Grammatik
Form - Funktion - Darstellung
0919
2007
978-3-8233-7366-7
978-3-8233-6366-8
Gunter Narr Verlag
Ulrich Wandruszka
In diesem Buch werden sehr spezielle und sehr allgemeine Fragen zur Grammatik der menschlichen Sprache und ihrer linguistischen Darstellung erörtert. Insbesondere geht es um die Frage der Angemessenheit mehr oder weniger formalisierter Modelle natürlichsprachlicher Strukturen und Prozesse. Angemessenheit oder Tauglichkeit einerseits im Hinblick auf die sprachlichen Gegebenheiten selbst und andererseits auch im Hinblick auf den Zweck, dem das Modell dienen soll. Das wirft die grundsätzliche Frage auf, wofür und ganz konkret auch für wen wir formale linguistische Theorien und Modelle produzieren. Die Diskussion über diese Aspekte, mit denen sich gängige zeitgenössische Theorien nicht immer ernsthaft auseinandersetzen, soll durch dieses Buch befördert werden. Die Fragen werden im Rahmen des Modells der Kategorialgrammatik diskutiert, die insofern günstige Voraussetzungen dafür mitbringt, als sie beansprucht, für die Darstellung sprachlicher Fakten besonders geeignet zu sein, weil sie sich selbst als eine Art strukturelles Analogon der natürlichen Sprache versteht - und dies sowohl auf morpho-syntaktischer als auch auf semantischer Ebene.
<?page no="0"?> Ulrich Wandruszka Grammatik Form - Funktion - Darstellung Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="1"?> Grammatik Form - Funktion - Darstellung <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 503 T B L <?page no="3"?> Grammatik Form - Funktion - Darstellung Gunter Narr Verlag Tübingen Ulrich Wandruszka <?page no="4"?> © 2007 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Laupp + Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6366-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. <?page no="5"?> Für Charlotte und Florian <?page no="7"?> I N H A L T I. Einleitung ........................................................................................ 1 II. Die immanente Grammatik .............................................................. 14 II.1. Syntaktische und semantische Valenz ........................................ 15 II.2. Erwerb und Verwendung der immanenten Grammatik ......... 21 II.2.1. Unendlicher Gebrauch von endlichen Mitteln .......................... 21 II.2.2. Angeborenheit und empirisches Lernen .................................... 28 II.3. Die Kategorialgrammatik ................................................................. 35 II.3.1. Syntax .............................................................................................. 35 II.3.1.1. Kopf-Funktoren und Komplemente ........................................... 35 II.3.1.2. Attribute........................................................................................... 39 II.3.2. Semantik ......................................................................................... 49 II.3.3. Wortfolge ........................................................................................ 54 II.3.4. Kommunikative Strukturen ......................................................... 60 III. Anwendungen der Kategorialgrammatik .................................. 70 III.1. Die Funktionskomposition ........................................................... 70 III.1.1. Artikelpräpositionen (preposizioni articolate) ............................... 70 III.1.2. Konjunktionen ............................................................................... 75 III.1.3. Präpositionale Wendungen .......................................................... 76 III.1.4. Extraktion von Komplementen ................................................... 78 III.1.5. Suffixbildung .................................................................................. 80 III.1.6. Flexionsbildung ............................................................................. 82 III.1.7. Bildung periphrastischer Verbformen ........................................ 85 III.1.8. AcI-Konstruktionen ....................................................................... 88 III.1.9. Koprädikationen ............................................................................ 94 III.1.10. Relativsatz ...................................................................................... 99 III.1.10.1. Allgemeines .................................................................................... 99 III.1.10.2. „Rattenfänger“ und andere ........................................................ 106 III.1.11. Anhebung klitischer Objektspronomina .................................. 115 III.1.12. Infinitivische Adjektivergänzungen (tough-movement) ........... 116 III.1.13. Subjektanhebung .......................................................................... 120 <?page no="8"?> VIII III.1.14. Morphosyntax und Wortbildung .............................................. 123 III.1.14.1. Morphosyntax .............................................................................. 123 III.1.14.2. Wortbildung ................................................................................. 127 III.2. Zur Satzsemantik ......................................................................... 131 III.2.1. Bedeutung und Referenz des Satzes ......................................... 131 III.2.2. Bedeutung und Referenz von Prädikaten ................................ 134 III.2.3. Bedeutung und Referenz von Attributen ................................. 137 III.2.4. Bedeutung und Referenz von sog. Determinatoren .................. 147 III.3. Wort- und Satzgliedstellung in einem formalen Modell ........ 150 III.3.1. Allgemeines .................................................................................. 150 III.3.2. Prä- und Postdetermination ....................................................... 158 III.3.3. Periphrastische Verbformen ....................................................... 162 III.3.4. Arten struktureller Verknüpfung .............................................. 165 III.4. Morphologie: Wörter und Wortformen .................................... 173 III.4.1. Stamm und Endung / Suffix ...................................................... 173 III.4.2. Auxiliare ........................................................................................ 180 III.4.3. Syntaktische Funktion und Wortart .......................................... 184 III.4.4. Wortbildung ................................................................................. 189 III.4.4.1. Derivation ..................................................................................... 189 III.4.4.2. Komposition ................................................................................. 196 III.4.5. Zur mentalen Speicherung und Verarbeitung gebundener Morpheme und morphologisch komplexer Ausdrücke ......... 200 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 208 Begriffsregister ............................................................................................... 212 <?page no="9"?> I. Einleitung Vorliegende Arbeit baut auf meiner Studie Syntax und Morphosyntax. Eine kategorialgrammatische Darstellung anhand romanischer und deutscher Fakten (1997) auf. Dort wurde versucht, die verschiedenen Komponenten der Sprache mit den Mitteln und im Geist der Kategorialgrammatik zu beschreiben und modellhaft darzustellen. Es ist ein tendenziell flächendekkender Querschnitt, der von der Satzsyntax (inkl. Wortstellung) und Satzsemantik, über die Morphosyntax und Morphosemantik bis zur Wortbildung reicht. Dieser erste Versuch hat (mich) zu der Erkenntnis geführt, dass die Kategorialgrammatik ein geeigentes und in einem tieferen Sinn angemessenes Verfahren zur analytischen Wiedergabe natürlichsprachlicher Zeichen und Zeichenkombinationen ist. Grundlegend und für beschreibende Grammatiken unabdingbar ist dabei das Prinzip der Kategorialgrammatik, syntaktische und semantische Strukturen in gleicher oder jedenfalls analoger Form zu analysieren und zu repräsentieren. Die Analogie oder Parallelität (morpho-)syntaktischer und semantischer Kombinatorik macht die Natur der menschlichen Sprache wesentlich aus. Grammatik: Form, Funktion, Darstellung geht von den Analysen und Diskussionen in Syntax und Morphosyntax aus, ist jedoch noch stärker vom Interesse am Exemplarischen und Grundlegenden getragen; jedenfalls sollen sie die Auseinandersetzung mit Fragen dieser Ausrichtung befördern. Bevor hierauf näher eingegangen werden kann, muss aber auf gewisse Änderungen in der kategorialgrammatischen Fassung der sprachlichen Objekte aufmerksam gemacht werden. Überall, wo es notwendig erschien, wurden Interpretation und Repräsentation der Gegebenheiten weiterentwickelt und verfeinert aber auch vereinfacht und vereinheitlicht. Hinsichtlich der Notation ist auf eine grundsätzliche formale Änderung hinzuweisen: In Syntax und Morphosyntax habe ich mich der weniger geläufigen Schrägstrichnotation bedient, in der die innere Struktur komplexer Funktorausdrücke - statt durch Klammern - ausschließlich durch Schrägstriche sichtbar gemacht wird. Die Kategorie einer zweiwertigen Verbform wie gießt, die in dem Satz Das Mädchen gießt den Kaktus mit einer Nominalphrase einen Ausdruck (Prädikat) gießt den Kaktus bildet, der dann mit einer weiteren Nominalphrase einen Satz macht, wird dort formal als S/ NP/ / NP statt als (S/ NP)/ NP repräsentiert. Die Schrägstrichnotation hat unter anderem den Vorteil, mit weniger Hilfszeichen auszukommen, was bei den expliziten kategorialgrammatischen Symbolen nicht gering zu veranschlagen ist. In unserem Fall etwa benötigt man drei Schrägstriche, während man bei Klammerung zwei Schrägstriche <?page no="10"?> 2 und zwei Klammern benötigt. Ein Ausdruck, der mit einem zweiwertigen Verbum wieder ein solches macht, wie z.B. das Adverb vorsichtig in dem Satz Das Mädchen gießt vorsichtig den Kaktus, enthält in der Schrägstrichnotation S/ NP/ / NP/ / / S/ NP/ / NP neun Hilfszeichen, in der Klammernotation aber dreizehn: ((S/ NP)/ NP)/ ((S/ NP)/ NP). Interpretiert man vorsichtig nicht als Verbsondern als Verbalphrasenattribut, ergibt sich ein Verhältnis von vier, S/ NP/ / S/ NP, zu sieben, (S/ NP)/ (S/ NP). Obwohl also die reine Schrägstrichvariante schlanker ist und mit nur einem Hilfszeichentyp auskommt, wurde der üblichen Klammernotation aufgund ihrer besseren Lesbarkeit wieder der Vorzug gegeben. Gerade durch die Kombination von Klammern und Schrägstrichen können die Strukturen komplexer Ausdrücke leichter und schneller erkannt werden. Vor allem treten durch die Klammerung die Außengrenzen der Konstituenten deutlicher hervor, d.h. Klammerausdrücke können leichter als Einheiten identifiziert werden, die gegebenenfalls durch einfache Ausdrücke substituierbar sind. Um die Lesbarkeit der gelegentlich etwas sperrigen Symbole weiter zu erhöhen, wird der jeweilige Zähler des Gesamtausdrucks fett geschrieben, wodurch die unmittelbaren Konstituenten auf den ersten Blick auszumachen sind: So etwa (S/ NP)/ NP für das transitive Verbum, ((S/ NP)/ NP)/ ((S/ NP)/ NP) für das dazugehörige Adverb und (S/ NP)/ (S/ NP) für das VP-Adverb. Das Fettgeschriebene symbolisiert immer das Resultat der Kombination des ganzen Funktors mit einem Ausdruck aus der Kategorie seines Nenners. Ein (S/ NP)/ NP ist daher ein Funktor, der mit einer NP ein S/ NP, sprich ein Prädikat, bildet, und ein (S/ NP)/ (S/ NP) ist ein Funktor, der mit einem S/ NP wieder ein S/ NP macht. Einzelne weitere Notationskonventionen werden dann an geeigneter Stelle zur Sprache kommen. Die allgemeine Frage, um die die Diskussion im Folgenden kreist, könnte vorläufig so formuliert werden: Was kann und was muss oder sollte ein angemessenes Beschreibungsmodell über das Zeichensystem Sprache aussagen? Die Anwort wird zunächst natürlich auch davon abhängen, was man überhaupt über die Natur der menschlichen Sprache wissen möchte. Wie immer man diese Fragen auch beantwortet, sollte man seine Erkenntnisinteressen und -ziele klar darlegen, nicht nur, um den allfälligen Forschungserfolg daran messen zu können, sondern auch um sich der Grundfrage zu stellen, wofür und im konkreten Fall auch für wen man ein linguistisches Projekt unternimmt. Dies ist in der Sprachwissenschaft, wie man weiß, nicht immer evident. Die speziellere Frage, der wir hier nachgehen, ist die nach Sinn und Nutzen eines formalen Modells der natürlichen Sprache. Ein derartiges Modell sollte folgende zwei Eigenschaften haben, die nicht leicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Einerseits sollte es soweit autonom <?page no="11"?> 3 sein und Eigengesetzlichkeit aufweisen, dass man die Gegebenheiten der natürlichen Sprache darauf abbilden und damit vergleichen kann. Nur wenn das Modell in diesem Sinne eine gewisse Autonomie und eine vom modellierten Objekt unabhängige Existenz besitzt, kann es als eine solche Vergleichsgröße dienen. Andererseits sollte das Modell aber dem Original möglichst nahe kommen, ihm möglichst ähnlich sein und die sprachlichen Fakten nicht nur im Sinne einer schwachen Äquivalenz irgendwie analog wiedergeben; es sollte dem tatsächlichen Funktionieren des sprachlichen Zeichensystems gerecht werden. Es gilt also, ein Modell zu finden, das sowohl der Forderung nach Unabhängigkeit vom Original als auch der nach möglichst genauer Analogie entspricht. Das Modellkonglomerat der Generativen Grammatik etwa verletzt beide Prinzipien in eklatanter Weise: Es ist weder autonom und in sich konsistent, noch der natürlichen Sprache in irgendeinem Sinne ähnlich. In jeweils unterschiedlicher Form gilt dies auch für auch andere zeitgenössische Modelle wie z.B. die Relationale Grammatik oder die Unifikationsgrammatiken. Abbildungen eines Objektbereiches auf ein formales Modell, wie etwa die der Mathematik auf ein widerspruchsfreies System der Logik, haben den Sinn, die Widerspruchsfreiheit des modellierten Originals nachzuweisen. Obgleich dies sicher nicht der Zweck der Abbildung von Strukturen der natürlichen Sprache auf ein formales Modell sein kann, ist ein solches Verfahren auch in diesem Fall sinnvoll. Der Einsatz eines in sich konsistenten und im Prinzip angemessenen Modells wird zu dem nicht weiter überraschenden Resultat führen, dass die natürliche Sprache ein tendenziell regelhaftes System darstellt, das aber zwangsläufig, insbesondere aufgrund des (kontingenten) historischen Wandels, auch Unregelmäßigkeit und mangelnde Einheitlichkeit aufweist. Daraus ergibt sich, dass ein solches System immer wieder auch „unlogisch“ sein kann und nicht durchgängig den Gesetzen der Logik gehorcht. Es wird sich also herausstellen, dass die sprachlichen Gegebenheiten teilweise unmittelbar auf das Modell abzubilden sind bzw. durch dieses wiedergegeben werden können und dass der Rest damit inkompatibel ist und den dem Modell inhärenten Regeln nicht entspricht. Eben dies ist freilich von beträchtlichem Erkenntniswert, wenn präzise gezeigt werden kann, wo eine Sprache regelmäßig und wo und in welcher Weise sie unregelmäßig ist, d.h. mit bestimmten Regeln des Modellsystems nicht in Einklang steht - möglicherweise dafür jedoch andere Gesetzmäßigkeiten aufweist. Dabei geht es nicht nur darum, festzustellen, dass und wo eine Sprache regelmäßig respektive unregelmäßig ist - dazu benötigte man nicht unbedingt ein autonomes formales Modell. Man möchte darüber hinaus vielmehr in Erfahrung bringen, was für einen Typ von System die natürliche Sprache darstellt und welchem Typ von semiotischem Instrument die <?page no="12"?> 4 unterschiedlichen sprachlichen Zeichen jeweils zuzuordnen sind; man möchte wissen, wie dieses Zeichensystem funktioniert, wie es verwendet wird und wie es sich verändert - auch wie es gelernt und im Gehirn gespeichert wird. Ein diesbezüglicher Erkenntnisfortschritt lässt sich von den frühen strukturalistischen Modellen über die Dependenzgrammatik bis hin zur Kategorialgrammatik ja durchaus auch wahrnehmen, während die Generative Grammatik bisher wenig wirklich neue Einsichten in Natur und Funktionweise der sprachlichen Zeichen erbracht hat. Im Folgenden wird die Ansicht vertreten, dass die Kategorialgrammatik dem gesuchten Modelltyp am nächsten kommt. Abstraktion, Autonomie und Eigengesetzlichkeit sind dadurch garantiert, dass diese Grammatik die Abhängigkeitsstrukturen komplexer sprachlicher Ausdrücke als mathematische Funktionen rekonstruiert. Es kommen hier folglich Funktoren und Argumente / Komplemente, Funktionswerte, Funktionskompositionen, partielle Anwendungen und dergleichen vor, die als solche nicht für die Modellierung natürlicher Sprachen ersonnen worden sind. Darüber hinaus wird auch nichts Wesentliches hinzugefügt. Die Forderung der Ähnlichkeit mit dem Original und seinen Bestandteilen kann man durch folgenden Tatbestand erfüllt sehen: Ein Teil der natürlichsprachlichen Ausdrücke sind Funktoren, die sich über ihre Valenz mit anderen Zeichen zu komplexen Ausdrücken verbinden, während ein anderer, kleinerer Teil in sich abgeschlossene Ausdrücke umfasst, die von den Funktoren als Strukturpartner genommen werden. Das Gleiche lässt sich über die Bestandteile des kategorialgrammatischen Modells sagen: Es gibt zum einen Funktoren wie S/ NP, also Ausdrücke, die mit einer Nominalphrase einen Satz machen, und zum anderen in sich abgeschlossene Einheiten, wie NP oder S, die von den Funktoren als Argument genommen werden können. Ein Symbol wie S/ NP ist nun aber nicht einfach ein Name für einen Funktor, wie Prädikat oder Verbalphrase (VP), sondern es ist - und dies macht den „Reiz“ dieser Notation aus - selbst ein Funktor, der angewendet auf eine NP das Produkt S erzeugt: S/ NP ⋅ NP = S. Dies wird dadurch erreicht, dass die Darstellung der Funktion eines Ausdrucks in Form eines Bruches Y/ X direkt als Symbol für diesen Ausdruck verwendet wird, für diesen Ausdruck steht. So sagt man z.B., dass ein S/ NP für ein Prädikat steht oder auch dass ein Prädikat ein S/ NP ist. Ein S/ NP macht auf der Symbolebene das Gleiche wie etwa die Verbform träumt in Der kleine Hund träumt auf der Ebene der natürlichen Sprache, nämlich mit einer Nominalphrase einen Satz. Nur Bestandteile von Funktoren, in unserem Fall die Grundausdrücke S und NP, stellen einfache Namen oder Etiketten für Kategorien dar. Auf diesem Wege analysiert, kategorisiert <?page no="13"?> 5 und definiert sich eine derartige Symbolreihe selbst, und - aus der Perspektive der Produktion - bauen sich solche Symbolketten selbst auf. So gibt etwa das Symbol für ein transitives Verbum, (S/ NP)/ NP, zu erkennen, dass dieses mit zwei Nominalphrasen einen Satz bildet. Fügt man nun zwei Nominalphrasen hinzu, ergibt sich in der Tat auch rein rechnerisch ein vollständiger Satz: (S/ NP)/ NP ⋅ NP ⋅ NP = S (vgl. hierzu im Detail II.3.1.1). Ein S/ NP ist, anders gesagt, ein Ausdruck, dem etwas fehlt, wie etwa einem Prädikat träumt bzw. wie einem mathematischen Bruch 3/ 4, der durch eine Multiplikation mit dem Nenner 4 den vollständigen Zähler 3 ergibt. Kategorialgrammatische und natürlichsprachliche Funktoren unterscheiden sich im Wesentlichen darin, dass erstere ihre Funktion, die für den Ausdruck selbst steht, in Form eines Bruches explizit darstellen, wobei der Ausdruck als solcher bzw. sein Name - wie Prädikat oder Präposition - nicht vorkommt. In sprachlichen Funktoren hingegen wird die Funktion nicht expliziert, sondern sie ist dem Ausdruck inhärent. Wir haben es dort mit einer nicht-ausgedrückten Potentialität (Valenz) zu tun, die nur virtuell beziehungsweise mental als im menschlichen Gehirn gespeicherte Verwendungsanweisung existiert (cf. III.4.5.). Man weiß, dass träumt mit einer Nominalphrase einen Satz bildet und eine Präposition wie in mit einer Nominalphrase eine Präpositionalphrase - symbolisch PP/ NP. Dabei steht das kategorialgrammatische Symbol immer für eine Funktorklasse und das natürlichsprachliche Zeichen jeweils für einen individuellen Funktorausdruck, also für einen Vertreter eines Ausdruckstyps, wie etwa in der Präpositionalphrase (in PP/ NP (das Haus) NP ) PP . Dieser Aspekt der Ähnlichkeit wurde in formalen Modellen bisher noch zu wenig beachtet. Zu zeigen, dass eine natürlichsprachliche Struktur durch ein formales Modell irgendwie dargestellt werden kann, ist aus Sicht des Linguisten einfach zu wenig, auch wenn es in einer anderen Perspektive jeweils gerechtfertigt sein mag. Dies gilt auch für die Wiedergabe syntaktischer Strukturen mit den Mitteln der Prädikatenlogik, die z.B. einen Satz mit zweistelligem Prädikat, wie Martha isst Fisch durch die Formel P(a,b) symbolisiert. Trotz der festgelegten Reihenfolge der Argumente a und b lässt sich die Asymmetrie zwischen Subjekt und Objekt und die Binarität der Satzstruktur nicht wirklich erkennen. Es ist der Formel nicht zu entnehmen, dass zwischen Prädikat und Objekt eine engere Bindung besteht als zwischen Prädikat und Subjekt, und sich daher das Prädikat zunächst mit dem Objekt verbindet, um mit diesem einen komplexen Ausdruck - die Verbalphrase isst Fisch - zu bilden, die dann mit dem Subjektargument einen Satz erzeugen kann und somit derselben Funktionskategorie angehört wie das einstellige Prädikat in <?page no="14"?> 6 Martha weint oder auch in Martha isst. Es ist deshalb auch nicht zu erkennen, dass in einem Satz das Objekt gegebenenfalls getilgt werden kann, das Subjekt als satzstiftende Konstituente aber nicht. Entsprechendes trifft für die semantisch-pragmatische Struktur von (Aussage-)Sätzen zu, die dadurch charakterisiert ist, dass mit dem komplexen Prädikat etwas über das Subjektdenotat mitgeteilt wird. Analog lässt sich dann im Hinblick auf spezifischere Satztypen, wie etwa solche, die ein durch einen Quantor gebundenes Subjekt enthalten, argumentieren. Wenn man z.B. den Satz Alle Mädchen sind hübsch durch den formalisierten Ausdruck ∀ x (M(x) H(x)) - im Klartext: „Für alle x gilt, wenn x ein Mädchen ist, dann ist x hübsch“ - wiedergibt, muss auch die Frage gestellt und beantwortet werden, inwiefern eine solche Umformung für den Linguisten und seine Probleme von Belang ist. Denn das natürlichsprachliche Original hat jedenfalls auf der syntaktischen Ebene nicht die Form einer Implikation, sondern ist eine einfache Prädikation über eine definite Nominalphrase. Auch wenn eine solche Explizierung der semantischen Struktur durchaus plausibel und aufschlussreich sein mag, zumindest für bestimmte Arten von Allaussagen, ist bestenfalls festzustellen, dass die logische Formel im Prinzip den gleichen Inhalt wiedergibt wie der natürlichsprachliche Satz. Sie tut dies jedoch auf eine andere Art und Weise und sagt daher über den natürlichsprachlichen Ausdruck nur bedingt etwas aus - allenfalls als Kontrastfolie. Man kann wohl auch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass Allsätze gerade in dieser Form im menschlichen Gehirn gespeichert sind. Für die zentrale Frage der Linguistik, nämlich welche Inhalte in welcher Form versprachlicht werden bzw. welche Formen / Formtypen welche Inhalte ausdrücken, können die prädikatenlogischen Symbole nur als Vergleichs- oder Bezugsgröße herangezogen werden. Die Prädikatenlogik bietet ein alternatives Verfahren zur Wiedergabe verschiedener Inhaltsmuster innerhalb eines in sich konsistenten formalen Zeichensystems, auf das dann die weniger konsistente natürliche Sprache bezogen werden kann. Solche Vergleiche sind wohl besonders geeignet zur Entdeckung von Inkonsistenzen und Lücken im System der natürlichen Sprache und indirekt zur Erkenntnis der spezifischen Strukturen und Verfahrensweisen dieses Kommunikationsmittels. Aber als passendes Modell, das zeigt, wie es die natürliche Sprache macht, und das damit gerade deren Eigenart vorführt und verstehen lässt, kann die Prädikatenlogik und ihre Notation kaum gesehen werden. Wenn man davon ausgeht, dass Bedeutung in der Sprache immer nur in einer bestimmten Form vorkommt und bis zu einem gewissen Grad auch von ihrer Form konditioniert wird, sollte man mit einem Modell arbeiten, das auch formal der natürlichen Sprache na- <?page no="15"?> 7 hekommt, d.h. Symbole verwenden, die Bedeutungen und Bedeutungsstrukturen im Prinzip so darstellen und vermitteln wie die natürlichsprachlichen Zeichen. Der Linguist sollte die semantischen Strukturen komplexer Ausdrücke zunächst so interpretieren wie der naive Sprachbenutzer, nämlich strikt auf der Basis der morphosyntaktischen Gegebenheiten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die semantische Struktur analog zur jeweiligen morphosyntaktischen Struktur zu beschreiben und für deren inhaltlichen Aspekt keine andere Sprache zu benutzen als für den syntaktischen. D.h. auch auf der semantischen Ebene gibt es Funktoren verschiedener Art und nullstellige Grundeinheiten als Komplemente - anders gesagt: ein Ausdruck, der syntaktisch als Funktor auftritt, ist auch semantisch ein solcher. So ist etwa ein Adjektiv ein Ausdruck, der mit einer Mengenbezeichnung die Bezeichnung einer Teilmenge bildet und eine Präposition ein Ausdruck, der mit der Bezeichnung eines Objektes, ein Attribut, also die Bezeichnung einer Eigenschaft macht, wie z.B. in Haus am See oder in mit dem Auto reisen (vgl. II.3.2.). Diesen Parallelismus zwischen Syntax und Semantik hat auch Lucien Tesnière in seinen Éléments de syntaxe structurale ( 2 1976 / 1959) schon klar erkannt und formuliert, wenn er schreibt: “… le plan structural n’a d’autre objet que de rendre possible l’expression de la pensée, c’est à dire du plan sémantique. Entre les deux, il n’y a pas identité, mais il ya parallélisme“ (op.cit., 21.1.) und weiter: „L’expression du sémantique par le structural se réalise de la façon suivante: Le sens du subordonné porte sur celui du régissant dont il dépend“ (21.4). Die Syntax kann somit auch selbst als ein abstraktes formales Modell inhaltlicher Strukturen betrachtet werden. Die Idee wird dann auch von Richard Montague in seiner gleichnamigen Grammatik (1970-1974) aufgegriffen und auf der Basis einer modifizierten Kategorialgrammatik im Rahmen der Intensionalen Logik formalisiert. Dies ist ein in unserem Zusammenhang interessanter und aufschlussreicher Fall. Soweit sich die grundlegenden Annahmen und Prämissen mit denen der klassischen Kategorialgrammatik decken, ist das Montaguesche Modell aus linguistischer Sicht durchaus positiv zu bewerten. Was an Formalismus darüber hinaus geht, ist für den Linguisten aber allenfalls indirekt von Relevanz. Dies gilt etwa für das deklarierte Ziel, intuitiv gültige Schlüsse der Sprache beweisbar zu machen. Dies gilt darüber hinaus für die von Montague verwendete Wahrheitswertsemantik modelltheoretischer Form und die Formalisierung der Intension als Funktion von der Menge der möglichen Situationen (Carnaps „mögliche Welten“) in eine Menge von Extensionen, die für jeden sprachlichen Ausdruck ein Referenzobjekt liefert, und dies gilt auch für die Festsetzung, <?page no="16"?> 8 die Extension eines Satzes sei dessen Wahrheitswert (wahr / falsch) und sein Denotat damit Element einer Menge (cf. III.2.1.). Auch spezielle technische Verfahren wie das nicht nur von Montague verwendete sogenannte Lambda-Kalkül, mittels dessen man aus einem Satz einen Klassennamen bzw. ein Prädikat bilden kann, sind oft formallogisch interessant und elegant aber linguistisch unergiebig, weil sie wiederum zu weit von der natürlichsprachlichen Oberfläche wegführen. Der Lambda-Operator wird etwa zur Wiedergabe komplexer Prädikate wie in dem Satz Iris (raucht und trinkt) verwendet, um zu Formeln der Art Iris (ist ein Objekt x, so dass gilt: x raucht und x trinkt) zu gelangen, formal: ( x (rx ∧ tx)) i. Die dadurch erreichte Flexibilität in der Formalisierung ist vorteilhaft für den Logiker und anwendungsorientierte Modelle aber nutzlos für den Linguisten, wenn es z.B. um das Problem der sog. Konjunktionsreduktion geht, also der Ableitung unseres Satzes (a) Iris raucht und trinkt aus der Koordination zweier Sätze: (a’) Iris raucht und Iris trinkt, und damit um die Frage, ob ein substantieller Unterschied - und wenn ja, welcher - zwischen diesen beiden Versionen besteht und in welchen Fällen Sätze des Typs (a) nicht aus solchen des Typs (a’) abgeleitet werden können. Es geht also auch hier eher um die Frage, wie der Logiker die Strukturen der natürlichen Sprachen nach seinen „Spielregeln“ und für seine (theoretischen und praktischen) Zwecke nach- oder umbilden kann, als um ein wirklich linguistisches Erkenntnisinteresse des Modellbauers. Kennzeichnend für die Montague-Grammatik ist zudem die Methode der indirekten Interpretation, bei der die Sätze der natürlichen Sprache nach einem genau definierten Verfahren in die logische Sprache „übersetzt“ und dort anschließend semantisch interpretiert werden (vgl. hierzu Link, 1979). Genau dies ist wiederum problematisch: Montague interpretiert nicht die vorgefundenen natürlichsprachlichen Formen, sondern deren Übersetzung in die formale Syntax. Es ist klar, dass bei diesem Prozess mancherlei Verwerfungen der natürlichsprachlichen Oberfläche, wie etwa diskontinuierliche Konstituenten, geglättet werden müssen, um die Logik-Übersetzung zu vereinfachen oder überhaupt zu ermöglichen. Es ist allerdings einzuräumen, dass sich gerade Montague immer wieder um die Wahrung der Integrität der syntaktischen Kategorien bemüht hat. Vergleichbare Ansätze finden / fanden sich auch in der Chomsky- Grammatik etwa in Gestalt der Spurentheorie, die leere Kategorialknoten an den Stellen ansetzt, von denen eine Konstituente wegbewegt wurde. Dem besonders an der sprachlichen Oberfläche interessierten Linguisten erscheint eine derartige Vorgangsweise eher abwegig. Die Kategorialgrammatik hingegen lässt die natürlichsprachlichen Ausdrücke wie und wo sie sind und versucht, ihnen in ihrer jeweiligen Form und Position <?page no="17"?> 9 eine Interpretation zukommen zu lassen. Durch die explizite Angabe der kombinatorischen Potenz der Ausdrücke ist die „Tiefenstruktur“ in der “Oberflächenstruktur“ enthalten - oder anders gesagt: die Oberflächenstruktur ist auf die Tiefenstruktur hin durchsichtig, ohne dass leere Kategorialknoten angenommen werden müssten (vgl. III.3.). Grob gesprochen ist folgende Korrelation festzustellen: Je aufwendiger die Darstellungstechniken sind und je weiter sich diese von der Form der sprachlichen Oberfläche entfernen, desto uninteressanter werden sie für den Linguisten. Es sei denn der technische Aufwand kann direkt mit der oberflächenstrukturellen Verfasstheit der natürlichen Sprache begründet werden. Auch wird es dem Linguisten nicht von vornherein um ein umfassendes durchformalisiertes Modell der menschlichen Sprache in allen Hinsichten gehen. Mittels eines einfachen formal-abstrakten Grundmodells sollen zunächst wesentliche, allgemeine Eigenschaften der natürlichen Sprache durchsichtig und verstehbar gemacht werden. So ist die Kategorialgrammatik auf die grundlegende Relation der Abhängigkeit der sprachlichen Einheiten voneinander ausgerichtet. Diese Relation ist für die natürliche Sprache konstitutiv aber doch nicht für alle Komponenten gleich bedeutend. Allgegenwärtig ist sie natürlich da, wo es um die Kombination von Konstituenten geht, wie in der Syntax und der Satzsemantik, sowie in der Morphologie. Weniger evident sind solche Relationen dort, wo es keine morphologische Komplexität in Form einer linearen Verkettung von Morphemen gibt, wie etwa in der lexikalischen Semantik bzw. allgemein bei der internen semantischen Struktur des einzelnen Morphems. Zur Darstellung solcher charakteristischen Struktur- und Prozessmuster der natürlichen Sprache können Versatzstücke aus Logik und Mathematik verwendet werden, ohne jeweils das gesamte formale System übernehmen zu müssen. Die Entscheidung liegt in letzter Instanz bei dem Linguisten, und er befindet darüber, welche Art und welcher Grad der Formalisierung für seine Erkenntnisinteressen geeignet und ausreichend erscheinen. Er muss sich also - wenn nötig - immer wieder auch von der Logik emanzipieren; jedenfalls sollte er sich nicht einfach die Anliegen und Probleme des Logikers zu eigen machen (es bleiben ihm genügend andere). Die formale Logik ist in Bezug auf die Linguistik als Hilfs- und nicht als Leitwissenschaft und Präzeptorin zu sehen, zumal sich ihre Fragestellungen für die Anliegen des Linguisten nicht selten als Pseudoprobleme entpuppen. Wie wir schon gesagt haben, ist es angezeigt, bei der Modellierung eines Zeichensystems von den konkreten sprachlichen Ausdrücken selbst auszugehen. Der Linguist ist an einem formalen Modell interessiert, dessen Bestandteile den Wörtern und Wortteilen der natürlichen Sprache <?page no="18"?> 10 funktional gleichen oder nahekommen und mit denen auch komplexe Zeichen und Zeichenketten gebildet werden können. Die Abbildung der natürlichen Sprache auf ein formales System ist von der Leitfrage bestimmt, ob und inwieweit die natürliche Sprache selbst ein solches System ist und ihre Produktions- und Verwendungsregeln denjenigen des formalen Systems entsprechen. Der Sinn dieser Übung liegt für den Linguisten zunächst einmal darin, solcherweise etwas (Neues) über die Natur der Sprache und der sprachlichen Zeichen zu erfahren und weniger darin, komplizierte Modelle zu entwerfen, etwa um den Nachweis zu erbringen, dass zwischen formalen und natürlichen Sprachen kein theoretisch relevanter Unterschied besteht und man in der Lage ist, die natürliche Sprache irgendwie formal zu rekonstruieren - Modellbau als heuristisches Hilfsmittel also und nicht als Selbstzweck oder formallogische Fingerübung. Nur im Rahmen eines Modells, das dieser Bedingung der Ähnlichkeit mit dem Original genügt, ist es sinnvoll, einen Ausdruck der natürlichen Sprache als Vertreter eines Ausdruckstyps der formalen Sprache zu identifizieren, also etwa zu sagen, dass ein Adjektiv ein abhängiger Attribut- Funktor des Typs N/ N ist, ein Adverb ein Attribut-Funktor des Typs V/ V, eine Präposition ein Kopf-Funktor des Typs PP/ NP, ein Satz ein nullstelliger Grundausdruck des Typs S, und dass bestimmte sprachliche Prozesse Funktionskompositionen darstellen. Stellt man in Rechnung, dass in der natürlichen Sprache Syntax und Morphologie genetisch und strukturell eng verwandt und in sprachlichen Äußerungen miteinander verzahnt sind, ist von einem Modell auch zu erwarten, dass es auf beide Bereiche gleichermaßen angewendet werden kann. Das bedeutet unter anderem, dass ein Kompositum wie Vaterhaus im Prinzip mit den gleichen Mitteln beschrieben und wiedergegeben werden kann wie die Syntagmen Haus des Vaters und väterliches Haus oder lat. domus patris, ein lat. curru wie ein dtsch. auf dem Wagen und ein partizipiales die Blumen pflückenden Kinder wie ein relativisches die Kinder, die Blumen pflücken etc. Es geht aber nicht nur darum, Syntax und Morphologie in ihrer Form und morphosyntaktischen Struktur mit ein und demselben Modell zu erfassen, sondern darüber hinaus die Form und den Inhalt komplexer sprachlicher Ausdrücke. Im Sinne unserer Forderung der Ähnlichkeit von Modell und Original heißt dies, dass die Komposition der Bedeutungen von Ausdrücken und ihren Bestandteilen so dargestellt wird, wie sie bei der sequentiellen Interpretation einer sprachlichen Äußerung tatsächlich vor sich geht: Die Bedeutung eines Elementes n wird auf die Bedeutung des darauffolgenden Elementes n+1 angewendet und das Resultat dieser Operation ist dann auf das nächstfolgende Element n+2 anzuwenden <?page no="19"?