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Unterrichtskommunikation

Eine linguistische Untersuchung der Gesprächsorganisation und des Dialektgebrauchs in Gymnasien der Deutschschweiz

1212
2007
978-3-8233-7363-6
978-3-8233-6363-7
Gunter Narr Verlag 
Astrid Steiner

Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine empirische Untersuchung von Unterrichtskommunikation auf der Grundlage authentischen Materials. Sie ordnet sich ein in den Rahmen der empirisch-diskursanalytischen Erforschung institutioneller Kommunikation, die in den letzten beiden Dekaden international einen unerhörten Aufschwung genommen hat. Die Untersuchung der gesprächsstrukturellen Organisation des Sprecherwechsels (turn-taking) im Unterricht mündet in ein zugleich differenziertes und überschaubares Modell der turn-Organisation im Unterricht. Die Beobachtungen zu den Äußerungsfolgen in den Gesprächssequenzen (adjacency pairs) zeigen den Einfluss der Institution Schule auf den Gesprächsverlauf im Kontrast zu alltagssprachlichen Dialogstrukturen sowie die systematische Verzerrung bzw. strukturelle Asymmetrie institutioneller Kommunikation auf. Schließlich wird der Dialektgebrauch im gymnasialen Unterricht in der Deutschschweiz untersucht, wobei mit einer genauen Differenzierung der kommunikativen Funktionen des Varietätenwechsels im Spannungsfeld interaktiver Motive und institutioneller Normen Bilanz gezogen wird. Im besten Sinne angewandter Linguistik münden die Ergebnisse der Untersuchung in konkrete Empfehlungen für die standardsprachliche Sprechpraxis in der Schule.

<?page no="0"?> KODIKAS / CODE Supplement 29 Astrid Steiner Unterrichtskommunikation Eine linguistische Untersuchung der Gesprächsorganisation und des Dialektgebrauchs in Gymnasien der Deutschschweiz Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="1"?> Unterrichtskommunikation <?page no="2"?> KODIKAS / CODE Supplement 29 Herausgegeben von Achim Eschbach Ernest W. B. Hess-Lüttich Jürgen Trabant <?page no="3"?> Astrid Steiner Unterrichtskommunikation Eine linguistische Untersuchung der Gesprächsorganisation und des Dialektgebrauchs in Gymnasien der Deutschschweiz Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. Publiziert mit Unterstützung der Karl-Jaberg-Stiftung, Bern. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Ilmprint, Langewiesen Printed in Germany ISSN 0941-0139 ISBN 978-3-8233-6363-7 <?page no="5"?> 5 INHALTSVERZEICHNIS VORWORT .............................................................................................. 9 1. INSTITUTION............................................................................. 11 1.1. Begriffserklärung ..................................................................... 11 1.2. Eigenschaften von Institutionen ............................................ 14 1.3. Schulisches Institutionswissen............................................... 16 2. INSTITUTIONELLE KOMMUNIKATION ............................ 21 2.1. Transdisziplinärer Forschungsstand..................................... 21 2.2. Spezifik von institutioneller Kommunikation ..................... 24 3. KOMMUNIKATION IN DER INSTITUTION SCHULE...... 27 3.1. Forschungsbericht.................................................................... 28 3.2. Linguistische Ansätze.............................................................. 32 3.2.1. Die Linguistisierung der Unterrichtsforschung ............... 32 3.2.2. Die angelsächsische Diskursanalyse .................................. 38 3.2.3. Die ethnomethodologische Konversationsanalyse .......... 41 3.2.4. Der Beitrag der funktionalen Pragmatik ........................... 44 3.2.4.1. Grundlagen der funktionalen Pragmatik ............................. 44 3.2.4.2. Funktional-pragmatische Unterrichtsanalyse ..................... 46 3.3. Unterricht als kommunikatives & institutionelles Ereignis 49 4. METHODISCHE VORGEHENSWEISE .................................. 55 4.1. Videoaufnahmen...................................................................... 55 4.1.1. TIMSS und Swiss Classroom Video Studies ..................... 56 4.1.2. Erhebung der Videodaten.................................................... 58 4.2. Transkription ............................................................................ 60 4.2.1. Das Transkriptionssystem EXMARaLDA ......................... 61 4.2.2. Hinweise zum Lesen der Transkripte ................................ 62 4.2.2.1. Zeichenerklärung..................................................................... 64 4.2.2.2. Abkürzungen........................................................................... 64 5. TURN-TAKING .......................................................................... 65 5.1. Der Sprecherwechsel als zentrale Schaltstelle ..................... 66 5.1.1. Regeln des Sprecherwechsels .............................................. 67 5.1.2. Formen des Sprecherwechsels ............................................ 69 5.2. Die turn-Organisation im Unterricht .................................... 70 5.2.1. McHoul: „The organization of turns in the classroom” .. 71 5.2.2. Mazeland: „Sprecherwechsel in der Schule“ .................... 74 5.2.3. Redder: turn-Organisation im Unterrichtsdiskurs........... 77 <?page no="6"?> 6 5.3. Modell für die turn-Organisation im Unterricht................. 80 5.3.1. Sprecherwechsel nach Aufforderung................................. 81 5.3.1.1. Lehrer-Schüler-initiierte turn-Aufforderung ....................... 81 5.3.1.2. Lehrer-initiierte turn-Aufforderung ..................................... 95 5.3.1.3. Schüler-initiierte turn-Aufforderung ................................. 103 5.3.2. Sprecherwechsel nach Selbstwahl .................................... 107 5.3.2.1. Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers ................ 107 5.3.2.2. Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Schülers ............... 115 5.3.3. Regeln für die turn-Organisation im Unterricht ............ 129 5.3.4. Übersicht über das Modell für die turn-Organisation... 133 6. GESPRÄCHSSEQUENZEN .................................................... 135 6.1. Adjacency pairs ...................................................................... 135 6.2. Gesprächssequenzen im Unterricht .................................... 138 6.2.1. Gesprächssequenzen nach Aufforderung ....................... 139 6.2.1.1. Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen ................ 139 6.2.1.2. Lehrer-initiierte Gesprächssequenzen ............................... 144 6.2.1.3. Schüler-initiierte Gesprächssequenzen.............................. 150 6.2.2. Gesprächssequenzen nach Selbstwahl............................. 152 6.2.2.1. Gesprächssequenzen nach Selbstwahl des Lehrers ......... 152 6.2.2.2. Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler ......... 152 6.2.3. Übersicht über die Gesprächssequenzen im Unterricht 157 6.3. Einfluss der Schule auf die Gesprächssequenzen ............. 158 7. DER DIALEKTGEBRAUCH IM UNTERRICHT ................. 169 7.1. Das Bildungswesen in der Schweiz..................................... 169 7.1.1. Geschichtlicher Überblick über das Bildungswesen...... 169 7.1.2. Der Sekundarbereich .......................................................... 171 7.1.2.1. Geschichtlicher Überblick über den Sekundarbereich .... 171 7.1.2.2. Rechtliche Grundlagen......................................................... 174 7.2. Die Sprachsituation in der Deutschschweiz ...................... 175 7.2.1. Geschriebene Mundart ....................................................... 177 7.2.2. Gesprochene Standardsprache.......................................... 179 7.3. Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz ....... 182 7.3.1. Einfluss der Schule auf die Varietätenpräferenz ............ 182 7.3.2. Kritik an der „Mundartwelle“........................................... 186 7.3.3. Lehrpläne, Weisungen, Empfehlungen ........................... 190 7.3.3.1. Kindergarten.......................................................................... 192 7.3.3.2. Volksschule ............................................................................ 192 7.3.3.3. Berufsschule........................................................................... 199 7.3.3.4. Gymnasium ........................................................................... 199 <?page no="7"?> 7 7.3.4. Synthese der Festlegung der Unterrichtssprache ........... 202 7.4. Kommunikative Funktionen des Dialektgebrauchs ......... 207 7.4.1. Dialektales Sprechen beim Lehrer .................................... 210 7.4.1.1. Start- und Schlusssignalfunktion....................................... 210 7.4.1.2. Veranschaulichungsfunktion ............................................. 219 7.4.1.3. Einverständnisfunktion ...................................................... 220 7.4.1.4. Zuwendungsfunktion ......................................................... 220 7.4.1.5. Disziplinierungsfunktion.................................................... 221 7.4.1.6. Verständnissicherungsfunktion......................................... 223 7.4.2. Dialektales Sprechen bei den Schülern ............................ 223 7.4.2.1. Veranschaulichungsfunktion ............................................. 224 7.4.2.2. Einverständnisfunktion ...................................................... 226 7.4.2.3. Verständnissicherungsfunktion......................................... 227 7.4.2.4. ‚Hilfe! ’-Funktion .................................................................. 229 7.4.2.5. Intensivierungsfunktion ..................................................... 231 7.4.2.6. Einbezugsfunktion............................................................... 231 7.4.2.7. Rückzugsfunktion ............................................................... 233 7.4.2.8. Korrektur- und Widerspruchsfunktion ............................ 234 7.4.2.9. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsfunktion ............ 238 7.4.3. Dialekt-Reviere.................................................................... 239 7.4.3.1. Absolute Dialektreviere ...................................................... 240 7.4.3.2. Interaktionelle Dialekt-Reviere .......................................... 243 7.4.4. Schlussbemerkungen zu den Funktionen des Dialekts . 250 7.5. Bildungspolitischer und fachlicher Kontext ...................... 254 7.5.1. Vom Schriftdeutsch zum gesprochenen Hochdeutsch .. 256 7.5.2. Standardsprachliche Sprechkompetenzen der Lehrpersonen....................................................................... 258 7.5.3. Einstellungen der Lehrpersonen....................................... 263 7.5.4. Projekte zur Förderung der Standardsprache ................. 268 7.5.5. Orientierungskompetenz von fremdsprachigen Schülern ............................................................................. 276 7.5.6. Mundartsequenzen im Unterricht .................................... 280 7.5.7. Empfehlungen für die Sprechpraxis in der Schule ......... 281 8. ZUSAMMENFASSUNG ......................................................... 287 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................ 291 ANHANG........................................................................................... 307 <?page no="9"?> 9 VORWORT Mit der vorliegenden Untersuchung soll ein empirischer Beitrag zur linguistischen Analyse von Unterrichtskommunikation auf der Grundlage authentischen Materials geleistet werden. Als Forschungsbereiche habe ich die Gesprächsorganisation und den Dialektgebrauch in Gymnasien der Deutschschweiz gewählt, da ich mich als Linguistin für die theoretischen Aspekte dieser Forschungsgegenstände interessiere und als Mittelschullehrerin im beruflichen Alltag permanent mit Fragen der Gesprächsorganisation und Varietätenwahl konfrontiert bin. Die Kapitel 1 und 2 klären die grundlegenden Begriffe ‚Institution’ und ‚institutionelle Kommunikation’, wobei der aktuelle Forschungsstand zum Begriff der Institution und zu den wichtigsten Ansätzen zur Analyse institutioneller Kommunikation transdisziplinär umrissen wird. Die Kommunikation in der Institution Schule steht in Kapitel 3 im Zentrum, das einen Forschungsbericht über die bisherigen Ergebnisse der linguistischen Unterrichtsforschung bietet und das schulische Unterrichtsgeschehen als zugleich kommunikatives und institutionelles Ereignis beschreibt. Kapitel 4 erörtert die methodische Vorgehensweise bei der Erhebung und Transkription der Videodaten für die qualitative videogestützte Unterrichtsanalyse. Kapitel 5 untersucht die gesprächsstrukturelle Organisation des Sprecherwechsels (turn-taking) in alltäglichen Gesprächen und im schulischen Unterricht. Dabei soll ein zugleich differenziertes und überschaubares Modell des Sprecherwechsels im Unterricht mit einer lehrerzentrierten kommunikativen Ordnung herausgearbeitet werden, das die spezifischen institutionellen Handlungsbedingungen in der Institution Schule berücksichtigt. Die Verknüpfung der einzelnen Gesprächsschritte zu Gesprächssequenzen (adjacency pairs) im lehrerzentrierten Unterrichtsdiskurs wird in Kapitel 6 vorgestellt und es wird aufgezeigt, wie die Institution Schule die Gesprächssequenzen im Unterricht beeinflusst. Kapitel 7 widmet sich ausführlich dem Dialektgebrauch im Unterricht in der Deutschschweiz. Nach einer Darstellung des schweizerischen Bildungswesens und der Sprachsituation in der deutschen Schweiz steht die Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz im Zentrum, bevor die kommunikativen Funktionen des Varietätenwechsels im Unterricht untersucht werden. Schliesslich wird die aktuelle bildungspolitische Debatte zum Gebrauch des Dialekts und der Standardsprache im schulischen Unterricht eingebunden, die in Empfehlungen für die standardsprachliche Sprechpraxis in der Schule mündet. <?page no="10"?> 10 An dieser Stelle möchte ich allen, die zum Zustandekommen dieser Arbeit beigetragen haben, herzlich danken: Dank dafür, dass diese Dissertation entstehen konnte, gebührt insbesondere Prof. Dr. Dr. Ernest W. B. Hess-Lüttich vom germanistischen Institut der Universität Bern. Er hat mein Interesse für den Fachbereich der Angewandten Linguistik und Kommunikationswissenschaft geweckt und gefördert und mich bei der Entstehung dieser Arbeit verständnisvoll betreut und ermuntert. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Kurt Reusser vom Pädagogischen Institut der Universität Zürich und seiner damaligen wissenschaftlichen Assistentin lic. phil. Kathrin Krammer. Dank ihrer Mithilfe konnte die Arbeit in dieser Form entstehen: Sie stellten mir das Korpus für meine Untersuchung zur Verfügung und übernahmen für mich die Abklärungen für die Verwendung dieser Videoaufnahmen bezüglich der Nutzungsrechte und des Datenschutzes. Die Karl-Jaberg-Stiftung hat für die Publikation einen Beitrag an den Druckkostenzuschuss gewährt. Ohne die Kooperation der Schüler 1 und Lehrer, die einer Analyse ihrer Kommunikation im Unterricht zugestimmt haben, hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Auch ihnen gilt mein Dank. Ganz besonders herzlich möchte ich all jenen danken, die im Laufe meiner Arbeit dafür sorgten, dass ich durch die nötige Abwechslung zum einsamen Dschungel linguistischer Beschäftigung die Freude am Thema behielt. 1 Alle in dieser Arbeit verwendeten männlichen Sprachformen schließen Frauen mit ein, sofern sich aus dem Kontext nichts Gegenteiliges ergibt. <?page no="11"?> 11 1. INSTITUTION Wer den Versuch unternimmt, Aspekte der Unterrichtskommunikation auf der Gymnasialstufe zu beschreiben, muss sich auch mit den Funktionen und den spezifischen Merkmalen von Institutionen befassen, um keine entscheidenden Determinanten des Sprachverhaltens in Institutionen außer Acht zu lassen. Zu Beginn steht deshalb die Institution im Zentrum des Interesses, wobei zuerst die heterogene Benutzung des Begriffs in der Alltagssprache und in der Forschung erläutert wird (Kap. 1.1), bevor auf die Eigenschaften von Institutionen eingegangen wird (Kap. 1.2). Ehlich/ Rehbein (1977) haben Strukturen im Aufbau des institutionsspezifischen Aktantenwissens am Beispiel der Schule identifiziert. Dieses schulische Institutionswissen wird anschließend vorgestellt (Kap. 1.3). 1.1. Begriffserklärung In der Alltagssprache wird der Begriff ‚Institution’ meist für öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Krankenhäuser verwendet. Viele Arbeiten im Zusammenhang mit Institutionen gehen nicht von expliziten Erörterungen oder gar einer Theorie der Institution aus, sondern das alltägliche Institutionsverständnis wird implizit oder explizit zugrunde gelegt. Die Forschung hat ein umfassenderes Verständnis von Institutionen. Die Geschichte des Ausdrucks ‚Institution’ zeigt, dass in ihrem Verlauf sehr unterschiedliche Interpretationen, was eine Institution ist, vorgelegt worden sind. Ehlich/ Rehbein (1979a: 289-306) haben einen ausführlichen Aufsatz über die Begriffsgeschichte verfasst. Das Nomen ‚institutio’ bildet dabei den lateinischen Ausgangspunkt des Ausdrucks ‚Institution’. Die mittelalterliche Tradition des Ausdrucks ‚institutio’ bleibt ungeklärt, doch in der Neuzeit ist der Ausdruck in verschiedenen europäischen Sprachen unter Anschluss an die Verwendungen des Lateinischen weiterentwickelt worden. Die Rekonstruktion der Begriffsgeschichte in der frühen Neuzeit gestaltet sich für den deutschen Sprachraum als schwierig. Für die neueren Auffassungen von Institutionen unterscheiden Ehlich/ Rehbein drei gegensätzliche Hauptpositionen: a) eine sieht Institutionen als gesellschaftswissenschaftliche Grundkategorie an; <?page no="12"?> 12 b) die andere dagegen fundiert die Gesellschaftstheorie im individuellen Handeln, so dass Institutionen lediglich als Aggregate von individuell zu verstehenden Handlungen gelten. c) Daneben gibt es eine Auffassung, die Institutionen als spezifische Vermittlungsformen der gesellschaftlichen Gesamtbewegung fasst. (Ehlich/ Rehbein 1979a: 297) In der ersten Auffassung hat die Institution eine fundamentale gesellschaftstheoretische Bedeutung. Eine zweite Grundströmung geht bei der Analyse des Sozialen vom Individuum aus und konstruiert von ihm her die verschiedenen gesellschaftlichen Objekte und Verhältnisse. In der dritten Auffassung werden die gesellschaftlichen Erscheinungen in ihrer Komplexität zum Thema, weil der Mensch in seinem konkreten gesellschaftlichen Handeln und die Gesellschaft selbst als Gegenstand entdeckt wurden. Ein wichtiges Kennzeichen verschiedener Institutionsauffassungen ist, dass ‚Institution’ zur Bezeichnung von gesellschaftlich verbindlichen ‚Sachverhalten’ verwendet wird und dementsprechend der Ausdruck für einen sehr weiten Bereich gesellschaftlicher Erscheinungen verwendet werden kann. Vielleicht am deutlichsten gebraucht der französische Soziologe Emile Durkheim ihn in diesem Sinn. Bei ihm wird der Ausdruck ‚Institution’ Terminus zur Bezeichnung des ‚fait social’ und er charakterisiert die Soziologie dementsprechend als die Wissenschaft von den Institutionen (vgl. Ehlich/ Rehbein 1979a: 307). In einem solchen Verständnis wird auch die Sprache - da sie gesellschaftlich verbindlich ist - als Institution bezeichnet: Wird auch Sprache als Institution verstanden, so ist das Konzept der Institution notwendig sehr weit, ja vage. Die Institutionsauffassung ist „maximalistisch“, d.h. sie umgreift eine Vielzahl gesellschaftlicher Phänomene, so dass auch die Sprache darunter fallen kann. Gerade um den gesellschaftlichen Charakter von Sprache zu betonen, wird sie als Institution bezeichnet. (Ehlich/ Rehbein 1979a: 307) Nach Meinung von Ehlich/ Rehbein wird damit aber die spezifische Funktion von Sprache innerhalb von Institutionen tendenziell nivelliert. Sie plädieren aus diesem Grund dafür, „die Gesellschaftlichkeit von Sprache als solche als eigenes Objekt zu behandeln und den Ausdruck ‚Institution’ im oben behandelten Sinn als ‚Formen gesellschaftlicher Vermittlung’ zu verstehen und die Rolle der Sprache in ihnen spezifisch zu untersuchen“ (Ehlich/ Rehbein 1979a: 308). Auch in der linguistischen Diskussion wird der Begriff der Institution meist in einem relativ weiten Sinne gefasst. So schreibt Wunderlich zum Begriff der Institution: <?page no="13"?> 13 Eine Institution hat einen bestimmten Zweck im Gesamtzusammenhang der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion; sie ist ein Komplex von wechselseitig aufeinander bezogenen Aktivitäten von Personen; dabei können die Personen im Rahmen der Institution verschiedene Stellungen, Befugnisse usw. innehaben; die Aktivitäten können prozedural geregelt sein und sind deshalb relativ unabhängig von den persönlichen Eigenschaften der in der Institution Agierenden; die Institution als Ganzes kann ein Gebilde des kodifizierten Rechts sein. Zu den Aktivitäten im Rahmen einer Institution gehören zentrale Aktivitäten, ohne die die Institution nicht bestehen würde, und eine Reihe peripherer Aktivitäten, die zur Stabilisierung der Institution und den Wechselbeziehungen der Institution mit anderen gesellschaftlichen Prozessen beitragen. (Wunderlich 1976: 312) Ehlich/ Rehbein (1977, 1979a, 1986) analysieren aus der Sicht einer Theorie des sprachlichen Handelns Institutionen als gesellschaftliche Subsysteme, die gesellschaftlich ausgebildete Zwecke erfüllen. Dabei verbinden sie die Institutionsanalyse als Analyse dieser Zwecke mit der Musteranalyse institutionellen Handelns. Sie teilen die Auffassung der soziologischen Literatur nicht, in denen Institutionen häufig als gesellschaftliche Grundbegriffe erscheinen. Institutionen sind für Ehlich/ Rehbein gesellschaftliche Apparate, mit denen komplexe Gruppen von Handlungen in einer zweckeffektiven Weise für die Reproduktion einer Gesellschaft prozessiert werden, und bilden spezifische Ensembles von Formen (vgl. Ehlich/ Rehbein 1979a: 318). Institutionen haben eine spezifische Struktur mit bestimmten Verbindlichkeiten für die darin Handelnden, mit bestimmten Konventionen, mit einem spezifischen Personal, zum Teil mit eigenen Gebäuden, sind abhängig von den spezifischen Gesellschaftsformen, von denen sie unterhalten werden und haben eine aktive Funktion für die Reproduktion eben dieser jeweiligen Gesellschaftsformen. Becker-Mrotzek/ Vogt (2001: 5) definieren Institutionen als „verfestigte gesellschaftliche Einrichtungen, die mit speziell ausgebildetem Personal wiederkehrende Aufgaben nach festgelegten Regeln erledigen.“ Ehlich/ Rehbein (1980: 339-342) und Brünner (1987: 22f.) nennen wichtige Institutionen, zu denen linguistische oder linguistisch ausgerichtete Arbeiten vorliegen. Ehlich/ Rehbein gehen dabei auf Institutionen der Produktion und Zirkulation, Institutionen der individuellen Reproduktion und der Ausbildung, juristische, politische, kulturelle und religiöse Institutionen ein. Brünner orientiert sich an der Darstellung von Ehlich/ Rehbein, verweist aber zusätzlich auf einige Arbeiten der 1980er Jahre. Becker-Mrotzek (1992) hat zur Diskursforschung und Kommunikation in Institutionen eine Studienbibliographie verfasst, die Arbeiten bis zu Beginn der 1990er Jahre enthält. <?page no="14"?> 14 1.2. Eigenschaften von Institutionen Institutionen weisen eine Reihe von unterschiedlichen Eigenschaften auf. Da Institutionen verschiedene Zwecke erfüllen, schlägt Koerfer (1994: 113-115) eine funktionale Unterscheidung nach den gesellschaftlich ausdifferenzierten Haupt- und Nebenzwecken von Institutionen vor. So können Schule, Krankenhaus und Gerichte nach den verschiedenen Grundfunktionen der Erziehung, Gesundheitsfürsorge und Rechtsprechung unterschieden werden. Auf diese Weise lassen sich Institutionen gegeneinander abgrenzen und für empirische Analysen mit einer spezifischen Fragestellung zugänglich machen. Institutionen haben unterschiedliche Reichweiten und betreffen die Mitglieder einer Gesellschaft in unterschiedlicher Weise. Alltägliche Institutionen wie die Familie oder Schule gehören in unserer Kultur zu nahezu jedermanns Alltag oder haben zumindest für einen längeren Abschnitt zu seiner Biographie gehört. Die in diesen biographisch relevanten Dauerinstitutionen gemachten Handlungserfahrungen können entsprechend als Alltagswissen generalisiert werden. Für Schulanfänger stellt jedoch die Institution Schule zunächst eine nicht-alltägliche Institution dar. Daneben gibt es nicht-alltägliche Institutionen, die lediglich punktuell - wenn auch nach Häufigkeit und Gewicht verschieden - in die Biographie eingreifen. Während sich Gänge zu den Behörden periodisch einpendeln, sind Kontakte mit dem Gericht für die meisten eine Ausnahme. Die gleichen Institutionen stellen allerdings für Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Beamte einen relevanten Ausschnitt ihres Alltags dar, da sich ihr Beruf in dieser Institution abspielt. Ein erheblicher Teil der Probleme des Verstehens und der Verständigung zwischen den Vertretern der Institution und den Institutions-Laien resultiert daraus, dass für die einen eine fraglose Situation ist, in der sie routiniert und selbstverständlich agieren und interagieren, was für die anderen eine problematische oder gar krisenhafte Situation darstellt, in der „bei anhaltender Desorientierung die Kommunikation auf vielfältige Weise fehlschlägt“ (Koerfer 1994: 117). Da nicht-alltägliche Institutionen nur gelegentlich oder periodisch, aber nicht in derselben Weise wie etwa die Schule in unsere Biographie eingreifen, bleiben wir dort meist dem Laien-Status verhaftet. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass man in bestimmte Institutionen ‚hineinsozialisiert’ werden und den Laien-Status (z.B. als Erstklässler) in gewissem Umfang verlieren kann, bis man schließlich über ein spezifisches Handlungswissen im entsprechenden institutionellen Alltag verfügt. Eine Differenzierung von Typen von Institutionen nach dem Grad der Nähe/ Ferne von Institutionswissen und Alltagswissen ist notwendig, um spezifischen Problemen des Verstehens und der Verständigung in Institutionen überhaupt <?page no="15"?> 15 auf die Spur kommen zu können. Institutionen sind außerdem gekennzeichnet durch ein spezifisches Personal, das die institutionsspezifischen Handlungen im Sinne der Institution ausführt. Bei komplexeren Institutionen stehen die Handelnden der Institution in relativ festen institutionsspezifischen Relationen zueinander. In vielen Institutionen treten neben jene Handelnden auch solche, die Objekt der institutionsspezifischen Tätigkeiten sind, wie z.B. die Schüler in der Schule, die Angeklagten im Gericht oder die Patienten im Krankenhaus. Ehlich/ Rehbein (1977: 39) nennen das Personal ‚Agenten’ der Institution, die andere Gruppe von Aktanten, die Objekt der Handlungen der Agenten sind, nennen sie ‚Klienten’ der Institution. Für Agenten und Klienten bestehen im Handlungsraum der Institution spezifische Verbindlichkeiten, Kompetenzen, Rechte sowie Beschränkungen für ihr Handeln (vgl. Ehlich/ Rehbein 1980: 343). Die Handlungsräume determinieren die Handlungsmöglichkeiten der jeweiligen Agenten und Klienten sowie spezifische Formen des Wissens. Ehlich/ Rehbein unterscheiden zwischen verschiedenen Wissensstufen: Wir nennen das unmittelbar handlungsleitende Wissen der Aktanten innerhalb der Institution Aktantenwissen 2 . Das Aktantenwissen stellt einen Typ des gesamten Wissens über die Institutionen dar. Dieses nennen wir Institutionswissen. Genauer bestimmt, ist das Aktantenwissen ein Institutionswissen erster Stufe. (...) Die Trennung des Wissens der Agenten von dem Wissen der anderen Gruppe von Aktanten, die Objekt der Tätigkeit der Agenten sind, besagt nicht, dass das Wissen beider Gruppen vollständig verschieden ist. Vielmehr ist es in einem bestimmten Bereich notwendig ähnlich und reziprok, damit gemeinsame Interaktionen stattfinden können. (...) Dem Institutionswissen vom Typ des Aktantenwissens wurde schon oben ein anderes mögliches Institutionswissen gegenübergestellt, das kritisch den Gesamtzusammenhang institutionellen Wissens und Handelns analysiert. Institutionswissen dieses Typs ist wissenschaftliches Wissen über Institutionen. (...) Neben den beiden Typen des Aktantenwissens und des wissenschaftlichen Wissens zeigt sich ein dritter Typ des Institutionswissens: Für eine Reihe von Institutionen gibt es Orte wiederum institutionalisierter Theoriebildung. Sie ergeben sich aus dem Bedürfnis der Agenten (nicht der Aktanten insgesamt) nach einer Systematisierung ihres Aktantenwissens, die über dieses selbst hinausgeht. (...) Wir nennen das hier entwickelte Wissen Institutionswissen zweiter Stufe. (Ehlich/ Rehbein 1977: 39-41) Über das Institutionswissen erster Stufe verfügen bei einem gewissen Mindestaufenthalt in Institutionen alle Aktanten als unmittelbar handlungsleitendes Wissen, das Institutionswissen zweiter Stufe besitzen nur die Agenten der Institution. 2 Nicht speziell gekennzeichnete Hervorhebungen in den Zitaten dieser Arbeit wurden vom Originaltext übernommen. <?page no="16"?> 16 1.3. Schulisches Institutionswissen Die größte Aktantengruppe innerhalb der Institution Schule stellen die Schüler dar; sie sind die Klienten der Institution Schule. Es besteht eine Schulpflicht, also sind sie zum Handeln in der Schule verpflichtet. Als Folge des täglichen Handlungsdrucks bilden sie ein praktisches Wissen über die Verfahrensweisen der Schule aus: das Aktantenwissen, das Ehlich/ Rehbein (1977) das ‚Institutionswissen erster Stufe’ nennen. Das Aktantenwissen beschränkt sich auf Kenntnisse des schulischen Alltags, ohne den eigentlichen Zweck von Schule zu erfassen. Eine andere Gruppe von Aktanten bilden die Agenten der Institution. In der Schule sind das im Wesentlichen die Lehrer. Sie verfügen aufgrund ihrer Ausbildung über das ‚Institutionswissen zweiter Stufe’. Dieses stellt eine Systematisierung des Institutionswissens erster Stufe dar und entspringt als pädagogisch-didaktisches Wissen dem Bedürfnis der Agenten nach Optimierung des Lernprozesses. Erst das wissenschaftliche Wissen, auch ‚Institutionswissen dritter Stufe’ genannt, enthält das theoretische, kritische Wissen über den Gesamtzusammenhang der Institution. Ehlich/ Rehbein (1977) haben Strukturen im Aufbau des institutionsspezifischen Aktantenwissens am Beispiel der Schule identifiziert. Da die methodologische Schwierigkeit beim Auffinden der Strukturen des Wissens darin liegt, dass sie kaum unmittelbar zu Tage liegen, bedarf es zu ihrer Identifikation bestimmter methodologischer Techniken, wovon Ehlich/ Rehbein diese nennen: - Das Anknüpfen an Verbalisierungen des Wissens durch die Aktanten selbst innerhalb der Kommunikation. Folgende Handlungssituationen sind dafür charakteristisch: a) Begründungen und speziell Rechtfertigungen durch einen Sprecher gegenüber einem anderen b) Handlungsbewertungen c) Berichte, Erzählungen usw. (hierzu können auch Antworten von Aktanten auf diskursiv angelegte Befragungen gehören (…)). d) Lehrsituationen (d.h. Vermittlung von Wissen in verbalisierter Form an (zukünftige) Aktanten). (Ehlich/ Rehbein 1977: 43) - Die Rekonstruktion aus solchen Handlungen, die einen exemplarischen Charakter haben und die reflektiert empirisch analysiert werden. - Die Systematisierung von Kenntnissen, was zu qualitativen Erkenntniserweiterungen führen kann. <?page no="17"?> 17 Ehlich/ Rehbein (1977) haben die Elementarstruktur des Aktantenwissens für die Analyse des Institutionswissens von schulischen Aktanten entwickelt. Sie fassen Wissen als eine dreistellige Relation der Konstituenten „Wissender“, „Thema des Wissens“ und „Gewusstes“ auf (Ehlich/ Rehbein 1977: 45). 3 Mit Hilfe der Elementarstruktur unterscheiden sie verschiedene Wissensstrukturtypen. Als Strukturtypen des institutionsspezifischen Aktantenwissens, nach denen Lehrer und Schüler Erfahrungen im Unterricht verarbeiten und ihr Handeln ausrichten, nennen Ehlich/ Rehbein partikulares Erlebniswissen, Einschätzung, Bild, Sentenz, Maxime, Musterwissen und Routinewissen (vgl. Ehlich/ Rehbein 1977: 44- 70). Ein wesentliches Unterscheidungskriterium der verschiedenen Strukturtypen ist die Zunahme der Gültigkeit des Wissens: die Gültigkeit des Wissens nimmt mit fortschreitender Quantifizierung zu. Nachfolgend werden die von Ehlich/ Rehbein (1977) untersuchten Strukturen genauer vorgestellt, nach denen das institutionsspezifische Wissen der Aktanten strukturiert ist. Zudem wird ihrer unterschiedlichen Relevanz für das institutionelle Handeln nachgegangen: Das partikulare Erlebniswissen macht einen wesentlichen Bestandteil des bloß individuellen Wissens aus. Ein einzelner Wissender entwickelt zu einem bestimmten Objektbereich ein einzelnes Wissenselement aus, z.B. indem er ein individuelles, partikulares Erlebnis hat. Das wissende Individuum muss das partikulare Erlebniswissen auf irgendeine Weise abspeichern, sonst ist es wissensmässig verloren. Das partikulare Erlebniswissen ist die Domäne der wissensmässigen Repräsentation des nur Zufälligen - es bildet den Bereich dessen, was bloß individuell ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieses Wissen für den Wissenden folgenlos bleibt. Traumatische partikulare Erlebnisse können erhebliche individuelle Konsequenzen für den Wissenden haben. Das partikulare Erlebniswissen bezieht sich auf das unmittelbar Singuläre. Insofern steht es am Rand des Aktantenwissens, das eine Tendenz auf Systematisierung hat. In der Einschätzung findet sich eine erste Systematisierung. Einschätzungen stellen individuelle Interpretationen bestimmter Wirklichkeitsteile dar. Sie bilden alltagssprachliche Vorstellungen, die sich die Aktanten auf der Grundlage einer begrenzten Auswahl von Erfahrungen machen. Sie unterscheiden sich vom partikularen Erlebniswissen dadurch, dass das Gewusste dem Objekt des Wissens wiederholt zukommt. 3 Der Wissende ist Subjekt oder Träger des Wissens. Das, worüber er etwas weiss, ist das Thema des Wissens. Das, was er über ein Thema weiss, ist das Gewusste. <?page no="18"?> 18 In einem Bild werden mehrere Einschätzungen zu einem Wirklichkeitsausschnitt zusammengefasst. Im Schulalltag sind insbesondere die Lehrer permanent mit dem Erstellen von solchen Bildern für die einzelnen Schüler beschäftigt. Dieser Wissensstrukturtyp ist bereits so verfestigt, dass erst erheblich abweichende Erfahrungen zu einer Revision eines Bildwissens führen. Im Lehrerzimmer zirkulieren die Bilder über Schüler, die sich die einzelnen Lehrer machen. Damit werden sie über den Wissensbereich des einzelnen Wissenden hinaus in das Wissen mehrerer Wissender übertragen. So findet eine Verallgemeinerung eines Bildes zum Image statt, das ein Schüler für die Lehrer seiner Schule hat. Ein Image ist demnach ein auf mehrere Wissende verteiltes Bild. Bei der Zeugniskonferenz wird das Austauschen von Bildern zu einer (scheinbar) verobjektivierten Tätigkeit der Lehrer als Agenten der Institution Schule. Das Zeugnis stellt eine institutionalisierte Form des Images dar. Die Bilder wirken einerseits nach innen, d.h. auf die Schüler, indem sie die Bilder und Erwartungen ihrer Lehrer, wie sie sich im Zeugnis niederschlagen, übernehmen. Die Lehrerbilder beeinflussen somit die Selbstbilder der Schüler. Andererseits haben die Bilder eine externe Wirkung, da die Gesellschaft den Schülern aufgrund ihrer Zeugnisse nur bestimmte Berufsaussichten und Biographiepläne zugesteht. Eine Sentenz enthält ein allgemeines Wissen. Auch das Gewusste muss über bloß individuelle Instanzen hinausgehen; für das Gewusste gilt immer das Thema des Wissens. Eine Sentenz entsteht dadurch, dass ein Wissen immer gilt, indem alle Wissenden dieses Wissen haben. Eine typische Subgruppe der Sentenzen bilden Sprichwörter, Vorurteile, Weisheiten, die man auch als ‚common sense’ bezeichnet. Sentenzen werden nicht durch einen Widerspruch außer Kraft gesetzt, sondern sie werden in diesem Fall von ihrer Gültigkeit suspendiert und eine andere Sentenz tritt an ihre Stelle. Sentenzen diskreditieren individuelle Erfahrungen und individuelles Wissen als bedeutungslos, so dass sie nur schwer widerlegbar sind. Aufgrund dieser Eigenschaften halten Ehlich/ Rehbein Sentenzen für besonders geeignet, widersprüchliche Erfahrungen in Institutionen zu verarbeiten, denn sie decken die Widersprüche wissensmäßig weitgehend zu, ohne sie aufzuheben. Maximen sind Lehren, die der Aktant aus der vorgängigen Erfahrung zieht und an die er sich bei neuen Erfahrungen hält. Sie dienen den Aktanten dazu, die zukünftige Interpretation von Handlungssituationen zu ermöglichen. Maximen haben also zwei Richtungen: Sie sind an den vergangenen Handlungen und auf zukünftige neue Handlungen hin <?page no="19"?> 19 orientiert. Von mehreren möglichen Handlungsplänen wird durch die Maxime einer empfohlen. Muster sind kollektiv verbindliche, von allen geteilte Formen der Handlungsorganisation. Mit Hilfe der Muster können bestimmte, häufig auftauchende Konstellationen bewältigt werden. Auf die verschiedenen Handlungsmuster wird in Kapitel 3.2.4 genauer eingegangen. Muster werden in ihrem praktischen und alltäglichen Gebrauch gelernt und eingeübt. Sie werden daher zwar praktisch beherrscht, jedoch nur bedingt bewusst eingesetzt. Das Musterwissen ist ein Wissen mit unmittelbarer Handlungsrelevanz - nur wer die Muster adäquat anzuwenden weiss, ist in der Institution handlungsfähig. Weil viele Muster von den Schülern schon vor der Schule weitgehend angeeignet sind, gehört das Musterwissen zum außerschulischen Wissen. Bei den Routinen ist der Zusammenhang von Wissen und Handeln außerordentlich eng. Eine Reihe von Routinen erhält innerhalb der Institution Schule gerade aufgrund dieser engen Koppelung von nahezu automatisiertem Wissen und Handeln eine spezifische Funktion. Wegen des weitgehend automatisierten Charakters der Routinen ist es möglich, neben deren Ausführung andere Handlungen auszuführen, die in ein anderes Muster eingebunden sind. Der Schüler wendet seine Aufmerksamkeit diesem Muster zu, während er gleichzeitig die nicht zu dem Muster gehörige Routine ausübt. Ehlich/ Rehbein zeigen anschließend in einem empirischen Teil das Ineinanderspiel von unterschiedlichen Strukturtypen des schulischen Aktantenwissens an einem konkreten Stück dokumentierten Unterrichtsgeschehens (neunte Hauptschulklasse), wobei sie neben verbalen auch nonverbale Handlungen berücksichtigen (Ehlich/ Rehbein 1977: 70-107). Becker-Mrotzek (1989) hat das schulische Institutionswissen untersucht, indem er das Wissen von Schülern über ihre Schulerfahrungen mit Hilfe von diskursanalytischen Methoden erforscht hat. Auf diese Weise gewann er sowohl Kenntnisse über die Institution Schule selbst, über sprachliche Formen der Erfahrungsrekapitulation als auch über das Aktantenwissen. Ausgangspunkt seiner Arbeit sind die spezifischen Kommunikationsbedingungen der Schule. Als gesellschaftliche Institution hat sie den Zweck, das Wissen einer Gesellschaft an die nachfolgende Generation weiterzugeben. Die Schule bedient sich der Sprache als vorherrschendes Mittel der Wissensvermittlung - ist also eine versprachlichte Institution. Zentrales Dilemma der Schule ist, dass sie nur solches Wissen <?page no="20"?> 20 vermitteln kann, das auch versprachlicht werden kann. Dieses Dilemma beschreibt Becker-Mrotzek als einen zentralen Widerspruch schulischer Wissensvermittlung, der Auswirkungen bis in den schulischen Alltag hat. Sein Forschungsinteresse richtet sich deshalb auf die Konsequenzen der institutionellen Widersprüchlichkeiten auf Seiten der Schüler. Institutionen wie die Schule lassen schon auf den ersten Blick erkennen, wie wichtig Sprache für sie sind, da die Handlungen weithin sprachlich sind. Im Folgenden wird deshalb auf die institutionelle Kommunikation eingegangen. <?page no="21"?> 21 2. INSTITUTIONELLE KOMMUNIKATION Unter dem Begriff der ‚institutionellen Kommunikation’ oder der ‚Kommunikation in Institutionen’ hat sich eine sprachsoziologische Forschungsrichtung behauptet, welche die konkreten, vorwiegend sprachlichen Interaktionen unter institutionellen Bedingungen untersucht. Ehlich/ Rehbein stellen fest, dass Institutionen so häufig Erfordernisse sprachlichen Handelns konstituieren, dass sein Vorkommen geradezu als konstitutiv für sie angesehen werden kann: „Institutionen als Formen des gesellschaftlichen Verkehrs zur Bearbeitung gesellschaftlicher Zwecke verlangen eo ipso Kommunikation zwischen den Aktanten, d.h. einen aktiven Kontakt miteinander, in dem die Zwecke gemeinsam prozessiert werden“ (Ehlich/ Rehbein 1979a: 320). Sprachliches Handeln ist also ein wesentlicher Teil institutionellen Handelns. Seit 1980 hat die Zahl der Untersuchungen zur institutionellen Kommunikation bzw. Interaktion stark zugenommen. 4 Im Folgenden werden Forschungsberichte von Ehlich/ Rehbein (1980), Wodak (1988) und Becker-Mrotzek (1990) zur Analyse institutioneller Kommunikation vorgestellt (Kap. 2.1), bevor auf die Spezifik von institutioneller Kommunikation eingegangen wird (Kap. 2.2). 2.1. Transdisziplinärer Forschungsstand Konrad Ehlich und Jochen Rehbein haben die Forschung auf dem Gebiet der institutionellen Kommunikation im deutschen Sprachraum wesentlich bestimmt. In der von ihnen herausgegebenen Reihe Kommunikation und Institution sind 24 Titel zu den unterschiedlichsten Institutionen erschienen. 4 Als Gründe für die zunehmende Zahl der Untersuchungen über Sprache und Kommunikation in Institutionen nennt Becker-Mrotzek einerseits fachinterne Gründe (weil institutionelles Handeln zu wesentlichen Teilen sprachliches Handeln ist, hat mit der (Wieder-)Entdeckung, dass man mit Sprache ‚etwas tun kann’ auch das sprachwissenschaftliche Interesse an der Kommunikation in Institutionen zugenommen, zumal sich Institutionen für die Analyse von Sprache und Kommunikation in besonderer Weise eignen), andererseits externe Gründe (einstmals problemlose Kommunikationsanlässe bereiten Schwierigkeiten, es entsteht neuer Kommunikationsbedarf und in steigendem Masse werden Erwartungen an die Sprachwissenschaft heran getragen, Hilfen für eine veränderte institutionelle Praxis zu geben) (Becker-Mrotzek 1990: 158f.). <?page no="22"?> 22 Der Lexikonartikel Sprache in Institutionen von Ehlich/ Rehbein (1980) gibt einen guten Überblick zum damaligen Stand der Forschung und enthält eine ausgewählte Bibliographie. Ehlich/ Rehbein sprechen sich dagegen aus, das institutionelle Handeln als „nicht-alltägliches“ zu bezeichnen, da das gesellschaftliche Handeln weitgehend institutionalisiert ist (vgl. Ehlich/ Rehbein 1980: 342). Für diejenigen Anteile der Kommunikation in Institutionen, die scheinbar der Zweckerfüllung entgegenwirken, schlagen Ehlich/ Rehbein (1980: 343) den Ausdruck ‚homileischer Diskurs’ vor. Darunter fallen z.B. private Unterhaltungen am Arbeitsplatz, Gespräche in Wartezimmern oder der Schwatz beim Einkauf. Nebenkommunikationen zeugen nicht in allen Fällen davon, dass sich Hörer innerlich vom Hauptdiskurs distanzieren: Wenn ein Zuhörer seinem Nachbarn eine Verständnisfrage stellt, erfüllt er seine Hörerrolle gerade durch die Übernahme eines untergeordneten Gesprächsschritts, da diese Nebensequenz ohne Nachteil für den Interaktionsverlauf an die Stelle einer Rückmeldung auf der Hauptebene tritt (vgl. Henne/ Rehbock 1982: 271). Wodak (1988) behandelt unter dem Stichwort Kommunikation in Institutionen in einem Handbuchartikel internationale Forschungsgeschichte, theoretische und methodische Probleme der institutionellen Kommunikationsanalyse und stellt relevante Untersuchungsergebnisse zu einzelnen Institutionen vor. Der Überblicksartikel mit soziologischer Ausrichtung belegt die intensive Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet. Die Autorin weist darauf hin, dass sich die Soziolinguistik anfangs vor allem mit der Kommunikation in der Institution Schule beschäftigt hat. Dabei interessierten die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der schichtspezifischen Sprache der Schüler und die asymmetrische, die Lehrenden begünstigende Kommunikation im Unterricht. Wodak weist auf das generelle Problem von Macht und Unterdrückung, Sprachbarrieren und Interessenkonflikten in Institutionen hin und plädiert für eine Forschung, die Postulate für eine veränderte Praxis formuliert. Ein von Becker-Mrotzek (1990) verfasster Forschungsbericht zur Sprache und Kommunikation in Institutionen befasst sich detailliert mit 25 Einzelforschungen der 1980er Jahre aus den Institutionsbereichen Verwaltung, Politik, Justiz, Schule und Gesundheitswesen. Beratungsgespräche im Sinne einer institutionellen Anliegensbearbeitung nehmen einen besonderen Stellenwert ein. Im Bericht werden die unterschiedlichen methodischen Ansätze, die Spezifik der untersuchten Institutionen, das verwendete Datenmaterial und die Ergebnisse dargestellt. Für die Auswahl der vorgestellten Arbeiten orientiert sich der Autor „an einem alltäglichen, deskriptiven Institutionenverständnis, das Institutionen als verfestigte gesellschaftliche Teilbereiche mit einer eigenen Struktur auf- <?page no="23"?> 23 fasst“ (Becker-Mrotzek 1990: 159). Außerdem liegt allen ausgewählten Arbeiten konkretes sprachliches Material aus den untersuchten Institutionen vor. Zusammenfassend stellt Becker-Mrotzek fest: Die unterschiedlichen Arbeiten zur Kommunikation in Institutionen lassen übereinstimmend erkennen, dass die spezifischen institutionellen Bedingungen eigene sprachlich-kommunikative Handlungsformen erfordern, die sich von denen des Alltags unterscheiden. Es zeigt sich, dass die Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten in weit stärkerem Masse festgelegt sind, als dies in nicht-institutioneller Kommunikation der Fall ist. Hiermit ist häufig eine strukturelle Benachteiligung der jeweiligen Klientel verbunden, die nicht über das notwendige institutionsinterne Wissen und die entsprechenden Verfahrensweisen verfügt. (Becker-Mrotzek 1990: 257) Erwähnenswert ist zudem sein Hinweis, dass Institutionen nicht eigene Kommunikationsmuster entwickeln, sondern alltägliche Muster für ihre Ziele und Zwecke adaptieren (vgl. Becker-Mrotzek 1990: 258). Nolda (2000) stellt fest, dass sich in den letzten Jahren innerhalb der Forschungsrichtung der institutionellen Kommunikation zwei thematische Schwerpunkte gebildet haben - die interkulturelle und die geschlechtsspezifische Interaktion in Institutionen: „Die durch den Rahmen von Institutionen vorgegebene Machtproblematik wird durch diese Sicht gewissermaßen potenziert, und die Frage der Parteilichkeit bekommt eine zusätzliche Bedeutung“ (Nolda 2000: 24). Trotz zahlreicher Publikationen zur Kommunikation in einzelnen Institutionen kann nicht auf einen bestimmten Kanon von Standarduntersuchungen zurückgegriffen werden. Die oben genannten Untersuchungen stehen in den Forschungstraditionen unterschiedlicher Disziplinen und zumeist nicht der Linguistik, sondern der jeweiligen institutionsbezogenen Fachwissenschaften. Dementsprechend ergibt sich ihre Thematik aus einer Vielzahl verschiedener wissenschaftstheoretischer und -praktischer Fragestellungen. Angesichts der Forschungslage kann kein verallgemeinertes Institutionskonzept erwartet werden. Dieses Problem umschreiben Ehlich/ Rehbein so: Das Erkenntnisinteresse ist häufig in der Beschreibung, Erklärung und Beseitigung von kommunikativen Störungen bzw. in der Ausbildung von Agenten der Institution begründet. Eine eigenständige theoretische analytische Durchdringung des komplexen Problemfeldes ist ein dringendes Desiderat: Eine Linguistik der Sprache in Institutionen ist zu schreiben (Ehlich/ Rehbein 1979a: 315). <?page no="24"?> 24 2.2. Spezifik von institutioneller Kommunikation Institutionelle Kommunikation ist gegenüber der Kommunikation in nicht-institutionellen Zusammenhängen besonderen Regelungen unterworfen. Koerfer (1994: 230) hat in einer Überblicksliste Strukturmerkmale von institutionellen Kommunikationstypen aufgelistet, um damit institutionelle mit nicht-institutioneller Kommunikation und Kommunikationstypen von verschiedenen Institutionen miteinander vergleichen zu können. 5 Obschon eine solche Überblicksliste nicht über allen systematischen Mängeln erhaben ist, lassen sich einige relevante Differenzlinien ziehen, wenn man entlang dieser Liste von Aspekten bestimmte institutionelle und nicht-institutionelle Kommunikationsformen vergleicht. Als Beispiel gibt Koerfer die institutionsspezifische Ausprägung sequentieller Handlungsmuster wie ‚Vorwurf-Rechtfertigung’ etwa zu ‚Anklage-Verteidigung’ an. Ist ein Handlungsmuster wie Anklage-Verteidigung im Gericht gang und gäbe, so wäre es in einer Therapiesitzung verfehlt. Für Koerfer stellen sich anschließend die Fragestellungen, welche Handlungsmuster in welchen Diskurstypen überhaupt vorkommen, mit welcher Vorkommenshäufigkeit gegebenenfalls in welchen Diskursphasen zu rechnen ist und welche Handlungsmuster aus welchen Gründen in welcher Diskursphase eher zulässig oder verpönt oder erwartbar oder unwahrscheinlich sind (vgl. Koerfer 1994: 231). Bestimmte Handlungsmuster wie etwa das Frage-Antwort-Muster sind an bestimmte Institutionsrollen gebunden. In der Schule oder im Gericht ist die Umkehrung der Verteilung von Fragerecht und Antwortpflicht auf die Institutionsrollen von Lehrer und Schüler bzw. Richter und Angeklagter eher die Ausnahme. Zwar sind in der Schule und im Gericht Fragen eines bestimmten Typs wie etwa die Verständnissicherungsfrage durchaus zulässig, aber das Fragerecht liegt doch prinzipiell bei den Agenten der Institution. Auch Brünner (1987) hat sich mit der Spezifik institutioneller Kommunikation befasst. 6 Sie kommt zum Schluss, dass die Spezifik institutioneller Kommunikation auf verschiedenen Ebenen des sprach- 5 Koerfer (1994: 230) nennt folgende Strukturmerkmale institutioneller Kommunikation: Ort und Zeit, Tempo, Thema, Leitung und Kontrolle, Dialogrollen, Institutionsrollen, Interaktionsrollen, Argumentationsrollen, Rollenkombinationen, Handlungsmuster, Handlungssequenzen, Handlungsverkettungen, Abfolgestrukturen, Art der Kooperation, Grad der Öffentlichkeit, Medium, Modus und Realisierungsform. 6 Eine Zusammenfassung von Brünners Untersuchung findet sich im Forschungsbericht von Becker-Mrotzek (1993: 272-275). <?page no="25"?> 25 lichen Handelns lokalisiert sein kann, dass sie sich also nicht z.B. auf das Vorkommen bestimmter Sprechhandlungen beschränkt. Brünner hat folgende Dimensionen und Aspekte institutionsspezifischer Kommunikation herausgearbeitet: 7 - Die Abfolge von Sprechern und Themen kann im Rahmen einer Institution besonderen Regelungen unterliegen (z.B. Parlament); die Entscheidung darüber, welche Handlungen sprachlich bzw. nichtsprachlich ablaufen können oder müssen, kann institutionell festgelegt sein; die Kontextualisierung sprachlicher Handlungen kann institutionell geprägt sein, insofern Institutionen eigene Deutungsschemata und einen eigenen Begriff von relevanten Kontexten für Äußerungen etablieren können; die Institution kann sprachliche Handlungen vorschreiben, unabhängig davon, ob die allgemeinen, in nicht-institutioneller Kommunikation gültigen, pragmatischen Voraussetzungen (z.B. Einleitungsbedingungen) für diese gegeben sind; und sie kann sprachliche Handlungen verbieten, unabhängig davon, ob die pragmatischen Voraussetzungen für diese gegeben sind; die Institution kann die handlungspraktische Zugänglichkeit von Typen sprachlicher Handlungen spezifisch regulieren; in institutionellen Zusammenhängen können die handlungspraktischen Konsequenzen sprachlicher Handlung spezifisch verändert sein; die Sequenzmuster von sprachlichen Handlungen und die Ablaufkonstitution von Interaktionsschemata können spezifisch reguliert oder verändert sein; solche Interaktionsschemata (z.B. die Gesprächseröffnung und -beendigung) können selbst besonderen institutionellen Regelungen unterliegen (z.B. bezüglich ihres kommunikativen Heraushebens aus dem Interaktionsverauf [sic! ]); die Regeln und Verfahren der Verständnissicherung können institutionell verändert sein (z.B. (Un)möglichkeiten der Rückfrage); 7 In ihrer Übersicht nennt Brünner institutionsspezifische Kommunikationsaspekte, die auch Wunderlich (1976), Dittmann (1979), Ehlich (1981) und Gülich (1981) diskutiert bzw. analysiert haben. <?page no="26"?> 26 sprachliche Handlungsmuster können eine veränderte innere Struktur besitzen, z.B. im Hinblick auf ihre Zwecke, ihre Ablaufstruktur oder ihre Vollständigkeit; die illokutive Kraft sprachlicher Handlungen kann in institutionellem Zusammenhang verstärkt oder abgeschwächt sein; für bestimmte sprachliche Handlungen können bestimmte explizite Formulierungen oder Realisierungsformen institutionell vorgesehen sein (z.B. explizite performative Formeln); - Institutionen können eigene sprachliche Handlungsformen besitzen, die fest mit ihnen verbunden und mehr oder weniger auf sie beschränkt sind. (Brünner 1987: 25f.) Brünner plädiert dafür, den Begriff der Institutionsspezifik nicht zu restriktiv zu fassen. Sinnvoller erscheint ihr „eine qualitativ orientierte Bestimmung von ‚Institutionsspezifik’, die auf die Zwecke und Verwendungsbedingungen sprachlicher Handlungen abhebt“ (Brünner 1987: 26). Brünner hat in ihren Untersuchungen nachgewiesen, dass die Verwendung institutionsspezifischer sprachlicher Handlungen systematisch und nicht etwa zufällig ist, weshalb sie vielfach - aber nicht notwendigerweise - mit einer bestimmten Häufigkeit auftreten (Brünner 1987: 27). Auf die Spezifik schulischer Kommunikation und den Einfluss der Institution Schule auf die Gesprächssequenzen im Unterricht wird in den Kapiteln 3.3 und 6.3 eingegangen. Ehlich/ Rehbein formulieren als zentrale theoretische und analytischpraktische Aufgabe der Analyse institutioneller Kommunikation Institutionen, das institutionelle Handeln und das speziell sprachliche Handeln in Institutionen in seinem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang systematisch darzustellen (...), indem die gesellschaftlichen Zwecke in den einzelnen sprachlichen Handlungen aufgefunden und ihre Funktionalität für die gesellschaftlichen Zwecke herausgearbeitet werden (also in doppelter Analyserichtung). (Ehlich/ Rehbein 1980: 343) Die Zweckmäßigkeit einer sprachlichen Handlung für die Realisierung der institutionellen Zwecke und für die Erfüllung der Aufgaben, die sich den Aktanten in diesem Zusammenhang stellen, ist ein wichtiges Kriterium, um eine sprachliche Handlung als institutionsspezifisch anzusehen. Ein zweites Kriterium ist, dass die Verwendungsbedingungen den institutionellen Handlungsbedingungen angemessen sind. Die Kommunikation in Institutionen beschränkt sich also nicht auf solche institutionell geregelte Kommunikation im engeren Sinne. <?page no="27"?> 27 3. KOMMUNIKATION IN DER INSTITUTION SCHULE Unterricht ist seit langem Gegenstand wissenschaftlichen Interesses unterschiedlicher Wissenschaften. Anfangs waren es pädagogische und didaktische Untersuchungen, die sich diesem Thema widmeten. Seit den 1970er Jahren ist die schulische Kommunikation verstärkt zum Gegenstand linguistischer Untersuchungen geworden. Das Interesse an ihrer Untersuchung verdankt die schulische Kommunikation einer Reihe von Besonderheiten: Jeder Mensch in unserer Kultur hat mit der Institution Schule eigene Erfahrungen gesammelt, was unmittelbar mit der zentralen gesellschaftlichen Funktion von Schule als Verantwortliche für die Weitergabe unseres Wissens an die nachfolgenden Generationen zusammenhängt. Aus diesem Grund ist jede Gesellschaft an einem funktionierenden Schulsystem interessiert. Zudem eignet sich die Schule durch ihren hohen Versprachlichungsgrad in besonderer Weise für die Untersuchung von kommunikativen Prozessen in einer Institution. Die bisherigen Forschungen zur Kommunikation in der Institution Schule beschäftigen sich - wie diese Arbeit auch - zumeist mit dem Interaktionsfeld der Lehr-Lern- Situation. Kommunikationssituationen zwischen Lehrer und Schulleiter oder unter Lehrerkollegen bleiben dabei ausgespart. Das Interesse ist auf die pädagogische Interaktion unter institutionellen Bedingungen gerichtet, nicht auf die in ihr möglichen Interaktionen wie der von Ehlich so genannte ‚homileische’ Diskurs, der die Sphäre des Inoffiziellen betrifft. 8 Im Folgenden stehen sprachwissenschaftliche Analysen der Kommunikation in der Institution Schule im Zentrum. Zuerst werden der Artikel von Ehlich/ Rehbein (1976b) und der 1983 von Redder vorgelegte Forschungsbericht zur linguistischen Unterrichtsforschung vorgestellt (Kap. 3.1). Anschließend wird auf die Konzepte der linguistischen Dokumentation, Beschreibung und Erklärung von kommunikativen Prozessen im Unterricht eingegangen (Kap. 3.2) und der Unterricht als kommunikatives und institutionelles Ereignis beschrieben (Kap. 3.3). 8 Ehlich/ Rehbein (1976b: 48) stellen diese Tatsache bereits für die 1970er Jahre fest: „Einem Grossteil der gegenwärtigen Analyseverfahren ist eine meist stillschweigend vorgenommene Reduktion des eigentlichen Gegenstandes gemeinsam: In zahlreichen Titeln wird von „der Sprache im Klassenzimmer“, „der Sprache des Lehrers“, „dem Englisch, das von Lehrern und Schülern verwendet wird“, der „Schülersprache“ gesprochen. Faktisch beziehen sich die Untersuchungen jedoch fast durchgehend nur auf die Sprache im Unterrichtsprozess.“ <?page no="28"?> 28 3.1. Forschungsbericht Die Kommunikation in der Institution Schule ist Untersuchungsgegenstand verschiedener Wissenschaften. Ehlich/ Rehbein (1976b) diskutieren in ihrem Artikel charakteristische linguistische Verfahrensweisen, die in den 1970er Jahren zur Untersuchung der Kommunikation in der Schule entwickelt worden sind. Sie bezeichnen das von Flanders (1970) entwickelte System zur Beobachtung des Unterrichtsprozesses als das zur damaligen Zeit am weitesten verbreitete Verfahren (vgl. Ehlich/ Rehbein 1976b: 48). Flanders (1970) schlüsselt das Lehrerverhalten nach sieben und das Schülerverhalten nach zwei Kategorien auf. Der Unterrichtsverlauf wird erfasst, indem der Beobachter etwa alle drei Sekunden einen Eintrag unter der zutreffenden Kategorie macht. Der Unterrichtsverlauf wird als eine Kette von verschiedenen Ereignissen im Klassenzimmer gesehen. Dieses Verfahren gibt Aufschluss darüber, wie häufig die verschiedenen Kategorien vorkommen. Der Klassenzimmerdiskurs wird als eine Serie von Ereignissen interpretiert, die durch die Prozedur der Analyse in einem willkürlichen Abstand zerhackt wird. Diese Methode erfordert vom Beobachter eine erhebliche analytische und perzeptive Leistung. Da das System ausdrücklich für die Live-Beobachtung entwickelt worden ist, ist eine nachträgliche Überprüfung der vorgenommenen Einträge nicht möglich. Spanhel (1971) beschäftigt sich mit den Grundformen des didaktischen Sprechens beim Lehrer. Obwohl er vorrangig an Fragestellungen der Didaktik interessiert ist, bemüht er sich, innerhalb der linguistischen Literatur eine Grundlage für seine Analyseformen zu finden. Ähnlich wie Flanders arbeitet auch Spanhel mit dem beim Leser bereits vorhandenen Wissen über Sprache, wie es sich in den Alltagskategorien niederschlägt. Bellack u.a. (1974) 9 haben ein umfangreiches Kategoriensystem zur Beschreibung des Unterrichtsgeschehens erarbeitet, in dem - im Unterschied zu Flanders - die Äußerungen in Abschnitte gegliedert werden, die nach Auffassung des Beobachters jeweils einen pädagogischen Zug (‚pedagogical move’) umfassen. Das Kategoriensystem von Bellack u.a. (1974) wird in Kapitel 3.2.1 vorgestellt. Auf das von Sinclair/ Coulthard (1975) entwickelte Kategorienraster mit einem linguistischen Untersuchungsansatz wird in Kapitel 3.2.2 eingegangen. 9 Obwohl lediglich ein Autor einer Forschungsgruppe genannt wird, sind dennoch alle Mitglieder der betreffenden Forschungsgruppe gemeint. <?page no="29"?> 29 Ehlich/ Rehbein (1976b) schliessen ihre kritische Darstellung der Verfahren zur Untersuchung der Unterrichtskommunikation mit sechs Thesen für weitere linguistische Arbeiten (vgl. Ehlich/ Rehbein 1976b: 65-67). Redder hat 1983 einen Bericht zum Forschungsstand sprachwissenschaftlicher Analysen von der Kommunikation in der Schule vorgelegt. Dabei berücksichtigt sie die Forschungen seit Mitte der 1970er Jahre und schließt damit an die von Ehlich/ Rehbein (1976b) erfolgte Diskussion verschiedener Verfahren der Analyse schulischer Kommunikation aus linguistischer Sicht an. Redder spricht bereits damals von einer Fülle von Literatur zum Thema ‚Kommunikation in der Schule’. Zur Ordnung dieser Literatur nimmt Redder folgende Strukturierung vor, die diesem Forschungsbericht als Grundlage dient: - Analysemethoden zu schulischer Kommunikation - Regelung der Kommunikation im Unterricht - Binnenstruktur des Unterrichtsdiskurses - Lehrer- und Schülerhandeln - Erwartungsstruktur und Handlungswissen der Aktanten - Handlungen außerhalb des zentralen Unterrichtsdiskurses - Handlungsbedingungen und Zweck der Institution Schule (vgl. Redder 1983: 119). Bereits anfangs der 1980er Jahre sind empirische Erhebungsverfahren wie Ton- und Videoaufzeichnungen, teilnehmende Beobachtung und Handlungsprotokolle eine Selbstverständlichkeit für die Analyse von schulischer Kommunikation. Die Analysemethoden weisen jedoch uneinheitliche Transkriptionsverfahren und unterschiedliche methodische Ansätze auf: Nebeneinander finden sich - insbesondere in der US-amerikanischen Literatur und deren deutscher Rezeption - ethnomethodologische und ethnographische Arbeiten, konversationsanalytische und interaktionistische Darstellungen; in England treten hinzu die discourse analysis (…), action analysis, soziolinguistische Analyse und Kulturanalyse; in Deutschland ist zudem, in Kritik vor allem an Sprechakttheorie und Konversationsanalyse, die Handlungsanalyse entwickelt. (Redder 1983: 120) Die verschiedenen linguistischen Ansätze zur Analyse von Unterrichtskommunikation von Sinclair/ Coulthard (1975), Mehan (1979) und Ehlich/ Rehbein (1986) werden in Kapitel 3.2 vorgestellt. Eine exemplarische Übersicht über die Transkriptionssysteme leisten Ehlich/ Switalla (1976). Aus der Tradition der Konversationsanalyse heraus widmeten sich linguistische Forschungsarbeiten zunehmend der Regelung der Kommunikation im Unterricht. Die Untersuchungen zur turn-Organisation im Unterricht von McHoul (1978), Mazeland (1983) und Redder (1984) stehen <?page no="30"?> 30 in Kapitel 5.2 im Zentrum, bevor ein eigenes Modell der turn-Organisation entwickelt wird (Kap. 5.3). Die Binnenstruktur des Unterrichtsdiskurses haben u.a. Mehan (1979) und Redder (1983) untersucht. Ramge (1983) versucht, die Gesamtstruktur von Stunden des Deutschunterrichts auf die Unterrichtspläne 10 des Lehrers über den Diskursverlauf zu beziehen. Reuter (1982) setzt sich eine Ethnographie schulischer Kommunikation zum Ziel. 11 Zahlreiche Beiträge diskutieren das Lehrer- und Schülerhandeln, wobei insbesondere lehrerseitige Verfahren der thematischen Konzentration und Steuerung auf den gewünschten Punkt hin fokussiert werden. Martens (1977) analysiert Sprechhandlungsstrategien im Zusammenhang mit der lenkenden Tätigkeit des Lehrers im Unterricht. Sie geht davon aus, dass der Lehrer als Verwalter des zu vermittelnden schulischen Wissens über bestimmte Strategien verfügen muss, die dieses Wissen den Schülern verfügbar machen sollen. Da solche lenkende oder anleitende Tätigkeit weitgehend sprachliche Tätigkeit ist, untersucht Martens (1977: 227), „welche sprachlichen Handlungsformen der Lehrer benutzt, um Lernprozesse zu lenken und welchen Aufschluss die Struktur solcher Handlungsformen über den Charakter des Lernprozesses selbst gibt.“ Bauersfeld (1983) diskutiert Kommunikationsmuster im Mathematikunterricht am Beispiel des ‚Trichtermusters’ (siehe hierzu als konkretes Unterrichtsbeispiel Transkription 34 in Kap. 6.2.1.2). Forytta/ Linke (1981 / 1983) analysieren das Lehrer- und Schülerhandeln aus der Perspektive „gestörter Kommunikation“ und beschäftigen sich mit Unterrichtsstrategien zur Abwehr von Schülerwissen. In einer konkreten Analyse behandeln Ehlich/ Rehbein (1977) spezifische nonverbale Handlungen von Lehrpersonen und Schülern im Verhältnis zu den verbalen Ausführungen der Sequenzpositionen des Aufgabe-Lösungs-Musters 12 . 10 Unterrichtspläne definiert Ramge folgendermassen: „Unter ‚Unterrichtsplänen’ werden aktualisierte, beobachtbare Einheiten des komplexen Handelns (Handlungspläne) in Unterrichtsgesprächen verstanden, deren ‚Sinn’ sich aus den eingespielten (qua gemeinsamer Kommunikationsgeschichte) Handlungsformen der Beteiligten (Lehrer und Schüler) auf der Grundlage gemeinsam geteilter Wissensbestände bzw. schulsozialisatorischer Erfahrung herstellt.“ (Ramge 1983: 157). 11 Redder schreibt hierzu: „Mit seinem Titel ‚Kommunikation und Institution’ formuliert Reuter einen hohen analytischen Anspruch, den er, so muss man leider sagen, allerdings keineswegs einlöst.“ (Redder 1983: 127). 12 Ehlich/ Rehbein beschreiben das Aufgabe-Lösungs-Muster als eine institutionell modifizierte Form des Problemlösungsmusters (vgl. hierzu Kap. 3.2.4.2 über die funktional-pragmatische Unterrichtsanalyse). <?page no="31"?> 31 Im von Goeppert (1977) herausgegebenen Sammelband werden Handlungsmuster im Unterricht und mentale Hintergründe für das Handeln der Aktanten im Unterricht thematisiert. Ehlich/ Rehbein (1977) differenzieren analytisch einige Strukturtypen 13 des Aktantenwissens, nach denen Lehrer und Schüler Erfahrungen im Unterricht verarbeiten und ihr Handeln ausrichten. Flader (1977) thematisiert aus psychoanalytischer Perspektive unbewusste seelische Mechanismen im kommunikativen Verhalten von Lehrern und Schülern. Da die Kommunikation in der Institution Schule mehr umfasst als nur diejenigen verbalen Äußerungen von Lehrern und Schülern im Unterricht, die zur Erreichung der Lernziele und zur Optimierung der Lernprozesse eingesetzt werden, sind auch die Nebenkommunikationen im Unterricht untersucht worden. Im von Baurmann/ Cherubim/ Rehbock (1981) herausgegebenen Sammelband Neben-Kommunikationen und im Bericht der Arbeitsgruppe Braunschweig (1983) wird gezeigt, dass die Gesprächsanalyse hier ein lohnendes Betätigungsfeld finden kann. 14 Die Handlungsbedingungen und der Zweck der Institution Schule werden in wenigen Untersuchungen reflektiert, was angesichts der Fülle von Literatur zur Institution Schule erstaunlich ist. Eine fundierte Forschungs- und Begriffsgeschichte findet sich in Ehlich/ Rehbein (1979a / 1980). Der Forschungsbericht von Redder (1983) enthält ein umfangreiches Literaturverzeichnis, das alle wichtigen Arbeiten zu diesem Zeitpunkt enthält. Für neuere Untersuchungen zur Kommunikation in der Schule sei auf die Studienbibliographie von Becker-Mrotzek (1992) verwiesen. Ein neuerer Beitrag mit linguistischen Analysemethoden und Forschungsergebnissen zur Unterrichtskommunikation stammt von Becker-Mrotzek/ Vogt (2001). 13 Auf die einzelnen Strukturtypen von Ehlich/ Rehbein (1977) wurde in Kapitel 1.3 eingegangen. 14 Im Sammelband von Baurmann/ Cherubim/ Rehbock (1981) finden sich neben Diskussionen der institutionellen Problematik von Nebenkommunikation (Gohlke), Funktionseinschätzungen (Rehbock) und sprachdidaktischen Überlegungen (Baurmann) auch Artikel zur Sprecher-Hörer-Dichotomie (Jost), zu Schülerbriefchen (Cherubim), Schulgraffiti (Blume), Pausengesprächen (Glindemann) und nonverbalem Verhalten (Ahrend) (vgl. Redder 1983: 134). <?page no="32"?> 32 3.2. Linguistische Ansätze Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen die Konzepte der pragmalinguistischen Dokumentation, Beschreibung und Erklärung von kommunikativen Prozessen im Unterricht (vgl. dazu auch Becker-Mrotzek/ Vogt 2001). Zwischen 1975 und 1986 sind drei einschlägige Arbeiten publiziert worden, welche die unterschiedlichen Zugriffsweisen pragmatischer Paradigmen auf Unterricht zeigen: Sinclair/ Coulthards Towards an Analysis of Discourse (1975) repräsentiert die angelsächsische Diskursanalyse (Kap. 3.2.2). Die Arbeit Mehans Learning Lessons (1979) ist ethnomethodologisch bzw. konversationsanalytisch orientiert (Kap. 3.2.3). Die Monographie Ehlich/ Rehbeins Muster und Institution (1986) schließlich ist der funktionalen Pragmatik verpflichtet (Kap. 3.2.4). Alle drei nachfolgend vorgestellten Arbeiten sind durch die Dokumentation von authentischen Unterrichtssituationen in Form von Transkripten empirisch fundiert und haben ein Instrumentarium entwickelt, um die Verteilung sprachlicher Formen im Vollzug von Lehr-Lern-Interaktionsprozessen zu analysieren. Neben der Linguistik haben sich die allgemeine Didaktik, die Pädagogik und die pädagogische Psychologie ebenfalls mit Unterrichtsforschung beschäftigt. Deren Beiträge werden zunächst in historischer Perspektive dargestellt (Kap. 3.2.1). 3.2.1. Die Linguistisierung der Unterrichtsforschung Disziplinen wie die Didaktik, die Pädagogik oder die Psychologie haben sich aus unterschiedlicher Perspektive mit Unterrichtsforschung beschäftigt, lange bevor die Linguistik gegen Ende der 1960er Jahre begann, die kommunikativen Verhältnisse im Klassenzimmer zu beschreiben und zu erklären. Der Sprachwissenschaftler und Lehrer Rudolf Hildebrand (1824-1894) hat eine erste Anregung zur empirischen Unterrichtsforschung gegeben, in der er sich eine möglichst genaue Erfassung des unterrichtlichen Geschehens wünscht und als Verfahren die Stenographie vorschlägt: Mir fällt dabei ein, ob es nicht gut wäre, wenn in pädagogischen Zeitschriften zwischen den beliebten allgemeinen Erörterungen über Prinzipien und Theorien auch solche bestimmten Fälle in dieser und anderen Richtungen aus dem Schulleben mitgeteilt würden, in aller Wirklichkeit, wenn es ginge geradezu nach stenographischer Niederschrift! (Hildebrand 1867: 34/ 331) 15 Zu dieser Zeit war der in der Tradition des Pädagogen und Philosophen Johann Friedrich Herbarts (1776-1841) entwickelte Unterricht 15 Zitiert nach Becker-Mrotzek/ Vogt (2001: 10). <?page no="33"?> 33 nach Formalstufen üblich. 16 ‚Lehrproben’ - vorbildhafte Unterrichtsentwürfe - sollten die stoffliche Verarbeitung entsprechend der Herbartschen Formalstufentheorie sichern. In diesem didaktischen Zugriff stehen die Planung und Erteilung von Unterricht im Mittelpunkt. Den Kern der Reformpädagogik des ausgehenden 19. Jahrhunderts bildete dagegen eine neue pädagogische Orientierung vom Kinde aus, die im Gegensatz stand zu den bis dahin die Erziehung bestimmenden Forderungen und Maßstäben der Erwachsenen als Träger ihrer gesellschaftlichen Ordnung. Der Unterricht sollte die eigenständige Entwicklung der Schüler gewährleisten, indem nicht mehr der vom Lehrer vorab strukturierte Gegenstand die Ordnung des Unterrichts sicherte, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Schüler. Diese Ideen stützte auch das zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Berthold Otto entwickelte Konzept des Gesamtunterrichts. Otto verstand das Lernen als ein triebhaftes Wachstum, so dass sich der Unterricht auf das natürliche, durch außerschulische Erfahrungen angeregte Fragen der Kinder stützen müsse. Das grundlegende Prinzip des Gesamtunterrichts, das sich aus den Tischgesprächen im Hause Ottos entwickelte, ist ein „freier geistiger Verkehr“ mit den Kindern über von diesen selbst thematisierte Gegenstände: Ein Schüler beginnt mit irgendeinem Thema. Andere, ältere Schüler ergänzen. Erst wenn die Kenntnisse der Schüler nicht weiterreichen, bemühen sich die Lehrer zu antworten, er darf aber auch sagen: das weiss ich nicht. (Otto 1963: 127) Die ebenfalls der Reformpädagogik verpflichtete ‚Pädagogische Tatsachenforschung’, die Peter Petersen seit den 1920er Jahren entwickelt hatte, stellte eine Weiterentwicklung des pädagogisch orientierten Ansatzes von Otto dar. Petersen/ Petersen (1965) entwickelten die Protokollierungstechniken ‚Einzelaufnahme’ (eines oder mehrerer Schüler), ‚Lehreraufnahme’ und ‚Gesamtaufnahme’, wobei die Gesamtaufnahme den Zweck hat, Unterricht „in seiner Ganzheit“ darzustellen (vgl. Petersen/ Petersen 1965: 130). Else und Peter Petersen entwickelten eine Verlaufsdarstellung unterrichtlicher Ereignisse in Form von ‚Handlungsbändern’. Dazu fertigen die Beobachter zunächst eine Mitschrift an, die in die Spalte 16 Herbart sah die grundsätzliche Aufgabe des Lehrers darin, die bereits bestehenden Interessen des Schülers herauszufinden und diese mit dem großen Wissen und der Kultur der Menschheit in Beziehung zu setzen, um dem Schüler zu helfen, Teil des zivilisierten Lebens zu werden. Er vertrat außerdem die Ansicht, das höchste Ziel der Erziehung sei eher die Entfaltung eines ethischen Charakters als die Ausbildung des Wissens. Nach Herbarts Tod wurde seine Philosophie von seinen Schülern in ein strenges Regelwerk für den Unterricht umgesetzt. In seiner am weitesten verbreiteten Form schloss dieses System fünf formale Lehrstufen ein: Vorbereitung, Präsentation, Umgang, Verallgemeinerung und Anwendung. <?page no="34"?> 34 ‚Aufnahmeverlauf’ eines so genannten ‚Aufnahmebogens’ übertragen wird. Dann werden dessen verbleibende vier Spalten ‚Zeit’, ‚Leistung/ Gang’ (für die Arbeitsschritte), ‚Deutungen, Bemerkungen’ und ‚Auswertung, Einordnung’ bearbeitet. Die so entstandenen Aufnahmen dokumentieren sowohl die beobachtbaren ‚Tatsachen’ als auch pädagogische Deutungen der Situation. Die erziehungspsychologischen Arbeiten der Psychologen Tausch in den 1960er und 70er Jahren wurden von der Verknüpfung von Reformvorstellungen und empirischer Unterrichtsdokumentation bestimmt. Tausch/ Tausch (1963) interessierten sich für das Lehrerverhalten und seine Veränderbarkeit. So versuchten sie in ihren sozialpsychologisch orientierten Arbeiten zum Führungsstil und Klassenklima mittels Tonbandaufnahmen und Transkriptionen die Überlegenheit von nichtdirektivem Lehrerhandeln im Vergleich zu traditionellen Verhaltensweisen zu belegen. Dazu wurde der Unterrichtsstil mit dem zugehörigen Schülerverhalten bzw. dem Lernerfolg der Schüler korreliert und damit einer Bewertung zugeführt, aus der Handlungsanweisungen für eine Verbesserung des Unterrichts abgeleitet wurden. Das von Flanders (1960) in den USA vorgeschlagene interaktionsanalytische Verfahren zur Unterrichtsbeobachtung ist dagegen eher deskriptiv orientiert. Flanders beschäftigte sich mit dem, was Lehrer als die im engeren Sinne unterrichtlichen Prozesse bezeichnen und untersuchte deren Auswirkungen auf Schülerbeteiligung und Schülerleistung. Die sprachlichen Äußerungen im Unterricht werden dabei auf der Grundlage von zehn Kategorien klassifiziert. Um das Lehrerverhalten zu beschreiben und Veränderungsmöglichkeiten aufzuweisen, sollen die Beobachter - entweder direkt während der Unterrichtsstunde oder anhand einer Tonbandaufzeichnung - die Äußerungen jeweils in einem Abstand von drei Sekunden einer dieser zehn Kategorien zuordnen. Einige der Kategorien beziehen sich unmittelbar auf linguistische Daten (z.B. Fragen stellen, Lehrervortrag, Anweisungen erteilen), während andere Kategorien auf anderen Abstraktionsebenen liegen (z.B. Loben, Ermutigen). Während also einige Kategorien eine unmittelbare grammatische Entsprechung haben, ist es für andere erheblich schwieriger, eine explizite Form der Realisierung zu bestimmen. Zudem führte die Zuordnung nach Zeitintervallen zu großen Schwierigkeiten. Bis in die 1960er Jahre beschäftigten sich vor allem didaktische und pädagogische Disziplinen mit der Unterrichtsforschung, die zur genauen Beobachtung von Unterricht das Verfahren der Protokollierung aus der Psychologie für pädagogisch-didaktische Zwecke adaptierten. Bis Mitte <?page no="35"?> 35 der 1960er Jahre wurden die linguistischen Beschreibungs- und Klassifizierungsmöglichkeiten nicht genutzt. 17 Die erste Arbeit, die sich linguistischer Verfahren bediente, war dennoch pädagogisch motiviert: die in den 1960er Jahren entstandene Studie von Bellack u.a. (1974). Diese Studie beschäftigte sich mit der Entwicklung eines differenzierten und mehrdimensionalen Kategoriensystems zur Beschreibung des Unterrichtsgeschehens. Eine untergeordnete Aufgabenstellung bestand darin, die sprachlichen Variablen des Unterrichtsgesprächs in Bezug zum Lernerfolg der Schüler zu erforschen. Empirisch fundiert wurde die Studie durch die auditive Dokumentation des Unterrichts in 15 High-School-Klassen. Für alle an der Untersuchung teilnehmenden Klassen wurde eine gemeinsame Unterrichtseinheit ausgewählt. Die Unterrichtsgespräche wurden mit zwei Mikrophonen aufgenommen (eines für die Äußerungen des Lehrers, das andere zwischen den Schülern), was eine genaue Transkription ermöglichte. In Anlehnung an Wittgenstein (1953) wird das Sprachgeschehen im Unterricht als eine Art von Sprachspiel betrachtet. Bellack u.a. gehen vom Sprachspiel-Theorem Wittgensteins aus, die Bedeutung von Wörtern sei ihr Gebrauch in der Sprache und entwickeln eine Typologie von den Unterricht konstituierenden Spielzügen. Diese Spielzüge werden gemäss ihrer pädagogischen Funktionen im Rahmen des Unterrichtsgesprächs in vier Hauptgruppen eingeteilt (vgl. Bellack u.a. 1974: 28-31): - Strukturieren: Strukturierende Spielzüge bilden die Angelpunkte des Unterrichtsgesprächs, da sie den Rahmen für nachfolgendes Verhalten oder Handeln setzen. Sie enthalten implizite Anweisungen und werden hervorgerufen durch die Vorstellung des Sprechers über das, was gesagt oder unterrichtet werden sollte. - Auffordern: Aufforderungen haben lenkenden (direktiven) Charakter und sind entscheidend für jede aktive Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Schülern im Unterricht. Alle Fragen, Befehle, imperativischen Äußerungen und Bitten gelten als Aufforderungen. 17 Die Gründe für die Abstinenz lagen laut Becker-Mrotzek/ Vogt (2001: 13) in der Dominanz der Sprachinhaltsforschung in der Bundesrepublik und des Strukturalismus in den angelsächsischen Ländern. Die Sprachinhaltsforschung war an geistesgeschichtlichen Dimensionen sprachlicher Formen interessiert, der Strukturalismus beschränkte sich auf die Beschreibung und Erklärung satzinterner Relationen sprachlicher Formen. Mit der disziplinbezogenen Rezeption der Sprachspiel-Theorie des Philosophen Wittgenstein (1889-1951) und der sich daraus entwickelnden Modellierung der „normalen Sprache“ in der Sprechakttheorie wurden schließlich die sprachlichen Verhältnisse im Klassenzimmer zu einem Gegenstand der sich nunmehr entfaltenden Teildisziplin der Pragmatik. <?page no="36"?> 36 - Reagieren: Reagierende Spielzüge stehen in Wechselbeziehung zu den Aufforderungs-Zügen und treten nur in Verbindung mit ihnen auf. Ihre unterrichtliche Funktion besteht darin, die Erwartungen auffordernder Spielzüge zu erfüllen. Schülerantworten auf Lehrerfragen werden daher als reagierende Züge klassifiziert. - Fortführen: Diese Spielzüge werden von einem strukturierenden, auffordernden, reagierenden oder einem vorausgegangenen fortführenden Zug veranlasst. Ihre pädagogische Funktion ist es, das bereits Gesagte zu modifizieren und/ oder zu beurteilen. Als fortführender Spielzug gilt z.B. die Beurteilung einer Schülerreaktion durch den Lehrer. 18 Spielzüge treten in bestimmten zusammenhängenden Mustern oder Abfolgen auf, die (Spiel-) Zugkombinationen genannt werden. Eine Zugkombination beginnt mit einer Strukturierung oder Aufforderung und enthält einen oder mehrere reagierende oder fortführende Züge. Sie erstreckt sich bis zum nächsten strukturierenden oder auffordernden Zug, mit dem eine neue Zugkombination eingeleitet wird (vgl. Bellack u.a. 1974: 206-234). Die Stärke der Untersuchung liegt in einer empirisch fundierten Kategorienbildung, die in eine konzentrierte Regelbeschreibung der Züge mündet. 19 Mit dieser Arbeit begann die Aneignung des Gegenstands Unterrichtssprache durch die Linguistik. Gegenüber den damals gebräuchlichen Kodierungsverfahren (z.B. dasjenige Flanders) stellte die auditive Dokumentation von Unterricht einen erheblichen Fortschritt dar, da das beobachtete Geschehen im Klassenzimmer nun relativ genau durch Transkriptionsverfahren erfasst werden konnte. In den 1970er Jahren wurden die theoretischen und technischen Voraussetzungen geschaffen, die Interaktion im Unterricht mit pragmalinguistischen und gesprächsanalytischen Methoden zu untersuchen. Dies führte nicht nur zu differenzierteren Antworten auf bisherige Fragen der Unterrichtsforschung (z.B. wie lange und wie oft der Lehrer und die Schüler reden; wie oft und wann der Lehrer bewertet, lobt, tadelt etc.), sondern auch zur Differenzierung und Verschiebung der Fragestellungen selbst. Die Defizite der interaktionsanalytischen Unterrichtsforschung traten klar hervor (siehe dazu Ehlich/ Rehbein 1976b und Henne/ Rehbock 1982: 243): Da sich die Analyse auf kategorial gesteuerte Beobachtungsprotokolle stützte, mussten die Kategorien grob gerastert und die Daten 18 Für ausführlichere Informationen zu den einzelnen Spielzügen sei auf Bellack u.a. (1974: 94-205) verwiesen. 19 Eine solche Regelbeschreibung hat auch ihre Mängel, denn einige Bestandteile von Lehreräußerungen lassen sich nicht ohne weiteres den Spielzügen zuordnen; die Kategorie Fortführen umfasst alles, was nicht in die anderen drei hineinpasst. <?page no="37"?> 37 explizit und oberflächennah sein, um eine schnelle und sichere Kodierung zu gewähren. Die Kategorien wurden intuitiv und alltagssprachlich konstituiert und gestatteten oft keine eindeutige Zuordnung der Daten. 20 Visuelle Daten wurden nur unsystematisch berücksichtigt. Es wurden vornehmlich Lehrer-Schüler-Interaktionen im Frontalunterricht untersucht, wobei die Schüler zumeist als einheitlicher Block repräsentiert waren. Behandelt wurde ferner ausschließlich die Hauptdiskursebene, nicht unterrichtsbezogene Schüleraktivitäten wurden ausgeklammert. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurde die den Unterrichtsverlauf thematisch und organisatorisch mitbestimmende Institution Schule sowie deren gesellschaftliche und bildungspolitische Bedingtheit. 21 In den 1970er Jahren wurde neben dem sprechakttheoretischen Ansatz auch das Modell menschlicher Kommunikation (vgl. Watzlawick 1969) auf den Unterricht bezogen. In ihrer Arbeit zum Vergleich der kommunikativen Verhältnisse in Frontal- und Gruppenunterricht bringen Diegritz / Rosenbusch (1977) mit ihrer „pragmatisch-dynamischen Methodenkombination“ das verhaltenstheoretische Modell Watzlawicks und den sprechakttheoretischen Ansatz zusammen. Ihre Methodenkombination umfasst drei Teilaspekte (vgl. Diegritz/ Rosenbusch 1977: 46-48): - Quantitative Analyse: Interaktionsrichtungen und -frequenzen werden ausgewertet. Damit wird eine Groborientierung über die zu untersuchende Unterrichtssequenz gewonnen. - Qualitative Verlaufsanalyse: Der Interaktionsprozess unter Berücksichtigung der Teilnehmerperspektiven wird nachgezeichnet. Dadurch können differenzierte Einsichten in die Spezifik von Kommunikation im Unterricht gewonnen werden. - Sprechhandlungsklassifikation: Dieser Teil der Methodenkombination vereint quantitative und qualitative Aspekte in sich. Die Intentionen der einzelnen Äußerungen werden sortiert und nach Sprechhandlungsklassen 22 geordnet. Hiermit wird kommunikatives Handeln der Schüler in seiner Situationsspezifik erfasst. Um die Unterrichtssequenzen zu analysieren, haben Diegritz/ Rosenbusch Ton- und Videoaufzeichnungen gemacht. Da Lehrer aus Zeitgrün- 20 Das gilt selbst für das Kategoriensystem von Bellack u.a. (1974). 21 Dieser Mangel gilt im besonderen Masse auch für den Ansatz von Sinclair/ Coulthard (1975), der in Kapitel 3.2.2 vorgestellt wird. 22 Diegritz/ Rosenbusch schlagen als Sprechhandlungsklassen Konstativa (Feststellung, Vermutung, Begründung, Antwort usw.), Positionale (Optativa z.B. Frage, Bitte / Imperativa z.B. Aufforderung, Befehl / Konstruktiva z.B. Vorschlag, Angebot / Positionale im engeren Sinne z.B. Stellungnahme Behauptung) und Evaluativa (positive Evaluativa wie Bestätigung, Zustimmung / negative Evaluativa wie Vorwurf, Kritik) vor (vgl. Diegritz/ Rosenbusch 1977: 48f.). <?page no="38"?> 38 den und wegen des technischen Aufwandes kaum in der Lage sind, nach dieser Methodenkombination eigene Erkenntnisse zu gewinnen, geben Diegritz/ Rosenbuch abschließend Hinweise zur Unterrichtspraxis, ganz nach ihrem Anspruch, dass jegliche Unterrichtsanalyse „ihre Rechtfertigung nur darin haben [kann, A.S.], dass sie einen Beitrag zur möglichen Verbesserung von Unterrichtspraxis liefert.“ (Diegritz/ Rosenbusch 1977: 44) Zwischen 1975 und 1986 erschienen dann drei Arbeiten, die für den Gegenstand ‚Unterrichtskommunikation’ unterschiedliche Zugriffweisen der linguistischen Pragmatik wählten. Diese drei Arbeiten und ihre Ansätze werden im Folgenden vorgestellt. 3.2.2. Die angelsächsische Diskursanalyse 1975 wurde ein paradigmenstiftendes diskursanalytisches Hauptwerk zur Unterrichtsanalyse veröffentlicht. Der Titel Towards an Analysis of Discourse drückt das Erkenntnisinteresse seiner Autoren Sinclair/ Coulthard aus: Nicht die Unterrichtssituation steht im Mittelpunkt ihres Interesses, sondern es geht ihnen um die Entwicklung von Analysekategorien für linguistische Einheiten, die größer sind als ein Satz. Sinclair/ Coulthard sahen aus folgenden Gründen die alltägliche Kommunikation als nicht geeignet, um eine systematische Ableitung der Strukturbeschreibung des Diskurses zu entwickeln (vgl. Sinclair/ Coulthard 1977: 17f.): - In der normalen Unterhaltung ist ein Themenwechsel nicht vorherzusagen, da die Teilnehmer den gleichen Status und dieselben Rechte haben, das Thema zu bestimmen. - Ein Sprecher kann immer einer Frage ausweichen und ihre Berechtigung bestreiten, statt sie zu beantworten. Auf diese Weise verursacht er eine Abschweifung oder eine völlige Änderung der Gesprächsrichtung. - Die Mehrdeutigkeit der Sprache bewirkt, dass sich die Leute gelegentlich missverstehen oder sie nutzen die Mehrdeutigkeit aus und geben vor, etwas missverstanden zu haben. Aus methodologischen Gründen haben sich Sinclair/ Coulthard für die Analyse der Unterrichtssprache entschieden: Angesichts dieser und vieler anderer der Konversation innewohnender Probleme hielten wir es für fruchtbarer, mit einem einfacheren Typ von gesprochener Sprache zu beginnen, einem Typ mit einer offensichtlicheren Strukturierung, wo ein Teilnehmer seine Verantwortung für die Richtung des Gesprächs, für die Entscheidung, wer wann sprechen soll, und für die Einführung und Beendigung von Themen akzeptiert hat. Wir suchten außerdem eine <?page no="39"?> 39 Situation, wo alle Teilnehmer ernsthaft zu kommunizieren versuchten, und wo potentiell mehrdeutige Äußerungen wahrscheinlich eine verbindliche Bedeutung hätten. Wir fanden die gewünschte Situation im Schulunterricht. (...) In unserem Bemühen, die Dinge für den Anfang so einfach wie möglich zu gestalten, wählten wir Unterrichtssituationen, in denen der Lehrer vor der Klasse ‚frontal unterrichtete’ und deshalb wohl ein Maximum an Kontrolle über die Struktur des Unterrichtsgesprächs ausübte. (Sinclair/ Coulthard 1977: 19) Aufgrund dieser Entscheidung wurden vorerst auditive Aufnahmen von sechs Schulstunden gemacht, die der jeweilige Klassenlehrer mit Kleingruppen bis zu acht Schülern gehalten hat. 23 Die erhobenen auditiven Daten wurden verschriftlicht, wobei die Transkription Pausen, Akzente und Intonationsverläufe berücksichtigte. Auf der Grundlage dieses Materials wurden jene funktionalen Kategorien entwickelt, die sich in übersatzmäßigen Zusammenhängen bewähren sollten. Sinclair/ Coulthard arbeiteten analog zu dem in der Grammatik entwickelten hierarchischen Kategoriensystem ein Analyseinstrumentarium für die Ebene des Diskurses heraus. Die folgenden, hierarchisch konstruierten Komponenten sind laut Sinclair/ Coulthard geeignet, die kommunikativen Ereignisse sequentiell zu analysieren. Übersicht 1: Ebenen und Stufen des Diskurses (Sinclair/ Coulthard 1977: 53) Außerlinguistische Organisation Diskurs Grammatik Kurs Unterrichtsstunde Thema Lektion Phase Äußerungsfolge (exchange) 24 Schritt Akt Satz(gefüge) (Teil-)Satz (Wort-)Gruppe Wort Morphem 23 Sinclair/ Coulthard erwähnen zwar, dass sie in der Folge eine breite Vielfalt von Aufnahmen mit verschiedenen Kindern, Altersgruppen, Themen und Lehrern gesammelt haben, spezifizieren das Material aber nicht weiter. 24 Der englische Ausdruck exchange macht besser als ‚Äußerungsfolge’ deutlich, dass mit dieser Einheit die Gesprächskonstellation der Wechselrede aufeinander bezogener Äußerungen verschiedener Sprecher erfasst werden soll. <?page no="40"?> 40 Die Lektion nimmt die Position auf der obersten Ebene ein. Sie setzt sich aus Phasen zusammen und entspricht im Wesentlichen dem Umfang einer Unterrichtsstunde. Problematischerweise geben die Autoren weder Auskunft über die Verknüpfung von Phasen zu Lektionen, noch begründen sie wirklich plausibel, weshalb die größte Diskurseinheit gerade eine institutionenspezifische Bezeichnung trägt. 25 Phasen bestehen aus Äußerungsfolgen und sind durch einrahmende strukturierende Äußerungen gekennzeichnet. Die charakteristische Struktur dieser Äußerungsfolgen besteht aus drei Schritten: Einer Initiierung folgt eine Respondierung und dieser ein Feedback (vgl. die ‚Spielzüge’ Auffordern, Reagieren und Fortführen in Bellack u.a. (1974: 30f.) und Kapitel 6.2 dieser Arbeit). Diese Organisation in Schritte (Züge) wird weiter ausdifferenziert in Akte, die nicht selbständig auftreten können. Ehlich/ Rehbein (1976b) heben an der Arbeit von Sinclair/ Coulthard (1975) gegenüber den Untersuchungen von Flanders (1970) und Bellack u.a. (1974) folgende Vorzüge hervor: - Die Analysen lassen sich wirklich auf die sprachlichen Erscheinungen ein; die Kategorien sind linguistischer Art; die Kategorien werden aus den sprachlichen Daten entwickelt und ihnen nicht übergestülpt; die Kategorien werden linguistisch reflektiert und nicht naiv als selbstverständlich genommen. (Ehlich/ Rehbein 1976b: 62) Sinclair/ Coulthard ist es gelungen, ein Beschreibungsinstrumentarium zu entwickeln, mit dessen Hilfe der Zugang zu Prozessen der Unterrichtskommunikation möglich wurde. Kritisch anzumerken bleibt, dass nicht Unterricht im institutionell gegebenen Rahmen die Fundierung der linguistischen Kategorien leistet, sondern ein auf effektive Instruktion ausgerichtetes Setting, wobei die sprachliche Realität des Unterrichts eine Zurichtung aufs Überschaubare erfährt. Sinclair/ Coulthard bleiben bei einer rein deskriptiven und isolierten Strukturanalyse von Hauptdiskursen lehrerzentrierten Unterrichts stehen. 