davon für die Übersetzung von We have seen all these words: „Wir alle kennen diese schönen Worte“. Markus begründet diese Übersetzungen gegen Ende des Interviews damit, dass er dieselbe bzw. eine ähnliche Wendung benützt habe, um die Textkohärenz deutlich zu machen. Ich muss hier einen Begriff erklären: Unter Textkohärenz versteht man den textbildenden Zusammenhang von Sätzen, der alle Arten satzübergreifender grammatischer und semantischer Beziehungen umfasst. Zu den semantischen Strukturen gehören z.B. kausale oder temporale Verknüpfungen oder, wie im vorliegenden Fall, Wörter, die sich auf ein bestimmtes Thema beziehen (vgl. Bußmann 1990: 389). Für das Übersetzen ist Textkohärenz ein wichtiger Begriff. Textkohärenz ist ein Qualitätsmerkmal von Texten und damit auch von Übersetzungen. Kohärente Texte sind leichter verständlich. Ohne Kohärenz ist ihre Funktion nicht gewährleistet. Kognitiv gesehen laufen bei Markus wohl ähnliche Vorgänge ab wie bei Robert. Markus benützt die Textanalyse wie Robert — aber noch bewusster — als Folie für seine Übersetzung der jeweiligen Wörter. Das durch die Textanalyse gewonnene Wissen wird im Arbeitsgedächtnis gespeichert. Es interagiert in einem Top-down-Prozess mit den durch die jeweiligen Wörter ausgelösten semantischen Bottom-up-Prozessen. <?page no="107"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 108 Beurteilung Bezüglich dessen, was kognitiv in den Versuchspersonen abläuft, sind die Kommentierungen unterschiedlich ergiebig. Man kann sich nun generell die Frage stellen, ob es einen Zusammenhang zwischen erkennbarer kognitiver Reflexion und der Qualität der Übersetzungen gibt. Ich schneide diese Frage hier schon kurz an und werde sie im Schlussteil wieder aufgreifen. Corinnas Übersetzung „Nach außen hin ist Europa durch ein visionäres Konzept von Europa verbunden“ entspricht nicht der Semantik des Ausgangstexts. Dies passt zu ihrem Kommentar, in dem sie ein Problem konstatiert, aber keine Lösungswege nennt. Susannes Übersetzung „Viele schöne Worte sind bereits über die Vision der Europäischen Union verloren worden“ entspricht der Ausgangstext-Semantik einigermaßen, obwohl sie nichts darüber sagt, was in ihrem Kopf abgelaufen ist. Der Satz wäre allerdings noch klarer gewesen, wenn Susanne ein „von“ eingefügt hätte: „Viele schöne Worte sind bereits über die Vision von der Europäischen Union verloren worden“. Die meines Erachtens gut gelungenen Übersetzungen von Robert und Markus („sprachlich wird viel Aufhebens gemacht“ (Robert), „mit sehr gewählten Worten“ (Markus)) verbalisieren das im Ausgangstext fokussierte Thema Eurospeak und die daran geübte implizite Kritik. Sie sind das Ergebnis kognitiver Reflexion. The founding fathers were certainly inspired by the prospect of a Europe bound together by institutions through which the divisiveness of European history would be replaced by a common cause. Corinna Nach einer Pause von 20 Sekunden schreibt die Probandin zunächst „Vielfältigkeit“, was sie, wie sie in ihrem Kommentar sagt, „zu positiv“ findet. Sie verändert es dann zu „Heterogenität“ mit der Begründung, so ihr Kommentar, es bilde einen Gegensatz zu common cause im selben Satz. Susanne Nach einer Pause von 21 Sekunden schreibt die Probandin „Feindseligkeiten“ und behält dies auch in der Endversion bei. Sie dachte, so ihr Kommentar, zunächst an „Unterschiedlichkeiten“, was ihr aber im Hinblick auf die Bedeutung von divide als „zu schwach“ erschien. Im weiteren Verlauf des Interviews kommt sie noch einmal auf das Problem zurück und denkt an „Gespaltenheit“, begründet dies aber nicht explizit z.B. mit ihrem Weltwissen. Robert Robert tippt zunächst das AS-Wort ein, um es später zu übersetzen. Im Interview sagt er, er habe bei dieser Textstelle an die deutsche Geschichte der letzten Jahrhunderte gedacht, als Deutschland in Kleinstaaten aufgeteilt war, und folglich übersetzte er in der Revisionsphase „Kleinstaaterei“. Kognitiv gesehen macht Robert hier von seinem Weltwissen Gebrauch, das durch einen Top-down-Prozess aktiviert wird. <?page no="108"?> Eine Fallstudie 109 Markus Zu registrieren ist eine Pause von 15 Sekunden und eine weitere Pause von 20 Sekunden beim Schreiben der Übersetzung „Spaltung“. Im Interview sagt Markus, er habe an die Ost-West-Spaltung Europas gedacht, und in der Endversion lautet die Übersetzung an dieser Stelle demgemäß „historische Spaltung“. Auch Markus macht also von seinem Weltwissen Gebrauch. Im Vergleich zu Robert aktiviert er aber ein anders Weltwissen. Beurteilung Es stellt sich hier natürlich die Frage, wer den Text richtig verstanden hat, oder besser gesagt, welches Textverständnis plausibler ist. Textverstehen ist, wie mehrfach gesagt, generell gekennzeichnet durch Interaktion von Bottom-upmit Topdown Prozessen. Ich konnte in anderem Zusammenhang beobachten, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Prozessen zu Missverständnissen führen kann (Kußmaul 1995: 25-28), und dies lässt sich auch hier beobachten. Im Ausgangstext ist von founding fathers die Rede, also von der Zeit, als die damalige Europäische Wirtschaftgemeinschaft (EWG) im Jahr 1957 gegründet wurde. Die EWG war ein Zusammenschluss der in die NATO eingebundenen europäischen Staaten, ein Zusammenschluss, wie es ihn bisher in der europäischen Geschichte noch nicht gegeben hatte. Die Welt war zwar in zwei Machtblöcke, Ost und West, getrennt, aber an einen Einbezug des Ostblocks dachte man damals nicht. Heute ist die Situation anders. Die Trennung ist überwunden. Die ehemaligen Ostblockstaaten sind Mitglieder oder zumindest Anwärter für einen EU-Beitritt. Markus sieht den Text also vermutlich unter heutiger Perspektive. Seine Top-down-Prozesse verstellen ihm den Blick auf das, was vom Text „heraufkommt“. Robert dagegen übernimmt für sich die historische Perspektive des Texts. Ich halte seine Interpretation für plausibler und seine Übersetzung damit für richtig. „Heterogenität“ (Corinna) und „Feindseligkeit“ (Susanne) entsprechen nicht der Semantik des Ausgangstexts. Möglicherweise ist der Grund für die nicht erfolgreiche Lösungssuche darin zu sehen, dass die beiden Probandinnen ihr Weltwissen nicht aktivierten. At one extreme they can be taken to imply a full-blown European State. Corinna Mit dieser Textstelle konnte die Probandin, wie sie sagt, zunächst nichts anfangen, und sie stellte daher die Übersetzung zurück. In der Revisionsphase nahm sie das Problem wieder auf. Es war ihr zunächst, so ihr Kommentar, nicht klar gewesen, was mit full-blown in diesem Zusammenhang gemeint sein könnte. Sie verbesserte dann in der Revisionsphase eine ganze Reihe anderer Stellen, und behielt, so ihr Kommentar, das Problem full-blown European State im Hinterkopf — eine, wie sie sagt, von ihr üblicherweise praktizierte Übersetzungstechnik. Ihr sei dann, ausgelöst durch die Großschreibung von European State, der Gedanke gekommen, dass dies als im vorliegenden Text neu geprägter Eigenname gemeint <?page no="109"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 110 sein könnte. Diese Erkenntnis veranlasste sie schließlich zu der Übersetzung „… eines regelrechten Europäischen Staates“. Unter kognitivem Aspekt lässt sich hier beobachten, dass Corinna sozusagen über einen Umweg ans Ziel gelangt ist. Sie kam mit der Semantik von full-blown nicht weiter, und ließ sich dann von der Orthographie inspirieren. European State war für sie dann — nicht unplausibel gedacht — der Name für einen politisch vereinigten Europäischen Bundesstaat. Beachtenswert ist auch die von ihr erwähnte Technik der Rückstellung eines Problems. Ich konnte ähnliche Prozesse der Blockadenüberwindung durch parallel ablaufende Tätigkeiten, die eine mentale Entspannung bewirken, in der Inkubationsphase des kreativen Denkens beobachten (s. Kap. 6.3). Susanne Die Transkription verzeichnet mehrere Pausen von einer Gesamtlänge von über einer Minute. Die Probandin, so ihr Kommentar, glaubt zunächst, es liege ein stilistisches Problem vor („Umgangssprache“). Aus dem folgenden Satz wird der Probandin klar, dass full-blown bedeuten könnte, dass ein derartiges Europa die Rechte und die Macht der einzelnen Mitgliedsstaaten beschneiden würde. Ihre Übersetzung, mit der sie jedoch nicht zufrieden ist, lautet: „mächtige Europäische Union“. Kognitiv gesehen, lässt sich ein gedanklicher Weg erkennen. Susanne klassifiziert das Problem zunächst fälschlicherweise als stilistisches, dann erkennt sie, dass es um Semantik geht. Vermutlich aktiviert sie ihr Hintergrundwissen über das Verhältnis der Einzelstaaten in einem Staatenbund. Zweifellos hat sie richtig gedacht; die Frage ist nur, ob die Übersetzung der Interpretation auch wirklich entspricht (s.u.). Robert Nach einer Pause von 5 Sekunden ändert Robert seine Übersetzung von „einen einzigen“ zu „einen voll ausgeprägten europäischen Staat“. In seiner Kommentierung sagt er, er habe bei dieser Textstelle an die europäische Einheitswährung Euro gedacht und habe „ausgeprägt“ gewählt, weil „prägen“ auch für Münzen verwendet werde. Ferner habe er auch an Aids gedacht, wo das Wort „Vollbild“ für die Symptome der Krankheit verwendet werde. Was wir unter kognitivem Aspekt hier beobachten können, ist die Vorstellung von einem Szenendetail während des Verstehensprozesses. Der Euro ist ein Element der Gesamtszene „full-blown European State“. (Mehr zum Begriff „Szenenelement“ in Kap. 6.3. und 7.) Die Vorstellung von Aids scheint ziemlich weit hergeholt zu sein; vielleicht liegt eine Assoziation zwischen „ausgeprägt“ und „Vollbild“ vor. Markus Nach einer 20sekündigen Pause schreibt er „föderal“, dann „Bundesstaat“, was auch in der Endversion erhalten bleibt. Er kommentiert dies damit, dass er den Satz im Zusammenhang mit dem nächsten gesehen habe und dass es seiner Meinung nach hier um den Unterschied zwischen der föderalen Struktur für ganz Europa und den Parlamenten der Einzelstaaten gehe. Markus nimmt also eine <?page no="110"?> Eine Fallstudie 111 semantische Analyse mittels des Kontexts (des Bottom-up-Materials) vor, die ihn dann zu einer Übersetzung führt. Beurteilung Alle Testpersonen lassen kognitive Reflexionen erkennen, und alle Übersetzungen sind, denke ich, akzeptabel. Ein Zusammenhang zwischen Reflexion und Lösungsfindung ist hier ganz offensichtlich. Am besten sind meines Erachtens die Übersetzungen „regelrechter Europäischer Staat“ und „Bundesstaat“, da sie das Idealziel der europäischen Politik klar benennen. Nor do we need to accept a looser concept: a two-tier Community, divided between the pacesetters and the rest. It is quite obvious who the pacesetters are determined to be. It is equally obvious that, while they may accept us as partners, they will never allow us to impose a brake on their ambition. Ich fasse die unterstrichenen Metaphern zu einem Problemkomplex zusammen, denn wie wir sehen werden, wurden diese Sätze von den Testpersonen teilweise als Einheit empfunden. Corinna Eine Pause von 18 Sekunden in der Transkription veranlasst die Probandin zu folgenden Kommentaren: „Zwei Klassen“ für a two-tier Community fand sie angesichts des Klassensystems in England eher unpassend. Sie erkannte aufgrund des Kontexts eine Teilung in zwei Gruppen, die Progressiven und den Rest. Ihre Übersetzung lautet „zweigeteiltes Europa“. Für pacesetters suchte sie zunächst nach einem deutschen Wort, es fiel ihr aber keines ein, so dass sie dann eine Paraphrase benützte: „diejenigen Länder, die das Tempo vorgeben wollen“. Die restlichen Stellen bleiben von der Probandin unkommentiert. Kognitiv gesehen, lässt sich hier sowohl ein Rückgriff auf das Weltwissen (Klassensystem in England) bei der Übersetzungsevaluation als auch ein Rückgriff auf das kontextuelle Wissen beim Verstehensprozess beobachten. Susanne Vor dieser Textstelle verzeichnet Translog eine Pause von 30 Sekunden. Die Probandin erwähnt, dass sie an die deutsch-französische Freundschaft gedacht und sich dann daran erinnert habe, dass man in der Presse über die „deutsch-französische Lokomotive“ gesprochen habe, die das Ganze vorantreibt, eine Formulierung die ihrer Meinung nach gut zu pacesetters im nächsten Satz passt. Ihre Übersetzung lautet: „Doch auch eine zweigeteilte Gemeinschaft, die aus der deutschfranzösischen Lokomotive und dem Rest Europas besteht, kommt nicht in Frage.“ Um sich nicht zu wiederholen übersetzt die Probandin das zweite pacesetters mit „wer die Führungsrolle in Europa übernehmen wird“. To impose a brake (28 Sekunden Pause) löst bei ihr die Assoziation „stoppen“ und „Veto“ aus, und daraus wird dann „ohne wirkliches Mitsprache- oder Vetorecht“. Ganz offensichtlich aktiviert Susanne hier ihr Weltwissen über die deutschfranzösische Partnerschaft und erinnert sich an eine aktuelle dafür übliche Meta- <?page no="111"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 112 pher („Lokomotive“). Der Zusammenhang mit pacesetters lässt sich im Sinne George Lakoffs (1987) als „Verkettung“ beschreiben (Lakoff spricht von chaining). Gemeint ist mit diesem Begriff, dass zwei Denkkategorien (und auch Metaphern drücken Denkkategorien aus) eine oder mehrere Vorstellungen gemeinsam haben. Lakoff weist nach, dass z.B. die englischen Begriffe anger und lust durch die gemeinsame Vorstellung fire verkettet sind. Dies zeigt sich in idiomatischen Wendungen für anger wie He was breathing fire oder After the argument, Dave was smoldering for days und für lust in Wendungen wie Hey, baby, light my fire oder She’s hot stuff (Lakoff 1987: 95, 388, 410). Die kognitive Verkettung von pacesetters mit „Lokomotive“ und „Führungsrolle“ lässt sich so sehen, dass diese Begriffe das gemeinsame Element „vordere Position“ haben. Eine Lokomotive befindet sich typischerweise vorn am Zug, und wer vorn ist, gibt das Tempo an. Die Semantisierung der Metapher durch „Führungsrolle“ setzt sozusagen am zweiten Glied (gibt das Tempo an) der Assoziationskette ein. Bezüglich der Assoziationen aufschlussreich ist auch die Übersetzung von impose a brake on their ambition. Von der konkreten Szene der Bahnfahrt (impose a brake), wechselt die Probandin, wie aus ihrem Kommentar hervorgeht, in die Szene Politik („Veto“, „Vetorecht“). Auch dies ließe sich wieder als Verkettung beschreiben; beiden Kategorien gemeinsam ist die Grundvorstellung, dass man etwas aufhalten kann. Die Übersetzung entmetaphorisiert wiederum, gibt aber, das sei hier schon vorweggenommen, die implizierte Bedeutung sehr treffend wieder. Robert Two-tier community bereitet offensichtlich keine Probleme — die Transkription verzeichnet keine Pausen — und die spontane Übersetzung lautet „eine Zwei- Klassen-Gemeinschaft“. Robert erwähnt, seine Übersetzung sei durch den zweiten Teil des Satzes (the pacesetters and the rest) inspiriert worden, was, wie er sagt, für ihn die hier relevanten Wörter des Kontexts waren. Auch bei der Übersetzung der restlichen Metaphern ergaben sich erstaunlicherweise keine Pausen. Seine Übersetzung der gesamten Textstelle lautet: „Ebenso wenig hat man es jedoch nötig, ein weniger stringentes Konzept zu akzeptieren: eine Zwei-Klassen-Gemeinschaft, bestehend aus den Vorreitern einerseits und dem Rest andererseits. Es ist ziemlich offenkundig, wer dazu entschlossen ist, Vorreiter zu sein. Ebenso offenkundig ist, dass sie, während sie die Briten vielleicht als Partner akzeptieren, es ihnen jedoch nicht zugestehen werden, ihre Ambitionen zu bremsen.“ Wir können auch hier nur im Nachhinein kognitive Zusammenhänge feststellen: Two-tier impliziert eine horizontale Schichtung. Das Gleiche gilt wohl auch für „Zwei-Klassen-Gemeinschaft“. Die Übersetzung „Vorreiter“ für pacesetter liegt nahe am Wort des Ausgangstexts und ist daher nicht erklärungsbedürftig. Das Gleiche gilt für die Metapher des letzten Satzes. Markus Die Transkription verzeichnet eine Pause von 3 Minuten. Markus begründet seine Übersetzung „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ für two-tier community damit, dass diese Worte der in Europa benützte Fachausdruck für den Kompromiss sei, <?page no="112"?> Spezielle Erfolgsstrategien: So denken Profis 113 dass man nicht alle europäischen Staaten auf einen Schlag integrieren kann. Markus kritisiert den Ausgangstext, weil er zwei Bilder enthalte, die eigentlich nicht miteinander harmonierten. Er habe daher den Ausgangstext an dieser Stelle durch die Wahl eines einheitlichen Metaphernbereichs verbessert. Konsequenterweise übersetzt er partners durch „Mitfahrer“ und put a brake on their ambition durch „als Bremser dabei haben“. Bei pacesetters bleibt er nah am Ausgangstext und übersetzt „Schrittmacher“, was ja in den von ihm gewählten Metaphernbereich passt. Markus aktiviert hier sein im Langzeitgedächtnis gespeichertes Hintergrundwissen über die EU-Politik sowie sein lexikalisches Wissen über die EU-Terminologie. Außerdem führt er, wie schon vorher, eine Textanalyse durch und beurteilt die Metaphern des Ausgangstexts, wobei er als Kriterium wiederum die Kohärenzmaxime zugrunde legt, die für ihn dann auch die Richtlinie für seine den Ausgangstext verbessernde Übersetzung ist. Die Verbesserung durch einen einheitlichen Metaphernbereich ist für ihn, wie er oben sagte, deshalb legitim, weil es sich nicht um einen literarischen Text handelt, bei dem zwei Bilder ja vom Autor beabsichtigt gewesen sein könnten, sondern vermutlich um einen journalistischen Text, der durch die einheitliche Metapher an Wirkung nur gewinnen kann. Kognitiv gesehen, bildet Markus hier eine metaphorische Gesamtszene zum Thema „Reise“, wobei seine Übersetzungen die einzelnen Elemente dieser Szene darstellen. Die Technik der Auswahl von Szenenelementen konnte ich bei kreativen Übersetzungen häufig beobachten (vgl. Kap. 6.3 und 7). Psychologisch gesehen, erfordert ein derartiges Handeln natürlich das bereits erwähnte Selbstvertrauen. Beurteilung Alle Testpersonen lassen eine — allerdings unterschiedlich ausführliche — Reflexion erkennen, wobei bezüglich two-tier community der Rückgriff auf das Weltwissen hier bei Susanne und Markus zu besonders kreativen Übersetzungen führt: „deutsch-französischen Lokomotive“ (Susanne) und „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ (Markus). Auch die übrigen Metaphern übersetzen die beiden Testpersonen kreativ: „ohne wirkliches Mitsprache- oder Vetorecht“ (Susanne) und „als Bremser dabei haben“ (Markus). Die relative Wörtlichkeit von Roberts Übersetzung lässt sich vielleicht damit begründen, dass er verhältnismäßig wenig Hintergrundwissen aktiviert. Bei Corinna, die hier zwar Kontextwissen, aber kein Weltwissen aktiviert, ist die Übersetzung möglicherweise missverständlich; „zweigeteiltes Europa“ könnte der Leser im Sinne der historischen Spaltung in West- und Ostblock verstehen. 5.5 Spezielle Erfolgsstrategien: So denken Profis Die Testpersonen waren professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer, aber darüber hinaus unterrichteten sie auch Übersetzen. Dies hat ganz offensichtliche Auswirkungen auf ihre Kommentierungen. Sie zeichnen sich zum Teil durch <?page no="113"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 114 einen hohen Reflexionsgrad und durch sprachliche Präzision aus. Die Kommentare lauten eben nicht nur (obwohl auch solche Kommentare vorkommen) „Das gefällt mir nicht“, „Damit war ich nicht zufrieden“, „Ich schrieb das einfach mal hin“, sondern sie lassen eine metasprachliche Kompetenz erkennen, die darin besteht, dass sie über Techniken wie Kontextanalyse, bewussten Rückgriff auf das Weltwissen und die Fähigkeit, Textkohärenz zu erkennen und herzustellen, reden können. Und sie reden dann letztlich über ihre Reflexionen, d.h. ihre Gedankengänge beim Übersetzen. Alle Testpersonen haben diese Fähigkeiten. Mit zunehmender Lehrerfahrung werden sie vermutlich größer; besonders ausgeprägt sind sie bei Markus, der ja die längste Lehrerfahrung hat. Es wäre für künftige empirische Untersuchungen zu überlegen, ob Personen, die Übersetzen unterrichten und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit diese metasprachliche Kompetenz besitzen, sich besonders gut für die Beobachtung von Lösungsfindungsprozessen eignen. Gute Übersetzer besitzen Sprachwissen, Weltwissen und Sachwissen —wir erinnern uns an Kap. 4. Darüber hinaus besitzen sie aber auch ein so genanntes prozedurales Wissen, ein Wissen darüber, wie man’s macht. Unsere Testpersonen haben, wenn ihnen gute Übersetzungen gelungen sind, immer wieder gezeigt, dass sie ein solches Wissen besitzen. Ich sagte oben, von Meistern könne man lernen. Sind nun unsere Testpersonen Meister? Sie sind es manchmal. Ich denke, man sollte sich von der Vorstellung lösen, dass professionelle Übersetzer immer gut sind, aber sie haben ihre erfolgreichen Momente, wahrscheinlich häufiger als solche, die ihr Handwerk erst erlernen. Natürlich können auch Lerner ihre Momente haben. Wir werden das in den nächsten Kapiteln noch sehen. Lassen sich die erfolgreichen Momente etwas genauer beschreiben? Ich stellte oben in Abschnitt 5.3 ein paar weiterführende, ins Detail gehende Fragen. Die Antworten, die ich jetzt darauf gebe, möchte ich als methodische Empfehlungen verstanden wissen. 1. Welche globalen Strategien wenden Professionelle an, wenn es um Bedeutungsprobleme geht? Als erstes ist eine eher formale Technik zu nennen, die noch nicht direkt etwas mit Reflexion zu tun hat: die Zurückstellung eines Problems, das dann später in der Revisionsphase gelöst wird (z.B. Roberts Übersetzung von divisiveness und Corinnas Übersetzung von full-blown). Dies ist eine im zeitlichen Sinne übergreifende, also globale, Strategie; die Probleme werden nicht linear nacheinander abgearbeitet, sondern die für die Übersetzung zur Verfügung stehende Zeit wird durch Rückstellungen und Wiederaufnahmen souverän als Gesamteinheit benützt. Wie oben erwähnt, können dadurch Blockaden überwunden werden. Die wohl auffälligste inhaltliche globale Strategie im Sinne einer Reflexion ist die Textanalyse und damit verbunden die Beachtung der Textkohärenz im Zusammenhang mit der Textfunktion, die bei Markus dazu führt, dass er nicht-optimale Strukturen im Ausgangstext erkennt und diese in der Übersetzung optimiert. <?page no="114"?> Spezielle Erfolgsstrategien: So denken Profis 115 2. Worauf müssen wir bei der Bedeutungserschließung von Wörtern den Blick richten, und welche mentalen Prozesse müssen wir in Gang setzen? Das Verstehen des Ausgangstexts, dies ließ sich bei allen Testpersonen beobachten, führt zu szenischen Vorstellungen, die dann die Grundlage für eine Übersetzung bilden. Wir haben dies in den bisherigen Kapiteln bereits an vielen Beispielen gesehen; nun ist diese Methode empirisch bestätigt worden. 3. Folgendes haben wir bisher noch nicht thematisiert: Szenen können, wie wir bei den Testpersonen beobachten konnten, miteinander verkettet werden, und dadurch gelingen oft, indem die verkettete Szene verbalisiert wird, kreative Übersetzungen, was man landläufig als freie Übersetzungen (manchmal sind das Paraphrasen) bezeichnet. Die Testpersonen reden selbst freilich nicht über die Verkettungen, da solche Assoziationen normalerweise nicht durch das intentionale Bewusstsein gesteuert werden; wir können aber die einzelnen Stufen des Lösungsfindungsprozesses beobachten und die Zusammenhänge beschreiben. Wir haben oben gefragt: Wie finden wir eine passende Paraphrase für eine Wortbedeutung? Aus dem Verhalten der Testpersonen lässt sich, das muss man ehrlicherweise sagen, die Genese der Paraphrase nicht genau erklären. Wir können nur sehen, wie sie vorbereitet wurde, und bei der Vorbereitung spielen die Textanalyse und szenische Vorstellungen eine wichtige Rolle. (Darüber noch mehr in Kap. 6 und 7) 4. Um zu szenischen Vorstellungen bei der Bedeutungsanalyse von Wörtern zu gelangen, aktivieren die Testpersonen auch ihr Weltwissen, in manchen Fällen in Interaktion mit der Textanalyse, und dadurch ergibt sich eine Verstehensbasis für die Übersetzungen. Wenn diese interaktiven Prozesse nicht ausgewogen sind, können auch bei Professionellen (wir erinnern uns an Markus’ Übersetzung von divisiveness) Missverständnisse auftreten. Damit wird klar, dass nur dasjenige Weltwissen relevant ist, das in einem Bezug zur Textanalyse steht. 5. Und schließlich die wohl wichtigste Frage: Wie entdecken wir überhaupt Übersetzungsschwierigkeiten, deren Lösung zu guten Übersetzungen führt? Diese Frage steht in einem engen Zusammenhang mit dem Grad der Reflexion beim Übersetzen. Wenn wir die Kommentare der Testpersonen zu den einzelnen Textstellen überblicken, so lässt sich, denke ich, ein tendenzieller Zusammenhang erkennen, ganz offensichtlich z.B. bei den Übersetzungen von full-blown und bei den Metaphern des letzten Abschnitts. Man kann wohl die Hypothese wagen: Je höher der Reflexionsgrad und je differenzierter die Reflexion, desto wahrscheinlicher wird eine gute Übersetzung. (Diese Beobachtung haben auch Hansen/ Hönig an einzelnen Versuchspersonen gemacht. Hansen/ Hönig 2000: 333.) 6. Auch das Umgekehrte lässt sich tendenziell erkennen: Bei nicht zufrieden stellenden Übersetzungen ist häufig keine vorausgegangene Reflexion erkennbar, z.B. bei Corinnas Übersetzung von a great extravagance of language, Corinnas und Susannes Übersetzungen von divisiveness. Allerdings führte bei diesem Wort auch Markus’ Reflexion in die Irre. <?page no="115"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 116 Abb. 3 Problemerkenntnis Ich spreche von Tendenzen. Man könnte nun natürlich die einzelnen Textstellen und ihre Übersetzungen durch die Testpersonen in eine Tabelle umsetzen und Prozentzahlen von akzeptablen Übersetzungen in Verbindung mit erkennbarer Reflexion ausrechnen. Ich halte das für problematisch, denn manche akzeptablen Übersetzungen sind besser als andere, und manche Reflexionen sind ausführlicher, differenzierter, wenn man so will „tiefer“, als andere. Bei professionellem Übersetzen ist, wenn es ums Problemlösen geht, der Einzelfall interessant. So sind meines Erachtens für den letzten Textabschnitt die Reflexionen von Susanne und Markus auf exemplarische Weise aufschlussreich und ihre Übersetzungen auf exemplarische Weise kreativ. Und als Didaktiker kann ich nur sagen: So sollte man es machen! 5.6 Aufgaben zu Kapitel 5 Aufgabe 1 Der Text unserer Fallstudie ist in hohem Maße metaphorisch. Die Übersetzungswissenschaftlerin Christina Schäffner hat in Textanalysen festgestellt, dass die Sprache der Politik generell sehr stark von Metaphern geprägt ist. Das folgende Beispiel stammt von ihr: „Mein Vorgänger, der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, hat dafür die Grundlagen geschaffen.“ (Rede des Bundeskanzlers Schröder vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, 24. September 2003) <?page no="116"?> Aufgaben zu Kapitel 5 117 Englische Übersetzung: „My predecessor, Federal Chancellor Willy Brandt, paved the way for this move.“ (Schäffner 2005: 133) Beschreiben Sie den Zusammenhang zwischen der Metapher des Ausgangs- und des Zieltextes! Aufgabe 2 Ich sagte oben, man könne LD-Protokolle auch zur Selbstdiagnose benützen. Damit Sie eine Protokollanalyse einüben können, erscheint hier die Fortsetzung des in Abschnitt 5.2 wiedergegebenen Dialogprotokolls. Analysieren Sie das Protokoll unter dem Aspekt der Erfolgsstrategien (Abschnitt 5.3 und 5.5). Ein Hinweis: Es lassen sich vor allem Beobachtungen zur Textkohärenz, zu szenischen Vorstellungen und zur Aktivierung des Weltwissens machen. B: Hm... A: Also, dass er das nicht entwickelt hat, sondern er hatte das so als Standardausrüstung. (kichert) Ausstattung. B: (zögert) Jaa... so, ja, 5 A: Weißt du, wie so’n Auto. (kichert) In der Standard... im Standardpaket ... wie heißt das denn im Auto, weißt Du, so elektrische Fensterheber und so ne Sachen, Servolenkung... B: (liest vor) Abgepackt oder vorgefertigt, Ideen, Meinungen, Vorgefertigtes auf Ideen und Meinungen bezogen, figurativ. ... Hm. 10 A: Aber wie is das denn mit Autos? Wie heißt denn das? Standardpaket? Nee. B: Serienausstattung. (Pause) B: Ja, das Problem ist, wenn wir das W jetzt wirklich W machen W wollten, W wenn wir das so in der Art und Weise übersetzen wollten, mit W so nem... mit so ner Me- 15 tapher, dann müssten wir das ... den Satz weiter in dieser Metapher halten. […] A: Obwohl, ich weiß nicht ob das so gut ist mit dem Auto... B: Lass uns erstmal weitermachen und dann gucken wir weiter. A: Das hab ich grad gelesen und das passt irgendwie gar nicht mehr - das mit 20 den Lunchables passt besser. B: Ja, eben, das mit den Lunchables würde besser passen, das stimmt, aber es war trotzdem eine lustige Idee. A: Ja. B: Ähm. 25 A: Nee, wegen diesem wrapped, weißte, weil Autos kommen ja selten verpackt, eigentlich. B: (nickt) A: Öhm. Schön verpackt mit Schleifchen. (beide kichern) <?page no="117"?> Die Beobachtung von Übersetzungsprozessen 118 […] B: Ok, your choice of red, white or blue, das is ja fast so’n bisschen auf Pommes bezogen, ne? Also, jetzt zumindest mal red, white, ok, blue ... ja A: Jaja. B: ... aber ... 30 A: Your choice of, you know mustard... B: Ja, genau. A : ... ketchup or mayonnaise. B: Mustard, ketchup or mayonnaise. Ja. (Pause) Also, das delivered sollten wir auf jeden Fall mit „serviert“, find ich, übersetzen. 35 A: Ja. B: Und dann könnten wir das W delivered noch mal in den Satz von vorher, ähm, setzen. Quasi. Ähm, mit „doch diese Mahlzeit wurde bereits vorverpackt geliefert“ A: Ja. 40 B: geliefert und dann blablabla serviert. A: ... diese ... dieser Bestandteil ... kam bei ihm ... das kam bei ihm gleich mit in der... vorverpackten Mahlzeit. (kichert) B: Warte mal, doch, all dies ... doch all dies wurde diesmal gleich vorverpackt geliefert. 45 A: Ja, dann haste ja gar nix mit der Mahlzeit drin... weil wir wollen da, wir wollen doch die Metapher mit der Mahlzeit B: Ja, brauchste ja auch nich, die können wir ja später noch einführen.... Weil, das is ja dann, das is ja dann vorgreifend, dann hast, es wurde etwas geliefert und dann erwähnst du WAS geliefert wurde 50 […] A: Ich hab immer nur diese amerikanischen Floskeln im Kopf, ich weiß nicht, wie is das denn, ich war schon lang nicht mehr bei McDonald’s, wie is das denn, wenn du‘n Salat bestellst, und dann kannst’ dir aussuchen ob du das mit Hausdressing oder italienischem Dressing willst, wie steht das denn dann 55 auf den ... auf den... Schildern da drauf? „Ihre Wahl“, oder? B: Nee, nach Wahl mit blablabla A: Nach Wahl mit - ok. (Pause) Weißte, das hört sich für mich wie so’n Salat an - und du kannst dir das Dressing dazu aussuchen. B: Ja. (Pause) Je nach Wahl rot, weiß oder blau? 60 A: Ja. Mit roter, weißer oder blauer Soße? (beide kichern) B: Können auch noch ne andere politische Nuance reinmachen ... Mit roter, blauer oder BRAUNER Soße! ? (beide lachen) A: Gott! ... Naja, gut. ... is er rassistisch? Weiß ich ja gar nich, ich weiß nur, daß er so mit Schwulen Probleme hat. 65 B: Er ist nationalistisch, das geht schon, das geht schon ins Rassistische über, würd ich schon sagen. Wolln wer? Wolln wer die braune Soße reinnehmen? A: Nein! Weil dann is doch das Bild von der amerikanischen Flagge futsch! 