> 11 usw. Die syntaktischen Typen sind also immer auch die entsprechenden semantischen Typen, d.h. die syntaktischen Typen und Prozesse sind Ausdruck der semantischen und andererseits ergibt sich die Struktur oder Form der Bedeutung eines Ausdrucks aus seiner (morpho-)syntaktischen Funktionskategorie. So macht etwa die Präposition hinter mit der Nominalphrase das Haus die Eigenschaftsbezeichnung hinter dem Haus wie in dem Nominal (Baum (hinter dem Haus)) oder in dem Prädikat (wächst (hinter dem Haus)). Die Präposition ist daher semantisch vom Typ Eigenschaft/ Objekt (E/ O), da sie, wie schon angedeutet, mit einer Objekteine Eigenschaftsbezeichnung bildet. Letztere ist als Attribut vom Typ X/ X, hier Objekt/ Objekt (O/ O), da sie mit einer Objektbezeichnung wieder eine solche bildet: (Baum O (hinter dem Haus) O/ O ) O . Diese Notation macht also deutlich, dass Präpositionalphrasen Eigenschaften im weitesten Sinne bezeichnen und dass Präpositionen die Funktion haben, mit einer Nominalphrase eine Eigenschaftsbezeichnung herzustellen und so als Bestandteile von Eigenschaftsbezeichnungen gesehen werden können. Dies ist eine interessante Weiterung und Präzisierung des glossematischen Begriffs der „Form des Inhalts“; denn sprachliche Bedeutungen können entweder die Struktur eines Funktors haben oder aber die eines in sich abgeschlossenen Grundausdrucks, der als Komplement auftritt. Sie können entweder Dependens-Funktor oder Kopf-Funktor sein und als solche die Bedeutung verschiedener sprachlicher Ausdrücke miteinander kombinieren. In diesem Zusammenhang kann man auch an die mittelalterlichen modi significandi, ‚die Arten des Bedeutens’, denken. Es wurde angenommen, dass etwa das lateinische Nomen dolor und das Verbum doleo dasselbe bezeichnen, dies aber in unterschiedlichen modi: aufgrund seiner nominalen Kategorie meint dolor eine permanente Eigenschaft, das verbale doleo hingegen eine vorübergehende Qualität. Im Rahmen der Kategorialgrammatik würde man sagen, dass dieselbe Sache einmal als nullstelliger Grundausdruck Schmerz wiedergegeben wird und einmal als satzbildender ein- oder zweiwertiger Kopffunktor schmerzt oder auch als einstelliger Dependens-Funktor in Form eines Adjektivs schmerzend / schmerzhaft. Das heißt, dass dieselbe Sache einmal quasi als abgeschlossenes Objekt oder Substanz vorgestellt wird, einmal als eine Art von Aktivität oder Prozess, wie in der Zahn schmerzt, und einmal als Eigenschaft eines Objekts oder Vorgangs, wie in eine schmerzende Verletzung. Wie die voranstehenden Bemerkungen schon zu verstehen geben sollten, scheint die Kategorialgrammatik unsere wesentlichen Forderungen an ein formales Grammatikmodell jedenfalls besser zu erfüllen als viele der heute im Schwange befindlichen Alternativen, die aus unterschiedlichen Gründen vorübergehend eine weitere Verbreitung gefunden haben. Sie stellen nicht selten einen nur vermeintlichen linguistischen Fortschritt <?page no="20"?> 12 dar und hinter ihren bisweilen hypertrophen Formalisierungen ist das natursprachliche Original oft nur noch schemenhaft wahrzunehmen. Gleichermaßen unplausibel erscheint die Annahme oder der Anspruch, dass solche die sprachlichen Gegebenheiten entstellenden Modelle irgendeiner mentalen Realität entsprechen, d.h. die Erlernung, die Speicherung und die Verarbeitung der sprachlichen Daten im menschlichen Gehirn nachbilden. Ein bescheideneres aber wichtiges Anliegen der Kategorialgrammatik ist zunächst die Schaffung einer Begrifflichkeit und theoretischen „Sprache“ für die Beschreibung natürlichsprachlicher Zeichen und Zeichensysteme. Die Ausdrücke dieser Sprache sind die Symbole für die Grund- und die Funktionskategorien, die die Operationen, die mit ihnen ausführbar sind, ihre Kombinationsmöglichkeiten also, präzise angeben. Des weiteren geht es dann darum, die spezifischen Restriktionen für die Durchführung dieser Operationen zu erkennen und als universelle oder einzelsprachliche Bedingungen, gewissermaßen als Durchführungsbestimmungen, zu formulieren. Die Kategorialgrammatik scheint in ihrer spezifischen Mischung aus mathematischer Präzision, Einfachheit, Flexibilität und Sprachnähe für diese Aufgaben besonders geeignet zu sein. Nach der Erfahrung ihrer Anwender bildet sie darüber hinaus einen heuristisch anregenden Rahmen für das Auffinden und die Diskussion sprachlicher Zusammenhänge und Regularitäten. Wissenschaftsgeschichtlich könnte man von einer Weiterentwicklung und Dynamisierung strukturalistischer, zumal dependenzgrammatischer Konzepte sprechen, mit dem Ziel der Grundlegung einer konsistenten Methodik der Sprachwissenschaft. Im Folgenden sollen diese Eigenschaften der Kategorialgrammatik exemplarisch demonstriert werden. Der zweite Teil beginnt mit einer inhaltlichen Annäherung an unser Modell und fährt mit einer allgemeinen Einführung in die Kategorialgrammatik und ihre Anwendungsmöglichkeiten fort. Das erste Kapitel des dritten Teils soll zeigen, wie ganz unterschiedliche historische und synchron-reversible Prozesse auf den verschiedensten Ebenen der Sprache durch eine formale Operation, die sogenannte Funktionskomposition, dargestellt und auf diesem Weg miteinander in Zusammenhang gebracht werden können. In den darauffolgenden Kapiteln wird detaillierter erörtert, in welcher Form dieses Modell auch auf die Satzsemantik, die Wortstellung und die Morphologie / Wortbildung angewendet werden kann und inwieweit es darüber hinaus für Fragen der kognitiven Linguistik, wie etwa solche der Struktur des mentalen Lexikons und der mentalen Grammatik, von Interesse ist. Noch einmal sei an dieser Stelle angemerkt, dass es dabei nicht ausschließlich um die Propagierung eines ganz bestimmten Formalismus, einer ganz <?page no="21"?> 13 bestimmten Notationsform gehen soll, sondern um die Vermittlung der dem kategorialgrammatischen Modell zugrundeliegenden substantiellen Prinzipien. <?page no="22"?> II. Die immanente Grammatik Vorauszuschicken sind zunächst noch ein paar ganz allgemeine methodologische Vorbemerkungen. Es gibt bekanntlich keine einheitliche Methodologie / Methodik der Sprachwissenschaft, die sich auf eine Menge allgemein anerkannter Methoden der Sprachbeschreibung beziehen würde. Die zahlreichen Aspekte, unter denen man die menschliche Sprache betrachten kann, und die ganz unterschiedlichen Erkenntnisinteressen der Linguisten stehen einem solchen Desiderat offenbar entgegen. Teilbereiche wie Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik, Textlinguistik, erfordern spezielle methodische Instrumentarien, ganz zu schweigen von explizit transdisziplinären Ansätzen wie Sozio- oder Psycho- und Neurolinguistik. Die jeweils hinzukommende Alternative zwischen synchronischer und diachronischer Perspektive hat ihrerseits Konsequenzen für die wissenschaftliche Methodik. Methodenvielfalt findet man aber auch innerhalb der Teilbereiche selbst, bedingt unter anderem durch das intrikate Verhältnis von Form und Inhalt sprachlicher Zeichen sowie von Syntax und Semantik sprachlicher Strukturen. Es gibt Ansätze, die nach der Form von Inhalten und solche, die nach dem Inhalt von Formen fragen, sowie Modelle, die semantische Strukturen in syntaktische überführen und solche, die von der Syntax ausgehend zur Semantik fortschreiten oder diese zunächst reduktionistisch ausblenden. Hinzu kommt die mögliche Wahl des Abstraktionsgrades der Beschreibung bis hin zu einer weitgehend formalisierten Darstellung sowohl der syntaktischen als auch auch der semantischen Strukturen. Die Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit eines formalen Modells zumindest einzelner Bereiche der natürlichen Sprache wird häufig sehr kontrovers und aprioristisch geführt, obgleich es sich eigentlich um ein empirisch zu lösendes Problem handelt. Freilich trägt der Modellierer die Beweislast und es obliegt ihm, Zweck und Nutzen seines Modells, insbesondere im Vergleich mit herkömmlichen Beschreibungsverfahren, überzeugend darzulegen. Mag es nun auch keine einheitliche Methodik etwa zur Behandlung von Flexionsmorphologie und Diskursanalyse geben, so kann dies doch für den Komplex, den man traditionell als Grammatik bezeichnet, postuliert werden; hinzuzufügen ist der Bereich der Wortbildung. Es geht dort um Form und Funktion sprachlicher Zeichen bei der Konstruktion komplexer Ausdrücke, also bei der Bildung von Wörtern, Satzteilen und Sätzen. Neben der Wortbildung sind dies die Bereiche der Morphologie und der Syntax in ihren formalen und inhaltlichen Aspekten. Für den gesam- <?page no="23"?> 15 ten Bereich könnte man Hjelmslevs (1943) strukturalistische Definition der Grammatik als Form des Inhalts übernehmen (cf. S. 11), da es prinzipiell um die wechselseitige Bedingtheit inhaltlicher und formaler sprachlicher Kategorien geht. Einheitlich zu beschreiben und darzustellen wären also die grundlegenden allgemeinen Konstruktionsprinzipien und Ausdrucksmuster der menschlichen Sprache. Dafür benötigt man ein Analyseverfahren, das auf alle morphologisch komplexen Ausdrücke, also auf Wörter / Wortformen, Satzteile und Sätze und die durch sie repräsentierten Bedeutungsstrukturen, gleichermaßen anwendbar ist. Dies setzt freilich voraus, dass ein allen diesen sprachlichen Gebilden gemeinsames Konstruktionsprinzip erkannt wird. Sprache ist aber nicht nur als produziertes Gebilde zu betrachten, sondern als Instrumentarium zur Bildung komplexer Symbole zwecks Wiedergabe und Vermittlung unserer Wahrnehmung der Welt. Daher wäre das Funktionieren dieses Instrumentariums in einem Funktionsmodell zu verdeutlichen, in dem die Mechanismen der Konstruktions- und Interpretationsvorgänge explizit nachgestellt werden. Welche Forderungen für ein solches Modell ergeben sich nun konkret aus der Natur der sprachlichen Zeichen? II.1. Syntaktische und semantische Valenz Die sprachlichen Grundbausteine Morpheme und Wörter sind Zeichen unterschiedlicher Form und Funktion, also Instrumente zur Wiedergabe von Inhalten oder Teilen von Inhalten. Bei der Bildung komplexer Einheiten unterliegen die Zeichen gewissen Gebrauchsbedingungen, die als ihr Verwendungszweck Teil ihres Inhaltes sind. Das heißt, die Zeichen haben bestimmte kombinatorische Eigenschaften, die aus der semiotischen Funktion, für die sie vorgesehen sind, resultieren. Diese Gebrauchsbedingungen ergeben sich zunächst aus der Komponente des Inhaltes sprachlicher Zeichen, die man als grammatisch oder kategorial bezeichnen kann. Sie besteht primär aus der Zugehörigkeit zu einer Wortart oder einer anderen morphologischen Kategorie, die als solche spezifische kombinatorische Eigenschaften hat. So gehört etwa die deutsche Wortform junger der Wortart Adjektiv an und hat als Attribut die kombinatorische Eigenschaft, mit einem Nomen wieder ein (komplexes) Nomen wie junger Hund zu bilden, im Unterschied zu der prädikativen Variante jung in Der Hund ist jung, wo das Adjektiv ein Komplement der Kopula ist. In dieser Form kann jung auch als Adverb fungieren, um mit einem Verbum wieder ein (komplexes) Verbum zu bilden: jung sterben. Die Zugehörigkeit zur Wortart Adjektiv <?page no="24"?> 16 ist kombinatorisch auch insofern von Belang, als Adjektive in beiden Funktionen sowie als Adverb z.B. von einem Gradadverb wie sehr begleitet werden können, sehr jung(er), im Französischen von très (jeune) im Unterschied zu „verbalem“ beaucoup (travailler) - viel (arbeiten). Hinzu kommen Kombinationsbedingungen, die den speziellen lexikalischen Inhalt betreffen, wie etwa die, dass das Adjektiv jung in erster Linie auf Organisches zu beziehen ist und im Gegensatz zu alt nicht auf menschliche Produkte wie Haus, Auto oder Schuhe. Die Kenntnis derartiger Eigenschaften ist für den korrekten Gebrauch einer Wortform wesentlich. So kann eine Wortform wie Vaters bzw. das Syntagma des Vaters die gleiche kombinatorische Funktion wie ein attributives Adjektiv haben, nämlich die, mit einem Nomen wieder ein (komplexes) Nomen zu bilden, wie in Ermahnung des Vaters, entsprechend dem prädeterminierenden Adjektiv in väterliche Ermahnung. Auch semantisch kann eine Nominalphrase im Genitiv zu einer Art Eigenschaftswort oder Eigenschaftsbezeichnung werden. Die Wortartzugehörigkeit ist insofern auch wieder für die Kombinatorik relevant, als Nomina, im Gegensatz zu Adjektiven, in allen syntaktischen Funktionen von einem Adjektiv, wie in des alten Vaters, oder von einer genitivischen Nominalphrase wie in des Vaters der Braut, begleitet sein können (cf. III.4.3). Wieder andere kombinatorische Eigenschaften besitzt eine Verbform wie frißt, die sich mit einer Nominalphrase verbindet, um mit dieser zusammen ein komplexes Prädikat wie frißt eine Maus zu machen, dessen kombinatorische Funktion darin besteht, nach Art eines einstelligen Verbums mit einer NP wie die Katze einen Satz zu produzieren: Die Katze frißt eine Maus / schnurrt. Dagegen gehört der Infinitiv fressen zwar derselben Wortart an, wie die mögliche Verbindung mit einem direkten Objekt und einem Adverb zeigt, ... genüsslich eine Maus fressen, er hat aber insofern andere kombinatorische Eigenschaften, als er nicht imstande ist, mit einer Nominalphrase einen Satz zu bilden: *Die Katze eine Maus fressen / fressen eine Maus. Kombinatorisch wie ein Adjektiv verhält sich schließlich das Partizip fressend, das zwar wie alle aktivischen Verbformen ein Objekt zu sich nehmen kann, dann aber mit einem Nomen - dem jeweils zugrundeliegenden Subjekt - wieder ein (komplexes) Nomen bildet: Mäuse fressende Katze. Auch in diesem Fall kommen dann lexikalische Verträglichkeitsbedingungen hinzu, wie die, dass das Verbum fressen normalerweise auf tierische Subjekte bezogen wird und sich gerade durch dieses Merkmal von einfachem essen unterscheidet. Ein Adverb wie genüsslich schließlich verbindet sich mit sämtlichen Formen eines Verbums, um jeweils wieder einen (komplexen) Ausdruck desselben Typs zu erzeugen, wie z.B. genüsslich fressend. <?page no="25"?> 17 Die syntaktischen Gebrauchsbedingungen eines Wortes lassen sich dabei weitgehend aus den charakteristischen semantischen Merkmalen der Wortart, der es angehört, und aus seiner speziellen lexikalischen Bedeutung ableiten und vorhersehen. Da Adjektive im weitesten Sinne Eigenschaften von Dingen bezeichnen, beziehen sie sich syntaktisch auf Dingbezeichnungen und damit in der Regel auf Nomina. Semantisch betrachtet besteht die kombinatorische Funktion eines Adjektivs wie jung(er) darin, seine Bedeutung mit der Bedeutung eines Nomens wie Hund zu verbinden, um gemeinsam mit dieser die (komplexe) Bedeutung des (komplexen) Nomens junger Hund (gegenüber synthetischem Welpe) zu bilden. Da Adverbien, allgemein gesprochen, Eigenschaften von Eigenschaften bezeichnen, beziehen sie sich syntaktisch auf Eigenschaftsbezeichnungen und somit auf Adjektive oder wieder auf Adverbien sowie auf Verben, da diese einem Subjekt im Prinzip eine Eigenschaft zuordnen: Die Katze frisst ganz genüsslich. Adverbien bilden also mit einer Eigenschaftsbezeichnung wieder eine (komplexe) Eigenschaftsbezeichnung. Das Verbum fressen bezeichnet eine auf ein Objekt gerichtete Handlung und damit eine Relation zwischen einem Handelnden und einem Objekt, an dem sich die Handlung vollzieht, eine Relation also zwischen zwei Dingen und damit zwischen den Denotaten zweier Nominalphrasen. Ein Ausdruck wie liegt nimmt als Positionsverb erwartungsgemäß eine Lokalangabe als Komplement zu sich und bildet mit dieser ein Prädikat wie liegt auf dem Boden. Ein Verb wie hoffen bezeichnet eine Relation zwischen einem Ding, speziell einem Lebewesen, und einem Sachverhalt, und kann aufgrund dieser Bedeutung einen Satz als Objekt an sich binden: Der Trainer hofft, (dass) sie gewinnen. Das heißt hofft ist ein Ausdruck, dessen Bedeutung sich mit der Bedeutung des Satzes sie gewinnen verbindet, um mit dieser die komplexe Bedeutung des Prädikates hofft, (dass) sie gewinnen zu bilden. Diese schließlich bringt mit der Bedeutung der Subjekt-NP der Trainer die Bedeutung des Gesamtsatzes hervor. Die Bedeutung des Verbs weist also den als Subjekt, Objekt oder Adverbial kodierten Aktanten bestimmte semantische Rollen zu, die für den Empfänger vorhersehbar sind und daher nur unterscheidbar aber inhaltlich nicht mehr im Detail gekennzeichnet sein müssen. Man kann deshalb auch von der semantischen Valenz eines Zeichens sprechen, das heißt von der Valenz der Bedeutung eines Zeichens. Diese nicht eineindeutige Beziehung zwischen semantischer Rolle (z.B. Patiens) und syntaktischer Funktion (direktes Objekt) erklärt sich daraus, dass die Syntaktisierung semantischer Strukturen zwangsläufig einen drastischen Reduktions- und Abstraktionsprozess darstellt, in dem eine theoretisch unendliche Menge inhaltlicher Rollenverhältnisse in einige wenige Typen syntaktischer Abhängigkeitsrelationen überführt wird. <?page no="26"?> 18 Dies ist deshalb auch möglich, weil sich die Rollen der Aktanten präzise aus der Bedeutung des Verbums ergeben und in dessen semantischer Valenz bereits enthalten sind. Was die Syntax als abstrakte Struktur von Abhängigkeiten inhaltlich vermitteln kann, ist lediglich die allgemeine semantische Relation der Determination oder Spezifikation in verschiedenen Spielarten. Dabei ist das abhängige Element in der Regel das determinierende, einmal abgesehen vom Sonderfall der Prädikation, d.h. der Subjekt-Prädikat-Relation (vgl. III.2.1.). Dependenz steht also für Determination, syntaktische Abhängigkeit für semantische Abhängigkeit und syntaktische Valenz für semantische Valenz. So erscheint etwa das Verhältnis ‚Handlung - Objekt der Handlung’ als syntaktische Abhängigkeit des direkten oder indirekten Objekts vom Verbum und allgemein das Verhältnis Relator-Relatum als syntaktische Abhängigkeit etwa der Nominalphrase von der Präposition, ((außerhalb) des Kreises), oder der Präpositionalphrase vom Adjektiv in Konstruktionen wie ((stolz) auf den Preis). Das Verhältnis Eigenschaft-Eigenschaftsträger wird syntaktisch zur Abhängigkeit des Adjektivs vom Substantiv oder auch des Adverbs vom Verbum. Dieses Zusammenspiel von Syntax und Semantik ermöglicht eine ökonomische Darstellung komplexer Inhalte, indem die allgemeine Determinations- und Prädikationsstruktur syntaktisch und die speziellen Inhalte lexikalisch vermittelt werden. Die Syntax kann daher zunehmend entsemantisiert werden, wie z.B. bei dem funktionalen Wandel des Subjekts und des direkten Objekts zu beobachten ist. Das Subjekt kann semantisch erweitert und aus der festen Bindung an die Funktion des Agens gelöst werden, da die semantische Rolle seines Denotats auch in einem Satz wie Der Junge hat seine Mutter verloren durch das Verbum und seine Bedeutung eindeutig charakterisiert und für den Empfänger interpretierbar ist. Es genügt, die syntaktische Funktion der Nominalphrase als Subjekt des Satzes und damit als Gegenstand der Prädikation zu markieren. Ebensowenig hat das direkte Objekt prinzipiell das Patiens eines Vorgangs zu transportieren, da seine semantische Funktion etwa in unserem Beispielsatz ebenfalls eindeutig durch die Bedeutung des Verbums vorgegeben ist. Erforderlich ist nur, dass die Nominalphrase syntaktisch als Objekt und damit als Determinans des Verbums erkennbar ist. Aus dem nämlichen Grund ist z.B. auch die explizite Modalisierung von Nebensätzen mittels des Verbmodus weitgehend redundant. So vermittelt der Konjunktiv in einem französischen Satz Knut veut que tu t’en ailles ‚Knut will, dass du gehst’, statt …que tu t’en vas, keine zusätzliche Information, die in dem regierenden Verbum vouloir nicht schon enthalten wäre. Die Konjunktivsetzung im Objektsatz ist vielmehr Teil der syntaktischen Valenz dieses Verbums, die sich insofern aus seiner semanti- <?page no="27"?> 19 schen Valenz ergibt, als der von einem Verbum des Wollens abhängige Satz keine Mitteilung im Sinn einer Assertion enthält. In Sprachen wie dem Deutschen hingegen wird ganz auf eine Modusdifferenzierung in derartigen Nebensätzen verzichtet und der eigentlich für Assertionen zuständige Indikativ generalisiert und dadurch modal neutralisiert, ohne dass wesentliche Information verloren ginge. Aufgrund der semantischen Valenz von wollen kann der indikativische Nebensatz in dtsch. Knut will, dass du gehst nicht als Assertion interpretiert werden - einmal abgesehen davon, dass Nebensätzen im Prinzip nie eine eigene Modalität zukommt. Das Hauptsatzverbum weist dem Nebensatz eine bestimmte semantische Rolle zu, hier die des Inhalt eines Willens, die daher nicht noch einmal explizit angezeigt werden muss. Es ist ausreichend, den Satz du gehst mittels der Konjunktion dass syntaktisch als direktes Objekt des Verbums wollen zu kennzeichnen und ihn damit auch zu entmodalisieren. Eine weitere Reduktion von Redundanz ermöglichen Infinitivkonstruktionen wie Knut erlaubt dir, zu gehen, in denen nicht einmal mehr der Satzstatus des verbalen Komplements durch eine finite, ein Subjekt implizierende Verbform angezeigt wird. Dass der Infinitiv in diesem Kontext für einen Satz steht, dessen Subjekt referenzidentisch mit dem personalen Objekt dir ist, resultiert wiederum aus der Bedeutung und semantischen Valenz des Verbums erlauben (im Unterschied etwa zu versprechen). Man kann verallgemeinernd sagen, dass die semantische Rolle eines Dependens in der Funktion eines Komplements normalerweise aus der Bedeutung des jeweiligen Kopfes erschlossen werden kann. Wir können also feststellen, dass die syntaktischen Strukturen mehr oder weniger direkt und ikonisch satzsemantische Strukturen wiedergeben, die ihrerseits einer abstrahierenden Konzeptualisierung der Wahrnehmung der Welt durch den Menschen entsprechen. Die vielgestaltigen Beziehungen in der wahrgenommenen Welt werden als Determinationsverhältnisse, also als Relationen zwischen einem Determinatum und einem subkategorisierenden Determinans konzeptualisiert. Das auf das Determinatum bezogene Determinans kann dann in der Syntax als syntaktisch abhängiges Glied kodiert werden. Konzeptualisierung heißt begriffliche Reduktion, Zergliederung und damit Interpretation komplexer Gegenstände der Wahrnehmung. Dabei wird der jeweils herausgegriffene und „thematisierte“ Bestandteil tendenziell als Kopf / Determinatum und damit als übergeordnetes, die Kategorie des Gesamtausdrucks bestimmendes Element gefasst und versprachlicht. So etwa die Handlung als solche in der Infinitivphrase eine Maus fressen oder - daraus abgeleitet - das von der Handlung betroffene Patiens in der Nominalphrase die gefressene Maus oder aber das Agens in der NP die fressende Katze im Unterschied zum Prädikat in dem Satz Die Katze frisst, der keine Determinati- <?page no="28"?> 20 onsrelation enthält. In Nomen-Adjektiv-Syntagmen, wie die kurze Strecke, ist vom Eigenschaftsträger die Rede, in einem davon abgeleiteten die Kürze der Strecke hingegen von der Eigenschaft, während der Eigenschaftsträger als syntaktisch abhängiges Determinans erscheint. Man könnte so auch sagen, dass die Syntax ein abstraktes formales Modell kognitivsemantischer Strukturen darstellt. Die Kombinationsmöglichkeiten sprachlicher Ausdrücke sind diesen immanent, d.h. die verschiedenen syntaktischen Strukturmuster sind an bestimmte Ausdrücke und Klassen von Ausdrücken gebunden, aus denen sie hervorgehen. Der Sitz der Syntax und ihrer Regeln sind demnach die strukturerzeugenden Wortformen selbst und nicht eine diesen äußerliche Regelkomponente, die auf die sprachlichen Einheiten jeweils appliziert wird, etwa wie bei der Errichtung eines Gebäudes aus mehr oder weniger gleichförmigen Bausteinen. Freilich kann man die Regeln auch in einer solchen Weise formulieren. Statt zu sagen, frißt sei ein Ausdruck, der mit einer Nominalphrase eine Verbalphrase frisst eine Maus bildet, bzw. ein Ausdruck, der eine Nominalphrase zu sich nimmt, um mit dieser eine Verbalphrase zu bilden, bzw. ein Ausdruck, dem eine Nominalphrase fehlt, um eine Verbalphrase zu bilden, kann man auch sagen, die Verbindung eines finiten (transitiven) Verbums und einer Nominalphrase in der Funktion eines direkten Objekts ergibt eine Verbalphrase, oder umgekehrt analytisch: Eine Verbalphrase besteht u.a. aus einem (transitiven) Verbum und einem direkten Objekt, ein Satz besteht aus einer Nominalphrase in der Funktion des Subjekts und einer Verbalphrase etc. Kennt man die lexikalische Bedeutung sowie die semantische und die syntaktische Valenz einer Verbform wie frißt, ist man in der Lage, einen korrekten Satz wie Die Katze frißt eine Maus zu konstruieren respektive zu interpretieren. Man könnte auch sagen, dass sich dieser Satz, vom Verbum und seiner immanenten Grammatik ausgehend, selbst konstruiert. Entsprechendes gilt dann für die Bildung komplexer Sätze mittels einer Konjunktion wie dass, die mit einem Satz (S) einen Nebensatz (NS) und damit ein Satzglied erzeugt: (Der Trainer hofft (dass (sie gewinnen) S ) NS ) S Auch hier hat man es mit der syntaktisch-semantischen Valenz eines Wortes zu tun, also mit der dieser Konjunktion immanenten Grammatik, deren Kenntnis die Bildung korrekter Satzgefüge erlaubt. Es geht dabei zunächst einmal nur um das Wissen darum, welches der unmittelbare Strukturpartner eines sprachlichen Ausdrucks ist oder sein kann und welcher Kategorie das Produkt der Verbindung der beiden angehört. <?page no="29"?> 21 So muss man beispielsweise Folgendes wissen: (a) Die lokativische Präposition auf kann mit einer Nominaleine Präpositionalphrase wie auf dem Finanzamt bilden, (b) ein solches Syntagma kann sich seinerseits mit einer Verbform wie arbeitet zu einer komplexen Verbalphrase arbeitet auf dem Finanzamt verbinden und (c) ein Ausdruck wie dieser nimmt eine Nominalphrase zu sich, um mit dieser zusammen einen Satz wie: Meine Schwester arbeitet auf dem Finanzamt zu erzeugen. Zur Produktion derartiger Gebilde sind nicht hochkomplexe abstrakte Satzbaupläne oder Raster zu postulieren, in die dann konkrete lexikalische Elemente quasi eingehängt und nach Bedarf dort auch umgehängt werden können, wie dies etwa durch bestimmte Regeltypen der Generativen Grammatik suggeriert wurde. Die syntaktischen Muster erwachsen vielmehr aus der Valenz der einzelnen Elemente, die ihren lokalen Satzbauplan in und mit sich tragen, in gewisser Hinsicht den vorgefertigten Teilen eines Bausatzes vergleichbar. II.2. Erwerb und Verwendung der immanenten Grammatik II.2.1. Unendlicher Gebrauch von endlichen Mitteln Diese Sicht der Dinge ist nicht nur für die Fremdsprachendidaktik von Interesse, sondern vor allem für den Erstspracherwerb und die Frage der Speicherung, Auffindung und Verarbeitung sprachlicher Daten im Gehirn. Im Lichte der Annahme einer solchen immanenten Grammatik stellt sich insbesondere das viel diskutierte Phänomen der sogenannten Kreativität der natürlichen Sprache etwas anders dar. Sie wird üblicherweise als die Möglichkeit bzw. die Fähigkeit des Sprechers definiert, mittels einer endlichen Menge von (a) sprachlichen Ausdrücken und (b) Regeln für deren Kombinierbarkeit eine unendliche Menge von Äußerungen zu produzieren und zu interpretieren. Diese Formulierung suggeriert wieder die Trennung von sprachlichen Ausdrücken einerseits und abstrakten Kombinationsregeln andererseits, die die kindliche Sprachkompetenz als eine verblüffend rasch erlernte Beherrschung eines äußerst komplexen Regelapparates erscheinen lässt. Jedenfalls gibt sie nicht zu verstehen, dass es zunächst einfach um die Beherrschung der Gebrauchs- und Kombinationsregeln einiger weniger sprachlicher Ausdrücke und Ausdrucksklassen geht. Wir nehmen an, dass diese Regeln als Teil der Bedeutung der Ausdrücke mit diesen zusammen gelernt und gespeichert werden. Die Verwendungsbedingungen sind für den Lernenden somit am konkreten sprachlichen Zeichen festgemacht und konstituieren keine abstrakte, <?page no="30"?> 22 eigenständige und als solche - wo und wie auch immer - gespeicherte Regelkomponente. Der nun die Kreativität ausmachende „unendliche Gebrauch von endlichen Mitteln“ ist nur insofern unendlich, als (wenigstens) einer von zwei sprachlichen Strukturpartnern Element einer unendlichen Menge ist, d.h. einem Paradigma von Ausdrücken angehört, das jederzeit erweiterbar ist. So kann ein Kind das einmal gelernte Satzmuster Mama kommt / Papa kommt auf eine offene Menge von Personen anwenden, die es mit ihrem Namen kennt und kennenlernt, also Oma kommt / Opa kommt / Kevin kommt / Jessica kommt / Wauwau kommt etc., und des weiteren auf alle Nominalphrasen, deren Denotate in dieses Paradigma passen - und die kommen. Dasselbe gilt etwa für das geläufige kindersprachliche Muster Auto haben im Sinne von Ich möchte ein Auto haben, das dann auf die offene Menge all der Dinge ausgedehnt werden kann, die das Kind haben will, wie Ball haben / Schaufel haben / Eis haben etc. Man kann diesbezüglich von paradigmatischer Unendlichkeit sprechen, die durch eine Koordination der Elemente auch syntagmatisiert werden kann: A und B und C und D ... kommen / haben. Davon ausgehend, dass dem Sprecher die Bedeutung von kommt / kommen respektive von haben bekannt ist, hat man es hier also mit einer eher trivialen Form von Kreativität zu tun. In jeder Situation, in der jemand kommt, wird der Sprecher dieses Verbum in Kombination mit der Bezeichnung des jeweils Kommenden verwenden können, d.h. die Unendlichkeit ergibt sich nicht aus der Natur der Sprache, sondern aus der potentiellen Unendlichkeit der Referenten und Situationen. Eine spezielle Quelle von Unendlichkeit oder Kreativität in diesem Sinne ist die Rekursivität etwa im Falle der theoretisch unbeschränkten Möglichkeit, zur Erweiterung eines komplexen Ausdrucks irgendwelche Attribute aneinanderzureihen: die liebe, kleine, alte Oma. Zu denken ist auch an die rekursive Einbettung von Sätzen und ihre Verwandlung in Satzglieder, wie in Peter ist erstaunt, dass Anna glaubt, dass Michael immer schon wußte, daß das Ganze nicht funktioniert; dann auch an selbsteinbettende Strukturen in Relativsätzen des Typs: Kevin bat die Frau, die den Mann, der ihn bedroht hatte, gut kannte, um weitere Details Einmal abgesehen davon, dass derartige Strukturen, jedenfalls die Mehrfacheinbettungen, in der Erwachsenensprache nur eine marginale und in der Kindersprache überhaupt keine Rolle spielen, hat man es eigentlich auch hier nicht mit hochkomplexen, auf der Basis entsprechender Regelmengen konstruierten Satzbauplänen zu tun. Es sind vielmehr Ge- <?page no="31"?> 23 bilde, die durch Iterierung und Verschachtelung üblicher einfacher Struktur(bildungs)muster entstehen, wobei freilich Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit des Menschen bald überfordert sind. Es geht immer wieder nur darum, zwei Strukturpartner gemäß der immanenten Grammatik der jeweils strukturbildenden Konstituente miteinander zu kombinieren. Ein Satz wie der letzte entsteht einfach dadurch, dass jedes Nomen oder Nominal durch ein Relativsatzattribut erweitert werden kann und zwar in der Regel nur einmal. Die wiederholte Erweiterung einer Attributkonstruktion geschieht nach derselben Regel, nach der die erste Attribuierung vollzogen wurde, nämlich nach der Regel, dass ein Attribut mit einem Ausdruck der Kategorie X wieder einen (komplexen) Ausdruck dieser Kategorie bildet - im Fall von Nomen und Adjektiv immer wieder Ausdrücke der Kategorie N: (die (liebe (kleine (alte Oma N ) N ) N ) N ) NP . Man hat es also im Grunde nur mit einer einzigen Regel zu tun; erst durch die Hinzufügung des Artikels wird das komplexe Nomen dann zur Nominalphrase. Damit soll die Leistung des sprachlernenden Kindes keineswegs bagatellisiert werden, doch die Fähigkeit, eine unbegrenzte Menge verschiedener und jedenfalls theoretisch beliebig komplexer Äußerungen erzeugen und verstehen zu können, ist in dieser allgemeinen Formulierung kein starkes Argument für die Annahme eines angeborenen hochspezialisierten Sprach- und insbesondere Syntaxerwerbsmechanismus. Da man für jeden Ausdruck bzw. jede Ausdrucksklasse zunächst nur den jeweils unmittelbaren Strukturpartner und die Kategorie des Produktes ihrer Kombination kennen muss, weiss man im Prinzip auch bei komplexeren Strukturen an jedem Punkt, wie die Konstruktion weitergehen muß oder kann. Bei derartigen binären Relationsgefügen spielt der weitere Kontext, genauer gesagt, die syntaktische Funktion, die der jeweilige Kopf und damit die Gesamtkonstruktion gerade innehat, normalerweise keine Rolle für die Binnenstruktur des Gefüges. So werden die Rektionsverhältnisse zwischen Präposition und Nominalphrase innerhalb der Präpositionalphrase in der Bibliothek nicht davon berührt, ob der Gesamtausdruck als adnominales Attribut, wie in sein Platz in der Bibliothek, oder als adverbiales Attribut, wie in Er arbeitet in der Bibliothek, auftritt. In beiden Fällen hat die Präposition die Funktion, mit einer Nominalphrase ein Attribut zu bilden. Die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Konjunktion und Satz in … dass du kommst wird nicht tangiert von der syntaktischen Funktion des Nebensatzes, sei es als Objekt, wie in Ich hoffe, dass du kommst, als Subjekt in Es ist wichtig, dass du kommst oder als Präpositionalobjekt in Ich träume davon, dass du kommst, sei es in Abhängigkeit von einer finiten oder einer infiniten Verbform, wie in … ohne davon zu träumen, dass du kommst. Man <?page no="32"?> 24 muss daher, wie gesagt, nicht fertige abstrakte Satzbaupläne als Ganze detailliert im Kopf haben, sondern man beginnt zu konstruieren respektive zu interpretieren und „hangelt“ sich von Wortform zu Wortform vermittels deren jeweils lokal agierenden immanenten Grammatik. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass bei überlangen Satzkonstruktionen und diskontinuierlichen Elementen verschiedener Art der Anfang und damit der Gesamtzusammenhang aus dem Bewußstein verloren und durch Rückblenden reaktiviert werden muß. Es ist in unserem Zusammenhang freilich auch zu berücksichtigen, dass die wenigen syntaktischen Strukturen, die das Kind verwendet, zunächst eher simpel oder rudimentär sind und im Zusammenspiel mit der jeweiligen semantischen Struktur und dem diesbezüglichen Weltwissen wohl leichter erlernt und gehandhabt werden können, als es dem syntaxfixierten Sprachtheoretiker scheinen mag. Eine solche sukzessive inkrementelle Erzeugung und Interpretation komplexer syntaktischer Strukturen kann auch, statt mit einem strukturbildenden Element, mit einem Komplement starten, wenn dieses als solches, d.h. als Strukturpartner eines Funktorausdrucks, eindeutig gekennzeichnet ist. Beginnt etwa im Deutschen eine Äußerung mit der Nominalphrase sein Bruder, ist diese morphologisch als Nominativ und aufgrund ihrer Position als Subjekt interpretierbar, mithin als Strukturpartner eines Prädikates. Man weiß, dass ein Subjekt ein Ausdruck ist, der mit einem Prädikat einen Satz wie Sein Bruder schläft ergibt, oder, wenn man so will, ein Ausdruck, dem ein Prädikat fehlt, in Umkehrung der Formulierung, ein Prädikat ist ein Ausdruck, dem ein Subjekt fehlt. So gesehen wird das Subjekt selbst zu einer strukturbildenden Konstituente, die einen Strukturpartner zu sich nimmt (vgl. die Operation der Typanhebung in II.3.3.). Auch ein Akkusativ bzw. ein direktes Objekt kann als ein solcher Funktor betrachtet werden, da eine Nominalphrase wie seinen Bruder funktional als Ausdruck zu definieren ist, der unter anderem mit einer finiten Form eines transitiven Verbums wie kennen eine Verbalphrase, also ein Prädikat bildet: seinen Bruder kennt, das dann mit einer NP oder ProNP einen Satz hervorbringt: Seinen Bruder kennt niemand. Wir können so von zwei Seiten in eine Kopf-Komplement-Struktur einsteigen - dependentiell gesprochen entweder von oben oder von unten -, wobei der Einstieg über das Komplement im Falle der Subjekt-Verb-Relation gerade der normale und unmarkierte ist. Zumindest in SOV-Sprachen gilt dies auch für die Objekte, wie etwa im deutschen Nebensatz ... da niemand seinen Bruder kennt, in dem man die Folge (niemand seinen Bruder) als gewissermaßen temporäre Satzkonstituente bezeichnen könnte, der noch ein zweistelliges Prädikat fehlt. <?page no="33"?> 25 Hier lässt sich insofern von einer passiven Rektion oder Valenz sprechen, als der Akkusativ darauf hinweist, dass eine Nominalphrase als Komplement fungiert und von einem zweistelligen Verbum regiert wird, während der Nominativ signalisiert, dass die Nominalphrase von einer Verbalphrase regiert oder genommen wird. In diesem Sinne können also auch abhängige Komplemente eine immanente Grammatik haben. Bei Attributsyntagmen verhält es sich andererseits so, dass das strukturbildende Element grundsätzlich das syntaktisch abhängige ist, dessen Valenz auf eine bestimmte Kopfkonstituente gerichtet ist, die ihr fehlt und die sie braucht: ein Adjektiv braucht ein Nomen, ein Adverb braucht ein Verbum etc. Die Strukturpartner der Attribute (Adjunkte), also das Nomen und das Verbum, benötigen hingegen keine derartigen Determinantien, weshalb ihnen in dieser Hinsicht auch nichts fehlt und die Hinzufügung eines Attributes nur eine fakultative Erweiterung darstellt. Vom nominalen oder verbalen Kopf aus betrachtet, handelt es sich nicht um eine inhärente Valenz, sondern nur um eine grundsätzliche Potentialität, die freilich für die Definition der Wortart von Bedeutung ist: ein Nomen ist ein Wort, das (u.a.) von einem Adjektiv determiniert werden kann und ein Verbum ist ein Wort, das (u.a.) von einem Adverb determiniert werden kann, so wie im übrigen auch das Adjektiv und das Adverb selbst (cf. III.4.3.). Die Möglichkeit, sich in verschiedenen strukturellen Richtungen von Wort zu Wort zu hangeln, und komplexe syntaktische Muster aus einer Menge von Paaren von unmittelbaren Strukturpartnern aufzubauen, ist im Hinblick auf den linearen Charakter der sprachlichen Äußerung von grundlegender Bedeutung. Dies gilt vor allem für den Prozess der interpretierenden Rezeption, bei dem man ja auf ein solches sequentielles Vorgehen angewiesen ist, da die Teile einer mehrgliedrigen Äußerung, jedenfalls bei mündlicher Kommunikation, nicht in ihrer Gesamtheit simultan wahrnehmbar sind. Durch das erste Wort wird mittels dessen immanenter Grammatik bereits ein syntakto-semantischer Rahmen aufgespannt, der, wenn dieses Wort funktional eindeutig zu interpretieren ist, einen bestimmten Strukturpartner, einen Kopf oder ein Komplement und damit einen bestimmten „Restsatz“ erwarten lässt. Dies betrifft, wie wir betont haben, immer sowohl die syntaktische als auch die semantische Ebene. Eine Sequenz wie Egyd legte macht das Auftreten nicht nur eines direkten Objektes sondern auch eines weiteren Komplements mit der syntaktisch-semantischen Funktion einer Direktionalergänzung wahrscheinlich: Egyd legte ein Kissen auf die Bank, und umgekehrt lässt eine satzeinleitende Präpositionalphrase auf die Bank ein drei- oder zweiwertiges Bewegungsverbum wie legen oder fallen erwarten. Aufgrund ihrer immanenten Grammatik können Kom- <?page no="34"?> 26 plemente die richtige Interpretation und Desambiguierung eines voranstehenden Kopfes rückwirkend ermöglichen: Eine Folge wie Egyd hat eine Frau kann so enden oder mit dem Partizip gefunden fortgesetzt werden. Da gefunden eine Form ist, die von einem Auxiliar genommen wird, um eine vollständige Verbform zu bilden, ist hat nachträglich als ein solches Element zu verstehen. In einer Folge Letztes Jahr hat Egyd eine Frau kann hat sofort als Auxiliar interpretiert werden. Dort, wo die unmittelbaren Strukturpartner nicht adjazent sind und als sogenannte diskontinuierliche Konstituenten Klammerkonstruktionen aller Art bilden, präsentieren sich die syntaktischen Strukturen zweifellos komplexer oder zumindest unübersichtlicher. Aber gerade dieser Typus kann mit dem Konzept der immanenten Grammatik gut nachvollzogen und angemessen oder „realistisch“ dargestellt werden. Die Trennung von verbalem Kopf und Objektkomplement in dem Satz Almudena trinkt hin und wieder ein Glas Wein stellt offensichtlich weder für die Erzeugung noch für die Interpretation ein wirkliches Problem dar. Die semantosyntaktische Valenz der Form trinkt lässt ein „trinkbares“ direktes Objekt erwarten, das damit virtuell bereits vorhanden ist und dessen tatsächliches Erscheinen durch die Einschiebung der Frequenzangabe lediglich verzögert wird. Es verhält sich aber nicht etwa so, dass das Adverbial hin und wieder nach einem Positionswechsel die Strukturstelle des Komplements einnähme. Entsprechend seiner immanenten Grammatik determiniert es vielmehr, von wo aus auch immer, die zweistellige Verbform trinkt, mit der es, als Attribut, einen (komplexen) Ausdruck derselben Kategorie bildet. Es entsteht so eine vorläufige, provisorische oder, wenn man so will, temporäre Konstituente (trinkt hin und wieder), die wie das einfache trinkt die Funktion hat, mit einem Objekt eine Verbalphrase zu bilden, mit anderen Worten, ein Ausdruck, dem (immer noch) ein direktes Objekt fehlt (cf. III.3.4.). Daher können die beiden Strukturpartner Verb und Objekt durch zusätzliche Einschübe noch weiter voneinander entfernt werden, ohne dass die Konstruktion in sich zusammenbräche oder das Verständnis beeinträchtigt würde: Almudena trinkt hin und wieder mit ihrem Professor ein Glas Wein. Derartige Klammerkonstruktionen können auch durch Köpfe mit mehreren Komplementen hervorgerufen werden, wenn der Kopf von seinem ersten Komplement durch das zweite getrennt ist. So z.B. in einem Satz mit zwei Objektkomplementen wie Ernst gab einer Frau einen Bleistift, in dem das direkte Objekt weiter vom Verbum entfernt steht als das indirekte, im Unterschied zum entsprechenden Nebensatz (da) (Ernst (einer <?page no="35"?> 27 Frau (einen Bleistift gab))), wo inhaltlich-strukturelle Nähe durch raumzeitliche Nähe an der Oberfläche gespiegelt wird. Bei einer solchen Umkehrung der unmarkierten Komplementfolge im deutschen Hauptsatz wird ebenfalls zunächst eine vorläufige, aus Verbum und indirektem Objekt bestehende Konstituente … gab einer Frau erzeugt, der - wie der Hörer weiß - noch ein direktes Objekt fehlt, um ein vollständiges Prädikat gab einer Frau einen Bleistift zu bilden. Eben dies macht die Flexibilität natürlichsprachlichen Konstruierens aus. Die Übereinstimmung oder Gleichsetzung von struktureller und räumlicher Nähe gilt allenfalls für die Darstellung zugrundeliegender Strukturen durch Klammerungen oder durch Baumgraphen, in denen strukturell Zusammengehörendes zum Zwecke der Visualisierung zusammengeschrieben wird aber auch zusammengeschrieben werden muss, da sich anderenfalls die Äste des Baumes überschneiden würden und damit die graphentheoretische Forderung der Projektivität nicht erfüllt wäre. Man kann in diesen Fällen von struktureller Analogie oder einfach von einer analogen (graphischen) Wiedergabe der Struktur sprachlicher Ausdrücke reden. Dies trifft natürlich auch für sprachliche Oberflächen zu, in denen die zugrundeliegende syntaktische Struktur direkt durch die Serialisierung ihrer Elemente wiedergegeben wird. Unmittelbare Strukturpartner repräsentierende Wörter müssen aber nicht adjazent auftreten, sich nicht „berühren“, weil die Zusammengehörigkeit von Konstituenten syntaktisch-semantischer Strukturen auch anders als durch Adjazenz vermittelt und erkannt werden kann. Wörter verweisen durch Merkmale, die sie an und in sich selbst tragen, auf zugrundeliegende Funktionen und mögliche Strukturpartner. So gibt es an der sprachlichen Oberfläche keinen notwendigen Ikonismus zwischen Funktion und Position, Struktur und Linearisierung, wenngleich eine Präferenz dafür logisch zu sein scheint. Die Abfolge der Konstituenten kann daher variieren und für andere semiotische Zwecke verfügbar gemacht werden. Eine raum-zeitliche Trennung sprachlicher Strukturpartner kann durch ihre immanente Grammatik gewissermaßen überbrückt werden. Da eine verbale Kopfkonstituente wie gab ein potentielles direktes und indirektes Objekt (sowie ein Subjekt) in sich enthält, ist mit dem Auftreten dieser Verbform die Struktur ((Verb Objekt dir ) Objekt ind ) VP einschließlich bestimmter semantischer Implikationen schon angelegt. Sofern die konkreten Objekte als solche eindeutig identifizierbar sind, kommt ihrer Position an der sprachlichen Oberfläche keine wesentliche grammatische Bedeutung zu. Aufgrund der Valenz des dreiwertigen Kopfes ist klar, dass ein Syntagma gab einer Frau…, im Unterschied etwa zu (vertraute einer Frau) VP , noch keine vollständige Verbalphrase, sondern ein unferti- <?page no="36"?> 28 ges Gebilde darstellt, in dem das erste Komplement quasi übersprungen wurde und die entsprechende Leerstelle daher noch zu besetzen ist. II.2.2. Angeborenheit und empirisches Lernen Die Frage, inwieweit diese Gesichtspunkte für den Fremdsprachenunterricht von Belang sein können, soll im Augenblick hintangestellt werden, um noch einen weiteren wichtigen Aspekt des Erstspracherwerbs und des Gebrauchs der Muttersprache ins Blickfeld zu rücken. Eine bereits angesprochene zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach der Form der Grammatikregeln, also der „Sprache“, in der diese Regeln abgefasst sind, sowie ihrer Speicherung und Wirkungsweise im menschlichen Gehirn. Das konkrete Problem besteht darin, dass Regeln, die auf objektsprachliche Gegebenheiten anzuwenden sind, metasprachliche Begriffe enthalten müssen, also Begriffe wie Adjektiv, Artikel, Präposition, Konjunktion, Prädikat, Subjekt, Objekt, Hauptsatz, Nebensatz und dergleichen. Von einem solchen Wissen kann aber beim kindlichen Erstspracherwerb natürlich nicht die Rede sein. Das bedeutet, dass grammatikalisches Wissen jedenfalls für Kinder und allgemein für linguistisch ungebildete Sprachbenutzer nicht explizites deklaratives sondern mehr oder weniger implizites prozedurales Wissen ist, einfach das Wissen also, wie man etwas handhabt (cf. III.4.5.). Insoweit benutzen sie die Sprache, wie sie ein Fahrrad, einen Schraubenzieher oder irgendwelche anderen Instrumente des täglichen Gebrauchs benutzen, ohne erklären zu können, wie sie es tun und nach welchen Gesetzen es funktioniert. Durch Imitation und vermittels sporadischer Hinweise lernt ein Kind Tischtennis zu spielen, ohne systematisch praktischen und theoretischen Unterricht genossen zu haben, geschweige denn irgendwelche einschlägigen Fachtermini zu kennen - aber auch ohne dass man annehmen müsste, diese Fähigkeit sei in einem spezifischen Sinne angeboren. Es erübrigt sich, hervorzuheben, dass ein Kind nicht in der Lage ist, etwa zum Zweck des korrekten Gebrauchs von Präpositionen eine Regel der Form Eine Präposition verbindet sich mit einer Nominalphrase zu einer Präpositionalphrase, die ein Verbum oder ein Nomen modifizieren kann, zu lernen und anzuwenden. Aus dem Umstand, dass es mit keinem dieser grammatischen Begriffe etwas anzufangen weiß und nichtsdestoweniger mit dem entsprechenden sprachlichen Material umgehen kann, muss aber nicht geschlossen werden, dass eine intuitive Kenntnis solcher sprachlichen Entitäten und ihrer Verwendung angeboren sein muss. Dies steht keineswegs im Widerspruch zu der notwendigen Annahme, dass die grundsätzliche Fähigkeit, mit sprachlichen Zeichen umzugehen, besser gesagt die Fähigkeit, den Umgang mit sprachlichen Zeichen zu erlernen, <?page no="37"?> 29 zur genetischen Ausstattung des Menschen gehört. Wie dem im Einzelnen auch sei, sollte man sich davor in Acht nehmen, die Komplexität der kindlichen Grammatik und die Schwierigkeit ihres Erwerbs auf empirischem Wege überzubewerten, um damit die Annahme eines hochspezialisierten angeborenen Spracherwerbsmechanismus rechtfertigen zu können. Zumindest aus allgemein methodologischen Gründen sollte man sich zunächst weiter um Analyse- und Beschreibungsmodelle bemühen, in deren Licht die sprachlichen Strukturen weniger komplex und die empirische Erlernung ihrer Handhabung insbesondere auf dem Weg der Imitation weniger unplausibel erscheinen; denn offenbar ist gerade die Fähigkeit zur differenzierten Nachahmung eine charakteristische und wesentliche Begabung des Menschen. So ist für ein Kind - um dies an einem Beispiel durchzuspielen - leicht zu erkennen, dass die Präposition bei ein Element ist, das mit Ausdrükken, die auf irgendwelche Lebewesen oder Dinge referieren, wie Papa, Mama, Peter, Tante, Katze, Haus einen komplexen Ausdruck schafft, der Vorgänge oder Zustände lokalisiert und daher mit einem Prädikat wie schläft das komplexe Prädikat schläft bei Mama bilden kann oder mit der zweistelligen Verbform wohnt das Prädikat wohnt bei der Tante. Im übrigen muss auch der Begriff des Prädikates nicht als solcher eingeführt sein, sondern wiederum nur die beobachtbare Funktion solcher Ausdrücke wie schläft oder wohnt bei der Tante, die darin besteht, mit einem Ausdruck wie Papa, Mama, Peter, Katze etc. die Mitteilung Peter wohnt bei der Tante oder Die Katze schläft bei Mama zu produzieren. Wesentlich für die korrekte Verwendung der Präposition bei also ist die Kenntnis der Bedeutung im Sinne der semantischen Funktion des Ausdruckes, mit der Bezeichnung einer Person oder Sache die Bezeichnung des Ortes eines Vorganges oder eines Zustandes zu bilden. Sobald das Kind die lexikalische und kombinatorische Bedeutung von bei kennt, weiß es, mit welchen Nominalphrasen es sinnvollerweise kombiniert werden kann und hat damit gelernt, mit diesem wichtigen sprachlichen Instrument umzugehen. Die Unendlichkeit der Kombinationsmöglichkeiten ist hier auch wieder einfacher, paradigmatischer Natur, d.h. sie ist eine Funktion des Umfangs des Paradigmas von passenden Nominalphrasen, die das Kind zur Verfügung hat. Auch in anderen Präpositionen, wie in, auf, unter, vor, hinter oder auch mit, für, wegen etc., wird das lernende Kind dann diese immanente Grammatik wiederfinden und die Ausdrücke analog immer nach demselben Muster verwenden. Um solche Lernprozesse nachvollziehen zu können, ist es notwendig - um dies noch einmal hervorzuheben -, syntaktische Kategorien semantisch umzuformulieren. Also statt Nominalphrase ‚Wort zur Bezeichnung von Personen und Dingen’ (wie Mama, Papa, Haus usw.) und statt Präpo- <?page no="38"?> 30 sitionalphrase ‚Ausdruck zur Bezeichnung des Ortes, an dem sich etwas befindet oder vor sich geht’, wie eben in bei Mama schlafen. Das Kind vermag so auf weitgehend empirischem Weg zu erkennen, dass das Wort bei mit einer Personen- oder Dingbezeichnung eine Ortsbezeichnung macht, genauer gesagt, einen Ausdruck zur Lokalisierung eines Zustandes oder Vorgangs. In derselben Weise erkennt das Kind, dass Wörter wie lieb, klein, groß, schön etc. sprachliche Elemente sind, die u.a. mit Personen- oder Sachbezeichnungen wie Seppi, Baby, Kind, Katze, Haus, Ball komplexe Ausdrücke bilden, die entsprechend qualifizierte Individuen oder Teilmengen denotieren. Mit dem prädikativ gemeinten Adjektiv in Behauptungen oder Fragen der Form Baby lieb (? ) lernt das Kind bereits die Grundstruktur des zweigliedrigen Satzes kennen, da lieb hier die Funktion hat, mit einer Nominalphrase einen Satz bzw. mit einer Personenbezeichnung eine Behauptung oder eine Frage zu bilden. Derartiges (prozedurales) Wissen benötigt man bezüglich aller Arten von Instrumenten; denn wissen, was ein Instrument ist, heißt zu wissen, wie es funktioniert und wie man es handhabt. Das Interessante an diesem Ansatz ist die bereits angesprochene Möglichkeit, bei der Kategorisierung sprachlicher Einheiten auf eigene metasprachliche Termini für Funktorausdrücke wie Verbum, Adjektiv, Adverb, Präposition, Konjunktion oder Relativpronomen zu verzichten und diese einfach nach ihrer immanenten Funktion zu klassifizieren und als Lerner / Benutzer zu differenzieren. Die nicht kombinatorisch-funktional definierten Kategorien Nomen bzw. Nominalphrase und Satz indessen repräsentieren die fundamentalen Sprachfunktionen des Benennens und der Identifikation von Dingen einerseits und des Sprechens in Sprechakten andererseits. Die beiden Kategorien stehen also für abgeschlossene nichtableitbare Grundeinheiten des kognitiven Apparates des Menschen, die von diesem unmittelbar als solche erfasst werden. Ihr gemeinsamer evolutionärer Ausgangspunkt, in dem sie sprachlich (noch) nicht differenziert sind, ist der (kindliche) Einwortsatz, der einen Sprechakt durch ein Wort wiedergibt. Diese beiden Einheiten, also das Nomen zur Namensgebung und der Satz zum Ausdruck des Gedankens müssen daher auch nicht in definitorischer Form eingeführt, erklärt und entsprechend gelernt werden. Da es beim Sprechen nun grob gesagt darum geht, in Sätzen irgendwelche Entitäten in irgendwelche Beziehungen zu setzen, benötigt man drei Grundtypen sprachlicher Zeichen und Zeichenkombinationen: Nomina zur Benennung zunächst konkreter Entitäten, Funktorausdrücke zur Bezeichnung von Beziehungen und Sätze zur Wiedergabe von Sprechakten. Diese drei Typen können auch dichotomisch als Funktoren mit einer <?page no="39"?> 31 spezifischen Valenz und Nicht-Funktoren oder Grundausdrücke klassifiziert werden. Die Menge der Grundausdrücke ist erforderlichenfalls über die beiden Typen Nomen und Satz hinaus noch um einige zu erweitern. Im Rahmen dieses Ansatzes kommt man theoretisch nicht nur ohne Termini für die verschiedenen Kategorien von Funktorausdrücken aus, man benötigt auch keine eigenen Begriffe für syntaktische Funktionen von Komplementen wie Subjekt oder (direktes) Objekt. Ein Subjekt ist, wie gesagt, die Nominalphrase, die zusammen mit einem Prädikat einen Satz bildet, d.h. zu diesem Zweck von einem Prädikat als Komplement genommen wird, und ein Objekt ist die Nominalphrase, die zusammen mit einem zweistelligen Verbum ein einstelliges, also ein Prädikat im Sinne einer Verbalphrase bildet, bzw. von einem zweistelligen Verbum zu eben diesem Zweck als Komplement genommen wird. Was man benötigt, wie wir noch sehen werden (cf. III.4.3.), sind Namen für die verschiedenen Wortarten, die nicht allein funktional definiert werden können. Zum Begriff der Valenz ist grundsätzlich noch Folgendes zu bemerken. Die Valenz ist insofern ein negatives, defizitäres Phänomen, als der durch sie spezifizierte potentielle Strukturpartner zunächst gerade durch sein Fehlen vorhanden ist. Er fehlt dem diesbezüglich unvollständigen Funktorausdruck, der ohne seinen Partner nicht verwendet werden kann. Dieser ist also eine notwendige Ergänzung der durch den Funktorausdruck repräsentierten Konstituente, die nach der ihr fehlenden Ergänzung verlangt, um sich zu vervollständigen; aus dem Defizit erwächst dann eine abgeschlossene positive Struktur. So gesehen ist ein Movens syntaktischer Strukturbildung der „Drang“ zur Vervollständigung bis die absolute Vollständigkeit in Gestalt des Satzes erreicht ist. In diesem Sinn kann man menschliche Sprache als selbstkonstruierend oder autokonstruktiv bezeichnen; alle Wörter und Wortformen sind integrierende Bestandteile von Sätzen. All dies trifft auch für syntaktisch abhängige Funktoren wie die Attribute zu, die jedoch im Unterschied zu sonstigen Dependentien ihren Strukturpartner nicht vervollständigen, sondern nur erweitern, ohne seine syntaktische Kategorie zu verändern. Es sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, dass man unter notwendiger Ergänzung zwar eine im Prinzip obligatorisch zu realisierende Konstituente versteht, diese aber bei absolutem Gebrauch transitiver Verben, wie in Claudia isst / liest / schreibt, an der sprachlichen Oberfläche nicht erscheint. Dies bedeutet nicht, dass die so verwendeten transitiven Verben ihre Valenz änderten, da die syntaktische Valenz aus einer zugrundeliegenden semantischen Valenz erwächst. Verben wie essen, lesen, schreiben sind naturgemäß zweiwertig, da sie wesentlich auf ein bestimmtes Objekt ausgerichtet sind, das aber unter Umständen unberücksichtigt und unausgedrückt bleiben kann. Freilich können Funktoren <?page no="40"?> 32 ihre semantisch-syntaktische Valenz auch ändern, wie etwa das Verbum stechen, das in einem Satz Die Biene stach mich am Hals, anders strukturiert ist als in Die Sonne sticht mir in die Augen oder in Die Sonne sticht heute. Man erkennt also stets von neuem, wie wesentlich für Erwerb und angemessene, korrekte Anwendung syntaktischer Regeln die Kenntnis der jeweils abgebildeten inhaltlichen Strukturen ist. Dies bedeutet natürlich nicht, dass die syntaktischen Strukturen in jedem Fall ohne weiteres aus den semantischen abzuleiten seien, da es keine eineindeutige Relation zwischen Semantik und Syntax gibt und geben kann. Das semiotische Prinzip der Untrennbarkeit von Form und Inhalt ist nichtsdestoweniger bei jedem Beschreibungsansatz im Auge zu behalten, weil einerseits alle Formen und syntaktischen Strukturen irgendwelche Inhalte, irgendwelche Funktionen haben und andererseits Inhalte in der Sprache immer in irgendwelchen konkreten Formen vorkommen, die eben das ausmachen, was man als Form des Inhalts bezeichnen kann. Die formalen Strukturen, die inhaltliche Strukturen transportieren, entsprechen auch bestimmten Wahrnehmungsmustern, wobei die Frage, in welche der vergleichsweise wenigen sprachlichen Formen die potentiell unendliche Menge von Inhalten gegossen wird, von zentralem Interesse ist. Es geht auch wieder um die Dialektik zwischen der Prägung der sprachlichen Formen und Strukturen durch die Wahrnehmungsmuster der menschlichen Gattung und die Beeinflussung der Wahrnehmungsweise des Individuums durch die Form der Sprache, die es lernt und in die es hineinwächst. Die Rückführbarkeit syntaktischer auf inhaltliche, ja auf vorsprachliche Strukturen und Realitäten sei noch einmal am Fall des Subjekts und der Fundamentalrelation der Prädikation aufgezeigt. Die Subjekt-Prädikat- Relation entspricht direkt dem Verhältnis von Protagonist und auf ihn bezogenen Vorgängen oder Zuständen, wie es in kindlichen Antworten auf Fragen des Typs Wo ist der Ball? - (Der Ball ist) da / weg oder auf Fragen an den Angeredeten: Wo ist René? - (René ist) da oder eben in Aussagen oder Fragen wie Mama lieb (? ) bereits sehr früh sprachlich ausgeprägt ist und zum Zweiwortsatz hinleitet. Der Ur-Protagonist in der egozentrischen Phase des Kleinkindes ist das Ich, als jene Instanz in der Subjekt- Objekt-Dyade, auf die sich die Welt bezieht und aus deren Blickwinkel die Realität zunächst grundsätzlich und selbstverständlich gesehen wird. Dass die Identität von Subjekt bzw. Protagonist und Ich im Kindesalter den unmarkierten Fall darstellt, zeigen unter anderem die erwähnten Äußerungen des Typs Auto haben! oder einfach Haben! oder Spielen! , in denen das fordernde Subjekt nicht expliziert zu werden braucht, da es sich aus der Sicht des kindlichen Sprechers natürlich um ihn selbst handelt (was vom Kommunikationspartner auch so verstanden wird), so wie etwa auch in einem Mama, Wehweh! , im Sinne der Mitteilung Mama, ich <?page no="41"?> 33 habe (ein) Wehweh! . Gleichzeitig beginnt das Kind jedoch, außer sich selbst auch andere Referenten als Protagonisten eines Vorgangs zu sehen und entsprechend zu versprachlichen, wie in unserem Beispiel Mama lieb oder Papa da / weg usw. Der durch das Subjekt repräsentierte Denotats- und Funktionstyp kann also auf eine in der außer- oder vorsprachlichen Realität erfahrbare Größe zurückgeführt werden. Ihrer zentralen „tragenden“ Rolle korrespondiert auf der sprachlichen Ebene das Satzsubjekt als Bezugspunkt des Prädikats und als dessen Strukturpartner bei der Bildung des Satzes. In Forderungen wie (René) Auto haben! oder (Désirée) Wasser trinken! begegnet gleichzeitig das typische rhematische Objekt als Ausdruck des Objekts der Begierde und als Gegenpol des protagonistischen Ichs. Die in diesen Beispielen auch positionell gekennzeichnete engere strukturelle Bindung des Objekts an das Verbum und sein Status als Teil des Prädikats ist ebenfalls auf inhaltliche Faktoren zurückzuführen, da etwa das Verbum trinken eine Tätigkeit bezeichnet, die durch die Flüssigkeit ihres „Objektes“ definiert ist, und daher Nominalphrasen wie Wasser zu sich nimmt. In dem Ausdruck Wasser trinken wird die Tätigkeit des Trinkens spezifiziert, d.h. das komplexe Prädikat bezeichnet eine Teilklasse des Denotats von (etwas) trinken und wird als solches vom kindlichen Sprecher auf das Subjekt bezogen. Daher sollte man in der Auseinandersetzung um den genetischen Status der Sprachkompetenz und ihrer Komponenten nicht, wie etwa N. Chomsky (1986, S. 10), vorschnell Begriffe wie Satzsubjekt in eine angeborene Universalgrammatik relegieren, „since it is unreasonable to suppose that these notions can be directly applied to linguistically unanalyzed data“. Sie können, so wird erklärt, im Unterschied etwa zu „agent-ofaction“, nicht als „primitive notions“ klassifiziert werden, da sie in der außersprachlichen Realität nicht vorfindlich seien, sondern gewissermaßen rein sprachliche Entitäten darstellten - komplexe Entitäten also, die in der Universalgrammatik durch eine spezifische Kombination syntaktischer, morphologischer und semantischer Eigenschaften definiert sind. Man sollte vielmehr der Frage der Ableitbarkeit syntaktischer Begriffe aus kognitiven Grundmustern beziehungsweise der abstrahierenden Verarbeitung von Wahrnehmungen und deren Versprachlichung / Syntaktisierung sorgfältig in allen Details nachgehen. So kann man - gerade aufgrund von Beobachtungen der Kindersprachforschung - feststellen, dass der Übergang vom Ich über den erweiterten Protagonisten zum Satzsubjekt im technischen Sinn eher gradueller Natur ist und daher nicht ausgeschlossen werden darf, dass die Entwicklung eines Subjektkonzepts vom Kind auf der Basis seiner allgemeinen kognitiven Ausstattung (inklusive seiner allgemeinen Sprachlernkompe- <?page no="42"?> 34 tenz) auf empirischem Weg geleistet werden kann. Von der kindlichen Äußerung Puppe Bett oder Puppe im Bett im Stil einer Zeitungsschlagzeile ohne finites Verbum und somit auch ohne formales Subjekt zu einem syntaktisch vollständigen Satz Die Puppe ist / liegt im Bett ist es nur ein kleiner, nicht wesentlicher Schritt, ebenso wie von unserem Papa weg zu Papa ist weg(gegangen) oder einem frz. [búm] [popót] zu Elle fait boum, la porte und mit vorangestelltem Subjekt La porte fait boum ‘Die Türe macht bum’ (aus Kielhöfer, 1997, S. 88). In allen diesen Fällen wird einem Protagonisten ein Prädikat zugeordnet, wird etwas über etwas gesagt, auch wenn dies noch nicht in einer korrekten voll entwickelten Form geschieht. Solche rudimentären Äußerungsformen sind ja in spezifischen Situationen - man denke nur an Schlagzeilensyntax, an Zurufe oder Befehle - durchaus auch (noch) in der Erwachsenensprache anzutreffen, ganz zu schweigen von den Kreolsprachen, für die sie charakteristisch sind. Das bedeutet, dass sich der Subjektbegriff und die sogenannte Subjekt/ Objekt-Asymmetrie ebenfalls nicht als überzeugende Argumente für die Annahme bzw. die Notwendigkeit einer angeborenen hochspezialisierten Universalgrammatik eignen. Ebensowenig taugen sie als Evidenz für die Behauptung einer „Autonomie der Syntax“, was immer man auch darunter verstehen mag. Die Postulierung einer angeborenen Universalgrammatik ist in jedem Fall die bequemere Option, da sie den Sprachwissenschaftler der Aufgabe enthebt, allen Stadien eines denkbaren empirischen Sprach- und speziell Syntaxerwerbs im Einzelnen nachzuspüren. Was indessen weitgehend ohne motivierende, ikonische Unterstützung durch inhaltliche und allgemein kognitive Strukturen gelernt werden muss, ist die Morphosyntax und generell die morphologische Seite des sprachlichen Ausdrucks, sieht man einmal von unmittelbar motivierten Formen des Typs Wauwau, Kikeriki oder auch Mama, Papa u.dgl. ab. In Sprachen mit reicher Morphologie gilt es, Hunderte von Formen, regelmäßige wie unregelmäßige, zu lernen, zu speichern und bei Bedarf rasch abzurufen. Wie man weiß, bedarf es dazu freilich vieler Jahre. Besonders mühselig zu erwerben ist der immense Wortschatz einer Sprache, der dementsprechend auch bei erwachsenen Sprechern unterschiedlich differenziert und umfangreich sein kann. Die Erlernung dieser Komponenten der Sprache im Verein mit den idiomatischen Wendungen stellt eine wenigstens ebenso erstaunliche Leistung dar wie die Beherrschung einer überschaubaren Menge syntaktischer Regeln und Strukturmuster von hoher Vorkommensfrequenz. Die eigentliche Schwierigkeit des Sprachenlernens liegt in der Aufnahme und Speicherung der lexikalischmorphologischen Oberfläche des jeweiligen Idioms, denn hier herrscht in der Tat quasi unendliche Vielfalt. Dafür benötigt man allerdings weniger <?page no="43"?> 35 eine Universalgrammatik im Sinne Chomskys als vielmehr Routine und ein gut funktionierendes Zeichengedächtnis. II.3. Die Kategorialgrammatik Das Modell, das den skizzierten Anforderungen an eine analytischgenerative Erfassung und formale Darstellung der Grammatik natürlicher Sprachen am ehesten genügt, scheint die Kategorialgrammatik zu sein. Im Folgenden sollen ihre Prinzipien dargelegt werden, verbunden mit einer Begründung der Adäquatheit und Eignung dieser Theorie für den verfolgten linguistischen Zweck, zu dem auch der Versuch einer Erklärung der natürlichsprachlichen Gegebenheiten gehört. II.3.1. Syntax II.3.1.1. Kopf-Funktoren und Komplemente Sprachliche Zeichen sind - wie wir formuliert haben - Instrumente mit der Funktion bzw. der Fähigkeit, sich mit anderen Ausdrücken zu verbinden, um mit diesen zusammen komplexere Gebilde zu erzeugen, wobei der Prozess der Erzeugung auch in seiner linearen raum-zeitlichen Gerichtetheit gesehen werden muss. Eine Teilklasse der sprachlichen Ausdrücke sind Operatoren oder Funktoren, die einen anderen Ausdruck als Ergänzung oder Komplement suchen und zu sich nehmen, um mit diesem eine links- oder rechtsgerichtete bzw. links- oder rechtsabhängige Folge zu bilden, die einen wohlgeformten Ausdruck mit der binären Struktur Funktor-Komplement respektive Komplement-Funktor darstellt. Der Funktor enthält in Gestalt seiner immanenten Grammatik das Komplement als Leerstelle d.h. als ein ihm fehlendes Strukturelement. Nach der Realisierung eines solchen Elements ist die Leerstelle abgebunden und der (einstellige) Funktorausdruck gesättigt - gewissermaßen nullstellig. Was man von einem Funktorausdruck wissen muss, um korrekt mit einem derartigen Instrument umgehen zu können, ist daher zweierlei: einmal die Kategorie des Ausdrucks mit dem er sich verbindet, also des Komplements oder Arguments (X) - auch Vorbereich - der Funktion, und zum anderen die Kategorie des resultierenden Gesamtausdruckes, also des Wertes (Y) - auch Nachbereich - der Funktion, da sprachliche Funktoren zusammen mit einem Ausdruck X einen Ausdruck Y erzeugen. So besteht etwa die Funktion eines Prädikates wie schnurrt wie gesagt darin, mit einer Nominalphrase wie die Katze als Komplement den Satz Die Katze <?page no="44"?> 36 schnurrt zu bilden. Man kann diesen Zusammenhang in Form einer mathematischen Funktion, d.h. einer Relation zwischen dem Argument und dem Wert oder Ziel einer Funktion beschreiben; der jeweilige Funktorausdruck ist das Element, das diese Relation stiftet, und er ist gleichzeitig Bestandteil des produzierten Gesamtausdrucks. Formal können solche Fügungspotenzen sprachlicher Ausdrücke dann folgendermaßen wiedergegeben werden: X → Y oder in Form eines Bruches Y/ X, was bedeuten soll „macht mit einem X ein Y“. Die Funktion eines Prädikates wie schnurrt ist daher so zu formulieren: NP → S oder S/ NP „macht mit einer NP einen Satz“ und die Funktion der Präposition in wie folgt: NP → PP oder PP/ NP „macht mit einer NP eine PP“, wie in in die Schule. Dementsprechend wäre N → NP oder NP/ N die Funktion eines Artikels, die ja darin besteht, mit einem Nomen wie Schule eine NP die Schule zu bilden. Da die Funktion einer Konjunktion wie als darin liegt, mit einem Satz Jessica kam die satzhaltige Präpositional- oder besser Adverbialphrase als Jessica kam in einem komplexen Satz Kevin flüchtete, als Jessica kam zu bilden, kann sie (vorläufig) durch S → AdvP oder AdvP/ S wiedergegeben werden. Aus den in der Einleitung angeführten Gründen ist es nicht nur praktisch sondern auch sinnvoll, die Funktion, also die funktionale Definition eines sprachlichen Instruments im Modell einfach als dessen Namen zu verwenden. Man sagt also, schnurrt ist ein Ausdruck des Typs oder der Kategorie S/ NP („S über NP“) oder einfach, schnurrt ist ein S/ NP, die ist ein NP/ N oder in ist ein PP/ NP. Bei einer Wiedergabe im Klartext kann die Kategorie mit einem Subskript ausgewiesen werden: schnurrt S/ NP , die NP/ N oder in PP/ NP . Der ganze Satz sieht dann so aus: (Die NP/ N Katze N schnurrt S/ NP ) S , wobei sich die Konstituentenstruktur ((die Katze) schnurrt) aus den funktionalen Kategorien der einzelnen Ausdrücke von selbst ergibt. Die Bruchstrichnotation ermöglicht auch die mathematische Operation des gegenseitigen Kürzens identischer Elemente im Zähler und im Nenner eines Bruches. Sieht man die Verbindung sprachlicher Ausdrücke als Produkt, ergibt sich z.B. aus der Kombination von NP/ N und N eine NP, also aus der Kombination eines Artikels und eines Nomens, wie erwünscht, eine Nominalphrase. Entsprechend resultiert aus der Kombination von S/ NP und NP ein Ausdruck der Kategorie S: NP ⋅ N ⋅ S = S - z.B.: ((die NP/ N Katze N ) NP schnurrt S/ NP ) S N NP so auch für: PP ⋅ NP = PP - z.B.: (in PP/ NP (die NP/ N Schule N ) NP ) PP NP <?page no="45"?