25 Sinclair/ Coulthard (1977: 53f.): “Wir haben als Bezeichnung für die oberste Stufe in unserem System bewusst Lektion gewählt, ein Wort, das für die besondere sprachliche Situation charakteristisch ist, die wir untersuchen.“ <?page no="41"?> 41 3.2.3. Die ethnomethodologische Konversationsanalyse Die Arbeit Mehans Learning Lessons (1979) ist ethnomethodologisch bzw. konversationsanalytisch orientiert. Um die ethnomethodologische Konversationsanalyse richtig darstellen und verstehen zu können, empfiehlt sich ein Blick auf ihre Herkunft und ihren Entstehungszusammenhang: die so genannte Ethnomethodologie, die deren theoretischen und methodischen Hintergrund bildet. Begründet wurde die Ethnomethodologie in den 1970er Jahren vom amerikanischen Soziologen Harold Garfinkel. Er selbst formuliert das Forschungsprogramm folgendermassen: „an organizational study of a member´s knowledge of his ordinary affairs, of his own organized enterprises” (Garfinkel 1967: 18). Das Konzept der Ethnomethodologie lehnt sich an den symbolischen Interaktionismus in der Tradition George H. Meads (1934) und an die Arbeit des deutschen Philosophen und Soziologen Alfred Schütz (1932) an, der mit seinem phänomenologischen Programm eine erfahrungs- und bewusstseinsanalytische Erklärung der Strukturen der Alltagswelt verfolgte. Ebenso wie Schütz nimmt auch Garfinkel an, dass die soziale Ordnung und Wirklichkeit erst durch die handelnden Individuen in ihrem alltäglichen Handlungsvollzug hergestellt wird und nicht per se, als objektive Tatsache, gegeben ist. Das Erkenntnisinteresse der Ethnomethodologie bezieht sich also auf den Prozess der Sinngebung im Alltagshandeln. Der Wortbestandteil „Ethno-“ (griech. „ethnos“ = Volk) deutet an, dass es hier nicht etwa primär um wissenschaftliche Methoden geht, sondern um die Methoden des Alltagsmenschen, um den Alltagsvollzug praktischer Handlungen. Der zweite Wortbestandteil rekurriert auf die ethnomethodologische Prämisse, dass sich die Gesellschaftsmitglieder bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Angelegenheiten bestimmter Methoden und Verfahren bedienen, um ihre Welt sinnhaft zu strukturieren (griech. „methodos“ = Gang einer Untersuchung). Obwohl wir uns dieser Prozesse nicht bewusst sind - schließlich erscheint die soziale Welt uns allen im Alltag als objektiv gegeben - wenden wir sie permanent an und erzeugen gerade durch diese fortwährende Praxis unsere soziale Wirklichkeit selbst. Dieser Vorgang der Wirklichkeitserzeugung muss methodisch ablaufen, also formale und beschreibbare Strukturen besitzen, denn schließlich müssen die Methoden intersubjektive Gültigkeit besitzen, da auch andere Handelnde sich ihrer bedienen. Gerade diese Methoden, Verfahren und Mechanismen der Produktion von sozialer Wirklichkeit sind zentrale Untersuchungsgegenstände Garfinkels. Nachdem die durch Garfinkel begründete Ethnomethodologie in ihren zentralen Aussagen dargestellt worden ist, soll nun die sich aus ihr <?page no="42"?> 42 entwickelte ethnomethodologische Konversationsanalyse 26 in den Blick genommen werden. Als „Urväter“ der amerikanischen ‚conversation(al) analysis’ gelten der Garfinkel-Schüler Harvey Sacks sowie Emanuel A. Schegloff und Gail Jefferson. In den Arbeiten von Sacks, Schegloff und Jefferson, die in den 1960er Jahren begannen und in den 1970ern als ‚conversation(al) analysis’ bekannt wurden, spiegelt sich deutlich der ethnomethodologische Ausgangspunkt und dessen Methodologie wider. Die Konversationsanalyse übernimmt von der Ethnomethodologie die Frage nach der Herstellung von Ordnung - und zwar in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand ‚Gespräch’. Es geht also um die Methoden, die die Interagierenden einsetzen, um in der sprachlichen Interaktion Ordnung und Sinn herzustellen. Sacks, Schegloff und Jefferson versuchten gesprächsorganisatorische Strukturen im untersuchten Material zu entdecken und aufzuzeigen. Was die Ethnomethodologen zuvor allgemein postuliert hatten - nämlich die lokale Produktion von sozialer Ordnung und Sinn, im Sinne einer Vollzugswirklichkeit - sollte nun in der sprachlichen Interaktion nachgewiesen werden. Mit ihrer Untersuchung der Sinn stiftenden Eigenschaften gesprochener Sprache begründeten die Linguisten Sacks, Schegloff und Jefferson die Richtung der Konversationsanalyse. Zu Beginn thematisierte die Konversationsanalyse die das Gesprächsverhalten strukturierenden Regeln in alltäglichen Zusammenhängen, erweiterte aber das Spektrum zunehmend im Hinblick auf institutionelle Kontexte. Kennzeichen der ethnomethodologischen Vorgehensweise sind ihre Detailanalysen von Gesprächsvorgängen. Die Konversationsanalyse fokussiert auf der Grundlage von genauen Transkriptionen von auditiv oder audiovisuell dokumentierten natürlichen Gesprächen die in den Oberflächenphänomenen wirksam werdenden sozialen Ordnungen, wie sie von den Handelnden hergestellt werden - etwa das ‚turn-taking- System’ (siehe Kap.5) oder die regelhafte Abfolge von Gesprächsschritten in Nachbarschaftspaaren, sog. ‚adjacency pairs’ (siehe Kap. 6). Mehans (1979) vorgelegte ethnographisch orientierte Analyse von Unterrichtskommunikation untersucht die Binnenstruktur des Unterrichtsdiskurses. Eine audiovisuelle Dokumentation von neun Unterrichtsstunden in einer elementary school in San Diego fundiert die Arbeit. Um 26 Zur ethnomethodologischen Konversationsanalyse siehe auch Bergmann (1981). Einen aktuellen Beitrag zum Konzept der Konversationsanalyse liefert Bergmann (2001). Sein Aufsatz bietet einen fundierten Überblick über den Begriff, die Geschichte, den theoretischen Hintergrund und die Methodologie der Konversationsanalyse. <?page no="43"?> 43 eine verlässliche Grundlage für die Analyse zu schaffen, wurden die Daten transkribiert. 27 Im Mittelpunkt der Untersuchungen Mehans stehen die Phasen und die Organisation einer Unterrichtsstunde. Eine Unterrichtsstunde weist eine sequentielle Organisation auf: These classroom lessons are composed of three phases: an opening, an instructional, and a closing phase. Each phase serves a different function in lessons. Teachers and students inform each other that they are going to conduct a lesson and make procedural arrangements during the opening phase. Academic information is exchanged during the instructional phase. The closing phase is a mirror image of the opening phase. Here, teachers and students formulate what they have done, and prepare to move on to the next classroom activity. (Mehan 1979: 49) Mehan unterscheidet Eröffnungs-, Instruktions- und Abschlussphase als Konstituenten des Unterrichtsdiskurses. Des Weiteren hält er prinzipiell an der seit Bellack et. al. (1966) angenommenen und auch von Sinclair/ Coulthard (1975) vertretenen Dreischrittigkeit der Lehrsequenzen fest (‚initiation-reply-evaluation’) und erfasst damit die schulspezifische Erweiterung des ‚adjacency pairs’ von Frage und Antwort durch die Lehrerbewertung. Auch seine Zerlegung des Unterrichtsdiskurses in ‚phases’ und ‚acts’ folgt im Wesentlichen Sinclair/ Coulthard. Mehan beansprucht in seiner Arbeit, Regeln für die Organisation des Instruktionsdiskurses zu formulieren. Die Unterrichtsstunde und die Struktur ihrer Phasen kommen wegen seiner eher soziologischen Orientierung in den Blick. Auf der Grundlage von Transkriptionen werden die wesentlichen Anteile sprachlicher Aktivitäten an der Organisation der interaktiven Prozesse in Form von Sequenz- und Beitragsverteilungsregeln expliziert. Die methodologischen Prämissen sind allerdings nur auf den ersten Blick erfüllt. Die Beschränkung der Datenerhebung auf Unterrichtsstunden mit Schulanfängern hat nämlich zur Folge, dass die Betrachtung anders organisierter Stunden in höheren Jahrgangsstufen möglicherweise auch differente Organisationsmodalitäten offen legen würde. Mehans in der Regelformulierung zum Ausdruck kommender Anspruch müsste etwas bescheidener ausfallen. Zudem geht Mehan zwar auf die institutionellen Bedingungen ein, setzt sie aber als gegeben und selbstverständlich voraus. 27 Mehans Transkriptionskonventionen sind allerdings nicht sehr ausgefeilt: Er bedient sich der Satzendzeichen als Intonationsmarkierer und vermerkt nur Pausen, Unterbrechungen und simultanes Sprechen, während andere wichtige Eigenschaften wie z.B. Akzente und Tempo nicht berücksichtigt werden. <?page no="44"?> 44 3.2.4. Der Beitrag der funktionalen Pragmatik Im Folgenden steht die funktionale Pragmatik im Zentrum des Interesses. Zuerst werden ihre Grundlagen dargestellt (Kap. 3.2.4.1), anschließend wird auf die von Ehlich/ Rehbein 1986 veröffentlichte Monographie Muster und Institution eingegangen (Kap. 3.2.4.2). Darin werden auf der einen Seite methodologische Fragen zur funktionalpragmatischen Analyse institutioneller Kommunikation behandelt, auf der anderen Seite geht es um schulische Kommunikation, denn Ehlich/ Rehbein führen ihre Methodologie an diesem konkreten Beispiel institutioneller Praxis vor. 3.2.4.1. Grundlagen der funktionalen Pragmatik Wie in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse geht es auch in der funktional-pragmatischen Diskursanalyse um sprachliches Handeln. Auch hier wird Sprache nicht als eine abstrakte Größe untersucht, sondern in ihren konkreten Verwendungszusammenhängen, nämlich in der sprachlichen Interaktion zwischen Individuen. Beide Disziplinen gehen empirisch vor, indem sie natürliche Gespräche untersuchen. Authentizität des Untersuchungsgegenstandes ist somit eine grundlegende Voraussetzung beider Forschungsrichtungen. Trotz dieser Gemeinsamkeiten sind die Traditionen, Erkenntnisinteressen und Methoden der beiden Forschungsrichtungen divergent. Beide Ansätze treten mit unterschiedlichen Blickwinkeln an ihr Untersuchungsobjekt heran. Dies wird schon allein daran deutlich, dass es sich bei der ethnomethodologischen Konversationsanalyse um eine genuin soziologische Forschungsrichtung handelt, bei der funktional-pragmatischen Diskursanalyse um eine im linguistischen Kontext zu verortende Disziplin. Die funktionale Pragmatik 28 ist ein handlungstheoretischer Forschungsansatz, der in den letzten 30 Jahren gerade auch die schulische Kommunikation untersucht hat. Sie stellt eine eigenständige Weiterentwicklung unterschiedlicher Forschungsansätze dar. Zum einen ist hier die Sprechaktheorie (Austin, Searle) zu nennen, worauf der griechische Ausdruck ‚pragma’ (‚Handlung’) in ihrem Namen hindeutet. Die Sprechaktheorie hat die Entwicklung der linguistischen Pragmatik zentral bestimmt, indem sie wesentlich dazu beigetragen hat, den Handlungscharakter von Sprache in den Blick der linguistischen Analyse zu rücken. Denn mit Sprache machen wir nicht nur Aussagen über die Welt, sondern handeln auch ganz praktisch, etwa wenn wir eine Frage stellen. Der Ausdruck ‚funktional’ bezieht sich darauf, dass sprach- 28 Zum Konzept der funktional-pragmatischen Diskursanalyse siehe auch Rehbein (2001). <?page no="45"?> 45 liche Formen in der Kommunikation ganz bestimmte Aufgaben erfüllen, bestimmten Zwecken dienen. Das Erkenntnisinteresse der funktionalen Pragmatik besteht darin, den Zusammenhang von sprachlichen Formen und kommunikativen Funktionen zu erfassen und auf diese Weise sprachliches Handeln zu erklären. Will man Sprache in ihrem Handlungskontext untersuchen, bedeutet Sprachanalyse zugleich auch Kommunikationsanalyse, denn die Leistung der einzelnen sprachlichen Formen und Mittel wird erst in ihrem Gebrauch sichtbar. Zudem schließt Kommunikationsanalyse eine Handlungsanalyse ein, weil die Kommunikation ihrerseits eingebunden ist in weitere Handlungszusammenhänge. Zahlreiche dieser Tätigkeiten finden in festen Institutionen statt, weshalb die Handlungsanalyse eine Institutionsanalyse einschließt; Handeln bedeutet vielfach Handeln in Institutionen. Für die funktionale Pragmatik bedeutet das, dass es einen engen Zusammenhang von Sprache, Kommunikation und Institution gibt. Brünner/ Graefen (1994) fassen das so zusammen: Funktionale Pragmatik ist eine Analyseweise, die sprachliches Handeln als Teil der gesellschaftlichen Praxis untersucht. Das bedeutet, dass sie das sprachliche Handeln systematisch auf gesellschaftliche Zwecke und auf institutionelle Bedingungen bezieht. Zugleich analysiert sie es in seiner Vernetzung mit anderen (mentalen und praktischen) Formen des Handelns. Sie rekonstruiert die gesellschaftlichen Zwecke und bis zu einem gewissen Grad auch die individuellen Ziele aus den Formen sprachlicher Handlungen sowie aus der Verwendungsweise sprachlicher Mittel. Dabei verwendet sie empirische Daten in Form authentischer Diskurse und Texte. (Brünner/ Graefen 1994: 14) Zentraler Begriff im Ansatz der funktionalen Pragmatik ist der des ‚sprachlichen Handlungsmusters’, wie er von Ehlich/ Rehbein (1986) entwickelt worden ist. Damit sind gesellschaftlich ausgearbeitete Formen zur Bewältigung bestimmter wiederkehrender kommunikativer Probleme gemeint. Wenn sich bestimmte kommunikative Probleme immer wieder stellen, wird daraus ein Standardproblem. Erfolgreiche Lösungen des Problems werden durch wiederholtes Ausführen zu Standardlösungen. Der Zusammenhang von (Standard-)Problem und (Standard-)Lösung geht im Muster eine feste Verbindung ein, indem es die Lösungswege für eben dieses Problem bereithält. Sprachliche Handlungsmuster sind von den Zwecken abhängig, die die Handelnden verfolgen (vgl. Vogt 2002: 55). Der Zusammenhang zwischen einem Standardproblem und seiner Standardlösung nennt man den ‚Zweck’ eines Musters. Der Zweck eines Musters liegt in der Standardverbindung von Problem und Lösung. Zwecke sind also verallgemeinerte Zielsetzungen, die von den individuellen Zielen zu unterscheiden sind (vgl. Ehlich/ Rehbein 1986: 11f.). Das Muster ist durch eine bestimmte Abfolgestruktur bestimmt, die sich aus dem Zweck herleitet. Ein solches Handlungsmuster ist z.B. das <?page no="46"?> 46 Frage-Antwort-Muster: Der allgemeine Zweck dieses Musters besteht darin, Wissen aus dem Kopf der einen in den einer anderen Person zu transportieren. Hierfür hat sich dieses sprachliche Handlungsmuster herausgebildet. Der hohe Grad der Standardisierung zeigt sich hierbei auch darin, dass für den Sprechakt der Frage eine eigene grammatische Form ausgebildet wurde: Dass es sich bei einer Äußerung um eine Frage handelt, erkennt der Hörer an der fragetypischen Wortstellung, an der Verwendung von Fragewörtern und an der Intonation. Zusammengefasst lässt sich das Frage-Antwort-Muster so beschreiben: Das Standardproblem besteht im Bemerken eines Wissensdefizits, die Standardlösung in einer Sequenz aus Frage und Antwort und der Zweck in der Weitergabe von Wissen. Wenn die Menschen für das Erreichen ihrer Ziele in Kontakt mit anderen treten, dann bedienen sie sich der sprachlichen Muster. Auf diese Weise organisieren die Muster zugleich das gemeinsame Handeln - die Interaktion - von Sprecher und Hörer. Mit dem Einstieg in ein Muster werden die weiteren Musterpositionen erwartbar, d.h. sie verpflichten Sprecher und Hörer zu bestimmten Aktivitäten. So entsteht mit einer Frage für den Hörer eine starke Verpflichtung zu antworten. Dieser kann man sich nur unter bestimmten Voraussetzungen entziehen, beispielsweise bei eigenem Nicht-Wissen. Anderenfalls gilt man als grob unhöflich, weil man die sehr grundlegende Verpflichtung zur Kooperation missachtet. 3.2.4.2. Funktional-pragmatische Unterrichtsanalyse Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Untersuchung von Ehlich/ Rehbein (1986), in der schulische Kommunikation als soziales Handeln in einer Institution analysiert wird. 29 Die Diskursanalyse von Unterrichtskommunikation hat zum Ziel, die konkreten Erscheinungsformen des sprachlichen Handelns als Ausdruck der zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten zu rekonstruieren. In diesem Sinn versteht sich die Diskursanalyse als eine praxisbezogene, anwendungsorientierte Erforschung der kommunikativen Wirklichkeit mit Hilfe linguistischer Methoden. Im Zentrum diskursanalytischer Untersuchungen stehen Ton- und Videoaufnahmen authentischer Kommunikation. 30 Auf diese Weise entsteht ein Korpus von mehreren Unterrichtsstunden, 29 Eine Zusammenfassung dieser Untersuchung findet sich im Forschungsbericht von Becker-Mrotzek (1993: 265-268). 30 Die Unterrichtsszenen werden nicht extra zum Zweck der Aufnahme inszeniert. Es werden also keine Rollenspiele oder ähnliches arrangiert, weil sich die Beteiligten unter den veränderten Bedingungen anders als unter „natürlichen“ Bedingungen verhalten. <?page no="47"?> 47 die anschließend transkribiert werden. Nun beginnt die eigentliche Analyse, d.h. die Rekonstruktion des kommunikativen Geschehens. Das zentrale Ziel besteht in der Rekonstruktion einer typischen Folge von sprachlichen Äußerungen als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks, also in der Rekonstruktion der zugrunde liegenden sprachlichen Handlungsmuster. Die bislang vorliegenden Untersuchungen konzentrieren sich auf die Aspekte von Unterricht, die sehr direkt mit der Vermittlung von Wissen durch den Lehrer zu tun haben. Ehlich/ Rehbein (1986) untersuchen exemplarisch die schulische Form und Funktion von vier sprachlichen Handlungsmustern: das Aufgaben-Stellen-Lösen-Muster (Aufgabe-Lösungs-Muster) das Rätselraten den Lehrervortrag mit verteilten Rollen das Begründen Die Ergebnisse dieser Teilanalysen wurden durch einen Vergleich der schulischen Formen mit der alltäglichen Praxis gewonnen. 31 Auf diese Weise gelingt es Ehlich/ Rehbein, die Spezifik der schulischen Formen klar herauszuarbeiten. Zur Adaptation von alltäglichen sprachlichen Mustern zu schulischen Zwecken schreibt Becker-Mrotzek: Ein wesentlicher Zweck von Schule ist der akzelerierte, beschleunigte Wissenserwerb i.w.S., d.h. die Vermittlung unterschiedlicher kognitiver und sozialer Fertigkeiten. Unterricht soll m.a.W. das gesellschaftliche Wissen an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Zu diesem Zweck bedient sie sich der alltäglichen sprachlichen Muster und adaptiert sie ihren eigenen Zwecken; ein Beispiel hierfür ist die viel diskutierte Lehrerfrage, die sich zwar der äußeren Form des Frage-Antwort-Musters bedient, dieses aber in den Dienst der Wissensvermittlung stellt. Diese Adaptation erfolgt unter den Bedingungen der Institution Schule, zu denen insbesondere die Massenhaftigkeit der Kommunikation (ein Lehrer - viele Schüler), der Zwangscharakter (Schulpflicht) sowie die Selektion (Zensuren) gehören. Sie führen zu einem Verlust der gegenseitigen Anerkennung von Lehrer und Schüler und schlagen sich nieder in Widersprüchen und Brüchen der Kommunikation. (Becker-Mrotzek 2002: 63) Dies haben Ehlich/ Rehbein (1986) anschaulich für das Aufgabe- Lösungs-Muster gezeigt, das eines der zentralen schulischen Handlungsmuster ist. Es unterscheidet sich wesentlich vom Problemlösen. Der zentrale Unterschied zum Problemlösen besteht darin, dass in der Schule kei- 31 So vergleichen Ehlich/ Rehbein (1986) das Aufgaben-Stellen/ Aufgaben-Lösen mit dem Problemlösen im Alltag, das Rätselraten in der Schule stellen sie dem im alltäglichen Spiel gegenüber, für die Analyse des Lehrervortrags mit verteilten Rollen ziehen sie das alltägliche Muster der Frage heran und das Begründen in der Schule wird mit dem Begründen in der alltäglichen gesellschaftlichen Praxis verglichen. <?page no="48"?> 48 ne Probleme, sondern Aufgaben zu lösen sind: Der Lehrer stellt in Form einer Frage oder Aufforderung eine Aufgabe, die Schüler sollen sie lösen und der Lehrer beurteilt die Lösungen. Dabei kennt der Lehrer die Problemstellung, die Zielsetzung, die Lösungswege und die Lösung; er muss daher den Prozess der Problemlösung nicht durchlaufen. Die Schüler jedoch kennen meist weder die Problemkonstellation noch die Zielsetzung. Dennoch sollen sie die Lösung finden. Das heisst, dass sie ein unbekanntes Problem mit einer unbekannten Zielsetzung lösen sollen. Dieser Unterschied erschwert oder verhindert, dass Schüler das intendierte Wissen erwerben, weil ihnen die Zielsetzung für ihr Tun verloren geht. 32 Ehlich/ Rehbein (1986) vergleichen bei ihrer Analyse die unterrichtlichen Verfahren mit denen des ‚Alltags’. Auf diese Weise konstruieren sie einen nicht unproblematischen antithetischen Bezug, der für sie zwar sehr instruktiv ist, weil auf der Folie der nicht-schulischen Kommunikationsformen die Spezifik der schulischen Formen besonders klar hervortritt. Allerdings wird hier der schulischen Wirklichkeit die so genannte gesellschaftliche Wirklichkeit sehr pauschal und idealisiert gegenübergestellt. Ehlich/ Rehbein räumen in einer Fussnote (1986: 2) ein, dass die Unterteilung in eine schulische und eine gesellschaftliche Wirklichkeit zu grob ist. Ehlich/ Rehbein konzentrieren sich bei der Analyse der vier sprachlichen Handlungsmuster auf solche, in denen die Vermittlung von Wissen durch den Lehrer im Vordergrund steht. Damit erfassen sie die Vielfalt möglicher und praktizierter Methoden, wie sie z.B. von Meyer (1993) beschrieben werden, nicht. Die Berücksichtigung von Methoden wie die Einzel- oder Gruppenarbeit, Diskussionen usw. ist erforderlich, um Unterricht in seiner Gesamtheit zu erfassen. Zudem ist bei den rekonstruierten sprachlichen Handlungsmustern - außer beim Aufgabe-Lösungs- Muster - terminologisch eine deutliche Fokussierung der konstitutiven Sprechakte zu bemerken: So setzt das Muster ‚Rätselraten’ das Stellen eines Rätsels, das Muster ‚Begründen’ das Aufstellen einer These oder die Kundgabe einer Handlungsabsicht voraus. Rätselraten, Vortragen und Begründen bezeichnen alle die zentralen Sprechakte der jeweiligen Sprecher. Wenn jedoch der gesellschaftliche Zusammenhang auch terminologisch eingeholt werden soll, dann wäre nicht der Sprechakt die Bezugsgröße, sondern der interaktive Zusammenhang, in dem dieser erscheint. Und schließlich sei noch auf ein weiteres Problem hingewiesen: Die Konzentration auf einzelne Handlungsmuster legt zwar deren Binnenstruktur offen, lässt aber ihre Einbindung in den Gesamtzusammenhang einer Unterrichtsstunde im Unklaren. 32 Zu den Folgen der Ersetzung des Problemlösens durch das Muster Aufgabe- Stellen/ Aufgabe-Lösen in der Schule siehe Ehlich/ Rehbein (1986: 20f.). <?page no="49"?> 49 3.3. Unterricht als kommunikatives und institutionelles Ereignis Nachdem in Kapitel 2.2 die Spezifik institutioneller Kommunikation im Zentrum stand, widmet sich dieses Kapitel der Institutionsspezifik schulischer Kommunikation. Becker-Mrotzek/ Vogt sehen Unterricht als ein komplexes, institutionell organisiertes Geschehen (...), an dem kommunikative, soziale, affektive und kognitive Prozesse beteiligt sind, das dem Zweck dient, der nachfolgenden Generation das nötige fachliche, soziale und kulturelle Wissen einer Gesellschaft zu vermitteln. (Becker-Mrotzek/ Vogt 2001: 9) Tatsächlich kommt im Unterricht dem kommunikativen Geschehen eine Schlüsselrolle zu. Die sprachlichen Äußerungen von Lehrern und Schülern lösen Lernprozesse aus und machen sie sichtbar. Der Wissenserwerb ist eng verbunden mit der Kommunikation im Unterricht: Aufgabenstellungen des Lehrers regen die Schüler zum Nachdenken an und die mündlichen und schriftlichen Antworten der Schüler geben dem Lehrer Auskunft über ihr Wissen. Neben der verbalen spielt auch die nonverbale Kommunikation - ausgedrückt durch Mimik, Gestik und Körperhaltung - eine wichtige Rolle für die Kommunikation im Klassenzimmer. Durch lobende, kritische oder mahnende Äußerungen von Lehrern und Schülern sind auch die emotionalen Aspekte mit dem kommunikativen Geschehen verknüpft. In der Schule stehen einem Lehrer ca. 15 bis 30 Schüler gegenüber. Diese Massenhaftigkeit wirkt sich auf die konkrete Kommunikation im Unterricht aus: Die Äußerungen des Lehrers sind vielfach adressiert und eine Anpassung an die individuell sehr unterschiedlichen Verstehensprozesse der Schüler ist aus Zeitgründen nur schwerlich möglich. Die Schüler benötigen aufgrund der unterschiedlichen Lernkapazität unterschiedlich lange für die Übernahme des neuen Wissens. Das bedeutet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Teil der Schüler das neue Wissen erworben hat, ein anderer Teil noch nicht. Hieraus ergibt sich für den Lehrer die Frage, zu welchem Zeitpunkt er die Wissensvermittlung abschließt: Dauert die Vermittlungsphase so lange, bis alle Schüler den Unterrichtsstoff verstanden haben, langweilen sich die schnell lernenden Schüler; ist die Phase zu kurz, verunmöglicht er den anderen, dem Unterricht zu folgen. Dieses Dilemma ist eine Folge der Massenhaftigkeit schulischer Interaktion. Des Weiteren schränkt die Massenhaftigkeit die <?page no="50"?> 50 Möglichkeiten der Schüler massiv ein, sich mit eigenen Beiträgen produktiv an der Kommunikation zu beteiligen. Im schulischen Unterricht sind besondere (verbale und nonverbale) Verfahren für den Sprecherwechsel und andere kommunikative Prozesse notwendig, die die Wissensvermittlung ermöglichen sollen und als schultypische Formen (‚Melden’ / ‚Lehrerfrage’ usw.) bekannt sind. Der Sprecherwechsel im Unterrichtsdiskurs und die Gesprächssequenzen müssen also genau organisiert werden (siehe hierzu Kap. 5 und 6). Die Lehrerfrage soll im schulischen Kontext Störfälle bei der Vergabe und Übernahme der Redegelegenheit vermeiden helfen. Wenn 15 bis 30 Schüler gleichzeitig auf eine Frage antworten würden, würde dies den institutionell geregelten Lernprozess erheblich stören. Um dies zu verhindern, wird nach Wunderlich (1976: 327) die ‚Lehrerfrage’ benutzt: „im ersten Teil wird der Fragegegenstand (der propositionale Gehalt der Frage) eingeführt und an alle Schüler adressiert; im zweiten Teil wird die Vergabe der Redegelegenheit (die turn-Vergabe) an einen bestimmten Schüler vorgenommen.“ Der Fragegegenstand wird aus didaktischen Gründen an alle Schüler gerichtet, damit alle Schüler Vermutungen über die Antwort anstellen. Die Schüler erhalten normalerweise Gelegenheit, ihre Antwortbereitschaft durch eine nonverbale turn- Bewerbung anzuzeigen. Wenn der Lehrer die Adressierung an einen konkreten Schüler vornimmt, berücksichtigt er die turn-Bewerbungen der Schüler. Das Aufrufen eines Schülers, der sich nicht um die turn-Übernahme beworben hat, erfolgt aus didaktischen oder disziplinarischen Gründen. Da meist nur ein Schüler die Frage des Lehrers beantworten kann, tritt an die Stelle des eigenen kommunikativen Vollzugs oft die Rezeption eines fremden. Wunderlich (1976: 324ff.) zeigt an empirischen Fällen auf, dass neu in die Institution eintretende Aktanten erst in solche Regelungen hineinsozialisiert werden müssen. Aufgrund ihrer anderweitigen und der Schule vorausgehenden Kommunikationserfahrungen verkennen Erstklässler zunächst den institutionellen Sinn der Lehrerfrage und antworten spontan und gleichzeitig. In außerschulischen Kommunikationssituationen folgen die Kinder durchaus einer Konvention, wenn sie auf eine Frage, die an mehrere adressiert ist, spontan antworten, ohne individuell gefragt zu sein. Für Schulanfänger stellt also die Institution Schule zunächst eine nicht-alltägliche Institution dar. Doch was die Schulanfänger mit dem Eintritt in diese Institution noch irritiert (z.B. die Handlung des Sich-Meldens), ist für Gymnasiasten längst Routine. Allerdings stellt Koerfer (1994: 136) für Studienanfänger vergleichbare <?page no="51"?> 51 Schwierigkeiten im Übergang von der Schule zur Hochschule fest, nämlich „wenn bei Bedarf an spontaner und direkter Diskussion das einmal gelernte strikte Melde- und Abrufsystem trotz der entsprechenden Bemühungen des Dozenten nicht überwunden werden kann“. Die unterrichtliche Kommunikation spielt sich nicht eindimensional auf der ‚Hauptkommunikationsebene’ der turn-Abfolge Lehrer-Schüler- Lehrer ab, sondern auf verschiedenen Kommunikationsebenen, die mit unterschiedlichen Offizialitätsgraden korrelieren und auf denen unterschiedliche Sprachverhaltensweisen mit unterschiedlichen Normen anzutreffen sind. Diese Ebenen sind nicht voneinander isoliert, sondern es kann auch zwischen ihnen kommuniziert werden. Schüler und Lehrer verfügen hinsichtlich des Benützens dieser Kommunikationsebenen aufgrund ihrer unterschiedlichen institutionellen Rollen über unterschiedliche Voraussetzungen und (Sprech-)Handlungsmöglichkeiten. Für den Lehrer ist es nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich, die Hauptkommunikationsebene zu verlassen (z.B. private Unterhaltung mit einem einzelnen Schüler während einer schülerzentrierten Unterrichtsphase). Meist verhält es sich jedoch so, dass jene Kommunikationsebene, auf die sich der Lehrer begibt, zur offiziellen Hauptkommunikationsebene wird. Die Lage des Schülers präsentiert sich grundsätzlich anders: Sein Einfluss, den Status einer Kommunikationsebene zu verändern, ist gering. Er verfügt im Gegensatz zum Lehrer während des Unterrichts über verschiedene Kommunikationspartner: den Lehrer und die Mitschüler. Diese verschiedenen Kommunikationspartner verlangen nach einem adäquaten kommunikativen Repertoire. Diese beiden Faktorengruppen - unterschiedliche Kommunikationsebenen und unterschiedliche Adressierungsmöglichkeiten - bilden die hauptsächlichen Voraussetzungen, dass die Schüler meist schon in tiefen Schulstufen ein außerordentlich differenziertes Regelsystem entwickeln, das die Zuweisung einzelner Äußerungen zu den Kommunikationsebenen sowie den Adressierungstypen festlegt. Wenn soeben der Unterricht in seinen kommunikativen Aspekten im Fokus stand, so darf dabei nicht übersehen werden, dass es einen weiteren wichtigen Aspekt zu berücksichtigen gilt: Das Schulwesen gehört zu den zentralen Institutionen unserer Gesellschaft. Unterricht ist daher ein institutionelles Geschehen und die Institution Schule nimmt Einfluss auf den Unterricht, der hier stattfindet. Schüler sind aufgrund <?page no="52"?> 52 der Schulpflicht zum Schulbesuch verpflichtet; 33 die Lehrer arbeiten als abhängig Beschäftigte. Auch die Unterrichtsinhalte und die Methoden sind in weiten Teilen durch die Institution vorgegeben. Richtlinien geben für die einzelnen Fächer vor, welche Inhalte zu vermitteln und z.T. auch welche Methoden dabei anzuwenden sind. Es ist festgelegt, was die Schüler wissen müssen und wie dies überprüft wird. All dies ist geregelt in umfangreichen Lehrplänen, Richtlinien, Empfehlungen und Beschlüssen. Auch die Stundentafel, die Ferienzeiten oder die Klassengröße sind geregelt. Lehrer und Schüler sind somit nicht frei in dem, was sie tun oder lassen, aber ihre Handlungsmöglichkeiten sind in einer Weise eingeschränkt, die aufgrund der Selbstverständlichkeit der Übernahme von Lehrplänen usw. kaum bemerkt wird. Bei aller Einschränkung durch rechtliche und konventionelle Regelungen lässt die Institution Schule den Aktanten dennoch erhebliche Handlungsspielräume. Zwar sind die Institutionsrollen (Lehrer, Schüler) sowie Lehr- und Lerninhalte vorgegeben, aber die Ausgestaltung von konkreten Unterrichtsstunden bleibt dem Lehrer vorbehalten. Ein zentraler Aspekt der Institution Schule ist ihre Selektionsfunktion. Mittels Benotung der Schülerleistungen entscheidet die Schule über Versetzung und Nichtversetzung sowie über Schulabschlüsse, an die Ausbildungs- und Berufswahlmöglichkeiten geknüpft sind. Die Schüler sehen sich einer dauernden Beobachtung und Beurteilung durch den Lehrer ausgesetzt, die nicht ohne Auswirkungen auf ihr kommunikatives Verhalten bleibt. Die Schule beeinflusst nicht nur das Lernverhalten der Schüler, sondern auch ihr sonstiges Handeln. Schulordnungen legen detailliert fest, was die Schüler zu tun bzw. zu unterlassen haben, wo sie sich wann aufhalten dürfen usw. Der Schulalltag ist auf diese Weise klar geregelt, das Handeln der Schüler in weiten Bereichen festgelegt. Zu den zentralen Aufgaben des Unterrichts zählt die Vermittlung von Wissen, was systematisch, d.h. in methodisch geplanter Form geschieht. Jedes Unterrichtsgespräch steht im Dienst eines oder mehrerer Lernziele, seien dies Lernziele aus dem Bereich der Sachkompetenz oder der Sozialkompetenz. Ein wesentlicher Teil der Lehrerausbildung ist der Frage gewidmet, wie die ausgewählten Inhalte zu vermitteln sind. 33 Für Reuter (1982: 61) stellt die Schule deshalb „eine zwangsinstitution dar, da jedes gesellschaftsmitglied für eine bestimmte zeit seiner kindheit und jugend zum schulbesuch verpflichtet ist“. <?page no="53"?> 53 Grundlegende Entscheidungen über die Vermittlungsmethoden sind jedoch bereits mit den organisatorischen Rahmenbedingungen getroffen (alters- und weitgehend leistungshomogene sowie meist geschlechtsheterogene Schülergruppen; die Dauer einer Unterrichtsstunde usw.). Diese strukturellen Rahmenbedingungen beeinflussen das Lehrer- Schüler-Verhältnis sowie die möglichen Vermittlungsverfahren in erheblicher Weise. Lehrer suchen die Gründe für Interaktionsprobleme im Unterricht oft bei sich selbst: Sie hätten die schülerbedingten Voraussetzungen zu wenig berücksichtigt, sie hätten die Schüler nicht motiviert und den Stoff nicht interessant gemacht oder sich nicht genügend vorbereitet usw. Doch für Ehlich/ Rehbein liegt die eigentliche Schwierigkeit darin, dass die Lehrer teilweise Fehler sozusagen ‚machen müssen’, d.h. dass die Handlungskonstellationen, in denen sie stehen, im Normalfall keine anderen Handlungsabfolgen gestatten als solche, die als ‚fehlerhaft’ im pädagogischen Wissen (...) bewertet sind. (Ehlich/ Rehbein 1977: 72f.) Es gibt demnach im Unterricht Interaktionsprobleme, die nicht der einzelne Lehrer allein zu verantworten und durch eine gute pädagogischdidaktische Methodik zu bewältigen hat, sondern institutionell vorgegeben sind. Koerfer stellt bezüglich der „Fehler“ im pädagogischen Handeln fest, dass Lehrer teils im Wissen um diese Widersprüchlichkeiten und oft widerstrebend und gegen ihr „besseres Wissen“ handeln (Koerfer 1994: 194). Als Beispiel sei das Handeln unter Maximenkonflikten genannt, das Ehlich/ Rehbein (1977) in ihrer Analyse des Zusammenhanges von Wissen, kommunikativem Handeln und Schule herausarbeiten. Das in Kapitel 3.2.4.2 vorgestellte Aufgabe-Lösungs-Muster hat nach negativem Resultat beim ersten Lösungsversuch oftmals zur Folge, dass das Muster ein oder mehrere Male erneut durchlaufen wird, indem die Aufgabenstellung wiederholt wird. Erfolgen mehrere fehlgeschlagene Lösungsversuche, ergibt sich für den Lehrer ein Maximenkonflikt: Zwar möchte er den Lernstoff so bringen, dass die Schüler die Lösung selber finden, gleichzeitig trägt er die Verantwortung für die Erfüllung des Unterrichtsplans in der vorgegebenen Zeit. Zur Lösung solcher Maximenkonflikt werden vom Lehrer oftmals durch eine Reformulierung der Aufgabenstellung die ursprünglich vorgenommenen anspruchsvollen Problem- oder Aufgabenstellungen sukzessive zurückgenommen. <?page no="54"?> 54 Auch Bauersfeld (1983) hat sich mit den Interaktionsprozessen im Mathematikunterricht auseinandergesetzt, die im Unterricht einer falschen oder ausbleibenden Schülerantwort folgen. Die Antworterwartung des Lehrers und das fortgesetzte Ausbleiben der verbalen Erfüllung durch den Schüler führen zu einer raschen Verengung des Handlungsspielraumes für beide Kommunikationspartner. Die anfänglichen Handlungsziele verarmen zu einer bloßen Herbeiführung der verbalen Äußerung: Das Verlaufsschema erinnert an einen Trichter: Lehrer und Schüler geraten wechselseitig in eine fortschreitende Verengung ihrer jeweils aktuellen Handlungsmöglichkeiten. Man kann daher auch kurz von einem „Trichter“-Muster sprechen (Bauersfeld 1983: 25). Ein konkretes Unterrichtsbeispiel, in dem das Trichter-Muster zu Tage tritt, findet sich in Kapitel 6.2.1.2 dieser Arbeit (Transkription 34). <?page no="55"?> 55 4. METHODISCHE VORGEHENSWEISE Nachdem in den Kapiteln 1 bis 3 grundlegende Begriffe geklärt wurden und ein Überblick über die bisherigen Forschungen und den aktuellen Forschungsstand zur Unterrichtskommunikation gegeben wurde, werden in den nachfolgenden Kapiteln 5 bis 7 konkrete Unterrichtsausschnitte analysiert. Die Kapitel 5 bis 7 basieren auf einem Korpus von vier Mathematikstunden 34 auf der Gymnasialstufe (achtes Schuljahr) in der Deutschschweiz (deutschsprachiger Teil der Schweiz), die audiovisuell dokumentiert und mit dem Verfahren der Transkription einer genaueren Untersuchung zugänglich gemacht wurden. 35 Das methodische Vorgehen bei der videogestützten Unterrichtsanalyse wird in diesem Kapitel beschrieben, wobei zuerst auf das dieser Arbeit zugrunde liegende Korpus (Kap. 4.1) und anschließend auf die Transkription (Kap. 4.2) eingegangen wird. 4.1. Videoaufnahmen Eine qualitative Analyse von Unterrichtskommunikation ist besonders ergiebig, wenn konkretes Unterrichtsmaterial zur Verfügung steht und eine videogestützte Unterrichtsanalyse vorgenommen werden kann. Spezifische Vorteile der Nutzung von Videos für die Unterrichtsanalyse gegenüber anderen Methoden der empirischen Unterrichtsforschung (z.B. Fragebogen und direkte Beobachtung im Klassenzimmer) ergeben sich insbesondere aus der Tatsache, dass mit Hilfe von Videos das Unterrichtsgeschehen beliebig oft und unabhängig vom Zeitpunkt der Aufnahme betrachtet werden kann. Eine videogestützte Unterrichtsanalyse kann die Komplexität von Unterrichtsprozessen besser erfassen und Unterrichtssequenzen können unter mehreren Perspektiven und Fragestellungen analysiert werden. 34 Hinsichtlich der Untersuchung des Dialektgebrauchs im Unterricht ist eine Untersuchung des Mathematikunterrichts aus methodischen Gründen sinnvoll. Beim Fach Deutsch würden sich Medium und Gegenstand überlappen. 35 Der qualitative Zugriff auf Unterrichtskommunikation wurde deshalb gewählt, weil das kommunikative Geschehen so komplex ist, dass es überhaupt erst im Transkript rekonstruierbar und analysierbar wird. <?page no="56"?> 56 Diesen Vorteilen steht als Nachteil gegenüber, dass Aufbereitung und Analyse von Videodaten einen sehr hohen Zeitaufwand erfordern. Zudem stellen videogestützte Unterrichtsstudien besondere Anforderungen, um eine hohe Qualität der Ergebnisse zu erreichen: Die Kameraführung muss standardisiert werden, so dass in allen Klassenzimmern nach denselben Regeln gefilmt wird. Denn was schließlich auf dem Video zu sehen ist, stellt immer nur einen bestimmten Ausschnitt und nie die ganze Unterrichtsrealität dar. Um Kameraeffekte (als Folge der Anwesenheit der Kamera verhalten sich die gefilmten Personen meist anders als sonst) zu minimieren, müssen besondere Massnahmen getroffen werden und die Einhaltung des Datenschutzes muss beachtet werden. Eine Analyse des turn-taking, der Gesprächssequenzen und des Dialektgebrauchs ist auch mit bereits bestehenden Videoaufnahmen möglich. Aus technischen Gründen wurde entschieden, auf bestehende Videoaufnahmen zurückzugreifen und somit auf eigens für diese Arbeit hergestellte Aufnahmen von Unterrichtssequenzen zu verzichten. Die Suche nach zur Forschung freigegebenen, professionell hergestellten Videoaufnahmen von Unterrichtsstunden auf der Gymnasialstufe in der Deutschschweiz gestaltete sich als sehr schwierig. Schließlich wurde ich bei Prof. Dr. Kurt Reusser vom Pädagogischen Institut der Universität Zürich fündig, der internationale und schweizerische Video-Unterrichtsstudien leitet. Er stellte mir für meine Untersuchung Aufnahmen von vier im Rahmen der ‚TIMSS 1999 Video Study’ und der ‚Swiss Classroom Video Studies’ gefilmten Mathematiklektionen auf der Gymnasialstufe in der Deutschschweiz zur Verfügung (siehe Kap. 4.1.1). Seine damalige wissenschaftliche Assistentin lic. phil. Kathrin Krammer übernahm die Abklärungen für deren Verwendung bezüglich der Nutzungsrechte und Datenschutzmassnahmen, denn für die vorliegende Arbeit wurden zum ersten Mal Videodaten der TIMSS-Studie für eine Untersuchung außerhalb des TIMSS-Projekts zur Forschung freigegeben. 4.1.1. TIMSS und Swiss Classroom Video Studies Die internationale Video-Unterrichtsstudie ‚TIMSS 1999 Video Study’ (TIMSS für ‚Trends in International Mathematics and Science Study’) 36 untersuchte die Praxis des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts von insgesamt über tausend Schulklassen des achten Schul- 36 Die TIMSS 1999 Video-Studie stellt eine Folgestudie zur TIMSS 1995 Video-Studie dar. Weitere Studien wurden in den Jahren 2003 und 2007 gemacht. <?page no="57"?> 57 jahres in sieben Ländern (Australien, Hongkong, Japan 37 , Niederlande, Tschechien, Schweiz, USA), die mit Ausnahme der USA in internationalen Schulleistungsstudien ein sehr hohes Leistungsniveau im Fach Mathematik gezeigt haben. Es stellte sich die Frage, ob hinter den vergleichbar hohen Leistungen ähnliche oder unterschiedliche Unterrichtskulturen stehen. Diese internationale Studie stand unter der kooperativen Leitung der ‘International Association of the Evaluation of Educational Achievement’ (IEA), dem ‘National Center for Education Statistics’ (NCES) und ‘Lessonlab Inc.’, Los Angeles, California. Die vergleichende Untersuchung erfolgte anhand von repräsentativen Stichproben von je rund 100 gefilmten Mathematiklektionen pro Land. Die Schweiz nahm unter der Leitung von Prof. Dr. Kurt Reusser mit 140 Mathematiklektionen aus der Deutschschweiz, der Westschweiz und dem Tessin an der Studie teil und war zwar an der Video-Studie, jedoch nicht am Leistungsvergleich beteiligt. Eine besondere Herausforderung für die Studie war die Entwicklung unterrichtsbezogener Video-Forschungsmethoden. Der quantitative Einsatz von Videos in der Unterrichtsforschung ist relativ neu und bringt besondere methodische und technische Probleme mit sich. Den an der Studie teilnehmenden Lehrern und Schülern wurde die Einhaltung des Datenschutzes garantiert. Mit der Teilnahme an der Studie willigten die Lehrpersonen in die Verwendung der Videodaten für wissenschaftliche Zwecke ein. Die Eltern der betroffenen Schüler wurden gebeten, der Teilnahme ihres Kindes an den Videoaufnahmen schriftlich zuzustimmen. Falls einzelne Schüler keine Erlaubnis zur Teilnahme erhielten, wurden sie während der Filmaufnahmen entweder in einem separaten Raum beschäftigt oder im Schulzimmer so umplatziert, dass sie auf der Filmaufnahme nicht sichtbar sind. Eine Auswahl von videographierten Lektionen sollten der Lehrerbildung und weiteren Kreisen für Dokumentations-, Informations-, Aus- und Weiterbildungszwecke zugänglich gemacht werden. Wurden einzelne Lektionen dafür in Betracht gezogen, so erhielten die betreffenden Lehrpersonen die Filmaufnahme zur Begutachtung und wurden um eine schriftliche Einwilligung für eine weiterführende Verwendung gebeten. Über den Rahmen der internationalen Studie hinaus wurde eine nationale schweizerische Vertiefungsstudie mit weiterführenden Daten- 37 Die japanischen Videodaten waren anlässlich der TIMSS 1995 Video-Studie gesammelt worden und wurden im Rahmen der vorliegenden Video-Studie reanalysiert. <?page no="58"?> 58 erhebungen und Videoanalysen durchgeführt (‚Swiss Classroom Video Studies’). 38 Die schweizerische Video-Studie wurde unter Federführung einer Forschungsgruppe am Pädagogischen Institut der Universität Zürich (Leitung: Prof. Dr. Kurt Reusser) und mit Beteiligung weiterer nationaler Forschungspartner durchgeführt. Die Studie umfasst die detaillierte Analyse einer für die Schweiz repräsentativen Stichprobe von 140 auf Video aufgezeichneten Mathematiklektionen aus der Deutschschweiz, der Westschweiz und dem Tessin. Zusätzlich wurden komplexe ergänzende Informationen durch Befragungen der Lehrpersonen und Lernenden gesammelt. Das Sample von 140 Lektionen umfasst 75 Lektionen aus der Deutschschweiz. Von diesen 75 Lektionen wurden zehn Lektionen auf der Gymnasialstufe aufgenommen und vier davon wurden für weitergehende Forschungszwecke freigegeben. Diese vier Videoaufnahmen von Mathematikstunden auf der Gymnasialstufe stellen das dieser Arbeit zugrunde liegende Korpus dar. 4.1.2. Erhebung der Videodaten Zwischen April 1999 und Juni 2000 wurde in Klassen des 8. Schuljahres eine beliebige Mathematiklektion während der regulären Unterrichtszeit gefilmt. Die Lehrpersonen wurden ausdrücklich gebeten, eine alltägliche, wie üblich vorbereitete Lektion zu unterrichten, die bezüglich des Inhalts der individuellen Planung folgte. Der Filmtermin wurde mit den Lehrpersonen ca. zwei Wochen zuvor telefonisch vereinbart. Beim Videographieren einer Unterrichtslektion standen zwei Kameras im Einsatz. Die so genannte ‚Lehrerkamera’ wurde dynamisch geführt und die ‚Klassenkamera’ vermittelte einen statischen Überblick über das Geschehen. 38 Einen Überblick über die Fragestellung, Methoden und Ergebnisse der internationalen und nationalen Video-Unterrichtsstudien gibt die Informationsseite zur ‚TIMSS 1999 Video Study’ und der ‚Swiss Classroom Video Studies’ unter <http: / / www. didac.unizh.ch/ scvs/ index.htm> 18.10.2007. Für eine ausführliche Darstellung und Diskussion der internationalen Ergebnisse und der Ergebnisse der schweizerischen Video-Studie siehe Reusser/ Pauli (2003) und Reusser/ Pauli/ Waldis (in Vorbereitung): Mathematikunterricht und Mathematiklernen in Schweizer Schulen. Ergebnisse einer nationalen und internationalen Video-Studie. Das nach einer Leerstelle an die Internetadresse angehängte Datum bezieht sich jeweils auf die letzte Aktualisierung oder - wenn im Internet das Datum der letzten Änderung nicht angegeben wird - auf den Zeitpunkt, zu welchem die Internetseite letztmals aufgerufen worden ist. <?page no="59"?> 59 Die Lehrerkamera filmte die Lehrperson und einen weiteren Teil des Klassenzimmers. Der primäre Auftrag für diese Kamera lautete, die Lehrperson in jedem Fall im Bild zu behalten. Die Kamera wurde seitlich im hinteren Drittel des Schulzimmers aufgestellt und manuell bedient. Mit dieser Kamera konnten auch kurze Nahaufnahmen von verwendeten Unterrichtsmaterialien oder von einer Wandtafelanschrift usw. gemacht werden. Lehrer-Schüler-Gespräche in Stillarbeitsphasen konnten ebenfalls per Nahaufnahme festgehalten werden. 39 Die Kameraleute waren angewiesen, Kopien von verwendeten Arbeitsblättern, Hellraumprojektorfolien, Schulbuchseiten usw. zu sammeln. Die Klassenkamera wurde auf einem Stativ seitlich im vorderen Drittel des Schulzimmers aufgestellt. Mit einer weiten Kamerawinkeleinstellung sollten möglichst viele Schüler erfasst werden. Diese Kamera wurde während der Filmaufnahmen nicht bedient. Aufgabe dieser Kamera war es, die Interaktionen der Lernenden mit der Lehrperson oder untereinander einzufangen. Nebst guten Bildaufnahmen spielt für die Transkription die Tonqualität eine zentrale Rolle. Drei Mikrophone standen bei den Videoaufnahmen im Einsatz: Ein kabelloses Mikrophon, das die Lehrperson am Körper trug, ein Richtmikrophon, das der Lehrerkamera aufgesetzt war und das eingebaute Mikrophon der Klassenkamera. 40 Das Kamerapersonal hatte den Auftrag, die Tonqualität während der Aufnahmen sorgfältig zu überwachen und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Die Schulung der Kameraleute fand während der Dauer einer Woche in Los Angeles statt. Mindestens zwei Personen pro Teilnehmerland nahmen an diesem Training teil, in dem Probeaufnahmen in Klassenzimmern gemacht wurden. Im Verlauf des Datenerhebungsprozesses wurden die ersten zwei Aufnahmen und danach jede zehnte Videoaufnahme nach Los Angeles geschickt und dort auf Bild- und Tonqualität überprüft. 39 Diese Kopien standen mir zur Verfügung. Es wird aber nicht näher darauf eingegangen, weil diese Arbeit nicht pädagogisch ausgerichtet ist, sondern die Unterrichtskommunikation primär linguistisch untersucht. 40 Da aus technischen Gründen nur der Lehrer über ein eigenes, kabelloses Mikrophon verfügte, sind Nebenkommunikationen von Schülern und Schüler-Schüler-Gespräche in Stillarbeitsphasen nur von einer gewissen Lautstärke an verständlich und somit transkribierbar. <?page no="60"?> 60 4.2. Transkription Als Grundlage für die Transkription dienen die Lehrer- und die Klassenkamera. In einem ersten Schritt wurden die Videoaufnahmen der vier Lektionen in literarischer Umschrift vollständig transkribiert. 41 In der ersten Spalte findet sich die Zeitangabe, die sich auf die Lehrerkamera bezieht. 42 Die zweite Spalte nennt den jeweiligen Sprecher, wobei L für Lehrer, SN für einen neuen Schüler und S für die Wiederaufnahme des turns durch den vorherigen Schüler steht. Die dritte Spalte gibt die verbalen Äußerungen wieder. Auf die Beschreibung der Intonation und des nonverbalen Verhaltens wurde in dieser ersten Transkriptionsfassung verzichtet. Gleichzeitiges Sprechen wurde mit / / gekennzeichnet. Die Dialektäußerungen wurden in dieser ersten Version aus Gründen der Verständlichkeit standardsprachlich übersetzt und mit *...* gekennzeichnet. Diese Transkriptionen sind als Anhang in voller Länge dieser Arbeit angefügt. Nebst den vollständigen Transkriptionen finden sich im Anhang genauere Informationen zum vorliegenden Korpus. So liegen für jede aufgenommene Lektion eine Übersicht, ein Lektionsbeschrieb und eine schematische Darstellung des Tableaus vor. Die Vorteile dieser ersten Transkriptionen liegen in ihrer Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und leichten Lesbarkeit. Sie eignen sich zur Aneignung eines Gesamtüberblicks über den Ablauf der jeweiligen Lektion und als Übersetzungshilfe von Dialektäußerungen. In einem zweiten Schritt wurden die für die Analyse des turn-taking, der Gesprächssequenzen und des Dialektgebrauchs einschlägigen Teile der Lektionen einer genaueren Untersuchung zugänglich gemacht. Als Transkriptionssystem wurde EXMARaLDA ausgewählt, da es den Kriterien der - Computerverträglichkeit der Transkripte, - Verschriftlichungsökonomie, analytischen Übersichtlichkeit und leichten Lesbarkeit am ehesten zu genügen versprach und zugleich keine Probleme für die dialektologische Analyse aufwarf. 41 Eine erste Transkriptionsfassung hat das Pädagogische Institut der Universität Zürich freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Sie wurde für diese Untersuchung überarbeitet und ist im Anhang zu finden. 42 Zwischen der Lehrer- und der Schülerkamera besteht in allen Lektionen eine zeitliche Verschiebung, da die beiden Kameras nicht zum exakt gleichen Zeitpunkt eingeschaltet wurden. <?page no="61"?> 61 4.2.1. Das Transkriptionssystem EXMARaLDA EXMARaLDA ist ein inmitten der Entwicklung stehendes System. Es steht für „EXtensible MARkup Language for Discourse Annotation“ und ist ein System von Konzepten, Datenformaten und Werkzeugen zur computergestützten Diskurstranskription. EXMARaLDA wird in einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs „Mehrsprachigkeit“ (SFB 538) der Universität Hamburg als zentrale Architekturkomponente einer Datenbank „Mehrsprachigkeit“ entwickelt. Alle Komponenten des EXMARaLDA-Systems sind aber auch für Nutzer außerhalb des SFB frei verfügbar. Die wichtigsten Merkmale von EXMARaLDA sind: - XML-basierte Dateiformate: EXMARaLDA-Transkriptionen werden grundsätzlich als XML-Dateien gespeichert. Durch die Nutzung dieses W3C-Standards wird sichergestellt, dass Daten flexibel nutzbar und langfristig archivierbar sind. Es wird eine weitestgehend theorie-, software-, sprach- und plattformunabhängige Kodierung von Diskurstranskriptionen als XML-Dateien ermöglicht. - JAVA-basierte Werkzeuge: Alle Software-Werkzeuge für die Erstellung und Verarbeitung von EXMARaLDA-Daten (Partitur-Editor und Corpus-Manager) sind JAVA-Anwendungen. Damit sind sie auf allen derzeit gängigen Betriebssystemen (Windows, Macintosh, Linux, Unix) lauffähig. - Interoperabilität: Das EXMARaLDA-Konzept baut auf dem Annotation Graph-Framework (vgl. Bird/ Liberman 2001) auf, um eine größtmögliche Austauschbarkeit und Wiederverwendbarkeit von Transkriptionsdaten sicherzustellen. Auf diese Weise wird es möglich, neben den EXMARaLDA-eigenen auch andere weit verbreitete Werkzeuge (Praat, ELAN, TASX-Annotator) zur Erstellung und Bearbeitung von EXMARaLDA-Daten zu benutzen. Im Gegensatz zu vielen bestehenden Systemen zur Diskurstranskription auf dem Computer (z.B. die Transkriptionssysteme syncWriter oder HIAT-DOS 43 ) können mit EXMARaLDA angefertigte Diskurstranskriptionen flexibel, d.h. mit verschiedenen Tools und auf verschiedenen Betriebssystemen, bearbeitet und auf verschiedene Arten visualisiert werden (z.B. als Partitur- oder Spaltentranskription). Darüber hinaus können EXMARaLDA-Daten für gedruckte oder web-basierte Veröffentlichungen in eine Vielzahl von gängigen Präsentationsformaten (RTF, HTML, PDF) 43 HIAT=Halb-Interpretative-Arbeits-Transkription (vgl. Ehlich / Rehbein 1976a und 1979b). <?page no="62"?> 62 überführt werden. Schließlich unterstützt EXMARaLDA durch eine Reihe parametrisierter Funktionen auch direkt die Arbeit mit verschiedenen weit verbreiteten Transkriptionssystemen (HIAT, DIDA, GAT, CHAT). Für die Transkriptionen in dieser Arbeit wurde der Partitur-Editor Version 1.2.3 heruntergeladen. 44 Im thematisch gegliederten Downloadbereich können die verschiedenen Komponenten des EXMARaLDA- Systems (Werkzeuge: Partitur-Editor und Corpus-Manager / Hilfskomponenten: Tastaturbelegungen und Stylesheets / Formatspezifikationen: DTDs) kostenlos herunter geladen werden. Nur die jeweils aktuelle Software-Version wird ausführlich dargestellt. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, auf frühere Versionen oder auf Vorschauen auf die nächste Version zuzugreifen. In regelmäßigen Abständen werden Updates veröffentlicht, in denen Fehler der vorherigen Versionen behoben sind und neue Funktionen eingeführt werden. 4.2.2. Hinweise zum Lesen der Transkripte Die Transkriptionen nach dem System EXMARaLDA sind in Partiturschreibweise gestaltet. Die Schülernamen werden geändert, für die Lehrpersonen wird nicht ihr Name, sondern die Bezeichnung ‚Lehrer’ verwendet. Tätigkeiten eines nicht namentlich identifizierbaren Schülers werden mit Sm, einer unbekannten Schülerin mit Sf bezeichnet. Verbale oder nonverbale Tätigkeiten mehrer Schüler, die nicht einzelnen Schülern zugeordnet werden können, werden mit SS benannt. Für die Wiedergabe der verbalen Äußerungen und ihrer Intonation sowie des nonverbalen Verhaltens stehen mehrere ‚tiers’ zur Verfügung, die selbst benannt werden können. Die Spur mit den verbalen Äußerungen wird mit [v] bezeichnet. Ihr sind zwei weitere tiers zugeordnet: die darüber angeordnete Spur vermerkt mit kursiven Zeichen die Intonation [i], die darunter liegende Spur gibt in kursiver Schrift Aufschluss über wichtige nonverbale Aktivitäten [nv]. 45 In den Transkriptionen wird für den nonverbalen Vorgang des ‚Sich-Meldens’ in der Schule die deutsch-schweizerische Variante ‚(auf-)strecken’ verwendet, da sie den nonverbalen Vorgang bei dieser Art von turn-Bewerbung besser beschreibt. Im Text außerhalb der Transkriptionen wird der Vorgang der nonverbalen turn-Bewerbung mit 44 Seit 2007 steht die neuere Version 1.3.4 zum Download zur Verfügung. Die Seite für den kostenlosen Download lautet: <http: / / www.rrz.uni-hamburg.de/ exmaralda/ > 18.10.2007. Auf der gleichen Seite kann auch das dazugehörige Handbuch heruntergeladen werden. Diese Website wird konstant auf dem neuesten Stand gehalten und an die Bedürfnisse ihrer Benutzer angepasst. 45 Bei der Ausgabe der XML-Dateien ins Word-Format werden unbenutzte tiers zwecks einer besseren Übersicht gelöscht. <?page no="63"?> 63 ‚aufzeigen’ oder ‚sich melden’ beschrieben. Auf der Zeitachse werden die Ereignisse nummeriert. Untereinander liegende ‚events’ finden simultan statt. 46 Als Beschriftung der Transkription werden die Bezeichnung der Videoanalyse (SW-011, SW-018, SW-059 oder SW-074) 47 und die Zeitangaben angegeben, die sich auf die Transkriptionen im Anhang beziehen. Als ‚referenced file’ wird angegeben, ob die Lehrer- oder die Klassenkamera 48 als Grundlage der Transkription gedient hat. Transkriptionsbeispiel: 0 Lehrer [i] (beschreibt die Intonation) Lehrer [v] gibt die verbalen Äußerungen wieder Lehrer [nv] beschreibt das nonverbale Verhalten Die Dialektausdrücke und -äußerungen werden in den EXMARaLDA- Transkriptionen fett gedruckt und dialektal belassen. Die Transkription der Dialektäußerungen beruht auf den von Eugen Dieth entwickelten Richtlinien zur Dialektschreibung. Bei seiner ‚Schwyzertütschen Dialäktschrift’ handelt es sich um eine Lautschrift, die die Besonderheiten jedes einzelnen Dialektes wiedergeben kann. Grundlage der Verschriftung ist der Leitsatz: „Schreibe wie du sprichst, wie du es hörst und empfindest“ (Dieth 1986: 22). Die Entfernung vom standardsprachlichen Schriftbild wird bewusst in Kauf genommen. Grundsätzlich wird in der Dieth- Schreibung die Länge eines Lautes durch die Doppelschreibung markiert, während das einfache Zeichen Kürze bedeutet. Auf andere Vokallängen- Kennzeichnungen wie z.B. h und e wird verzichtet. Für die Transkriptionen in dieser Arbeit wird die ‚weite’ Dieth-Schreibung benutzt, d.h. auf die Unterscheidung offener/ geschlossener Vokale und andere Hilfszeichen wird verzichtet. Die ‚weite’ Dieth-Schreibung ist für das Korpus besonders geeignet und für die Fragestellung hinlänglich genau, weil sie die Besonderheiten der verschiedenen im Korpus repräsentierten Dialekte nuanciert abzubilden vermag. 46 Simultane Ereignisse lassen sich durch die graphische Repräsentation bei Verwendung einer Standardschrift immer nur näherungsweise anwenden, weil die Breite der Buchstaben nicht der zeitlichen Realisierung entspricht (dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nonverbale Events beschrieben werden). 47 Die Nummerierung der Videos wurde vom pädagogischen Institut der Universität Zürich übernommen. 48 F: \SW-059-L.mpg steht z.B. für die Lehrerkamera von Video SW-059 oder F: \SW- 011-K.mpg für die Klassenkamera von Video SW-011. <?page no="64"?> 64 4.2.2.1. Zeichenerklärung Auf der Intonationszeile [i] werden folgende Zeichen verwendet: > schnell / schneller werdend < langsam / langsamer werdend / steigende Intonation \ fallende Intonation ! betont (zögernd) Beschreibung der Intonation + laut / lauter werdend leise / leiser werdend Auf der Spur der verbalen Äußerung [v] finden sich diese Zeichen: ((1)) kurze Pause / Pause von einer Sekunde: Pausen werden jeweils auf der Spur derjenigen Person aufgeführt, die für die Pause verantwortlich ist ((3)) Pause von ca. 3 Sekunden (...) unverständliche Äußerung (Mehr) vermuteter Wortlaut (lacht) akustisch wahrnehmbares Verhalten und/ von Wort- oder Konstruktionsabbruch 4.2.2.2. Abkürzungen Folgende Abkürzungen werden verwendet: L Lehrer Sm Schüler Sf Schülerin SS mehrere Schüler und/ oder Schülerinnen MS Mitschüler AS Angesprochener Schüler WT Wandtafel OHP Overheadprojector (Hellraumprojektor) <?page no="65"?> 65 5. TURN-TAKING Im Zuge ihres Interesses an Verlaufsstrukturen und Vollzugsformen hat sich die Konversationsanalyse mit der Frage beschäftigt, wie der Ablauf der sprachlichen Interaktion von den Interaktanten organisiert wird. Grundeinheit des Gesprächs ist der ‚turn’, der Gesprächsbeitrag, 49 grundlegende Organisationsgröße ist das so genannte ‚turn-taking’, der Sprecherwechsel. Der Sprecherwechsel ist für Gespräche konstitutiv: „Nicht Sprechen, nicht Hören, sondern das wechselseitige Sprechen und das wechselseitige Zuhören machen ein Gespräch aus: ohne Sprecherwechsel kein Gespräch“ (Rath 2001: 1214). Der Sprecherwechsel nimmt in der Gesprächsforschung eine bedeutende Stellung ein. Ernst (2002: 144) sieht den Sprecherwechsel als Grundlage der Gesprächsanalyse an, da ein Gespräch per definitionem eine Wechselrede zwischen zwei oder mehr Personen sei. Der Sprecherwechsel ist eine Form von Rollenwechsel, bei dem ein ehemaliger Hörer zum Sprecher wird, wobei gleichzeitig der ehemalige Sprecher die Hörerrolle übernimmt. Beim Sprecherwechsel sind die Pausen erstaunlich kurz. 50 Daher erhebt sich die Frage, nach was für Regeln ein solch exakter Sprechverlauf mit so präziser Abstimmung der Gesprächsteilnehmer ohne vorherige Absprache darüber erzielt werden kann. Welche Regeln das sind und wie wir in alltäglichen Gesprächen mit ihnen umgehen, soll im Folgenden (Kap. 5.1) geklärt werden. Nach der Thematisierung der Regeln, die das Gesprächsverhalten in alltäglichen Zusammenhängen strukturieren, wird das Spektrum des Sprecherwechsels im Hinblick auf die Institution Schule erweitert, wo die turn-Organisation vor dem Hintergrund der spezifischen institutionellen Handlungsbedingungen betrachtet wird (Kap. 5.2). 51 Schließlich wird auf der Grundlage authentischen Materials ein neues Modell des turn-taking im Unterricht vorgeschlagen (Kap. 5.3). 49 Im Folgenden werden die Begriffe ‚turn’ und Gesprächsschritt / Gesprächs-, Sprecher- oder Redebeitrag synonym verwendet, obwohl diese nur unvollkommene Übersetzungen des engl. Ausdrucks ‚turn’ sind. (Dieser bezeichnet genau genommen das „An-der-Reihe-Sein“ beim Sprechen, also die Tatsache, dass der Sprecher nun Gelegenheit zum Sprechen hat. Der Gesprächs-, Sprecher- oder Redebeitrag ist dann im eigentlichen Sinn das Ergebnis dieses „An-der-Reihe-Seins“) (vgl. die Fussnote in Ernst 2002: 145). 50 Laut Ernst (2002: 144) verlaufen durchschnittlich weniger als 5% eines Gesprächs simultan. 51 Bezüglich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede des turn-taking in der Schule und im Alltag sei auf Mehan (1979: 190-198) verwiesen, der sich im Kapital Conversation in the Classroom and in Everyday Life diesem Thema widmet. <?page no="66"?> 66 5.1. Der Sprecherwechsel als zentrale Schaltstelle Die amerikanischen Linguisten Sacks, Schegloff und Jefferson haben in einer mittlerweile klassischen Untersuchung mündliche Gespräche und ihre Struktur analysiert: For the last half dozen years we have been engaged in research, using tape recordings of natural conversation, that has been increasingly directed to extracting, characterizing, and describing the interrelationships of the various types of sequential organization operative in conversation. (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974: 698) Ihre Prinzipien zur Regelung der Äußerungsabfolge haben geradezu paradigmatischen Status erreicht. Sie haben einen Vorschlag gemacht, wie das einfachste System für die Organisation des turn-taking in einem Gespräch zwischen Personen, die nicht in einer hierarchischen Beziehung stehen, aussehen könnte. Ausgangspunkt ihrer Analyse ist die Beobachtung, dass in Gesprächen meistens nur ein Sprecher zum gleichen Zeitpunkt redet und Überlappungen nur ganz kurz dauern. Sie stellen fest, dass eine Grundregel der Konversation darin besteht, dass immer nur ein Sprecher auf einmal spricht. Wer spricht, darf mindestens eine Äußerung, die eine semantische Einheit darstellt (‚unit-type’), machen. Eine solche Einheit bildet in der Regel der Satz. Die Autoren kommen in ihrer Untersuchung zum Ergebnis, dass ein Gespräch durch zwei Komponenten und ein Regelsystem strukturiert ist: Erstens gibt es eine Komponente der ‚Redebeitragskonstruktion’ (‚turnconstruction component’), zweitens eine Komponente der Zuteilung des ‚Sprecherwechsels’ (‚turn-allocation component’). Die erste Komponente betrifft die Bildung der eigentlichen Redeeinheiten. In der Redebeitragskonstruktion werden Redebeiträge (turns) aus kleineren Einheiten, z.B. Sätzen, Satzfragmenten oder Wörtern, aufgebaut. Ein turn stellt jene Menge sprachlicher Äußerungen dar, die ein Sprecher zum Gespräch beisteuert. Ein Gespräch setzt sich also aus turns zusammen. Am Ende jeder ‚turn-construction component’ gibt es eine Stelle, an welcher der aktuelle Sprecher entweder weitersprechen oder aber ein anderer das Rederecht übernehmen kann. Der Punkt, an dem die Übergabe zu einem anderen turn stattfinden kann, heisst ‚übergangsrelevante Stelle’ (‚transition relevance place’: TRP). Sprecherwechsel können insbesondere unter zwei Aspekten klassifiziert werden: Nach der Art ihres Entstehens/ Zustandekommens (Kap. 5.1.1) und nach der Art ihres Verlaufs (Kap. 5.1.2). <?page no="67"?> 67 5.1.1. Regeln des Sprecherwechsels Wenn in einem Gespräch eine übergangsrelevante Stelle erreicht wird, treten laut Sacks/ Schlegloff/ Jefferson (1974) folgende den Sprecherwechsel steuernde Regeln in Kraft: The following seems to be a basic set of rules governing turn construction, providing for the allocation of a next turn to one party, and coordinating transfer so as to minimize gap and overlap. 1. For any turn, at the initial transition-relevance place of an initial turnconstructional unit: a) If the turn-so-far is so constructed as to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then the party so selected has the right and is obliged to take next turn to speak; no others have such rights or obligations, and transfer occurs at that place. b) If the turn-so-far is so constructed as not to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then self-selection for next speakership may, but need not, be instituted; first starter acquires rights to a turn, and transfer occurs at that place. c) If the turn-so-far is so constructed as not to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then current speaker may, but need not continue, unless another self-selects. 2. If, at the initial transition-relevance place of an initial turn-constructional unit, neither 1a) nor 1b) has operated, and, following the provision of 1c), current speaker has continued, then the rule-set a)-c) re-applies at the next transition-relevance place, and recursively at each next transitionrelevance place, until transfer is effected. (Sacks/ Schlegloff/ Jefferson 1974: 704) 52 Am Ende eines unit-type ist jeweils ein legitimer Sprecherwechsel möglich. Sprecherwechsel können durch Fremdwahl (current speaker selects next) oder Selbst(aus-)wahl 53 (self-selection) zustande kommen. Mit Fremdwahl sind verschiedene Mittel gemeint, mit denen ein Sprecher den nächsten auswählt, z.B. Fragen, Bitten und alle Mittel, die Verständnis sichern und aufrechterhalten. Fremdwahl kann auf explizite 52 Übersetzungen und Adaptionen dieser Regeln von Sacks/ Schegloff/ Jeffersen finden sich bei Ernst (2002: 146), Meibauer (2001: 132), Becker-Mrotzek/ Vogt (2001: 26) und Kallmeyer/ Schütze (1976: 14). 53 In dieser Arbeit wird der Vorgang der self-selection mit Selbstwahl übersetzt und synonym mit dem Begriff der Selbstauswahl (wie ihn z.B. Mazeland und Redder gebrauchen) verwendet. <?page no="68"?> 68 (z.B. Frage plus Nennung des Namens) oder implizite Art und Weise (z.B. nonverbal mit Kopfnicken) erfolgen. Selbstwahl kann immer dann erfolgen, wenn ein Sprecher einen Beitrag beendet hat, ohne dass eine bestimmte Person aus der Gesprächsrunde bereits zum nächsten Sprecher fremdgewählt worden ist. Die anwesenden potentiellen nächsten Sprecher müssen sich darüber im Klaren sein, dass der Sprecher jetzt mit dem Gesprächsbeitrag aufgehört hat und nicht nur eine kurze Denk- oder Formulierungspause macht. Sie müssen außerdem wissen, ob ein (verbales oder nonverbales) Signal für eine Fremdwahl erfolgt ist oder ob ein Anwesender irgendein Sprechvorrecht hat, z.B. weil jemand schon vorher etwas sagen wollte und nicht dazu kam. Die möglichen nächsten Sprecher müssen untereinander koordinieren, so dass nicht alle gleichzeitig versuchen, das Wort zu ergreifen. Ist man in einem Gespräch - durch Selbst- oder Fremdwahl - zu Wort gekommen, hat man damit das Anrecht erhalten, über einen gewissen Zeitraum die Sprecherrolle innezuhaben. Wie lang dieses Anrecht dauert, hängt von Faktoren wie Ort, Zeitpunkt, Öffentlichkeitscharakter des Gesprächs, Beziehung der Gesprächsteilnehmer, Thema des Gesprächs usw. ab. Die Sprecher sind sich der Tatsache bewusst, dass sie irgendwann das Wort weitergeben müssen. Innerhalb eines Gesprächsbeitrags lassen sich deshalb meist Anzeichen festmachen, dass der aktuelle Sprecher noch weitersprechen möchte: Denk- oder Formulierungspausen sind mit ‚ähm’, ‚äh’, ‚öh’ oder ‚hmm’ gefüllt und die Intonationskurve bleibt erhöht oder geht nach oben zum Zeichen, dass der Gesprächsbeitrag noch nicht zu Ende ist. Leiser werdende Stimme, langsamerer Redefluss oder ‚tag-questions’ 54 wie ‚gell? ’, ‚oder? ’, ‚nicht wahr? ’ zeigen dagegen, dass der Sprecher zum Schluss kommt und das Wort freigibt. Neben der Sprecherrolle ist auch die Hörerrolle mit ganz spezifischen gesprächs- und sprecherorientierten Aktivitäten verbunden. Würde ein Hörer über einen längeren Zeitraum hinweg wirklich nichts anderes tun als nur zuhören, würde dies den Sprecher stark verunsichern. Die Hörerrolle erfordert also eigene Gesprächsaktivitäten, die als ‚back-channelbehavior’ (Rückmeldeverhalten) bezeichnet werden. Diese aufmerksamkeitsbezeugenden und / oder kommentierenden Höreraktivitäten erfolgen meist automatisch parallel zum Gesprächsbeitrag des Sprechers, ohne diesen zu stören. 55 54 Tag-questions sind verbale (Frage-)Anhängsel (engl. ‚tag’ = Anhängsel’). 55 Für weitere Informationen zur Sprecher-/ Hörerrolle und -aktivitäten siehe Linke/ Nussbaumer/ Portmann (1996: 267-270) und Henne/ Rehbock (1982: 197-201). Rath (2001: 1217-1220) geht detailliert auf die Höreraktivitäten ein. Zum Handlungs-Charakter von Gesprächsschritten und Hörersignalen siehe Brinker/ Sager (2001: 65-68). <?page no="69"?> 69 5.1.2. Formen des Sprecherwechsels Für den Verlauf von Sprecherwechseln ergeben sich folgende Möglichkeiten: 56 - „Reibungsloser“ Wechsel oder Sprecherwechsel nach gap (Sprechpause): Damit sind Sprecherwechsel gemeint, bei denen zwischen dem Ende des letzten Gesprächsbeitrags und dem Einsetzen des neuen Gesprächsbeitrags keine oder nur eine ganz kurze Sprechpause entsteht. Solche reibungslosen Sprecherwechsel sind sowohl bei Fremdals auch bei Selbstwahl sehr üblich und zeugen von einer intensiven Koordination in den Gesprächsaktivitäten. Ein unmittelbar nach Abschluss eines unit-type stattfindender Sprecherwechsel ist nur möglich, wenn aktiv zugehört wird. Die Person, die als nächste das Wort ergreifen will, muss den aktuellen Redebeitrag im Hinblick auf eine mögliche Übernahmestelle (TRP) analysieren. Vor einer solchen übergangsrelevanten Stelle kann ein Sprecherwechsel nur durch Verstoß gegen das Rederecht der Person, die gerade das Wort hat, erreicht werden. In der Gesprächsanalyse wird nach der Schwere des Verstoßes zwischen Unterbrechung und Überlappung unterschieden. - Sprecherwechsel durch Unterbrechung: Der Hörer übernimmt den Gesprächsschritt bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem ihn der Sprecher noch nicht übergeben will. Diese Form der Selbstwahl wird vom betroffenen Sprecher meist als unangenehm empfunden. Wird man vor Beendigung seines Gesprächsbeitrags unterbrochen, kann man sich verbal und nonverbal dagegen wehren, also z.B. lauter sprechen, den unterbrochenen Redeteil (ev. mehrmals) wiederholen, sich nach vorne beugen und gestikulieren oder die Unterbrechung thematisieren und sich explizit dagegen verwahren (‚Moment, ich bin noch nicht fertig! ’). - Sprecherwechsel mit ‚overlap’ (Überlappen): Hier überlappen sich der Gesprächsbeitrag des endenden Sprechers und der Beitrag des neu einsetzenden Sprechers. Dabei handelt es sich nicht um ein Versagen der Gesprächsmechanismen, denn von den Beteiligten werden Überlappungen meist nicht als störend wahrgenommen. - Sprecherwechsel nach Pause: Nachdem der Sprecher seinen Gesprächsschritt beendet hat, übernimmt der Hörer die Sprecherrolle erst nach einer deutlichen Pause, was die Gesprächsteilnehmer normalerweise als unangenehm bzw. peinlich empfinden. 56 Zu den Formen des Sprecherwechsels siehe auch Brinker/ Sager (2001: 62-65), Linke/ Nussbaumer/ Portmann (1996: 266f.), Henne/ Rehbock (1982: 190-197) und Deppermann (2001: 61f.). <?page no="70"?> 70 Kommt es beim Sprecherwechsel zu Organisationspannen (z.B. zu einer Pause oder einer Unterbrechung), können wir Reparaturmechanismen einsetzen: Wird eine Pause nach einem Gesprächsbeitrag als Schweigen empfunden, kann der letzte Sprecher eine Reparatur versuchen, indem er seinen Redebeitrag wieder aufnimmt, ein neues Thema anspricht oder durch explizite Fremdwahl den nächsten Sprecher wählt. So wird das Schweigen überspielt und kann zur Pause innerhalb eines längeren Gesprächsbeitrags uminterpretiert werden. Eine Reparatur durch die anderen Gesprächsteilnehmer besteht meist aus Kommentarfloskeln wie ‚jaja’, ‚tja’, ‚so ist das nun mal’ usw., die das Schweigen zu einer kollektiven Denkpause umdeuten. Diese zwei Strategien werden so lange eingesetzt, bis ein neuer Sprecher endgültig den turn übernimmt und das Gespräch weiterführt. Unterbrechung und Überlappung unterscheiden sich in ihrer Nähe zu einer möglichen übergangsrelevanten Stelle: Während die eine das Rederecht der Sprecherin bzw.des [sic! ] Sprechers systematisch verletzt, kann die andere auch durch Irrtümer in der Analyse des unit-type erklärt werden. Wenn solche „Fehler“ sich häufen, kann dies allerdings ein Indiz dafür sein, dass das Rederecht der gerade sprechenden Person so wenig respektiert wird, dass die sorgfältige Analyse ihrer unit-types nicht erforderlich zu sein scheint. (Frank 1992: 30) Auch beim Unterbrechen gibt es zwei Möglichkeiten zur Reparatur: Der Unterbrecher kann nach ein paar Worten wieder aufhören zu sprechen und mit verbalen oder nonverbalen Entschuldigungszeichen den ursprünglichen Sprecher zum Weitersprechen auffordern, was besonders dann vorkommt, wenn der Unterbrecher eine Formulierungspause des Sprechers als Aufforderung zur turn-Übernahme missdeutet hat. Der Unterbrochene selbst kann die Situation reparieren, indem er vorgibt, er habe sowieso gerade mit Reden aufhören wollen. Er beendet seine angefangene Satzkonstruktion im Schnellverfahren und kann so die Unterbrechung in ein Überlappen umdeuten. 5.2. Die turn-Organisation im Unterricht Wenn versucht wird, die turn-Organisation alltäglicher Gespräche mit derjenigen in der schulischen Unterrichtssituation zu vergleichen, ist einer der auffälligsten Unterschiede, dass es in der Schule eine bestimmte Verteilung der turns über die Sprecher gibt und dass diese Verteilung nicht von allen Gesprächsteilnehmern gemeinschaftlich in der Interaktion bestimmt wird. <?page no="71"?> 71 Schulisches Lernen ist durch eine Massenhaftigkeit des Lernprozesses gekennzeichnet: Ein einzelner Lehrer steht einer Vielzahl von Schülern gegenüber. Die Massenhaftigkeit macht besondere verbale und nonverbale Verfahren für den Sprecherwechsel notwendig, die die Wissensvermittlung ermöglichen sollen und den meisten als schultypische Formen (z.B. die Lehrerfrage) bekannt sind (vgl. Kap. 3.3). Die den Sprecherwechsel organisierenden Regeln von Sacks/ Schegloff/ Jefferson beschäftigen sich nur mit den zwei turns, die einen einzelnen turn-Übergang begrenzen. Das ist auch der Grund, warum sie ihr System als „local management system“ (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974: 725) charakterisieren. Ihre Regeln erlauben eine Maximalisierung der Menge der möglichen Sprecher für jeden nächsten turn, können aber keine bestimmte sequentielle Verteilung der turns über die möglichen Sprecher organisieren. Linguistische Untersuchungen haben sich zunächst aus der Tradition der Konversationsanalyse mit der Regelung der Kommunikation im Unterricht beschäftigt. McHoul (1978) formuliert die Systematik des turntaking im Schulunterricht als Modifikation des Regelsystems von Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) (Kap. 5.2.1). Mazeland (1983) entwickelt das unterrichtsspezifische turn-taking anhand konkreter Analysen weiter und erkennt eine eigene, dreischrittige Verfahrensweise der turn-Zuteilung durch den Lehrer (Kap. 5.2.2). Redder (1984) führt die handlungstheoretische Kritik von Mazeland weiter und gibt eine allgemeine Darstellung des turn-Apparats im Unterricht. Zugleich versucht sie, charakteristische Modalverbverwendungen im Zusammenhang mit der turn-Organisation zu erklären (Kap. 5.2.3). 5.2.1. McHoul: „The organization of turns in the classroom” McHoul (1978) schlägt ein System von vier Regeln vor, die er als Modifizierungen der Regeln des Sprecherwechsels für nicht-institutionelle Zusammenhänge betrachtet, wie sie von Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) erarbeitet wurden. Er bezieht sich dabei auf eine Vermutung von Sacks/ Schegloff/ Jefferson, dass das konversationelle Gespräch als Grundform der verbalen Interaktionen betrachtet werden muss, während die anderen verbalen Interaktionsformen verschiedene Transformationen der turn-Organisation von Konversationen repräsentieren (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974: 730f.). Eine Interaktionsform, in der teilweise eine gewisse Vorverteilung (‚pre-allocation’) der turns in Kraft ist, wird dann als Transformation der Grundform ‚konversationelles Gespräch’ betrachtet. <?page no="72"?> 72 McHoul schlägt folgende Regelmodifizierungen vor: 1) For any teacher’s turn, at the initial transition-relevance place of an initial turn-constructional unit: a) If the teacher’s turn-so-far is so constructed as to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then the right and obligation to speak is given to a single student; no others have such a right or obligation and transfer occurs at that transition-relevance place. b) If the teacher’s turn-so-far is so constructed as not to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then current speaker (the teacher) must continue. 2) If 1a) is effected, for any student-so-selected’s turn, at the initial transition-relevance place of an initial turn-constructional unit: a) If the student-so-selected’s turn-so-far is so constructed as to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then the right and obligation to speak is given to the teacher; no others have such a right or obligation and transfer occurs at that transition-relevance place. b) If the student-so-selected’s turn-so-far is so constructed as not to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then self-selection for next speaker may, but need not, be instituted with the teacher as first starter and transfer occurs at that transitionrelevance place. c) If the student-so-selected’s turn-so-far is so constructed as not to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then current speaker (the student), may, but need not, continue unless the teacher self-selects. 3) For any teacher’s turn, if, at the initial transition-relevance place of an initial turn-constructional unit either 1a) has not operated or 1b) has operated and the teacher has continued, then the rule-set 1a)-1c) reapplies at the next transition-relevance place and recursively at each transition-relevance place until transfer to a student is effected. 4) For any student’s turn, if, at the initial transition-relevance place of an initial turn-constructional unit neither 2a) nor 2b) has operated, and, following the provision of 2c), current speaker (the student) has continued, then the rule-set 2a)-2c) re-applies at the next transitionrelevance place and recursively at each transition-relevance place until transfer to the teacher is effected. 57 (McHoul 1978: 188) 57 Eine Übersetzung dieser Regeln von McHoul findet sich bei Mazeland (1983: 80f.). <?page no="73"?> 73 Die Regeln beschreiben die unterschiedlichen Teilnahmerechte des Lehrers und der Schüler im Unterrichtsdiskurs, so dass McHoul zum Schluss kommt, dass der Lehrer innerhalb der turn-Organisation gegenüber den Schülern eine größere Handlungskompetenz hat und die Kontrolle über den Verlauf des Kommunikationsprozesses ausübt: „Only teachers can direct speakership in any creative way“ (McHoul 1978: 188). Seine Regelmenge produziert nach McHoul drei technische Unterschiede zwischen Unterrichtsdiskurs und Alltagsgespräch (vgl. McHoul 1978: 189-211): - Werden in Gesprächen die Pausen und gaps innerhalb der Redebeiträge minimalisiert, so wird deren Potential im Unterrichtsdiskurs maximalisiert. Der Schüler kann und darf ohne Angst vor Selbstwahl eines anderen Sprechers seinen Beitrag vervollständigen. Weil der Lehrer der Einzige ist, der sich selbst auswählen kann, braucht er keine Angst vor Unterbrechung seines Beitrags zu haben. Deshalb sind turninterne Pausen im Unterrichtdiskurs häufiger als in Gesprächen. - Während in Gesprächen in der Möglichkeit, dass sich mehrere Sprecher selbst zu gleicher Zeit als nächsten Sprecher auswählen eine dauernde Quelle von (zwar kurzen) Überlappungen liegt, wird im Unterrichtsdiskurs das Potential an Überlappungen minimalisiert. In McHouls Regelmenge gibt es keine Möglichkeit, dass entweder der Lehrer einem Schüler die Gelegenheit gibt, sich selbst mit dem Recht des zuerst Beginnenden als nächsten Sprecher auszuwählen, oder dass ein Schüler einen anderen Schüler als nächsten Sprecher auswählt. - In den Regeln von Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) ist die Menge der möglichen nächsten Sprecher maximal, während im Unterrichtsdiskurs diese Menge viel beschränkter ist. Nach einem Schülerbeitrag kann der turn eigentlich nur zum Lehrer gehen. Nur dem Lehrer stehen ‚self-selection’ und ‚selection of first starters’ offen, ebenso die ‚selection of the next speaker’. Dadurch fällt der turn eines Schülers immer an den Lehrer zurück und es kommt zu einem gehäuften Auftreten von ‚gaps’ und zu selteneren ‚overlaps’ im Unterricht gegenüber der Kommunikation in nicht-institutionellem Zusammenhang. Wenig Beachtung schenkt McHoul den Prozeduren, durch die Schüler ihre Bereitschaft signalisieren, einen Beitrag übernehmen zu wollen, indem sie sich durch verbales oder nonverbales Melden um einen Sprecherwechsel bewerben oder sich durch Selbstwahl als nächsten Sprecher auswählen. Daran setzt auch die Kritik von Mazeland (1983) an. <?page no="74"?> 74 5.2.2. Mazeland: „Sprecherwechsel in der Schule“ Mazeland (1983) entwickelt das unterrichtsspezifische turn-taking anhand konkreter Analysen weiter. Im Unterrichtsdiskurs gibt es meist einen Sprecher und eine Gruppe Zuhörer. Von Schülern wird erwartet, dass sie gegenüber den Äußerungen der Lehrperson aufmerksam sind, auch wenn sich der Lehrer einem einzelnen Schüler zuwendet. Die Lehreräußerungen, die zur ganzen Klasse als Gruppe gerichtet sind, nennt Mazeland ungerichtete Sprechhandlungen 58 ; diejenigen Lehreräußerungen, die zu einem einzelnen Schüler gerichtet sind, gerichtete Sprechhandlungen. Diese differenzierte Adressierung der Redebeiträge des Lehrers übernimmt Mazeland auch für die turn-Zuteilung des Lehrers: der Lehrer kann sowohl einem einzelnen Schüler den turn zuteilen als auch der ganzen Klasse eine Möglichkeit für bedingte (programmierte) Selbstwahl geben. Falls sich kein Schüler selbst bedingt auswählt und darum kein turn- Wechsel stattfindet, geht der turn notwendigerweise wieder zurück zum Lehrer. Die dazwischen liegende Stelle möglicher turn-Übergabe wird als Stille der Klasse erfahren. Im Gegensatz zum Fall der turn-Zuteilung an einen einzelnen Schüler ist jedoch kein einzelner Schüler für die Lücke verantwortlich. Die Lücke kann dann nur vom Lehrer durchbrochen werden, da er sie initiiert hat und er institutionell definiert ist als der, der die endgültige Verantwortlichkeit für den Unterrichtsablauf hat. In diesem Zusammenhang stellt Mazeland (1983: 83) fest: „Mann [sic! ] kann übrigens dieses Zurückgeben des turns an den Lehrer nicht als Selbstauswahl betrachten (wie Mchoul [sic! ] dies tut); vielmehr muss er den turn aus institutioneller Verpflichtung übernehmen.“ In dem von McHoul vorgeschlagenen System der turn-Organisation kommt die bedingte, ungerichtete turn-Zuteilung mit programmierter Selbstwahl auf der Seite der Schüler nicht vor, obwohl sie sehr häufig ist. Die programmierte Selbstwahl der Schüler kann durch unterschiedliche Verfahren realisiert werden, z.B. durch ‚pre-starter’ 59 oder über das nonverbale Melden (Mazeland 1983: 85). Mazeland erkennt in der programmierten Selbstwahl eine dreischrittige Verfahrensweise der turn- 58 Mazeland präzisiert, dass ungerichtete Fragen insofern gerichtet sind, als damit die Schüler, die glauben, die Antwort zu wissen, gesucht werden (Mazeland 1983: 83). 59 An diesem Beispiel wird die Problematik des von Mazeland benutzten Transkriptionssystems deutlich, das die nonverbalen Aspekte unberücksichtigt lässt. Bei seinem Beispiel der Selbstwahl mit dem pre-starter Ja wird nicht deutlich, ob die Schülerin sich nonverbal meldet und gleichzeitig mit dem pre-starter beginnt oder ob sie ohne Melden mit Sprechen beginnt, was einen Regelverstoß darstellen würde. <?page no="75"?> 75 Zuteilung durch den Lehrer: Der Lehrer macht zunächst eine ‚ungerichtete’ turn-Zuteilung an die ganze Klasse und lässt dadurch eine bedingte Selbstwahl der Schüler zu, schließlich wählt er aus ihrer Reihe den nächsten Sprecher aus und vollzieht den ‚turn-Zuteilungsturn’ 60 . Im Gegensatz zum Vorschlag von McHoul sind bei Mazeland bestimmte Formen der Schüler-Selbstwahl möglich, wobei ein Schüler von sich aus, ohne ungerichtete turn-Zuteilung des Lehrers, die Initiative zur turn-Übernahme ergreift (nicht-programmierte Selbstwahl). Eine nicht vom Lehrer programmierte Selbstwahl eines Schülers kann wegen der Verletzung der kommunikativen Ordnung ermahnt und diszipliniert werden, es gibt aber auch Formen der nicht-programmierten Selbstwahl von Schülern, die nur schwer als mögliche Regelverletzung vom Lehrer behandelt werden können und bei denen eine Lehrer-Ermahnung unwahrscheinlich ist (z.B. Verständnisfragen, Korrektur, Rechtfertigung). Verständnisprozeduren haben im Unterricht eine hohe Priorität, weshalb sie die nicht-programmierte Selbstwahl von Schülern legitimieren. Eine Ignorierung solcher Verständnisfragen durch den Lehrer würde im Widerspruch zur offiziellen didaktischen Zielsetzung der Unterrichtssituation stehen (vgl. Mazeland 1983: 91-93). Auch der Regel 2b) 61 von McHoul, die den Lehrer als ersten Sprecher betrifft, kann Mazeland (1983: 96) nicht zustimmen: „der Lehrer bekommt den turn nicht, weil er zuerst anfängt - er bekommt den turn auch, wenn er als zweiter oder dritter anfängt -, sondern weil er der Lehrer ist.“ Auch wenn der Lehrer den turn eines Schülers unterbricht, hat der Lehrer den turn und der Schüler sollte seinen turn abbrechen. Mazeland schlägt das folgende System der turn-Organisation in der Schule vor: Für jeden Lehrerturn an jeder von ihm bestimmten Stelle des Sprecherwechsels gilt: 60 Nach dem Ende des Lehrer-turns können sich die Schüler melden und der Lehrer sucht einen Schüler aus, dem er den turn zuteilt. Die mögliche turn-Übergabestelle hat ihr Ende, wenn der Lehrer wieder den turn übernimmt, um ihn einem Schüler zuzuteilen. Mazeland erkennt, dass dieser turn nicht als Selbstwahl des Lehrers betrachtet werden kann. Dieser turn des Lehrers ist „vorprogrammiert“ als turn-Übernahmeverpflichtung des Lehrers in der von ihm initiierten Sequenz. Mazeland nennt diese Sequenzposition des Lehrers „turn-Zuteilungsturn“ (Mazeland 1983: 85). 61 “If the student-so-selected’s turn-so-far is so constructed as not to involve the use of a ‘current speaker selects next’ technique, then self-selection for next speaker may, but need not, be instituted with the teacher as first starter and transfer occurs at that transition-relevance place.” (McHoul 1978: 188). <?page no="76"?> 76 1a) Wenn der Lehrer eine „gegenwärtiger-Sprecher-wählt-nächsten- Technik“ verwendet, hat nur der Schüler, der als nächster Sprecher ausgewählt ist, das Recht und die Verpflichtung, als nächster zu sprechen. Kein anderer hat dieses Recht oder die Verpflichtung, und der Sprecherwechsel erfolgt an dieser Stelle; 1b) Wenn der Lehrer eine „Technik der programmierten Selbstauswahl“ verwendet, haben die einzelnen Schüler das Recht, als nächste zu reden oder um den turn zu bitten; Sprecherwechsel findet an dieser Stelle nur statt, wenn ein oder mehrere Schüler dieses Recht benutzen; wenn nicht, dann bleibt der turn beim Lehrer. Selbstauswahl eines Schülers kann - aber muss nicht - erfolgen, wenn: 2a) nicht 1a) 2b) an einer vom Lehrer bestimmten Stelle des Sprecherwechsels der Lehrer den Schülern das Recht, als nächste zu reden, durch eine Technik der programmierten Selbstauswahl zugeteilt hat; wenn mehrere Schüler anfangen, als nächste zu reden oder ein oder mehrere Schüler sich melden, um den turn zugeteilt zu bekommen, geht der turn zurück zum Lehrer; 2c) ein Schüler während des Redebeitrags eines anderen Beteiligen (entweder Lehrer oder Schüler) - unabhängig davon, ob es eine Stelle möglichen Sprecherwechsels gibt oder nicht - anfängt zu reden oder bittet, als nächster Sprecher ausgewählt zu werden, und der gegenwärtige Sprecher mit seinem turn aufhört oder diesem den turn zuteilt. 3) Wenn der Sprecherwechsel über 1a), 1b), 2b) oder 2c) stattgefunden hat, ist für jeden Schülerturn an der ersten Stelle möglichen Sprecherwechsels der Lehrer der nächste Sprecher. Regel 3 gilt nicht, wenn: 4a) der Lehrer nicht anfängt, als nächster zu reden; dann muss der gegenwärtige Sprecher bis zur nächsten Stelle möglichen Sprecherwechsels fortfahren; 4b) der Lehrer den Redebeitrag des Schülers vor dem ersten Vervollständigungspunkt unterbricht; dann ist der Lehrer nächster Sprecher; 4c) der Lehrer ein Handlungsmuster initiiert hat, in dem mehrere Positionen hintereinander von Schülern ausgefüllt werden müssen; in diesem Fall geht der turn nach den Realisierungen dieser Positionen durch die Schüler zum Lehrer zurück. 