2: Ja, das stimmt leider... ach, wir fügen da neue Farben der amerikanischen Flagge hinzu... (beide kichern) - 70 <?page no="118"?> Aufgaben zu Kapitel 5 119 (Pause) […] B: Warte mal kurz (schreibt) ... eingewickelt in eine amerikanische Flagge (Pause) da würde ich jetzt gerne dieses „geliefert wurde“ hinsetzen. Geliefert wurde... 75 A: also nich „serviert“? B: Geliefert wurde... Moment! A: Ach so. B: Und dann: Komma, serviert, je nach Geschmack... A: Ah so, ja, ok, das is gut. 80 B: (schreibt) serviert, je nach Geschmack... (Pause) A: in rot, weiß oder blau? B: Genau. (schreibt) Aufgabe 3 Nachdem wir nun professionelle Prozesse beobachten konnten, wollen wir versuchen, selbst professionell zu sein und einige Zeilen des folgenden Textes zu übersetzen. Most of us will have seen, at one time or another, a small notice of the humorous kind that people working in offices and some places where the public are served often display, which states: ‘Be difficult if you must, but smile if it kills you.’ The notice makes an essentially serious point. It is that you can tolerate a lot of awkwardness in someone if they show by their face that they genuinely do not wish to be awkward without good cause. Put another way, if people show by their faces that they are doing their best to be pleasant to others, they will be allowed greater extremes of difficult and disruptive behaviour than those who are unpleasant in both action and manner. (Gordon R. Wainwright: Body Language. Teach Yourself Books. London 1985, S. 22) Das Thema des Kapitels, aus dem der Text entnommen ist, lautet „Facial Expression“. Übersetzen Sie den Text ab „Be difficult if you must …“ funktionskonstant! Probleme gibt es vermutlich bei der Übersetzung der von mir unterstrichenen Wörter. Recherchieren Sie, wenn nötig, die Bedeutung der Wörter. Machen Sie Gebrauch von den in Kap. 5 aufgelisteten Erfolgsstrategien und machen Sie Notizen über die verwendeten Strategien. Noch besser ist es, wenn Sie den Text zusammen mit einem Kommilitonen oder einer Kommilitonin übersetzen und ein Dialogprotokoll anfertigen. Nehmen Sie Ihr Gespräch auf einen Tonträger auf und hören Sie sich anschließend an, was Sie gesagt haben. Analysieren Sie dann die Lösungsfindungsprozesse im Hinblick auf professionelle Strategien. 85 <?page no="120"?> 6 Wie kreativ können Übersetzer sein? 6.1 Ist Übersetzen überhaupt kreativ? Das Wort „kreativ“ tauchte in Kapitel 5 ziemlich häufig auf, und manche der dort und auch in den anderen Kapiteln erörterten Beispiele kann man als kreative Übersetzungen bezeichnen. In diesem Kapitel soll nun Übersetzen unter dem Aspekt der Kreativität genauer betrachtet werden. Man wird sich vielleicht fragen: Kann denn Übersetzen überhaupt eine kreative Tätigkeit sein? Wer kreativ schreibt, ist doch nach allgemeiner Vorstellung jemand, der Texte produziert, die es vorher noch nicht gab, z.B. Gedichte, Romane und Kurzgeschichten, aber auch Sachbücher und Zeitungsartikel. Übersetzer haben jedoch nicht die Freiheit, eigene Texte zu produzieren, sondern sind an Ausgangstexte gebunden. In der Übersetzungswissenschaft wurde diese Abhängigkeit von einem Original mit den uns bekannten Begriffen Äquivalenz, Invarianz und Adäquatheit immer wieder betont. Solche Meinungen haben eine Auswirkung auf den Status des Übersetzerberufs in der Gesellschaft, der meist als viel niedriger gesehen wird als der von Schriftstellern, Journalisten und Redakteuren. Übersetzerinnen und Übersetzer leiden darunter, und manche neue Tätigkeitsbezeichnungen, wie die bereits erwähnte „Lokalisierung“ und das „Technical Writing“, dienen unter anderem dazu, diesen Status anzuheben. In der Tat sind Lokalisieren und Technical Writing spezielle Tätigkeiten, die nicht so eng an einen Ausgangstext gebunden sind, wie man das vom Übersetzen meist annimmt, und man gesteht diesen Tätigkeiten darum gemeinhin auch mehr Kreativität zu als dem Übersetzen. Wir werden aber in diesem Kapitel sehen, dass auch Übersetzen grundsätzlich Kreativität erfordert, und zwar in einer ähnlichen Art und Weise, wie sie für das Schreiben eines selbständigen Texts nötig ist. Diese Erkenntnis könnte, wenn sie sich allgemein durchsetzt, unter anderem dazu beitragen, den Status des Übersetzens zu erhöhen. Wie ist das nun mit dem Ausgangstext? Er begrenzt doch die übersetzerische Freiheit. Das ist richtig. In neueren Übersetzungstheorien, z.B. der in Kap. 2.3 bereits erwähnten Skopostheorie (Reiß & Vermeer 1984), ist dieser Bezug zum Ausgangstext jedoch zweitrangig. In erster Linie entscheidend ist der Zweck der Übersetzung. Der Bezug zum Ausgangstext kann — wir erinnern uns an Kapitel 2.3 — eher lose sein wie z.B. in Bearbeitungen oder aber sehr eng wie z.B. in Interlinearversionen, in denen im Mittelalter über die Zeilen eines lateinischen Texts die deutsche Übersetzung geschrieben wurde. (In der Schule haben wir das ja bei fremdsprachigen Texten auch manchmal getan.) Man kann sagen, je weniger eng der Bezug, desto mehr Chancen gibt es für Kreativität. Wenn z.B. ein Satz wie The cat is on the mat (beliebt in englischen Einführungen in die Semantik und <?page no="121"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 122 Logik) als Beispiel für eine Aussage ins Deutsche übersetzt werden soll, dann ist die Übersetzung „Die Katze ist auf der Matte“ gut genug; hier ist eine wörtliche Übersetzung möglich und Kreativität ist nicht erforderlich. Soll aber der Reim (cat - mat) zur Belustigung des Lesers erhalten bleiben (auch Leser von Semantikbüchern sind vielleicht für ein bisschen Auflockerung dankbar), dann ist Kreativität erforderlich. Der Übersetzer muss sich dann vom Ausgangstext entfernen, und der Satz könnte dann z.B. lauten „Die Katze ist auf der Matratze.“ In der Kreativitätsforschung wird ein kreatives Produkt durch zwei Merkmale definiert: Neuigkeit und Angemessenheit (Preiser 1976: 5). Ein Designer kann z.B. ein völlig neuartiges Reisemobil entwerfen - mit zwei Stockwerken, einem Dachgarten und einem kleinen Schwimmbad, aber der Hersteller wird ihm vermutlich sagen, dass die Aerodynamik nicht dem Standard entspricht, das Produkt in der Herstellung zu teuer wäre und keinen Absatzmarkt finden würde. In Analogie dazu lässt sich über eine kreative Übersetzung sagen: Sie stellt eine Veränderung gegenüber dem Ausgangstext dar und enthält dadurch etwas Neues, z.B. „Matratze“ für mat. Gleichzeitig aber, und dies ist genauso wichtig, ist sie dem Zweck, z.B. dem Amüsement des Lesers durch den Reim „Katze“ - „Matratze“, angemessen. Als Interlinearversion wäre „Matratze“ z.B. nicht angemessen. 6.2 Traditionelle Mystifizierungen der Kreativität Die in diesem Kapitel vorgestellte Auffassung von Kreativität unterscheidet sich grundlegend von traditionellen und populären Auffassungen. (Ich greife hier auf Kußmaul 2000a, Kap. 5.1 zurück.) Dem kreativen Prozess haftet, so die gängige Meinung, etwas Numinoses an: Ihren Lieblingen schenken es die Götter. Die religiöse Mystifizierung der Kreativität, vermutlich Teil unserer abendländischen Kultur, findet sich bereits bei Homer, wenn er über den Dichter sagt (vgl. Schottländer 1972: 153): Genießen doch bei allen Erdenmenschen die Sänger Ehre wie auch Ehrfurcht, weil die Muse sie Sangespfade gelehrt hat und den Stamm der Sänger lieb hat. (Homer: Die Odyssee. Deutsch von Wolfgang Schadewaldt. Hamburg 1958, S. 106) Homers Vorstellungen wirken fort. Wir finden sie in modifizierter Form bei dem großen Homerübersetzer Wolfgang Schadewaldt. Zwar spricht er nicht explizit von den Göttern, aber vom „Schicksal“, vom „Geschenk” und „fruchtbaren Moment”. Dies sind die traditionellen und bekannten Vorstellungen, die sich mit Kreativität verbinden. Und durch eine Autorität wie Schadewaldt bekommen sie Gewicht. Schadewaldt schreibt: So ist alles werthafte Übersetzen in Einem Sinne ein glückliches Geschenk des fruchtbaren Moments. In einem andern Sinne ist der Schöpfer der Übersetzung der griechische Geist selbst und seine Wirkung in uns. Das Schicksal <?page no="122"?> Traditionelle Mystifizierungen der Kreativität 123 herbeizurufen, das die Übersetzung zeitigt, ist dem einzelnen nicht gegeben. Aber allen, die mit dem Griechentume verkehren, ist die Möglichkeit der Selbstbesinnung gegeben, durch die man sich der Wirkung jenes Geistes öffnet. (Zitiert nach: Störig 1968, 266f.) Was bei Schadewaldt freilich - als komplementäre Vorstellung - zur religiösen Mystifizierung hinzukommt, ist der Begriff „Selbstbesinnung“. Damit verweist er auf das, was im Menschen abläuft, und damit gibt er die Richtung an, in der wir weitersuchen können. Schadewaldt sprich von Selbstbesinnung; oft aber wird das Entstehen kreativer Ideen so dargestellt, als wäre es dem bewussten Zugriff entzogen: Die Götter schenken’s ihren Lieblingen, und sie schenken’s ihnen im Schlaf. Eine Schlafmetapher für kreatives Schaffen erscheint bei Goethe. In seiner Autobiographie sagt er über das Entstehen des Werther, dass er dieses Buch „nachtwandlerisch” geschrieben habe (Schottländer 1972: 159). Die Kreativitätsforscherin Gisela Ulmann weist darauf hin, dass neue Ideen auch schon im Traum hervorgebracht wurden (1968: 24ff.)., und der Kreativitätsforscher Karl-Heinz Brodbeck (1995: 11) erwähnt das Beispiel des Chemikers August Kekulé, der einen Traum vom „Uroboros” hatte, von einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Dies war für Kekulé das entscheidende Leitbild bei der Entdeckung des Benzolrings. Der kreative Prozess wird durch solche Mystifizierungen notwendigerweise ins Unterbewusstsein verlagert. Auch Begriffe wie „Inspiration„ und „Intuition“, die im Zusammenhang mit kreativen Ideen gebraucht werden, drücken dies aus. Derartige Mystifizierungen - von Schriftstellern und Künstlern oft bewusst als Teil ihres Images gepflegt - sind zwar anekdotisch interessant, aber nicht dazu angetan, zur Erhellung des kreativen Prozesses beizutragen (vgl. Preiser 1976: 14). Die Kreativitätsforschung versucht jedoch, Licht ins mystische Dunkel zu bringen. Ein Ansatz besteht darin, die Faktoren, die am kreativen Schaffen beteiligt sind, zu isolieren und als Prozess zu beschreiben. Dabei werden vier Phasen unterschieden (vgl. zum Folgenden die Zusammenfassungen des Vierphasenmodells bei Preiser 1976: 42ff. und Ulmann 1968: 22ff.): 1. Präparation 2. Inkubation 3. Illumination 4. Evaluation In der Tat lassen sich die Präparationsphase und die Evaluationsphase rational beschreiben. Zur Präparation gehört unter anderem die Recherche, und wie sie gezielt auch ohne Intuition durchgeführt werden kann, haben wir in Kap. 4 gesehen. Der Evaluation habe ich zwar kein eigenes Kapitel gewidmet, aber in den bisherigen Kapiteln habe ich mich bemüht, die schließlich entstandenen Übersetzungen rational nachvollziehbar zu beurteilen, und dies werde ich auch weiterhin tun. Interessanterweise werden in diesem Vierphasenmodell gerade die Phasen, in denen kreative Ideen entstehen, nämlich die zweite und dritte Phase, mit Metaphern bezeichnet. Dies kann man als ein Zeichen dafür ansehen, dass sich die eigentlich kreativen Vorgänge einer rationalen Analyse widersetzen. Zwar <?page no="123"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 124 schwingt in der Metapher „Illumination“ eine Nuance mit, die von Kreativitätsforschern immer wieder beobachtet wurde: Kreative Ideen sind mit einem starken Glücksgefühl verbunden (Stanley-Jones 1970: 157). In meinen Dialogprotokollen zeigte sich dies in mehr oder weniger enthusiastischen Äußerungen wie „super“, „toll“ usw. und meist in einem befreienden Lachen. Doch zur Analyse der mentalen Prozesse tragen die Begriffe wenig bei. Der Begriff „Illumination” hebt die Mystifizierung der Kreativität eigentlich nicht auf, sondern verstärkt sie eher noch. Durch die Verwendung dieser Metapher bleibt gerade die Phase, auf die es eigentlich ankommt, obwohl von Licht die Rede ist, weiterhin „im Dunkeln”. „Illumination” und noch deutlicher das deutsche Pendant „Erleuchtung“ verweisen auf den bereits genannten Bereich des Göttlichen. Von Erleuchtungen wird meist erwartet, dass sie „von oben” kommen. Es ist genauso wie mit Eingebungen. Man kann sie nicht erklären, ihre Ankunft kann man nicht beeinflussen — und oft ist es so wie in Ludwig Thomas „Münchner im Himmel“: Man wartet vergeblich. Eine wissenschaftliche Erforschung der übersetzerischen Kreativität und der Kreativität überhaupt kann sich damit natürlich nicht zufrieden geben. Derartige Metaphern sind viel zu unbestimmt und eigentlich vorwissenschaftlich. Was aber noch schwerer wiegt: Gerade die Vagheit verleitet zur Mystifizierung, und Kreativität erscheint als ein Ausnahmephänomen. Kreativität, dieser Eindruck wird vermittelt, ist nicht das Alltägliche, sondern ein Glücksfall. Wunder geschehen nicht jeden Tag und schon gar nicht auf Abruf. Die These, die ich hier zu untermauern versuche, lautet jedoch ganz anders. Kreatives Denken beim Übersetzen — und nicht nur beim Übersetzen — ist etwas ganz Normales. Wir brauchen nicht auf Eingebungen von oben zu warten; wir müssen nur bestimmte Denkprozesse in Gang setzen, und diese Denkprozesse laufen in jedem menschlichen Gehirn ab — nicht nur bei Künstlern, Dichtern und Erfindern. Wenn wir wissen, wie sie vor sich gehen, haben wir die Chance, sie bewusst herbeizuführen. Die Kreativitätsforschung hat inzwischen versucht, den spezifischen Denkprozessen, die in der Inkubations- und Illuminationsphase ablaufen, auf die Spur zu kommen. Dabei spielen, dies sei hier kurz erwähnt, die Begriffe „vertikales“ und „laterales“ Denken (de Bono 1971: passim) eine wichtige Rolle. Manche Kreativitätsforscher sprechen auch von konvergentem und divergentem Denken (Guilford 1975: passim). Was ist mit diesen Begriffen gemeint? Das vertikale Denken ist ein kausallogisches Denken. Ein typisches Beispiel dafür ist die Schlussfolgerung: Wenn A=B und B=C, dann ist A=C. Das der Kreativität förderliche laterale Denken dagegen ist assoziativ. Man bewegt sich sozusagen in seitlicher Richtung und verlässt gewohnte Bahnen, was oft dadurch geschieht, dass die Dinge aus einer anderen Perspektive gesehen werden, oder dass man den Blick auf etwas richtet, was man bisher nicht beachtet hat. Auch die Kognitionslinguistik hat Modelle des Denkens entwickelt, die meines Erachtens eine Affinität zu den Modellen der Kreativitätsforschung aufweisen und dazu dienen können, kreative Denkvorgänge zu entmystifizieren. Ich habe diese Modelle in Kapitel 1 schon vorgestellt. Um die theoretischen Grundla- <?page no="124"?> Die Analyse kreativer Prozesse 125 gen nicht allzu kompliziert zu machen, werde ich mich auf die kognitiven Modelle konzentrieren. Sie können uns dabei helfen, die in der Inkubations- und Illuminationsphase ablaufenden Denkvorgänge besser zu verstehen. Für uns hat das einen ganz praktischen Zweck. Wer weiß, welche Denkvorgänge im Gehirn ablaufen, kann sie — mit etwas Geschick — bei sich selbst in Gang setzen. (Wer sich genauer über Kreativitätsforschung und Kognitionslinguistik informieren will, sei auf Kußmaul 2000a: 81-150 verwiesen.) 6.3 Die Analyse kreativer Prozesse Mit dem Versuch zur Entmystifizierung soll natürlich nicht der Anspruch erhoben werden, alles erklären zu können. Es bleibt immer ein — wahrscheinlich ziemlich großer — unerklärlicher Rest. Außerdem sind die Erklärungsversuche als Hypothesen zu verstehen, die zwar auf Beobachtungen beruhen, aber durch weitere Analysen experimentell untermauert werden müssten. Wir haben Fillmores Scenes-and-frames-Semantik bereits als Erklärungsmuster für Beispiele herangezogen, haben sie aber noch nicht benutzt, um den Übersetzungsprozess in seinem Ablauf zu beobachten und zu erklären. Dies soll hier geschehen. Dabei wird kreatives Denken sichtbar werden. Wir erinnern uns: Nach Fillmore sind die Wörter, die wir in Texten lesen, die „Rahmen“, durch die mentale Bilder oder „Szenen“ in unserem Gedächtnis aktiviert werden. Das Wort „Szene“ macht deutlich, dass Bedeutung etwas mit mentalen Vorstellungen, die auf unseren Erlebnissen und Erfahrungen beruhen, zu tun hat. Bei erfolgreichen Problemlösungsprozessen im Übersetzungsunterricht konnte ich beobachten, dass die mentalen Vorstellungen sehr häufig eine wichtige Rolle beim Finden kreativer Lösungen spielten. Folgenden Text übersetzte ich mit Studentinnen und Studenten des 4. Studienjahres ins Deutsche. Der (fiktive) Auftrag lautete: Übersetzen Sie den Text für eine deutsche Zeitung oder Zeitschrift unter Bewahrung des journalistischen Stils. (Beispiel aus Kußmaul 2000b: 61-64): Robomoths Insects are not nearly as biddable as dogs or horses. Although they can perform amazing feats of strength and dexterity on their own scale, that scale is so much smaller than humanity’s that it is not surprising they have been overlooked. With rare exceptions, such as bees and silkworms, the insect world is a source of pests rather than of pets or pack animals. In an age of miniaturisation, however, a few researchers are wondering if more insects might be harnessed to the service of man. One is John Hildebrand, a neurobiologist at the University of Arizona. As part of a project [...] he and his colleagues have been working on the giant sphinx moth to create a „biobot“ — an animal that can be controlled electronically by a human. They have designed a radio transmitter small enough to attach to a sphinx <?page no="125"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 126 moth without impairing its ability to fly. (The Economist, March 4 th , 2000. Unterstreichung von mir.) Mit der Übersetzung von miniaturisation hatten die Studentinnen und Studenten ein Problem. Mit „Miniaturisierung“ oder „Verkleinerung“ waren sie nicht zufrieden, denn diese Wörter erschienen ihnen zu abstrakt, um dem Leser eine Vorstellung vom Gemeinten zu geben. Ich schlug vor, sie sollten sich Beispiele von Miniaturisierungen im täglichen Leben vorstellen, und sie nannten Dinge wie immer kleiner werdende Radios, Mobiltelephone, Hörgeräte, Kameras usw. Einer der Studenten schlug dann die Übersetzung „Computerzeitalter“ vor, doch die anderen meinten, dass die Vorstellung „sehr klein“ in diesem Wort nicht besonders deutlich würde, denn Bildschirme z.B. würden eigentlich größer und nicht kleiner. Dann hatte plötzlich eine Studentin die Idee: „Zeitalter der Mikrochips“. Mit dieser Übersetzung waren alle zufrieden, besonders weil weiter unten im Text ein kleiner Radiosender erwähnt wird und weil solche Sender mit Sicherheit Mikrochips enthalten. Ich möchte diese Vorgänge der Lösungsfindung anhand eines Bilds (Abb. 1 und 2) erklären. <?page no="126"?> Die Analyse kreativer Prozesse 127 Abb. 1 Abb. 1 Abb. 2 Abb. 2 Das Bild in Abb. 1 und 2 zeigt eine wohlbekannte Szene, die in Abb. 1 als „Christi Geburt“ benannt ist. Dieser Bildtitel (auf dem Passepartout) ist sozusagen der Christi Geburt <?page no="127"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 128 „Rahmen“ des Bildes, und wir finden solche Titel in der Tat häufig auf den Rahmen von Bildern in Kunstmuseen. Der Bildtitel lässt sich mit dem englischen Wort miniaturisation in unserem Beispiel vergleichen, das eine Szene von kleinen elektronischen Geräten „einrahmt“. Wenn wir bei obigem Bild gefragt werden, was es darstelle, können wir antworten: „Christi Geburt“. Nehmen wir an, ein kleines Kind stellt uns diese Frage, dann wäre es vielleicht besser, nicht den Titel zu nennen, weil ein Kind damit — vielleicht hat es Schwierigkeiten mit dem lateinischen Genitiv — möglicherweise nicht sofort die entsprechende Vorstellung assoziiert. Es wäre dann angemessener, den Rahmen sozusagen wegzulassen (Abb. 2) und die Details des Bilds aufzuzählen und zu sagen: „Du siehst hier Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß. Dahinter steht Josef, und neben dem Kind kniet ein Hirte. Am Himmel leuchtet der Stern von Bethlehem.“ Genauso haben die Studenten bei der Bedeutungserörterung von miniaturisation Details einer Szene aufgezählt, als sie Radios, Mobiltelephone, Hörgeräte usw. nannten. Mikrochips nannten sie zwar nicht explizit, aber wie wir alle wissen, sind sie in den genannten Geräten enthalten. Ich konnte diese Technik bei Problemlösungsprozessen im Übersetzungsunterricht häufig beobachten: man kann sie als „Auswahl von Szenenelementen innerhalb eines Rahmens“ bezeichnen“ (vgl. Kußmaul 2000a: 158-165). Es gibt noch einen weiteren Zusammenhang zwischen der kognitiven Semantik und kreativem Übersetzen. Die Scenes-and-frames-Semantik beruht, wie in Kap. 1 gesagt, auf der Prototypensemantik, die durch die Begriffe „Kern“ und „unscharfe Ränder“ gekennzeichnet ist. Als meine Studenten Beispiele wie Radios, Mobiltelephone, Hörgeräte und Kameras aufzählten, waren dies sozusagen prototypische Elemente der Szene miniaturisation. Bei der (verworfenen) Übersetzung „Computerzeitalter“ wären diese Elemente nicht in den Kern der Vorstellung gerückt worden. PCs werden eigentlich nicht kleiner (Bildschirme werden, wie gesagt, eher größer), sondern leistungsfähiger. Natürlich werden die Teile innerhalb eines Computers kleiner, aber wir sehen sie nicht. Deshalb eignen sich Computer als Vorstellung nicht als Übersetzungsmöglichkeit für die Miniaturisation-Szene. Die Übersetzung „Computerzeitalter“ würde zwar im Vergleich mit dem Ausgangstext etwas Neues darstellen, aber sie wäre nicht angemessen. Der Begriff „Kernelement“ oder „prototypisches“ Element scheint mir generell hilfreich für die Beurteilung der semantischen Angemessenheit einer Übersetzung zu sein (ich erinnere an den Begriff „Kernvorstellungen“ in Kap. 1). Um auf das Anfangsbeispiel zurückzukommen: In der Übersetzung „Die Katze ist auf der Matratze“ spielen abgesehen vom Reim auch prototypische Vorstellungen eine Rolle. Wenn wir uns fragen, worauf Katzen ruhen, dann werden die meisten von uns wohl an Gegenstände denken wie Sessel, Sofas, Betten und im Zusammenhang mit Betten eben auch an Matratzen, aber z.B. eher nicht an Hocker oder Tische, obwohl natürlich Katzen auch darauf ruhen können, aber das sind dann eben eher Randvorstellungen. Wir können unter diesen Voraussetzungen die These (vielleicht sogar die Regel) aufstellen: Die Auswahl von ernelementen einer Szene führt zu einer semantisch angemessenen kreativen Übersetzung. <?page no="128"?> Die Analyse kreativer Prozesse 129 Meine Studentinnen und Studenten haben, wie gesagt, „Zeitalter der Miniaturisierung“ verworfen und sich „Zeitalter der Mikrochips“ einfallen lassen. Wäre „Zeitalter der Miniaturisierung“ nun eigentlich falsch gewesen? Natürlich nicht. Wahrscheinlich genauso gut wie age of miniaturisation. Es wäre eine wörtliche Übersetzung gewesen. Hier „frei“ zu übersetzen ist nicht obligatorisch, aber der Text wird dadurch anschaulicher und leichter verständlich, und das passt zum journalistischen Stil, der ja bewahrt werden sollte. Im Grunde wurde der Text an dieser Stelle verbessert, und im Hinblick auf die pragmatischen Rahmenbedingungen (journalistischer Stil) ist das in Ordnung. Eine weitere Frage muss hier geklärt werden. In der Übersetzung „Zeitalter der Mikrochips“, sagte ich, ist ein Szenenelement („Mikrochips“) enthalten. Aber sind Formulierungen (und damit auch Übersetzungen) nach Fillmore nicht eigentlich Rahmen und sind Szenen mit ihren Elementen nicht mentale nichtsprachliche Repräsentationen? Die Begriffe „Rahmen“ und „Szenen“ enthalten ein Beschreibungsproblem, das darin liegt, dass wir, wenn wir über diese Begriffe kommunizieren, sowohl Rahmen als auch Szenen mit dem Medium der Sprache wiedergeben. Es wäre naheliegend, Szenen durch Bilder wiederzugeben, und ich habe dies mit dem Beispiel „Christi Geburt“ auch getan. Auch auf den folgenden Seiten werde ich das gelegentlich tun, um deutlich zu machen, dass Szenen nicht an Sprache gebunden sind. Für den Übersetzungsprozess ist aber die Verbalisierbarkeit unserer mentalen Vorstellungen eher ein Vorteil, denn die Verbalisierungen lassen sich oft für eine Übersetzung verwenden. Für die Zwecke des Übersetzens empfiehlt es sich, zwischen einem relativ abstrakten Rahmen wie miniaturisation und relativ konkreten Wörtern, mit denen wir mentale Vorstellungen beschreiben, zu unterscheiden. Der Vorgang beim Übersetzen von miniaturisation lässt sich veranschaulichen: Abb. 3 Abb. 3 Der Rahmen im Ausgangstext lautete miniaturisation. Die im Gespräch aufgezählten Szenenelemente waren „kleine Radios“, „Mobiltelephone“ usw. Und diese Vorstellungen führten dann zur Auswahl des Szenenelements „Mikrochip“ für den Zieltext. Ich sagte oben, dass Übersetzen durchaus mit dem Schreiben eines selbständigen Texts vergleichbar sei. In der psycholinguistischen Forschung zur schriftlichen Sprachproduktion ist zwar nicht von Szenen und prototypischen Vorstellungen die Rede, aber von einer Planungsphase, der dann die sprachliche Umsetzung (die Psycholinguisten sprechen von „Übersetzung“, aber dieser Begriff wird AS-Rahmen Vorstellung: Szenenelemente ZS-Szenenelement <?page no="129"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 130 von uns anders verstanden) und schließlich die Überarbeitung folgt. Über die Planungsphase schreiben die Psycholinguisten Gert Rickheit und Hans Strohner: Die Phase der Planung dient vor allem dazu, eine für die Formulierung des Texts ausreichende mentale Repräsentation aufzubauen. Diese Repräsentation muss nicht notwendigerweise sprachlicher Natur sein, sondern kann sich auch auf einer vorsprachlichen Ebene befinden (Rickheit/ Strohner 1993: 65). Interessant ist der Hinweis auf die Vorsprachlichkeit der mentalen Repräsentation. Hier zeigt sich nämlich eine Gemeinsamkeit zwischen dem Schreiben von Texten und dem Übersetzen. Übersetzen ist eben nicht, wie naiverweise oft angenommen, bloß ein Ersetzen von Wörtern der Ausgangssprache durch Wörter der Zielsprache, sondern ein Vorgang, bei dem als Zwischenstufe gerade diese mentalen Repräsentationen entstehen. Wir haben sie im Übersetzungsprozess mit den Begriffen der Scenes-and-frames-Semantik und der Prototypensemantik beschrieben; möglicherweise wären dies auch Beschreibungsmodelle für die Produktion selbständiger schriftlicher Texte. Bei dem eben analysierten Beispiel war der Übersetzungsprozess ein Unterrichtsgespräch zwischen mir als Dozent und meinen Studentinnen und Studenten, das durch meine nachträglichen Notizen festgehalten wurde. Für empirische wissenschaftliche Arbeiten ist so etwas natürlich nicht präzise genug. Man könnte z.B. kritisieren, dass in der Zeit zwischen dem Unterrichtsgespräch und den Aufzeichnungen wieder manches in Vergessenheit geraten sein könnte. Man kann den Prozess mittels der bereits in Kap. 5 vorgeführten Dialogprotokolle noch genauer beobachten und dokumentieren. Ich lasse auch zur Beobachtung kreativer Übersetzungsprozesse zwei Versuchspersonen einen Text gemeinsam übersetzen und dabei reden. Das Gespräch nehme ich auf Tonkassette auf und transkribiere die Dialoge. Dazu ein Beispiel. In einem der von mir verwendeten Texte ging es um das Thema „Kater“ im Urlaub (Beispiel aus Kußmaul 1995: 43ff.). Die Situation, in der man leicht ein Glas über den Durst trinkt, wurde in journalistischer Manier (die auch hier wieder in der Übersetzung erhalten werden sollte) sehr lebendig wie folgt geschildert: How well the summer wine goes down, whilst you bask in the balm of an island evening, fanned by the flattery of murmuring machos and lulled by the lilt of gypsy guitars. (Cosmopolitan, August 1980, S. 82) Die Testpersonen waren damit beschäftigt, die Stelle fanned by the flattery of murmuring machos and lulled by the lilt of gypsy guitars zu übersetzen. Sie hatten offenbar das Ziel, die Alliteration, die formal konstitutiv für den Textabschnitt ist, zu erhalten: A: „Mandeläugige Männer” hätte ich gesagt, oder so, das... B: Ach so, zwei „ms”. A: Normalerweise sagt man „mandeläugige Mädchen”. B: Ja. (7 Sekunden Pause) Lass’ dich doch mal von diesen schönen Spanienbildern da an der Wand inspirieren (lacht). A: Da sind keine Männer drauf (lacht, 5 Sekunden Pause). <?page no="130"?