> 37 Da sich die Konstituentenanalyse und -synthese allein durch die funktionalen Kategorien der einzelnen Wörter ergibt, könnte man hier im Prinzip auf die Klammerung verzichten. Dieses formale Notationsverfahren hat also folgende Vorteile: Es ist praktisch, weil man mit den Symbolen einfach und direkt „rechnen“ kann, und es ist insofern auch passend, als es das Konzept der immanenten Grammatik unmittelbar und sinnfällig zum Ausdruck bringt. Der damit ermöglichte weitgehende Verzicht auf eine metasprachliche Terminologie ist, wie wir gesehen haben (cf. II.2.2.), auch für gewisse Aporien im Hinblick auf den (Erst- )Spracherwerb von Interesse. Dadurch dass die Funktionsbezeichnungen direkt als Namen der Funktorausdrücke verwendet werden - also S/ NP für ein Prädikat usw. -, ist mit dieser Notation simultan die Konstituentenstruktur (Konstituenz) und die Abhängigkeitsstruktur (Dependenz) komplexer sprachlicher Ausdrücke wiederzugeben. Diese Notation lässt sich auch - und dies ist wesentlich - auf die Morphologie anwenden und dort z.B. auf periphrastische Verbformen wie ist gekommen oder hat gelacht. Der Kopffunktor hat bildet mit einem Partizip Perfekt (Part) eine finite Perfektform des intransitiven Verbums lachen und gehört damit der Funktionskategorie (S/ NP)/ Part an, wie etwa in dem Satz: (Michaela NP (hat (S/ NP)/ Part gelacht Part ) S/ NP ) S oder: … (ist (S/ NP)/ Part gekommen Part ) S/ NP Symbole wie Part stehen (graphisch) erkennbar nicht für satzsyntaktische Kategorien sondern für morpholexikalisch gebundene Einheiten, in unserem Fall für Teile von Verbformen, also für Teile von Elementen eines Verbalparadigmas (cf. III.4.2.). Das Vollverb hat indessen ist als transitives zweistelliges Verbum in einem Satz wie Michaela hat einen neuen Freund vom Typus (S/ NP)/ NP, da diese Form zunächst eine (Objekt-)Nominalphrase zu sich nimmt, um mit dieser zusammen ein einstelliges Prädikat des Typs S/ NP, hat einen neuen Freund, zu bilden und in einem weiteren Schritt mit einer (Subjekt- )Nominalphrase den Satz: (Michaela NP (hat (S/ NP)/ NP (einen neuen Freund) NP ) S/ NP ) S Das komplexe (hat einen neuen Freund) S/ NP gehört also derselben Kategorie an wie ein einfaches schnurrt S/ NP . Entsprechendes gilt für das zweistellige Vollverbum ist, das sich in einem Satz wie Michaela ist ein Star, zunächst mit einer Nominalphrase <?page no="46"?> 38 verbindet, um mit dieser ein einstelliges Prädikat der Kategorie S/ NP, ist ein Star, zu erzeugen und dann mit einer weiteren Nominalphrase den Satz: (Michaela NP (ist (S/ NP)/ NP (ein Star) NP ) S/ NP ) S - und graphisch: S NP S/ NP (S/ NP)/ NP NP NP/ N N Michaela ist ein Star Anwendbar ist diese Notation aber auch auf die Flexionsmorphologie im engeren Sinne, d.h. auf Kombinationen mit gebundenen Morphemen in Deklination oder Konjugation in Formen wie lach-t, die dadurch zustandekommen, dass sich ein Funktionselement, also ein Funktor, mit einem kategorial noch nicht „formatierten“ Verbstamm (St v ) verbindet, um mit diesem z.B. ein Prädikat (S/ NP) zu bilden. Die Endung -t ist daher vom Typ (S/ NP)/ St v und erzeugt mit einem gebundenen Morphem eine morphologisch abgeschlossene Form einer bestimmten syntaktischen Kategorie: (lach- Stv -t (S/ NP)/ Stv ) S/ NP . Die Gegebenheit, dass Symbole der Form (S/ NP)/ St v im Nenner ein morphologisch gebundenes Element aufweisen und im Zähler eine syntaktische Kategorie, zeigt an, dass man sich im Bereich der Morphosyntax befindet, d.h. im Überschneidungsbereich von Lexikon und Syntax, zwischen denen die Endung gewissermaßen vermittelt (vgl. aber III.1.14.1.). Darüber hinaus können mit diesem Verfahren auch Wortbildungsprodukte - wie überhaupt alle komplexen sprachlichen Ausdrücke - erfasst werden. So ist etwa das deutsche Suffix -er in dem Nomen Agentis Lacher vom Typ N/ St v , da es mit einem Verbstamm ein Nomen bildet: (Lach- Stv -er N/ Stv ) N . Semantisch hat es die Funktion, mit einem Tätigkeitsverbum die Bezeichnung für den zugehörigen Täter zu produzieren. Das Suffix -lich bildet in einer Form wie kindlich mit einem Nomen bzw. einem Nominalstamm (St n ) ein Adjektiv (Adj) und ist somit vom Typ Adj/ St n : (kind- Stn -lich Adj/ Stn ) A , das Suffix -ieren wiederum gehört der Kategorie <?page no="47"?> 39 V/ St n an, weil es mit einem Nomen bzw. Nominalstamm ein Verbum erzeugt: (grund- Stn -ieren V/ Stn ) V . Nomina mit Nominalstämmen bildet z.B. das französische Suffix -ier, wie in pommier ‚Apfelbaum’, das dann folgendermaßen zu analysieren ist: (pomm- Stn -ier N/ Stn ) N . Die Darstellung von Derivationssuffixen als Funktoren, d.h. als Instrumente zur Bildung neuer Wörter, gibt die sprachliche Realität treffend wieder (vgl. III.4.4.). Auf der anderen Seite können bekanntlich auch ganze Sätze Komplemente sein und in dieser Funktion als Satzglieder auftreten. Die hier benötigten Funktoren, also Ausdrücke, die mit Sätzen Satzglieder bilden, sind Konjunktionen wie etwa dass in Kevin sah, dass Jessica lachte. Wenn wir einmal eine Grundeinheit Komplementsatz im Sinne einer Nominalphrase in der Form eines Satzes oder - genauer - einer satzhaltigen Nominalphrase ansetzen und mit NPS etikettieren, ist dass vom Typ NPS/ S: es nimmt einen Satz und bildet mit diesem eine NPS. Finite Formen von Verben wie sehen, die solche Komplementsätze zu sich nehmen können, gehören daher der Kategorie (S/ NP)/ NPS an, da sie mit einem Komplementsatz ein einstelliges Prädikat machen: (Kevin NP (sah (S/ NP)/ NPS (dass NPS/ S (Jessica lachte) S ) NPS ) S/ NP ) S Ausdrücke der Kategorie NPS können, so wie andere Nominalphrasen, auch als Subjekt eines komplexen Satzes fungieren: ((dass NPS/ S (Jessica lachte) S ) NPS (wunderte (S/ NPS)/ NP Kevin NP ) S/ NPS ) S Eine zweistellige Verbform wie wunderte macht mit einer Objekt-NP ein Prädikat S/ NPS, das mit einer Subjekt-NPS einen Satz erzeugt. II.3.1.2. Attribute Die bisher betrachteten Funktoren waren die Köpfe ihres Komplements und repräsentierten daher im weiteren Sinn die Kategorie des jeweiligen Gesamtausdruckes. So macht eine zweistellige Verbform trinkt (S/ NP)/ NP mit einer Nominalphrase die einstellige Verbform (trinkt ein Bier) S/ NP . Der resultierende Ausdruck gehört derselben Kategorie an, weist aber eine freie Stelle weniger auf als der Kopffunktor: trinkt ist zweistellig und trinkt ein Bier ist einstellig. Neben diesen Kopffunktoren gibt es auch Funktoren, die nicht Kopf ihres Arguments sind, dieses nicht regieren, sondern umgekehrt von ihm abhängen. Es sind die sogenannten Adjunkte oder Attribute, wie Adjektive oder Adverbien, die - wie wir sehen konnten - dadurch charakterisiert sind, dass sie sich an ein Bezugsele- <?page no="48"?> 40 ment hängen, sich diesem gewissermaßen selbst unterordnen, ohne damit die Stelligkeit dieses Elementes zu verändern, also ohne dort eine Leerstelle zu füllen. Sie bilden folglich mit einem Ausdruck der Kategorie X wieder einen (komplexen) Ausdruck dieser Kategorie - in kategorialgrammatischer Notation X → X oder X/ X; wir haben es also jeweils mit einer Relation in einer Menge zu tun. Es verhält sich hier vielmehr so, dass der jeweilige Kopf des Gesamtausdrucks seinerseits eine Leerstelle des strukturell abhängigen Attributs füllt, das, etwa im Falle eines Adjektivs, mit einem Nomen wieder ein (komplexes) Nomen oder Nominal - wie wir es nennen wollen - bildet und daher vom Typ N/ N ist: (junger N/ N Hund N ) N . Attribute sind also Ausdrücke, denen ein Kopf fehlt, sie sind sozusagen kopflos oder azephal und müssen sich einen Kopf suchen. Im Sinne einer kategorialen Selektionsbeschränkung ist dem Adjektiv das Merkmal [+nominaler Kopf] inhärent, und es findet in diesem Fall, wenn man so will, eine Strukturbildung von unten statt. Um sie von den Kopf-Funktoren zu unterscheiden, kann man Attribute als Dependens-Funktoren bezeichnen. Positionell betrachtet binden diese ihr Komplement immer in der jeweils anderen Richtung ab als jene, also (liest S/ NP langsam (S/ NP)/ (S/ NP) ) S/ NP von rechts nach links gegenüber (liest (S/ NP)/ NP Zeitung NP ) S/ NP von links nach rechts. Jedenfalls muss für die Kombination zweier sprachlicher Ausdrücke immer einer ein Funktor mit einer passenden Leerstelle sein. Da Dependens-Funktoren immer wieder, jeweils komplexere, Ausdrücke derselben Kategorie erzeugen, ist ihre Adjunktion einerseits fakultativ und andererseits theoretisch beliebig wiederholbar: (verspielter N/ N (junger N/ N Hund N ) N ) N . Die durch die Identität von Zähler und Nenner gegebene Möglichkeit, die beiden gegeneinander zu kürzen, steht für diese Fakultativität, da Attribute so jederzeit ohne strukturelle Folgen für den Gesamtausdruck getilgt werden können. Das einfache Symbol N/ N bzw. allgemein X/ X gibt also die wesentlichen kombinatorischen Merkmale dieser sprachlichen Ausdruckskategorie auf syntaktischer wie semantischer Ebene präzise wieder. Analog verhält sich das ein Verbum oder eine Verbalphrase determinierende Adverb, das mit einem Verbum oder einer Verbalphrase wieder ein (komplexes) Verbum bildet und somit einem allgemeinen Typ V/ V und speziell z.B. dem Typ (S/ NP)/ (S/ NP) angehört, wie langsam in (langsam (S/ NP)/ (S/ NP) redet S/ NP ) S/ NP . Auch hier kann natürlich die Attribution rekursiv auf ihr eigenes Produkt angewendet werden: (manchmal (S/ NP)/ (S/ NP) (langsam (S/ NP)/ (S/ NP) redet S/ NP ) S/ NP ) S/ NP <?page no="49"?> 41 Satzadverbien sind vom Typ S/ S, da sie mit einem Satz wieder einen Satz bilden, wie in einem frz. (Heureusement S/ S (Frédéric est parti pour Madrid) S ) S ‚Glücklicherweise ist Friedrich nach Madrid gefahren’. Man erkennt hier gut, dass sich Satzadverbien strukturell von Kopffunktoren, die in einem zugrundegelegten Je suis heureux que Frédéric soit parti pour Madrid ‚Ich bin glücklich, dass Friedrich nach Madrid gefahren ist’ als Hauptsatz den Nebensatz regieren, zu dependenten attributiven Funktoren entwickelt haben und der ursprüngliche Komplementsatz nun als unabhängiger Hauptsatz auftritt. Denn Funktoren, die einen ganzen Satz als Skopus haben (S/ S), müssen im Prinzip, da der Satz die größte syntaktische Einheit ist, aus einem anderen, übergeordneten Satz stammen (Cf. S. 145). Auch der Adverbialsatz gehört der Kategorie X/ X an, wobei die Konjunktion als, die mit einem Satz ein VPbzw. (S/ NP)-Adverbial erzeugt, durch das Symbol ((S/ NP)/ (S/ NP))/ S wiederzugeben ist: (Kevin NP (flüchtete S/ NP (als ((S/ NP)/ (S/ NP))/ S (Jessica kam) S ) (S/ NP)/ (S/ NP) ) S/ NP ) S Der Schönheitsfehler der Kategorialgrammatik, nämlich ihre bisweilen etwas sperrigen Symbole, ist wegen der Explizitheit der Kategorienbezeichnungen in diesem Modell nicht ganz zu vermeiden. Man könnte daran denken, Abkürzungen einzuführen, die einfach zu verstehen geben, dass ein Zähler mit dem jeweiligen Nenner identisch ist, also z.B. statt (S/ NP)/ (S/ NP) die Kurzform ≡ / (S/ NP), in der der explizite Nenner durch das Symbol ‚ ≡ ’ für identisch vertreten wird, in diesem Sinn eventuell auch / / (S/ NP): (Kevin NP (flüchtete S/ NP (als ( ≡ ≡≡ ≡ / (S/ NP))/ S (Jessica kam) S ) ≡ ≡≡ ≡ / (S/ NP) ) S/ NP ) S Im Bereich der Morphologie kann es im Prinzip keine Attribution geben, soweit man es mit gebundenen Morphemen zu tun hat, die ja immer nur als Konstituenten einer Kopffunktor-Komplement-Relation auftreten, da sie, wie in lach-t oder Lach-er, keinen fakultativen Status haben. Attribution findet sich in diesem Bereich daher zunächst nur in der Komposition morphologisch abgeschlossener Ausdrücke, sprich Wörter. So z.B. in Nominalkomposita, wo ein Nomen die Funktion eines Attributes übernimmt, das mit einem Nomen wieder ein (komplexes) Nomen bildet und somit dem Typ N/ N angehört wie in (Sonnen N/ N Finsternis N ) N . Da nun aber das Argument des Funktors Sonnenimmer nur ein aus einem oder mehreren Nomina bestehendes Wort sein kann und nicht etwa ein aus mehreren Wörtern bestehendes Nominal wie (große N/ N Finsternis N ) N , muss es durch ein leicht modifiziertes Symbol wiedergegeben werden, wie z.B. <?page no="50"?> 42 durch eine Minuskel, also Finsternis n , als morphologisch-lexikalische und nicht als lexikalisch-syntaktische Kategorie. Das nominale Determinans hat dann entsprechend den Typ n/ n und das Kompositum wieder n; um auch noch die Wortart des nominalen Attributs anzuzeigen, kann man es mit dem Kategoriensymbol n n/ n notieren: (Sonnen nn/ n Finsternis n ) n . Dabei ist jeder Ausdruck der Kategorie n auch ein Ausdruck der Kategorie N, nicht aber umgekehrt; die Ausdrücke der Kategorie n sind, mit anderen Worten, eine Teilmenge derjenigen der Kategorie N (vgl. hierzu III.4.4.2.). Mit Minuskeln werden im Folgenden ausschließlich Komplemente in morphologisch mehrgliedrigen Wörtern und Wortformen symbolisiert, also einerseits Stämme und andererseits morphologisch abgeschlossene Wörter, die aber Konstituenten von Komposita oder Quasikomposita (Präfigierungen) sind. Interessant ist der Fall von Präfixen wie frz. re- oder déin refaire ‚noch einmal machen’ und défaire ‚abmachen’ oder auch dtsch. verin vernaschen, die trotz ihres Status als gebundene Morpheme tilgbare fakultative Attribute sind, die sich mit einer morphologisch abgeschlossenen Wortform verbinden (cf. III.4.4.1.). Nicht nur in der kompositionalen Wortbildung, sondern auch im Bereich der freien Syntax ist für die Attribution zwischen syntaktischer Funktion und Wortart zu unterscheiden, weil die Elemente eines Lexems ganz verschiedene syntaktische Funktionen ausüben können (cf. III.4.3.). Da nun Attribute auf bestimmte Wortarten als Ganze programmiert sind - Adjektive auf Nomina, Adverbien auf Verben usw. - müssen sie diese ungeachtet der jeweiligen syntaktischen Funktion als solche erkennen können. Ihre Bezugseinheit muß freilich nur einen Vertreter der passenden Wortart als Kopf enthalten, der seinerseits bereits von Dependentien begleitet sein kann. Da Attribute immer wieder Ausdrücke derselben Kategorie erzeugen, lässt sich z.B. ein N/ N nicht nur mit einem einfachen N verbinden, sondern auch mit einem bereits komplexen wie eben (junger N/ N Hund N ) N . Wenn nun ein Nomen selbst als Nominalattribut fungiert, wie die lateinische Genitivform regis in (urbs N regis N/ N ) N ‚die Stadt des Königs’, muss das Nomen als solches gekennzeichnet werden, falls es von einem weiteren Nominalattribut determiniert werden soll, wie etwa in (urbs (regis crudelis)) ‚die Stadt des grausamen Königs’ mit der Struktur: (urbs N (regis N/ NN crudelis N/ N ) N/ NN ) N Da das Attribut auf Wortarten und nicht auf syntaktische Funktionen anspricht, bezieht sich das Adjektiv crudelis auf die Wortartangabe in <?page no="51"?> 43 Form des Subskriptes N in dem Symbol N/ N N , ohne die syntaktische Funktion N/ N des Kopfes zu verändern. Im Falle der anderen Wortarten, deren Vertreter verschiedene syntaktische Funktionen übernehmen können, kann die Wortart immer in dieser Form angezeigt werden, damit sich ihre spezifischen Attribute darauf beziehen können. Also z.B. S/ NP V für ein finites Verbum und seine eventuellen Komplemente: ((liest das Buch) S/ NPV langsam V/ V ) S/ NPV und entsprechend N/ N A für Adjektive und ihre eventuellen Attribute, wie in magis crudelis ‚grausamer’, mit der Struktur (magis Adj/ Adj crudelis N/ NAdj ) N/ NAdj . Das komplexe Nominal (urbs (regis (magis crudelis))) stellt sich dann graphisch so dar: N N N/ N N N/ N N N/ N Adj Adj/ Adj N/ N Adj urbs regis magis crudelis Diese Schreibweise stellt also insofern eine Generalisierung dar, als sich Attribute mit allen Vertretern einer bestimmten Wortart verbinden, wie etwa das Adverb, das sich sowohl mit den finiten als auch mit den infiniten Formen eines Verbums kombiniert. Andersherum betrachtet ist die Möglichkeit, durch ein Adverb determiniert zu werden, ein charakterisitisches Merkmal der Wortart Verbum. Außerdem ist diese Notation natürlich ökonomischer, da man von der jeweiligen Funktion des determinierten Kopfes absehen kann und das Adverb langsam in unserem Beispiel statt durch (S/ NP)/ (S/ NP), durch ein beträchtlich kürzeres (langsam V/ V redet S/ NPV ) S/ NPV wiederzugeben ist. Entsprechend ist das ein Adjektiv (Adj) determinierende Adverb magis durch Adj/ Adj zu symbolisieren statt durch ein komplexes (N/ N)/ (N/ N). Die Wortart wird im Übrigen nicht nur durch die potentiellen Attribute konstituiert, sondern darüber hinaus durch die anderen potentiellen Dependentien, wie etwa Objekte, die alle Formen eines Verbums determinieren können. Die Tatsache, dass das Subjekt-Komplement in S/ NP dieser Regel nicht ganz entspricht, da es nur von finiten, nicht jedoch von infiniten Verbformen genommen werden kann, demonstriert den Sonderstatus dieses Satzgliedes. Die Regel gilt daher nur für Dependentien, die <?page no="52"?> 44 ihren Kopf im semantischen Sinne determinieren, einerlei ob als Attribut oder als Komplement. Das Subjekt jedoch ist ein nicht-determinierendes und deshalb auch grundsätzlich nicht tilgbares Komplement. Diese syntaktische Regel spiegelt die inhaltliche Gegebenheit wider, dass mit einem Satz nichts bezeichnet wird und das Subjekt daher nicht eine Teilmenge des Verbdenotats herausgreifen kann, um es zu modifizieren, wie etwa ein Objekt oder ein Adverb (cf. III.2.2.). Zusammenfassend ist demnach Folgendes festzuhalten: Insbesondere für den korrekten Gebrauch von Attributen sind Wortart und syntaktische Funktion des jeweiligen Kopfes voneinander zu unterscheiden und in einem linguistischen Modell entsprechend darzustellen. Dies gilt jedenfalls für alle polyfunktionalen Wortarten wie Nomina, Adjektive oder Verben aber etwa auch für Präpositionen, die gemeinsam mit ihrem NP- Komplement entweder ein Nominalattribut (a) oder ein Verbalattribut (b) bilden können: (a) N N N/ N (N/ N)/ NP NP Ferien auf dem Bauernhof (b) S/ NP V S/ NP V V/ V (V/ V)/ NP NP arbeitet auf dem Bauernhof Das Symbol V/ V steht hier wiederum für expliziteres (S/ NP)/ (S/ NP). Die durch die Präposition gestiftete Funktion ist also nur in dem Sinne rechtseindeutig, als in beiden Fällen ein Attribut erzeugt wird. Freilich lässt sich der adnominale Typ auf eine adverbale Tiefenstruktur Ferien auf dem Bauernhof verbringen zurückführen. Von der syntaktischen Funktion des präpositionalen Kopfes bzw. der gesamten Präpositionalphrase unabhängig und deshalb konstant ist die Relation zum NP-Komplement, die <?page no="53"?> 45 allein durch die Wortart des Kopfes bestimmt wird. Da das Wort auf selbst noch keine Präpositionalphrase ist, kann man die Wortart - wenn man Präpositionalphrase (PP) einmal als Wortart nimmt - wie folgt anzeigen: (auf (N/ NPP)/ NP dem Bauernhof NP ) N/ NPP und die adverbale Version: (auf (V/ VPP)/ NP dem Bauernhof NP ) V/ VPP . Kopffunktoren wie Präpositionen, die sowohl eine Leerstelle „nach unten“ zu ihrem Komplement, als auch eine „nach oben“ zum jeweils attribuierten Kopf enthalten, sind Scharnieren vergleichbar, die zwei Strukturelemente miteinander in Beziehung setzen, indem sie gleichzeitig als Dependens des einen und als Kopf des anderen fungieren und so mit einem Komplement ein Attribut erzeugen. Außer den Präpositionen sind auch bestimmte Konjunktionen und Relativpronomina, die mit einem (Teil-)Satz ein Attribut bilden, Vertreter dieses Zeichentyps, darüber hinaus auch Partizipien in Konstruktionen wie Kaffee trinkende Studenten. Die einzige sprachliche Kategorie mit mehr als einer freien Stelle „nach unten“ ist das mehrstellige Prädikat mit einem Subjekt- und einem oder zwei Objekt-Komplementen, wie sieht oder gibt mit den Funktionskategorien (S/ NP)/ NP respektive ((S/ NP)/ NP)/ NP, also Ausdrücke, die mit zwei / drei Nominalphrasen einen Satz bilden. Es gibt demnach zwei verschiedene Klassen von Komplementen: 1. die Komplemente von Kopffunktoren, die keine freien Stellen (mehr) haben, denen also nichts fehlt und die deshalb als Grundelemente oder elementare Kategorien bezeichnet werden können. Die Tatsache, dass die Kategorialgrammatik zunächst zwei solcher Einheiten kennt, nämlich das Nomen bzw. die Nominalphrase einerseits und den Satz andererseits, entspricht unserer Feststellung, dass gerade diese Kategorien syntaktisch und semantisch abgeschlossene, nicht-ableitbare, gewissermaßen axiomatische Grundeinheiten darstellen. Sie beziehen sich auch auf Entitäten, die kognitiv als in sich abgeschlossene Einheiten konzipiert sind und so wahrgenommen werden, nämlich Dinge im weitesten Sinne einerseits und Mitteilungen von Sachverhalten andererseits. Alle anderen Ausdrükke bezeichnen Relationen oder Eigenschaften, die als solche nicht unabhängig von ihren Relaten oder Substanzen gedacht werden können. Sie sind daher Funktoren und die ihnen fehlenden Relate und Substanzen entsprechen ihren syntaktischen Leerstellen. Erforderlichenfalls stellt es für die Kategorialgrammatik jedoch kein formales Problem dar, die Menge der Grundeinheiten N(P) und S zu erweitern. So kann man z.B. eine Infinitivform wie schlafen durch ein Symbol VNP wiedergeben, da ein Infinitiv so etwas ist wie eine verbale NP oder eine nominale Verbform in Kontexten des Typs Die Katze will schlafen (cf. III.1.8.). Das Verbum will wäre hier also der Kategorie <?page no="54"?> 46 (S/ NP)/ VNP zuzuweisen. Eine komplexe VNP mit einer einstelligen Infinitivform wäre etwa ein Buch lesen in dem Satz: (Xavier NP (will (S/ NP)/ VNP (ein Buch NP lesen VNP/ NP ) VNP ) S/ NP ) S Ein nur als Komplement verwendbarer nullstelliger Ausdruck ist auch der Nebensatz in einem Satzgefüge wie Christine will, dass er ein Buch liest. Man kann ihn als NPS bezeichnen (s.o.), soll heißen eine Art satzhaltige Nominalphrase als Komplement von Verben des Typs (S/ NP)/ NPS. Diese Ausdrücke enthalten in der Regel eine Konjunktion des Formats NPS/ S wie dass, die mit einem Satz eine solche NPS bildet: ... (dass NPS/ S (er ein Buch liest) S ) NPS . Attribute, die als Komplemente von Funktorköpfen erscheinen, können in diesem Kontext okkasionell auch als nullstellige Grundausdrücke betrachtet und behandelt werden. So z.B. das prädikativ verwendete Adjektiv in dem Satz Helmut ist dick, wo das (im Deutschen invariable) Adjektiv kein Attribut vom Typ X/ X - weder N/ N noch etwa V/ V - darstellt, sondern als Komplement der zweistelligen Kopula ist fungiert und als solches mit der Wortartbezeichnung Adj oder auch AdjP wiedergegeben werden kann. Die Kopula gehört somit der Kategorie (S/ NP)/ AdjP an, da sie mit einer Adjektivphrase ein Prädikat bildet, also: (Helmut NP (ist (S/ NP)/ AdjP dick AdjP ) S/ NP ) S . Analoges gilt für Verben mit einem Direktionaladverbial als Komplement wie dringen in dem Satz Wasser dringt in den Keller, wo das Adverbial eine freie Stelle des zweistelligen Verbums besetzt und mit Adv bzw. AdvP zu etikettieren ist: (Wasser NP (dringt (S/ NP)/ AdvP (in den Keller) AdvP ) S/ NP ) S Infolgedessen gehört die Präposition in in solchen Konstellationen der Kategorie AdvP/ NP oder auch PP/ NP an. 2. Zum anderen gibt es Argumente oder Komplemente von Attributen, die wir als Kopf-Komplemente bezeichnen können, weil sie von ihren attributiven Funktoren nicht regiert werden, sondern als deren Kopf fungieren, wie eben das von einem Adjektiv determinierte Nomen: (bella N/ N donna N ) N . Im Unterschied zu den syntaktisch abhängigen Komplementen müssen Kopf-Komplemente nicht nullstellig sein, da die syntaktische Funktion des Kopfes für ein Dependens - Attribut oder nicht (abgesehen vom Subjekt s.o.) - prinzipiell ohne Belang ist und ein Determinans, wie wir gesehen haben, allein auf die Wortart anspricht. Kopf-Komplemente von Attributen sind also nicht nur Grundausdrücke, wie etwa im Fall der Attribute des Typs N/ N, sondern können ebenso Funktoren aller Art <?page no="55"?> 47 sein, wie z.B. bei Adverbien des Typs (N/ N Adj )/ (N/ N Adj ), in très (belle), oder des Typs (S/ NP V )/ (S/ NP V ), in (travaille) beaucoup. Da Attribute einfach Subklassen der durch ihren Kopf bezeichneten Klassen bilden, oder anders formuliert, jeden beliebigen Ausdruck rekursiv erweitern können, lassen sie sich ohne tiefergreifende Konsequenzen mit geeigneten Ausdrücken jeden Typs kombinieren, wie das Symbol X/ X ja bereits suggeriert. Dependente Komplemente wie etwa eine Objekt-NP hingegen können deshalb keine leeren Stellen (mehr) aufweisen, weil sie sonst ihren Kopffunktor nicht sättigen, das heißt nicht wirklich ergänzen könnten (Cf. dazu auch Kap.III.1. Funktionskomposition). Dies ist der Unterschied zwischen Ergänzung eines Kopffunktors durch ein abhängiges Komplement und Erweiterung eines Ausdrucks durch ein abhängiges Attribut, das die Struktur des Kopfes nicht tangiert, weil es diesem nicht fehlt; ein durch ein Attribut X/ X erweiterter Ausdruck, gehört ja auch ohne diesen Zusatz bereits der Kategorie X an. Am Ende dieser knappen Darstellung der kategorialen Syntax - auf weitere Einzelheiten wird in den speziellen Kapiteln eingegangen - sei noch auf folgende formale Eigenschaft hingewiesen. Die Tatsache, dass der Satz Ziel allen syntaktischen Konstruierens ist und die Sprache erst auf der Ebene des Satzes wirklich zu funktionieren beginnt bzw. nur auf dieser Ebene benutzt werden kann, während alle anderen, einfachen und komplexen, Ausdrücke Bestandteile von Sätzen sind, manifestiert sich in der Kategorialgrammatik formal darin, dass der erste oder oberste „Zähler“ der Funktorausdrücke stets S (hier kursiv geschrieben) ist. So z.B. S/ NP für das Prädikat, also den Satzmacher, (S/ NP)/ NP für eine zweistellige Verbform, also einen Prädikatmacher. Adverbiale des Typs (S/ NP)/ (S/ NP) sind Teile von Prädikaten, also von Satzmachern, und Präpositionen des Typs ((S/ NP)/ (S/ NP))/ NP sind Teile von Adverbialen, d.h. Teile von Teilen von Prädikaten, also von Satzmachern. Satzmacher anderer Art sind die Satzadverbien des Typs S/ S, die als Satzattribute ihren Kopf strukturell erweitern. Man kann daher die komplexen Symbole auch so lesen, dass man in einem Ausdruck der Form S/ X/ Y/ Z einen Funktor sieht, der mit einem X, einem Y und einem Z einen Satz (S) bildet, respektive einen Funktor, dem ein X, ein Y und ein Z fehlt, um einen Satz zu erzeugen. So kann das möglicherweise nicht auf den ersten Blick durchschaubare Symbol ((S/ NP)/ NP))/ NP für ein dreistelliges Verbum wie leiht zunächst einfach als Ausdruck gelesen werden, der mit drei Nominalphrasen einen Satz macht, wobei die erste NP das Subjekt und die beiden anderen die Objekte der Verbform sind. (S/ NP)/ (S/ NP) steht als Adverbial für einen Ausdruck, der mit einem Prädikat (S/ NP) und einer Subjekt-NP einen Satz bildet und eine Präposition des Typs ((S/ NP)/ (S/ NP))/ NP ist ein Funktor, <?page no="56"?> 48 der mit einer Objekt-NP, einem Prädikat (S/ NP) und einer Subjekt-NP einen Satz ergibt, das ist ein Ausdruck, dem eben diese Satzteile fehlen. Die dem obersten Zähler folgenden „Nenner“, symbolisieren jeweils die Einheiten, die der Ausdruck benötigt, um einen Satz zu erzeugen. Noch einmal anders formuliert: Der Nenner ist immer ein unmittelbarer Bestandteil des Zählers, wie z.B. die Subjekt-NP in S/ NP, wobei der Gesamtausdruck den anderen unmittelbaren Bestandteil wiedergibt; denn ein Satz zerfällt in ein NP und ein S/ NP: (NP - S/ NP) S , entsprechend dann auch bei Attribution: (N - N/ N) N . Analog zur Ebene der direkten und indirekten Satzmacher gibt es auf der Ebene der anderen Grundeinheit Nomen- und NP-Macher, wie etwa das Adjektiv und die adnominale Präpositionalphrase als Vertreter der Kategorie N/ N oder der Artikel u.dgl. als Repräsentant der Kategorie NP/ N. Wenn also das Adjektiv Teil eines (komplexen) Nomens ist, dann ist sein Gradadverb Teil eines Teils eines (komplexen) Nomens. Die innere Struktur einer Nominalphrase kann daher folgende Gestalt annehmen: NP NP/ N N N/ N N (N/ N)/ (N/ N) N/ N ein besonders hübsches Auto Auch hier symbolisiert der jeweils oberste Zähler, d.h. das erste einfache Kategoriensymbol eines Funktors, die Kategorie des obersten Gesamtausdrucks. Es folgen ein oder mehrere Nenner, die die Einheiten bezeichnen, die der Funktor braucht, um ein komplexes Nomen oder eine Nominalphrase zu erzeugen. Ein Adverb der Kategorie (N/ N)/ (N/ N), wie besonders, ist daher ein Ausdruck, der mit einem Adjektiv (N/ N) und einem Nomen (N) wieder ein (komplexes) Nomen N ergibt. Generell ist also zu konstatieren, dass mittels N(P)-Machern Nominalphrasen erzeugt werden, die dann von Satzmachern zu Satzgliedern verarbeitet werden. Die beiden Grundeinheiten NP und S stehen daher für die zwei wesentlichen Ebenen im Aufbau der menschlichen Sprache. <?page no="57"?> 49 II.3.2. Semantik Wie wir beobachten konnten, haben alle diese syntaktischen Relationen und Operationen ihre semantische Entsprechung oder sie geben, genauer gesagt, entsprechende semantische Relationen und Operationen wieder, die ihrerseits mit bestimmten Wahrnehmungsmustern korrelieren. So sind etwa Adjektive des Typs N/ N, wie in grüne Kerzen, Ausdrücke, die mit Bezeichnungen für irgendwelche Objekte Bezeichnungen für Teilmengen dieser Objekte bilden, ohne freilich selbst Objekte zu bezeichnen. Adverbien des Typs V/ V sind Ausdrücke, die mit Bezeichnungen z.B. für irgendwelche Handlungen, wie reden, Bezeichnungen für Teilmengen dieser Handlungen erzeugen, wie in undeutlich reden, wiederum ohne selbst Handlungen zu denotieren. Sie nehmen also Ausdrücke einer bestimmten Denotatklasse zu sich und erzeugen damit neuerlich Ausdrücke dieser Klasse. Auch hier erkennen wir die Angemessenheit der Kategorialgrammatik, wenn sie Attribute wie z.B. Adjektive, die nicht direkt irgendwelche Entitäten denotieren, als Operatoren fasst, die mit einer Objektbezeichnung wieder eine solche bilden, und somit allenfalls indirekt Objekte denotieren. Wenn man unter der Extension eines Ausdrucks prinzipiell ein Objekt oder Mengen von Objekten versteht, könnte man in diesen Fällen von einer indirekten oder mittelbaren Extension sprechen (cf. III.2.3.). Analog bezeichnen Adverbien nicht direkt Vorgänge oder Zustände, sondern wieder nur mittelbar über die von ihnen determinierten Verben. Adverbien bezeichnen also Eigenschaften von Vorgängen oder Zuständen, in die Objekte im weitesten Sinn involviert sind, und damit Eigenschaften von Eigenschaften wie in Er redet undeutlich. Präpositionen tun dasselbe, benötigen für diese Funktion allerdings noch eine objektbezeichnende Nominalphrase, wie in dem Satz Sie redet mit den Händen. Präpositionen sind somit Köpfe von Eigenschaftsbezeichnungen, da Präpositionalphrasen immer eine Art von Eigenschaft meinen. Konjunktionen bezeichnen Relationen zwischen Sachverhalten, die durch Sätze wiedergegeben werden. Adverbialsätze bildende Konjunktionen sind ebenfalls Köpfe von Eigenschaftsbezeichnungen und zwar von Eigenschaften irgendwelcher Vorgänge oder Zustände - also wieder Eigenschaften von Eigenschaften -, benötigen dafür aber noch einen sachverhaltsbezeichenden Satz der Art: Jonathan putzt sich die Zähne, wie er es von seiner Schwester gelernt hat. Verben bezeichnen Handlungen oder Zustände, in die Dinge / Personen involviert sind. Aufgrund ihrer Subjektgerichtetheit bezeichnen sie <?page no="58"?> 50 aber ebenfalls Eigenschaften von Dingen oder Personen; das sind Eigenschaften, die diesen in einem Satz wie Der Mist stinkt zugesprochen oder von nicht-finiten verbalen Eigenschaftswörtern wie in der stinkende Mist zugeordnet werden. Wie die syntaktische ist auch die semantische Funktion von Verbformen vielfältig und komplex: Eine finite Verbform wie stinkt oder liest bezeichnet nicht einfach eine Eigenschaft des jeweiligen Subjektdenotats, wie das Partizip in die lesende Studentin, sondern behauptet ihr Gegebensein und teilt dies in einem Satz Die Studentin liest mit. Das finite Verbum behauptet also einen Sachverhalt, benötigt für diese Funktion aber noch eine individuenbezeichnende Nominalphrase als Subjekt (S/ NP); daher kommt auch ihm allenfalls eine mittelbare Extension zu. In der Nominalisierung (das) Lesen wiederum wird die Handlung gewissermaßen vom handelnden Subjekt getrennt und als eigenständiges Ding / Sache oder Individuum gefasst (Hypostasierung), dem als Satzsubjekt selbst wieder eine Eigenschaft zugewiesen werden kann: Lesen ist anstrengend. Komplementsatzbildende Konjunktionen wie dass schließlich bezeichnen, ähnlich wie ein definiter Artikel oder das neutrale Pronomen das, einen „definiten“ Sachverhalt, wofür sie freilich noch einen Satz benötigen. D.h. sie bilden mit einem Satz, also der Behauptung eines Sachverhaltes, die Bezeichnung eines Sachverhaltes (NPS/ S): Er trauert und Ich verstehe, dass er trauert und Ich verstehe das sowie Ich verstehe seine Trauer. Insofern kann man sagen, dass Nebensätze eine Art von Objekt oder Individuum, so etwas wie ein Sachverhaltsindividuum, bezeichnen. Es gibt damit zunächst zwei Typen von Denotaten in der natürlichen Sprache: Dinge / Individuen und Eigenschaften, wobei die Frage nach dem Denotat von unabhängigen Sätzen noch ausgeklammert bleibt (cf. III.2.1.). Im Einzelnen finden sich dann noch Ausdrücke, die als Kopffunktoren Teile von Eigenschaftsbezeichnungen sind, wie die Präpositionen, die Relationen zwischen Dingen, als Teilen von Eigenschaften, und den Eigenschaftsträgern bezeichnen, wie an in der Verbalphrase … arbeitet an der Universität, und Relativpronomina, die Sätze als Eigenschaften mit den Eigenschaftsträgern verbinden, wie in der Nominalphrase Bücher, die er liest. Und andererseits gibt es Ausdrücke, die Teile von Objektbezeichnungen sind, wie Artikel, Demonstrativa, Quantoren u.dgl., und die noch nicht klassifizierte Individuen bezeichnen, wie in die(se) / einige Hemdenknöpfe; auch Konjunktionen wie dass oder que sind in diesen Zusammenhang zu stellen. Zu erwähnen sind darüber hinaus die koordinierenden Konjunktionen und, oder etc. als Bezeichnungen für bestimmte Relationen zwischen funktionsgleichen Einheiten. Rein funktionell betrachtet handelt es sich dabei um Funktoren, die mit einem Ausdruck der Kategorie X einen komplexen <?page no="59"?