62 (Mazeland 1983: 96f.) 62 Regel 4c) beschreibt, dass das Rederecht nach einem Schüler-turn nicht an den Lehrer zurückfällt, wenn zu Beginn einer Unterrichtsphase eine für alle Beteiligten geltende Vereinbarung über die Rederechterteilung getroffen wurde. Becker-Mrotzek/ Vogt (2001: 168) nennen dies eine „verfahrensgeregelte kommunikative Ordnung“. <?page no="77"?> 77 Mazeland weist nach, dass die Verteilung der Redebeiträge im Unterricht anders geregelt wird als in anderen Kommunikationskonstellationen. Grundlegend für die turn-Organisation ist dabei die institutionelle Definition der Aufgaben von Lehrern und Schülern: Während in Alltagsgesprächen die Stellen möglichen Sprecherwechsels interaktionell organisiert werden, bestimmt im Unterricht der Lehrer diese Stellen. Mazeland betrachtet also das turn-taking in der Schule als eigene, durch die Institution bedingte Form, beschreibt sie allerdings im Format der Konversationsanalyse. Redder (1984) kritisiert aus funktional-pragmatischer Perspektive Mazelands konversationsanalytischen Ansatz schulischer turn-Organisation wegen seines der Konversationsanalyse entlehnten begrifflichen Apparats: „Es zeigt sich, dass die turn-Organisation im Unterrichtsdiskurs eine hochkomplexe Struktur hat. Sie kann nicht konversationsanalytisch dargestellt und begriffen werden“ (Redder 1984: 43). Redder geht es in ihrer Arbeit um die Frage, welche pragmatischen Funktionen Modalverben 63 im Unterrichtsdiskurs wahrnehmen können, wobei sie auch auf die turn-Organisation im Unterricht eingeht. Ihre Verfahren der turn-Zuteilung werden im Folgenden vorgestellt. 5.2.3. Redder: turn-Organisation im Unterrichtsdiskurs In einer kritischen Auseinandersetzung mit vorliegenden Analysen zur turn-Organisation im Unterricht entwickelt Redder (1984) ein eigenes Modell der turn-Verteilung. Sie unterscheidet drei Verfahren der turn-Zuteilung, wobei turn- Zuteilung jene Lehrerhandlungen genannt werden, die dem Zweck dienen, den turn einem bestimmten einzelnen Schüler zuzuteilen: das Lehrer-initiierte Verfahren der turn-Zuteilung durch das Aufrufen eines bestimmten Schülers, mit dem der Schüler zur Übernahme des Rederechts verpflichtet wird; das Lehrer-Schüler-initiierte Verfahren, in dem ein ungerichtetes turn- Angebot des Lehrers zur turn-Bewerbung von einzelnen oder mehreren Schülern führt und schließlich mit der Zuteilung endet; das Schüler-initiierte Verfahren, bei dem Schüler ihr Verlangen nach dem turn (durch Aufheben, Sprechen usw.) von sich aus deutlich 63 Bei der Beschreibung von Redders Modell der turn-Verteilung im Unterrichtsdiskurs wird auf ihre Ergebnisse bezüglich der Funktionen von Modelverben nicht eingegangen. Diesbezüglich sei auf das Kapitel 3 von Redder (1984) verwiesen. <?page no="78"?> 78 machen, wobei es auch hier der Lehrer ist, der über die Verteilung des turns entscheidet. Schülerhandlungen mit dem Zweck, den turn zu erhalten, nennt Redder turn-Einforderungen. Je nach der Vorgeschichte prägen sie sich verschieden aus: als turn-Bewerbung im Lehrer-Schüler-initiierten Verfahren (bei programmierter Selbstwahl) als turn-Verlangen beim Schüler-initiierten Verfahren (bei nichtprogrammierter Selbstwahl) Die Entscheidung darüber, welches Verfahren der turn-Organisation gerade praktiziert wird, trifft der Lehrer. Zur turn-Organisation in unterschiedlichen Lehr- und Sozialformen stellt Redder fest: Der Lehrer verfügt über den turn-Apparat auch dann, wenn er aktuell auf die Ausübung der organisatorischen Aufgabe verzichtet und sie an einen Schüler delegiert. Jederzeit kann der Lehrer eingreifen und dem Schüler die Diskursleitung wieder abnehmen. (Redder 1984: 38) Der Ausdruck ‚jederzeit’ bedarf hier einer Präzisierung, denn so entsteht der Eindruck, als würde der Lehrer willkürlich über die Rederechterteilung verfügen. Aber die Organisation des Kommunikationsprozesses im Unterricht setzt didaktisch motivierte Entscheidungen des Lehrers voraus. Zudem berücksichtigt Redder in ihrem Modell nicht, dass beim Lehrer-Schüler-initiierten Verfahren die turn-Bewerbungen der Schüler ausbleiben können oder dass ein Schüler beim Lehrer-initiierten Verfahren den turn zurückweisen kann. Becker-Mrotzek/ Vogt haben auf der Vorlage von Redders Modell Handlungsmaximen für den Lehrer und die Schüler aufgestellt: Für den Lehrer gilt: Ich erteile Schülern das Rederecht, wenn sie dieses durch Melden beanspruchen; zudem verschaffe ich ihnen Möglichkeiten, ihr Wissen einzubringen, indem ich sie nach Strukturierungen zur Meldung auffordere. Darüber hinaus kann ich auch einzelne Schüler dazu zwingen, einen Beitrag einzubringen. Für die Schüler gilt: Ich kann mich jederzeit melden, wenn ich inhaltlich etwas beizutragen habe; ich kann mich auch nach einer entsprechenden Lehreraufforderung melden; ich kann auch gegen meinen Willen zur Übernahme des Rederechts gezwungen werden. (Becker-Mrotzek/ Vogt 2001: 164) <?page no="79"?> 79 Becker-Mrotzek/ Vogt kritisieren, dass in den bisherigen Arbeiten zur turn-Organisation die verschiedenen Lehr- und Sozialformen zuwenig berücksichtigt werden und unterscheiden folgende Variationen der kommunikativen Ordnung: - Die lehrerzentrierte Ordnung, in der der Lehrer nach eigenen Vorstellungen Schülern das Rederecht erteilt (Auswahl des nächsten Sprechers durch Aufrufen, programmierte Selbstwahl, Berücksichtigung von Schülermeldungen). Er kann aber auch explizit eine andere kommunikative Ordnung etablieren. 64 - In der schülerzentrierten Ordnung greift der Lehrer nicht auf die Mechanismen der lehrerzentrierten Ordnung zurück und die Schüler können selbst das Wort ergreifen, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet. - In einer verfahrensgeregelten Ordnung wird eine Vereinbarung über die Rederechterteilung getroffen, die für diesen Abschnitt gültig ist (vgl. Becker-Mrotzek/ Vogt 2001: 171). 65 Die vorgestellten Modelle für die turn-Organisation im Unterricht von McHoul, Mazeland und Redder vermögen die Komplexität des Sprecherwechsels im lehrerzentrierten Unterricht nicht in allen Aspekten zu erfassen. Aus diesem Grund schlage ich ein neues Modell vor, das die bereits vorhandenen Modelle um diejenigen Aspekte ergänzt, die bisher unberücksichtigt blieben (Kap. 5.3). Bei der Vorstellung dieses neuen Modells für die turn-Organisation im Unterricht kommen nun auch transkribierte Sprecherwechsel aus den Videoaufnahmen zur Anwendung. 64 Die lehrerzentrierte Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass die Organisation des Kommunikationsprozesses straff in den Händen des Lehrers liegt, sowohl was die Planung als auch den Verlauf der Kommunikation in ihrer inhaltlichen und formalen Ausgestaltung betrifft. Zu lehrer- und schülerzentrierten (lehrerdominanten und kooperativen) Kommunikationsformen im Unterricht siehe Schröder (1975: Kapitel 2.2). 65 Ein ausführliche Beschreibung der kommunikativen Ordnungen im Klassenzimmer findet sich in Vogt (2002: Kapitel 6). <?page no="80"?> 80 5.3. Modell für die turn-Organisation im Unterricht Unterrichtsanalysen verfolgen häufig nur jene Sequenzen, die spezifisch didaktischen Charakter aufweisen. Ausgeblendet wird aber meist jener Bereich unterrichtlichen Sprechens, der zeitlich parallel neben dem kommunikativen Hauptstrang zwischen einzelnen Schülern stattfindet oder stattfinden kann und vom Lehrer nicht beachtet oder nicht erwünscht ist - wird doch vom Schüler erwartet, dass er ständig seine Aufmerksamkeit dem Hauptdiskurs widmet. Obwohl diese Formen von Kommunikation in Unterrichtsanalysen kaum je Erwähnung finden, sind sie doch ausgesprochen typisch für wohl fast alle Unterrichtstunden auf sämtlichen Schulstufen. Aufgrund des mir zur Verfügung stehenden Korpus (siehe Fussnote 40) beschränke auch ich mich bei der Ausarbeitung eines neuen Modells für den Sprecherwechsel im Unterricht auf die lehrerzentrierte kommunikative Ordnung, wohl wissend, dass für die Analyse schülerzentrierter Unterrichtsformen wie Diskussionen oder Gruppenunterricht ein eigenes Modell geschaffen werden müsste. Ich unterscheide zwischen ‚Sprecherwechsel nach Aufforderung’ (Kap. 5.3.1) und ‚Sprecherwechsel nach Selbstwahl’ (Kap. 5.3.2). Der Sprecherwechsel nach Aufforderung kann - Lehrer-Schüler-initiiert durch eine ungerichtete Lehreraufforderung, - Lehrer-initiiert durch eine gerichtete Lehreraufforderung (z.B. Frage-, Befehls- oder Aussagesatz) mit Zuweisung oder - Schüler-initiiert 66 durch eine Aufforderung seitens eines Schülers erfolgen. Sprecherwechsel nach Selbstwahl erfolgt nach Selbstwahl des Lehrers an einer übergangsrelevanten Stelle oder durch Unterbrechung oder nach Selbstwahl des Schülers mit oder ohne Unterbrechung oder als spontane Schüler-Schüler-Äußerung. Anhand ausgewählter Sprecherwechsel aus den Videoaufnahmen soll das Modell detailliert beschrieben werden, bevor die Regeln für die turn- Organisation im Unterricht aufgestellt werden (Kap. 5.3.3) und eine schematische Übersicht über das Modell gegeben wird (Kap. 5.3.4). 66 Der Begriff des Schüler-initiierten Sprecherwechsels ist in diesem Modell enger gefasst als bei Redder (1984), da er sich ausschließlich auf Verständnisfragen beschränkt. <?page no="81"?> 81 5.3.1. Sprecherwechsel nach Aufforderung Nachfolgend stehen die Sprecherwechsel nach Aufforderung im Zentrum, wobei zwischen Lehrer-Schüler-initiierten (Kap. 5.3.1.1), Lehrerinitiierten (Kap. 5.3.1.2) und Schüler-initiierten (Kap. 5.3.1.3) turn-Aufforderungen unterschieden wird. Die Untersuchung der lehrerzentrierten Passagen der vier Videoaufnahmen von Mathematikstunden auf der Gymnasialstufe hat ergeben, dass es sich bei den Sprecherwechseln nach Aufforderung zu 80% um Lehrer-Schüler-initiierte turn-Aufforderungen, zu zirka 15 % um Lehrer-initiierte turn-Aufforderungen und lediglich zu etwa 5% um Schüler-initiierte turn-Aufforderungen handelt. Im vorliegenden Korpus ist also die Lehrer-Schüler-initiierte turn-Aufforderung die Standardform der Regelung des Sprecherwechsels. 5.3.1.1. Lehrer-Schüler-initiierte turn-Aufforderung Bei der Lehrer-Schüler-initiierten turn-Aufforderung vollzieht der Lehrer eine ungerichtete Sprechhandlung. Der Lehreraufforderung an alle Schüler, Sprechhandlungen zu einem von ihm fixierten Thema zu vollziehen, entsprechen ein oder mehrere Schüler durch eine Gegenaufforderung um Zuweisung der Sprecherrolle, indem sie sich um den turn „bewerben“ (programmierte Selbstwahl). Den Schülerbitten um Zuweisung der Sprecherrolle entspricht der Lehrer durch Zuweisung des turns an einen Schüler. Der angesprochene Schüler entspricht der Zuweisung des turns, indem er ihn übernimmt und dabei der vom Lehrer in der ungerichteten Aufforderung thematisierten Erwartung entspricht: Transkription 1: SW-059 11: 32: 21-11: 44: 22 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-L.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] ! Lehrer [v] Was für einen Flächeninhalt hat dieses Rechteck? ((1)) Jessica? Jessica [nv] streckt auf [2] 2 3 Jessica [v] Sechsundfünfzig. Jessica [nv] nimmt Arm runter <?page no="82"?> 82 In diesem Transkriptionsausschnitt richtet der Lehrer mit der Frage nach dem Flächeninhalt eines bestimmten Rechtecks eine ungerichtete Sprechhandlung an die Klasse (0/ 1) 67 , worauf sich Jessica meldet 68 und nonverbal um den turn bewirbt (1). Der Lehrer weist ihr den turn verbal zu, indem er sie mit ihrem Namen anspricht (1). Jessica beendet ihre turn- Bewerbung (2), übernimmt den turn und entspricht mit ihrer Antwort der Lehrererwartung (3). Die Schüler können sich mit nonverbalen oder sprachlichen (oder beiden) Mitteln um den turn bewerben. Auf der Gymnasialstufe reagieren die Schüler in der Regel auf eine Lehreraufforderung nonverbal mit Heben eines Arms wie im obigen Beispiel. Es wäre aber auch möglich, diese nonverbale Äußerung durch sprachliche Mittel zu ergänzen oder zu ersetzen. Damit wird der optische durch den akustischen Kanal verstärkt und man kann sich dadurch besser gegen die Konkurrenz anderer Schüler durchsetzen. Als sprachliche Ausdrucksmittel dienen Bittsignale wie Darf ich es sagen? und Weiterführungssignale wie und, oder und genau. In den untersuchten vier Lektionen kam es nach einer ungerichteten Lehreraufforderung nie zu einer turn-Bewerbung mit sprachlichen Mitteln, auch nicht in Kombination mit einer nonverbalen turn-Bewerbung. Im Gegensatz zu Schülern auf der Primarschulstufe ergänzen oder ersetzen Gymnasiasten nonverbale turn-Bewerbungen nicht durch sprachliche Mittel. 69 Die Zuweisungshandlung des Lehrers, in der er einem bestimmten Schüler auf dessen programmierte Selbstwahl hin den turn zuweist, kann verbal oder nonverbal (oder als Kombination von beidem) erfolgen. Der Lehrer kann dem Schüler den turn verbal zuweisen, indem er ihn - wie in der obigen Transkription - mit dem Namen anspricht. Der Lehrer kann dem Schüler den turn aber auch mit einem vollständigen Satz verbal zuweisen, wobei der Schülername an den Anfang der turn-Zuweisung gestellt wird: 67 Die Zahlen in Klammern beziehen sich jeweils auf die Zahlen der Zeitachse in der Transkription. 68 In den Transkriptionen wird für den Vorgang des „Sich-Meldens“ in der Schule die deutschschweizerische Variante „(auf-)strecken“ verwendet, da sie das Nonverbale an dieser Art von turn-Bewerbung besser beschreibt. Im übrigen Text wird der Vorgang der nonverbalen turn-Bewerbung mit „aufzeigen“ oder „sich melden“ beschrieben. 69 Laut Pfaff (1983: 81f.) fanden in seiner Untersuchung von 10 Unterrichtsstunden der Grundschule (3. Schuljahr) die turn-Bewerbungen der Schüler zu einem Drittel mit sprachlichen Mitteln (ev. in Kombination mit nonverbalem Melden) statt. <?page no="83"?> 83 Transkription 2: SW-011 01: 57: 14-02: 13: 20 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 2 3 4 Lehrer [i] ! / Lehrer [v] Fünfzehn ((2)) Cony Was hast du da bei Cony [nv] streckt auf nimmt Arm runter [2] .. 5 Lehrer [i] \ Lehrer [v] A bekommen. Cony [i] (zögernd) ! > Cony [v] Ää Entschuldigung. Aa , vierzig Zentimeter. Hat der Lehrer einem Schüler nach programmierter Selbstwahl den turn zugewiesen, hat der Schüler das Recht und zugleich die Pflicht zu sprechen. Auf der Gymnasialstufe wird dem entsprochen, falls die Lehreraufforderung richtig verstanden worden ist. 70 Cony hat sich nach der ungerichteten Lehreraufforderung (Kontrolle der Hausaufgabe Nr. 15) um den turn beworben (1), zögert aber nach der turn-Zuteilung durch den Lehrer kurz. Aufgrund ihres Aktantenwissens ist ihr bewusst, dass sie mit der Zuteilung des turns aufgrund ihrer turn-Bewerbung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu sprechen erhalten hat. Aus diesem Grund entschuldigt sie sich für ihr Zögern und ihre Intonation und das Sprechtempo zeigen, dass sie sich um eine rasche Antwort bemüht (5). Der Lehrer kann dem Schüler den turn zudem verbal zuweisen, ohne ihn namentlich anzusprechen: Transkription 3: SW-059 13: 02: 03-13: 04: 10 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-L.mpg 70 Auf der Primarschulstufe kann es durchaus vorkommen, dass sich ein Schüler zwar meldet und so um den turn bittet, nach der Zuweisungshandlung durch den Lehrer aber der in der ungerichteten Aufforderung thematisierten Erwartung nicht entsprechen kann. <?page no="84"?> 84 [1] 0 1 2 Lehrer [i] / \ / Lehrer [v] Was habt ihr als Resultat bekommen? Ja? Lehrer [nv] weist mit Arm Jessica [nv] streckt auf [2] .. 3 4 Lehrer [i] Lehrer [v] Lehrer [nv] Richtung Jessica Jessica [v] Siebenundzwanzig Komma Jessica [nv] nimmt Arm runter [3] .. Jessica [v] fünf. Aufgrund der turn-Bewerbung von Jessica (1) erteilt der Lehrer ihr den turn verbal ohne Nennung des Namens mit einer gleichzeitigen Armbewegung in ihre Richtung (2). In den vier untersuchten Unterrichtsstunden wurde von den Lehrpersonen für die verbale turn-Zuweisung ohne Nennung des Namens ausschließlich Ja benützt. In den meisten Zuweisungshandlungen werden verbale und nonverbale Mittel kombiniert. Dies ist insbesondere dann zu erwarten, wenn - wie im obigen Ausschnitt - das verbale Zuweisungsmittel nicht ganz eindeutig ist, weil anstelle der Verwendung des Schülernamens nur Ja verwendet wird. Wenn der Sprecherwechsel ohne Schwierigkeiten zu vollziehen ist, kann der Lehrer für die Zuweisung auch nur nonverbale Mittel wählen: Transkription 4: SW-018 05: 21: 03-05: 31: 11 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] ! / \ Lehrer [v] So, zuerst einmal zu diesem Dreieck, welches spezielle Dreieck <?page no="85"?> 85 [2] .. 1 Lehrer [i] / \ ! \ Lehrer [v] ist es in diesem Fall? ((1)) S' ist nicht mehr ein Gleichseitiges Marion [nv] streckt auf [3] 2 3 Lehrer [i] / Lehrer [v] sondern? Lehrer [nv] weist mit dem Buch Richtung Marion Marion [i] / \ Marion [v] Rechtwinklig Marion [nv] nimmt Arm runter Der Lehrer kann Marion den turn nonverbal zuweisen, indem er das Buch, das er in der rechten Hand hält, in ihre Richtung weist (2). Die turn- Zuweisung ist hier trotz des Fehlens verbaler Mittel eindeutig, da sich zu diesem Zeitpunkt Marion als einzige um den turn bewirbt. Wenn durch eine Lehreraufforderung Rätsel gestellt - also von den Schülern Mutmaßungen oder Schätzungen verlangt werden - brauchen sich die Schüler nicht um den turn zu bewerben und die Zuweisung des turns durch den Lehrer abzuwarten: Transkription 5: SW-018 12: 27: 27-12: 54: 23 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation [1] 0 Lehrer [i] ! Lehrer [v] Wir wissen alle, dass die Erde sich dreht und wissen alle, dass [2] .. Lehrer [i] ! Lehrer [v] wir uns mitdrehen, weil wir eben 71 auf der Erde sind. Jetzt, wie 71 Als Besonderheit fällt bei diesem Lehrer die gehäufte Verwendung des Wortes ‚eben’ auf: In den ersten 25 Minuten der Lektion verwendet er dieses „Füllwort“ 116-mal! <?page no="86"?> 86 [3] .. 1 Lehrer [i] - + Lehrer [v] gross ist das die Geschwindigkeit, wer hat da eine Ahnung oder Sabine [nv] streckt auf [4] .. 2 3 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] eine Schätzung? Lehrer [nv] weist mit dem Buch Richtung Sabine Sabine [i] (fragend) Sabine [v] Etwa Sabine [nv] nimmt Arm [5] .. 4 5 6 Lehrer [v] Eintausend was? Tausend Sabine [i] / < Sabine [v] eintausend Kilometer pro Stunde Sabine [nv] runter [6] .. Lehrer [v] Kilometer pro Stunde. ((1)) Nein, Sabine. Andere Vermutungen? [7] 7 8 9 Sm [v] Fünf SS [v] Weniger Sf [v] (Mehr) Sabine bittet auf die ungerichtete Lehreraufforderung Wer hat da eine Ahnung oder eine Schätzung? (0/ 1) hin nonverbal um den turn (1/ 2) und erhält ihn nonverbal zugewiesen (2). Da ihre Antwort offensichtlich falsch ist (Nein, Sabine) und der Lehrer weitere Schüleräußerungen wünscht (6), können sich die Schüler ohne turn-Bewerbung äußern (7/ 8/ 9) - ohne mit ihrem Verhalten Disziplinierungen befürchten zu müssen. Der Lehrer schätzt nach diesem Transkriptionsausschnitt die Schüleräußerungen ein, wobei er allerdings vorläufig die korrekte Lösung nicht <?page no="87"?> 87 preisgeben will - wahrscheinlich, um die langfristige Motivation der Schüler zu sichern. Das richtige Resultat auf seine Frage sollte nun nämlich gemeinsam in der Klasse erarbeitet werden. Obwohl diese Schüleräußerungen ohne turn-Bewerbung stattfinden, kann hier dennoch nicht von einer Selbstwahl seitens der Schüler gesprochen werden, da den Schüleräußerungen eine Lehreraufforderung vorausging. Transkription 6: SW-074 07: 56: 25-08: 22: 28 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-K.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] < > ! Lehrer [v] Weißt du ((1)) noch etwas über Winkel? ((5)) Diese speziellen Lehrer [nv] blickt zu Erika [2] .. 2 Lehrer [v] Eigenschaften brauchen wir ja nachher in der Lehrer [nv] Monika [nv] streicht sich mit der rechten Hand durch die Haare [3] 3 4 5 Lehrer [i] > Lehrer [v] Konstruktion. Monika ((3)) Lehrer [nv] kurze Armbewegung Richtung Monika Monika [nv] blickt sehr [4] .. 6 Lehrer [i] ! (überrascht) ! \ Lehrer [v] Aa hast du nicht aufgestreckt? Lehrer [nv] vollzieht Armbewegung des Streckens Monika [nv] erstaunt Richtung Lehrer Ivo [nv] (streckt auf) <?page no="88"?> 88 [5] 7 8 9 Lehrer [i] (lacht) Lehrer [v] Aha Ivo? Lehrer [nv] weist mit Arm zu Ivo Monika [i] (leicht belustigt) Monika [v] Näi. Ivo [nv] (nimmt Arm runter) [6] 10 Ivo [v] Alpha und Delta geben zusammen hundertachtzig Grad. Die erste Lehreraufforderung ist noch an die vorherige Sprecherin (Erika) gerichtet (0). Da sie der Lehreraufforderung nicht nachkommen kann, präzisiert der Lehrer seine Frage (1/ 2/ 3). Währenddessen streicht Monika sich mit der rechten Hand durch ihre Haare (2), was der Lehrer fälschlicherweise als nonverbale turn-Bewerbung interpretiert und sie deshalb aufruft (4). Monikas perplexe Reaktion auf das Aufdrängen der Sprecherrolle (5) macht dem Lehrer seine Falschinterpretation von Monikas Geste deutlich (6). Belustigt über das Missverständnis ruft er Ivo auf (8), der sich offenbar zwischenzeitlich um den turn beworben hat. 72 Die Reaktion von Monika auf die aufgedrängte Sprecherrolle zeigt, dass der Lehrer üblicherweise nach einer ungerichteten Lehreraufforderung den turn nicht einem Schüler übergeben möchte, der sich nicht um den turn beworben hat. 73 Aus diesem Grund zwingt er Monika nach Bemerken seines Irrtums nicht zu einer turn-Übernahme, sondern gibt den turn einem Schüler weiter, der sich um den turn beworben hat. Wenn der ungerichteten Lehreraufforderung keine turn-Bewerbung seitens der Schüler folgt, findet kein turn-Wechsel statt und der Lehrer muss als Verantwortlicher für den Unterrichtsablauf den turn aus institutioneller Verpflichtung behalten. Der Lehrer kann den turn behalten, ihn einem bestimmten Schüler zuweisen oder die Aufforderung 72 Aus den Videoaufnahmen wird nicht deutlich, zu welchem Zeitpunkt sich Ivo um den turn bewirbt und wann er den Arm runter nimmt. Die vermuteten Zeitpunkte sind aus diesem Grund in Klammern gesetzt. 73 Wenn auf eine ungerichtete Lehreraufforderung hin turn-Bewerbungen erfolgen, berücksichtigt der Lehrer nur aus pädagogisch-didaktischen Gründen (z.B. Aktivierung oder Disziplinierung) keinen der turn-Bewerber und verpflichtet einen Schüler zur turn-Übernahme, der sich nicht um den turn beworben hat. <?page no="89"?> 89 präzisieren und danach eine gerichtete oder ungerichtete Lehreraufforderung vornehmen: Transkription 7: SW-018 05: 59: 03-06: 20: 10 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] ! < > Lehrer [v] So, also der Radius eben ist dann was für eine Größe, die [2] [3] .. Lehrer [i] ! Lehrer [v] oder eben der Radius des Breitenkreises, muss ich genau [4] .. 1 2 3 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] sagen, ist dann welche Größe? ((2)) Ja Andreas [nv] streckt auf nimmt [5] .. 4 Andreas [v] Viertausendfünfhundertvier Komma zwei sieben Andreas [nv] Arm runter [6] .. Andreas [v] Kilometer. Der ungerichteten Lehreraufforderung folgt keine turn-Bewerbung. Da kein turn-Wechsel stattfindet, behält der Lehrer als Verantwortlicher .. Lehrer [i] / / Lehrer [v] ((1)) die es zu berechnen gilt? ((1)) Der Radius ist dann ((3)) <?page no="90"?> 90 für den Unterrichtsablauf den turn. Der Lehrer präzisiert darauf seine Aufforderung und richtet eine neue ungerichtete Lehreraufforderung an die Klasse (0). Andreas bewirbt sich nonverbal um den turn (1) und erhält ihn vom Lehrer verbal ohne Nennung des Namens zugewiesen (2). Aus den Videoaufnahmen ist nicht ersichtlich, ob der Lehrer seine turn- Zuweisung mit einer Armgeste unterstützt oder nicht. Da weitere turn- Bewerbungen von Mitschülern ausbleiben, ist die turn-Zuweisung auf jeden Fall eindeutig. Der Lehrer kann nach Präzisierung seiner Aufforderung auch eine Lehreraufforderung an einen bestimmten Schüler richten: Transkription 8: SW-018 21: 22: 00-22: 02: 00 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] ! ! Lehrer [v] So, und was gilt jetzt für ein Zusammenhang zwischen diesen [2] .. Lehrer [i] Lehrer [v] zwei Umfängen? ((2)) Das ist eben das, was in der [3] .. Lehrer [i] ! / \ ! Lehrer [v] Aufgabenstellung ja formuliert ist. Was gilt jetzt? ((1)) Es gilt, [4] .. Lehrer [i] / \ Lehrer [v] dass der Umfang zwei ((4)) was ist? Der Umfang zwei ist? ((1)) [5] .. Lehrer [i] Lehrer [v] Egal ob man eben jetzt beim Velorad oder bei der Erde ((1)) ist? <?page no="91"?> 91 [6] .. Lehrer [i] ! \ / Lehrer [v] ((7)) Ja ((1)) Cordula, was ist der Umfang zwei? Aufgrund der [7] .. Lehrer [i] Lehrer [v] Aufgabenstellung, bezüglich Umfang eins, ist immer? Auf die ungerichtete Lehreraufforderung hin finden keine turn-Bewerbungen der Schüler statt, weshalb der turn notwendigerweise an den Lehrer zurückgeht. Er präzisiert seine Frage und formuliert erneut eine Lehreraufforderung (Das ist eben das, was in der Aufgabenstellung ja formuliert ist. Was gilt jetzt? ). Trotz Präzisierung gibt es immer noch keine turn-Bewerbungen. Der Lehrer formuliert nochmals zwei ungerichtete Aufforderungen und präzisiert diese nochmals (Egal ob man eben jetzt beim Velorad oder bei der Erde ist? ), bevor er eine gerichtete Aufforderung an Cordula richtet. Der Lehrer kann den turn nach einer ungerichteten Lehreraufforderung ohne turn-Bewerbung auch einfach behalten, ohne eine weitere Lehreraufforderung vorzunehmen. Im folgenden Beispiel möchte der Lehrer den Begriff ‚Gitterpunkte’ einführen. Die Schüler haben den gesuchten Begriff zu diesem Zeitpunkt bereits mit ‚Kreuzungen’ und ‚Schnittpunkten’ umschrieben: Transkription 9: SW-059 22: 11: 27-22: 26: 22 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-L.mpg [1] 0 Lehrer [i] < > Lehrer [v] Schnittpunkte, ja. Oder? Habt ihr auch schon etwas anderes [2] .. Lehrer [i] / \ ! - Lehrer [v] gehört? Ich brauche nämlich dieses Wort anschließend, drum <?page no="92"?> 92 [3] .. Lehrer [i] + Lehrer [v] ((1)) nimmt es mich Wunder, ob ihr's schon kennt. ((5)) Man [4] .. Lehrer [i] Lehrer [v] nennt das, was dahinter steht auch manchmal statt kariertes [5] .. Lehrer [i] ! ! Lehrer [v] Papier ein Gitter und nennt dann diese Punkte Gitterpunkte. Da die Schüler den Begriff offensichtlich nicht kennen, behält der Lehrer den turn und gibt die gesuchte Antwort selbst. Wenn sich nach einer ungerichteten Lehreraufforderung kein Schüler um den turn bewirbt, hat der Lehrer die Möglichkeit, den turn ohne vorherige Präzisierung einem bestimmten Schüler zuzuweisen: Transkription 10: SW-018 06: 53: 25-07: 05: 27 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Also wie lässt sich das ((1)) berechnen, diese Kathete? ((3)) [2] 1 2 Lehrer [i] ! \ Lehrer [v] Oder Andreas wie hast du's gerechnet? Lehrer [nv] weist mit Buch Richtung Andreas Wenn sich auf eine ungerichtete Lehreraufforderung keiner der Schüler um den turn bewirbt, ist das Aufrufen eines Schülers ohne vorherige Präzisierung - in diesem Fall Andreas - eine zeitökonomische Variante. <?page no="93"?> 93 In den vier untersuchten Unterrichtsstunden ist die Lehrer-Schülerinitiierte turn-Aufforderung die Standardform des Sprecherwechsels für Schüler. Sie dient dem Zweck des Unterrichtsdialogs, durch aktive Mitarbeit zum gemeinsamen Wissenserwerb beizusteuern. Der Lehrer erwartet, dass diese Mitarbeit durch die „Bitte“ um Übernahme der Sprecherrolle geäußert wird. <?page no="94"?> 94 Übersicht 2: Lehrer-Schüler-initiierte turn-Aufforderung turn-Aufforderung L ungerichtet turn-Bewerbung S/ SS (programmierte Selbstauswahl) turn-Übernahme S/ SS keine turn- Bewerbung verbal und nonverbal nonverbal verbal turn-Zuweisung L verbal und nonverbal nonverbal verbal turn- Übernahme S turn geht zurück an L L behält turn Präzisierung turn-Aufforderung L gerichtet turn-Aufforderung L gerichtet turn-Aufforderung L ungerichtet <?page no="95"?> 95 5.3.1.2. Lehrer-initiierte turn-Aufforderung Der Sprecherwechsel nach einer Lehreraufforderung kann auch erfolgen, ohne dass der ausgewählte Schüler seine Bereitschaft zur turn-Übernahme signalisiert hat. Die Lehreraufforderung wird dabei wie beim Lehrer-Schüler-initiierten Sprecherwechsel vollzogen, ist aber gerichtet, da der Lehrer zusätzlich eine Zuweisungshandlung durch Nennung des Namens (anfangs, inmitten oder am Ende der Lehreraufforderung) vollzieht. Der so ausgewählte Schüler übernimmt dann entweder den aufgedrängten turn und vollzieht die vom Lehrer erwartete Äußerung oder er weist die Übernahme der Sprecherrolle zum Vollzug einer thematischen Handlung zurück. Da die Schüler verpflichtet sind, permanent verfügbar zu sein für die aktive verbale Einschaltung in den Hauptdiskurs, können Lehrer-initiierte turn-Aufforderungen spezifischen Zwecken dienen, beispielsweise der Aktivierung, der Disziplinierung oder der Kommunikationssicherung. Wenn der Lehrer durch das Aufdrängen des turns Schüler in den Unterrichtsdialog einbinden will, die sich bei ungerichteten Lehreraufforderungen nicht um den turn bewerben, handelt es sich dabei um eine Lehrer-initiierte turn-Aufforderung mit dem Zweck der Aktivierung: Transkription 11: SW-059 13: 20: 11-13: 42: 27 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-K.mpg [1] 0 1 2 Lehrer [i] / \ ! Lehrer [v] Dann die dritte Figur. ((12)) Was ist neu Lehrer [nv] schreibt auf OHP [2] .. 3 4 Lehrer [i] / ! Lehrer [v] bei der dritten Figur? ((4)) Arno Baumgartner Arno [nv] streckt auf <?page no="96"?> 96 [3] 5 6 Arno [nv] nimmt Arm runter Arno Baumgartner [i] < (zögernd) Arno Baumgartner [v] Äa ((1)) das ist ein Viereck. Auf die Lehreraufforderung (2) meldet sich Arno nonverbal. Anstatt Arno aufzurufen, wartet der Lehrer noch einen Moment (3) und ruft dann den Banknachbarn von Arno - Arno Baumgartner 74 - auf, obwohl er sich nicht um den turn beworben hat (4/ 5). Dementsprechend zögernd gibt er die Antwort (6). Dieser Unterrichtsausschnitt zeigt anschaulich die Aktivierungsfunktion dieser Lehrer-initiierten Aufforderung: Die turn-Zuteilung an Arno Baumgartner hat hier nämlich weder die Funktion einer Disziplinierung noch der Kommunikationssicherung, da ja eine turn-Bewerbung von Arno vorliegen würde. Durch die Lehrer-initiierte Aufforderung können auch unaufmerksame und/ oder den Unterrichtsdialog störende Schüler diszipliniert werden. In diesem Fall erfolgt die Nennung des Namens zumeist vor der Lehreraufforderung: Transkription 12: SW-011 03: 35: 07-03: 47: 00 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 1 2 Simon [i] < (zögernd) + Simon [v] Aso die ääm ja der Durchschnitt zwischen DC Cony [v] (Kommunikation Cony [nv] wendet sich zu Simone Simone zugewandt Simone [v] (Kommunikation Simone [nv] Cony zugewandt 74 Da die beiden Schüler namens Arno nebeneinander sitzen, betont der Lehrer bei der turn-Zuteilung den Nachnamen. Ohne Nennung des Nachnamens hätte nämlich in diesem Fall Arno den turn übernommen, da er sich nonverbal um den turn beworben hat. <?page no="97"?> 97 [2] .. 3 Simon [i] > Simon [v] und/ von DC und AB Cony [v] außerhalb des Hauptdiskurses mit Simone) Cony [nv] Simone [v] außerhalb des Hauptdiskurses mit Cony) Simone [nv] Lehrer [i] ! Lehrer [v] ((2)) Simone Lehrer [nv] weist mit Arm [3] .. 4 5 Simon [i] ! > Simon [v] Aa eine Simone [nv] wendet sich dem Lehrer zu Lehrer [i] / \ Lehrer [v] weißt du was er meint Lehrer [nv] Richtung Simone weist mit Arm Richtung Simon [4] .. 6 7 Simon [i] > Simon [v] Mittelsenkrechte durch die Höhe Lehrer [i] + < Lehrer [v] Pscht sch sch sch sch sch Lehrer [nv] schüttelt den Kopf Der Lehrer hat Simon auf eine Antwort eine Rückfrage gestellt, die er zögernd beantwortet (0/ 1/ 2). Unterdessen wendet sich Cony Simone zu und sie beginnen eine Nebenkommunikation 75 , deren Inhalt auf den Videoaufnahmen nicht verständlich ist. Der Lehrer möchte diese 75 Cony und Simone führen ein Flüstergespräch ausserhalb des offiziellen Unterrichtsdiskurses. Als Nebenkommunikationen im Unterricht werden neben Flüstergesprächen zwischen Schülern auch Zwischenrufe, Kommentare usw. bezeichnet. Daneben gibt es auch schriftliche Mitteilungen sowie nonverbale Zeichen auf der Nebenkommunikationsebene. <?page no="98"?> 98 unerwünschte Nebenkommunikation unterbinden und teilt Simone mit einer verständnissichernden Frage und betonter Intonation den turn zu (3/ 4). Bevor Simone auf diese Lehrer-initiierte Aufforderung eingehen kann, wählt sich Simon selbst als nächsten Sprecher aus, da ihm die korrekte Antwort auf die vorherige Rückfrage des Lehrers eingefallen ist. Diese Selbstwahl von Simon wird vom Lehrer diszipliniert, weil er den turn bereits Simone zugeteilt hat. Die Zuweisung des turns an einen Schüler dient dem Lehrer auch als Mittel der Kommunikationssicherung, da er auf diese Weise den Unterrichtsdialog in Gang halten kann. Dies erfolgt auf der Gymnasialstufe häufiger als auf der Primarstufe. Das Aufdrängen der Sprecherrolle ist aus zeitökonomischen Gründen sinnvoll, da das Warten auf turn- Bewerbungen der Schüler entfällt. Transkription 13: SW-011 17: 27: 06-17: 35: 04 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 Lehrer [i] < (betont) ! Lehrer [v] Ist sechs das arithmetische Mittel von drei ((1)) und Lehrer [nv] schreitet von der Wandtafel zu Moni schaut an Wandtafel [2] 2 3 Lehrer [i] ! Lehrer [v] zwölf Moni Lehrer [nv] beugt sich zu Moni runter Moni [i] - Moni [v] (Ja) Es ist nicht immer ganz eindeutig einzuordnen, ob es sich um eine Lehrer-initiierte Aufforderung zwecks Kommunikationssicherung handelt oder um eine gerichtete Lehreraufforderung aufgrund einer ungerichteten turn-Aufforderung ohne turn-Bewerbung. Im obigen Ausschnitt handelt es sich aufgrund des nonverbalen Verhaltens und der fehlenden Pause nach der Aufforderung um eine zeitökonomische Lehrer-initiierte Aufforderung. <?page no="99"?> 99 Beim Lehrer-initiierten Sprecherwechsel kann es zu einer Zurückweisung der aufgedrängten Sprecherrolle kommen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von turn-Zurückweisung, weil die Schüler aufgedrängte Sprecherrollen nicht verweigern können. Der turn geht bei einem Lehrer-initiierten Sprecherwechsel in jedem Fall an den ausgewählten Schüler. Wenn dieser der Lehreraufforderung nicht nachkommen kann oder will, muss er den turn implizit (mit Schweigen) oder explizit (z.B. mit ich weiss es nicht) an den Lehrer zurückweisen: Transkription 14: SW-018 11: 18: 10-11: 29: 20 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-K.mpg [1] 0 1 2 Marion [i] ! Marion [v] Geteilt durch zwei Lehrer [i] ! / Lehrer [v] Ja geteilt durch zwei ((1)) und dann noch? Lehrer [nv] schreibt an Wandtafel blickt zu Marion [2] .. 3 4 Lehrer [i] + ! Lehrer [v] ((1)) Ja Marion was fehlt noch Lehrer [nv] weist kurz mit Arm Richtung Marion [3] 5 6 7 8 Marion [nv] schweigt und zeigt auch keine Lehrer [i] + Lehrer [v] hier an der Wandtafel? ((2)) Oder Lehrer [nv] weist mit Arm zu Wandtafel weist mit Andreas [nv] streckt auf Ulf [nv] streckt auf Sf [nv] streckt auf <?page no="100"?> 100 [4] .. 9 10 Marion [nv] nonverbale Reaktion Lehrer [i] Lehrer [v] Andreas Lehrer [nv] Arm zu Andreas Andreas [v] Die Wurzel. Andreas [nv] nimmt Arm runter Ulf [nv] nimmt Arm runter Sf [nv] nimmt Arm runter Der Transkriptionsausschnitt setzt bei einem turn von Marion ein (0). Der Lehrer stuft ihren Beitrag zwar als richtig ein (1), wünscht sich aber von ihr eine Ergänzung (2). Um Marion zu einer Weiterführung ihres turns zu bewegen, verwendet der Lehrer zuerst die nonverbalen Mittel Blickkontakt (2) und Armgeste (3), dann ruft er sie namentlich auf (4/ 5). Da Marion auf die nonverbal und verbal an sie gerichteten Aufforderungen keine Reaktion zeigt und damit den turn implizit an den Lehrer zurückweist, ist dieser institutionell verpflichtet, den turn wieder zu übernehmen. Der Lehrer übernimmt den turn und entspricht der turn-Bewerbung von Andreas durch namentliches Aufrufen und einer Armgeste (8). Im Unterricht entsteht mit einer Frage nicht die gleich starke Verpflichtung zur Antwort wie z.B. in Alltagsgesprächen. So kann man sich in Alltagsgesprächen der Verpflichtung zur Antwort auf eine Frage nur durch explizites Thematisieren des eigenen Nicht-Wissens entziehen. Ansonsten gilt man als grob unhöflich und muss eine Beziehungsverschlechterung befürchten, weil man die sehr grundlegende Verpflichtung zur Kooperation missachtet. Da der Lehrer mit seiner Frage lediglich das Wissen von Marion testet und selbst bereits über die Information verfügt, kann sich Marion der Lehrer-initiierten Aufforderung entziehen. Sie muss mit ihrem Verhalten keine Beziehungsverschlechterung befürchten, aber ihr Schweigen legt dem Lehrer ihr Nicht-Wissen offen. Bei wiederholten turn-Zurückweisungen können sich zudem negative Konsequenzen bezüglich einer ev. Benotung der Mitarbeit im Unterrichtsdiskurs ergeben oder das Schweigen kann vom Lehrer als Autoritätsangriff interpretiert werden und so zu Konsequenzen (z.B. Beziehungsverschlechterung) führen. <?page no="101"?> 101 Durch die gerichtete turn-Aufforderung kann der Lehrer die Verteilung der turns an die Schüler, die Aufmerksamkeit der Schüler und den Kommunikationsfluss garantieren und kontrollieren. Obiger Transkriptionsausschnitt zeigt, dass die Lehrpersonen trotzdem eher die turn-Zuteilung nach programmierter Selbstwahl anstreben und die Lehrer-initiierte turn-Aufforderung nur verwenden, wenn sie ganz bestimmten Zwecken dient. Die Lehrer-initiierte Aufforderung an Marion dient der Kommunikationssicherung. Nach ihrer turn-Zurückweisung beharrt der Lehrer nicht auf einer Antwort von Marion, sondern teilt den turn Andreas zu, der sich nonverbal um den turn beworben hat. <?page no="102"?> 102 Übersicht 3: Lehrer-initiierte turn-Aufforderung turn-Aufforderung L gerichtet turn-Übernahme S implizit turn geht zurück an L turn-Zurückweisung S explizit <?page no="103"?> 103 5.3.1.3. Schüler-initiierte turn-Aufforderung Auch auf die Aufforderung eines Schülers kann ein Sprecherwechsel erfolgen. Im lehrerzentrierten Unterricht werden der Lehrer oder einer der Mitschüler nur im Zusammenhang mit Sequenzen der Verständnissicherung explizit zur Übernahme der Sprecherrolle aufgefordert. Transkription 15: SW-011 18: 25: 22-18: 44: 15 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] ! Lehrer [v] Ou wir haben noch einen Satz vergessen da. Es gibt noch Lehrer [nv] steht vor der Wandtafel und weist mit Arm darauf holt den SS [v] (...) [2] .. 2 3 Lehrer [v] mehr ((5)) Lehrer [nv] Putzlappen möchte die Tafel putzen wendet sich um zu Nadine Nadine [i] / Nadine [v] (Müemer) das ufschriibe Nadine [nv] weist mit dem Arm Richtung [3] .. 4 5 Lehrer [i] / Lehrer [v] Ja ja alles schön brav ufschrei (ben). Lehrer [nv] geht Richtung Nadine geht Richtung Babs Nadine [i] \ Nadine [v] det? Nadine [nv] Wandtafel Babs [i] ! Babs [v] Alles was Sie det Babs [nv] weist mit Arm <?page no="104"?> 104 [4] .. 6 7 Lehrer [i] < - Lehrer [v] Ja ja, ja ja Lehrer [nv] Babs [i] \ ! Babs [v] ufgschribe händ? Ui Babs [nv] Richtung Wandtafel Da Verständnisprozeduren im schulischen Unterricht eine hohe Priorität haben, ist der Lehrer nach den turn-Aufforderungen von Nadine (3) und Babs (5) zur turn-Übernahme verpflichtet. Eine Ignorierung von Verständnisfragen durch den Lehrer würde im Widerspruch zur institutionellen Aufgabe und zur offiziellen didaktischen Zielsetzung der Unterrichtssituation stehen. Fordert ein Schüler nicht den Lehrer, sondern einen oder mehrere Mitschüler zur turn-Übernahme auf, handelt es sich selten um inhaltlich nicht verstandene Schülerantworten, sondern - wie im folgenden Beispiel - meistens um akustisch unverständliche Schülerantworten, deren Wiederholung verlangt wird: Transkription 16: SW-011 07: 54: 20-08: 08: 21 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 2 Lehrer [i] ! / Lehrer [v] Dann bei B ist's ((1)) ganz ähnlich. Das gibt? Lehrer [nv] weist turn Sm [nv] (streckt auf) Nadine [nv] streckt auf [2] .. 3 Lehrer [nv] nonverbal mit Zunicken zu Sm [v] Hundertfünfzehn Zentimeter <?page no="105"?> 105 [3] 4 5 6 Lehrer [v] Jawohl sehr gut Cony [i] - Cony [v] Wivill? Nadine [i] - Nadine [v] Hundertsieb (zehn/ Hundert) Nadine [nv] wendet sich Cony zu [4] .. 7 8 Lehrer [i] ! Lehrer [v] Ihr ((1)) schreibt jetzt gerade auf, was die Nadine [i] - Nadine [v] fünfzehn Zentimeter Nadine [nv] [5] .. Lehrer [v] Hausaufgaben sind auf morgen. Mit dem Wivill? (6) fordert Cony die Wiederholung der Äußerung eines Mitschülers (3/ 4). Hier gibt nicht der angesprochene Schüler (AS), sondern ihre Banknachbarin und Mitschülerin (MS) Nadine die Antwort des Mitschülers nochmals wieder (7/ 8) und sichert damit das Verständnis. 76 Da diese Schüler-initiierte turn-Aufforderung auf der Nebenkommunikationsebene abläuft, wird der Hauptdiskurs des Unterrichts nicht tangiert und der Lehrer kann mit der Erteilung der Hausaufgaben fortfahren (8/ 9). 76 Es kommt sehr häufig vor, dass auf eine Schüler-initiierte turn-Aufforderung nicht der angesprochene Schüler seine Antwort wiederholt, sondern Mitschüler, die in der Nähe des Schülers sitzen, welcher die turn-Aufforderung initiiert hat. Würden weder der angesprochene Schüler noch die Mitschüler der Schüler-initiierten turn- Aufforderung nachkommen, ist der Lehrer institutionell zur turn-Übernahme verpflichtet, um das Verständnis zu sichern. <?page no="106"?> 106 Übersicht 4: Schüler-initiierte turn-Aufforderung turn-Aufforderung S an L keine turn- Übernahme AS oder MS turn-Übernahme L an MS turn-Übernahme AS und/ oder MS turn-Übernahme L <?page no="107"?> 107 5.3.2. Sprecherwechsel nach Selbstwahl Die Regelung des Sprecherwechsels nach Selbstwahl bezieht sich primär auf den Lehrer. Die Schüler müssen sich im Unterricht das Rederecht zumeist erwerben, können die Sprecherrolle also in der Regel nur nach Aufforderung übernehmen. Dennoch finden sich im Unterrichtsdialog Sprecherwechsel von Schülern durch Selbstwahl. Im nächsten Abschnitt werden die Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers (Kap. 5.3.2.1) und nach Selbstwahl der Schüler (Kap. 5.3.2.2) beschrieben. 5.3.2.1. Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers Die Selbstwahl eines Sprechers kann erfolgen, indem er die Äußerung seines Vorredners unterbricht oder aber wartet, bis dieser seinen turn zu Ende geführt hat. Der Lehrer führt den Sprecherwechsel durch Selbstwahl meist an einem übergangsrelevanten Ort (TRP, vgl. Kap. 5.1) herbei. Da die Schüler ihr Rederecht einfordern müssen, lässt der Lehrer die Schüler ihre Äußerungen beenden, bevor er den turn wieder übernimmt: Transkription 17: SW-059 14: 24: 07-15: 18: 10 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-K.mpg [1] 0 1 2 3 Lehrer [i] \ / ! Lehrer [v] Was fällt auf bei der Aufgabe vier? ((1)) ((2)) ((11)) Lehrer [nv] schreibt auf OHP Jessica [v] (...) Jessica [nv] streckt aus Jux dreimal Massimo [nv] streckt auf [2] .. 4 5 Lehrer [i] ! Lehrer [v] ((2)) Massimo Lehrer [nv] richtet sich auf und wendet sich gegen Klasse Jessica [nv] hintereinander kurz auf, wendet sich belustigt an Banknachbarin <?page no="108"?> 108 [3] .. 6 Lehrer [i] Lehrer [v] Jessica [nv] und führt mit ihr ein Gespräch außerhalb des Hauptdiskurses Massimo [i] ! Massimo [v] Das Viereck hat eine einspringende Ecke. Massimo [nv] nimmt Arm runter [4] 7 Lehrer [i] / \ / Lehrer [v] Richtig. ((1)) Was hat das für Konsequenzen auf unser [5] .. 8 9 Lehrer [i] \ Lehrer [v] Verfahren? ((3)) Enia. Enia [i] ! > Enia [v] Ja man muss anders aufteilen, damit Enia [nv] (streckt auf) (nimmt Arm runter) [6] .. Enia [i] Enia [v] man die einzelnen Teilflächen besser berechnen kann. Enia [nv] [7] 10 11 Lehrer [i] / Lehrer [v] Wie hast du das dann gemacht? Enia [i] > Enia [v] Aso ich habe beim [8] .. Enia [i] < Enia [v] einspringenden Winkel gerade aso parallel zur ää X-Achse <?page no="109"?> 109 [9] .. 12 Lehrer [nv] schreibt auf OHP Enia [i] > < Enia [v] rübergezeichnet ((1)) nach rechts ((1)) und dann dort ää von [10] .. Lehrer [nv] Enia [i] > Enia [v] unten zwei ((1)) zwei zwei Häuschen nach links und dann [11] .. 13 14 Lehrer [i] Lehrer [v] ((3)) So. Dann Lehrer [nv] Enia [i] - Enia [v] hoch gezeichnet durch die Senkrechte. [12] .. Lehrer [i] ! ! Lehrer [v] bekommen wir neben den Dreiecken auch noch ein Rechteck. Der Sprecherwechsel an einem TRP dient vorwiegend der Einschätzung einer Schüleräußerung und der Weiterführung des Unterrichtsdialogs (7/ 13/ 14). Der Lehrer kann aber auch einen übergangsrelevanten Ort abwarten, um zu der vorherigen Schüleräußerung eine ergänzende Frage zu stellen (10). Obwohl der Lehrer über die Rederechterteilung verfügt, erfolgen seine turn-Übernahmen nicht willkürlich, sondern sind didaktisch motiviert. Aus diesem Grund unterbricht der Lehrer Schüleräußerungen nur in Ausnahmefällen. Der beim Sprechen unterbrochene Schüler beendet darauf seinen turn und überlässt ihn dem Lehrer oder er versucht, durch Weiterführung seines turns die Sprecherrolle zu behalten. Der Lehrer unterbricht durch Selbstwahl einen Schüler, wenn er das Verständnis sichern möchte - entweder um sich des Sinns einer Schüleräußerung zu versichern oder weil er einen Schülerbeitrag akustisch nicht verstanden hat: <?page no="110"?> 110 Transkription 18: SW-018 13: 24: 19-13: 36: 05 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-K.mpg [1] 0 Lehrer [i] ! Lehrer [v] So was müssen wir also rechnen um diese Geschwindigkeit [2] .. 1 2 Lehrer [i] < > Lehrer [v] näherungsweise ((1)) eben ((1)) zu kennen? Lehrer [nv] weist mit Buch Andreas [nv] streckt auf [3] .. 3 Lehrer [nv] Richtung Andreas Andreas [v] Achtundzwanzigtausend dreihunderteins Andreas [nv] nimmt Arm runter [4] 4 5 6 Lehrer [i] < > Lehrer [v] Jetzt hab ich nicht viel verstanden. Andreas [v] (...) vierundzwanzig Sf [v] (hustet) [5] 7 8 Lehrer [v] Nochmals. Lehrer [nv] weist mit Buch Richtung Andreas Andreas [v] Achtundzwanzigtausend [6] .. Andreas [v] dreihunderteins geteilt durch vierundzwanzig. <?page no="111"?> 111 Das Husten (4) verunmöglicht dem Lehrer die akustische Wahrnehmung von Andreas’ Äußerung, weshalb er ihn unterbricht (6), die Wiederholung seiner Antwort verlangt (7) und so das Verständnis sichert. Der Lehrer kann auch unterbrechen, um den Redebeitrag eines Schülers gegen „Worteroberungsversuche“ anderer Schüler abzusichern: Transkription 19: SW-011 04: 24: 04-04: 29: 28 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 Lehrer [i] ! / < Lehrer [v] Wir reden nur von dem hm? Durchschnitt von den beiden. Lehrer [nv] blickt Richtung Klasse blickt [2] 2 3 4 Lehrer [i] + ! ! Lehrer [v] Stopp ((1)) Simon Ich bin bei Lehrer [nv] Richtung Simon, geht zur Wandtafel schreibt an die Simon [v] Aso das kann man mit Hilfe der/ [3] .. 5 Lehrer [i] ! / \ Lehrer [v] Simone Weißt du was das ist? Lehrer [nv] Wandtafel blickt Richtung Simone, geht auf sie zu Simon hat den letzten Schüler-turn inne gehabt. Aus diesem Grund interpretiert er den Blickkontakt des Lehrers (1/ 2) als nonverbale turn- Zuweisung und beginnt mit einer Erläuterung seiner vorherigen Äußerung (2). Der Lehrer unterbricht Simon (3) und verdeutlichet, dass er den turn nicht ihm übergeben wollte, sondern Simone (4). Er richtet dann eine gerichtete Lehrer-Aufforderung an Simone. Durch Selbstwahl mit Unterbrechung kann sich der Lehrer sein Rederecht sichern, um Schüleräußerungen zu begrenzen, zu korrigieren oder in seine geplante Richtung zu lenken: <?page no="112"?> 112 Transkription 20: SW-018 08: 04: 09-08: 12: 01 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 2 Sabine [i] ! < > Sabine [v] R ((1)) gleich Wurzel aus ((1)) ääm R hoch zwei Lehrer [v] Ja ich möchte Lehrer [nv] geht zur Wandtafel und schreibt [2] 3 4 Sabine [i] < Sabine [v] plus/ Lehrer [i] < + > Lehrer [v] zuerst nein Sabine ich möchte zuerst einmal den Pythagoras Lehrer [nv] wendet sich Klasse zu, blickt Richtung Sabine [3] .. Lehrer [i] ! Lehrer [v] formuliert haben ohne Umformung, damit es für alle auch Lehrer [nv] [4] .. Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] nachvollziehbar ist. ((1)) Kannst du mir das angeben. Der Lehrer unterbricht die Äußerung von Sabine (2). Da Sabine ihren turn noch beenden möchte (3), expliziert der Lehrer seine Unterbrechung und erklärt deren Grund (4). Damit zeigt der Lehrer Sabine, dass er sie nicht willkürlich unterbrochen hat, sondern aus didaktischen Überlegungen. Der Lehrer kann durch eine Unterbrechung thematische Ausschweifungen vermeiden und seinen geplanten Unterrichtsinhalt gezielt vermitteln. Der Lehrer kann einen Schüler-turn unterbrechen, wenn er vom Schüler eine Präzisierung seiner Äußerung verlangen will: <?page no="113"?> 113 Transkription 21: SW-018 10: 39: 03-10: 47: 17 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 Sabine [i] < > - \ Sabine [v] R gleich die Wurzel aus R hoch zwei plus R hoch zwei Lehrer [i] Lehrer [v] Ja jetzt musst Lehrer [nv] steht schreibbereit mit Kreide an der Wandtafel dreht sich um [2] .. 2 Sabine [i] ! Sabine [v] Ja das grüne R. Lehrer [i] ! Lehrer [v] du mir eben zuerst einmal die verschiedenen R deutlich Lehrer [nv] zur Klasse, geht auf Sabine zu, blickt Richtung Sabine [3] .. Lehrer [v] unterscheiden. Der Lehrer möchte die Antwort von Sabine an die Wandtafel schreiben (0), was nicht möglich ist, wenn sie die verschiedenen R in ihrer Äußerung nicht differenziert. Aus diesem Grund sieht sich der Lehrer zu einer Unterbrechung veranlasst (1). Die Analyse dieser ausgewählten Unterrichtssequenzen zeigt deutlich, dass der Lehrer den Sprecherwechsel durch Unterbrechung immer dann durchführt, wenn der geplante Ablauf des Unterrichtsdiskurses gestört wird durch mangelndes Verständnis - Missachtung der Regeln des Sprecherwechsels inhaltliche Abschweifungen oder inhaltlich unkorrekte oder unpräzise Schüleräußerungen, die nicht der in der Lehreraufforderung thematisierten Erwartung entsprechen. Diese Art der Selbstwahl dient dem Lehrer als starkes Mittel, den Unterrichtsdiskurs in seinem Sinne zu beeinflussen. <?page no="114"?> 114 Übersicht 5: Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers an TRP verbal (und nonverbal) durch Unterbrechung verbal (und nonverbal) <?page no="115"?> 115 5.3.2.2. Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Schülers Obwohl im Unterricht der Sprecherwechsel vom Lehrer zu einem Schüler meist nach Aufforderung stattfindet, können Schüler den turn auch durch unprogrammierte Selbstwahl erwerben. Dazu warten sie entweder einen TRP ab oder sie unterbrechen ihre Mitschüler oder den Lehrer. Die Selbstwahl kann verbal oder nonverbal (durch Melden) erfolgen. Am häufigsten findet die Selbstwahl des Schülers nach einer unkorrekten oder unpräzisen Antwort eines Mitschülers statt. In diesem Fall erfolgt die Selbstwahl meistens nonverbal, wobei der Schüler keine Disziplinierung durch den Lehrer aufgrund seiner Selbstwahl befürchten muss: Transkription 22: SW-018 08: 04: 09-08: 54: 05 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 2 Sabine [i] ! < > Sabine [v] R ((1)) gleich Wurzel aus ((1)) ääm R hoch zwei Lehrer [v] Ja ich möchte Lehrer [nv] geht zu Wandtafel und schreibt darauf [2] 3 4 Sabine [v] plus/ Lehrer [i] < + > Lehrer [v] zuerst nein Sabine ich möchte zuerst einmal den Pythagoras Lehrer [nv] wendet sich Klasse zu, blickt Richtung Sabine [3] .. Lehrer [v] formuliert haben ohne Umformung, damit es für alle auch [4] .. 5 Sabine [v] R hoch Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] nachvollziehbar ist. ((1)) Kannst du mir das angeben? <?page no="116"?> 116 [5] .. 6 7 8 9 Sabine [i] < Sabine [v] zwei gleich Lehrer [i] - < > \ Lehrer [v] Ja (besser) Ja ((1)) ja gut also ((1)) kommt Lehrer [nv] geht zur Wandtafel schreibt auf Wandtafel wendet sich [6] .. 10 Sabine [i] < (zögernd) > Sabine [v] ja R plus ((2)) ä R hoch zwei Lehrer [v] drauf an wie du's formulierst. Lehrer [nv] Klasse zu, blickt Richtung Sabine [7] .. 1112 13 Sabine [i] ! Sabine [v] plus ((2)) ääm ((1)) doch plus Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Plus ja. Ja jetzt eben musst du Lehrer [nv] schreibt an Wandtafel wendet sich Klasse zu, blickt [8] .. 14 Lehrer [v] etwas Bezeichnungen einführen, die habe ich jetzt an der Lehrer [nv] Richtung Sabine Marion [nv] streckt auf [9] .. 15 Lehrer [v] Wandtafel nur teilweise ((1)) äh aufgeschrieben. ((1)) Marion? Lehrer [nv] blickt Richtung [10] .. 1617 Lehrer [nv] Marion Marion [v] A über zwei im Quadrat. Marion [nv] nimmt Arm runter <?page no="117"?> 117 Marion schließt aus der Lehrerreaktion auf Sabines Äußerung (12), dass die Antwort von Sabine die Lehrererwartungen nicht zu erfüllen vermochte. Marion ist überzeugt, der in der Lehreraufforderung gestellten Erwartung gerecht werden zu können. Deshalb meldet sie sich bereits während des Lehrer-turns (13) und erhält vom Lehrer den turn zugeteilt, ohne dass er eine Frage gestellt hat (14). Im folgenden Transkript kommt es wegen einer falschen Schülerantwort zu nonverbalen Bitten um die turn-Übernahme: Transkription 23: SW-059 18: 33: 17-18: 49: 25 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-K.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Wie heisst das Resultat der Aufgabe ohne dass ich jetzt noch [2] .. 2 3 Lehrer [i] ! / Lehrer [v] alle einzeln ausrechne? ((1)) ((2)) Monika? Monika [v] Zweiundfünfzig Monika [nv] (streckt auf) (nimmt Arm runter) Albert [nv] streckt auf nimmt Arm runter [3] .. 4 5 Lehrer [v] ((1)) ((2)) Hab ich jetzt etwas anderes Monika [v] Komma fünf. Albert [nv] streckt auf Sm [i] (überrascht) Sm [v] Was? [4] .. 6 7 Lehrer [v] ausgerechnet, Albert. Albert [v] Sechsundfünfzig Komma fünf. Albert [nv] nimmt Arm runter <?page no="118"?> 118 Auf die ungerichtete turn-Aufforderung (0/ 1) erhält Monika nach ihrer nonverbalen turn-Bewerbung den turn (2). Nach ihrer offensichtlich falschen Antwort bittet Albert ohne erneute Lehreraufforderung wieder um den turn (5), erhält ihn und beantwortet die Lehrerfrage (0/ 1) korrekt (6/ 7). Auch im nächsten Beispiel findet eine Selbstwahl einer Schülerin statt. Sie möchte den turn übernehmen, da die vorherige Sprecherin bei der Beantwortung der Lehrerfrage offensichtlich nicht weiterkommt: Transkription 24: SW-011 02: 37: 05-03: 11: 23 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 Cony [i] < (unsicher) Cony [v] Ää und dann habe ich aso das Dreieck DAE ausgerechnet ((3)) [2] .. Cony [v] aso ((1)) die Fläche ((1)) und dann das Viereck DEC und dann [3] 1 2 3 Cony [i] - (verlegenes Lachen) (unsicher) Cony [v] (...) ja ich has (...) Ja Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] Bist du überzeugt, dass du es so gemacht hast? [4] 4 5 6 7 8 Lehrer [v] Babs hat es anders gemacht. Babs [i] ! / \ Babs [v] Sii ich weiss wie. Aso ich hab Babs [nv] streckt auf nimmt Arm runter Anja [nv] streckt auf nimmt Arm runter [5] .. Babs [i] < > Babs [v] zuerst die Fläche vom größeren Dreieck ausgerechnet, dann <?page no="119"?> 119 [6] .. Babs [v] die vom Quadrat und dann hab ich diese Fläche von [7] .. Babs [v] vierhundertachtzig subtrahiert und dann hab ich die Flä/ [8] .. Babs [v] Fläche des Kleinen ausgerechnet. Cony erklärt ihr Vorgehen beim Lösen einer Aufgabe. Sie ist sich aber unsicher (3). Offenbar weiß ihre Mitschülerin Babs den richtigen Lösungsweg. Sie macht - ohne den Lehrer oder die Mitschülerin beim Sprechen zu unterbrechen - verbal (4/ 5) und nonverbal durch Aufzeigen (4/ 5/ 6) deutlich, dass sie den turn übernehmen möchte, wartet also für ihre Selbstwahl einen TRP ab. Auch Anja bewirbt sich ohne Lehreraufforderung nonverbal um den turn (5/ 6). Der Lehrer legitimiert nachträglich die Selbstwahl von Babs (6/ 7), indem er ihr den turn offiziell zuteilt. Damit bekommt Babs Gelegenheit, auf der offiziellen Hauptkommunikationsebene ihre Lösung zu präsentieren. Ein Schüler kann den turn durch Selbstwahl auch erwerben, um eine vorangegangene Schüleräußerung zu kommentieren: Transkription 25: SW-011 12: 25: 22-12: 43: 28 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 Anja [v] H über ((1)) ää H über B ist gleich A über C. Lehrer [v] ((7)) Lehrer [nv] geht zur Wandtafel schreibt erster Teil [2] .. 2 Anja [v] A über Lehrer [nv] an Wandtafel, dreht sich dann mit fragender Mimik zu Anja Babs [v] A über <?page no="120"?> 120 [3] .. 3 4 Anja [i] (lachend) Anja [v] C Es staad da aber. Anja [nv] weist mit Lineal auf ihr Blatt Lehrer [i] ! \ (lachend, verneinend) Lehrer [v] Pf ö ö Lehrer [nv] schaut an Wandtafel, schüttelt Kopf geht vors Pult von Anja Babs [v] C [4] 5 6 7 8 Anja [i] (lacht) Anja [nv] Lehrer [i] (lacht) + ! ! Lehrer [v] Hi. Aa A. Ja jetzt hab ich's. Hab Lehrer [nv] geht zurück zur Wandtafel Sm [i] (abschätzig) Sm [v] He du luegsch falsch. [5] .. Lehrer [i] ! Lehrer [v] wieder H verstanden. Lehrer [nv] Der Schüler initiiert einen Sprecherwechsel durch Selbstwahl, indem er ohne turn-Bewerbung die Äußerung von Anja, die er als falsch erachtet, abschätzig kommentiert (6), wofür er eine übergangsrelevante Stelle (TRP) benutzt. Schüler können auch durch Unterbrechung eines Mitschülers die Sprecherrolle übernehmen, indem sie einen turn bereits dann starten, wenn die vorausgehende Äußerung noch nicht beendet worden ist. Als formale Mittel der Unterbrechung dienen die Erhöhung des Sprechtempos die Erhöhung der Lautstärke der Vollzug eines Einleitungssignals oder der Vollzug einer (verbalen oder nonverbalen) Aufforderung um Zuweisung der Sprecherrolle simultan zu einer Mitschüleräußerung. <?page no="121"?> 121 Wie der Lehrer, vollziehen auch die Schüler den Sprecherwechsel nach Selbstwahl zu ganz bestimmten Zwecken: Transkription 26: SW-011 04: 03: 25-04: 20: 27 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 1 2 Lehrer [i] + / ! \ Lehrer [v] Simone Was meint er mit Durchschnitt? ((3)) Lehrer [nv] schreibt auf Wandtafel dreht sich um, geht in Richtung Simone Simone [nv] lehnt [2] .. 3 4 Lehrer [v] ((1)) Versteht Lehrer [nv] geht auf Simon zu, blickt in Simone [nv] sich zurück, zuckt mit den Schultern, schüttelt den Kopf Babs [nv] streckt auf [3] .. 5 6 Lehrer [i] / ! Lehrer [v] sie nicht. ((1)) Lehrer [nv] Richtung Simon bleibt vor Simon stehen, blickt ihn an geht zurück Simon [i] (zögernd) < > Simon [v] ((1)) Ja ja A und B plus DC geteilt durch [4] .. 7 8 9 Lehrer [nv] zur Wandtafel schreibt auf Wandtafel Babs [i] / \ Babs [v] AB weisch ja nöd. Simon [i] < > Simon [v] zwei. Ja ich has ja Cony [i] - ! Cony [v] Ja aber AB isch ja gää. <?page no="122"?> 122 [5] .. Lehrer [nv] Simon [i] ! Simon [v] au nöd so usgrächned. Nach einer korrekten Antwort von Simon richtet der Lehrer eine gerichtete Aufforderung an Simone (1/ 2), die den turn jedoch nicht übernimmt (3/ 4). Nach einer kleinen Unsicherheit von Simon, ob der Blickkontakt des Lehrers als turn-Zuweisung zu interpretieren sei, übernimmt er zögernd den turn (4/ 5). Daraufhin übernehmen Cony und Babs nacheinander mittels Selbstwahl den turn und korrigieren die Äußerung von Simon, da sie damit nicht einverstanden sind. Simon nimmt den turn auch mittels Selbstwahl wieder an sich und rechtfertigt seine vorherige Äußerung. Eine weitere Funktion der Selbstwahl eines Schülers ist die Hilfeleistung. Durch ihre Selbstwahl können Schüler einem Mitschüler helfen, der Erwartung einer Lehreraufforderung zu entsprechen: Transkription 27: SW-011 13: 50: 01-13: 56: 00 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 2 Sm [i] (zögernd) < > Sm [v] Ää Hypo/ ((1)) ää die beiden Kathetenabschnitte. ((1)) Sascha [nv] streckt auf nimmt [2] 3 4 5 6 Sm [i] + ! (lachend) ! Sm [v] Nein. ((1)) Hypotenusen abschnitte Sascha [v] Hypotenuuse Sascha [nv] Arm runter SS [i] korrigierend, belehrend, lachend SS [v] Hypotenusen Babs [v] Hypotenusen <?page no="123"?> 123 In diesem Ausschnitt korrigieren gleich mehrere Schülerinnen und Schüler durch Selbstwahl die Antwort des vorangehenden Schülers und helfen ihm damit gleichzeitig, die korrekte sprachliche Bezeichnung zu finden (2-5). Im nächsten Beispiel ergreifen ein Schüler und eine Schülerin den turn mittels Selbstwahl, da eine Lehreraussage korrigiert werden muss: Transkription 28: SW-074 05: 18: 18-05: 59: 29 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-K.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] < ! > Lehrer [v] Ää ((1)) im Buch Seite zweihundertfünf ((2)) die letzten Lehrer [nv] blättert in seinen Unterlagen SS [nv] Schüler nehmen [2] .. 2 Lehrer [i] < Lehrer [v] Konstruktionsaufgaben da zum Trapez und zu den Rauten. Lehrer [nv] nimmt Ordner aus Tasche, sucht SS [nv] Hausaufgaben zur Hand [3] 3 4 Lehrer [i] > ! < Lehrer [v] ((13)) Bis und mit Nummer siebenundneunzig. ((1)) Noch Lehrer [nv] Folie, legt diese auf SS [nv] [4] .. 5 Lehrer [i] > Lehrer [v] einmal die Lösungen von siebenundneunzig AB. ((2)) Lehrer [nv] SS [nv] allgemeine <?page no="124"?> 124 [5] .. 6 7 8 9 10 Lehrer [i] / Lehrer [v] ((1)) Ja Lehrer [nv] sucht in seinen SS [nv] Unruhe Sm [i] / \ / Sm [v] Das hämmer gar nid gmacht. Sf [i] / - Sf [v] Sii? Das [6] .. 11 Lehrer [i] < ! Lehrer [v] Ä von sechsundneunzig mein ich. Lehrer [nv] Unterlagen nach einer anderen Folie, legt diese auf Sf [i] / \ Sf [v] hämmer nonig gmacht. [7] .. Lehrer [i] / Lehrer [v] Von der Raute und vom Parallelogramm ((1)) wollt ich Lehrer [nv] [8] .. Lehrer [i] Lehrer [v] nehmen. Lehrer [nv] Ohne den Lehrer zu unterbrechen, weist ein Schüler verbal auf die unkorrekte Angabe der Aufgabennummer hin (6). Der Lehrer ignoriert diese Schüleräußerung. Es ist zu vermuten, dass er wegen der allgemeinen Unruhe die Schüleräußerung nicht gehört hat. Erst nachdem eine Schülerin ihn mit Sii? anspricht (8) und damit verbal um den turn bittet, erteilt der Lehrer ihr offiziell den turn (9). Sie weist ihn darauf hin, dass diese Aufgaben noch nicht gelöst worden sind (10) und der Lehrer korrigiert seine Aussage (11). Die Schüler brauchen hier wegen ihrer <?page no="125"?> 125 Selbstwahl keine Disziplinierung zu fürchten, da die korrekte Angabe der Seitenzahlen und Aufgabennummern für den Fortgang der Unterrichtsstunde unabdingbar sind. Wenn Schüler durch Selbstwahl den Lehrer unterbrechen, dient dies ganz bestimmten Zwecken. So kann es zum Beispiel die Wiederaufnahme des eigenen turns bedeuten. Der Lehrer hat in diesem Fall den turn wegen einer unpräzisen oder unkorrekten Antwort des Schülers wieder an sich genommen (und ev. bereits einem anderen Schüler zugewiesen). Der vorherige Sprecher vermag genau zu diesem Zeitpunkt die in der Lehreraufforderung thematisierte Erwartung zu erfüllen und möchte sich aus diesem Grund wieder in den Unterrichtsdiskurs einbringen: Transkription 29: SW-018 09: 37: 25-09: 42: 23 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-K.mpg [1] 0 1 2 Lehrer [i] < > ! - Lehrer [v] Also das ist das gelbe R (ja) plus Lehrer [nv] schreibt auf Wandtafel wendet sich Sabine zu lacht Sabine [i] - ! Sabine [v] plus ((1)) die [2] .. 3 Lehrer [i] \ ! Lehrer [v] Ja jetzt eben was ist diese andere Seite? ((3)) Lehrer [nv] Sabine [i] ! Sabine [v] andere Seite [3] 4 5 Lehrer [i] \ \ ! Lehrer [v] Ulf hat es gesa/ Ja gut eine Höhe, aber Ulf hat es gesagt, Sabine [i] + ! Sabine [v] Ah, die Höhe. <?page no="126"?> 126 [4] .. 6 Lehrer [i] / Lehrer [v] welches Art Dreieck es ist? Marion [nv] streckt auf Sabine unterbricht den Lehrer (4). Der Lehrer legitimiert hier die Selbstwahl von Sabine, indem er ihre Antwort in seinem turn wieder aufnimmt (5). Anschließend wiederholt er den letzten Teil seiner Äußerung und beendet seinen turn als ungerichtete Aufforderung, wie es zu Beginn seines turns vorgesehen war. Transkription 12 zeigt, dass der Lehrer Schüleräußerungen nach einer Selbstwahl ohne turn-Bewerbung nicht immer legitimiert. Der Lehrer diszipliniert die unprogrammierte Selbstwahl von Simon, da er zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme des turns von Simon den turn bereits Simone zugeteilt hat. Die Selbstwahl von Schülern kann auch der Rechtfertigung einer als Vorwurf an sie empfundenen Äußerung von Seiten des Lehrers dienen: Transkription 30: SW-018 05: 39: 12-05: 42: 18 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 2 Lehrer [i] / \ - / \ (lachend) ! / Lehrer [v] Jawoll jetzt ääm Moment m ää Felix chasch au öppe ruäig Felix [i] + Felix [v] Ja ich bi am Felix [nv] beugt sich suchend zur Schultasche runter setzt sich richtig ans Pult [2] .. Lehrer [i] / Lehrer [v] sii? Felix [i] (rechtfertigend) Felix [v] Uspacke <?page no="127"?> 127 Felix unterbricht die Disziplinierung des Lehrers durch Selbstwahl (2), wobei die enge Verknüpfung von Vorwurf/ Disziplinierung und Rechtfertigung offenbar wird (siehe Kap. 6.1). Schüler sind zur Selbstwahl mit Unterbrechung des Lehrers nur dann berechtigt, wenn es sich bei ihrer Äußerung um Fragen der unmittelbaren Verständnissicherung handelt (vgl. Transkription 15). Die Analyse dieser Unterrichtsbeispiele macht deutlich, dass Schüler auf der Gymnasialstufe den Sprecherwechsel an einem TRP oder durch Unterbrechung durchführen, um Mitschülern Hilfeleistung zu bieten, Äußerungen von Mitschülern oder vom Lehrer zu präzisieren, kommentieren oder korrigieren, um einen turn wieder aufzunehmen, sich gegen einen Vorwurf zu rechtfertigen oder um Fragen der Verständnissicherung zu klären. Diese Untersuchungsergebnisse zu den Sprecherwechseln nach Selbstwahl der Schüler unterscheiden sich von den Ergebnissen von Pfaff (1983), der bei der Untersuchung des Zwecks der Selbstwahl von Schülern des 3. Schuljahres zum Schluss kommt, dass es sich bei der Selbstwahl der Schüler „primär um ein ‚starting first’, nicht aber um ein Mittel der Mitsteuerung des Unterrichtsdialogs handelt“ (Pfaff 1983: 93). Die Selbstwahl dient Schülern als Mittel, sich ohne turn-Bewerbung in den Unterrichtsdiskurs einzubringen. Der Lehrer ist allerdings nicht verpflichtet, auf Beiträge einer Selbstwahl einzugehen. Der Lehrer kann die Selbstwahl des Schülers akzeptieren, nachträglich legitimieren, ignorieren oder disziplinieren. <?page no="128"?> 128 Übersicht 6: Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Schülers Selbstwahl des Schülers mit turn-Bewerbung ohne turn- Bewerbung an TRP nonverbal Verbal und nonverbal verbal durch Unterbrechung turn- Zuweisung L turn- Übernahme S verbal und nonverbal verbal an TRP durch Unterbrechung Legitimation L Disziplinierung L Disziplinierung L <?page no="129"?> 129 5.3.3. Regeln für die turn-Organisation im Unterricht Aufgrund der in den Kapiteln 5.3.1 und 5.3.2 untersuchten Sprecherwechsel wird das folgende System der turn-Organisation im schulischen Unterricht mit einer lehrerzentrierten kommunikativen Ordnung vorgeschlagen: Der Sprecherwechsel im Unterricht erfolgt nach Aufforderung oder nach Selbstwahl. Der Sprecherwechsel nach Aufforderung kann Lehrer- Schüler-initiiert, Lehrer-initiiert oder Schüler-initiiert sein. Der Sprecherwechsel nach Selbstwahl erfolgt nach Selbstwahl des Lehrers oder des Schülers. 1) Beim Lehrer-Schüler-initiierten Sprecherwechsel richtet der Lehrer eine ungerichtete turn-Aufforderung an die ganze Klasse. a) Wenn sich ein oder mehrere (potentiell aber auch alle) Schüler verbal und/ oder nonverbal um den turn (programmierte Selbstwahl) bewirbt/ bewerben, wählt der Lehrer einen der turn-Bewerber aus und weist ihm den turn verbal und/ oder nonverbal zu. 77 Der so ausgewählte Schüler hat das Recht und die Pflicht, den turn zu übernehmen. b) Wenn sich kein Schüler um den turn bewirbt, bleibt der turn beim Lehrer. Der Lehrer kann nun den turn behalten, eine gerichtete turn-Aufforderung (Lehrer-initiierte Aufforderung) an die Schüler richten oder nach einer Präzisierung der Lehreraufforderung eine gerichtete oder ungerichtete turn-Aufforderung vornehmen. c) Es ist auch möglich, dass ein oder mehrere Schüler den turn ohne vorherige turn-Bewerbung übernimmt/ übernehmen. Dies stellt einen Verstoß gegen das Lehrer-Schüler-initiierte Verfahren der turn-Zuteilung dar und kann diszipliniert werden. 78 77 Nach einer ungerichteten Lehreraufforderung mit turn-Bewerbung(en) wählt der Lehrer üblicherweise einen turn-Bewerber als nächsten Sprecher aus. Ein Abweichen von diesem Usus - d.h. die turn-Zuweisung an einen Schüler, der sich nicht um den turn beworben hat - ist meist didaktisch begründet (Aktivierung, Disziplinierung). 78 Wenn durch eine Lehreraufforderung Rätsel gestellt werden, brauchen die Schüler mit turn-Übernahme ohne turn-Bewerbung keine Disziplinierung zu fürchten. <?page no="130"?> 130 2) Beim Lehrer-initiierten Sprecherwechsel richtet der Lehrer eine gerichtete turn-Aufforderung an einen bestimmten Schüler, um die Verteilung der turns an die Schüler, die Aufmerksamkeit der Schüler oder den Kommunikationsfluss zu garantieren und zu kontrollieren. a) Der ausgewählte Schüler hat die Pflicht, den turn zu übernehmen. b) Wenn der ausgewählte Schüler den turn implizit oder explizit zurückweist, bleibt der turn beim Lehrer, respektive geht der turn an den Lehrer zurück. 79 3) Beim Schüler-initiierten Sprecherwechsel werden in Sequenzen der Verständnissicherung der Lehrer oder einer der Mitschüler zur Übernahme der Sprecherrolle aufgefordert. a) Ist die schüler-initiierte Aufforderung an den Lehrer gerichtet, muss der Lehrer den turn übernehmen. b) Ist die schüler-initiierte Aufforderung an einen Schüler gerichtet, kann der angesprochene Schüler oder ein Mitschüler den turn übernehmen. c) Ist die schüler-initiierte Aufforderung an einen Schüler gerichtet, aber keiner der Schüler übernimmt den turn, ist der Lehrer zur turn-Übernahme verpflichtet. 4) Der Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers erfolgt an einer übergangsrelevanten Stelle (TRP) oder durch Unterbrechung. Obwohl der Lehrer über die Rederechtserteilung und die Kontrolle über den Verlauf des Kommunikationsprozesses im Unterricht verfügt, muss seine Selbstwahl didaktisch motiviert sein. 5) Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Schülers kommen immer dann zustande, wenn der turn-Bewerbung oder der turn-Übernahme eines Schülers keine Lehreraufforderung vorangegangen ist (unprogrammierte Selbstwahl). 79 (Wiederholte) turn-Zurückweisungen legen das Nicht-Wissen des Schülers offen oder können als Autoritätsangriff interpretiert werden. <?page no="131"?> 131 a) Wenn Selbstwahl des Schülers mit nonverbaler und/ oder verbaler turn-Bewerbung an einer übergangsrelevanten Stelle oder durch Unterbrechung erfolgt, erhält der Schüler den turn vom Lehrer zugewiesen und übernimmt ihn. b) Wenn die Selbstwahl des Schülers ohne turn-Bewerbung verbal an einer übergangsrelevanten Stelle oder durch Unterbrechung erfolgt, kann diese Art der Selbstwahl vom Lehrer legitimiert oder diszipliniert werden. Dieses Modell ist zugleich differenziert und überschaubar und stellt eine Weiterentwicklung der bisherigen Modelle von McHoul (1978), Mazeland (1983) und Redder (1984) dar. Folgende Aspekte wurden bei den bisherigen Untersuchungen nicht berücksichtigt: - McHoul (1978) geht lediglich detailliert auf die Lehrer-initiierte turn- Aufforderung ein, und berücksichtigt die ungerichtete turn-Aufforderung mit programmierter Selbstwahl, die Schüler-initiierte turn- Aufforderung und den Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Schülers nicht. - Mazeland (1983) erwähnt als wichtigste Techniken der turn-Zuteilung durch den Lehrer die Anrede eines einzelnen Schülers (oder funktional äquivalente Zeichen) sowie die Ermöglichung von programmierter Selbstwahl für die Schüler. Andere Formen der Selbstwahl bestehen für die Schüler über das Verfahren der nonverbalen turn-Bewerbung und unter bestimmten unterrichtlichen Bedingungen (z.B. bei Sequenzen, die die Verständnissicherung betreffen). Selbstwahl beim Lehrer ist hingegen fast immer und unabhängig von potentiellen Wechselstellen möglich. Unberücksichtigt bleibt bei Mazeland die Möglichkeit einer impliziten oder expliziten turn-Zurückweisung durch den Schüler nach einer gerichteten turn-Aufforderung des Lehrers. - Redder (1984) berücksichtigt in ihrem Modell nicht, dass bei gerichteten turn-Aufforderungen die Schüler die turn-Übernahme zurückweisen können oder dass bei ungerichteten turn-Aufforderungen die turn-Bewerbungen ausbleiben können. Unberücksichtigt bleibt auch der Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Schülers und des Lehrers. <?page no="132"?> 132 Zudem wurden alle bisherigen Modelle folgenden Punkten nicht gerecht: - Nach einer Lehrer-Schüler-initiierten turn-Aufforderung ohne turn- Bewerbung bleibt der turn beim Lehrer. Er kann nun den turn behalten, eine gerichtete turn-Aufforderung an einen bestimmten Schüler richten oder seine Ausführungen (z.B. Frage) präzisieren und danach eine gerichtete oder ungerichtete turn-Aufforderung an die Schüler richten. - Sowohl turn-Bewerbungen, turn-Zurückweisungen als auch die turn- Zuweisung können nonverbal, verbal oder kombiniert (d.h. nonverbal und verbal) erfolgen. - Lehrer-initiierte turn-Aufforderungen können spezifischen Zwecken dienen, insbesondere der Aktivierung, der Disziplinierung und der Kommunikationssicherung. - Eine Lehrer-initiierte turn-Aufforderung kann implizit oder explizit (z.B. durch Schweigen) zurückgewiesen werden. In diesem Fall bleibt der turn beim Lehrer, respektive geht der turn an den Lehrer zurück. - Schüler-initiierte turn-Aufforderungen können an den Lehrer oder an einen Mitschüler gerichtet werden. Wenn nach einer Schüler-initiierten turn-Aufforderung an einen Mitschüler keine turn-Übernahme zustande kommt, ist der Lehrer institutionell zur turn-Übernahme verpflichtet. - Die Selbstwahl der Schüler mit turn-Bewerbung kann verbal oder nonverbal an einer übergangsrelevanten Stelle oder durch Unterbrechung erfolgen. Die Selbstwahl der Schüler ohne turn-Bewerbung erfolgt verbal an einer übergangsrelevanten Stelle oder durch Unterbrechung, wobei diese Art der Selbstwahl vom Lehrer legitimiert oder diszipliniert werden kann - je nachdem, ob sie der Verständnissicherung dient oder nicht. Das oben vorgestellte Modell für die turn-Organisation im Unterricht mit einer lehrerzentrierten kommunikativen Ordnung wird nachfolgend in zwei Übersichten (Sprecherwechsel nach Aufforderung und Sprecherwechsel nach Selbstwahl) schematisch zusammengefasst. <?page no="133"?> 133 5.3.4. Übersicht über das Modell für die turn-Organisation Übersicht 7: Modell für die turn-Organisation mit Sprecherwechsel nach Aufforderung Sprecherwechsel nach Aufforderung Lehrer-initiiert Lehrer-Schüler-initiiert Schüler-initiiert turn- Verweigerung S turn- Übernahme S turn geht zurück an L turn-Übernahme S/ SS turn-Bewerbung S/ SS (programmierte Selbstwahl) keine turn- Bewerbung turn-Aufforderung L gerichtet turn-Aufforderung L ungerichtet turn-Aufforderung S an MS an L turn geht zurück an L turn-Übernahme L keine turn- Übernahme AS oder MS turn-Übernahme AS und/ oder MS turn-Zuweisung L turn- Aufforderung gerichtet L behält turn Präzisierung turn-Übernahme L turn-Übernahme S turn- Aufforderung L gerichtet turn- Aufforderung L ungerichtet <?page no="134"?> 134 Übersicht 8: Modell für die turn-Organisation mit Sprecherwechsel nach Selbstwahl Sprecherwechsel nach Selbstwahl Selbstwahl des Lehrers Selbstwahl des Schülers an TRP durch Unterbrechung mit turn- Bewerbung Verbal (und nonverbal) verbal (und nonverbal) ohne turn- Bewerbung durch Unterbrechung an TRP durch Unterbrechung an TRP turn-Zuweisung L turn-Übernahme S Disziplinierung L Legitimation L Disziplinierung L <?page no="135"?> 135 6. GESPRÄCHSSEQUENZEN Im vorherigen Kapitel standen die Gesprächsschritte (turns) und die Sprecherwechsel (turn-taking) im Zentrum. Dieses Kapitel widmet sich der Verknüpfung der einzelnen Gesprächsschritte zu einer Gesprächssequenz. Dabei wird zuerst auf die ‚adjacency pairs’ eingegangen (Kap. 6.1), bevor die Gesprächssequenzen im lehrerzentrierten Unterrichtsdiskurs beschrieben werden (Kap. 6.2) und dargestellt wird, wie die Institution Schule die Gesprächssequenzen im Unterricht beeinflusst (Kap. 6.3) Da das Konzept der Gesprächssequenz in gesprächsanalytischen Ansätzen in sehr unterschiedlicher Begrifflichkeit verwendet wird, ist eine Begriffsklärung notwendig. 80 Von ‚Gesprächssequenzen’ wird v.a. in deutschsprachigen integrativen Ansätzen wie etwa Henne/ Rehbock (1995: 24) oder Brinker/ Sager (2001: 74) gesprochen. In sprechakttheoretisch orientierten Arbeiten trifft man auf den Begriff der ‚Sprechaktsequenz’. Das integrative Genfer Modell der Gesprächsanalyse spricht vom ‚Austausch’ (‚échange’) als grundlegender dialogischer Einheit. Den Terminus ‚Austausch’ oder ‚Gesprächsaustausch’ (‚exchange’ bzw. ‚speech exchange’) verwenden auch alle Autoren, deren theoretischer Standort mit Hallidays Sprachtheorie in Zusammenhang gebracht werden kann (Sinclair/ Coulthard 1975). Konversationsanalytisch orientierte Forscher hingegen sprechen generell von ‚Sequenzen’ oder ‚Handlungssequenzen’, die dann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten differenziert werden können. In der funktionalen Pragmatik (Ehlich/ Rehbein 1986: 141ff.) stellen Sequenzen Realisierungen von sprachlichen Handlungsmustern dar. 6.1. Adjacency pairs Der Begriff der Gesprächssequenz bezieht sich weder auf die grammatische noch auf die thematische turn-Verknüpfung. Er ist vielmehr ausschließlich kommunikativ-funktional definiert. Gesprächsschritte haben Handlungscharakter und eine Folge von mindestens zwei Gesprächsschritten konstituiert einen spezifischen Handlungszusammenhang. Für Sinclair/ Coulthard (1977) ist die Basiseinheit der Interaktion nicht die einzelne Äußerung (turn), sondern die Äußerungsfolge, die zumindest aus zwei Schritten verschiedener Sprecher besteht: 80 Zur Begriffsklärung von ‚Gesprächssequenz’ siehe auch Gruber (2001: 1226f.). <?page no="136"?> 136 Jede [Äußerungsfolge, A.S.] beginnt mit einem Eröffnungsschritt, der prospektiv ist und durch Fragen, Befehle oder das Geben von Information nach einer Antwort, Reaktion oder Bestätigung seitens des nächsten Sprechers verlangt. Der zweite beantwortende Schritt ist retrospektiv und erfüllt die Erwartungen oder Anforderungen des ersten (Sinclair/ Coulthard 1977: 27). In der amerikanischen Gesprächsforschung hat man unter dem Begriff ‚Gesprächssequenz’ diejenigen Gesprächsschritte mehrerer Gesprächspartner zu funktionellen Einheiten zusammengefasst, für welche die Eigenschaft der ‚conditional relevance’ (bedingte Erwartbarkeit) gelten soll: By conditional relevance of one item on another we mean: given the first, the second is expectable; upon its occurrence it can be seen to be a second item to the first; upon its non-occurrence it can be seen to be officially absent - all this provided by the occurrence of the first item (Schegloff 1968: 1085). 81 Die Realisierung eines bestimmten Handlungstyps (z.B. Gruß) zieht aufgrund von Konventionen die Äußerung eines anderen Handlungstyps (Folge-Handlung) nach sich (z.B. Gegengruß). Solche nach dem Prinzip der konditionalen Relevanz verbundenen zweigliedrigen Sequenzen, mit denen ein Sprecherwechsel verbunden ist, werden ‚adjacency pairs’ (Paarsequenzen, Nachbarschaftspaare) genannt, d.h. Paare unmittelbar aufeinander folgender, sich kommunikativ-funktional bedingender Schritte wie Gruß-Gegengruß, Frage-Antwort, Vorwurf-Rechtfertigung usw. Bei diesen Paaren wird der zwingende Zusammenhang von respondierenden mit initiierenden Akten besonders deutlich. Es handelt sich um zweigliedrige Sequenzen, die jeweils nur aus einem initiierenden und einem respondierenden (reaktiven) Gesprächsschritt bestehen. 82 Ein Gesprächspartner, der auf einen initiierenden Beitrag eines Vorredners reagiert, kommt damit der Verpflichtung zur Respondierung nach, was allerdings noch nicht automatisch heisst, dass auch eine inhaltliche Anknüpfung des respondierenden Beitrags an die Initiierung garantiert ist. Ein Sprechhandlungstyp wie z.B. ein Vorwurf oder eine Bitte ist nicht nur durch die kommunikative Absicht des Sprechers, sondern auch durch seine (möglichen) Positionen im Gesprächsverlauf definiert. So sind direktive Sprechhandlungen (Aufforderungen, Bitten, Anweisungen, 81 Dieses Zitat wurde von Henne/ Rehbock (1982: 24) übernommen. 82 Die zu einer Gesprächssequenz gehörenden Gesprächsschritte müssen nicht immer unmittelbar aufeinander folgen. Innerhalb einer Frage-Antwort-Sequenz kann es z.B. zu Zwischenfragen kommen, also eine weitere Sequenz eingefügt werden. Diese Art der Sequenzierung ist theoretisch beliebig erweiterbar, wobei die Beliebigkeit ihre Grenze in der Gedächtniskapazität der Gesprächspartner findet, da nach Beantwortung einer Zwischenfrage die unmittelbar zurückliegende Frage zuerst behandelt werden muss. Ein (konstruiertes) Gespräch mit starker Verschachtelung von Frage- Antwort-Sequenzen findet sich in Brinker/ Sager (2001: 82). <?page no="137"?> 137 Fragen usw.) immer initiativ, sie bestimmen den Handlungscharakter sequenzeröffnender Gesprächsschritte. Entschuldigungen, Rechtfertigungen, Danksagungen usw. sind demgegenüber immer reaktiv, sie dienen dazu, eine Sequenz abzuschließen. An die initiativen Handlungstypen sind bestimmte Reaktionsmöglichkeiten gebunden. Dieses Reaktionspotential legt den Gesprächspartner für seine Aktivitäten jeweils auf bestimmte Handlungsalternativen fest. So kann z.B. einer Vorwurfshandlung in der Regel nur mit den Sprechhandlungstypen ‚Sich-Rechtfertigen’, ‚Sich-Entschuldigen’ oder ‚Bestreiten’ begegnet werden. Ein initiierender Gesprächsschritt erstellt für den Gesprächspartner bestimmte Fortsetzungsmöglichkeiten, wobei z.B. beim Vorwurf mehr Fortsetzungsmöglichkeiten etabliert werden als mit einem Gruß, der regelgerecht nur mit einem Gegengruß beantwortet werden kann. Das Prinzip der bedingten Erwartbarkeit beinhaltet auch, dass Abweichungen vom konventionellen Schema eine besondere Bedeutung erhalten und Sanktionen (etwa eine Beziehungsverschlechterung) nach sich ziehen können. Es gibt demnach eine Reihe von Initiierungs-Respondierungs-Paaren, deren Bezüge stark konventionalisiert sind und die dem angesprochenen Partner nur noch eine eingeschränkte Wahlmöglichkeit bezüglich des respondierenden Aktes lassen. Wenn auf einen initiierenden Akt gar nicht oder mit irgendeiner anderen, unkonventionellen Respondierung reagiert wird, kommt das einer schweren Verletzung der Konversationsmaximen - v.a. der Maxime der Relation - gleich. Wenn der erste Sprecher die Reaktion des zweiten Sprechers mit einer (positiven oder negativen) Honorierung beantwortet, werden zweigliedrige Sequenzen zu dreigliedrigen erweitert. 83 So kann eine Vorwurf-Rechtfertigungs-Sequenz durch eine Rücknahme des Vorwurfs verlängert werden. Der erste Sprecher kann aber auch auf seinem Vorwurf beharren und dadurch eine oder mehrere Wiederholungen der Sequenz herbeiführen. Gesprächssequenzen sind kontextsensitiv, d.h. sie werden von relevanten Faktoren des institutionellen Kontextes, in dem sie auftreten, beeinflusst. Je nach Gesprächstyp und Partnerkonstellation liegt die Verpflichtung oder das Recht, initiierende Gesprächsbeiträge zu liefern, bei einem ganz bestimmten Gesprächspartner, während der oder die anderen zu mehr oder weniger rein responsiven Zügen verpflichtet sind. Dies wird nachfolgend am Beispiel der Institution Schule aufgezeigt, wobei zuerst die im vorliegenden Korpus enthaltenen Gesprächssequenzen beschrieben werden und anschließend auf den Einfluss der Institution Schule auf die Gesprächssequenzen im Unterricht eingegangen wird. 83 Vgl. dazu Kienpointner (1983: 47f.). <?page no="138"?> 138 6.2. Gesprächssequenzen im Unterricht Die Untersuchung der Gesprächssequenzen im lehrerzentrierten Unterricht orientiert sich formal an Kapitel 5.3. Nachdem dort nur die Sprecherwechsel untersucht wurden, werden hier ganze Sequenzen benachbarter Sprechhandlungen beschrieben. Durch die Institution Schule kontextuell modifizierte Gesprächssequenzen können zwei Sequenzaspekte betreffen: Einerseits kann der Kontext die Sequenzstruktur verändern, andererseits kann durch den Kontext die Rederechtsverteilung systematisch verzerrt werden, d.h. die Realisierung bestimmter Sequenzpositionen kann an bestimmte Sprecherrollen gebunden sein. In der Institution Schule sind Lehrer und Schüler quantitativ disproportional vertreten und der Lehrer verfügt über die Verteilung des Rederechts und der Redepflicht: Wenn Kommunikation als das Zusammenwirken von Individuen im Aufbau einer sozialen Interaktion verstanden wird, können normative Strukturen einer Institution, wie z.B. die ‚soziale Differenz’ (Machtgefälle) in der Schule, durch bestimmte (z.B. asymmetrische) Formen dieses Zusammenwirkens dergestellt [sic! ] werden: durch die Ungleichheit der Möglichkeit, sprachlich Handlungsziele zu bestimmen und zu verfolgen; die Reaktion des anderen in der gewünschten Form hervorzurufen; den Interaktionspartner zu wechseln usw. (Flader 1977: 119) Häufig untersucht wurden Modifikationen von Frage-Antwortsequenzen von Lehrer-Schüler Interaktionen im schulischen Kontext. Sinclair/ Coulthards grundlegende Gesprächseinheit des ‚Austauschs’ besteht aus einer modifizierten Frage-Antwortsequenz in der Form Beginn-Antwort- Bewertung (Sinclair/ Coulthard 1977: 50). Dieser Sequenztyp wurde in der Analyse von Lehrer-Schüler-Kommunikation immer wieder gefunden und - in unterschiedlicher Terminologie - beschrieben (vgl. z.B. Ehlich/ Rehbein 1986: 14ff. und Mazeland 1983: 98). Der Unterschied zur Grundform der Frage-Antwortsequenz besteht darin, dass in alltäglichen Gesprächen die Antwort zwar ratifiziert, nicht aber explizit bewertet wird. Wegen der initiierenden, kontrollierenden und evaluierenden Rolle des Lehrers wurden in bisherigen Untersuchungen die zwei adjacency pairs ‚initiation’ (Eröffnung, z.B. Lehrer-Frage) - ‚reply’ (Schüler-Antwort) - ‚evaluation’ (Lehrer-Einschätzung) als typische Äußerungsfolge im Unterricht angegeben; diese beiden nach dem Prinzip der konditionalen Relevanz verbundenen adjacency pairs kommen jedoch nur in Lehrerinitiierten Gesprächssequenzen vor. Eine der Komplexität der Äußerungsfolgen im lehrerzentrierten Unterricht gerecht werdende Untersuchung stellte bis anhin ein Desiderat dar. <?page no="139"?> 139 6.2.1. Gesprächssequenzen nach Aufforderung Nachfolgend stehen die Gesprächssequenzen nach Aufforderung im Zentrum, wobei zwischen Lehrer-Schüler-initiierten Gesprächssequenzen (Kap. 6.2.1.1), Lehrer-initiierten Gesprächssequenzen (Kap. 6.2.1.2) und Schüler-initiierten Gesprächssequenzen (Kap. 6.2.1.3) unterschieden wird. 6.2.1.1. Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen Bei Lehrer-Schüler-initiierten Gesprächssequenzen richtet der Lehrer (L) eine ungerichtete Sprechhandlung an die ganze Klasse. Dieser Lehreraufforderung entsprechen ein oder mehrere Schüler (S/ SS) durch eine Gegenaufforderung um Zuweisung der Sprecherrolle, indem sie sich um den turn „bewerben“ (programmierte Selbstwahl). Den Schülerbitten um Zuweisung der Sprecherrolle entspricht der Lehrer durch Zuweisung des turns an einen Schüler. Der angesprochene Schüler übernimmt daraufhin den turn und versucht, der vom Lehrer in der ungerichteten Aufforderung thematisierten Erwartung zu entsprechen. Der Lehrer schätzt anschließend die Schüleräußerung ein: Transkription 31: SW-059 17: 38: 20-17: 45: 15 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-K.mpg [1] 0 1 2 3 Lehrer [i] / \ ! / Lehrer [v] Was ist das Spezielle an der Aufgabe fünf? ((1)) ((1)) Monika [nv] streckt auf Arno [nv] streckt auf [2] .. 4 5 Lehrer [i] / ! \ / Lehrer [v] Monika? Ein Fünfeck und die Frage ist, ob Monika [i] ! \ Monika [v] Es ist ein Fünfeck. Monika [nv] nimmt Arm runter Arno [nv] nimmt Arm runter <?page no="140"?> 140 [3] .. Lehrer [i] < > \ Lehrer [v] wir beim Fünfeck auch ((1)) zum Ziel kommen. Monika und Arno entsprechen der ungerichteten Lehreraufforderung (0) durch nonverbale turn-Bewerbung (1/ 2). Der Lehrer weist Monika den turn verbal zu (3) und sie übernimmt den turn (4). Der Lehrer schätzt den turn von Monika ein und führt den Unterrichtsdiskurs weiter (5). Diese Gesprächssequenz entspricht Bellacks ‚Spielzügen’: Auffordern, Reagieren, Fortführen (vgl. Bellack 1974). Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen bestehen demnach aus vier adjacency pairs, die durch das Prinzip der konditionalen Relevanz miteinander verbunden sind: Übersicht 9: Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen mit turn-Bewerbung Aufforderung L (ungerichtet) turn-Bewerbung S/ SS (programmierte Selbstwahl) turn-Zuweisung L turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen bestehen jedoch nicht in jedem Fall aus vier adjacency pairs. Im folgenden Unterrichtsausschnitt erfolgt auf die Lehreraufforderung hin keine turn-Bewerbung: Transkription 32: SW-018 14: 27: 14-15: 42: 00 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] < > Lehrer [v] Ja jetzt vielleicht doch noch die Frage, obwohl es nicht direkt [2] .. 1 Lehrer [i] \ / Lehrer [v] Mathematik ist, warum spüren wir davon nichts? ((1)) Norbert [nv] <?page no="141"?> 141 [3] 2 3 4 Lehrer [v] ((1)) Lehrer [nv] weist mit Buch zu Norbert Felix [v] Anziehungskraft Norbert [v] D Norbert [nv] streckt auf [4] .. 5 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Ja nicht nur. Wenn du Zug fährst, dann spürst Norbert [v] Aazieigschraft [5] .. Lehrer [i] < > Lehrer [v] du auch etwas wenn weil es ja zum Teil rasant vorwärts geht. [6] .. Lehrer [i] ! / Lehrer [v] Noch ein anderer Grund. Die Erdanziehungskraft, das ist [7] .. Lehrer [i] \ ! Lehrer [v] schon richtig, die verhindert, dass wir davonfliegen. Sonst [8] .. Lehrer [i] < Lehrer [v] würden wir dann schon lange im Weltraum draußen [9] .. Lehrer [i] > < ! Lehrer [v] irgendwo herumgeistern. ((1)) Und warum spüren wir nichts <?page no="142"?> 142 [10] .. Lehrer [i] ! / / < > Lehrer [v] auch aus einem anderen Grund. ((1)) Weil? ((7)) Ja weil wegen [11] .. Lehrer [i] ! ! Lehrer [v] der Atmosphäre. Die schützt uns sozusagen vom Fahrtwind, [12] .. Lehrer [v] eben deswegen vorhin da die Bemerkung mit dem Zug. Wenn [13] .. Lehrer [v] man mit dem Zug fährt und den Kopf hinaushält, was man [14] .. 