> Die Analyse kreativer Prozesse 131 B: Ja, irgendwas „lulled by the lilt of gypsy guitars“. (Die Kassette wird umgedreht, ca. 10 Sekunden Pause) A: Jetzt habe ich eben gesagt „umschmeichelt von bewundernden Blicken”. B: Ja, das klingt doch! A: Dann lassen wir das mit den Männern doch ganz weg. B: Ja. A: Also sind aus den „murmuring machos” „bewundernde Blicke” geworden (lacht). Es lassen sich hier eine Reihe von Phänomenen beobachten, die für kreatives Übersetzen typisch sind. Zunächst einmal eher vordergründige Dinge: Vor dem Umdrehen der Kassette schien der Lösungsfindungsprozess ins Stocken geraten zu sein. Mit „Mädchen“ waren die Testpersonen auf einer falschen Fährte, und die Pausen ohne Lösungsvorschläge weisen auf eine mentale Blockade hin. Nach dem Wenden der Kassette jedoch ist die Blockade überwunden, und Testperson A macht einen neuen Vorschlag, mit dem sie sich vom Ausgangstext löst und einen neuen Weg beschreitet. Durch Ablenkungsaktivitäten - dies konnte ich immer wieder beobachten - wie Kassette umdrehen, zum Kühlschrank gehen usw. wird der Übersetzer oder die Übersetzerin kurzzeitig von dem Druck befreit, eine Lösung finden zu müssen. Das Bewusstsein beschäftigt sich mit etwas anderem, aber gleichzeitig arbeitet das Gehirn weiter, überwindet die Blockade und bringt dann schließlich die Lösung hervor. Wir kennen dieses Phänomen aus dem Alltag, wenn wir uns krampfhaft an einen Namen zu erinnern versuchen, es dann aufgeben, und nach ein paar Minuten fällt uns der Name wie von selbst ein. In den Protokollen verstecken sich diese Ablenkungshandlungen oft auch hinter einer Pause auf dem Tonträger. Werden Videoaufnahmen gemacht, kann man diese Handlungen beobachten, es sei denn, die Versuchsperson verlässt den Raum und geht z.B. in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen, aber dann weiß man ja, dass sie gerade nicht übersetzt. Auch das Suchen und Finden von sprachlichen Formulierungen ist ein Erinnerungsvorgang. Die Formulierungen liegen uns manchmal „auf der Zunge“, wir kommen aber nicht darauf. Die mentalen Vorstellungen und Formulierungen, die wir brauchen, sind nicht absolut neu. Wir kennen sie schon, müssen sie aber noch mit der augenblicklichen Situation verbinden. Diese Verbindungen sind auch ein ganz wesentlicher Teil der übersetzerischen Kreativität. Mit den oben vorgestellten kognitiven Modellen lassen sich die Verbindungen beschreiben. Murmuring machos ist ein Element einer Szene, die man als „Anmache“ bezeichnen („einrahmen“) kann. Zugleich ist dies wohl eine Urlaubsszene: Sonne, Sand, Meer, Wein und Gitarrenklänge. Wichtig scheint mir hier zunächst zu sein, dass sich die Testpersonen etwas - hier sogar optisch - vorstellen; sie lassen sich durch die Spanienbilder an der Wand inspirieren. Dann wird ein Szenenelement des Ausgangstexts, quasi als Ablenkungsaktivität, wiederholt (lulled by the lilt of gypsy guitars), worauf plötzlich - nach der der nächsten Ablenkungstätigkeit, dem Umdrehen der Kassette - die kreative Lösung erscheint: „um- <?page no="131"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 132 schmeichelt von bewundernden Blicken”. Was hier durch die Übersetzung geschieht, ist, wie wir es schon beim vorherigen Beispieltext beobachten konnten, wiederum eine Auswahl eines Szenenelements. Andere Elemente der Anmache- Szene wären z.B. das Gespräch (murmuring), aber auch die Kleidung und andere körpersprachliche Phänomene wie Körperhaltung, Gesten, Mimik usw. Ich denke, man kann sagen, dass mit der Wahl des Elements „Blickkontakt“, denn darum handelt es sich ja wohl, ein Kernelement der Szene ausgewählt wurde. Im Gegensatz zum vorigen Beispiel wird hier kein Rahmen durch ein Szenenelement wiedergegeben, sondern ein Szenenelement durch ein anderes ersetzt. Es wird ein Kernelement ausgewählt, aber es ist ein anderes Element als im Ausgangstext: nicht Worte, sondern Blicke. Was hier geschieht, ist ein Vorgang, auf den in der Kreativitätsforschung und in der Kognitionslinguistik immer wieder hingewiesen wird (wir erinnern uns auch an Kap. 3.3): Wir können den Fokus, d.h. die Blickrichtung, verändern, und dadurch sehen wir etwas Neues, was wir bisher vielleicht nicht beachtet haben (vgl. dazu Kußmaul 2000a: 95-105). Wenn wir die Technik des Fokuswechsels internalisieren, so hilft uns dies, kreative Lösungen herbeizuführen. Wichtig ist freilich, dass wir Kernelemente fokussieren, um die Angemessenheit unserer Übersetzung sicherzustellen. Graphisch sieht der Vorgang so aus: Abb. 4 Das AS-Szenenelement murmuring machos führt über das von der Übersetzerin B wiederholte Szenenelement lulled by the lilt of gypsy guitars als mentale Vorstellung zur Übersetzung mittels des Szenenelements „umschmeichelt von bewundernden Blicken“. Ich fasse zusammen: Kreatives Übersetzen ist kein mystischer Vorgang, sondern kann bis zu einem gewissen Grad durchschaubar und damit sicher auch lehr- und lernbar gemacht werden. Zur Erklärung dienen kognitive Modelle: szenische Vorstellungen innerhalb eines Rahmens und die Auswahl prototypischer Elemente. Noch einfacher gesagt: Den direkten Weg vom Wort des Ausgangstexts zum Wort des Zieltexts gibt es beim kreativen Übersetzen nicht. Es gibt ihn beim Übersetzen ohnehin selten. Der kreative Weg führt über mentale Vorstellungen. Dies soll abschließend durch die Abb. 5 verdeutlicht werden, die mir ganz gut zum letzten Beispiel zu passen scheint. AS-Szenenelement Vorstellung: Szenenelemente ZS-Szenenelement <?page no="132"?> Analyse eines Dialogprotokolls 133 AS-Wort ZS-Wort Abb. 5 6.4 Analyse eines Dialogprotokolls Wir wollen das bisher Gesagte noch etwas vertiefen und dazu ein etwas längeres Beispiel analysieren. Dieser Abschnitt hat einen didaktischen Zweck. Er dient (wie Aufgabe 2 in Kap.5) der Einübung in die Analyse von Übersetzungsprozessen, denn die Fähigkeit erfolgreiche Prozesse anderer zu analysieren, hängt meiner Meinung nach eng damit zusammen, diese Prozesse auch bei sich selbst in Gang zu setzen. Mit anderen Worten: Was ich kennengelernt habe, kann ich vielleicht auch selbst tun. Das Folgende ist ein Auszug aus einem von Studierenden (Sabine Flory und Oliver Wedel) im Rahmen einer Seminararbeit im Wintersemester 2000/ 2001 angefertigten Dialogprotokolls. Versuchsperson A ist männlich und im 3. Semester, Versuchsperson B ist weiblich und im 7. Semester. Natürlich machen die Versuchspersonen nicht immer von mentalen Vorstellungen Gebrauch, aber im vorliegenden Abschnitt des Protokolls tun sie es; es ist interessant zu sehen, zu welchen Übersetzungslösungen sie dadurch kommen. Sie hatten übrigens noch nichts von kreativen Übersetzungsprozessen gehört. Die Versuchspersonen machen sich Gedanken zu folgendem Textabschnitt. Speziell geht es um die Übersetzung des unterstrichenen Satzes. […] Deep in the heart of Shakespeare country there is a rhythm to the scenes being played out in McDonald’s. Starting at around six in the morning, when staff show up at the fast-food restaurant on Bridge Street in Stratford-upon- <?page no="133"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 134 Avon, a relentless cycle of human traffic and repetitive labour shapes the day. The doors open at 7.30 am to those who have just finished or are about to start work. Schoolchildren follow, loud, foul-mouthed and boisterous, their taunts only occasionally silenced by their Egg McMuffins. When school beckons pensioners take over at around 9 am, congregating in the safe-haven that has been cordoned off for a „coffee morning“. The number of customers at this stage is few and those staff members who are not serving are looking for gainful employment - scrubbing surfaces and shining banisters to within an inch of their lives. “If you’ve got time to lean, you’ve got time to clean,“ goes one company motto. […] (The Guardian, July 17, 2000, Unterstreichung von mir.) A: Also erst mal versteh ich ein paar Wörter gar nicht. B: Ja, geht mir ähnlich. A: Also das geht an mit diesem foul-mouthed, dann boisterous, dann taunts … B: Jaa. A: Gut das ist klar, beckons … 5 B: Ich schätze mal, das ist wenn die Schule beginnt, so was, also wenn die alle in der Schule sind, schätz ich mal. A: Das kann sein, dass dann irgendwie die Rentner kommen... B: Genau, hm. A: Dann congregating, safe-haven und cordoned. 10 (Blättern im Wörterbuch) A: Also es geht ja wohl grundsätzlich mal um McDonald’s und wer da eben hingeht. B: Genau, genau, genau. A: Dass es um 6 in der Früh losgeht, dass da die Belegschaft daherkommt, 15 ehm, dass dann eben … und dann kommen eben die Schulkinder. B: Ja genau, und mit wem kommen die dahin erst mal? (Blättern im Wörterbuch) B: Was hat das damit zu tun? Das kann es ja wohl nicht sein. Das muss ja irgend … das muss ja ein Nomen … 20 A: Gut das hier ist das Nomen … a remark or joke intended to hurt someone’s feeling … gut ich denk, das soll einfach ausdrücken, wie halt die Kinder oft sind, dass die einfach oft blöd daherreden und Leute provozieren. Oder? So versteh ich das. B: Hm, ja. 25 A: Dass eben, hm, sie lassen sich im Grunde doch gar nicht stören, da irgend jemand blöd anzureden, außer wenn sie mal da in ihren ... B: Ja genau, in ihren McMuffin reinbeißen. A: Genau, ja, also so versteh ich das jetzt. B: Ja genau. 30 (Kurze Pause) A: Also jetzt schauen wir einfach mal, was diese zwei Begriffe heißen. (Blättern im Wörterbuch) <?page no="134"?> Analyse eines Dialogprotokolls 135 B: Das ist dann wahrscheinlich so was, how language … aha. A: Gut ja, das ist … 35 B: Eben das … das passt ja dann auch zu dem. A: Ja, das passt zu dem. Genau. Also die kommen eben, machen Lärm, schreien rum … B: Ja genau. A: Und und ehm … 40 B: Fluchen vielleicht … oder, nee. A: Na ja aber Fluchen wäre ja, da müsst ich ja einen Grund haben. Ich denk es geht einfach um die ganz allgemein wie man es ja oft auf der Straße hört, wenn da so eine Horde von Kindern kommt, wie die halt miteinander reden. 45 (Kurze Pause) A: Vielleicht boisterous … da sollten wir noch mal nachschauen. B: Ja. (Blättern) B: Da auch wieder … 50 A: Das ist wieder … genau. B: Und lebhaft so was in die Richtung würde ich sagen. A: Ich würde das Ganze irgendwie einfach, ähm, also ich würde da nicht laut, und dann auch noch … das ist ja im Grunde wieder genau das Gleiche. B: Eben, das ist es ja. 55 A: Da muss man ja nicht beides übersetzen. B: Nee. A: Ich würde es irgendwie so zusammenfassen, ähm, (Kurze Pause) A: Die gehen eben in die Arbeit … 60 B: Genau und danach kommen dann … A: Und darauf … und das würde ich dann fast schon einfach mit einer Horde, weil wenn ich sag Horde von Schulkindern, das drückt ja das schon aus, dass die am Kommen sind … B: Ja genau. 65 A: Und da jetzt Lärm machen und sich auch aufführen wahrscheinlich. B: Ja eben eine Horde von lauten und was weiß ich … A: Die Pommes durch die Gegend schmeißen. B: Ja, ja genau. Ja das hm … was sagt man denn bei Kindern — lebhaft, oder … 70 A: Ja, aber ein lebhaftes Kind, das ist ja dann … das ist ja ein bisschen negativ, aber ein lebhaftes Kind, das ist ja eher was Positives. B: Hhm, ja das stimmt. A: Also ich fass das so auf, dass da eine Horde von Schulkindern kommt und eben da im McDonald’s … 75 B: Das könnte man ja so sagen, darauf folgen Horden von Schulkindern, die äh … A: Genau, die … <?page no="135"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 136 B: Nur dann den Mund halten, wenn sie in ihren Egg McMuffin beißen. A: Genau 80 B: Oder so. A: Genau … oder, die man nur dann … nee, das war ok. Die nur … B: Sollen wir das doch irgendwie aufschreiben oder was, dass man das nicht vergisst, oder … ist das egal? A: Wir können es ja mal kurz aufschreiben und dann … 85 B: Wenn wir noch was Besseres finden, dann können wir noch was machen, also (schreibt) Wer zum ersten Mal ein Protokoll eines Übersetzungsprozesses analysiert, dem fallen vielleicht zunächst bestimmte interaktive Verhaltensweisen der Personen auf, hier z.B. dass Testperson A mehr sagt und Testperson B weniger und meist dem von A Gesagten zustimmt, was dann A zu weiteren Äußerungen stimuliert. Manch einer wäre vielleicht geneigt, hier bestimmte Rollenmuster zu erkennen: Der Mann redet und die Frau hört zu, obgleich es im Einzelfall manchmal umgekehrt ist. Solche Verhaltensmuster können für das Gelingen kreativer Prozesse durchaus relevant sein. Wenn einer redet und die andere Person hauptsächlich fürs Zustimmen zuständig ist, können kreative Lösungen verloren gehen. Im vorliegenden konkreten Beispiel ist dies zum Glück nicht der Fall. Ich möchte eine kritische Anmerkung aus Kap. 5.1 noch einmal aufgreifen, nämlich dass wir in Dialogprotokollen im Grunde mentale Prozesse in zwei Gehirnen untersuchen und nicht in einem, und dass beim normalen Übersetzen eine solche interaktive Situation eher die Ausnahme darstellt, wenn wir z.B. beim Lösen eines Problems einen Kollegen oder eine Kollegin zu Rate ziehen. Die interaktive Situation ist nun zwar nicht beim Übersetzen, aber in anderen Bereichen in der Praxis der Industrie bei der Suche nach kreativen Lösungen etwas ganz Normales. Ich denke an das Brainstorming (s. Clark 1966). Beim Brainstorming sind mehrere Personen beteiligt. Es ist meine Überzeugung, dass wir Brainstorming, wenn wir wissen, wie es läuft, auch bei uns selbst als Einzelperson in Gang setzen können, auch wenn wir nicht in einem Team übersetzen. Ich habe dies bei meinen Studenten und bei mir selbst immer wieder beobachten können. Wie sehen nun die kreativen Prozesse in diesem Protokoll aus? Die Testpersonen recherchieren zunächst einmal; sie schlagen die Bedeutung einiger Wörter im einsprachigen Wörterbuch nach, wie aus der vorgelesenen Definition (Z. 21/ 22) zu erkennen ist. Parallel zu dieser Recherche stellen sie sich vor, worum es in diesem Abschnitt geht. Man könnte dies im Vierphasenmodell als Textanalyse in der Präparationsphase bezeichnen. Hier zeigt sich nun ein Phänomen, auf das in der Kreativitätsforschung immer wieder hingewiesen wird: Die Phasen bilden meist keine strikte Abfolge, sondern überschneiden sich, und es kommt zu Vor- und Rückgriffen (Preiser 1976: 48). Präparation und Inkubation sind hier eigentlich nicht voneinander zu trennen. Die Frage, worum es in dem Abschnitt geht, führt vor allem bei Testperson A zu mentalen Vorstellungen, die sie aus ihrem Gedächtnis abruft. Ihre Äußerungen enthalten das, was bereits in Kap. 5.2 als „Szenenindikatoren“ erwähnt wurde. Hier sind dies Wörter wie „es geht ja wohl“ <?page no="136"?> Analyse eines Dialogprotokolls 137 (Z.12), „da eben“ (Z.12), „dann eben“ (Z.16), „eben“ (Z.16, 37), „halt“ (Z.22). Dadurch wird deutlich, dass hier bekannte Vorstellungen abgerufen werden. Natürlich haben diese kleinen Wörter und Wortgruppen noch andere Bedeutungen, aber hier kann man sie wohl so interpretieren. Ferner erscheinen auch Wendungen, die explizit auf szenische Vorstellungen hinweisen: „So versteh ich das“ (Z.23f.), „so versteh ich das jetzt“ (Z.29) Bei der Recherche — also eine Rückkehr zur Präparationsphase — geht es um die Wörter, mit denen die Schulkinder beschrieben werden, vor allem wohl um das Wort taunt, wofür die Definition a remark or joke intended to hurt someone’s feeling (Z.21f.) gefunden wird. Gleichzeitig werden Vorstellungen verbalisiert, die dieses Wort sozusagen in Szene setzen: z.B. „wie halt die Kinder oft sind, dass die einfach oft blöd daherreden und Leute provozieren“ (Z.22f.), „sie lassen sich im Grunde doch gar nicht stören, da irgend jemand blöd anzureden“ (Z. 26f.), „also die kommen eben, machen Lärm, schreien rum“ (Z.37f.) usw. Das für kreatives Übersetzen Interessante ist nun, dass im Zusammenhang mit diesen szenischen Verbalisierungen ein Wort auftaucht, welches das Verhalten der Schulkinder zusammenfasst: „wenn da so eine Horde von Kindern kommt“ (Z.44f.). Und kurz darauf erkennt Testperson A, dass es bei den Adjektiven immer wieder um das Gleiche geht (Z.54) und dass „Horde“ genau das Verhalten der Kinder zum Ausdruck bringt (Z.62-69). Die Illumination entsteht also unmittelbar aus der Inkubation. Nach einer weiteren anschaulichen Visualisierung (Z.68) wird dann die Lösung mit „Horden“ festgehalten und vorsichtig als vorläufig brauchbar evaluiert (Z.85ff.). Beim Beispiel der murmuring machos wurde ein anderes Szenenelement als im Ausgangstext für die Übersetzung ausgewählt; hier wird für die verschiedenen im Ausgangstext genannten Szenenelemente (loud, foul-mouthed and boisterous, taunts) mit dem Wort „Horde“ ein Rahmen gefunden. Die Übersetzung ist kreativ, denn sie stellt eine Veränderung gegenüber dem Ausgangstext dar; sie ist angemessen, denn die Bedeutung des Worts „Horde“ enthält alles, was an Eigenschaften der Schulkinder im Ausgangstext genannt wird, zumindest enthält sie die Kernvorstellungen. Wir haben hier also eine weitere Variante des Übersetzungsprozesses, die sich wiederum graphisch darstellen lässt: Abb. 6 Abb. 6 AS-Szenenelemente Vorstellung: Szenenelemente ZS-Rahmen <?page no="137"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 138 Die Szenenelemente des Ausgangstexts loud, foul-mouthed, boisterous, taunts führen über die Vorstellung anderer in der Szene enthaltener Elemente wie „blöd daherreden“, „Leute provozieren“ „Lärmmachen“, „Rumschreien“ zu der Rahmen- Übersetzung „Horde“. 6.5 Aufgaben zu Kapitel 6 Als Aufgaben zu diesem Kapitel empfehle ich, ebenso wie im Anschluss an das vorige Kapitel, Dialogprotokolle anzufertigen; entweder indem Sie mit einer Kommilitonin oder einem Kommilitonen einen Text übersetzen und dabei Ihr Gespräch aufzeichnen oder indem Sie zwei Testpersonen für Aufzeichnungen gewinnen und deren Dialog aufnehmen. Wenn man selbst beteiligt ist, kann man beobachten, ob man selbst kreative Lösungswege beschreitet, und daraus dann seine Schlüsse für eine mögliche Verbesserung der eigenen Übersetzungstechnik ziehen. Allerdings ist es nicht ganz leicht, unvoreingenommen an die eigene Übersetzung und an die Analyse des eigenen Protokolls heranzugehen. Wenn man fremde Testpersonen analysiert, ist man objektiver. Das Ziel ist dann freilich nicht unmittelbar die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten, aber man wird für mentale Prozesse sensibilisiert, was dann letztlich auch das eigene Übersetzen verbessern kann. Die folgenden beiden Aufgaben dienen dazu, die Analyse einzuüben. Aufgabe 1 Das Folgende ist ein Ausschnitt aus einem Text zum Thema Evolutionstheorie. Der Ausschnitt aus einem Dialogprotokoll bezieht sich auf die unterstrichene Textstelle. Analysieren Sie das Protokoll im Hinblick auf die mentalen Prozesse und beurteilen Sie die Übersetzung (im Protokoll nach „(diktiert)“). Text It’s Time to Rethink Nature and Nurture […] Biology, in short, doesn’t determine exactly what we’ll do in life. It determines how different environments will affect us. And our biology is itself a record of the environments our ancestors encountered. Consider the sexes’ different perceptual styles. Men tend to excel at spatial reasoning, women at spotting stationary objects and remembering their locations. Such discrepancies may have a biological basis, but researchers have traced the biology back to specific environmental pressures. Archaeological findings suggest that men hunted, and women foraged, throughout vast stretches of evolutionary time. And psychologists Irwin Silverman and Marion Eals have noted that „tracking and killing animals entail different kinds of spatial problems than does foraging for edible plants.“ […] (Newsweek, March 27, 1995: 46-47. Unterstreichung von mir): <?page no="138"?> Aufgaben zu Kapitel 6 139 Dialogprotokoll […] A: Frauen hingegen finden — ja stationary guck’s mal nach — Gegenstände, die an einem bestimmten Platz stehen — besonders gut und können sich auch besonders gut ihren Standort merken B: Warum müssen die unbedingt feststehen? A: Ja weil die ja praktisch nachher, die suchen ja irgendwelche Pflanzen oder so B: als Sammler, also dass die sich erinnern können, dass der bestimmte Pilz A: genau. Wie formulieren wir das jetzt? Frauen sind besonders gut B: Ich glaube nicht, dass wir das besonders betonen müssen, das feststehend A: ja genau, wir müssen das irgendwie kombinieren, dass man das einfach merkt, dass das nicht Sachen sind, die sich fortbewegen, wie z.B. so ein Reh oder irgendwas - (diktiert) Frauen hingegen sind besonders gut darin oder besonders begabt dafür, Objekte oder Gegenstände zu finden, auszumachen, die an einem besonderen Ort zu finden sind, stehen, und sich diesen Ort auch zu merken. […] Aufgabe 2 Nicht immer führen Dialogprotokolle zu einer guten Lösung. Im gleichen Text ging es um die Übersetzung einer anderen (von mir unterstrichenen) Textstelle. Analysieren Sie das Protokoll und beurteilen Sie die Übersetzung. Es waren andere Testpersonen als in Aufgabe 1. Versuchen Sie selbst, die Textstelle zu übersetzen, indem Sie die in diesem Kapitel beschriebenen mentalen Prozesse bei sich aktivieren. Hier noch einmal der Text: It’s Time to Rethink Nature and Nurture […] Biology, in short, doesn’t determine exactly what we’ll do in life. It determines how different environments will affect us. And our biology is itself a record of the environments our ancestors encountered. Consider the sexes’ different perceptual styles. Men tend to excel at spatial reasoning, women at spotting stationary objects and remembering their locations. Such discrepancies may have a biological basis, but researchers have traced the biology back to specific environmental pressures. Archaeological findings suggest that men hunted, and women foraged, throughout vast stretches of evolutionary time. And psychologists Irwin Silverman and Marion Eals have noted that „tracking and killing animals entail different kinds of spatial problems than does foraging for edible plants.“ […] (Newsweek, March 27, 1995: 46-47. Unterstreichung von mir): <?page no="139"?> Wie kreativ können Übersetzer sein? 140 Dialogprotokoll […] A: Consider the sexes’ different perceptual styles....Perceptual styles, das heißt, wie sie die Sachen aufnehmen, spüren, erfahren, also praktisch, wie sie die verschiedenen Sachen angehen, wie sie das empfinden, also consider: dies sieht man, wenn man betrachtet, dies wird deutlich wenn man betrachtet... wie die beiden Geschlechter ihre Umwelt erfahren oder empfinden oder reagieren. „Sichtweise“ ist es im Prinzip B: Wahrnehmen A: Wahrnehmen, das war, was ich vorhin gesucht habe. Männer tendieren to excel ...spatial reasoning heißt logisches Denken, aber to excel? Dass sie das praktisch besonders gut können. Männer sind im Normalfall besonders gut im logischen Denken. B: (schreibt den letzten Satz auf) Aufgabe 3 Bei dieser Aufgabe sollen Sie selbst kreativ werden. Sie stammt aus der schon öfter zitierten Umfrage International Social Survey Programme, hier aus dem Jahr 2004 (ISSP 2004). Das Thema des Fragebogenteils war citizenship und die Textstelle lautete: People sometimes belong to different kinds of groups or associations. For each type of group, please indicate whether you, belong and actively participate, belong but don’t actively participate, used to belong but do not any more, or have never belonged to it. Belong and actively participate Belong but don’t participate Used to belong Never belonged Can’t choose 22. A political party 23. A trade union, business, or professional association 24. A church or other religious organization 25. A sports, leisure or cultural group 26. Another voluntary association <?page no="140"?> 7 Visualisieren 7.1 Visualisieren — ein zentraler Begriff „Do you see what I mean? “ fragen Engländer oder Amerikaner oft, um sich zu vergewissern, ob der Gesprächspartner sie verstanden hat. Die Antwort darauf lautet normalerweise „Yes, I see what you mean“ oder „No, I don’t see what you mean” oder „I hear what you say, but I don’t see what you mean.“ Für das Thema dieses Kapitels wollen wir diese Frage einmal ganz wörtlich nehmen, und wir könnten dann antworten: „Yes, I can visualise what you mean.“ Wenn uns jemand etwas erzählt, dann tauchen oft Bilder vor unserem geistigen Auge auf, die man geradezu malen oder zeichnen könnte. (Ich führe im vorliegenden Kapitel einige Gedanken aus Kußmaul 2005 weiter aus.) Etwas abstrakter und auf unser Thema bezogen formuliert: Beim Verstehensprozess entstehen in unseren Köpfen mentale Repräsentationen, und wenn wir übersetzen, sind diese Repräsentationen der Ausgangspunkt für unsere Neuformulierungen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich möchte nicht behaupten, dass wir immer etwas visualisieren, wenn wir etwas verstehen. Bei konkreten Begriffen wie „Hund“, „Katze“ oder „Vogel“ stellen wir uns vermutlich meist ein bestimmtes Tier vor. Die Prototypensemantik (vgl. Kap. 1) hat dies ausführlich erforscht. Bei abstrakten Begriffen wie „Freiheit“, „Liebe“, oder „Gerechtigkeit“ erscheinen bildhafte Vorstellungen wohl weniger häufig, aber vielleicht sehen manche von uns auch in diesen Fällen bestimmte Dinge vor sich, z.B. die Freiheitsstatue in New York bzw. eine Liebesszene oder Justitia mit einer Waage in der Hand. Wenn wir dieses Buch gelesen haben, könnten wir die obige Frage auch beantworten mit: „Yes, I can see scenes before my inward eye.“ Der Begriff „Szene“, der in allen Kapiteln dieses Buchs eine zentrale Rolle spielt, steht in einem Zusammenhang mit Visualisierungen. Ich erinnere an die höchst visuelle Miniaturisation-Szene in Kap. 6. Szenen können, müssen aber nicht, visuelle Elemente enthalten; sie können auch akustische Elemente enthalten, wie das Beispiel der boisterous and foulmouthed schoolchildren in Kap. 6 zeigte, oder andere mit den Sinnen wahrnehmbare Elemente. Wenn wir einen Satz lesen wie „Sie machte ihm Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck“, dann können wir uns, besonders wenn wir dieses Gericht mögen, vorstellen, wie es riecht, und vielleicht auch, wie es schmeckt, und wenn wir hungrig sind, läuft uns das Wasser im Mund zusammen, und ein Satz wie „Er strich seiner Katze über das Fell“ erweckt beim Leser vermutlich eine mit dem Tastsinn wahrnehmbare Vorstellung. Es kann aber auch sein, dass Szenen nicht unmittelbar sinnlich wahrnehmbar sind; ein Beispiel dafür sind die Konkretisierungen von cultural group in Aufgabe 3 in Kap. 6. Im vorliegenden Kapitel sollen jedoch visuelle Elemente im Mittelpunkt stehen. <?page no="141"?> Visualisieren 142 Das letzte Kapitel behandelte kreatives Übersetzen. Zwischen Kreativität und Visualisierungen besteht ebenfalls ein Zusammenhang. Arthur Koestler stellte in seinem viel beachteten Buch Der göttliche Funke (1966) die These auf, dass kreatives Denken vor allem bildhaftes Denken sei, und führt dazu u.a. Berichte des Dichters Coleridge, des Chemiker August Kekulé und Albert Einsteins über visuelle Vorstellungen als Ausgangspunkt für neue Ideen an (1966: 174-182). Auch der oben (6.2) erwähnte Traum Kekulés vom „Uroboros”, einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, ist eine visuelle Vorstellung. In Arbeiten zur Dolmetschwissenschaft wurde Visualisieren bereits als Methode empfohlen (Seleskovitch 1978: 55, Seleskovitch & Lederer 1989: 24-26). Im vorliegenden Kapitel soll beschrieben werden, wie Visualisieren im Detail beim Übersetzen funktioniert. Visualisieren ist in der Kommunikation kein neues Thema. Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf unseren Alltag und dann noch kurz auf das wohl häufigste Recherchiermittel des Übersetzers, das Wörterbuch, um zu zeigen, welche Rolle der Begriff bei der Übermittlung von Informationen spielt. Anschließend wollen wir uns dann dem Visualisieren beim Übersetzen zuwenden. 7.2 Visualisieren im Alltag Visualisierungen sind in unserem Alltag fest etabliert. Wenn z.B. in Bedienungsanleitungen die verschiedenen Teile eines Geräts beschrieben werden, dienen bildhafte Darstellungen dazu, den schriftlichen Text zu ergänzen und dadurch das Verstehen zu erleichtern. Montageanleitungen für Möbel (z.B. von Ikea) bestehen oft nur noch aus einer Abfolge von Abbildungen. Dadurch erspart man sich Übersetzungen, die bei einem schriftlichen Text notwendig wären. Ein weiterer Vorteil ist, dass Abbildungen bestimmte Informationen schneller transportieren als verbale Beschreibungen (Göpferich 1998: 42). Man kann dies als Indiz dafür betrachten, dass wir in unserem Denken bildhafte Vorstellungen bevorzugen (Rickheit/ Strohner 1993: 237). Auch Piktogramme (einfache, auf einen Blick erfassbare Bilder), um eine häufige Sonderform von Abbildungen zu nennen, werden manchmal ohne Text benutzt, um auf Dinge, Begriffe, Gefühle usw. zu verweisen oder um Sprechakte zu symbolisieren (vgl. Göpferich 1998: 41-60). Auf Flughäfen oder in Autobahnraststätten dienen Piktogramme dazu, den Reisenden zu zeigen, wo z.B. der Aufzug oder das Restaurant ist: Abb. 1 <?page no="142"?> Visualisieren im Alltag 143 Dass sich beim Begriff Gerechtigkeit ein Bild einstellen könnte, wurde oben schon erwähnt. In der Tat gibt es Piktogramme für Gerechtigkeit und die Justiz, und immer ist dabei eine Waage zu sehen, z.B.: Abb. 2 Die folgenden Piktogramme aus der ClipArt-Sammlung von Microsoft Office können benutzt werden, um die Begriffe Freude (Abb.3) und Trauer (Abb.4) zu symbolisieren: Abb. 3 Abb. 4 <?page no="143"?> Visualisieren 144 Die Ikons auf der Menüleiste von Microsoft Word stehen für Sprechakte. Wie wir wissen, steht das Bild eines Druckers für die Aufforderung „Drucken! “ Das Bild einer Diskette steht für „Speichern! “ Und ein Fernglas steht für „Suchen! “. Wir können Abbildungen, Piktogramme und Ikons erfolgreich für die Kommunikation benützen, weil unser Gehirn visuell denken kann. Doch lässt sich nicht nur über das, was wir sehen, z.B. die verschiedenen Teile eines Geräts oder eine konkrete Handlung wie die Bedienung einer Kaffeemaschine, auf diese Weise kommunizieren. Unser Gehirn kann auch abstrakte Begriffe visuell verarbeiten. So steht das obige Bild einer Waage nicht für Wiegen im wörtlichen Sinne, sondern es ist, wie gesagt, ein konventionalisiertes Symbol für Gerechtigkeit, das seinen Ursprung natürlich in der konkreten Funktion einer Waage hat. Und Freude und Trauer, Gefühle, die wir in unserem Herzen verbergen können, werden in den Figuren in Abb. 3 und 4 sichtbar. Freude drückt sich in Abb. 3 aus in der Körperbewegung, und Trauer in Abb. 4 in den herabgezogenen Mundwinkeln und der Träne. Man kann diese sichtbaren Ausdrucksformen wohl als prototypisch bezeichnen. Wer Abbildungen zur Verständnishilfe benützt, sollte sich des Phänomens der Prototypikalität bewusst sein. Susanne Göpferich empfiehlt in ihrem Lehrbuch Interkulturelles Technical Writing, prototypische Abbildungen zu verwenden (1998: 58f.). Betrachten wir nun noch ein Hilfsmittel aus dem Übersetzeralltag. Wir haben wahrscheinlich alle schon Wörterbücher in der Hand gehabt, die Bilder enthalten. Sie dienen dazu, die sprachlichen Definitionen von Wortbedeutungen zu ergänzen. Im Longman Dictionary of Contemporary English (DCE) finden wir z.B. für hug folgenden Eintrag: 1 to put your arms around someone and hold them tightly to show love or friendship Synonym embrace: We stood there crying and hugging each other. She went to her daughter and hugged her tightly. In der elektronischen Version des DCE (2003) gibt es außerdem auch ein Bild: Abb. 5 <?page no="144"?> Visualisieren im Alltag 145 Das DCE übermittelt hier Informationen auf doppeltem Wege, verbal und bildlich, und in unserem Gedächtnis werden die Informationen dadurch auch doppelt und damit sehr wirkungsvoll gespeichert. Bei Piktogrammen betrachten wir zuerst ein Bild und erkennen dann seine Bedeutung. Bei Abbildungen in Wörterbüchern ist es umgekehrt. Wir hören oder lesen ein Wort, dessen Bedeutung wir wissen wollen, und betrachten dann ein Bild, durch das wir die Bedeutung erkennen. Beide Vorgänge beruhen aber darauf, dass unser Gehirn eine Beziehung zwischen Bildern und Bedeutungen herstellen kann. Bilder in Wörterbüchern zeigen den Benutzern die Bedeutung von Wörtern, die sie hören oder lesen, aber noch nicht kennen. Das ist ihre Hilfsfunktion beim Verstehensprozess in der zweisprachigen Kommunikation. Interessant ist nun, dass es beim Verstehensprozess auch eine umgekehrte Abfolge gibt, und zwar wenn wir die Wörter schon kennen, und das ist ja das Normale. Die Abfolge sieht dann so aus: Wenn jemand Wörter hört oder liest, dann lässt er in seinem Gehirn Bilder entstehen. Wenn wir also einen Satz hören wie „Sie umarmte ihre beiden Brüder“, und als Deutsche haben wir keine Schwierigkeiten mit seinen Wörtern, dann sehen wir vielleicht ein ähnliches Bild wie in Abb. 5 vor unserem geistigen Auge. (Es ist auf dem Bild allerdings nicht klar zu erkennen, ob die mittlere und die rechte Person jeweils ein Junge und ein Mädchen ist, aber das ist hier nicht wichtig.) Es ist ein Bild, das von unseren Erfahrungen geprägt ist, und unsere Erfahrungen sind natürlich kulturbedingt, so z.B. die Hautfarbe der sich umarmenden Personen. Die Personen, die Deutsche vor sich sehen, haben vermutlich eher eine helle Hautfarbe. Das entspricht der in der deutschen Kultur prototypischen Vorstellung, denn Prototypen haben etwas mit Häufigkeit zu tun. Das DCE ist, da es auf der ganzen Welt verkauft wird, für einen multiethnischen Benutzerkreis verfasst. Visualisierungen in Fachtexten, Bedienungsanleitungen, Wörterbüchern, wissenschaftlichen Büchern und Aufsätzen usw. dienen der besseren Anschaulichkeit von Sachverhalten. Auch manche Abbildungen im vorliegenden Buch haben diesen Zweck. Ich gebrauche jedoch den Begriff „Visualisierung“ und „Visualisieren“ mit einer etwas anderen Bedeutung. Bei mir sind nicht die Abbildungen in Texten der Ausgangspunkt für mentale Vorstellungen, sondern mentale bildhafte Vorstellungen werden durch die Wörter in Texten hervorgerufen. Die Bilder sind also nicht der Ausgangspunkt, sondern das Endprodukt. Allerdings sind es keine sichtbaren Bilder, sondern Bilder vor unserem geistigen Auge, obgleich es, wenn man malen und zeichnen kann, sicher möglich wäre, sie auch auf die Leinwand oder das Papier zu übertragen. Wir werden in den folgenden Abschnitten sehen, dass wir die Fähigkeit unseres Gehirns, beim Hören oder Lesen mentale Bilder entstehen zu lassen, beim Übersetzen nutzbringend einsetzen können. <?page no="145"?