> 51 Ausdruck bilden, der - im Fall von und - mit einem weiteren Ausdruck der Kategorie X eine spezielle Konstruktion des Typs X und X (X&X) erzeugt, formal: ((X&X)/ X)/ X, wie etwa in der Nominalphrase bzw. in dem Satz: ((Peter X (und ((X & && & X)/ X)/ X Paul X ) (X & && & X)/ X ) X & X sind in Amerika) S Abkürzend kann man den Konstituententyp X&X auch in der Form X & wiedergeben, also in unserem Beispiel: (Peter und Paul) NP& . Da man es hier mit parataktischen Konstruktionen zu tun hat, kann man nur bedingt von syntaktisch-semantischer Dependenz sprechen und damit auch nicht von Eigenschaftsbezeichnungen. Als Begründung für unsere asymmetrische Analyse sei der lateinische Konstruktionstyp mit enklitischer Konjunktion am zweiten Konjunkt angeführt: (senatus) (populusque Romanus) oder (duo) (tresve) ‚zwei bis drei’. Die Konjunktion ve verbindet sich in diesem Fall also mit einer Kardinalzahl und bildet mit ihr einen Ausdruck, der mit einer zweiten Kardinalzahl einen komplexen Gesamtausdruck bildet. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die Valenz einer Konjunktion wie und bei dieser Analyse derjenigen eines zweistelligen Verbums entspricht. Zur Klassifikation von Verbformen wie lacht oder arbeitet, also von Prädikaten, als Eigenschaft ist noch Folgendes anzumerken. Als Eigenschaft bezeichnen wir alles, was über ein Individuum explizit oder implizit prädiziert wird - vom charakteristischen konstanten Merkmal, wie stinkt, spinnt, kränkelt, glänzt und dergleichen, bis zu momentanen, aktuellen Befindlichkeiten jeglicher Art. Eine sprachliche Rechtfertigung hierfür ergibt sich unter anderem aus der analytischen Wiedergabe finiter Verbformen durch die Kombination einer Kopula mit einer infiniten Verbform, wie in umgangssprachlichem lat. Caesar est currens für synthetisches Caesar currit, vergleichbar auch engl. he is running oder ital. sta correndo. D.h. ein Individuum hat zu einem bestimmten Zeitpunkt die Eigenschaft zu laufen, es ist in diesem Augenblick durch die Handlung des Laufens charakterisiert. So wie durch Adjektive bezeichnete Eigenschaften sind auch durch Verben bezeichnete Handlungen, Zustände u.dgl. immer als Handlungen und Zustände eines Individuums konzipiert, die diesem vermittels einer finiten Verbform wie eine Eigenschaft zugesprochen werden. Nominale Objekt- und Individuenbezeichnungen indessen können nicht einem Individuum als Eigenschaft zugesprochen werden, es sei denn, sie werden durch die Kopula zu einer Eigenschaftsbezeichnung gemacht, wie in Miguel ist (ein) Spanier oder Gerlinde ist eine Diebin, wo das Subjektdenotat einer bestimmten Klasse zugewiesen wird. <?page no="60"?> 52 Analog zu den Symbolen für die syntaktische Kategorie sprachlicher Ausdrücke, kann man nun Symbole für die semantische Kategorie der Ausdrücke einsetzen, um parallel zu den syntaktischen entsprechende semantische Strukturen darzustellen oder, anders formuliert, um die den syntaktischen zugrundeliegenden semantischen Strukturen und Prozesse zu rekonstruieren und einsehbar zu machen. Als semantische Entsprechung der syntaktischen Grundeinheit NP wählen wir das Symbol Obj für Objekt, womit Mengen von Objekten / Sachen oder Personen aller Art gemeint sind. Der syntaktischen Grundkategorie S steht die semantischpragmatische Kategorie Dekl für Deklarativsatz bzw. für den Akt der Deklaration gegenüber, mit dem ein Sachverhalt Sv mitgeteilt wird (cf. III.2.1.). Die Funktionen von Funktorausdrücken können nun als Kombinationen von semantischen Grundausdrücken, d.h. von Bezeichnungen für semantische Grundeinheiten, definiert werden. Ein einstelliges Prädikat wie schielt wäre daher vom semantischen Typ Dekl/ Obj, also ein Ausdruck, der mit einer Individuenbezeichnung die Mitteilung eines Sachverhaltes erzeugt, und ein zweistelliges Prädikat kauft entsprechend vom Typ (Dekl/ Obj)/ Obj, d.h. ein Ausdruck, der mit zwei Objektbezeichnungen einen Deklarativsatz macht, wie in: (Petra Obj (kauft (Dekl/ Obj)/ Obj ein Bett Obj ) Dekl/ Obj ) Dekl Dekl Obj Dekl/ Obj (Dekl/ Obj)/ Obj Obj Petra kauft ein Bett Bei den Attributen entspricht dem syntaktischen Typ N/ N des Adjektivs ein semantischer Typ Obj/ Obj, d.h. ein Ausdruck, der mit einer Objektbezeichnung wieder eine solche erzeugt: (kurze Obj/ Obj Hosen Obj ) Obj , und dem Verb-Adverb (S/ NP)/ (S/ NP) korrespondiert der semantische Typ (Dekl/ Obj)/ (Dekl/ Obj), der Eigenschaften von Eigenschaften zukommt. Präpositionen des syntaktischen Typs ((S/ NP)/ (S/ NP))/ NP, wie auf, haben folgende semantische Struktur: ((Dekl/ Obj)/ (Dekl/ Obj))/ Obj. Die von einer Präposition regierte Objektbezeichnung wird also innerhalb der Präpositionalphrase zum Bestandteil einer Eigenschaft. Der Satz Petra telefoniert auf dem Bett enthält demnach folgende semantische Struktur: <?page no="61"?> 53 Dekl Obj Dekl/ Obj Dekl/ Obj (Dekl/ Obj)/ (Dekl/ Obj) ( ≡ ≡≡ ≡ / (Dekl/ Obj))/ Obj Obj Obj/ Klas Klas Petra telefoniert auf dem Bett Das Symbol ‚ ≡ ’ steht wieder für den mit dem Nenner identischen Zähler von Attributen und Klas steht für eine offene Klasse (s.u.). Wie wir gesagt haben, liegt die Funktion eines (Deklarativ-)Satzes darin, einen Sachverhalt zu beschreiben und damit dessen Bestehen zu behaupten und mitzuteilen. Da der syntaktisch abhängige Satz seine Mitteilungsfunktion und allgemein seine Modalität verliert, hat die Konjunktion die semantische Funktion, den Satz zu entmodalisieren und mit ihm einen diesbezüglich neutralen Nebensatz, eine sogenannte Proposition, zu bilden. Im Falle des durch dass eingeleiteten Komplementsatzes hat die Konjunktion die Aufgabe, mit einem Satz, also einer Aussage eine Sachverhaltsbezeichnung zu bilden. Dieses semantische Pendant der syntaktischen Kategorie NPS geben wir durch das Symbol Sv (‚Sachverhalt’) wieder. Ein komplexer Satz wie Max weiß, dass Kirsten kocht wäre graphisch also folgendermaßen darzustellen: Dekl Obj Dekl/ Obj (Dekl/ Obj)/ Sv Sv Sv/ Dekl Dekl Max weiß dass Kirsten kocht Im Unterschied zum unabhängigen Satz besteht zwischen Nebensatz und Sachverhalt eine Bezeichnungsrelation; der Sachverhalt ist das Denotat des Nebensatzes. In Entsprechung zum definiten Artikel, der in einem <?page no="62"?> 54 Ausdruck wie das Kochen (von Kirsten) mit einer Klassenbezeichnung kochen eine referierende Objekt- oder Individuenbezeichnung macht, bildet die Konjunktion dass Sv/ Dekl eine Individuenbezeichnung mit einer Aussage. Das als Komplement des Artikels auftretende Nomen Bett in obiger Nominalphrase das Bett bezeichnet einen Begriff oder eine Klasse als solche; es steht für eine offene Klasse, d.h. eine sprachlich noch nicht quantifizierte, noch nicht „formatierte“ Menge von Objekten. Eine Begriffsbezeichnung wie Bett ist in dieser Form, also ohne Artikel oder einen anderen Aktualisator, objektsprachlich noch nicht verfügbar, um damit zu referieren und kann daher auch nicht als entsprechendes Satzglied verwendet werden. Bei generischem Gebrauch des Artikels, sei es im Singular oder im Plural, das Bett / die Betten, bezieht man sich zwar ebenfalls auf eine Klasse aber im Sinne der Gesamtheit der Individuen, die dieser Klasse angehören und auf die man damit referiert. Dies gilt analog für den indefiniten Artikel in ein Bett oder den Nullartikel in Betten, generisch oder unbestimmt. Funktional gehört der Artikel also der semantischen Kategorie Obj/ Klas an, da er mit einer Klassenbezeichnung oder einem Klassennamen eine Objektbezeichnung erzeugt, wie in (das Obj/ Klas Bett Klas ) Obj . In artikellosen Sprachen kann dieser Unterschied jedenfalls nicht in dieser Form ausgedrückt werden; lateinische Nomina wie lectus oder domus sind nicht nur Klassennamen, sondern können auch Individuen bezeichnen. Bis zu einem gewissen Grad vergleichbar ist die Situation bei Sätzen wie Max glaubt, sie kocht, deren konjunktionslose Nebensätze zwar die Form einer unabhängigen Aussage haben, aber dennoch, so wie dass sie kocht, Sachverhalts- und damit Objektbezeichnungen sind. II.3.3. Wortfolge Wesentlich für die Sprachproduktion wie für die Sprachrezeption ist der lineare eindimensionale Charakter der Sprache im phonischen und im graphischen Kode. So wird ein Wort bzw. ein Morphem bei der Perzeption mit dem jeweils folgenden in Beziehung gesetzt und mit diesem jedenfalls zu einer vorläufigen hypothetischen Konstituente vereinigt. Im Falle einer Abfolge der Form Kopf-Komplement 1 -Komplement 2 ist ein solches inkrementelles Vorgehen unproblematisch, wie man mit den Mitteln der Kategorialgrammatik gut zeigen kann. So z.B. in einer französischen Verbalphrase: … ((écrit ((S/ NP)/ PP)/ NP une lettre NP ) (S/ NP)/ PP à un ami PP ) S/ NP <?page no="63"?> 55 ‚… schreibt einem Freund einen Brief’ oder ‚… einen Brief an einen Freund’. Das heißt, die Verbform écrit nimmt zuerst die ihr folgende Objekt-NP und bildet mit dieser ein Prädikat, dem noch ein Präpositionalobjekt fehlt. Hat sie auch dieses zu sich genommen, wird sie zu einem vollständigen Prädikat, also zu einem Ausdruck, dem syntaktisch nur noch ein Subjekt fehlt. Ist die Reihenfolge der Komplemente umgekehrt, also Kopf- Komplement 2 -Komplement 1 , und entsteht daraus eine Klammerkonstruktion, stellt sich die Situation formal folgendermaßen dar: … ((écrit ((S/ NP)/ PP)/ NP à l’ami PP ) (S/ NP)/ / NP une lettre NP ) S/ NP Die Tatsache, dass hier die mit dem Verbum inhaltlich und strukturell weniger eng verbundene Präpositionalphrase, das indirekte Objekt, in gewissem Sinn kontraikonisch vor dem direkten Objekt realisiert wird, kann formal durch einen Doppelschrägstrich dargestellt werden: (S/ NP)/ / NP. Dieser besagt, dass bei dem dreistelligen Ausdruck ((S/ NP)/ PP)/ NP der Nenner des komplexen Zählers, also PP, vor dem Nenner des gesamten Bruches, nämlich NP, abgebunden wurde und daraus ein doppelter Bruchstrich resultiert. Im nächsten Schritt nimmt dann diese Phantomkonstituente (écrit à l’ami) (S/ NP)/ / NP nachträglich das zunächst übersprungene direkte Objekt zu sich, um ein vollständiges Prädikat S/ NP zu bilden (für weitere Details siehe III.3.): S NP S/ NP (S/ NP)/ / NP NP ((S/ NP)/ PP)/ NP PP Pierre écrit à l’ami une lettre Vorübergehende Interpretationsprobleme können entstehen, wenn ein Komplement seinem Kopf vorangeht, es sei denn, das Komplement ist funktional eindeutig gekennzeichnet, wie in dem deutschen Satz Der Postbote brachte den Brief. Hier ist das Subjektkomplement morphologisch direkt als solches erkennbar und lässt somit ein Prädikat (S/ NP) vorhersehen. Wie wir unter II.2.1. schon informell erörtert haben, kann man daher das Subjekt selbst als Funktor betrachten und zwar als Funktor, der <?page no="64"?> 56 mit einem Prädikat, also einem genuinen Funktor, einen Satz bildet. Der genuine Funktor Prädikat erscheint hier als Komplement des genuinen Komplements Subjekt; auch in diesem Fall lässt sich von einer der Wortform (Subjekt) immanenten Grammatik sprechen. Dieser formale Vorgang wird als Typanhebung bezeichnet, da der normale einfache Typ des Subjekts, nämlich NP, nun zu einem Funktor des Typs S/ (S/ NP), erhöht wird, zu einem Ausdruck also, der mit einem Prädikatfunktor S/ NP einen Satz bildet und damit eine Art Funktor zweiten Grades darstellt. Dies ist formal daran zu erkennen, dass das Komplement dieses Ausdrucks nicht wie üblich ein abgeschlossener Grundausdruck ist, sondern eben ein Funktor mit einer freien Stelle. Durch Kürzung kann dieser angehobene Typ freilich leicht wieder auf seine eigentliche Kategorie abgesenkt werden: S/ (S/ NP) = NP. Das heißt auch, dass der Nenner des Nenners oder das Komplement des Komplements des angehobenen Typs mit dem jeweiligen Grundtyp, hier die Subjekt-NP, identisch ist. Graphisch präsentiert sich dies dann so: S S/ (S/ NP) S/ NP (S/ NP)/ NP NP Der Postbote brachte den Brief Entsprechend ist auch ein direktes Objekt wie den Brief in Den Brief brachte der Postbote aufgrund seiner Form ohne weiteres als Teil eines zwei- oder mehrstelligen Prädikates zu interpretieren. Die Nominalphrase wäre somit vom Typ (S/ NP)/ ((S/ NP)/ NP), ein Ausdruck also, der mit einem zweistelligen Verbum ein einstelliges, sprich eine Verbalphrase, bildet: ((Den Brief (S/ NP)/ ((S/ NP)/ NP) brachte (S/ NP)/ NP ) S/ NP der Postbote NP ) S Wir erhalten somit eine zur Grundordnung des Deutschen spiegelbildliche Satzgliedfolge O-V-S. Verkürzend kann man das direkte Objekt auch als einen Funktor definieren, der mit einem transitiven Verbum ein intransitives macht: IV/ TV. Ein übersichtlicheres Bild ergäbe sich dadurch zumal bei ditransitiven Verben wie geben, wo das direkte Objekt (den Brief) mit einem ditransitiven Verb TTV ein transitives macht, TV/ TTV, das indirekte Objekt (dem Kind) mit dem transitiven Verbum ein <?page no="65"?> 57 intransitives, IV/ TV, und das Subjekt (Peter) schließlich mit einem intransitiven Verbum einen Satz, S/ IV, also von links nach rechts: … da (((Peter S/ IV dem Kind IV/ TV ) S/ TV einen Brief TV/ TTV ) S/ TTV gab TTV ) S Der Übergang vom weiteren Komplement zum engeren, hier also die Abfolge Subjekt - indirektes Objekt - direktes Objekt (- Verbum), vollzieht sich in Form einer sog. Funktionskomposition (vgl. dazu auch III.1.). Entsteht eine Klammerkonstruktion dadurch, dass es ein Attribut ist, das zwei enger miteinander verbundene Elemente trennt, wie in dem Beispiel Ich kaufe demnächst ein Auto stellt sich die Struktur folgendermaßen dar: Das adverbiale Attribut demnächst verbindet sich mit dem zweistelligen Verbum kaufen, ohne dessen freie Objektstelle zu besetzen. Dadurch entsteht nun eine temporäre Phantomkonstituente der Form (kaufe demnächst) (S/ NP)/ NP , der nach wie vor ein direktes Objekt fehlt, das dann im nächsten Schritt abgebunden wird: … ((kaufe (S/ NP)/ NP demnächst (S/ NP)/ (S/ NP) ) (S/ NP)/ NP ein Auto NP ) S/ NP S/ NP (S/ NP)/ NP NP (S/ NP)/ NP (S/ NP)/ (S/ NP) kaufe demnächst ein Auto Die rekursive Wiederholung von (S/ NP)/ NP macht deutlich, dass durch die Adjunktion von demnächst keine freie Stelle der Verbform abgebunden wird, diese daher strukturell unverändert bleibt und sich erst dann mit ihrem Objektkomplement ein Auto verbindet. Das Attribut demnächst nimmt via Funktionskomposition lediglich den Wert seines Kopfes kaufe, nämlich (S/ NP), zu sich und bildet mit dieser Konstituente wieder einen Ausdruck des Typs (S/ NP)/ NP, also eine zweistellige Verbform. Durch diese Darstellungsweise kann bei einer Konstituentenfolge Kopf- Attribut-Komplement die Baumstruktur im Ganzen beibehalten werden, ohne die Forderung der Projektivität zu verletzen, gemäß der sich in solchen Baumgraphen die Äste nicht überschneiden dürfen. Diese Möglichkeit ist für die Modellierung von Sprachen wie dem Deutschen, in denen die Klammerkonstruktion den unmarkierten Fall der Serialisierung dar- <?page no="66"?> 58 stellt, von eminenter Bedeutung. Voraussetzung hierfür ist das Verständnis und die Wiedergabe von Attributen als strukturbildende Funktoren. Die Position von Adverbialen kann aber auch für deren Skopus und damit für die strukturelle Interpretation eines Satzes ausschlaggebend sein. Z.B. wird durch den Stellungswechsel des Temporaladverbs in folgendem Satzpaar die sog. existentielle Lesart von der generischen unterschieden: (a) ... dass immer Katzen auf den Autos sitzen (existentiell) vs. (b) ... dass Katzen immer auf den Autos sitzen (generisch). Diese Differenz lässt sich folgendermaßen wiedergeben: (a) ... dass (immer S/ S (Katzen auf den Autos sitzen ) S ) S (b) ... dass Katzen NP (immer (S/ NP)/ (S/ NP) (auf den Autos sitzen ) S/ NP ) S/ NP Variante (a) enthält einen Satz Katzen sitzen auf den Autos mit existentiellem oder auch generischem Subjekt - eher existentiell, weil es hier eben nicht satzeröffnend steht - und auf diesen Satz wird das Attribut immer angewendet. Anders formuliert, das satzeinleitende Adverb hat die Bedeutung ‚immer ist Folgendes der Fall’, denn es fehlt ihm gerade ein Satz, in dem mitgeteilt wird, was ‚immer der Fall ist’. Das hier als Satzadverb fungierende immer S/ S bezeichnet eine Eigenschaft des ganzen Satzes bzw. Sachverhaltes. Variante (b) hingegen beginnt mit einem generischen Subjekt Katzen, dem ein komplexes Prädikat immer auf den Autos sitzen zugeordnet wird. Hier meint das Adverb eine Eigenschaft der Verbalphrase auf den Autos sitzen, nämlich die (für Katzen) immer zuzutreffen, und gehört daher dem Funktionstyp (S/ NP)/ (S/ NP) an. Entsprechendes gilt für die beiden Satzvarianten (c) und (d): (c) … weil sie (immer (S/ NP)/ (S/ NP) (Bücher von Noam liest) S/ NP ) S/ NP (d) .. sie ((Bücher von Noam) NP (immer ( ≡ ≡≡ ≡ / ((S/ NP)/ NP)) liest (S/ NP)/ NP ) (S/ NP)/ NP ) S/ NP In (c) wird dem Subjektdenotat ein komplexes Prädikat immer Bücher von Noam lesen zugeordnet, während in (d) ein zweistelliges komplexes Prädikat immer lesen, genauer (immer liest) (S/ NP)/ NP , das Objekt Bücher von Noam zu sich nimmt und das Ganze dann dem Subjekt zugesprochen wird. Man sieht an diesem Beispiel sehr gut, wie die Syntax semantische Strukturen durch das Analogon der raum-zeitlichen Position und Distanz zum Ausdruck bringt. Damit in Zusammenhang steht natürlich die <?page no="67"?> 59 kommunikative Struktur von Äußerungen, auf die wir unten noch kurz eingehen wollen. Die Determinationsrichtung, d.h. die Richtung, in der ein Funktor auf der sprachlichen Oberfläche ein Argument zu sich nimmt, kann in der Kategorialgrammatik durch die Neigungsrichtung des schrägen Bruchstrichs angezeigt werden. Das Argument, also der Nenner, kommt in jedem Fall unter den nach rechts (/ ) oder nach links (\) geneigten Bruchstrich zu stehen. Kategorialsymbole der Form X\Y stehen für Funktoren rechtsköpfiger Ausdrücke, die ihr Argument linkerhand suchen, wie z.B. das Prädikat NP\S in dem Satz (Charlène NP pleure NP\S ) S / (Charlène NP weint NP\S ) S - entsprechend in einem komplexeren Satz wie Kathi las das Buch in der Uni, in dem das Verbum und die Präposition ihr Komplement rechts suchen (/ NP), während das Adverbial und das Prädikat ihre Leerstellen linksseitig abbinden: S NP NP\S NP\S (NP\S)\(NP\S) (NP\S)/ NP NP ((NP\S)\(NP\S))/ NP NP Kathi las das Buch in der Uni Im deutschen Nebensatz (da) Kathi in der Uni ein Buch liest ist die zweistellige Verbform dann vom Typ NP\(NP\S) und die Präpositionalphrase präsentiert sich hier als: (NP\S)/ (NP\S). Existenz- / Präsenzverben wie ital. entrare, die ihrem Subjekt im unmarkierten Fall vorangehen (s.u.), gehören dementsprechend der Kategorie S/ NP an: (Entrò S/ NP Angelica NP ) S . Ausdrücke der Form Z\Y/ X sind folglich solche, die mit einem X rechterhand und einem Z linkerhand ein Y bilden, wie eben unser zweistelliges liest (NP\S)/ NP oder die postverbale Präposition in ((NP\S)\(NP\S))/ NP . Diese Notation macht sichtbar, dass bei Rechtsserialisierung oder Rechtsdependenz, also in linksköpfigen Strukturen, der Kopffunktor sein Argument rechts von sich sucht (PP/ NP) und der attributive Dependensfunktor links von sich, VP\VP oder N\N, wie etwa in span. (pelo N rubio N\N ) N . Bei Linksdependenz, also in rechtsköpfigen Strukturen, greift das Attribut hingegen nach rechts, VP/ VP oder N/ N, wie in (blondes N/ N Haar N ) N , während der Kopffunktor sein Komplement von rechts nimmt (NP\(NP\S)), d.h. das Dependens geht seinem Kopf immer voran. Um <?page no="68"?> 60 die Lesbarkeit der Kategoriensymbole nicht zu beeinträchtigen, wird in unserer Darstellung sonst kein Gebrauch von dieser Notation gemacht und die Information über die jeweilige Linearisierungsrichtung nicht in der Form vermittelt. II.3.4. Kommunikative Strukturen Attribute, um damit zu beginnen, sind im Prinzip rhematische Funktoren, da sie ihr Argument erweitern, das heißt als Zusatz ihres Arguments auftreten, ohne dessen Kategorie zu beeinflussen. Das strukturell Hinzutretende, semantisch gesprochen das Spezifizierende und damit das Differenzierende, ist in der Regel das Element mit dem relativ höheren Mitteilungswert. Anders gesagt: eine ein Attribut enthaltende Phrase, wie ital. patate fritte ‚geröstete Kartoffeln’, hat einen höheren Mitteilungswert als ein einfaches patate, da das Attribut mit der Intension auch den Mitteilungswert eines Ausdrucks erhöht. Die Kopf-Funktoren hingegen sind im Prinzip thematisch, d.h. sie haben einen geringeren Mitteilungswert als ihr jeweiliges Argument, wie z.B. die Präposition im Verhältnis zu der von ihr regierten Nominalphrase, in auf dem Baum, etwa als Anwort auf die Frage Wo ist die Mieze? , oder ein Verbum im Verhältnis zu seinem Objekt respektive ein einfaches Prädikat schreibt im Verhältnis zu einem komplexen schreibt ein Gedicht. Hier ist die Verteilung also umgekehrt, da in diesem Fall das Argument eine hinzutretende Ergänzung des Funktors ist, die dieser zu sich nimmt, um eine Leerstelle abzubinden. Die Gemeinsamkeit liegt offensichtlich darin, dass der Kopf eines komplexen Ausdrucks jeweils das primäre Glied, also den logischen und thematischen Ausgangspunkt des Syntagmas darstellt, während die determinierende, syntaktisch abhängige Konstituente - Komplement oder Attribut - eine Erhöhung des Mitteilungswertes bewirkt und daher rhematisch ist. Der thematische Charakter der Kopffunktoren stützt auch die Annahme, der Artikel und andere sogenannte ‚Determinatoren’ wie Demonstrativa oder Quantoren seien als Köpfe des Nomens und daher als NP/ N einzustufen. Dies gilt nicht nur für den definiten Artikel und das Demonstrativum in Nominalphrasen wie die / diese Professorin, sondern auch für den indefiniten in eine Professorin oder für Quantoren wie in zwei / mehrere / viele Professorinnen. In allen diesen Fällen wird durch den Determinator eine Menge von abstrakten Entitäten eingeführt, deren Elemente dann durch das folgende Nomen in der Funktion eines Quasi-Attributes einer bestimmten Klasse zugeordnet werden, vergleichbar etwa einem nominalen eine Menge (von) Professorinnen. So wäre etwa die Nominalphrase eine Professorin aus einem zugrundegelegten eine, die Professorin ist bzw. eine aus der Klasse der Professorinnen abzuleiten (cf. III.2.4.). <?page no="69"?> 61 Das einzige Komplement und die einzige syntaktisch abhängige Konstituente, die keine rhematische Funktion hat, ist das Subjekt, das als Thema des Prädikatfunktors auftritt (cf. aber unten zum Satzadverb). Dieses als Subjektparadox zu bezeichnende Phänomen ist folgendermaßen zu erklären: Da das Prädikat eine Eigenschaft des Subjektdenotats ausdrückt, ist es insoweit ein rhematisches Attribut und das Subjekt thematischer Eigenschaftsträger. Wir haben es jedoch hier nicht mit einer Determinationssondern mit einer Prädikationsrelation zu tun, in der das Prädikat kategoriebestimmender Kopf des Gesamtausdrucks und damit ein rhematischer Kopf-Funktor ist - ebenfalls der einzige seiner Art. Das im Akt der Prädikation neu hinzutretende und damit rhematische Element ist der prädikative Funktorkopf und nicht sein Subjektkomplement. Die Behauptung, dass alle abhängigen Determinantien rhematisch seien, wird durch das Subjektkomplement aber nicht widerlegt, da das Subjekt im Unterschied zu den Objekten das Prädikat gerade nicht determiniert, wie unter III.2.1.-3. noch genauer auszuführen sein wird. Das Subjekt ist deshalb kein teilmengenbildendes Determinans des Prädikats, weil das Prädikat als solches keine Menge bezeichnet; eben deswegen determiniert / subklassifiziert umgekehrt auch das Prädikat nicht das Subjektdenotat. Im Prädikationsakt wird vielmehr ausgesagt, dass die durch das Subjekt bezeichnete Menge als Ganze eine Teilmenge der Entitäten ist, auf die das jeweilige Prädikat zutrifft. In einem Satz wie Seine Kinder treiben Sport wird mitgeteilt, dass seine Kinder eine Teilmenge der Sporttreibenden sind. Es liegt im Wesen der Prädikation, dass den Elementen einer Menge in ihrer Gesamtheit eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen wird. Man kann daher zusammenfassend feststellen, dass das Prädikat ein nicht-determinierendes Attribut ist und das Subjekt ein nicht-determinierendes Komplement. Der Satz als die umfassende syntaktische Struktureinheit entsteht also dann, wenn ein Attribut nicht als Dependenssondern als Kopf-Funktor in Erscheinung tritt. Andersherum kann man sagen, dass ein Attribut im Prinzip dadurch entsteht, dass ein Prädikat nicht als Kopf-Funktor seines Subjekts sondern als dessen Dependens-Funktor auftritt. Als größte syntaktische Einheit sollte der Satz nicht mehr durch zusätzliche Determinantien erweitert bzw. spezifiziert werden können, da diese dann außerhalb des Satzes zu stehen kämen. Ein Ausnahme bilden die sogenannten Satzadverbien des Typs S/ S, deren Skopus ein ganzer Satz ist. Die Elemente dieser Attributklasse stellen aber auch insofern eine Ausnahme dar, als sie in Sätzen wie frz. Probablement Pit joue au tennis ‚Wahrscheinlich spielt Pit Tennis’ prinzipiell nicht-rhematische Determinantien sind. Diese Charakteristika der Satzadverbien sind darauf zurückzuführen, dass sie in einer zugrundeliegenden expliziten Struktur <?page no="70"?> 62 selbst Sätze sind, und zwar thematische Hauptsätze, die die oberflächenstrukturelle Aussage als Gliedsatz enthalten (cf. III.2.3.): Es ist wahrscheinlich, dass Pit Tennis spielt. Im übrigen ist auch das Satzadverb, so wie das Subjekt, kein teilmengenbildendes Determinans, weil der Satz, so wie das Prädikat, keine Menge bezeichnet. Ein spezielles Problem stellt die relative Rhematizität von Determinantien dar, die Frage also, warum in einem Satz wie Claudia schreibt einem Freund einen Brief, ebenso wie in einem ital. Claudia scrive una lettera a un amico, das direkte Objekt offenbar einen höheren Mitteilungswert besitzt als das indirekte und als Mitteilungziel dieser Äußerungen betrachtet werden kann. Nur bei einer solchen Gegenüberstellung mehrerer Determinantien ist es eigentlich sinnvoll, von dem höheren oder niedrigeren Mitteilungswert eines Konstituententyps zu sprechen und danach zu fragen, welches Determinans dem jeweiligen Kopf „mehr“ oder wesentlichere neue Information hinzufügt. Zunächst einmal ist folgende Korrelation zwischen semantischer und kommunikativer Ebene festzustellen: Je enger ein Determinans semantisch mit seinem Kopf verbunden ist, desto höher ist sein Mitteilungswert, im Sinne einer wesentlichen zusätzlichen Information. Daraus ergibt sich unter anderem der höhere Mitteilungswert von Komplementen im Vergleich zu fakultativen adverbialen Attributen, wie in Claudia schreibt unter einem Baum einen Brief. Bei Postdetermination führt dies zu dem bekannten Linearisierungskonflikt zwischen semantisch bedingter Tendenz des Determinans zu positioneller Nachbarschaft mit seinem Kopf und kommunikativ begründeter Tendenz zur betonten Endposition, der in der deutschen Klammerkonstruktion - wie in unserem Beispiel - zugunsten des zweiten Prinzips gelöst wird. Bei Prädetermination entsteht dieser Konflikt nicht, wie die Nebensatzversion … da Claudia unter einem Baum einen Brief schreibt verdeutlicht; denn hier ist die mit dem verbalen Kopf semantisch am engsten verbundene Konstituente sowohl dessen Nachbar als auch der am weitesten rechts positionierte Vorgangsbeteiligte. Die nämliche Situation entsteht bei der Reihung zweier Attribute wie in Claudia arbeitet am Sonntag im Garten, wo die Lokalangabe semantisch eindeutig enger mit dem Verbum verbunden ist als die Temporalangabe und somit den höheren Mitteilungswert besitzt; im Nebensatz werden die beiden Prinzipien wieder zur Deckung gebracht: … da Claudia am Sonntag im Garten arbeitet (cf. III.3.2.). Diese Korrelation ist damit zu erklären, dass die inhaltlich relevantere, wesentlichere Spezifikation oder Subklassifikation des Kopfdenotats im unmarkierten Fall auch die kommunikativ wichtigere ist. So gibt die kategorialgrammatische Notation mit der syntaktischen und semantischen Struktur auch die unmarkierte Satzgliedfolge und, jedenfalls bei Präde- <?page no="71"?> 63 termination, die unmarkierte kommunikative Struktur wieder, wie z.B. durch das komplexe Symbol NP dir \(NP ind \(NP\S)) für die Verbform schreibt in dem Nebensatz … da Claudia einem Freund einen Brief schreibt. In diesem Beispiel ist die Subklassifikation (einen Brief schreiben) für die durch das Verbum bezeichnete Handlung normalerweise relevanter als eine Subklassifikation (einem Freund schreiben), was u.a. durch den Linksversetzungstest (Einen Brief geschrieben hat sie einem Freund gegenüber kaum akzeptablem Einem Freund geschrieben hat sie einen Brief) untermauert werden kann. Die für die Subklassifikation einer Schreib-Handlung am wenigsten oder auch überhaupt nicht relevante Konstituente ist im Prinzip das Agens, das diesbezüglich auch in der richtigen Position der maximalen Entfernung vom Verbum steht, die hier gleichzeitig der unmarkierten Initialposition des Satzthemas entspricht, also: … Subjekt (indirektes Objekt (direktes Objekt (Verbum))). In dem zum deutschen Nebensatz(-Prädikat) spiegelbildlichen italienischen scrive una lettera a un amico gewinnt das semantisch motivierte Adjazenzprinzip die Oberhand über die kommunikativ begründete Affinität des Mitteilungsziels zur Endposition: scrive ((S/ NP)/ PP)/ NP ; hinzu kommt in diesem Fall der Rechtsdrall von Präpositionalobjekten. Der Aufbau der deutschen Hauptsatz-Klammer-konstruktion, in der das kommunikative Prinzip obsiegt, lässt sich formal daran erkennen, dass das symbolische Resultat des ersten Schrittes einen doppelten Schrägstrich enthält (s.o.): … ((schreibt ((S/ NP)/ NP)/ NP einem Freund NP ) (S/ NP)/ / NP einen Brief NP ) S/ NP Symbole des Typs (S/ NP)/ / NP geben allgemein zu erkennen, dass ein semantisch weniger eng mit dem Kopf verbundenes Komplement zuerst genommen wurde und das semantisch enger verbundene, rhematischere Komplement dadurch in die kommunikativ angemessene Endposition gelangt. Mit anderen Worten, der doppelte Schrägstrich steht für eine Klammerkonstruktion nach rechts, in der das kommunikativ motivierte Linearisierungsprinzip zum Zug gekommen ist. Bei der Kombination eines Attributes und eines Komplements wie in unserem Satz Claudia schreibt unter einem Baum einen Brief ist die kommunikativ bedingte Klammerkonstruktion, also (Kopf - Attribut - Komplement), an der Funktionskomposition zu erkennen, d.h. an der sog. partiellen Anwendung des Attributes auf die zweistellige Verbform liest (cf. auch III.1.): <?page no="72"?> 64 .. ((schreibt (S/ NP)/ NP (unter einem Baum) ≡ ≡≡ ≡ / ((S/ NP)/ NP) ) (S/ NP)/ NP einen Brief NP ) S/ NP Die Rekursion des Symbols bzw. des Ausdruckstyps (S/ NP)/ NP vor dem Auftreten des Komplements einen Brief zeigt, dass die Abbindung der Komplementstelle hinausgeschoben wurde und das Objekt so in die rhematische Endposition gelangt ist. Ein Attribut besitzt in der Regel deshalb einen geringeren Mitteilungswert als ein Komplement, weil es nicht durch die Valenz des Kopfes präfiguriert ist und somit nicht darauf gewartet wird. Das als letztes abgebundene Komplement eines Verbums ist in der Regel das Subjekt-Thema. Bekanntlich gibt es nun aber auch Verben, die sogenannten ergativischen, deren Subjekt im unmarkierten Fall gerade rhematisch ist, wie z.B. in Eine Fráu kommt oder Élsa kommt mit akzentuierter Subjekt-NP im Unterschied etwa zu Elsa árbeitet. Im Italienischen führt diese kommunikative Struktur dazu, dass das Subjekt im unmarkierten Fall dem Verbum folgt: Arriva una donna / Elsa, was u.a. mit Hilfe eines neutralen Subjektpronomens übrigens auch im Deutschen bewirkt werden kann: Es kommt eine Frau. Geht man davon aus, dass ein Aussagesatz ein thematisches Subjekt haben muss, über dessen Referenten etwas gesagt wird, kann die Folge Verbum-rhematisches Subjekt eigentlich kein ordentlicher Satz sein. Oder wie wir es oben formuliert haben: ein komplexer Ausdruck mit einem rhematischen Komplement kann kein Satz sein, da solche Komplemente als Determinans fungieren und daher immer (teilmengenbildende) Bestandteile von Bezeichnungen und nicht von Aussagen sind. Nichtsdestoweniger hat man es hier natürlich mit einem Subjekt und einem Satz zu tun und nicht etwa mit einem Objekt und einer Verbalphrase - mit einem Satz einfach deshalb, weil diese Äußerungen einen Wahrheitswert haben und somit eine Prädikation stattgefunden haben muss; es wird ja zweifelsohne mitgeteilt, dass etwas der Fall ist. Man könnte allerdings sagen, dass man es hier mit unvollständigen Sätzen zu tun hat, jedenfalls mit Sätzen, denen das Thema fehlt. Die syntaktische Struktur der Sätze Élsa kommt und Elsa árbeitet ist zunächst insofern identisch, als in beiden Fällen ein (auf die Wer-Frage antwortendes) Subjekt und ein finites Verbum, also ein Prädikat, einen Satz ergeben. Unterschiedlich ist hingegen die kommunikative Struktur, da mit dem ersten Satz und noch deutlicher in der italienischen Version Arriva Elsa / una donna nicht eine Information über ein gegebenes Subjektdenotat vermittelt, also nicht einem Subjektdenotat ein Attribut hinzugefügt wird, sondern umgekehrt der Behauptung des Gegebenseins eines Vorgangs, arriva ‚es kommt’, die Vorgangsbeteiligte, Elsa / una donna, nachgereicht wird. Durch diese Rhematisierung des Subjekts fehlt dem <?page no="73"?> 65 Prädikat die Bezugseinheit, auf die es kommunikativ ausgerichtet ist und die durch das Zusprechen z.B. einer Tätigkeit als Agens charakterisiert werden soll, mit anderen Worten, die Entität, über die in der Aussage geredet wird, wie etwa in einem markierten Elsa kómmt. Ein solcher Bezugspunkt (auch Topik), den im Prinzip jedes Prädikat respektive jede Aussage benötigt, da sie ja auf etwas zutreffen soll, kann nun auch außerhalb der Subjekt-Prädikat-Relation angesiedelt sein, etwa in Gestalt des Raum-Zeit-Punktes, an dem der mitgeteilte Vorgang oder Zustand der Fall ist. Dieser Punkt kann durch den Kontext oder die jeweilige Äußerungssituation implizit gegeben sein oder aber explizit durch Lokal- oder Temporaladverbiale versprachlicht werden. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind französische und deutsche Existenzsätze der Form Il y a un terrain de golf / Es gibt einen Golfplatz, südd. Es hat einen Golfplatz oder auch span. Hay un campo de golf, deren Nominalphrasen morphosyntaktisch tatsächlich als Objekte auftreten und damit Teil des Prädikats sind, im Unterschied zu einem ital. C’è un campo da golf oder engl. There is a golf course. In beiden Mustern jedoch geben die typischen Lokaladverbien y, ci, there oder dtsch. da bereits einen Hinweis auf die kommunikative Struktur solcher Äußerungen. Sie werden immer in Bezug auf oder, wenn man so will, über irgendeinen Raum- Zeit-Punkt gemacht, der durch die Mitteilung charakterisiert wird. D.h. bezüglich eines Raum-Zeit-Punktes wird mitgeteilt, dass (dort) etwas der Fall sei - gegebenenfalls als Antwort auf die Frage Was gibt es (dort)? oder ital. Che c’è? und frz. Qu’est-ce qu’il y a? ; sonst wären solche Äußerungen nicht zu interpretieren. So war etwa auch, um ein andersartiges Beispiel zu wählen, der Satz Thomas Mánn ist gestorben eine bedeutsame Mitteilung, die den Moment oder den Zeitraum ihrer Äußerung charakterisierte, im Unterschied zu der Version Thomas Mann ist gestórben als einer weniger situationsbezogenen Aussage über das Denotat des thematischen Subjekts. Erwähnenswert sind in diesem Kontext französische Konstruktionen des Musters J’ai mon gosse qui est malade oder Il y a mon gosse qui est malade / Il y a une femme qui arrive, dem im Deutschen ein einfaches anfangsbetontes Mein Sóhn ist krank mit rhematischem oder jedenfalls nichtthematischem Subjekt entspricht. Die Rhematizität des Subjekts eines zugrundeliegenden Mon gosse est malade kann im Französischen nicht ohne weiteres durch Akzentverlagerung erreicht werden, sondern wiederum dadurch, dass man es syntaktisch in die Position eines direkten Objektes bringt, wobei ihm das ursprüngliche Prädikat als Relativsatzattribut angefügt wird und der ganze Satz so als postverbale Objekt-NP erscheint. <?page no="74"?> 66 Satzeinleitende Temporal- oder Lokalangaben können nun als Exponenten eines solchen Situations-Themas betrachtet werden, das freilich nur in mehr oder weniger eingeschränktem Sinn als Thema zu verstehen ist; denn der unmarkierte Thema-Repräsentant ist das Subjekt, dem mit dem Prädikat eine Eigenschaft direkt zugesprochen wird. Die dem Subjekt immanente Funktion des Themas und Topiks wird in diesen Sätzen gewissermaßen ausgelagert und gegebenenfalls durch ein Adverbial (partiell) übernommen. So ist ein Satz wie In Italien scheint immer die Sonne ohne Zweifel eine Mitteilung über Italien, also über das Denotat des initialen Lokaladverbials, so wie ein Gestern schien die Sonne eine Charakterisierung des Denotats des Zeitadverbs beinhaltet. Ein Satz ohne einen solchen Themaexponenten, wie Arriva una donna ist dann eben als Satz ohne Thema zu betrachten, als ein Satz, dem ein explizites Thema fehlt und der daher vom Typ S/ Th ist; das implizite Thema derartiger Äußerungen ist in der Regel das hic-et-nunc des Sprechaktes: (Arriva (S/ Th)/ NP una donna NP ) S/ Th / (Eine Fráu NP kommt (S/ Th)/ NP ) S/ Th Das Subjekt bleibt Subjekt, nur ohne den sonst charakteristischen thematischen Zug. Verbformen wie kommt oder auch fehlt, die im unmarkierten Fall ein rhematisches Subjekt zu sich nehmen, repräsentieren daher den Typ (S/ Th)/ NP, indem sie mit einer (Subjekt-)Nominalphrase einen themalosen Satz bilden. Im Deutschen kann man das referenzlose neutrale es in Es kommt eine Frau ebenfalls als Exponent dieses thematischen Elementes betrachten, jedenfalls ist es formal ein thematisches Subjekt, also: (Es Th (kommt (S/ Th)/ NP eine Frau NP ) S/ Th ) S Interessant ist in dieser Perspektive die französische Entsprechung des deutschen pluralischen Es kommen Frauen, nämlich Il arrive des femmes, in der das Verbum nicht mit dem eigentlichen lexikalischen Subjekt, sondern mit unserem Themaexponenten kongruiert. Dies zeigt, dass das postverbale Subjekt in solchen Sätzen in der Tat nicht nur hinsichtlich seiner Stellung und kommunikativen Funktion ein atypisches Subjekt mit diversen Objektmerkmalen ist. Die deutsche Variante mit kongruierendem postverbalen Subjekt macht andererseits deutlich, dass das einleitende es auch kein vollgültiges Subjekt darstellt. Als Themaexponent in diesem Sinne fungiert dann auch das deutsche Lokaladverb da, wie in Da kommt eine Frau, das ebenfalls ein themaloses (kommt eine Frau) S/ Th vervollständigt: (Da Th (kommt (S/ Th)/ NP eineFrau NP ) S/ Th ) S . Wie man erkennen kann, haben es und da hier eine ähnliche syntaktische Funktion wie nor- <?page no="75"?> 67 male Subjekte, nur ist ihr Strukturpartner nicht ein Prädikat sondern ein (themaloser) Satz. Auf der andereren Seite hat dieser Satz (S/ Th) eine ähnliche syntaktische Funktion wie ein Prädikat, nur ist sein Strukturpartner nicht eine Subjekt-NP sondern die aus dem Subjekt ausgelagerte Thema-Komponente. Mittels Typanhebung kann man aus einem Th-Komplement wie da einen Kopffunktor machen, der mit einem themalosen einen vollständigen Satz bildet: S/ (S/ Th). D.h. da ist in diesem Kontext nicht einfaches adverbiales Attribut, das die Kategorie seiner Bezugseinheit nicht verändert, sondern ein angehobener Kopffunktor, der mit seinem Komplement einen neuen Ausdruckstyp erzeugt. Natürlich ist auch das expletive es Th durch Typanhebung als Satz-Macher darzustellen: (Es S/ (S/ Th) (kommt eine Frau) S/ Th ) S - so wie ein angehobenes Subjekt des Typs S/ (S/ NP); ein Ausdruck, der mit einem themalosen einen vollständigen Satz erzeugt, muss selbst das Thema sein. Im Prinzip können alle thematischen Adverbiale, die einem Verbum mit inhärent rhematischem Subjekt vorangehen, diese Funktion übernehmen, wie etwa das Temporaladverb in dem Satz: (Morgen Th (kommt (S/ Th)/ NP eine Frau NP ) S/ Th ) S Mit der Funktionskategorie (S/ Th)/ NP werden ergativische bzw. Existenz-Verben wie kommen, existieren, fehlen u.dgl. gewissermaßen zweistellig, da sie Subjekt und Thema in zwei Konstituenten aufspalten. Diese Konsequenz ist auch insofern von Interesse, als nun das rhematische Subjekt als erstes Komplement von mehreren ein weiteres typisches Objektmerkmal aufweist. Im Unterschied zum ersten ist das zweite Komplement (Th) freilich nicht in jedem Fall obligatorisch - so in der Version Eine Fráu kommt -, weil es keiner syntaktisch notwendigen Strukturstelle entspricht. Man kann die hybride syntakto-semantische Natur des Subjekts solcher Verben mit den Mitteln der Kategorialgrammatik also sehr differenziert erfassen und gut nachvollziehbar darstellen. Schließlich ist auch das expletive es in Subjektsatzkonstruktionen des Typs Es ist wichtig, dass du bald kommst oder Es scheint, dass sie weggegangen ist in diesen Zusammenhang zu stellen; dies gilt dann analog für nichtexplizite Subjekte wie in ital. Ø è importante che tu venga presto und Pare che sia andata via. Auch diese nachgestellten, extraponierten Subjekte sind jedenfalls nicht thematisch und das satzeinleitende Pronomen es kann hier direkt als thematisches Korrelat des Subjektsatzes gesehen werden. Graphisch stellen sich diese beiden Satztypen folgendermaßen dar: <?page no="76"?> 68 S Th S/ Th (S/ Th)/ NP NP Es / Da kommt eine Frau Ø arriva una donna S Th S/ Th (S/ Th)/ NPS NPS Es ist wichtig dass du bald kommst Im zweiten Fall ist das einleitende es nicht nur Thema sondern auch (antizipiertes) Subjekt, da der das Prädikat ergänzende Subjektsatz getilgt werden könnte: Es ist wichtig ist ein korrekter vollständiger Satz im Unterschied zu *Es kommt als reduzierte Variante von Es kommt eine Frau. In diesem Rahmen können dann auch noch die sogenannten nullwertigen Witterungsverben wie regnen oder ital. piovere erörtert werden. Es regnet und Piove sind Sätze, deren thematische Komponente im Deutschen durch es und im Italienischen durch ein nicht-explizites pronominales Subjekt (vgl. altital. egli piove ‚es regnet’) repräsentiert wird: (Es Th regnet S/ Th ) S und (Ø Th piove S/ Th ) S . Die Definition von Th(ema) als die aus dem Subjekt ausgelagerte thematische Komponente trifft in diesen Fällen nur insoweit zu, als das Pronomen zwar als Themaexponent interpretiert werden kann, der Satz aber im Unterschied zu den obigen Mustern kein weiteres rhematisches Subjekt enthält, wie z.B. auch die Äußerung Es stinkt. Das neutrale Pronomen ist hier ein semantisch fiktives (thematisches) Subjekt der Verbform, das freilich eine obligatorische Strukturstelle füllt, da jeder deutsche Aussagesatz ein explizites Subjekt benötigt. Im Prinzip gilt dies auch für ein ital. Piove, dessen Endung -e, analog etwa zu Piange ‚er weint’, grammatisch als Repräsentant oder Reflex eines singularischen Subjekts der 3. Person zu sehen ist, das freilich immer nur ein Nullsubjekt sein kann. Das Subjekt-Prädikat-Schema bzw. das zugrunde- <?page no="77"?> 69 liegende Thema-Rhema-Muster kann in satzförmigen Äußerungen nie gänzlich verlassen werden. Das inhärent rhematische Subjekt von Verben wie kommen, existieren, geschehen etc. sollte als rhematisches Komplement semantisch auch eine determinierende Funktion haben und eine Teilmenge aus dem Verbdenotat herausgreifen. In einem Satz wie Gestern geschah ein Unglück würde dann das postverbale Subjekt das Verbum geschehen in diesem Sinne spezifizieren. Noch deutlicher wird dies bei den sog. Psych-Verben mit akkusativischem oder dativischem personalen Thema und rhematischem Subjekt wie in dem Satz Ihr gefallen schwedische Kriminalromane. Der komplexe Ausdruck gefallen schwedische Kriminalromane bezeichnete dann eine spezielle Unterklasse von nicht spezifiziertem generellen gefallen (X), so wie ein transitives schwedische Kriminalromane lieben eine Unterklasse und Spezifikation von (X) lieben darstellt; denn unser Satz enthält keine Mitteilung über schwedische Kriminalromane sondern eine über das Denotat des Personalpronomens ihr. Da wir es hier freilich mit echten zweistelligen Verben zu tun haben, können wir das Thema als Prädikationsbasis auch im syntaktischen Sinn ansetzen: (Ihr ProNP (gefallen (S/ ProNP)/ NP schwedische Kriminalromane NP ) S/ ProNP ) S oder ital.: (A Carlo PP (piacciono (S/ PP)/ NP i gialli svedesi NP ) S/ PP ) S Der Grund für diese syntaktische Kodierung der semantischen Struktur liegt offensichtlich in dem Merkmal [+menschlich] des Dativs und der nicht agentiven Rolle des unbelebten Subjekts. <?page no="78"?> III. Anwendungen der Kategorialgrammatik III.1. Die Funktionskomposition Den Ausgangspunkt derartiger sprachlichen Vorgänge bilden unter anderem Sequenzen der Form (a), in denen ein Kopffunktor unmittelbar von einem seinerseits aus Funktor und Komplement bestehenden komplexen Komplement gefolgt ist. Eine Umstrukturierung, etwa infolge eines satzphonologischen Prozesses, zu einer Sequenz (b): (a) (Kopffunktor 1 - (Kopffunktor 2 - Komplement) Kompl ) (b) ((Kopffunktor 1 + Kopffunktor 2 ) Funkt - Komplement) in der die beiden Kopffunktoren zu einem einzigen verschmolzen sind, der nun das ursprüngliche Komplement von Kopffunktor 2 zu dem seinigen macht, kann als Funktionskomposition gesehen und dargestellt werden. Es geht dabei zunächst um die Reanalyse einer Struktur (A - (B-C)) mit einfachem Funktor und komplexem Komplement als eine Struktur ((A+B) - C) mit komplexem Funktor und einfachem Komplement. Da jedoch der genetisch komplexe Funktor (A+B) im Zuge der Funktionskomposition zu einer strukturellen Einheit wird, entsteht am Ende ein vereinfachtes Gebilde: Die dreigliedrige Struktur wird zu einem zweigliedrigen, binären (AB - C) mit klarer Trennung von Funktoren und Komplement, wie beispielsweise in den nun folgenden konkreten Fällen: III.1.1. Artikelpräpositionen (preposizioni articolate) Als ersten Anwendungsfall betrachten wir die aus einer Präposition und einem enklitischen definiten Artikel bestehenden sogenannten Artikelpräpositionen, wie al, dal, del, sul im Italienischen, au, du, des im Französischen oder am, im, beim, zum, ins im Deutschen, in Präpositionalphrasen der Art ins Haus aus (in PP/ NP (das NP/ N Haus N ) NP ) PP . Im Portugiesischen gibt es sogar lautliche Fusionen aus proklitischer Präposition und indefinitem Artikel, wie num / numa aus em um(a) in numa casa ‚in einem Haus’, so auch im Friaulischen contun, intun, wie in intun plat ‚auf einen Teller’. Die sich aus der Gestalt der Wörter ergebende neue Struktur ist ((Präposition+Artikel) - Nomen), da der Funktorkopf des Nomens, der Artikel, aus <?page no="79"?> 71 der Nominalphrase ausgelagert und der Präposition einverleibt wurde. Der komplexe neue Kopf ins / al / du / numa verbindet sich nun mit dem verbleibenden einfachen Nomen, um mit diesem eine Präpositionalphrase zu bilden. Seine funktionale Kategorie ist folglich PP/ N, statt PP/ NP wie die einfacher Präpositionen, also: (ins PP/ N Haus N ) PP oder (alla PP/ N finestra N ) PP ‚am Fenster’ und (numa PP/ N casa N ) PP . Aus solchen morpho-syntaktischen Umstrukturierungen können neue stabile Wörter entstehen, die in bestimmten Kontexten nicht mehr in ihre ursprünglichen Komponenten auflösbar sind: dtsch. vom Lande sein ≠ von dem Lande sein, beim Friseur ≠ bei dem Friseur oder am Anfang ≠ an dem Anfang; in ital. al, sul oder nel ist die Fusion obligatorisch wie auch in frz. au, du, des (sog. Portemanteau-Morpheme). Ein neues Wort entstand auch in friaulisch cuntun aus cun und un mit einem zusätzlichen Fugen-t. Dieses Phänomen stützt im übrigen die Annahme, dass der Artikel als Kopf eines Nomens zu definieren sei, da die Konstituenten komplexer Köpfe wie in-s, da-l etc. dem gleichen Kategorientyp angehören, also beide Kopffunktoren sein sollten. Als formales Modell dieser morphosyntaktischen Prozesse dient die Komposition von Funktionen, die aus der Hintereinanderschaltung einer Funktion f von X in Y und einer Funktion g von Y in Z entsteht. Für diese Komposition von f und g gilt: g f : X → Z und (g f) (x) : = g(f (x)) Also statt zunächst f auf das Argument x anzuwenden und dann auf den Wert dieser Funktion den Funktor g, wie in g(f (x)), wird der zusammengesetzte Funktor (g ° f) direkt auf x angewendet. Man kann nun sagen, dass der zusammengesetzte Funktor (g f) z.B. das aus in und das fusionierte ins repräsentiert und das Argument x das Nomen Haus. Konkret ist dieser Prozess folgendermaßen nachzuvollziehen und zu motivieren: Im Zuge einer sequentiellen Analyse und eines schrittweisen Aufbaus der syntaktischen Struktur der Folge in PP/ NP das NP/ N Haus N entsteht bei der Anwendung des ersten Funktors auf den zweiten, gewissermaßen als Zwischenwert, eben die syntaktische Kategorie, der ein fusioniertes ins zuzuordnen ist, nämlich PP/ N als Resultat aus PP/ NP · NP/ N, in Form einer Bruchrechnung: PP . NP = PP NP N N im Klartext: (in PP/ NP (das NP/ N Haus N ) NP ) PP → (ins PP/ N Haus N ) PP <?page no="80"?> 72 und in Form von Strukturbäumen: PP PP PP/ NP NP PP/ N ( ins ) N NP/ N N PP/ NP NP/ N in das Haus in das Haus Mit anderen Worten: Der Funktor in PP/ NP kann zunächst nur auf den Wert NP des Funktors das NP/ N angewendet werden, da dessen freie Argumentstelle N noch nicht abgebunden ist. Diese bleibt weiterhin offen und wird damit zu einer Leerstelle des neuen komplexen Kopfes. Einer solchen als partielle Anwendung bezeichneten Operation entspricht auf der sprachlichen Seite - im sprachlichen Original des formalen Modells - eine partielle Anhebung des komplexen Komplements das Haus, d.h. eine Anhebung seines Kopfes das und dessen Inkorporation in den präpositionalen Kopffunktor in mit dem Ergebnis ins als unmittelbare Konstituente der Präpositionalphrase (ins PP/ N Haus N ) PP , aus der die NP als eigene Konstituente eliminiert, sozusagen herausgekürzt ist. Damit verbindet sich andererseits eine strukturelle Senkung der Präposition in, die nun nicht mehr unmittelbare Konstituente der PP ist. Ins ist also gleichzeitig Präposition und Artikel: Letzteres, weil es ein Nomen als Argument nimmt und Ersteres, weil es eine PP und allgemeiner eine Adverbialphrase bildet - gewissermaßen ein Artikel nach unten und eine Präposition nach oben zum jeweiligen Kopf oder Determinatum. Aus diesem Grunde konnte auch ein Disput darüber entstehen, ob derartige Gebilde als Artikelpräposition oder als Präpositionalartikel zu bezeichnen seien. Da das wesentliche Kriterium für die Kategoriebestimmung eines Funktors sein Wert ist, also das, was er zu erzeugen vermag, ist es angebracht, von Artikelpräposition zu reden, analog dem italienischen Terminus preposizione articolata. Es bleibt dem Grammatiker aber unbenommen, etwa frz. au oder du / des in Syntagmen wie plaire au supérieur, boire du vin, avoir des enfants als Elemente des französischen Artikelparadigmas zu betrachten. Der französische Teilungsartikel hat in solchen Kontexten ja auch keine präpositionale Funktion mehr, dafür aber eine neue Gesamtbedeutung, nämlich die eines indefiniten Artikels: (des NP/ N enfants N ) NP ‚Kinder’ ist eine Nominalphrase und keine PP. Durch eine solche Komposition von Funktionen entstehen nun freilich, vorüberegehend oder auf Dauer, Ausdrücke, die keiner Konstituente <?page no="81"?> 73 der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur mehr entsprechen und deshalb auch Phantom-Konstituenten genannt werden. Dies ergibt sich daraus, dass ein Kopffunktor, in unserem Fall der Artikel das, mit seinem Komplement enger verbunden ist als mit einem ihm selbst übergeordneten Kopffunktor, mit dem er nun aber an der sprachlichen Oberfläche verschmilzt. Wie der Terminus Komplement zu verstehen gibt, ist diese Konstituente der primäre und eigentliche Strukturpartner eines Kopffunktors, mit dem zusammen er eine komplexe neue Einheit bildet, oder negativ formuliert, der Strukturpartner, der dem Kopffunktor (noch) fehlt, da er zu seiner Valenz gehört. Ein sprachlicher Ausdruck kann daher im Prinzip nur dann als Komplement genommen werden, wenn er seinerseits sämtliche freien Stellen abgebunden hat und damit kein Funktor (mehr) ist, wie eben die NP das Haus im Unterschied zu dem Artikel das NP/ N , dem ein Nomen fehlt. Dieser Sachverhalt erklärt sich aus der Natur des sprachlichen Zeichens und seiner besonderen Abhängigkeitsverhältnisse. Durch die Kombination eines Funktors mit seinem Komplement entsteht ein Gesamtausdruck mit einer eigenen syntaktischen und semantischen Gestalt; denn durch die Komplementierung eines unvollständigen Funktors wird dieser schrittweise vervollständigt und in sich abgeschlossen. Die jeweils ineinanderpassenden Teile solcher Ausdrücke können nicht ohne weiteres voneinander getrennt und in benachbarte bzw. übergeordnete Strukturen integriert werden; nach der Entfernung eines Kopffunktors hängt das dazugehörige Komplement gewissermaßen in der Luft und könnte allenfalls getilgt werden. So wird durch obige Funktionskomposition das komplexe Komplement (das Haus) NP als Ausdruck zerstört, was formal durch das „Wegkürzen“ von NP darzustellen ist. Aus diesen Gründen ist ein aus zwei Funktoren bestehendes Gebilde wie unser ins im Prinzip nicht wohlgeformt und kann somit auch keine wirkliche syntaktische Konstituente sein. Bei einer Applikation der Strukturverschiebung (g (f (x)) → (g f) (x), also der Funktionskomposition, auf Ketten sprachlicher Zeichen ergeben sich also Schwierigkeiten, die bei einer Anwendung etwa auf natürliche Zahlen, das heißt auf reine Mengen, nicht auftreten. Wenn z.B. x den Wert 2 erhält und die Funktionen als Multiplikationen interpretiert werden, dann ergibt ein 5 ⋅ (3 ⋅ 2) ebenso 30 wie ein (5 ⋅ 3) ⋅ 2. Einfach deswegen, weil durch eine Multiplikation wie 3 ⋅ 2 keine Gesamtheit von besonderer Struktur entsteht, sondern lediglich eine (Teil- )Menge wie jede andere auch. Man nennt diese Art der Verknüpfung assoziativ, während Folgen von sprachlichen, in Funktor-Argument- Beziehung stehenden Zeichen offensichtlich nicht-assoziative Verknüpfungen sind. <?page no="82"?> 74 Dass wir es hier nicht mit wohlgeformten Ausdrücken zu tun haben, wird auch bei dem Versuch, ihnen eine einheitliche Bedeutung und ein bestimmtes Denotat zuzuordnen, sofort erkennbar. Welche bzw. was für eine Entität sollte mit ins, also der Kombination der Direktionalpräposition in und dem neutralen definiten Artikel das bezeichnet werden? Auch im, beim, frz. au oder ital. al, sul sind solche Wörter ohne eigenes Denotat, das heißt Wörter, deren inhaltliche Komponenten keine integrale Gesamtbedeutung ausmachen. Semantisch weisen sie eher eine kumulative Merkmalsstruktur auf, wie man sie von bestimmten gebundenen Morphemen kennt. So enthält etwa die Verbalendung -bam von lat. lauda-bam ‚ich lobte’ folgende Kumulation der mehr oder weniger heterogenen semantischen Merkmale: [1.Person + Singular + Subjekt + Imperfekt + Indikativ + Aktiv] von denen lediglich die letzten drei das Verbalgeschehen unmittelbar betreffen. Sie entsprechen daher dem Fregeschen Kompositionalitätsprinzip, demzufolge die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks eine Funktion der Bedeutungen seiner Teile und der Art ihrer syntaktischen Kombination ist, jedenfalls insofern nicht, als sie eben keine einheitliche Gesamtbedeutung haben. Man kann auch sagen, dass es in einer Präpositionalphrase wie ins Haus keinen Isomorphismus von der morphosyntaktischen auf die semantische Struktur gibt, also keine lokale Entsprechung zwischen Elementen und Relationen dieser beiden Ebenen, da die semantischen Merkmale [definit, Neutrum, Singular] der Artikelpräposition ins nicht Merkmale einer Präposition sondern solche eines Nomens bzw. einer Nominalphrase sind. Die Kompositionen verstoßen damit auch gegen einschlägige Postulate der Natürlichkeitstheorie, da solche nichtanalogen Konstruktionen eben nicht konstruktionell ikonisch sind. Von linguistischem Interesse ist also nicht allein der Umstand, dass - wie wir zeigen wollen - verschiedenste sprachliche Gebilde als Resultat einer Funktionskomposition gesehen werden können, sondern gerade die Tatsache, dass dieser so geläufige Prozess zu eigentlich nichtwohlgeformten Ausdrücken und asyntaktischen Konstruktionen führt und daher allenfalls sporadisch stattfinden sollte. Wir werden auf die Frage, warum die Sprache diese mangelnde Wohlgeformtheit offensichtlich in Kauf nimmt, zurückkommen und dazu hier nur noch Folgendes anmerken: Aus der Überführung des Ausdrucks (in (das (Haus))) PP in die Version (ins (Haus)) PP ergibt sich, wie gesagt, eine Vereinfachung der dreigliedrigen zu einer zweigliedrigen, binären Struktur. Das Bildungsprinzip der binären Version kann in einer Sonderung des nominalen Arguments Haus, also des lexikalischen Kerns oder Inhaltswortes, von den <?page no="83"?> 75 sprachlichen Funktorköpfen oder Funktionswörtern in und das gesehen werden. Die Präpositionalphrase in das Haus wird in der Form ins Haus zweigliedrig wie etwa die PP zu Haus oder nach Haus und italienisches *di il muro oder *a il muro wird in del muro, al muro zweigliedrig wie etwa die NP il muro. Die funktionale Gemeinsamkeit von del, al etc. und dem einfachem Artikel il besteht darin, dass sie mit einem Nomen ein Satzglied bzw. einen morphosyntaktisch abgeschlossenen Ausdruck bilden; in frz. des maisons aus *de les maisons ist die funktionale Übereinstimmung mit dem Artikel, wie wir gesehen haben, bereits vollständig. Gerade weil durch die Funktionskomposition syntaktisch nicht korrekte Ausdrücke entstehen, kann sich eine neue Gesamtbedeutung herausbilden, die nicht mehr ohne weiteres aus der Bedeutung der Konstituenten ableitbar ist. Ein solches binäres Ordnungsprinzip durchzieht ja auch die Flexions- und Derivationsmorphologie in der Ausprägung (Stamm + (komplexes) Suffix) Wort (s.u.). III.1.2. Konjunktionen Eine doppelte Funktionskomposition kennzeichnet den historischen Wandel der eine satzhaltige Pronominalphrase regierenden französischen Präposition par, in (par (ce que + Satz)) PP , zum Bestandteil der einen Satz regierenden Konjunktion parce que in: (parce que + Satz) PPS - explizit: (par PP/ ProNPS (ce (que (tu fumes) S ) NPS ) ProNPS ) PP → (parce que PPS/ S (tu fumes) S ) PPS (PPS steht, analog zu NPS, für eine satzhaltige PP bzw. Adverbialphrase.) Hier wurde, wie die Reduktion der Klammern um die Hälfte sichtbar macht, strukturell drastisch vereinfacht, indem die Präposition par einen direkt (ce) und einen indirekt (que) von ihr regierten Kopf inkorporierte. Das führte in diesem Fall zur Bildung eines aus drei Funktoren bestehenden neuen Wortes, dem jedoch aufgrund der syntaktischen Reanalyse auch eine neue Gesamtbedeutung zukam: nfz. parce que bedeutet einfach weil und kann daher auch für sich allein als Antwort auf die Frage Pourquoi? fungieren. Die heutige Schreibweise reflektiert die erste Kompositionsphase, deren Resultat einem dtsch. dadurch (dass) entspricht. Freilich ist nfz. parce nicht mehr als Präpositionalphrase zu verwenden und parce que ist damit, im Unterschied zu dadurch dass, syntaktisch eingliedrig geworden. Die Rektion des Gesamtausdruckes ist die des ursprünglich letzten Funktorkopfes que, nämlich S(atz). Bis zu einem gewissen Grad vergleichbar ist die Entstehung der Konjunktion jusqu’à ce que ‚bis’, wo sogar zwei Präpositionen im Spiel sind. In einem weiteren Zusammenhang sind hier auch satzeinleitende französi- <?page no="84"?> 76 sche Frageformeln der Art est-ce que + Satz oder qu’est-ce que + Satz anzuführen, deren Satz-Komponente heute nicht mehr als Nebensatz verstanden wird: (Est-ce que) tu viens? / (Qu’est-ce que) tu fais? Analog zu parce que bzw. zu ital. perciocché verlief die Entwicklung der finalen italienischen Konjunktion acciocché ‚damit’ aus den Elementen a, ciò und che: (a PP/ ProNPS (ciò (che (tu fumi))) ProNPS ) PP → (acciocché PPS/ S (tu fumi) S ) PPS Es leben bis heute auch die Schreibweisen acciò che und a ciò che fort. Das gleichbedeutende affinché aus den Elementen a, fine und che zeigt ebenfalls diese innere Struktur, so wie sein französisches Pendant afin que. Hier vollzieht sich auf Satzebene genau der Prozess, den wir im Fall von dtsch. ins oder ital. al, nel, etc. auf Satzgliedebene beobachten konnten. Analog ist nicht nur die Reduktion eines mehr als zweigliedrigen Ausdruckes zu einer binären Struktur, die die univerbierten Funktionsausdrücke auf der einen und den lexikalischen Kern auf der anderen Seite anordnet. Darüber hinaus handelt es sich in beiden Fällen um nominale Funktionselemente, wie Artikel (in-s), Pronomen (ce) und nominalisierende Konjunktion (que), die mit einer Präposition fusionieren und ein lexikalisches Element, nämlich ein Nomen (Haus) respektive einen Satz (tu fumes) als einfaches Komplement zu sich nehmen. Die morphosyntaktischen Resultate dieser Prozesse sind komplexe Präpositionen und komplexe Konjunktionen. III.1.3. Präpositionale Wendungen Ein weiteres Beispiel von Funktionskomposition in diesem morphosyntaktischen Bereich ist der Wandel einer PP oder Adverbialphrase des Typs Präp.+NP wie etwa (in (Bezug auf X)) zu einem (in bezug (auf X)) mit einer komplexen Präposition - im Detail: (in AdvP/ NP (Bezug NP/ PP (auf Eli) PP ) NP ) AdvP → (in bezug AdvP/ PP (auf Eli) PP ) AdvP Durch eine partielle Anwendung der Präposition in auf den Kopf der komplexen NP Bezug auf Eli in der Sequenz AdvP/ NP ⋅ NP/ PP ergibt sich die zusammengesetzte Präposition in bezug AdvP/ PP , aus der die Kategorie NP herausgekürzt ist. Der Ausdruck (der) Bezug auf Eli ist nun nicht mehr als abgeschlossene Nominalphrase zu betrachten, da das Nomen Teil einer komplexen, eine PP regierenden Präposition geworden ist (weshalb auch die Kleinschreibung in bezug auf geläufig war). Graphisch stellt sich die Adverbialphrase (funktional Attribut des Typs X/ X) daher wie folgt dar: <?page no="85"?> 77 AdvP AdvP/ PP PP AdvP/ NP NP/ PP PP/ NP NP in Bezug auf Eli Auch entsprechende Fügungen mit definitem Artikel sind in diesem Sinne zu analysieren, wie z.B. (im Hinblick AdvP/ PP (auf seine Verdienste) PP ) AdvP , wo sogar eine zweifache Funktionskomposition (im) vorliegt. Die Präposition inkorporiert hier also nicht nur einen Artikel, wie im Fall der Artikelpräpositionen, sondern auch das dazugehörige Nomen ohne dessen Komplement. Das Nomen Bezug ist zwar kein Funktionswort im engeren Sinne, stellt jedoch auf Grund seiner Bedeutung und seiner syntaktischen Valenz einen typischen Relator dar und kann so Teil einer Präposition werden, wie ja auch Bildungen der Art bezüglich meiner zeigen. Bereits zu echten Präpositionen mutiert haben Kombinationen mit relationalen Nomina des Typs infolge, aufgrund, anstelle, zugunsten, vonseiten (österr.), die Präpositionalphrasen der Form von X oder einfach genitivische Nominalphrasen regieren; analog auch ital. invece (di) aus in vece di oder accanto (a) ‚neben’, span. encima (de) ‚auf’ (eigentlich ‚auf der Spitze von’) und enfrente (de) ‚gegenüber (von)’, das im Unterschied zur italienischen Entsprechung di fronte (a) ebenfalls zu einem neuen Wort geworden ist, ohne damit die gleichbedeutende nicht univerbierte Version verdrängt zu haben: en frente del teatro; so auch engl. in front of ‚vor’. Frz. autour de X ‚um X herum’ aus au tour de X kann gleichfalls in diesem Zusammenhang angeführt werden (vgl. auch alentour de ‚um ... herum’). Mit der morphosyntaktischen Funktionskomposition geht hier häufig auch eine gewisse Lexikalisierung im Sinne einer zunehmenden Abstraktheit des Inhalts der komplexen Ausdrücke einher. Im Unterschied zur präpositionalen Wendung in Bezug auf X entsteht in Bildungen der Art ((nimmt Bezug) auf X) VP durch die Komposition des Funktionsverbs mit dem Kopfnomen das komplexe Prädikat Bezug nehmen, das dann als solches das Präpositionalobjekt auf X regiert, ebenso wie das einfache Verbum (sich) beziehen. Auf diese Weise lässt sich die Entstehung derartiger Funktionsverbgefüge klar rekonstruieren, zumal im Unterschied zu Bildungen wie legt Wert auf X, dessen präpositionales Komplement auf X von dem dreiwertigen Verbum legen und nicht von dem Nomen Wert regiert wird. <?page no="86"?> 78 Der Vorteil einer kategorialgrammatischen Darstellung derartiger Umstrukturierungen und Reanalysen liegt vor allem darin, dass Auslösung, Ablauf und Resultat dieser Prozesse unmittelbar an der sprachlichen Oberfläche erfasst und damit leicht nachvollziehbar werden. Dabei bleibt die Funktionskategorie der einzelnen Konstituenten im Prinzip konstant, und diese geraten durch die Kombination mit benachbarten Ausdrücken nur in neue Strukturzusammenhänge und werden Elemente neuer komplexer Ausdrücke. Die funktionale Kategorie der neuen Kombinationen errechnet sich aus den (ursprünglichen) Funktionen ihrer Bestandteile. Dadurch sind in einem Baumdiagramm wie dem obigen die neuen Strukturen auf die ihnen zugrundeliegenden Strukturen hin durchsichtig und Letztere gehen in der Darstellung nicht einfach verloren; das Baumdiagramm enthält also zugleich Ausgangsstruktur, Reanalyse und Zielstruktur. III.1.4. Extraktion von Komplementen Ein interessantes Phänomen aus dem Bereich der Präpositionalsyntax ist auch die Extraktion oder Anhebung (auch preposition stranding) von Komplementen einer Präposition, also von Nominal- oder Präpositionalphrasen wie in: Bo (si mise (S/ NP)/ AdvP (davanti AdvP/ PP a lui PP ) AdvP ) S/ NP → Bo gli si mise davanti dtsch. ungefähr Bo stellte sich ihm voran. Hier ist es die regierende Präposition davanti, die in einen übergeordneten Funktorkopf integriert und dadurch von ihrem Komplement a lui getrennt wird. Der Ausdruck si mise, (S/ NP)/ AdvP oder einfacher VP/ AdvP, der mit einer Adverbialphrase ein einstelliges Prädikat bildet, kann mit dem unmittelbar folgenden Funktor davanti AdvP/ PP zu VP/ PP komponiert werden: (VP/ AdvP) ⋅ (AdvP/ PP) = VP/ PP, wobei die Kategorie AdvP weggekürzt wird: (si mise davanti) VP/ PP . Das Resultat der Komposition ist ein komplexes zweistelliges Verbum mettersi davanti, in dem die komplementlose Präposition davanti nun in absolutem Gebrauch als Adverb interpretiert werden kann. Der von seinem ursprünglichen Kopf getrennte zweite Vorgangsbeteiligte a lui wird dann zu einem Komplement dieses komplexen Verbums angehoben: (si mise davanti) a lui. Zum Zweck einer Thematisierung, die ja überhaupt als Motiv der ganzen Umstrukturierung anzusehen ist, kann nun das in Endposition betonte Pronomen dem Verbum proklitisch vorangestellt werden: ((si mise davanti) VP/ PP a lui PP ) VP → (gli ProNP (si mise davanti) VP/ ProNP ) VP <?page no="87"?> 79 Die syntaktische Funktion als indirektes Objekt ergibt sich zwangsläufig daraus, dass die Position des direkten Objekts bereits durch das Reflexivpronomen si besetzt ist. Entsprechendes läßt sich bei einem deutschen dreiwertigen Prädikat wie in Ernst stülpte einen Deckel über die Maschine beobachten, das in einer analogen Operation zu Ernst stülpte der Maschine / ihr einen Deckel über transformiert werden kann. Im rechtsköpfigen Nebensatz ergibt sich damit folgende, ein komplexes Verbum überstülpen enthaltende Struktur: ... da Ernst (der Maschine NP (einen Deckel NP überstülpte (VP/ NP)/ NP ) VP/ NP ) VP Man erkennt hier bereits den ersten Schritt zur Morphologisierung und Lexikalisierung des komplexen Ausdrucks, in dem die Präposition zu einem trennbaren Präfix mit adverbialer Funktion geworden ist. Das Verbum überstülpen hat sich damit in die große Klasse der dreiwertigen Verben mit einem direkten und einem indirekten Objekt eingereiht. Auch in diesem Fall erscheint das ursprüngliche Komplement der Präposition, hier die NP die Maschine, als indirektes Objekt des durch Funktionskomposition entstandenen komplexen Verbums. Hat man es mit intransitiven Verben zu tun, bei denen die Position des direkten Objekts nicht schon besetzt ist, wie z.B. in dem Satz Der Ballon fliegt über das Haus, bleibt die ursprüngliche präpositionale Rektion bestehen und die Nominalphrase wird zum direkten Objekt eines komplexen transitiven Verbums überfliegen mit untrennbar verbundenem Präfix: Der Ballon überfliegt das Haus. Der präpositionale Kopf über wird im Zuge einer Funktionskomposition seinem verbalen Kopf fliegt als Präfix mit adverbialer Funktion zugeschlagen: (fliegt VP/ PP (über PP/ NP das Haus NP ) PP ) VP → (überfliegt VP/ NP das Haus NP ) VP VP VP VP/ PP PP VP/ NP NP PP/ NP NP VP/ PP PP/ NP fliegt über das Haus fliegt über das Haus Das neue Verbum ist also ein Ausdruck des Typs (S/ NP)/ NP bzw. VP/ NP, entstanden aus (VP/ PP) ⋅ (PP/ NP), wobei die PP als Satzkonsti- <?page no="88"?