6 7 Lehrer [i] ! / Lehrer [v] zwar nicht allzu weit tun sollte dann spürt man eben auch SS [v] (lachen) [15] .. Lehrer [i] \ ! < > Lehrer [v] etwas eben den Fahrtwind. Also und weil eben die [16] .. Lehrer [i] ! ! \ Lehrer [v] Atmosphäre genauso oder ähnlich mitdreht, spüren wir nicht [17] .. Lehrer [i] / ! Lehrer [v] viel. Und eben, wenn es windet, dann ist die Geschwindigkeit [18] .. Lehrer [v] der Atmosphäre verschieden von diesen tausendeinhundert <?page no="143"?> 143 [19] .. Lehrer [i] Lehrer [v] Stundenkilometern und deswegen spüren wir dann etwas [20] .. Lehrer [i] / < > Lehrer [v] Wind, weil es eben dann nicht mehr die gleiche [21] .. Lehrer [i] / \ < Lehrer [v] Geschwindigkeit ist. Also das noch so etwas eine [22] .. Lehrer [i] > Lehrer [v] Abschweifung eben, was man aus einem Breitenkreis [23] .. Lehrer [i] ! \ Lehrer [v] schlussendlich auch noch schlussfolgern kann. Der ungerichteten Lehreraufforderung (0) folgt Felix durch Selbstwahl ohne turn-Bewerbung als ‚first starter’ (2). Der Lehrer ignoriert diese Äußerung und reagiert auf die nonverbale turn-Bewerbung von Norbert (1), indem er ihm den turn nonverbal zuteilt (3). Seine Antwort ist zwar richtig, vermag aber die Erwartungen des Lehrers nicht ganz zu erfüllen (Ja, nicht nur). Der Lehrer sucht deshalb nach einem weiteren Grund dafür, dass wir nichts von unserer Drehung um die Erdachse spüren. Dieser erneuten ungerichteten Lehreraufforderung folgt aber keine turn-Bewerbung seitens der Schüler mehr. Es findet kein turn-Wechsel statt und der Lehrer muss als Verantwortlicher für den Unterrichtsablauf den turn wieder übernehmen. Er behält in diesem Fall den turn, beantwortet seine Frage selbst und führt die Antwort aus (5). Die Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenz wird damit um die turn-Zuweisung verkürzt. <?page no="144"?> 144 Übersicht 10: Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen ohne turn- Bewerbung Aufforderung L (ungerichtet) keine turn-Bewerbung S/ SS turn-Übernahme L Als weiteres Beispiel einer verkürzten Lehrer-Schüler-initiierten Gesprächssequenz ist das „Rätselraten“ (vgl. Transkription 5) zu nennen. Da die turn-Bewerbungen der Schüler und die turn-Zuweisung des Lehrers wegfallen, verkürzt sich die Gesprächssequenz in diesem Fall auf zwei adjacency pairs: Übersicht 11: Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen mit Rätselraten Aufforderung L (ungerichtet) turn-Übernahme S turn-Einschätzung L 6.2.1.2. Lehrer-initiierte Gesprächssequenzen Bei den Lehrer-initiierten Gesprächssequenzen erfolgt der Sprecherwechsel nach einer gerichteten Lehreraufforderung mit einer Zuweisungshandlung, ohne dass der ausgewählte Schüler seine Bereitschaft dazu signalisiert hat. Der so ausgewählte Schüler übernimmt dann entweder den aufgedrängten turn und versucht die vom Lehrer erwartete Äußerung zu vollziehen oder er weist die Übernahme der Sprecherrolle zum Vollzug der Lehreraufforderung zurück. Kommt es zu einer Übernahme der Sprecherrolle, geht der turn nach der Schüleräußerung zwecks deren Einschätzung an den Lehrer zurück: Transkription 33: SW-074 07: 22: 11-07: 42: 15 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-K.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] < / \ > / Lehrer [v] Trapez Erika kenn ich im Zirkus oder? Lehrer [nv] blickt Richtung Erika, imitiert Trapezbewegung bewegt sich in Erika [i] / Erika [v] M-h. <?page no="145"?> 145 [2] 2 3 Lehrer [i] ! < > / \ Lehrer [v] Ja du auch. (lacht) Ää wie muss ich ein Trapez zeichnen? Lehrer [nv] Richtung Erika bleibt stehen [3] .. 4 Lehrer [i] / \ - Lehrer [v] Was sind die Eigenschaften? ((1)) Kannst auch im Buch Lehrer [nv] Lea [nv] streckt [4] .. 5 Lehrer [i] < > / Lehrer [v] spionieren, vielleicht siehst du's aufgrund der Skizze. Lehrer [nv] bewegt Erika [i] < Erika [v] Ääm A Lea [nv] auf [5] .. 6 7 Lehrer [i] / Lehrer [v] M-h. Lehrer [nv] sich in Richtung Wandtafel Erika [i] (zögernd) > ! Erika [v] und C sind ää sind parallel zueinander. Lea [nv] nimmt Arm runter Der Lehrer richtet eine Aufforderung an Erika (0/ 3), ohne dass sie ihre Bereitschaft zur turn-Übernahme mit einer turn-Bewerbung signalisiert hat. Wie bei gerichteten Lehreraufforderungen ohne turn-Bewerbung üblich, wird der Name der Schülerin an den Anfang der Aufforderung gestellt. Die angesprochenen Schülerin übernimmt den aufgedrängten turn nur zögernd (5) und vollzieht die erwartete Äußerung (6). Der Lehrer schätzt anschließend ihre Äußerung als korrekt ein (7). <?page no="146"?> 146 Übersicht 12: Lehrer-initiierte Gesprächssequenzen mit turn-Übernahme Aufforderung (gerichtet) mit turn-Zuweisung L turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Beim Lehrer-initiierten Sprecherwechsel kann es im Gegensatz zum Lehrer-Schüler-initiierten Sprecherwechsel zu einer Zurückweisung der aufgedrängten Sprecherrolle kommen. Um dem Lehrer deutlich zu machen, dass seiner Aufforderung nicht nachgekommen werden kann (oder will), muss für die Zurückweisung der Sprecherrolle an den Lehrer der turn vom Schüler dennoch verbal oder nonverbal übernommen werden. So weist in Transkription 26 Simone den turn mittels Zurücklehnen, Schulterzucken und Kopfschütteln deutlich nonverbal an den Lehrer zurück. Wenn in alltäglichen Gesprächen ein erwartbarer Gesprächsschritt als Teil einer Sequenz ausbleibt, liegt eine Regelverletzung vor, die Konsequenzen nach sich zieht (vgl. Kap. 6.1). In der Schule kann demgegenüber eine Lehreraufforderung zurückgewiesen werden, da der Lehrer über die gesuchte Information bereits verfügt (vgl. Transkription 14 und Kap. 6.3). Auch bei einer Zurückweisung der Sprecherrolle an den Lehrer besteht die Lehrer-initiierte Gesprächssequenz aus zwei adjacency pairs: Übersicht 13: Lehrer-initiierte Gesprächssequenzen mit turn-Zurückweisung Aufforderung (gerichtet) mit turn-Zuweisung L turn-Zurückweisung S turn-Übernahme L Im Gegensatz zur Gesprächssequenz bei der ungerichteten Lehreraufforderung weist die Lehrer-initiierte Gesprächssequenz zwei adjacency pairs weniger auf, da es keine turn-Bewerbung(en) und folglich auch keine turn-Zuweisung gibt. Nebst den Zwecken der Aktivierung, Disziplinierung und Kommunikationssicherung wird damit auch der zeitökonomische Aspekt der gerichteten Lehreraufforderung deutlich, da bei der gerichteten Lehreraufforderung immer nur zwei adjacency pairs vorliegen. Im Folgenden wird eine Gesprächssequenz vorgestellt, die gerichtete und ungerichtete Lehreraufforderungen beinhaltet. Die Antworterwartung des Lehrers und das fortgesetzte Ausbleiben der verbalen Erfüllung <?page no="147"?> 147 durch die Schüler führen zu einer raschen Verengung des Handlungsspielraumes für beide Kommunikationspartner: Transkription 34: SW-018 21: 22: 00-22: 28: 20 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] ! ! Lehrer [v] So, und was gilt jetzt für ein Zusammenhang zwischen diesen [2] .. Lehrer [i] Lehrer [v] zwei Umfängen? ((2)) Das ist eben das, was in der [3] .. Lehrer [i] ! / \ ! Lehrer [v] Aufgabenstellung ja formuliert ist. Was gilt jetzt? ((1)) Es gilt, [4] .. Lehrer [i] / \ Lehrer [v] dass der Umfang zwei ((4)) was ist? Der Umfang zwei ist? [5] .. Lehrer [i] Lehrer [v] ((1)) Egal ob man eben jetzt beim Velorad oder bei der Erde [6] .. Lehrer [i] ! \ / Lehrer [v] ((1)) ist? ((7)) Ja ((1)) Cordula, was ist der Umfang zwei? [7] .. Lehrer [i] Lehrer [v] Aufgrund der Aufgabenstellung, bezüglich Umfang eins ist <?page no="148"?> 148 [8] .. 1 Lehrer [v] immer? ((6)) Cordula [nv] schaut zuerst auf ihr Blatt, dann Hilfe suchend zur Felix [nv] (streckt auf) [9] .. 2 3 Lehrer [i] \ > Lehrer [v] Also Felix Lehrer [nv] geht zur Wandtafel Cordula [nv] Banknachbarin Corinne Felix [i] \ Felix [v] Ein Meter mehr vom Felix [nv] (nimmt Arm runter) [10] .. 4 5 Lehrer [i] (bestätigend) ! + Lehrer [v] Ja Nein nicht vom Lehrer [nv] schreibt auf Wandtafel dreht sich um, Felix [i] / \ Felix [v] Mittelpunkt entfernt. [11] .. 6 7 Lehrer [i] / < > (lacht) Lehrer [v] Mittelpunkt entfernt. Ein Meter mehr als Nein Lehrer [nv] blickt in Richtung Felix schüttelt Felix [i] / Felix [v] Als R eins. [12] .. Lehrer [i] ! ! Lehrer [v] nein es geht um den Umfang. Als was? Also ein Meter Lehrer [nv] den Kopf <?page no="149"?> 149 [13] 8 9 10 Lehrer [i] < \ ! \ Lehrer [v] mehr als? Norbert Als der Umfang eins. Lehrer [nv] geht zur Wandtafel Norbert [v] U eins Norbert [nv] reibt sich mit der rechten Hand im Auge Hier findet zunächst eine ungerichtete Lehreraufforderung an alle Schüler statt (So, und was gilt jetzt für ein Zusammenhang zwischen diesen zwei Umfängen? ). Da darauf keine turn-Bewerbungen der Schüler erfolgen, bleibt der turn beim Lehrer. Er präzisiert aus diesem Grund seine Frage und formuliert erneut eine Lehreraufforderung (Das ist eben das, was in der Aufgabenstellung ja formuliert ist. Was gilt jetzt? ). Weil die turn- Bewerbungen immer noch ausbleiben, formuliert der Lehrer nochmals zwei ungerichtete Aufforderungen, wobei er aber bereits einen Lösungsansatz bietet, indem er vorgibt, dass die Schüler bei der Beantwortung seiner Frage vom Umfang zwei ausgehen müssen (Es gilt, dass der Umfang zwei was ist? Der Umfang zwei ist? ). Wegen der immer noch ausbleibenden turn-Bewerbungen präzisiert der Lehrer seine Aufforderung nochmals (Egal ob man eben jetzt beim Velorad oder bei der Erde ist? ), bevor er eine gerichtete Aufforderung an Cordula richtet (Cordula, was ist der Umfang zwei? Aufgrund der Aufgabenstellung, bezüglich Umfang eins, ist immer? ) (0). Cordula weist den turn nonverbal zurück (1) und da sich Felix um den turn bewirbt, weist der Lehrer ihm den turn zu (2). Der Lehrer stuft die Antwort von Felix (3) zuerst als richtig ein (4), bemerkt dann aber, dass nur der erste Teil der Antwort korrekt war und korrigiert seine turn- Einschätzung (5). Er gibt dann in einer gerichteten Aufforderung an Felix gleich an, welcher Teil der Antwort richtig war (Ein Meter mehr als? ). Die erneute Antwort von Felix (6) wird vom Lehrer wieder als falsch beurteilt, wobei er in einer erneuten ungerichteten Aufforderung nochmals einen Lösungsansatz anbietet (7). Der Lehrer interpretiert hierauf Norberts Reiben in den Augen als programmierte Selbstwahl und teilt ihm den turn zu (8). Norbert übernimmt die - aus seiner Sicht - aufgedrängte Sprecherrolle ohne Zögern (9). Durch die Intonation in der Wiederholung der Schülerantwort macht der Lehrer deutlich, dass die Frage korrekt beantwortet worden ist (10). Dieser Unterrichtsausschnitt mit falschen und ausbleibenden Schülerantworten illustriert das von Bauersfeld (1983) beschriebene Trichtermuster. <?page no="150"?> 150 6.2.1.3. Schüler-initiierte Gesprächssequenzen Kommt es im lehrerzentrierten Unterricht infolge einer Schüler-initiierten Aufforderung zu einem Sprecherwechsel, handelt es sich zumeist um eine Gesprächssequenz der Verständnissicherung. Die Aufforderung kann dabei gerichtet (durch Nennung des Namens oder Blickkontakt) oder ungerichtet sein. Ist die Aufforderung an den Lehrer gerichtet, übernimmt dieser den turn wegen der hohen Priorität der Verständnisprozeduren im Unterricht: Transkription 35: SW-011 08: 20: 18-08: 36: 16 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 Lehrer [i] ! / \ Lehrer [v] Hätt ich gern Nummer fünfunddreißig ((3)) A, B und C SS [nv] Klasse nimmt Hausaufgabenbuch hervor, Schüler schreiben [2] 1 2 3 4 Lehrer [i] - / Lehrer [v] (...) morn? Anja [i] < / \ / \ / Anja [v] Uf morn? (...) Anja [nv] > / \ wendet sich fragend an Babs [v] Uf e Samschtig? SS [nv] Hausaufgaben auf, allgemeine Unruhe [3] .. 5 6 Anja [i] + > / \ Anja [v] Sii chönd Sii's nomal säge? Anja [nv] Banknachbarin Nadine Babs [v] / \ Cony [v] Uf morn? SS [nv] <?page no="151"?> 151 [4] 7 Lehrer [i] < ! ! Lehrer [v] Seite einunddreißig Nummer fünfunddreißig die Buchstaben SS [nv] [5] .. Lehrer [i] \ Lehrer [v] A, B und C. SS [nv] Der Lehrer diktiert die Hausaufgaben (0). Mehrere Schüler richten durch ihre Verständnisfragen implizite turn-Aufforderungen an den Lehrer (1/ 2/ 6). Nur Anja initiiert eine gerichtete turn-Aufforderung an den Lehrer (5). Der Lehrer übernimmt den turn, um das Verständnis zu sichern (7). Der Lehrer wiederholt aber nur die Seitenzahl und Aufgabennummer der betreffenden Hausaufgaben und beantwortet die von mehreren Schülern gestellte Frage nach dem Termin nicht. Er trägt damit zumindest bei Anja und Cony nicht zur Klärung ihrer Fragen bei. Folgt eine Schüler-initiierte Gesprächssequenz auf eine akustisch unverständliche Schüler- oder Lehreräußerung, ist die Aufforderung meist ungerichtet, da es für den betreffenden Schüler keine Relevanz hat, ob der Lehrer oder ein Mitschüler seine Verständnisfrage beantwortet. Dadurch können entweder der Lehrer, der angesprochene Schüler (AS) oder einer der Mitschüler (MS) den turn übernehmen. Solche Schüler-initiierte Gesprächssequenzen mit dem Zweck der Verständnissicherung spielen sich häufig parallel zum offiziellen Hauptdiskurs auf der Ebene der Nebenkommunikation ab. Kommen weder der angesprochene Schüler noch die Mitschüler der Schüler-initiierten turn- Aufforderung nach, übernimmt der Lehrer den turn aus institutioneller Verpflichtung. Im Gegensatz zu den Lehrer-initiierten Gesprächssequenzen handelt es sich hier um lediglich ein adjacency pair. Übersicht 14: Schüler-initiierte Gesprächssequenzen Aufforderung S (gerichtet oder ungerichtet) turn-Übernahme AS, MS oder L <?page no="152"?> 152 6.2.2. Gesprächssequenzen nach Selbstwahl Gesprächssequenzen nach Selbstwahl beziehen sich primär auf den Lehrer (Kap. 6.2.2.1). Da die Schüler sich im Unterricht das Rederecht zumeist erwerben müssen, sind Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler viel weniger häufig. Dennoch finden sich in den Unterrichtsdialogen des untersuchten Korpus einige Gesprächssequenzen nach Selbstwahl von Schülern (Kap. 6.2.2.2). 6.2.2.1. Gesprächssequenzen nach Selbstwahl des Lehrers Der Lehrer kann jederzeit und selbstverständlich ohne turn- Bewerbung durch Selbstwahl in das Unterrichtsgeschehen eingreifen, wenn seine Selbstwahl didaktisch begründet ist. Der Sprecherwechsel nach Selbstwahl des Lehrers erfolgt normalerweise am Ende einer Schüleräußerung - um diese einzuschätzen und um den Unterrichtsdialog fortzuführen. Wenn der Lehrer den geplanten Ablauf des Unterrichtsdiskurses durch eine Schüleräußerung gefährdet sieht, kann es allerdings auch zu einer Selbstwahl des Lehrers durch Unterbrechung des Schüler-turns kommen (vgl. Transkription 20). Da der beim Sprechen unterbrochene Schüler daraufhin seinen turn dem Lehrer überlassen muss, handelt es sich bei den Gesprächssequenzen nach Selbstwahl des Lehrers um ein adjacency pair. Übersicht 15: Gesprächssequenzen nach Selbstwahl des Lehrers turn S turn-Übernahme L (mit oder ohne Unterbrechung) 6.2.2.2. Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler unterscheiden sich von den Sequenzen mit Selbstwahl des Lehrers, da Äußerungen des Lehrers von den Schülern üblicherweise nicht bewertet und eingeschätzt werden. Die Selbstwahl der Schüler auf der Gymnasialstufe findet meist mit einer nonverbalen turn-Bewerbung durch Aufzeigen statt. Die Schüler bewerben sich dabei ohne Lehreraufforderung um den turn, wobei der bisherige Sprecher der Lehrer oder ein Mitschüler sein kann: Transkription 36: SW-018 08: 04: 09-09: 16: 14 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG <?page no="153"?> 153 [1] 0 1 2 Sabine [i] ! < > Sabine [v] R ((1)) gleich Wurzel aus ((1)) ääm R hoch zwei Lehrer [i] Lehrer [v] Ja ich möchte Lehrer [nv] geht zu Wandtafel und schreibt darauf [2] 3 4 Sabine [i] < Sabine [v] plus/ Lehrer [i] < + > Lehrer [v] zuerst nein Sabine ich möchte zuerst einmal den Pythagoras Lehrer [nv] wendet sich Klasse zu, blickt Richtung Sabine [3] .. Lehrer [i] ! Lehrer [v] formuliert haben ohne Umformung, damit es für alle auch Lehrer [nv] [4] .. 5 Sabine [i] - Sabine [v] R hoch Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] nachvollziehbar ist. ((1)) Kannst du mir das angeben? Lehrer [nv] [5] .. 6 7 8 9 Sabine [i] < Sabine [v] zwei gleich Lehrer [i] - < > \ Lehrer [v] Ja (besser) Ja ((1)) ja gut also ((1)) kommt Lehrer [nv] geht zur Wandtafel schreibt auf Wandtafel wendet sich <?page no="154"?> 154 [6] .. 10 Sabine [i] < (zögernd) > Sabine [v] ja R plus ((2)) ää R hoch zwei Lehrer [v] drauf an wie du's formulierst. Lehrer [nv] Klasse zu, blickt Richtung Sabine [7] .. 11 12 Sabine [v] plus ((2)) ääm ((1)) doch plus Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Plus ja. Ja jetzt eben musst du Lehrer [nv] schreibt an Wandtafel wendet sich Klasse zu, blickt [8] .. 13 Lehrer [i] ! Lehrer [v] etwas Bezeichnungen einführen, die habe ich jetzt an der Lehrer [nv] Richtung Sabine Marion [nv] streckt auf [9] .. 14 Lehrer [v] Wandtafel nur teilweise ((1)) ää aufgeschrieben. ((1)) Marion? Lehrer [nv] blickt Richtung [10] .. 15 16 Lehrer [i] - / Lehrer [v] Ah ((1)) wie muss ich das Lehrer [nv] Marion Marion [v] A über zwei im Quadrat. Marion [nv] nimmt Arm runter [11] .. 17 18 Lehrer [i] \ < ! > Lehrer [v] verstehen? ((1)) Mit diesen Bezeichnungen das ausgedrückt? Lehrer [nv] zeigt mit Buch Richtung Wandtafel <?page no="155"?> 155 [12] .. 19 Lehrer [i] < > ! / Lehrer [v] ((4)) Ja eben das ((1)) diese R die müssen unterschieden Lehrer [nv] geht zur Wandtafel, nimmt Kreide in die Hand [13] .. 20 Lehrer [v] werden. Dieses R Lehrer [nv] zeigt mit Kreide auf das R links vom Gleichheitszeichen [14] 21 Lehrer [i] < > / \ ! Lehrer [v] da Marion, welches meinst du? Das links, das links vom Lehrer [nv] legt Kreide weg, dreht sich um, wendet sich Marion zu [15] .. 22 23 Lehrer [i] / < - Lehrer [v] Gleich. Das Grüne. Also das wäre der Radius ja. Lehrer [nv] geht zur Wandtafel, nimmt Kreide in die Hand Marion [i] / \ Marion [v] Das Grüne [16] 24 25 Lehrer [i] > < ! / Lehrer [v] ((3)) Ich habe es bewusst eben noch nicht Lehrer [nv] schreibt auf Wandtafel dreht sich um, wendet sich Marion zu [17] .. Lehrer [i] / \ / \ Lehrer [v] hingeschrieben, weil du es auch nicht gesagt hast. Da Sabines Antwort die Lehrererwartungen nicht zu erfüllen vermocht hat, bewirbt sich Marion schon während der turn-Einschätzung durch den Lehrer (12/ 13) nonverbal durch Aufzeigen um die Sprecherrolle (13). Ohne weitere Lehreraufforderung erhält sie vom Lehrer den turn verbal durch Nennung des Namens zugeteilt (14) und übernimmt <?page no="156"?> 156 den turn (15). Der Lehrer verlangt in der anschließenden turn-Einschätzung eine Präzisierung ihrer Äußerung (16-21). Erst nach der Präzisierung von Marion (22) schätzt der Lehrer durch Wiederholung ihrer Aussage (23) ihre Äußerung als korrekt ein. Diese Gesprächssequenz unterscheidet sich von der Lehrer-Schüler-initiierten Gesprächssequenz nur darin, dass keine ungerichtete Lehreraufforderung stattfindet. Übersicht 16: Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler mit turn-Bewerbung turn L, MS turn-Bewerbung S (mit oder ohne Unterbrechung) turn- Zuweisung L turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Wenn sich Schüler während oder nach einer Lehrer- oder Mitschüleräußerung durch Selbstwahl ohne turn-Bewerbung in den Unterrichtsdiskurs einbringen, kommt es danach meist zu einer turn-Einschätzung durch den Lehrer oder den Mitschüler 84 , in der die Selbstwahl des Schülers nachträglich legitimiert oder diszipliniert wird. So ist in Transkription 29 die Legitimierung der turn-Selbstwahl von Sabine zusammen mit der turn-Einschätzung des Lehrers in die Lehreräußerung eingeschoben. Übersicht 17: Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler ohne turn-Bewerbung turn L, MS turn-Übernahme S (mit oder ohne Unterbrechung) turn- Einschätzung L, MS turn L, (MS) Die nachfolgende Übersicht über die Gesprächsequenzen im lehrerzentrierten Unterricht wird in Kapitel 6.3 genauer erläutert, wobei auch auf den Einfluss der Institution Schule auf die Gesprächssequenzen im Unterricht eingegangen wird. 84 Wenn Schüler sich durch Selbstwahl während oder nach einer Mitschüleräußerung in den Unterrichtsdiskurs einbringen, handelt es sich dabei in den meisten Fällen um die Korrektur der Mitschüleräußerung. Es kann dann zu einer turn-Einschätzung durch den Mitschüler kommen, indem er seine Äußerung rechtfertigt oder korrigiert. Der turn geht danach häufig an den Lehrer, es wäre aber auch denkbar, dass der Mitschüler mit seinen Äußerungen fortfährt. <?page no="157"?> 157 6.2.3. Übersicht über die Gesprächssequenzen im Unterricht Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen mit turn-Bewerbung: Aufforderung L (ungerichtet) turn-Bewerbung S/ SS (programmierte Selbstwahl) turn-Zuweisung L turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen ohne turn-Bewerbung: Aufforderung L (ungerichtet) keine turn-Bewerbung S/ SS turn-Übernahme L Lehrer-Schüler-initiierte Gesprächssequenzen mit Rätselraten: Aufforderung L (ungerichtet) turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Lehrer-initiierte Gesprächssequenzen mit turn-Übernahme: Aufforderung (gerichtet) mit turn-Zuweisung L turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Lehrer-initiierte Gesprächssequenzen mit turn-Zurückweisung: Aufforderung (gerichtet) mit turn-Zuweisung L turn-Zurückweisung S turn-Übernahme L Schüler-initiierte Gesprächssequenzen: Aufforderung S (gerichtet oder ungerichtet) turn-Übernahme AS, MS oder L Gesprächssequenzen nach Selbstwahl des Lehrers: turn S turn-Übernahme L (mit oder ohne Unterbrechung) Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler mit turn-Bewerbung: turn L, MS turn-Bewerbung S (mit oder ohne Unterbrechung) turn- Zuweisung L turn-Übernahme S turn-Einschätzung L Gesprächssequenzen nach Selbstwahl der Schüler ohne turn-Bewerbung: turn L, MS turn-Übernahme S (mit oder ohne Unterbrechung) turn-Einschätzung L, MS turn L, (MS) <?page no="158"?> 158 6.3. Einfluss der Schule auf die Gesprächssequenzen Wenn nachfolgend der Einfluss der Institution Schule auf die Gesprächssequenzen im Unterricht im Zentrum des Interesses steht, müssen die Gesprächssequenzen im Unterricht auch mit denjenigen in alltäglichen Gesprächen verglichen werden. 85 Als erstes wird der Handlungstyp ‚Gruß’ in Unterricht und Alltag beschrieben: Wie oben (Kap. 6.1) gezeigt, zieht die Realisierung des Handlungstyps ‚Gruß’ aufgrund von Konventionen in Alltagsgesprächen die Folge-Handlung ‚Gegengruß’ nach sich. Es handelt sich hierbei um ein adjacency pair, welches das Prinzip der bedingten Erwartbarkeit beinhaltet. Abweichungen vom konventionellen Schema (wenn also auf einen Gruß kein Gegengruß erfolgt) können dabei Sanktionen (etwa eine Beziehungsverschlechterung) nach sich ziehen. Ehlich/ Rehbein stellen fest, dass der Lehrer am Stundenanfang die Pflicht hat, den Unterrichtsdiskurs zu eröffnen: „der Lehrer hat institutionell die Pflicht, den Hauptdiskurs zu initiieren, und nur er kann oder darf das“ (Ehlich/ Rehbein 1983: 98). Der Lehrer gibt zu Beginn der Unterrichtsstunde mit der Begrüßung zugleich das Signal für die offizielle Eröffnung des Unterrichtsdiskurses: Transkription 37: SW-011 01: 32: 21-01-39: 13 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 Lehrer [i] ! / \ Lehrer [v] So. Grüezi mitenand. Ihr dürft euch setzen. Lehrer [nv] betritt Schulzimmer steht vor Klasse, weist mit Hand auf Stühle hin SS [nv] erheben sich [2] 2 3 Lehrer [i] < \ > / \ / Lehrer [v] ((2)) Also. Wir besprechen zuerst die Hausaufgaben Lehrer [nv] geht zum Pult, um sich zu setzen SS [nv] setzen sich 85 Zu den institutionellen Bedingungen der Lehrer- und Schülerrolle siehe auch Forytta / Linke (1981: 460-464). <?page no="159"?> 159 Dieser Stundenanfang zeigt, dass der Lehrer den Gegengruß der Schüler gar nicht abwartet (1), sondern nach seiner Begrüßung gleich in medias res geht. Die Funktion der Begrüßung als Startsignal tritt hier deutlich zu Tage. Das adjacency pair Gruß-Gegengruß ist im Unterricht nicht der gleichen bedingten Erwartbarkeit wie in Alltagsgesprächen unterworfen. Lehrer und Schüler sind in der Schule quantitativ disproportional vertreten, weswegen eine fehlende Folge-Handlung auf den Gruß des Lehrers nicht zu einer Beziehungsverschlechterung führen muss. Zudem führen die situativen Umstände in der Institution Schule auf der Gymnasialstufe häufig dazu, dass Lehrer und Schüler sich bereits vor Beginn der eigentlichen Lektion begrüßt haben. Wenn nicht das System der Klassen-, sondern der Fachschulzimmer praktiziert wird, wechseln die Schüler von Lektion zu Lektion in das Zimmer der jeweiligen Fachlehrperson und begrüssen diese individuell beim Betreten des Schulzimmers. Trotzdem findet dann auch hier zusätzlich eine Begrüßung der Klasse als Plenum durch den Lehrer statt - selbst wenn derselbe Lehrer diese Klasse am gleichen Tag schon einmal unterrichtet hat. Im Gegensatz zur Begrüßungsfunktion des Grußes in Alltagsgesprächen dient demnach der Gruß im Unterricht als Startsignal für die Eröffnung des Unterrichtsdiskurses. Im vorgeschlagenen System zu den Gesprächssequenzen im lehrerzentrierten Unterricht werden - mit Ausnahme der Schüler-initiierten Gesprächssequenzen und den Gesprächssequenzen nach Selbstwahl des Lehrers, die jeweils nur ein adjacency pair aufweisen - immer wenigstens zwei Stellen möglichen Sprecherwechsels behandelt: die erste Stelle wird durch das Ende des Lehrer-turns und den Anfang des nachfolgenden Schüler-turns begrenzt, die zweite Stelle durch das Ende dieses Schülerturns und den Anfang des folgenden Lehrer-turns. Das ‚local management’ (vgl. Kap. 5.2) in der Schule impliziert also immer das Organisieren des Sprecherwechsels von wenigstens zwei nacheinander folgenden Stellen möglichen turn-Übergangs - dies im Gegensatz zu Gesprächen im Alltag, wo das local management jeweils nur eine Stelle möglichen Sprecherwechsels behandelt und die sequenzielle Verteilung der turns unberücksichtigt lässt (vgl. Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974: 725). In Alltagsgesprächen beinhaltet das Frage-Antwort Muster zumeist ein adjacency pair: Beispiel 1: Frage: Wie heisst der Satz von Pythagoras? Antwort: A 2 +B 2 =C 2 <?page no="160"?> 160 Das obige (hypothetische) Beispiel ist z.B. in einer Situation denkbar, in der ein Schüler zu Hause seine Hausaufgaben löst und seine Eltern um eine Information bittet. Die sequentielle Organisation im Unterricht weist demgegenüber eine Sequenz aus drei miteinander verknüpften Teilen, also zwei adjacency pairs, auf: Beispiel 2: Frage: Wie heisst der Satz von Pythagoras? Antwort: A 2 +B 2 =C 2 Einschätzung: Richtig! Die Einschätzung (Evaluation), der unmittelbar ein Frage-Antwort- Paar vorausgeht, ist ein wesentliches Merkmal von Unterrichtskommunikation, was aber nicht heißen soll, dass dreiteilige Frage-Antwort-Sequenzen in Alltagsgesprächen nicht vorkommen. So könnte die Sequenz von Beispiel 1 folgendermassen ergänzt werden: Beispiel 3: Frage: Wie heisst der Satz von Pythagoras? Antwort: A 2 +B 2 =C 2 Honorierung: Danke Mama. Obwohl die Beispiele 2 und 3 beide eine dreiteilige Gesprächssequenz aufweisen, dient die dritte Komponente nicht der gleichen Funktion. Während „Richtig! “ den Inhalt der vorherigen Äußerung evaluiert, ist „Danke Mama.“ lediglich eine Honorierung der vorherigen Antwort. Eine Erklärung für die allgegenwärtige Präsenz der Einschätzung von Schüleräußerungen durch den Lehrer ist die zentrale Funktion der Vermittlung von Wissen in der Institution Schule. Der Lehrer trägt deshalb die institutionelle Verantwortung für die Beurteilung von Schüleräußerungen. Eine weitere Erklärung für das ‚initiation-reply-evaluation-Muster’ findet sich in der divergenten Funktion der Fragen: In Beispiel 1 und 3 richtet der Schüler eine Frage an seine Eltern, da ihm eine Information fehlt und er annimmt oder weiss, dass die Eltern über diese Information verfügen. Aus diesem Grund handelt es sich hierbei um eine „echte“ Frage (‚information-seeking question’). In Beispiel 2 verfügt der Initiant bereits über die Information und testet mit der Frage lediglich das Wissen des Angesprochenen. Deshalb handelt es sich um eine „Lehrerfrage“ (‚known-information question’). Die Lehrerfrage ist dadurch gekennzeichnet, dass mit dem Lehrer der Wissende fragt und mit dem Schüler der Nicht-Wissende antworten soll. Das ist eine Umkehrung des Alltagsmusters ‚Frage’. <?page no="161"?> 161 Auch im Alltag gibt es Situationen, in denen known-information questions gestellt werden: Beim Rätselraten verfügt - wie in der Schule der Lehrer - der Fragende über die Antwort und der Nicht-Wissende muss antworten (raten). Die Gesprächssequenzen mit Rätselraten unterscheiden sich im schulischen und nichtinstitutionellen Kontext nicht. Auf eine gerichtete Aufforderung folgt die turn-Übernahme des Nicht- Wissenden. Anschließend wird der turn vom Initiant eingeschätzt. Es handelt sich bei den Gesprächssequenzen mit Rätselraten in der Schule und im Alltag um zwei adjacency pairs. Aus dem Unterschied zwischen information-seeking questions und known-information questions erklärt sich auch, weswegen sich Schüler im Unterricht einer Antwort auf eine Lehrer-Aufforderung entziehen können, was im Alltag als grob unhöflich gelten würde. Selbstverständlich können Lehrer im Unterricht auch „echte“ Fragen stellen, wie folgendes Beispiel zeigt: Transkription 38: SW-074 19: 07: 23-19: 10: 11 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-L.MPG [1] 0 1 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Hender eigentlich hütt am Morge Schuel gha. Claude [i] Claude [v] Hütt am [2] .. Claude [i] / \ Claude [v] Morge? Ja. Da im Klassenbuch niemand unterschrieben hat, möchte der Lehrer wissen, ob die Klasse überhaupt Unterricht gehabt hat. Zur Deckung seines Informationsdefizits wendet er sich während einer Einzelarbeits-Sequenz an einen Schüler. Da es sich um eine information-seeking question handelt, kommt es nicht zu einer Beurteilung der Schüleräußerung. Die Länge der Redebeiträge und das local management werden im Unterricht im Gegensatz zu Alltagsgesprächen nicht interaktionell organisiert, sondern vom Lehrer bestimmt: Er hat fast das Monopol des local management. McHoul hat festgestellt, <?page no="162"?> 162 that the social identity contrast ‚Teacher/ Student’ was expressed in the system in terms of differential participation rights and obligations. This differential was found to depend largely on teacher’s exclusive access to the use of creative ‘current speaker selects next speaker’ techniques. (McHoul 1978: 211) Flader (1977) hat eine Asymmetrie der Sprechrechte von Lehrer und Schüler festgestellt und kommunikative Normen für die Festlegung ihrer komplementären Dialogrollen herausgearbeitet: 1. Nur der Lehrer hat die Chance, Fragen zu stellen und vorfallende Äußerungen zu kommentieren. Es werden komplementäre Sequenz- Positionen festgelegt, die nicht austauschbar sein sollen: Fragesteller / Kommentator - Antwortgeber / Kommentierter. 2. Dadurch wird für den Schüler die Chance, im Kommunikationsverlauf Aspekte seiner persönlichen Identität darzustellen, sehr vermindert. 3. Der Zeitpunkt und inhaltliche Bereich der Kommunikationsakte wird vom Lehrer bestimmt. 4. Wird der Schüler aufgerufen, steht ihm als eine Verweigerungsform wegen der Machtposition des Lehrers auch das Schweigen nicht zur Verfügung, da dieses als Dokument seines Nicht-Wissens oder als Autoritätsangriff interpretiert werden kann, was entsprechende negative Sanktionen zu Folge hätte. 5. Der Lehrer hat das Monopol verbaler Kommentierung, so ist den Schülern die Möglichkeit versperrt, zu Äußerungen ihrer Mitschüler Stellung zu nehmen und sie sehen sich laufend einer Bewertung ihrer Beiträge ausgesetzt, die sie nicht anfechten können. 6. Die Kommunikationsmöglichkeit der Schüler wird noch weiter reduziert, wenn der Lehrer das Sequenzschema in einem Einzelkontakt wiederholt ablaufen lässt. 7. Der Lehrer hat aufgrund seiner Machtposition die Chance, dieses Schema wiederholt ablaufen zu lassen (vgl. Flader 1977: 122f.). Tatsächlich spiegeln die oben (Kap. 6.2.1 und 6.2.2) untersuchten Gesprächssequenzen die asymmetrische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler wider. Der Lehrer bestimmt die Dialogstruktur durch seine Vorrechte: Er nimmt sein Rederecht nahezu immer durch Selbstwahl wahr, während die Schüler meist nur nach Aufforderung die Sprecherrolle übernehmen können. Diese asymmetrischen sozialen Beziehungen in der Institution Schule führen dazu, dass im Unterrichtsdialog der Sprecherwechsel der Schüler nach einer Lehrer-Aufforderung (current speaker selects next speaker) erfolgt, der Sprecherwechsel des Lehrers zumeist nach Selbstwahl (self-selection). Die Institution Schule erteilt dem Lehrer das Recht und die Pflicht, durch Themafixierung, Sprecher- <?page no="163"?> 163 auswahl (mittels Lehrer-Schüler-initiierter oder Lehrer-initiierter Aufforderung) und durch die Einschätzung (Beurteilung) der Schüler-turns den Prozess des Wissenserwerbs zu steuern. Die Schüler sind institutionell verpflichtet, permanent verfügbar zu sein für die aktive verbale Einschaltung im Hauptdiskurs. Für die Schüler besteht die Obligation, aufmerksam zuhörend responsive Erwiderungen auf die Lehrerfragen in Gedanken vorzubereiten und nach der turn-Zuweisung des Lehrers - aber auch nur dann - vorzutragen. Da der Lehrer institutionell die endgültige Verantwortlichkeit für den Unterrichtsablauf hat, hat Mazeland (1983: 99) folgende Lehrer-Maxime aufgestellt: „Rede (habe den turn) immer, es sei denn, du hast einem Schüler den turn zugeteilt! “ Bei der Lehrer-Schüler-initiierten Aufforderung treten zwei institutionsspezifische Handlungstypen auf: die turn-Bewerbung der Schüler und die Zuweisungshandlung des Lehrers. Bei der Lehrer-initiierten Aufforderung zeigen sich das Vorrecht des Lehrers und die Aufgabe des Wissenserwerbs und Wissensevaluation der Institution Schule besonders deutlich, da der Lehrer einem Schüler die Sprecherrolle aufzwingen kann. Es soll aber an dieser Stelle nochmals betont werden, dass auch der Lehrer zu turn-Übernahmen gezwungen wird - und zwar immer dann, wenn auf eine Lehrer-Schüler-initiierte Aufforderung keine turn- Bewerbung stattfindet, wenn ein Schüler bei einer Lehrer-initiierten Aufforderung den turn zurückweist und wenn Schüler-initiierte Aufforderungen der Verständnissicherung dienen. Der folgende Unterrichtsausschnitt vermag die starke Reglementierung der turns durch den Lehrer besonders deutlich aufzuzeigen: Transkription 39: SW-011 03: 35: 07-04: 29: 28 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 1 2 Simon [i] < (zögernd) + Simon [v] Aso die ääm ja der Durchschnitt zwischen DC Cony [v] (Kommunikation Cony [nv] wendet sich zu Simone Simone zugewandt Simone [v] (Kommunikation Simone [nv] Cony zugewandt <?page no="164"?> 164 [2] .. 3 Simon [i] > Simon [v] und/ von DC und AB Cony [v] außerhalb des Hauptdiskurses mit Simone) Cony [nv] Simone [v] außerhalb des Hauptdiskurses mit Cony) Simone [nv] Lehrer [i] ! Lehrer [v] ((2)) Simone Lehrer [nv] weist mit Arm [3] .. 4 5 Simon [i] ! > Simon [v] Aa eine Simone [nv] wendet sich dem Lehrer zu Lehrer [i] / \ Lehrer [v] weißt du was er meint Lehrer [nv] Richtung Simone weist mit Arm Richtung Simon [4] .. 6 7 Simon [i] > Simon [v] Mittelsenkrechte durch die Höhe Lehrer [i] + < Lehrer [v] Pscht sch sch sch sch sch Lehrer [nv] schüttelt den Kopf [5] 8 9 10 11 Simon [v] Eine Cony [nv] - < > / Simone [v] Ich ich hab es nicht gehört. Lehrer [i] / Lehrer [v] ((2)) Sags nochmals. Lehrer [nv] weist mit Arm Richtung Simone weist mit Arm Richtung <?page no="165"?> 165 [6] .. 12 13 Simon [v] Mittel se/ Die Lehrer [i] + > < ! Lehrer [v] Nein nein nein. N-Nicht das Zweite, das Erste. Lehrer [nv] Simon winkt mit dem Arm ab, schüttelt den Kopf [7] .. 14 15 16 Simon [v] Mi/ ((1)) Lehrer [i] - > ! / Lehrer [v] Du hast gesagt Durchschnitt von? Lehrer [nv] formt mit Hand Trichter [8] .. 17 18 Simon [v] DC und AB Lehrer [i] + / ! Lehrer [v] ((5)) Simone Was meint er mit Lehrer [nv] hinter dem Ohr schreibt auf Wandtafel dreht sich um, geht in [9] .. 19 20 Simone [nv] lehnt sich zurück, zuckt mit den Schultern, Lehrer [i] ! \ Lehrer [v] Durchschnitt? ((3)) ((1)) Lehrer [nv] Richtung Simone geht Babs [nv] streckt [10] .. 21 22 Simon [i] (zögernd) < > Simon [v] ((1)) Ja ja A und B Simone [nv] schüttelt den Kopf Lehrer [i] \ / ! Lehrer [v] Versteht sie nicht. ((1)) Lehrer [nv] auf Simon zu, blickt in Richtung Simon bleibt vor Simon stehen, Babs [nv] auf <?page no="166"?> 166 [11] .. 23 24 25 Simon [i] Simon [v] plus DC geteilt durch zwei. Cony [i] - ! Cony [v] Ja aber AB isch ja gää. Lehrer [nv] blickt ihn an geht zurück zur Wandtafel schreibt Babs [i] Babs [v] AB [12] .. 26 27 Simon [i] < > ! Simon [v] Ja ich has ja au nöd so usgrächned. Lehrer [i] Lehrer [v] Wir Lehrer [nv] auf Wandtafel Babs [i] / \ Babs [v] weisch ja nöd. [13] .. 28 Lehrer [i] ! / < Lehrer [v] reden nur von dem, hm? Durchschnitt von den beiden Lehrer [nv] blickt [14] 29 30 31 32 Simon [v] Aso das kann man mit Hilfe der/ Lehrer [i] + ! Lehrer [v] Stopp ((1)) Simon. Ich bin Lehrer [nv] Richtung Simon, geht zur Wandtafel schreibt [15] .. 33 Lehrer [i] ! / \ Lehrer [v] bei Simone. Weißt du was das ist. Lehrer [nv] auf Wandtafel blickt Richtung Simone, geht auf sie zu <?page no="167"?> 167 Während der Beantwortung einer Frage durch Simon (0-2) sprechen Cony und Simone auf der Nebenkommunikationsebene miteinander (3). Um ihre Aufmerksamkeit auf die Hauptkommunikationsebene zu lenken und dieses unerwünschte Verhalten zu unterbinden, teilt der Lehrer Simone mit Nennung des Namens und einer gerichteten Frage den turn zu (3-5). Währenddessen wählt sich Simon durch Selbstwahl als nächsten Sprecher aus (5/ 6), was vom Lehrer verbal und nonverbal deutlich diszipliniert wird (6/ 7), weil er den turn bereits Simone zugeteilt hat. Mit einer nonverbalen Geste (8/ 9) fordert der Lehrer Simone zur Beantwortung seiner Frage auf. Wegen der Nebenkommunikation mit Cony hat Simone aber den turn von Simon nicht mitverfolgt (9). Aus diesem Grund fordert der Lehrer Simon zur Wiederholung seines turns auf (10). Weil Simon seinen letzten turn wiederholen möchte (11/ 12), unterbricht ihn der Lehrer und präzisiert seine Aufforderung (12). Da Simon in seinem erneuten turn der Lehrererwartung wieder nicht gerecht wird (13), unterbricht ihn der Lehrer erneut und bildet einen Satzanfang (14/ 15), den Simon nach kurzem Zögern beendet (16). Weil nun die vom Lehrer gewünschte Äußerung gefallen ist, kann der Lehrer wieder mit der gerichteten Frage an Simone fortfahren (17/ 18). Simone kommt jedoch der Aufforderung des Lehrers nicht nach (19/ 20), weswegen der Lehrer zur turn-Übernahme verpflichtet ist (21). Er gibt den turn nonverbal an Simon weiter, der ihn zögernd übernimmt (22/ 23). Dieser turn ist nichts anderes als die Wiederholung von (2). Auf die Äußerungen mittels Selbstwahl von Cony und Babs (24/ 25) reagiert Simon mit einer Rechtfertigung (26). Der Lehrer nimmt den turn wieder an sich (27/ 28). Simon interpretiert den Blickkontakt des Lehrers als nonverbale turn-Zuweisung und erläutert seine vorherige Äußerung (29/ 30). Der Lehrer unterbricht Simon (30/ 31) und expliziert, dass er den turn nicht ihm übergeben wollte, sondern Simone (32). Er richtet daraufhin eine gerichtete Lehrer- Aufforderung an Simone (33) und zwar sinngemäß dieselbe wie in (2). Dieser Unterrichtsausschnitt gibt die starke Kontrolle wieder, mit welcher der Lehrer die turn-Organisation im Unterricht unter Kontrolle hält. Die Sprecherwechsel nach Lehrer-initiierten Aufforderungen (3/ 10/ 17/ 33) und die Unterbrechungen der Schüler-turns (6/ 12/ 14/ 30) stehen für eine straffe Führung und Kontrolle der turn-Organisation. Sie werden durch die Gestik des Lehrers noch in ihrer Deutlichkeit verstärkt. Auf die Schüleräußerungen durch Selbstwahl geht der Lehrer nicht ein. Obwohl der Lehrer die Dialogstruktur bestimmt, haben die Äußerungen 3-33 zur Entwicklung des Unterrichtsgegenstandes nichts beigetragen. <?page no="168"?> 168 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Institution Schule die turn- Organisation und die Gesprächssequenzen im Unterricht beeinflusst. Die turn-Organisation in der Schule basiert grundlegend auf der institutionellen Definition der Aufgaben von Lehrern und Schülern. Die Unterrichtskommunikation erfordert aufgrund der spezifischen institutionellen Bedingungen (vgl. Kap. 3.3) besondere Verfahren der Rederechtsverteilung. Im Unterricht liegt diese in der Hand des Lehrers: Er verfügt über das Unterrichtplanungs-, Unterrichtlenkungs-, sowie das Leistungsbeurteilungsmonopol. Er übernimmt die Verantwortung für die Leitung des Diskurses und ist befugt, Themen einzuführen und zu beenden. Er vergibt das Rederecht bzw. delegiert die Redepflicht. Denn anders als im nicht-institutionellen Diskurs besteht im Unterricht für die Schüler auch eine Redepflicht. Mit dieser Organisation der kommunikativen Ordnung im Unterricht soll gesichert werden, dass es nur einen Interaktionsprozess gibt und sich die Aufmerksamkeit aller Beteiligten darauf richtet. Durch den vom Lehrer gesteuerten und kontrollierten Interaktionsprozess kann Wissen akzeleriert vermittelt und damit eine zentrale Aufgabe des Schulunterrichts erfüllt werden. <?page no="169"?> 169 7. DER DIALEKTGEBRAUCH IM UNTERRICHT Bevor auf den Dialektgebrauch im gymnasialen Unterricht in der deutschen Schweiz eingegangen wird, werden das Bildungswesen in der Schweiz und die Sprachsituation in der deutschen Schweiz genauer vorgestellt (Kap. 7.1 und 7.2). Danach steht die Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz im Zentrum (Kap. 7.3), da diese bei der Untersuchung der kommunikativen Funktionen des Dialekts im Unterricht (Kap. 7.4) als Hintergrund stets berücksichtigt werden muss. Kapitel 7.5 bettet die Diskussion zur Varietätenwahl im Unterricht ein in den bildungspolitischen und fachlichen Kontext dazu und mündet in Empfehlungen für die standardsprachliche Sprechpraxis in der Schule (Kap. 7.5.7). 7.1. Das Bildungswesen in der Schweiz Im Folgenden wird zuerst ein geschichtlicher Überblick über das Bildungswesen in der Schweiz gegeben (Kap. 7.1.1). Anschließend stehen die Geschichte und die rechtlichen Grundlagen der Sekundarstufe im Zentrum (Kap. 7.1.2). Für weitere Informationen zur Geschichte des schweizerischen Schulwesens seien die zwei Bände von Badertscher/ Grunder (1997-1998) empfohlen. Aktuelle Informationen über das schweizerische Bildungswesen finden sich auf der Homepage der ‚Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren’ (EDK) 86 . 7.1.1. Geschichtlicher Überblick über das Bildungswesen Bis zur Französischen Revolution entsprach die Entwicklung des Bildungssystems in der Schweiz den üblichen Verhältnissen in Mitteleuropa: Das Schulwesen gehörte zum Aufgabenbereich der Kirche. Aus einem Plan des Klosters St. Gallen aus dem Jahre 813 lässt sich ersehen, dass bereits damals eine interne Schule für den kirchlichen Nachwuchs sowie eine externe Schule für Laien bestanden. In einigen Klosterschulen, die sich seit jeher durch ein hohes Qualitätsniveau auszeichnen (wie beispielsweise Saint-Maurice, Einsiedeln, Engelberg und Disentis - im Allgemeinen Schulen, die von Benediktinern geführt werden), wird auch 86 <http: / / www.edk.ch > 18.10.2007. <?page no="170"?> 170 heute noch unterrichtet. Im Hochmittelalter wurden Gemeindeschulen (Schreibschulen) geschaffen, um den Bedürfnissen des Handels und der Verwaltung zu entsprechen. In der Folge wurde die Entwicklung des Bildungssystems durch die Reformation und Gegenreformation beeinflusst. Die Verantwortlichen der von der Kirche geführten Lateinschulen plädierten zwar für die Bildung des Volkes, doch gemäss dem Leitspruch ‚cuius regio - eius religio’ waren diese Schulen hauptsächlich Kindern aus wohlhabenden Familien vorbehalten. Das Calvin-Kollegium in Genf (das nach seinem Gründer benannt wurde) und die von Petrus Canisius gegründete Jesuitenschule in Freiburg sind Zeugen dieser Epoche. Bis zur Französischen Revolution hatte sich die Volksbildung kaum entwickelt. Nur in Genf bestand seit Calvin - zumindest im Gesetz - eine allgemeine Schulpflicht. Die schweizerische obligatorische Schule entstand erst nach dem Zusammenbruch des Ancien Régime im Jahre 1798 und mit der Bildung der modernen Demokratie innerhalb des schweizerischen Staatswesens. Bedeutende Pädagogen wie Pestalozzi, Girard und von Fellenberg beeinflussten diese Entwicklung maßgeblich. Sie hatten erkannt, dass die Bildung des Volkes eine Voraussetzung für die Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungsprozessen ist. Pestalozzi erhoffte sich von dieser ‚Volksbildung’ eine Verbesserung der Stellung und des Schicksals des Menschen. Die Schulpflicht wurde von den meisten Kantonen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eingeführt. Während die Universität Basel von Papst Pius II. bereits im Jahre 1459 gegründet worden war, entstanden die meisten kantonalen Universitäten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch die Eidgenossenschaft leistete einen Beitrag zur höheren Bildung, indem sie 1855 die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) gründete. Im gleichen Zeitraum wurden unter dem Einfluss der Industrialisierung auch die ersten gewerblichen und industriellen Berufsschulen eröffnet. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wiesen die verschiedenen Schulsysteme eine unterschiedliche Entwicklung auf. Die Unterschiede zwischen den Systemen nahmen mit der Zeit ein solches Ausmaß an, dass eigentliche Koordinationsprobleme entstanden. Mit Hilfe von Volksinitiativen wurden mehrere Versuche unternommen, dem Bund im schulischen Bereich mehr Kompetenzen einzuräumen. Diese Versuche blieben jedoch alle erfolglos. Die letzten 30 Jahre waren (insbesondere seit 1990) in allen Kantonen und auf allen Ebenen durch eine beträchtliche Entwicklung der Bildungssysteme - sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht - gekennzeichnet (Verallgemeinerung einer obligatorischen Schule, die in praktisch allen Kantonen 6 Jahre auf der Primarstufe und 3 Jahre auf der Sekundarstufe I umfasst; Entwicklung des 10. <?page no="171"?> 171 Schuljahres, teilweise zweisprachig; Einführung der Berufsmaturität, Schaffung von Fachhochschulen (FH); neuer Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen und neue Regelung für die Anerkennung der Maturität; Richtlinien für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern und Umwandlung der Seminare in Pädagogische Hochschulen (PH); Revision des Berufsbildungsgesetzes usw.). Gleichzeitig erfolgte sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene eine deutlich stärkere Vereinheitlichung und Koordination des schulischen Bereichs (Ausbau der Strukturen, interkantonale Vereinbarungen, Vereinbarungen zwischen den Kantonen und dem Bund usw.). 7.1.2. Der Sekundarbereich Der Sekundarbereich umfasst sowohl die Sekundarstufe I als auch die Sekundarstufe II ‚Allgemeinbildung’ (Maturitätsschulen, Diplom-/ Fachmittelschulen) sowie die Sekundarstufe II ‚Berufsbildung’. Es wird im Folgenden ein geschichtlicher Überblick über den Sekundarbereich gegeben (Kap. 7.1.2.1) und auf die rechtlichen Grundlagen eingegangen (Kap. 7.1.2.2). 7.1.2.1. Geschichtlicher Überblick über den Sekundarbereich Die Geschichte der Sekundarstufe I hängt eng mit der Entwicklung der Primarstufe zusammen. Die Entwicklung der Sekundarstufe II ‚Allgemeinbildung’ ist in Zusammenhang mit derjenigen der Universität zu sehen, während die Berufsverbände die Sekundarstufe II ‚Berufsbildung’ wesentlich beeinflusst haben. Die Ausbildung auf der Sekundarstufe I ist von der Entwicklung der Ausbildung auf der Primarstufe abhängig. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts war die Sekundarbildung nur der Elite zugänglich - trotz der seit der protestantischen und der Gegenreformation proklamierten Forderungen nach einer Volksbildung. Ein wichtiger Anstoß ging dann von der Helvetischen Republik aus, deren Verfassung festhielt, dass es Aufgabe des Staates ist, ein der Freiheit würdiges Volk zu bilden. Die Umsetzung dieser großen Ideen stieß auf verschiedene Hindernisse. Trotzdem entstanden in den Kantonen ab etwa 1830 zahlreiche Sekundarschulen (‚Abschlussklassen’ oder ‚Oberschule’) als direkte und natürliche Fortsetzung der Primarschulen. Im Hoheitsbereich der Kantone entwickelte sich die Sekundarbildung bezüglich der Strukturen sehr heterogen. Das älteste Strukturmodell, das bis 1970 in fast allen Kantonen überlebte, ist das Modell mit getrennten Zügen, das die gestellten Anforderungen der angestrebten anschließenden Ausbildung (berufliche, gymnasiale oder <?page no="172"?> 172 andere Ausbildung auf der Sekundarstufe II) abdeckte. In gewissen Kantonen entwickelten sich in der Folge Sekundarschulen mit kooperativen Zügen, d.h. verschiedene Schulzüge mit größerer Durchlässigkeit, in anderen Kantonen mit integrativen Klassen, d.h. Klassen mit Niveaukursen. Seit 1970 verfügt die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) mit dem ‚Konkordat über die Schulkoordination’ über ein förmliches Mandat, mit dem die Konkordatskantone „eine interkantonale öffentlich-rechtliche Einrichtung zur Förderung des Schulwesens und zur Harmonisierung des entsprechenden kantonalen Rechts“ 87 bilden. Abschlussdiplome auf der Sekundarstufe I sowie die Strukturen dieser Stufe bleiben weiterhin ein Thema. Die Entwicklung der Sekundarstufe II ‚Allgemeinbildung’ hängt eng mit jener der Universität zusammen. Im Fall der Sekundarstufe II ‚Berufsbildung’ haben sowohl die Berufsverbände eine entscheidende Rolle gespielt als auch die Verbindung der Berufsbildung mit den Unternehmen, die auch heute noch maßgebend ist. Das Gymnasium ist einer der ältesten und traditionsreichsten Schultypen im Abendland. Bereits im Mittelalter war das Gymnasium mit der Universität verbunden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der gymnasiale Unterricht in der Schweiz von einer großen Vielfalt geprägt, sowohl wegen der Zuständigkeit (Kanton, Gemeinde, religiöse Gemeinschaft), des Eintrittsbzw. Austrittsalters, der Ausbildungsdauer als auch wegen der inneren Struktur und Anforderungen. Der Revision von 1968 ging eine lange widersprüchliche Diskussion voraus. Neue Maturitätstypen - ohne Latein - wurden zugelassen und anerkannt. Seit 1968 ist die Zahl der Maturanden stark und schnell angestiegen. Nach einigen kleineren Reformen hatte die EDK das Ziel, die gymnasiale Politik grundsätzlich zu verändern. Die Fragen der Zuständigkeit zwischen dem Bund und den Kantonen wurde erneut prinzipiell diskutiert. Eine Maturität, die eine umfassende Allgemeinbildung vermittelt, müsste den Zugang zu allen Universitätsfakultäten sicherstellen. Ein Rahmenlehrplan wurde 1994 veröffentlicht. 1995 wurden die Verordnung des Bundesrates und das Reglement der EDK über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen vom Bundesrat und der EDK verabschiedet. Vor und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten einige Kantone und Gemeinden auf der Sekundarstufe II allgemeinbildende Schulen. 1987 - nach mehr als 15-jähriger Diskussion - hat sich innerhalb der Kantone ein Konsens gebildet. Die ‚Richtlinien für die Anerkennung der Diplome von Diplommittelschulen’ (RAD) und die ‚Rahmenlehrpläne der Diplommittelschulen’ wurden von der EDK verabschiedet. Bei den 87 Konkordat über die Schulkoordination vom 29.10.1970 (Art. 1). <?page no="173"?> 173 Diplommittelschulen (DMS) hat eine umfassende Reform bezüglich ihrer Rolle und ihrer Stellung im Bildungssystem stattgefunden. Die Diplommittelschulen werden als ‚Fachmittelschulen’ bezeichnet und ermöglichen den Erwerb einer Fachmaturität. An ihrer Plenarversammlung vom 12. Juni 2003 hat die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ein Reglement über die Anerkennung der Abschlüsse von Fachmittelschulen verabschiedet. Es trat am 1. August 2004 in Kraft und ersetzt die bisherigen Richtlinien zur Anerkennung der Diplome von Diplommittelschulen. Die Berufsbildung, so wie wir sie heute kennen, mit der starken Gewichtung des dualen Systems, fasste Ende des 19. Jahrhunderts Fuß als Folge tief greifender Veränderungen im Arbeitssektor (industrieller Aufschwung, Anstieg der Dienstleistungen), der bis Ende des 17. Jahrhunderts von Zünften geprägt war. Die Zünfte organisierten die Ablösung über das Prinzip der Nachahmung: Der Lehrling war vom Meister, bei dem er wohnte, abhängig, profitierte von seinem Wissen und Können. Der Berufszugang stand jedoch nicht jedermann offen und das Fehlen qualifizierten Personals hatte spürbare Auswirkungen. 1908 stimmte das Schweizervolk einem Zusatz der Bundesverfassung zu, der den Bund berechtigt, Vorschriften für diese Bereiche des Gewerbewesens zu erlassen. Die praktische Berufsbildung blieb jedoch vorderhand im Bereich der Gewerbeverbände (welche die Nachfolge der Zünfte angetreten hatten) und erst 1930 fiel der Entscheid zur Einführung eines Bundesgesetzes über die Berufsbildung. Dieses Gesetz galt für die Ausbildung zu Berufen des Handwerks, der Industrie, des Verkehrs, des Handels und verwandter Wirtschaftszweige. Es schrieb einen gültigen Lehrvertrag vor und machte einen Lehrabschluss zwingend vom Besuch einer Berufsschule abhängig. Der grosse Aufschwung der Berufsbildung fand nach dem Zweiten Weltkrieg statt: Die Zahl der Lehrlinge nahm enorm zu. Bei der Verfassungsrevision 1947 wurde der Bund befugt, Vorschriften aufzustellen über die berufliche Ausbildung in Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft und Hausdienst. Das Berufsbildungsgesetz wurde 1963 und 1978 überarbeitet: Die Gesetzesrevisionen dienten der weiteren Festigung und Entwicklung der Lehre, die in ihren Grundzügen so belassen wurde. Bestimmte Ausbildungsbereiche unterstehen ganz den Kantonen (z.B. die Sozial- und Kunstbereiche), andere ganz den Berufsverbänden im Auftrag der Kantone (Gesundheitsbereich). In den 90er-Jahren wurde als neuer Bildungsabschluss die Berufsmaturität eingeführt. Sie umfasst eine berufliche Grundausbildung (meist eine duale Berufslehre) und eine erweiterte Allgemeinbildung. Sie schafft namentlich die Voraussetzungen für ein Studium an einer Fachhochschule (FH) und erleichtert den Besuch von Ausbildungslehrgängen an höheren Fachschulen sowie die Weiterbildung im Beruf selber. <?page no="174"?> 174 7.1.2.2. Rechtliche Grundlagen Bildungssystem und Bildungsverwaltung sind in der Schweiz föderalistisch aufgebaut. Auf nationaler Ebene gibt es kein Ministerium für Bildung und Erziehung. Die Kompetenzen im Bildungswesen verteilen sich auf Bund, Kantone und Gemeinden; kennzeichnend ist nicht eine strikte Trennung der Verantwortung, sondern die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen. So sind auch in Bereichen, die der Bund gesetzlich regelt, die Kantone maßgeblich für die Finanzierung und die Umsetzung besorgt (z.B. in der Berufsbildung). Die Verfassung der Schweiz enthält bis heute keine Grundlage für eine einheitliche Regelung des Bildungswesens. 88 Die neue Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 weist die Kompetenz der Schulhoheit den Kantonen zu (Art. 62). 89 In der Bundesverfassung werden u.a. Zuständigkeit für das Schulwesen, Recht auf Bildung, Schulpflicht, staatliche Leitung und Unentgeltlichkeit des Schulbesuchs festgeschrieben. In den Kantonen werden Bildungsaufgaben größtenteils vom Erziehungsdepartement (oder Bildungsdepartement) wahrgenommen. Dort werden z.B. Lehrpläne, offizielle Lehrmittel und Klassengrößen bestimmt. Die rechtlichen Grundlagen für die Sekundarbildung I erstellen die Kantone selber. Schulgesetze, -verordnungen, -richtlinien usw. der Kantone bilden die Basis für die Ausbildung auf dieser Stufe. Aufgrund dieser föderalistischen Struktur existieren 26 verschiedene Erlasse für die Ausbildung auf der Sekundarstufe I. Auch für die Diplom- und Fachmittelschulen sind die Kantone zuständig. Als Koordinationsorgan wurde die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) geschaffen, um die Bildungsaufgabe gemeinsam wahrzunehmen und ein Mindestmass an Gemeinsamkeit in der Bildungslandschaft zu erreichen. Die interkantonale Zusammenarbeit und die Schulkoordination ist eine Aufgabe der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Unter anderem erlässt die EDK Rahmenlehrpläne und schließt 88 Informationen zu den kantonalen Schulsystemen in der Schweiz von der EDK finden sich unter <http: / / www.cdip.ch/ PDF_Downloads/ Umfragen/ schulsystem _ch/ CH.pdf> 18.10.2007. 89 Art. 62 Schulwesen 1 Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig. 2 Sie sorgen für einen ausreichenden Grundschulunterricht, der allen Kindern offen steht. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht. An öffentlichen Schulen ist er unentgeltlich. Das Schuljahr beginnt zwischen Mitte August und Mitte September (Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.04.1999). <?page no="175"?> 175 Vereinbarungen über die Anerkennung von Diplomen und die Anerkennung von Schulen. Die EDK ermuntert und verpflichtet die Kantone zur Zusammenarbeit und zu Harmonisierungen (z.B. bei Reformen, Zusammenarbeit in den Bereichen Planung, Forschung, Schulstatistik). Wesentliche Instrumente der EDK sind die interkantonalen Vereinbarungen und die Empfehlungen. Interkantonale Vereinbarungen sind Verträge zwischen den Kantonen (Diplomvereinbarungen und deren Ausführungsbestimmungen, z.B. die Anerkennungsreglemente für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern; Finanzierungs- und Freizügigkeitsvereinbarungen wie die Interkantonale Fachhochschulvereinbarung). Die bedeutendste gesetzliche Grundlage der Kantone im Bildungsbereich ist das so genannte ‚Schulkonkordat’. In diesem Vertrag werden die Rahmenbedingungen für die Primarstufe und die Sekundarstufe I festgelegt: Der Eintritt in die Volksschule erfolgt mit 6 Jahren, die Schulpflicht dauert 9 Jahre und das Schuljahr mindestens 38 Schulwochen, der Beginn und die Dauer des Schuljahres sind einheitlich, die Ausbildungsdauer bis zur Maturität beträgt mindestens 12 und höchstens 13 Jahre. Verantwortlich für die Umsetzung des Schulkonkordats ist die EDK. 7.2. Die Sprachsituation in der Deutschschweiz Die Unterrichtssprache in der Institution Schule kann nicht losgelöst von den außerschulischen Bedingungen betrachtet werden. Bevor die Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz beschrieben wird (Kap. 7.3), muss auf einige zentrale Merkmale der deutschschweizerischen Sprachsituation eingegangen werden. 90 Die Schweiz hat vier Landessprachen. 91 Die offizielle Viersprachigkeit verdeutlicht die Sprachenvielfalt der Schweiz nur zu einem kleinen Teil. Im Jahr 2000 sprachen 16.6 % der Bevölkerung zuhause als Umgangssprache eine Nichtlandessprache. Einzelne Zuwanderersprachen besitzen 90 Zur aktuellen Sprachsituation in der deutschsprachigen Schweiz erscheinen regelmäßig Publikationen, z.B. Siebenhaar (1996), Siebenhaar/ Wyler (1997), Haas (2000), Ammon (1995 / 2004) und Werlen (2004). 91 In der Bundesverfassung vom 18. April 1999 heisst es diesbezüglich in Art. 4: „Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.“ In der Volkszählung vom Jahr 2000 gaben eine Mehrheit von 63.7 % (1990: 63.6 %) der Wohnbevölkerung Deutsch als Hauptsprache an, 20.4% (19.2%) Französisch, 6.5% (7.6%) Italienisch und 0.5% (0.6%) Rätoromanisch; 8.9% (9%) schließlich nannten andere Sprachen. (Für weitere Informationen zur Eidgenössischen Volkszählung 2000 siehe die Homepage vom Bundesamt für Statistik (BFS): <http: / / www.bfs. admin.ch/ content/ bfs/ portal/ de/ index/ themen/ volkszaehlung/ uebersicht.html> 20.05.2005). <?page no="176"?> 176 einen wesentlich höheren Anteil als die Landessprache Rätoromanisch. Statt von Viersprachigkeit sollte für den tatsächlichen Sprachgebrauch in der Schweiz treffender von Vielsprachigkeit gesprochen werden. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Sprachgruppen führte bisher nicht zu namhaften Konflikten. Wenn trotz dieser relativ konfliktfreien Sprachsituation ein Sprachproblem thematisiert wird, liegt der Grund dafür neben der mangelnden Kenntnis der anderen Landessprachen meist in der linguistischen Situation der Deutschschweiz, wo nicht die deutsche Standardsprache, sondern die verschiedenen schweizerdeutschen Mundarten uneingeschränkt als gesprochene Umgangssprache dienen. Hess- Lüttich (2000: 193) weist darauf hin, dass nicht die Pluralität der Landessprachen die Integration von anderssprachigen Menschen erschwert, sondern dass sich die Pluralität der Dialekte in der Deutschschweiz als Barriere erweist. Die deutschschweizerische Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass es eine von den Mundarten abzuhebende Umgangssprache nicht gibt: die Mundarten sind die alltägliche Umgangssprache. Vor diesem gesamtschweizerischen Hintergrund sind die folgenden Ausführungen zur Sprachsituation in der Deutschschweiz zu sehen. In der Deutschschweiz finden zwei Varietäten der deutschen Sprache Verwendung: Die schweizerdeutsche Mundart (Schweizerdeutsch), die sich in zahlreiche regional verschiedene Dialekte 92 gliedert und die im ganzen deutschen Sprachraum anerkannte Standardsprache; auch Standarddeutsch, Hochsprache, Schriftsprache, Schriftdeutsch oder Hochdeutsch genannt. 93 Diese Begriffe können emotional geprägte Vorstellungen wecken: ‚Hoch’ kann ein hohes Niveau dieser Sprachvariante andeuten, ‚Schrift’ lässt vermuten, dass es sich nur um die geschriebenen Form des Deutschen handelt. Im wissenschaftlichen Diskurs hat sich der Begriff ‚Standardsprache’ etabliert. Er ist allerdings in den jüngeren pädagogischen Diskussionen nicht unbestritten: Gerade im Nachgang zur PISA-Debatte und der damit verbundenen Forderung nach ‚klar überprüfbaren Bildungsstandards’ birgt der Begriff mit Blick auf das gesprochene Hochdeutsch einiges Potential an Missverständnissen. So könnte er dem Irrtum Vorschub leiden, dass es für mündliche Sprache, gleich welcher Art, ähnlich klare formale Kriterien (Standards) für die Beurteilung gibt wie für die Schriftlichkeit. (Bachmann/ Ospelt 2004: 3) Seit Charles A. Ferguson (1959), der in einem grundlegenden Aufsatz die Dichotomie zwischen Dialekt und Hochsprache in Sprachgemeinschaften beschrieb, in denen der Gebrauch von Dialekt und Hochsprache 92 Der Dialekt wird in der Deutschschweiz von allen sozialen Gruppen verwendet und ist daher nicht sozial markiert. 93 Diese Begriffe werden in dieser Arbeit ohne Bedeutungsunterschied verwendet. <?page no="177"?> 177 nach strengen Regeln auf bestimmte Bereiche beschränkt ist, wird die Sprachsituation in der Deutschschweiz als Diglossiesituation angesehen. 94 Es werden zwei Formen der gleichen Sprache verwendet und jede Sprachform hat unterschiedliche Geltungsbereiche. Dabei sind die Sprachformen immer deutlich voneinander unterschieden, Misch- und Übergangsformen gibt es kaum. Deutschschweizern ist immer bewusst, welche Sprachform sie verwenden und ein allmähliches Hinübergleiten vom Dialekt in die Standardsprache (‚Dialekt-Standard-Kontinuum’) oder eine Strukturierung des Substandards wie in Deutschland (Lenz 2003) oder Österreich (Wiesinger 2001) gibt es nicht. Dabei kann nicht von einer High- und Low-Varietät mit entsprechend hohem oder niederem Prestige gesprochen werden, vielmehr ist die Verteilung der beiden Varietäten vom Medium abhängig: Gesprochen wird die Mundart, geschrieben die Standardsprache. Als Terminus dafür hat sich seit den 1980er Jahren der Begriff ‚mediale Diglossie’ etabliert (vgl. Sieber/ Sitta 1986: 20). In Grundzügen stimmt diese Zuordnung, aber im Detail ist auch diese Domänenverteilung zu differenzieren. Es stimmt: In den allermeisten Fällen wird in der Schweiz die Mundart gesprochen und fast immer wird die Standardsprache geschrieben. Aber auch die Standardsprache wird gesprochen und die Mundart wird auch, zwar selten, in öffentlichen Situationen geschrieben. Im Folgenden sollen Abweichungen vom Normalfall dokumentiert werden. Ausgangspunkt ist dabei immer, dass der Dialekt gesprochen und die Standardsprache geschrieben wird. 7.2.1. Geschriebene Mundart Außer in der Mundartliteratur tritt die Mundart als geschriebene Sprache öffentlich wenig in Erscheinung. Die Tageszeitungen erscheinen generell alle in der Standardsprache, wobei aber in Inseraten, Leserbriefen und Nekrologen, ja sogar in so formalen Textsorten wie Todesanzeigen gelegentlich die Mundart erscheint. Geschriebene Mundart findet - mit jeweils individueller Orthographie - vor allem Verwendung in der privaten Korrespondenz jüngerer Leute und in Tagebuchnotizen: Die meisten Mittelschülerinnen und Mittelschüler von heute schreiben Tagebücher, private Post, E-Mails und SMS auf Schweizerdeutsch; sie kommunizieren, wenn immer möglich, auf Schweizerdeutsch; Standarddeutsch, die Sprache, in der sie Lesen und Schreiben gelernt haben, bezeichnen viele als Fremdsprache. (Hornung 2002: 6) 94 Zur Kritik an Fergusons Definition im Hinblick auf die Situation in der deutschen Schweiz siehe Burger (1984: 215). <?page no="178"?> 178 Der Schreiber demonstriert mit dem Schreiben im Dialekt, dass etwas Persönliches, Emotionales, Unvermitteltes mitgeteilt wird, etwas, das nicht in eine normierte Sprachform passt. Gerade darin, dass für die Verschriftung der Mundart keine Norm besteht, ist ihr Vordringen in diesen persönlichen Bereich begründet. Die Verbreitung neuer elektronischer Kommunikationsformen verstärkt die Tendenz zu informeller Kommunikation. E-Mail (Günther/ Wyss 1996), SMS (Dürscheid 2002) und Chat (Siebenhaar 2003) haben einen bedeutend größeren Anteil geschriebener Mundart als der traditionelle Brief. Siebenhaar (2003) beziffert in seiner Untersuchung den mundartlichen Anteil in den regionalen Chaträumen der Deutschschweiz mit deutlich über 80% und begründet die Verwendung der Mundart im Chat folgendermassen: Die Mundartverwendung im Chat wird erklärt mit einer Tendenz, für den konzeptionellen Nähebereich auch in schriftlicher Kommunikation die Mundart zu verwenden. Zudem spricht die durchgehende Dialektkompetenz in der Deutschschweiz gekoppelt mit der Freiheit, ohne schulisch gedrillte Regeln schreiben zu dürfen, für eine vermehrte Verwendung der Mundart. (Siebenhaar 2003: 136) Die Tendenz, in informellen Bereichen in Mundart zu schreiben, hat zur Aussage geführt, dass die mediale Diglossie durch eine funktionale Diglossie ersetzt würde (Rash 2002). Aschwanden (2001) interpretiert diese vermehrte Verwendung der geschriebenen Mundart in neuen Medien als Auflösung der seit rund 20 Jahren für die Deutschschweiz postulierten medialen Diglossie: Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Begriff der medialen Diglossie zur Charakterisierung der aktuellen deutschschweizerischen Sprachsituation überhaupt noch zutreffend ist. Kann (…) überhaupt noch von einer klassischen Funktionsteilung zwischen den beiden Sprachformen ‚Standarddeutsch als Schriftsprache’ und ‚Mundart als mündlicher Umgangssprache’ gesprochen werden? Schon immer wurde im Bereich des mündlichen Sprachgebrauchs zwischen formellen und informellen Situationen unterschieden. Dies scheint nun aber auch im schriftlichen Bereich der Fall zu sein. Auch hier muss, in viel stärkerem Maß als früher, zwischen dem institutionellen und dem privaten, der Freizeit gewidmeten Bereich unterschieden werden. Ich meine darum, dass in der Deutschschweiz die Trennungslinie zwischen Standardsprache und Mundart nicht mehr im Medium begründet liegt, sondern in der Konzeption. Mundart als Sprache der Nähe und Standard als Sprache der Distanz, unabhängig vom Medium: Das scheint die neue Sprachsituation in der Schweiz zu sein, zumindest so, wie sie durch die aktuellen Sprachwandelprozesse tendenziell angelegt ist. (Aschwanden 2001: 57f.) <?page no="179"?> 179 Aschwandens Position muss insofern relativiert werden, als die von ihr beschriebene Neustrukturierung der Diglossie nur den Nähebereich betrifft, wo auch in der schriftlichen Kommunikation vermehrt die Mundart verwendet wird. Der Dialekt dagegen ist auch dann die unmarkierte Varietät in der mündlichen Kommunikation, wenn die äußeren Bedingungen dem Distanzbereich zuzuordnen sind. Ausnahmen bilden fast nur diejenigen Kommunikationssituationen, in denen die Standardsprache institutionell festgelegt ist. Mit der wachsenden Verwendung der Mundart in den Massenmedien (vgl. Fricker 1988) wurde die von der Standardsprache beeinflusste Mundart der Medien kritisiert. Um Mischformen zwischen Mundart und Hochsprache zu vermeiden, sind Medienschaffende vermehrt dazu übergegangen, ihre mundartlichen Statements auch schriftlich in der Mundart vorzubereiten und nicht aus der standardsprachlichen Vorlage beim Sprechen in die Mundart zu übertragen (vgl. Siebenhaar/ Wyler 1997: 12-14). 7.2.2. Gesprochene Standardsprache Deutschschweizer sprechen miteinander grundsätzlich immer schweizerdeutsch. Dabei verwenden alle ihren eigenen Dialekt, der oft sogar noch klar als Ortsmundart bestimmt werden kann. Im Gegensatz zu den umliegenden Sprachgebieten bilden die Mundarten in der deutschsprachigen Schweiz die Umgangssprache, die im mündlichen Gebrauch mit nur wenigen Einschränkungen immer verwendet werden kann. Eine soziale Stigmatisierung haftet keinem Dialekt an. Viele Deutschschweizer sprechen nicht gerne hochdeutsch. Wenn immer möglich wird Dialekt gesprochen. Mit Nicht-Mundartsprechern ziehen es viele (vor allem die jüngere Generation) sogar vor, französisch oder englisch zu sprechen. 95 Diese Abneigung gegenüber der Verwendung der Standardsprache ist bis in höchste Bildungsschichten zu finden (vgl. Siebenhaar 1996: 3f.). Laut Siebenhaar (2004: 77) ist die Beherrschung des Dialekts - zumindest passiv - zudem weitgehend Voraussetzung für die rechtliche und vor allem für die soziale Integration eines Ausländers in der Deutschschweiz. Für die ordentliche Einbürgerung von ausländischen, nicht in der Schweiz geborenen Personen ist beispielsweise in 95 In der Zeitschrift Facts Nr. 23 vom 5. Juni 2003 heisst es in einem Artikel über Deutsche in Schweizer Chefetagen: „Nichts aber geht Schweizern mehr gegen den Strich als die hochdeutsche Sprache. Suchen sie nach den richtigen Worten, macht der Deutsche für sie den Satz fertig. Da redet der Schweizer lieber Französisch oder Englisch“ (69). <?page no="180"?> 180 der Stadt Zürich „Schweizerdeutsch verstehen und angemessen Sprechen“ Bedingung. 96 Für die negative Einstellung gegenüber der gesprochenen Standardsprache werden im Wesentlichen zwei Gründe angeführt: Zum einen ist die Standardsprache die Sprache des leistungsorientierten schulischen Unterrichts, was wesentlich zur negativen Einstellung zum Hochdeutschen beiträgt (siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel 7.3.1). Als weiteren Grund nennen Schläpfer/ Gutzwiller/ Schmid (1991) die Tatsache, dass die Standardsprache für viele Schweizer auch die Sprache der Deutschen ist, denen laut ihrer Untersuchung im Allgemeinen nicht besonders viel Sympathie entgegengebracht wird. So wie die Deutschen wollen Schweizer nicht sprechen, sie können es auch nicht, und das hat Folgen für ihr Verhältnis zur Hochsprache: Die meisten Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer fühlen sich Deutschen gegenüber in mündlichen Kommunikationssituationen unterlegen. Kaum eine Fernsehdiskussion mit deutschen Gesprächsteilnehmern, kein Universitätsseminar mit deutschen Studierenden, in denen sich die Deutschschweizer nicht an die Wand geredet fühlen. Sie kommen sich sprachlich schwerfällig vor und vermissen an ihren eigenen Voten den Schliff und die rhetorische Brillanz, um die sie die Deutschen beneiden. (Siebenhaar/ Wyler 1997: 15f.) Der Grund für die tatsächliche (oder manchmal auch nur eingebildete) sprachliche Unterlegenheit der Schweizer in standardsprachlichen Diskussionen mit Deutschen liegt darin, dass auch gebildete Deutschschweizer über die Standardsprache vor allem in ihrer schriftlichen oder stark formalen mündlichen Form verfügen, als Umgangssprache beherrschen sie sie nicht, weil ja ihre Umgangssprache der Dialekt ist. Die paradoxe, aber häufig gehörte Formulierung „Schriftdeutsch sprechen“ zeigt, in welch hohem Maß die Standardsprache für die Deutschschweizer eine Sprache ist, die nur geschrieben wird. Trotzdem gibt es Situationen, in denen die Standardsprache gesprochen wird: Wenn Nicht-Mundartsprecher anwesend sind, bemühen sich die meisten Schweizer (aber lange nicht alle) um die Standardsprache. Es sind vor allem bestimmte Institutionen, die auch unter Deutschschweizern die Standardsprache verlangen: In der Politik zeigen sich in Kantons- und Gemeindeparlamenten beide Varietäten, im eidgenössischen Parlament müssen die Deutsch- 96 Für die erleichterte Einbürgerung Jugendlicher und die ordentliche Einbürgerung von ausländischen, in der Schweiz geborenen Personen ist in der Stadt Zürich demgegenüber lediglich Bedingung, „die deutsche Sprache verstehen und sprechen“ zu können. Siehe hierzu <http: / / www3.stzh.ch/ internet/ bra/ home.html> 20.04.2005. <?page no="181"?> 181 schweizer hochdeutsch sprechen, weil hier Mitglieder aus anderssprachigen Landesteilen vertreten sind (vgl. Siebenhaar/ Wyler 1997: 18f.). Die staatlichen Medien mit einem gesamtschweizerischen Sendegebiet auch über den deutschsprachigen Raum hinaus in die französisch-, italienisch- und rätoromanischsprachige Schweiz verwenden in den selbstproduzierten Sendungen zu je etwa 50% die Mundart und die Standardsprache (vgl. Siebenhaar 1996: 5). Die privaten Stationen haben einen weit höheren Mundartanteil. Nachrichtensendungen und offizielle Durchsagen, Sendungen mit einem stark referierenden Charakter sind gewöhnlich standardsprachlich, während Infotainment, Talk-Shows, Sendungen mit Einbezug des Publikums meist mundartlich gehalten sind (vgl. Ramseier 1988). Grundlage für die Regelungen der nationalen Radio- und Fernsehgesellschaft bezüglich der Aussprache in der Standardsprache ist heute die Standardlautung, wie sie auch von deutschen Aussprachewörterbüchern vertreten wird. Dabei sollen auffällige dialektale Besonderheiten vermieden werden, aber das Recht auf eine regionale Färbung der Standardsprache wird belassen. Darauf aufbauend verlangen die Deutschschweizer Medien unter anderem, dass das r nicht wie ein a klingen dürfe und die Endsilbe -ig wird wie in den Mundarten auch als -ig ausgesprochen. Diese Normierung wird innerhalb der elektronischen Massenmedien vertreten. Die Schule hat bezüglich der Aussprache keine detaillierten Regelungen aufgestellt, deshalb orientieren sich die Lehrkräfte meistens an den Deutschschweizer Medien. Deren Sprecher haben also weitgehend Vorbildcharakter für die Aussprache des Hochdeutschen in der Schweiz (vgl. Siebenhaar/ Wyler 1997: 17). Auf die Verwendung von Standardsprache und Mundart in der Schule wird weiter unten (von Kap. 7.3 an) eingegangen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass in der Schweiz die Standardsprache in allen schriftlichen Situationen angemessen ist. Für die private Korrespondenz (ob Brief, SMS, e-Mail oder Chat) und für ganz bestimmte Bereiche in der Öffentlichkeit (Inserate, Todesanzeigen, Nekrologe, Leserbriefe) kann auch die Mundart verwendet werden. Im Bereich der gesprochenen Sprache ist das Verhältnis komplizierter. Untereinander sprechen Deutschschweizer je ihren eigenen Dialekt, mit Nicht- Mundartsprechern sollten sie die Standardsprache verwenden. Wenn Deutschschweizer miteinander trotzdem die Standardvarietät sprechen, so sind es nicht inhaltliche Gründe, die sie dazu bringen, sondern institutionelle. <?page no="182"?> 182 7.3. Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz Die Forschung zum Standardspracherwerb in der deutschsprachigen Schweiz hat gezeigt, dass die Schule einen wesentlichen Teil zur negativen Einstellung der gesprochenen Standardsprache gegenüber beiträgt. Die Rolle der Schule beim Aufbau von Einstellungen zu Dialekt und Standardsprache wird in Kapitel 7.3.1 fokussiert. Die Kritik am vermehrten Mundartgebrauch in der Schule steht in Kapitel 7.3.2 im Zentrum, bevor ausführlich auf die Festlegung der Unterrichtssprache in Lehrplänen, Weisungen und Empfehlungen von verschiedenen Kantonen eingegangen wird (Kap. 7.3.3). 7.3.1. Einfluss der Schule auf die Varietätenpräferenz Die neuere Forschung zum Standardspracherwerb in der Deutschschweiz hat gezeigt, dass die Schule zur negativen Einstellung der gesprochenen Standardsprache gegenüber beiträgt und dass bei Schülern im Laufe ihrer Schulkarriere ein Wechsel der Einstellungen stattfindet: Während Kinder im Vorschulalter und Schulanfänger beim Spielen gerne und unbeschwert hochdeutsch sprechen, und zwar mit bundesdeutscher Lautung, die sie von deutschen Fernsehsendungen übernehmen, so ändert sich ihre bis dahin positive Einstellung während der ersten beiden Schuljahre (Häcki Buhofer/ Studer 1993). Böhme-Dürr (1994) hat festgestellt, dass Fernsehen und Video die von Vorschulkindern am meisten genutzten Medien sind. Sie vermutet, dass standardsprachliche Fernsehsendungen die Quelle für den Standardspracherwerb der ansonsten fast ausschließlich mit Mundarten konfrontierten Deutschschweizer Kinder sind. Hochdeutscherfahrungen sind also meist verbunden mit medialen Spracherfahrungen, während der Dialekt oder die Herkunftssprache das Register der alltäglichen Kommunikation bildet. Bei Kindern im Kindergartenalter ist das Sprachdifferenzbewusstsein für die Varietäten der deutschen Sprache vorhanden. Alle Varianten werden gut bis sehr gut unterschieden. Damit ist die kognitive Basis für die Entwicklung von Einstellungen gegeben (Häcki Buhofer 1998). In ihrer Untersuchung zur Entwicklung der affektiven Einstellungen zur Mundart und Standardsprache kommen Häcki Buhofer u.a. (1994) zum Schluss, dass im Kindergartenalter keine besondere Bevorzugung der Mundart oder der Standardsprache besteht. Der Unterschied zwischen der Standardsprache mit schweizerischer und norddeutscher <?page no="183"?> 183 Prägung wird von Vorschulkindern und Schulanfängern als klein wahrgenommen - dies im Gegensatz zu älteren Kindern und Erwachsenen. 97 Da Kinder im Vorschulalter zudem leichter zwischen dem mundartlichen und standardsprachlichen Register wechseln als Erwachsene, muss laut Hess-Lüttich (2000: 195) nach der Leistung der Institution Schule im Hinblick auf die Vermittlung kommunikativer Kompetenz und sprachlicher Flexibilität gefragt werden. Nach der Einschulung - nicht bereits beim Übertritt in die Schule - wird die Einstellung zur Mundart nämlich positiver, diejenige zur Standardsprache negativer. Eine Polarisierung der affektiven Einstellungen ergibt sich offenbar erst unter dem Einfluss des gesteuerten Kontaktes mit der Standardsprache in der Schule, wenn die Kinder die Diglossie-Situation zu erfassen beginnen: „Die Schwierigkeiten, die Schweizer Kinder mit dem Hochdeutschen haben, fangen erst in der Schule an“ (NZZ am Sonntag, 03.04.2005: 22). Der aktive Erwerb der gesprochenen Standardsprache wird beim Schuleintritt unterbrochen. Auch wenn die Lehrpersonen vermehrt bereits in der ersten Klasse hochdeutsch sprechen, wird dies von Schulanfängern oftmals nicht gefordert. Die Kinder lernen zuerst lesen und schreiben, das im Vorschulalter bereits bekannte und praktizierte freie Hochdeutschsprechen kommt erst später hinzu. So gehen typisch umgangssprachliche Phänomene wieder verloren; die Hochdeutschkompetenz und die affektive Einstellung zur Standardsprache verschlechtern sich. Sieber/ Sitta (1986: 100) stellen fest: „Nicht-negative Einstellungen lassen sich bei Schülern unterer Klassen weit häufiger finden als bei älteren Schülern“. Die Standardsprache wird dann aufgefasst als Schulsprache, als die Sprache, mittels der Lerninhalte vermittelt werden, in der Fehler gemacht werden, in der geprüft wird. Im Gegenzug erscheint der Dialekt als Sprache der Freizeit, der Gefühle, als nicht normierte Sprache. Eine positive Bewertung der Mundart und eine negative Haltung gegenüber der gesprochenen Standardsprache ist die fatale Folge und wird auch nach der Schulzeit kaum geändert (Sieber/ Sitta 1994). Am Ende der obligatorischen Schulzeit schätzen viele die Standardsprache als eine Art Fremdsprache ein. Dies zeigt eine entsprechende Umfrage im Rahmen der ‚Pädagogischen Rekrutenprüfungen’ vom Jahr 1985: „Unbelastet von linguistischen Diskussionen und Auseinander- 97 Voegeli (1988: 86) stellt in seinem Aufsatz, in dem er Mundart und Hochdeutsch vergleicht, fest: „Unterschiede zwischen Mundart und Hochdeutsch sind in den weitaus meisten Fällen durch Unterschiede im Laut- und Formensystem und nur selten in der Wortsubstanz bedingt. Beim Satzbau verwenden Mundartsprecher- Innen weitgehend dieselben Modelle wie Hochdeutsch Sprechende“. <?page no="184"?> 184 setzungen bezeichnen die Rekruten in großer Einmütigkeit allein den Dialekt als Muttersprache“ (Schläpfer/ Gutzwiller/ Schmid 1991: 210). Hochdeutsch ist aus linguistischer Sicht für die Deutschschweizer keine Fremdsprache - sie ist ihnen deshalb fremd, weil diese Sprachform zu wenig in zwischenmenschlichen Beziehungen erlebt wird. Im schulischen Kontext wird Hochdeutsch vor allem im darbietenden Frontalunterricht und selbstverständlich für alles Schriftliche verwendet. Wenn aber in beziehungsbetonten Situationen (Gruppenarbeiten, Besprechung einer Aufgabe, Konfliktsituationen in der Gruppe, Organisatorisches) und in gewissen Schulfächern (Sport, Werken, Musik) viel Dialekt gesprochen wird, erleben ihn die Kinder schnell einmal als gemütliche Variante einer sonst selektionswirksamen Schulsprache. Die Deutschschweizer Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass tendenziell gegenüber dem Dialekt als Medium der Mündlichkeit stark positive, gegenüber der mündlichen Standardsprache, sofern sie aktiv gebraucht werden sollte, distanzierte oder negative Einstellungen vorhanden sind. Standardsprache ist in der Deutschschweiz die selbstverständliche, allseits akzeptierte Lese- und Schreibsprache und die Einstellungen gegenüber der Standardsprache als Lese- und Schreibsprache sind positiv. Die negativen Einstellungen betreffen ausschließlich den eigenen aktiven Gebrauch in der Mündlichkeit. Sieber (1998a) stellt fest, dass sich während der Schulzeit - und eben nicht unabhängig von der Institution Schule - durch die spezifische Verwendung der beiden Sprachformen Einstellungen herausbilden, die mit ihrer deutlichen Besetzung des Dialekts als positiver, der Standardsprache als negativer Variante für den Aufbau von Standardsprachkompetenz in der Mündlichkeit wenig förderlich sind. Zudem wächst der Schule aus der außerschulischen Welt hinsichtlich ihres Auftrags, Standardsprache zu vermitteln, extrem wenig Unterstützung zu. Schmidlin (1999) begründet die negative Einstellung erwachsener Deutschschweizer zur eigenen Produktion der gesprochenen Standardsprache mit der funktionalen Verteilung der Varianten. Es gibt eine starke innerschulische Überlagerung von schulischem Hochdeutsch und der geschriebenen Form der Sprache. Diese Orientierung an der Schriftlichkeit führt dazu, dass die Standardsprache nicht als kolloquial-natürliche Sprachform wahrgenommen wird. Die Standardsprache wird in erster Linie als Normsprache aufgefasst, die sich an der Schriftlichkeit orientiert. Die Schule ist der Ort, in dem die Standardsprache am meisten gesprochen wird: In der Schule erfolgt der Erwerb der aktiven standardsprachlichen Kompetenz. Da die Texte für den Leseunterricht von der ersten Klasse an standardsprachig sind, wurde befürchtet, dass damit den Deutschschweizer Kindern ziemlich viel zugemutet wird, weil sie <?page no="185"?> 185 gleichzeitig lesen, schreiben und eine verhältnismäßig unbekannte Sprache lernen müssen. Diese Auffassung muss revidiert werden (Siebenhaar/ Wyler 1997: 21). Die Kinder werden heute vor Schuleintritt über die Massenmedien mit der Standardsprache konfrontiert, verstehen sie zu einem wesentlichen Teil und sprechen sie kurz nach Schuleintritt - wenn auch mit Fehlern - meist gerne. Die Verstehenskompetenz ist dank der Nutzung der Medien so gross, dass Standardsprache in der Schule von Anfang an verstanden wird. Die Verständnisschwierigkeiten sind kaum größer als bei der Verwendung des Dialekts, wie die Arbeit von Häcki Buhofer u.a. (1994: 147ff.; bes. 192) belegt. Diese Fähigkeit der Primarschüler wird für den Hochspracherwerb immer noch viel zu wenig genutzt, da die passive und insbesondere die aktive Standardkompetenz beim Schuleintritt unterschätzt werden. Das führt oft zu Frustrationen und hat einen wesentlichen Einfluss auf die Einstellung zur Standardsprache. Die Unterrichtssprache ist nur während der Unterrichtsstunde Hochdeutsch. Auf allen Schulstufen finden Besprechungen mit Schülern nach der Stunde, organisatorische Bemerkungen vor der Stunde und die Gespräche zwischen den Lehrkräften in der Pause selbstverständlich in der Mundart statt: Grundsätzlich ist der Dialekt die Sprache der Freizeit, die Standardsprache die Sprache der Arbeitszeit in der Schule. D.h. die Mundart bestimmt die Kommunikation in den Pausen, vor und am Beginn sowie am und nach dem Ende des Unterrichts und in informellen Situationen innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Das gilt für alle an der schulischen Kommunikation Beteiligten, d.h. für den Verkehr der Schüler und Schülerinnen miteinander, der Schüler mit den Lehrkräften und der Lehrkräfte miteinander; Dialekt ist eben die sich zwanglos einstellende Umgangssprache, während das Hochdeutsche für die eigentlichen Lektionen reserviert ist. (Sieber 1998a: 35) Lange galt in den Schulen der Deutschschweiz die einfache - offiziell allerdings nirgends festgeschriebene - Sprachregel, in den Unterrichtsbereichen Sprache und Mathematik sei hochdeutsch zu sprechen, während es im Sport sowie in musischen und handwerklichen Fächern durchaus angebracht sei, Mundart als Unterrichtssprache zu wählen. Durch diese fächerspezifische Zuordnung erfahren die Schüler die Standardsprache in einer sehr einseitigen Verwendung. Hochdeutsch wird zur Sprache der kognitiven Fächer, die mit Leistungsanforderungen und Selektionserfahrungen verbunden sind. Auf die Dauer lässt sich kaum vermeiden, dass die situativen Erfahrungen aus diesen Fächern sich auch auf die Sprachform übertragen, die mit ihnen verbunden ist (vgl. Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hochschule Zürich (Hrsg.) 2003: 8). <?page no="186"?> 186 Unten (Kap. 7.3.3) wird sich zeigen, dass die Verwendung von Mundart und Standardsprache im Unterricht stufenabhängig, fächerspezifisch, einstellungsbedingt und situationsbezogen ist. Die schulischen Situationen werden mit einem bestimmten Sprachformengebrauch gekoppelt. Durch die neuen handlungsorientierten (schülerzentrierten) Unterrichtsformen ist festzustellen, dass tendenziell mehr Mundart gesprochen wird als bei lehrerzentriertem Frontalunterricht. Die aktuelle pädagogische Ausrichtung der Schule, welche die Schüler mittels individualisierender Phasen im Unterricht zu selbständigem und kooperativem Lernen und Arbeiten führen will, führte seit den 1970er Jahren zu einem vermehrten Mundartgebrauch in der Schule. 7.3.2. Kritik an der „Mundartwelle“ Die „Mundartwelle“ an den Schulen rief in verschiedenen Kreisen immer wieder Bedenken hervor. Sieber/ Sitta (1986: 121) kritisieren, dass Aussagen über eine nachlassende Beherrschung der Standardsprache bei unseren Schülern normalerweise ohne weitere Differenzierung formuliert werden und stellen die Frage, ob es angesichts der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz der medialen Diglossie sinnvoll ist, von der Schule die Schaffung einer eigenen Sprachkultur - nämlich in der gesprochenen Standardsprache - zu verlangen. 1988 bis 1994 wurden in der Deutschschweiz die muttersprachlichen Fähigkeiten von Maturanden und Studienanfängern untersucht (Sieber 1994 / 1998b). Sieber hält fest: Hohe Sprachfähigkeiten sind heute nötiger denn je. Nun zeigen entsprechende Untersuchungen, dass es um die aktuellen Sprachfähigkeiten keineswegs so schlecht steht, wie die veröffentlichte Meinung uns glauben machen will. (...) Dass die Sprachfähigkeiten der jungen Menschen schlechter seien als jene der Erwachsenen, ist nicht erst in neuerer Zeit ein Topos. (Sieber 1998b: 1) Nach der Analyse von über 200 Schülertexten aus dem Deutschunterricht kommt Sieber zum Ergebnis: Wir glauben im schulischen Schreiben etwas beobachten zu können, das in der gesamten Sprachentwicklung unseres Jahrhunderts eine wichtige Tendenz darstellt: eine Angleichung von geschriebener und gesprochener Sprache, wobei die Tendenz deutlich hin zur gesprochenen Sprache läuft. Wir charakterisieren solche Tendenzen mit dem Terminus Parlando. (...) In der Übertragung auf geschriebene Texte bezeichnen wir mit Parlando eine bestimmte Art textueller Oberfläche, die sich sowohl in der Wortwahl und in der Syntax wie auch in der Textstruktur stark an einer fiktiven Redesituation zu orientieren scheint. (Sieber 1998b: 10f.) Die Diskussion über die Verwendung von Mundart und Standardsprache in der Schule ist nach der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 neu <?page no="187"?> 187 entflammt. PISA (‚Programme for International Student Assessment’) 98 ist eine Langzeitstudie der OECD (‚Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung’) zur internationalen Erfassung von Schulleistungen bei 15-jährigen Schülern mit Hilfe standardisierter Tests. Anhand von international genormten Leistungstests, die auf repräsentativen Stichproben basieren, produziert die Studie alle drei Jahre Indikatoren über die Kompetenzen der Schüler. Die Indikatoren werden anhand von Eigenschaften der Schüler, der Schulen und des Erziehungssystems analysiert. Die PISA-Studie wurde auch im Jahr 2003 durchgeführt (wobei der Schwerpunkt auf den Mathematikleistungen lag) und gelangte auch 2006 (mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften) wieder zur Durchführung. 