> Visualisieren 146 7.3 Visualisieren beim Übersetzen 7.3.1 Stimulation einer visuellen Gesamtszene durch den Kontext Das folgende Beispiel stammt aus einer Seminararbeit von Ulrike Stöckel und Jennifer Jung am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim (FASK) im Sommersemester 2003, in der zwei Testpersonen die Aufgabe hatten, einen Text zu übersetzen und sich dabei zu unterhalten. Das Gespräch wurde auf Kassette aufgenommen und transkribiert. Der zu übersetzende Text war ein Abschnitt aus dem Roman Sushi for Beginners von Marian Keyes. Dylan will sich von seiner Frau Clodagh scheiden lassen, denn er hat herausgefunden, dass sie eine Affäre mit Marcus hatte. Ständig gibt es nun zwischen Dylan und Clodagh Streit darüber, wer die Kinder bekommen soll, wer wofür bezahlen soll, wie das gemeinsame Eigentum aufgeteilt wird usw. Marcus, der neue Liebhaber von Clodagh, besucht diese regelmäßig. In diesem Zusammenhang steht der folgende Abschnitt: In a floods of tears, Clodagh opened her front-door. ‘What’s wrong? ’ Marcus gasped. ‘It’s Dylan. He’s a bastard.’ ‘What’s he done? ’ Marcus demanded, following her into the kitchen, his face bruised with fury. ‘Oh, I deserve it,’ Clodagh sat at the table and wiped her leaking eyes. ‘I’m not saying I don’t. But it’s so hard. Whenever I see him he has more bad news and he makes me feel awful.’ ‘So what’s he done? ’ Marcus demanded again. ‘He made me give back all my credit cards. And he’s closed our joint account and instead he’s going to give me an allowance every month. For guess how much? ’ Sobbing again, she named a sum so low that Marcus exclaimed, ‘Allowance? That’s more like a forbiddance! ’ (Marian Keyes: Sushi for Beginners. London: Penguin Books 2001, S. 510. Unterstreichung von mir.) Die beiden Testpersonen hatten die Aufgabe, diesen Abschnitt als literarischen Text zu übersetzen. Eines ihrer Probleme war die Übersetzung von his face bruised with fury. Es ist eine für den Text funktional wichtige Stelle. Die Worte his face bruised with fury bringen die emotionale Haltung des neuen Liebhabers zum Noch-Ehemann von Clodagh zum Ausdruck. Die Testpersonen erörterten das Problem wie folgt: B: Stell dir das doch vor: Er ist stinksauer... A: Ja, wieso? Er weiß doch noch gar nicht, was passiert ist. Sie hat nur gesagt, der ist ein Bastard. B: Ja aber trotzdem. Guck. Sie macht die Tür auf und ist am Heulen, nä? A: Ja. <?page no="146"?> Visualisieren beim Übersetzen 147 B: „In floods of tears, Clodagh opened the front door.“ Das heißt also, er ist schon mal voll geschockt. Meine Freundin heult. A: Ja. B: Wegen diesem Idioten. A: Ja. B: So. Und er ist total sauer. Und dann geht’s ja los. Dann sagt er so: „Was hat er gemacht? “ Weißt du? A: Ja. B: Stell dir das mal so vor. Er kommt rein, so. „Was hat er gemacht? “ und er ist total wütend, weil... A: Aufgeregt und ist aufgeregt B: Aufgeregt, aufgeregt, weil er zornig … Hm A: Zornig, wütend, aufgeregt B: Und folgte ihr mhm hochrotem Kopf hähä... A: Haha B: Ja aber das ist, warte, einen hochroten Kopf bekommt man ja eigentlich, wenn einem was tierisch peinlich ist. A: Ja, stimmt schon. Aber du kannst auch vor Wut irgendwie ... glühen, oder? [Es folgt eine längere Diskussion über die Angemessenheit von „vor Wut glühen“ und über andere Möglichkeiten, Marcus’ Gesicht zu beschreiben, aber die Testpersonen sind nicht glücklich mit ihren Lösungen. Dann sagt B plötzlich: ] B: „Fury“, mmh … aufgebracht sein … völlig aufgebracht A: Aufgebracht B: Vielleicht: „Was hat er getan? “ fragte Marcus, während er ihr total aufgebracht in die Küche folgte. A: Ja, schreib das mal … ist eigentlich … B: Da wäre ja was Neues entstanden. LACHEN Die Visualisierungen der Testpersonen entstehen ganz offensichtlich aufgrund der Informationen aus dem Text, also dessen, was ihnen in einem Bottom-up-Prozess entgegenkommt. Sie bemühen sich ganz bewusst, die Szene zu visualisieren („Stell dir das doch vor … Guck … Stell dir das mal so vor“), man mag sich aber fragen, ob dies direkt zu der Lösung führt. Die ungewöhnliche Verwendung von bruised (blaue Flecke/ Prellungen haben) in dieser Kombination ist für die Testpersonen offensichtlich ein Problem. Sie versuchen zunächst, die Farbe von Marcus’ Gesicht — ein szenisches Detail — zu beschreiben, aber am Schluss rahmen sie mit „aufgebracht“ die Szene ein. Es ist wohl plausibel zu vermuten, dass sie die Gesamtszene die ganze Zeit im Kopf hatten, bis ihnen dann „aufgebracht“ einfiel. Die Gesamtszene könnte man benennen (einrahmen) mit „Marcus ist wütend“. In der Übersetzung der Testpersonen wurde ein Szenenelement (face bruised with fury) durch einen Rahmen („aufgebracht“) wiedergegeben. Es ist interes- <?page no="147"?> Visualisieren 148 sant zu überlegen, was hier fokussiert wurde. Der Rahmen „aufgebracht“ kann außer der Farbe des Gesichts auch andere Szenenelemente beinhalten, beispielsweise eine laute Stimme, bestimmte Gesten und eine bestimmte Mimik, aber fokussiert werden mit „aufgebracht“ immer die äußeren Gründe für den Ärger. Wenn man z.B. beschreiben will, dass sich jemand über sich selbst ärgert, wird man dieses Wort wohl kaum benützen. Man sagt eher nicht „Ich war aufgebracht über meine Ungeschicklichkeit“, sondern eher „Ich ärgerte mich über meine Ungeschicklichkeit“. Man kann aber sagen „Ich war aufgebracht über seine freche Bemerkung“; natürlich ist hier auch „ärgerte mich …“ möglich, aber mit „aufgebracht“ wird der äußere Anlass fokussiert. Mit den Begriffen der Prototypensemantik ausgedrückt kann man sagen, dass die äußeren Anlässe für den Ärger im Kern der Vorstellung von „aufgebracht“ angesiedelt sind. Die Definition und das Beispiel für „aufbringen“ in der elektronischen Version des Wahrig Wörterbuchs der deutschen Sprache (1997) weisen übrigens in diese Richtung: jemanden aufbringen erzürnen, erregen; dein ständiger Widerspruch bringt ihn auf „Aufbringen“ ist also eine sehr angemessene Übersetzung, denn was Marcus ärgert, ist, wie wir in dem Text lesen können, direkt vor seinen Augen. Es ließe sich kritisch einwenden, dass die Anschaulichkeit und Originalität des Ausgangstexts an dieser Stelle verloren gegangen sei. Sicher, ein anschauliches deutsches Äquivalent als szenisches Detail wäre hier wirkungsvoll gewesen. Man könnte überlegen, ob „wutverzerrtes Gesicht“ nicht passend gewesen wäre; allerdings ist es im Gegensatz zum Ausgangstext eine ganz übliche Kollokation. Die Testpersonen haben sich anders entschieden. Sie fanden ein Wort, das im Vergleich mit dem Ausgangstext eine originelle Veränderung darstellt und dadurch und durch die Fokussierung auf den äußeren Anlass etwas Neues hinzufügt. Dies entspricht meiner Definition für eine kreative Übersetzung (s. Kap. 6.1). Man könnte die Stilebene noch etwas verändern. „Total“ in Kombination mit einem Adjektiv ist umgangssprachlich und drückt einen hohen Vertrautheitsgrad aus. Die Textstelle ist jedoch nicht Teil des Dialogs, sondern es spricht der Erzähler. Besser wäre „völlig aufgebracht“. Doch es geht hier in erster Linie um das Wort „aufgebracht“, und das ist eine semantisch treffende Übersetzung. Was sich hier im Kopf der Testpersonen abspielt lässt sich ähnlich wie in Kap. 6.4 graphisch etwa so darstellen: Abb. 6 AS-Szenenelement Visualisierung einer Szene ZS-Rahmen <?page no="148"?> Visualisieren beim Übersetzen 149 7.3.2 Aus dem Gedächtnis abgerufene Szenendetails Auch das folgende Beispiel stammt aus einer Seminararbeit am FASK, in der ein Dialogprotokoll analysiert wurde. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2003/ 2004 von Katja Brill, Julia Bürzele und Isabell Rüdel verfasst. (Die Problemstelle ist von mir unterstrichen.) 8 p.m. Off to dinner party. All the Smug Marrieds keep inviting me on Saturday nights now I am alone again, seating me opposite an increasingly horrifying selection of single men. It is very kind of them and I appreciate it v. much but it only seems to highlight my emotional failure and isolation - though Magda says I should remember that being single is better than having an adulterous, sexually incontinent husband. (Helen Fielding: Bridget Jones’s Diary, London 1996) Auch in diesem Fall bestand die Aufgabe darin, den Text als literarischen Text zu übersetzen. Der Dialog der Testpersonen (Studierende) zu der unterstrichenen Textstelle lautet: A: Ja, das ist schön. „Smug“ sind so „smug-smile”; ich weiß, wie es aussieht, aber nicht, wie es heißt. LACHEN. Das sind so die, die so settled sind in ihrem... so nettes Haus mit Garten und dann noch den Kö... Hund... die Miezekatze LACHEN VON BEIDEN B: Spießig? A: Nee A: Die Frage ist auch, warum sie das groß geschrieben hat „Smug“ und „Marrieds“. B: Wahrscheinlich gliedert die ihre Freunde, die so verheiratet sind und so glücklich und so zufrieden in so eine Gruppe ein, und so nennt sie die dann in ihrem Tagebuch. A: Ja genau, die „Smug Marrieds“ und die so und so... A: selbst .. selbst... nicht selbstgerecht, sondern wie heißt ‘n das? B: selbstzufrieden A: selbstzufrieden? Gibt’s das? B: ja, das gibt’s schon ... vielleicht die ganzen ekelhaft glücklichen Verheirateten.... A: das ist doch schön! B: Vielleicht: der Club der ekelhaft glücklich Verheirateten... Die Testpersonen erörtern die Übersetzung von Smug Marrieds. Im Text erscheinen keine Szenendetails; es gibt nur den Rahmen Smug Marrieds, obgleich natürlich die Gefühle und die allgemeine Haltung der Erzählerin aus den nachfolgenden Zeilen und aus dem gesamten Tagebuch erschlossen werden können. Die Testpersonen visualisieren hier explizit („ich weiß, wie es aussieht“) eine Szene, und diese Szene ist in ihrem Gedächtnis gespeichert. Das häufige Auftauchen des Wörtchens „so“ weist darauf hin, dass es sich um ein Klischee, also eine prototypische Szene, handelt. Sie wird hier durch einen Top-down-Prozess aus dem Gedächtnis abgerufen. Die Details dieses Klischees („nettes Haus mit Garten und <?page no="149"?> Visualisieren 150 dann noch den Hund, die Miezekatze“) sind als Bestandteil eines Klischees per definitionem Kernelemente, mit anderen Worten, sie sind prototypisch. Die Visualisierung dieser prototypischen Elemente führt in unserem Fall zu der Übersetzung „ekelhaft glücklich Verheiratete“. Prototypikalität wird übrigens von den Dolmetschwissenschaftlerinnen Seleskovitch und Lederer intuitiv in ihren Beispielen angewandt, wenn sie Visualisieren als Unterrichtsmethode empfehlen. Zur Übersetzung des Satzes Children have forgotten how to eat, completely forgotten how to eat, der aus einem Artikel über Hungersnöte in Afrika entnommen ist, schlagen sie vor, sich ein Kind mit mageren Armen und Beinen und einem aufgeblähten Bauch vorzustellen, ein Bild, das man oft in den Medien sehen kann, um eine Fehlübersetzung ins Französische wie les enfants ont oublié comment manger (Die Kinder haben ihre guten Manieren vergessen) zu vermeiden. (Seleskovitch/ Lederer 1989: 25-26.) Durch Visualisieren lassen sich kreative Lösungen hervorbringen. Die Übersetzung „der Club der ekelhaft glücklich Verheirateten“, für die Endversion modifiziert zu „der Club der ganz ekelhaft glücklichen Ehepaare“, kann man als kreativ bezeichnen, denn sie enthält als etwas Neues Worte, die eine negative Einstellung der Erzählerin, die im Ausgangstext nicht explizit gemacht wird, aber zweifellos enthalten ist, zum Ausdruck bringen. Die Übersetzung unterstreicht die Gefühle der Erzählerin. Man wird sich vielleicht fragen, ob „selbstzufriedene Ehepaare“ nicht auch eine, vielleicht sogar bessere, Übersetzung gewesen wäre. Die von den Testpersonen gefundene Übersetzung ist ja wesentlich expliziter als das Original. Entspricht sie damit der Funktion der Stelle in diesem (literarischen) Text? Dass Übersetzungen expliziter sind als der Ausgangstext, ist, wie ich oben in Kap. 3 schon sagte, ein seit langem erkanntes Phänomen (umfassend dazu Englund-Dimitrova 2005: passim), aber das heißt nicht, dass Explizitheit von vornherein gerechtfertigt ist. Was hier jedoch explizit gemacht wird, sind die Einstellung und die Gefühle der Erzählerin. Um ihre Gefühle zu äußern, schreibt sie ein Tagebuch. Ihre Gefühle zeigt sie zum Beispiel auch, wenn sie schreibt: an increasingly horrifying selection of single men und it only seems to highlight my emotional failure and isolation. Gerade durch „ekelhaft glücklich“ wird deutlich, dass aus ihrer Perspektive geschildert wird. Bei einem Tagebuch wie diesem scheint mir die Perspektivenverdeutlichung angemessen zu sein. Der Denkvorgang sei auch für dieses Beispiel graphisch veranschaulicht. Den Varianten in Kap. 6 werden in diesem Kapitel noch weitere hinzugefügt: AS-Rahmen Visualisierung prototypischer Szenenelemente ZS-Rahmen Abb.7 <?page no="150"?> Visualisieren beim Übersetzen 151 Ich füge ein Bild hinzu, um unsere Szene optisch sichtbar zu machen. Das Bild des Ehepaars entspricht vielleicht nicht ganz den Vorstellungen der Testpersonen — es fehlen Haus, Garten und Katze —, aber immerhin erscheint darauf als Szenenelement ein kleiner Hund. Abb. 8 Im folgenden Beispiel werden visualisierte Szenenelemente unmittelbar als Übersetzung im zielsprachlichen Text benutzt. Ich übersetzte mit meinen Studentinnen und Studenten einen Text, der von Steven Pinker als Beispiel dafür benutzt wird, wie man Worte gebrauchen kann, um neue Kombinationen von Vorstellungen beim Hörer oder Leser hervorzurufen (Pinker 1995: 1), ein Thema, mit dem wir uns hier ja auch ganz intensiv beschäftigen. Der folgende Text versetzt uns laut Pinker in die Welt der Personen der amerikanischen Fernsehsendung All my Children, einer Soap Opera, die in den U.S.A. seit Jahrzehnten läuft (Pinker 1995: 2). Der Textabschnitt lautet: When Dixie opens the door to Tad, she is stunned, because she thought he was dead. She slams it in his face and then tries to escape. However, when Tad says, “I love you,“ she lets him in. Tad comforts her, and they become passionate. When Brian interrupts, Dixie tells a stunned Tad that she and Brian were married earlier that day. With much difficulty, Dixie informs Brian that things are nowhere near finished between her and Tad. Then she spills the news that Jamie is Tad’s son. “My what? “ says a shocked Tad. (Pinker 1995: 1f.) Als wir über die Textstelle they become passionate sprachen, schlug eine Studentin zunächst als Übersetzung vor: „Sie geben sich ihrer Leidenschaft hin.“ Dies wurde dann als zu abstrakt und schwülstig kritisiert. Ich sagte daraufhin, sie sollten sich visuell vorstellen, was Tad und Dixie tun, denn derartige Szenen könne man ja immer wieder im Fernsehen in Seifenopern oder in Filmen sehen, wenn man sie nicht sogar schon selbst erlebt habe. Wir beschrieben unsere Visu- <?page no="151"?> Visualisieren 152 alisierungen jedoch nicht. Ich sagte nur, man solle sich mal eine solche Szene vorstellen. Dann schlug eine Studentin die Übersetzung vor: „Sie umarmen und sie küssen sich.“ Was wir hier beobachten können ist, dass die Verbalisierung einer Visualisierung bereits die Übersetzung sein kann, die wir suchen. In einem Seminar mit dem Thema „Kreatives Übersetzen“ benützte ich denselben Text wieder und ließ ihn von Teams mit zwei oder drei Personen übersetzen. Dabei kam es zu folgenden visuellen Übersetzungen: Sie umarmen und küssen sich leidenschaftlich Als er ihre Tränen sieht, fallen sie sich in die Arme Sie finden sich eng umschlungen auf dem Sofa vor Sie umarmen sich und es beginnt zu knistern Was bei der Übersetzung des Seifenoperntexts geschah, lässt sich graphisch wie folgt veranschaulichen: AS-Rahmen Vorstellung: Szene Szene = ZS-Rahmen Abb. 9 Ich denke, es ist nicht nötig, hier ein Bild einzufügen, um die Szene optisch sichtbar zu machen; jeder hat dafür genug Phantasie. Man kann aber auch hier die Frage stellen, ob prototypische Szenenelemente in den Übersetzungen verbalisiert werden. Wenn wir an das denken, was uns in Seifenopern vorgeführt wird, kann man diese Frage wohl mit Ja beantworten. Man kann ferner auch hier wieder wie in Kap. 6 fragen, in welchem Verhältnis Szenen und Szenenelemente beim Verbalisieren zum Rahmen stehen. Nach Fillmore ist, wie gesagt, alles, was verbalisiert wird, ein Rahmen. Szenen sind mentale Repräsentationen. Wir können beim Formulieren unserer mentalen Repräsentationen Szenenelemente mit einem Wort oder einer Wendung zusammenfassen (einrahmen), wie es im Textbeispiel aus der Seifenoper durch they become passionate im Ausgangstext und in unserem Beispiel aus Bridget Jones’s Diary sowohl im Ausgangstext durch Smug Marrieds als auch im Zieltext durch „ekelhaft glückliche Ehepaare“ geschieht. Wir können nun aber auch die einzelnen Szenenelemente unmittelbar verbalisieren, wie das in der Übersetzung durch „sie umarmen und küssen sich leidenschaftlich“, „als er ihre Tränen sieht, fallen sie sich in die Arme“ usw. geschieht. Prozessual gesehen ist dies für mich, wie in Kapitel 6 schon angedeutet, ein wichtiger Unterschied. Die Verbalisierung von Szenen- <?page no="152"?> Visualisieren beim Übersetzen 153 elementen ist meist konkreter und detaillierter als ein zusammenfassender Rahmen, der eher abstrakt ist. 7.3.3 Ein schwieriger Fall: Ein Rahmen und zwei Szenen Auch das folgende Beispiel stammt aus meinem Unterricht. Wir übersetzten einen Text aus Newsweek, der sich kritisch mit der Technologiegläubigkeit der Medizin befasste: Will they [the doctors] be able to guide frightened, vulnerable people through life-and-death decisions and know when to stop? Or will the machines take on a life of their own, as doctors who have never really learned to listen or to touch become appendages to computers? We have gotten to where we simply don’t feel cared for unless we are on the frontier of technology. „No MRI scan? What’s the matter, aren’t I good enough? “ „No genetic screen? Don’t stint, Doc, I want the best.“ But technology can come between us and our doctors, who may be afraid to talk to patients and their families and even more afraid to touch them in today’s litigious atmosphere. Doctors are rarely sued for applying high technology, but they are often sued for omitting it. (Newsweek, July 18, 2001. Unterstreichungen von mir.) Ein Problem war die Übersetzung von touch. Dieses Wort hat eine wichtige Funktion in diesem Text; es bringt zusammen mit listen den Gegensatz zur nach Ansicht des Autors übertriebenen Technologiegläubigkeit der Medizin zum Ausdruck. Wir hatten kein Verstehensproblem. Es war uns klar, dass touch sich hier auf das bezieht, was ein Arzt tut, wenn er herausfinden will, wo ein Patient Schmerzen hat, und es war uns auch klar, dass die hier mit touch bezeichnete Handlung heutzutage, besonders in Ländern wie den U.S.A., auch als sexuelle Belästigung und damit als strafbar angesehen werden kann (litigious atmosphere). Der Übersetzungsvorschlag „berühren“ wurde schnell fallengelassen, denn wir waren der Ansicht, er enthalte nur die sexuellen Konnotationen und das Wort werde von einem Arzt bei der Untersuchung seiner Patienten nicht benützt. Ist diese Doppeldeutigkeit von touch wirklich die plausibelste Interpretation oder haben wir Bedeutungen in das Wort hineingelesen, die in diesem Text gar nicht in ihm enthalten sind? Aus den nächsten Zeilen des Texts, so könnte man argumentieren, wird doch klar, dass Ärzte dann verklagt werden, wenn sie die Gerätemedizin nicht eingesetzt haben, und darauf kann sich litigious atmosphere, die gegenwärtige Prozesssüchtigkeit, auch beziehen. Von sexual harassment ist im Text nirgendwo die Rede. Interessant bezüglich der Plausibilität ist, dass meine amerikanischen Kollegen Don Kiraly und Bernd Schäfer, denen ich Interpretationen dieses Textbeispiels zur Überprüfung gegeben hatte, keine Einwände gegen die Interpretation im Sinne von sexual harassment hatten. Offenbar erschien ihnen als native speakers diese Interpretation plausibel. <?page no="153"?> Visualisieren 154 Bei unseren Interpretationen spielt, wie wir wissen, der Kontext und zugleich unser Weltwissen eine Rolle. Doch unser Weltwissen über die U.S.A. hilft uns in diesem Fall bei der Entscheidung nicht weiter; es lässt beide Interpretationen zu. In den U.S.A. ist man ganz allgemein sehr sensibel gegenüber sexuellen Belästigungen (zumindest war man es zur der Zeit, als der Artikel geschrieben wurde), und außerdem verklagen Patienten ihre Ärzte auch wegen medizinischer Fehler. Es heißt ja, Anwälte würden Patienten schon am Krankenhausausgang abfangen, um ihre Dienste anzubieten. Der Kontext und das Weltwissen werden über Top-down-Prozesse aktiviert. Wir dürfen aber nun die Bottom-up-Prozesse nicht aus den Augen verlieren. Wenn hier gesagt werden sollte, dass die Ärzte Angst davor haben, nur die traditionellen Untersuchungsmethoden anzuwenden und dadurch wichtige medizinische Untersuchungen zu versäumen, dann hätte hier so etwas stehen müssen wie: doctors ... may be afraid to merely/ only touch them oder doctors ... may be afraid to use touching as their means of examination. Hier steht aber: doctors ... may be afraid to touch them. Dadurch wird ein weiterführender Kontext im Sinne eines medizinischen Versäumnisses eigentlich ausgeschlossen. Ich denke, es ist zumindest klar geworden, dass Verstehen nicht bedeutet: so und nicht anders, sondern eher: wahrscheinlich so, aber vielleicht auch anders. Mit anderen Worten: Plausibilitätserwägungen spielen, wie immer wieder festgestellt, eine wichtige Rolle. Ich entschied mich mit meinen Studierenden, weil wir sie plausibel fanden, für die Doppeldeutigkeit von touch. Ich bat dann meine Studenten und Studentinnen, sich einen Besuch in einer Arztpraxis vorzustellen, und fädelte dies mit Äußerungen ein, die ein Arzt typischerweise benützen würde, z.B. „Wo tut’s Ihnen denn weh? “ oder „Ziehen Sie doch bitte mal Ihre Jacke/ Ihren Pullover aus.“ Kognitiv gesehen, rief ich Erinnerungen als Szene aus ihrem Gedächtnis ab. Spontan hatte dann eine Studentin die Übersetzungsidee „abtasten“, und genau dieses Wort benützen Ärzte. Abb. 10 <?page no="154"?> Visualisieren beim Übersetzen 155 Was wir im Unterricht taten, dies sei nebenbei bemerkt, setzt natürlich eine bestimmte Methode voraus. Es ist nicht die traditionelle Methode, bei welcher der Dozent sein überlegenes Wissen an die Studierenden vermittelt, die in Reihen vor ihm sitzen und seinen Ausführungen lauschen. Es ist vielmehr eine interaktive Methode, bei welcher die Studierenden miteinander diskutieren und der Dozent die Diskussion vorsichtig lenkt. Idealerweise sitzen Dozent und Studierende an einem gemeinsamen Tisch. (Eine genaue Beschreibung dieser Methode findet sich bei Kiraly 2000: passim.) Zurück zu unserem Beispiel. Semantisch gesehen, können wir von einer Divergenz sprechen, ein Begriff, der uns aus Kapitel 1 bekannt ist: Abb. 11 In den Begriffen der Scenes-and-frames-Semantik haben wir hier im Ausgangstext einen Rahmen, der zu zwei Szenen passt, (a) einer Szene, in der ein Arzt einen Patienten oder eine Patientin untersucht, und (b) einer Szene, in der eine Person eine andere sexuell belästigt. Hätten wir touch mit „berühren“ übersetzt, wäre mit einiger Wahrscheinlichkeit nur die zweite Szene evoziert worden. Man könnte nun sagen (Don Kiraly im Gespräch), dass „abtasten“ nicht die Szene der sexuellen Belästigung hervorrufe und damit die für den Text notwendige Ambiguität verloren gehe. Wäre es nicht besser, hier mit „anfassen“ zu übersetzen? Das Problem lässt sich meines Erachtens erklären, indem wir von überlappenden Szenen sprechen. Zunächst einmal sehen wir die Szene, in der ein Arzt einen Patienten untersucht, und dann sehen wir noch die Belästigungsszene. Mit den uns im Deutschen zur Verfügung stehenden Wörtern können wir eigentlich nicht beide Szenen erfassen. Sowohl „berühren“ als auch „anfassen“ suggerieren keine Untersuchungsszene. Und „abtasten“ hat eigentlich keinen sexuellen Unterton — oder etwa doch? Das Wort ruft in erster Linie die Untersuchungsszene auf, aber vielleicht, mit ein bisschen Phantasie, doch auch die Belästigungsszene. Man kann sich eine Patientin vorstellen, die sich über einen Arzt beklagt und sagt: „Und dann hat der Typ mich überall befummelt.“ Aber vielleicht sagt sie auch: „Und dann hat der Typ mich überall abgetastet, obwohl ich sagte: ‚Hören Sie mal, was soll denn das! ’“ Mit den Begriffen der Prototypensemantik ausgedrückt: Die Bedeutung von „abtasten“ hat unscharfe Ränder. Wenn wir in unserem Text touch lesen, ist die Kernvorstellung vermutlich die Szene, in der ein Arzt einen Patienten oder eine Patientin untersucht, und dafür ist das deutsche Wort „abtasten“ der genau passende Rahmen. Aber an den unscharfen Rändern von „abtasten“ könnte mit ei- „ berühren“ touch „abtasten“ <?page no="155"?> Visualisieren 156 nem bisschen (schmutziger? ) Phantasie seitens des Lesers auch die Szene der sexuellen Belästigung auftauchen. Bei diesem Beispiel erhebt sich natürlich die Frage: Funktioniert das Visualisieren besser, wenn die Übersetzer von einer dritten Person, vorzugsweise einer Lehrkraft mit Erfahrung, stimuliert werden? Ich habe die Visualisierungsmethode im Sinne einer Szenenstimulation im Unterricht oft mit Erfolg benützt. Im Übersetzeralltag der Berufspraxis ist die Situation natürlich anders. Aber bei schwierigen Textstellen setzen sich auch in einem Übersetzerbüro die Mitarbeiter gelegentlich zusammen, um Probleme zu lösen, und dann könnten sie auch die Visualisierungsmethode ausprobieren. Vielleicht übernimmt eine erfahrene Übersetzerin die Gesprächsleitung und versucht zu stimulieren. Dass Visualisierungen sich bei der Lösungssuche sogar spontan einstellen können, haben meine Beispiele mit den Zweierteams der Versuchspersonen gezeigt, bei denen ja keine Lehrperson zwecks Stimulation dabei war. 7.4 Aufgaben zu Kapitel 7 Aufgabe 1 In der Zeitschrift The Economist erschien unter der Rubrik Science and Technology der folgende Artikel über die Frühgeschichte des Menschen. Gaining the upper hand (1) WHAT gave modern people their edge and enabled them to displace the other human species, such as Neanderthals, who once shared the earth with them, is a matter of lively debate. Superior mental faculties, such as language and the ability to engage in abstract problem solving, are the sort of explanations that are currently all the rage. But Wesley Niewoehner of the University of New Mexico has unearthed evidence that harks back to an earlier idea. This is that Homo sapiens became sole ruler of the planet because he was better at manipulating tools. (2) „Unearthed“, in this case, is literally the truth. Dr Niewoehner’s evidence, published in the current edition of the Proceedings of the National Academy of Science,comes from fossils dug up in the Middle East. These fossils, which date back some100,000 years, come from two sites in Israel, called Skhul and Qafzeh. The Skhul and Qafzeh skeletons are not identical with those of modern people but are clearly distinguishable from those of Neanderthals, and are generally classified as an early form of Homo sapiens. Dr Niewoehner was interested in whether this resemblance extended as far as the way they used their tools. <?page no="156"?> Aufgaben zu Kapitel 7 157 Abb. 12 (3) It has been known for some time that the grip of Homo neanderthalis was different from, and in some ways inferior to that of Homo sapiens. In particular, Neanderthals wielded their tools in a so-called power grip — held in the palm of the hand with the fingers curled around the body of the tool. By contrast, modern people make extensive use of tools with hafts and shafts, such as hammers. That provides mechanical advantage, and thus more force. (4) What is not so clear is when this distinction first occurred. To see if it stretches back as far as 100,000 years, Dr Niewoehner compared skeletal hands unearthed at Skhul and Qafzeh with those of Neanderthals, and also with more recent Homo sapiens, ranging in age from about 40,000 years ago to the mid-20th century. (5) His analysis focused on the joints between the carpal and metacarpal bones of the wrist and hand. The orientations and shapes of these joints are a good indication of what movements the hand in question can make comfortably, and how much force it can exert in particular directions. (6) To compare his samples, he produced three-dimensional computer models of them. He photographed each facet of the carpometacarpal joint from several directions, and fed the results into a program that produced a 3D grid of the surface in question. The computer then compared these grids to see which of the reference samples (Neanderthal, or the various forms of modern human) the Skhul and Qafzeh bones most resembled. (7) Almost without exception, the answer was that they resembled a modern human, rather than a Neanderthal. In particular, they proved to be well adapted to the use of tools with hafts and shafts. Even at that early stage, it seems that humanity’s ancestors were shafting the opposition. <?page no="157"?