> 80 tuente weggekürzt wird. Innerhalb des Wortes überfliegen wird die nunmehr komplementlose Präposition zu einem adverbialen Determinans. Analog wird ein A dringt durch B zu A durchdringt B, ein A kreist um B zu A umkreist B oder ein A kommt über B zu A überkommt B; so auch ital. correre per le strade zu percorrere le strade, frz. courir par les rues zu parcourir les rues und lat. in urbem ire zu urbem inire. Dadurch dass die präpositionalen, semantisch meist direktionalen, Kopfkonstituenten der Verbkomplemente auf der lexikalischen Ebene der Wortbildung zu attributiven Präfixen werden, vereinfacht und vereinheitlicht sich die syntaktische Struktur. Aus drei Wörtern oder Syntagmen werden zwei und die abgekoppelten Nominalphrasen erscheinen durchgehend als direktes Objekt des zusammengesetzten Verbums und nicht mehr als Teil eines Präpositionalkomplementes. Durch die Umkategorisierung der Präpositionen zu Verbattributen entstehen hier sinnvolle neue Verben mit kompositionaler semantischer Struktur. Semantisch meint überfliegen eine spezielle Unterklasse von fliegen und durchdringen eine Unterklasse von dringen, indem von einem spezifischen Komplement der Präposition abgesehen wird, d.h. überfliegen bedeutet generell ‚über etwas fliegen’. Die Funktionskomposition bewirkt hier insofern eine inhaltliche Verdichtung, als die Präposition, die die Art der Beziehung zwischen Verbum und Nominalphrase anzeigt, nun Bestandteil der Bedeutung des verbalen Kopfes selbst ist und damit eine neue Bezeichnung für einen bestimmten Vorgangstyp geschaffen wird. In allen bisher behandelten Fällen ist die Zielstruktur also ein binäres Gebilde, dessen erste Konstituente aus einem komplexen Funktor, das heißt aus einem Wort, das eine Präposition als Kopf oder als Attribut enthält, besteht und dessen zweite, als Komplement fungierende, Konstituente ein einfacher Grundausdruck ist, sei es ein Satz, ein (Pro-)Nomen oder eine Nominalphrase (bei den zusammengesetzten Präpositionen gilt dies jedenfalls für Syntagmen wie infolge Hochwassers). Offenbar handelt es sich hierbei um ein natürliches Prinzip der Synthetisierung und Verdichtung mehrgliedriger syntaktischer Konstruktionen bis hin zur Erzeugung morphologisch komplexer Wörter und Wortformen. III.1.5. Suffixbildung Bei rechtsköpfigen Strukturen, in denen der Kopf seinen Komplementen folgt, findet die Funktionskomposition entsprechend von rechts nach links respektive von hinten nach vorn statt. So etwa bei folgendem ebenfalls aus der Wortbildung stammenden Beispiel: frz. chevalerie ist ursprünglich eine Ableitung aus chevalier und hat somit folgende innere Struktur: ((cheval-(i)er)-ie) mit der Bedeutung Ritterschaft. Semantisch be- <?page no="89"?> 81 trachtet bildet der Funktor -ier mit einer Objektbezeichnung die Bezeichnung einer Person, die mit diesem Objekt etwas zu schaffen hat, wie in cheval-ier. Das Suffix -ie bildet dann mit dieser Ableitung ein Nomen, das u.a. eine Gesamtheit solcher Personen bezeichnet. Mit der modernen binären Analyse cheval-erie indessen erhält man eine Ableitung mit der Bedeutung „Gesamtheit von Personen, die etwas mit Pferden zu tun haben“, wobei die kompositionelle Struktur nicht mehr wirklich transparent ist (vgl. cavalerie oder ital. cavalleria ‚Kavallerie’, das nicht allein aus cavaliere abzuleiten ist, sondern mit cavallo gekreuzt sein muss). Durch die Komposition und morphologische Fusion der beiden Funktoren -ier und -ie ist sekundär ein neues produktives Suffix -erie entstanden, das nun auch mit Nomina verbunden werden kann, die nicht das Personalsuffix - ier enthalten, wie z.B. machinerie, crêperie, cochonnerie (vgl. auch dtsch. Schweinerei), darüber hinaus aber auch mit Adjektiven wie in bizarrerie, brusquerie, pudibonderie (auch in Konkurrenz zu einfachem -ie wie in folie) oder mit Verben wie in imprimerie, brasserie, denen kein *imprimier oder *brassier entspricht. Wenn man einmal vereinfachend die semantische Klasse der Ableitungsbasis cheval mit „Obj“ für Objekt wiedergibt und die von chevalier mit „Pers“ für Person, dann hat das Suffix -ier die semantische Funktion Pers/ Obj, d.h. es macht mit einer Objektbezeichnung eine Personenbezeichnung. Gibt man die Klassenbedeutung von chevalerie mit „Koll“ für Kollektiv wieder, ist das Suffix -ier vom Typ Koll/ Pers, da es mit Personenbezeichnungen Kollektivbezeichnungen bildet. Formal insgesamt: ((cheval Obj -ier Pers/ Obj ) Pers -ie Koll/ Pers ) Koll und graphisch: Koll Pers Koll/ Pers Obj Pers/ Obj cheval -(i)er -ie Nach einer Funktionskomposition von Koll/ Pers und Pers/ Obj ergibt sich das komplexe Suffix des Typs Koll/ Obj: (cheval Obj -erie Koll/ Obj ) Koll , das semantisch vom Typ Kollektiv/ Objekt ist. Durch diese Operation wird die Bedeutungskomponente Person weggekürzt und -erie bildet nun mit einer Objektbezeichnung die Bezeichnung irgendeines Kollektivs, das mit diesem Objekt zu tun hat, wie z.B. auch bijouterie in der Bedeutung <?page no="90"?> 82 Schmuckindustrie. In bijouterie mit der Bedeutung Schmuckwaren fungiert es, wie in machinerie, als reines Kollektivsuffix. Die zu chevalerie analoge Bedeutung ‚Gesamtheit der bijoutiers’ kann bijouterie jedoch nicht annehmen. Die binäre Zielstruktur entspricht in diesen Fällen also der morphologischen Grunddifferenz zwischen lexikalischen und nicht-lexikalischen Morphemen, hier zwischen Stamm und Derivationsssuffix. III.1.6. Flexionsbildung Dasselbe gilt im Prinzip für das folgende Beispiel, das der Entstehungsgeschichte der Flexionsmorphologie entnommen ist. Die Entwicklung eines vlat. cantare habeo und späteren cantar aio zum französischen Futurum (je) chanter-ai bzw. chant-erai, die in der letzten Phase als Fusion des Auxiliars ai ‚ich habe’ mit der Infinitivendung -er zu sehen ist, kann ebenfalls als Funktionskomposition dargestellt werden, d.h. als Komposition zweier benachbarter Funktorköpfe innerhalb einer Wortform. Das Syntagma chanter ai ‚(ich) habe zu singen’ wird zu der aus einem Stamm und einer komplexen Endung bestehenden Verbform chant-erai ‚(ich) werde singen’, die auch funktional keinen Infinitiv mehr enthält, ebensowenig wie die Konditionalform chant-erais aus (chanter Inf avais VP/ Inf ) VP ‚(ich) hatte zu singen’: ((chant- Stv -er Inf/ Stv ) Inf ai VP/ Inf ) VP → (chant- Stv -erai VP/ Stv ) VP Da die neue Endung also ein Funktor ist, der mit einem Stamm eine Verbform erzeugt, ist das Produkt ein Element der französischen Verbalflexion. Die Entfunktionalisierung und somit das Verschwinden der morphologischen Kategorie Infinitiv (chanter) in den romanischen Futur- oder Konditionalformen wird ein weiteres Mal durch die Operation des Herauskürzens wiedergegeben; der kategoriegebende Kopf -er Inf/ Stv des Infinitivs ist strukturell verschoben und nun ein Bestandteil der Endung: Inf . VP = VP St v Inf St v Wiederum ergibt sich eine Reduktion auf eine binäre Kopf-Komplement- Struktur, die hier, entsprechend den anderen Formen des Verbalparadigmas, aus einer Endung und einem lexikalischen Kern besteht. Aus der Verbindung des Auxiliars ai mit der Infinitivendung -er wird nun allerdings keine Konstituente mit einer einheitlichen Gesamtbedeutung geschaffen. Die Endung -erai weist jedoch die für Flexive - wie wir gesehen <?page no="91"?> 83 haben - typische kumulative Inhaltsstruktur auf, nämlich [1.Pers.+Sing.+ Subj.+Fut.+Ind.]. So ist durch die Funktionskomposition auch in diesem Fall ein neues sprachliches Zeichen entstanden, das sich in ein vorgegebenes zweigliedriges Strukturparadigma einpasst. Der dieser romanischen Entwicklungsphase vorangehende (morpho- )syntaktische Synthetisierungsprozess kann ebenfalls als Funktionskomposition aufgefasst werden. In einem - um bei unserem Beispiel zu bleiben - lat. carmen cantare habeo ‚(ich) habe ein Lied zu singen’ kann zunächst eine Konstituente carmen cantare als Infinitivkomplement eines zweistelligen habere angesetzt werden, wobei das Symbol VNP für Infinitivphrase steht: (vereinfacht) VP VNP VP/ VNP NP VNP/ NP carmen cantare habeo Auf einer Vorstufe des synthetischen frz. (je) chanterai ist eine syntaktische Reanalyse anzunehmen, durch die der Infinitiv angehoben wurde, um mit dem übergeordneten Verbum eine Konstituente zu bilden: (carmen (cantare habeo)). Die Entstehung eines komplexen Prädikats cantare habeo und schließlich der Verbform chanterai / ital. canterò / span. cantaré kann nun folgendermaßen rekonstruiert werden. Das übergeordnete Verbum nimmt nicht mehr die gesamte Infinitivphrase VNP zu sich, sondern zunächst nur deren ihm unmittelbar vorangehenden Funktorkopf, mit dem es, auch hier in Verbindung mit einer deutlichen Lexikalisierung, in der Folge verschmilzt: Die Sequenz … cantare VNP/ NP habeo VP/ VNP wird per Funktionskomposition zu (cantare habeo) VP/ NP , also zu einem zweistelligen Prädikat: VNP . VP = VP NP VNP NP Die noch freie NP, also das Objektkomplement von cantare, wird jetzt zum Objektkomplement des neuen komplexen Prädikates, was schließlich zu der vereinfachten zweigliedrigen Struktur (carmen NP (cantare habeo) VP/ NP ) VP führt. So wie in den anderen Fällen wird die Rektion des Komplements (carmen), und damit die Valenz des Gesamtausdrucks, nach <?page no="92"?> 84 wie vor von seinem ursprünglichen Funktorkopf (cantare) bestimmt, der nun aber Konstituente des komplexen Prädikates ist: VP NP VP/ NP VNP/ NP VP/ VNP carmen cantare habeo Durch die Komposition wird die Infinitivphrase (carmen cantare) VNP als Konstituente weggekürzt, die ursprüngliche syntaktische Struktur aufgehoben und eine Phantomkonstituente (...cantare habeo) mit nichtgesättigter Objektposition gebildet. Der Bereich des Funktors habeo wird auf das Verbum eingeschränkt, unabhängig davon, ob dieses noch eine ungesättigte freie Stelle aufweist oder nicht. Damit wird das Rektionsverhältnis der „freien“ Syntax entzogen und schließlich auf die Wortformebene verlagert: habeo bezieht sich nicht mehr auf eine syntaktische Konstituente ((carmen) cantare) VNP , sondern auf die Wortform cantare, mit der es ein Prädikat des Typs VP/ NP, explizit (S/ NP)/ NP, bildet. Da habere aber grundsätzlich in der Lage ist, Infinitive zu sich zu nehmen, entstand hier ein sinnvoller neuer Ausdruck mit einer entsprechenden Gesamtbedeutung (vgl. engl. I will / I’ll write a letter). Das Verbum habere verliert in der Folge durch die Fusion seine morphologische Eigenständigkeit und bildet mit der Infinitivendung ein neues Flexiv im Paradigma seines ursprünglichen Komplements cantare. Die Geschichte der Entwicklung von lat. carmen cantare habeo zu romanisch (span.) cantaré una canción ist also die einer mehrfachen Funktionskomposition. Es sei noch darauf hingewiesen, dass das moderne analytische aller- Futur des Französischen (futur proche), wie etwa in Il va chercher (un appartement) NP ‚er wird eine Wohnung suchen’, aus einem Il va (chercher un appartement) VNP ‚er geht eine Wohnung suchen’ ganz analog als Produkt einer Funktionskomposition gesehen werden kann, in der die Form va den Kopf der Infinitivphrase VNP als Komplement zu sich nimmt, um mit ihm eine Form des Futurparadigmas aller chercher zu bilden. In diesem Zusammenhang kann auch die Alternation des Auxiliars in ital. ho dovuto andarci und ci sono dovuto andare ‚ich habe hingehen müssen’ erwähnt werden. Im ersten Fall selegiert das Verbum dovere das Hilfsverb avere, im zweiten hingegen ist dover andare bzw. dovuto andare ein komplexes Prädikat, gewissermaßen eine Form von andare, und wird deshalb wie <?page no="93"?> 85 dieses mit essere konstruiert. Von seiner proklitischen Position aus determiniert das Direktional ci den Gesamtausdruck (dover andare, cf. III.1.11.). III.1.7. Bildung periphrastischer Verbformen Ein besonders aufschlussreicher Fall in diesem Kontext ist die Herausbildung des periphrastischen, analytischen Perfekts, bei der es gleichfalls um die Anhebung einer infiniten Verbform geht. So kann in einem lat. litteram scriptam habet eine komplexe Nominalphrase als Objekt- Komplement eines zweistelligen Vollverbs habere gesehen werden: ((litteram scriptam) habet). Das morphosyntaktisch vom Nomen abhängige passivische Partizip Perfekt scriptam löst sich dann morphologisch und positionell aus seiner nominalen Dominanz, um sich unter die Rektion des zum Hilfsverb reduzierten habere zu begeben, mit dem zusammen es eine Form des Verbums scrivere, écrire etc. bildet: ha scritto una lettera / il a écrit une lettre. Dass das Partizip nun nicht mehr adnominal zu interpretieren ist und mit dem Nomen daher keine Konstituente bildet, erkennt man an der mangelnden Kongruenz, im Deutschen darüber hinaus an der postnominalen Position der endungslosen prädikativen Form: (einen Brief (geschrieben hat)) vs. ((einen geschriebenen Brief) hat). Das Auxiliar haben, avoir usw. ist nun ein morphologischer Funktor des Typs St v / Part, der ein Part(izip Perfekt) nimmt und mit diesem eine Art komplexen Verbstamm (St v ) bildet: (geschrieben Part hab- Stv/ Part ) Stv , aber nicht mehr mit dem Vollverb haben des Typs VP/ NP, wie in (hat VP/ NP (einen geschriebenen Brief) NP ) VP zu identifizieren ist. Dass hier aus der Komposition eine ganz neue Einheit mit einer spezifischen Gesamtbedeutung enststanden ist, lässt sich eindeutig daran erkennen, dass eine Form wie geschrieben hat weder passivisch (wie das Partizip) noch präsentisch (wie das Auxiliar), sondern aktivisch und präterital ist. Hat geschrieben stellt im Übrigen auch keine satzsyntaktisch korrekte Konstituente dar, da geschrieben kein direktes Objekt von hat ist. Die Partizipialform scriptam ist allerdings trotz der Kongruenz von Anfang an nicht einfach als adnominales Attribut des Typs N/ N zu kategorisieren, sondern - auch nach Ausweis der endungslosen deutschen Form - als eine Art Koprädikat, das etwa folgendermaßen expliziert werden kann: Er hat den Brief als einen geschriebenen / ... als einen, der geschrieben ist bzw. geschrieben worden ist. Der Skopus einer solchen Bestimmung ist folglich nicht nur das Nomen, sondern die ganze NP den Brief bzw. litteram und gehört somit der Kategorie NP/ NP an: <?page no="94"?> 86 VP NP VP/ NP NP NP/ NP litteram scriptam habet Daher kann man auch diesen morphosyntaktischen Prozess formal als Funktionskomposition darstellen. Die Folge scriptam NP/ NP habet VP/ NP vereinigt sich zu einer Phantomkonstituente (scriptam habet) VP/ NP , deren freie Komplementstelle durch das Objekt litteram besetzt wird: (litteram NP (scriptam NP/ NP habet VP/ NP ) VP/ NP ) VP Weggekürzt wird in diesem Fall die Attributkonstituente NP/ NP, die sich ja auch sprachlich als solche aufgelöst hat: VP NP VP/ NP NP/ NP VP/ NP litteram scriptam habet Im Unterschied zur Ausgangsstruktur des romanischen Futurs, litteram scribere habet, ist das Partizip scriptam hier dennoch nicht Kopfsondern Dependensfunktor von litteram; hier wird durch die Funktionskomposition das Dependens einer Nominalphrase Teil von deren komplexem Kopf. Es ist aber eben in Rechnung zu stellen, dass dieses Partizip nicht eindeutig als Attribut des Nomens oder auch der NP interpretiert werden kann und die NP in einer zugrundeliegenden Struktur immer Objektkomplement des Verbums bleibt - und dies auch an der Oberfläche wieder wird, sobald sich das Partizip als Konstituente der komplexen Verbform scriptam habet etabliert hat. Im Zuge dieser Entwicklung wird, wie gesagt, das passivische Partizip scriptam zu einer aktivischen Verbform oder jedenfalls zum Bestandteil einer solchen und regiert als zweiter Funktor - so wie in den anderen Fällen von Funktionskomposition - das Komplement litteram des komplexen Funktors. Die gleichwohl nicht <?page no="95"?> 87 gänzlich aufgehobene morphosyntaktische Abhängigkeit des Partizips von der Nominalphrase oder die Affinität zwischen den beiden nominalen Wortarten ist im übrigen ein Grund für die Asymmetrie zwischen fusioniertem écrir-a und bis heute getrenntem a écrit, das noch im Mittelfranzösischen durch sein Objekt unterbrochen werden konnte: il a la lettre écrite im Sinne von il a écrit la lettre (vgl. auch nfz. la lettre qu’il a écrite); in span. Ya tengo escrita la carta ‚Ich habe den Brief schon geschrieben’ kongruiert sogar das der Nominalphrase vorangehende Partizip. Auch in diesem Fall jedoch ist aus einer komplexen syntaktischen Struktur eine neue Verbform, als Element eines Verbalparadigmas, mit einer eigenen morphosemantischen Gestalt erwachsen. Diese Art der Darstellung und Deutung der sprachlichen Fakten wird dadurch ermöglicht, dass in der Kategorialgrammatik Attribute als (abhängige) Funktoren gefasst werden. Dies ist im Falle des Partizips scriptam von besonderem Interesse, insofern es zwar von einem Nomen bzw. einer NP litteram abhängt, strukturgeschichtlich jedoch auf den Kopffunktor einer (passivischen) Subjekt-NP, littera scripta est, oder einer (aktivischen) Objekt-NP, litteram scribere, zurückzuführen ist und diese Funktion innerhalb der Perfektform wieder einnimmt. Entsprechendes gilt im Grunde aber für alle Attribute, sofern sie als Prädikativ eines zugrundeliegenden Satzes, in dem sie als Kopffunktor des Subjekts fungieren, verstanden werden können: der wichtige Brief ← der Brief, der wichtig ist und (der Brief NP (ist wichtig) S/ NP ) S . So etwa auch ital. bambini piangenti ‚weinende Kinder’ ← bambini che piangono ← i bambini piangono. Das bedeutet, dass adnominale Attribute in der Regel auf Prädikate über das Denotat ihres Bezugnomens zurückgeführt werden können. Abschließend ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die mitunter vertretene Ansicht, Partizip und direktes Objekt bildeten eine vom Auxiliar regierte Konstituente (hat (einen Brief geschrieben)) VP unzutreffend ist. Sie wird damit begründet, dass diese beiden Elemente im Deutschen gemeinsam an die Satzspitze gerückt werden können, so wie in entsprechenden Modalverbkonstruktionen, also: Einen Brief geschrieben hat er so wie Einen Brief schreiben will er aus Er (will (einen Brief schreiben)). In der Tat verhält sich das periphrastische Perfekt auf der Ebene der Wortstellung so, als ob noch ein von einem Vollverb haben abhängiges Infinitkomplement einen Brief geschrieben, entsprechend unserem lat. litteram scriptam, vorläge. Dasselbe gilt für das Infinitivkomplement des Futurs in Einen Brief schreiben wird er, da auch hier Auxiliar und infinite Form noch trennbar und nicht miteinander fusioniert sind wie im romanischen Typ. Andere Satzgliedtests zeigen freilich eindeutig, dass sich Auxiliare zumindest anders verhalten als Modalverben und tatsächlich Teile kom- <?page no="96"?> 88 plexer Verbformen sind. So kann ein Objekt-Partizip- oder Objekt-Infinitiv- Syntagma nicht wirklich erfragt werden: Einen Brief geschrieben ist keine mögliche Antwort auf die indirekte Frage Sage mir, was du hast! ebenso wenig wie Einen Brief schreiben eine Antwort auf ein Sage mir, was du wirst! sein kann, sehr wohl aber auf die Frage Sage mir, was du willst! Dasselbe gilt für das Auxiliar sein, weshalb Ins Kino gegangen keine mögliche Antwort auf ein Sage mir, was du bist! ist. Das heisst, periphrastische Verbformen wie hat geschrieben oder wird schreiben gehören derselben Funktionskategorie an wie einfaches schrieb oder schreibt, nämlich S/ NP resp. transitiv (S/ NP)/ NP; vor allem ist das Hilfsverbum hat immer vom selben Typ (S/ NP)/ Part oder allgemein V/ Part, d.h. es macht mit einem Partizip eine (komplexe) Verbform und zwar unabhängig von der Stelligkeit des jeweiligen Hauptverbums. Auch aus morphologischer Sicht ist es nicht statthaft, einen Brief geschrieben als eine Satzkonstituente zu interpretieren - denn in welcher syntaktischen Relationen sollte das Objekt einen Brief und das nicht-flektierte Partizip geschrieben zueinander stehen? III.1.8. AcI-Konstruktionen Einen weitereren Fall von Funktionskomposition im Bereich infinitivischer Hypotaxe findet man in AcI-Konstruktionen wie dtsch. Cäcilie sah den Wagen abfahren, ital. Cecilia vide la macchina partire oder frz. Cécile vit la voiture partir. Solche Gebilde scheinen Verzahnungen zweier Sätze durch ein gemeinsames Glied, das als Objekt des ersten und als „logisches“ Subjekt des zweiten Verbums im Infinitiv zu betrachten ist; morphologisch präsentiert es sich freilich als direktes Objekt: S NP S/ NP (S/ NP)/ VNP VNP und (S/ NP)/ NP NP VNP/ NP Cäcilie sah den Wagen abfahren Da das Verbum sehen nun aber zweiwertig ist, muss angenommen werden, dass den Wagen abfahren ein Satzglied darstellt. Die Nominalphrase kann freilich nicht als Kopf der Konstituente gesehen werden, weshalb der Infinitiv diese Funktion innehaben muss und den Wagen <?page no="97"?> 89 strukturell als Subjekt des Verbums zu betrachten ist. In derartigen AcI- Konstruktionen kann das Subjekt in akkusativischer Form als unmittelbarer Strukturpartner eines Infinitivs auftreten, wenn eine entsprechende Rektionsbeziehung zu dem jeweils übergeordneten Prädikat besteht, wie in unserem Fall zu dem Wahrnehmungsverb sehen. Allerdings handelt es sich dabei um eine „unmögliche“ Konstituente, da das Subjektkomplement des Verbums morphosyntaktisch von außen regiert wird. Wegen der Inkompatibilität von Infinitiv und nominativischem tatsächlichen Subjekt steht andererseits die Alternative eines *Cäcilie sah der Wagen abfahren - jedenfalls im Deutschen - auch nicht zur Verfügung. Wir haben es also mit einer syntaktisch letztlich nicht sauber auflösbaren Konstruktion zu tun. Soll diese inkonsistente Infinitivphrase (VNP) nun doch in einen syntaktischen Rahmen eingepasst werden, ohne die Stelligkeit des regierenden Verbums zu tangieren, kann dies wiederum durch eine Funktionskomposition, das bedeutet hier eine Komposition der beiden verbalen Funktorköpfe, bewerkstelligt werden. Für den prädeterminierenden deutschen Nebensatz - um von diesem auszugehen - ergibt sich zunächst einmal folgendes Bild: S NP S/ NP VNP (S/ NP)/ VNP NP VNP/ NP (da) Cäcilie den Wagen abfahren sah Die kursive Wiedergabe der Subjekt-NP des Infinitivs soll andeuten, dass es sich um eine anzunehmende Struktureinheit handelt, die aber in dieser Funktion normalerweise nicht realisierbar ist. Wenn nun die Verbform sah direkt auf den Infinitiv abfahren angewendet wird, bleibt die NP den Wagen übrig und es entsteht ein komplexer Ausdruck der Kategorie (S/ NP)/ NP, also ein transitives zweistelliges Prädikat: S/ NP . VNP = S/ NP bzw. (S/ NP)/ NP VNP NP NP <?page no="98"?> 90 Die graphische Darstellung läßt die Entstehungs- oder Strukturgeschichte des komplexen Prädikats erkennen: S NP S/ NP NP (S/ NP)/ NP VNP/ NP (S/ NP)/ VNP (da) Cäcilie den Wagen abfahren sah Dadurch dass abfahren nun nicht mehr als Kopf von den Wagen sondern nur noch als Komplement von sah fungiert, ist die problematische Infinitivphrase (den Wagen abfahren) VNP weggekürzt, das bedeutet als solche aufgelöst. Gleichzeitig entsteht eine neue Phantomkonstituente (abfahren sah) (S/ NP)/ NP , die die übriggebliebene NP als direktes Objekt zu sich nimmt. Durch die Bildung des komplexen Prädikats kommt zum Ausdruck, dass die Nominalphrase gemeinsames Komplement der beiden Verben ist, wenngleich in unterschiedlicher syntaktischer Funktion. Anders als im Fall des Perfekts - einen Brief geschrieben hat - und in den übrigen bisher behandelten Funktionskompositionen wird hier das Komplement Wagen des Gesamtausdrucks nicht vom zweiten, d.h. vom untergeordneten Funktor abfahren regiert, sondern vom übergeordneten Bestandteil sah. Nimmt man die Entstehung eines derartigen Verbums an, muss das Subjekt des untergeordneten Verbums als Objekt des Gesamtausdruckes erscheinen, da auch ein komplexes Verbum nicht zwei verschiedene Subjekte haben kann und dem transitiven (abfahren sehen) sonst das direkte Objekt fehlte. Im Rahmen der kategorialgrammatischen Darstellung ergibt sich eben dies rein rechnerisch, sofern man einem Infinitiv wie abfahren die Kategorie VNP/ NP zuweist. Der Vorgangsbeteiligte, auf den sich ein Infinitiv bzw. eine VNP bezieht, kann also nicht als nominativisches Subjekt realisiert werden, sondern allenfalls als direktes Objekt, das mehr oder weniger unmittelbar von außen, das heisst vom jeweils übergeordneten Prädikat regiert ist. Selbst wenn im Falle von Subjektsätzen das übergeordnete Prädikat eigentlich keinen Akkusativ auslösen kann, wie etwa in lat. Me erravisse verisimile est ‚Es ist wahrscheinlich, dass ich geirrt habe’ muss der Kasus von außen kommen, da er nicht von dem unmittelbaren Strukturpartner Infinitiv herrühren kann. Mit anderen Worten, das „Subjekt“ des Infini- <?page no="99"?> 91 tivs darf nicht als dessen Strukturpartner realisiert werden, es sei denn, es ist gleichzeitig in einem engeren oder weiteren Sinn als Objekt in der syntaktischen Umgebung verankert. Dadurch wird der syntaktischen Verzahnung der beiden Satzteile Ausdruck verliehen und einfache Sätze mit zwei Subjekten vermieden. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass in bestimmten Texten des älteren Italienisch die Kombination von Infinitiv und Subjekt durchaus geläufig ist: Per tutto ciò io non direi dover uomo arguire l’eccellenzia d’alcuna lingua (Sperone Speroni, 16. Jh.), wörtlich: ‚Darum würde ich nicht sagen, man daraus auf die Vollkommenheit irgendeiner Sprache schließen zu müssen’. Eine mögliche Auflösung dieses syntaktischen Dilemmas ergibt sich aus der der Funktionskomposition innewohnenden Tendenz, die neugeschaffenen satzsyntaktischen Strukturmuster in morphologische und im weitesten Sinne lexikalische zu überführen. Das heißt abfahren wird, wie gezeigt, zum Bestandteil eines transitiven Verbums abfahren sehen, das als solches das direkte Objekt den Wagen regiert. Werden die beiden Funktoren in diesem Sinne zu einem komplexen Ausdruck zusammengefasst, entsteht folgende Struktur: S NP S/ NP NP (S/ NP)/ NP (da) Cäcilie den Wagen abfahren sah Aus der Definition von abfahren sehen als zweiwertiges Verbum mit nominalem Objekt, resultiert eine flachere binäre Struktur, die kein komplexes Infinitivkomplement mehr enthält und - wie in anderen Beispielen von Funktionskomposition auch - aus zwei zusammengefassten Funktorköpfen und einem einfachen Grundausdruck besteht. Bei Wahrnehmungsverben wie sehen oder hören, die sich auch unmittelbar auf das Infinitiv-„Subjekt“ beziehen können, sind sichtbare Univerbierungstendenzen freilich nicht die Regel. Zu erwähnen wäre allenfalls der sogenannte Ersatzinfinitiv im deutschen Perfekt: da Cäcilie ihn (ankommen sehen hat) wie in ihn (ankommen lassen hat) sowie semantische Univerbierungen <?page no="100"?> 92 und Lexikalisierungen wie etwas (kommen sehen) in der Bedeutung von etwas vorhersehen. Ein solcher Prozess hat deutlicher sichtbar dort stattgefunden, wo die beiden Verben nicht mehr voneinander trennbar sind, wie in der französischen Kausativkonstruktion (Sylvain NP ((fait venir) (S/ NP)/ NP cet enfant NP ) S/ NP ) S , im Unterschied zu einem möglichen Sylvain laisse cet enfant partir (im Italienischen wird (faccio (Carlo venire)) durch ((faccio venire) Carlo) abgelöst), sowie im Deutschen bei Univerbierungen des Typs liegen-, sitzen-, stehen-, stecken-, fallenlassen, die als Ausdruck dessen, dass die syntaktische Phantomkonstituente eine lexikalische Einheit mit eigener Gesamtbedeutung geworden ist, herkömmlicherweise zusammengeschrieben werden. Diese Bindung wird so eng, dass eine Tilgung des Infinitivs häufig nicht mehr statthaft ist: Sylvain fait (venir) un enfant oder Elisabeth ließ die Teekanne (fallen). Dort wo das „Subjekt“ des Infinitivs nicht als Objekt eines komplexen aus Infinitiv und übergeordnetem Prädikat gebildeten Verbum zu interpretieren ist, kann die Konstituente (Akkusativ+Infinitiv) einfach als abgeschlossene Infinitivphrase (VNP) betrachtet werden, deren „Subjekt“ als Objekt expliziert wird, um die Rektion der Infinitivphrase als Ganzer durch ein übergeordnetes Prädikat zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt selbst für Prädikate, die nicht transitiv sind und somit nicht Kopf eines Objekts sein können, wie im Fall des AcI in der Funktion eines Subjektsatzes in dem erwähnten lat. Me erravisse verisimile est: S VNP S/ VNP ProNP VNP/ ProNP me erravisse verisimile est Der Akkusativ passt auch deshalb zum Infinitiv, weil mit diesem aufgrund seines eher nominalen Charakters keine Prädikation, kein Sprechakt vollzogen wird und der Akkusativ als determinierendes Komplement gewissermaßen auf halbem Weg zur Nominaldetermination steht, im Sinne etwa des Possessivums in einer NP mein Irren. Dies funktioniert freilich nur, wenn grundsätzlich angenommen wird, dass der Infinitiv ein virtuelles Subjekt hat, das lediglich unter ganz bestimmten Bedingungen in Gestalt eines Objektes expliziert werden darf. Auf diese Weise können - auch ohne Funktionskomposition - alle AcI- <?page no="101"?> 93 Konstruktionen analysiert werden, in denen die Bildung eines komplexen Prädikates auszuschließen ist, wie etwa in engl. I think him to be a poet oder I wish him to go, wo das Pronomen him nicht als Objekt von think oder wish interpretiert werden kann. In diesen Fällen ist die Wertigkeit der AcI- Konstruktion im Prinzip identisch mit der des entsprechenden konjunktionalen (oder auch konjunktionslosen) Nebensatzes mit Subjekt und finitem Verbum: I think (that) he is a poet. Dort hingegen, wo sich das übergeordnete Verbum auch direkt auf die Objekt-NP beziehen kann, ist der AcI die unmmittelbarer objektbzw. subjekt-bezogene Variante, wie eben Ich sah den Mann kommen gegenüber Ich sah, dass / wie der Mann kam; das Objekt des übergeordneten Verbums ist in diesem Fall eine Person, die bei der Ausführung einer Handlung wahrgenommen wird. Der AcI steht also allgemein für einen abhängigen Satz mit infinitivischem Prädikat, dessen Subjekt expliziert werden soll oder muss, weil es mit dem Subjekt des übergeordneten Prädikates nicht referenzidentisch ist. In AcI-Sprachen wie dem Lateinischen kann allerdings auch ein referenzidentisches Subjekt im Akkusativ erscheinen, muss dann freilich die Form eines Reflexivpronomens annehmen: Se aegrum esse simulavit ‚Er stellte sich, als sei er krank’. In Sprachen wie dem Deutschen, in denen der AcI keine bedeutende Rolle spielt, um damit die Diskussion dieser syntaktischen Figur abzuschließen, sind Infinitivanschlüsse, von Ausnahmen abgesehen, nur bei referenzidentischem Subjekt (oder Objekt) geläufig. In diesem Fall kann das „Subjekt“ des Infinitivs getilgt werden, ohne die Interpretierbarkeit des Satzes zu beeinträchtigen, wie etwa in einem Jörg wünscht zu gehen, in dem das Subjekt nicht ein weiteres Mal entsprechend zu realisieren wäre: *Jörg wünscht den Jörg / sich zu gehen (im Unterschied zu unserem lat. Beispiel Se aegrum esse simulavit). Der Satz ist daher ohne Funktionskomposition zu generieren, wobei das „Subjekt“ des Infinitivs einfach nicht an der Oberfläche realisiert wird: S NP S/ NP (S/ NP)/ VNP VNP NP VNP/ NP Jörg wünscht [Jörg] zu gehen <?page no="102"?> 94 Das Subjekt eines Infinitivs kann und braucht nur einmal im Satz realisiert zu werden, sei es als Subjekt oder unmarkiertes Topik des übergeordneten Prädikats, sei es als Akkusativ in Kombination mit dem Infinitiv. Daher kann bei den ansonsten gleichwertigen dreistelligen Verben versprechen und erlauben nur bei ersterem das indirekte Objekt getilgt werden: Ich verspreche (dir) zu gehen vs. Ich erlaube *(dir) zu gehen, da in einem *Ich erlaube zu gehen das Subjekt des Infinitivs nirgends aufschiene. III.1.9. Koprädikationen Ein anderes morphosyntaktisches Verfahren zur Vereinfachung solcher mehrköpfigen Konstruktionen ist die interne Umstrukturierung des komplexen Komplements. Dies geschieht etwa in einem engl. Lucy saw the bus coming - neben Lucy saw the bus come -, wo der ursprünglich regierende Infinitiv zum abhängigen NP-Adjunkt wird: (Lucy NP (saw (S/ NP)/ NP ((the NP/ N bus N ) NP coming NP/ NP ) NP ) S/ NP ) S S NP S/ NP (S/ NP)/ NP NP NP NP/ NP Lucy saw the bus coming Das nachgestellte Gerundium ist hier also kein Attribut des Nomens bus (wie in the coming man), sondern ein Determinans der Nominalphrase the bus. Es geht ja auch semantisch betrachtet nicht um eine Einschränkung der Objektklasse bus, wie z.B. in (the NP/ N (red N/ N bus N ) N ) NP , sondern um eine Zusatzinformation zu der bereits individualisierten Entität the bus, etwa im Sinne der Paraphrase Lucy sah den Bus als einen kommenden, analog zu unserer Umschreibung des lat. habeo litteram scriptam durch Ich habe den Brief als einen geschriebenen. Attribute des Typs NP/ NP wie coming können semantisch als Funktionen von einem Individuum in ein Individuum interpretiert werden, was so zu verstehen ist, dass der Ausdruck ((the bus) NP coming NP/ NP ) NP das Individuum the bus in einem bestimmten Zustand bezeichnet, so wie litteram scriptam den Brief in einem bestimmten Zustand meint (vgl. auch engl. Here’s the bus coming); entspre- <?page no="103"?> 95 chend auch span.: Lucy vio el bus viniendo. Allgemein gesprochen handelt es sich hierbei um Funktionen von einer determinierten Menge in eben diese Menge, wie dies für sogenannte Koprädikationen typisch ist (cf. II.1.2.). Noch deutlicher ausgeprägt ist diese Struktur im Lateinischen, wo wir neben einem infinitivischen Vidit eum introire ‚Er sah ihn eintreten’ ein partizipiales (vidit VP/ ProNP (eum ProNP introeuntem ProNP/ ProNP ) ProNP ) VP finden, so auch vidi te scribentem als aktivisches Pendant der oben angesprochenen passivischen Koprädikation habet litteram scriptam oder eben habet eam scriptam. In diesen Fällen wird also eine dreigliedrige Struktur (A - (B-C)) nicht zu einem binären ((A+B) - C)) vereinfacht, wie bei der Funktionskomposition, sondern zu einem binären (A - (B+C)), indem die Rektionsbeziehung zwischen Verbum und Subjekt aufgehoben und formal in eine Attributions- oder jedenfalls eine Kongruenzbeziehung umgewandelt wird, innerhalb derer die verbale Konstituente zum abhängigen Element mutiert; auf diese Weise wird also hier die Infinitivkonstruktion VNP aufgelöst. Syntaktisch expliziert wird eine solche Unterordnung des Koprädikats unter das „logische Subjekt“ in französischen Relativsatzkonstruktionen des Typs Je vois Pierre qui dort oder Je le vois qui dort (wörtlich *Ich sehe ihn, der schläft) anstelle von Je le vois dormir. Dies ist eine interessante weitere aber strukturanaloge Lösungsvariante unseres morphosyntaktischen Dilemmas. Der von einem Eigennamen oder einem Pronomen abhängige Relativsatz kann ebenfalls durch das Kategoriensymbol NP/ NP bzw. ProNP/ ProNP wiedergegeben werden, um zu verdeutlichen, dass sein Bereich eine in sich abgeschlossene determinierte (Pro-)Nominalphrase ist und dass seine semantische Funktion hier nicht darin besteht, einfach eine Teilmenge zu bilden, sondern eine das gesamte Denotat betreffende Zusatzinformation zu geben, die den Referenten wieder in einem bestimmten Zustand zeigt: <?page no="104"?