99 Der Schwerpunkt des ersten Zyklus (PISA 2000) lag bei der Lesefähigkeit. Die Ergebnisse entsprachen den Erwartungen auf Grund der Ergebnisse aus anderen internationalen Studien wie der TIMSS 1999 (vgl. Kap. 4.1.1). In der PISA-Studie 2000 haben Schweizer Schüler im Lesen nur ein mittelmäßiges Ergebnis erzielt: Die Leistungen im Bereich „Lesen“ liegen im internationalen Vergleich auf einem mittleren Niveau. Die Leistungen weisen eine breite Streuung auf, das heisst: es bestehen grosse Leistungsunterschiede zwischen den Jugendlichen. 100 Auch in der PISA-Studie vom Jahr 2003 liegen die Schweizer Schüler mit ihrer durchschnittlichen Lesekompetenz - wie bereits in PISA 2000 - im Mittelfeld der OECD-Länder. Als Reaktion auf das mittelmäßige Abschneiden bei der Leseleistung wurde in zahlreichen Stellungnahmen und Kommentaren in der Schweizer Presse auf die besondere Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz eingegangen. 101 Hingewiesen wurde in einigen Kommentaren auf die Tatsache, dass die Unterrichtssprache in der deutschen Schweiz für viele Kinder, die zu Hause Mundart sprechen, schon eine Art Zweitsprache, ja sogar „die erste Fremdsprache“ darstelle. Dies gelte heute um so mehr, als in den letzten 98 Die Homepage der PISA-Studie lautet <http: / / www.pisa.oecd.org> 18.10.2007. Angaben zu den Ergebnissen der Schweiz finden sich unter <http: / / www.pisa. admin.ch> 18.10.2007. 99 Im Rahmen des Projekts wird ein zweiter Erhebungszyklus in den Jahren 2009, 2012 und 2015 durchgeführt. 100 Erklärung der EDK zu den Ergebnissen von „PISA 2000“ vom 7. März 2002. <http: / / www.edk.ch/ PDF_Downloads/ Empfehlungen/ Deutsch/ Erkl_Pisa_d.pdf> 18.10.2007. 101 Die Ausführungen beziehen sich auf: <http: / / pisa.oecd.org/ News/ PISA2000/ PISA Switzerland.pdf> 19.05.2003. Dort sind die Reaktionen auf die PISA-Studie in Schweizer Zeitungen zusammengefasst. Aus diesem Grund fehlen bei den Zeitungsverweisen die Seitenzahlen. <?page no="188"?> 188 Jahrzehnten die Mundart wesentlich gestärkt worden sei („Mundartwelle“) und die 15-jährigen von heute selbst ihre Liebesbriefe im Dialekt schreiben würden (Neue Luzerner Zeitung, 10.1.2002). Allerdings ist die Einschätzung dieses Punktes in der Deutschschweiz nicht einheitlich und es gibt auch Kommentatoren, die es als übertrieben bezeichnen, von Deutsch als einer „ersten Fremdsprache“ zu sprechen (Neue Luzerner Zeitung, 11.1.2002). Der Schriftsteller Hugo Loetscher spricht von „Zweisprachigkeit innerhalb der eigenen Sprache“ (Loetscher 1986: 28). Auch Sieber/ Sitta wehren sich dagegen, die Standardsprache als Fremdsprache zu bezeichnen: „Nur aber, wenn das Gerede, ‚Deutsch’ sei eine Fremdsprache, aufhört, hat die Schule eine Chance, ihren auf die Spracherziehung (und die schließt die Erziehung in der Standardsprache ja bekanntlich ein) gerichteten Bildungsauftrag zu erfüllen“ (Sieber/ Sitta 1986: 34). Häcki Buhofer/ Burger (1998) haben die Hochdeutschkompetenz von Erstklässlern untersucht. Sie stellen fest, dass es Bereiche der Phonologie und der Morphologie gibt, die bereits überwiegend beherrscht werden (z.B. Diphthongierung und Monophthongierung, die Bildung des Partizips Perfekt mit ‚ge-’). Es gibt nur wenige Bereiche, die von Schulanfängern noch kaum zielsprachlich korrekt realisiert werden, nämlich spezifische Bereiche der Wortstellung (z.B. die Wortstellung bei Modalverben) und Relativpronomen. Der damalige Zürcher Erziehungsdirektor Buschor 102 forderte, wie auch einige andere Kommentare, eine (erneute) Stärkung des Hochdeutschen in der Schule (Neue Luzerner Zeitung, 19.1.2002 / Neue Zürcher Zeitung, 19.1.2002). Mit dieser Frage beschäftigt sich auch ein eigener Artikel in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung, 19.12.2001). Eindeutig dialektkritisch äußern sich viele Kommentare der französischsprachigen Schweiz. Eine Stellungnahme meint lakonisch: „Le triomphe du Schwyzertütsch ne favorise sans doute guère la lecture de Goethe dans le texte“ (Dimanche, 9.12.2001). Eine andere Stimme formuliert: „Côté alémanique, il faudra bien pourtant commencer par se poser une question simple: le triomphe du dialecte ne produit-il pas une proportion insupportable d'adultes au bord de l'illettrisme? “ (Le Temps, 5.12.2001). Nach Bekanntgabe der ersten PISA-Ergebnisse im Dezember 2001 haben die kantonalen Erziehungsdirektoren vor Schnellschüssen in Form von nicht-fundierten Massnahmen gewarnt und eine vertiefte Analyse der Ergebnisse veranlasst. Nach Abschluss der Vertiefungsstudien haben die 26 kantonalen Erziehungsdirektoren an ihrer Plenarversammlung vom 12. Juni 2003 einen Aktionsplan mit PISA 2000-Folgemaßnahmen gutgeheißen. Mit dem Aktionsplan will die EDK die Sprachkompetenz und das Sprachverständnis fördern. Ein zentraler Punkt dabei 102 Ernst Buschor war von 1995 bis 2003 Bildungsdirektor des Kantons Zürich. <?page no="189"?> 189 ist die konsequente Anwendung der Standardsprache auf sämtlichen Schulstufen und in allen Fächern, um damit die Sprachkompetenz der Schüler zu verbessern. 103 Die Standardsprache soll vermehrt, früher und anspruchsvoller gebraucht werden. Bereits in der Vorschulstufe soll der Gebrauch der Standardsprache gezielt beginnen. Auch Oelkers 104 fordert für die richtige und stilsichere Beherrschung des Hochdeutschen einen aktiven und herausfordernden Gebrauch der Standardsprache während der gesamten Schulzeit. Hochdeutsch soll gesprochener und selbstverständlicher Schulalltag werden. Die Entwicklung dieser Selbstverständlichkeit dürfe aber nicht einzig dem Deutschunterricht überlassen werden: Ähnlich wie Lesen eine Gesamtaufgabe ist, so ist auch die deutsche Standardsprache eine Aufgabe für alle Fächer, die nicht delegiert werden kann und darf. Die Schule insgesamt muss sich engagieren, auch in dem Sinne, dass sie Regeln aufstellt und Verabredungen trifft, wie die Standardsprache als Unterrichtssprache genutzt werden soll. (Oelkers 2002: 4) Die Forderung von Oelkers zeigt, dass er die Regelungen bezüglich der Unterrichtssprache als ungenügend erachtet. Bei den schulischen Institutionen ist die Einsicht gewachsen, dass Einstellungsprobleme gegenüber den Varietäten Mundart und Standardsprache weit mehr Probleme der Lehrkräfte als Probleme der Schüler sind. Von der Institution her ist also das Problem erkannt worden. Deshalb wird heute in der Lehrerbildung vermehrt Gewicht gelegt auf eine Förderung des Sprachbewusstseins der Lehrkräfte, das von einer Kenntnis der spezifischen Diglossie-Situation der Deutschschweiz auszugehen hat. Die Thematisierung von Fragen zum Spracherwerb und zum Aufbau von Einstellungen in der Diglossie-Situation - nicht zuletzt auch die Ergebnisse der ersten PISA-Studie - hat dazu geführt, dass in der jüngsten Generation von Lehrplänen der Sprachformwahl mehr Gewicht beigemessen wird. Die Entscheidungen bezüglich der Sprachformwahl in Lehrplänen, Weisungen und Empfehlungen verschiedener Kantonen und für verschiedene Schulstufen stehen deshalb als nächstes im Zentrum. 103 Die Pressemitteilung der EDK zu den PISA 2000-Folgemaßnahmen findet sich auf der Homepage der EDK unter <http: / / www.edk.ch/ Aktuell_d_f_e/ mainAktuell_ d.html> 18.10.2007. Der ausführliche Aktionsplan mit „PISA 2000“-Folgemaßnahmen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) kann unter <http: / / www.edk.ch/ PDF_Downloads/ Monitoring/ AktPlanPISA2000 _d.pdf> 18.10.2007 eingesehen werden. 104 Jürgen Oelkers ist seit 1999 Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich und Mitglied des Bildungsrats des Kantons Zürich. <?page no="190"?> 190 7.3.3. Lehrpläne, Weisungen, Empfehlungen Wer von den folgenden Ausführungen ein exakt zutreffendes Bild über das Verhältnis von Mundart und Standardsprache in Deutschschweizer Schulen erwartet, wird enttäuscht werden, da es diesbezüglich keine einheitliche Situation an den Schulen gibt. Erstens sind die behördlichen Regelungen hinsichtlich der Verteilung von Mundart und Standardsprache im Unterricht je nach Kanton verschieden, auf der Gymnasialstufe unterscheidet sich die Sprachregelung gar von Schule zu Schule. Zweitens präsentiert sich die Wirklichkeit in Bezug auf die Verteilung der Varietäten nochmals anders. Die Einflussfaktoren sind so vielfältig und die konkreten Situationen derart stark von spezifischen Bedingungen geprägt, dass alle Aussagen nur den Status von Tendenzangaben und Zielen beanspruchen können. Die Unterrichtssprache wird durch Lehrpläne, Weisungen und Empfehlungen festgelegt. Insbesondere die Erziehungsbehörden (auch Bildungsbehörden genannt) beeinflussen die Sprachformwahl. Entsprechend der föderalistischen Organisation der Schweiz erfolgen die Verlautbarungen normalerweise auf kantonaler Ebene. Die Regelung der Unterrichtssprache wird exemplarisch an den Deutschschweizer Kantonen Aargau, Basel, Schwyz, St. Gallen, Uri, Zug und Zürich aufgezeigt. 105 Interkantonale Vereinbarungen bezüglich der Unterrichtssprache bilden die Ausnahme. Als Beispiel dafür sei die Kommission Deutsch der ‚Innerschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz’ (IEDK, heute BKZ) 106 genannt, die Lehrpläne für das Fach Deutsch in der Primar-, Sekundar- und Realschule erarbeitet hat (siehe Kap. 7.3.3.2). Sieber/ Sitta (1986) stellten fest, dass in älteren Lehrerplänen undifferenziert von ‚Sprache’ oder ‚Muttersprache’ die Rede ist, was bewirkte, dass den Lehrplänen präzisierende Weisungen nachgeschickt wurden. Gestützt auf das Schulkonkordat 107 kann die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren zuhanden der Kantone 105 Es wurde darauf geachtet, dass diejenigen drei Kantone vertreten sind, aus denen die vier dieser Arbeit zugrunde liegenden Videoaufnahmen stammen. 106 Die IEDK ist seit 1965 eine der vier Regionalkonferenzen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Sie nennt sich seit März 2000 ‚Bildungsdirektoren-Konferenz Zentralschweiz’ (BKZ). Sie fördert die Zusammenarbeit der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug und Wallis im Bildungswesen. 107 Das Konkordat über die Schulkoordination vom 29.10.1970 bezweckt, dass die Konkordatskantone eine interkantonale öffentlich-rechtliche Einrichtung zur Förderung des Schulwesens und zur Harmonisierung des entsprechenden kantonalen Rechts bilden. <?page no="191"?> 191 formelle Empfehlungen erlassen. Solche Empfehlungen setzen eine intensive fachliche und politische Diskussion und Konsensarbeit voraus. Empfehlungen schaffen keine auf dem Rechtsweg durchsetzbaren Verpflichtungen. Als Koordinationsinstrument stecken sie aber gemeinsame Ziele ab und stellen den Kantonen gemeinsam erarbeitete Resultate zur Verfügung. Die Konkordatsmitglieder sind gehalten, die Empfehlungen zur Kenntnis zu nehmen und ihre Umsetzung zu prüfen. Empfehlungen sind also nicht-bindende Beschlüsse. Als Produkte einer mehrjährigen Konsensarbeit, an der sich alle Kantone beteiligen, haben sie aber einen nachweislich hohen Harmonisierungseffekt. Die EDK hat am 15. Juni 1984 folgende ‚Empfehlungen zum Verhältnis Hochsprache und Mundart im Schulunterricht’ herausgegeben: Die Konferenz der Erziehungsdirektoren der deutsch- und mehrsprachigen Kantone stellt fest, dass seit einiger Zeit die Hochsprache im Unterricht der Volks- und Mittelschule vernachlässigt wird, und dass entgegen den Vorschriften weitgehend in Mundart unterrichtet wird. Die Konferenz erlässt zuhanden der Kantone folgende Empfehlungen: 1) Unterrichtssprache an den Volks- und Mittelschulen ist grundsätzlich die deutsche Hochsprache. Dies gilt nicht nur für die sprachlichen Fächer. Von diesem Grundsatz ausgenommen ist der Unterricht an den unteren Primarklassen, der soweit erforderlich in Mundart erteilt werden kann. Im Rahmen bestimmter Unterrichtsformen kann die Mundart auf allen Stufen verwendet werden. 2) Hochsprache und Mundart sind Sprachformen, die beide eine kulturelle Aufgabe erfüllen. Die Schüler sollen sich in beiden Sprachformen angemessen ausdrücken können. Im Sprachunterricht soll daher auch die Pflege der Mundart ihren angemessenen Platz finden. 3) Bei der Ausbildung der Lehrer ist der Beherrschung der deutschen Hochsprache in Wort und Schrift sowie der Fähigkeit, Sprache zu vermitteln, vermehrt Beachtung zu schenken. 108 Eine Auflistung weiterer Empfehlungen, Weisungen und Richtlinien bis Mitte der 1980er Jahre findet sich in Sieber/ Sitta (1986: 43), weswegen nur auf die Sprachregelungen seit 1986 eingegangen wird. 108 Alle Empfehlungen der EDK sind unter <http: / / edk.ch/ d/ EDK/ empfehlungen/ default.html> 26.04.2005 publiziert. <?page no="192"?> 192 7.3.3.1. Kindergarten Die ‚Bildungsplanung Zentralschweiz’ (BPZ) 109 setzt sich für den Gebrauch der Standardsprache bereits im Kindergarten ein, wobei die Lehrperson als Sprachvorbild dienen soll (Stirnemann 2001: 14). Im Gegensatz zu den Lehrplänen der Volksschule finden sich in den Lehrplänen des Kindergartens in vielen Kantonen keine Auflagen bezüglich der Unterrichtssprache. Erst in letzter Zeit werden von einzelnen deutschsprachigen Kantonen Ergänzungen zum Lehrplan Kindergarten bezüglich der Verwendung der Standardsprache herausgegeben. Weisungen der Erziehungsräte der Kantone Zug (2002: 7) und Schwyz (2003: 76) besagen, dass im Kindergarten die Standardsprache in wiederkehrenden Situationen zu verwenden ist. Auch der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (2002: 6) spricht sich dafür aus, dass im Kindergarten phasenweise die Standardsprache verwendet wird. 7.3.3.2. Volksschule Laut des Lehrplans für die Volksschule des Kantons Aargau soll der Deutschunterricht die Ausdrucksfähigkeit in Mundart und Standardsprache fördern. Die Standardsprache soll vom 1. Schuljahr an gepflegt werden (Musterbildung), etwa durch Vorlesen. In der 1. und 2. Klasse sollen die Schüler mit Gesprächsformen in Mundart und Standardsprache vertraut werden. Vom 3. Schuljahr an ist die Standardsprache in der Regel die Unterrichtssprache. Die Schüler sollen in der 3.-5. Klasse verschiedene Gesprächsformen in Mundart und Standardsprache anwenden. 110 Der Erziehungsrat des Kantons Basel-Landschaft erließ 1986 folgende Weisungen für den Gebrauch von Mundart und Schriftsprache an den Volksschulen: Mundart und Standardsprache werden in der Primarschule so gepflegt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in beiden Sprachen mit Mut und Freude ausdrücken und verständigen können. Weil im außerschulischen Bereich der Mundartgebrauch selbstverständlich ist, muss die Standardsprache kompensatorisch als Unterrichtssprache möglichst frühzeitig eingesetzt werden. 109 Die Bildungsplanung Zentralschweiz (BPZ) ist seit 1974 die pädagogische Stabsstelle der Bildungsdirektoren-Konferenz Zentralschweiz (BKZ) (vormals IEDK). 110 <http: / / www.ag.ch/ shared/ data/ pdf/ lehrplan/ deutsch.pdf> 21.05.2005. <?page no="193"?> 193 Die Standardsprache ist schon in der ersten Primarklasse zu verwenden. Die Unterrichtenden sind gehalten, das Hörverstehen ihrer Schulkinder zu fördern, indem sie selbst die Standardsprache sprechen. Sprache ist Denken. Sie soll durch Form, Anwendung und Inhalt beide Geschlechter ansprechen. Die Kompetenz in der Standardsprache soll organisch wachsen können. Es ist zu verhindern, dass das Bestehen auf der korrekten Form das lebendige Sprechen und Schreiben hemmt. Im Verlaufe der Unterstufe gewinnt die Standardsprache immer mehr an Raum, sowohl beim Verstehen als auch beim Sprechen und Schreiben. Die Standardsprache gilt von der dritten Primarklasse an als Unterrichtssprache. 111 Der Gebrauch der Mundart kann hin und wieder gerechtfertigt sein, zum Beispiel in privaten Gesprächen, bei Lehrausgängen, in den musischhandwerklichen Fächern sowie im Turnen. Das unkonrollierte [sic! ] Wechseln von einer Sprache zur andern ist zu vermeiden. Auch in schwierigen Ausdruckssituationen kann Mundart gesprochen werden. 112 In den Erläuterungen zu den Weisungen des Erziehungsrates für den Gebrauch von Mundart und Schriftsprache an den Volksschulen vom 28. Mai 1986 wird festgestellt, dass der frontale Unterricht den Gebrauch der Standardsprache als Unterrichtssprache begünstigt, der mehr schülerzentrierte, erarbeitende Unterricht mit Partner- und Gruppenarbeiten dagegen die Mundart. Auch mit diesen neuen Unterrichtsformen muss die Schule fähig sein, den Deutschschweizern die Schriftsprache vertraut 111 Am 20.11.2002 hat der Erziehungsrat des Kantons Baselland beschloßen, im Lehrplan Primarschule die Bestimmung „Die Standardsprache gilt von der dritten Primarklasse an als Unterrichtssprache.“ zu streichen. Die neue Formulierung lautet: „Ab Beginn der ersten Primarklasse gebraucht die Lehrperson in der Regel die deutsche Standardsprache als Unterrichtssprache und schafft systematisch Unterrichtssituationen, welche zum aktiven Gebrauch der deutschen Standardsprache motivieren. Die zweite Primarklasse dient der Übung und Festigung des aktiven Gebrauchs der deutschen Standardsprache und hat deren Automatisierung zum Ziel. Mit dem Beginn der dritten Primarklasse hat die Automatisierung der deutschen Standardsprache als Unterrichtssprache stattgefunden.“ <http: / / www.baselland.ch/ docs/ ekd/ inspekt/ akt/ lesen_slp.pdf> 18.10.2007. 112 Weisungen des Erziehungsrates für den Gebrauch von Mundart und Schriftsprache an den Volksschulen vom 28. Mai 1986. <http: / / www.baselland.ch/ docs/ ekd/ schulen/ lehrpl_primar/ lpl-prim2a.htm#Unterrichtssprache> 18.10.2007. <?page no="194"?> 194 zu machen. In diesen Erläuterungen wird auch auf die Aussprache der Standardsprache eingegangen: Mit „Schriftsprache“ darf nicht gemeint sein, dass man so sprechen muss, wie man schreibt. (...) Mit der geforderten gesprochenen Schriftsprache (wissenschaftlich: Standardsprache) ist die im ganzen deutschen Sprachraum verständliche Laut- und Wortbildung gemeint, wobei regionale Einfärbungen toleriert werden. 113 Die Fachstelle Evaluation des Amtes für Volksschulen prüfte in den Liestaler Kindergärten und Primarschulen, wie konsequent im Unterricht hochdeutsch gesprochen wird. Gemäss einer Weisung des Erziehungsrates des Kantons Baselland aus dem Jahr 2002 ist die deutsche Standardsprache im Unterricht durchgehend zu verwenden, im Kindergarten wenigstens teilweise. Der großen Mehrheit der Lehrpersonen wird eine gute bis sehr gute Sprachkompetenz attestiert. Die Evaluation hat gezeigt, dass Lehrpersonen die Standardsprache oft dann nicht verwenden, wenn sie sich nicht an die Klasse als Ganzes wenden, sondern mit einzelnen Schülern im Gespräch sind oder wenn Gruppenarbeiten im Gang sind. Vor allem, wenn es um emotionale Inhalte geht, wird häufig auf die Mundart zurückgegriffen. Das Evaluationsteam weist in seinen Schlussfolgerungen darauf hin, dass Lehrkräfte auch in diesen speziellen Situationen möglichst nicht von der Standardsprache abweichen sollten, da sie sonst ihr Sprachpotenzial und die damit verbundene Vorbildwirkung zu wenig ausschöpfen würden. Der Erziehungsrat des Kantons St. Gallen hat 1996 bezüglich der Verwendung der Standardsprache auf den einzelnen Stufen folgende Weisungen erlassen: Kindergarten Die Unterrichtssprache im Kindergarten ist die Mundart. Unterstufe Zu Beginn wird in der Regel die Mundart als Unterrichtssprache verwendet. Schon früh soll aber die Begegnung mit der Hochsprache in allen Fachbereichen beginnen. Sie solle vorerst verstanden, dann zunehmend auch gesprochen und geschrieben werden. Mittelstufe Spätestens mit der vierten Klasse wird die Hochsprache grundsätzlich zur Unterrichtssprache. Sie soll den Schülerinnen und Schülern durch die regelmäßige Verwendung in verschiedensten Situationen und Fächern zur Gewohnheit werden. 113 Erläuterungen zu den Weisungen des Erziehungsrates für den Gebrauch von Mundart und Schriftsprache an den Volksschulen vom 28. Mai 1986. <http: / / www. baselland.ch/ docs/ ekd/ inspekt/ hb/ pflege/ 07/ 07_06.htm> 22.05.2003. <?page no="195"?> 195 Oberstufe Durch regelmäßige Verwendung der Hochsprache soll die Sprechkompetenz der Schülerinnen und Schüler gefestigt und erweitert werden. Die Hochsprache gilt in allen Fachbereichen als Unterrichtssprache. 114 Basierend auf den Resultaten der PISA-Studie und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse hat der Erziehungsrat des Kantons Schwyz am 15. April 2003 eine Präzisierung und Neuregelung der Verwendung der Standardsprache für die Volksschulen erlassen. 115 Ab Schuljahr 2003/ 2004 sind die Lehrpersonen der Volksschule verpflichtet, ab der 1. Primarklasse konsequent Standardsprache zu sprechen: Die Standardsprache gilt von der 1. Primarklasse an als Unterrichtssprache. Ausnahmen sind nur in den Fächern Textiles und Technisches Gestalten, Hauswirtschaft und Sport möglich. Einführungen und Anweisungen, welche die ganze Klasse betreffen, sollen jedoch auch in diesen Fachbereichen in Standardsprache erfolgen. Auch im Kindergarten soll die Standardsprache in wiederkehrenden Sequenzen in der „geführten Tätigkeit“ verwendet werden. Die Standardsprache soll in der Volksschule so gepflegt werden, dass sich die Schülerinnen und Schüler mit Mut und Freude ausdrücken und verständigen können. Weil im außerschulischen Bereich der Mundartgebrauch selbstverständlich ist, muss die Standardsprache kompensatorisch als Unterrichtssprache möglichst konsequent gesprochen werden. Die Kompetenz in der Standardsprache soll organisch wachsen können. Es ist zu verhindern, dass das dauernde Bestehen auf der korrekten Form das lebendige Sprechen hemmt. (Erziehungsrat des Kantons Schwyz 2003: 76) Der Erziehungsrat des Kantons Uri hat am 07.05.2003 folgende Weisungen zur Verwendung der Standardsprache im Unterricht beschlossen: 1) Die Lehrpersonen wirken als Sprachvorbild. Deshalb haben sie beim Sprechen und Schreiben ab der 1. Primarklasse auf allen Schulstufen die Standardsprache zu verwenden. 2) Schülerinnen und Schüler haben im Unterricht die Standardsprache zu verwenden, und zwar auf allen Schulstufen. 114 Erziehungsrat des Kantons St. Gallen: ‚Weisungen zur Unterrichtssprache in Kindergarten und Volksschule, St. Gallen, 20. Nov. 1996: <http: / / www.lehrmittelverlag .ch/ Downloads/ dateien/ 3_Unterrichtsgestaltung.pdf> 18.10.2007. 115 Das „Merkblatt zur Standardsprache im Unterricht“ des Schwyzer Erziehungsrates vom 15. April 2003 im vollen Wortlaut: <http: / / www.sz.ch/ volksschulen/ rv_bv_ medien_standardsprache.html> 31.05.2005. <?page no="196"?> 196 3) Auch im Kindergarten ist die Standardsprache in wiederkehrenden Situationen zu verwenden. 4) Die Standardsprache muss in allen Fächern und in allen Unterrichtsformen verwendet werden. 5) Die Mundart kann im Einzelfall als Unterrichtssprache gerechtfertigt sein. 116 Der Erziehungsrat des Kantons Zug hat am 4. März 2002 in Zusammenarbeit mit der Deutschkommission und den Inspektoren Weisungen zur Verbesserung der sprachlichen Kompetenzen beschlossen. Ziel ist es, vermehrt die Fähigkeit der Schüler zu fördern, die Standardsprache zu verstehen und vor allem zu sprechen: Die Lehrpersonen wirken als Sprachvorbild. Deshalb haben sie beim Sprechen und Schreiben ab der ersten Primarklasse auf allen Stufen die Standardsprache zu verwenden. Schülerinnen und Schüler haben im Unterricht die Standardsprache zu brauchen, und zwar auf allen Schulstufen. Auch im Kindergarten ist die Standardsprache in wiederkehrenden Situationen zu verwenden. Die Standardsprache muss in allen Fächern verwendet werden. (Erziehungsrat des Kantons Zug 2002: 7) Der Zuger Erziehungsrat legte zudem das Inspektionsschwergewicht auf die Überprüfung der Umsetzung dieser Weisungen zum konsequenten Gebrauch der Standardsprache im Unterricht. Erste Analysen der Inspektionen zeigen, „dass diese Weisungen positive Impulse in den Unterricht gebracht haben und bezüglich der Sicherheit in der Standardsprache grosse Fortschritte zu verzeichnen sind“. 117 Am 7. Februar 2005 genehmigte der Bildungsrat des Kantons Zürich einen im Fachbereich Deutsch überarbeiteten Lehrplan, der zur konsequenten Verwendung der Standardsprache in allen Fächern und Klassen der Volksschule verpflichtet: „§ 24. Unterrichtssprache ist in der Kindergartenstufe teilweise, in der Primar- und Sekundarstufe grundsätzlich 116 Die Weisungen des Erziehungsrates des Kantons Uri sowie der Kommentar sind unter <http: / / www.ur.ch/ dateimanager/ weisungen_unterrichtssprache.pdf> 18.10. 2007 einsehbar. 117 Erziehungsrat des Kantons Zug: Auszug aus dem Protokoll (Sitzung vom 23.09. 2004): <http: / / www.zrk.ch/ bildung/ aktuell/ zg-stundentafel-ps.pdf> 18.10.2007. <?page no="197"?> 197 die Standardsprache.“ 118 Über die Gesetzesvorlage zum neuen Zürcher Volksschulgesetz wurde am 5. Juni 2005 abgestimmt. Das Zürcher Stimmvolk hat das neue Volksschulgesetz mit 70,4% Ja-Stimmen angenommen. Die Kommission Deutsch der Innerschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (IEDK) hat Lehrpläne für das Fach Deutsch in der Primar-, Sekundar- und Realschule erarbeitet. 119 Alle drei Lehrpläne beinhalten bezüglich der Standardsprache/ Mundart die gleichen Leitideen: - Die Standardsprache ist im Unterricht möglichst vielfältig einzusetzen. - Die Standardsprache ist nicht als Fremdsprache aufzufassen. - Der Schüler soll erfahren, dass die Standardsprache wie die Mundart eine natürliche Umgangssprache sein kann. - Auch die Mundart muss zu ihrem Recht kommen, damit das Verständnis für die Vielfalt der schweizerischen Dialektlandschaft und für die Charakteristika der einzelnen Mundarten in Vokabular und Tonfall geweckt wird. Als Grobziele für den mündlichen Gebrauch der Standardsprache in der Primarschule gelten im - 1. und 2. Schuljahr: Sich zunehmend in der Standardsprache ausdrücken - 3. und 4. Schuljahr: Erlebnisse, Beobachtungen, Erfahrungen und Sachverhalte in der Standardsprache mitteilen - 5. und 6. Schuljahr: Sich in allen Bereichen in der Standardsprache ausdrücken. Die IEDK erachtet es als wichtige Aufgabe der Schule, die Verwendung der gesprochenen Standardsprache nicht auf die sachlichen, förmlichen und autoritären Bereiche einzuschränken, sondern den Schüler erfahren zu lassen, dass man sich auch in der Standardsprache gefühlvoll und ungezwungen äußern kann. Grobziele für den mündlichen Gebrauch der Standardsprache und für die Mundart sind in der Real- und Sekundarschule: 118 Das Volksschulgesetz des Kantons Zürich auf der Homepage des Volksschulamts: http: / / www.vsa.zh.ch/ file_uploads/ bibliothek_besys/ k_453_GesetzeVerordnunge nR/ k_454_NeuesVSG/ 2128_0_Volksschulgesetz_7_2_05.pdf 31.05.2005. 119 Der Lehrplan Deutsch wurde 1988 erstellt, 1998 überarbeitet und ist auf dem Zentralschweizerischen Bildungsserver publiziert: <http: / / www.zebis.ch/ inhalte/ bildungsregion/ lehrplaene/ lp_deutsch_primar.pdf> 18.10.2007. <?page no="198"?> 198 - Gepflegter Ausdruck in Mundart und Standardsprache: Sich in Standardsprache und Mundart deutlich und fließend ausdrücken, die Standardsprache gepflegt aussprechen. - Besonderheiten der eigenen Mundart: Sich interessieren für die eigene Mundart, ihre Besonderheiten in Wortschatz und Klang. 120 Auf interkantonaler Ebene setzt sich auch die Bildungsplanung Zentralschweiz (BPZ) für die Förderung der muttersprachlichen Kompetenzen ein: Die Standardsprache soll in allen Fächern gebraucht werden. Auch im Musik-, Werk- oder Sportunterricht können wir die Sprachkompetenzen erweitern. Genau wie die Mundart kann Hochdeutsch auch als Umgangssprache dienen. Lernstrategien, die beim Lernen der Standardsprache erworben werden, erlauben ein deutlich besseres Lernen der Fremdsprachen; denn die Kompetenz, die in den Fremdsprachen erreicht werden kann, hängt wesentlich von der Kompetenz in der Standardsprache ab. Deshalb sollte ab der ersten Primarklasse, ja bereits ab dem Kindergarten, die Standardsprache auf allen Stufen gebraucht werden, und zwar von der Lehrperson als Sprachvorbild; aber auch die Schülerinnen und Schüler müssen genügend Gelegenheiten erhalten, sich auf Hochdeutsch auszudrücken. Gerade die ständige Übung in verschiedenen Unterrichtssituationen kann die Ausdruckfähigkeit fördern. Auch für die sprachliche Entwicklung von Kindern aus fremden Sprachregionen ist die konsequente Verwendung der Standardsprache unerlässlich. (Stirnemann 2001: 14) In einem Positionspapier zur Sprachpolitik in der Volksschule fordert der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) die konsequente Förderung der Standardsprache: Die Beherrschung der Standardsprache ist für den Schulerfolg zentral und muss prioritär behandelt werden. Die Erfahrungen der Lehrpersonen und verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen [z.B. Sieber/ Sitta (1986) und Burger/ Häcki Buhofer (1994), A.S] haben gezeigt, dass die Standardsprache problemlos ab der ersten Klasse als Unterrichtssprache verwendet werden kann. Dadurch wird die Lernzeit für die Kinder verlängert, eine positive Einstellung zum Hochdeutschen kann erhalten bzw. aufgebaut werden und für fremdsprachige Kinder ergeben sich bessere Voraussetzungen. (Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband 2002: 6) 121 120 Die Lehrpläne der Real- und Sekundarschule wurden 1986 von der Deutschkommission der IEDK erstellt, 1997 teilweise überarbeitet und sind 2002 in zweiter Auflage erschienen. Sie sind auf dem Zentralschweizerischen Bildungsserver (ZEBIS) publiziert. Realschule: <http: / / www.zebis.ch/ inhalte/ bildungsregion/ lehrplaene/ lp_deutsch_real02.pdf> 18.10.2007. Sekundarschule: <http: / / www. zebis.ch/ inhalte/ bildungsregion/ lehrplaene/ lp_deutsch_sek02.pdf> 18.10.2007. 121 Das gesamte ZLV-Positionspapier ist unter <http: / / www.zlv.ch/ download/ sprachenpolitik.pdf> 18.10.2007 einsehbar. <?page no="199"?> 199 7.3.3.3. Berufsschule Baumann 122 (2002: 7) stellt bezüglich der Sprechweise im Berufsschulunterricht fest: Im von Multikulturalität geprägten Berufsschulunterricht ist beobachtbar, dass weder auf der Seite der Lehrkräfte noch auf derjenigen der Auszubildenden in der Regel eine grosse Begeisterung gegenüber der Standardsprache als Schulsprache festzustellen ist. Das Verhältnis ist uneindeutig, undefiniert, ambivalent - häufig handelt sich es sich um eine Art Hassliebe. Rahmenlehrplan und Schullehrplan verpflichten zwar zum Gebrauch der Standardsprache, aber die Realität im Unterricht sieht anders aus. Da die Berufsschule auf dem Lebensweg der Jugendlichen „eine der letzten Oasen ist“, wo der hochdeutsche Sprachgebrauch trainiert werden kann, fordert Baumann die Berufskundelehrkräfte auf, im Unterricht konsequent Standardsprache zu sprechen. Der damalige Zürcher Bildungsdirektor Ernst Buschor (2003: 18) stellte bei seinen Unterrichtsbesuchen in Berufs- und Mittelschulen im Kanton Zürich fest: „Problematisch ist, dass zu viel Dialekt gesprochen wird, an Berufsschulen noch mehr als an Mittelschulen.“ 7.3.3.4. Gymnasium In den Mittelschulen gibt es keine allgemein gültigen schriftlichen Festlegungen für den Gebrauch von Dialekt und Standardsprache. 123 Verbindlich für alle Schulen ist der jeweilige Lehrplan. Im Lehrplan für das Fach Deutsch an der Kantonalen Mittelschule Uri beziehen sich folgende Ziele auf das Verhältnis Mundart / Standardsprache: Sich interessieren für die Besonderheiten der Mundart, sich in Standardsprache und Mundart deutlich und fließend ausdrücken und die Standardsprache gepflegt aussprechen. 124 Der Lehrplan der aargauischen Maturitätsschulen gibt diesbezüglich als Richtziel im Grundlagenfach Deutsch lediglich die Fertigkeit „Sich in gepflegter Standardsprache verständigen“ an. 125 Im Lehrplan der Gymnasien des Kantons St. Gallen wird die Bedeutung des Faches Deutsch so umschrieben: „Der Deutschunterricht befä- 122 Cornelia Baumann war 2004-2006 Bereichsdidaktikerin „Sprache und Kommunikation“ am Institut für Lehrerbildung und Berufspädagogik (ILeB) des Kantons Zürich. 123 Dies bestätigte auf Anfrage Dr. Hansueli Herrmann von der Bildungsdirektion „Mittelschulen und Berufsschulen“ (MBA) des Kantons Zürich. 124 Der gesamte Lehrplan für das Fach Deutsch ist unter <http: / / www.k6-uri.ch/ fachscha/ lehrplan/ lp_deu.pdf> 05.05.2005 einsehbar. 125 <http: / / www.ag.ch/ departemente/ bks/ documents/ Faecher_new.pdf> 18.06.2003. <?page no="200"?> 200 higt Schülerinnen und Schüler, Sprache korrekt zu gebrauchen und situationsgerecht anzuwenden.“ 126 Der Lehrplan Deutsch der Kantonsschule Zug vom Jahr 1997 sieht folgende Punkte vor: Verschiedene Sprachvarietäten (z.B. Standardsprache und Mundart) situationsgerecht einsetzen, die wichtigsten Ausspracheregeln der Standardsprache kennen und anwenden sowie deren Bedeutung für die Sprechwirkung erkennen. Zudem Dialekt und Standardsprache in ihrer Situationsadäquatheit einschätzen. 127 Im Lehrplan des Sprachunterrichts der Gymnasien im Kanton Basel- Landschaft vom 12. April 2000 heisst es: Der spezifische Charakter des Deutschunterrichts in Mittelschulen der Deutschschweiz ist (...) bestimmt durch die Spannung zwischen Mundart und Hochsprache, zwischen Muttersprache und Fremdsprache. Er befähigt die Schülerinnen und Schüler, sich in der Welt sprachlich zurechtzufinden und die eigene Persönlichkeit zu entfalten. 128 Um genauere Informationen zum Gebrauch von Mundart und Standardsprache auf der Gymnasialstufe zu erhalten, wurde in Bildungsdepartementen und Mittelschulen der Kantone Aargau, Schwyz und Zürich nach der üblichen Handhabung der Unterrichtssprache und nach schriftlichen Festlegungen für die Unterrichtssprache gefragt. In diesen drei Kantonen (AG, SZ und ZH) wurden die vier dieser Arbeit zugrunde liegenden Videoaufnahmen gemacht. Die Antworten, die auf die Befragung eingingen, werden hier wiedergegeben: Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich geht davon aus, dass im Mittelschulunterricht in der Deutschschweiz grundsätzlich der Gebrauch des Hochdeutschen verbindlich ist. Als bekannte Ausnahmen von dieser Grundregel werden der Fremdsprachenunterricht und der zweisprachige Maturitätsgang genannt. Im Sport und vielleicht in musischen Fächern komme gelegentlich auch Mundart zum Einsatz. Es wird erwähnt, dass jede Lehrperson und jede Schule eine eigene Kultur pflegen. Sogar im Deutschunterricht sind Situationen denkbar, in denen ausnahmsweise einmal Mundart gesprochen wird. Laut Sekretariat der Kantonsschule Küsnacht ZH gilt an dieser Schule die Regel, während der Lektionen - außer in den Fremdsprachenstunden - hochdeutsch zu sprechen. An der Kantonsschule Oerlikon ZH gilt die Standardsprache als Unterrichtssprache in allen Fächern. Als Ausnahmen nennt der Prorektor 126 <http: / / www.kantiwil.ch/ lehrplan/ lp98gymsg.pdf> 18.10.2007. 127 <http: / / www.unterricht.ksz.ch/ lehrplaene/ lp_pdf/ de/ de_glf.pdf> 21.04.2005. 128 <http: / / www.baselland.ch/ index.htm> 22.05.2003. <?page no="201"?> 201 den Sportunterricht und Einzelbetreuungsphasen während der Praktika der Naturwissenschaften. Der Rektor der Kantonsschule Wohlen AG teilt mit, dass in dieser Frage keine schriftliche Regelung existiert, erachtet es aber als selbstverständlich, dass in der Standardsprache unterrichtet wird. Da dennoch von dieser Regel abgewichen wird, weist er etwa in jeder dritten Lehrerkonferenz darauf hin, in der Standardsprache zu unterrichten. Die Kantonsschule Wettingen AG legt als einzige der angefragten Kantonsschulen in einem schulinternen Vademecum die Standardsprache als Unterrichtssprache schriftlich fest. Laut des Konrektors besteht in der Praxis die ungeschriebene Übereinkunft, dass im Sport- und im praktischen Unterricht (Bildnerisches Gestalten, Werken, Projektunterricht) sowie während informeller Unterrichtssequenzen (Partnerarbeit, schülerzentrierte Arbeiten) meist Mundart gesprochen wird. An der Kantonsschule Baden AG gilt der Grundsatz, dass die Unterrichtssprache - außer in den modernen Fremdsprachen - Standarddeutsch ist. Laut der Konrektorin findet in der Praxis eine „Aufweichung“ dieses Grundsatzes statt, wird doch im Sportunterricht konsequent Mundart gesprochen. Der Rektor des Gymnasiums Immensee SZ gibt als Unterrichtssprache in allen Fächern die Standardsprache an. Als Ausnahmen, in denen Mundart gesprochen wird, nennt er die praktischen Teile in den Fächern Sport, Bildnerisches Gestalten und Werken sowie den Hauswirtschaftsunterricht. Das Rektorat der Stiftsschule Einsiedeln SZ erachtet ganz klar die Standardsprache als Unterrichtssprache. Trotzdem komme es in einzelnen Fächern wie Religion relativ häufig zum Gebrauch der Mundart, in Gruppenarbeiten oder Einzelberatungen werde meist Mundart gesprochen. Der Rektor der Kantonsschule Kollegium Schwyz teilt mit, dass es selbstverständlich sei und ab und zu mündlich klar kommuniziert werde, dass Hochdeutsch die Unterrichtssprache ist. In über 90-95% der Lektionen treten in dieser Hinsicht keine Probleme oder Diskussionen auf. Ausnahmen sind zulässig in der Klassenlehrerstunde, ab und zu auch im Sport oder beim Freikurs Instrumentalunterricht. Laut Aussagen der Schulleitungen von Gymnasien der Kantone AG, SZ und ZH wird also als Unterrichtssprache in Mathematiklektionen die Standardsprache als selbstverständlich erachtet. Ob in der Praxis trotzdem Dialektpassagen festgestellt werden können, wird in Kapitel 7.4 untersucht. <?page no="202"?> 202 7.3.4. Synthese der Festlegung der Unterrichtssprache Die unter Kapitel 7.3.3 erarbeiteten Lehrpläne, Weisungen und Empfehlungen bezüglich der mündlichen Verwendung von Mundart und Standardsprache im Unterricht werden nachfolgend in einer Übersicht dargestellt. Dabei werden die verschiedenen Schulstufen einzeln aufgelistet. Übersicht 18: Sprachregelung auf den verschiedenen Schulstufen Kindergarten Primarschule Sekundarstufe I Sekundarstufe II Kanton Aargau Versuchsphase ‚Standardsprache im Kindergarten’ Die Standardsprache soll vom 1. Schuljahr an gepflegt werden. In der 1. und 2. Klasse sollen die Schüler mit Gesprächsformen in Mundart und Standardsprache vertraut werden. Vom 3. Schuljahr an ist die Standardsprache in der Regel die Unterrichtssprache. Die Schüler sollen in der 3.-5. Klasse verschiedene Gesprächsformen in Mundart und Standardsprache anwenden. Keine schriftliche Regelung: Unterricht in der Standardsprache ist selbstverständlich. Ausnahmen im Sport- und praktischen Unterricht sowie während informeller Unterrichtssequenzen. Kantone Basel-Stadt & Basel-Landschaft Projekt „Standardsprache im Kindergarten“: Kindergärtnerinnen sprechen konsequent Hochdeutsch Die Standardsprache ist schon in der ersten Primarklasse zu verwenden. Die zweite Primarklasse dient der Übung und Festigung des aktiven Gebrauchs der deutschen Standardsprache und hat deren Automatisierung zum Ziel. Mit dem Beginn der dritten Primarklasse hat die Automatisierung der deutschen Standardsprache als Unterrichtssprache stattgefunden. Der Gebrauch der Mundart kann hin und wieder gerechtfertigt sein, zum Beispiel in privaten Gesprächen, in den musisch-handwerklichen Fächern sowie im Turnen. Der Deutschunterricht in den Mittelschulen der Deutschschweiz ist bestimmt durch die Spannung zwischen Mundart und Hochsprache. <?page no="203"?> 203 Kanton Schwyz Im Kindergarten soll die Standardsprache in wiederkehrenden Sequenzen verwendet werden. Die Standardsprache gilt von der 1. Primarklasse an als Unterrichtssprache. Ausnahmen sind nur in den Fächern Textiles und Technisches Gestalten, Hauswirtschaft und Sport möglich. Einführungen und Anweisungen, welche die ganze Klasse betreffen, sollen jedoch auch in diesen Fachbereichen in Standardsprache erfolgen. Keine schriftlichen Weisungen. Standardsprache als Unterrichtssprache aller Fächer wird aber ab und zu klar kommuniziert. Ausnahmen: Sport, Bildnerisches Gestalten, Werken, hauswirtschaftlicher Unterricht, Religion, Gruppenarbeiten, Einzelberatungen, Klassenlehrerstunden und Freikurse. Kanton St. Gallen Die Unterrichtssprache im Kindergarten ist die Mundart In der Unterstufe wird die Mundart als Unterrichtssprache verwendet. Schon früh soll aber die Begegnung mit der Hochsprache beginnen. Spätestens mit der vierten Klasse wird die Hochsprache grundsätzlich zur Unterrichtssprache. Sie soll durch die regelmäßige Verwendung in verschiedensten Situationen und Fächern zur Gewohnheit werden. Durch regelmäßige Verwendung der Hochsprache soll die Sprechkompetenz der Schülerinnen und Schüler gefestigt und erweitert werden. Die Hochsprache gilt in allen Fachbereichen als Unterrichtssprache. Der Deutschunterricht soll die Schüler befähigen, Sprache korrekt zu gebrauchen und situationsgerecht anzuwenden. <?page no="204"?> 204 Kanton Uri Die Standardsprache ist in wiederkehrenden Situationen zu verwenden. Die Lehrpersonen haben beim Sprechen und Schreiben ab der ersten Primarklasse auf allen Schulstufen die Standardsprache zu verwenden. Schülerinnen und Schüler haben im Unterricht die Standardsprache zu verwenden, und zwar auf allen Schulstufen. Die Standardsprache muss in allen Fächern und in allen Unterrichtsformen verwendet werden. Die Mundart kann im Einzelfall als Unterrichtssprache gerechtfertigt sein. Sich in Standardsprache und Mundart deutlich und fließend ausdrücken, die Standardsprache gepflegt aussprechen. Kanton Zug Im Kindergarten ist die Standardsprache in wiederkehrenden Situationen zu verwenden. Die Lehrpersonen wirken als Sprachvorbild. Deshalb haben sie beim Sprechen und Schreiben ab der ersten Primarklasse auf allen Stufen die Standardsprache zu verwenden. Schülerinnen und Schüler haben im Unterricht die Standardsprache zu brauchen, und zwar auf allen Schulstufen. Die Standardsprache muss in allen Fächern verwendet werden. Verschiedene Sprachvarietäten situationsgerecht einsetzen. Die wichtigsten Ausspracheregeln der Standardsprache kennen und anwenden. Kanton Zürich In der Kindergartenstufe ist die Standardsprache teilweise Unterrichtssprache. Unterrichtssprache ist in der Primar- und Sekundarstufe grundsätzlich die Standardsprache. Der Gebrauch des Hochdeutschen ist verbindlich. Ausnahmen: Fremdsprachenunterricht, zweisprachiger Maturitätsgang, Sport, musische Fächer, naturwissenschaftliche Praktika. Jede Lehrperson und jede Schule pflegt eine eigene Kultur. <?page no="205"?> 205 Inter-kantonal: IEDK 1. und 2. Schuljahr: Sich zunehmend in der Standardsprache ausdrücken 3. und 4. Schuljahr: Erlebnisse, Beobachtungen, Erfahrungen und Sachverhalte in der Standardsprache mitteilen 5. und 6. Schuljahr: Sich in allen Bereichen in der Standardsprache ausdrücken. Sich in Standardsprache und Mundart deutlich und fließend ausdrücken, die Standardsprache gepflegt aussprechen. Sich interessieren für die eigene Mundart, ihre Besonderheiten in Wortschatz und Klang. Inter-kantonal: BPZ Die Standardsprache soll in allen Fächern gebraucht werden. Auch im Musik-, Werk- oder Sportunterricht können wir die Sprachkompetenzen erweitern. Ab dem Kindergarten sollte die Standardsprache auf allen Stufen gebraucht werden, und zwar von der Lehrperson als Sprachvorbild; aber auch die Schülerinnen und Schüler müssen genügend Gelegenheiten erhalten, sich auf Hochdeutsch auszudrücken. Diese Übersicht macht deutlich, dass bei der Festlegung der Unterrichtssprache eine deutliche Parteinahme zugunsten der Standardsprache zu beobachten ist. Selbst für den Kindergarten legt nur der Kanton St. Gallen als Unterrichtssprache die Mundart fest, die übrigen Kantone sprechen sich für eine phasenweise Verwendung der Standardsprache im Kindergarten durch die Lehrpersonen aus (Schwyz, Uri, Zug, Zürich). Die BPZ spricht sich für den Gebrauch der Standardsprache ab dem Kindergarten aus. Im Kanton Basel-Landschaft lief bis 2005 der vierjährige Schulversuch „Standardsprache im Kindergarten“. Im Schuljahr 2006/ 2007 begann die Umsetzung der Erprobungsphase „Standarddeutsch im Kindergarten“, welche zwei Jahre dauern wird. Zudem müssen die Lehrpersonen ab der ersten Klasse konsequent hochdeutsch sprechen, in den Kantonen Schwyz und Zug auch die Schüler. Die Kantone Basel- Landschaft und St. Gallen legen Wert auf einen behutsamen, natürlichspielerischen Übergang von der Mundart zur Standardsprache. Der <?page no="206"?> 206 Kanton St. Gallen erlaubt als Unterrichtssprache der Unterstufe (1.-3. Schuljahr) die Mundart, erst ab der 4. Klasse müssen auch die Schüler die Standardsprache verwenden. Der Gebrauch von den beiden Sprachformen hängt nicht nur von Lehrplänen, Weisungen und Empfehlungen ab. Einflussformen, die die Sprachformwahl beeinflussen, sind beispielsweise das Schulfach, die Struktur der Unterrichtssituation und die Außenbedingungen, unter denen Schule stattfindet: Die Kantone Basel-Landschaft und Schwyz differenzieren bei der Sprachformfrage fächerspezifisch, das heisst, es gibt es innerhalb der schulischen Arbeit Fächer, in denen nur Dialekt gesprochen wird: Mundart ist dabei in Fächern wie Turnen, Zeichnen, Werken, Handarbeit und Hauswirtschaft erlaubt, wobei der Kanton Schwyz betont, dass die ganze Klasse betreffende Einführungen und Anweisungen auch in diesen Fächern in der Standardsprache zu erfolgen haben. Demgegenüber plädiert die BPZ dafür, dass auch diese Fächer der Erweiterung der Sprachkompetenzen nutzbar gemacht werden. Dass in der einen Fächergruppe hochdeutsch gesprochen werden muss, in der andern Dialekt gesprochen werden darf, ist problematisch, werden dadurch doch unerwünschte negative Einstellungen gegenüber der Standardsprache aufgebaut. Sprachformregelungen können auch situationsbezogen erfolgen. So erachtet der Kanton Basel-Landschaft die Verwendung der Mundart bei bestimmten Unterrichtsformen (Praktika, Gruppenarbeit, Einzelgespräch, Arbeitswoche und Exkursion) als zulässig. 129 Die Sprachformwahl hängt auch von der Schulstufe und der Schulform ab. Dabei nimmt der Gebrauch der Standardsprache in den höheren Klassen zu und ist in Schulen mit erweiterten Ansprüchen häufiger. Auf der Sekundarstufe I und II ist die Standardsprache die weitaus dominierende Sprachform im Unterricht, wobei sich auch hier deutlich fächer- und situationsspezifische Unterschiede zeigen. In fast allen Lehrplänen, Weisungen und Empfehlungen findet sich der Hinweis, dass bei der Festlegung der Unterrichtssprache der Haltung und Einstellung des Lehrers eine Schlüsselrolle zukomme. Es lässt sich sagen, dass sowohl die Schulstufe und das Schulfach, als auch die Einstellung des Lehrers und die Unterrichtssituation selbst die Sprachformwahl beeinflussen. 129 Kropf (1986: Kapitel 5.2) und Sieber/ Sitta (1986: Kapitel 3.3) zeigen Faktoren auf, die zum regelmäßigen Dialektgebrauch im standardsprachlichen Unterricht führen. <?page no="207"?> 207 7.4. Kommunikative Funktionen des Dialektgebrauchs Nachdem in Kapitel 7.3.3 die Regelungen bezüglich der Sprachformwahl im Unterricht auf verschiedenen Schulstufen im Zentrum standen, steht in diesem Kapitel der Dialektgebrauch des Lehrers (Kap. 7.4.1) und der Schüler (Kap. 7.4.2) im Unterricht auf der Gymnasialstufe im Fokus. Danach wird auf Dialekt-Reviere eingegangen, d.h. auf Äußerungsbereiche, die ganz offensichtlich dem Anspruch auf Standardrealisierung gar nicht unterworfen sind (Kap. 7.4.3). Am Ende des Kapitels finden sich abschließende Bemerkungen zum Dialektgebrauch in Gymnasien der Deutschschweiz. Als Materialbasis dienen auch hier wieder die vier Videoaufnahmen von Mathematiklektionen in Gymnasien der Deutschschweiz, auf deren Grundlage begründete Verallgemeinerungen zum Gebrauch von Standard und Dialekt in der Schule gewonnen werden sollen. Kapitel 7.3.3.4 hat gezeigt, dass auf der Gymnasialstufe als Unterrichtssprache im Fach Mathematik die Standardsprache als selbstverständlich erachtet wird. Eine erste Sichtung des mir zur Verfügung stehenden Videokorpus hat allerdings gezeigt, dass auch im grundsätzlich standardsprachlichen Mathematikunterricht in Gymnasien kürzere oder längere Dialektpassagen festgestellt werden können. In allen Unterrichtslektionen kann der Wechsel von einer Sprachvarietät in die andere (‚code switching’) beobachtet werden. Er ist an Äußerungs-, Satz- und Wortgrenzen, ja sogar innerhalb eines Wortes festzustellen. Er scheint auch nicht zufällig zu erfolgen, sondern scheint bestimmte Funktionen zu erfüllen, wenn sich auch der Lehrer und die Schüler dessen keineswegs immer bewusst sind. Daher soll im Folgenden den Varietätenwechseln von der Standardsprache zum Dialekt im Deutschschweizer Mathematikunterricht nachgegangen und geprüft werden, ob diesen Varietätenwechseln eine jeweils spezifische kommunikative Funktion zugeordnet werden kann. 130 Diese Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Standardsprache und Dialekt in der Schule ist nicht darauf ausgerichtet, Handlungsanweisungen zu gewinnen. Sie zielt also nicht auf eine ‚praktische Anwendung’ in Form von didaktischen Hinweisen für den Lehrer. Durch die Untersuchung von vier Unterrichtsstunden würde von einer zu schmalen Basis an gesichertem Wissen zum Thema aus argumentiert 130 Wenn von den kommunikativen Funktionen des Dialekts gesprochen wird, sind damit stets die kommunikativen Funktionen des Wechsels von der Standardsprache zum Dialekt gemeint. Kropf (1986: 82f.) unterscheidet drei Wechseltypen von der Standardsprache zum Dialekt: ‚Nullwechsel’ (Der Sprecher sollte den Normen gemäss vom Dialekt zur Standardsprache wechseln, bleibt aber im Dialekt), Varietätenwechsel beim Sprecherwechsel und Varietätenwechsel beim gleichen Sprecher. <?page no="208"?> 208 werden und die Ergebnisse würden dementsprechend recht undifferenziert und pauschal ausfallen. Wer von diesem Kapitel eine Umsetzung der gewonnenen Ergebnisse in solche praktischen Handlungsanweisungen erwartet, muss enttäuscht werden: Dieser Teil ist vielmehr als Versuch zu betrachten, den möglichen Stellenwert des Dialekts in einem prinzipiell standardsprachlich zu führenden Unterricht abzuschätzen, indem kommunikative Funktionen des Varietätenwechsels anhand von realen Unterrichtsdaten exemplarisch aufgezeigt werden. Bereits Ramge (1978) hat versucht, kommunikative Funktionen des dialektgerichteten 131 Sprechens von saarländischen Lehrern im standardsprachlichen Unterricht aufzuzeigen. Das Untersuchungskorpus besteht aus Tonbandaufnahmen von zwanzig Unterrichtsstunden. Die Lehrer haben jeweils in einer 5. Klasse der Hauptschule im Fach Deutsch eine Unterrichtsstunde über ein vorgegebenes Thema gehalten. Ramge stellt bezüglich der Einstellungen von deutschen Lehrern gegenüber dem Dialektgebrauch im Unterricht fest: Es besteht eine Antinomie zwischen der gesellschaftlich-institutionell erwarteten und von den Lehrern grundsätzlich akzeptieren Verpflichtung zur Verwendung der Standardsprache im Unterricht einerseits und dem in der Lebenspraxis der Lehrer verankerten Wissen um positive kommunikative Funktionen beim Gebrauch von dialektgerichteten Sprachvariationen andererseits. (Ramge 1978: 200) Das Wissen um die solidarisierend-emotionalen Qualitäten des Dialekts führt laut Ramge (1978: 202) in der Unterrichtssprache der deutschen Lehrer zu dialektgerichteten Sprachvariationen mit dem Ziel, symmetrisierend eine familiär-alltägliche Sprechsituation herzustellen. Durch den Nicht-Gebrauch der Standardsprache soll eine als nichtinstitutionell definierte Sprechsituation hergestellt werden. In Ramges Aufsatz (1978: 225) hat sich gezeigt, „dass dem Dialektgebrauch in den meisten Fällen kommunikative Funktionen zukommen, die unter dem Gesichtspunkt eines entkrampften, möglichst wenig asymmetrischen Unterrichts als positiv zu bezeichnen sind.“ 131 Ramge spricht von ‚dialektgerichteten Äußerungen’ und nicht von ‚dialektalen’, um deutlich zu machen, dass es sich um sprachlich gemischte Äußerungen auf der Skala Standardsprache / Dialekt handelt (vgl. Ramge 1978: 203). Für schweizerische Verhältnisse kann nicht von dialektgerichteten Äußerungen gesprochen werden. Im Gegensatz zu anderen deutschsprachigen Ländern stehen in der Schweiz der Standardsprache die Dialekte als einzige Alternative gegenüber, da es keine Zwischenstufen in Form von Umgangssprachen gibt. Die Dialekte sind die Umgangssprache. <?page no="209"?> 209 Ramges Analyseinstrument zur Erfassung unterrichtlichen Sprechens beinhaltet die didaktische Relevanz als notwendiges Kriterium zur Beurteilung einer Äußerung. Dies ist eine Schwäche von Ramges Konzept, da es der Vielfalt des unterrichtlichen Geschehens nicht gerecht werden kann. Zudem hat Ramge das dialektale Sprechen bei den Schülern unberücksichtigt gelassen. Bis anhin stellt eine Untersuchung der kommunikativen Funktionen des Dialektgebrauchs auf der Gymnasialstufe der Deutschschweiz ein Desiderat dar. Zum Thema Standardsprache und Dialekt im Deutschschweizer Mittelschulunterricht ist an wissenschaftlichen linguistischen Veröffentlichungen so gut wie nichts zu finden. Die Arbeit von Sieber/ Sitta (1986) stellte als Resultat eines mehrjährigen Forschungsprojekts den ersten umfassenden Versuch dar, das Verhältnis von Standard und Dialekt an Deutschschweizer Schulen darzustellen, wobei das Schwergewicht der Untersuchung auf der Primarschulstufe lag. In Bezug auf die Sprachformwahl im Mittelschulunterricht vermerken Sieber/ Sitta lediglich: An den Mittelschulen ist die Standardsprache die weitaus dominierende Sprachform im Unterricht. Dialektgebrauch hängt hier stark von den persönlichen Einstellungen des Lehrers ab sowie von dem ‚Grundkonsens’, der die einzelnen Schulen prägt. (Sieber/ Sitta 1986: 63) Eine Untersuchung der Varietätenwechsel im Unterricht in der Deutschschweiz hat bisher erst Kropf (1986) erbracht. Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die Ansicht, dass Sprachvarietäten, wie sie die Standardsprache und der Dialekt in der deutschen Schweiz darstellen, unter bestimmten Bedingungen zum Transportmittel von sozial-situativer Information werden können. In seiner Arbeit versucht Kropf, die im Aufsatz von Ramge (1978) beschriebenen kommunikativen Funktionen des Dialekts im Sprachgebrauch von Lehrern im Saarland für die deutschschweizerischen Verhältnisse zu adaptieren. Als materielle Grundlage dienen Kropf Transkripte und Tonbandaufnahmen von 19 Lektionen verschiedener Schulstufen in der Deutschschweiz. Kropf bezieht den vokalen und nonvokalen nonverbalen Bereich bei der Analyse der Unterrichtsgespräche nicht systematisch mit ein. Zudem stammt von seinen 19 untersuchten Lektionen lediglich eine von der Gymnasialstufe. Der Wechsel von der Standardsprache zum Dialekt ist bei Schülern auf der Gymnasialstufe jedoch anders zu interpretieren als in den unteren Primarklassen. Je besser die standardsprachliche Kompetenz ausgebildet ist, desto mehr wird man davon ausgehen können, dass ein Wechsel zur dialektalen Varietät nicht dem noch nicht vollständig ausgebauten standardsprachlichen Repertoire des Schülers zuzuschreiben ist, sondern als Signal für <?page no="210"?> 210 das Vorhandensein von varietätensteuernden Regeln oder als Ausdruck individueller Intentionen aufgefasst werden muss. Trotzdem stehen bei der Untersuchung der kommunikativen Funktionen dialektalen Sprechens im deutschschweizerischen Gymnasialunterricht mit den Kategorisierungen von Ramge (1978) und Kropf (1986) bereits zwei Ansätze zu ihrer Erfassung zur Verfügung, die als Vorlage für dieses Kapitel übernommen werden können. 7.4.1. Dialektales Sprechen beim Lehrer Auch wenn nachfolgend die kommunikativen Funktionen aller Varietätenwechsel der Lehrpersonen in den vier dieser Arbeit zugrunde liegenden Videoaufnahmen untersucht werden, kann damit dennoch kein Anspruch auf Vollständigkeit der kommunikativen Funktionen dialektalen Sprechens erhoben werden. 132 Um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, werden für die Bezeichnung der Funktionen weitgehend alltagssprachliche Ausdrücke verwendet. 7.4.1.1. Start- und Schlusssignalfunktion Allein dem Lehrer ist es erlaubt und er ist institutionell dazu verpflichtet, den Unterrichtsdiskurs offiziell zu eröffnen und zu beenden. Im Gegensatz zu den kommunikativen Funktionen des Wechsels von der Standardsprache zum Dialekt, die nachfolgend beschrieben werden, wird hier zuerst die kommunikative Funktion des Wechsels vom Dialekt zur Standardsprache zu Beginn der Unterrichtsstunden untersucht. Im unter Kapitel 6.3 gezeigten Unterrichtsbeginn (Transkription 37) erfolgt nur die Begrüßung der Schüler in Dialekt. Bereits bei der die Unterrichtsorganisation betreffenden Äußerung findet der Wechsel zur Standardsprache statt. Im folgenden Unterrichtsbeginn findet der Wechsel von Dialekt zur Standardsprache gar innerhalb der Begrüßung statt: Transkription 40: SW-018: 04: 09: 12-04: 23: 05 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG 132 Es sind weitere kommunikative Funktionen des dialektalen Sprechens beim Lehrer denkbar, z.B. die von Ramge (1978) und Kropf (1986) beschriebenen Funktionen der Aktivierung, Abschwächung, Bagatellisierung und Diskriminierung, diese werden aber - da sie in den vorliegenden Videoaufnahmen nicht nachzuweisen sind - in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt. <?page no="211"?> 211 [1] 0 Lehrer [i] ! / Lehrer [v] So also guete Namitag mitenand. Ich möchte speziell noch Lehrer [nv] bewegt sich von der Türe vor die Klasse hin [2] 1 Lehrer [i] ! < Lehrer [v] Herrn Zumstein begrüssen, er ist eben vom pädagogischen Lehrer [nv] blickt Richtung Herrn Zumstein [3] .. 2 Lehrer [i] > Lehrer [v] Inschtitut ((1)) von der Universität Zürich da und wird uns Lehrer [nv] wendet sich wieder [4] .. 3 Lehrer [i] ! ! \ ! Lehrer [v] eben jetzt scharf beobachten mit seiner Kamera. So. Also wir Lehrer [nv] der Klasse zu geht zum [5] .. 4 Lehrer [i] / \ < Lehrer [v] haben heute zuerst zwei Aufgaben zu besprechen und zwar Lehrer [nv] Lehrerpult nimmt Buch zur Hand und wendet sich [6] .. Lehrer [i] > / Lehrer [v] eigentlich hoffentlich zwei interessante Aufgaben, wie ihr Lehrer [nv] wieder der Klasse zu [7] .. Lehrer [i] \ Lehrer [v] gemerkt habt. Lehrer [nv] <?page no="212"?> 212 Die Klasse wird in Dialekt begrüßt (0), wobei das So die Schüler zur Aufmerksamkeit auffordert. Die Begrüßung von Herrn Zumstein, der die Videoaufnahmen dieser Lektion anfertigt, erfolgt in Standardsprache (1). Das anschließende So (2) signalisiert das Ende der Begrüßung und den inhaltlichen Beginn der Lektion. Auch die Unterrichtsorganisation findet in der Standardsprache statt (3/ 4). Nicht so im nächsten Beispiel: Transkription 41: SW-074 04: 34: 01-04: 45: 06 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-L.MPG [1] 0 1 2 3 Lehrer [i] ! < zögernd Lehrer [v] Guet, grüezi mitenand ier alli. ((1)) Ää ((1)) mier Lehrer [nv] steht vor Klasse weist auf [2] .. 4 5 Lehrer [i] > ! < Lehrer [v] wärde hütt gfilmt und ich hoffe Lehrer [nv] die Kameras öffnende [3] .. 6 7 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] d Stund lauf ganz normal ab. ((1)) Mier fönd Lehrer [nv] Handbewegung blickt Richtung [4] .. 8 Lehrer [i] ! > Lehrer [v] jetz am zää vor zwei aa. Ich würd vorschlaa dass mer jetz Lehrer [nv] Uhr wendet sich wieder Klasse zu [5] .. Lehrer [i] ! / ! Lehrer [v] gliich föifevierzg Minute Schuel mached, denn föif Minute <?page no="213"?> 213 [6] .. 9 10 Lehrer [i] \ < > \ Lehrer [v] Pause verzögeret ((1)) und nacher gaats ganz normal wiiter, Lehrer [nv] öffnende Handbewegung [7] .. Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] hm? Okay. Lehrer [nv] Der Lehrer wechselt erst nach der Begrüßung (0) und der Organisation des Unterrichts (1-10) vom Dialekt zur Standardsprache (10). Diese zwei Unterrichtsanfänge zeigen, dass beim Unterrichtsbeginn der Wechsel vom Dialekt zur Standardsprache die Funktion eines Startsignals für die offizielle Eröffnung des Unterrichtsdiskurses innehat, wobei die Klassen immer in Dialekt begrüßt worden sind. Der nächste Unterrichtsbeginn zeigt, dass es an den Schulen bezüglich der Mundartverwendung kein einheitliches Bild gibt und dass es im Gymnasialunterricht auch Lektionseröffnungen gibt, die vollumfänglich in der Standardsprache realisiert werden: Transkription 42: SW-059 04: 35: 15 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-L.mpg [1] 0 Lehrer [i] ! / \ / \ Lehrer [v] So ((1)) begrüße euch zur heutigen Nachmittagsstunde [2] .. 1 2 Lehrer [i] / (zögernd) < > Lehrer [v] begrüße auch unsere Gäste, die diese Stunde [3] .. Lehrer [i] ! < \ / ! \ Lehrer [v] mitverfolgen. Wir werden ((1)) miteinander in der Geometrie <?page no="214"?> 214 [4] .. Lehrer [v] einen Schritt weitergehen. Der Lehrer begrüßt sowohl die Klasse (0) als auch die Personen, welche die Videoaufnahmen anfertigen (2) in Standardsprache, ebenso findet die Planung der Unterrichtsstunde (2) hochdeutsch statt. Ist der Beginn einer Unterrichtsstunde durch die Begrüßung relativ klar definiert, gestaltet sich die Bestimmung des Unterrichtsschlusses als nicht ganz so einfach, da meist keine explizite Verabschiedung stattfindet. 133 Transkription 43: SW-011 45: 09: 29 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] / \ ! / Lehrer [v] Also wir machen Schluss. Chönd i Pause. Lehrer [nv] geht von der Wandtafel Richtung Klasse Der Lehrer beendet die Unterrichtsstunde in der Standardsprache, entlässt die Schüler aber mittels Mundart aus dem Schulzimmer. Im folgenden Transkriptionsausschnitt endet die Unterrichtsstunde hochdeutsch, da die Erteilung der Hausaufgaben ganz am Ende der Lektion steht. Auch hier findet keine explizite Verabschiedung der Schüler durch den Lehrer statt: Transkription 44: SW-018 49: 01: 03-49: 24: 12 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG 133 Auch das Klingeln der Schulglocke am Ende der Lektion kann nicht als Stundenschluss betrachtet werden, da die Schüler institutionell zur Aufmerksamkeit auf den Unterrichtsdiskurs verpflichtet sind, bis der Lehrer die Lektion explizit oder durch einen Varietätenwechsel zur Mundart als beendet erklärt. <?page no="215"?> 215 [1] 0 Die Schulglocke läutet Lehrer [i] ! + > ! < Lehrer [v] So ich möchte Momänt Felix noch so verbleiben Lehrer [nv] geht von einer Einzelberatung im hinteren Teil des Zimmers Felix [nv] Räumt seine Sachen auf und packt sie in die Schultasche ein. [2] [3] .. 4 5 6 Lehrer [i] / \ - ! Lehrer [v] wird und zwar intensiv. Dann den Hinweis, Lehrer [nv] Klasse geht leicht zurück geht Richtung Klasse bleibt SS [nv] Schultasche ein [4] .. Lehrer [i] > \ < ! Lehrer [v] aufpassen noch, für alle geben, den ich einzeln gegeben habe. Lehrer [nv] stehen SS [nv] [5] 7 8 Lehrer [i] / \ Lehrer [v] Man muss sich überlegen, wie gross ist der Einfluss eben, Lehrer [nv] geht wenig Richtung Klasse geht leicht zurück [6] .. 9 10 Lehrer [i] / ! \ / \ Lehrer [v] wenn man den Radius verdreifacht für die Kreisfläche. Also Lehrer [nv] geht wenig Richtung Klasse bleibt stehen 1 2 3 Lehrer [i] (zögernd) > < > Lehrer [v] dass die vor allem Aufgabe c auf morgen da noch studiert Lehrer [nv] nach vorne wendet sich Klasse zu geht Richtung SS [nv] Die Schüler räumen ihre Sachen auf und packen sie in die <?page no="216"?> 216 [7] .. 11 Lehrer [i] / ! Lehrer [v] dazu kennt ihr die Kreisflächenformel und da liegt die Lehrer [nv] geht zurück [8] .. 12 Lehrer [i] ! Lehrer [v] Antwort darin eben wie viel dann auch der Kreisring Lehrer [nv] geht Richtung Klasse [9] .. 13 Lehrer [i] \ ! \ / \ Lehrer [v] zunimmt. So das also für morgen. Lehrer [nv] geht zurück bis zum Lehrerpult SS [nv] stehen auf und verlassen das Schulzimmer Die hochdeutsche Äußerung bei der Verteilung der Hausaufgaben (0- 12) wird durch einen kurzen an Felix gerichteten dialektalen Einschub (0) mit Disziplinierungsfunktion (siehe Kap. 7.4.1.5) unterbrochen. Die zweite - diesmal an die ganze Klasse gerichtete - Ermahnung ist in Standardsprache gehalten. Im nächsten Unterrichtsende wird die Hausaufgabe hochdeutsch erteilt, die auf Verständnissicherung zielende Frage an die ganze Klasse (4) findet in Mundart statt: Transkription 45: SW-059 47: 25: 26-47: 49: 16 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-L.mpg [1] 0 Lehrer [i] + ! \ - < Lehrer [v] Die Hausaufgabe auf den Freitag ((2)) das wäre ((4)) Lehrer [nv] bewegt sich von Einzelberatung in vorderen Teil des Zimmers <?page no="217"?> 217 [2] 1 2 Lehrer [i] > ! / \ Lehrer [v] sicher die fünf ohne Loch einmal durchrechnen und dann die Lehrer [nv] zeigt mit Arm auf OHP-Leinwand wendet sich zur SS [nv] nehmen Hausaufgaben Buch zur Hand, schreiben die Hausaufgaben [3] .. Lehrer [i] < > ! Lehrer [v] Aufgabe, wie man das abändern muss, wenn ein Loch in der Lehrer [nv] Verdeutlichung mit erhobenem rechten Arm der Klasse zu SS [nv] darin auf [4] .. 3 Lehrer [i] \ < > / \ Lehrer [v] Figur drin ist. ((7)) Das wäre die Hausaufgabe. Lehrer [nv] wartet, bis die Schüler die Hausaufgaben SS [nv] [5] .. 4 Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] Hätt öpper e Frag zur Husufgab? Lehrer [nv] aufgeschrieben haben wendet sich Klasse zu SS [nv] Die anschließend stattfindenden Fragen seitens der Schüler an den Lehrer werden in Mundart gestellt und vom Lehrer auch in Mundart beantwortet. Im folgenden Unterrichtsschluss trägt der Umstand, dass nach kurzer Pause der Unterricht von der gleichen Lehrperson fortgeführt wird dazu bei, dass keine Verabschiedung stattfindet, weswegen die Unterrichtsstunde standardsprachlich endet: Transkription 46: SW-074 49: 35: 10 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-L.MPG <?page no="218"?> 218 [1] 0 1 2 Lehrer [i] / \ ! \ / \ - Lehrer [v] Okay, wir machen jetzt fünf Minuten Pause. ((1)) Ihr wart Lehrer [nv] blickt zur Uhr an der Wand der Klasse zugewandt lächelnd [2] .. 3 Lehrer [i] / \ + > Lehrer [v] schön ruhig und brav heute, vielleicht ist es die Hitze, vielleicht Lehrer [nv] [3] .. 4 5 Lehrer [i] < > ! \ Lehrer [v] das Video. (lacht) ((1)) Ää in fünf Minuten wieder da. Lehrer [nv] Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Verwendung des Dialekts am Unterrichtsende nicht so verbreitet ist wie zu Beginn der Lektionen. Der offizielle Teil der Unterrichtsstunde wird zumeist in Standardsprache beendet - auch die Hausaufgaben werden noch in Standardsprache verteilt, da dies als offizieller Teil der Lektion betrachtet wird -, hingegen finden die nachfolgenden individuellen Lehrer-Schüler-Gespräche grundsätzlich in Mundart statt. Somit kann gesagt werden, dass dem Wechsel von der Standardsprache zur Mundart am Unterrichtsende die Funktion eines Schlusssignals zukommt. Die Analyse dieser Unterrichtsanfänge und -enden hat ergeben, dass der offizielle Sprachformwechsel nur selten präzise zusammenfällt mit dem Beginn der Lektion bzw. ihrem Ende. Den Varietätenwechseln vom Dialekt zur Standardsprache (bzw. umgekehrt) kommen die kommunikativen Funktionen eines Startbzw. eines Schlusssignals zu. Für die Gymnasialstufe kann die Beobachtung von Kropf (1986: 169) nicht geteilt werden, dass der Dialekt am Anfang des Unterrichts noch eine gewisse Zeit beibehalten und auch gegen den Schluss der Lektionen häufiger davon Gebrauch gemacht wird. Meist nach der Begrüßung, spätestens nach der Lektionsplanung, gibt der Wechsel zur Standardsprache das Startsignal für den offiziellen Unterrichtsbeginn. Zudem werden in den hier untersuchten Lektionen der Mittelschulstufe am Unterrichtsende auch die Hausaufgaben standardsprachlich erteilt, so dass die Verwendung der Mundart am Ende der Lektion ein klares Schlusssignal darstellt. <?page no="219"?> 219 7.4.1.2. Veranschaulichungsfunktion Dialektales Sprechen der Lehrerperson kann auch der Veranschaulichung dienen: Transkription 47: SW-011 16: 46: 19-16: 52: 09 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 Lehrer [i] - + ! / < / \ ! \ Lehrer [v] (Da) mached mer es Beispiel, hm? Ich wähle für m drei Lehrer [nv] geht zur Wandtafel schreibt auf Wandtafel [2] 2 3 4 Lehrer [i] \ ! \ > \ / - Lehrer [v] ((1)) für n zwölf. Wie gross ist dann h? Lehrer [nv] blickt Richtung Klasse schreibt auf Wandtafel wendet [3] .. Lehrer [i] Lehrer [v] Lehrer [nv] sich Klasse zu Vor diesem Unterrichtsausschnitt hat der Lehrer den Schülern zu erklären versucht, dass die Höhe h nicht das arithmetische Mittel von M und N ist, sondern das geometrische. Da die Schüler seinen Gedanken nicht folgen können, möchte der Lehrer seine Ausführungen an einem Beispiel veranschaulichen. Diese Absicht gibt er in Dialekt kund (0), das Beispiel zur Veranschaulichung selbst wird wieder in Standardsprache vollzogen (1-4). Selbst im dialektalen Teil wird der Begriff ‚Beispiel’ standardsprachlich realisiert (0). Durch den Varietätenwechsel von der normativ vorgeschriebenen Standardsprache zur im lehrerzentrierten Unterricht unüblichen Mundart signalisiert der Lehrer eine Annäherung an die Schüler auf thematischer Ebene. Dadurch erhält das der dialektalen Äußerung folgende Beispiel den Anschein von Alltagsnähe und Vertrautheit und kann vielleicht den Zugang der Schüler zu diesem unterrichtlichen Inhalt erleichtern. <?page no="220"?> 220 Das dialektale Sprechen des Lehrers mit der kommunikativen Funktion der Veranschaulichung findet sich innerhalb der vier untersuchten Lektionen nur einmal. Die Veranschaulichungsfunktion des Dialekts ist in den unteren Schulstufen häufiger anzutreffen. Dort ist sei laut Kropf (1986: 158) häufig auch gekoppelt mit einer Aktivierung, da mit Veranschaulichungen bei den Schülern größeres Interesse und gesteigerte Aktivität zu erreichen sei. 7.4.1.3. Einverständnisfunktion Dem Varietätenwechsel zum Dialekt kann eine Einverständnisfunktion zukommen, wenn die Lehrperson gewisse Elemente einer dialektalen Äußerung der Schüler in ihre standardsprachliche Äußerung integriert und sich damit mit der dialektalen Äußerung der Schüler einverstanden erklärt. Die dialektalen Ausdrücke der Einverständnisfunktion werden im Gegensatz zur Dialektverwendung bei der Veranschaulichungsfunktion immer reaktiv verwendet, sie sind von den Schülern im aktuellen Unterrichtskontext bereits realisiert worden. Transkription 15 zeigt, wie der Lehrer einen Wortteil der dialektalen Äußerung mit Verständnissicherungsfunktion (siehe Kap. 7.4.2.1) von Nadine im Standardkontext wieder aufnimmt und ihr damit signalisiert, dass er ihren Dialektgebrauch im Zusammenhang mit einer auf Verständnissicherung zielenden Frage akzeptiert. Die Verwendung des Dialekts mit der Einverständnisfunktion kann in den vier untersuchten Mathematikstunden nur an dieser Stelle nachgewiesen werden. Kropf (1986: 192) erwähnt, dass der Dialekt in dieser Funktion besonders in unteren Klassen anzutreffen sei. 7.4.1.4. Zuwendungsfunktion Durch den Gebrauch dialektaler Rufnamen erhält der Varietätenwechsel die Funktion der Zuwendung. Es geht bei diesem Typus also nicht mehr um die Übernahme einzelner Teile von dialektalen Äußerungen der Schüler, sondern um die Übernahme der - meist dialektal ausgeprägten - Rufnamen der Schüler im standardsprachlichen Kontext. Transkription 48: SW-074 47: 08: 13 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-L.MPG <?page no="221"?> 221 [1] 0 1 Lehrer [i] ! / \ < > Lehrer [v] Jetzt zu dieser Herausforderung. ((1)) Norman und Ruädi Lehrer [nv] geht vom Lehrerpult zur Wandtafel schaut in Richtung der [2] .. 2 3 Lehrer [i] / ! Lehrer [v] haben einen Weg entwickelt. ((1)) Seite a Lehrer [nv] beiden Schüler betrachtet Skizze auf der Wandtafel zeigt Seite a auf [3] .. 4 5 Lehrer [i] \ > / < Lehrer [v] zuerst ((1)) und haben dann diese zwei Bogen Lehrer [nv] WT-Skizze betrachtet Skizze zeigt Bogen auf WT-Skizze [4] .. 6 Lehrer [i] \ / ! \ Lehrer [v] gemacht da mit Radius E und Radius F. Lehrer [nv] betrachtet Skizze auf Wandtafel Mit der Verwendung des dialektalen Rufnamens (1), jenes Namens also, der auch außerhalb der Schule von den Schülern untereinander gebraucht wird, zeigt der Lehrer seine Zuwendung und gibt gleichzeitig zu erkennen, dass er ihre Identität anerkennt und darauf verzichtet, eine rein schulische und durch die Sprachform von der anderen gesonderte Identität aufzubauen (vgl. Transkription 2, in welcher der Lehrer Cornelia mit ‚Cony’ (2) anspricht oder Transkription 24, in welcher er Barbara ‚Babs’ (6) nennt). Die kommunikative Funktion der Zuwendung einer Dialektäußerung entfällt auf Schülerseite; sie ist vollständig an die Lehrerrolle gebunden. 7.4.1.5. Disziplinierungsfunktion Ein Varietätenwechsel kann eine Disziplinierungsfunktion aufweisen, wenn für eine Zurechtweisung von der Standardsprache zum Dialekt gewechselt wird: In Transkription 30 wechselt der Lehrer für die Disziplinierung von Felix zur Mundart, wobei er das Modalverb können verwen- <?page no="222"?> 222 det. 134 Obwohl Felix die Disziplinierung des Lehrers durch Selbstwahl mit dialektaler Rechtfertigungsfunktion (siehe Kap. 7.4.2.9) unterbricht, beendet der Lehrer seine Disziplinierung. Im nächsten Beispiel reagiert der Lehrer in Mundart auf die unprogrammierte Selbstwahl eines Schülers: Transkription 49: SW-011 26: 20: 09-26: 23: 14 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 2 3 Lehrer [i] \ ! / (lachend) Lehrer [v] Und welchen Satz benützt du? Wär hätt Lehrer [nv] steht schreibbereit an der Wandtafel, blickt Richtung Alex blickt Sm [i] - > Sm [v] Py thagoras Alex [v] Py/ Pythagoras [2] .. Lehrer [i] \ / Lehrer [v] da vorgschnurred? Lehrer [nv] suchend um sich Der Lehrer hat auf die Antwort von Alex erneut eine Frage an ihn gestellt (0). Ein Mitschüler gibt die Antwort, was Alex offensichtlich irritiert (2). Die Selbstwahl des Mitschülers wird vom Lehrer diszipliniert, da seine Frage eindeutig an Alex adressiert war (3). Die lachende Intonation schwächt in diesem Beispiel die Disziplinierung ab. 135 Nur der Lehrer ist institutionell berechtigt - und verpflichtet - zur Aufrechterhaltung eines geordneten Unterrichtsdiskurses Disziplinierungen vorzunehmen: er verfügt über das Disziplinierungsmonopol. 134 Zur Funktion des Modalverbs können in Disziplinierungen s. Redder (1984: 143-152). 135 Dieses Beispiel zeigt, dass Disziplinierungen auch ohne gesteigertes emotionales Engagement, das sich in Stimmführung, Lautstärke und Gestik niederschlägt, vorgenommen werden können - dies im Gegensatz zu den Ausführungen von Kropf, der diese Elemente als zentral für Zurechtweisungen beschrieb (Kropf 1986: 199). <?page no="223"?> 223 7.4.1.6. Verständnissicherungsfunktion Während des Unterrichts gehört es zu den kommunikativen Tätigkeiten des Lehrers, einen den weiteren Fortgang der Lektion gewährleistenden Verständniskonsens der Klassenmitglieder nicht nur neu herbeizuführen im Fall einer Störung, sondern ihn auch während störungsfreier Phasen periodisch zu überprüfen. Die Dialektäußerung in Transkription 45 hat eine solche verständnissichernde Funktion: Die Hausaufgabe wird in Standardsprache erteilt, die auf Verständnissicherung zielende Frage des Lehrers an die ganze Klasse (4) findet in Mundart statt. Mit dieser in Dialekt vollzogenen expliziten Frage wird die wechselseitige Verständigung zwischen Lehrer und Schüler präventiv - d.h. ohne dass eine bei den Schülern festzustellende Unruhe auf ein Verständnisproblem hindeuten würde - kontrolliert und sichergestellt. Häufiger als mittels einer expliziten Frage wird die Konsenskontrolle mittels Kleinstwechseln (z.B. hm? ) zu erreichen versucht (siehe Kap. 7.4.3.1). Eine Bilanz der Ergebnisse des dialektalen Sprechens beim Lehrer erfolgt nicht an dieser Stelle, sondern am Ende dieses Kapitels unter 7.4.4. 7.4.2. Dialektales Sprechen bei den Schülern Im Vergleich zu Schülern auf der Primarstufe ist bei Schülern auf der Gymnasialstufe die standardsprachliche Kompetenz meist gut ausgebildet. Trotzdem unterlaufen auch ihnen - mehr oder weniger oft - Fehler, die kompetenzbedingt sind und von ihnen - und unter Umständen auch von der Lehrperson - nicht erkannt werden. 136 Insofern diese kompetenzbedingten Dialektteile in der standardsprachlichen Rede von den Unterrichtsteilnehmern nicht als solche erkannt werden, besitzen sie für sie auch keine kommunikative Relevanz und haben demnach auch keine kommunikative Funktion. Sie werden hier deshalb außer Betracht gelassen, da nur Dialektäußerungen mit kommunikativer Funktion vorgestellt werden. Es sind noch einige weitere kommunikative Funktionen des dialektalen Sprechens beim Schüler denkbar, diese sind aber in den vorliegenden Videoaufnahmen nicht nachzuweisen und werden deshalb nicht weiter ausgeführt. 137 136 Als Beispiele seien dialektbedingte Kasusfehler, falsche Artikel-Zuordnung, unkorrekte „dass“-Konstruktionen & verstandardsprachlichte Dialektausdrücke genannt. 137 Kropf (1986) erwähnt als weitere Funktionen die Annäherungsfunktion, die dem Suggerieren von Nähe durch den Einsatz des Dialekts dient sowie die Bagatellisierungsfunktion. Im vorliegenden Korpus ebenfalls nicht nachzuweisen sind Äußerungen, in denen der Dialekt als Instrument des Protests und der Sabotage dient. In den untersuchten Mathematiklektionen wurde der Dialekt also nie als Abgrenzung zum Lehrer eingesetzt. <?page no="224"?> 224 7.4.2.1. Veranschaulichungsfunktion Beim Lehrer ist Veranschaulichung immer auch deutbar als Versuch, die Unterrichtsthemen für die Schüler alltagsnäher zu gestalten (vgl. Kap. 7.4.1.2). Durch die Aktivierung varietätenspezifischer Information wird dem anvisierten Sachinhalt der Anschein verliehen, dem Schüler vertrauter zu sein. Wählt ein Lehrer also Ausdrucksformen, die eine veranschaulichende Wirkung zeigen, so tut er dies primär im Hinblick auf seinen Unterrichtsauftrag. Es kann aber vorkommen, dass auch bei Schülern die dialektale Komponente bei Sprachformwechseln eine solche Funktion übernehmen kann: Transkription 50: SW-011 25: 44: 06-26: 15: 29 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 1 2 Lehrer [i] / ! Lehrer [v] Moment was ist M? Lehrer [nv] winkt mit Händen ab bleibt vor WT stehen schüttelt den Kopf Alex [i] (zögernd) < Alex [v] M Mittel/ Mittel ää Sm1 [i] / \ Sm1 [v] Jetz chasch (...) SS [v] (...) [2] 3 4 Lehrer [nv] bleibt vor Wandtafel stehen schreibt auf Babs [i] + / \ / - \ / Babs [v] Sichär wenn d Höchi häsch dänn wäisch du Babs [nv] wendet sich Alex zu, zeigt mit Arm Richtung WT wendet sich Alex Sm2 [i] / \ Sm2 [v] Du häsch ja d <?page no="225"?> 225 [3] .. 5 Lehrer [nv] Wandtafel wendet sich Klasse zu, geht Richtung Babs und Alex Babs [i] \ ! / Babs [v] ja dass die Siite da dure elf isch. Dänn chasch d Hööi Babs [nv] zu Sm2 [i] ! Sm2 [v] Höchi! [4] .. 6 7 Lehrer [nv] bleibt vor Klasse Babs [i] \ ! \ - / Babs [v] im Quadrat mal X im Quadrat gleich (...) ((7)) Wänn d Höchi Babs [nv] streckt auf [5] .. Lehrer [nv] stehen Babs [i] \ ! \ Babs [v] wäisch! Dänn chasch das chliine Drüüeggli döt usrächne. [6] 8 9 10 Lehrer [i] (lächelnd) Lehrer [v] Ja okay. Lehrer [nv] beugt sich aufmunternd zu Alex geht zur Wandtafel Alex [i] + ! ! Alex [v] ((2)) Aa das isch elf! Babs [nv] nimmt Arm runter Babs und ihre Mitschüler übernehmen hier aus eigenem Antrieb durch unprogrammierte Selbstwahl die Rolle des Lehrers, indem sie Alex mit ihren dialektalen Äußerungen den Anschein von Alltagsnähe vermitteln und so dessen Zugang zum Unterrichtsinhalt erleichtern (2-7). Das dialektale Sprechen von Schülern mit der kommunikativen Funktion der Veranschaulichung findet sich nur selten. Solche unterrichtsbezogenen Schüler-Schüler-Interaktionen, wären aber - wie die nonverbale Reaktion des Lehrers zeigt - durchaus erwünscht. <?page no="226"?> 226 7.4.2.2. Einverständnisfunktion Die Schüler können Lehreräußerungen inhaltlich weder loben noch tadeln. Eine Beurteilung von Lehreräußerungen verbietet ihnen ihre Position innerhalb der Institution Schule. Sie können allenfalls einer Lehreräußerung gegenüber ihr Einverständnis oder ihre Abweisung signalisieren. Im folgenden Beispiel kommentiert Cony mittels unprogrammierter Selbstwahl eine - wahrscheinlich rhetorisch gedachte - Frage des Lehrers und drückt dadurch ihr Einverständnis mit der Lehreräußerung aus (2). Dieses Einverständnis wird zusätzlich mit mehrmaligem Kopfnicken unterstützt: Transkription 51: SW-011 05: 11: 25-05: 18: 20 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 Lehrer [i] \ ! / \ ! Lehrer [v] Warum sagt er Durchschnitt? Weil er beim Notenausrechnen Lehrer [nv] steht bei der Wandtafel, schiebt diese mit rechtem Fuß hoch [2] .. 1 2 Lehrer [i] / Lehrer [v] so rechnet? Lehrer [nv] bewegt sich auf Klasse zu Cony [i] (lachend) ! Cony [v] Ja waarschindli scho . Cony [nv] nickt mehrmals SS [v] (lachen) Im Gegensatz zur Einverständnisfunktion beim Dialektgebrauch des Lehrers unterscheidet sich die Einverständnisfunktion beim Varietätenwechsel von Schülern also ganz wesentlich. Trotzdem kann immer noch davon gesprochen werden, dass durch den Dialekt ein solidarisches Einverständnis mit dem Angesprochenen zum Ausdruck kommt. <?page no="227"?> 227 7.4.2.3. Verständnissicherungsfunktion Nicht nur im Interesse des Lehrers, sondern auch im Interesse des Schülers muss es liegen, einen allgemeinen Konsens bezüglich Lerninhalten und der Unterrichtsdurchführung aufrechtzuerhalten bzw. im Störungsfall wiederherzustellen. Insofern besteht eine recht grosse Übereinstimmung in der Verwendung des Dialekts mit Verständnissicherungsfunktion beim Lehrer und bei den Schülern. Jene unter Kapitel 7.4.1.6 erwähnten Kleinstwechsel sind hingegen in dieser Funktion bei den Schülern nicht anzutreffen. Dies liegt nicht etwa im Datenmaterial begründet, sondern im institutionell unterschiedlichen Status der Unterrichtsteilnehmer. Während der Lehrer verpflichtet ist, einen allgemeinen Konsens zu garantieren und damit auch den Lernfortschritt der Schüler erst zu ermöglichen, ist das Interesse an einem solchen Konsens beim Schüler anders ausgerichtet - schließlich hat er ja keinen Bildungsauftrag zu erfüllen. Viele dieser verständnissichernden Kleinstwechsel können zudem nur unter der Voraussetzung adäquat eingesetzt werden, dass ihr Benutzer über lerninhaltspezifische Kompetenzen und Rechte der Unterrichtsgestaltung verfügt, welche die anderen Teilnehmer nicht haben. So ist zum Beispiel ein ‚hm? ’ mit verständnissichernder Funktion am Ende einer inhaltlich wissenszentrierten Äußerung nur möglich, wenn jemand mit einem bestimmten Wissen an jemanden herantritt, der dieses Wissen nicht hat - umgekehrt ist dies nicht möglich. 138 Ebenso kann nur die Lehrperson - da sie über das Recht der Interaktionsprozessgestaltung verfügt - bei den Schülern nachfragen, ob sie damit einverstanden sind. Aus diesen Gründen werden dialektale Fragen mit verständnissichernder Funktion nicht mit Kleinstwechseln an den Lehrer oder die Mitschüler gerichtet, sondern mit expliziten Fragen wie in Transkription 15 oder Transkription 35. Hier richten zwei, resp. sogar fünf Schüler Äußerungen in Dialekt mit Verständnissicherungsfunktion an den Lehrer. Der Lehrer antwortet in Standardsprache. Auch die anderen sechs in den untersuchten Lektionen festgestellten Dialektäußerungen mit der kommunikativen Funktion der Verständnissicherung werden vom Lehrer und an zwei Stellen sogar von den Mitschülern (vgl. z.B. Transkription 16) standardsprachlich beantwortet. Dies ist erwähnenswert, weil Schüler-Schüler-Interaktionen während des 138 Es würde zweifellos als Anmaßung interpretiert, würde ein Schüler eine an den Lehrer gerichtete lerninhaltspezifische Äußerung mit einem ‚hm? ’ abschließen in der Absicht, die wechselseitige Verständigung zu überprüfen. <?page no="228"?> 228 Unterrichts ansonsten konsequent in Mundart gehalten werden (vgl. Transkription 50). Verständnissichernde Dialektäußerungen sind in den hier untersuchten Mathematikstunden zumeist auf akustische Verständnisprobleme zurückzuführen. Eine standardsprachliche Wiederholung der vorangegangenen Äußerung reicht auf der Gymnasialstufe deshalb zur Behebung dieser Probleme und es ist nicht vonnöten, „dass zur Bewältigung einer an sich heiklen Situation kurzfristig zu jener Sprachform übergegangen wird, die vertrauter ist, in der man sich auch kompetenter fühlt und die einem den Partner auch ‚näher’ erscheinen lässt“ (Kropf 1986: 218). Neben akustischen können aber auch lerninhaltspezifische Verständnisprobleme auftreten, die in Mundart geäußert werden: Transkription 52: SW-011 31: 07: 15-31: 09: 27 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 2 Kurt [i] / ! - \ / Kurt [v] Was chund für A? Weli Zahl? Lehrer [i] + ! / Lehrer [v] Keine. A ist A. ((2)) Lehrer [nv] bewegt sich auf Kurt zu breitet beide Arme aus geht zum [2] .. 3 Lehrer [i] - \ ! / \ Lehrer [v] In der Lösung darf das A wieder auftauchen. Lehrer [nv] Lavabo beginnt seine Hände zu waschen Der Lehrer geht in diesem Beispiel davon aus, dass die Beantwortung der von Kurt gestellten Frage (0) auch für die Mitschüler von Interesse ist, er interpretiert also diesen Wortwechsel nicht als individuelle Lehrer- Schüler-Interaktion. Der Lehrer beantwortet die Frage von Kurt aus diesem Grund mit ‚didaktischer Adressierung’ an alle anderen Schüler. Deshalb erfolgt die Antwort des Lehrers in Standardsprache (1-3). <?page no="229"?> 229 7.4.2.4. ‚Hilfe! ’-Funktion In der Nähe der Verständnissicherungsfunktion ist eine andere kommunikative Funktion des Dialekts angesiedelt, die beim Lehrer nicht zu finden ist. ‚Hilfe! ’-Funktion sei sie deswegen genannt, weil dabei der Gebrauch des Dialekts eine inhaltliche 139 Unsicherheit markiert und der Lehrer implizit oder explizit dazu aufgefordert wird, diese Unsicherheit zu beheben: Transkription 53: SW-011 15: 33: 29-15: 41: 12 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 1 2 3 4 Lehrer [i] \ / Lehrer [v] Vladimir. ((3)) ((3)) Anja? Lehrer [nv] bewegt sich auf Vladimir [i] - (zögernd) Vladimir [v] (Ja ich chume äifach nid druus.) Anja [nv] streckt auf nimmt Arm [2] .. Lehrer [i] Lehrer [v] Lehrer [nv] Anja zu Anja [nv] runter Vladimir weist hier nach der Lehrer-initiierten turn-Aufforderung (0) explizit darauf hin, dass er mit der vom Lehrer gestellten Aufgabe Probleme hat (1/ 2). Implizit kann seine dialektale Äußerung interpretiert werden als Bitte an den Lehrer, diesen Schwierigkeiten ein Ende zu berei- 139 Ausschließlich in unteren Schulstufen kann der Gebrauch des Dialekts in dieser Funktion auch eine sprachliche Unsicherheit bedeuten. Dies äußert sich zum Beispiel in Schüleräußerungen, die mit einem dialektal realisierten oder verstandardsprachlichten Ausdruck und steigender Intonation enden, den sie vom Lehrer übersetzt oder bestätigt haben möchten (vgl. Kropf 1986: 237-239). <?page no="230"?> 230 ten. Der Lehrer möchte die gestellte Aufgabe aber nicht selbst beantworten und erteilt Anja auf ihre turn-Bewerbung hin das Wort (4). Im nächsten Beispiel beantwortet zwar Alex die vom Lehrer gestellte Frage, ist aber aufgrund der Lehrerreaktion (2) unsicher, ob die Antwort wirklich korrekt ist. Seine Unsicherheit thematisiert er implizit durch das angehängte nöd? (3) mit steigender Intonation: Transkription 54: SW-011 24: 17: 28-24: 26: 27 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-K.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] \ / \ / Lehrer [v] Welchen Satz hast du benützt? Lehrer [nv] steht neben Lehrerpult, blickt Richtung Alex bewegt sich Richtung Alex [i] ! \ Alex [v] Hööesatz. Babs [nv] kaut auf einem Stift herum [2] .. 2 3 4 5 6 Lehrer [v] ((1)) ((1)) Lehrer [nv] Alex verzieht Miene bewegt sich Richtung Alex schaut Babs an Alex [i] - < / Alex [v] ((1)) Höhensatz, nöd? Babs [i] - (zögernd) Babs [v] Ää aso [3] 7 Lehrer [i] ! < > / Lehrer [v] Babs, welchen Satz hat er benützt? Lehrer [nv] zeigt mit Arm auf Alex Auch hier bietet der Lehrer nicht direkt Hilfe an, sondern gibt seine Frage an Babs weiter, die ihr Interesse an einer turn-Übernahme durch unprogrammierte Selbstwahl angemeldet hat (5). <?page no="231"?> 231 7.4.2.5. Intensivierungsfunktion Bei der Intensivierungsfunktion wird die sprachformspezifische Variationsfähigkeit des Schülers als ihm eigene Möglichkeit gewertet, seinen Anliegen Nachdruck zu verleihen, als kommunikatives Instrument, mit dem er seine im Vergleich zum Lehrer geringere fachliche (und sprachliche) Kompetenz aufzuwiegen versuchen kann. Es handelt sich demnach um eine Funktion, die ganz auf die Schülerrolle zugeschnitten ist und seitens des Lehrers keine Entsprechung hat. Meist sind die Äußerungen, denen Intensivierungsfunktion zugeschrieben werden können, von einem verstärkten emotionalen Engagement getragen. Dies ist typisch für eine Situation, in der es darum geht, den Lehrer von etwas zu überzeugen: In Transkription 25 zeigt der Lehrer Anja mit seiner Reaktion auf ihre Äußerung, dass er sie als falsch einschätzt (3). Anja ist sich der Korrektheit ihrer Antwort aber sicher und möchte deshalb den Lehrer von der Richtigkeit ihrer Äußerung überzeugen. Als Mittel, um ihrer vorherigen Äußerung Nachdruck zu verleihen, dient ihr eine dialektale Äußerung mit der kommunikativen Funktion der Intensivierung (4). Überrascht von der Beharrlichkeit von Anja - sieht doch die institutionelle Rollenverteilung im Grunde genommen Einschätzungen von Lehrer-turns durch die Schüler nicht vor - schaut sich der Lehrer das Heft von Anja an und entdeckt, dass er in ihrer Äußerung anstatt A fälschlicherweise H verstanden hat. Dieses Beispiel zeigt, dass Überschneidungen mit anderen kommunikativen Funktionen des Dialekts (insbesondere mit der Widerspruchsfunktion; siehe Kap. 7.4.2.8) nichts Außergewöhnliches sind. 7.4.2.6. Einbezugsfunktion In Kapitel 3.3 wurde darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen Kommunikationsebenen und Adressierungsmöglichkeiten der unterrichtlichen Kommunikation die hauptsächlichen Voraussetzungen dafür bilden, dass die Schüler ein außerordentlich differenziertes Regelsystem entwickeln, das die Zuweisung einzelner Äußerungen zu den Kommunikationsebenen sowie den Adressierungstypen (z.B. mittels Sprachformvariation) festlegt. Die Einbezugsfunktion des Dialekts im Unterricht basiert nun genau auf diesen Zuweisungsmechanismen. Ziel eines Dialektgebrauchs mit Einbezugsfunktion ist es, einen Redebeitrag, der aus der Sicht des sprechenden Schülers als offiziell oder inoffiziell gelten soll, auf der Ebene des offiziellen Geschehens, also der Hauptkommunikationsebene, zu platzieren. Dialektwechsel, denen Einbezugsfunktion zukommt, weisen meist typische Merkmale auf: So müssen die Äußerungen, in <?page no="232"?