> Visualisieren 158 (The Economist, February 10 th , 2002) Übersetzen Sie den dritten Abschnitt von It has been known … bis … thus more force. Der Übersetzungsauftrag lautet: Übersetzung für eine seriöse deutsche Zeitung oder Zeitschrift; Rubrik „Aus Wissenschaft und Forschung“. Erhalten Sie möglichst den journalistischen Stil, in diesem Fall also die gute Verständlichkeit und Anschaulichkeit des Texts. Konzentrieren Sie sich besonders auf die Übersetzung der Wörter grip, power grip, hafts and shafts und … mechanical advantage, and thus more force. Das Bild, das auch dem Originalartikel beigegeben war, ist eine Visualisierungshilfe. Aufgabe 2 Vom 6. und 7. Abschnitt des obigen Texts fertigten wir im Unterricht folgende Übersetzungsversion an: Um seine Funde zu vergleichen, erstellte er dreidimensionale Computer-Animationen von ihnen. Er fotografierte jeden Gelenkbereich der Handwurzel- und Mittelhandknochen aus verschiedenen Blickwinkeln und gab die Ergebnisse in ein Computerprogramm ein, das ein 3D-Raster jener Oberfläche herstellte. Daraufhin verglich das Programm diese Raster, um herauszufinden, ob die Funde von Skhul und Qafzeh eher dem durch Funde belegten Knochenbau des Neandertalers oder des modernen Menschen ähnelten. Die Auswertung ergab fast ohne Ausnahme, dass sie eher dem modernen Menschen (homo sapiens) als dem Neandertaler ähnlich waren, und es erwies sich vor allem, dass der moderne Mensch durch seinen Knochenbau bestens darauf ausgerichtet war, Werkzeuge mit Stielen zu benutzen. Es scheint, dass bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Vorfahren der heutigen Menschen ihre Gegner aufs Kreuz legten. Die Übersetzung lässt sich zumindest an den beiden unterstrichenen Stellen noch verbessern. Bei „jener Oberfläche“ ist der Kontextbezug nicht optimal. Bei „ihre Gegner aufs Kreuz legten“ geht das Wortspiel verloren. Versuchen Sie, sich möglichst deutlich vorzustellen, worauf sich the surface in question bezieht, und denken sie bei der Übersetzung von humanity’s ancestors were shafting the opposition noch einmal an die Übersetzung des 3. Abschnitts. Aufgabe 3 In manchen Umfragen, vor allem wenn die Befragten schon älter sind, wird erst einmal getestet, ob sie überhaupt noch in der Lage sind, an einer Umfrage teilzunehmen. Man versucht zum Beispiel festzustellen, ob das Gedächtnis noch funktioniert und ob die Personen fähig sind, bestimmte Anweisungen zu verstehen und auszuführen, auch was die manuelle Mobilität betrifft. Die (in Kap. 2) bereits erwähnte Umfrage Stigma 2004 enthält folgenden Abschnitt. Die Sätze in Klammern richten sich an den Interviewer. <?page no="158"?> Aufgaben zu Kapitel 7 159 [Take a piece of paper and hold it up in front of the respondent. Say: ] [If respondent is right-handed: ] Take this paper in your left hand, fold the paper in half once with both hands and put the paper down on your lap. [If respondent is left-handed: ] Take this paper in your right hand, fold the paper in half once with both hands and put the paper down on your lap. [Takes paper in correct hand: 1 point Folds it in half: 1 point Puts it on lap: 1 point Allow 30 seconds. Score 1 point for each instruction correctly executed.] Übersetzen Sie die Textstelle: [Take a piece of paper and hold it up in front of the respondent. Say: ] [If respondent is right-handed: ] Take this paper in your left hand, fold the paper in half once with both hands and put the paper down on your lap. Die Übersetzung ist nicht schwierig, wenn Sie sich die Handlungen vorstellen. Dann können Sie die Sätze klar und verständlich formulieren. <?page no="160"?> 8 Übersetzen als professionelles Problemlösen In diesem Kapitel greife ich einige der bisher behandelten Themen wieder auf und stelle sie in einen größeren Zusammenhang mit Begriffen, die mir für das Übersetzen wichtig erscheinen. 8.1 Routine und Reflexion Ich habe mich in diesem Buch auf das Problemlösen konzentriert. Manche werden vielleicht fragen: „Haben wir denn immer Probleme? Läuft es denn nicht oft auch glatt und problemlos? “ Sicher, und es ist schön, wenn es so ist. Wir folgen dann Routinen und verwenden z.B. übliche Termini, bestimmte Floskeln und Wendungen oder gar ganze Sätze, die wir schon früher benützt haben und die wir rasch aus unserem Gedächtnis abrufen können. Auch das Überprüfen sprachlicher Strukturen mittels Paralleltexten, z.B. aus dem Internet, ist normalerweise eine Routine. Ich habe an verschiedenen Stellen gezeigt, wie eine solche Überprüfung ablaufen kann. Übersetzen ist beides: Routine und Problemlösen. Der Altmeister der Übersetzungswissenschaft Wolfram Wilss legt, wenn er über die Methodik des Übersetzungsunterrichts spricht, auf diese Kombination großen Wert (1996: passim). Ich verkenne nicht die Nützlichkeit von Routinen, ich habe jedoch Problemlösen in den Mittelpunkt meines Buchs gestellt, denn Übersetzer haben damit erfahrungsgemäß mehr Schwierigkeiten, und es lässt sich dazu ganz einfach auch mehr sagen . Ein mit Routine und Problemlösen vergleichbares Begriffspaar sind die von Hans Hönig schon früher ins Gespräch gebrachten Begriffe „Reflex“ und „Reflexion“. Mit ihnen lässt sich sehr gut und ziemlich konkret beschreiben, was beim Übersetzungsvorgang abläuft. Niemand kann das besser als Hans Hönig selbst: Der Übersetzungsvorgang lässt sich als ein Zusammenspiel von sprachlichem Reflex und methodischer Reflexion darstellen. Als sprachlicher Reflex wird die Tatsache bezeichnet, dass sich meistens schon beim ersten Lesen eines fremdsprachlichen Textes (der übersetzt werden soll), spätestens aber beim eigentlichen „Übersetzen“, geradezu automatisch muttersprachliche Formulierungen aufdrängen, die der Übersetzer nicht eigentlich erdacht hat. Die (methodische) Reflexion setzt immer dann ein, wenn dieser Reflex entweder ausbleibt („Ich weiß nicht, was das heißt“), oder, wenn der Reflex eindeutig in die Aporie geführt hat („Nein, so kann es nicht heißen“). In ihrem Zusammenspiel treiben Reflex und Reflexion den Übersetzungsvorgang vorwärts. Entscheidend für die zielgerichtete Vorwärtsbewegung ist, dass im richtigen Augenblick vom Reflex auf Reflexion umgeschaltet wird — <?page no="161"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 162 und umgekehrt. Dieser Schaltvorgang wird von dem überwachenden Bewusstsein des Übersetzers gesteuert. Es sagt dem Übersetzer, wann sein Reflex ihn in die Irre geleitet hat, und wann er sich auf seine Reflexe verlassen kann. Anders ausgedrückt: Beim Übersetzungsvorgang führt der Übersetzer einen Dialog mit sich selbst. Er produziert Formulierungen, die er dann einer Kritik unterwirft. Dieser Vorgang kann sich mehrmals wiederholen, bis endlich als endgültige Lösung eine Formulierung fixiert wird, die keinen kritischen Einwand provoziert. (Hönig 1986: 230) Ich möchte zwei Punkte hervorheben. (1) Reflexe sind etwas Automatisches. Bestimmte Formulierungen werden uns rasch, ohne dass wir uns lange darum bemühen müssen, von unserem Gedächtnis zur Verfügung gestellt. Wolfram Wilss schreibt genau diese Eigenschaften der Routine zu, wenn er davon spricht, dass bei Routinehandlungen der „Autopilot“ eingeschaltet sei, während beim Problemlösen „eine bewusste Handlungssteuerung“ erfolge (Wilss 1996: 50). Man kann also sagen, dass Reflexe aufgrund einer Routine entstehen. (2) Was Hönig impressionistisch mit Äußerungen des Übersetzers als Reflexion beschreibt, ist das, was Wilss „bewusste Handlungssteuerung“ nennt. Wichtig erscheint mir Hönigs Erkenntnis, dass wir beim Übersetzen in der Lage sind, im richtigen Augenblick von Reflex auf Reflexion umzuschalten. Mit anderen Worten: Ein guter Übersetzer weiß, wann er den Autopiloten ausschalten und den Steuerknüppel selbst in die Hand nehmen muss, um sicher durch starke Turbulenzen zu fliegen. Probleme können wir nämlich nur durch bewusste Reflexion lösen. Ohne Reflexion gibt es keine Problemerkenntnis. Abb.1 Routinelösungen und bloße Reflexe können verhindern, dass Probleme erkannt werden. Aber selbst wenn wir unmittelbar nach dem Übersetzen oder auch erst am nächsten Tag merken, dass wir eigentlich ein Problem gehabt haben müssten („Nein, so kann es nicht heißen“ oder „Wie konnte ich so etwas nur schreiben! “), ist das besser als gar nichts zu erkennen. Entscheidend ist, dass das „überwachende Bewusstsein“ überhaupt vorhanden ist. Dann haben wir zumindest die Chance, gute Übersetzungen zu produzieren. Wir haben in Kap. 5.5 gesehen, dass <?page no="162"?> 163 der W Reflexionsgrad W in W einer W engen W Korrelation W zur W Qualität W einer W Übersetzung steht. 8.2 Techniken und Strategien Wenn wir von Reflex auf Reflexion umschalten, können wir Techniken und Strategien des Problemlösens anwenden. Hans Hönig und ich gaben unserem 1982 erschienenen Buch den Titel „Strategie der Übersetzung“. Unter Strategie verstanden wir zielgerichtete Überlegungen, die zu einer guten Übersetzung führen. Diese Überlegungen bestanden aus mehreren Schritten. Als erstes galt es zu bestimmen, welche Funktion die Übersetzung für die Leser in der Zielkultur haben sollte. Diese Gesamtfunktion der Übersetzung hatte dann Auswirkungen auf die Übersetzung einzelner Textabschnitte, Sätze und Wörter. Dieses Verständnis von Funktion und Strategie hat sich bewährt und liegt auch dem hier vorliegenden Buch zugrunde. Ich habe mich in allen Kapiteln immer wieder bemüht zu zeigen, wie solche mehrstufigen strategischen Überlegungen aussehen können. Techniken verstehe ich als Überlegungen, die aus weniger Schritten bestehen. Die Berücksichtigung des Kollokationsprinzips, die Recherche in Wörterbüchern oder im Internet und die Szenenstimulation, um ein paar Beispiele zu nennen, sind für mich Techniken. Doch die Grenzen zwischen Strategien und Techniken sind fließend; als Prototypensemantiker wissen wir das. Auch Techniken können mehr als einen Gedankenschritt erfordern. Die Wichtigkeit einer üblichen Kollokation kann z.B. von der Konventionalität des jeweiligen Texts abhängig sein und von der Notwendigkeit für den Textverfasser, sprachlich kompetent zu erscheinen. Die Recherche kann von der Funktion des zu recherchierenden Elements im Text bestimmt sein, und die Fokussierung auf einzelne Elemente in einer stimulierten Szene kann von der Funktion der jeweiligen mentalen Vorstellung im Kontext abhängen. Ich fasse die wichtigsten Strategien und die dazugehörigen Techniken zusammen. Der erste strategische Schritt besteht, wie gesagt, darin zu klären, welche Funktion die Übersetzung haben soll. Im Idealfall wird die Funktion im Übersetzungsauftrag benannt. Wird sie nicht explizit benannt, empfiehlt es sich, sie vom Auftraggeber zu erfragen und mit ihm abzusprechen. Wir müssen freilich damit rechnen, dass der Auftraggeber sich darüber keine genauen Gedanken gemacht hat und sagt: „Übersetzen Sie’s einfach! “ Dann müssen wir als Experten auf dem Gebiet der sprachlichen Kommunikation genauere Fragen stellen und z.B. herausfinden, welchen Stellenwert der Text für den Auftraggeber hat (ob er z.B. als Hochglanzbroschüre publiziert oder nur hausintern vervielfältigt werden soll), wir müssen herausfinden, welche Wissensvoraussetzungen die Leser haben und ob es sich empfiehlt, den Text an die Zielkultur anzupassen. Wenn wir dann problembehaftete Textstellen vor uns haben, werden wir überlegen, wie sich die allgemeine Textfunktion auf die Funktion der jeweiligen Textstellen auswirkt. Die Übersetzung von Romanen z.B. wird normalerweise die Techniken und Strategien <?page no="163"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 164 Funktion haben, die literarische Qualität des Originals zu erhalten. Für Romandialoge bedeutet dies, dass die Charakterisierung der Personen durch ihre Sprache erhalten bleiben muss. Wir haben gesehen, wie wichtig die stilistische Markierung an einzelnen Textstellen in diesem Zusammenhang ist (Kap. 2.2). Bei populärwissenschaftlichen Sachbüchern kommt es auf gute Verständlichkeit und Anschaulichkeit an. (Ich erinnere an Kap. 6.3 und die Aufgaben zu Kap.7.) Bei der Übersetzung von Umfragen, um unsere häufigsten Beispiele zu erwähnen, besteht das Leitprinzip darin, dass die Antwort der Befragten nicht in eine falsche Richtung gelenkt werden darf, denn dadurch könnte sie verfälscht werden. Dieses Leitprinzip wirkt sich auf die Wortwahl der einzelnen Fragen aus. Wir haben dies in allen Kapiteln immer wieder gesehen. Um uns über die Funktion der als Problem erkannten Textstellen Klarheit zu verschaffen, müssen wir sie erst einmal verstehen. Wenn wir Defizite im Sprachund/ oder Weltwissen haben, helfen uns die Techniken der Recherche (Kap. 4). Das Recherchieren birgt die Gefahr, sich zu verzetteln und nach Informationen zu suchen, die man eigentlich gar nicht braucht. Um dieser Gefahr zu entgehen, orientieren wir uns am notwendigen Differenzierungsgrad. Wir haben in Kap. 4.3 am Beispiel Martin Amis und Oprah Winfrey gesehen, wie man die nötigen Informationen auswählt und mit ihnen umgeht. Eine gleichzeitige Hilfe sind die Modelle der Kognitionslinguistik in Kombination mit der Textanalyse. Mit ihnen ist es möglich festzustellen, wie eine Textstelle im Ausgangstext plausiblerweise zu verstehen ist, und mit ihnen lässt sich auch bis zu einem gewissen Grad voraussagen, wie die Textstelle dann in der von uns formulierten Übersetzung vom zielsprachlichen Leser vermutlich verstanden wird. Zum Verstehen wenden wir die Technik der Szenenstimulation an, wobei die Begriffe Kernvorstellungen und unscharfe Ränder eine wichtige Rolle spielen. Die Umsetzung szenischer Vorstellungen in Sprache — und als Übersetzung in die Zielsprache — hat, wie wir in Kap. 6 gesehen haben, etwas mit Kreativität zu tun. Es ist, wie in Kap. 5.4 gezeigt wurde, auch möglich, Szenen, die mit der Szene des Ausgangstexts verkettet sind, als Übersetzung in Worte zu fassen. Oft sind szenische Vorstellungen visuell, und wenn wir dann das vor unserem geistigen Auge Gesehene versprachlichen, gelingen uns, wie in Kap. 7 beschrieben, treffende Übersetzungen. 8.3 Die Ethik des Übersetzens Ich stellte in Kap. 3 die Frage, wie genau man übersetzen soll. Sie hat etwas mit der Ethik des Übersetzens zu tun. Für professionelle Übersetzer gibt es eine Charta, die von der FIT (Fédération Internationale des Traducteurs, www.fitift.org/ en/ news-en.php), der Internationalen Vereinigung der Übersetzer, im Jahr 1984 aufgestellt wurde. Sie nennt die Rechte und Pflichten von Übersetzern. Abschnitt 4 behandelt den Punkt Genauigkeit. Es heißt dort: <?page no="164"?> Die Ethik des Übersetzens 165 Every translation shall be faithful and render exactly the idea and form of the original — this fidelity constituting both a moral and legal obligation for the translator. Was mit faithful und fidelity sowie mit idea und form gemeint ist, wird in Abschnitt 5 spezifiziert: A faithful translation, however, should not be confused with a literal translation, the fidelity of a translation not excluding an adaptation to make the form, the atmosphere and deeper meaning of the work felt in another language and country. (Beide Abschnitte zit. nach Chesterman 1997: 188) Abschnitt 4 erinnert stark an frühe Äußerungen von Übersetzungswissenschaftlern zum Thema Äquivalenz (Kap. 3.2). Abschnitt 5 erweckt den Eindruck, als hätten sich die Verfasser nachträglich Gedanken zum Abschnitt 4 gemacht und gemerkt, dass das Prinzip der Treue (faithfulness, fidelity) so einfach nicht ist, wie es vielleicht zunächst erschien. Die Begriffe atmosphere and deeper meaning scheinen darauf hinzuweisen, dass es noch etwas gibt, was hinter der Form liegt, dass man sozusagen noch einen Schritt in die Tiefe gehen muss. Mit Begriffen der Semantik hätte man das hier Gemeinte sicher noch klarer fassen können. Ich vermute aber, dass hier ganz bewusst versucht wurde, ohne linguistische Begrifflichkeit auszukommen, weil man nicht erwarten konnte, dass alle Übersetzer und Übersetzerinnen linguistische Kenntnisse haben. Der Begriff adaptation scheint mir darauf hinzuweisen, dass auch die Frage nach der Funktion einer Übersetzung schon gestellt worden sein könnte. Im Jahr 1984 wurden solche Fragen ja schon diskutiert. Der in der Charta der FIT benützte Begriff „Treue“ und sein Synonym „Fidelität“ tauchen auch in der übersetzungswissenschaftlichen Diskussion über die Ethik des Übersetzens immer wieder auf. Die Begriffe haben ganz offensichtlich eine moralische Konnotation. Wenn man sie auf das Übersetzen bezieht, liegt ihnen die Vorstellung zugrunde, dass der Übersetzer so handeln sollte, dass eine angemessene Relation zwischen dem Ausgangs- und Zieltext hergestellt wird (Chesterman 1997: 178). Auch der Begriff „Wahrheit“ (truth), den Chesterman anstatt „Treue“ (faithfulness, fidelity) verwendet, hat eine starke moralische Komponente. Außerdem lässt sich vor allem das englische Wort truth sehr gut im Sinne einer Aussage in Bezug auf einen Sachverhalt verwenden. In diesem Sinne soll eine Übersetzung true to the original sein. Chesterman illustriert die Relation einer Übersetzung zu einem Ausgangstext am Beispiel eines Passbilds. Man kann von einem Passbild sagen: It truly represents its bearer (Chesterman 1997: 179). Auf Deutsch würde man hier wohl nicht das Wort „wahr“ benützen, sondern eher sagen „Das Photo ist wirklichkeitsgetreu“, und damit ist dann das Gleiche gemeint. Zwar weist Chesterman darauf hin, dass der Begriff truth einen gewissen Spielraum beinhaltet (179), doch die Analogie zwischen einer Übersetzung und einer Photographie erscheint mir dennoch etwas problematisch. Natürlich kann ein Porträtphotograph durch mancherlei Mittel bestimmte Merkmale eines Gesichts zum Ausdruck bringen, aber letztlich wird eine Photographie durch einen technischen Apparat hergestellt. <?page no="165"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 166 Übersetzer sind in der Regel jedoch Menschen. (Von maschinellen Übersetzungen reden wir in diesem Buch nicht.) Ich möchte die Person-Photographie-Analogie durch die Analogie zwischen einer Person und einem gemalten (oder gezeichneten) Porträt ersetzen. Ein Künstler kann eine Person getreu wiedergeben, muss das aber nicht tun. (Das Folgende ist keine kunsttheoretische Abhandlung, sondern eine Darstellung aus der Sicht des Laien - und das sind ja die meisten von uns.) Viele Künstler, vor allem in der modernen Malerei, geben charakteristische Eigenschaften der jeweils gemalten Person wieder; sie konzentrieren sich auf das, was sie als wesentlich empfinden. Kognitionslinguisten würden sagen: Sie fokussieren diese Eigenschaften. Kommentare zu einem Porträt lauten dann auch meist nicht „Das ist ein getreues Abbild“, sondern eher „Das ist sehr ähnlich“ oder „Das ist gar nicht ähnlich“ oder „Der Gesichtsausdruck ist typisch“ oder „Der Maler hat die Person gut getroffen“ usw. Wir akzeptieren bei gemalten Porträts, dass sich in ihnen die subjektive Sichtweise des Künstlers ausdrückt; ja wir wünschen uns das sogar. Wir setzen der Subjektivität freilich Grenzen. Wir sagen z.B.: „In diesem Porträt kann ich die dargestellte Person überhaupt nicht erkennen.“ Und das ist dann kein positives Urteil über das Bild. Porträts stehen für den normalen Betrachter in einer Relation zur Wirklichkeit. Bei abstrakten Bildern ist ein Wirklichkeitsbezug in diesem Sinne z.B. eher nicht vorhanden, obwohl er von Laienbetrachtern gerne hergestellt wird („Das sieht aus wie …“). Auch das Verstehen von Texten und damit das Übersetzen sind von Subjektivität geprägt. Wir haben in den vorausgegangenen Kapiteln immer wieder gesehen, dass Verstehen eine Interaktion zwischen dem ist, was wir als Text vor uns sehen, und dem, was wir an Wissen, das unter anderem auf unseren Erfahrungen beruht, in unserem Gedächtnis gespeichert haben. Wir bezeichneten dies als Zusammenspiel zwischen Bottom-up- und Top-down-Prozessen. Durch das Mitwirken des im Gedächtnis gespeicherten Wissens wird unser Verstehen notwendigerweise subjektiv, denn nicht jeder Mensch hat das gleiche Wissen. Wir lassen beim Verstehen unserer Subjektivität jedoch normalerweise keinen freien Lauf. Was bei einem Porträt die darzustellende Person ist, das ist beim Verstehen und Übersetzen der Text. Wir sehen, was im Ausgangstext schwarz auf weiß vor uns steht, und das grenzt den Spielraum unseres Verstehens und Übersetzens ein. Zwar gibt es oft mehrere Interpretationen für eine Textstelle, aber in der Regel, wenn der Text nicht versehentlich (auf defekte Texte komme ich unten noch zu sprechen) oder absichtlich mehrdeutig formuliert wurde, ist eine Interpretation plausibler als die anderen. Wenn wir einzelne Wörter verstehen, ist die plausible Interpretation normalerweise im Bereich von Kernvorstellungen einer durch das betreffende Wort suggerierten Szene zu finden, und wenn wir diese Wörter übersetzen, ist es eine gute Strategie, diese Kernvorstellungen zu verbalisieren. Wie das geschehen kann, ob durch ein bestimmtes Wort oder durch Paraphrasen, indem wir von Szenenelementen Gebrauch machen, habe ich vor allem in den Kapiteln 3, 5 und 6 gezeigt. In vergleichbarer Weise versucht ein Maler, die charakteristischen Ei- <?page no="166"?> Die Ethik des Übersetzens 167 genschaften eines Gesichts auf die Leinwand zu bannen. Auch dazu gibt es mancherlei technische Möglichkeiten. Wir wollen die Analogie noch für einen Augenblick weiterführen. Was einem Maler charakteristisch erscheint, kommt vielleicht einem anderen Maler nicht charakteristisch vor. Wenn zwei Maler die gleiche Person malen, sind das Ergebnis zwei verschiedene Bilder und zwei verschiedene Interpretationen des Gesichts und Charakters der gemalten Person. Wenn zwei Übersetzer den gleichen Text übersetzen, sind das Ergebnis zwei verschiedene Übersetzungen. Doch genauso, wie wir erwarten, dass die gemalte Person in beiden Bildern wieder zu erkennen ist, erwarten wir auch, dass in beiden Übersetzungen der gleiche Ausgangstext zu erkennen ist. „Erkennen“, werden nun manche sagen, „ist aber doch ein bisschen wenig.“ In der Tat, hier lässt sich die Analogie zwischen Malen und Übersetzen nicht ganz zu Ende führen. Übersetzungen ein und desselben Texts von mehreren Übersetzern sind im Prinzip vermutlich ähnlicher als Porträts ein und derselben Person von verschiedenen Malern. Für Maler gibt es wohl eher keine plausibelste Interpretation eines Gesichts. Wenn wir die Prototypensemantik als theoretische Basis des Verstehens verwenden, gibt es jedoch die plausibelste Interpretation eines Texts und einer Textstelle. Sie ist die Interpretation, bei der wir uns innerhalb der nun schon häufig erwähnten Kernvorstellungen einer Kategorie oder einer Szene bewegen. Die Kernvorstellungen bestimmen auch, wie genau wir beim zielsprachlichen Formulieren sein müssen. Um die Porträt-Analogie weiter benutzen zu können, wollen wir sie auf Maler eingrenzen, die sich um Ähnlichkeit bemühen. Übersetzungen sind wie Porträts, die der dargestellten Person ähnlich sind. „Ähnlich“ ist ein quantitativer Begriff; ein Porträt kann der gemalten Person mehr oder weniger ähnlich sein; ebenso kann eine Übersetzung dem Ausgangstext mehr oder weniger ähnlich sein. Das Gleiche meint Chesterman, wenn er das treffende Bild von einem Gummiband gebraucht: Source-target relations are elastic, but the elastic must not be cut completely (1997: 180). Ich erinnere an das Beispiel aus Kap. 3, wo Other practitioner ausführlicher wiedergegeben wurde durch „Andere Gesundheitsspezialisten oder Alternativmediziner“ und meet socially kürzer mit „treffen sich”. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass Begriffe wie „Treue“ und „Fidelität“ zu allgemein sind. Wagen wir also eine Spezifizierung des Ethikkodex der FIT. Sie könnte lauten: Einer Übersetzung soll bei aller Subjektivität des Verstehensprozesses eine plausible Interpretation des Ausgangstexts zugrunde liegen. Plausibel ist eine Interpretation dann, wenn sie Kernvorstellungen der zu übersetzenden Begriffe berücksichtigt. Der Grad der Genauigkeit einer Übersetzung ist abhängig von diesen Kernvorstellungen. Porträts und Übersetzungen werden in der Regel nicht einfach aus Lust und Laune angefertigt. Sie stehen in einem Handlungskontext. Der Auftraggeber kann zum Künstler z.B. sagen: „Malen Sie meine Frau! Das Wichtigste ist: Sie soll schön aussehen.“ Ganz gleichgültig, wie der Künstler die Frau des Auftraggebers sieht, <?page no="167"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 168 wenn er sein Honorar bekommen will, wird er sie schön aussehen lassen (auch wenn ihre Nase zu lang und ihr Mund zu breit ist). Auch der Übersetzer, das wünschen wir uns zumindest, erhält einen formulierten Auftrag. Vom Übersetzungsauftrag war in diesem Buch immer wieder die Rede. Er bestimmt die Funktion der Übersetzung. Das brauche ich nicht mehr zu wiederholen. Was aber nun bezüglich des Ethikkodex und der Treue gesagt werden muss, ist, dass die durch eine plausible Interpretation gewonnene Übersetzung dem Funktionsbegriff untergeordnet ist, d.h. die Art und Weise der sprachlichen Umsetzung der Interpretation ist funktionsabhängig. Wenn ich z.B. einen Fachtext für Fachleute übersetze, werde ich die mit einem Begriff verbundenen Kernvorstellungen durch einen Terminus wiederzugeben versuchen; wenn ich den Text für Laien übersetze, werde ich die Kernvorstellungen unter Umständen durch eine Paraphrase wiedergeben (wie z.B. in Kap. 2, Aufgabe 6). Bei den in diesem Buch immer wieder als Beispiele benützten Umfragen lautete der Auftrag, wie z.B. in Kap. 1.5 formuliert: „Übersetzen Sie so, dass die Fragen auch im Zieltext die gleiche Funktion wie im Ausgangstext haben, und passen Sie die Fragen, wenn nötig, der Zielkultur an! “ Es ist klar, dass kulturelle Anpassung nicht mit einem buchstäblichen Verständnis von „Treue“ vereinbar ist. Es kommt dabei, wie wir immer wieder gesehen haben, darauf an, sich zunächst die mit einem Wort im Ausgangstext verbundenen prototypischen Szenen zu vergegenwärtigen und dann eine Übersetzung zu finden, welche die entsprechenden prototypischen zielkulturellen Szenen hervorruft. Wenn der Auftraggeber zum Künstler sagt, er solle eine Person vor allem schön malen, auch wenn sie es in Wirklichkeit nicht ist, dann lässt sich auch dazu eine Analogie zum Übersetzen entdecken. Der Auftraggeber einer Übersetzung kann sagen: „Übersetzen Sie den Ausgangstext so, dass die Übersetzung schön, d.h. gut und klar formuliert ist, auch wenn der Ausgangstext diese Qualitäten nicht hat! “ Dies ist ein klarer Auftrag zur Verbesserung des Ausgangstexts. Wir werden darauf gleich noch zurückkommen. Fügen wir also dem Ethikkodex noch einen Satz hinzu, mit dem das Übersetzen in einen Handlungszusammenhang gestellt wird. Er könnte lauten: Eine Übersetzung soll so formuliert sein, dass sie an allen Stellen der Gesamtfunktion, die sie für die Empfänger haben soll, entspricht. 8.4 Qualitätskontrolle und Evaluierung Wir haben in den vorausgegangenen Kapiteln viele Übersetzungsbeispiele erörtert. Dabei wurde die Übersetzung immer auch beurteilt. Im Übersetzungsunterricht spielt die Beurteilung eine wichtige Rolle. In Übersetzungsübungen und Klausuren müssen Übersetzungsvarianten miteinander verglichen und eine oder ein paar Übersetzungen als gute oder zumindest brauchbare Übersetzungen herausgestellt werden. Übersetzungsklausuren werden hauptsächlich aufgrund ihrer Fehler beurteilt, manchmal aber außerdem auch aufgrund gut gelungener <?page no="168"?> Qualitätskontrolle und Evaluierung 169 Übersetzungen einzelner Textstellen. In der Berufspraxis werden Übersetzungen am Schluss noch einmal durchgesehen und, wenn nötig, korrigiert. Bei der Umfragenübersetzung nimmt diese Phase einen breiten Raum ein. Evaluierung und die dazugehörigen Methoden sind ein fest etabliertes Gebiet der Übersetzungswissenschaft. Ich verweise auf die Artikel 108-114 in dem von Mary Snell-Horny et al. herausgegebenen Handbuch Translation (1998). Ich greife einige Punkte heraus, die im Kontext meines Buchs wichtig sind. Bei der Qualitätskontrolle geht es zunächst einmal um Organisation. Sie muss zu einem bestimmten Zeitpunkt im „Herstellungsprozess“ einer Übersetzung stattfinden und fest etabliert sein. Für Übersetzerbüros ist dies wichtig, wenn sie die heutzutage begehrte und allgemein angestrebte Zertifizierung erlangen wollen. Sie ist geregelt durch die ISO (International Standardization Organization) 9000ff. und DIN (Deutsches Institut für Normung) 2345 (vgl. Schmitt 1998b: 394ff.). Seit 2006 gilt statt der DIN 2345 die EN 15038, eine europäische Norm. Das Korrekturlesen (Qualitätslektorat) geschieht normalerweise nach Abschluss der Übersetzung. In Übersetzerbüros mit mehreren Übersetzerinnen und Übersetzern findet das Korrekturlesen in der Regel durch eine Kollegin oder einen Kollegen statt. Abb. 2 Wie die Qualitätskontrolle bei sozialwissenschaftlichen Umfragen aussieht, habe ich in Kap. 3.2 kurz beschrieben. Bei dem erwähnten TRAPD-Verfahren versucht man, durch mehrere Stufen (Übersetzung, Überprüfung, Entscheidung für eine Übersetzungsvariante, Testlauf, Dokumentation) eine gute Qualität zu erreichen. Meist werden zwei Übersetzer für einen Ausgangstext eingesetzt, und die Entscheidung für eine der beiden Übersetzungsvarianten wird von einer Gruppe von Personen getroffen. Dadurch ist ein relativ hohes Maß von Objektivität und Zuverlässigkeit gewährleistet. Dass es trotz dieser geradezu idealen formalen Voraussetzungen dennoch Verstehens- und Übersetzungsprobleme geben kann, habe ich in Kap. 4.4 (Übersetzung von nowadays und government) gezeigt. Wer als Übersetzer allein arbeitet, wird sich normalerweise selbst korrigieren müssen. Dies ist auch die wohl häufigste Situation in der Ausbildung, wenn man <?page no="169"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 170 zuhause eine Übersetzung für den Unterricht anfertigt. Dass die Selbstkorrektur Probleme birgt, steht außer Frage. Was man selbst geschrieben hat, ist einem so vertraut, dass einem oft gar nichts mehr auffällt. Man muss versuchen, seinen eigenen Text mit Distanz zu lesen. Ein zeitlicher Abstand ist dabei hilfreich. Die Korrektur am nächsten Tag enthüllt mehr Fehler als die Korrektur unmittelbar danach. Bei der Qualitätskontrolle in Übersetzerbüros bildet das Korrekturlesen die Abschlussphase. Auch im Vierphasenmodell des kreativen Prozesses steht die Evaluation am Schluss (s. Kap. 6.2). Die Phasen bilden jedoch, wie wir anhand eines Dialogprotokolls in Kap. 6.4 sehen konnten, keine strikte Abfolge; es kommt immer wieder zu Vor- und Rückgriffen. Es ist also keineswegs so, dass wir einfach mal drauflos übersetzen und erst am Schluss alles noch einmal überprüfen. Bereits bei der Lösungssuche überprüfen wir laufend unsere Einfälle, und am Schluss überprüfen wir sie noch ein weiteres Mal oder mehrmals. Das kritische Bewusstsein ist ein ständiger Begleiter im Übersetzungsprozess. Ich habe dies nicht immer explizit gesagt, und bei der Diskussion von Übersetzungsproblemen hat uns dieses ständig wache Bewusstsein ganz entschieden weitergeholfen. Über die Maßstäbe der Beurteilung haben Übersetzungswissenschaftler einiges geschrieben. Die erste Monographie war das Buch von Katharina Reiß Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik (1971). Es wurde zu einem Klassiker in unserem Fach. Der Orientierungsmaßstab für den Übersetzer ist in diesem Buch der Texttyp des Ausgangstextes. Es geht kurz gesagt um Folgendes: Beim inhaltsbetonten Texttyp erwartet man die Bewahrung der inhaltsbetonten Elemente, beim formbetonten Texttyp die Erhaltung der ästhetischen Qualitäten und beim appellbetonten Texttyp die Erzielung der außersprachlichen Wirkung (vgl. dazu den Überblick bei Kaindl 1998: 373). Der Blick des Übersetzers ging also immer zurück zum Ausgangstext. Wenn wir unserem Übersetzen jedoch die Skopostheorie bzw. einen funktionalen Ansatz zugrundelegen, ist es durchaus auch möglich, dass der Texttyp der Übersetzung nicht dem Texttyp des Ausgangstexts entspricht. Ich habe solche Fälle im Zusammenhang mit Funktionsveränderung in Kap. 2.3 erwähnt. Bei den weitaus meisten Beispielen im vorliegenden Buch ging es jedoch um Funktionskonstanz. Dann bietet der texttypologische Ansatz bis heute noch ein gutes Gerüst für die Reflexion. Bei den einzelnen Übersetzungsproblemen können wir dann überlegen, wie sich der Texttyp an der jeweiligen Textstelle verwirklicht. Sozialwissenschaftliche Umfragen z.B. gehören zum inhaltsbetonten Texttyp, und wie wir immer wieder gesehen haben, geht es darum, dass die zielsprachlichen Befragten ohne Mühe den Inhalt der Fragen verstehen; genauer gesagt, die Befragten müssen mühelos erkennen können, welche Informationen von ihnen erbeten werden. Als Katharina Reiß ihr Buch schrieb, gab es die Prototypen- und die Scenes-and-frames-Semantik noch nicht. Diese semantischen Theorien können uns eine große Hilfe bei der Bewusstmachung des Informationsgehalts einer Textstelle sein. Bei der Beurteilung von Übersetzungen habe ich in allen Kapiteln des vorliegenden Buchs immer wieder gefragt, ob die vom Übersetzer verstandene Szene im Zieltext adäquat wiedergegeben wurde. <?page no="170"?