> 232 denen der Wechsel stattfindet, genügend laut sein, um von den anderen Kommunikationsteilnehmern gehört zu werden und damit einen gewissen Grad von Offizialität zu gewinnen. Von ihrer Ausgangslage her sind sie nicht auf der Ebene der Haupt-kommunikation platziert - es ist ja das eigentliche Ziel der betreffenden Äußerung, offiziell oder inoffiziell auf die Ebene der Hauptkommunikation zu gelangen. Dies erklärt auch, weshalb diese Äußerungen initiativen Charakter haben, also mittels Selbstwahl der Schüler erfolgen. Die Untersuchung der dialektalen Ausdrücke des Korpus hat gezeigt, dass der Einbezugsfunktion des Dialekts im Unterricht eine grosse Bedeutung zukommt. Es wird im Folgenden zwischen Varietätenwechseln unterschieden, mittels denen versucht wird, offiziell oder inoffiziell auf die Hauptkommunikationsebene zu gelangen. In Transkription 24 sind die vorher angesprochenen Hauptelemente vorhanden: Babs macht - ohne den Lehrer oder ihre Mitschülerin Cony direkt zu unterbrechen - mittels Selbstwahl verbal und nonverbal durch Heben der Hand deutlich, dass sie den turn übernehmen möchte (4) und spricht so laut, dass sie wahrgenommen wird. Der Lehrer geht auf ihr Votum ein, indem er ihre Selbstwahl nachträglich legitimiert und ihr damit den turn offiziell zuteilt (6/ 7). 140 Die Hauptkommunikationsebene ist zur Zeit ihres Sprechens besetzt gewesen durch die offizielle Gesprächssequenz turn-Übernahme S turn-Ein-schätzung L . Auf dieser Hauptkommunikationsebene hat Babs zu diesem Zeitpunkt keine eigentliche Interaktionserlaubnis, sie dringt also quasi von außerhalb auf die offizielle Unterrichtsebene. Indem sich Babs vorerst - d.h. bevor sie sich lerninhaltzentriert äußert - verbal um die turn-Übernahme bemüht, zeigt sie, dass ihr der Verstoß gegen die Norm der geregelten turn- Abfolge bewusst ist. Dies erklärt die nachträgliche Legitimierung ihrer Selbstwahl durch den Lehrer. In Transkription 25 gelangt ein Schüler inoffiziell auf die Ebene der Hauptkommunikation (6): Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel, in dem Babs beabsichtigt hat, als Sprecherin offiziell auf die Hauptkommunikationsebene zu gelangen, ist die Äußerung des Schülers so ausgerichtet, dass sie nicht als offizieller Unterrichtsbeitrag angesehen werden kann. Zwar geht es hier wie bei Babs immer noch darum, von der Klasse (weniger vom Lehrer) wahrgenommen zu werden, doch es liegt nicht im Interesse des Sprechenden, seine Person allzu sehr in den Vordergrund zu stellen, sondern eher, seinen Beitrag ‚anonym’, inoffiziell zu platzieren: 140 Anstatt den Lehrer mit seinem Namen anzusprechen, benutzt Babs zur turn- Anmeldung die Kurzform Sii, die laut Kropf (1986: 146) besonders in unteren Schulklassen sehr häufig vorkommt. <?page no="233"?> 233 Er äußert sich zwar, nimmt sich als Person aber gleich wieder zurück. Der Dialekt fungiert hier gleichsam als Äußerungsmittel, sich unerkannt bemerkbar zu machen. Im vorliegenden Fall ist dem Schüler diese Einbezugsfunktion seiner Dialektäußerung ganz offensichtlich gelungen, konnte doch die Äußerung zwar relativ deutlich gehört, aber keinem der Schüler eindeutig zugeordnet werden. Auch das Einflüstern einer Antwort von Sascha in Transkription 27 stellt einen Versuch dar, inoffiziell auf die Hauptkommunikationsebene zu gelangen. Es ist nicht immer deutlich entscheidbar, ob Schüler mittels der dialektalen Einbezugsfunktion offiziell oder inoffiziell auf die Hauptkommunikationsebene gelangen wollen. In Transkription 39 (25-27) befindet sich nur Simon offiziell auf der Ebene der Hauptkommunikation. Die turns durch Selbstwahl von Cony und Babs können weder klar einem offiziellen noch einem inoffiziellen Versuch, auf die Hauptkommunikationsebene zu gelangen, zugeordnet werden. In beiden Äußerungen wird aber die Einbezugsfunktion ihrer dialektalen Äußerung deutlich. In Transkription 32 interpretiert Norbert den standardsprachlichen ‚first starter’ von Felix (2) als Versuch, sich offiziell in die Hauptkommunikationsebene einzubringen. Trotz offizieller turn-Zuteilung des Lehrers auf seine turn-Bewerbung hin realisiert Norbert die Antwort in Dialekt, da die Antwort - gemäss seiner Interpretation - bereits auf der Hauptdiskursebene erfolgt ist. Zudem sieht Norbert wahrscheinlich durch die Äußerung des Lehrers (obwohl es nicht direkt Mathematik ist) (0) den institutionellen Rahmen gesprengt, was den Mundartgebrauch legitimieren würde. 7.4.2.7. Rückzugsfunktion Die Rückzugsfunktion dialektalen Sprechens im Unterricht ist in enger Anlehnung an die eben besprochene Einbezugsfunktion zu sehen. Auch hier ist die zentrale Komponente die Möglichkeit und Fähigkeit der Schüler, mittels Sprachformvariation den Offizialitätsstatus ihrer Äußerungen zu definieren und sie so auf den verschiedenen Kommunikationsebenen zu platzieren. Die Rückzugsfunktion beschränkt sich, wie die Einbezugsfunktion, auf den Dialektgebrauch bei den Schülern. Wie der Name es bereits andeutet, kann sie als Gegenstück zur Einbezugsfunktion aufgefasst werden: Der Schüler, der im standardsprachlichen Kontext den Dialekt gebraucht, ist nämlich hier in die Hauptkommunikationsebene eingegliedert und versucht, durch den Gebrauch des Dialekts der Sprechsitua- <?page no="234"?> 234 tion ihre Offizialität zu nehmen und sich so möglichst von der Hauptkommunikationsebene zurückzuziehen. Der Dialekt kann also als Versuch interpretiert werden, die offizielle Hauptkommunikationsebene, in die der Schüler involviert ist, zu verlassen. Äußerungen mit Rückzugsfunktion sind zudem gekennzeichnet durch ihre reaktive Platzierung in der Abfolge der Redebeiträge: Simon ist in Transkription 39 durch einen bereits getätigten eigenen Redebeitrag in die Hauptkommunikationsebene eingegliedert (23/ 24). Auf die dialektalen Äußerungen mit Einbezugsfunktion von Cony und Babs (25/ 26), mit denen sie Simons Äußerung in Frage stellen, reagiert Simon mit einem Varietätenwechsel zur Mundart mit Rückzugsfunktion. Er möchte nämlich die Hauptkommunikationsebene verlassen und auf der Ebene der Nebenkommunikation rechtfertigend auf die Äußerungen der beiden Mitschülerinnen reagieren (27). Dadurch erreicht er, dass seine vorherige Äußerung (23/ 24) auf der Hauptkommunikationsebene bleibt und die Mitschüler die Sequenz 25-27 als Nebenkommunikation wahrnehmen. 7.4.2.8. Korrektur- und Widerspruchsfunktion Bei der Korrektur- und Widerspruchsfunktion dient die sprachformspezifische Variationsfähigkeit des Schülers dazu, Äußerungen des Lehrers oder der Mitschüler zu korrigieren oder ihnen zu widersprechen. Äußerungen in Dialekt mit Korrektur- und Widerspruchsfunktion haben initiativen Charakter, erfolgen also meist mittels Selbstwahl der Schüler. Da die institutionelle Rollenverteilung den Schülern die Einschätzung von Lehrer-turns im Grunde genommen verbietet, ist die Korrekturfunktion dialektalen Sprechens in Bezug auf Lehreräußerungen nur erlaubt, wenn sich der Lehrer in einem Sachverhalt offensichtlich geirrt hat: Transkription 55: SW 011-27: 48: 09-27: 51: 09 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-011-L.MPG [1] 0 Sm [i] < / ! > ! Sm [v] Händ Sie jetz für H händ Sie jetz deet de Hööesatz oder de Lehrer [nv] schaut in Richtung des sprechenden Schülers <?page no="235"?> 235 [2] .. 1 Sm [i] ! - \ Sm [v] Flächesatz gno? Lehrer [i] ! - < Lehrer [v] Das war falsch, ja, danke. Lehrer [nv] geht zur Wandtafel Der Schüler bezieht sich hier auf eine Wandtafelbeschriftung des Lehrers, in der er statt ‚Flächensatz’ die unkorrekte Bezeichnung ‚Höhensatz’ verwendet hat. Aus Höflichkeit formuliert er seine dialektale Äußerung mit der kommunikativen Funktion der Korrektur in Form einer Frage (0). Der Lehrer erkennt die Korrekturfunktion der Schüleräußerung trotz ihrer Frageform und beantwortet aus diesem Grund nicht die Frage des Schülers, sondern geht standardsprachlich auf den Korrekturgehalt der Äußerung ein. Der Lehrer ist froh um das aktive Mitdenken des Schülers und bedankt sich für seinen Hinweis (1). Im folgenden Beispiel verlangt der Lehrer von Lea die Abgabe einer Verbesserung (0/ 1), worauf Lea ihn noch während seines turns mittels einer dialektalen Äußerung mit Korrekturfunktion darauf hinweist, dass sie die vom Lehrer erwartete Handlung bereits vollzogen hat (2). Der Lehrer bemerkt daraufhin seinen Irrtum (3): Transkription 56: SW-074 04: 58: 10-05: 07: 29 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] ! \ / \ (zögernd) Lehrer [v] Einige von euch haben die Verbesserung abzugeben. Ää Lehrer [nv] steht hinter dem Lehrerpult, schaut in sein Klassenbuch [2] .. 1 Lehrer [i] > < Lehrer [v] Claudio hat sie schon gebracht. Monika, Daniel und Lea ((1)) Lehrer [nv] blickt Richtung <?page no="236"?> 236 [3] .. 2 3 Lehrer [i] > - > ! > \ Lehrer [v] darf ich die noch schnell haben. Ja in Physik ja. Lehrer [nv] Klasse schaut zu Lea Lea [i] ! / Lea [v] Ich ha sie Ine gää. In Transkription 28 weist ein Schüler den Lehrer darauf hin, dass die Aufgaben, deren Ergebnisse der Lehrer kontrollieren möchte, noch nicht gelöst worden sind (6). Der Lehrer ignoriert - vermutlich wegen der allgemeinen Unruhe in der Klasse - diese dialektale Schüleräußerung. Als eine Schülerin ihn zur turn-Anmeldung mit der dialektalen Kurz-form Sii? anspricht (8), erteilt der Lehrer ihr offiziell den turn (9). Sie weist ihn in Mundart darauf hin, dass diese Aufgaben noch nicht gelöst worden sind (10) und der Lehrer korrigiert - nach kurzem Zögern - seine Aussage (11). Auch hier brauchen die Schüler wegen ihrer Selbstwahl mit dialektaler Korrekturfunktion keine Disziplinierung zu fürchten, da die korrekte Angabe der Aufgabennummern für den Fortgang der Unterrichtsstunde unabdingbar ist. Selbstverständlich werden auch Mitschüleräußerungen korrigiert, wobei dann dem Varietätenwechsel häufig eher eine Widerspruchsfunktion zukommt: Transkription 57: SW-059 18: 49: 25-19: 00: 06 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-K.mpg [1] 0 1 2 Albert [i] ! Albert [v] Sechsundfünfzig Komma fünf. Albert [nv] nimmt Arm runter Arno [nv] nimmt Arm runter Nadia [nv] (nimmt Arm runter) Lehrer [i] Lehrer [v] Lehrer [nv] steht vor WT, schaut zu Albert geht zum Hellraumprojektor <?page no="237"?> 237 [2] .. 3 4 5 Lehrer [i] ! \ / Lehrer [v] Sechsundfünfzigeinhalb ja. ((1)) Lehrer [nv] schreibt auf Hellraumprojektor Sf [i] \ ! / Sf [v] Näi föifesechzg. Sm [i] - ! \ Sm [v] Wiiso nöd [3] .. 6 Lehrer [i] < \ > ! Lehrer [v] ((3)) Vielleicht wollen wir's trotzdem noch schnell Lehrer [nv] richtet sich auf, wendet sich der Klasse zu Sm [i] / Sm [v] nünefüfzg? [4] .. Lehrer [i] / \ Lehrer [v] durchrechnen. Lehrer [nv] Albert beantwortet eine Frage des Lehrers (0/ 1), der die Antwort als richtig einstuft (2). Eine Mitschülerin und ein Mitschüler haben zwei andere Resultate erhalten, weshalb sie sich mittels unprogrammierter Selbstwahl in den Hauptdiskurs einschalten. Die dialektale Äußerung der Schülerin bezieht sich dabei auf Alberts Äußerung: Sie widerspricht der Antwort von Albert und stellt ihre Antwort als korrekt dar (3). Die Äußerung des Schülers ist offensichtlich auf die turn-Einschätzung des Lehrers bezogen (5). Er widerspricht dem Lehrer nicht, sondern bietet in höflicher Frageintonation sein Resultat als Diskussionsgrundlage dar, womit er den Lehrer zur turn-Übernahme verpflichtet. Dieser bietet an, die Aufgabe im Plenum nochmals durchzurechnen (6). <?page no="238"?> 238 7.4.2.9. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsfunktion Ein Varietätenwechsel kann eine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsfunktion aufweisen, wenn als Reaktion auf eine Disziplinierung, einen Vorwurf oder eine andere Äußerung, die aus Sicht der Schüler eine Rechtfertigung oder Entschuldigung verlangt, von der Standardsprache zum Dialekt gewechselt wird. Dialektale Äußerungen mit Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsfunktion sind immer reaktiv: In Transkription 30 reagiert Felix auf die dialektale Disziplinierung des Lehrers mit einer Dialektäußerung mit Rechtfertigungsfunktion. Im nachfolgenden Unterrichtsausschnitt reagiert Fatima auf einen Hinweis des Lehrers mit einer dialektalen Kurzantwort mit Entschuldigungsfunktion: Transkription 58: SW-059 19: 38: 08-19: 45: 13 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-059-L.mpg [1] 0 1 Lehrer [i] (lächelnd) ! \ Lehrer [v] Ich hatte den grünen Stift in der Hand und Lehrer [nv] richtet sich vom OHP auf blickt Richtung Fatima Arno [nv] streckt auf Frieda [nv] (streckt auf) [2] .. 2 Lehrer [i] / + < ! ! > - / Lehrer [v] meinte zuerst das grosse, grüne Rechteck und das ist etwas Lehrer [nv] geht auf Klasse zu Arno [nv] [3] .. 3 Lehrer [i] \ / \ Lehrer [v] größer. Frieda? Lehrer [nv] weist mit linker Hand zu Frieda Fatima [i] (lächelnd, entschuldigend) Fatima [v] Äxgüsi. Arno [nv] nimmt Arm runter <?page no="239"?> 239 In der zu bearbeitenden Aufgabe sind zwei Rechtecke - ein rotes und ein grünes - zu berechnen. Fatima gibt als Antwort die Fläche des roten Rechtecks, obschon der Lehrer den grünen Stift in der Hand hält und damit signalisiert, dass er das Resultat der Fläche des grünen Rechtecks wünscht (0-2). Obwohl Fatima aus ihrer Position im Tableau die Farbe des Stifts nicht erkennen kann, entschuldigt sie sich beim Lehrer (3). Kurz zusammengefasst lässt sich sagen, dass - abgesehen von den Variationsbereichen, die bewusst beiseite gelassen wurden oder nicht vorkamen - eine Zuordnung der dialektalen Äußerungen bzw. Äußerungsteile des Lehrers und der Schüler zu den einzelnen kommunikativen Funktionen jeweils möglich war. Probleme traten vor allem dann auf, wenn eine Zuordnung zu verschiedenen Funktionen in Frage kam, also bei Überlappungen der einzelnen Funktionen, was in der Vielgestaltigkeit der einzelnen Äußerungen, ihrer Absichten und Interpretationsmöglichkeiten begründet liegt, zu deren Erfassung das Kategoriensystem kommunikativer Funktionen des dialektalen Sprechens beim Lehrer und den Schülern nur einen recht groben Raster abgeben kann. 7.4.3. Dialekt-Reviere Nachdem oben die kommunikativen Funktionen der Dialektäußerungen analysiert wurden, werden hier so genannte ‚Dialekt-Reviere’ aufgezeigt. Unter Dialekt-Revieren werden jene Äußerungsbereiche verstanden, die ganz offensichtlich dem Anspruch auf Standardrealisierung gar nicht unterworfen sind. In keiner der untersuchten Unterrichtsstunden konnte wegen der Dialektäußerungen der Schüler ein Rekurs auf die offizielle Norm durch den Lehrer festgestellt werden - trotz der Globalität des standardsprachlichen Anspruchs im Unterricht auf der Gymnasialstufe. Nicht alle dialektalen Äußerungen, die im Schulunterricht auftreten und Teil eines Dialekt-Reviers sind, haben denselben Status hinsichtlich ihrer bewusstseinsmässigen Verankerung bei den Kommunikationsteilnehmern. Aus diesem Grund werden nachfolgend verschiedene Typen von Revieren auseinander gehalten, wobei die Einteilung in absolute und interaktionelle Dialekt-Reviere von Kropf (1986) übernommen wird. Während die in den Kapiteln 7.4.1 und 7.4.2 untersuchten Dialektäußerungen in standardsprachlichen Äußerungsbereichen vollzogen wurden und deshalb deren Realisierung in Standardsprache erwünscht und möglich gewesen wären, sind absolute Dialektreviere (Kap. 7.4.3.1) und die innerhalb eines interaktionellen Dialektreviers realisierten Äußerungen (Kap. 7.4.3.2) dem Anspruch auf Standardsprache nicht unterworfen - und zumeist (zum heutigen Zeitpunkt) in Standardsprache nicht einmal denkbar. <?page no="240"?> 240 7.4.3.1. Absolute Dialektreviere Standardsprachliche Äußerungen im schülerinternen Gespräch, das frei von didaktischem Bezug ist, sind in der Deutschschweiz undenkbar. Mit dem schülerinternen Gespräch ist ein beträchtlicher Teil des sprachlichen Gesamtvolumens der Unterrichtslektionen von der offiziell geltenden Verwendung der Standardsprache ausgeklammert. Da die schülerinterne Kommunikation funktional nicht in den Standardkontext integriert ist und ein absolutes Dialektrevier ohne jegliche standardsprachlichen Äußerungen darstellt, werden für diesen Reviertyp keine Beispiele angegeben. Es sei an dieser Stelle lediglich auf Transkription 39 (25-27) und Transkription verwiesen, in denen die Dialektäußerungen als schülerinternes Gespräch interpretiert werden können. Eine Sonderstellung innerhalb der absoluten Dialektreviere nehmen die Interjektionen ein, auf die hier etwas genauer eingegangen werden soll, da sie auf allen Schulstufen häufig vorkommen. Interjektionen sind der Standardnorm nicht unterworfen und finden sich sowohl in standardsprachlicher als auch in dialektaler Umgebung. Eine Verschriftung der Interjektionen stellt meist ein relativ schwieriges Unterfangen dar und lautlich identische Gebilde würden bei verschiedenen Transkribenten oft sehr unterschiedliche Gestalt annehmen. In dieser Arbeit wurden auch bei der Transkription der Interjektionen die Richtlinien zur Dialektschreibung nach Dieth berücksichtigt. 141 Interjektionen besitzen zudem häufig ein breites Spektrum möglicher Deutungen und sind deshalb nur mit Einbezug des Kontextes und der vokalbzw. nonvokal-nonverbaler Realisierung interpretierbar. Bei der Deutung der varietären Komponente dieser Wörter können sich Schwierigkeiten ergeben: Viele von ihnen werden von allen Sprechern deutscher Sprache verwendet. Während die einen aufgrund ihrer Intonation eindeutig der einen oder andern Varietät zugeordnet werden können, ist eine diesbezügliche Interpretation bei anderen ausgeschlossen. Da im verwendeten Korpus alle vergleichbaren Wortgebilde, deren Sprachform entscheidbar ist, dem Dialekt zuzurechnen sind, ist der Schluss wohl zulässig, dass diese nicht eindeutig entscheidbaren Fälle als dialektal realisiert zu betrachten sind. Als standardsprachlich zu taxierende Ausdrücke dieser Kategorie kommen also praktisch gar nicht vor. Kropf (1986: 127) nennt mehrere Gründe, weshalb Interjektionen der unterrichtlichen Standardnorm nicht unterworfen sind: 141 Dies kann mitunter zu ungewohnten Abweichungen vom standardsprachlichen Schriftbild führen (siehe Fussnote 142). Zu den Richtlinien zur Dialektschreibung von Dieth vgl. Kapitel 4.2.2. <?page no="241"?> 241 - Interjektionen entgehen aufgrund ihres geringen Umfangs der bewussten Wahrnehmung durch die Kommunizierenden rascher als längere Äußerungen - selbst dann, wenn sie Satzfunktion erfüllen. - Die Kürze wirkt sich auch auf die Reaktionsmöglichkeiten der Adressaten aus, da korrigierende Eingriffe etwa von Lehrerseite sehr oft nur längere Äußerungen erfassen. - Eine Übersetzungsmöglichkeit wird im Bewusstsein gar nicht in Betracht gezogen. - Interjektionen haben einen geringen Offizialitätsgrad, da sie häufig nicht als Teil des offiziellen Unterrichtsdiskurses betrachtet werden. Da Interjektionen generell dialektal realisiert werden, können sie zu den absoluten Dialektrevieren gezählt werden. Da die im standardsprachlichen Kontext verwendeten Interjektionen im Gegensatz zu den Dialektäußerungen im schülerinternen Gespräch funktional in diesen Kontext integriert sind, weisen sie bezüglich ihrer kommunikativen Funktion einen anderen Stellenwert auf. Um aufzuzeigen, wie dies im konkreten Fall aussieht, wird ein Einblick in die Mannigfaltigkeit der Formen und Funktionen dieses Äußerungstyps gegeben. Die Äußerung ‚ääm’ (‚ää’, ‚ä’) 142 als Ausdruck des Zögerns und Hinausschiebens der Äußerungsfortsetzung (Verzögerung) oder der Selbstkorrektur ist die bei den Schülern am häufigsten festgestellte Interjektion. Von der Intonation her lässt sie sich meist leicht als dem Dialekt zugehörig bestimmen. In Transkription wird sich Sabine während des Sprechens bewusst, dass ihr Äußerungsbeginn falsch war. Sie bricht die Äußerung ab, macht eine (Überlegungs-)Pause und wiederholt den ersten Äußerungsteil nach der eingeschobenen Interjektion korrekt (10). Mit dem ä macht Sabine deutlich, dass die bisherige Äußerung falsch war und für die turn-Beurteilung des Lehrers nur der nachkommende Teil gelten soll. Die vor und nach dem nächsten ääm eingestreuten Pausen erleichtern die Interpretation dieser Interjektion als Ausdruck des Zögerns (11). Äußerungen mit der Interjektion ääm finden sich auch bei Lehrpersonen. In Transkription 28 finden sich das Ää als Ausdruck des Zögerns (0) und das kurz gehaltene Ä mit der kommunikativen Funktion der Selbstkorrektur (11). Ää als Ausdruck des Zögerns ist bei Schülern in vielen Fällen verbunden mit dem ebenfalls häufigen aso: In Transkription 17 stellt Enia das Aso an den Anfang ihrer Antwort auf die Lehrerfrage (11). Die Stellung ihrer Äußerung im Unterrichtdiskurs ist reaktiv. Ihr Aso ist nicht 142 Diese Schreibweise ergibt sich aus der für die Transkription der Dialektäußerungen verwendeten Dieth-Schreibung, in der lange Vokale doppelt geschrieben werden & auf andere Vokallängen-Kennzeichnungen wie z.B. ‚h’ (ähm, äh) verzichtet wird. <?page no="242"?> 242 Ausdruck ihrer Unsicherheit, sondern erfolgt sofort und geht ohne Unterbruch in den Rest der Äußerung über. Das Äußerungseinleitende Aso wird damit zu einem integralen Bestandteil ihrer Antwort. Ihr zweites aso muss präzisierend gedeutet werden. Enia wird bewusst, dass sie sich zu wenig präzise ausgedrückt hat. Nach dem aso ersetzt sie ihr eben benutztes Wort mit einem mathematischen Begriff (11). Durch die beiden ää kann Enia die Äußerungsfortsetzung hinausschieben, ohne ihre Äußerung mit einer Pause unterbrechen zu müssen. Sie gewährleistet damit die Kontinuität ihres Redeflusses (11/ 12). Die Interjektionen ää und aso sind wohl unbeabsichtigt produzierte Ausdrücke des Ringens nach Worten durch Enia. Grundsätzlich könnten beide aso-Typen durch das entsprechende standardsprachliche ‚also’ ersetzt werden, wie es beim Lehrer geschieht. Das Wort näi (nein) kann verschiedene kommunikative Bedeutungen annehmen (Antwort, Selbstkorrektur) und je nach Verwendungszusammenhang wird als Sprachform die Mundart oder die Standardsprache vorgezogen: In Transkription 6 möchte der Lehrer Monika wegen einer Falschinterpretation ihrer Geste die Sprecherrolle aufdrängen. Monikas perplexe Reaktion lässt den Lehrer erahnen, dass ihre Geste keine nonverbale turn-Bewerbung dargestellt hat. Überrascht fragt er Monika explizit, ob sie nicht aufgestreckt [sic! ] habe. In diesem Zusammenhang antwortet Monika mit Näi (7). Die Interjektion hm (m-m, m-h) wurde im untersuchten Korpus mehrheitlich von den Lehrern gebraucht. Deren akustische Realisierung lässt jedoch oft keinen sicheren Schluss zu, ob es sich dabei um Dialekt oder Standardsprache handelt. Um die zum Teil sehr unterschiedlichen Bedeutungen zu entschlüsseln, muss bei diesen Interjektionen die vokalnonverbale Komponente sehr stark mit in Betracht gezogen werden. In Transkription 19 wird mit der Interjektion hm? Zustimmung verlangt (0). Das hm? entspricht hier der unter Kapitel 7.4.1.6 erwähnten Funktion der Verständnissicherung, mit welcher der Konsens der Kommunikationspartner kontrolliert wird. Durch die Interjektion M-h mit steigender Intonation in Transkription 33 gibt der Lehrer Erika bekannt, dass er ihre Antwort als richtig einstuft. Solche Interjektionen mit zustimmender Bedeutung werden im Unterricht von den Lehrpersonen oft gebraucht und können als typisches Resultat der Rederechtsverteilung in der Schule betrachtet werden, die das Monopol der turn-Einschätzung dem Lehrers zuweist (vgl. auch Transkription 60). Als Gegenstück zur zustimmenden Interjektion ist jene mit verneinender Bedeutung anzutreffen (z.B. m-m mit fallender Intonation oder Lautäußerungen wie Pf ö ö in Transkription 25 (3) mit ebenfalls fallender <?page no="243"?> 243 Intonation). Die schlechte Entscheidbarkeit der verwendeten Sprachform kennzeichnet auch die Interjektion ‚ah’ (aha). Sie wird sowohl von Lehrern als auch von Schülern verwendet, wobei sie bei letzteren zumeist, bei den Lehrern oft im Dialekt gehalten wird. In Transkription 6 drückt der Lehrer sein Verstehen gleich zweimal mit Aa (6), resp. Aha (8) aus, wobei die verwendete Sprachform nicht eindeutig festgestellt werden kann. In Transkription 50 verhelfen Babs und ein Mitschüler Alex zum Verständnis eines Unterrichtsinhalts. Seine Einsicht gibt Alex mit einem dialektalen Aa kund. Nebst den eben erwähnten Interjektionen gibt es eine Vielzahl weiterer im Unterricht gebrauchter Ausrufe-, Ausdrucks und Empfindungswörter (Ou, ui, nid usw.), denen hier nicht genauer nachgegangen wird. 7.4.3.2. Interaktionelle Dialekt-Reviere Interaktionelle Dialekt-Reviere sind an typische Kommunikationssituationen gebunden, welche die Interaktionsteilnehmer gewohnheitsmäßig wieder erkennen können und von denen sie wissen, dass in ihnen der Dialekt aufgrund eines interaktionell hergestellten Einverständnisses erlaubt ist. Weil Reviere durch die Sprechpraxis der Interagierenden konstituiert werden und nur für diese Gültigkeit haben, sind sie hinsichtlich ihrer weiteren Existenz auf die ständige Bestätigung durch diese Interagierenden angewiesen. Aus dieser Bestätigungsnotwendigkeit ergibt sich auch die kommunikative Funktion, die regelmäßigem Dialektsprechen zukommt: Da ein Dialekt-Revier innerhalb des ansonsten standardsprachlichen Unterrichts nur dann existiert, wenn es ständig durch entsprechendes sprachliches Agieren der jeweiligen Kommunikationsteilnehmer bestätigt wird, kommt dem interaktionell anerkannten regelmäßigen Dialektgebrauch immer auch eine Revierbestätigungsfunktion zu. 143 Als interaktionelle Dialekt-Reviere werden bestimmte Unterrichtssequenzen verstanden, für die ein Anspruch auf Standardrealisierung zwar grundsätzlich besteht, der jedoch dauernd außer Kraft gesetzt wird. In Kapitel 7.3.3.4 wurde aufgezeigt, dass die Standardsprache im Mathematikunterricht als selbstverständliche Unterrichtssprache verlangt wird. Nur drei der angefragten Mittelschulen machen Zugeständnisse für den Dialektgebrauch bei Unterrichtssequenzen mit bestimmten Sozialformen. 144 Die Untersuchung der Videoaufnahmen hat aber eine sehr viel 143 Dialektalem Sprechen, das nicht zu einem Revier gezählt werden kann, kommt dementsprechend natürlich potentiell Revierbildungsfunktion zu. 144 Konkret genannt wurden Einzelberatungen, Gruppenunterricht und informelle Unterrichtssequenzen. <?page no="244"?> 244 häufigere Dialektverwendung gezeigt als die von den Rektoren und Prorektoren der angefragten Gymnasien als restriktiv beschriebene Standardnorm-Handhabung vermuten ließe. Zusätzlich zu allen bisher erwähnten Dialektäußerungen oder Äußerungsteilen wurden in den Unterrichtsprozessen aller vier untersuchten Schulklassen durchgehend im Dialekt gehaltene Äußerungsfolgen ausgemacht, die in jeder Lektion zwischen 22% und 38% der gesamten Unterrichtszeit beanspruchen. In allen vier Klassen stellen die individuellen Lehrer-Schüler-Gespräche während der Sozialform ‚Einzelarbeit’ ein interaktionelles Dialektrevier dar. 145 In Sequenzen der Einzelarbeit - die in den untersuchten Lektionen knapp ein Viertel bis gut ein Drittel der 45-minütigen Lektionen ausmachen - besteht weder vom Lehrer noch von den Schülern ein Anspruch auf Standardrealisierung. Nicht alle Äußerungen, die eine Sequenz des interaktionellen Dialektreviers bilden, haben in Bezug auf die kommunikative Funktion ihrer varietären Komponente denselben Stellenwert: Jenen, die zu Beginn der revierbildenden Sequenz stehen, fällt meist die Aufgabe zu, diesen Sachverhalt anzuzeigen, d.h. den nicht-sprechenden Kommunikationsteilnehmern zu signalisieren, dass sie sich innerhalb eines Dialektreviers befinden und demzufolge der Standardanspruch vorübergehend aufgehoben ist: Transkription 59: SW-018 30: 06: 23-30: 54: 02 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 Lehrer [i] ! / \ - ! Lehrer [v] So und da möchte ich euch zuerst eben selbstständig alleine Lehrer [nv] geht auf Klasse zu bleibt vor [2] .. 2 Lehrer [i] + / \ / \ < Lehrer [v] die Sache etwas erarbeiten lassen und das anhand der Aufgabe Lehrer [nv] Klasse stehen geht zurück zur Wandtafel 145 Ein weiteres interaktionelles Dialekt-Revier, nämlich die individuellen Lehrer- Schüler-Gespräche während des Verteilens der Aufgabenblätter durch den Lehrer, wird hiermit erwähnt, aber es wird nicht näher darauf eingegangen. <?page no="245"?> 245 [3] .. 3 4 Lehrer [i] ! / \ Lehrer [v] drei von der Seite siebenundneunzig. ((5)) ((6)) Lehrer [nv] putzt WT schreibt [4] .. 5 Lehrer [i] > ! \ ! Lehrer [v] Aufgabe a und b würd ich meinen Lehrer [nv] Aufgabennummer an WT geht auf Klasse zu [5] 6 Lehrer [i] \ < ! \ ! Lehrer [v] sollten relativ problemlos möglich sein. Wenn man b vor allem Lehrer [nv] bleibt vor Klasse stehen [6] .. 7 8 Lehrer [i] / > ! \ ! Lehrer [v] verstanden hat dann eben kann man auch dann c Lehrer [nv] geht zurück zur Wandtafel schreibt [7] .. 9 Lehrer [i] \ - < ! Lehrer [v] schlussendlich beantworten. ((1)) Also, das dürfte da die Lehrer [nv] Aufgabe an WT geht auf Klasse zu [8] .. 10 Lehrer [i] ! ! \ + / > Lehrer [v] kniffligste Aufgabe sein. Um wie viel eben hier dieser Lehrer [nv] bleibt vor Klasse stehen [9] .. 11 Lehrer [i] / ! \ Lehrer [v] Flächeninhalt größer wird, wenn eben diese Bedingung gilt? Lehrer [nv] geht wenig zurück <?page no="246"?> 246 [10] 12 13 Lehrer [i] ! < > / \ Lehrer [v] So. Das eben jetzt zuerst selbstständig der Lehrer [nv] schaut auf Armbanduhr geht zum Lehrerpult, legt Aufgabenbuch ab [11] .. Lehrer [i] / - \ Lehrer [v] Reihe nach diese drei Aufgaben jetzt einmal gelöst. Lehrer [nv] Dieser Unterrichtsausschnitt steht an der Grenze zwischen zwei Unterrichtssequenzen, in denen verschiedene Varietäten als offizielle Sprachformen gelten. Die Signalwörter So (0), Also (9) und So (12) deuten auf eine neue Unterrichtssequenz hin. Das erste So schließt eine lerninhaltzentrierte Phase ab und leitet zu einer unterrichtsorganisatorischen Phase über. Das zweite So schließt die unterrichtsorganisatorische Phase ab und leitet zur Phase mit der Sozialform der Einzelarbeit über. Die Schüler wissen durch die zweimalige Verwendung von selbstständig (0/ 13), dass die Sozialform vom lehrerzentrierten Unterricht zu einer Phase der Einzelarbeit wechselt. Zusammen mit den Signalwörtern ermöglicht dies dem Lehrer die Grenzbestimmung des Dialektreviers ‚Einzelarbeit’ und die Aufhebung des Standardanspruchs. Innerhalb des so vom Lehrer etablierten Dialektreviers spielt sich nebst den in Dialekt realisierten Lehrer-Schüler-Gesprächen dieses spezielle individuelle Lehrer-Schüler-Gespräch ab: Transkription 60: SW-018 39: 50: 19-39: 57: 26 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 Sabine [i] < - > ! / Sabine [v] Da muss ich ja wenn ich R nicht mehr im Sabine [nv] schaut auf ihr Heft und zeigt mit Finger darauf schaut Lehrer an <?page no="247"?> 247 [2] .. 2 3 Sabine [i] \ / \ Sabine [v] Quadrat haben will muss ich da die Klammern umsetzen? Sabine [nv] schaut auf ihr Heft schaut L an Lehrer [nv] nickt [3] 4 Lehrer [i] / \ / Lehrer [v] M-h. Im Flächeinhalt, ja. Lehrer [nv] mehrmals Sabine bewirbt sich nonverbal für ein individuelles Lehrer-Schüler- Gespräch. Im Gegensatz zu ihren Mitschülern, die bisher das interaktionelle Dialekt-Revier erkannt haben und aus diesem Grund ihre Äußerungen in dieser Unterrichtsphase in Mundart formulieren, wendet sich Sabine in Standardsprache an ihren Lehrer (0-3). Indem der Lehrer ihre Frage in Dialekt beantwortet (4), weist der Lehrer indirekt auf das von ihm etablierte Dialekt-Revier hin. Später wiederholt sich die Situation: Transkription 61: SW-018 46: 04: 08-46: 11: 21 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-018-L.MPG [1] 0 1 Sabine [i] \ / \ < ! (zögernd) / \ Sabine [v] Ich hab noch eine Frage. Da für R und/ eins und zwei nimmt Sabine [nv] streckt auf nimmt Arm runter und zeigt auf ihr Lehrer [nv] steht vor dem Pult von Sabine, schaut sie an [2] .. 2 3 Sabine [i] / \ Sabine [v] man da die? Und/ Sabine [nv] Buch schaut zu Lehrer Lehrer [i] - < + > / \ Lehrer [v] Das sind/ ja chasch die zwei nää aber Lehrer [nv] zeigt auf das Buch von Sabine <?page no="248"?> 248 [3] 4 Lehrer [i] ! / Lehrer [v] si sind äigetlich zwäi beliebigi Wert. Lehrer [nv] nimmt Hand hinter den Rücken Sabine stellt ihre Frage in Standardsprache (0-3), der Lehrer antwortet in Dialekt (3/ 4). Über die Verwendung der Standardsprache von Sabine in diesem interaktionellen Dialekt-Revier kann nur gemutmaßt werden. Die helvetische Lautung ihrer Äußerungen in Standardsprache weist auf eine deutschschweizerische Herkunft hin. Das positive Einvernehmen zwischen dem Lehrer und Sabine lässt auch eine Interpretation ihrer Standardverwendung als Protest (im Sinne Kropfs 1986: Kapitel 7.3) nicht zu. Diese zwei Äußerungen von Sabine stellen aufseiten der Schüler die einzigen standardsprachlich realisierten Sprechanteile in den interaktionellen Dialektrevieren des gesamten Korpus dar. Standardsprachliche Äußerungen des Lehrers im interaktionellen Dialektrevier treten ausschließlich dann auf, wenn sie nicht mehr innerhalb eines individuellen Lehrer-Schüler-Gesprächs realisiert werden, sondern ihr Inhalt an die ganze Klasse gerichtet ist oder für die meisten Schüler relevant sein könnte (vgl. auchTranskription 54). Transkription 62: SW-074 45: 16: 15 Project Name: Dissertation Unterrichtskommunikation Referenced file: F: \SW-074-L.MPG [1] 0 Lehrer [i] / \ / \ Lehrer [v] Okay wir machen noch fünf Minuten weiter ((1)) aber Lehrer [nv] schreitet zwischen den Pulten durchs Schulzimmer [2] .. Lehrer [i] < ! \ / Lehrer [v] besprechen die Zusatzaufgabe noch. ((2)) Aso schließt den Lehrer [nv] <?page no="249"?> 249 [3] .. Lehrer [i] \ Lehrer [v] angefangenen Konstruktionsschritt noch ab bitte. Lehrer [nv] Diese Lehreräußerung ist an die ganze Klasse gerichtet, da sie die Unterrichtsorganisation betrifft. Es ist die erste Standardäußerung des Lehrers innerhalb des Dialektreviers ‚Einzelarbeit’, deshalb signalisieren der Varietätenwechsel von Dialekt zur Standardsprache und das Signalwort Okay den Schülern, dass ihre Aufmerksamkeit gefordert ist. Mit dem letzten Äußerungsteil, beginnend mit dem Signalwort Aso, schließt der Lehrer sein standardsprachliches Intermezzo ab und hebt mit der Aufforderung zur Weiterarbeit gleichzeitig den Standardanspruch wieder auf, bis er das nächste Mal mit einer Standardäußerung wieder den Abschluss des Revierbereichs anzeigt. In Transkription 44 wird das interaktionelle Dialektrevier kurz vor Ende der Lektion aufgehoben und der Standardanspruch bis Unterrichtsende beibehalten. Dabei schließt das Signalwort So (0) die schülerzentrierte Unterrichtssequenz ab und leitet zur lehrerzentrierten kommunikativen Ordnung mit der Standardsprache als Norm über. Der Lehrer möchte die Hausaufgaben kundtun und benötigt deshalb die Aufmerksamkeit aller Schüler. Außer der Disziplinierung von Felix (0) wird vom Lehrer bis Unterrichtsende ausschließlich Standardsprache gesprochen - selbst die Disziplinierung (aufpassen noch) (6) wird standardsprachlich realisiert, da sie an die ganze Klasse und nicht an einen einzelnen Schüler gerichtet ist. Das zweite Signalwort So (12) beendet diese Organisationsphase und fungiert als Signal für den Unterrichtsschluss. Der varietären Komponente einer Dialektsequenz, die den Gebrauch des Dialekts aufgrund der klassenintern etablierten sprachformspezifischen Regeln nahe legt oder zumindest erlaubt, kann im Unterricht zunächst einmal der kommunikative Sinn zukommen, diese Regeln zu bestätigen und damit das interaktionelle Dialekt-Revier zu festigen. Diesen Sequenzen können aber durchaus auch noch andere kommunikative Funktionen - wie sie oben in den Kapiteln 7.4.1 und 7.4.2 beschrieben wurden - zukommen. <?page no="250"?> 250 7.4.4. Schlussbemerkungen zu den Funktionen des Dialekts Ziel des Kapitels 7.4 ist es gewesen, dem kommunikativen Stellenwert des Dialekts im Mittelschulunterricht in der Deutschschweiz nachzugehen und zu versuchen, mögliche kommunikative Funktionen des Varietätenwechsels von der Standardsprache als offizieller Unterrichtssprache zum - im Mathematikunterricht auf der Gymnasialstufe grundsätzlich unerlaubten - Dialekt aufzuzeigen. Aufgrund der in Kapitel 7.3.3.4 festgestellten Norm, wonach im gymnasialen Unterricht generell die Standardsprache zu sprechen sei, wurde davon ausgegangen, dass prinzipiell jeglicher Dialektgebrauch in den untersuchten Mathematikstunden Objekt einer Analyse der kommunikativen Funktionen dieser Varietät sein müsse. Hinsichtlich der kommunikativen Relevanz eines Varietätenwechsels wurde darauf hingewiesen, dass einem solchen Wechsel die Bedeutung von den Unterrichtspartnern zugewiesen werden müsse. Nicht eine objektive Norm, sondern das varietätenspezifische Differenzierungsvermögen der Kommunizierenden dient in der Frage, ob es sich bei einer Äußerung jeweils um eine dialektale oder um eine standardsprachliche Realisierung handelt, als Entscheidungsinstanz. Dieses Erkennen bildet die Voraussetzung dafür, dass der Äußerung überhaupt eine kommunikative Funktion zukommen kann. Im Unterricht bestimmen verschiedene Arten von Normen das Sprechen von Lehrern und Schülern: Der offiziell vorgegebenen Norm, wonach im Unterricht die Standardsprache zu sprechen sei, stehen jene nicht-kodifizierten, interaktionell gebildeten Normen gegenüber, die im Einverständnis der Sprechpartner begründet liegen. Obwohl die Existenz dieser Normen, die innerhalb der Lektionen auch für die Steuerung der Varietätenwechsel zuständig sind, den Kommunizierenden oft nicht bewusst ist, sind einige von ihnen derart verhaltensbestimmend, dass ein Abweichen von ihnen - d.h. ein konsequentes Befolgen der offiziellen Standardnorm - den Unterrichtsteilnehmern sofort auffallen würde. Solch regelmäßiges Auftreten des Dialekts im Unterricht war auch der Anlass dafür, den Begriff des interaktionellen Dialekt-Reviers einzuführen und für jene Dialektsequenzen eine Revierbestätigungsfunktion zu postulieren. Im Verlauf der Unterrichtsanalysen hat sich gezeigt, dass nicht jedem Varietätenwechsel die gleiche kommunikative Relevanz zukommt: Kommunikativ funktionslos bleiben einmal all jene Wechsel, deren dialektale Ausprägung von den Unterrichtsteilnehmern nicht erkannt wird, die also als standardsprachlich realisiert gelten. <?page no="251"?> 251 Diesen ‚Wechseln’, die als solche nicht erkannt werden, stehen jene gegenüber, die wegen ihrer Kürze und ihrer thematischen ‚Bedeutungslosigkeit’ im Hinblick auf den Lerninhalt von den Kommunizierenden nicht bewusst wahrgenommen werden. Aber auch jene Varietätenwechsel, deren dialektale Komponente von den Kommunizierenden erkannt und wahrgenommen wird, haben sehr unterschiedliche kommunikative Relevanz, was darauf zurückgeführt werden kann, dass sie in einem unterschiedlichen Verhältnis zu den varietätenspezifischen interaktionellen Normen stehen: Äußerungen, die einem fest etablierten Dialekt-Revier zuzuordnen sind, sind hinsichtlich ihrer varietären Komponente kommunikativ wesentlich weniger relevant als solche, die nicht nur gegen die offizielle Standardnorm, sondern auch gegen nicht-kodifizierte interaktionelle Regeln verstoßen. Welcher Stellenwert diesbezüglich einer bestimmten Äußerung zukommt, kann deshalb nur unter Berücksichtigung der in der betreffenden Klasse geltenden interaktionellen Normen entschieden werden. Was die kommunikativen Funktionen jener Dialektsequenzen anbelangt, die nicht von interaktionellen Normen gedeckt sind, werden folgende Aspekte nochmals hervorgehoben: - Die Kategorienbildung, die hier vorgenommen wurde, erlaubt es nicht, scharfe Grenzen zwischen den einzelnen Funktionen zu ziehen. - Die Varietätenwechsel und die damit verbundenen Absichten sind den Unterrichtsteilnehmern nicht alle in gleicher Weise bewusst. - Vergleicht man die Funktionen dialektalen Sprechens bei Schülern und Lehrern, so fällt einerseits auf, dass einzelne Kategorien (die Einverständnis-, die Veranschaulichungs- und die Verständnissicherungsfunktion) bei beiden Gruppen von Unterrichtsteilnehmern anzutreffen sind. Sie stimmen in ihren Grundzügen mehr oder weniger überein, nicht jedoch - aufgrund der unterschiedlichen Positionen von Schülern und Lehrern - in den konkreten Realisierungsformen. Andererseits können - wiederum vorwiegend rollenbedingt - Funktionen des Dialekts angenommen werden, die typisch für den Lehrer sind (die Start-, die Schlusssignal-, die Zuwendungs- und die Disziplinierungsfunktion) und andere, die nur auf Schülerseite vorkommen wie die Intensivierungs-, die Einbezugs-, die Rückzugs-, die Widerspruchs-, die Rechtfertigungs- und die ‚Hilfe! ’-Funktion. Es wurde versucht eine Perspektive aufzuzeigen, wie Schüler und Lehrer im schulischen Unterricht auf der Gymnasialstufe die sich abspielenden interaktionellen Prozesse mittels Sprachformvariation mitgestalten können. <?page no="252"?> 252 Es hat sich dabei herausgestellt, dass alle Unterrichtsteilnehmer in der Fähigkeit zur Sprachformvariation über ein hoch differenziertes Instrument verfügen, um den Unterrichtsprozess zu gestalten. Im Laufe dieses Kapitels hat sich deutlich gezeigt, dass die varietäre Komponente eines Wechsels von der Standardsprache zum Dialekt im Unterricht sinnstiftend wirken kann. Den Wechseln von der Standardsprache zum Dialekt konnte eine kommunikative Funktion nachgewiesen werden. Die Varietätenwechsel in standardsprachlichen Unterrichtspassagen erfolgen dementsprechend nicht willkürlich, sondern in Bezug auf eine kommunikative Funktion. Dies gilt jedoch nicht für Dialektäußerungen, die einem fest etablierten Dialekt-Revier zuzuordnen sind. Die in Kapitel 7.4.3.2 aufgezeigten interaktionellen Dialekt-Reviere widersprechen der offiziell vorgegebenen Norm. In den untersuchten Lektionen findet gut ein Fünftel bis über ein Drittel des Unterrichts in einem interaktionellen Dialektrevier statt - obwohl es solche Dialektreviere im Mathematikunterricht gemäss Richtlinien und Weisungen gar nicht geben dürfte. Die Entscheidung für den Gebrauch der beiden Varietäten Standardsprache und Mundart als Unterrichtssprache hängt in den untersuchten Mathematikstunden nicht in erster Linie von Weisungen und Empfehlungen ab, die sich ganz klar für die Verwendung der Standardsprache aussprechen. Die Sprachformwahl wird insbesondere durch die Struktur der Unterrichtssituation beeinflusst. Sobald vom lehrerzentrierten Unterrichtsgespräch in eine informellere Unterrichtssequenz gewechselt wird, besteht in der Praxis die ungeschriebene Übereinkunft, dass Mundart gesprochen wird. 146 Nicht nur auf der Sekundarstufe II, sondern auf allen Schulstufen scheint die Wahl von anderen als frontalen Unterrichtsformen beinahe zwangsläufig die Wahl der Mundart als Sprachform nach sich zu ziehen. Zudem werden die Unterrichtsfächer oftmals mit einem bestimmten Sprachformengebrauch gekoppelt: Obwohl der Bildungsrat des Kantons Zürich beschlossen hat, dass in allen Fächern und Klassen der Volksschule konsequent hochdeutsch gesprochen werden muss, räumt selbst Charlotte Peter (Zürcher Bildungsrätin 2003-2007) in einem Interview ein, 146 In den Transkriptionen 60 und 61 zeigt sich, dass für interaktionelle Dialekt-Reviere nicht davon gesprochen werden kann, dass Mundart gesprochen werden darf, da ein konsequentes Verfolgen der offiziellen Standardnorm als sehr unüblich angesehen wird. Die interaktionelle Norm ist so verhaltensbestimmend, dass der Lehrer auch auf die standardsprachliche Äußerung der Schülerin in Mundart antwortet. <?page no="253"?> 253 dass sie im Turnen Mundart spreche. Aus Gewohnheit falle sie aber auch im Turnunterricht häufig in die Standardsprache und die Kinder würden dies automatisch und ohne Kommentar übernehmen. Sogar in der Pause werde sie häufig auf Hochdeutsch angesprochen (vgl. Tages-Anzeiger, 09.04.2005: 17). Urs Keller, von 2003-2007 Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, fordert, dass es vor allem in den unteren Klassen manchmal möglich bleiben müsse, Mundart zu sprechen: Gerade in persönlichen Gesprächen könne die Standardsprache zu viel Distanz schaffen. Auch bei der Schlichtung eines Streites oder bei Bemerkungen während eines Fußballspieles wirke die Standardsprache aufgesetzt“ (Tages- Anzeiger, 16.02.2005: 17). Bei Vera Koslowski, Reallehrerin in St. Gallen und deutscher Herkunft, ist die Unterrichtssprache durchgehend Hochdeutsch, „es sei denn, es werde über Meinungen und Gefühle gesprochen; nur dann ist Schweizerdeutsch erlaubt“ (Tages-Anzeiger, 21.06.2004: 2). Die Zürcher Primarlehrerin Irene Brunner betont, dass sie ganz bewusst von Beginn der ersten Klasse an mit ihren Schülern hochdeutsch spreche, gesteht aber gleichzeitig, dass sie in den musischen Fächern (Turnen, Musik, Zeichnen) meist Dialekt rede (vgl. Lauterburg 2003: 9). Schulpfleger stellen fest, dass es an der nötigen Disziplin bei der Verwendung des Hochdeutschen mangelt und dass in Fächern wie Werken oder Hauswirtschaft noch zu oft Mundart gesprochen wird (vgl. Tages-Anzeiger, 24.05.2004: 3). Diese situationsspezifische, interaktionell bestimmte Verwendung der Mundart als Unterrichtssprache stellt ein Abweichen von der in Weisungen und Empfehlungen vorgegebenen Standardsprache dar und setzt das Einverständnis der Sprechpartner, insbesondere der Lehrperson, voraus. Obwohl die Standardsprache als Unterrichtssprache in Mathematiklektionen von den Schulleitungen und Lehrpersonen als selbstverständlich erachtet wird, kommt es in der Praxis - entgegen anders lautenden Hinweisen und Aufforderungen - zu einem ausgeprägten Dialektgebrauch. Warum wird dem generellen Gebot der Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache nur bedingt nachgelebt? Eine Erklärung wird in Kapitel 7.5 gesucht, in dem die Forderung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache im bildungspolitischen und fachlichen Kontext ausgeleuchtet wird. <?page no="254"?> 254 7.5. Bildungspolitischer und fachlicher Kontext Die Forderung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache hat viele und gute Gründe. Folgende Argumente begleiten die Diskussion seit Jahrzehnten: - Aus staatspolitischen Gründen ist Hochdeutsch als Verständigungssprache über die Sprachgrenzen der vier-, respektive vielsprachigen Schweiz hinaus unerlässlich. - Aus sozial- und bildungspolitischen Gründen ist Hochdeutsch als Unterrichtssprache für die Integration von Menschen mit Deutsch als Zweitsprache wichtig. Die sprachliche Integration ist eine zentrale Bedingung für die gesellschaftliche und berufliche Integration. - Die Deutschschweiz ist Teil des deutschen Sprachgebiets. Diese Tatsache wird in der Deutschschweiz im Bereich der Schriftlichkeit ganz selbstverständlich akzeptiert. 147 Im Nachgang zur PISA-Studie 2000 wird die intensive Förderung der deutschen Standardsprache vermehrt fachlich begründet: Mit PISA ist - auch bei den Lehrpersonen - das Interesse an fundierten Informationen zu Fragen der Sprachfähigkeiten und des Sprachgebrauchs gewachsen. Die im internationalen Vergleich mittelmäßigen Leseleistungen von Jugendlichen in der Schweiz führten in der Deutschschweiz zur Forderung einer umfassenden Sprachförderung. Der ‚PISA-Aktionsplan’ der EDA (vgl. Kap. 7.3.2) hält fest, dass der konsequenten Verwendung der Standardsprache im Unterricht als Maßnahme für eine umfassende Sprachförderung Nachachtung verschafft werden soll. Es überrascht, dass die Forderung nach vermehrtem Hochdeutschgebrauch im Zusammenhang mit den PISA-Ergebnissen neue Aktualität bekommen hat, denn in dieser Studie ging es um Befunde, die mit der Lesekompetenz zu tun haben und nicht mit mündlichen Fähigkeiten. Die Vorstellung, man könne schriftliche Texte besser verstehen, wenn im Unterricht vermehrt Hochdeutsch gesprochen werde, ist weit verbreitet. 148 Die Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache fördert jedoch vor allem die mündlichen Kompetenzen und nur sehr bedingt die schriftlichen, da die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zu gross sind. Unterstützt wird die Forderung nach einer konsequenten Verwendung der Standardsprache durch die Ergebnisse 147 Eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema findet sich in Sieber/ Sitta (1986: 35ff.). 148 „Hochdeutsch als Unterrichtssprache soll nicht mit falschen Erwartungen hinsichtlich der Lese- und Schreibförderung verknüpft und damit zum Königsweg für den gesamten Hochdeutscherwerb hochstilisiert werden“ (Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hochschule Zürich (Hrsg.) 2003: 16). <?page no="255"?> 255 der „Best Practice“-Studie (Moser/ Tresch 2003), die von der Stiftung „Avenir Suisse“ 149 in Auftrag gegeben worden ist. In der Studie wurden Lehrpersonen befragt, deren Klassen in der PISA-Studie besonders gut abgeschnitten hatten. Auffällig ist, dass alle diese Lehrkräfte der Hochdeutschförderung einen sehr hohen Stellenwert einräumen. Die konsequente Verwendung von Hochdeutsch im Unterricht führt zu einem natürlichen Umgang mit der Sprache, was durch die hohe Motivation der Kinder beim Schuleintritt unterstützt wird. Dass die Verwendung von Hochdeutsch im Unterricht für die Kinder durchaus zur Selbstverständlichkeit wird, zeigt sich in Klassen mit Lehrpersonen, die selbst nur hochdeutsch sprechen. In der Studie wurde festgestellt, dass das Hochdeutschsprechen im Unterricht manchmal eher ein Problem der Lehrer als der Schüler ist. In den Kapiteln 7.5.2 und 7.5.3 wird deshalb auf die standardsprachlichen Sprechkompetenzen der Lehrpersonen und auf die Einstellungen der Lehrpersonen zur Standardsprache eingegangen. Die Chancen des frühen Sprachenlernens sind seit langem bekannt und unbestritten. Das frühe Sprachenlernen erlaubt den Aufbau von ‚impliziten’ Wissen darüber, wie Sprache funktioniert. Dieses Wissen ist - verbunden mit einer frühen reichhaltigen Sprechpraxis - für den späteren Erwerb von ‚explizitem’ Wissen über Sprache - also bewusstem Sprachwissen - unerlässlich. Das frühe Sprachenlernen beeinflusst zudem die Einstellungen zum Hochdeutschsprechen positiv, wie Sieber/ Sitta (1986: 15ff.) und Bachmann/ Sigg (2004: 31ff.) nachgewiesen haben. Diese Argumente haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren verschiedene Projekte zur Förderung der Standardsprache im Unterricht initiiert wurden. Diese Projekte werden in Kapitel 7.5.4 vorgestellt. Bei der Diskussion um ‚Standardsprache als Unterrichtssprache’ ist zudem zu berücksichtigen, dass viele Schüler Deutsch als Zweitsprache erwerben. Eine elementare Voraussetzung für die Beherrschung der Standardsprache stellt die Fähigkeit dar, die beiden eng verwandten Varietäten Mundart und Standardsprache differenzieren zu können. Diese Orientierungskompetenz von zwei- und mehrsprachigen Schülern wird in Kapitel 7.5.5 thematisiert, bevor in Kapitel 7.5.6 auf die Frage nach dem Stellenwert von Mundart als Unterrichtssprache eingegangen wird und Empfehlungen für die standardsprachliche Sprechpraxis in der Schule abgegeben werden (Kap. 7.5.7). 149 Avenir Suisse wurde 1999 von 14 internationalen Schweizer Firmen ins Leben gerufen. Als operative Stiftung und als unabhängiger Think Tank nach angelsächsischem Vorbild engagiert sich Avenir Suisse für die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entwicklung der Schweiz. Die Homepage der Stiftung lautet <http: / / www.avenir-suisse.ch> 18.10.2007. <?page no="256"?> 256 7.5.1. Vom Schriftdeutsch zum gesprochenen Hochdeutsch Das Hochdeutschsprechen in der Schule wurde lange mit den Anforderungen der Lese- und Schreibpraxis begründet: Im Unterricht soll Hochdeutsch gesprochen werden, damit die Schülerinnen und Schüler die fürs Lesen und Schreiben erforderlichen Hochdeutschkompetenzen erwerben. Diese Begründung führt mit plausibler Logik dazu, dass sich das gesprochene „Schulhochdeutsch“ an der Maxime „Sprich, wie man schreibt! “ orientiert. (Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hochschule Zürich (Hrsg.) 2003: 10) Wenn die Mündlichkeit lediglich der Vorbereitung auf die Schriftlichkeit dient, hat sie sich nach den Normen der Schriftlichkeit zu richten. Sieber (2003) hat sich im Artikel „Vom Schriftdeutsch zum gesprochenen Hochdeutsch“ mit der Frage auseinandergesetzt, was es so schwierig macht, der Forderung nach dem Gebrauch der Standardsprache im Unterricht zu entsprechen. Er weist auf die fatalen Konsequenzen unserer Schriftorientierung hin, beispielsweise die im Unterricht gängige Forderung nach dem ganzen Satz. Diese Forderung ist nur für schriftliche Texte, wo man üblicherweise in ganzen Sätzen formuliert, angemessen. In der gesprochenen Sprache führt sie zu sonderbaren Kommunikationsmustern. In einem außerschulischen Gesprächskontext sind Antworten in ganzen Sätzen nicht nur unüblich, sondern sogar Ausdruck einer problematischen Kommunikation und Signal für eine Störung auf der Beziehungsebene. Sieber stellt bezüglich der Schriftorientierung fest: Dass unser Hochdeutsch von Deutschsprachigen aus dem Ausland als ziemlich seltsam wahrgenommen wird, liegt zu einem guten Teil an dieser schriftorientierten Ausrichtung: Wir sprechen wie gedruckt, ein papierenes Deutsch, das von einem lebendigen gesprochenen Hochdeutsch etwa so weit entfernt ist wie der Dialog aus einem Klassiker von einer Gesprächsrunde im deutschen Fernsehen. Und weil wir zudem glauben, man müsse so sprechen, überfordern wir uns auch andauernd selbst. Das Bemühen um wohl- und ausformulierte Sätze und die Angst vor sprachlichen Fehlern sind beim Sprechen nicht bloß unangemessen. Sie wirken sich auch blockierend aus. (Sieber 2003: 62) Die schulische Sprachbildung trägt wenig dazu bei, dass sich die Schüler ihrer realen Kompetenzen im Hochdeutschsprechen bewusst werden, da im Unterricht mündliche Beiträge häufig nach den Normen der Schriftlichkeit korrigiert werden. Das Vertrauen der Schüler in die eigene Sprachfähigkeit und die positive Wertung dessen, was sie schon können, muss gestützt werden. Für den Ausbau der Sprach- und ganz besonders der Sprechkompetenz ist dies wesentlich hilfreicher als ständiges Korrigieren und das Beharren auf einer Norm, die allenfalls ein Endziel darstellen kann. Auch unter Lehrkräften sind Defizitvermutungen oft <?page no="257"?> 257 prägender als das Wissen um eigene Kompetenzen. Das behindert einen angstfreien Gebrauch der Standardsprache. Besonders schwer haben es im schulischen Kontext die Register der kolloquialen oder alltäglichen standardsprachlichen Umgangssprache. In den Schulen soll ein „lebendiges gesprochenes Schweizer Hochdeutsch“ gesprochen werden (Sieber 2003: 62). In der Broschüre „Hochdeutsch als Unterrichtssprache“ heisst es diesbezüglich: Eine lebendige Hochdeutschkultur im Unterricht berücksichtigt, dass gesprochene Sprache je nach Situation unterschiedlichen Anforderungen zu genügen hat und damit auch unterschiedliche Merkmale aufweist. Eine breite Hochdeutschkompetenz können die Schülerinnen und Schüler nur aufbauen, wenn sie im Unterricht allen Registern der gesprochenen Sprache begegnen. (Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hochschule Zürich (Hrsg.) 2003: 12) In der Schule müssen die Lernenden Gelegenheiten erhalten, ein breites Repertoire an Registern der Mündlichkeit in der Standardsprache aufzubauen und dieses in verschiedenen Redekonstellationen in ständiger Anwendung zu verfeinern. Es gibt verschiedene Register von Mündlichkeit, die sich in ihren Merkmalen mehr oder weniger stark von der Schriftlichkeit unterscheiden. Informelle, spontane Gespräche und dialogische Gesprächssituationen weisen die Merkmale der Mündlichkeit ausgeprägt auf. Für den Aufbau von Hochdeutschkompetenz sind diese Gesprächssituationen außerordentlich wichtig, weil sie nahe bei der außerschulischen Alltagskommunikation sind. Aber im Unterricht sind es gerade solche Gesprächsanlässe, in denen meistens die Mundart gewählt wird. Zudem werden die mündlichen Beiträge in solchen Situationen, wenn denn hochdeutsch gesprochen wird, noch zu stark nach den Normen der Schriftlichkeit sanktioniert. Hier ist ein Umdenken notwendig: Lehrpersonen gehen mit hochdeutschen und schweizerdeutschen Äußerungen von Schülerinnen und Schülern oft unterschiedlich um. Bei schweizerdeutschen Beiträgen sind sie am Inhalt interessiert und reagieren, kommunikativ angemessen, auf Inhalte. Bei hochdeutschen Äußerungen achten sie dagegen auch auf sprachformale Korrektheit. Wichtig ist hier offenbar nicht nur, was jemand sagt, sondern auch, ob es sprachlich korrekt formuliert ist. (Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hoch-schule Zürich (Hrsg.) 2003: 4) Die negative Einstellung der Standardsprache gegenüber wird dadurch verstärkt, dass nur beim standardsprachlichen Sprechen korrigierend von den Lehrpersonen eingegriffen wird: „Hochdeutsch ist so auch immer die Sprache, in der man sich im Grammatik-Labyrinth verstricken und Fehler machen kann“ (Bucher 2005: 9). Für das sprachliche Lernen ist ein entwicklungsorientierter Ansatz produktiver und effizienter als ein <?page no="258"?> 258 defizitorientierter. Eine umfassende Förderung der Standardsprache ermöglicht den Schülern Erfahrungen und Lernen in möglichst vielfältigen Gesprächssituationen. Nur so kann Hochdeutsch auch in der Deutschschweiz annähernd zu einer Umgangssprache werden. Das in der Schule gepflegte Hochdeutsch darf ein selbstbewusstes Schweizer Hochdeutsch sein; man darf hören, dass der Sprecher aus der Schweiz kommt. Insbesondere die regionale Lautung und Eigenheiten im Wortschatz machen gesprochenes Hochdeutsch authentisch. Deutschschweizer müssen vom Eindruck sprachlicher Minderwertigkeit gegenüber Sprechern aus Deutschland loskommen; sie dürfen sich nicht mehr ‚ertappt‘ fühlen, wenn man sie an ihrer Sprache erkennt (vgl. Fussnote 95). Im Unterricht soll ein Schweizer Hochdeutsch gesprochen werden, „das sich weniger an der Schriftlichkeit orientiert und seine Herkunft nicht verleugnet“ (Tages-Anzeiger, 31.08.2004: 55). Auch für Hess-Lüttich (2000: 199) geht es „nicht um die Reinheit Siebsscher Bühnenhochlautung im gesprochenen Hochdeutsch, sondern um überregional verständliche Standardsprache mit dem zusätzlichen Charme regionaler Akzente“. Sprache und Sprachgebrauch haben sich auch außerhalb der Schule verändert. Generell ist eine Aufwertung der Umgangssprache zu beobachten, was sich in der Deutschschweiz auswirkt als Aufwertung der Mundarten als Umgangssprachen. Laut Sieber (2003: 62) wird dadurch die Distanz zwischen mundartlich geprägter Alltagskultur außerhalb der Schule und der schriftorientierten Nutzung des Hochdeutschen in der Schule größer. Um die Distanz abzubauen, braucht es deshalb eine lebendige hochdeutsche Alltagskultur in der Schule. Die konsequente Verwendung der Standardsprache als selbstverständliche Sprachform der Schule ist ein wichtiger Schritt dazu. 7.5.2. Standardsprachliche Sprechkompetenzen der Lehrpersonen Kapitel 7.3.3 hat gezeigt, dass in der Deutschschweiz in Lehrplänen, Weisungen und Empfehlungen seit Jahren die konsequente Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache gefordert und thematisiert wird. Nichtsdestotrotz wurde aber immer wieder festgestellt, dass dem generellen Gebot der Verwendung der Standardsprache auf allen Schulstufen - auch auf den Sekundarstufen I und II - nur bedingt nachgelebt wird und die Widerstände gegen die konsequente Verwendung der Standardsprache im mündlichen Unterricht zum Teil erheblich sind. Im Nachgang zur PISA-Studie hat sich die Forderung nach Hochdeutsch als Unterrichtssprache deutlich akzentuiert. Im Zusammenhang mit dem Aktionsplan der EDK, der zur Verbesserung der Sprachkompetenz der Schüler die konsequente Anwendung der Standardsprache auf <?page no="259"?> 259 sämtlichen Schulstufen und in allen Fächern fordert, hat die Diskussion um Hochdeutsch als Unterrichtssprache eine neue Dimension erhalten. Wurde in der Vergangenheit darüber diskutiert, wie viel Hochdeutsch bzw. Mundart im Unterricht gesprochen werden sollte, werden in der aktuellen Diskussion vermehrt die standardsprachlichen mündlichen Kompetenzen der Lehrpersonen diskutiert und in Frage gestellt. Die Forderung nach der konsequenten Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache stößt zunehmend auf breite Akzeptanz auf Seiten der Lehrpersonen und Schulbehörden. 150 Problematischer präsentiert sich die öffentliche Diskussion darüber, ob die Lehrpersonen über ausreichende standardsprachliche Fähigkeiten für den mündlichen Unterricht verfügen. Für Wirbel gesorgt hat in diesem Zusammenhang der Vorschlag eines SVP-Politikers, für den Unterricht Lehrpersonen aus Deutschland zu engagieren, da diese „richtiges Deutsch“ könnten und zudem mit 70% des Lohnes zufrieden wären (vgl. Tages-Anzeiger, 24.05.2004: 3). Ein solcher Vorschlag zielt über das Ziel hinaus und beruht im Kern auf einem Missverständnis bezüglich der Anforderungen an die gesprochene Standardsprache hier und anderswo, denn es geht nicht darum, dass deutsche Lehrer bühnendeutsche Normen an Schweizer Schulen etablieren. Auf die Frage, ob Schweizer Lehrer schlechter Hochdeutsch könnten, antwortete eine deutsche Reallehrerin: „Man muss schon ehrlich sein: Jemand, der nicht viel Kontakt mit der Hochsprache hat, hat natürlich auch ein schweizerisch gefärbtes Hochdeutsch“ (Tages-Anzeiger, 21.06.2004: 2). In einem Leserbrief wurde auf diese Aussage reagiert: Wieder wird uns die Mär aufgetischt, SchülerInnen lernten besseres Deutsch, wenn die Lehrpersonen aus deutschen Landen stammten. Ich muss dieser Ansicht widersprechen (…) Ein schweizerisch gefärbtes Hochdeutsch ist nicht verwerflich, wie die Lehrerin insinuiert, sondern eben Schriftdeutsch, unsere Sprache. (Tages-Anzeiger, 25.06.2004: 26) Auch Hans Ulrich Stöckling, 1998-2006 Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), erklärte, der Import von deutschen Lehrern würde das Deutsch-Niveau an den Schweizer Schulen verbessern, weil viele Lehrer schlecht Hochdeutsch könnten (vgl. Tages-Anzeiger, 02.07.2004: 3). In mehreren Leserbriefen wurde die Aussage Stöcklings kritisiert: 150 Weniger gross scheint die Akzeptanz in der Bevölkerung zu sein: Eine repräsentative Meinungsumfrage bei 358 Deutschschweizern hat ergeben, dass eine Mehrheit von 59% dagegen ist, dass an allen Deutschschweizer Schulen grundsätzlich nur noch auf Hochdeutsch unterrichtet wird. Nur 39% der Befragten sind für die Verwendung der Standardsprache auf allen Stufen und in allen Fächern; 2% sind unentschlossen (Coopzeitung Nr. 9, 02.03.2005). <?page no="260"?> 260 Wenn nationale und kantonale Spitzenpolitiker glauben, das Sprachproblem, das bei einem Teil unserer Schülerinnen und Schüler tatsächlich existiert, mit dem Import deutscher Lehrkräfte lösen zu können, zeigen sie wenig Sachverstand und üben sich kaum in Selbstkritik. Jedermann weiss, dass Deutschland in der Pisa-Studie in Mathematik deutlich und in der Lesefähigkeit signifikant hinter der Schweiz liegt. Und in Deutschland wird nicht nur im Schulzimmer hochdeutsch gesprochen! Mit Lehrkräften, die alle Forderungen unserer Spitzenpolitiker erfüllen und trotzdem erfolgloser sind als Schweizer Lehrkräfte, sollen unsere Schulen nun verbessert werden? (Tages-Anzeiger, 06.07.2004: 23) Auch der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) kritisierte den damaligen EDK-Präsidenten stark und brachte seine Aussage mit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie in Zusammenhang: „Wenn der EDK-Präsident erkläre, der Import von deutschen Lehrern würde das Deutsch-Niveau an den Schweizer Schulen verbessern, habe er wohl schon vergessen, dass Deutschland in der Pisa-Studie noch schlechter abgeschnitten hatte als die Schweiz“ (Tages-Anzeiger, 07.07.2004: 2). Peter Sieber, Prorektor ‚Fachbereiche’ der Pädagogischen Hochschule Zürich, hält den Vorschlag, deutsche Lehrer zu importieren, um den Schülern Hochdeutsch beizubringen, für kontraproduktiv. Zur fehlenden mündlichen Praxis im Umgang mit der Standardsprache kommt für Deutschschweizer erschwerend hinzu, dass sie ihr Hochdeutsch für schlecht halten. Deutsch ist aber eine plurizentrische Sprache, die unterschiedliche Zentren kennt: „Was wir nötig haben, ist der Umgang mit einem Hochdeutsch, das seine schweizerische Herkunft nicht verleugnet“ (Tages-Anzeiger, 29.07.2004: 37). Die Forderung nach deutschen Lehrkräften verweist auf die Frage, wie sich die Praxis des Hochdeutschsprechens im Unterricht seitens der Lehrpersonen konkret präsentiert. An diesem Punkt setzt die explorative Studie von Bachmann/ Ospelt (2004) an, die im Rahmen des von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich und der Pädagogischen Hochschule Zürich getragenen und finanzierten Projekts „Förderung der deutschen Standardsprache“ verfasst worden ist. Diese Studie mit dem Titel „Standardsprachliche Praxis von Studierenden und Lehrpersonen im Unterricht“ hat untersucht, wie stark die mündliche Praxis der Probanden im Unterricht von konzeptioneller Mündlichkeit bzw. konzeptioneller Schriftlichkeit geprägt wird. Laut Bachmann/ Ospelt (2004: 4) ist diese Fokussierung nicht zufällig, wird doch der Praxis des Hochdeutschsprechens von Schweizer Lehrpersonen auch im fachlichen Diskurs oft unterstellt, dass diese zu ‚schriftnah’ sei. Im Gegensatz zu den bisherigen Studien zur Praxis des Hochdeutschsprechens in der Schweiz, in denen die Lautung (vgl. z.B. Siebenhaar 1994) oder die Besonderheiten im lexikalischen Bereich (vgl. z.B. Burger 1995) im Zentrum standen, hat die- <?page no="261"?> 261 se Studie nach dem Konzept gefragt, das hinter der mündlichen Praxis im Unterricht steht. Diese Frage ist für die Praxis im Schulzimmer und den Erwerb eines lebendigen und kommunikativ tauglichen gesprochenen Schweizerhochdeutsch zentral. Bachmann/ Ospelt (2004: 6) gingen in ihrer Studie von folgender Annahme aus: Das Problem scheint damit weniger darin zu liegen, dass die Lehrpersonen gleichsam grundsätzlich nicht über die Fähigkeiten für eine lebendige und kommunikativ angemessene Mündlichkeit verfügen würden - in ihrer mundartlichen Sprechpraxis meistern sie die damit verbundenen Herausforderungen problemlos. Die Schwierigkeit scheint vielmehr darin zu bestehen, dass viele Lehrpersonen, wenn es um das eigene Hochdeutschsprechen oder das der Schülerinnen und Schüler geht, mit einem ‚falschen’ Konzept arbeiten. Was in der gesprochenen Mundart mit großer Selbstverständlichkeit als Mündlichkeit (mit all ihren Merkmalen) akzeptiert wird, wird beim gesprochenen Hochdeutsch auf einmal zum Mangel oder Fehler, eben weil es im Kern gar nicht als mündlicher Text behandelt und beurteilt wird, sondern als schriftlicher Text. Die Ergebnisse der Studie unterstützen die These von der zu starken Schriftorientierung der Lehrpersonen beim Hochdeutschsprechen im Unterricht nicht. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen (vgl. Bachmann/ Ospelt 2004: 15): Satzwertige Konstruktionen wie Ellipsen und Anakoluthe sowie nebengeordnete Sätze treten gehäuft auf. Diese Merkmale sind starke Indikatoren für konzeptionelle Mündlichkeit. Unvollständige oder abgebrochene Satzkonstruktionen zeugen von ausgesprochener Mündlichkeit. Die Gesamtzahlen weisen eine deutliche Überzahl an parataktischen gegenüber hypotaktischen Konstruktionen auf. Das gehäufte Auftreten von Parataxen lässt darauf schliessen, dass die Probanden sich an mündlichen Registern orientieren. Auch auf der semantischen und lexikalischen Ebene treten starke Merkmale der Mündlichkeit gehäuft auf. Ins Auge sticht der hohe Anteil an redeleitenden Partikeln. In schriftlichen Texten sind solche Strukturierungsmerkmale äusserst selten und werden oft als überflüssig korrigiert. Auf der Ebene der lautlichen Realisierung fällt das seltene Auftreten von Reduktionen und Zusammenziehungen auf. Bei Reduktionen und Zusammenziehungen handelt es sich um Merkmale, die für mündliche Texte geradezu charakteristisch sind. Hier wäre ein höherer Wert zu erwarten gewesen, zumal die Häufigkeit des Auftretens anderer Merkmale deutlich auf eine Orientierung an der Mündlichkeit hinweist. Während in der Mundart oft Endungen weggelassen oder Wörter zusammengezogen werden, wird Hochdeutsch in der Deutschschweiz stark mit der ‚Schriftsprache’ konnotiert. In der Schriftlichkeit aber sind Endungen und Wortgrenzen praktisch unveränderbar und Reduktionen werden als Fehler geahndet. Die oft gehörte Unterstellung, dass Lehrpersonen ein eher schriftnahes Hochdeutsch <?page no="262"?> 262 sprechen, wird durch diese Ergebnisse nicht bestätigt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Probanden eine durchaus der Mündlichkeit verpflichtete Hochdeutschpraxis pflegen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich die Sprechpraxis der zehn Probanden gesamthaft stark an der Mündlichkeit orientiert. Diese Orientierung an der Mündlichkeit wird lediglich auf der Ebene der lautlichen Realisierung durchbrochen, was mit der Diglossie-Situation in der Deutschschweiz erklärt werden kann. Demgegenüber ist die Sprechpraxis der Studierenden und Lehrpersonen auf der syntaktischen sowie auf der semantischen und lexikalischen Ebene gesamthaft stark an der konzeptionellen Mündlichkeit orientiert (vgl. Bachmann/ Ospelt 2004: 25f.). Die Forderung, für die Förderung der deutschen Standardsprache seien Lehrpersonen aus Deutschland einzustellen, weil Schweizer Lehrer nicht über die dafür notwendigen sprechsprachlichen Kompetenzen verfügen würden, ist gemäss dieser Studie unbegründet. Eine auffällig an der Schriftsprache orientierte Sprechpraxis liess sich nur auf der Ebene der lautlichen Realisierung der Endungen feststellen: Die Gründe für die nachweislich zurückhaltende Verwendung des Hochdeutschen als Unterrichtssprache können gemäss den Ergebnissen unserer Studie also nicht an ‚mangelhafter Sprechkompetenz’ festgemacht werden. Sie müssen (…) auf einer anderen Ebene liegen. Unsere Beobachtungen bei der Datenerhebung weisen dabei deutlich in folgende Richtung: Die ProbandInnen nehmen ihre durchaus vorhandenen hochdeutschen sprechsprachlichen Kompetenzen tendenziell verzerrt wahr. Ihre Wahrnehmung der eigenen Praxis ist in der Grundausrichtung eher von Defiziterwartungen geprägt“. (Bachmann/ Ospelt 2004: 26) Es gibt eine Diskrepanz zwischen den Einschätzungen der eigenen Kompetenz und der Qualität der tatsächlichen Praxis, die nur überwunden werden kann, „wenn die Vorstellungen vom ‚guten Hochdeutschsprechen’ vor allem in den Köpfen der Lehrpersonen korrigiert werden“ (Bachmann/ Ospelt 2004: 27). Das generelle Gebot der Verwendung der Standardsprache im Unterricht wird von Lehrenden nicht wegen mangelnder Kompetenz umgangen. Wenn in den Schweizer Schulzimmern Hochdeutsch von den Unterrichtenden nicht konsequent als Unterrichtssprache verwendet wird, dann nicht aus dem Grund, weil man dies nicht könnte. Die Gründe für den Mundartgebrauch im Unterricht sind in den tendenziell negativen Einstellungen dieser Sprache und insbesondere der eigenen Sprechpraxis gegenüber zu suchen. Die Studie von Bachmann/ Ospelt (2004) zur Sprechpraxis von Studierenden und Lehrpersonen stützt die Vermutung, dass es in allererster Linie Einstellungs-, und nicht Kompetenzprobleme sind, welche die Lehrpersonen an der konsequenten Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache hindern. <?page no="263"?> 263 7.5.3. Einstellungen der Lehrpersonen Kapitel 7.3.1 hat gezeigt, dass Vorschulkinder und Schulanfänger aus der Deutschschweiz dem Hochdeutschen unverkrampfter und positiver begegnen als die Erwachsenen und dass das Sprechen der Standardsprache eher ein Problem der Lehrpersonen und der Schule ist als eines der Kinder: Hochdeutsch als Unterrichtssprache ist nicht für die Kinder im Vorschul- und Unterstufenalter ein Problem, sondern für uns Erwachsene, die kaum Erfahrungen mit einer Kultur des lebendigen gesprochenen Hochdeutschen im Unterricht gemacht und vor einer fälschlicherweise rigid den Normen der Schriftlichkeit unterworfenen Mündlichkeit in der Schulsprache Hochdeutsch aus allzu verständlichen Gründen kapituliert haben. (Bachmann/ Peyer 2004: 8) Mit zunehmender Verweildauer in der Schule verschlechtern sich die Einstellungen der Kinder der Standardsprache gegenüber. Für Kinder im Vorschulalter und bei Schulbeginn ist die Standardsprache eine aufgrund der vielfältigen, attraktiven Medienumgebung vertraute Sprache. Sie akzeptieren Hochdeutsch ganz selbstverständlich als eine Sprache neben der Mundart oder ihrer Herkunftssprache. Die Startbedingungen für den Hochdeutscherwerb und den aktiven Gebrauch der Standardsprache sind im Vorschulalter und auf der Unterstufe ausgesprochen günstig. Das Verhältnis der Kinder zur Standardsprache ist ungezwungen und positiv. Sie verstehen diese Sprache nicht nur gleich gut wie die Mundart; die Kinder im Vorschulalter und bei Beginn der Schulzeit trauen es sich auch zu, diese Sprache spontan und ohne Angst vor Fehlern zu sprechen. Die Chance, auf der Grundlage positiver Einstellungen und Erwartungen eine ganz selbstverständliche und produktive Hochdeutschkultur aufzubauen, ist deshalb nirgends so gross wie auf der Unterstufe bzw. im Kindergarten. Für Kinder in diesem Alter ist Hochdeutsch in erster Linie eine Sprache der Verständigung und des Spiels - wie die anderen von ihnen benutzten Sprachen auch. Auch beim Hochdeutsch geht das Verstehen dem Sprechen voraus. Das zeigt die Alltagserfahrung im außerschulischen Bereich: Kinder bewältigen beim außerschulischen Medienkonsum hochdeutsche Angebote, was die sprachliche Seite angeht, genau so gut wie mundartliche. Es spricht also nichts dagegen, die günstigen Startbedingungen zu nutzen und im Unterricht gleich von Anfang an hochdeutsch zu sprechen. Nicht anders als in der vorschulischen Erfahrung der Kinder ist und bleibt Hochdeutsch dabei eine Sprache der Verständigung und des Spiels. Und mit der gleichen Selbstverständlichkeit kann sie nun zudem zur Sprache werden, die man bei der Arbeit an schulischen Themen verwendet. Es ist didaktisch widersinnig, die Schulanfänger in die Welt der <?page no="264"?> 264 Schrift einzuführen und dabei in Mundart zu unterrichten. Die Standardsprache muss von Schulbeginn an gesprochen werden. Dabei ist im Zusammenhang mit den Einstellungen zur Mundart und Standardsprache das Sprachvorbild der Lehrperson von zentraler Bedeutung: Eine Schlüsselstellung beim Aufbau von Einstellungen zu den beiden Sprachformen - insbesondere zur Standardsprache - hat der Lehrer. Von ihm muss - und zwar als professionelle Qualifikation - erwartet werden, dass er an seinen Einstellungen arbeitet. (Sieber/ Sitta 1986: 171) Da Einstellungen durch Lernen in Situationen erworben werden, beeinflussen die Lehrereinstellungen jene der Schüler maßgeblich. Die positiven Einstellungen der Standardsprache gegenüber ändern sich nach den ersten Schuljahren oft. Die Einstellungen zum Hochdeutschen als Unterrichtssprache wenden sich tendenziell ins Negative. Für die zunehmend negativen Einstellungen der Standardsprache gegenüber sind zwei wichtige Faktoren von Bedeutung: Hochdeutsch wird mit zunehmender Schulerfahrung als eine Sprachform wahrgenommen, in der man sich wenig zutraut, weil man ständig Fehler macht. (Auf die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache und das damit zusammenhängende problematische Korrekturverhalten vieler Lehrpersonen wurde in Kapitel 7.5.1 eingegangen.) Zudem werden Hochdeutsch und Mundart einander wegen der situationsspezifischen Verwendung mit zunehmender Schulerfahrung affektiv gegenübergestellt. Eine fächerspezifische Zweiteilung - Hochdeutsch für die leistungsbezogenen Kopffächer wie Mathematik und Deutsch, Mundart für Herzfächer wie Werken, Musik, Sport und Zeichnen - zementiert die schroffe Gegenüberstellung von intellektuellem Hochdeutsch zu scheinbar heimeliger Mundart. Einen Lösungsansatz zu diesem Problem liefern Sieber/ Sitta (1986: 171): „Die - verhängnisvolle - Anbindung der Sprachformen an einzelne Fächer und Situationen muss - bewusst und begründet - durchbrochen werden.“ Die Lehrpersonen müssen sich bewusst sein, dass jedes Thema in Standardsprache unterrichtet werden kann. Das Vorurteil der leichteren Verständlichkeit oder der besseren Beziehung zwischen Lehrer und Schülern durch den Gebrauch der Mundart muss von den Lehrpersonen abgebaut werden. Deshalb sollte die Standardsprache ebenso situationsgerecht und partnerbezogen eingesetzt werden wie die Mundart - auch in informellen Situationen. Die Standardsprache ist als Umgangssprache in allen Fächern zu gebrauchen. Die konsequente Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache in allen Fächern und Lernsituationen ist sowohl für den Erwerb einer umfassenden mündlichen Sprachkompetenz in Hochdeutsch als auch für eine positive Einstellung der Standardsprache gegenüber von <?page no="265"?> 265 entscheidender Bedeutung. Kapitel 7.4.3.2 hat gezeigt, dass es auch im Gymnasialunterricht in der Deutschschweiz bestimmte Unterrichtssequenzen gibt, für die ein Anspruch auf Standardrealisierung zwar grundsätzlich besteht, der jedoch dauernd außer Kraft gesetzt wird (interaktionelle Dialekt-Reviere). Im Mathematikunterricht dürfte es gemäss Richtlinien und Weisungen keine Dialektreviere geben. Die Lehrperson trägt die Verantwortung für die Umsetzung der Richtlinien und damit für die Varietätenwahl. Wenn es um das Problem der situationsspezifischen Verwendung der beiden Sprachformen geht, kann der schwarze Peter nicht einfach nur der Schule zugespielt werden, weil auch sprachliche Veränderungen außerhalb der Schule ganz entscheidend mitspielen (vgl. Sieber 2002: 31): Die Deutschschweiz ist Teil des deutschen Sprachgebiets und hat damit Anteil an den Entwicklungen der deutschen Sprache, wie sie sich im gesamten Sprachgebiet zeigen. Charakteristisch für das vergangene 20. Jahrhundert ist eine „Vermündlichung“ der Sprache. Die geschriebene Sprache nähert sich immer stärker der gesprochenen an. Mit der stärkeren Stellung der gesprochenen Sprache geht eine Aufwertung der Umgangssprachen einher. Das hat in der Deutschschweiz ein Doppeltes zur Folge: - Die geschriebene Sprache in der Deutschschweiz hält länger an den Traditionen der (herkömmlichen) Schriftlichkeit fest. Sie ist in diesem Sinne Veränderungen gegenüber konservativer und resistenter als im übrigen deutschen Sprachgebiet, denn es fehlt der direkte Einfluss der gesprochenen hochdeutschen Umgangssprache. Die Distanz zwischen dem geschriebenen Deutsch und der gesprochenen ‚Sprache des Alltags‘, den Mundarten, wird schon aus dieser Diglossie-Situation heraus als besonders gross empfunden - ohne das Zutun der Schulen. Im übrigen deutschsprachigen Gebiet verläuft die Entwicklung gerade umgekehrt: das geschriebene Hochdeutsch wird von der gesprochenen Alltagssprache viel stärker ganz direkt beeinflusst. Die Distanz zwischen geschriebener und gesprochener Sprache wird für diese Sprachbenutzer zunehmend kleiner. - Die Mundarten erfuhren einen Geltungszuwachs und eine Ausbreitung in Bereiche hinein, die früher dem Hochdeutschen vorbehalten waren - insbesondere auch in formellen Situationen. Dies betrifft neben der Schule beispielsweise auch die Medien und die Kirchen. Aufwertung der Alltagssprache heisst in der Deutschschweiz immer Aufwertung der Dialekte als Umgangssprache. Die Dialekte haben heute als moderne Umgangssprachen viel umfassendere Funktionen und Reichweiten als früher. In allen übrigen deutschen Sprachgebieten hat sich zwischen den Dialekten und der Standardsprache eine Umgangssprache etabliert. Diese Umgangssprachen <?page no="266"?> 266 übernehmen die Funktion der Alltagskommunikation. In der Deutschschweiz sind die Dialekte die Umgangssprachen. Deutschschweizer haben deshalb eine - je nach Einschätzung der Sprecher - mehr oder weniger grosse Distanz zurückzulegen, um vom Dialekt zum Hochdeutschen zu gelangen. Diese Distanz muss mit einem Wechsel überwunden werden. Der Wechsel selbst wird oft - emotional - auch als Distanzierung (vom Eigenen, Persönlichen, Vertrauten) empfunden und gewertet. Das dürfte ein Grund sein für die Sprachformwahl in der Schule (Mundart für Persönliches) und auch ein Grund für die Mühe, die nach wie vor viele Lehrer haben, wenn sie im Unterricht die Standardsprache konsequent durchhalten möchten. Für die Distanz dem gesprochenen Hochdeutschen gegenüber gibt es für die Deutschschweizer also durchaus Gründe, die mit der spezifischen Sprachsituation zu tun haben. Trotzdem darf von der Schule zu Recht gefordert werden, diese Distanz nicht noch zu verstärken. Ein bewusster Entscheid bezüglich der Wahl der Unterrichtssprache ist nicht nur notwendig und sinnvoll, sondern auch möglich. Für die Einstellungen der Schüler ist die fächer- und situationsspezifische Zuordnung von Hochdeutsch und Mundart verhängnisvoll, da die Schüler Hochdeutsch so in einer sehr einseitigen Verwendung erfahren. Hochdeutsch wird zur Sprache der kognitiven Fächer, die mit Leistungsanforderungen und Selektionserfahrungen verbunden sind. Auf die Dauer lässt sich kaum vermeiden, dass die mit diesen Fächern verbundenen Erfahrungen auf die Sprachform übertragen werden. Es ist nicht zufällig, dass Schüler mit zunehmender Schulerfahrung das Gefühl haben, Hochdeutsch sei im Vergleich zur Mundart eher sachlich und kopflastig und deshalb nicht geeignet, um über Persönliches und Gefühle zu sprechen. Wenn auch im Schulzimmer die Vermittlung von Nähe und Gefühl der Mundart vorbehalten bleibt, können die Schüler nicht erfahren, dass dies genauso gut auf Hochdeutsch möglich ist. Mangels dieser Erfahrung kann sich ein lebendiges gesprochenes Hochdeutsch nicht entwickeln. Hochdeutsch wird zur wenig geliebten Schulsprache, Mundart zur Sprache der Freizeit. Hier zeigen die Erfahrungen von immer mehr Lehrern, dass es auch anders geht. Allerdings geschieht das nicht automatisch, sondern in einer bewussten Entscheidung zugunsten einer hochdeutsch geprägten Schulhauskultur. Die Lehrpersonen an den Schulen und in der Ausbildung sind gefordert, ihre Verantwortung für die Sprachförderung wahrzunehmen. Deshalb muss in der Aus- und Weiterbildung ein reflektiertes Sprachbewusstsein der Lehrkräfte ausgebildet und die Kenntnis der Diglossie-Situation der Deutschschweiz vermehrt gefördert werden. Auf diesen Punkt wird im Zusammenhang mit einer verbindlicheren Festschreibung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache auf Lehrplanebene eingegangen: <?page no="267"?> 267 Die Forderung nach der konsequenten Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache lässt sich wohl nur dann durchsetzen, wenn die Lehrpersonen einen Paradigmenwechsel vollziehen und gesprochenes Hochdeutsch im Unterricht als ein mündliches Register mit all seinen Merkmalen wirklich akzeptieren lernen. Dafür müssen sie sich von der Vorstellung lösen, dass gesprochenes Hochdeutsch zuerst und in erster Linie den Normen der Schriftlichkeit genügen muss. (…) Neben den klaren und von uns begrüßten Vorgaben auf Lehrplanebene brauchen die Lehrpersonen für den dringend notwendigen Paradigmenwechsel Unterstützung: durch eine in dieser Frage sensibilisierte Grundausbildung, durch praxisnahe Weiterbildungsangebote und Information. (Bachmann/ Peyer 2004: 8) Die Deutschkommission des Kantons Zug gibt bezüglich der Einstellungen der Lehrpersonen zur Standardsprache folgende Hinweise: An diesen Einstellungen zur Standardsprache sollte immer wieder intensiv gearbeitet werden. Das Vorurteil, die Mundart sei leichter verständlich und häufiges Sprechen in der Mundart verbessere die Lehrer-Schüler-Beziehung, muss von den Lehrpersonen - durch ihre Einstellung und ihren natürlichen Gebrauch der Standardsprache - abgebaut werden. (…) Eine positive Grundhaltung gegenüber der Standardsprache gehört genauso zur Professionalität jeder Lehrpersonen wie die Kompetenz in der Standardsprache. 151 Bei der Überarbeitung von Lehrplänen sollte die formelhaft wiederkehrende Wendung ‚Mundart und Standardsprache’ getilgt und auf Formulierungen verzichtet werden, welche die konsequente Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache relativieren (z.B. ‚möglichst’, ‚hauptsächlich’ usw.). Zudem sollte in Lehrplänen die Verwendung von Mundart an konkreten Lerninhalten und Lernzielen festgemacht und auf diese eingeschränkt werden. Somit könnte die konsequente Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache im mündlichen Unterricht aller Fächer und Stufen in verbindlicherer Form festgeschrieben werden. Die Lehrpersonen sind in der Frage der Einstellungen gegenüber dem Hochdeutschsprechen und der konsequenten Verwendung der Standardsprache im Unterricht ebenso gefordert wie die Lehrerausbildungsinstitutionen (Pädagogische Hochschulen) und Bildungsbehörden. In diversen Kantonen und auf verschiedenen Schulstufen wurden in dieser Hinsicht in den letzten Jahren zahlreiche Projekte in Angriff genommen. Auf aktuelle und abgeschlossene Projekte zur Förderung der Standardsprache wird in Kapitel 7.5.4 eingegangen. 151 Deutschkommission des Kantons Zug in Zusammenarbeit mit den Inspektorinnen und Inspektoren: Für eine gezielte Sprachförderung: Standardsprache auf allen Schulstufen in allen Fächern. Hinweise und Begründungen zur Verwendung der Standardsprache im Unterricht. Das 7-seitige Dokument findet sich auf der Homepage des Kantons Zug unter <http: / / www.zug.ch/ ms2/ download/ standardsprache.pdf> 18.10.2007. <?page no="268"?> 268 7.5.4. Projekte zur Förderung der Standardsprache Angesichts der Tatsache, dass Deutschschweizer Kinder im Vorschulalter beim Spielen gerne hochdeutsch sprechen, stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, aus diesem Grund und wegen der fremd- und mehrsprachigen Kinder bereits im Kindergarten die Standardsprache als Alltagssprache zu benutzen. In einem sensiblen Stadium der Sprachentwicklung ermöglicht der Kindergarten in einem vergleichsweise geschützten und ungezwungenen Rahmen einen frühen Zugang zur Standardsprache. Hier besteht eine Chance, Kinder zu motivieren, sich ganz selbstverständlich auf die Standardsprache einzulassen, sich in ihr wohlzufühlen und auszukennen - mit möglichem Gewinn für die sprachliche Entwicklung und den späteren schulischen Erfolg. Angesichts des hohen Anteils fremdsprachiger Kinder muss die Förderung der Standardsprache größte Aufmerksamkeit erhalten, denn das Beherrschen der Standardsprache ist Voraussetzung für den Erfolg in der Schule und in der Arbeitswelt. 152 Deshalb beschloss im Frühjahr 2001 das Erziehungsdepartement Basel-Stadt die Realisierung des vierjährigen Projekts „Standardsprache im Kindergarten“. Das Projekt war Teil der Umsetzungsmaßnahmen des Basler Integrationsleitbildes und als Schulversuch mit wissenschaftlicher Begleitung konzipiert. Es erprobte die Auswirkungen eines in hochdeutscher Sprache geführten Unterrichts in Kindergärten mit einem hohen Anteil fremdsprachiger Kinder (mindestens 75%). 153 Man wollte feststellen, ob diese Kinder im sprachlichen Ausdruck sowie im Umgang mit der Standardsprache eine größere Sicherheit entwickeln und mit dem Nebeneinander von Mundart und Standardsprache besser umgehen können. Die Ergebnisse zeigen, dass die Standardsprache gegenüber der Mundart im Kindergarten für den Schulerfolg und für den Zweitspracherwerb gewisse Vorteile bringt: Sprechfreude und Wortschatz nehmen etwas stärker zu, und die Kinder sprechen ein konsequenteres Hoch- 152 Vgl. den Bericht der Reflexionsgruppe für ein Gesamtsprachenkonzept für die Schulen Basel-Stadt vom Jahr 2003 unter <http: / / www.edubs.ch/ die_schulen/ projekte/ gesamtsprachenkonzept/ pdf/ gsk_reflexionsgruppe.pdf> 26.04.2005. 153 In den beiden ausgewählten Kindergärten, in denen die Kindergartenlehrkräfte mit den Kindern ausschließlich Standardsprache sprechen, liegt der Anteil fremdsprachiger Kinder bei 89%, respektive 93%. Als Vergleichsgruppe dienen zwei Kindergärten mit einem ähnlich hohen Anteil fremdsprachiger Kinder, in denen weiterhin in Mundart unterrichtet wird. Diese Angaben wurden der Medienmitteilung des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt vom 12.08.2002 entnommen. Die Medienmitteilung ist unter <http: / / pages.unibas.ch/ rr-bs/ medmit/ ed/ 2002/ 08/ ed-20020812-001.html> 18.10. 2007 publiziert. <?page no="269"?> 269 deutsch. Es zeigt sich jedoch, dass trotz Standardsprache im Kindergarten in der Primarschule aus konsequentem Hochdeutsch ein ausgeprägter Mischcode werden kann, wenn dort nicht weiterhin durchgehend in Standardsprache unterrichtet wird. Am deutlichsten zeigen sich die Vorteile der Standardsprache im Kindergarten beim Schriftspracherwerb - und zwar in den Bereichen von Leseverstehen, Schreibfreude und Orthographie. Die Studie leitet aus den Ergebnissen des Projekts ‚Standardsprache im Kindergarten’ folgende Empfehlungen ab: In Kindergärten, die von Kindern mit geringen Deutschkenntnissen besucht werden, empfiehlt es sich, auf die Standardsprache umzustellen. Mit oder ohne Umstellung auf die Standardsprache empfiehlt es sich, für Lehrpersonen des Kindergartens die Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich von Sprachbeobachtung und -förderung auszubauen. Bei Umstellung auf die Standardsprache sollten die betroffenen Lehrpersonen zusätzlich ein Anrecht auf einschlägige Fortbildung, Begleitung und Supervision haben. Im Hinblick auf den Gebrauch der Standardsprache in Schule und Kindergarten ist eineQualitätssicherung wünschenswert. 154 Angeregt durch die Erfahrungen in Basel und die Diskussion in der ganzen deutschsprachigen Schweiz zum Thema ‚Dialekt und/ oder Standardsprache im Kindergarten’ wurden auch im Kanton Aargau Möglichkeiten erörtert, den Gebrauch der Standardsprache im Kindergarten ausprobieren zu können. Es wurde die Idee einer Versuchsphase mit Standardsprache im Kindergarten entwickelt. Das Konzept stieß auf großes Interesse; über 30 Lehrpersonen haben in diesem Versuch Erfahrungen mit der Standardsprache im Kindergartenunterricht gesammelt. 155 Auch das Departement für Bildung und Kultur des Kantons Solothurn will die Forderung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren nach konsequentem Gebrauch des Hochdeutschen auf allen Schulstufen und in allen Fächern umsetzen. Der Gebrauch der Standardsprache auf der Kindergartenstufe wird folgendermassen begründet: Insbesondere bei Kindern mit Sprachdefiziten und in Lerngruppen mit einem hohen Anteil an zwei- und mehrsprachigen Kindern ist im Hinblick auf eine erfolgreiche Bewältigung des Schriftspracherwerbs eine verstärkte Hochdeutsch-Orientierung angebracht. (Meuter 2004: 19) 154 Schlussbericht zum Projekt ‚Standardsprache im Kindergarten’, S. 9: <http: / / www. edubs.ch/ lehrpersonen/ Fachstelle_Sprachen/ pss_gesamtbericht.pdf> 28.10.2007. 155 Mehr Informationen zu dieser Versuchsphase in den Kindergärten im Kanton Aargau finden sich unter <http: / / www.ag.ch/ shared/ data/ pdf/ bks/ bks_4-2004version3.pdf> 21.04.2005. <?page no="270"?> 270 Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat 2004 beschlossen, dass im Kindergarten vermehrt hochdeutsch gesprochen werden muss, wobei bei den Kindern noch nicht auf einer konsequenten Verwendung des Hochdeutschen insistiert werden soll. 156 In einer explorativen Studie an einem Zürcher Schulhaus mit integriertem Kindergarten wurde untersucht, wie sich die Einstellungen der Kinder der Standardsprache und der Mundart gegenüber, aber auch deren sprachliche Praxis (bezüglich der Mundart und des Hochdeutschen) im Übergang zwischen Kindergarten und Primarschule entwickeln. In der 1. Klasse sassen Kinder aus dem Mundart-Kindergarten und dem Hochdeutsch-Kindergarten nebeneinander. Damit war die Ausgangslage gegeben, allfällige Auswirkungen des besuchten Kindergartentypus auf die mündliche Sprachpraxis nicht nur im Kindergarten, sondern auch im Übergang zur Primarschule zu untersuchen. Im Zentrum der explorativen Studie stand die Frage nach den Einflüssen des Besuches des Hochdeutsch-Kindergartens auf die sprachliche Praxis der Kinder im Bereich der Mündlichkeit. Von besonderem Interesse waren dabei die Einflüsse des Hochdeutsch-Kindergartens auf den Erwerb einer positiven Einstellung gegenüber der Standardsprache und auf die Praxis des Hochdeutschsprechens. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie werden überblicksmässig dargestellt (vgl. Bachmann/ Sigg 2004: 31-36): - Der Besuch des Hochdeutsch-Kindergartens unterstützt die Kinder in ihrer grundsätzlich positiven Einstellung dem Hochdeutschsprechen gegenüber. Dies zeigt sich nicht nur in den expliziten Einstellungsäußerungen der Kinder, sondern auch in ihrem Verhalten in hochdeutsch geprägten Sprechsituationen (implizite Einstellungsäußerungen). 157 - Die Freude am Hochdeutschsprechen geht in keiner Weise auf Kosten der Mundart. Der Besuch des Hochdeutsch-Kindergartens trägt nicht dazu bei, dass die beiden Varietäten von den Kindern in Opposition 156 Im Brief vom 07. Juni 2004 wurden alle Kindergarten- und Volksschullehrpersonen über die Neuerungen bezüglich der Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache und über die Überarbeitung der Deutsch-Lehrpläne orientiert: <http: / / www.schuletg.ch/ file_uploads/ bibliothek/ k_21_UnterrichtLernenDida/ k_ 281_Lehr-Ausbildungsplne/ 1111_9_0_Begleitbrief20Hochdeutsch.pdf> 06.05.2005. Vgl. hierzu auch den Artikel im Tages-Anzeiger vom 05.06.2004: 2. 157 Die Kinder aus dem Hochdeutsch-Kindergarten zeigen sich in den entsprechenden Situationen deutlich produktiver als die Kinder aus dem Mundart-Kindergarten und sprechen Hochdeutsch auch ausgeprägter mit der gleichen emotionalen Nähe und Unbefangenheit, wie sie ihre Mundart oder ihre Herkunftssprache verwenden (siehe Bachmann/ Sigg 2004: 31). <?page no="271"?> 271 zueinander wahrgenommen und als sich konkurrenzierende Sprachen verstanden und verwendet werden. - Der Besuch des Hochdeutsch-Kindergartens hat anfänglich wenig Einfluss auf die situationsspezifische Verwendung von Hochdeutsch und Mundart. Kinder mit Schweizerdeutsch sprechenden Eltern neigen dabei stärker zu einer situationsspezifischen Wahl von Hochdeutsch und Mundart, indem in beziehungsnahen, persönlichen und informellen Situationen die Mundart deutlich bevorzugt wird. Kinder mit fremdsprachigen Eltern wählen demgegenüber nicht nur öfter Hochdeutsch, sondern auch in mehr und unterschiedlicheren Situationen. - Bezüglich der situationsspezifischen Verwendung der beiden Varietäten entwickelt der Hochdeutsch-Kindergarten seine positive Entwicklung erst mit der Zeit. Mit zunehmender Verweildauer im Hochdeutsch-Kindergarten verzichten die Kinder immer deutlicher auf die situationsspezifische Verwendung der beiden Sprachvarietäten und benutzen Hochdeutsch auch zunehmend in persönlichen und beziehungsnahen Situationen. - Der Besuch des Hochdeutsch-Kindergartens unterstützt die Kinder in ihrer Probierhaltung gegenüber dem Hochdeutschsprechen, fördert die Bereitschaft der Kinder zum Imitationslernen und unterstützt die Kinder in ihrem Sprachbewusstsein. In allen untersuchten Aspekten der sprachlichen Praxis profitieren die Kinder auch in der ersten Klasse der Primarschule vom Hochdeutsch- Kindergarten. In der explorativen Studie konnte kein einziger negativer Effekt des Hochdeutsch-Kindergartens auf die sprachliche Praxis der Kinder im Kindergarten und in der ersten Klasse der Primarschule nachgewiesen werden, weshalb Bachmann/ Sigg (2004) die flächendeckende Einführung des Hochdeutsch-Kindergartens als bildungspolitisches Ziel erachten: Erklärungsbedürftig scheint vor diesem Hindergrund weniger die Einführung des Hochdeutsch-Kindergartens zu sein, sondern die Beibehaltung des Mundart-Kindergartens. Hier drängt sich ein Paradigmenwechsel auf. Legimitieren muss sich aus sprachwissenschaftlicher Sicht nicht der Hochdeutsch-Kindergarten, sondern das Festhalten am Mundart-Kindergarten. (Bachmann/ Sigg 2004: 46) Auch auf der Volksschulstufe wurden verschiedene Massnahmen zur Förderung der mündlichen Hochdeutschkompetenzen ergriffen. Im Grundlagenbericht zum Gesamtsprachenkonzept des Kantons Thurgau heisst es bezüglich der Massnahmen zur Förderung der Kompetenzen in der Standardsprache: <?page no="272"?> 272 Die Schule kann einen aktiven Beitrag zur Förderung der mündlichen Sprachkompetenzen leisten, indem sie... 1) die nicht haltbare verbreitete Meinung, die Standardsprache sei für Schweizer Kinder die erste Fremdsprache, thematisiert, 2) die anfänglich positive Einstellung zur Standardsprache ausbaut statt abbaut, 3) die Standardsprache und die Mundart bewusster und besser begründet einsetzt, 4) an einer positiven Einstellung der Lehrpersonen gegenüber der Standardsprache in Aus- und Weiterbildung arbeitet, 5) ein lebendiges gesprochenes Hochdeutsch fördert, das sich nicht einseitig und unreflektiert an den Normen der geschriebenen Sprache orientiert, 6) (neue) Medien im Unterricht als Input für den Aufbau der Sprachkompetenz in der Standardsprache einsetzt, 7) die gesprochene Standardsprache schon am Anfang und während der ganzen Schulzeit konsequent gebraucht (Dahinden 2003: 32) Aufgrund dieses Sprachenkonzepts wird angestrebt, dass entweder im gesamten Unterricht oder auf dem gesamten Schulareal Hochdeutsch zur Umgangssprache wird. Laut der Lehrpläne für Deutsch in der Volksschule und für die Kindergärten ist aber nicht vorgesehen, Mundart völlig aus der Schule zu verbannen: In thematischen Mundartinseln kann es weiter verwendet und gepflegt werden. Prinzipiell erhofft man sich vom Hochdeutschen als Unterrichtssprache nicht nur eine bessere Sprachfertigkeit, sondern auch bessere Verständigung mit Kindern, die aus anderen Sprachräumen kommen. Diese sollen durch die vermehrte Verwendung der Standardsprache bessere Integrationsmöglichkeiten bekommen. In einem Brief (vgl. Fussnote 156) wurden die Lehrpersonen informiert, dass in der 1. Klasse der Primarschule Hochdeutsch zunehmend zur selbstverständlichen Unterrichtssprache werden muss und dass ab der 2. Klasse der Primarschule Hochdeutsch grundsätzlich die Unterrichtssprache ist. Zentral an diesen Neuerungen ist, dass auch die Schüler untereinander hochdeutsch sprechen sollen. Dabei sind zwei Grundmodelle zur Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache denkbar: Entweder wird im Unterrichtsraum grundsätzlich in allen Situationen hochdeutsch gesprochen („geografisches“ Modell) oder Lehrkräfte und Schüler sprechen grundsätzlich in allen Situationen, also auch beispielsweise in der <?page no="273"?> 273 Pause und im Turnen, hochdeutsch miteinander (lehrkraftbezogenes Modell). Mischformen sind möglich und das gewählte Modell muss mit der Klasse oder - noch besser - im Schulhaus vereinbart werden. Nicht zur Debatte steht ein fächerbezogenes Modell, zudem ist auf einen ständigen Wechsel zwischen Mundart und Hochdeutsch zu verzichten. Die Lehrpersonen werden bei der Umsetzung der Neuerungen unterstützt und überprüft: Schulbehörden, Schulleitungen sowie Schulaufsicht und Schulevaluation überprüfen und unterstützen den Gebrauch von Hochdeutsch als Unterrichtssprache. (…) Der Gebrauch der hochdeutschen Sprache wird überdies Gegenstand der durch die Lehrerinnen und Lehrer periodisch durchgeführten Selbstevaluationen. (Brief des Departements für Erziehung und Kultur des Kantons Thurgau an alle Kindergarten- und Volksschullehrpersonen (vgl. Fussnote 156)) Mit diesen Massnahmen soll erreicht werden, dass Hochdeutsch zur schulischen Umgangsprache wird und eine eigentliche Hochdeutschkultur herrscht. Zudem soll auf diese Weise die positive Einstellung der Kinder im Vorschulalter gegenüber der Standardsprache unterstützt, genutzt und über die gesamte Schulzeit erhalten werden. Der Bildungsrat des Kantons Zürich hat sich seit 2000 in mehreren Beschlüssen für die Verwendung der Standardsprache im Unterricht als wichtiges Mittel der Sprachförderung ausgesprochen: In der Grundausbildung der Lehrpersonen erhält die Standardsprache einen höheren Stellenwert, und den amtierenden Lehrerinnen und Lehrern will der Bildungsrat ‚Praxisnahe Weiterbildung und Informationen’ bieten (Tages-Anzeiger, 16.02.2005: 17). Das von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich und der Pädagogischen Hochschule Zürich gemeinsam getragene Projekt „Förderung der deutschen Standardsprache“ war auf drei Jahre (2002-2005) befristet. Es war eine Reaktion auf die Resultate aus der PISA-Studie. Das Volksschulamt hat in einem ersten Schritt in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule die Broschüre „Hochdeutsch als Unterrichtssprache, Befunde und Perspektiven“ 158 herausgegeben und an sämtliche Lehrpersonen verschickt. Den Schulbehörden und Schulhausteams wurden verschiedene Weiterbildungsangebote zu diesem Thema angeboten, darunter die Aktionstage „Spaß und Freude am Hochdeutschen“. An den Aktionstagen wurde für einen lockeren, lust- und freudvollen Umgang 158 Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hochschule Zürich (Hrsg.) (2003): Hochdeutsch als Unterrichtssprache. Befunde und Perspektiven, Redaktion: Bachmann, Thomas / Good, Bruno, Zürich: Bildungsdirektion. <?page no="274"?> 274 mit der gesprochenen Standardsprache geworben und es wurden praktische Anwendungen gezeigt und ausprobiert. Parallel dazu liefen die Vorbereitungsarbeiten für das „Handbuch Hochdeutsch“ von Neugebauer/ Bachmann (2007), das unterrichtspraktische Anregungen für die Schulentwicklung und für die Arbeit im Schulzimmer gibt. Daneben wurde von der Pädagogischen Hochschule Zürich in drei Pilotstudien die standardsprachliche Praxis von Kindern, Studierenden und Lehrpersonen im Unterricht untersucht (Bachmann/ Sigg (2004), Neugebauer (2004) und Bachmann/ Ospelt (2004)). Das neue Zürcher Volksschulgesetz schreibt vor, dass im Kindergarten teilweise und in der Primarsowie Sekundarstufe I grundsätzlich in der Standardsprache unterrichtet wird. Da Schüler außerhalb der Schule wenig Gelegenheit haben, hochdeutsch zu sprechen, hat die Schule die Aufgabe, die standardsprachliche Sprechpraxis im Sinne der vollen Immersion sicherzustellen. Im Schlussbericht zur Lehrplanüberarbeitung geben Bachmann/ Peyer (2004: 8) bezüglich der Einstellungen der Lehrpersonen zur gesprochenen Standardsprache zu bedenken, dass Hochdeutsch nur dann konsequent verwendet wird, wenn die Lehrpersonen selber einen Paradigmenwechsel vollziehen: Sie müssen gesprochenes Hochdeutsch im Unterricht als ein mündliches Register mit all seinen Merkmalen akzeptieren. Der Frage der Sprachformwahl im Unterricht soll in der Grundbildung der Lehrkräfte deshalb einen höheren Stellenwert eingeräumt werden. Angeboten werden zudem praxisnahe Weiterbildungsmöglichkeiten und Informationen für die Lehrpersonen, beispielsweise ein Weiterbildungskurs an der Pädagogischen Hochschule Zürich mit dem Titel „Viel Spaß und Freude an der hochdeutschen Sprache. Kreative Hochdeutschprojekte“. Das Kursziel wird folgendermassen umschrieben: Die Teilnehmenden erleben in diesem Kurs, dass Hochdeutsch Spaß machen und sympathisch, vertraut, locker und lustig sein kann. Sie erleben, dass Sie ja Hochdeutsch können und Sie erwerben sich eine selbstverständliche, unverkrampfte, positive Einstellung zur gesprochenen hochdeutschen Sprache des Alltags, der Medien, ja des Herzens und Sie sind motiviert, den Schüler/ innen durch attraktive Sprachlernsituationen nachhaltig freudvolle Hochdeutsch- Erfahrungen zu vermitteln. 159 Auch der EDK-‚Aktionsplan’ (vgl. Kapitel 7.3.2) weist der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften eine zentrale Rolle zu. 159 Für weitere Informationen zum aktuellen Kursprogramm an der Pädagogischen Hochschule Zürich siehe <http: / / www.phzh.ch/ content,15,r,_Dz.html> 18.10.2007. <?page no="275"?> 275 Zudem sollen Forschungsprojekte den aktuellen Sprachunterricht erfassen und evaluieren: Sprachförderung in allen Unterrichtsfächern - Die Sprachförderung wird in der Lehrerinnen- und Lehreraus- und -weiterbildung prioritär behandelt und insbesondere auch in den Fachdidaktiken der Nicht-Sprachfächer integriert. - Fachlehrkräfte werden auf ihre Mitverantwortung bei der Sprachförderung aufmerksam gemacht. Forschungsprojekte - Studien und Projekte zur Erfassung und Evaluation des aktuellen Sprachenunterrichts werden lanciert. 160 Neugebauer (2004) hat eine erste Primarklasse, in welcher die Lehrerin ausschließlich hochdeutsch gesprochen hat, über ein ganzes Schuljahr hinweg beobachtet. Die explorative Studie hat gezeigt, dass die Kinder die konsequente Verwendung der Standardsprache von ihrer Lehrerin übernehmen und mit der Zeit in ihren Gesprächen untereinander selbst bei Abwesenheit der Lehrerin auf die Standardsprache zurückgreifen. Häufig tun sie dies auch im Unterricht bei Fachlehrpersonen (z.B. in den Fächern Sport, Musik oder Werken), welche die Standardsprache nicht verwenden. 161 Die Autorin hält es für wichtig, dass die Lehrperson ein möglichst ungezwungenes, an der Mündlichkeit orientiertes Deutsch spricht. Von großer Bedeutung ist zudem das emotionale Engagement bei der Kommunikation; dieses ist ebenfalls wichtiger als formale Korrektheit. Neugebauer (2004: 35) stellt fest, dass die konsequente Verwendung von Hochdeutsch im Unterricht zudem als Chance für eine Verbesserung der Schulerfolgschancen der mehrsprachig aufwachsenden Kinder betrachtet werden kann. Kapitel 7.5.5 fokussiert deshalb den Einfluss einer konsequenten Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache auf die Entwicklung der sprachlichen Orientierungskompetenz. 160 Das Zitat wurde dem Überblick über die Massnahmen im Aktionsplan der EDK entnommen: <http: / / www.edk.ch/ PDF_Downloads/ Monitoring/ Aktionsplan_d. pdf> 18.10.2007. 161 Laut Neugebauer (2004: 47) wäre es sinnvoll, wenn auch die Fachlehrpersonen in ihrem Unterricht hochdeutsch sprechen würden, da die Kinder auf das mundartliche Sprachvorbild der Fachlehrpersonen mit Anpassung reagierten. <?page no="276"?> 276 7.5.5. Orientierungskompetenz von fremdsprachigen Schülern Bei der Diskussion um ‚Standardsprache als Unterrichtssprache’ ist zu berücksichtigen, dass viele in der Deutschschweiz wohnhafte Kinder und Jugendliche Deutsch als Zweitsprache erwerben. Hochdeutsch ist für alle Schüler die Sprache der schulischen Selektion. Die Forderung nach einer konsequenten Verwendung der Standardsprache soll helfen, von einheitlichen Lernsituationen zu profitieren. 162 Dies hilft in besonderem Maß - aber nicht ausschließlich - Kindern mit Migrationshintergrund. Für fremdsprachige Kinder ist es wichtig, dass sie sich gleich zu Beginn ihres Deutschlernens an eine Sprachvarietät gewöhnen - und zwar an die Standardsprache, weil diese ihnen auch als geschriebene Sprache und als Unterrichtssprache begegnet. Laut Bildungsdirektion des Kantons Zürich/ Pädagogische Hochschule Zürich (Hrsg.) (2003: 6) ist die Angst, dass Kinder auf der Unterstufe mit der Standardsprache überfordert sein könnten, auch für mehrsprachige Kinder weitgehend unbegründet. Ein allfälliger Varietätenwechsel im Unterricht muss klar deklariert werden, da ein unkritischer Gebrauch des Dialekts im Unterricht problematisch ist: Für den schulischen Erfolg und damit auch für eine erfolgreiche Integration nicht nur fremdsprachiger Schülerinnen und Schüler ist es fundamental, dass die standardsprachlichen Kenntnisse stets weiter entwickelt sind als die Dialektkenntnisse, denn sobald Kinder beginnen, sich im Dialekt einigermaßen sicher auszudrücken, schwindet die Motivation, die Standardsprache weiter zu lernen. (Lauer 2003: 15) Da migrierte Schüler nicht immer klar zwischen Mundart und Standardsprache unterscheiden können, ist der ständige Wechsel zwischen diesen beiden Varietäten zu vermeiden. Für die soziale Integration ist es auch für fremdsprachige Kinder wichtig, die Mundart verstehen und beherrschen zu lernen. In der Freizeit und von Gleichaltrigen können fremdsprachige Kinder meist nicht lernen, sich in Mundart differenziert mit komplexen Themen auseinanderzusetzen. In der Schule braucht es deshalb bewusst gewählte und klar deklarierte Mundartsequenzen (siehe Kapitel 7.5.6). Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Varietäten müssen in sprachlicher und kommunikationsbezogener Hinsicht thematisiert und bewusst gemacht werden. 162 Die Förderung der Standardsprache als Unterrichtssprache darf dabei eine Förderung der Erstsprache von fremd- und zweisprachigen Schülern nicht ignorieren oder gar ausschließen. <?page no="277"?> 277 Eine elementare Voraussetzung für die Beherrschung der Standardsprache stellt die Fähigkeit dar, die beiden eng verwandten Varietäten Mundart und Standardsprache differenzieren zu können. Diese Orientierungskompetenz wurde 2002 in 348 Zürcher Schulklassen untersucht (vgl. hierzu Schader 2003). Die Befunde der Untersuchung stützen die Forderung nach einem möglichst integral auf Hochdeutsch geführten Unterricht: Ein solcher scheint einen eindeutig positiven Effekt auf die Orientierungskompetenz zwischen Mundart und Hochsprache auszuüben, so wie umgekehrt ein gemischt oder mehr mundartlich geführter Unterricht diese Orientierungskompetenz offenbar negativ beeinflusst, was die schwächeren Resultate der betreffenden SchülerInnen belegen. (Schader 2003: 12) Schader (2003: 8) geht davon aus, dass der oftmals tiefere Schulerfolg von Fremdsprachigen damit zusammenhängt, dass ihre Sicherheit und Orientierungskompetenz gerade in Detailbereichen der selektionswirksamen Beherrschung der Standardsprache schwächer ist (Endungen, Fälle, Konstruktionen usw.). 163 Die Schule spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie im weitestgehend dialektal geprägten Umfeld der Deutschschweiz der einzige Ort ist, wo die Standardsprache systematisch vermittelt, erworben und trainiert werden kann. Die Ähnlichkeit der Varietäten erschwert die Unterscheidung und Orientierung. Mehrsprachig aufwachsende Kinder aus Klassen, in denen die Lehrperson vorwiegend oder ausschließlich hochdeutsch spricht, haben eine bessere Orientierungskompetenz, was die Unterscheidung von Mundart und Hochdeutsch betrifft, als Kinder, die von Lehrpersonen unterrichtet werden, die die beiden Varietäten abwechselnd verwenden (vgl. Schader 2003: 12). Laut Schader (2003: 13) ist in den tiefer qualifizierten Typen der Sekundarstufe I ein gemischter Sprachgebrauch (Mundart und Standardsprache) nicht selten. Auch Siebenhaar (2005: 9) stellt fest, dass die Sekundarstufe I schulspezifische Unterschiede zeigt. Im Hinblick auf den sprachlichen Förderbedarf der überproportional vielen Fremdsprachigen auf dieser Stufe ist eine Vernachlässigung der Standardsprache sehr problematisch - zumal die Absolventen dieser Schultypen ohnehin schlechtere Berufschancen haben und die Hochdeutschkompetenz auch in der weiteren Ausbildung eine selektionswirksame Qualifikation bleibt. Da sich das Mischen von Dialekt und Standardsprache durch wichtige Bezugspersonen (z.B. Klassenlehrkraft, Förderlehrperson) lernhemmend und verwirrend auswirkt, muss Hochdeutsch 163 Dabei muss beachtet werden, dass schulische Selektion weitgehend auf den sprachlichen Leistungen im schriftlichen Bereich basiert. <?page no="278"?> 278 auch als Umgangssprache in allen Fächern und Sozialformen sowie auf allen Schulstufen konsequent eingeübt werden. Werden fremdsprachige Kinder nicht nur im Unterrichtsgespräch, sondern auch im persönlichen Umgang mit der Standardsprache konfrontiert, bieten sich zudem anderen Schülern Möglichkeiten, die Standardsprache auch außerhalb des schulischen Unterrichts anzuwenden. Ohne den Gebrauch der Standardsprache in allen Situationen werden Schüler mit verschiedenen Herkunftssprachen stark benachteiligt und zusammen mit deutschsprachigen Kindern der Möglichkeit beraubt, sich im großen deutschsprachigen Kultur- und Sprachraum locker und unverkrampft zu bewegen. Eine Reflexion auch über das Verhältnis von Dialekt und Standardsprache ist deshalb ein wichtiger Aspekt jeglichen Unterrichts. Grundlegend ist zudem eine positive und bewusste Haltung der Lehrpersonen zum mündlichen Gebrauch der Standardsprache. Je mehr Personen die Standardsprache in der schulischen Umgebung benützen, umso stärker kann sie sich zur Beziehungssprache entwickeln. Dies ist nicht zuletzt auch eine Chance für Dialekt sprechende Kinder, denn ein konsequenter Gebrauch der Standardsprache schafft nicht nur für Fremdsprachige gute Lernvoraussetzungen für einen gelingenden Spracherwerb; auch Deutschschweizer Kinder profitieren von einer gelebten Hochdeutschkultur im Schulhaus. Dies zeigen die Erfahrungen im Schulhaus Zelgli in Schlieren ZH, das sich am Projekt „Qualität in multikulturellen Schulen“ (QUIMS) 164 beteiligt. In dieser Schule kommen fast zwei Drittel der Kinder aus fremdsprachigen Familien. Seit dem Jahr 2000 wird im Schulhaus konsequent hochdeutsch gesprochen - im Unterricht in allen Fächern genauso wie auf dem Pausenplatz: Es sei schön zu sehen, wie sich die Sprachkompetenz aller Kinder gesteigert habe; man merke oft gar nicht, welches Kind Schweizer Eltern und welches ausländische habe. Das Hochdeutsch als gemeinsame Sprache verbinde, und der Umgang der Kinder damit sei völlig unverkrampft. (Benz/ Homann 2005: 38) Eine konsequente Verwendung der Standardsprache im schulischen Unterricht darf eine Förderung der Erstsprache von fremdsprachigen Kindern nicht ausschließen. Die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli hat an einer Tagung an der Pädagogischen Hochschule Zürich ein 164 QUIMS ist ein Schulentwicklungskonzept der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Ziel ist es, die Qualität in Schulen mit hohen Anteilen an Kindern aus nichtdeutschsprachigen und schulfernen Familien zu fördern. Mit dem neuen Volksschulgesetz sollen die QUIMS-Massnahmen institutionalisiert werden. Für weitere Informationen sei auf die Homepage des Projekts verwiesen: <http: / / www.quims. ch> 18.10.2007. <?page no="279"?> 279 Referat zu diesem Thema gehalten. 165 Um allen Schülern zu einem guten Schulerfolg verhelfen zu können, braucht die Volksschule bessere Strategien als bisher, um Kinder aus bildungsferneren Sozialschichten und Migrantenfamilien zu fördern. Zu diesen Strategien gehört eine wirksamere Sprachdidaktik. Das gilt für alle Kinder, unabhängig von ihrer Erstsprache. Für die Kinder nichtdeutscher Erstsprache gilt dies aber ganz besonders. Bei zweisprachig aufwachsenden Kindern lassen sich die Deutschkompetenzen auch dadurch fördern, dass man ihre Erstsprache fördert. Das Erlernen einer neuen Sprache hängt in hohem Masse davon ab, wie gut und wie differenziert man seine Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen in seiner Muttersprache auszudrücken gelernt hat. Eine zweisprachige Förderung trägt zu besseren Lernleistungen und zu einem besseren Schulerfolg von Kindern aus Migrantenfamilien bei. Wenn man bedenkt, dass diese Kinder zahlenmäßig über einen Viertel der gesamten Schülerschaft ausmachen, wird offensichtlich, dass es sich bei dabei um ein zentrales gesellschaftliches Anliegen handelt. Dazu kommt, dass dieselben Kinder vielfach aus bildungsferneren Schichten stammen und darum einen umso größeren Aufholbedarf haben, wenn man das Ziel der Chancengleichheit nicht aus den Augen verlieren will. Gemäss Ergebnissen der PISA-Studie vom Jahr 2000 lesen fremdsprachige Schüler sehr viel schlechter als ihre deutschsprachigen Altersgenossen. Sie gehören häufig zur Risikogruppe sehr schwacher Leser und erreichen auch in der Mathematik und in den Naturwissenschaften erheblich schwächere Leistungen. Es ist deshalb absolut zentral, Massnahmen zu ergreifen, mit denen fremdsprachige Schüler so effektiv wie möglich zu guten Deutschkenntnissen geführt werden können. Die Volksschule ist ein wichtiges Instrument der Integration. Sie kann allen Schülern, gleich welcher Herkunft und Muttersprache, ein gemeinsames Bildungsgut vermitteln, wozu auch mehrsprachige und interkulturelle Kompetenzen gehören. Es ist für alle nützlich, mehrere Sprachen zu sprechen und sich in unterschiedlichen kulturellen Umfeldern bewegen zu können. Dieses gemeinsame Bildungsgut lässt sich auch differenzieren, wie dies zum Beispiel bei den Kursen in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) der Fall ist. Damit erwerben fremdsprachige Kinder Sprachkenntnisse, die ihnen nicht nur in der Familie und im Herkunftsland dienen, sondern auch in der Ausbildung und im Studium, in der Kultur sowie in allen Sparten des Berufslebens. 165 Vgl. zu den folgenden Ausführungen das Referat von Regine Aeppli, das sie am 24.01.2004 an der Tagung „Sprachenvielfalt in den Schweizer Schulen - ein wichtiges Potential“ der Pädagogischen Hochschule Zürich gehalten hat: <http: / / www.quims.ch/ aktuell/ Aeppli_Sprachvielf.pdf> 19.05.2005. <?page no="280"?> 280 7.5.6. Mundartsequenzen im Unterricht Hochdeutsch soll die selbstverständliche Unterrichtssprache werden - für den Aufbau von Beziehungen ebenso wie für die Arbeit an inhaltlichen Fragen. Deswegen ist die Frage nach dem Stellenwert der Mundart aber nicht obsolet. Die kommunikativen Kompetenzen der Schüler sollen auch in der Mundart gefördert werden. Der Normalfall soll aber die konsequent in allen Situationen, Fächern und Schulstufen verwendete Standardsprache sein. Mundartsequenzen sollen beschränkt sein auf anspruchsvolle und kommunikativ relevante Gesprächssituationen wie Erklären, Argumentieren, Bewerbungsgespräche oder Diskussionsstatements (vgl. Bachmann/ Peyer 2004: 10). Die Varietät Mundart soll ausdrücklich nicht Phasen des informellen Gesprächs, bestimmten Unterrichtssituationen oder Fächern zugeordnet werden. In Lehrplänen kommt häufig die Wendung ‚in Mundart und Standardsprache’ vor (vgl. Kapitel 7.3.3). Diese Wendung kollidiert mit dem grundsätzlichen Anspruch der konsequenten Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache. Zudem galt in vielen Lehrplänen bis anhin bezüglich der Verwendung von Mundart im Unterricht die Sprachregelung, dass die Verwendung von Mundart transparent gemacht und begründet erfolgen soll. So heisst es beispielsweise im Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen: „Die Gebrauchsnormen für die beiden Varianten müssen von Fall zu Fall neu gesetzt und begründet werden“ (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK (Hrsg.) 1994: 32). Bachmann/ Peyer (2004: 21) weisen darauf hin, dass sich dieser Appell an das Sprachbewusstsein der Lehrkraft in der Praxis als zu wenig handlungsleitend im Sinne der konsequenten Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache erwiesen hat, da er den Lehrpersonen keine Orientierungs- und Entscheidungshilfe gibt, wann und warum Mundartsequenzen im Unterricht sinnvoll sind. Jeder Wechsel in die Mundart kann transparent gemacht werden, was aber noch nicht heisst, dass diese Varietätenwahl für eine Unterrichtssequenz auch von der Sache her legitimiert ist. Aus diesem Grund soll in den Lehrplänen die Wahl von Mundart als Unterrichtssprache mit konkreten Lerninhalten und Lernzielen verknüpft und auf diese eingeschränkt werden. Mundart empfiehlt sich nur dann als Unterrichtssprache, wenn es um die Förderung von anspruchsvollen kommunikativen Kompetenzen geht, welche für die Integration und das Fortkommen im mundartlich geprägten ausserschulischen Alltag unverzichtbar sind und gleichzeitig in der Alltagskommunikation außerhalb der Institution Schule nicht erworben werden können. <?page no="281"?> 281 7.5.7. Empfehlungen für die Sprechpraxis in der Schule Zum Abschluss des Kapitels 7 wird der Versuch unternommen, aus der vorgestellten linguistischen Untersuchung zur Varietätenwahl im Unterricht in der Deutschschweiz einige Empfehlungen für die standardsprachliche Sprechpraxis in der Schule herzuleiten. Damit soll die linguistische Untersuchung für die analysierte Praxis fruchtbar gemacht werden. Kindergarten: In der explorativen Studie von Bachmann/ Sigg (2004) konnte kein einziger negativer Effekt des Hochdeutsch-Kindergartens auf die sprachliche Praxis der Kinder im Kindergarten und in der ersten Klasse der Primarschule nachgewiesen werden. Vielmehr weisen die Befunde darauf hin, dass der Besuch des Hochdeutsch-Kindergartens die Einstellungen gegenüber dem Hochdeutschen und die Praxis des Hochdeutschsprechens positiv beeinflusst. Das Angebot an Hochdeutsch-Kindergärten sollte deshalb flächendeckend ausgebaut werden, wobei die erfolgreiche Umsetzung entsprechender Massnahmen eine umfassende Information aller Beteiligten voraussetzt. Auf breite Akzeptanz wird der Hochdeutsch- Kindergarten erst dann stoßen, wenn es gelingt, tendenziell negative Einstellungen (insbesondere der Erwachsenen) gegenüber dem Hochdeutschsprechen zu korrigieren. Primarschule: Die Startbedingungen für den Hochdeutscherwerb und den aktiven Gebrauch der Standardsprache sind im Vorschulalter und auf der Unterstufe ausgesprochen günstig. Das Verhältnis der Kinder zur Standardsprache ist ungezwungen und positiv. Die Chance, auf der Grundlage positiver Einstellungen und Erwartungen eine ganz selbstverständliche und produktive Hochdeutschkultur aufzubauen, ist deshalb nirgends so gross wie bei Schulbeginn. Es spricht also nichts dagegen, die günstigen Startbedingungen zu nutzen und im Unterricht gleich von Anfang an in sach- und beziehungsbezogenen Situationen hochdeutsch zu sprechen. Hochdeutsch als selbstverständliche Unterrichtssprache sollte bereits zu Beginn der schulischen Biographie etabliert werden, wobei Hochdeutsch von Anfang an nicht nur im Plenum des Klassenverbandes, sondern auch in der Schüler-Schüler-Kommunikation seinen Platz finden sollte. Die - in der Regel positive - Einstellung der Schüler zur Standardsprache sollte beibehalten und weiter ausgebaut werden, denn die Freude am aktiven mündlichen Gebrauch der Standardsprache ist eine gute Voraussetzung für gelingende Spracherwerbsprozesse in dieser frühen Schulzeit. <?page no="282"?> 282 Sekundarstufe I: Der Ausbau des Sprechregisters in einer Sprache braucht Zeit, gute Vorbilder und eine Fülle von Gelegenheiten, die Sprache angstfrei unter ganz unterschiedlichen Bedingungen nutzen zu können. Die Schüler sollten lernen, die Standardsprache in verschiedenen Situationen zu gebrauchen. Allfällige negative Einstellungen bei den Schülern sollten abgebaut werden. Vielfältige und variable Lernsituationen sollten in allen Typen der Sekundarstufe I Gelegenheiten bieten, Hochdeutsch verschiedenartig erleben und verwenden zu lernen, damit positive und selbstverständliche Erfahrungen mit dem mündlichen Gebrauch der Standardsprache gemacht werden können. Das Vertrauen der Schüler in die eigene Sprachfähigkeit sollte gestützt werden. Die positive Wertung dessen, was sie schon können, ist für den Ausbau der Sprechkompetenz hilfreicher als ständiges Korrigieren. Sekundarstufe II: In den allgemein- und berufsbildenden Schulen auf der Sekundarstufe II sollte sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Bereich in allen Fächern ein besonderes Schwergewicht auf den Ausbau der Standardsprachkompetenz gelegt werden. Deutschschweizer mit der längsten Schulbildung kommen sehr häufig in Situationen, in denen der aktive mündliche Gebrauch der deutschen Standardsprache eine Rolle spielt. Dem sollte auf der Sekundarstufe II vermehrt Rechnung getragen werden, indem alle Fachlehrpersonen Hochdeutsch als Unterrichtssprache verwenden. Ausbildung der Lehrpersonen: Fragen der Sprachformwahl im Unterricht und der Verantwortung für die Sprachförderung sollten in der Ausbildung der Lehrpersonen gezielt thematisiert und in die Fachdidaktiken auch der Nicht-Sprachfächer integriert werden. In der Ausbildung sollte ein reflektiertes Sprachbewusstsein der Lehrkräfte ausgebildet und die Kenntnis der spezifischen Diglossie-Situation der Deutschschweiz vermehrt gefördert werden. In der Ausbildung können zudem mehr oder weniger unbewusst tradierte Einstellungen gegenüber der Standardsprache und dem Hochdeutschsprechen am nachhaltigsten bearbeitet werden. Bei der Anstellung von neuen Lehrpersonen sollte die Regelung der Unterrichtssprache thematisiert und die Umsetzung überprüft werden. Auch alle Fachlehrpersonen sollten in der Aus- und Weiterbildung auf ihre Mitverantwortung bei der Sprachförderung aufmerksam gemacht werden. <?page no="283"?> 283 Weiterbildung: Das Weiterbildungsangebot für Kindergärtnerinnen, Lehrpersonen aller Schulstufen (Primar- und Sekundarschule, Mittel- und Berufsschulen) sowie Schulbehörden zu Fragen der Unterrichtssprache sollte überprüft und ausgebaut werden. Die Lehrpersonen sollten in der gezielten Sprachförderung mit dem Ziel der funktionalen Mehrsprachigkeit unterstützt werden, indem ihnen unterrichtspraktische Anregungen für die Arbeit im Schulzimmer gegeben werden. Entsprechende praxisnahe Angebote sollten sich nicht nur an Einzelpersonen richten, sondern auch an Schulhausteams. Die Entwicklung einer lebendigen Kultur der gesprochenen Standardsprache im Unterricht oder Schulhaus setzt Zusammenarbeit zwingend voraus. Sprechpraxis der Lehrpersonen: Die tendenziell negativen Einstellungen gegenüber der eigenen standardsprachlichen Sprechpraxis sollten von den Lehrpersonen durchbrochen werden. Unter Lehrkräften sind Defizitvermutungen oft prägender als das Wissen um eigene Kompetenzen. Ohne entsprechende Arbeit in der Lehrerbildung werden solche Defizitvermutungen an die Schüler weitergegeben oder sie wirken bereits in der Wahl der Sprachform, indem Hochdeutsch als Unterrichtssprache tendenziell gemieden wird. Es sind in erster Linie Einstellungs-, und nicht Kompetenzprobleme, welche die Lehrpersonen an der konsequenten Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache hindern. Die Lehrpersonen sollten einen den Normen der Mündlichkeit verpflichteten, ungezwungenen Sprachgebrauch praktizieren. Dies wirkt sich bei den Lernenden positiv auf den Erwerb und Gebrauch entsprechender Fähigkeiten im Hochdeutschen aus. Zudem sollte auch bei den Schülern eine an den Normen der Mündlichkeit orientierte Sprechpraxis gefördert werden. Einstellung der Lehrenden: An den Einstellungen zur Standardsprache sollte immer wieder intensiv gearbeitet werden. Das Vorurteil der leichteren Verständlichkeit oder der besseren Beziehung zwischen Lehrer und Schülern durch den Gebrauch der Mundart muss von den Lehrpersonen durch ihre Einstellung und ihren natürlichen Gebrauch der Standardsprache abgebaut werden. Eine positive Grundhaltung gegenüber der Standardsprache gehört genauso zur Professionalität jeder Lehrpersonen wie die Kompetenz in der Standardsprache. Die Anbindung der Sprachformen an einzelne Fächer und Situationen muss durchbrochen werden. Die Lehrpersonen müssen sich bewusst sein, dass jedes Thema in Standardsprache unterrichtet werden kann. Deshalb sollte die Standardsprache ebenso situations- <?page no="284"?> 284 gerecht und partnerbezogen eingesetzt werden wie die Mundart - auch in informellen Situationen. Die Standardsprache ist als Umgangssprache in allen Fächern zu gebrauchen. Die konsequente Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache in allen Fächern und Lernsituationen ist sowohl für den Erwerb einer umfassenden mündlichen Sprachkompetenz in Hochdeutsch als auch für eine positive Einstellung dem Hochdeutsch gegenüber von entscheidender Bedeutung. Die Lehrpersonen sollten gesprochenes Hochdeutsch im Unterricht als ein mündliches Register mit all seinen Merkmalen akzeptieren lernen. Dafür müssen sie sich von der Vorstellung lösen, dass gesprochenes Hochdeutsch in erster Linie den Normen der Schriftlichkeit genügen muss. Interaktionelle Dialekt-Reviere: Der offiziell vorgegebenen Norm, wonach im Unterricht die Standardsprache zu sprechen sei, sollten keine nicht-kodifizierten, interaktionell gebildeten Dialekt-Reviere gegenüberstehen, die im Einverständnis der Sprechpartner begründet liegen. Diese situationsspezifische, interaktionell bestimmte Verwendung der Mundart als Sprache im Unterricht stellt ein Abweichen von der in Weisungen und Empfehlungen vorgegebenen Standardsprache dar. Standardsprachliche Sprechkompetenz: Das in der Schule gepflegte Hochdeutsch darf ein selbstbewusstes Schweizer Hochdeutsch sein. Die schulische Sprachbildung sollte dazu beitragen, dass sich die Schüler ihrer realen Kompetenzen im Hochdeutschsprechen bewusst werden. Positive Wirkungen für die mündliche Hochdeutschförderung gehen aus von positiven Erfahrungen der eigenen Hochdeutschkompetenzen. Der Umgang der Lehrpersonen mit mündlichen Äußerungen von Schülern sollte kommunikativ angemessen und an den Inhalten orientiert sein. Im Unterricht sollten mündliche Beiträge nicht nach den Normen der Schriftlichkeit korrigiert werden. Das Vertrauen der Schüler in die eigene Sprachfähigkeit und die positive Wertung dessen, was sie schon können, sollte gestützt werden. Für den Ausbau der Sprach- und ganz besonders der Sprechkompetenz ist dies wesentlich hilfreicher als ständiges Korrigieren und das Beharren auf einer Norm, die allenfalls ein Endziel darstellen kann. Für das sprachliche Lernen ist ein entwicklungsorientierter Ansatz produktiver und effizienter als ein defizitorientierter. In der Schule sollten die Lernenden Gelegenheiten erhalten, ein breites Repertoire an Registern der Mündlichkeit in der Standardsprache aufzubauen und dieses in verschiedenen Redekonstellationen in ständiger Anwendung zu verfeinern. <?page no="285"?> 285 Lehrpläne, Weisungen, Empfehlungen: In Lehrplänen, Erlassen, Weisungen oder Empfehlungen seitens der Bildungsbehörden sollte auf Formulierungen verzichtet werden, welche die konsequente Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache relativieren und die situationsspezifische Verwendung von Standardsprache und Mundart in der Interpretation einzelner Lehrpersonen erlauben. Zwar können ‚geschlossene‘ Formulierungen abschrecken und auf Widerstand stoßen, doch ist es der Sache auch nicht förderlich, wenn ‚offenere‘ Vorgaben („möglichst viel Hochdeutsch“) bei verschiedenen Lehrpersonen zur Tradierung der bisherigen Praxis führen und diese - in ihren Augen - auch noch legitimieren. Überprüfung der Varietätenwahl: Bei Schulinspektionen und schulinternen Unterrichtsbesuchen sollte die sprachliche Praxis thematisiert und die Umsetzung von vorgegebenen Sprachregelungen überprüft werden, wobei insbesondere auf die Vermeidung der situationsspezifischen Verwendung von Standardsprache und Mundart und auf die Korrekturpraxis der Lehrpersonen geachtet werden sollte. Schulbehörden, Schulleitungen sowie Schulaufsicht und Schulevaluation sollten den Gebrauch von Hochdeutsch als Unterrichtssprache unterstützen und überprüfen. Der Gebrauch der Standardsprache sollte überdies Gegenstand der durch die Lehrer periodisch durchgeführten Selbstevaluationen werden. Schulhauskultur: Die Schüler sollten Hochdeutsch als Unterrichtssprache auch untereinander verwenden, beispielsweise bei Gruppenarbeiten. Lehrkräfte und Schüler sollten in allen Unterrichtsfächern und -situationen Hochdeutsch miteinander sprechen. Projekte im Bereich der Schulentwicklung sollten dazu genutzt werden, Hochdeutsch als Umgangssprache im ganzen Schulhaus oder gar Schulareal zu etablieren. Das gewählte Sprachmodell sollte im Schulhaus vereinbart werden und für alle Klassen Gültigkeit haben. Mit diesen Massnahmen kann erreicht werden, dass Hochdeutsch zur schulischen Umgangsprache wird und eine eigentliche Hochdeutschkultur herrscht. Lehrpersonen, die sich entscheiden, Hochdeutsch in ihrem Unterricht konsequent als Lern- und Beziehungssprache einzusetzen, sollten durch eine klare Haltung der zuständigen Schulbehörde zugunsten eines konsequenten Hochdeutschgebrauchs und durch schulinterne Weiterbildungen zum Thema unterstützt werden. <?page no="286"?> 286 Fremd- und mehrsprachige Kinder: Eine elementare Voraussetzung für die Beherrschung der Standardsprache stellt die Fähigkeit dar, die beiden eng verwandten Varietäten Mundart und Standardsprache differenzieren zu können. Die Schule spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie im weitestgehend dialektal geprägten Umfeld der Deutschschweiz der einzige Ort ist, wo die Standardsprache systematisch vermittelt, erworben und trainiert werden kann. Eine konsequente Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache wirkt sich positiv auf die Entwicklung der sprachlichen Orientierungskompetenz aus und kann als Chance für eine Verbesserung der Schulerfolgschancen von mehrsprachig aufwachsenden Kindern betrachtet werden. Kinder, die zuhause eine Migrationssprache sprechen, sind besonders darauf angewiesen, dass die Lehrperson ihnen sprachlich eine klare Orientierung gibt und dass die Förderung in der Standardsprache möglichst früh einsetzt. Fremdsprachige Kinder sollten sich gleich zu Beginn ihres Deutschlernens an eine Sprachvarietät gewöhnen - und zwar an die Standardsprache, weil diese ihnen auch als geschriebene Sprache und als selektionswirksame Unterrichtssprache begegnet. Ohne den Gebrauch der Standardsprache in allen Situationen werden Schüler mit verschiedenen Herkunftssprachen stark benachteiligt und der Möglichkeit beraubt, sich im deutschsprachigen Kultur- und Sprachraum locker und unverkrampft zu bewegen. Mundartsequenzen: Die kommunikativen Kompetenzen der Schüler sollten auch in der Mundart gefördert werden. In Lehrplänen sollte die Verwendung von Mundart an konkreten Lerninhalten und Lernzielen festgemacht und auf diese eingeschränkt werden. Somit könnte die konsequente Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache im mündlichen Unterricht aller Fächer und Stufen in verbindlicherer Form festgeschrieben werden. Mundartsequenzen sollten beschränkt sein auf anspruchsvolle und kommunikativ relevante Gesprächssituationen und ausdrücklich nicht Phasen des informellen Gesprächs, bestimmten Unterrichtssituationen oder Fächern zugeordnet werden. Der Normalfall sollte die konsequent in allen Situationen, Fächern und Schulstufen verwendete Standardsprache sein. Mundartsequenzen sollten vom häufigen Regelfall zur Ausnahme werden. Mundart empfiehlt sich nur dann als Unterrichtssprache, wenn es um die Förderung von anspruchsvollen kommunikativen Kompetenzen geht, welche für die Integration und das Fortkommen im mundartlich geprägten ausserschulischen Alltag unverzichtbar sind und gleichzeitig in der Alltagskommunikation außerhalb der Institution Schule nicht erworben werden können. <?page no="287"?> 287 8. ZUSAMMENFASSUNG Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine empirische Untersuchung von Unterrichtskommunikation auf der Grundlage authentischen Materials. Sie ordnet sich ein in den Rahmen der empirisch-diskursanalytischen Erforschung institutioneller Kommunikation. Aktuelle Brisanz gewinnt sie durch den Einbezug der Frage des Dialektgebrauchs im schulischen Unterricht vor dem Hintergrund der auf die Deutschschweiz bezogenen Ergebnisse der PISA-Studien und den daraus gezogenen bildungspolitischen Konsequenzen - insbesondere im Hinblick auf die Förderung des mündlichen Gebrauchs der deutschen Standardsprache im Unterricht. Die Kapitel 1 und 2 klären die Grundbegriffe und Leitfragen des Vorhabens, wobei der aktuelle Forschungsstand zum Begriff der Institution und zu den wichtigsten Ansätzen zur Analyse institutioneller Kommunikation transdisziplinär (soziologisch-linguistisch) umrissen wird. Kapitel 3 bietet einen Forschungsbericht über die bisherigen Ergebnisse der linguistischen Unterrichtsforschung. Die Konzentration liegt dabei auf den wichtigsten Leitstudien zur angelsächsischen Diskursanalyse, zur ethnomethodologischen Konversationsanalyse und zur Funktionalen Pragmatik. Dann wird das schulische Unterrichtsgeschehen als zugleich institutionelles und kommunikatives Ereignis beschrieben. Kapitel 4 erörtert die methodische Vorgehensweise. Eine qualitative Analyse von Unterrichtskommunikation ist besonders ergiebig, wenn eine videogestützte Unterrichtsanalyse vorgenommen werden kann. Die Erhebung der Videodaten, die vom Pädagogischen Institut der Universität Zürich zur Verfügung gestellt wurden, fand im Rahmen der „TIMMS 1999 Video Study“ und der „Swiss Classroom Video Studies“ in Klassen des 8. Schuljahres statt. Als Transkriptionssystem wurde EXMARaLDA ausgewählt. Im Gegensatz zu vielen bestehenden Systemen zur Diskurstranskription auf dem Computer können mit EXMARaLDA angefertigte Diskurstranskriptionen flexibel, d.h. mit verschiedenen Tools und auf verschiedenen Betriebssystemen, bearbeitet und auf verschiedene Arten visualisiert werden (z.B. als Partitur- oder Spaltentranskription). Darüber hinaus können EXMARaLDA-Daten für gedruckte oder web-basierte Veröffentlichungen in eine Vielzahl von gängigen Präsentationsformaten überführt werden. Die Transkription der Dialektäußerungen beruht auf den von Eugen Dieth entwickelten Richtlinien zur Dialektschreibung. Bei seiner ‚Schwyzertütschen Dialäktschrift’ handelt es sich um eine Lautschrift, die die Besonderheiten jedes einzelnen Dialekts wiedergeben kann. Für die Transkriptionen in dieser Arbeit wurde die ‚weite’ Dieth- <?page no="288"?> 288 Schreibung benutzt, da sie für das Korpus besonders geeignet und für die Fragestellung hinlänglich genau ist. Kapitel 5 untersucht die gesprächsstrukturelle Organisation des Sprecherwechsels (turn-taking) im Unterricht. Dabei wird ein zugleich differenziertes und überschaubares Modell der turn-Organisation im schulischen Unterricht mit einer lehrerzentrierten kommunikativen Ordnung herausgearbeitet. Kapitel 6 widmet sich den Äußerungsfolgen in den Gesprächssequenzen (adjacency pairs) und dem Einfluss der Institution Schule auf die Gesprächssequenzen im Unterricht. Die untersuchten Sprecherwechsel und Gesprächssequenzen spiegeln die asymmetrische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler wider. Der Lehrer bestimmt die Dialogstruktur, indem er sein Rederecht nahezu immer durch Selbstwahl wahrnimmt, während die Schüler meist nur nach Aufforderung die Sprecherrolle übernehmen können. Diese asymmetrischen sozialen Beziehungen in der Institution Schule führen dazu, dass im Unterrichtsdialog der Sprecherwechsel der Schüler nach einer Lehrer-Aufforderung erfolgt, der Sprecherwechsel des Lehrers zumeist nach Selbstwahl. Die Institution Schule erteilt dem Lehrer das Recht und die Pflicht, durch Themafixierung, Sprecherauswahl (mittels Lehrer- Schüler-initiierter oder Lehrer-initiierter Aufforderung) und durch die Beurteilung der Schüler-turns den Prozess des Wissenserwerbs zu steuern. Die Schüler sind institutionell verpflichtet, permanent verfügbar zu sein für die aktive verbale Einschaltung in den Hauptdiskurs. Für sie besteht die Obligation, aufmerksam zuhörend responsive Erwiderungen auf die Lehrerfragen in Gedanken vorzubereiten und nach der turn- Zuweisung des Lehrers - aber auch nur dann - vorzutragen. Die Institution Schule beeinflusst die turn-Organisation und die Gesprächssequenzen im Unterricht. Die Unterrichtskommunikation erfordert aufgrund der spezifischen institutionellen Bedingungen besondere Verfahren der Rederechtsverteilung. Im Unterricht liegt diese in der Hand des Lehrers, der über das Unterrichtplanungs-, Unterrichtlenkungssowie das Leistungsbeurteilungsmonopol verfügt. Er übernimmt die Verantwortung für die Leitung des Diskurses und ist befugt, Themen einzuführen und zu beenden. Er vergibt das Rederecht bzw. delegiert die Redepflicht. Mit dieser Organisation der kommunikativen Ordnung im Unterricht soll gesichert werden, dass es nur einen Interaktionsprozess gibt und sich die Aufmerksamkeit aller Beteiligten darauf richtet. Durch den vom Lehrer gesteuerten und kontrollierten Interaktionsprozess kann Wissen akzeleriert vermittelt und damit eine zentrale Aufgabe des Schulunterrichts erfüllt werden. <?page no="289"?> 289 Das Schlusskapitel untersucht den Dialektgebrauch im Unterricht in der Deutschschweiz. Bevor die kommunikativen Funktionen des Varietätenwechsels im Mittelschulunterricht untersucht werden, stehen als Grundlage dieses Kapitels das schweizerische Bildungswesen und die Sprachsituation in der Deutschschweiz im Zentrum. Es wird auch auf die Sprachsituation in den Schulen der Deutschschweiz eingegangen, wobei die Entscheidungen bezüglich der Sprachformwahl in Lehrplänen, Weisungen und Empfehlungen von verschiedenen Kantonen und für verschiedene Schulstufen berücksichtigt werden. Dabei zeigt sich, dass die Verwendung von Mundart und Standardsprache im Unterricht stufenabhängig, fächerspezifisch, situationsbezogen und einstellungsbedingt ist. Die schulischen Situationen werden mit einem bestimmten Sprachformengebrauch gekoppelt. Verschiedene Arten von Normen bestimmen im Unterricht das Sprechen von Lehrern und Schülern: Der offiziell vorgegebenen Norm, wonach im Unterricht die Standardsprache zu sprechen sei, stehen nichtkodifizierte, interaktionell gebildete Normen gegenüber, die im Einverständnis der Sprechpartner begründet liegen. Solch regelmäßiges Auftreten des Dialekts im Unterricht war auch der Anlass dafür, den Begriff des interaktionellen Dialekt-Reviers einzuführen. Es zeigt sich, dass die varietäre Komponente eines Wechsels von der Standardsprache zum Dialekt im Unterricht sinnstiftend wirken kann. Den Wechseln von der Standardsprache zum Dialekt kann eine kommunikative Funktion nachgewiesen werden. Die Varietätenwechsel in standardsprachlichen Unterrichtspassagen erfolgen dementsprechend nicht willkürlich, sondern in Bezug auf eine kommunikative Funktion. Dies gilt jedoch nicht für Dialektäußerungen, die einem fest etablierten Dialekt-Revier zuzuordnen sind. Die interaktionellen Dialekt-Reviere widersprechen der offiziell vorgegebenen Norm, da es solche Dialektreviere gemäss Richtlinien und Weisungen gar nicht geben dürfte. Die Entscheidung für den Gebrauch der beiden Varietäten Standardsprache und Mundart als Unterrichtssprache hängt in den untersuchten Mathematikstunden nicht in erster Linie von Weisungen und Empfehlungen ab, die sich ganz klar für die Verwendung der Standardsprache aussprechen. Die Sprachformwahl wird insbesondere durch die Struktur der Unterrichtssituation beeinflusst. Dann wird die Theorie mit der Praxis konfrontiert, d.h. die einschlägigen Richtlinien mit den beobachteten Befunden zum dialektalen Sprechen bei Lehrern und Schülern. Die kommunikativen Funktionen des Varietätenwechsels im Spannungsfeld interaktiver Motive und institutioneller Normen werden dabei genau differenziert. Die dabei festgestellte situationsspezifische, interaktionell bestimmte Verwendung der Mundart als Sprache im Unterricht stellt ein Abweichen von der in Weisungen und <?page no="290"?> 290 Empfehlungen vorgegebenen Standardsprache dar. Obwohl die Standardsprache als Unterrichtssprache in Mathematiklektionen von den Schulleitungen und Lehrpersonen als selbstverständlich erachtet wird, kommt es in der Praxis - entgegen anders lautenden Hinweisen und Aufforderungen - zu einem ausgeprägten Dialektgebrauch. Dem generellen Gebot der Verwendung der Standardsprache als Unterrichtssprache wird also nur bedingt nachgelebt. Schließlich wird die aktuelle bildungspolitische Debatte zum Gebrauch des Dialekts und der Standardsprache im schulischen Unterricht eingebunden. Durch konsequenten Gebrauch von Hochdeutsch in allen sprachlichen Handlungsbereichen sollte die standardsprachliche Kompetenz umfassend gefördert werden. Da Schüler außerhalb der Schule wenig Gelegenheit haben, hochdeutsch zu sprechen, hat die Schule die Aufgabe, die differenzierte und reichhaltige Sprechpraxis auf Hochdeutsch im Sinne der vollen Immersion sicherzustellen. Dabei können die Schüler eine positive Einstellung zum gesprochenen Hochdeutsch entwickeln und der häufige und unreflektierte Wechsel zwischen Mundart und Hochdeutsch, welcher sich auf den Erwerb mündlicher Kompetenzen in Hochdeutsch negativ auswirkt, wird vermieden. Die Lautung des gesprochenen Hochdeutsch darf ein regional gefärbtes Schweizer Hochdeutsch sein. Für zwei- und mehrsprachige Schüler ist die konsequente Verwendung der Standardsprache im Unterricht besonders wichtig, da sie nicht immer klar zwischen Mundart und Hochdeutsch unterscheiden können und damit sie schnell zu einer möglichst umfassenden Hochdeutsch-Kompetenz kommen. Daneben sollte die Standardsprache auch in Projekten und Veranstaltungen außerhalb des Schulzimmers gefördert werden. Unterrichtssequenzen in Mundart sind zur Förderung der kommunikativen Kompetenz in anspruchsvollen und kommunikativ relevanten Gesprächssituationen möglich. Die Ausführungen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte über den Gebrauch des Dialekts und der Standardsprache im schulischen Unterricht münden in Empfehlungen für die standardsprachliche Sprechpraxis in der Schule. <?page no="291"?> 291 LITERATURVERZEICHNIS Althaus, Hans Peter / Henne, Helmut / Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.) (1980): Lexikon der germanistischen Linguistik. Studienausgabe, 2., vollst. neu bearb. u. erw. 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Anschließend werden die Hausaufgaben für die nächste Stunde aufgegeben. Im folgenden Theorieteil wird zuerst repetiert, was die Schüler über rechtwinklige Dreiecke noch wissen: Satz des Pythagoras, Flächensatz und Höhensatz. In einer kurzen Stillarbeitsphase werden diese Sätze nochmals im Übungsheft notiert. Dann wird erarbeitet, wie diese verschiedenen Sätze in einer einzelnen Aufgabe kombiniert angewendet werden können, um kompliziertere Berechnungen anzustellen. Anhand einer zusätzlichen Aufgabe sollen die Schüler versuchen, solche komplexen Berechnungen durch Kombination der verschiedenen Sätze selbst durchzuführen. Der Lehrer weist die Klasse am Ende der Lektion darauf hin, dass die Aufgabe in der nächsten Stunde nochmals aufgegriffen wird. Tableau Sf Moni Tina Sf Alex Marc Claudio Simon Sascha Vladimir Kurt Simone Cony Nadine Anja Lehrer Wandtafel Babs <?page no="309"?> 309 Transkription SW-011 00: 01: 32: 21 L *So. Guten Tag, miteinander. * Ihr dürft euch setzen. 00: 01: 39: 13 L Also. Wir besprechen zuerst die Hausaufgaben. ...Nummer Fünfzehn, siebzehn. Darf ich euch bitten, das Aufgabenbuch dahin zu legen, damit alle wissen, worum es geht. 00: 01: 57: 14 L Ich hätte also nicht nur gerne das Resultat vielleicht, sondern auch, wie man zu diesem Resultat kommt. ...Fünfzehn, ... Cony, was hast du da bei A bekommen? 00: 02: 13: 20 SN *Äh* - Entschuldigung - *Ah*, vierzig Zentimeter. 00: 02: 17: 21 L Richtig. Kannst du so ein bisschen die Überlegungen, die dahinter stecken? 00: 02: 22: 25 S *Äh* ja, also, ich habe zuerst von - *also*, C - *äh* - CD eine Senkrechte gemacht gegen ... / / gegen ( ). 00: 02: 29: 26 L / / Die ist schon gezeichnet, oder? 00: 02: 31: 07 S Ja. 00: 02: 31: 17 L Schau mal das Bildchen. Eine neue / / noch? 00: 02: 34: 03 S / / *Also*, ist C einfach. 00: 02: 35: 12 L Ach so, ja. 00: 02: 37: 05 S *Äh* - und dann habe ich, *also* das Dreieck DAE ausgerechnet, *also*, die Fläche ... und dann das Viereck DEC. Und dann ... *ja / / {verlegenes Lachen} ich habe es ( ) *. 00: 02: 54: 23 L / / Bist du überzeugt, dass du es so gemacht hast? 00: 02: 57: 20 S Ja. 00: 02: 58: 19 SN *Sie, ich weiss wie*. 00: 03: 00: 17 L Babs hat es anders gemacht. 00: 03: 02: 14 S *Also*, ich habe zuerst die Fläche vom größeren Dreieck ausgerechnet, dann die vom Quadrat. Und dann hab' ich diese Fläche von vierhundertachtzig subtrahiert. 00: 03: 11: 23 S Und dann hab ich die Flä- Fläche des Kleinen ausgerechnet. <?page no="310"?> 310 00: 03: 17: 07 L Gibt's noch andere Varianten, wie diejenigen? Simon? 00: 03: 21: 11 SN Also, ich habe zuerst mit Hilfe des Pythagoras die Höhe ausgerechnet. Und dann - mit der Höhe kann man ja - wenn man die Höhe und die Fläche hat, kann man die Mitte ausrechnen. 00: 03: 33: 14 L *Oh! * Was meinst du mit Mitte? 00: 03: 35: 07 S *Also* die - *äh* ja der Durchschnitt zwischen DC und von DC und AB. 00: 03: 43: 01 L Simone, weißt du, was er / / meint? 00: 03: 44: 24 S / / *Ah*, eine Mittelsenkrechte durch die Höhe. 00: 03: 48: 23 SN Ich ich hab es nicht gehört. 00: 03: 51: 09 L Sag's nochmals. / / Nein, nein, nein, nicht das Zweite, das Erste. Du hast gesagt Durchschnitt von? 00: 03: 51: 28 SN / / Eine Mittelse 00: 03: 57: 21 S DC und AB. 00: 04: 03: 25 L Simone, was meint er mit Durchschnitt? 00: 04: 10: 05 L Versteht sie nicht. 00: 04: 12: 21 S Ja, ja, A und B plus DC geteilt durch zwei. 00: 04: 16: 20 SN *Ja, aber AB ist ja gegeben.* 00: 04: 19: 12 SN *AB weißt du ja nicht.* 00: 04: 20: 27 SN *Ja, ich habe es ja auch nicht so ausgerechnet.* 00: 04: 24: 04 L Wir reden nur von dem *hm*? Durchschnitt von den beiden. 00: 04: 28: 03 S *Also*, das kann man mit Hilfe / / der 00: 04: 29: 28 L / / Stopp, Simon! Ich bin bei Simone. ... Weißt du, was das ist? 00: 04: 37: 06 SN Ein Durchschnitt, oder was? 00: 04: 38: 09 L Ja. 00: 04: 39: 14 S Ja. 00: 04: 39: 26 L Jetzt. <?page no="311"?> 311 00: 04: 40: 06 S Ja. 00: 04: 40: 17 L Hast du noch ein anderes Wort dafür? 00: 04: 42: 17 S Ja, die Hälfte. 00: 04: 45: 22 L Die Hälfte? ... Marc? 00: 04: 48: 11 SN Die Mittellinie. 00: 04: 49: 23 L *Äh* - / / ja. 00: 04: 50: 15 S / / Des Trapezes. 00: 04: 51: 10 L Jetzt sind wir geometrisch. Es ist die Mittellinie ... / / Weißt du, er hat gesagt Durchschnitt. Er hat etwas Algebraisches gesagt. 00: 04: 55: 23 S / / ( ). 00: 04: 59: 24 SN Mittelparallele. 00: 05: 01: 10 L Das ist das geometrische, das ist dasselbe, was er meint mit Mittellinie. 00: 05: 11: 25 L Hm, ... Warum sagt er Durchschnitt, weil er beim Notenausrechnen so rechnet? 00: 05: 18: 20 Ss *Ja, wahrscheinlich schon.* 00: 05: 19: 15 L Wahrscheinlich, he. Wir haben noch einen anderen Namen für das. Aber das war seine Idee, er meint, er könnte die Mittellinie ausrechnen indem er die Fläche teilt durch die Höhe. 00: 05: 33: 27 SN Und wenn / / man 00: 05: 34: 18 L / / Weil die Flächenformel im Trapez heisst? 00: 05: 37: 01 S Die Höhe mal die Mittellinie. 00: 05: 38: 20 L Richtig. Dann hat er die Mittellinie ausgerechnet. Kannst du mir sagen, was du für die Mittellinie bekommen hast? 00: 05: 44: 23 S *Äh* ich bin nicht - {verlegenes Lachen} ich bin nicht sicher, weil ich glaube, das war, dreija, dreißig / / Zentimeter. 00: 05: 51: 05 L / / Dreißig, richtig. ... So, schaut ihr alle auf das Bild. Er hat rausbekommen, die Mittellinie ist dreißig, die kürzere der beiden Parallelen ist zwanzig. <?page no="312"?> 312 00: 06: 02: 03 L Wie gross muss dann die längere der beiden Parallelen sein? 00: 06: 09: 24 L Pst. ... Welche zwei Noten ergeben einen Durchschnitt von dreißig? Die schlechtere war zwanzig. Wie gross muss die bessere sein, damit der Durchschnitt dreißig ist? 00: 06: 24: 00 SN Vierzig. 00: 06: 24: 08 L Ja, gut. Das war sein Weg, haben den alle verstanden? Find' ich schon sehr elegant, hm. Dann die Lösung von B. ... Babs? 00: 06: 36: 15 SN Siebzehn Komma neun Zentimeter. 00: 06: 38: 06 L Ja. Warum hast du gerade eine Stelle nach dem Komma gelassen? ... Und nicht zwei, und nicht drei? 00: 06: 44: 28 S Aha ja, siebzehn Komma acht acht. Ja, weil - *äh* es einfach besser ist. 00: 06: 50: 10 L Aus Gewohnheit? 00: 06: 51: 19 S Ja. 00: 06: 52: 14 L Ja. ... Sind zu fünfzehn noch Fragen? Siebzehn? 00: 07: 03: 11 L Anja, siebzehn A. 00: 07: 04: 24 SN Achtundachtzig Zentimeter. 00: 07: 06: 23 L Hast du bekommen? 00: 07: 07: 28 S Ja. 00: 07: 08: 18 L Ja. ... Darf ich da etwas kurz fragen, Tina? / / Schaust du dir das Bildchen noch einmal an bei siebzehn A. 00: 07: 17: 12 SN / / Mhm [ja]. 00: 07: 18: 08 L Dann erzählst du mir, wie du schrittweise vorgegangen bist. 00: 07: 22: 07 S Also, ich weiss, dass bei - *äh* - ADC ein rechter Winkel, dass es einen rechten Winkel hat. Dann habe ich das Quadrat aus AD plus DC, *äh* das gibt AC. 00: 07: 37: 27 L Quadrat? 00: 07: 38: 29 S AC Quadrat, ja. <?page no="313"?> 313 00: 07: 40: 08 L Ja. 00: 07: 41: 03 S Und dann habe ich *äh* AC Quadrat minus minus BC Quadrat. Dann bekomme ich AB ... Quadrat. 00: 07: 49: 09 L Zum Schluss noch? 00: 07: 51: 06 S Und dann, ja, habe ich den Umfa- Umfang ausgerechnet. 00: 07: 54: 20 L Nein, von A von die Wurzel musst du/ / auch noch nehmen, hm. ( ). Ja, wunderbar. Dann bei B ist’s ganz ähnlich, das gibt? 00: 07: 57: 09 S / / Ja. 00: 08: 04: 16 SN Hundertfünfzehn Zentimeter. 00: 08: 06: 13 L Jawohl, sehr gut. 00: 08: 07: 11 SN *Wie viel? * 00: 08: 07: 29 SN Hundertfünfzehn. 00: 08: 08: 21 L Ihr ... schreibt jetzt gerade auf, was die Hausaufgaben sind auf morgen. Die Seite fünfunddreißig nein, Seite einunddreißig, Entschuldigung. 00: 08: 20: 18 L Hätt ich gern Nummer fünfunddreißig ... A, B und C. 00: 08: 30: 23 SN *Auf morgen? * 00: 08: 33: 00 SN *Auf den Samstag? * 00: 08: 33: 18 L ( ) *morgen*? 00: 08: 35: 18 S *Sie, können Sie es nochmals sagen? * 00: 08: 35: 34 SN *Auf morgen? * 00: 08: 36: 16 L Seite einunddreißig Nummer fünfunddreißig die Buchstaben A, B und C. 00: 08: 54: 23 L Wir machen weiter in dieser Aufgabelöseserie, wir bleiben also im Übungsaufgabenheft. Ihr schreibt alles schön brav mit, was ich an die Tafel setze. Wir machen zuerst eine kleine Repetition. 00: 09: 11: 13 L Aber wichtig das notiert ihr euch auch dort. 00: 09: 38: 01 L Rechtwinkliges Dreieck mit eingezeichneter Höhe. <?page no="314"?> 314 00: 10: 21: 07 L Die soweit sind, wollen wir mal Revue passieren lassen, welches die Sätze sind. ... Im Moment haben ( ). 00: 10: 43: 07 L Simone, ... Welches sind die Sätze? 00: 10: 49: 01 SN ( ) 00: 10: 50: 03 Ss {Gelächter} 00: 10: 51: 09 L Was ist unser Thema? 00: 10: 52: 19 S Ja, *äh* Dreiecke. 00: 10: 57: 08 L Ja, ich würd sagen, das ist so ein kleines Thema. Ein bisschen 00: 11: 05: 22 SN [geflüstert] Pythagoras. 00: 11: 05: 26 SN Rechtwinklige Dreiecke. 00: 11: 11: 04 L Und, was besonders an den rechtwinkligen Dreiecken? 00: 11: 17: 20 L Nadine? 00: 11: 18: 17 SN Der Satz vom Pythagoras. 00: 11: 19: 25 L Wie heisst der? Kurz notiert in diesen 00: 11: 21: 26 S A Quadrat plus B Quadrat gleich C Quadrat. 00: 11: 26: 01 L Anderes? 00: 11: 32: 24 L Moni? 00: 11: 33: 23 SN A Quadrat gleich C Quadrat über B Quadrat. 00: 11: 38: 04 L Ja. Ist das immer noch der Pythagoras, oder? / / Ja... Den schreiben wir nicht nochmals. Andere Sätze? 00: 11: 41: 13 S / / Ja. 00: 12: 04: 09 L Was blätterst du? 00: 12: 06: 25 Ss {Gelächter} 00: 12: 10: 14 L Sascha? 00: 12: 11: 22 SN Ja. 00: 12: 12: 14 L Fällt dir nichts mehr ein? ... Nein? 00: 12: 16: 02 L Anja? 00: 12: 16: 29 SN H über B ist gleich ist gleich A über C. <?page no="315"?> 315 00: 12: 23: 10 L Jetzt hab ich's nicht mitbekommen. Der erste Buchstabe war? 00: 12: 25: 22 S H über...*äh* - H über B ist gleich / / A über C. 00: 12: 36: 14 SN / / A über C. 00: 12: 38: 14 L *Hm-m*. [überrascht, verneinend] 00: 12: 39: 09 S *Es steht hier aber*. 00: 12: 40: 24 L Hi. 00: 12: 42: 08 SN *Ha. Du schaust falsch.* 00: 12: 43: 28 L *Ah, A*! Ja, jetzt hab ich's. Hab' wieder H verstanden. 00: 12: 54: 01 L Woher kommt dieser Satz? Das war ( ), Anja, hm? Vielleicht merkt man sich's eben einfacher, wenn man den Satz in dieser Form aufschreibt. 00: 13: 02: 22 SN Ja. 00: 13: 05: 20 L Sondern, Anja? 00: 13: 06: 22 S *Äh* - C mal H ist gleich A mal B. 00: 13: 11: 22 L Weißt du noch, wie wir diesen Satz genannt haben? Ja? 00: 13: 16: 23 SN Den Flächensatz. 00: 13: 17: 23 L Und warum Flächensatz? 00: 13: 19: 29 S Weil man so die Fläche ausrechnen kann. 00: 13: 22: 16 L So rechnet man die Fläche aus? A x B ist die Fläche des rechtwinkligen Dreiecks? 00: 13: 28: 07 S Ah, nein. 00: 13: 30: 16 L Moni? 00: 13: 31: 16 SN Durch zwei. 00: 13: 32: 09 SN [geflüstert] A mal B. 00: 13: 34: 01 L Hast du gehört, was sie gesagt hat? 00: 13: 35: 21 SN Ja. 00: 13: 36: 09 L Gut. 00: 13: 37: 09 S *Ah, ja, ja, ist klar.* <?page no="316"?> 316 00: 13: 38: 27 L Ah ist klar, schön. Wer kennt noch einen weiteren Satz? 00: 13: 42: 07 SN Den Höhensatz. 00: 13: 43: 16 L Der heisst? 00: 13: 44: 06 S A Quadrat gleich M mal C/ M mal N. 00: 13: 47: 27 L Ou, was ist M und N? 00: 13: 50: 01 S *Äh* Hypo- ... die beiden Kathetenabschnitte. .../ / - Nein- Hypotenusenabschnitte. 00: 13: 56: 00 SS / / *Hypotenusen* 00: 13: 56: 07 L Ja, da müssen wir nochmals repetieren. Also, wie heisst die C ( )? ... Der Name für C? 00: 14: 02: 20 S *Äh* - Hypotenuse. 00: 14: 04: 13 L A und B? 00: 14: 05: 18 S Katheten. 00: 14: 06: 08 L Ja. 00: 14: 08: 14 L Darf ich schnell etwas fragen? 00: 14: 14: 02 L Claudio? 00: 14: 15: 04 SN Ja. 00: 14: 16: 03 L Das ist ein Quadrat. 00: 14: 17: 23 S Ja. 00: 14: 18: 17 L Kann ich ja so zeichnen. Und dann, hier kann ich das als Rechteck verstehen. 00: 14: 23: 09 S Mhm [ja]. 00: 14: 28: 26 L Wenn du die Seitenlängen M, N und H der Größe nach ordnen müsstest? 00: 14: 39: 01 S Ah *äh* 00: 14: 42: 03 L Ja, s'ist 00: 14: 43: 03 S H. 00: 14: 44: 08 L Was ist die Kleinste? 00: 14: 45: 14 S *Äh*, N. Nein, M. <?page no="317"?> 317 00: 14: 48: 07 L Dann? 00: 14: 49: 15 S *Äh* - H. 00: 14: 50: 19 L Dann? 00: 14: 51: 15 S *Äh* - M. 00: 14: 53: 15 L Liegt H genau in der Mitte? 00: 14: 56: 01 S *Äh* ja. 00: 14: 58: 25 L Wenn es genau in der Mitte liegen würde, was wäre die Formel für das H? Wenn es genau in der Mitte liegt zwischen M und N? 00: 15: 07: 25 SN Das gibt N plus M durch zwei geteilt. 00: 15: 13: 18 L Seht ihr da oben? ... Genau das. Ist das richtig? 00: 15: 18: 23 SN Ja. 00: 15: 27: 19 L Wer hat ja gesagt? 00: 15: 28: 27 SN Die Babs. 00: 15: 29: 14 L Babs? 00: 15: 30: 05 SN *Nein.* 00: 15: 32: 11 Ss {Gelächter} 00: 15: 33: 29 L Vladimir? 00: 15: 35: 03 SN *(Ja, ich komme einfach nicht draus.)* 00: 15: 41: 12 L Anja? 00: 15: 42: 09 SN Also, wir haben doch das einmal aufgeschrieben mit H ist gleich A plus N - *äh* - A plus D durch zwei. Dann ist gleich N mal H. 00: 15: 54: 09 L Also, du versuchst irgendwie das Theorieheft zu ... / / ergründen, hm. Aus dem Gedächtnis zu holen. 00: 15: 57: 05 S / / Ja. 00: 16: 02: 25 L Ja, ich muss euch auf die Sprünge helfen, es geht nicht anders. Das wäre das arithmetische Mittel / / von M und N. 00: 16: 10: 05 S / / Ja. <?page no="318"?> 318 00: 16: 12: 14 SN Ja. 00: 16: 12: 18 L Ist es so, dass die Höhe das arithmetische Mittel vom M und N ist? ... Moni? ... Ist es so? 00: 16: 26: 27 SN Ja. 00: 16: 27: 23 L Nein. 00: 16: 27: 26 S *Nicht? * 00: 16: 29: 16 Ss {Gelächter} 00: 16: 30: 09 L Claudio? 00: 16: 31: 06 SN *Äh* - ... zwei. ... ( ). 00: 16: 46: 19 L *Da machen wir ein* Beispiel, *hm*. 00: 16: 52: 09 L Ich wähle für m drei, für n zwölf. Wie gross ist dann h? 00: 17: 07: 14 L Das ist unsere entscheidende Formel, ja. 00: 17: 10: 28 SN ( )? 00: 17: 13: 19 L Das ist unsere entscheidende Formel. Das. Die kennen wir. Das sind alles Fragezeichen hier, hm? 00: 17: 26: 01 SN Sechs. 00: 17: 27: 06 L Richtig. ... Ist sechs das arithmetische Mittel von drei und zwölf, Moni? 00: 17: 35: 04 SN Ja. 00: 17: 38: 04 L Du hast eine Note drei geschrieben und eine Note zwölf und ich gebe dir im Zeugnis eine sechs. Wärst du zufrieden? 00: 17: 45: 17 S Ja. 00: 17: 46: 03 Ss {Gelächter} 00: 17: 47: 03 L Nein, was müsstest du bekommen? 00: 17: 49: 12 S Sieben Komma Fünf. 00: 17: 51: 00 L Ja. ...Simone? 00: 17: 53: 08 SN ( ), ja. 00: 17: 56: 09 L Was ist das geometrische Mittel von drei und zwölf? <?page no="319"?> 319 00: 18: 03: 19 L Was ist das arithmetische Mittel von drei und zwölf? ... Was ist der Durchschnitt von drei und zwölf? 00: 18: 11: 29 S Drei und zwölf durch zwei. 00: 18: 13: 08 L Ja, richtig. 00: 18: 15: 21 S Ja, siebeneinhalb. 00: 18: 16: 19 L Jawohl. Das ist das arithmetische Mittel. Die Höhe ist aber das geometrische Mittel. Wie gross ist die Höhe? 00: 18: 25: 09 S Sechs. 00: 18: 25: 22 L Ja. Das ist der Unterschied, he. So. *Oh*, wir haben noch einen Satz vergessen da, es gibt noch mehr. 00: 18: 34: 23 Ss *(Müssen wir) das aufschreiben? * 00: 18: 39: 29 L Ja, ja, alles schön brav / / *auf*schreiben. 00: 18: 41: 13 SN / / *Alles, was Sie da aufgeschrieben haben? * 00: 18: 43: 02 L Ja, ja, ja ja. 00: 18: 44: 15 S *Ui.* 00: 18: 51: 15 L Außer das da, hm. 00: 19: 33: 10 SN ( )? 00: 19: 47: 13 L Was war meine letzte Frage? 00: 19: 49: 18 SN *Äh* was für einen Satz dass es noch gibt. 00: 19: 52: 00 L Ja, den wir noch nicht erwähnt haben. 00: 19: 54: 19 S Den Kathetensatz. 00: 19: 55: 13 L Ja. 00: 20: 01: 26 L Wenn du dieses Dreieck müsstest bezeichnen mit (Höhe)? 00: 20: 39: 01 L So, wir wollen das, was wir aufgeschrieben haben, ein bisschen anwenden. Zeichne wieder ein rechtwinkliges Dreieck mit eingezeichneter Höhe. 00: 20: 48: 11 L Die Katheten haben Längen einundvierzig und siebenundfünfzig. ... Und es wird nun zusätzlich eine Strecke eingezeichnet. <?page no="320"?> 320 00: 21: 18: 16 L Die Höhe soll nicht Winkelhalbierende sein ... von der Kathete und dieser gelben Strecke, hm. Der Winkel hier (). 00: 22: 11: 00 L Man berechne X. 00: 22: 15: 22 L (Alex)? 00: 22: 18: 12 SN *Äh*. 00: 22: 27: 24 S Zuerst einmal die Höhe ausrechnen. ... *Äh*. 00: 22: 32: 11 L Ich hab' vergessen hier anzudeuten, dass das auch ein rechter Winkel ist. ... Und du würdest als / / Erstes? 00: 22: 38: 19 S / / Ein einundvierzig mal - Pythagoras anwenden. 00: 22: 43: 17 L Ah, jetzt machst du ein Durcheinander. Du sagst einundvierzig mal siebenundfünfzig und nachher sagst du Pythagoras. 00: 22: 48: 22 S Nein, nein. Einundvierzig mal einundvierzig plus -*äh*plus siebenundfünfzig mal siebenundfünfzig und. ... Ja, (ich habe gedacht). Und dann das die Wurzel ausrechnen. 00: 23: 00: 17 L Also, mit dem Pythagoras wirst du ausrechnen welche? 00: 23: 05: 12 S AB. 00: 23: 13: 24 L Dann? 00: 23: 15: 12 S Dann. 00: 23: 25: 02 SN *Die Fläche ( ).* 00: 23: 46: 29 SN ( ). 00: 23: 49: 28 L Ja. 00: 23: 57: 28 L Alex, kommst du weiter, oder? 00: 24: 00: 02 SN Nein -*äh*vielleicht Höhe - Höhe C ausrechnen. 00: 24: 03: 00 L Wie? 00: 24: 03: 28 S Ou ... ja 00: 24: 12: 08 S Ja, einundvierzig mal siebenundfünfzig durch -*äh*- AB. Also, durch die Strecke AB. 00: 24: 17: 28 L Richtig. Welchen Satz hast du benützt? <?page no="321"?> 321 00: 24: 21: 15 S *Höhensatz.* … Höhensatz, *nicht? * 00: 24: 26: 27 L Babs, welchen Satz hat er benützt? ... Hast du überhaupt verstanden, was er will? 00: 24: 32: 13 SN Ja. 00: 24: 34: 04 L Er behauptet / / 00: 24: 34: 22 S / / Ah, ja, ja, ja. ( ). 00: 24: 40: 15 L Er behauptet, dass er Höhe Hdie Höhe H ausrechnen kann, indem er rechnet: einundvierzig mal siebenundfünfzig geteilt durch die Länge von AB. 00: 25: 02: 05 L Und ich habe gefragt, welchen Satz er benützte. 00: 25: 08: 28 SN Flächensatz. 00: 25: 10: 24 SN *Was*? 00: 25: 12: 06 SN Flächensatz. 00: 25: 16: 26 L Erinnerst du dich an den Flächensatz? 00: 25: 19: 13 SN Ja. 00: 25: 23: 12 L Hm? C gleich A mal B geteilt durch H ... Und jetzt Alex wie geht’s weiter? 00: 25: 39: 23 SN Jetzt -*äh*die Länge MB ausrechnen, auch mit Pythagoras. Also 00: 25: 44: 06 L Moment, was ist M? 00: 25: 45: 27 S M, Mittel- Mittel -*äh*- ...? 00: 25: 54: 04 SN *Jetzt kannst du ( ).* 00: 25: 54: 05 SN *Sicher. Wenn du die Höhe hast, / / dann weißt du ja, dass die Seite hierdurch elf ist. ...Dann kannst du die Höhe im Quadrat mal X im Quadrat gleich ( ).* 00: 26: 02: 23 SN / / *Du hast ja die Höhe.* 00: 26: 08: 01 SN *Wenn du die Höhe weißt! Dann kannst du das kleine Dreieckchen dort ausrechnen.* 00: 26: 13: 18 SN *Ah, das ist elf.* 00: 26: 15: 29 L Ja, okay? <?page no="322"?> 322 00: 26: 17: 09 S Und dann -*äh*- H mal H. 00: 26: 20: 09 L Und welchen Satz benützt / / du? 00: 26: 21: 13 SN / / Pythagoras 00: 26: 22: 05 SN Py- Pythagoras. 00: 26: 23: 14 L *Wer hat da vorgeschwatzt? * 00: 26: 26: 11 SN *Das geht doch, oder? * 00: 26: 27: 22 L Ja. 00: 26: 28: 28 S Also, H mal H minus ... / / ( ). 00: 26: 32: 25 L / / Ja, ja. So kommst du zu X, hm. 00: 26: 37: 10 S ( / / ) plus M Quadrat. 00: 26: 38: 16 L / / Hast du eine 00: 26: 41: 03 L Alex, hast du noch eine andere Redeweise für H mal H? 00: 26: 46: 05 S Höhe mal Höhe. ... H Quadrat. 00: 26: 47: 05 Ss {Gelächter} 00: 26: 48: 05 L Ja, Quadrat, richtig. Schön. So. Ich nehme an, das könnt ihr lösen, he, das sind die Schritte, das ist das Wichtige. Die Rechnerei wird nicht mehr so kompliziert sein. 00: 26: 59: 27 L Ich gebe euch eine zweite Aufgabe. ... Ich hoffe, dass ihr euch ein bisschen erinnert, was wir in den letzten Stunden gemacht haben. Zuerst müssen wir das putzen. 00: 27: 16: 28 L Wir beginnen mit einem Halbkreis. 00: 27: 48: 09 SN *Haben Sie jetzt für H haben Sie jetzt dort den Höhensatz oder den Flächensatz genommen? * 00: 27: 51: 09 L Das war falsch, ja, danke. 00: 28: 28: 14 L Mit dem gleichen ... Radius, mit der gleichen Zirkelöffnung 00: 28: 39: 11 L zeichnen wir noch Kreisbogen 00: 28: 51: 28 L die in der Mitte dieses Bogens starten, und bis zum Halbkreis führen. Die Mittelpunkte der Kreise sind angedeutet durch kleine Kreislein. <?page no="323"?> 323 00: 29: 11: 14 L Und wir wollen versuchen, von Hand möglichst schön ein Kreislein einzuzeichnen, das genau da in dieses Feld rein passt. Das heisst, die beiden Kreisbogen und den Halbkreis berührt. 00: 29: 30: 04 L Kann man ein bisschen üben, *hm*. ... So. 00: 29: 51: 10 L Wir versuchen auch irgendwie den Mittelpunkt dieses Kreisleins zu lokalisieren. 00: 30: 04: 13 L Und die Aufgabe ist folgende. 00: 30: 10: 07 L Gegeben ist der Radius des Halbkreises. 00: 30: 27: 08 L Gesucht ist ... der Radius dieses kleinen eingeklemmten Kreisleins. 00: 30: 49: 25 L Versucht ihr mal selber? 00: 31: 07: 15 SN *Was kommt für A, welche Zahl? * 00: 31: 09: 27 L Keine. A ist A ... In der Lösung darf das A wieder auftauchen. Siebzehn mal A, ist das realistisch, Kurt, dass die Lösung heisst: X gleich siebzehn mal A? 00: 31: 21: 18 S Nein. 00: 31: 22: 08 L Nein. 00: 31: 23: 11 SN ( ) ... ( ) 00: 31: 29: 06 L Nochmals. 00: 31: 30: 29 S ( ). 00: 31: 33: 13 L Dann wende dich an Kurt, wir haben da 00: 32: 33: 10 SN ( ). 00: 32: 34: 01 L Wie hast du diesen kleinen Kreis definiert? Wodurch ist er bestimmt? 00: 32: 39: 16 S ( ). 00: 32: 41: 14 L Jawohl, genau. ... Wo sind die Berührpunkte, kannst du sie genau lokalisieren? 00: 32: 49: 10 S *(Ja, aber Sie, das ist noch schwierig, wenn man einen so von Hand gemalten Kreis hat.).* 00: 32: 52: 27 L Aha. <?page no="324"?> 324 00: 33: 22: 15 SN ( ). 00: 33: 24: 24 L Also, du hast jetzt mal schon Berührpunkte, hm. 00: 33: 28: 21 S Mhm [ja]. 00: 33: 29: 02 L Und jetzt, was ( )? ... Was ist unser Thema? 00: 33: 37: 01 S ( ). 00: 33: 38: 17 L (Verschiedene) Dreiecke, he. Ja, so. ... ( ), ah schön. 00: 33: 44: 10 SN ( ). 00: 33: 47: 14 L Wo liegen die Berührpunkte? 00: 33: 49: 00 S ( ). 00: 33: 50: 08 L Ja, aber was hat was ist das da? 00: 33: 55: 03 S ( ). 00: 33: 56: 06 L Was ist das für ein das Ende dieser Strecke, was ist das? 00: 33: 59: 27 S Mittelpunkt des Kreises. 00: 34: 00: 16 L Des Kleinen. Das da? 00: 34: 02: 21 S Der Mittelpunkt dieses Kreises. 00: 34: 04: 15 L Also, wir haben die Mittelpunkte der Kreise, die sich berühren, und die hast du miteinander verbunden. Sehr gut? 00: 34: 10: 08 S Ja. 00: 34: 10: 17 L Hat diese Figur eine Symmetrie? ... Die ganze Figur, hat die eine Symmetrieachse? 00: 34: 18: 05 S ( ). 00: 34: 19: 04 L Zeichnest du sie bitte ein? 00: 34: 26: 19 L Ja, so. ... Warum hast du die Mittelpunkte verbunden? 00: 34: 36: 01 L ( )? 00: 34: 43: 16 SN ( ). 00: 34: 47: 23 L Aber was hat diese Linie, diese Strecke mit unserer Aufgabe zu tun? 00: 34: 57: 10 S ( ). <?page no="325"?> 325 00: 34: 59: 25 L Das sind sie, ja. 00: 35: 00: 29 S ( ). 00: 35: 02: 21 L Was weiss ich außerdem noch? 00: 35: 06: 01 S ( ). 00: 35: 08: 23 L Mhm [ja]. ( ). 00: 35: 27: 20 SN ( ). 00: 35: 32: 28 L Ja, das stimmt. Sehr schön. Kannst du dir vielleicht noch ein bisschen mehr Papier gönnen, hm? ( ). 00: 35: 43: 25 L Ja. Darf ich vielleicht -*äh*diejenigen, die ... ( ). Kurz erinnern, was wir gesagt. Wir haben gesagt: Die Berührpunkte sind wichtig, die Berührpunkte liegen auf den Verbindungen der Mittelpunkte. 00: 36: 02: 22 L Die zeichnet man ein. Und dann kommen wir zu unserem Thema, das ist der Pythagoras. Das heisst, wir müssen ein rechtwinkliges Dreieck suchen, und in dem den Pythagoras aufschreiben. 00: 36: 15: 17 SN ( ). 00: 36: 20: 17 L Da. Wo, in welchem Teil musst du Pythagoras aufschreiben? (Zum Beispiel) Also, was ist da, das da? 00: 36: 28: 24 S A plus ( ). 00: 36: 29: 15 L A plus? 00: 36: 30: 02 S ( ). 00: 36: 30: 25 L Ja. Das da? Jetzt fehlt ja nur noch die Gleichung. 00: 36: 34: 25 S *Ja nein, Sie ( )? * 00: 36: 38: 17 L Dann schreibt man den Pythagoras auf, und hat ein X drin und löst nach X auf. 00: 36: 42: 13 S *Nein, aber das da ( ).* 00: 36: 46: 01 L Ihr müsst... *ah*, ihr wolltet jetzt mit dem Pythagoras gleich ausrechnen? 00: 36: 49: 25 S (Ja.) 00: 36: 50: 12 L Nein, das ist es ja eben nicht. <?page no="326"?> 326 00: 36: 57: 22 L Erinnert ihr euch an die letzten Male wo -ähihr nicht durchgekommen seid weil ihr immer an das Addieren denkt? 00: 37: 03: 29 SN *Eben nicht, die zwei Unbekannten / / ( ).* 00: 37: 05: 17 L / / Nein, nein, nein, A ist bekannt. 00: 37: 07: 19 SN *Ja schon, aber ( ).* 00: 37: 09: 03 L Ich will mit denen nicht ( ) A. Man kann diese Strecke darstellen durch A und X. Kann man, doch. Schau mal ganz genau. 00: 37: 18: 19 SN ( ). 00: 37: 24: 06 L Ich behaupte, ich kann diese Strecke aufschreiben, indem ich nur die Buchstaben A und X brauche. 00: 37: 38: 07 L Hast du gehört? Du hängst, weil du immer nur an das Addieren denkst. 00: 37: 44: 27 SN Ah, genau, doch. Ich weiss es, ich weiss es. 00: 37: 46: 25 L Schön. Jetzt versuchst du, die Gleichung auch zu lösen. 00: 37: 51: 13 SN ( ). 00: 37: 52: 07 L In welchem ( ) schreibst du den Pythagoras auf? ... In welchem der drei? 00: 38: 12: 03 L *Sofort, (ich komme sogleich).* 00: 38: 40: 09 L Die meisten sind so weit gekommen. 00: 38: 54: 27 L *Richtig. Auflösen, ( ), hm, vereinfachen! * 00: 38: 59: 22 SN *Also, dort muss man minus - A minus ( ).* 00: 39: 04: 06 L *Ja. Dann, jetzt (hast du scharf schauen müssen,) warum du nicht auf das gekommen / / bist.* 00: 39: 09: 21 SN / / *Ich bin darauf gekommen.* 00: 39: 10: 21 L *Super.* 00: 39: 11: 23 SN *Nein, nein, nein.* [an Schülerin gewandt] 00: 39: 14: 09 L *Moment, Moment.* 00: 39: 15: 15 SN ( A Quadrat / / ). <?page no="327"?> 327 00: 39: 16: 18 L / / *Nein, nein. ( ). Schreib die Gleichung nochmals ab.* 00: 39: 24: 06 SN *A plus A ( ) A minus X.* 00: 39: 28: 22 L ( ). 00: 39: 29: 15 S *A minus X.* 00: 39: 31: 04 L *Im? * 00: 39: 32: 17 S *Im Quadrat.* 00: 39: 32: 25 L *Ja.* 00: 39: 45: 03 L Du weißt, was wir noch suchen, oder? 00: 39: 46: 26 SN Nein. 00: 39: 57: 13 L Kannst du ihr - ( ), kannst du ihr helfen, oder ihr erzählen ( )? 00: 40: 09: 16 L Nein, nein, nein, nein. Nein, nein, warum du das ( ). 00: 41: 45: 26 SN *Jetzt habe ich's.* 00: 41: 48: 06 SN ( ). 00: 41: 51: 00 L *Äh* schau mal bei dir, lies mal. Oder, warum bist du unsicher? 00: 41: 55: 11 S Ja, also, ja. 00: 41: 56: 28 L (*Nicht, was kommt da hinein? * Könnte das wahr sein? *) ... Das ist der vierte Teil von A? 00: 42: 12: 18 L *Schön.* 00: 42: 13: 04 SN *Stimmt das bis hierhin? * 00: 42: 15: 12 L Ja. 00: 42: 22: 26 L *Ja.* 00: 42: 26: 24 {individuelles Lehrer-Schülergespräch} 00: 43: 11: 12 L So. 00: 43: 19: 26 {individuelles Lehrer-Schüler-Gespräch} 00: 44: 03: 18 L Ja, schön. Ist das realistisch? Hast du mal geguckt, ob das sein könnte? X der vierte Teil von A? 00: 44: 22: 28 {individuelles Lehrer-Schülergespräch} <?page no="328"?> 328 00: 44: 27: 15 SN *Kann man zusammenräumen? * 00: 44: 28: 12 L *Ja.* 00: 44: 33: 27 L *Wie lange ist diese? * 00: 44: 35: 05 SN *Das ist - A plus X.* 00: 44: 37: 07 L *Und das? * 00: 44: 38: 11 S *A.* 00: 44: 39: 08 L *Und das? * 00: 44: 40: 22 S *A minus X.* 00: 44: 41: 17 L Ja, so schreib’s doch hin. Klammer auf A minus X. 00: 44: 45: 14 L So, wir werden die Aufgabe aufgreifen morgen. ( ). 00: 44: 54: 06 L Es ist okay. Es ist noch nicht fertig, ja. ... Wann bin ich fertig? ( ) 00: 45: 09: 29 L Also, wir machen Schluss. *Könnt in die Pause.* <?page no="329"?> 329 Videoaufnahme SW-018 Aufnahmeregion: Deutschschweiz Aufnahmedatum: 25.05.1999 Schultypus: Gymnasium, SZ Stoffgebiet: Geometrie Thema: Kreisberechnungen Art der Lektion: Übungslektion Lektionsbeschrieb Die Lektion beginnt mit dem ausführlichen Besprechen zweier Hausaufgaben, die zugleich nochmals durchgerechnet werden. Darauf folgt ein Theorieteil, in dem die Lehrperson zu einer der Hausaufgaben eine graphische Veranschaulichung aufzeigt. Danach lösen die Schüler selbstständig in einer Stillarbeitsphase weitere Vertiefungsaufgaben zum Thema Kreis. Kurz vor Ende der Lektion erteilt der Lehrer die Hausaufgaben. Tableau Andreas Sm Ulf Lehrer Wandtafel OHP Corinne Cordula Sf Sven Sm Martin Sf Markus Sf Bianca Sabine Marion Felix Norbert Michi Sf <?page no="330"?> 330 Transkription SW-018 00: 04: 09: 12 L *So, also guten Nachmittag miteinander*, ich möchte speziell noch Herrn Zumstein begrüssen. 00: 04: 14: 10 L Er ist eben vom pädagogischen *Institut* von der Universität Zürich da, und wird uns eben jetzt scharf beobachten mit seiner Kamera. 00: 04: 23: 05 L So, also wir haben heute zuerst zwei Aufgaben zu besprechen und zwar eigentlich, hoffentlich zwei interessante Aufgaben, wie ihr gemerkt habt. 00: 04: 31: 13 L Gehen wir da der Reihe nach vor, zuerst sechzehn b von der Seite achtundneunzig. 00: 04: 46: 16 L So. ... Diese Aufgabe war ja nicht ganz neu, weil wir ja bei der Aufgabe a etwas Ähnliches auch schon durchgerechnet haben. 00: 04: 54: 17 L Es geht also um den Breitenkreis, ... oder um den Umfang eines Breitenkreises, den es da jetzt für einen anderen Winkel zu berechnen galt. 00: 05: 03: 23 L Also, da habe ich die Skizze noch vorbereitet von der Seitenansicht von diesem Dreieck, das bei euch im Buch schraffiert ist. 00: 05: 11: 11 L Eben dieses -*äh*- Dreieck, das maßgebend ist, um diesen Radius hier ... berechen zu können. 00: 05: 21: 03 L Eben der Radius vom Breitenkreis. ... So, zuerst einmal zu diesem Dreieck, welches spezielle Dreieck ist es in diesem Fall? ... S’ist nicht mehr ein Gleichseitiges, sondern? 00: 05: 31: 11 SN Rechtwinklig. 00: 05: 32: 09 L Ein Rechtwinkliges, ja das ... ist das andere auch gewesen. ... Rechtwinklig und was noch? 00: 05: 38: 18 SN ( ). 00: 05: 39: 12 L *Jawohl*, jetzt *äh* Moment - *mh äh* - Felix *kannst du auch langsam ... / / ruhig sein*. 00: 05: 42: 18 SN / / *Ja. Ich bin am Auspacken.* <?page no="331"?> 331 00: 05: 44: 11 L So, Ulf etwas lauter, damit wir / / das alle 00: 05: 46: 10 SN / / Gleichschenklig. 00: 05: 46: 28 L Gleichschenklig, ... ja, gleichschenklig und was noch? Also, gleichschenklig? 00: 05: 51: 22 S Rechtwinklig. 00: 05: 52: 25 L Rechtwinklig, Also. Das ... doch noch wiederholt. 00: 05: 59: 03 L Da ist es ja beides Mal ein Fünfundvierziggradwinkel. ... So, also der Radius eben ist dann was für eine Größe, die die es zu berechnen gilt? ... Der Radius ist dann? 00: 06: 13: 04 L Oder eben der Radius des Breitenkreises, muss ich genau sagen, ist dann welche Größe? ... Ja? 00: 06: 20: 10 SN Viertausendfünfhundertvier Komma zwei sieben Kilometer. 00: 06: 23: 00 L Ja, gut das ist jetzt einmal die Angabe. Kannst du es nochmals wiederholen, viertausend? 00: 06: 27: 07 S Viertausendfünfhundertvier. 00: 06: 33: 04 S Komma zwei sieben Kilometer. 00: 06: 34: 08 L Zwei sieben Kilometer. 00: 06: 37: 14 L Ja, das ist der Zahlenwert, den habe ich mir zwar nicht notiert, aber dürfte, glaube ich, etwa richtig sein. 00: 06: 43: 06 L Jetzt eben, welche Größe innerhalb vom Dreieck ist schlussendlich zu berechnen, das meinte ich mehr mit meiner Frage. ... Da geht es jetzt also um? 00: 06: 51: 26 SN Eine Kathete. 00: 06: 53: 25 L Eine Kathete, ja. So und eben, wie kann man das schlussendlich berechnen, damit das für alle klar ist. Also, wie lässt sich das berechnen, diese Kathete? 00: 07: 05: 27 L Oder, Andreas, wie hast du es gerechnet? 00: 07: 08: 08 SN Mit Pythagoras. 00: 07: 09: 13 L Ja, also kannst du mir diesen Pythagoras noch angeben. 00: 07: 15: 12 L Wie sieht da die Rechnung oder der Pythagoras aus? <?page no="332"?> 332 00: 07: 22: 12 L Ist zwar jetzt schon richtig, aber eben, wie sieht es konkret aus? 00: 07: 28: 19 L Ja eben, das R ist ja gegeben. Die Kathete sagt -*äh*- Sabine richtig, also Pythagoras ... heisst dann? 00: 07: 40: 16 L Ja, also. 00: 07: 41: 16 SN C *äh*. 00: 07: 43: 04 L Ja, kannst du das mit diesen Bezeichnungen gerade formulieren, die jetzt da wichtig sind. Gut eine ...eine Größe muss ich noch einführen, das ist der Erdradius, hm. 00: 07: 54: 19 L Also das gelbe R ist der Breitenkreisradius, deswegen ist nicht mit C argumentiert. Also? 00: 08: 01: 20 S Eh - R 00: 08: 03: 09 L Laut. 00: 08: 04: 09 S R gleich ... Wurzel aus -*äh*- R hoch zwei ... / / plus 00: 08: 12: 01 L / / Ja, ich möchte zuerst. Nein, Sabine, ich möchte zuerst einmal den Pythagoras formuliert haben ohne Umformung, damit es für alle auch nachvollziehbar ist. Kannst du mir das angeben? 00: 08: 22: 20 S R hoch zwei 00: 08: 23: 22 L Ja, (besser). 00: 08: 25: 06 S Gleich 00: 08: 27: 06 L Ja. ... Ja gut also, ... kommt darauf an, wie du es formulierst. 00: 08: 32: 01 S Ja, R plus ... *äh* R hoch zwei plus -*äh*doch plus. 00: 08: 41: 25 L Plus, ja. ... Ah, jetzt eben musst du etwas Bezeichnungen einführen, die habe ich jetzt an der Wandtafel nur teilweise - *äh* aufgeschrieben. Marion? 00: 08: 54: 05 SN A über zwei im Quadrat. 00: 08: 56: 09 L Ah wie muss ich das verstehen? Mit diesen Bezeichnungen, das ausgedrückt. <?page no="333"?> 333 00: 09: 06: 02 L Ja eben, das ... diese R, die müssen unterschieden werden. ... Dieses R da, Marion, welches meinst du? Das links, das links vom Gleich. 00: 09: 15: 12 S Das Grüne. 00: 09: 16: 14 L Das Grüne. Also da wäre der Radius, ja, ... Ich habe es bewusst eben noch nicht hingeschrieben, weil du es auch nicht gesagt hast. So, und jetzt, dann muss es rechts eben wie heißen? 00: 09: 29: 04 S *Äh* - ... rechts? 00: 09: 32: 27 L Ja, hier rechts vom Gleichheitszeichen. 00: 09: 35: 18 S Plus. 00: 09: 37: 25 L Also das ist das gelbe R, / / plus? 00: 09: 40: 08 S / / Plus ... die andere Seite. 00: 09: 42: 23 L Ja, jetzt eben, was ist diese andere Seite? ... Ulf / / hat es gesa -. Ja gut eine Höhe, aber Ulf hat es gesagt, welche Art Dreieck es ist? 00: 09: 47: 10 SN / / Ah die Höhe. 00: 09: 54: 02 SN Auch R im Quadrat. 00: 09: 54: 21 L Auch R im Quadrat, ja. 00: 09: 58: 25 L Also eben, gleichschenklig rechtwinklig heisst, dass diese Höhe oder da dort, wo du eben noch nach dem/ nach der Größe oder nach dem Symbol gesucht hast, eben auch der Radius bedeutet. 00: 10: 11: 21 L Nur dann ist es ein gleichschenklig rechtwinkliges Dreieck. So, und eben aus dem kann man ... jetzt eben den Radius, oder der gelbe Radius vom Breitenkreis, ausrechnen. 00: 10: 25: 00 L Ah, der nächste Schritt noch, nachher möchte ich das dann nicht mehr weiterentwickeln, nächster Schritt heisst dann noch? ...Oder diesedieser Pythagoras jetzt eben ... etwas umgeformt. 00: 10: 39: 03 SN R gleich die Wurzel aus R hoch zwei plus R hoch/ / zwei. <?page no="334"?> 334 00: 10: 44: 15 L / / Ja, jetzt musst du mir eben zuerst einmal die verschiedenen R / / deutlich unterscheiden. 00: 10: 47: 17 S / / Ja, das grüne R. 00: 10: 50: 06 L Ja, das ist 00: 10: 51: 07 S Nein, nein das gelbe R. 00: 10: 55: 01 S Und dann gleich ... -*äh*- R hoch ... zwei, das grüne, geteilt durch R hoch zwei. 00: 11: 07: 04 L Ja nein, das 00: 11: 09: 09 S Nein, minus R hoch zwei. 00: 11: 10: 27 L Ja gut, dann hast du die unbekannte Größe auch auf der anderen Seite. Wäre möglich, nur kann man’s dann nicht ausrechnen. ... Ja? 00: 11: 18: 10 SN Geteilt durch zwei. 00: 11: 19: 01 L Ja, geteilt durch zwei ... und dann noch? ... Ja, Marion, was fehlt noch hier an der Wandtafel? ... Oder Andreas? 