> Qualitätskontrolle und Evaluierung 171 In der Praxis des Übersetzungsunterrichts müssen Dozentinnen und Dozenten die in Klausuren entdeckten Fehler gewichten. In der Berufspraxis kann diese Rolle den Überprüferinnen und Überprüfern zufallen. Ich habe mich im vorliegenden Buch zwar weniger auf Fehler konzentriert, sondern eher darauf, wie man gute Übersetzungen hervorbringt. Wenn ich jedoch gelegentlich Fehler analysierte (vor allem in Kap. 1), habe ich versucht, die negativen kommunikativen Auswirkungen von Fehlern zu beschreiben. Es ist hier nicht der Ort, Fehlergraduierung im Detail darzustellen. Das vorliegende Buch ist ja als Lehrbuch und nicht als Didaktik des Übersetzens gedacht. Hier nur so viel: Ich halte es für problematisch, bestimmte linguistisch beschreibbare Fehlertypen sofort mit einem Quantifizierungsschema zu gewichten, also z.B. Rechtschreibfehler als halbe, Grammatikfehler als ganze, Idiomatikfehler ebenfalls als ganze und Semantik- und Sinnfehler als doppelte Fehler zu berechnen. Es kommt meines Erachtens darauf an, welche Reichweite ein Fehler hat. Auch ein Rechtschreibfehler kann unter Umständen den Sinn eines Satzes verdunkeln und sich dadurch negativ auf ein einzelnes Wort, auf den jeweiligen Satz oder aber auch auf den jeweiligen Abschnitt, ja sogar auf den ganzen Text auswirken. So bequem eine direkte Zuordnung von Fehlertyp und Gewichtung wäre, im Einzelfall werden wir meist nicht darum herumkommen, uns zu überlegen, wie weit die negativen Auswirkungen eines Fehlers reichen und wie gravierend sie sind. Je gravierender sie sind, desto stärker ist ein Fehler zu gewichten. Ich habe an anderer Stelle anhand eines Textes gezeigt, wie ich mir die Gewichtung nach dem Prinzip der Reichweite vorstelle (Kußmaul 1995: 127-148). Außerdem sei auf die Artikel von Nord „Transparenz der Korrektur“ (Nord 1998) und Hönig „Humanübersetzung (therapeutisch vs. diagnostisch)“ (Hönig 1998b) im Handbuch Translation von Mary Snell-Hornby et al. (1998) sowie auf das Kapitel „Übersetzungsbewertung“ im Handbuch Didaktik des Übersetzens und Dolmetschens von Kautz (2000: 277-286) verwiesen. Die von mir in den vorangegangenen Kapiteln erwähnten zielsprachlichen Formulierungen waren gelegentlich (vielleicht sogar häufig) kreative Leistungen. Wenn wir unsere eigenen Übersetzungen beurteilen, freuen wir uns, wenn wir kreativ gewesen sind. Wenn wir eine kreative Idee haben, so ist das meist mit einem Glücksgefühl verbunden. Unsere Einstellung zu kreativen Lösungen ist damit positiv. Diese positive Einstellung, das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben, sollten wir auch dann beibehalten, wenn wir die Übersetzungen von anderen zu überprüfen und/ oder zu beurteilen haben. Wir sollten darauf achten, dass wir in der Rolle dessen, der eine Übersetzung evaluiert (auch als Dozentinnen und Dozenten), nicht oberflächliche Ähnlichkeit zum Maßstab nehmen, sondern uns immer wieder fragen, ob nicht auch scheinbare Unähnlichkeit das Gemeinte treffend zum Ausdruck bringen kann. In meiner Unterrichtspraxis habe ich für kreative Leistungen Pluspunkte vergeben, die dann von der Summe der Fehler abgezogen wurden. Dies ist zweifellos eine sehr simple Methode, die man sicher noch verfeinern kann, aber immerhin wurden dadurch kreative Lösungen quantifiziert. <?page no="171"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 172 Susanne Hagemann (im Druck) hat sich aufgrund von Erfahrungen mit gemeinsprachlichen Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche, wobei Deutsch die Fremdsprache war, Gedanken über die Gewichtung von kreativen Leistungen gemacht, die sicher auch auf die Übersetzung in die Muttersprache übertragbar sind. In Analogie zur Fehlergewichtung stellt sie die Frage, ob man sich auch hier an der Reichweite orientieren kann, und erprobt zwei meiner Ansicht nach sehr brauchbare Kategorien: 1. kreative Lösungen, die im Kontext der Zielsprache und -kultur sowie des Übersetzungsauftrags ebenso adäquat sind wie die Ausgangsformulierungen in ihrem jeweiligen Kontext, und 2. kreative Lösungen, die den Text optimieren. (Hagemann, im Druck) Bei der Optimierung unterscheidet sie nach der Reichweite, die dann die Gewichtung bestimmt: a) Eine Optimierung auf Mikroebene betrifft maximal zwei aneinander grenzende Sätze, b) eine Optimierung auf Makroebene mehr als zwei aneinander grenzende Sätze. (Hagemann, im Druck) Ich erwähne die Beurteilung kreativer Leistungen deshalb, weil ich in meiner Unterrichtspraxis als Dozent erkannte, dass die positive Beurteilung für die Studierenden einen hohen psychologischen Wert darstellt, und gewiss trifft dies auch auf Übersetzerinnen und Übersetzer zu, die von einer erfahrenen Kollegin oder einem erfahrenen Kollegen überprüft werden. Wenn jemand Kreativität bescheinigt bekommt, so hebt dies mit Sicherheit das Selbstbewusstsein der betreffenden Person, und wie wichtig das Selbstbewusstsein für den Erfolg beim Übersetzen ist, haben wir in Kap. 5.3 gesehen. 8.5 Wenn der Ausgangstext nicht gut genug ist Es war gerade davon die Rede, dass der Ausgangstext optimiert werden kann. Dieses Thema habe ich bereits gelegentlich angeschnitten. Ich erinnere an Kap. 2, Aufgabe 1, in der die religiöse Kategorie Christian nicht trennscharf genug war, oder an Kap. 3.3, wo auf die Frage, an wen man sich bei Halsschmerzen wenden würde, die Antwortkategorie Other practitioner eigentlich zu vage war und bereits im Ausgangstext hätte genauer spezifiziert werden müssen. Ich erinnere ferner an die Testperson Markus in Kap. 5.4.5, die den Ausgangstext durch die Wahl eines einheitlichen Metaphernbereichs verbesserte und sich bei der Übersetzung von der Gesamtszene „Reise“ leiten ließ. Meine Studentinnen und Studenten fragten mich oft: „Dürfen wir denn den Ausgangstext verbessern? Das ist doch nicht unsere Aufgabe. Wir sind doch nicht der Autor des Texts.“ Dahinter steht meist die Vorstellung vom Ausgangstext als einem „heiligen Original“, und man denkt dann an literarische Texte oder gar an die „Heilige Schrift“. Zweifellos, wenn jemand Shakespeare, Wordsworth oder David Lodge übersetzt, wird er nicht sagen: „Das ist im Original nicht klar genug; ich mache das in der Übersetzung mal besser.“ Doch Gebrauchstexte wie Bedienungsanleitungen, Produktbeschreibungen, populärwissenschaftliche Artikel, <?page no="172"?> Wenn der Ausgangstext nicht gut genug ist 173 Sachbücher und die hier immer wieder zitierten Umfragen sind nicht immer optimal formuliert. Gerade dann, wenn wir einen Text lesen, den wir übersetzen sollen (ich erinnere an die Lektüre sub specie translationis in Kap. 1.5.), werden uns seine Mängel besonders deutlich offenbar. Ich habe das im Unterricht oft erlebt. Wir übersetzten z.B. einen auf den ersten Blick gut formulierten Zeitungstext und merkten: Hier ist der Gedankengang nicht ganz klar, hier ist der Text mehrdeutig oder hier wissen wir nicht, worauf sich der Nebensatz bezieht. Uns selbst geht es ja häufig mit dem, was wir geschrieben haben, auch so. Wenn wir unsere eigenen Texte noch einmal lesen, finden wir immer noch etwas, was wir verbessern können. Es lässt sich fast bei jedem Text eine Stelle finden, die, wie Peter A. Schmitt (1998) es nennt, „suboptimal“ formuliert ist. („Suboptimal“ ist kein Understatement und bedeutet nicht „miserabel“, sondern ganz einfach, dass man einen Text noch weiter optimieren, ihm noch einen Feinschliff geben kann.) Wie steht es dann eigentlich mit der Treue gegenüber dem Original und der oben erörterten ethischen Verantwortung des Übersetzers? Christiane Nord (1989) hat dem Begriff der Treue den Begriff „Loyalität“ hinzugefügt. Der Übersetzer ist nicht nur dem Ausgangstext gegenüber verpflichtet, sondern hat auch eine Loyalitätsverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber, gegenüber dem Verfasser des Ausgangstexts und gegenüber dem Leser der Übersetzung. Wenn wir nach dem GIGO-Prinzip (garbage in — garbage out) (Schmitt 1998: 148) übersetzen, dienen wir niemandem und verletzen das Loyalitätsgebot. Der Verfasser von Gebrauchstexten wünscht sich, dass sein Text problemlos so verstanden wird, wie er es beabsichtigt hat. Loyalität bedeutet, diesen Wunsch zu erfüllen. Natürlich kann man über die Problematik des Verstehens und der Interpretation philosophieren, und die Rezeptionsgeschichte literarischer Texte zeigt, dass es in verschiedenen Epochen ganz unterschiedliche Interpretationen ein und desselben Werks gab. Wenn man den Gedanken zu Ende denkt, gibt es so viele Interpretationen und damit Bedeutungen wie Leser. Aber für Prototypensemantiker gibt es eben doch immer auch Kernvorstellungen, das, was ich hier gelegentlich als plausible Interpretation bezeichnet habe. Und bei Gebrauchstexten ist es meist nicht allzu schwierig, eine plausible Interpretation zu finden. Gelegentlich merken wir als Übersetzer aber, dass dem Leser die plausible Interpretation leichter fallen würde, wenn der Text etwas anders formuliert wäre. Die Texte, mit denen wir es als Übersetzer zu tun haben, werden meist von Fachleuten auf ihrem Gebiet verfasst, also z.B. von Ingenieuren, Betriebswirten, Medizinern, Verwaltungsbeamten usw., die oft, wahrscheinlich sogar meistens, keine Textexperten sind. Gute Übersetzer dagegen sind Textexperten, und sie sind es in zwei oder mehr Sprachen und Kulturen. Sie haben die Kompetenz, Defekte in Texten zu beheben. Da sie aber auch wissen, dass ein Text immer noch weiter verbessert werden könnte, besitzen sie die nötige Bescheidenheit, um ihre Verbesserungsvorschläge im richtigen Ton vorzubringen. Idealerweise wird der Übersetzer mit dem Auftraggeber oder dem Verfasser des Ausgangstexts Rücksprache nehmen, um die Fälle der Suboptimalität zu klären. Dies kann sich auch auf künftige Texte des Verfassers auswirken. Bei der Übersetzung von Umfragen stellten wir z.B. in einem Team von Übersetzern im- <?page no="173"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 174 mer wieder fest, dass der Ausgangstext hätte leichter verständlich formuliert werden können. Manche Begriffe waren zu abstrakt, und der Befragte konnte sich unserer Meinung nach nicht leicht und schnell genug etwas vorstellen. In Aufgabe 3 zu Kap. 6 wurde, wir erinnern uns, nach der Zugehörigkeit zu Gruppen, Vereinen und Vereinigungen gefragt. Für die Übersetzung von cultural group empfahl ich, ein paar Beispiele zu nennen („literarischer Verein“, „Kunstverein“) und ebenso für another voluntary association („Wohltätigkeitsorganisation“, „Förderverein“). Dadurch, so mein Argument, werde das Verständnis erleichtert. Unser Team von Umfragenübersetzern äußerte derartige Gedanken gegenüber Soziologen, die Umfragen erstellen. Inzwischen scheint dieser Gedanke bei Umfragenverfassern auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Im International Social Survey Programme (ISSP) 2007 wird unter anderem nach dem Freizeitverhalten gefragt. Eine Frage bezieht sich auf die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen. Früher hätte die Frage im Ausgangstext vermutlich gelautet: How often do you attend cultural events? Jetzt lautet sie: How often do you attend cultural events such as concerts, live theatre, exhibitions? Derartige Konkretisierungen durch Beispiele sind im ISSP 2007 mehrfach zu beobachten. Ich werte dies als ein Zeichen für eine beginnende fruchtbare Kooperation zwischen Übersetzern und den Verfassern der Ausgangstexte. 8.6 Professionelles Argumentieren Wenn sich Juristen, Mediziner oder Ingenieure miteinander fachlich unterhalten, benützen sie Fachterminologie und die Argumentationsweisen von Fachleuten. Laien, die dabeistehen, verstehen dann meistens wenig. Wenn Juristen, Mediziner oder Ingenieure mit ihren Klienten, Patienten und Kunden reden, halten sie sich, wenn sie kommunikativ geschickt sind, mit Fachterminologie zurück oder versuchen, die Termini dem Laien zu erklären. Der Laie merkt aber immer noch — und das soll er ja auch —, dass hier Experten sprechen, und ist meist beeindruckt. Wenn Übersetzer miteinander Übersetzungsprobleme erörtern, ist die Argumentation oft erstaunlich wenig fachspezifisch, und wenn sie mit Laien reden, erst recht nicht. Man hört dann Äußerungen wie: „So sagt man das im Deutschen/ Englischen/ Französischen eben.“ „So klingt das gut.“ „Das klingt (irgendwie) nicht gut.“ „ Das ist das treffende Wort! “ „Das gibt den Sinn des Texts nicht richtig wieder.“ Das könnten auch Laien sagen. Solche Äußerungen klingen nicht sehr professionell. Meine Studentinnen und Studenten haben mich manchmal gefragt: „Wozu müssen wir eigentlich die ganze Theorie lernen? “ Meine Antwort lautete dann etwa so: „Ihr seid an einer Hochschule, und an Hochschulen wird alles theoretisch untermauert. Das ist aber nicht das Entscheidende. Wenn ihr später im Beruf argumentieren müsst, dann braucht ihr ein theoretisches Gerüst. Ihr braucht dann Denkmodelle und präzise Begriffe für die Sachverhalte, die ihr benennen wollt. Ihr braucht das, um Kolleginnen und Kollegen, aber auch Auftraggeber zu <?page no="174"?> Professionelles Argumentieren 175 überzeugen. Expertentum zeigt sich unter anderem in der Art der Argumentation.“ Was ich meine, ist: Übersetzerinnen und Übersetzer brauchen eine Metakompetenz, genauer gesagt eine metasprachliche Kompetenz. Sie müssen in der Lage sein, über ihr Denken und vor allem über ihr sprachliches Denken zu reden. Und sie sollten in der Lage sein, dies auf eine präzise und nachvollziehbare Weise zu tun. Die Vermittlung dieser Fähigkeit ist eines der Ziele der Übersetzerausbildung (und natürlich auch der Dolmetscherausbildung) (vgl. dazu Schäffner 2005: passim). Ich möchte aber sofort hinzufügen: Es kommt sehr darauf an, wie man redet. In allen Kapiteln dieses Buchs habe ich Fachbegriffe der Übersetzungswissenschaft und der Linguistik eingeführt. Ich habe außerdem theoretische Modelle zur Beschreibung sprachlicher und kognitiver Vorgänge vorgestellt. Bei der Erörterung von Beispielen und bei den Lösungsvorschlägen für die Aufgaben habe ich diese Begriffe und Modelle benutzt und dabei, so hoffe ich, professionell argumentiert. Im Laufe der Lektüre dieses Buchs haben Sie als Leser diese Begriffe und Modelle kennengelernt. Sie können sie benützen, wenn Sie mit Fachkolleginnen und -kollegen Fragen des Übersetzens besprechen (z.B. mit Leuten, die ebenfalls dieses Buch gelesen haben). Ich möchte aber davor warnen, Auftraggeber und Verfasser von Ausgangstexten mit Fachtermini zuzuschütten. Das würde sicher nicht der guten Verständigung dienen und wirkt meistens außerdem noch überheblich. Wir werden also die Termini und Modelle sehr vorsichtig dosieren müssen. Dazu gehört Einfühlsamkeit und ein Gespür für die Situation. Manchen Terminus wird man benützen und außerdem erklären. Manchmal wird es auch ohne Fachterminologie gehen. (In Kap. 2, Aufgabe 6 z.B. habe ich gezeigt, wie man auch ohne linguistische Terminologie auskommen, aber dennoch die Beschreibungs- und Denkmuster der Linguistik verwenden kann.) Abb. 3 <?page no="175"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 176 Ich habe zwar anhand von vielen Beispielen bereits, ohne es explizit zu sagen, fachlich-professionelles Argumentieren praktiziert, aber ich möchte hier noch einmal an einem konkreten Fall zeigen, wie es aussehen kann. Es geht im folgenden Beispiel um die Suche nach einer adäquaten Übersetzung, was ja immer auch, wie in Abschnitt 8.4 festgestellt, mit der Evaluation von Zwischenlösungen verbunden ist. Man möge es mir verzeihen, wenn ich hier die Rolle des übersetzungswissenschaftlichen Experten übernehme - in Wirklichkeit war es auch so. In Kap. 4.4 berichtete ich über eine Diskussion zwischen Umfragespezialisten und mir, in der es um die Übersetzung eines Abschnitts aus dem International Social Survey Programme (ISSP) 2006 mit dem Thema Role of Government ging. In diesem Abschnitt erschien auch die folgende Frage: How successful do you think the government in [Country] is nowadays in controlling crime? Wir hatten ein Problem mit der Übersetzung von crime. Im Deutschen gibt es dafür zwei mögliche Entsprechungen: „Verbrechen“ und „Kriminalität“. Unsere erste Übersetzung hatte gelautet: Was meinen Sie, wie erfolgreich ist heutzutage der deutsche Staat bei der Verbrechensbekämpfung? Uns kamen Zweifel beim Wort „Verbrechensbekämpfung“. Wenn ich das gesamte in diesem Buch eingeführte Fachvokabular hätte benützen wollen, hätte ich nun sagen können: „Wir haben hier einen typischen Fall von Divergenz vor uns. Um uns zwischen zwei quasi-synonymen Lexemen entscheiden zu können, müssen wir für diese nun eine semantische Analyse mit den Methoden der Scenesand-frames-Semantik durchführen. Wie sieht also die aus unserem Weltwissen abgerufene Szene für „Verbrechen“ aus? Welches sind die prototypischen Vertreter dieser Kategorie? Und fragen wir ferner: An welche prototypischen Vertreter der Kategorie crime wird im Kontext der Umfrage höchstwahrscheinlich gedacht? Wenn wir die durch crime suggerierten Vorstellungen mit denen von „Verbrechen“ vergleichen, werden wir in der Lage sein, die vorläufige Übersetzung zu evaluieren und, wenn nötig, eine Neuübersetzung zu finden.“ So habe ich natürlich nicht argumentiert. Erstens hätten meine Gesprächspartner, die ja keine Linguisten und Übersetzungswissenschaftler waren, vermutlich wenig verstanden und zweitens wäre es zu pedantisch, so zu reden, auch unter Fachleuten. Ich sagte also etwa Folgendes: „Für crime gibt es im Deutschen zwei Entsprechungen: Verbrechen und Kriminalität. Woran denken wir beim Wort ‚Verbrechen’? “ Genannt wurden von den Gesprächsteilnehmern dann „Mord“, „Raub“, „Vergewaltigung“, „Diebstahl mit Körperverletzung“, also Dinge, bei denen Gewalt eine Rolle spielte. Die genannten Beispiele kann man als prototypische Vertreter der Kategorie „Verbrechen“ bezeichnen; mit anderen Worten: Es sind Kernvorstellungen der Szene. Das habe ich in der Diskussion so nicht gesagt, was ich aber sagte, war, dass das typische Beispiele sind, an die wir denken, wenn wir das Wort „Verbrechen“ hören. Ich stellte dann die Frage, ob dadurch die Bedeutung von crime in der Umfrage abgedeckt werde, und bekam spontan <?page no="176"?> Aufgabe zu Kapitel 8 177 die Antwort, im Ausgangstext sei sicher auch an Wirtschaftskriminalität und alle Arten von Diebstahl gedacht worden. Man spreche z.B. auch von Kleinkriminalität. Wir entschieden uns also für „Kriminalität“, und die Übersetzung lautete: Was meinen Sie, wie erfolgreich ist heutzutage der deutsche Staat bei der Bekämpfung von Kriminalität? Es kam mir in der Diskussion vor allem darauf an, dass wir uns abstrakte Begriffe durch konkrete Beispiele verdeutlichten. Das geschah hier übrigens vermutlich nicht durch Visualisierungen. Es war bei „Mord“ z.B. nicht nötig, sich einen Täter mit einer Schusswaffe oder mit einem Messer vorzustellen. Bei Wirtschaftskriminalität z.B. wären Visualisierungen wohl auch schwierig gewesen. Wichtig war aber, wie immer, dass wir uns Kernvorstellungen vergegenwärtigten. Ich habe mich in der Diskussion mit Umfragespezialisten mit Fachbegriffen immer sehr zurückgehalten. Generell möchte ich empfehlen, beim professionellen Argumentieren mit Leuten, die keine Übersetzungswissenschaftler und Linguisten sind, zwar die fachlichen Begriffe, Modelle und Methoden im Hinterkopf zu haben, sie aber, wenn möglich, in die Alltagssprache umzusetzen. Wenn es uns gelingt, metasprachlich zu argumentieren und dabei Fachbegriffe richtig zu dosieren, haben wir die Chance als Experten ernst genommen zu werden. Wenn Sie dieses Buch gelesen und die Aufgaben gemacht haben, sind diese Chancen, hoffe ich, größer geworden. 8.7 Aufgabe zu Kapitel 8 Ich habe in diesem Kapitel Themen aus den vorangegangenen Kapiteln wieder aufgegriffen, und zu diesen Themen wurden auch bereits Aufgaben gestellt. Wenn Sie diese Aufgaben gemacht haben, haben Sie schon alles zur Vertiefung Nötige getan. Wenn nicht, haben Sie nun die letzte Möglichkeit, dies nachzuholen und die Aufgaben zu bearbeiten. Da ich am Schluss von Kap. 8 noch einmal an einem Fall gezeigt habe, wie professionelles Argumentieren aussehen kann, möchte ich zu diesem Thema doch noch eine Aufgabe stellen, bei der Sie einige der von Ihnen inzwischen erworbenen Techniken und Strategien ausprobieren können. In einer ISSP-Umfrage aus dem Jahr 2000 ging es um das Thema „Soziale Netze“. Es ging dabei unter anderem um Situationen, in denen man Hilfe braucht, z.B. wenn man krank ist, wenn man kleine Kinder hat oder wenn man alt und gebrechlich ist. In diesem Abschnitt erschien folgende Frage: Now, suppose you needed to borrow a large sum of money. Who would you turn to first for help? (Unterstreichung im Original.) Für a large sum of money bieten sich eine ganze Reihe von möglichen Entsprechungen an: eine beachtliche Geldsumme eine beträchtliche Geldsumme <?page no="177"?> Übersetzen als professionelles Problemlösen 178 eine hohe Geldsumme eine große Geldsumme eine größere Geldsumme ziemlich viel Geld sehr viel Geld viel Geld eine Menge Geld Nehmen Sie an, Sie müssten mit einer Gruppe von Soziologen darüber diskutieren, welche Variante in Frage kommt. Beschreiben Sie, wie Sie das Gespräch führen würden. Versuchen Sie, Ihre Entscheidung für eine der Varianten oder vielleicht auch für eine ganz andere mit den in diesem Buch erworbenen Methoden und Begriffen zu begründen. Ein Tipp: Probieren Sie es mit dem notwendigen Differenzierungsgrad! <?page no="178"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben Lösungsvorschläge zu Kapitel 1 Vorbemerkung: Der Autor kann sich bei den Lösungen zu Aufgabe 1b) einiger zusätzlicher Kommentare nicht enthalten. Aufgabe 1 a) Die unterstrichenen Stellen sind Ausdrücke, die sich fest im Sprachgebrauch etabliert haben. Man könnte hier von Terminologie sprechen. Ein Kompositum mit Nationalist hier nirgends möglich. In größeren zweisprachigen Wörterbüchern, z.B. in Langenscheidt Großwörterbuch Englisch, sind die ersten beiden Entsprechungen verzeichnet und natürlich finden wir sie auch über Google in zuverlässigen Quellen. National newspaper erscheint in Langenscheidt Großwörterbuch Englisch jedoch nicht. In Langenscheidts Großes Schulwörterbuch z.B. findet sich keiner dieser Einträge. Hier zeigt sich die Begrenztheit kleinerer Wörterbücher. Wir können natürlich den Begriff „überregionale Zeitung“ mit Google überprüfen und finden dort erwartungsgemäß eine Vielzahl zuverlässiger Seiten. Unter „Nationale Zeitung“ finden wir mit Google nur die bekannt-berüchtigte „National-Zeitung“. Für den restlichen Teil der Sätze gibt es natürlich Varianten. Ich habe einige angegeben. Sicher sind noch weitere denkbar. Es werden hier aber nur die Übersetzungen von national erörtert, denn darum ging es in der Aufgabe. 1. Die folgende Grafik / das folgende Schaubild zeigt, wie die Staatsverschuldung seit 1940 jährlich gewachsen ist / zeigt das Anwachsen der Staatsverschuldung seit 1940. 2. Man zahlt / Sie zahlen Sozialversicherungsbeiträge, um Ansprüche auf bestimmte / gewisse Sozialversicherungsleistungen zu erwerben, wozu auch die gesetzliche Altersrente gehört. / Dazu gehört auch die gesetzliche Altersrente. 3. Diese Seite verbindet Sie zuerst mit Onlineversionen überregionaler Zeitungen und als nächstes mit Onlineversionen regionaler Zeitungen. / Diese Seite stellt zuerst die Verbindung mit Onlineversionen überregionaler Zeitungen her und als nächstes mit Onlineversionen regionaler Zeitungen. b) Das englische Wort national ist in diesem Kontext ein gefährlicher Geselle. Zwar ist auch das deutsche Wort „national“ ein Gegensatz zu „lokal“ und „regional“, aber man verbindet damit in Deutschland auch noch andere Vorstellungen. Der Nationalsozialismus liegt zwar in Deutschland nun schon zwei Generationen zurück, doch ist das deutsche Wort „national“ in vielen Kontexten immer noch belastet. Die Vorstellungen oder Szenen, die sich damit verbinden, sind <?page no="179"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 180 rechtskonservative Gruppierungen, vielleicht denkt man an Personen, welche die Republikaner oder gar die NPD wählen. Solche Vorstellungen waren oben gemeint, als davon die Rede war, dass Szenen kulturbedingt sein könnten. (Mehr zum Thema kulturelle Einbettung im Kapitel 2.) Gerade im Kontext dieser Frage, bei der es um die Einstellung zu anderen Kulturen geht, kann ein Wort wie „national“ die Antwort in eine bestimmte auslandsfeindliche Richtung lenken. Es bestünde dann die Gefahr, dass die Antworten verfälscht würden. Das darf aber bei Umfragen nicht passieren. Eine bessere Übersetzung wäre: Die zunehmende Verbreitung ausländischer Filme, Musik und Bücher schadet der deutschen Kultur. Das Wort „deutsch“ umfasst dann beides: national und regional, und wir hoffen, dass es wertfrei genug ist, um auslandsfeindlichen Antworten keinen Vorschub zu leisten. Aufgabe 2 a) Häufige Kollokationen sind: 1. In diesem Fall müssen besondere Faktoren/ Gegebenheiten berücksichtigt werden. 2. Ich möchte ein Beispiel nennen/ anführen. 3. Kannst du dieses Versprechen halten/ einhalten. 4. W Mit der Hilfe meiner Freunde kann ich dieses Problem bewältigen/ lösen. 5. James war begierig, einiges von dem, was er gelernt hatte, in die Praxis umzusetzen. Man kann diese Kollokationen mit Google überprüfen und die Häufigkeit ihres Vorkommens feststellen. So fand ich z.B. für „Faktoren berücksichtigen“ 34 000 Seiten und für „Gegebenheiten berücksichtigen“ 11 300 Seiten, also ein Indiz für übliche Kollokationen. Für „Faktoren in Erwägung ziehen“ fand ich nur 46 Seiten und für „Gegebenheiten in Erwägung ziehen“ nur 3 Seiten. Diese Kombinationen scheinen also keine so guten Kollokationen zu sein. Für „Beispiel nennen“fand ich bei Google 82 500 Seiten und für „Beispiel anführen“ 26 200 Seiten. Beides sind also übliche Kollokationen. Für „Beispiel geben“ fand ich zwar 138 000 Seiten, aber ein Blick auf die Beispiele zeigt, dass diese W endung eine andere Bedeutung hat und dem englischen to set an example entspricht. Wir müssen beim Suchen nach Kollokationen darauf achten, dass sich nicht unter der Hand eine andere Bedeutung einschleicht. Auch die Kollokationen der übrigen Beispiele werden durch die Google-Recherche bestätigt. Ich erspare mir einen genauen Bericht. Aufgabe 2 b) 1. ) eat out 2. ) change/ shift gear <?page no="180"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 1 181 3. ) clear conscience 4. ) failed his chemistry exam 5. ) gave/ made/ delivered a talk (Lösungen aus David Heath et al. 1997: 30) Da die Lösungen aus dem DCE stammen, dem ein großes Textkorpus zugrunde liegt, ist eine Google-Recherche nicht nötig. Aufgabe 3 Missverständlich ist hier „Wahlmöglichkeiten“. Dies könnte die Stellungnahme zu der Aussage verfälschen. Gerade im Kontext von „Wählern“ denkt man hier leicht an Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen. Die englische lexikalische Entsprechung für diese Bedeutung wäre choice who to vote for. „Wahl“ in diesem Sinne ist im Englischen election. Unter kontrastivem Aspekt können wir hier von einer Divergenz oder, wenn wir die Übersetzungsrichtung ändern, von einer Konvergenz sprechen. Dem deutschen Lexem „Wahl“ entspricht im Englischen choice und election; das englische option ist praktisch synonym mit choice. Abb.8 Eine bessere Übersetzung unseres Beispiels wäre: Politische Parteien bieten den Wählern keine echten politischen Alternativen. „Alternative“ wäre dann die Entsprechung zu option. Aufgabe 4 Im Deutschen gibt es einen stilistisch neutralen Oberbegriff „Geschwister“. (Die Begriffe Stil und Situation werden im Kapitel 2 behandelt.) Der Oberbegriff siblings im Englischen ist stilistisch sehr formell und wird z.B. in wissenschaftlichen Texten gebraucht. Man könnte ihn als fachsprachliches Wort bezeichnen. Auf einer stilistisch neutralen Ebene gibt es hier also eine sog. Lücke im Englischen. Da es Lücken aber nur theoretisch gibt, werden sie praktisch geschlossen; an entsprechenden Stellen in Texten steht dann im Englischen brothers and sisters. Dieser sprachlichen Gegebenheiten war sich der Übersetzer hier wohl nicht bewusst. Im ersten Satz geht es um die Anzahl der Geschwister und darum, ob sie erwachsen sind. Es besteht kein Grund, hier mittels „Brüder und Schwestern“ zu spezifizieren. Wenn zu Beginn des Satzes bereits „Geschwister“ gesagt wird, klingt die Spezifizierung im zweiten Teil in der Tat sehr seltsam, so als ob man choice/ option Wahl election <?page no="181"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 182 dem Leser erklären müsste, dass „Geschwister“ die Bedeutung „Brüder und Schwestern“ hat. Der Leser könnte pikiert reagieren und sagen: „Also das weiß ich doch! “ Seine negative Reaktion könnte seine Antwort verfälschen. Eine bessere Übersetzung wäre: Wie viele erwachsene Geschwister (d.h. 18 Jahre oder älter) haben Sie? Aufgabe 5 Die zugrunde liegende Problematik lässt sich, wenn man sie kontrastiv betrachtet, auch in diesem Fall wieder als Divergenz darstellen: Abb. 9 Interessant sind aber nun die Verstehensprozesse. Das Risiko, auf die Frage „Sind Sie jemals geschieden worden” eine falsche Antwort zu bekommen, ist wahrscheinlich gering, man könnte sich aber vorstellen, dass die Befragten den Eindruck bekommen, geschieden zu werden, sei eher etwas Ungewöhnliches oder vielleicht sogar moralisch Verwerfliches. Für einen guten Katholiken ist es das ja auch. Eine spontane Antwort wäre dann: „Nein, natürlich nicht.“ Und möglicherweise würde eine solche Antwort dann durch die Frage suggeriert. Dies lässt sich als Szene beschreiben. Durch die Frage im Ausgangstext wird eine neutrale und wertfreie Szene suggeriert. Wertfreiheit ist entscheidend bei Umfragen, um verfälschte Antworten zu vermeiden. Wenn wir Ehescheidung durch das Wort „jemals“ als etwas Ungewöhnliches darstellen, bewegen wir uns vom Kernbereich der Szene weg hin zu den unscharfen Rändern. Und an den unscharfen Rändern kann so mancherlei passieren, eben auch eine negative Bewertung. Daraus ergibt sich konsequenterweise der Übersetzungsvorschlag Sind Sie schon einmal geschieden worden? Lösungsvorschläge zu Kapitel 2 Aufgabe 1 Sie können Ihre Übersetzung mit der ersten Übersetzungsversion der Stigma- Umfrage für Deutschland vergleichen und überprüfen. Dort lautete die Stelle: 00. Keine 01. Evangelisch 02. Katholisch 03. Jüdisch 04. Buddhismus 05. Hinduismus jemals ever schon einmal <?page no="182"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 2 183 06. Andere fernöstliche Religion 07. Moslem/ Islam 08. Christlich Orthodox 09. Christlich: andere Kirchen / Sekten 10. Interkonfessionell 11. Andere 12. Weiß nicht Bei den in Deutschland vertretenen Religionen wären eigentlich Anpassungen erforderlich gewesen. In Deutschland gibt es wenig Hindus und Buddhisten, aber viele Muslime; diese müssten in der Liste weiter oben erscheinen. Die vermutete Anzahl der Mitglieder sollte für die Reihenfolge eine Rolle spielen. Zu überlegen wäre allerdings auch, ob man die christlichen Kirchen unabhängig von der Mitgliederzahl aus inhaltlichen Gründen zusammen gruppieren sollte. Bei Kategorie 9 wurde eine Anpassung vorgenommen. Hier nur „Christlich“ zu übersetzen, hätte eine Überschneidung mit den anderen christlichen Kirchen ergeben. Aus diesem Grund wurde hier spezifiziert. Allerdings: Wer würde von sich selbst sagen, dass er einer Sekte angehört? Der Terminus wird normalerweise pejorativ für Dritte verwendet. Eigentlich ist Christian auch im Ausgangstext zu vage und nicht trennscharf genug. Man könnte an diesem Beispiel die Frage der „defekten“ Ausgangtexte erörtern (vgl. Kap. 8.5). „Aboriginal“ in Kategorie 10 des Ausgangstexts bezeichnet die Religion der australischen Ureinwohner. Für Deutschland ist diese Kategorie sehr abwegig; es dürfte kaum Befragte geben, die ihr angehören. Sie wurde wohl aus diesem Grunde in der Übersetzung weggelassen. Für weitere nicht spezifizierte und unter Umständen „exotische“ Religionen ist unter Kategorie 11 Platz. Mit den eben erörterten Veränderungen könnte die Liste also wie folgt aussehen: 00. Keine 01. Evangelisch 02. Katholisch 03. Christlich Orthodox 04. Christlich: andere Kirchen 05. Muslimisch 06. Jüdisch 07. Buddhistisch 08. Hinduistisch 09. Andere fernöstliche Religionen 10. Interkonfessionell 11. Andere 12. Weiß nicht Aufgabe 2 Der erste Stigma-Übersetzungsentwurf lautete hier: <?page no="183"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 184 Sich an einen Pfarrer, Priester oder anderen religiösen Seelsorger wenden Ich halte die Übersetzung für angemessen. Prototypische Vertreter der Kategorie „Seelsorge“ sind für uns Pfarrer und Priester - genauso wie im Ausgangstext. „Rabbi“ ist für die deutsche religiöse Kultur kein prototypischer Vertreter, auch wenn man sich dies wünschen würde. Natürlich gibt es ihn, aber doch eher „am Rande“ unserer Vorstellung von Religionen. In der Formulierung „oder anderen religiösen Seelsorger“ ist er enthalten. Aufgabe 3 Als Orientierung sei auch hier wieder der Stigma-Übersetzungsentwurf genannt: 1. Ganz links (z.B. PDS) 2. Links / links von der Mitte 3. Mitte / liberal 4. Mitte / konservativ (z.B. CDU) 5. Ganz rechts (z.B. NPD) 6. Andere 7. Keine Partei, keine Vorliebe 8. Weiß nicht 9. Keine Antwort Der Übersetzer hat hier Right durch „Mitte“ ersetzt. Stünde hier „Rechts“ würden die Befragten vermutlich an Parteien wie die Republikaner oder gar die NPD denken. Doch das wäre, um in der Terminologie der Prototypensemantik zu reden, kein typischer Vertreter für die Kategorie „konservativ“. Bei den anderen Kategorien könnte man überlegen, ob man noch weitere typische Beispiele (prototypische Vertreter) nennen sollte, bei Kategorie 2 z.B. SPD oder Grüne; aber man darf den Befragten (und dem Leser generell) auch nicht alles erklären, sonst fühlen sie sich intellektuell nicht ernst genommen. Die Übersetzung beschränkt sich hier hauptsächlich auf die Beispiele, die nötig sind, damit keine Unklarheiten entstehen, denn Unklarheiten könnten die Antworten verfälschen, und die Übersetzung würde dann ihre Funktion nicht erfüllen. Vielleicht würde mancher bei „ganz links“ an den linken Flügel der SPD denken, und bezüglich „Mitte“ hat ja Gerhard Schröder im Jahr 1998 im Wahlkampf die SPD als Partei der Mitte dargestellt. Bei Kategorie 5 könnte man als prototypisches Beispiel statt NPD sicher auch die Republikaner einfügen. Aufgabe 4 „Geschwisterteil“ klingt hier sehr formell, ganz ähnlich wie siblings im Englischen. Die Wörter sind, wie schon in Kap. 1 gesagt, z.B. in wissenschaftlichen Texten üblich, also eher fachsprachlich. Linguistisch gesprochen, ist der durch dieses Wort evozierte Vertrautheitsgrad zwischen Sprecher und Hörer bzw. Autor und Leser sehr niedrig. Umfragen sind in der Regel jedoch nicht so formell. Oft werden sie vom Interviewer auch vorgelesen. Sie sind dann so etwas wie ein <?page no="184"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 2 185 Alltagsdialog. Und da sagt man ja z.B. auch nicht: „Ich bin gestern mit meinem Geschwisterteil im Kino gewesen.“ Vielleicht würde dann einer fragen: „Wie, mit was für einem Teil? “ Die allzu förmliche Frage sollte also ersetzt werden durch: Haben Sie mit einem Bruder oder einer Schwester am meisten Kontakt? Damit ist dann auch die Semantik klar; erfragt wird das Geschlecht der betreffenden Person. Aufgabe 5 Es handelt sich offenbar um einen Krankenbesuch in einer Klinik. Die Gesprächspartnerin Hetty ist nicht in der Lage, etwas zu sagen, weil sie vermutlich eine Kieferoperation hatte oder die Weisheitszähne gezogen bekam. Die Sprache Samanthas ist gekennzeichnet durch den Faktor Vertrautheitsgrad, der hier sehr hoch ist. Die zeigt sich in der Anredeform darling und in als informell markierten Wörtern wie Omigod, pop in und oh dear. Sie ist ferner gekennzeichnet durch den Faktor Partizipation, sprachlich umgesetzt durch Fragen und Frageanhängsel wie do I, do they. Manche Wörter lassen sich auch dem Faktor Medium (gesprochene Sprache) zuordnen, z.B. das bereits erwähnte Omigod und die Frageanhängsel, ferner die Kontraktionen I’d, it’s, don’t usw. Im Klappentext der deutschen Ausgabe wird aus einer Rezension der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert: „Die vorzügliche Übersetzung lässt sich keinen Funken dieser auf Pointe gestimmten Formulierungen entgehen.“ Beurteilen Sie selbst, ob dieses Lob zutrifft, und benützen Sie gegebenenfalls die Übersetzung, um Ihre eigene daran zu messen. Hier der entsprechende Abschnitt: Samantha Hetty, Schätzchen, wie geht’s dir denn? Ach, je, du Ärmste, blöde Frage … Dein Gesicht sieht aus wie ein Kürbis. Ja, da staunst du, was? Ich hab’ bei dir zu Hause angerufen und von deiner Wohnungsgenossin erfahren, wo du bist, und da hab’ ich gedacht, gehst du einfach mal vorbei, auch wenn eigentlich keine Besuchszeit ist, die nehmen das hier wahrscheinlich nicht so genau. Kannst du gar nicht sprechen? Ein Jammer, ich hatte mich so auf einen ausführlichen Schwatz gefreut. Na gut, dann musst du eben nicken und den Kopf schütteln und alles andere mit Blicken machen, du kennst das ja aus dem Fernsehen. (David Lodge: Therapie. Aus dem Englischen von Renate Orth- Guttmann. München 2000, S. 212f.) Aufgabe 6 Wir übersetzen hier mit Funktionsveränderung. Aus einem Fachtext wird ein Text für Laien. Situativ gesehen verändert sich der Verwendungsbereich bzw. das Register. Wir müssen also die linguistischen Fachtermini (disambiguation, polysemous, lexeme, source language, divergence, target language, prototypical scene) ersetzen. Dies könnte so aussehen: <?page no="185"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 186 Der erste Schritt bei der Übersetzung von Wörtern besteht darin, mehrdeutige Wörter mittels des Kontexts eindeutig zu machen. Es kann vorkommen, dass für ein Wort im Original mehrere Wörter in der Übersetzung zur Verfügung stehen. Erfahrene Übersetzerinnen und Übersetzer machen sich dann eine möglichst konkrete Vorstellung von der aus dem Kontext erschlossenen Bedeutung. Dies hilft ihnen, das passende Wort als Übersetzung zu wählen. Die Übersetzung ist länger als der Ausgangstext, denn wir mussten die Fachwörter gelegentlich paraphrasieren. Daran wird deutlich, dass Fachtermini ein ökonomisches Verständigungsmittel sind. Grundsätzlich wird man sich fragen müssen, was überhaupt ein Fachwort ist. „Disambiguieren“ „polysem“ und „Lexem“ gehören zweifellos dazu. Sie erscheinen in linguistischen Wörterbüchern. Ein Wort wie „Kontext“ dagegen ist wohl jedem gebildeten Leser zumutbar. Vielleicht würde das auch für „Ausgangssprache“ und „Zielsprache“ gelten. Unsere Übersetzung ist ja an dieser Stelle nicht ganz zufriedenstellend; es geht eigentlich um die lexikalischen Systeme und nicht um die schon konkrete Verwirklichung des Sprachsystems in einem Text. Dazu hätte man sehr umständlich paraphrasieren müssen, z.B. „Es kann vorkommen, dass für ein Wort in der Sprache des Originals mehrere Wörter in der Sprache der Übersetzung zur Verfügung stehen.“ Da source und target language in einem derartigen Buch sicher sehr häufig erscheinen, würde es sich empfehlen, die Begriffe „Ausgangs-“ und „Zielsprache“ am Anfang einzuführen und dann konsequent zu verwenden. „Szene“, so sagen vielleicht manche, ist doch kein Fachwort und hier durchaus verwendbar; man könnte doch schreiben: „typische Szene“. Man muss aber bedenken, dass die in der Linguistik übliche Bedeutung des Worts doch etwas anders ist als die gemeinsprachliche. Nicht immer handelt es sich um einen „auffallenden Vorgang, der sich zwischen Personen abspielt“ (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache). Nach Fillmore bezieht sich z.B. auch das Wort „schreiben“ (write) auf eine Szene, wie wir in Kap. 1 sahen (Fillmore 1977: 63ff.), und beim Schreiben agieren nicht notwendigerweise mehrere Personen miteinander. Das englische Wort equivalent schließlich könnte hier auch durch „äquivalent“ übersetzt werden; es wäre dem Leser zumutbar; doch „passend“ ist in diesem Kontext ein leicht verständliches Synonym. Lösungsvorschläge zu Kapitel 3 Aufgabe 1 Nach dem Prinzip der Äquivalenz scheint dies eine genaue Übersetzung zu sein; sie enthält für die Wörter des Ausgangstexts jeweils eine Entsprechung. Der Überprüfer der Übersetzung schlug jedoch vor: Zuwanderer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg. <?page no="186"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 3 187 Sein Argument lautete: Auch die Kinder von Zuwanderern können in Deutschland geboren sein — viele Türken, Italiener oder Spanier sind ja schon in der zweiten oder dritten Generation hier, sind aber nach dem Gesetz über Staatsbürgerschaft damit nicht automatisch Deutsche. Die Wortgruppe „Menschen, die in Deutschland geboren sind“ ist nur scheinbar genau; sie ist mehrdeutig und damit für den Zweck einer Umfrage keineswegs geeignet. Die Übersetzung enthält zwar viele Wörter, ist aber dennoch unterdifferenziert, weil sie nicht das eigentlich Gemeinte zum Ausdruck bringt. Gemeint sind in diesem Satz ganz einfach Deutsche, und das zu sagen genügt hier; in diesem Wort ist die deutsche Abstammung impliziert. Das Implizierte wird hier mit verstanden — darauf können wir im obigen Sinne „vertrauen“. Was ist die Funktion der Aussage? Es geht hier um eine negative Klischeevorstellung (eine Szene); es ist ja geradezu eine gängige (prototypische) Phrase bestimmter deutscher rechtskonservativer Gruppen zu sagen: „Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg.“ Diese Klischeevorstellung kurz und klar auszudrücken, ist hier genau genug. Dann können die Befragten dazu ohne Verstehensprobleme Stellung nehmen. Vielleicht fragen sich manche Leser, ob man dann statt „Zuwanderer“ nicht besser „Ausländer“ schreiben sollte, um das Klischee zum Ausdruck zu bringen. Dies wäre, so würden Umfragespezialisten vermutlich sagen, riskant, denn dann würde man die Antwort bereits in eine bestimmte Richtung lenken. Wer nach rechts tendiert, würde hier noch leichter zustimmen, wer liberal ist, würde hier noch leichter widersprechen. Aufgabe 2 Für das Verständnis von poor food choices sind u.a. folgende Stellen relevant: im Vorspann trying to lose weight or eat more healthfully und im ersten Abschnitt International Journal of Eating Disorders und binge eaters. Es geht darum, dass die betreffenden Personen bei Stress zu Essattacken (binge eating) neigen und dann wahllos essen. Das ist die Vorstellung (Szene), die unserem Verstehen und unserer Übersetzung hier zugrunde liegt. Die Funktion des Satzes im Untertitel besteht darin, kurz und knapp auf den Inhalt des Texts hinzuweisen. Variante 1 („nicht ausreichende Ernährung“) ist schlicht und einfach falsch, denn gerade das Gegenteil ist ja der Fall; die Personen essen zu viel. Variante 2 („ungesundes Essverhalten“) ist ausreichend differenziert, denn zuviel zu essen ist ungesund, ebenso wie wahllos essen. Variante 3 („schlechte Ernährung“) lässt sich als Synonym zu Variante 2 betrachten und ist damit ausreichend differenziert. Variante 4 („zu viel, zu unregelmäßig und nicht abwechslungsreich genug zu essen“) ist überdifferenziert. Zwar stimmt diese Formulierung inhaltlich, ist aber für einen Untertitel zu lang. Alle diese Aspekte werden ja später im Text noch erwähnt. Variante 5 („sich falsch zu ernähren“) kann man wieder als Synonym zu Variante 2 betrachten; sie ist also ausreichend differenziert. <?page no="187"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 188 Aufgabe 3 Hier nur „kalte Krankenhausmöbel“ zu übersetzen wäre unterdifferenziert. Es geht nicht um Temperatur, sondern um die psychische Wirkung der Möbel auf die Patientin. Man kann dies als die Funktion des Wortes cold in diesem Satz bezeichnen. Hilfreich für die Bedeutungserschließung sind die anderen Wörter, mit denen die Krankenhausatmosphäre beschrieben wird (the sterile smells, pea-green walls, the smell of the food), sowie als Gegensatz die Wirkung des Baums vor dem Fenster („What a beautiful tree that is! ”). Man kann hier geradezu von einer visuellen Szene sprechen. Wir können die aus dem Kontext gewonnen Informationen ergänzen durch Informationen aus dem Wörterbuch. Im DCE gibt es einen Eintrag unter cold der sich zwar auf Personen bezieht, aber in die Richtung geht, wie das Wort hier gemeint ist: LACKING FEELING lacking normal human feelings such as sympathy, pity, humour etc: a cold, calculated murder | He’s a very cold man, very aloof and arrogant. Natürlich hat auch das deutsche Wort „kalt“ diese Bedeutung; man kann z.B. sagen „Er ist sehr kalt und arrogant“. Das ist eine übliche Kollokation. (Wir erinnern uns an diesen Begriff aus Kap. 1.3.) Aber in Bezug auf Dinge und nicht auf Menschen nur „kalt“ zu sagen, ist eine unübliche Kollokation und erschwert die Bedeutungserschließung. Ausreichend differenziert sind Übersetzungen, die hier entweder ein anderes Wort wählen oder zu „kalt“ noch etwas hinzufügen, was die Perspektive der Patientin deutlich macht. Ich akzeptierte bei meinen Kandidaten und Kandidatinnen u.a. folgende Lösungen: unpersönliches Krankenhausmobiliar kalt wirkende Krankenhausmöbel kalte, sterile Einrichtung lieblose Einrichtung Wenn Ihre Übersetzung cold durch ein Wort wiedergibt, das die negative psychische Wirkung auf die Patientin ausdrückt oder außer „kalt“ ein weiteres entsprechendes Wort enthält, ist sie ausreichend differenziert. Lösungsvorschläge Kapitel 4 Aufgabe 1 Das englische Wort student ist ein falscher Freund der gefährlichen Sorte (vgl. Kap.1.2). Man ist schnell bei der Hand, es mit „Student“ ins Deutsche zu übersetzen, und man tut gut daran, sich die Bedeutung des Worts durch Nachschlagen in einem einsprachigen Lexikon klarzumachen. Im DCE finden wir zu student 1 someone who is studying at a university, school etc see also pupil <?page no="188"?> Lösungsvorschläge Kapitel 4 189 student at a first year student at the University of Oslo law/ medical/ engineering etc student A lot of art students live in this dorm. student teacher/ nurse (=someone who is learning to be a teacher or nurse) A/ B/ C etc student American English (=someone who always earns A’s etc for their work) see also mature student 2 be a student of something to be very interested in a particular subject He’s obviously an excellent student of human nature. Für das erste Erscheinen des Worts ist das Semem 2 relevant. Wir erkennen das durch eine semantische Textanalyse. Aufgrund des Kontexts their critics say scornfully wird deutlich, dass es sich nicht um Studenten, sondern um Personen handelt, die sich für ein bestimmtes Gebiet interessieren und vielleicht auch auf dem Gebiet forschen. Eine Übersetzung könnte lauten: „Wissenschaftler / Forscher, die sich mit Allgemeiner Semantik beschäftigen, werden oft ausgelacht, weil sie der Regel ‚Wörter und Dinge sind nicht dasselbe’ so großes Gewicht beimessen.“ Beim zweiten Erscheinen des Worts wird aus dem Kontext high-school libraries ersichtlich, dass es sich um das Semem 1 im Sinne von pupil handelt. Eine Übersetzung könnte lauten: „Schüler, so wurde argumentiert, müssten vor solchen Einflüssen geschützt werden, denn das Wissen über das Böse — in diesem Fall Wissen, das etwas mit verbotenem Sexualverhalten zu tun hat — würde das Böse hervorbringen.“ Es ist klar, dass eine Übersetzung mit „Studenten“ an diesen Stellen, den Inhalt und damit auch den Zweck des Textes völlig verfälschen würde. Für superintendent of public instruction bietet das DCE: 1 a high rank in the British police, or someone who has this rank 2 also superintendent of schools someone who is in charge of all the schools in a particular area in the US 3 someone who is officially in charge of a place, job, activity etc a young park superintendent, the superintendent of the Methodist Church in Hawaii 4 American English someone who is in charge of an apartment building and is responsible for making repairs in it caretaker BrE Für uns in Frage kommt die Bedeutung 2; wir können public instruction in unserem Text als Synonym zu dem Wort schools in der Definition aus dem DCE betrachten. Wenn wir zur Absicherung den Begriff bei Google eingeben, erhalten wir auf der Website des California Department of Education die Information The State Superintendent of Public Instruction is a state official elected by the people on a non-partisan ballot for a four-year term. He is accountable to the people of California for performing all the duties and responsibilities of his office. <?page no="189"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 190 Es handelt sich also um eine ranghohe Position in der Schulverwaltung, etwa vergleichbar mit dem Leiter eines Oberschulamts oder gar dem Bildungsminister eines deutschen Bundeslandes. Als Übersetzer dürfen wir aber nun nicht den Fehler machen, den Text in die deutsche Kultur einzubetten. Das Beispiel ist spezifisch für die U.S.A. zu einer bestimmten Zeit. Bei uns würde etwas Derartiges (hoffentlich) nicht passieren. Als Übersetzung käme in Frage. „Vor kurzem startete ein hoher für das Schulwesen zuständiger Beamter im Staat Kalifornien eine Kampagne, um ein bestimmtes Wörterbuch, das die Dinge beim Namen nannte, aus Schulbibliotheken entfernen zu lassen. Seine Begründung lautete, es enthalte Definitionen obszöner Wörter.“ Aufgabe 2 After the Revolutionary War kann keinesfalls mit „nach den Revolutionskriegen“ übersetzt werden. Ein deutscher Leser würde dabei vielleicht an die durch die Französische Revolution ausgelösten Kriege zwischen Frankreich und den Monarchien Europas denken; zumindest könnte er die Worte nicht schnell und bequem in den amerikanischen kulturellen Kontext einordnen. Durch einen Blick auf den unmittelbaren Kontext hätte der Übersetzer erkennen können, dass es hier um Ereignisse und Epochen der amerikanischen Geschichte geht. The Revolutionary War ist ein Synonym zu The American War of Independence (1775-1783); die Übersetzung muss also lauten „nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg” oder auch kürzer, da ja von Amerika die Rede ist, „nach dem Unabhängigkeitskrieg“. Wir finden den Begriff Revolutionary War in amerikanischen und englischen Enzyklopädien oder auch in Wörterbüchern, die neben linguistischen auch enzyklopädische Informationen enthalten, z.B. in Longman Dictionary of English Language and Culture oder Collins Concise Dictionary Plus. Falls uns solche Recherchiermittel nicht bequem zur Hand sind, geben wir den Begriff bei Google ein und finden in der bereits erwähnten Wikipedia: The American Revolutionary War (1775-1783), also known as the American War of Independence, was a war between Great Britain and revolutionaries within thirteen British colonies, who declared their independence as the United States of America in 1776. Damit kommt man dann (hoffentlich) ohne weiteres zur deutschen Entsprechung „amerikanischer Unabhängigkeitskrieg“. Aufgabe 3 Es geht um die Textstelle „ southern belle,” „New York Jewish intellectual,“ „Boston Brahmin,” or „hot-tempered Italian.” Durch eine semantische Textanalyse erkennen wir das Thema des Abschnitts, nämlich „generalizations“. Die Funktion der Beispiele besteht darin, Klischeevorstellungen zu vermitteln. Bei New York Jewish intellectual und hot-tempered Italian ist die Bedeutung und damit auch die Funktion <?page no="190"?> Lösungsvorschläge Kapitel 4 191 evident: Es geht um hohe geistige Qualitäten bzw. um Temperament. Bei southern belle denken wir vermutlich an Schönheit. Zur Sicherheit recherchieren wir den Begriff und finden in der Wikipedia: Unter einer Southern Belle ist das Urbild der jungen, gebildeten und kultivierten schönen Frau zu verstehen. Hierbei handelt es sich um eine englisch-französische Wortfügung, wobei das englische Wort „Southern“ für den französisch geprägten Süden der Vereinigten Staaten steht. Unter dem französischen Wort „belle“ ist die Schöne bzw. die weibliche Schönheit zu verstehen (vergleiche: belle of the ball - die Ballkönigin). Eine Southern Belle entstammt der gesellschaftlichen Oberklasse und hat eine fundierte Ausbildung genossen. Sie erscheint stolz und selbstbewusst. Dennoch versteht sie, unterhaltsam zu plaudern, und empfängt gerne Gäste. Sie entspricht etwa dem Begriff der „höheren Tochter“ im deutschsprachigen Raum. Dem deutschen Gegenstück fehlt jedoch etwas von jenem „südlichen Charme und Feuer“, das der Southern Belle zugesprochen wird. Negativ betrachtet handelt es sich bei einer Southern Belle um eine affektierte, gezierte, hochnäsig wirkende Frau, die mit allen Mitteln versucht, ihre Jugend und Schönheit zu bewahren. Ihr Denken ist von jenem Standesdünkel geprägt, der sie auf weniger Begüterte herabblicken lässt. Die Klischeevorstellung beinhaltet also nicht nur Schönheit, sondern auch Bildung und gesellschaftlichen Status. Unter Boston Brahmin finden wir in der Wikipedia: Als Brahmanen von Boston (engl. Boston Brahmins) werden die vornehmsten Familien Bostons bezeichnet. Sie führen ihre Abstammung auf die puritanischen Gründer der Kolonie Massachusetts zurück und bilden eine Art Adel Neuenglands. Einige wenige Familien wie die Emersons schafften es auch durch finanziellen Erfolg und strategische Heiraten, zu den First Families of Boston aufzusteigen. Der Begriff Brahmane bezeichnet im indischen Kastensystem die höchste Kaste. Oliver Wendell Holmes übertrug ihn 1860 in einem Artikel der Zeitschrift Atlantic Monthly auf die neuenglischen „oberen Zehntausend“. Die Brahmanen von Boston zeichnen sich bis heute durch einen ausgesprochen vornehmen Dialekt aus, der mehr an das britische als an das USamerikanische Englisch erinnert. Ihre Eloquenz rührt auch von ihrer exzellenten Erziehung her; sie besuchen traditionell die Harvard-Universität. Selbst die mindestens ebenso elitäre Yale-Universität galt ihnen lange als zweitklassig. Sie heirateten in den vergangenen Jahrhunderten bevorzugt untereinander, so dass viele vornehme Bostoner sich als Angehörige gleich mehrerer Clans bezeichnen können. <?page no="191"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 192 Die Vorstellung beinhaltet also ebenfalls einen hohen sozialen Status, ferner Bildung und Exklusivität. Es werden somit Klischees für folgende Vorstellungen verwendet: Schönheit, Kultiviertheit und gesellschaftlichen Status Intellektualität Status, kombiniert mit Bildung und Exklusivität Temperament Diese teilweise komplexen Klischee-Kategorien präzise wiederzugeben, wäre wahrscheinlich schwierig; es genügt aber, wie oben gesagt, vier unterschiedliche Bereiche zu evozieren. Das könnte dann z.B. so aussehen: höhere Tochter zerstreuter Professor Yuppie heißblütiger Italiener Der „heißblütige Italiener“ ist auch im Deutschen ein Klischee für Temperament und damit problemlos. Die übrigen Übersetzungen sind Vorschläge; natürlich sind auch andere Lösungen möglich. „Höhere Tochter“ bringt die Vorstellung „gesellschaftlicher Status“ zum Ausdruck. Man könnte auch andere Elemente der durch southern belle evozierten komplexen Kategorie fokussieren; z.B. mit der Übersetzung „eine Dame“ die Vorstellung der Kultiviertheit. Durch „zerstreuter Professor“ wird ein anderer Bereich als im Ausgangstext angesprochen (ein etwas unpraktischer und sehr zerstreuter Mensch), aber es kommt ja, wie in der Anweisung zur Aufgabe gesagt, darauf an, einfach vier verschieden Bereiche zu evozieren, und ich glaube, das Wort ist klischeehaft genug, um sich etwas vorstellen zu können. Und mit Yuppie nehmen wir zwar Bezug auf das Element Status, aber wohl noch mehr und vielleicht auch kritisch auf Jugend, Erfolg, Wohlstand und Konsum. Insgesamt ist dies, wie Sie sicher gemerkt haben, eine Übersetzungsaufgabe, bei der Kreativität gefordert ist. (Mehr zum Thema Kreativität in Kap. 6) Lösungsvorschläge zu Kapitel 5 Aufgabe 1 Christina Schäffner beschreibt den Zusammenhang wie folgt: Sowohl die Baumetapher [im Ausgangstext] als auch die Bewegungsmetapher [im Zieltext] erlauben bildhafte szenische Vorstellungen […], wobei entweder der Prozess (bauen, sich bewegen) oder das Resultat, der Endzustand, betont werden kann. Bei der Bewegungsmetapher ist der Endzustand erreicht, wenn man am Ziel angekommen ist; bei der Baumetapher ist das Resultat das fertige <?page no="192"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 5 193 Gebäude […]. Beide Metaphernbereiche können als durch das Element der Entwicklung miteinander verbunden erklärt werden; d.h., auf einer abstrakteren Ebene lassen sie sich einer konzeptuellen Metapher unterordnen (BAUEN IST ENTWICKLUNG, BEWEGUNG IST ENTWICKLUNG). (Schäffner 2005: 133) Ich erwarte natürlich nicht, dass Ihre Beschreibung genauso detailliert und „wissenschaftlich“ ist. Was Sie aber erkannt haben sollten, ist die Tatsache, dass die Metaphern, wie ich es in der Analyse der Fallstudie beschrieben habe, „verkettet“ sind. Man könnte auch beide Metaphern als Baumetaphern verstehen: Bei „Grundlagen schaffen“ denkt man an Hochbau, und bei pave the way an Straßenbau. Zusätzlich sind sie, wie Christina Schäffner darlegt, durch die Vorstellung der Entwicklung verbunden. Eine gute Erklärung wäre auch, dass in beiden Metaphern der Anfang einer Entwicklung fokussiert wird. Aufgabe 2 Es lässt sich sicher vielerlei beobachten. Was professionelle Strategien betrifft, scheinen mir die folgenden Beobachtungen die wichtigsten zu sein. Wir haben oben (Abschnitt 5.2.1) gesehen, wie die Testpersonen sich als Ausgangspunkt für ihre Übersetzung eine Fertigmahlzeit vorstellten. Nun erscheint eine neue Vorstellung: Die Serienausstattung eines Autos, die szenisch genauso detailliert konkretisiert wird wie die Fertigmahlzeit-Szene (Zeile 1-9). Doch Testperson B erkennt, dass man dann den gesamten Bildbereich ändern müsste, und trägt damit dem Kohärenzprinzip Rechnung. Die Entscheidung, doch die Mahlzeitenmetaphorik beizubehalten, fällt aufgrund des Weltwissens. „Autos kommen ja selten verpackt“ (Zeile 25-28). Die Textstelle your choice of red, white or blue suggeriert offenbar eine McDonalds-Szene (Zeile 31-38 und 57). Interessant ist die Idee, delivered mit zwei Wörtern („geliefert“ und „serviert“, Zeile 45) zu übersetzen. Hierin zeigt sich die Fähigkeit der Testpersonen, sich vom Einzelwort zu lösen und die Wortbedeutung zu paraphrasieren. Für die Übersetzung der Wendung in your choice stellen sich die Testpersonen vor, wie man bei einem Salat verschiedene Soßen wählen kann (Zeile 58-60), und dies führt zu der üblichen deutschen Wendung „nach Wahl“ (Zeile 61). Vermutlich führen die konkreten Vorstellungen von Soßen zu der Idee „mit brauner Soße“ (Zeile 67). Diese durch einen Top-down-Prozess hervorgerufene Idee wird sofort anhand des Weltwissens überprüft, und es tauchen Zweifel auf, ob Bush tatsächlich rassistisch ist. Entscheidend ist hier aber die Korrektur mittels eines Bottom-up-Prozesses: Im Text wird auf die amerikanische Flagge angespielt und sie enthält keine braune Farbe (Zeile 73f.) Man könnte nun noch auf Phänomene hinweisen, die nicht direkt etwas mit dem Verstehensprozess zu tun haben, z.B. dass die Testpersonen den Text offenbar lustig finden und dass ihnen die Übersetzung Spaß macht. So etwas ist sicher <?page no="193"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 194 förderlich für ihre Kreativität, hat aber mit Psycholinguistik im engeren Sinne nichts zu tun. Aufgabe 3 Natürlich können an dieser Stelle als Musterlösung keine Notizen und auch kein Dialogprotokoll präsentiert werden. Jede konkrete Notiz und jedes Protokoll wäre ein Einzelfall. Ihre Notizen oder Ihr Protokoll sollten aber doch die Erkenntnis enthalten, dass es eine semantische Kohärenz zwischen bestimmten Wörtern gibt. Die Wörter difficult, awkwardness, awkward, difficult and disruptive behaviour und unpleasant beziehen sich alle auf das gleiche Verhalten. Das Verhalten ist ein typisches Beispiel für Situationen, die man durch ein Lächeln entschärfen kann. Das ist die Funktion der Textstelle. Ein Blick auf die entsprechenden Einträge im DCE zeigt Ähnlichkeiten, ja Synonymität der entsprechenden (durch Nummern gekennzeichneten) Sememe: difficult 3 someone who is difficult never seems pleased or satisfied synonym awkward Don’t be so difficult! a difficult customer awkward 5 an awkward person is deliberately unhelpful synonym difficult disruptive causing problems and preventing something from continuing in its usual way unpleasant 2 not kind and friendly: Our neighbours are extremely unpleasant. Es ist hilfreich, sich die im DCE definierten Verhaltensweisen als Szene vorzustellen. Auf Behörden könnte es z.B. darum gehen, dass ein Antrag aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht bewilligt