00: 11: 29: 20 SN Die Wurzel. 00: 11: 30: 06 L Die Wurzel, jawohl. Also eben dieser Teil ... rechts kann man auch zusammenfassen mit zwei R hoch zwei, und dann eben entsteht das andere. 00: 11: 40: 13 L So, und eben, das gibt wie Andreas gesagt hat, viertausendfünfhundertundvier Komma zwei sieben Kilometer. Und damit ist der Umfang von diesem Breitenkreis ...wie gross? 00: 11: 52: 28 L Das war ja schlussendlich verlangt. ... Ja? 00: 11: 55: 24 SN Achtundzwanzigtausenddreihunderteins Komma eins sechs Kilometer. 00: 11: 59: 18 L Jawohl. Das sind diese achtundzwanzigtausend Kilometer etwa. 00: 12: 03: 00 L So und dieser Breitenkreis der ist jetzt noch ganz interessant, jetzt können wir uns etwas, ja -*äh*ausrechnen beziehungsweise versuchen vorzustellen. <?page no="335"?> 335 00: 12: 12: 09 L Frage, was meint ihr, mit welcher Geschwindigkeit derhen wir uns hier um die Erdachse? ... Wer hat da eine - Idee, wie viel das sein könnte? 00: 12: 27: 27 L Wir wissen alle, dass die Erde sich dreht und wissen alle, dass wir uns mitdrehen, weil wir eben ja auf der Erde sind. 00: 12: 35: 19 L Jetzt, wie gross ist da die Geschwindigkeit, wer hat da eine Ahnung oder eine Schätzung? 00: 12: 41: 17 SN Etwa eintausend. 00: 12: 43: 03 L Eintausend was? 00: 12: 44: 09 S Kilometer pro Stunde. 00: 12: 46: 03 L Tausend Kilometer pro Stunde. Nein, Sabine. Andere Vermutungen? 00: 12: 51: 07 SN (Fünf). 00: 12: 52: 19 SN (Weniger). 00: 12: 54: 23 SN (Mehr). 00: 12: 57: 06 L Ja, das können wir jetzt eben näherungsweise ausrechnen, und zwar deswegen. Wir haben hier ja den Breitenkreis ausgerechnet für fünfundvierzig Grad. 00: 13: 05: 09 L Und Zürich hat eine geografische Breite, wie man sagt, oder dieser Winkel ... von ... etwa siebenundvierzig Komma vier Grad. 00: 13: 16: 10 L Also mit anderen Worten, wenn wir mit diesen Breitenkreis rechnen, dann liegen wir nicht schlecht. Das Resultat ist nicht genau, aber liegen wir nicht schlecht. 00: 13: 24: 19 L So, was müssen wir also rechnen, um diese Geschwindigkeit näherungsweise, eben ... zu kennen. 00: 13: 30: 13 SN Achtundzwanzigtausenddreihunderteins / / ( ) vierundzwanzig. 00: 13: 33: 09 L Jetzt habe ich nicht viel verstanden. Nochmals. 00: 13: 36: 05 S Achtundzwanzigtausend dreihunderteins geteilt durch vierundzwanzig. <?page no="336"?> 336 00: 13: 39: 00 L Ja, durch die vierundzwanzig Stunden, eben in einem Tag sind wir ja rundherum. Also rechnet es einmal aus. ... Wie viel ist das? ... Ja, jetzt ist allen Gelegenheit auch noch gegeben. 00: 14: 11: 03 L So, stimmt’s, die Vermutung von Sabine mit anderen Worten? Das darf man jetzt nicht ganz hundertprozentig genau nehmen natürlich. Corinne? 00: 14: 20: 09 SN Ja, etwa tausendeinhundert. 00: 14: 22: 14 L Jawohl, es ist etwa tausendeinhundert Stundenkilometer, mit der wir uns um die Erdachse drehen. 00: 14: 27: 14 L Ja, jetzt vielleicht doch noch die Frage, obwohl es nicht direkt Mathematik ist, warum spüren wir davon nichts? 00: 14: 34: 14 SN Anziehungskraft. 00: 14: 35: 31 SN *Die Anziehungskraft.* 00: 14: 36: 09 L Ja, nicht nur. Wenn du Zug fährst, dann spürst du auch etwas ..., wenn weil es ... ja zum Teil rasant vorwärts geht. 00: 14: 45: 00 L Noch ein anderer Grund. Die Erdanziehungskraft, das ist schon richtig, die verhindert, dass wir davonfliegen. Sonst würden wir dann schon lange im Weltraum draussen irgendwo herumgeistern. 00: 14: 54: 29 L Und warum spüren wir nichts, auch aus einem anderen Grund, ... weil? 00: 15: 07: 04 L Ja, weil ... wegen der Atmosphäre. Die schützt uns sozusagen vom Fahrtwind, eben deswegen vorhin da die Bemerkung mit dem Zug. 00: 15: 16: 00 L Wenn man mit dem Zug fährt und den Kopf hinaushält, was man zwar nicht allzu weit tun sollte, dann spürt man eben auch etwas, eben den Fahrtwind. 00: 15: 24: 00 L Also, und weil eben die Atmosphäre genauso oder ähnlich mitdreht, spüren wir nicht viel. 00: 15: 29: 18 L Und eben, wenn es windet, dann ist die Geschwindigkeit der Atmosphäre verschieden von diesen tausendeinhundert Stundenkilometern. <?page no="337"?> 337 00: 15: 36: 07 L Und deswegen spüren wir dann etwas Wind, weil es eben dann nicht mehr die gleiche Geschwindigkeit ist. 00: 15: 42: 00 L Also, das noch so etwas eine Abschweifung ... eben, was man aus einem Breitenkreis schlussendlich auch noch schlussfolgern kann. 00: 15: 49: 20 L So, kommen wir noch zur zweiten Aufgabe und zwar zur Nummer sieben, und da ja, ist es auch eine interessante Angelegenheit. 00: 15: 58: 16 L Weswegen. Es geht ja darum, das nochmals kurz wiederholt, dass wenn man bei einem Velorad eine Schnur nimmt, sie satt herumspannt und dann die Schnur um einen Meter verlängert. 00: 16: 10: 13 L Und dann die Schnur wieder spannt und das gleiche durchführt beim Äquator, natürlich jetzt rein hypothetisch, auch eben eine Schnur um den Äquator spannt. 00: 16: 21: 09 L Und dann eben die Schnur auch wieder um einen Meter verlängert und wieder anspannt. Dann eben die Frage, wo ist der Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Radius. 00: 16: 32: 07 L Von diesen zwei Kreisen kann man sagen, kleiner beziehungsweise größer. So, was habt ihr da eben herausgefunden? 00: 16: 43: 05 L Wo ist der Unterschied größer beim Velorad, wo es eben jetzt ein Zenti ein Radius von vierzig Zentimeter sein soll, oder beim Erdradius von sechstausenddreihundertsiebzig Kilometer? Marion? 00: 16: 56: 18 SN Beim Velorad. 00: 16: 57: 15 L Ja, was hast du dort ausgerechnet, was ist der Unterschied? 00: 17: 00: 06 S Fünfzehn Komma neun zwei Zentimeter. 00: 17: 02: 21 L Ja, das stimmt einmal. Was ist es dann eben beim beim - *äh*- Äquator oder bei bei der Erde? 00: 17: 10: 12 S Eins Komma sechs Zentimeter. 00: 17: 12: 00 L Ja, nein. ... Da hast du einen Rechenfehler gemacht. ... So stimmt natürlich deine Antwort, da gebe ich dir recht. ... <?page no="338"?> 338 Beim Erdumfang ist es nicht eins Komma sechs Zentimeter, sondern? 00: 17: 27: 14 L Was ist es? 00: 17: 32: 04 L Ja. 00: 17: 33: 26 S Sechzehn Zentimeter. 00: 17: 35: 16 L Wie viel? 00: 17: 36: 01 S Sechzehn. 00: 17: 36: 28 L Ja, oder wenn man es genauer ausrechnet genau gleich. 00: 17: 41: 06 L Also, und das ist doch etwas Erstaunliches, da versagt unsere Vorstellung total, dass bei bei der Erde es genau der gleiche Zwischenraum gibt wie bei einem Velorad. 00: 17: 52: 01 L Man könnte auch einen Tennisball nehmen, von vielleicht zwei Zentimeter Radius, es würde auch auch den gleichen Unterschied geben. 00: 17: 59: 16 L Der Radius spielt mit anderen Worten keine Rolle. So, das ... wollen wir etwas genauer anschauen, warum das eben immer gleich ist, eben da versagt unsere Vorstellung ganz kläglich. 00: 18: 27: 03 L So, da zuerst eben einmal nochmals wie man das berechnet, das etwas zusammengestellt. Jetzt eben, ja ... wie üblich muss man sich die Kreisform etwas vorstellen. 00: 18: 38: 03 L Ich will das bewusst nicht jetzt exakt zeichnen, also das soll eben ... ein bestimmter Radius sein. Könnte eben den Radius vom Velorad nehmen oder den Radius von der Erde. 00: 18: 51: 14 L Und dann eben darumherum ... gibt es einen zweiten Kreis. Eben der entsteht, wenn man die um einen Meter verlängerte Schnur entsprechend wieder aufspannt. Also da. 00: 19: 14: 00 L Da haben wir eben zwei von diesen Radien. So, und der Unterschied, das dürfte klar sein. 00: 19: 20: 03 L Der Unterschied, ... oder ich kann es auch als Höhe bezeichnen, ist eben die Differenz von diesen beiden Radien. <?page no="339"?> 339 00: 19: 41: 04 L So, und eben diese beiden Radien, die berechnen sich aus dem Kreisumfang wie? ... Wer kann mir das jetzt weiterentwickeln? 00: 19: 50: 12 L Und dann kann man einmal rein formal verstehen, dass es das Gleiche ergeben muss. 00: 19: 55: 04 L Nur eben das Vorstellungsvermögen ist damit immer noch etwas, ... ja ... muss man sagen, benachteiligt, weil es mir gleich geht wie euch. 00: 20: 04: 00 L Man würde doch meinen, bei der Erde müsse es weniger sein als beim Velorad. Aber eben, dem ist nicht so. 00: 20: 10: 08 L So, jetzt eben, wie können wir diese beiden Radien ausdrücken. Eben, schlussendlich ist ja der Umfang entsprechend maßgebend....Also...Radius zwei...ist.. der Umfang zwei. 00: 20: 29: 28 L Und wie muss ich das ergänzen aufgrund der Formel? Normale Kreisumfangformel, ... also lässt sich der Radius wie berechnen? Das ist der Umfang ... und? ... Umfang. 00: 20: 49: 18 L Ja. ... Umfangsformel Kreis. Sven? 00: 20: 56: 05 SN Umfang geteilt durch zwei ( ). 00: 20: 59: 01 L Jetzt nochmals. 00: 20: 59: 24 S Umfang geteilt durch zwei hoch / / ( ). 00: 21: 01: 20 L / / Gut, das ist der Radius, ja. Jetzt, jawohl. Also muss ich das noch durch zwei Pi teilen. ... So, und das gilt jetzt genau gleich für den zweiten ... Umfang, eben für den Umfang zwei. 00: 21: 22: 00 L Also, das hier noch eben die beiden ... Größen vorgegeben. So, und was gilt jetzt für ein Zusammenhang zwischen diesen zwei Umfängen? 00: 21: 33: 19 L Das ist eben das, was in der Aufgabenstellung ja formuliert ist, ...was gilt jetzt? ... Es gilt, dass der Umfang zwei? 00: 21: 45: 17 L Was ist? ...Der Umfang zwei ist? ...Egal ob man eben jetzt beim Velorad oder bei der Erde ... ist? <?page no="340"?> 340 00: 22: 02: 00 L Cordula, was ist der Umfang zwei? Aufgrund der Aufgabenstellung, bezüglich Umfang eins, ist immer? 00: 22: 13: 12 L Also Felix? 00: 22: 14: 10 SN Ein Meter mehr vom Mittelpunkt entfernt. 00: 22: 16: 20 L Ja nein, nicht vom Mittelpunkt entfernt. Ein Meter mehr als? 00: 22: 20: 22 S Als R eins. 00: 22: 22: 14 L Nein, nein, es geht um den Umfang. ... Als was? Also, ein Meter mehr als? Norbert? 00: 22: 27: 19 SN U eins. 00: 22: 28: 20 L Als der Umfang eins. So, deswegen kann ich das ... auch ... so ersetzen. 00: 22: 39: 15 L So, und jetzt kann man rein formal eben zeigen, dass es immer das Gleiche sein muss. Eben damit habe ich jetzt mich nicht festgelegt, wie gross der Umfang eins ist. 00: 22: 49: 03 L Eben, das kann der Umfang vom Velorad sein, das kann der Umfang von der Erde sein, das kann eben der Umfang von einem Tennis- Tennisball sein oder sonst von was. 00: 22: 57: 27 L Also, jetzt lässt sich das algebraisch umformen. ... Was kann man hier speziell eben im ersten Teil machen? 00: 23: 05: 09 SN Kürzen. 00: 23: 05: 29 L Hm ja, kürzen kannst du nicht. Sondern? ...Was lässt sich im ersten Teil mit diesem Bruch durchführen? Jetzt nur noch algebraisch ... angeschaut. ... Der lässt sich? 00: 23: 21: 28 L Der lässt sich? ... Michi, was lässt sich der? 00: 23: 31: 14 L Ja, also Ulf? 00: 23: 32: 07 SN Subtrahieren. 00: 23: 33: 03 L Ja, gut subtrahieren schon, aber damdamit man es gut subtrahieren kann, muss man diesen Bruch zuerst? ... Zuerst was? ...Oder was ist das Resultat der Subtraktion? 00: 23: 45: 00 S Eins. <?page no="341"?> 341 00: 23: 46: 05 L Ja, ja eins und? ... Das ist nur der Zähler. 00: 23: 52: 09 S Eins durch zwei Pi. 00: 23: 53: 22 L Eins durch zwei Pi, ja, also da. ... Eben, was ich gemeint habe, aber man kann es auch anders durchführen. 00: 24: 00: 08 L Man kann diesen ersten Bruch aufspalten oder eben man kann alles auf einen Bruchstrich schreiben. Aber der Nenner, der bleibt ... vorhanden. 00: 24: 10: 17 L Ja, da muss es U eins heißen. So, und damit eben,...wenn man das, ... man kann es auch so darstellen, alles gleichnamig macht, oder, gleichnamig ist es bereits. 00: 24: 21: 05 L Wenn man alles auf einen Bruchstrich schreibt, dann sieht man, dass der Umfang vom kleineren Kreis eigentlich gar nicht maßgebend ist. Er fällt weg. 00: 24: 31: 23 L Sondern maßgebend ist eben nur dieses eins, eben diesen Meter, den man hinzugibt. Also, und deswegen muss es bei der Erde genau gleich rauskommen wie beim Tennisball oder beim Velorad. 00: 24: 46: 26 L Das ist einmal das ... Algebraische, wie man das eben ... mindestens einmal nach etwas Überlegen ... eben erkennen kann, dass es gleich aussieht. 00: 25: 00: 25 L So und damit eben streikt das Vorstellungsvermögen immer noch etwas, es geht mir vermutlich gleich wie euch. 00: 25: 06: 26 L Das kann doch nicht sein, dass eben bei der Erde genau der gleiche Unterschied ergibt wie beim Velorad. Da, ja eben, täuscht unsere unser Sche- Vorstellungsvermögen. 00: 25: 18: 09 L Das kann ich euch jetzt auch noch etwas grafisch entsprechend erklären. 00: 25: 25: 20 L So, dieser Kreis, der da eben abgebildet ist, der soll jetzt eben einen Umfang von einem Meter haben. Und das eben ist der Radius der eigentlich dort -*äh*an der Wandtafel steht. 00: 25: 36: 10 L Eben das eins durch zwei Pi, das eben etwa diese sechzehn Zentimeter ausmachen. So, und diesen Umfang <?page no="342"?> 342 oder diesen Kreis wollen wir jetzt eben auf verschiedene Figuren verteilen. 00: 25: 47: 10 L Jetzt einmal nicht beim Kreis begonnen, sondern bei einer relativ einfachen Figur, beim Quadrat. ... Also, das ist in dieser Skizze dargestellt. 00: 25: 56: 10 L Hier soll eben das ursprüngliche Quadrat sein und jetzt wird eben dieser Umfang auf das Quadrat aufgeteilt, wie es in der Aufgabenstellung mit dem Kreis passiert. 00: 26: 06: 17 L Eben es wird wieder aufgespannt. Also, wo müssen wir diese Teile ansetzen? Diese Teile müssen wir hier in den Ecken ansetzen, und deswegen sind sie unterschiedlich schraffiert. 00: 26: 17: 04 L Aber, dieser Teil kommt hier hin, dieser Viertel vom Kreis ist hier, dieser Teil ist hier, und dieser Teil ist hier. 00: 26: 24: 24 L So und was passiert eben? Diese Strecke, jeweils, die ist erstens einmal gleich und eben entsprechend gleich dem Radius von diesem Kreis, der eben als Umfang ein Meter haben soll. 00: 26: 37: 04 L So, und das bleibt gleich, auch wenn ich ein größeres Quadrat betrachte. ... Wo müssen eben diese Teile hinkommen? Die müssen wieder hier in den Ecken hinkommen. 00: 26: 47: 14 L Aber eben, dieser Radius, der da eben notwendig wird, um das aufzuspannen, der bleibt gleich, weil es ja der gleiche Radius von diesem Kreis ist. 00: 26: 56: 04 L Also, ist unabhängig, ob das Quadrat ein großes oder ein kleines gewesen ist, der Unterschied hier zur neuen Form ist immer noch eben gleich diesem Radius. 00: 27: 06: 20 L So, und jetzt kann man sich auch sagen, ja gut, ich kann hier ja eine andere Eckenzahl nehmen nicht nur vier, dann muss ich diesen Kreis eben in gröin kleinere Teile aufteilen. 00: 27: 16: 04 L Und das ist hier eben hi am ... Achteck dargestellt. Jetzt wird wieder der gleiche Kreis, entsprechend eben in acht Teile aufgeteilt, und hier eben ist ein regelmäßiges Achteck. <?page no="343"?> 343 00: 27: 28: 23 L Das müsste eigentlich nicht unbedingt sein, aber ist am besten erkennbar. Also, jetzt, wo müssen eben diese Teile angefügt werden? Die müssen wieder in den Ecken angefügt werden. 00: 27: 38: 15 L Eben wieder entsprechend den jeweiligen Schraffierungen, ergibt eben hier, sinngemäß wie oben beim Quadrat, dass es dort eben aufgespannt wird, und genau da ist das gleiche wie hier. 00: 27: 50: 09 L Dass eben der Unterschied zur alten Begrenzungslinie immer noch gleich diesem Radius sein muss. Und das gilt eben auch unabhängig, ob es jetzt ein kleines oder ein großes Achteck ist. 00: 28: 02: 20 L So, und jetzt kann man sich etwas besser vorstellen, dass es eben auch bei einem Kreis, dass jetzt die Einteilung hier beim Krei-, eben nicht mehr möglich, weil es unendlich kleine solche Sektoren sind. 00: 28: 12: 00 L Also, dass es beim Kreis eben gleich herauskommen muss, dass ein kleiner Kreis und ein großer Klei- Kreis eben, wenn man das so aufspannt oder nochmals gesagt, einen Meter Umfang verteilt. 00: 28: 24: 28 L Eben hier den gleichen Unterschied haben muss. Dann kann man sich das doch etwas besser vorstellen, wenn man eben sich überlegt, wo kommt dieser Meter Umfang hin? 00: 28: 34: 23 L Eben, er kommt bei eckigen Figuren eigentlich in die Ecke. Und das bedeutet eben, dass hier dieser Radius nochmals. 00: 28: 43: 04 L Maßgebend ist, wie der Unterschied zwischen der neuen und der alten Begrenzungslinie verläuft. Und dann eben kann man das jetzt doch etwas sinngemäß auf den Kreis übertragen. 00: 28: 55: 00 L Dass eben hier das das Gleiche sein muss. Also das, ja eben noch zu diesem Phänomen, wo eben, wie gesagt, unsere Vorstellung doch streikt. 00: 29: 07: 09 L Und eben da beziehe ich mich mit ein, auf den ersten Blick würde ich eben auch nochmals behaupten, bei der <?page no="344"?> 344 Erde müsste dieser Unterschied wesentlich kleiner sein als eben beim Velorad. 00: 29: 18: 06 L Dem ist eben nicht so. Dieser Unterschied ist immer ... eins durch zwei Pi, und das sind eben diese fünfzehn Komma neun zwei Zentimeter, die da eben am Anfang richtig gesagt wurden. 00: 29: 32: 05 L So, das also zu diesen Aufgaben. Ich habe jetzt bewusst etwas mehr Zeit investiert, weil es doch zwei interessante Aufgaben gewesen sind, die eben doch ... einen wichtigen Hintergrund haben. 00: 29: 44: 04 L So, und jetzt wollen wir, oder ihr, besser gesagt, da die Sache mit dem Kreis etwas weiter vertiefen. 00: 29: 50: 29 L Einen nächsten Begriff, der euch eigentlich geläufig ist und den ich hier jetzt an der Wandtafel mehr oder weniger auch schon habe, ist der Kreisring. ... Also, der Kreisring. 00: 30: 06: 23 L Das bedeutet diese schraffierte Fläche. *So* & da möchte ich euch zuerst eben selbstständig, alleine die Sache etwas erarbeiten lassen und das anhand der Aufgabe drei von der Seite siebenundneunzig. 00: 30: 31: 28 L Aufgabe a und b, würd ich meinen, sollten relativ problemlos möglich sein. Wenn man b vor allem verstanden hat, dann eben kann man auch dann c schlussendlich beantworten. 00: 30: 45: 07 L Also, das dürfte da die kniffligste Aufgabe sein. Um wie viel eben hier dieser Flächeninhalt größer wird, wenn eben diese Bedingung gilt? 00: 30: 54: 02 L *So*, da eben jetzt zuerst selbstständig der Reihe nach diese drei Aufgaben jetzt einmal gelöst. 00: 33: 37: 27 SN *(Heisst das meint das) sechzig Quadratzentimeter mal Pi? * 00: 33: 41: 16 L *Ja. ... Das ist, weißt du, warum das so ist? ... Damit es einen exakten Wert gibt. Also, das ist der exakte Wert. ... Und angegeben ist er deswegen so, damit das Resultat auch ganzzahlig ist.* 00: 33: 56: 21 S *Mhm [ja].* <?page no="345"?> 345 00: 33: 57: 10 L *Als Resultat eben wirst du etwas Ganzzahliges bekommen. Ja. Also das heisst der Radius wird eine schöne ganze Zahl geben.* 00: 34: 04: 11 S *Und Pi muss ich im Resultat nicht angeben? * 00: 34: 05: 20 L *Nein, das, das fällt dann wieder raus, wenn du genau rechnest. Und darum ist es so angegeben in dieser etwas ungewohnten Form.* 00: 34: 13: 18 S *Merci.* 00: 34: 42: 01 L *Hier musst du das doch gerade so zusammenhängen, oder. Und das ist schon gut angefangen, aber dann die Rechnung gerade hintendran. Eben, Pi mal das ... minus Pi mal das.* 00: 34: 54: 27 L *Und dann musst du die Zahlen da nicht mehr aufschreiben. Dann kannst du das ganze Resultat angeben.* 00: 34: 58: 24 SN *Ja.* 00: 35: 00: 19 L *Dann gibt es einen besseren Überblick, als wenn du da mit Pfeilen da ... arbeitest.* 00: 35: 11: 09 L *Eben, Andreas, dasselbe. Es geht auch etwas um den Überblick, und deshalb könnte man das auch in einer Zeile darstellen. Aber besser so, als gar nicht.* 00: 35: 19: 26 L/ Ss {Gelächter} 00: 35: 20: 00 L *Das doch noch doch noch gesagt.* 00: 35: 25: 04 L *Eben, so wie bei Ulf. Darf ich da schnell äh. ... Die Rechnung, wie du es ausrechnest, Zahlenwert und das müsstest du nicht einmal unbedingt mehr hinschreiben. Da kannst du gerade das Resultat ... nehmen.* 00: 35: 51: 09 L *Martin, du musst auch darstellen, um was es geht.* 00: 35: 59: 25 L *Mhm [ja]. ... Altbekanntes Problem, hm.* 00: 36: 02: 00 SN *Ja.* 00: 36: 02: 29 L *Mhm [ja].* 00: 37: 13: 16 L *(Lass mich schnell zu dieser Aufgabe sagen). Zwei Pi mal R, und dann vierzig einsetzen, dann ist das eine <?page no="346"?> 346 Rechnung achtzig mal drei. Da hast du irgendwas falsch gerechnet, dass du auf zweihundertfünfzig kommst.* 00: 37: 29: 02 L *Nein, halt, achtzig mal drei, da habe ich jetzt falsch gerechnet. Zweihundertfünfzig stimmt, aber von da nach da ist mir der Schritt noch nicht klar. Und da hast du schon richtig dazu gezählt.* 00: 37: 39: 02 L *Aber da solltest du beides mal auf die* 00: 37: 41: 24 SN *Mhm [ja].* 00: 37: 42: 01 L *Hm was sind das, sechzehn Zentimeter kommen, ungefähr.* 00: 38: 14: 02 SN *( ) muss ich auch ( )? * 00: 38: 15: 12 L *Ja. ... Ja. ... Ja, auf eine Art schon, aber es ergibt etwas anderes. Jetzt, was hast du gerechnet? * 00: 38: 41: 14 L *Mal grundsätzlich richtig, aber irgendwo muss ein Rechnungsfehler drin sein.* 00: 38: 46: 28 S *Mit dem Rechner, ist das kein Rechnungsfehler? * 00: 38: 49: 20 L *Man kann es schon falsch eintippen. ... Ah, das, eben, wenn du jetzt anders vorgegangen wärst, wenn du es einfacher gerechnet hättest.* 00: 38: 59: 06 L *Das ist eigentlich das exakte Resultat, eben neun mal neun im Quadrat mal Pi. ... Aha, jetzt habe ich es, glaube ich, wo der Fehler ist. *Äh* neun im Quadrat mal Pi.* 00: 39: 10: 20 L *Ah, nein, neun Quadratzentimeter, da hast du ja schon quadriert. So, das ist eigentlich das, wo der Wert hinkommt. Jetzt hast du da eben plus sechzehn mal Pi.* 00: 39: 20: 04 S *( )* 00: 39: 20: 21 L *Ja, also, wie geht es weiter? * 00: 39: 23: 09 S *Ja, plus sechs mal Pi, dann muss ich da hinten auch Pi angeben, nachher hier ausrechnen.* 00: 39: 27: 14 L *Ja, aber wie viel ist das denn zusammen? * 00: 39: 29: 16 S *Achtzehn mal ... / / fünfundzwanzig.* <?page no="347"?> 347 00: 39: 31: 03 L / / *Nein. ... Fünfundzwanzig mal Pi, ja. ... Schreib es mal hin. ... Dann geht es nämlich ganz ohne Taschenrechner. Irgendwo ist ein ... Rechnungsfehler drin.* 00: 39: 50: 19 SN Da, muss ich ja, wenn ich R nicht mehr im Quadrat haben will, muss ich da die Klammern umsetzen? 00: 39: 57: 26 L *Mhm [ja]. Im Flächeninhalt, ja.* 00: 40: 06: 01 L *Mhm [ja]. Jetzt -*äh*suche ich noch den anderen Fehler, jetzt ist es mir aufgefallen.* 00: 40: 12: 21 SN *Ja, jetzt habe ich alles falsch* 00: 40: 13: 15 L *Nein, nein, nein, nein, schon richtig.* 00: 40: 16: 07 S *Jetzt kann ich Pi wegstreichen.* 00: 40: 18: 18 L *Eben doch Pi, vorher hast du doch zwei Pi gerechnet. Da hast du den Umfang genommen, dabei ist es der Flächeninhalt. Ja, eben, jetzt ist richtig, jetzt kannst du Pi einfach rausstreichen.* 00: 40: 28: 29 L *Aber das ist nicht R zwei, / / sondern? ... Ja, du musst es auch noch richtig hinschreiben. Das ist R im Q- oder die Wurzel, ja. ... Ja genau.* 00: 40: 29: 24 S / / *(Fünf).* 00: 40: 41: 08 SN *Wie kann ich das jetzt kürz/ ? Also, R zwei ist fünfundzwanzig Pi.* 00: 40: 47: 17 L *Hm-m [nein]. Fläche.* 00: 40: 49: 10 S *Also, ja. ... Einfach zwei ist gleich Fläche durch Pi.* 00: 40: 53: 09 L *Mhm [ja].* 00: 40: 54: 09 S *Dann ist R gleich Fläche durch Pi und Wurzel. Jetzt, kann ich das kürzen? * 00: 40: 57: 29 L *Mhm [ja], mhm [ja]. Und zwar alles, was unter der Wurzel steht, kannst du kürzen, wenn es möglich ist, ja.* 00: 41: 02: 29 S *Also Pi, Pi ... ist gleich Wurzel fünfundzwanzig.* 00: 41: 07: 03 L *Oder fünf ... Und darum eben, das noch kommentiert, darum ist da eben sechzehn mal Pi angegeben. ... Damit es in dem Sinn eine schöne Rechnung ist.* <?page no="348"?> 348 00: 41: 17: 26 L *Wenn man eben nicht den Taschenrechner braucht, sondern so weiter rechnet. Also, anders gesagt, der Taschenrechner ist nicht immer sinnvoll.* 00: 41: 29: 08 SN *Brauchst du jetzt den Taschenrechner nicht? * 00: 41: 38: 06 L So, ich werde einmal von den ersten zwei Aufgaben die Resultate angeben, bei c, da warte ich noch. 00: 42: 03: 09 L *Ah. Das gibt ein bisschen zu viel, das sind immer noch Quadratzentimeter.* 00: 42: 11: 20 L *Hm. ... Was ist da passiert? * 00: 42: 15: 23 SN *( )* 00: 42: 17: 04 L *Nein, aber -*äh*. ... Da geht es um den Flächeninhalt, Michi.* 00: 42: 21: 05 S *Ja, ich weiss.* 00: 42: 22: 04 L *Ja, aber das das ist nicht die Flächeformel, das weiss ich auch.* 00: 42: 26: 03 S *Was? * 00: 42: 27: 03 L *Was? Was ist die Flächenformel? * 00: 42: 29: 21 S *Ah, ah.* 00: 42: 37: 07 L *Ja, du kannst im Buch nachblättern, aber die solltest du jetzt langsam im Griff haben.* 00: 42: 44: 14 L *Pi mal R Quadrat ... nicht zwei Pi mal R. Aber mit dem bekommst du nie den richtigen Zahlenwert.* 00: 42: 56: 03 SN *Müssen wir die Aufgabe c mit einer Gleichung lösen? * 00: 43: 00: 04 L *Kannst es versuchen, ja. Also, klar steckt schlussendlich eine Art Gleichung dahinter, da gebe ich dir recht. ... Vielleicht eine*/ / 00: 43: 08: 09 S / / *Kann man sie auch auf einem anderen Weg lösen? * 00: 43: 10: 08 L *Ja eben, gerade wollte ich dir einen Tipp geben. Versuche dir zu überlegen, was der Radius eben ffür einen Einfluss, jetzt, um was geht es? Äh für den Flächeninhalt hat.* <?page no="349"?> 349 00: 43: 21: 04 L *Und wie der Einfluss eben jetzt wirksam wird, wenn man das eben je verdreifacht. ... Also, das musst du dir überlegen.* 00: 43: 29: 16 L *Was hat der der Radius mit dem Flächeninhalt für einen Zusammenhang? Und was ist dann der Einfluss von dem, wenn man es jetzt eben ... verdreifacht? * 00: 43: 39: 25 L *Ja.* 00: 43: 41: 09 SN *Ja, ich habe es gemerkt. Ich habe immer den Flächeninhalt anstatt den Radius, darum bin ich nicht auf fünf gekommen.* 00: 43: 46: 03 L *Jetzt nochmals.* 00: 43: 47: 01 S *Ja, ich weiss* 00: 43: 48: 00 L/ S {Gelächter} 00: 43: 48: 22 S *Ich weiss jetzt, was ich falsch gemacht habe.* 00: 43: 49: 29 L *Ja, gut. ... Immerhin so viel. Jetzt geht -*äh* auch da, ... es geht eigentlich fast alle drei an. Das könnt ihr jetzt alles ohne Taschenrechner lösen beim b.* 00: 44: 02: 27 L *Ja, ich sage es eben deswegen. ...Das ist der exakte Wert, drei im Quadrat mal Pi oder neun mal Pi. Das ist der Flächeninhalt und zwar exakt vo -*äh* vom inneren Kreis.* 00: 44: 14: 07 SN *Mhm [ja].* 00: 44: 15: 07 L *Und jetzt kann man den Flächeninhalt vom Kreisring dazuzählen, ohne den Taschenrechner zu brauchen.* 00: 44: 22: 19 S *( )? * 00: 44: 23: 19 L *Eh - Moment mal, Cordula. Ich sage euch nachher gerade die Antwort, hm.* 00: 44: 26: 21 S *( )* 00: 44: 27: 01 L *Dann wäre es fünfundzwanzig mal Pi. ... So, und jetzt musst du es wieder durch Pi teilen, weil du den Radius ja noch brauchst. Also hast du noch fünfundzwanzig, und das ist gleich? * <?page no="350"?> 350 00: 44: 36: 24 L *Das ist gleich was? ... Welche Größe? ... Ja, das ist der Flächeninhalt. Wenn ich den durch Pi teile, dann erhältst du welche Größe? * 00: 44: 45: 13 SN *Also, R.* 00: 44: 46: 28 L *Der Radius im Quadrat.* 00: 44: 48: 13 SN *R ist fünf.* 00: 44: 49: 00 L *Ja, der ist fünf. Also, von dem her ist mal alles grundsätzlich ohne Taschenrechner. Und jetzt eben deine Frauge. ...*Äh* das ist der exakte Wert.* 00: 44: 57: 06 L *Und je nachdem, wenn du mit dem Taschenrechner falsch vorgehst, bekommst du nur eine Annäherung.* 00: 45: 02: 01 SN *Aha, ja.* 00: 45: 02: 23 L *Also, von dem her ist das Vorgehen als solches schon egal, nur musst du es exakt durchführen. ... Und das ist - *äh* schlussendlich das Entscheidende.* 00: 45: 15: 26 SN *Ich verstehe das c nicht.* 00: 45: 17: 22 L *Ja, eben, da möchte ich noch nicht allzu viel verraten. Einfach den Hinweis: überlegt euch zuerst nochmals, das heisst vergegenwärtigt euch: * 00: 45: 27: 09 L *Was hat der Radius mit dem Flächeninhalt für einen Zusammenhang, sprich Formel? ...So, und jetzt, was passiert dort? ... Wenn man eben den Radius verdreifacht? * 00: 45: 37: 24 L *Was ist dann die Folge davon? ... Mehr möchte ich jetzt im Moment nicht verraten. ... Also, in dem Sinn kannst du nicht gross rechnen, sondern musst dir eben ... das überlegen.* 00: 45: 49: 15 SN *Ist das richtig ( ), dass man* 00: 45: 55: 28 L *Ja, fragt sich jetzt, was du mit dem anfängst, also. ... Die Sache als solches stimmt schon, aber was fängst du damit an? ... Was? * 00: 46: 04: 08 SN Ich habe noch eine Frage. Da ... für R undeins und zwei nimmt man da die? Und <?page no="351"?> 351 00: 46: 11: 21 L *Das sind, ja, kannst die beiden nehmen, aber sie sind eigentlich zwei beliebige Werte. Die Antwort ist immer die Gleiche.* 00: 46: 18: 00 S *Kann man es jetzt / / ausrechnen und nachher von dvon der Rechnung aus schauen? * 00: 46: 18: 22 L / / *Egal.* 00: 46: 21: 23 L *Kannst du auch machen, ja.* 00: 46: 22: 15 S *Kann man das machen? * 00: 46: 23: 12 L *Ja, dann hast du mindestens einmal einen Hinweis, wie gross das ist. ... Aber damit* 00: 46: 27: 23 S *( )* 00: 46: 28: 02 L *Damit dann noch überlegen, warum es so ist. Das ist dann auch noch notwendig.* 00: 46: 36: 04 SN *Ich habe etwas ganz Geniales herausgefunden.* 00: 46: 38: 24 L *Was? * 00: 46: 39: 21 S *Ja, dass die Fläche, dass die gleich gross bleibt.* 00: 46: 42: 10 L *Was bleibt gleich gross? * 00: 46: 43: 09 S *Da, bei c.* 00: 46: 44: 15 L *Nein, nein. Hm-m [nein].* 00: 46: 46: 12 SN *( ) sieben mal größer.* 00: 46: 48: 06 L *Hm-m [nein].* 00: 46: 48: 23 SN *Aber.* 00: 46: 49: 01 L *Eben.* 00: 46: 49: 15 S *Der Abf- Abstand doch nicht. Die Breite vom Kreis, die bleibt immer gleich gross.* 00: 46: 53: 24 L *Ja, das ist jetzt nicht mit Aufgabe sieben zu verwechseln. Dort geht es darum, dass der Umfang um einen Meter zunimmt. ... Darum / / bleibt es immer gleich.* 00: 47: 00: 14 S / / *Aber* 00: 47: 02: 02 L *Da ist jetzt nicht* <?page no="352"?> 352 00: 47: 02: 12 SN *( ).* 00: 47: 04: 06 L / / *Da ist jetzt.* 00: 47: 03: 12 SN / / *Wenn die beiden Radien ... gleich viel zunehmen, dann müsste doch die Breite ... auch gleich bleiben.* 00: 47: 10: 26 L *Ja, eben, das ist jetzt die Frage, ob die beiden Radien, also nein, ob der Umfang auch gleich gleich bleibt.* 00: 47: 18: 17 L *Das darfst du jetzt nicht verwechseln mit dem, was ich bei Aufgabe sieben erläutert habe, weil dort nimmt der Umfang um eine bestimmte Strecke zu.* 00: 47: 25: 29 S *Mhm [ja].* 00: 47: 26: 21 L *Wenn das da auch der Fall ist ... von beiden, dann ... dann gebe, dann gebe ich dir in diesem Sinn recht. Doch ob es der Fall ist? * 00: 47: 34: 09 S *Es ist nicht der Fall, es wird nämlich größer.* 00: 47: 36: 27 L *Eben, ja, darum.* 00: 47: 37: 24 S *Scheiße, ( ).* 00: 47: 59: 14 L *Also, vielleicht, Bianca, höre, den Hinweis konkretisiert. Eben, da überleg mal, was passiert mit dem / / Flächeninhalt* 00: 48: 07: 15 SN / / *Er müsste sechsmal größer sein.* 00: 48: 08: 12 L *Nein, wenn wenn es mit dem Flächeninhalt, wenn jetzt der Radius dreimal so gross wird. Das ist ja nur vom Kreis, nicht vom Kreisring.* 00: 48: 16: 23 L *Also, zum Beispiel vom kleineren Kreis, welcher den Kreisring ausmacht. Es gibt ja beim Kreisring gibt es ja immer einen kleinen und einen großen Kreis.* 00: 48: 23: 04 S *Mhm [ja].* 00: 48: 23: 26 L *Also, jetzt überleg mal, wie sich der Flächeninhalt ändert für den kleinen Kreis, und wie viel ändert der Flächeninhalt für den großen Kreis? Und die Differenz davon ist ja wieder der Kreisring.* <?page no="353"?> 353 00: 48: 44: 24 L *Hm-m [nein], Markus, das kann ich dir gleich sagen, das kannst du ausradieren. Das -*äh* ist nicht der Fall. ... Das ist nicht dasselbe Problem wie bei sieben.* 00: 48: 54: 09 L *Bei der sieben ist es darum gegangen, dass der Umfang einen Meter zunimmt. Und das ist da nicht mehr der Fall.* 00: 49: 01: 03 L So, ich möchte *Moment, Felix,* noch so verbleiben, dass die vor allem Aufgabe c auf morgen da noch studiert wird. Und zwar intensiv. 00: 49: 10: 23 L Dann den Hinweis, aufpassen noch, für alle geben, den ich einzeln gegeben habe: Man muss sich überlegen, wie gross ist der Einfluss eben, wenn man den Radius verdreifacht, für die Kreisfläche. 00: 49: 24: 12 L Also, dazu kennt ihr die Kreisflächenformel, und da liegt die Antwort darin. Eben wie viel dann auch der Kreisring zunimmt. So, das also für morgen. <?page no="354"?> 354 Videoaufnahme SW-059 Aufnahmeregion: Deutschschweiz Aufnahmedatum: 18.05.2000 Schultypus: Gymnasium, ZH Stoffgebiet: Geometrie Thema: Flächenberechnungen Art der Lektion: Einführungslektion Lektionsbeschrieb Zu Beginn wird das Thema Flächenberechnungen repetiert. Dann werden die Hausaufgaben angeschaut und zu jeder Aufgabe der Lösungsweg aufgezeigt. Im anschließenden Theorieteil stellt die Lehrperson eine neue Methode vor, wie man Flächen berechnen kann. Zwei Aufgaben werden im Klassenverband als Beispiele ausgerechnet, die restlichen Aufgaben bearbeiten die Schüler selbstständig. Ziel dieser Aufgaben ist, eine Formel für Flächenberechnungen mit der Methode der Gitterpunkte zu finden. Nach der Stillarbeit werden die Resultate korrigiert. Nun wird ein zweites Arbeitsblatt ausgeteilt, in dem es gilt, die gefundene Formel anzuwenden. Am Schluss werden die Hausaufgaben aufgegeben. Tableau Bruno Enia Toto Lehrer Wandtafel Monika Frieda Gisela Fatima Elisabeth Silvia Nadia Anatina Massimo Arno Arno B. Daniel Albert Peter Ali Sandro Jessica Sf Sf OHP <?page no="355"?> 355 Transkription SW-059 00: 04: 35: 15 L So, begrüße euch zur heutigen Nachmittagsstunde ... begrüße auch unsere Gäste, die diese Stunde mitverfolgen. Wir werden ... miteinander in der Geometrie einen Schritt weitergehen und.... 00: 04: 54: 16 L Sind im Moment dran, über Flächeninhalte zu sprechen. 00: 05: 13: 14 L Wir haben da die - Thematik, dass ich versuche, eine geometrische Fläche durch Flächeneinheiten auszufüllen und mich nach der Anzahl von solchen Flächeneinheiten frage, 00: 05: 37: 11 L die in einer 00: 05: 43: 13 L ebenen Fläche Platz haben. 00: 05: 53: 12 L Da müssen wir uns vielleicht noch über die Flächeneinheit Gedanken machen. Das möchte ich auch noch schnell anschreiben. Was ist eine Flächeneinheit bei uns? 00: 06: 08: 24 L Frieda? 00: 06: 09: 13 SN Ein Häuschen. 00: 06: 10: 22 L Ein Häuschen, ja. - Was wäre das jetzt, wenn ich's etwas geometrischer ausdrücke? 00: 06: 21: 07 L Nicht, die Häuschen kommen ja auch im Märchen vor, oder irgendwo sonst, aber ( ) in der Geometrie. 00: 06: 26: 08 L Arno? 00: 06: 26: 18 SN Ein kleines Quadrat. 00: 06: 29: 17 L Was heisst für dich klein? 00: 06: 32: 18 S *Also* - ( ). 00: 06: 38: 07 L Wie lang ist denn die Seite dieses Quadrates? 00: 06: 42: 09 L Gisela? 00: 06: 42: 22 SN Eine Längeneinheit. 00: 06: 43: 23 L Eine Längeneinheit. Die kann unter Umständen auch sehr gross sein. Also, die Flächeneinheit, das wäre ein Quadrat <?page no="356"?> 356 00: 07: 04: 09 L mit... der Seitenlänge 00: 07: 12: 13 L eins... oder eine Einheit. 00: 07: 24: 06 L Dann... haben wir diese Flächen berechnet. 00: 07: 38: 16 L Wir haben das mit Formeln gemacht. 00: 07: 44: 26 L Jetzt, in der letzten Stunde haben wir eine andere Methode... verwendet, nicht diese Dreiecksformel, oder die Rechtecksformel, oder die Parallelogrammformel. 00: 07: 53: 23 L Was war jetzt die zweite Methode, die auch in der Hausaufgabe vorgekommen ist? 00: 07: 58: 13 L Toto? 00: 07: 59: 04 SN Wir haben ein Rechteck über also, um dieses um diese Form gezeichnet und nachher gab es immer weitere kleine Dreiecksteilchen und diese - 00: 08: 12: 08 S also, man hat dann gesehen, dass so ein Dreiecksteil genau die Hälfte eines eines Rechtecks ( ). 00: 08: 18: 12 L Richtig. Und was haben wir eigentlich verwendet, um dann diese Aufteilung zu machen, die er da geschildert hat? 00: 08: 24: 13 L Nadia? 00: 08: 25: 02 SN Ein Koordinatensystem. 00: 08: 26: 14 L Richtig. Wir haben das mit Hilfe des Koordinatensystems gelöst. 00: 08: 43: 04 L Und ... in der heutigen Stunde möchte ich zuerst die Hausaufgaben kontrollieren, die mit dieser Methode zu erstellen waren und dann möchte ich euch eine dritte Methode vorführen, 00: 08: 54: 06 L mit der man auch Flächen berechnen kann, also in diesem Katalog dann eine weitere Zeile noch dazufügen. 00: 09: 01: 20 L So... und jetzt zu den Hausaufgaben. 00: 09: 13: 18 L Das waren die fünf Aufgaben...und ich möchte da die Lösungen an mit euch besprechen und gleichzeitig auch noch...je das Spezielle an jeder Aufgabe mit euch erwähnen. <?page no="357"?> 357 00: 09: 30: 28 L Der Einstieg ist ein gewöhnliches Dreieck mit lauter positiven Koordinaten. 00: 09: 39: 20 L Toto hat von diesem Rechteck gesprochen. 00: 09: 50: 21 L Ii, es ist etwas schwierig mit dem Lineal. 00: 09: 56: 26 L Was für einen Flächeninhalt bekommt man bei diesem Rechteck? 00: 10: 03: 26 L Daniel? 00: 10: 04: 13 SN Elfeinhalb Flächeneinheiten. 00: 10: 06: 00 L Nein, das Rechteck. Du bist jetzt / / bereits beim Dreieck. Ich möchte das grüne Rechteck zuerst nehmen. 00: 10: 07: 22 S / / Ach so, das Rechteck (). 00: 10: 12: 24 L Albert? 00: 10: 13: 19 SN Fünfundzwanzig (und zwei). 00: 10: 15: 29 L Fünfundzwanzig... und davon muss ich dann diese Dreiecke subtrahieren, jetzt - *äh*die Dreiecke: Wie gross ist dieses Dreieck hier? 00: 10: 25: 20 L Arno? 00: 10: 26: 11 SN Fünf. 00: 10: 27: 13 L Fünf / / Richtig. Das nächste gehe im Gegenuhrzeigersinn. Gisela? 00: 10: 27: 15 S Flächeneinheiten. 00: 10: 34: 18 SN Sechs. 00: 10: 35: 25 L Sechs...Und das letzte, das dritte, Fatima? 00: 10: 39: 18 SN Zwei Komma fünf. 00: 10: 40: 18 L Zwei Komma fünf, oder fünf Zweitel...Da kommen halbe Flächeneinheiten vor. Das kann man als gewöhnlichen Bruch oder als - *äh*- Dezimalbruch schreiben. 00: 10: 52: 15 L Jetzt, Daniel, du hast bereits das Resultat angegeben, wenn man da die Roten subtrahiert... Was hast du bekommen? 00: 10: 59: 15 SN Elfeinhalb / / Flächeneinheiten. <?page no="358"?> 358 00: 11: 00: 22 L / / Elfeinhalb. Ich lass' jetzt das mal weg, aber du hast recht... Flächeneinheiten. Was ist in der Figur zwei anders als bei der Figur eins? 00: 11: 15: 24 L Ich hab' versucht, in jeder Figur ein bisschen etwas Neues dazu zu nehmen. 00: 11: 20: 08 L Anatina? 00: 11: 20: 26 SN Es geht um die Minuszahlen. 00: 11: 22: 29 L Richtig... Negative Koordinaten kommen vor. 00: 11: 32: 21 L Ich zeichne wieder da von Hand... das grüne Rechteck ... Was für einen Flächeninhalt hat dieses Rechteck? 00: 11: 44: 08 L Jessica? 00: 11: 44: 22 SN Sechsundfünfzig. 00: 11: 45: 25 L Sechsundfünfzig. Die Ausgangsfigur.... 00: 11: 52: 19 L Dann können wir verschiedene wegzählen. Wie gross sind die Teilflächen, die nicht dazugehören? 00: 12: 01: 05 L Enia? 00: 12: 02: 24 SN *Äh*neunundzwanzig Komma fünf ( ). 00: 12: 06: 09 L Ist dann bereits das Schlussergebnis oder das, was du wegzählst? 00: 12: 09: 16 S *Äh*- Das, was ich wegzähle, ist achtundzwanzig Komma fünf. 00: 12: 13: 10 L Achtundzwanzig Komma fünf. Möchte sie trotzdem noch schnell einzeln anschreiben. Wie gross ist diese Fläche links? 00: 12: 20: 14 L Silvia? 00: 12: 21: 14 SN Vier. 00: 12: 22: 02 L Vier. Dann die größte Teilfläche da unten... 00: 12: 27: 18 L Peter? 00: 12: 28: 04 SN Einundzwanzig. 00: 12: 28: 29 L Einundzwanzig. Und dann noch die kleine Teilfläche oben, Frieda? <?page no="359"?> 359 00: 12: 36: 07 SN (Auch zwanzig) - *äh*die ( ). 00: 12: 40: 14 L Drei Komma fünf, oder sieben Zweitel, jawohl. Da hätten wir also... fünfundzwanzig, siebenundzwanzigeinhalb zu subtrahieren und dann - 00: 13: 02: 03 L Was habt ihr als Resultat bekommen? Ja? 00: 13: 04: 10 S? Siebenundzwanzig Komma fünf. 00: 13: 05: 23 L Siebenundzwanzig Komma fünf, siebenundzwanzigeinhalb, ja. 00: 13: 20: 11 L Ja... Dann die dritte Figur. 00: 13: 35: 14 L Was ist neu bei der dritten Figur? 00: 13: 40: 24 L Arno Baumgartner? 00: 13: 42: 27 SN *Äh*das ist ein Viereck. 00: 13: 45: 03 L Das ist jetzt ein Viereck, jawohl. Also nicht mehr wie oben ein Dreieck, sondern ein Viereck. Geht aber genau gleich. Wie gross ist das umschriebene Rechteck? 00: 13: 56: 25 L Toto? 00: 13: 57: 16 SN Es hat siebzig Flächeneinheiten. 00: 14: 00: 23 L Siebzig, jawohl. 00: 14: 05: 07 L Und dann werden da verschiedene weggezählt. Was habt ihr als Schlussergebnis bekommen... bei dieser Aufgabe drei? 00: 14: 18: 01 L Jessica? 00: 14: 18: 16 SN Fünfunddreißig. 00: 14: 19: 16 L Fünfunddreißig. 00: 14: 24: 07 L Was fällt auf bei der Aufgabe vier? 00: 14: 41: 23 L Massimo? 00: 14: 43: 16 SN Das Viereck hat eine einspringende Ecke. 00: 14: 45: 08 L Richtig... Was hat das für Konsequenzen auf unser Verfahren? 00: 14: 53: 05 L Enia? <?page no="360"?> 360 00: 14: 54: 07 SN Ja man muss anders aufteilen, damit man die einzelnen Teilflächen besser berechnen kann. 00: 14: 59: 07 L Wie hast du das dann gemacht? 00: 15: 00: 10 S *Also*, ich habe beim einspringenden Winkel gerade, *also* parallel zur - *äh* - X-Achse rübergezeichnet... nach rechts...und dann dort - *äh*von unten zwei...zwei zwei Häuschen nach links 00: 15: 14: 28 S und dann hoch gezeichnet durch die Senkrechte. 00: 15: 18: 10 L So... Dann bekommen wir neben den Dreiecken auch noch ein Rechteck. Hier will ich wieder mal die Teilflächen anschneianschreiben. 00: 15: 30: 26 L Beginne hier oben. Wie gross ist diese Teilfläche? 00: 15: 35: 22 L Das Dreieck oben? 00: 15: 43: 11 L Nadia? 00: 15: 43: 23 SN Sechzehn. 00: 15: 44: 26 L Sechzehn, das ist richtig. Das Dreieck links unten? 00: 15: 56: 24 L Massimo? 00: 15: 57: 21 SN Achtzehn. 00: 15: 59: 07 L Achtzehn, von sechs... mal sechs durch zwei...achtzehn. Dann das Rechteck. 00: 16: 08: 07 L Jessica? 00: 16: 09: 08 SN Zehn. 00: 16: 09: 27 L Zehn Flächeneinheiten. Dann das kleine Dreieck, das auf der linken Seite des Rechtecks liegt? 00: 16: 21: 07 L Peter? 00: 16: 22: 00 SN Zweieinzweitel. 00: 16: 23: 04 L Zweieinzweitel, oder fünf Zweitel. Und das letzte Dreieck da oben? 00: 16: 32: 23 L Ali? ... Dieses Dreieck? 00: 16: 35: 26 SN Es gibt siebeneinhalb... ( ). <?page no="361"?> 361 00: 16: 41: 00 L Das wäre dreimal fünf, fünfzehn Zweitel, richtig... Oder siebeneinhalb. 00: 16: 49: 28 L Damit kann ich alles zusammenfassen. Wie gross ist das gesamte grüne Rechteck, ... das da von minus drei bis fünf und von minus vier bis sechs geht, Elisabeth? 00: 17: 06: 20 SN *Äh*- Achtzig. 00: 17: 09: 07 L Das ist achtzig. 00: 17: 14: 14 L Dann zählen wir das weg, was da alles steht, sechzehn plus achtzehn macht vierunddreißig, vierundvierzig, vierundfünfzig. 00: 17: 27: 26 L Und als Resultat bleibt dann? 00: 17: 30: 05 L Jessica? 00: 17: 31: 10 SN Sechsundzwanzig. 00: 17: 31: 07 L Sechsundzwanzig. 00: 17: 38: 20 L Was ist das Spezielle an der Aufgabe fünf? 00: 17: 42: 29 L Monika? 00: 17: 43: 21 SN Es ist ein Fünfeck. 00: 17: 45: 15 L Ein Fünfeck und die Frage ist, ob wir beim Fünfeck auch ... zum Ziel kommen. 00: 17: 56: 17 L Was für eine Aufteilung können wir da... vornehmen? 00: 18: 07: 16 L Wenn ich ein Fünfeck habe? 00: 18: 11: 15 L Anatina? 00: 18: 12: 21 SN Ja, man könnte - *äh*- Ecken um so ein...Rech also, so ein Rechteck machen, also - . 00: 18: 19: 18 L Auch wieder mit einem Rechteck, ja... so, nicht? Da das Rechteck einzeichnen. Dann haben wir eins, zwei, drei, vier, fünf Dreiecke und ein Rechteck. 00: 18: 33: 17 L Wie heisst das Resultat der Aufgabe, ohne dass ich jetzt noch alle einzeln ausrechne? 00: 18: 41: 29 L Monika? 00: 18: 42: 23 SN Zweiundfünfzig Komma fünf. <?page no="362"?> 362 00: 18: 47: 14 L Hab’ ich jetzt etwas anderes ausgerechnet, Albert? 00: 18: 49: 25 SN Sechsundfünfzig Komma fünf. 00: 18: 51: 09 L Sechsundfünfzigeinhalb, ja. 00: 18: 53: 24 SN *Nein. Fünfundsechzig.* 00: 18: 56: 12 SN *Wieso nicht neunundfünfzig? * 00: 19: 00: 06 L Vielleicht wollen wir's trotzdem noch schnell durchrechnen. Wie gross ist das Rechteck? 00: 19: 08: 01 L Es geht von minus fünf bis fünf und es geht von minus zwei bis acht. 00: 19: 18: 02 L Das Rechteck? 00: 19: 27: 00 L Fatima? 00: 19: 27: 16 SN Zwei. 00: 19: 28: 25 L Zwei ... Ist richtig, ja ... Nur ... meint sie ein anderes, als das, was ich gemeint habe. Das ist zwei. 00: 19: 38: 08 L Ich hatte den grünen Stift in der Hand und meinte zuerst das grosse, grüne Rechteck und das ist etwas größer / / Frieda? 00: 19: 45: 13 S *Entschuldigung.* 00: 19: 47: 02 SN Hundert. 00: 19: 47: 04 L Hundert, ja... Dann gehen wir die Dreiecke durch, das links oben... Sandro? 00: 19: 57: 28 SN Sechs. 00: 19: 58: 15 L Sechs. Das links unten 00: 20: 07: 20 L Arno? 00: 20: 09: 03 SN Fünfzehn. 00: 20: 10: 16 L Vierundzwanzig, richtig. 00: 20: 14: 05 SN *Aber das ist doch fünfzehn? * 00: 20: 16: 06 L Dann das da unten, rechts unten? 00: 20: 24: 09 L Massimo? 00: 20: 25: 15 SN Fünf. <?page no="363"?> 363 00: 20: 25: 20 L Fünf. 00: 20: 28: 06 L Dann dieses hier? 00: 20: 33: 08 L Von drei bis sieben, von drei bis fünf? 00: 20: 37: 07 L Frieda? 00: 20: 37: 22 SN Vier. 00: 20: 38: 05 L Vier... Und noch das da oben? 00: 20: 47: 24 L Von minus zwei bis drei, von sieben bis acht, Toto? 00: 20: 51: 09 SN Fünf Zweitel oder zwei(Komma fünf). 00: 20: 54: 07 L Fünf Zweitel... Und jetzt muss man von hundert alle diese Zahlen subtrahieren... und würde dann sechsundfünfzigeinhalb bekommen. 00: 21: 06: 29 L Sind im Moment Fragen offen zu diesen Aufgaben? 00: 21: 16: 03 L Hätte ich auch ein Sechseck ... so berechnen können? 00: 21: 23: 18 L Fatima? 00: 21: 24: 23 SN Ja. 00: 21: 26: 26 L Du hast recht. Was müsste man voraussetzen, damit das Sechseck gehen würde? Etwas habe ich nämlich hier immer eingehalten, aber nicht davon gesprochen. 00: 21: 40: 01 L Wann funktioniert die Koordinatenmethode, Albert? 00: 21: 44: 12 SN Man geht immer auf einen - oder ge genau auf einen Kreuzungs- (). 00: 21: 48: 25 L Richtig. Wenn die Ecken alle auf einer auf einem Punkt liegen mit solchen ganzzahligen Koordinaten. Sonst müssten wir einfach noch mit Brüchen rechnen. 00: 22: 01: 08 L Wie nennt man solche Punkte, die Albert jetzt als Kreuzungen bezeichnet hat? 00: 22: 08: 13 L Frieda? 00: 22: 09: 15 SN (Schnittpunkte). 00: 22: 10: 27 L Wie sagst du ihnen? 00: 22: 11: 06 S Schnittpunkte. <?page no="364"?> 364 00: 22: 11: 27 L Schnittpunkte, ja... Oder? Habt ihr auch schon etwas anderes gehört? Ich brauche nämlich dieses Wort anschließend, drum nimmt es mich Wunder, ob ihr es schon kennt. 00: 22: 26: 22 L Man nennt das, was dahinter steht auch manchmal statt kariertes Papier ein Gitter und nennt dann diese Punkte Gitterpunkte. 00: 22: 39: 05 L Und ich möchte jetzt wenn ihr da keine Fragen mehr habt, diese dritte Methode euch vorstellen und das wäre die Methode mit Hilfe der Gitterpunkte. 00: 23: 04: 29 L Dazu... folgende Überlegung: Jetzt haben wir doch mit diesen Koordinaten endlos so so... Differenzen gerechnet und haben gar nie darauf geachtet, 00: 23: 20: 18 L was eigentlich wirklich in den Flächen drin ist. Und ich möchte versuchen, jetzt in dieser Methode mit den Gitterpunkten - *äh*folgendes einmal durchzugehen. 00: 23: 40: 20 L Ich habe wieder Vielecke, die wie bis jetzt die Ecken auf solchen Gitterpunkten haben. Und ich möchte in diesen Vielecken drin einmal untersuchen, 00: 23: 54: 18 L wie viele solche Gitterpunkte auf dem Rand des Vielecks liegen, wie viele Gitterpunkte im Innern des Vielecks liegen und ich möchte probieren, 00: 24: 06: 05 L einmal nur aus diesen Punkten heraus, den Flächeninhalt eines Vielecks zu bestimmen. 00: 24: 19: 25 L Und dazu habe ich auf einem ersten Blatt ein paar Spezialfälle aufgezeichnet... Nämlich... Rechtecke der Breite eins... 00: 24: 32: 17 L Und da hab' ich so Signaturen verwendet und die hab' ich euch da oben erklärt und die muss ich jetzt nochmals schnell mündlich erklären. 00: 24: 39: 07 L Ein Punkt, der auf dem Rand liegt, den hab' ich mit einem Kreuzlein markiert. Ein Punkt, der im Innern eines Vielecks liegt, hab' ich mit einem solchen Ringlein markiert. <?page no="365"?> 365 00: 24: 54: 25 L Und R ist für mich die Anzahl der Punkte, die auf dem Rand liegen, also da liegen für mich acht Punkte auf dem Rand. 00: 25: 06: 13 L Und der Flächeninhalt bei dieser ersten Figur, das sind drei Häuschen und das hab' ich da drüben protokolliert, acht Randpunkte und drei... Flächeneinheiten. 00: 25: 17: 26 L Da unten hab' ich ein Rechteck der Breite zwei genommen. Sobald ich die Breite zwei nehme, habe ich auch innere Punkte. 00: 25: 27: 06 L Ich habe hier zehn Punkte außen, zwei innen und einen Flächeninhalt von sechs. 00: 25: 36: 13 L Und ich habe eine dritte, spezielle Sorte gewählt: Das sind da unten Flächen mit R gleich vier. Was heisst: R gleich vier? 00: 25: 48: 06 L Elisabeth? 00: 25: 49: 00 SN Es gibt vier Gitterpunkte auf dem (Rand). 00: 25: 50: 29 L Nur vier Gitterpunkte auf dem Rand, ja... Also ich hab' da Flächen gewählt, in denen nur gerade die Ecken Gitterpunkte sind und alle andern, die sind... nicht Gitterpunkte. 00: 26: 06: 28 L Das heisst: Eine dritte Sorte... Und ich möchte, dass ihr jetzt mal diese Figuren durchgeht und schön wäre, wenn ihr dann da unten eine Formel bekommen würdet..., 00: 26: 18: 27 L wie man aus...den Punkten die auf dem Rand liegen und den Punkten, die im Innern liegen, ausrechnen kann, was für einen Flächeninhalt... diese Figur hat. 00: 26: 31: 08 L Das heisst, dass wir da unten eine Formel bekommen, die beginnt mit: A gleich... Die Fortsetzung müsst ihr bestimmen. 00: 26: 44: 18 L Dazu möchte ich euch dieses Blatt verteilen... und... ihr würdet gerade auf diesem Blatt arbeiten, die Randpunkte markieren, die innern Punkte markieren und die Werte in die Tabelle eintragen. 00: 27: 02: 17 Ss {Gemurmel} 00: 27: 10: 24 SN *Das kann gar nicht sein.* <?page no="366"?> 366 00: 27: 13: 04 S? {Gemurmel} 00: 27: 33: 03 L *Könntest du es noch hinüber geben, bitte? * 00: 27: 35: 29 L *Würdet ihr es auch gerade schnell hinüber geben? * 00: 27: 37: 03 SN *(Ja, klar.)* 00: 28: 10: 09 L Markiert bitte die Randkreu die Randpunkte mit einem Kreuz, die innern mit einem Kreislein. 00: 28: 17: 14 S? {Gemurmel} 00: 28: 26: 08 SN *Sie, ich verstehe es nicht... Muss ich jetzt da einfach / / (…)? * 00: 28: 32: 03 SN / / *Sie, gehören die Eckpunkte zu den Randpunkten? * 00: 28: 33: 27 L *Jawohl.* 00: 28: 34: 18 SN *Also einfach da überall solche Kreuzlein machen? " 00: 28: 36: 11 L *Nein, immer da, wo es auf der Linie liegt, oder, das ist doch jetzt zwei länger, siehst du? * 00: 28: 41: 01 S *Mhm.* 00: 28: 41: 13 L *Jetzt fängst du wieder an: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieb', acht neun, zehn, elf, und so weiter.* 00: 28: 48: 29 S *Mh.* 00: 28: 49: 01 L *Und dann schreibst du hin, wie viel du da hast und schaust, wie viele Flächeneinheiten es sind.* 00: 28: 53: 00 S *Mhm.* 00: 29: 50: 04 L *Hast du schon einen Zusammenhang herausgefunden: Wie könnte diese Zahl von dieser abhängen? * 00: 29: 56: 07 SN *Nicht wirklich.* 00: 29: 59: 13 L *Aber ein bisschen verwandt sind sie schon, oder? ...Oder gar nicht? * 00: 30: 04: 16 S? *Die sind einfach jetzt immer gerade.*/ / 00: 30: 07: 19 L / / *Ja*/ / 00: 30: 09: 03 S *Und sind immer vier ( ).* <?page no="367"?> 367 00: 30: 09: 22 L *Ja. Und dann kommt ja noch dazu, dass, wenn diese um zwei größer wird, wird diese um eins größer, oder. Und wenn diese um vier größer wird, wird diese um zwei größer.* 00: 30: 21: 24 L *Musst einmal schauen, ob du aus dem einen Zusammenhang herausfinden kannst.* 00: 30: 29: 16 L *Du, da machst du mir nicht so Freude, oder. Wenn ich sage, ich hätte alle - R gleich vier, kannst du mir eigentlich da vorne nicht plötzlich acht hinschreiben.* 00: 30: 37: 14 SN *Was? Das begreife ich nicht. Was muss ich machen? * 00: 30: 39: 27 L *Weißt du, das hadas haben wir ja gesagt, das sind Flächen, bei denen R gleich vier ist, das heisst: Nur gerade die vier Ecken/ / ( )* 00: 30: 45: 06 S *(Nur R) - Ja, Sie, das stimmt nicht ganz, wissen Sie. / / Weil das sind dann eben gleich. / / 00: 30: 49: 04 L / / *Wieso? */ / *Das sind keine Gitterpunkte, die du (jetzt gemacht hast)/ / 00: 30: 52: 14 S / / *Ja, schon, aber das kommt dann gleich, wie wenn es äh einfach gerade stehen würde.* 00: 30: 56: 15 L *Nein. Das stimmt nicht.* 00: 30: 58: 13 S *Doch, wenn (man das darf mitzählen) schon.* 00: 31: 00: 11 L *Du darfst die aber nicht zählen, diese (Häuschen).* 00: 31: 02: 11 S *Wieso nicht? * 00: 31: 03: 21 L *Weißt du, das sind keine Gitterpunkte, die liegen ja in der Mitte. Ich gehe ja von da bis da um einen hinüber und dann liegt dieser gerade in der Hälfte.* 00: 31: 10: 22 S *Okay...(ist ja gut).* 00: 31: 12: 01 L *Weißt Du, wenn man da R gleich vier, musst du ja im Prinzip in dieser Kolonne( )/ / * 00: 31: 16: 15 S / / *(Merci), der Rest stimmt aber, oder? ... Eins, zwei, (drei, vier) / / * 00: 31: 22: 19 L / / *Ich habe den Eindruck, ja.* 00: 31: 24: 12 S *Sie, stimmt das? * <?page no="368"?> 368 00: 31: 25: 00 L *Das sieht gut aus.* 00: 31: 26: 13 S *Sind das vier ( )? * 00: 31: 27: 18 L {flüsternd}*(Was) sind das für Zahlen? * 00: 31: 29: 12 S *Ja, Sie! Was, was( )! * 00: 31: 30: 25 L *Eins, vier und neun.* 00: 31: 32: 09 S *Eins, vier und neun, das ist - äh - diese, das sind die (Pünktchen), wie viel ( ) es drin hat.* 00: 31: 41: 02 L *Ja, es ist richtig. Nein, ich habe gemeint, weißt du, es sind ja gerade die Quadratzahlen, die da vorkommen.* 00: 31: 44: 14 S *Aha! ( )/ / Ja.* 00: 31: 45: 19 L / / *Oder. Vorne hast du vier und dann eine Quadratzahl. 00: 31: 50: 11 SN *Sie ( )? * 00: 31: 54: 16 L *Hm.* 00: 31: 55: 09 S *( ) diese zwei Ecken ( ).* 00: 31: 58: 06 L *Ja, weißt du, jetzt musst du ja keine Ecken ausrechnen, jetzt musst du nur die Punkte zählen.* 00: 32: 00: 19 S *Wieso, man muss doch den Inhalt - *äh* -./ / * 00: 32: 03: 15 L / / *Aha! Ja das ist wahr! Richtig, ja.* 00: 32: 05: 23 S *( ). Sie aber kann man das nicht einfach kann man jetzt nicht einfach denken / / es ist so? * 00: 32: 09: 00 L / / * Du müsstest müsstest dieses und das unterste zusammennehmen, einfach, ja.* 00: 32: 13: 14 S *Ah und dann gibt es drei/ / * 00: 32: 14: 19 L / / *Zu einem Rechteck, ja.* 00: 32: 15: 29 S *Ja, aber dann müsste ( )? Dann komme ich wieder aufs Gleiche? ... Dann muss ich diese zwei ( ).* 00: 32: 21: 13 L *Ja.* 00: 32: 21: 25 S *Ah, die geben dann zwei.* 00: 32: 23: 05 L *Mhm.* <?page no="369"?> 369 00: 32: 24: 01 S *Ah , so....also! * 00: 32: 27: 20 Ss {Gemurmel} 00: 32: 53: 25 SN *Sie äh stimmt das? " 00: 33: 02: 06 L *Sehr schön, ja. Die Klammer wäre nicht nötig, oder? * 00: 33: 06: 02 S *Ja, ich weiss, aber es sieht schöner aus.* 00: 33: 07: 22 L *Sehr schön, ja, es ist gut.* 00: 33: 09: 26 L *Gut, ja, stimmt! * 00: 33: 12: 14 L Also...Unterbrecht bitte mal die Arbeit, wir gehen... dieses Blatt durch! 00: 33: 19: 18 L Was für Zahlen habt ihr in der obersten Tabelle erhalten? 00: 33: 28: 29 L In diesem Fall eins? ... Bruno? 00: 33: 32: 07 SN *Äh*zwölf R und fünf A. 00: 33: 38: 03 L Zwölf... und fünf... gut, richtig. 00: 33: 44: 03 L Monika? 00: 33: 45: 26 SN R gleich vierzehn, A gleich sechs. 00: 33: 48: 20 L Vierzehn... sechs...Und jetzt kommt noch das unterste da, das...Einheitsquadrat, die Flächeneinheit im Prinzip. Nadia? 00: 33: 59: 20 SN R vier und A eins. 00: 34: 01: 23 L Vier, eins. Habt ihr da einen Zusammenhang gesehen zwischen dem A und dem R, wenn wir mal ohne innere Punkte arbeiten? 00: 34: 14: 08 L Toto? 00: 34: 14: 25 SN Minus zwei, also R minus zwei und dann durch zwei gleich A. 00: 34: 18: 27 L Richtig... Man muss die Zahl von R halbieren und noch eins wegzählen. R Zweitel minus eins. 00: 34: 34: 09 L Jetzt gehen wir in den zweiten Fall. 00: 34: 40: 15 L Was habt ihr da herausgefunden für die zwei anderen Figuren in der Tabelle drin? <?page no="370"?> 370 00: 34: 49: 12 L Also da, die zweite Figur. 00: 34: 52: 27 L Arno? 00: 34: 54: 04 SN R zwölf und drei, A acht. 00: 34: 57: 20 L Zwölf... drei... acht. Und dann die untere Figur? 00: 35: 08: 18 L Peter? 00: 35: 09: 08 SN Sechzehn, fünf, zwölf. 00: 35: 12: 05 L Sechzehn... fünf... zwölf... 00: 35: 19: 24 L Wenn wir jetzt oben dieses R Zweitel minus eins betrachtet haben..., was hätten wir denn, wenn wir von diesen Zahlen R - R Zweitel minus eins ausrechnen? 00: 35: 43: 25 L Bei zehn, wie viel gibt R Zweitel minus eins? Frieda? 00: 35: 48: 10 SN Vier. 00: 35: 49: 08 L Das gäbe vier. Bei zwölf? 00: 35: 55: 21 L Frieda? 00: 35: 56: 07 S Fünf. 00: 35: 56: 25 L Fünf. 00: 35: 58: 05 S? ( ) 00: 35: 59: 23 L Und bei sechzehn hätten wir sieben. Und jetzt möchte ich gern die vorderste Kolonne blau mit der hintersten vergleichen und nachsehen, was da das I für einen Einfluss haben könnte? 00: 36: 15: 10 L Albert? 00: 36: 15: 28 SN Die blaue Zahl plus vier gleich acht. 00: 36: 18: 27 L Richtig. Jetzt können wir offensichtlich da... diese Zahl nehmen und diese Zahl nehmen und das gibt dann die da hinten. 00: 36: 37: 05 L Was könnt' ich also jetzt da unten hinschreiben, in dieses schwarze Feld? 00: 36: 47: 01 L Wenn wir da das blaue nehmen und das da drüben ... Arno? 00: 36: 51: 14 SN A gleich R Zweitel minus eins plus/ . <?page no="371"?> 371 00: 36: 56: 08 L Richtig. A gleich R Zweitel... plus I... und minus eins... 00: 37: 07: 10 L Aber jetzt müssen wir natürlich nachsehen, ob das auch gilt, wenn jetzt das nicht einfach Rechtecke sind, die so schön parallel sind zu den Koordinatenachsen. 00: 37: 15: 11 L Wie sieht denn das aus, wenn ich diese Figur wähle da? 00: 37: 23: 01 L Ich habe vier...Diagonalen gezeichnet von solchen... Quadrätlein. 00: 37: 36: 23 L Was für Zahlen müsste ich eintragen bei R, bei I und bei A? 00: 37: 41: 19 L Enia? 00: 37: 42: 27 SN Vier, eins und zwei. 00: 37: 44: 11 L Vier..., eins ... und zwei. Vier Randpunkte, einen in der Mitte & die Fläche besteht aus vier halben Quadrätlein. 00: 38: 00: 06 L Wie würde es denn da unten aussehen? 00: 38: 04: 13 L Bei dieser Figur? 00: 38: 13: 03 L Peter? 00: 38: 13: 29 SN Vier, vier und fünf. 00: 38: 17: 18 L Vier...vier... und für den Flächeninhalt? 00: 38: 29: 20 L Frieda? 00: 38: 30: 12 SN Auch vier. 00: 38: 34: 17 L Da ist sie etwas schwieriger, nicht, da muss man natürlich nachsehen, wie man das aufteilen könnte. 00: 38: 42: 21 L Ich nehm das schnell nach oben... Da könnte ich zum Beispiel diese Aufteilung machen. 00: 38: 55: 17 L Wie gross ist da ein solches, kleines Drei ein solches, kleines Dreieck? 00: 39: 06: 18 L Elisabeth? 00: 39: 06: 26 SN Eine Flächeneinheit. 00: 39: 08: 06 L Das ist eine Flächeneinheit. Das ist eins, das ist eins, das ist eins und eins ist noch in der Mitte. Also sind das insgesamt fünf Flächeneinheiten. <?page no="372"?> 372 00: 39: 20: 16 L Und diese fünf Flächeneinheiten, die entsprechen wieder gerade dieser Formel, wie wir sie hatten. 00: 39: 30: 26 L Wie würde es denn da aussehen? 00: 39: 45: 22 L R... I... und A? 00: 40: 00: 03 L Silvia? R? 00: 40: 02: 26 SN Vier, neun und zehn. 00: 40: 04: 12 L R wäre vier. 00: 40: 10: 04 L Innere Punkte sind's neun... und jetzt müssen wir schnell nachsehen, wie gross ein solches Dreieck ist, was was würde man da anschreiben? 00: 40: 19: 25 L Toto? 00: 40: 20: 16 SN Eineinhalb. 00: 40: 22: 07 L Eineinhalb oder drei Zweitel, viermal diese drei Zweitel und in der Mitte vier. 00: 40: 33: 00 L Drei... plus drei plus vier, das wäre zehn. 00: 40: 40: 22 L Auch wieder mit dieser Formel aus zurechnen... Aber... die Schwierigkeit ist natürlich, ob diese Formel jetzt auch gilt, wenn ich nicht so etwas Spezielles mache. 00: 40: 55: 15 L Und - *äh* deshalb ... hab' ich jetzt auf einem zweiten Blatt wieder Figuren zusammengestellt..., wie ihr sie in der Hausaufgabe angetroffen habt. 00: 41: 08: 19 L Und jetzt möcht' ich aber an den Anfang diese Vermutung stellen, die da oben steht und euch bitten, mal die durchzutesten, ob die Formel auch in diesen Figuren... gilt. 00: 41: 20: 11 L Ich muss dazu allerdings dann noch eine Bemerkung machen bei den untern drei Figuren. 00: 41: 25: 28 S? *( ) wenn ( ) also, kein Punkt auf der Ecke ist, dann stimmt das nicht, oder? * 00: 41: 32: 07 L *Nein ... Schau, da oben habe ich's hingeschrieben. Es müssen diese Eckpunkte müssen Gitterpunkte sein. Ich komme gleich wieder.* 00: 41: 44: 13 L *Ihr habt schon.* <?page no="373"?> 373 00: 41: 46: 02 L *Würdet ihr sie bitte weiter nach hinten geben? * 00: 41: 51: 28 L *Habt ihr schon? Nein.* 00: 41: 59: 03 L *Darf ich euch das hinübergeben? * 00: 42: 16: 03 L Da müssten wir natürlich jetzt oben eintragen, was bei uns unten als Resultat stand, das möchte ich euch als erstes mal bitten. 00: 42: 27: 06 L Da oben käme jetzt R Zweitel. 00: 42: 35: 08 L Plus I... minus eins... Das hab' ich da übernommen. 00: 42: 44: 26 L Ich möchte, dass ihr's ausprobiert an einem rechtwinkligen Dreieck, 00: 42: 51: 28 L an einer Figur mit einer einspringenden Ecke, 00: 42: 57: 16 L und neu da unten noch, und diese Signatur muss ich euch noch erklären, an einem Vieleck mit einem Loch drin. Da zählt das in der Mitte nicht mit. 00: 43: 09: 08 L Also das wäre... ausgeschnitten. 00: 43: 17: 02 L Das ist ausgeschnitten. 00: 43: 24: 03 L Ich möchte, dass ihr überprüft, ob die Formel in diesen Figuren gilt... und wenn sie nicht gilt, wie man sie retten könnte. 00: 43: 54: 00 L Hier sind alles Figuren, bei denen ihr den Flächeninhalt auch mit Formeln rechnen könntet und deshalb die...vermutete Formel überprüfen könnt. 00: 44: 06: 04 SN *( ), da welches muss da genau ()? * 00: 44: 10: 11 L *Das ist eine gute Frage äh was denkst du? Wie manchen siehst du? * 00: 44: 18: 20 S *Ja, einen.* 00: 44: 19: 19 L *Einen, ja.* 00: 44: 21: 15 S *Mhm.* 00: 44: 22: 23 L *Ich möchte aber eigentlich gerne von dir wissen, wie man die Anzahl an Punkten da drauf bestimmen kann, wenn man die zwei Zahlen kennt.* <?page no="374"?> 374 00: 44: 30: 08 L *Darum habe ich zwei ganz ähnliche Figuren gemacht, und wenn du beide angeschaut hast, siehst du es vielleicht.* 00: 44: 38: 25 L Elisabeth hat eine ganz wichtige Frage gestellt, nicht. Die Frage nämlich, wie viele... Gitterpunkte auf der längsten Seite dieses rechtwinkligen Dreiecks liegen. 00: 44: 52: 04 L Da habe ich zwei ganz verwandte Figuren gezeichnet & bin froh, wenn wir darüber auch noch sprechen können dann. 00: 44: 59: 25 L Wie viele Gitterpunkte legen auf der längsten Seite ..., wenn man die beiden andern Seiten kennt. 00: 45: 21: 21 L *Geht's? * 00: 45: 23: 28 SN *Ja ( ), bei denen geht's. 00: 45: 25: 11 L *Da hast du? ... Einen und da zwei.* 00: 45: 28: 08 S *Aber das ist immer R ist - ( ). Stimmt das? (Die Berechnung da? )* 00: 45: 34: 13 L *Mhm.* 00: 45: 41: 24 L *(Komm, halte noch durch, Jessica)* 00: 45: 43: 17 S *(Wie? )* 00: 45: 44: 16 L *( )* 00: 45: 44: 26 S *Nein.* 00: 45: 52: 00 L *Geht's bei euch auch? * 00: 45: 54: 08 SN *Nein, ich habe das zuerst mal ( ) so ausgerechnet, es geht nicht.* 00: 45: 57: 06 L *Was? * 00: 45: 57: 25 S? *Also, die Formel geht nicht.* 00: 45: 58: 28 L *Oh jetzt machst du mich aber traurig! * 00: 46: 04: 15 S *Aber es geht wirklich nicht () sechzehn-R-siebzehn ()/ / * 00: 46: 09: 11 SN / / *(Aber R musst du vielleicht) mal zwei rechnen.* 00: 46: 10: 26 SN *Nein, durch zwei.* <?page no="375"?> 375 00: 46: 11: 28 L *R muss man durch zwei rechnen. Wie (weit) bist du dann gekommen bei R? ... Hm? * 00: 46: 15: 24 S *Sechzehn... und dann gibt's / / (R)* 00: 46: 16: 29 L / / beim R? 00: 46: 17: 19 S *Ja... eins, zwei drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, fünfzehn / / sechzehn.* 00: 46: 24: 20 L *Sechzehn, gut, acht und innere hast du? * 00: 46: 27: 11 S *Siebzehn.* 00: 46: 29: 01 SN *Ja, Sie. Es geht auch nicht, beim zweiten ( )/ / .* 00: 46: 30: 13 SN / / *() sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn. Und dann acht plus eins gibt nicht siebzehn, das gibt neun.* 00: 46: 40: 09 S *Äh - / / gibt, gibt neun, aber eigentlich / / wäre es vierundzwanzig.* 00: 46: 42: 28 L / / *Also/ / Jetzt hättest du da... vierundzwanzig, oder, und sechs mal acht gibt? * 00: 46: 47: 26 L *Achtundvierzig, und die Hälfte von achtundvierzig ist vierundzwanzig.* 00: 46: 52: 05 SN *Ja, aber/ / es würde neu es würde/ / neun geben.* 00: 46: 54: 28 SN *Aber...aber da würde es neun geben...würde.* 00: 46: 58: 14 L *Wieso meinst du, neun? * 00: 46: 59: 18 SN *Geteilt durch zwei/ / ist achtzehn* 00: 47: 00: 06 SN */ / achtzehn.* 00: 47: 01: 24 S *Also es gibt acht...Dann...minus eins gibt nicht siebzehn. Es würde es würde sieben geben, sogar.* 00: 47: 09: 19 SN *Nein, du musst, natürlich so rechnen: Acht plus siebzehn/ / minus eins gibt vierundzwanzig* 00: 47: 13: 11 L / / *Fünfundzwanzig weg eins/ / vierundzwanzig... und sechs / / mal acht durch zwei ist auch vierundzwanzig, Gisela, schöner könnte es fast nicht sein! * 00: 47: 21: 14 SN *Du, Frieda,( )* <?page no="376"?> 376 00: 47: 22: 14 S *Aber sechs mal acht gibt doch vierund(zwanzig) ().* 00: 47: 25: 26 L Die Hausaufgabe auf den Freitag... das wäre... sicher die fünf ohne Loch einmal durchrechnen und dann die Aufgabe, wie man das abändern muss, wenn ein Loch in der Figur drin ist. 00: 47: 49: 16 L Das wäre die Hausaufgabe... *Hat jemand eine Frage zur Hausaufgabe? * 00: 47: 53: 16 SN *( )? * 00: 47: 54: 16 L *Morgen, ja* 00: 47: 55: 20 SN *Ja, sie( ).* 00: 47: 56: 25 S? {Schwatzen) 00: 47: 58: 06 L Dieses Blatt. 00: 48: 00: 11 L *Gut...Prima.* <?page no="377"?> 377 Videoaufnahme SW-074 Aufnahmeregion: Deutschschweiz Aufnahmedatum: 09.06.2000 Schultypus: Gymnasium, AG Stoffgebiet: Geometrie Thema: Trapezkonstruktionen Art der Lektion: Übungslektion Lektionsbeschrieb Nach der Begrüssung nimmt der Lehrer Bezug auf die letzte Stunde: Als Vorbereitung für die nachfolgenden Aufgaben wird repetiert, welche Sätze bei Konstruktionen von Trapezen von Bedeutung sein können. Der Lehrer erarbeitet eine Aufgabe mit der Klasse, danach arbeiten die Schüler in Einzelarbeit an weiteren Konstruktionsaufgaben zum Thema Trapez. Der Lehrer unterstützt die Schüler während der Einzelarbeitsphase. Am Schluss bespricht er den Lösungsweg einer etwas schwierigeren Aufgabe und entlässt anschließend die Schüler in die Pause. Tableau Monika Sf Sm Sm Norman Claudio Ruedi Daniel Lea Sm Sf Erika Sf Alfred Silvia Claude Lehrer Wandtafel Sf Ivo Florian Sf Paul Sf OHP <?page no="378"?> 378 Transkription SW-074 00: 04: 34: 01 L *Gut, guten Tag miteinander, ihr alle. Äh, wir werden heute gefilmt und ich hoffe, die Stunde läuft ganz normal ab. Wir beginnen jetzt um zehn vor zwei.* 00: 04: 45: 06 L *Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt trotzdem fünfundvierzig Minuten Schule machen, dann fünf Minuten Pause, verzögert. Und nachher geht es ganz normal weiter, hm? *. Okay. 00: 04: 58: 10 L Einige von euch haben die Verbesserung abzugeben. *Äh*, Claudio hat sie schon gebracht. Monika, Daniel & Lea … darf ich die/ / noch schnell haben? 00: 05: 06: 17 SN / / *Ich habe sie Ihnen schon gegeben.* 00: 05: 07: 29 L Ja, in Physik ja. Daniel, darf ich die auch noch schnell? Okay. Merci. 00: 05: 18: 18 L Dann möchte ich kurz auf die letzte Stunde zurückkommen. *Äh*, im Buch Seite zweihundertfünf die letzten Konstruktionsaufgaben da zum Trapez und zu den Rauten. 00: 05: 45: 03 L Bis und mit Nummer siebenundneunzig. Noch einmal die Lösungen von siebenundneunzig A B. 00: 05: 55: 06 SN *Das haben wir gar nicht gemacht.* 00: 05: 57: 18 SN *Sie? * 00: 05: 57: 19 L Ja? 00: 05: 58: 17 S *Das haben wir noch nicht gemacht.* 00: 05: 59: 29 L *Äh*, von sechsundneunzig mein ich, von der Raute und vom Parallelogramm wollt ich nehmen. 00: 06: 12: 23 L Die waren ja besonders einfach da mit dem...Kreuz, der ... Diagonalen. Ich nehme nicht an, dass es dazu Fragen gibt. Aber vielleicht möchte jemand noch eine ergänzende Frage stellen. 00: 06: 34: 27 L Braucht jemand Folien davor? Fünfundneunzig? <?page no="379"?> 379 00: 06: 42: 05 L Okay. Dann können wir heute mit der Siebenundneunzig starten. 00: 07: 00: 10 L Ihr habt acht der zehn Teilaufgaben gelöst, vielleicht habt ihr jetzt die weggelassen. 00: 07: 08: 10 L Alles klar? Wunderbar. 00: 07: 22: 11 L Trapez, Erika, kenn ich im Zirkus, oder? Ja, du auch. *Äh*, wie muss ich ein Trapez zeichnen? Was sind die Eigenschaften? 00: 07: 32: 15 L Du kannst auch im Buch spionieren. Vielleicht siehst du’s aufgrund der Skizze? 00: 07: 38: 03 SN *Äh,* A und C sind *äh* sind parallel zueinander. 00: 07: 42: 15 L *M-h* [Ja]. 00: 07: 47: 07 L Ist das gut so, oder müssen die irgendwie untereinander liegen? 00: 07: 53: 11 S Also ja, aber (so, sonst gäbe es ein Rechteck). 00: 07: 56: 25 L Mh, also verbinde ich da 'mal ... also a und c parallel. Weißt du noch etwas über Winkel? 00: 08: 13: 24 L Diese speziellen Eigenschaften brauchen wir ja nachher in der Konstruktion. Monika? 00: 08: 19: 10 L *Ah*, hast du nicht aufgestreckt? 00: 08: 20: 25 SN *Nein.* 00: 08: 21: 16 L *Aha*, Ivo? 00: 08: 22: 28 SN Alpha und Delta geben zusammen hundertachtzig Grad. 00: 08: 26: 26 L Mh [ja]...weil hier oben ist ein Stufenwinkel, und das ist dann der Nebenwinkel. Okay? 00: 08: 37: 09 L Genau gleich natürlich Beta Gamma. Jetzt zu den Diagonalen. 00: 08: 47: 13 L Stehen die rechtwinklig oder halbieren sie sich? Florian? 00: 08: 52: 19 SN *Keins von beidem* 00: 08: 53: 18 L Nix. Wir haben hier einen Winkel. Weißt du, wie der heisst? <?page no="380"?> 380 00: 08: 59: 27 S *Äh*, E F, *äh* Winkel E F. 00: 09: 05: 19 L Ja, wenn das E und das F ist, kannst du sagen, das ist Winkel EF. Oder? Ja? 00: 09: 10: 27 SN (Ypsilon). 00: 09: 11: 19 L Mh [ja] und der Punkt wäre E, hm. Okay. 00: 09: 16: 14 L All diese Dinge kommen unten vor und noch eine besondere Angabe in Nummer B bei siebenundneunzig. 00: 09: 31: 02 L Erika? 00: 09: 31: 25 SN H. 00: 09: 34: 09 L Und H wäre? 00: 09: 38: 26 L Ja? 00: 09: 39: 09 S? Die Höhe A C. 00: 09: 41: 00 L Mh [ja], also der Abstand der beiden Parallelen eigentlich, hm. Okay. Gut. 00: 09: 50: 08 L Es ist wichtig, dass ihr nachher beinden Konstruktionen immer eine Skizze macht und die gegebenen Stücke wie immer eintragt, oder? Mit Farbe und dann seht ihr auch *äh* einen möglichen Weg. 00: 10: 02: 11 L Wir schauen zusammen ein solche Aufgabe an, ganz kurz. Dann könnt ihr selber suchen, wie das gehen kann. Es sind die allerletzten Konstruktionen in diesem Schuljahr. 00: 10: 14: 04 L Nachher wird nur noch gerechnet. 00: 10: 23: 26 L Hat jemand einen Tipp, womit ich beginnen könnte, Norman? 00: 10: 27: 14 SN Mit dem Höhenstreifen. 00: 10: 28: 20 L Mh [ja]. Weiter. 00: 10: 33: 00 S Einen Kreis um A mit Radius D, geschnitten mit dem Höhenstreifen ergibt D, dann C abtragen. 00: 10: 39: 21 L Mh, welchen Schnittpunkt nimmst du? Stell dir vor, du hast zwei Parallelen, steckst ein, machst da einen Bogen und das schneidet dann an zwei Punkten. <?page no="381"?> 381 00: 10: 49: 25 L Welchen nimmst du, den linken oder den rechten? 00: 10: 52: 02 S Den rechten, weil er der Skizze entspricht. 00: 10: 54: 00 L Mh, kannst du so w*äh*len oder? Okay. 00: 10: 58: 19 S Dann C abtragen, ergibt C und dann einen Kreis um B *äh* um C mit Radius B gibt B. 00: 11: 04: 28 L Vielleicht auch wieder zwei Lösungen. Okay. Also da gibt's viele Varianten, ihr wählt eine aus. Es heisst, konstruiere ein Trapez. Vielleicht habt ihr dann halt nebeneinander nicht genau die gleiche. 00: 11: 15: 16 L Hm? Könnt ihr vergleichen. Ich lasse euch gerne jetzt in diesen ... Beispiel und an den anderen arbeiten, Nummer siebenundneunzig A bis D. 00: 11: 26: 23 L Ich helfe jenen, die Fragen haben. Okay. 00: 12: 56: 12 L *Das ist deine/ / die ist gut, ja.* 00: 12: 56: 20 SN / / *Ist gut? * 00: 12: 58: 26 L *Lea, sitzt da...ah da. Claudio, ist gut, merci.* 00: 13: 08: 26 L *Lea, da ist auch bestens und das ist auch gut.* 00: 13: 12: 02 SN *Merci*. 00: 13: 16: 06 L *Das Werkzeug hast du hier, Claude? 00: 13: 18: 19 SN ()/ / () 00: 13: 19: 11 L / / Ah...ah. 00: 15: 29: 23 L *Du kannst das schon einpacken, Paul, es gibt ja keine Aufgaben auf den Dienstag mehr.* 00: 15: 35: 09 SN *Herr/ / Erismann? * 00: 15: 35: 08 L / / *Ja*? 00: 15: 35: 28 S *Da hinten, bekommen wir zu diesen Serien noch die Lösungen? * 00: 15: 39: 29 L *Ja. Arbeitest du schon daran? * 00: 15: 42: 27 S *Ich würde gerne beginnen.* 00: 15: 45: 08 L *Ich kann dir diese schon herausgeben. Welche Nummer hast du? * <?page no="382"?> 382 00: 15: 48: 19 S *Mh, sechzehn.* 00: 15: 49: 23 L *Sechzehn, gut.* 00: 15: 56: 13 L *Ach.* 00: 17: 16: 12 L *Sechzehn.* 00: 17: 29: 06 L *Das ist die Serie A./ / Reicht dir die 'mal? * 00: 17: 30: 04 S / / *Merci.* 00: 17: 32: 12 S *Ja, die genügt.* 00: 17: 34: 02 L *Okay.* 00: 17: 58: 09 L *Ist fast ein bisschen zu einfach, he? * 00: 18: 01: 13 S *Hm, das Nächste ist auch nicht so schwer.* 00: 18: 05: 22 L *Wie viele Lösungen hat es da, bei dieser Aufgabe? Total? Beim B? * 00: 18: 13: 15 S *Vier.* 00: 18: 14: 09 L *Mh [ja]. Sogar die beiden Inneren könntest du kombinieren, gibt ein bisschen ein komisches / / Ding, aber ... mh.* 00: 18: 19: 12 S / / *Ja.* 00: 19: 07: 23 L *Habt ihr eigentlich heute Morgen Schule gehabt? * 00: 19: 10: 11 SN *Heute Morgen? Ja.* 00: 19: 11: 03 L *Weil niemand unterschrieben hat im Kla-Bu.* 00: 19: 13: 11 S *Ah, nein (Herr Studer hat es wieder einmal vergessen) ( ).* 00: 19: 18: 09 SN *(Sind wir uns) langsam gewohnt.* 00: 21: 33: 05 L *Ja? * 00: 21: 33: 13 SN *(Müssen das diese machen, wer die Siebenundneunzig fertig hat)* 00: 21: 35: 05 L *Ja, für die, die schneller fertig sind, hm.* 00: 21: 40: 11 L *Da kannst du dir die Zähne ausbeißen.* 00: 21: 45: 10 SN *Was dürfen wir nachher machen? * <?page no="383"?> 383 00: 21: 46: 29 L *Die an der Tafel... Die ist zweihundert Prozent schwieriger.* 00: 21: 53: 05 S *Ja? * 00: 21: 53: 22 L Mh [ja]. 00: 22: 01: 19 L *Du bist auch bald fertig, Claude, D. Wenn du es fertig / / Ja.* 00: 22: 04: 22 SN / / () 00: 22: 08: 23 L *Ja, ist gut.* 00: 22: 09: 04 SN *A, B, C, D.* 00: 22: 10: 10 L Mh [ja]. 00: 22: 14: 25 SN *Woher haben Sie die Aufgabe dort ()? * 00: 22: 16: 11 L *Wie? * 00: 22: 17: 08 S *Woher haben Sie diese Aufgabe? * 00: 22: 18: 18 L *Aus dem Viertklassbuch.* 00: 22: 20: 08 S *Hohoho.* 00: 22: 22: 27 SN *(Das schaffen wir locker, Claude.)* 00: 22: 25: 12 S *Geht genau gleich.* 00: 22: 26: 13 SN *Stimmt das? Ich kann nicht mehr.* 00: 22: 34: 21 {Handy- Musik beginnt zu erklingen, Gelächter in der Klasse} 00: 23: 02: 06 SN (*Lea, lösen wir die Vier, nicht wahr? )* 00: 23: 05: 22 SN *Ja.* 00: 23: 07: 20 SN *Ja, ich glaube schon. Du musst*/ / () 00: 23: 08: 09 SN / / (*Oder du kannst es so machen*)() 00: 23: 10: 16 SN *Ja, bei mir auch, A eins, A zwei, B eins, B zwei.* 00: 23: 14: 16 SN *() vier Lösungen ().* 00: 23: 18: 21 L *Deines ist noch nie losgegangen, Silvia? * 00: 23: 20: 14 SN *Was? * <?page no="384"?> 384 00: 23: 20: 24 L *Deines ist noch nie losgegangen in der Stunde? Und was passiert? * 00: 23: 23: 15 S *Es hat einfach bei Herr Studer gepiepst und dann hat er gesagt, ja, man könne solche Sachen auch abschalten. Seit dann ist/ / es mir nicht mehr passiert.* 00: 23: 30: 18 L / / *Wenn man daran denkt.* 00: 23: 39: 08 L Mh? 00: 23: 40: 07 SN *(Der Arme) ist fast draufgegangen.* 00: 23: 43: 04 L *Du hast deines ausgeschaltet? * 00: 23: 44: 18 S *Ja.* 00: 23: 45: 07 L *Das ist gut.* 00: 24: 03: 03 SN *Ach Gott, ist das heiß.* 00: 24: 05: 16 L *Es ist ziemlich schlimm, nicht? * 00: 24: 06: 26 SN *In einer normalen Mathematikstunde wäre es viel lauter? * 00: 24: 09: 15 L *Ja? * 00: 24: 09: 25 SN *Alfred hält so schön seinen Mund heute, das ist so / / praktisch.* 00: 24: 13: 21 SN / / *Normalerweise macht er immer eine Schnute* {unterstreicht es mit einem passenden Geräusch}. 00: 26: 44: 23 L *Siebzehn, sechzehn, fünfzehn, vierzehn.* 00: 27: 14: 19 L *Achtzehn.* 00: 27: 54: 07 L *Ja? * 00: 27: 54: 15 SN *Sie, das F und E, sind die dann gleich? * 00: 27: 56: 28 L *Nein.* 00: 27: 57: 26 S *Nicht.* 00: 27: 58: 21 L *Nein.* 00: 28: 06: 00 L *Oh, es ist eng, he? Ja.* <?page no="385"?> 385 00: 28: 11: 21 SN *Wenn ich hier () ich habe jetzt zuerst A gemacht, dann Beta abgetragen/ / irgendwo zwei Striche gemacht / / Gamma () im C/ / dann von dort ein Kreis. 00: 28: 17: 06 L / / Mh. 00: 28: 19: 13 L / / Mh. 00: 28: 21: 29 L / / Mh. 00: 28: 22: 28 S *Dann dort, wo es sich schneidet sollte, wäre D. Das wäre bei mir hier oben. Dann istist es anders als in der Lösung ... (von der Länge her, jetzt)* 00: 28: 35: 15 L *Dein A stimmt nicht.* 00: 28: 41: 02 S *Das A stimmt nicht? * 00: 28: 41: 13 L *Der Weg scheint mir gut, aber du hast dich wahrscheinlich verguckt und sechseinhalb genommen, oder.* 00: 28: 47: 14 L *Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, ja. 00: 28: 49: 26 S *Okay. Ich mache es noch einmal.* 00: 28: 52: 24 L *Darum ist es ein Parallelogramm geworden, jetzt.* 00: 28: 54: 27 S *Okay.* 00: 31: 02: 10 SN *Da, wenn ich jetzt beschreiben will, dass ich da, das habe ich ja schon/ / diese Linie machen. Wenn ich das beschreiben will, geht das so? * 00: 31: 06: 21 L / / *Ja.* 00: 31: 11: 10 L *Parallele? * 00: 31: 12: 03 S *Dann () also/ / ja, Parallele zu.* 00: 31: 13: 03 L / / *Ja, ist gut, könntest auch schreiben, ja, oder Parallele zu A durch C. Und das DC/ / nicht schreiben, oder? Also, das wäre auch gegangen.* 00: 31: 20: 07 S / / *Aha.* 00: 31: 20: 24 S / / *Ja.* 00: 31: 24: 09 Ss {Einzelne Gesprächsfetzen während des Arbeitens an den Aufgaben} 00: 33: 09: 03 SN *Herr Erismann (ich habe ein Problem).* <?page no="386"?> 386 00: 33: 11: 07 L *Aha, ja. Holst du mich heute sogar ab.* 00: 33: 25: 07 S *Wir haben jetzt begonnen, wir haben A gemacht / / Dann haben wir C gemacht./ / 00: 33: 27: 17 L / / *Ja.* 00: 33: 32: 02 SN / / *Parallel zu.* 00: 33: 32: 23 L *Einfach auf irgendeiner Höhe/ / irgendwo? * 00: 33: 34: 07 SN / / *Ja. Und dann ein Kreis um A mir Radius E und ein Kreis um B mir Radius F. / / Und wäre es jetzt erlaubt, das so parallel wie wir es jetzt verschieben, bis es passt.* 00: 33: 39: 05 L / / *Mh.* 00: 33: 47: 00 L *Du musst ja zwei Punkte gleichzeitig ansteuern / / irgendwie, hm. Wenn du das unterteilen kannst in zwei Verschiebungen nacheinander, nachher wäre es toll.* 00: 33: 49: 27 SN? / / *Ja.* 00: 33: 56: 15 L *Also zum Beispiel zuerst hinüberschieben, bis es hier bündig ist./ / Das kannst du, oder? Also jetzt hier hinübergehen/ / bündig, abgrenzen.*/ / 00: 33: 58: 25 SN / / Mh [Ja]. 00: 34: 00: 29 S / / Mh [Ja]. 00: 34: 03: 20 S / / Mh [Ja]. 00: 34: 03: 16 L *Und nachher müsstest du dir diese Kurve hier überlegen, oder? Es ist ja dann*/ / 00: 34: 07: 20 SN / / *Dann diese Kurve nachher parallel hier/ / drüben machen* 00: 34: 09: 20 SN / / *Ja.* 00: 34: 09: 20 L / / *Ja, parallele Kurve ist ein bisschen ein komischer Begriff / / aber... 00: 34: 12: 18 SN / / *Ja, ich weiss.* 00: 34: 12: 26 SN / / *Ja.* 00: 34: 14: 22 L *Ja, im Prinzip, wenn du diesen Bogen (nochmals) mit dem gleichen Radius versetzt hinkriegst, dann könnte es klappen.* <?page no="387"?> 387 00: 34: 22: 22 SN *Ja.* 00: 34: 23: 21 L *Ja.* 00: 34: 24: 00 SN *Gut.* 00: 34: 25: 00 L *Mh.* 00: 34: 25: 29 S *Also, probieren wir es einmal/ / mit diesem.* 00: 34: 26: 13 SN / / *Okay, ja, studieren wir 'mal.* 00: 34: 28: 04 L *Der Weg ist clever, ich habe einen anderen gesucht, aber das ist auch einen, den ihr hier gewählt habt. Was es auf jeden Fall braucht, sind Abbildungen.* 00: 34: 36: 29 L *Also, du verschiebst jetzt zweimal.* 00: 34: 38: 22 S *Mh.* 00: 34: 39: 19 L *Es gibt dann noch einen einfachen Weg mit einer anderen Abbildung. Vielleicht könnt ihr an dem auch noch herumknobeln nachher.* 00: 34: 45: 05 S *Ja.* 00: 34: 45: 17 L *Gut? Hm? * 00: 34: 47: 10 S *Also C.* 00: 34: 52: 17 Ss {Diverse Gesprächsfetzen während des Lösens der Aufgaben} 00: 37: 13: 24 SN *Wir haben's, wir haben's, wir hahaben's.* 00: 37: 17: 02 L *Ja? * 00: 37: 18: 05 SN *Wir haben halt, ja, ich weiss nicht, es ist ein bisschen ausradiert, weil es nicht so schön ist. Wir haben jetzt hier unten dreieinhalb Zentimeter ()*/ / 00: 37: 24: 20 L / / *Und C nach links, ja.* 00: 37: 25: 27 SN *Und dann hier*/ / 00: 37: 26: 25 SN / / *Mit dem gleichen Radius, also (fünfeinhalb) Zentimeter/ / 00: 37: 28: 17 L / / *Sehr gut.* 00: 37: 29: 12 SN / / *Und dann gibt es diesen*/ / <?page no="388"?> 388 00: 37: 30: 14 SN / / * Schnittpunkt.* 00: 37: 31: 04 L *Mh [ja], super.* 00: 37: 33: 05 SN *Zeichnest du das auf ()? * 00: 37: 34: 03 SN *Ja, das mache ich.* 00: 37: 34: 28 SN *Sonst mache ich es auch noch einmal, (habe Spaß daran).* 00: 37: 37: 29 L *Ich möchte gerne so eine Figur an der Tafel übernehmen, die, die ihr habt, hm.* 00: 37: 42: 25 SN *Also, dann gehen wir die zeichnen? * 00: 37: 45: 16 L *Zeichnest duzeichnest du sie noch oder kommst du schnell mit dem Heft nach vorne, dann machen wir es schnell zusammen an die Tafel.* 00: 37: 50: 17 L *Dann können wir die nachher schnell besprechen, hm.* 00: 37: 58: 03 L *Hast du auch eine? * 00: 37: 58: 28 SN *Ich glaube es, ja, aber ich weiss nicht, ob es stimmt. Da, ich habe zuerst A/ / * 00: 38: 03: 04 L / / *Und dann reingebastelt*? 00: 38: 04: 13 S *Ja, nein, und nachher diese zwei Teile, oder? * 00: 38: 06: 00 L *Ja.* 00: 38: 06: 16 S *Nein, zuerst diese da.* 00: 38: 08: 00 L *Mh [Ja].* 00: 38: 08: 05 S *(C) gewählt und dann eine Parallele/ / nachher dieser hier/ / und von C abgetragen, D oder? / / Also C abgetragen*/ / 00: 38: 09: 12 L / / *Mh.* 00: 38: 10: 24 L / / *Ja*. 00: 38: 14: 17 L / / *Ja.* 00: 38: 16: 17 L / / *Ja.* 00: 38: 17: 05 S *Und nachher die Mitte von diesen zwei genommen, also C D, die Mitte genommen und die Mitte von diesen zwei genommen und dann...was? * <?page no="389"?> 389 00: 38: 24: 04 L * Mh, du hast gerade verschoben, du musst in einer Kurveverschieben. 00: 38: 27: 11 S *Mist.* 00: 38: 28: 23 L *Es ist ein halber Millimeter daneben, oder? Ja.* 00: 38: 31: 15 SN *Wir haben es richtig.* 00: 38: 33: 25 SN *Ja, ihr habt es auch mit ihm geschafft.* 00: 38: 35: 07 SN / / *Nein.* 00: 38: 35: 17 L / / *Nein, nein.* 00: 38: 37: 15 SN *Norman, komm! * 00: 38: 38: 01 SN *Nein, ich muss es jetzt an die Tafel schreiben.* 00: 38: 40: 13 L *Silvia? * 00: 38: 40: 27 SN *Kann ich ein neues Heft haben? * 00: 38: 41: 17 L *Ja.* 00: 38: 45: 18 L *Äh, Löschblatt? * 00: 38: 47: 01 S *()*. 00: 38: 53: 15 L *Und du bist zufrieden mit deinem Heft? * 00: 38: 56: 01 S *Wie? * 00: 38: 56: 12 L *Du bist zufrieden mit deinem Heft? * 00: 38: 57: 29 S *Es könnte schöner sein.* 00: 38: 58: 27 L *Könnte schöner sein. Ich finde es in Ordnung...Danke.* 00: 39: 04: 15 S *Danke*. 00: 39: 04: 25 L *Da ist das Neue.* 00: 39: 07: 12 L *Okay.* 00: 39: 12: 23 SN *Ein bisschen nach rechts.* 00: 39: 13: 10 L *( ) ein bisschen nach rechts, sagst du, nicht? * 00: 39: 14: 14 S *Ja.....eh, wo stehe ich am besten? * 00: 39: 17: 26 L *Das ist egal, stehe irgendwo.* 00: 39: 20: 29 S *Dann Kreis in...A mit Radius B...ist fünf Komma fünf.* <?page no="390"?> 390 00: 39: 36: 02 L *Um? * 00: 39: 36: 20 S *A*. 00: 39: 37: 21 L *Um A.* 00: 39: 40: 24 S *Dann einen Kreis um B mit Radius F, und F ist (sechseinhalb).* 00: 39: 47: 28 L *Stimmt es? * 00: 39: 51: 04 S *Ja.* 00: 39: 51: 18 L *Okay.* 00: 39: 57: 17 S *Dann .. .äh nein, jetzt habe ich es falsch...ja, jetzt kann man C ()* 00: 40: 04: 00 L *Und wie lang ist es? Dreieinhalb glaube ich, hm, oder? * 00: 40: 07: 18 S *Ja, es ist dreieinhalb.* 00: 40: 08: 09 L *Ich (brauche) es extra ein bisschen weit unten, hm. 00: 40: 15: 25 L *Soll ich es irgendwo machen oder von einem Kreis ausgehend gerade hier? * 00: 40: 20: 09 S *Ah, das ist egal.* 00: 40: 21: 10 L *Dann können wir uns die erste Verschiebung sparen.* 00: 40: 23: 02 S *(Ja, das wäre die Idee).* 00: 40: 25: 16 L *Also hier dreieinhalb zurück.* 00: 40: 27: 08 S *Mh [ja]. Und dann hat es () bei A B () Kreis.* 00: 40: 35: 22 L *Nach links? * 00: 40: 36: 07 S *Ja, nach links.* 00: 40: 43: 14 S *Und jetzt () und dann ist Kreis mit Radius E.* 00: 40: 54: 12 S *Er sollte genau durch (D Strich).* 00: 40: 59: 08 S *Da ist/ / ist jetzt der Punkt. Jetzt noch () also parallel zu AB () C und D.* 00: 41: 00: 25 L / / *Da? * 00: 41: 09: 14 L *Okay. Nehme ich noch eine Farbe, hm.* <?page no="391"?> 391 00: 41: 14: 14 L *Sehr gut. Es ist eine Viertklassbuch-Aufgabe und dort aus dem Kapitel 'Herausforderungen'.* 00: 41: 21: 07 S *Nein.* 00: 41: 21: 25 L *Doch.* 00: 42: 10: 02 S *() ausprobieren*. 00: 42: 12: 07 L *Zusatzbroschüre.* 00: 42: 30: 03 SN *Gibt es auch eine Konstruktionsbeschreibung für das? * 00: 42: 33: 01 L *Diese sage ich noch nicht.* 00: 42: 34: 18 S *Nein, das ist auch gemein {lacht}.* 00: 42: 40: 21 SN *() D Strich parallel zu A ()*. 00: 42: 46: 20 L *Du musst es jetzt in zwei Kreise einpassen.* 00: 42: 51: 11 L *Du musst auf zwei Punkte gleichzeitig schauen und parallel. Du darfst nur eine Parallele durch einen bekannten Punkt machen.* 00: 42: 58: 10 L Hier weißt du aber gar keinen, du weißt nicht, wo parallel. Du musst gleichzeitig auf zwei Orte achten.* 00: 43: 08: 09 SN *Herr Erismann, beim ()*. 00: 43: 10: 26 L *Mh ... jetzt möchtest du eine Kreis um B mit Radius F machen, wahrscheinlich. Mach diesen einmal zuerst. Ich komme gleich wieder.* 00: 43: 21: 04 SN *Herr Erismann? * 00: 43: 21: 08 L *Ja? * 00: 43: 22: 25 SN *Also D Strich C Strich braucht es eigentlich gar nicht, ist ja eigentlich nur Kontrolle.* 00: 43: 31: 05 L *Doch, es braucht ihn.* 00: 43: 32: 15 S *Wieso? * 00: 43: 34: 07 L *Wegen...also, für den Lösungsweg so zu überlegen.* 00: 43: 40: 12 S *Ja zum Überlegen, aber sonst...* 00: 43: 52: 23 L *Die Frage ist, ob es stimmt, hm.* <?page no="392"?> 392 00: 43: 58: 13 L *Norman, überlege einmal, wie lange F ist und miss es bei Ruedi nach.* 00: 44: 20: 16 L *Zeichnet es einzeichnet es ein, das Dreieck! * 00: 44: 51: 20 S *Herr Erismann, stimmt jetzt diese Lösung? * 00: 44: 54: 10 L Mh [ja]. 00: 45: 04: 16 L *Äh, Norman, hast du noch etwas zu tun, jetzt? Zusatzbroschüre / / oder so, hm? Das wäre noch gut.* 00: 45: 08: 26 SN / / *Ja.* 00: 45: 16: 15 L *Okay*, wir machen noch fünf Minuten weiter, aber besprechen die Zusatzaufgabe noch. *Also* schließt den angefangenen Konstruktionsschritt noch ab, bitte. 00: 45: 29: 19 L *Jetzt müsste das hier irgendwo hineinpassen, nicht wahr? * 00: 45: 31: 27 SN *Ja, eben. Also die anderen (haben achtundfünfzig).* 00: 45: 37: 13 L *Ja, du kannst es ja parallel machen/ / Einfach irgendwo wenn du jetzt irgendwo C einträgst/ / hier, mit der richtigen Länge sechseinhalb/ / kommt es ja nicht bis auf den Kreis.*/ / 00: 45: 39: 00 S / / *Ja*. 00: 45: 42: 11 S / / *Mh [ja]...mh [ja].* 00: 45: 46: 04 S / / *Ja.* 00: 45: 49: 21 S / / *Mh [Ja]. 00: 45: 50: 00 L *Jetzt müsstest du es noch verschieben. Auf was für einer Li- Linie bewegt sich dieser Punkt D Strich? * 00: 45: 59: 10 S *Äh*? 00: 45: 59: 10 L *Wenn du ihn parallel/ / schiebst? 00: 46: 00: 05 S / / *Parallel...* 00: 46: 01: 17 L *Was für eine Linie ... oder was für eine Spur zieht D Strich? * 00: 46: 10: 25 S *Ja, auch parallel zu C Strich.* 00: 46: 13: 12 L *Zu dieser Linie? * <?page no="393"?> 393 00: 46: 13: 28 S *Ja.* 00: 46: 14: 13 L *Ja, also kannst du hier eine Parallele machen/ / oder? Und dort wo sie sich schneiden, ist D.* 00: 46: 16: 12 S / / *Ah, ja genau, stimmt.* 00: 46: 19: 16 L *Einfach die Bewegung dir vorstellen und nachher denke ich, kannst du auch selber draufkommen, hm.* 00: 46: 22: 29 SN *Herr Erismann, stimmt das? * 00: 46: 24: 25 L *Ja.* 00: 46: 32: 03 L Okay, psst, wir haben noch drei Minuten, dann machen wir Pause, wenn es nächstes Mal läutet. 00: 46: 38: 23 L *Äh*, diese Aufgaben hier, die lege ich dann sonst nochmals auf am Dienstag. Auf Dienstag gibt es auch keine Hausaufgabe. 00: 46: 46: 04 L Ihr habt anschließend an diese Stunde und den nachfolgenden Test nach der kleinen Pause eh, habt ihr noch etwas Zeit, 'ne Viertelstunde, um noch Angefangenes fertig zu machen, hm. 00: 47: 00: 11 L Aber dann auf Dienstag keine Hausaufgabe. Wir kommen dann darauf zurück, wenn es irgendwo da noch Fragen gibt bei siebenundneunzig. 00: 47: 08: 13 L Jetzt zu dieser Herausforderung. Norman und *Ruedi* haben einen Weg entwickelt: Seite A zuerst und haben dann diese zwei Bogen gemacht da mit Radius E und Radius F. 00: 47: 25: 22 L Ich zeichne E auch hier nochmals ein, hm [nicht wahr]. Das ist E. Die schneiden sich irgendwo da oben, aber das nützt mir ja gar nichts. 00: 47: 35: 03 L Viele haben dann probiert, so eine Seite C irgendwie einzupassen, parallel reinschieben, bis es links und rechts so in diesen gotischen Bogen reinpasst, oder. 00: 47: 45: 22 L Sie haben es cleverer gemacht. Sie sind da auf eine Linie ... rangerutscht, hier C Strich gewählt, die Seite C abgetragen und dann versucht, das auf diesen Bogen zu verschieben. <?page no="394"?> 394 00: 47: 59: 09 L Dazu brauchen sie parallel eigentlich den Bogen. Es ist schwierig vonbei Bogen von Parallelen zu sprechen. 00: 48: 07: 05 L Damit sie diesen Bogen hier kriegen, den linken, mussten sie hier den Einsteckpunkt verschieben und zwar gerade um die Länge C nach links. 00: 48: 16: 04 L Jetzt möchte ich schnell dieses Dreieck angucken, gelb eingezeichnet. Ich schraffiere es da ganz brutal über alles hinweg. 00: 48: 25: 02 L Wenn ich hier dieses Trapez habe, ich mache es klein, und trage hier C an, dann kann ich hier das ganze Trapez ergänzen. Jetzt habe ich zweimal das gleiche Trapez. 00: 48: 41: 02 L Ich habe es hier gespiegelt, an diesem Punkt rübergeklappt. Jetzt habe ich zweimal das Trapez. Jetzt ist hier die Diagonale E und hier ist die Diagonale F. 00: 48: 55: 17 L Und das ist die Seite C von hier oben und hier die Seite A. Und das ist auch dieses schraffierte Dreieck. 00: 49: 03: 01 L Also ich kann mir das doppelte Trapez vorstellen, und dann kann ich hier diese Teilfigur finden und muss dann *äh* entsprechend noch ein bisschen ergänzen. 00: 49: 12: 05 L Auf jeden Fall braucht es eine Abbildung, rechts Verschiebung, links 'ne Punktspiegelung. Diese Aufgabe stammt aus dem Viertklassbuch Mitte Jahr im Kapitel Herausforderungen, ja. 00: 49: 25: 19 L Also, Viertklässler hat es immer vereinzelt solche darunter, die das auch herausfinden. Und das ist eigentlich ganz toll, haben einige von euch diese Aufgabe jetzt begriffen. 00: 49: 35: 10 L Okay, wir machen jetzt fünf Minuten Pause. Ihr wart schön ruhig und brav heute, vielleicht ist es die Hitze, vielleicht das Video. Äh in fünf Minuten wieder da. 00: 49: 45: 26 L *Brauchen sie leere Tische für den Test? / / Leeren Tisch. Packt ihr die Mathematiksachen ein und/ / * 00: 49: 48: 26 SN / / *Ja.* 00: 49: 55: 06 SN / / *()* <?page no="395"?> 395 00: 49: 57: 02 L *Ja, nachher dann, aber räumt jetzt zuerst einmal die Sachen ein bisschen weg, damit ihr ein bisschen Platz habt für das, das kommt.*