werden kann. Auf der Bank z.B. darum, dass ein Geldbetrag noch nicht ausbezahlt werden kann, weil er noch nicht zur Verfügung steht, oder dass es nicht möglich ist, dem Kunden einen Kredit in gewünschter Höhe zu gewähren. Sicher gibt es noch viele andere Beispiele im Dienstleistungssektor, um den es hier ja geht (places where the public are served). Die Übersetzung könnte dann lauten: „Sei entschieden und bestimmt, wenn es nötig ist, aber lächle dabei unbedingt! “ Dieses Motto enthält eine ganz wichtige Aussage. Es besagt nämlich, dass man die Ablehnung eines Wunsches oder einer Bitte viel leichter ertragen kann, wenn die betreffende Person durch ihren Gesichtsausdruck zeigt, dass sie wirklich nicht ohne guten Grund etwas ablehnt. Mit anderen Worten: Wenn Menschen durch ihre Mimik deutlich machen, dass sie ihr Bestes tun, um freundlich zu sein, dann akzeptiert man bei ihnen viel eher, dass sie einen Wunsch oder eine Bitte nicht erfüllen, als wenn sie sowohl in ihrer Mimik als auch in ihren Handlungen Ablehnung ausdrücken. Kommentar: Die Übersetzungen der unterstrichenen Wörter mögen manchen Lesern im Hinblick auf die Definitionen im DCE und das, was in ihren zweispra- <?page no="194"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 6 195 chigen Wörterbüchern angeboten wird, ungewöhnlich vorkommen. Ich habe mich von meinen szenischen Vorstellungen leiten lassen. Bei „entschieden und bestimmt“ / „unangenehme Auskunft“ lässt sich eine Situation vorstellen, wo sich der Sprecher, wie es eben bei Ablehnungen der Fall ist, durchsetzen muss und aufgrund seiner durch die jeweilige Institution bedingten Autorität auch durchsetzen kann. Wenn man die Definition von awkward liest, fällt einem vielleicht „schwierig“ (findet sich z.B. als Entsprechung im Langenscheidt/ Collins) oder „unkooperativ“ ein, aber gerade das kann ja in diesen Situationen der Dienstleistung nicht gemeint sein. Man ist ja auch kooperativ, wenn man einer Person klar macht, aus welchen Gründen man ihren Wünschen nicht entsprechen kann. Disruptive mit „störend“ wiederzugeben, wie von Langenscheidt/ Collins vorgeschlagen, passt ebenfalls überhaupt nicht zu den Szenen, um die es hier geht. Unpleasant habe ich nicht mit dem naheliegenden „unfreundlich“ übersetzt, denn dieses Wort bezieht sich auf die Mimik, Gestik, den Ton der Stimme und die Wortwahl. Hier geht es aber um Handlungen, die den betroffenen Personen nicht gefallen. Mir scheint auch im englischen Text unpleasant kein optimales Wort zu sein. Der Autor hat es vielleicht gewählt, um sich nicht zu wiederholen. Ich habe bei allen Problemstellen die Technik des Paraphrasierens benützt — schließlich habe ich sie ja selbst empfohlen. Bei meinen Paraphrasen habe ich mich von dem Gedanken leiten lassen, dass ein Lehrbuch (Teach Yourself Book) nicht zuletzt gut verständlich sein muss, und dies erreicht man durch einen konkreten Stil, indem man z.B. einen abstrakten Begriff durch Beispiele ersetzt. Lösungsvorschläge zu Kapitel 6 Aufgabe 1 Zunächst recherchieren die Textpersonen offensichtlich das Wort stationary. Interessant ist, dass sich die Testperson A gleichzeitig Szenen vorstellt. Als Szenenindikator interpretierbar ist das Wort „ja“ (Zeile 5). „Ja“ verweist laut Duden unter anderem auf Bekanntes, z.B. in Sätzen wie „Er kommt ja immer zu spät“ oder „Du kennst ihn ja“. Und diese Funktion hat das Wörtchen auch in unseren Protokollen; es drückt aus, dass sich die Testperson an etwas erinnert, und Erinnerungen sind allemal etwas Bekanntes. Diese szenischen Vorstellungen werden hier nun sowohl durch den Kontext suggeriert als auch mittels eines Top-down-Prozesses aus dem Gedächtnis abgerufen. „Die suchen ja irgendwelche Pflanzen oder so … als Sammler“ bezieht sich vermutlich auf die Textstelle women foraged … foraging for edible plants. Die Spezifikation „also dass die sich erinnern können, dass der bestimmte Pilz …“ dagegen bezieht sich auf bestimmte Vorstellungen im Gedächtnis; Pilze kann man als prototypische Pflanzen für die Szene „Sammeln“ betrachten. Vom Text stimuliert, in dem es ja um den Gegensatz zwischen den Männern als Jägern und den Frauen als Sammlerinnen geht, ist wiederum die Äußerung von Testperson A: „dass man das einfach merkt, dass das nicht Sachen sind, die <?page no="195"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 196 sich fortbewegen, wie z.B. so ein Reh oder irgendwas“, wobei freilich das Reh wieder ein aus dem Gedächtnis stammendes szenisches Detail ist. Die szenischen Vorstellungen, die in den Köpfen der Testpersonen entstehen, sind also eine Kombination aus Bottom-up-Prozessen (von Text stimuliert) und von Top-down-Prozessen (aus dem Gedächtnis abgerufen). Die Prozesse laufen hier übrigens auf geradezu ideale Weise ab; es herrscht ein Gleichgewicht zwischen Bottom-up- und Top-down-Prozessen, wodurch verhindert wird, dass einer der Prozesse überwiegt und es dadurch zu einem Missverstehen des Texts kommt. (Wir erinnern uns an Kap. 4.4. Mehr zu diesem Thema in Kußmaul 2000a: 60-65.). Die Prozesse führen zu der Erkenntnis, dass stationary im Sinne von „feststehend“ gar nicht so wichtig ist, sondern dass es auf die Wiedergabe der speziellen Wahrnehmungsfähigkeit von Frauen (perceptional style) ankommt. Als Übersetzung ergibt sich dann für die Testpersonen, wenn man aus den Varianten für die einzelnen Wörter eine auswählt, folgende Formulierung: „Frauen hingegen sind besonders gut darin, Objekte auszumachen, die an einem besonderen Ort zu finden sind, und sich diesen Ort auch zu merken.“ Ich denke, es ist offensichtlich, dass diese Übersetzung eine Veränderung gegenüber dem Ausgangstext darstellt und somit das Kriterium der Neuigkeit erfüllt. Was das Kriterium der Angemessenheit betrifft, wäre es sicher besser, „an einem bestimmten Ort“ statt „an einem besonderen Ort“ zu sagen, denn wichtig ist nicht die Beschaffenheit des Orts, sondern das Wiederfinden. Testperson A hatte das Wort „bestimmt“ gleich zu Anfang des Dialogs sogar benützt. Semantisch völlig angemessen ist die Übersetzung von remembering their locations durch „sich diesen Ort auch zu merken“. Aufgabe 2 Beginnen wir in diesem Fall einmal mit der Beurteilung der Übersetzung. Zwar ist „wahrnehmen“ für perceptional styles gar nicht so schlecht, aber die Übersetzung „logisches Denken“ für spatial reasoning ist semantisch völlig falsch. Es geht hier, wie wir von der Interpretation des Protokolls der Aufgabe 1 wissen, um das Verhalten der Männer als Jäger, und das hat nicht mit logischem Denken zu tun. Wie ist die falsche Lösung entstanden? Die Testpersonen erkennen, dass es um den Unterschied zwischen den Geschlechtern geht. Dies ist sozusagen der Rahmen für eine große Szene. Zunächst kommt es zu Vorstellungen die durchaus (über Bottom-up-Prozesse) vom Text ausgelöst sind: „Perceptual styles, das heißt wie sie die Sachen aufnehmen, spüren, erfahren, also praktisch, wie sie die verschiedenen Sachen angehen.“ Doch mit der Nennung von „Sichtweise“ wird die Szene fälschlicherweise nicht konkret, sondern abstrakt interpretiert (männlich/ rational und weiblich/ irrational). Dies ist eine Aktivierung von im Gedächtnis gespeicherten Klischeevorstellungen, die im Text aber nicht aktiviert werden. Dadurch kommt es dann zu der Gleichung „spatial“ - „logisch“. Hier geschah, was wir bereits in Kap. 4.4 beobachten konnten: Es kam zu einem Überwiegen der Top-down-Prozesse. Dies ist gefährlich und kann, wie hier geschehen, zu einer falschen Interpretation des Texts führen. <?page no="196"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 6 197 Wie könnte nun eine szenische Vorstellung, die uns zu einer Lösung führen würde, aussehen? Da in unserem Text die Männer, wie schon gesagt, als Jäger typisiert werden, könnte man sich hier vorzustellen versuchen, welche Fähigkeiten bei der Jagd erforderlich sind. Relevant für Vorstellungen ist auch der letzte Satz des Texts tracking and killing animals entail different kinds of spatial problems than does foraging for edible plants. Spatial problems ist im Zusammenhang mit spatial reasoning zu sehen. Bei tracking denke ich an Spurenlesen, also an das Erkennen, welches Tier sich wann in welche Richtung bewegt hat. Bei killing denke ich an das Abschätzen, wie weit und wie schnell man laufen muss, um das Tier von der richtigen Seite aus zu erreichen, und wie weit man mit Pfeil und Bogen oder mit einem Speer vom Tier entfernt sein muss, um das Tier erlegen zu können. Als ich mit Studierenden den Text auf diese Weise szenisch veranschaulichte, kamen wir auf die Übersetzung „Männer sind im allgemeinen besonders gut darin, Entfernungen abzuschätzen.“ Dies ist zweifellos eine Veränderung gegenüber den Ausgangstext und, wenn man die Übersetzung als semantisch angemessen akzeptiert, was ich aufgrund meiner Argumentation natürlich tue, insgesamt eine kreative Übersetzung. Dies ist sicher nicht die einzig mögliche Übersetzung. Besonders dann, wenn es um kreative Übersetzungen geht, gibt es nicht nur eine einzige Lösung, sondern mehrere. Im Grunde gilt das natürlich für das Übersetzen generell. Beim Übersetzen gibt es selten nur zwei Möglichkeiten, wovon die eine richtig und die andere falsch ist. Es ist eher so, dass es gute und weniger gute Übersetzungen gibt. Wir haben darüber bereits im Zusammenhang mit dem notwendigen Differenzierungsgrad gesprochen (Kap. 3.3). Ich erwähne es hier im Aufgabenteil noch einmal, weil es gerade bei kreativen Übersetzungen besonders deutlich wird. Aufgabe 3 Wie bei Aufgabe 3 in Kapitel 5 kann auch hier natürlich kein Dialogprotokoll im Detail als Lösung vorgeschlagen werden, aber die folgenden Überlegungen sollten in einem Protokoll erscheinen. Das Wort cultural group einfach mit „kulturelle Gruppe“ zu übersetzen, würde beim Leser als Befragtem vermutlich Verstehensprobleme hervorrufen, die das Funktionieren der Umfrage an dieser Stelle gefährden. Er wird wissen wollen: Was ist eine kulturelle Gruppe? Vielleicht fragt sich das ja auch der englische Leser bei cultural group. Der Begriff ist zu abstrakt. Bei sports und leisure group ist das anders, denn der erste Teil des Kompositums ist bereits ein konkreter Begriff. Wenn wir hier „Sportverein“ und „Hobbyclub“ übersetzen, kann sich jeder etwas vorstellen. Man könnte den sehr abstrakten Rahmen cultural group szenisch füllen und ein oder zwei aus dem Weltwissen abrufbare Beispiele nennen. Falls einem keine passenden Beispiele einfallen, müsste man recherchieren und z.B. im Internet Suchbegriffe wie „Club“, „Verein“, „Organisation“ und als einengenden Begriff „Kultur“ eingeben in der Hoffnung, darunter als Kompositum oder im engeren Kontext Spezifizierungen zu finden. Die Übersetzung könnte lauten: Geben Sie an, ob Sie … angehören … <?page no="197"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 198 25. einem Sport-, einem Hobby- oder Kulturverein, z.B. einem literarischen Verein oder einem Kunstverein Konkrete Beispiele empfehlen sich auch für die Übersetzung von another voluntary association, z.B. 26. einer anderen freiwilligen Organisation, z.B. einer Wohltätigkeitsorganisation oder einem Förderverein. Durch die Beispiele wird auch an dieser Stelle die Verständlichkeit und damit das Funktionieren der Frage und der Antwort verbessert. Es erübrigt sich fast zu sagen, dass durch die Nennung der Beispiele etwas Neues in der Übersetzung hinzukommt und dadurch das Kriterium der Kreativität erfüllt wird. Angemessen ist die Übersetzung dadurch, dass die Beispiele zu den Oberbegriffen passen. Prüfen Sie, wenn Sie andere Beispiele gewählt haben, ob sich diese den Begriffen cultural group bzw. zu another voluntary association zuordnen lassen. Bei letzterem Begriff ist der Rahmen ja ziemlich weit gefasst, so dass hier eigentlich alles bisher noch nicht an Gruppen Genannte hineinpasst. Der Bereich Wohltätigkeit scheint mir geeignet, weil man ihn dem Kernbereich der aufgeführten Gruppen zuordnen kann. Lösungsvorschläge zu Kapitel 7 Aufgabe 1 Dass Übersetzungen von power grip wie „der Griff des Neandertalers“ und „Powergriff“ auf komische Weise mehrdeutig und damit unklar sind, haben Sie sicher bemerkt. Als ich den Text von meinen Studentinnen und Studenten in einer Klausur übersetzen ließ, erhielt ich für Griff „die Art, Werkzeuge zu halten“, also eine Paraphrase. Darunter kann sich der Leser etwas vorstellen, und das ist bei diesem populärwissenschaftlichen Text wichtig. Genauer gesagt, es handelt sich, vermutlich angeregt durch die Abbildung, um die Nennung des in diesem Text relevanten (fokussierten) Szenenelements Werkzeug. Bei power grip entschieden sich manche, das Wort als Terminus in die Übersetzung zu übernehmen. Es wird ja auch mit so called im englischen Text als offenbar gängiger Begriff in der Archäologie apostrophiert, und die Quelle, woraus zitiert wird, ist eine englischsprachige Fachzeitschrift (Proceedings of the National Academy of Science). Man könnte überlegen, ob man das Wort überhaupt übersetzen soll, denn im Kontext ist es redundant. Wichtig ist, dass die Definition von power grip (held in the palm of the hand with the fingers curled around the body of the tool) anschaulich übersetzt wird. Eine von mir als gut beurteilte Übersetzung lautete: „… indem sie z.B. einen Stein oder Faustkeil mit der Handfläche und den Fingern umschlossen hielten“. Diese Formulierung ersetzt, vermutlich auch wieder inspiriert durch einen Blick auf die Abbildung, den abstrakten Begriff body of the tool durch zwei konkrete Beispiele. Sie trägt damit zur Anschaulichkeit des Texts bei und macht außerdem den Unterschied zum weiterentwickelten Werkzeug- <?page no="198"?> Lösungsvorschläge zu Kapitel 7 199 gebrauch des Homo sapiens noch deutlicher, der im Bild ja einen Hammer in der Hand hat. Man kann die Übersetzung vereinfachen zu „mit der Hand umschlossen hielten“, denn die Bedeutung von „Hand“ bezieht sich sowohl auf die Handfläche als auch auf die Finger. Hafts and shafts sind, wie aus den Definitionen des DCE hervorgeht, eigentlich Synonyme: haft a long handle on an axe or other weapon shaft a long handle on a tool, spear etc In der Abbildung sind allerdings keine Waffen zu sehen, sondern ein Hammer. Man kann die Wortgruppe wohl als Hendiadyoin (eine aus zwei Synonymen bestehende rhetorische Figur) betrachten. Nach dem Prinzip des notwendigen Differenzierungsgrads (Kap. 3) genügt es hier zu übersetzen, wie es eine Klausurteilnehmerin tat, mit „indem sie an ihren Werkzeugen Stiele anbrachten“, und das passt auch zur Abbildung. Übersetzungsvorschlag für den 3. Abschnitt: Es ist seit längerem bekannt dass der Neandertaler Werkzeuge anders hielt als der Homo sapiens, und zwar nicht so wirkungsvoll. Die Neandertaler handhabten ihre Werkzeuge vor allem mit einem so genannten power grip, indem sie z.B. einen Stein oder Faustkeil mit der Hand umschlossen hielten. Im Gegensatz dazu macht der moderne Mensch ausgiebig von Werkzeugen mit Stielen, z.B. Hämmern, Gebrauch, durch deren Hebelwirkung mehr Kraft ausgeübt werden kann. Kommentar: Die oben erörterten Übersetzungen mit ihren Vereinfachungen sind hier integriert. Beim letzten Satz lautete die Übersetzung zunächst: „Dadurch ergibt sich ein mechanischer Vorteil und damit mehr Kraft.“ Als ich mit meinen Studenten diese Textstelle diskutierte, schauten wir uns noch einmal die Abbildung an, worauf der Vorschlag gemacht wurde, hier den Begriff „Hebelwirkung“ zu verwenden. Dadurch wird der Begriff „mechanischer Vorteil“ noch weiter präzisiert und konkretisiert. Außerdem ergibt sich dadurch, wie wir noch sehen werden, eine Möglichkeit, das Wortspiel am Schluss des Texts (shafting the opposition) wiederzugeben. Aufgabe 2 Zur Übersetzung von a 3D grid of the surface in question empfiehlt es sich, noch einmal den unmittelbar vorausgehenden Kontext zu lesen und sich vorzustellen, was der Photograph getan hat. Dann hat man die Ausgangsbasis für die Übersetzung, und man wird vermutlich die Stelle mit „3D-Raster der Handknochen“ übersetzen. Damit ist die Kohärenz und Anschaulichkeit des Texts verbessert. Die Textstelle humanity’s ancestors were shafting the opposition nimmt das Thema hafts and shafts aus dem 3. Abschnitt wieder auf. Die konkrete Bedeutung wird hier zu einer übertragenen Bedeutung abgewandelt, wie sie laut DCE in shaft als Verb enthalten ist. <?page no="199"?> Lösungsvorschläge zu den Aufgaben 200 informal to treat someone very unfairly especially by dishonestly getting money from them: I can’t believe you paid that much. You got shafted Das Thema Geld ist in unserer Textstelle freilich nicht relevant. Wir können an den Übersetzungsvorschlag für den 3. Abschnitt, der ja durch eine Visualisierung entstanden ist, anknüpfen: „Im Gegensatz dazu macht der moderne Mensch ausgiebig von Werkzeugen mit Stielen, z.B. Hämmern, Gebrauch, durch deren Hebelwirkung mehr Kraft ausgeübt werden kann.“ Das Wort „Hebelwirkung“ bietet uns einen Ausgangspunkt für die Übersetzung des Wortspiels, und wir können dann sagen: „Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt saßen die Vorfahren des heutigen Menschen offenbar am längeren Hebel.“ Aufgabe 3 Es empfiehlt sich, die Handlung konkret auszuführen; also (in der Rolle des Interviewers) das Blatt Papier dem Befragten hinzuhalten und es (in der Rolle des Befragten) zu falten. Die Szene wird dann nicht nur visualisiert, sondern auch agiert. Als Übersetzung wird man dann natürlicherweise etwa Folgendes formulieren: [Nehmen Sie das Blatt Papier und halten Sie es dem/ der Befragten hin / reichen Sie es dem/ der Befragten. Sagen Sie: ] [Wenn der/ die Befragte Rechtshänder ist: ] Nehmen Sie das Blatt Papier in die linke Hand. Falten Sie das Papier mit beiden Händen 1-mal in der Mitte und legen Sie es sich auf den Schoß. Es wäre zwar nicht unverständlich, aber weniger üblich und vielleicht in der Anweisung an den Interviewer sogar ein bisschen komisch, wenn Sie wörtlich übersetzt hätten: [Nehmen Sie das Blatt Papier und halten Sie es vor dem Befragten in die Höhe. Sagen Sie] … Nehmen Sie das Blatt Papier in Ihre linke Hand. Falten Sie das Papier mit beiden Händen einmal zur Hälfte und legen Sie es sich auf den Schoß. Ich habe die Kombination „zur Hälfte falten“ bei Google eingegeben und 180 Seiten gefunden. Für „in der Mitte falten“ fand ich 948 Seiten. Die Kombination „in der Mitte falten“ scheint also gebräuchlicher zu sein. In unserem Text erscheint zwar nicht die Infinitivform, aber die Kombination mit dem Objekt „Papier“ ist zu spezifisch für eine Google-Abfrage. Lösungsvorschlag zu Kapitel 8 Die Argumentation könnte etwa wie folgt verlaufen. Sie könnten das Gespräch damit beginnen, dass Sie die Gesprächspartner dort abholen, wo sie sind. Die Soziologen werden vermutlich zunächst einmal über die Bedeutungsunterschiede zwischen den Adjektiven, die sich auf die Höhe des Geldbetrags beziehen, reden wollen. Sie werden fragen, ob „beachtlich“ hier das gleiche bedeutet wie „groß“ <?page no="200"?> Lösungsvorschlag zu Kapitel 8 201 und ob „größer“ mehr ist als „groß“. Ferner ob „viel Geld“ eigentlich mehr Geld oder weniger als „ziemlich viel Geld ist. Diese Fragen können Sie am besten beantworten, wenn Sie den Differenzierungsgrad berücksichtigen. Sie könnten dann zeigen, dass solche Fragen auftauchen, wenn man die Textstelle isoliert betrachtet. Wenn Sie die Funktion dieser Textstelle klären, lassen sie sich relativ leicht beantworten. Die Antwort könnte so aussehen: Die Frage aus dem ISSP ist eingebettet in das Thema „soziale Netze“, d.h. in Situationen wie den in der Aufgabenstellung genannten. Die Frage soll bei den Befragten eine prototypische Szene zum Thema „Geld leihen“ in einer Hilfesituation hervorrufen. Der prototypische Geldbetrag in einer solchen Situation ist nicht ein paar Euro, sondern in der Tat eine größere Summe, vielleicht ein paar hundert oder sogar ein paar tausend Euro. Wenn wir die Liste der Varianten unter diesem Gesichtspunkt betrachten, ist es eigentlich ganz egal, welche Variante wir wählen, denn die durch den Kontext entstehende Soziale-Netze-Vorstellung impliziert, dass eine größere Summe gemeint ist. Allerdings unterscheiden sich die Varianten in stilistisch-situativer Hinsicht: „beträchtlich“ und „Geldsumme“ klingen eher formell, implizieren also einen niedrigeren Vertrautheitsgrad als z.B. „groß“ und „Geld“. „Eine Menge Geld“ impliziert einen höheren Vertrautheitsgrad als z.B. „viel Geld“. Bei der Auswahl unter den stilistischen Varianten wird man sich davon leiten lassen, ob die Fragen schriftlich oder mündlich gestellt werden. Ich würde empfehlen, in der Frage nach dem notwendigen Differenzierungsgrad noch einen Schritt weiter zu gehen. Man kann, wenn man darauf vertraut, dass sich die Befragten im Kontext der sozialen Netze eine prototypische Szene vorstellen, nämlich auch eine viel einfachere Variante wählen. Es genügt meiner Ansicht nach zu sagen: Angenommen, Sie müssten sich Geld leihen, wen würden Sie zuerst um Hilfe bitten? Wenn Sie sicher gehen wollen, dass die richtige Szene im Kopf der Befragten aufgerufen wird, können Sie ein Beispiel hinzufügen: Angenommen, Sie müssten Geld leihen, um z.B. Möbel oder ein Auto zu kaufen, wen würden Sie zuerst um Hilfe bitten? <?page no="202"?> Bibliographie Albrecht, Jörn (2005): Übersetzung und Linguistik. (Grundlagen der Übersetzungsforschung 2). Tübingen: Narr. Alves, Fabio (Hrsg.) (2003): Triangulating Translation. Perspectives in process oriented research. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins. Austermühl, Frank (2001): Electronic Tools for Translators. Manchester: St. Jerome. Barbosa, Heloisa G. & Neiva, Aurora M.S. 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K. 45, 47 Hansen, Gyde 101, 115 Harkness, Janet 18, 62, 64 Heath, David 38, 181 Henschelmann, Käthe 16 Hohenadl, Christa 65 Holz-Mänttäri, Justa 54 Homer 122 Hönig, Hans G. 9, 19, 29, 33, 65, 68, 75, 85, 93, 97, 101, 115, 161-163, 171 Hörmann, Hans 29 House, Juliane 93 Huber, Dieter 15 Jääskeläinen, Riitta 94, 97, 101 Jakobsen, Arnt Lykke 95, 97, 104 Jensen, Astrid 96-97 Kade, Otto 19, 63 Kadric, Mira 16 Kaindl, Klaus 16, 170 Kaiser-Cooke, Michèle. 16 Kautz, Ulrich 9, 33, 65, 75, 78-80, 171 Kekulé, August 123, 142 Kiraly, Donald 153, 155 Koestler, Arthur 142 Koller, Werner 19, 26, 34, 63 Königs, Karin 15 Königs, Frank 95 Krings, Hans-Peter 91-95, 97 Kupsch-Losereit, Sigrid 9, 18, 33 Kußmaul, Paul 19, 28, 33, 46, 49, 50, 63, 65, 93, 98, 102-103, 106, 109, 122, 125, 128, 130, 132, 141, 171, 196 Lakoff, George 31, 112 Langacker, Ronald W. 68 Lederer, Marianne 142, 150 Leisi, Ernst 32, 77 Lewandowska-Tomaszczyk, Barbara 33 Livbjerg, Inge 97 Lörscher, Wolfgang 95, 97 Marx, Karl 56 McIntosh, Angus 45, 47 Mees, Inger M. 97, 101 Neiva, Aurora M. S. 97 Neubert, Albrecht 19, 33, 63 Nida, Eugene A. 19 Norberg, Ulf 101 Nord, Britta 11, 75, 79 Nord, Christiane 11, 54, 106, 171, 173 Opitz, Conny 96-97 Paepcke, Fritz 12 Pinker, Steven 151 Preiser, Siegfried 122-123, 136 Prun , Erich 65 Putnam, Hilary 31 Pym, Anthony 66 Reiß, Katharina 41, 54, 121, 170 <?page no="213"?> Namenregister 214 Rickheit, Gert 32, 76, 130, 142 Rosch, Eleanor 30, 31 Rothe-Neves, Rui 97 Schadewaldt, Wolfgang 122-123 Schäfer, Bernd 153 Schäffner, Christina 116-117, 175, 192, 193 Schmid, Annemarie 93 Schmitt, Peter A. 49, 62, 169, 173 Schottländer, Rudolf 122-123 Séguinot, Candace 97 Seleskovitch, Danica 142, 150 Shuttleworth, Mark 61, 65, 68 Simon, H. A. 94, 105 Snell-Hornby, Mary 15, 33, 41, 63, 65, 171 Stanley-Jones, D. 124 Stolze, Radegundis 12, 65 Störig, Joachim 123 Strevens, Peter 45, 47 Strohner, Hans 32, 76, 130 Tannen, Deborah 50, 88-89 Tirkkonen-Condit, Sonja 94, 101 Ulmann, Gisela 123 Venuti, Lawrence 56 Vermeer, Hans J. 33, 41, 54, 121 Wahrig, Gerhard 20, 22, 37, 77, 148 Will, Renate 65 Wilss, Wolfram 19, 62, 161-162 Witte, Heidrun 41 Wotjak, Gerd 63 <?page no="214"?> Sachregister Absicherung 70-71, 189 Adäquatheit 63, 121 Äquivalenz 63-70, 121, 165, 186 Arbeitsgedächtnis 76, 78, 107 Auftrag (s. auch Übersetzungsauftrag) 22, 33, 54, 106, 125, 168 Auftraggeber 47, 54, 61-62, 163, 167, 168, 173, 174, 175 Bearbeitung 54, 121 Beurteilung (s. auch Evaluation) 66, 108-109, 111, 113, 128, 168, 170, 172, 196 Blockade (s. auch mentale Blockade) 131 Blockadenüberwindung 110 Bottom-up-Prozesse 29, 32, 70, 75, 78, 86, 105, 107, 109, 111, 147, 154, 166, 193, 196 Brainstorming 136 chaining (s. auch Verkettung) 112 close translation 64 defekte Texte 166 deskriptive Stilistik 46 Dialogprotokoll 93-94, 97, 99, 119, 130, 138-140, 149, 194, 197 Differenzierung 65, 73, 79 Divergenz (s. auch Diversifikation) 26- 27, 34, 85, 155, 176, 181, 182 Diversifikation (s. auch Divergenz) 26 Ethik des Übersetzens 14, 164-165 Evaluation (s. auch Beurteilung) 14, 106, 123, 168-170, 176 Explizitheit 61, 150 Fachleute 31, 50, 54, 59, 168 Fachsprache 31-32, 46, 81, 181, 184 Fachterminus (s. auch Terminus) 175, 185, 186 Fachtext 168, 185 Fachwort 55, 186 falscher Freund 18, 21, 35, 37, 188 Fehler 62, 66, 88, 154, 168, 170-171, 190 Fidelität (s. auch Treue) 165, 167 Fokussierung 68, 105, 132, 148, 163 Funktion 9, 13, 17-18, 24, 33, 37, 43, 54, 64-65, 68, 76, 81, 83, 89, 96-98, 104, 107, 144, 146, 150, 153, 163, 164-165, 168, 184, 187-195, 201 Funktionalist 33, 63 Funktionskonstanz 54-55, 64, 170 Funktionsveränderung 54-55, 170, 185 fuzziness 70, 86 geographische Herkunft 47 Handlungstheorie 54 Hermeneutik 12 Hintergrundwissen 82, 110, 113 Homonymie 19 Interferenz 18 Introspektion 92 Invarianz (s. auch Äquivalenz) 63, 121 Kern 30-32, 63, 66, 128, 148 Kernelement 128, 132, 150 Kernvorstellung 31, 33, 36, 128, 137, 155, 164, 166-168, 173, 176, 177 Kognitionslinguistik 28, 33, 124, 132, 164 kognitive Semantik 12, 28 Kohärenzprinzip 193 Kollokation 24-26, 38, 80, 148, 163, 180, 188 Konvergenz 34, 181 Korrekturlesen 169, 170 kreatives Übersetzen 14, 115, 121-122, 131, 137, 142, 148, 197 Kreativität 13, 121-122, 124, 131, 142, 164, 172, 192, 194, 198 Kreativitätsforschung 14, 122-124, 132, 136 Kultur 13, 37, 41, 43, 48, 53, 55-57, 63, 76, 82, 89, 122, 145, 173, 180, 184, 190, 197 kulturelle Einbettung 41-45, 100, 180 kultureller Hintergrund 41, 43, 48, 53, 76, 173, 180 Langzeitgedächtnis 76, 113 LD-Protokolle (s. auch Protokolle des lauten Denkens) 92, 93, 95, 101, 117 Lexem 19, 20, 21-27, 32, 176, 181, 186 lexikalisches Wissen 29, 77, 113 Lexikon 77, 78, 87, 188 <?page no="215"?> Sachregister 216 Lokalisierung 55-56, 121 Medium 46, 50-52, 55, 129, 185 mentale Blockade (s. auch Blockade) 76, 131 mentale Repräsentation 130, 141, 152 mentale Vorstellung 32, 70, 129-130, 132, 145, 152 mentales Lexikon 77-78, 87 Metapher 24, 32, 47, 107, 111-118, 123- 124, 193 metasprachliche Kompetenz 103, 114, 175 Monologprotokoll 93-94 Monosemierung 21 Paraphrase 36, 99-100, 111, 115, 166, 168, 195, 198 Partizipation 46, 49, 51, 52, 185 Plausibilität 28, 33, 71, 101, 109, 147, 153, 154, 166-168, 173 Polysemie 19, 21-22, 32 Pragmatik 15, 16, 41 Problemlösen 62, 104, 116, 161-162 professionelles Argumentieren 14, 176- 177 Protokolle des lauten Denkens (s. auch LD-Protokolle) 92 Prototyp 30-31, 48, 77, 145, 170 Prototypensemantik 30, 32, 42, 46, 48, 66, 105, 128, 130, 141, 148, 155, 167, 184 prototypische Szene 47-49, 68, 149, 152, 201 prototypischer Vertreter 176, 184 prozedurales Wissen 114 Prozessforschung 96 Psycholinguistik 28, 70, 194 Qualitätskontrolle 14, 168-170 Rahmen 13-14, 32-33, 37, 42, 86, 100, 103, 125, 128-129, 132-133, 137-138, 147, 149-150, 152-153, 155, 196-198 Recherche 25, 30, 37, 75, 77-79, 85, 87-89, 119, 123, 136-137, 163-164, 180-181 Reflex 161-163 Reflexion 14, 108, 111, 113-116, 161-163, 170 Register 47, 185 Retrospektion 95 Risikomanagement 62 Routine 14, 161-162 Rückübersetzung 64 Sachwissen 78, 114 Scenes-and-frames-Semantik 32-33, 45, 48, 77, 105, 125, 128, 130, 155, 170, 176 Selbstbewusstsein 101, 172 Selbstvertrauen 101, 113 Semem 19-26, 32, 189, 194 Situation 13, 22, 31, 36, 41, 43, 45-50, 51- 55, 58, 63, 65, 71, 79, 93-94, 96, 106, 109, 130-131, 136, 156, 169, 175, 181, 195, 201 Skopos 54, 56, 63 Skopostheorie 54, 63, 121, 170 Softwarelokalisierung 55 soziale Relation 51 soziale Schicht 47, 50 Soziolekt 46 Sprachwissen 114 Stereotyp 31 Stil 45-46, 50, 52, 56, 58-59, 61-62, 79, 84, 129, 158, 181, 195 Strategie 9, 14, 52, 65-66, 68-69, 71, 98, 107, 114, 163, 166 strukturelle Semantik 12, 19, 28, 32 Syntax 15, 25, 49 Szene 32-37, 39, 42, 45, 48-49, 52, 67-69, 86, 99, 107, 112-113, 115, 125, 127, 128- 129, 131, 137-138, 141, 147, 149, 151- 155, 163-168, 170, 176, 179, 182, 186- 188, 193-196, 200-201 Szenenelement 110, 113, 128-129, 131- 132, 137-138, 147, 150-152, 166 Szenenindikator 98, 136, 195 Szenenstimulation 156, 163-164 szenische Vorstellung 36, 115, 132, 137, 164, 192, 197 Tabu 43-44, 56 Terminologie 42, 50, 79, 113, 175, 179, 184 Terminus (s. auch Fachterminus) 19, 31, 36-37, 67, 168, 175, 183, 198 Textanalyse 75, 77-78, 85-87, 89, 107, 113-115, 136, 164, 189-190 Textfunktion 63, 114, 163 Textkohärenz 107, 114, 117 Textsorte 14-15, 55, 71, 97 Texttyp 15, 97, 170 Top-down-Prozess 32-33, 70, 75, 78, 86, 97-98, 105, 107-109, 149, 154, 166, 193, 195-196 <?page no="216"?> Sachregister 217 Treue (s. auch Fidelität) 165, 167-168, 173 triangulation 95 Übersetzungsauftrag (s. auch Auftrag) 63, 65, 82, 87, 96, 98, 103, 106, 158, 163, 168 Übersetzungsfunktion (s.auch Funk tion) 43, 91 Übersetzungsprozess 61, 79-80, 93, 125, 129-130, 170 Übersetzungsschwierigkeit 100, 115 Unbestimmtheit 86 Unschärfe (s.auch fuzziness) 70 unscharfe Ränder 30, 33, 70, 77, 128, 155, 164, 182 Verkettung (s. auch chaining) 112, 115, 164, 193 Verstehensprozess 29, 33, 62, 67, 84, 86, 100, 111, 141, 145, 182, 193 Vertrauen 70-71 Vertrautheitsgrad 46, 48-52, 148, 184- 185, 201 Verwendungsbereich 21, 46, 50, 185 Vierphasenmodell 123, 136, 170 Visualisieren 14, 137, 141-142, 145-147, 150, 152, 156, 177, 200 Weltwissen 12, 29, 76-77, 80, 82, 88, 97- 99, 100, 108-109, 111, 113-115, 154, 164, 176, 197 Wörterbuch 11, 13, 17, 20, 25, 29, 35-37, 46, 77-82, 97, 99, 103, 134, 136, 142, 144, 179, 186, 188, 190 Wortspiel 22, 158, 199 Zeit 9, 31, 46-48, 55-56, 76, 86, 94, 102, 109, 114, 130, 147, 154, 190 Zertifizierung 169 <?page no="217"?> Bewusst verstanden - besser übersetzt! Das vorliegende Lehr- und Arbeitsbuch mit Aufgaben widmet sich einem Kernthema des Übersetzens: es geht um das Verstehen der Wörter des Ausgangstextes. Auf diesen Aspekt wird in der Übersetzer-Ausbildung großer Wert gelegt, da garantiert eine Fehlübersetzung herauskommt, wenn ein Übersetzer ein Wort der Ausgangssprache nicht richtig verstanden hat - mit z.T. amüsanten, z.T. aber auch gravierenden Folgen. Ziel des Studienbuches ist es, den Studierenden Verstehenstechniken und -strategien auf kognitionslinguistischer Grundlage an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie professionell übersetzen lernen. ISBN 978-3-8233-6350-7