> 96 S NP S/ NP (S/ NP)/ NP NP NP NP/ NP Monique voit Pierre qui vient Da dieses aus einem Relativpronomen und einer finiten Verbform bestehende adnominale (Ko-)Prädikat qui vient, nicht von einem Verbum regiert werden kann, bleibt die Möglichkeit der Bildung eines komplexen Prädikates wie etwa voir qui vient hier ausgeschlossen. Diese Struktur erscheint noch ausgeprägter in Wendungen wie Le voici qui vient (neben Le voici venir) oder in Votre ami est là qui attend, wo das Antezedens des Relativpronomens als Subjekt des Gesamtsatzes fungiert. Bei all diesen Umstrukturierungen geht es offensichtlich darum, die „unmögliche Konstituente“ (Akkusativ+Infinitiv) aufzuheben, also das von außen regierte „Akkusativ-Subjekt“ aus der strukturellen Abhängigkeit des Infinitivs zu lösen und als normales Objekt des übergeordneten Verbums zu etablieren. Dies kann dadurch bewerkstelligt werden, dass der Infinitiv als Teil eines komplexen Prädikates dem übergeordneten transitiven Verbum inkorporiert wird, wie in (jemanden) kommen sehen oder (etwas) fallenlassen, oder dadurch, dass der Infinitiv zu einem attributiven Determinans umfunktioniert und der akkusativischen Nominalphrase untergeordnet wird, wie in den drei letzten Fällen. Zu erwähnen sind in unserem Zusammenhang schließlich noch die Adjektive in der Funktion eines Koprädikats in Wendungen wie boire le thé chaud oder den Fisch roh essen, wo sich durch Funktionskomposition komplexe Prädikate der Art roh essen, heiß trinken oder boire chaud ergeben können. Auch hier kann man zunächst davon ausgehen, dass das im Französischen mit dem nominalen Objekt kongruierende Adjektiv so wie die endungslose Form im Deutschen jedenfalls nicht nur das Nomen, sondern die Nominalphrase als Ganze determiniert. Wiederum geht es nicht darum, eine Teilmenge aus dem Denotat des Nomens thé herauszugreifen, wie etwa in C’est le thé chaud ‚Das ist der heiße Tee’. Die Konstruktion kann vielmehr mit einem ... trinkt den Tee, solange er heiß ist, gewissermaßen heiß seiend / étant chaud, paraphrasiert und folgendermaßen dargestellt werden: <?page no="105"?> 97 VP VP/ NP NP NP NP/ NP boit le thé chaud Bei direkter Anwendung des Funktors boit auf den Funktor chaud ergibt sich durch Funktionskomposition folgende Struktur: VP VP/ NP NP VP/ NP NP/ NP boit chaud le thé Diese Operation entspricht im Übrigen genau (s.o.) der Umwandlung von (litteram scriptam) habet zu litteram (scriptam habet). Die Annahme eines komplexen Prädikats (boit chaud) VP/ NP , ergibt sich aus dem Umstand, dass sich das prädikativ-attributive Adjektiv chaud inhaltlich nicht allein auf die NP le thé bezieht, sondern indirekt auch auf das Verbum boit, das durch die Qualität ‚heiß’ des Objekts charakterisiert wird. Die quasiadverbiale Funktion dieser Konstituente ist auch daran zu erkennen, dass sie mit Wie? erfragbar ist: Er trinkt den Tee heiß ist eine mögliche Antwort auf die Frage Wie trinkt er den Tee? (vgl. auch die bair. Variante Er trinkt den Tee heißer). Diese Gleichzeitigkeit (Koprädikation) lässt sich syntaktisch nicht sauber darstellen, es sei denn, man bedient sich des Mittels der Funktionskomposition zur Bildung eines komplexen Prädikates. Im Rahmen der Kategorialgrammatik lässt sich dann sehr schön zeigen, dass heiß bzw. chaud keine genuinen Adverbien sind, wie etwa chaudement V/ V , und auch nach der Funktionskomposition nicht einfach zu solchen werden, sondern dass man es nach wie vor mit NP-Attributen zu hat, die das Verbum jedoch an sich gezogen und angehoben und dadurch in einen anderen Strukturzusammenhang gerückt hat. Wie beim AcI wird übrigens auch hier das Subjekt le thé des zugrundeliegenden Prädikates (est) chaud zum Objekt des komplexen Verbums boire chaud. <?page no="106"?> 98 Anders in faktitiven Konstruktionen wie Beate macht den Sepp glücklich, wo von Explizitfassungen wie Beate macht, dass der Sepp glücklich ist oder von AcI-ähnlichen Strukturen wie Beate macht den Sepp glücklich seiend / sein (wie lässt den Sepp glücklich sein) auszugehen ist: VP VP/ VNP VNP NP VNP/ NP macht den Sepp glücklich (sein) Da es hier, im Unterschied zum vorangehenden Fall, unangebracht ist, das übergeordnete Prädikat macht zunächst nur auf die Objekt-NP den Sepp zu beziehen, und damit auch auf eine durch ein NP-Adjunkt erweiterte Nominalphrase, ist eine Analyse der Form (macht VP/ NP (den Sepp NP glücklich NP/ NP ) NP ) VP ausgeschlossen. Das Verbum macht bezieht sich nur indirekt über das Prädikat (glücklich (sein)) VNP/ NP auf die NP den Sepp. So ist dann mittels einer Funktionskomposition ein komplexes Prädikat macht glücklich zu erzeugen: VP/ VNP· VNP/ NP = VP/ NP, also (S/ NP)/ NP. Wir erhalten damit ein zweistelliges Prädikat, das mit der verbleibenden NP den Sepp eine Verbalphrase bildet: (macht den Sepp glücklich) VP : VP VP/ NP NP VP/ VNP VNP/ NP macht glücklich den Sepp Ein komplexes aus Adjektiv und transitivem Verbum bestehendes Prädikat kann also sowohl aus dem Strukturmuster trinkt den Tee, solange er heiß ist abgeleitet werden, als auch aus dem Muster macht, dass der Sepp glücklich ist. Gemeinsam ist den beiden, dass sich das Adjektiv sowohl auf die Nominalphrase als auch auf das Verbum bezieht. Die Differenz zwischen den zwei Typen liegt vor allem darin, dass das adjektivische Prädikat glücklich (sein), im Gegensatz zu dem syntaktisch von der Nominal- <?page no="107"?> 99 phrase abhängigen heiß, der Kopf des Komplements des übergeordneten Prädikats ist und als solcher - im Unterschied zu heiß trinken - unverzichtbarer Bestandteil des komplexen Verbums glücklich machen. Deshalb ist die Tendenz zur Univerbierung von Verbum und Adjektiv in diesem Fall auch weiter fortgeschritten. Wortbildungen wie beatificare oder schon klat. amplificare, sowie deutsche Komposita des Typs kaputtmachen, gesundbeten und dergleichen belegen auch hier den Übertritt syntaktischer Funktionskompositionen auf die morphologische bzw. die Wortebene (vgl. dieses semantische Muster dann auch in Präfixableitungen wie erheitern, erhellen u.a.). Resümierend kann man festhalten, dass AcI-Konstruktionen und die verschiedenartigen Koprädikationen schwerlich ohne die formale Operation der Funktionskomposition angemessen darzustellen sind. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die durch die konstanten Funktionskategorien gewährleistete Durchsichtigkeit der komponierten Konstruktionen auf ihre jeweilige Ausgangsstruktur, das heißt auf die Komponenten, aus denen sie zusammengesetzt sind. Da sich die funktionalen Kategorien der sprachlichen Ausdrücke im Zuge solcher Prozesse nicht verändern, sondern nur in andere Strukturzusammenhänge eintreten, kann die Kategorialgrammatik einem Ausdruck innerhalb eines Strukturbaumes zwei verschiedene Funktionen zukommen lassen - wie eben die des Objektes und die des Subjektes in der AcI-Konstruktion - durch Komposition eines transitiven Verbums mit einem Infinitiv. Das Adjektiv chaud / heiß in unserem Satz Er trinkt den Tee heiß ist ein NP- Attribut (NP/ NP), das per partieller Anwendung, sprich Funktionskomposition, vom Verbum zu sich genommen wird und in dieser Position das Verbum quasi als Adverb, das heisst als Attribut des Typs V/ V, determiniert (heiß trinken). III.1.10. Relativsatz III.1.10.1. Allgemeines Einem anderen Fall von Funktionskomposition begegnen wir im Relativsatz und hier speziell im Relativpronomen. Analysiert man die Morphosyntax eines Ausdrucks wie ein Kater, der miaut, ist festzustellen, dass das Relativpronomen der eine Funktionskumulierung aufweist. Zum einen hat es die Aufgabe, mit einer VP das Attribut eines Nomens (N/ N) zu erzeugen: (Kater N (der (N/ N)/ VP miaut VP ) N/ N ) N , zum anderen fungiert es aber auch als Subjekt ebendieser Verbalphrase bzw. des Satzes (d)er miaut; es ist also Kopffunktor einer Verbalphrase und gleichzeitig deren (Subjekt-) <?page no="108"?> 100 Komplement. Durch eine morphologische Dissektion von der in relativisches d- und subjektivisches -er könnte man die beiden funktionalen Komponenten auch ausdrucksseitig voneinander trennen. Letztere (-er) bildete als Subjekt mit einer Verbalphrase einen Satz und wäre damit vom Typ S/ VP, und erstere (d-) bildete mit diesem Satz das Attribut eines Nomens und wäre so vom Typ (N/ N)/ S. Das vollständige Relativsatzattribut einer Nominalphrase wie ein Kater, der miaut hätte dann folgende (morpho-)syntaktische Struktur: (ein NP/ N (Kater N (d- (N/ N)/ S (-er S/ VP miaut VP ) S ) N/ N ) N ) NP Aus einer Funktionskomposition von d- (N/ N)/ S und -er S/ VP ergibt sich dann für das Relativpronomen der als Ganzes die Kategorie (N/ N)/ VP - in Explizitfassung (N/ N)/ (S/ NP), die das Pronomen als einen Funktor darstellt, der einen Ausdruck zu sich nimmt, dem noch ein Komplement und zwar ein Subjekt fehlt. Auch hier also resultiert aus einer Funktionskomposition ein strukturell nicht korrekt gebildeter Ausdruck, dem keine syntaktische Konstituente eindeutig zuzuordnen ist. Der Umstand, dass im Zuge der Funktionskomposition die Kategorie S(atz) weggekürzt wird (der (N/ N)/ VP ), entspricht der Tatsache, dass die Relativsatzkonstruktion keine derartige Kategorie mehr enthält. Auch auf semantischer Ebene erhalten wir mit der ein Gebilde, das kein einheitliches Denotat besitzt, sondern eine eher kumulative semantische Merkmalsstruktur, wie sie etwa auch im Bereich der Flexionsmorphologie anzutreffen ist (cf. III.1.6.). Das Wesen der Funktionskomposition manifestiert sich wieder darin, dass das Subjekt -er als Bestandteil des Relativpronomens d-er seine ursprüngliche Funktion als Satzmacher des Typs S/ (S/ NP) nicht einfach verliert oder verändert, sondern in dieser Funktion nur in einen anderen Strukturzusammenhang verschoben und dadurch Teil eines „Attributmachers“ (N/ N)/ (S/ NP) wird. Um das Relativpronomen der als Produkt einer Funktionskomposition darzustellen, ist es freilich erforderlich, auch das Subjekt -er als Kopffunktor, nämlich als den einer Verbalphrase, also eines Prädikates, zu fassen. Das Subjekt wird so als Ausdruck definiert, der mit einer Verbalphrase S/ NP einen Satz macht und daher einer Kategorie S/ (S/ NP) angehört. Wie wir in II.3.3. vorgeführt haben, liegt diesem Vorgang formal eine sogenannte „Typ-Anhebung“ (type raising) zugrunde, mittels derer ein Komplement zum Funktor seines ursprünglichen Funktors angehoben wird. Wenn gilt: A/ B ⋅ B = A, konkret etwa S/ NP ⋅ NP = S, in Worten: eine Verbalphrase macht mit einer Nominalphrase einen Satz, dann läßt sich in einem Perspektivenwechsel auch andersherum formulieren: eine Nominalphrase ist ein Ausdruck, der (unter anderem) mit einer Verbal- <?page no="109"?> 101 phrase einen Satz macht und dessen Funktion daher mit S/ (S/ NP) wiederzugeben ist, NP = S/ (S/ NP). Ein Kopffunktor, der einen anderen Funktor, also einen Ausdruck, dem etwas fehlt (S/ NP), als Komplement zu sich nehmen kann, um mit diesem einen abgeschlossenen Grundausdruck (S) zu bilden, ist mit dem fehlenden Element (NP) identisch, d.h. er ist identisch mit dem Komplement seines Komplements S/ (S/ NP). Genauer gesagt ist ein Kopffunktor, der einen Ausdruck der Form Y/ X als Komplement nimmt, um ein Y zu bilden, mit X identisch. Das Subjekt kann daher als Funktor definiert werden, der mit einem Ausdruck, dem ein Subjekt fehlt, einen Satz bildet - eine Formulierung, die die charakteristische Interdependenz der Satzglieder Subjekt und Prädikat deutlich macht. Graphisch lässt sich die Typ-Anhebung wie folgt visualisieren: S S/ (S/ NP) S/ NP ↑ NP S/ NP der Kater miaut Der durch Typ-Anhebung entstandene Subjekt-Funktor kann natürlich durch Kürzung wieder auf die einfache Grundkategorie zurückgeführt werden: S/ (S/ NP) = NP. Das ist auch so interpretierbar, dass das Subjekt als einfaches NP-Komplement des Prädikats den unmarkierten Fall darstellt, während es im angehobenen Zustand eine Art Funktor zweiten Grades bildet (Funktor eines Funktors) und damit den okkasionellen Perspektivenwechsel widerspiegelt, der freilich im Fall der Subjekt- Prädikat-Relation geläufig ist. Solche Funktoren des Typs Y/ (Y/ X) bilden ein Gegenstück zum Attribut des Typs X/ X, insofern sie sich indirekt einem Funktor-Ausdruck unterordnen, um als Komplement eine freie Stelle dieses Ausdrucks zu besetzen. Durch die Typ-Anhebung wird also ein im Prinzip funktional neutraler Grundausdruck als Komplement eines bestimmten Kopf-Funktors erkennbar gemacht: S/ (S/ NP) bezeichnet eine Nominalphrase, die im unmarkierten Fall Komplement eines einstelligen Prädikats ist und damit ein eventuell durch eine Nominativform gekennzeichnetes Subjekt. Das attributive Dependens des Typs X/ X hingegen hat selbst eine freie Stelle, über die es sich in einen Kopfausdruck X einhängt, ohne dessen Valenz zu verändern. <?page no="110"?> 102 Die Wiedergabe des Subjekts eines Relativsatzes als Funktor ist nicht nur einfach eine formale Notwendigkeit zur Ermöglichung der Funktionskomposition, sondern entspricht insoweit auch den sprachlichen Gegebenheiten, als der Satz er miaut an seinem Subjekt in den Subordinator deingehängt wird. Das Element, an dem ein komplexer sprachlicher Ausdruck in eine ihn dominierende Kategorie eingehängt wird, ist definitionsgemäß sein Kopf. Das Syntagma der miaut hat syntaktisch und (modal-)semantisch keinen Satzstatus mehr, sondern fungiert als Attribut des Subjektdenotats, hier des nominalen Antezedens Kater. Das pronominale Subjekt er wird also Teil des Kopfes eines komplexen Attributs, innerhalb dessen das Prädikat als Komplement erscheint (im Partizip miauend wird das Prädikat sogar unmittelbares Attribut des Nomens). Durch die Anhebung des Subjekts zum Kopffunktor, von dem das Prädikat strukturell abhängt, wird folglich eine wesentliche Struktureigenschaft des Relativsatzes ausgedrückt. Dem Kategoriensymbol von der (N/ N)/ (S/ NP) ist zu entnehmen, dass das Relativpronomen das Subjekt des zugrundeliegenden Satzes enthält - der Kopffunktor eines Prädikats muss im Prinzip ein angehobenes Subjekt sein - und der Relativsatz daher ein satzhaltiges Nominalattribut ist (d-er miaut). In diesem Fall ist der Funktor (der) zwar nicht identisch mit dem fehlenden Element seines Komplementes, also der Subjekt-(Pro)NP, aber er enthält es: N N N/ N S (N/ N) S / (S/ NP) S/ NP Kater der miaut Derartige „Attributmacher“ sind mit Scharnieren zu vergleichen, die zwei Strukturelemente, hier Nomen und Prädikat, miteinander in Beziehung setzen, indem sie gleichzeitig als Dependens-Funktor des einen und als Kopffunktor des anderen fungieren (vgl. II.1.2. zu einer analogen Funktion von Präpositionen). Um sichtbar zu machen, dass der pronominale Funktor der ein angehobenes Subjekt ist, kann man das Relativsatzattribut mit einem Subskript S versehen, wodurch das charakteristische Bild Y/ (Y/ X) solcher Ausdrücke wiederhergestellt wird: (N/ N) S / (S/ NP). Der Relativsatz ist zwar kein Satz aber er enthält einen solchen und ein (N/ N) S ist ein satzhaltiges Nominalattribut. <?page no="111"?> 103 In diesem Zusammenhang ist auf folgende Regelmäßigkeit hinzuweisen (cf. III.1.11. und 13.). Wenn ein Funktor ein Komplement, hier S/ NP, zu sich nimmt, dem ein Ausdruck der Kategorie X (hier NP) fehlt, und mit diesem einen Funktor bildet, hier N/ N (bzw. NP/ NP), dem ebenfalls ein Ausdruck dieser Kategorie fehlt, müssen die beiden fehlenden Ausdrücke referenzidentisch sein - in unserem Fall also das pronominale Subjekt von miaut und das Nomen bzw. die NP (ein) Kater als Determinatum des Relativsatzattributes. Zu analytischen Strukturen tendierende Populärvarietäten vieler Sprachen legen diese beiden Funktionen des Subordinators / Relativators ((N/ N)/ S) einerseits und des Gliedes des Relativsatzes andererseits (wieder) auseinander. So etwa ital. pop. l’uomo che l’hanno portato via - (wörtlich) ‚der Mann, den (sie haben ihn weggetragen)’ statt l’uomo che hanno portato via oder franç. pop. la pièce qu’il est rentré dedans ‚das Zimmer, das (er ist hinein gegangen)’ statt la pièce dans laquelle il est rentré; so auch in der Kindersprache: j’ai un copain qu’il a des cheveux longs ‚ich habe einen Freund, der (er hat lange Haare)’ (Kielhöfer, op.cit. S. 100). Auch im Spanischen findet man derartige Konstruktionen: esa chica que su padre es pintor ‚dieses Mädchen, das (sein Vater ist Maler)’ statt esa chica cuyo padre es pintor. Besonders geläufig sind diese durchsichtigen Konstruktionen im Friaulischen: fie di un mulinâr, che ducj i borghesans le clamavin „Barete rosse“ ‚Tochter eines Müllers, die (alle Bürger nannten sie „Rotkäppchen“)’, wobei noch einmal zu betonen ist, dass das einleitende che / que weniger als Relativpronomen denn als allgemeiner Satz-Subordinator betrachtet werden kann. Noch deutlicher wird der Prozess der Extraktion und Inkorporation von Verbkomplementen - um darauf zurückzukommen - im Fall des Objekt-Relativpronomens, wie in ein Kater, den Pit füttert, wo der Satz Pit füttert ihn, an dem extrahierten direkten Objekt in den Subordinator deingehängt wird. Das Objekt ihn wird somit zum anaphorischthematischen und strukturellen Ausgangspunkt der Konstruktion und kann daher auch als deren Funktorkopf gesehen werden, der dann über eine Funktionskomposition mit dem Subordinator zu den verschmilzt: (Kater N (d- (N/ N)/ S (ihn S/ (S/ / NP) (Pit NP füttert (S/ NP)/ NP ) S/ / NP ) S ) N/ N ) N Aus der Komposition der beiden Funktoren d- (N/ N)/ S und ihn S/ (S/ / NP) entsteht nun der Funktor den (N/ N)/ (S/ / NP) . Ein direktes Objekt ist per Typanhebung als Ausdruck definierbar, dem ein Satztorso ohne ein solches Objekt fehlt, oder anders formuliert, als ein Ausdruck, der einen solchen Torso zu sich nimmt, um mit ihm einen Satz zu bilden. Das Komplement <?page no="112"?> 104 eines derart angehobenen direkten Objekts ist ein aus einem Subjekt und einem zweistelligen Verbum bestehendes Gebilde, wie eben Pit füttert -. Wenn wir ein zweistelliges Prädikat wie üblich mit (S/ NP)/ NP symbolisieren und ein einstelliges Prädikat, d.h. einen Ausdruck, dem nur das Subjekt fehlt, mit S/ NP, dann können wir einen Ausdruck, dem nur das Objekt fehlt, durch S/ / NP wiedergeben. Der doppelte Schrägstrich soll anzeigen, dass die erste NP in (S/ NP)/ NP, also die Subjekt-NP, schon abgebunden wurde: (Pit NP füttert (S/ NP)/ NP ..) S/ / NP , ohne dass jedoch ein vollständiger Satz entstanden wäre, da die Abbindung der freien Objektstelle gewissermaßen übersprungen wurde und noch nachzuholen ist. Durch die Abbindung der Subjektstelle wurde also nicht wie im Normalfall ein S erzeugt, sondern ein S mit einer noch freien Stelle, dessen Kategorie S/ / NP sich formal aus einer Tilgung der ersten NP samt den dann überflüssigen Klammern ergibt: (S/ NP)/ NP ⋅ NP Subj. → S/ / NP. Symbole des Typs Y/ / X (vgl. hierzu auch II.3.3.) stehen also für komplexe Ausdrücke, die keiner korrekt gebildeten Satzkonstituente entsprechen, da X eigentlich nicht die letzte sondern die vorletzte freie Stelle von Y ist. In dem Relativsatz (den) Pit füttert S/ / NP bildet folglich sowohl der Kopf den als auch sein Komplement eine Phantomkonstituente, da Pit füttert, im Unterschied zum Subjektfall (der) miaut S/ NP (s.o.), keine Satzkonstituente darstellt. Die Struktur des komplexen Nomens Kater, den Pit füttert sieht graphisch dann also folgendermaßen aus: N N N/ N S (N/ N) S / (S/ / NP) S/ / NP NP (S/ NP)/ NP Kater den Pit füttert Die kategorialgrammatische Notation lässt auch in diesem Fall erkennen, dass das Relativpronomen den das direkte Objekt (/ / NP) strukturell in sich enthält; denn auch hier gilt, dass ein solcher Funktor das fehlende Element seines Komplements in sich enthält. Dass dieses Element aus einem Satz Pit füttert ihn herausbewegt wurde, ist aus der syntaktischen Kategorie des Verbums (S/ NP)/ NP unmittelbar ersichtlich. Durch die sprechenden Symbole der Kategorialgrammatik wird die Strukturgeschichte eines komplexen Ausdrucks nachvollziehbar, ohne <?page no="113"?> 105 dass irgendwelchen „Spuren“ bewegter Konstituenten abstrakte leere Strukturstellen eingeräumt werden. In unserem Fall etwa ist es überflüssig, eine Spur des extrahierten Objektpronomens ihn an der Oberfläche zu platzieren, da es bereits im Kategoriesymbol seines verbalen Kopffunktors enthalten ist. Die Interpretation der Struktur ergibt sich vollständig aus der sprachlichen Oberfläche und der funktionalen Kategorie der einzelnen Ausdrücke. In einem engl. the cat I saw übrigens wird der Satztorso (I saw) S/ / NP ohne pronominale Vermittlung direkt als adnominales Attribut (um-)interpretiert. Dies funktioniert allerdings nicht im Fall eines Subjekt-Relativsatzes wie in *the cat it came, da das Attribut hier die Form eines vollständigen Satzes hätte und so keine Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Nomen bzw. der Nominalphrase und dem Attribut vermittelt werden könnte: (the cat) NP (it came) S vs. (the cat) NP (I saw) S/ / NP , wie immer man die attributive Funktion von I saw formal wiedergibt. Abschließend ist also noch einmal zu konstatieren, dass die formale Notwendigkeit, zwecks einer Funktionskomposition das Subjekt- oder Objektkomplement durch Typ-Anhebung als regierenden Funktorkopf zu fassen, dem sprachlichen Faktum entspricht, dass ein Relativsatzattribut nicht die Struktur und Funktion eines verbregierten Aussagesatzes hat. An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass das sogenannte unabhängige, antezedenslose Relativpronomen des Typs wer in einem Satz wie Wer wagt, gewinnt oder in frz. Qui vivra verra durch Funktionskomposition aus einem Derjenige, der wagt, gewinnt abzuleiten ist, wobei derjenige als ein Funktor gefasst wird, der mit einem Relativsatzattribut des Typs ProNP/ ProNP, bzw. allgemein NP/ NP, eine komplexe Pronominalphrase ProNP bildet. D.h. Pronomina wie derjenige oder frz. celui, die nicht mehr als Pronominalphrase verwendet werden können, nehmen ihr Attribut kataphorisch als Komplement zu sich: (derjenige ProNP/ (NP/ NP) (der (NP/ NP)/ (S/ NP) wagt S/ NP ) NP/ NP ) ProNP Wenn nun der Funktor derjenige auf den Funktor der angewendet wird, erhalten wir einen Ausdruck der Kategorie ProNP/ (S/ NP), also derjenige der, der dann morphologisch in das Pronomen wer umgewandelt werden kann. Daraus ergibt sich für unseren Satz die folgende Struktur: <?page no="114"?> 106 S ProNP S S/ ProNP ProNP S / (S/ NP) S/ NP wer wagt gewinnt Wie für alle Ausdrücke, die nach einer Typanhebung ihren Kopffunktor als Komplement zu sich nehmen, gilt auch für das Pronomen wer, dass es gerade das Element enthält, das seinem Komplement fehlt, das Komplement seines Komplements also - in diesem Fall das Subjektpronomen -er (hier als NP notiert). Das unabhängige wer nimmt also wie das Relativpronomen der ein Prädikat zu sich, bildet aber mit diesem nicht ein Attribut sondern eine satzhaltige Pronominalphrase, die wir ebenfalls mit einem Subskript S als solche kennzeichnen: ProNP S . Man könnte darüber hinaus auch den kataphorischen definiten Artikel in Relativsatzkonstruktionen wie die Frau, die ihn liebte als Funktor sehen, der sein Attribut zum Komplement macht, genauer gesagt als Ausdruck, der mit einem Nomen einen derartigen Funktor, nämlich NP/ (N/ N) mit angehobenem Typ, bildet. Dabei kann der Relativsatz mittels eines NP/ (NP/ NP) auch als NP-Attribut interpretiert werden, wenn man annimmt, dass das Antezedens eines Relativpronomens nicht ein Nomen, sondern eine Nominalphrase ist: ((die (NP/ (NP/ NP))/ N Frau N ) NP/ (NP/ NP) (die ihn liebte) NP/ NP ) NP Dies gilt jedenfalls für restriktive Relativsätze, während nichtrestriktive folgendermaßen dargestellt werden können: (seine Frau NP (die ihn liebte) NP/ NP ) NP , wodurch der explikative Relativsatz als fakultatives, keine Teilmenge konstituierendes Attribut ausgezeichnet wird. III.1.10.2. „Rattenfänger“ und andere Von besonderem syntaktischen Interesse sind die Fälle, in denen Adverbialphrasen der Form Präposition+NP extrahiert werden, wie in das Buch, auf dem der Kater schlief, da hier das den Restsatz regierende Relativpronomem dem seinerseits noch von der Präposition auf regiert wird. Diese Überkreuzrektion (sog. „Rattenfängerkonstruktion“) wird sichtbar, wenn man den Relativator d- (N/ N)/ S als Kopf des Relativsatzes ansetzt. Zunächst die allgemeine Struktur: <?page no="115"?> 107 N N N/ N (N/ N)/ S S NP S/ NP Buch auf dem der Kater schlief = worauf Die Präpositionalphrase auf dem ist aus der ursprünglichen PP auf ihm entstanden, wobei die extrahierte und topikalisierte Konstituente strukturell als Satzadverbial des Typs S/ S betrachtet werden kann: (auf (S/ S)/ NP ihm NP ) S/ S - graphisch: S/ S (S/ S)/ NP NP auf ihm Die einzige Möglichkeit für den Relativator d- (N/ N)/ S , direkten Zugriff auf die von der Präposition regierte NP (wieder einfachheitshalber statt ProNP) ihm zu erlangen, um das Relativpronomen dem zu erzeugen, besteht nun darin, die NP durch Typanhebung zum Funktor zu machen, mit dem der Relativator dann fusionieren kann. Die NP wird folglich zu einem Ausdruck, der mit einer Präposition (S/ S)/ NP seinerseits eine Präpositionalphrase der Kategorie S/ S macht: S/ S (S/ S)/ NP (S/ S)/ ((S/ S)/ NP) auf ihm Der einen Satz zu sich nehmende Relativator d- (N/ N)/ S kann nun aber nicht direkt per Funktionskomposition auf den angehobenen Funktor ihm angewendet werden (ebensowenig wie auf die Präposition auf), da ihm <?page no="116"?> 108 selbst kein Satzmacher ist, sondern ein Ausdruck, der mit einem Komplement, hier der Präposition auf, erst einen Satzmacher des Typs S/ S bildet. Der Relativator kann daher nur auf den Wert des Wertes S/ S des Funktors, d.h. auf S, angewendet werden, um zu dem Ausdruck dem ((N/ N)/ S)/ ((S/ S)/ NP) zu gelangen: dihm dem (N/ N)/ S ⋅ (S/ S)/ ((S/ S)/ NP) = ((N/ N)/ S)/ ((S/ S)/ NP) zu einem Ausdruck also, der mit der Präposition auf (S/ S)/ NP einen Funktor bildet, der mit einem Satz ein Nominalattribut macht: N/ N (N/ N)/ S S (S/ S)/ NP ((N/ N)/ S)/ ((S/ S)/ NP) auf dem der Kater schlief Die Komplexität des Kategoriensymbols für dem entspricht dem Umstand, dass das Dativpronomen innerhalb der extrahierten Präpositionalphrase auf ihm nur untergeordnetes Komplement ist, der den ganzen Relativsatz regierende Relativator d- (N/ N)/ S jedoch direkt darauf angewendet wird. Man erkennt auch hier die sprachliche Relevanz der Operation der Typ-Anhebung, die es erlaubt, unter bestimmten Bedingungen ein Komplement zum regierenden Funktor einer Konstruktion zu machen. In dem deutschen Relativadverb worauf (zu darauf) ist das Problem insofern aufgehoben, als man es hier mit nur einem Wort zu tun hat. Außerdem erscheint der Relativator wo(r)in erster (vortoniger) Position in direktem Kontakt mit dem nominalen Antezedens und kann so im weiteren Sinne als Kopfkonstituente des komplexen Ausdrucks interpretiert werden; jedenfalls ist einem Relativadverb worauf global die Kategorie (N/ N)/ S zuzuweisen. Diese synthetische und dadurch auch eleganter wirkende Bildung hat sich freilich volkssprachlich nie ganz durchgesetzt; Entsprechendes gilt für die analogen woran, woraus, worunter, worüber, worum, worunter, wovon, wovor, wozu. Einen analogen Effekt haben die englischen Relativsätze der Form: Her uncle, who(m) she was speaking with, da auch hier der Kopf des Relativsatzes who(m) seinerseits noch von einer Präposition regiert wird, die in diesem Fall freilich ein Teil des Komplements des Relativpronomens ist. <?page no="117"?> 109 Dieses Komplement, nämlich she was speaking with, ist ein Satz, dem das Komplement (him) einer Präposition (with) fehlt und dem daher die Kategorie S/ / (PP/ (PP/ NP)) zukommt. Dieser Satztorso wird also von dem kategorial angehobenen Relativpronomen whom als Komplement genommen, woraus sich für diesen Funktor die Kategorie (N/ N)/ (S/ / (PP/ (PP/ NP))) ergibt - in Worten: whom ist ein Ausdruck, der mit einem Satz, dem das Komplement einer Präposition fehlt, ein Nominalattribut macht. Entstanden ist dieses Pronomen wie üblich über die Funktionskomposition des Relativators wh- (N/ N)/ S mit dem funktional angehobenen Personalpronomen him S/ (S/ / (PP/ (PP/ NP))) : N/ N (N/ N)/ (S/ / (PP/ (PP/ NP))) S/ / (PP/ (PP/ NP)) NP (S/ NP)/ (PP/ (PP/ NP)) whom she was speaking with Auch hier enthält der angehobene Kopfausdruck whom (N/ N)/ (S/ / (PP/ (PP/ NP))) das Komplement seines Komplementes in sich, nämlich das von with regierte Personalpronomen him PP/ (PP/ NP) . Eine Alternative wäre eine Funktionskomposition von Verb und Präposition zur Bildung eines komplexen Prädikates (to) speak with, das ein Objekt him regiert (vgl. auch to speak to / of), also: (she NP ((was speaking with) (S/ NP)/ NP him NP ) S/ NP ) S Das Objekt könnte dann durch Typanhebung zum Funktorkopf him S/ (S/ / NP) werden, auf den der Relativator wh- (N/ N)/ S anwendbar ist: (N/ N)/ S ⋅ S/ (S/ / NP) = (N/ N)/ (S/ / NP): N/ N (N/ N)/ (S/ / NP) S/ / NP NP (S/ NP)/ NP whom she was speaking with <?page no="118"?> 110 Die Tatsache, dass sich diese Analyse sehr viel einfacher und übersichtlicher präsentiert, ist möglicherweise als Hinweis auf ihren höheren Natürlichkeitsgrad zu werten. Noch einen Schritt weiter in diese Richtung gehen Bildungen wie die folgende, in der die Präposition als prädeterminierendes Präfix Teil eines abgeleiteten Verbums wird, wie dtsch.: Der Pfeil dringt durch die Wand → Der Pfeil durchdringt die Wand (cf. III.1.4. preposition stranding). Auch damit ist die Rattenfängerkonstruktion im Relativsatz zu vermeiden: die Wand, durch die der Pfeil drang → die Wand, die der Pfeil durchdrang. Entsprechendes gilt für adnominale Possessivattribute des Typs das Buch der Kollegin oder pronominal ihr Buch als direktes Objekt in Relativsatzkonstruktionen wie die Kollegin, deren Buch ich rezensiere anstatt eines die Kollegin, von der ich das Buch rezensiere oder die Kollegin, das Buch von der ich rezensiere. D.h. deren ist in einer solchen Konstruktion ein Funktor, der mit einem Nomen einen Ausdruck bildet (deren Buch), der mit einem Satz, dem die Objekt-NP fehlt (ich rezensiere), ein Relativsatzattribut erzeugt. Auch in diesem Fall repräsentiert also der Kopf des Relativsatzes nur eine Konstituente eines Satzgliedes, die im Unterschied zu unserem obigen Beispiel auf dem … freilich kein regiertes Komplement, sondern selbst ein Funktor ist: N/ N (N/ N)/ (S/ / NP) S/ / NP ((N/ N)/ (S/ / NP))/ N N NP (S/ NP)/ NP deren Buch ich rezensiere Von neuem ist hier die doppelte Funktion des Relativpronomens als Relativator / Subordinator des Typs (N/ N)/ S und als Element des Relativsatzes selbst, hier als Kopf des Nomens Buch bzw. der NP deren Buch, klar erkennbar. Diese Nominalphrase ist so gleichzeitig Kopf des Relativsatzes und Objekt-Komplement von dessen Prädikat; denn der Funktor deren Buch ist mit dem Komplement seines Komplements, d.h. der Objekt- NP ihr Buch (/ / NP) identisch, genauer gesagt, er enthält diese Nominalphrase in sich. Mit anderen Worten, wenn der Ausdruck deren Buch mit einem Satz, dem das Objekt fehlt, einen Relativsatz bildet, muss er selbst dieses Objekt sein oder es jedenfalls enthalten; dies stimmt damit überein, dass der Relativator d- (N/ N)/ S einen vollständigen Satz zu sich nimmt. Die <?page no="119"?> 111 Funktionskomposition zwischen dem Relativator und dem extrahierten Objekt ihr Buch S/ (S/ / NP) ergibt dann die Kategorie des Ausdrucks (deren Buch) (N/ N)/ (S/ / NP) , analog übrigens zu unserem whom (N/ N)/ (S/ / NP) (s.o.). Wenn man das Possessivum ihr in diesem Kontext als Operator ansetzt, der mit einem Nomen einen Ausdruck bildet, der mit einem objektlosen Satz S/ / NP einen vollständigen erzeugt, also (S/ (S/ / NP))/ N, dann kann man den Relativator d- (N/ N)/ S per Funktionskomposition auch direkt darauf (genauer auf dessen Wert) anwenden: dihr deren (N/ N)/ S ⋅ (S/ (S/ / NP))/ N = ((N/ N)/ (S/ / NP))/ N Analog ist ein französischer Relativsatz wie (l’auteur) dont les livres ont été vendus darzustellen, in dem dont eine Subjekt-NP regiert und mit dieser einen Ausdruck des Typs (N/ N)/ (S/ NP) macht, also einen Funktor, der mit einem Prädikat ein Nominalattribut bildet: N/ N (N/ N)/ (S/ NP) S/ NP ((N/ N)/ (S/ NP))/ NP NP dont les livres ont été vendus Das Relativpronomen dont besteht ebenfalls aus zwei Strukturkomponenten: die eine bildet mit der NP les livres einen angehobenen Subjektfunktor, also einen Ausdruck, der mit einem Prädikat einen Satz macht, (S/ (S/ NP))/ NP, und die andere Komponente, der Relativator (N/ N)/ S, verbindet sich mit diesem Funktor zu einem Ausdruck, der mit einem Prädikat ein Nominalattribut bildet: (N/ N)/ (S/ NP); der vollständige Kategorienname von dont ist somit ((N/ N)/ (S/ NP))/ NP. In unserem Graphen läßt der Kategorienname des Ausdrucks (dont les livres) (N/ N)/ (S/ NP) wiederum klar erkennen, dass es sich um eine Subjekt-NP handelt, da die als Komplement des Komplements auftretende Nominalphrase (/ NP) ein Subjekt sein muss. Anders formuliert: Ein Ausdruck, der mit einem Prädikat (S/ NP) einen Relativsatz bildet, muss dessen Subjekt sein. Auch in diesem Fall macht die Durchsichtigkeit der kategorialgrammatischen Notation die Strukturgeschichte komplexer Konstruktionen deutlich nachvollziehbar. Die vergleichsweise aufwendigen Kategoriensymbole <?page no="120"?> 112 sind direkter Ausdruck der verwickelten Struktur mancher Relativsatzmuster. Schließlich sei noch der entsprechende Objekt-Fall betrachtet: l’auteur dont elle a vendu les livres ‚der Autor, dessen Bücher sie verkauft hat’, in dem das Relativpronomen nicht adnominal auftritt, sondern als eine Art Satzoperator isoliert und aus dem Satz herausgezogen wird: N N N/ N (N/ N)/ S S auteur dont elle a vendu les livres Das Objekt-Attribut de cet auteur bzw. de celui-ci, des Typs NP/ NP (oder N/ N), wird also durch die Extraktion und Topikalisierung zu einer Art Satzadverb S/ S erhöht: ((de celui-ci) S/ S (elle a vendu les livres) S ) S . Ein derartiger Satzoperator wird dann von der Relativator-Komponente (N/ N)/ S in dont als Komplement genommen: (N/ N)/ S ⋅ S/ S und verbindet sich mit diesem über Funktionskomposition zu (N/ N)/ S, also zu einem Ausdruck, der mit einem Satz ein Nominalattribut macht. Wie wir gesehen haben, kann im Deutschen die ganze vom Relativator abhängige Objekt-NP extrahiert werden: (der) Autor, dessen Bücher sie verkauft hat. Im Französischen ist eine solche Topikalisierung des Objekts unzulässig, weil dadurch eine inakzeptable Satzgliedfolge Objekt-Subjekt-Verbum entstünde: *l’auteur dont les livres elle a vendu, ( * l’auteur les livres duquel elle a vendu); dies gilt auch für die gleichermaßen problematische italienische Entsprechung: ? l’autore i cui libri Marco ha venduto (eine im Standard (noch) nicht akzeptierte analytische Variante wäre: l’autore che Marco ha venduto i suoi libri, cf. III.1.10.1. ). Im Prinzip analoge Strukturen findet man - um dies hier noch anzusprechen - im absoluten Relativsatz und in der indirekten Frage wie Peter weiß, wer spricht im Unterschied zur direkten Frage Wer spricht? In der indirekten Frage fungiert das Pronomen wer als Funktor, der mit einem S/ NP wie spricht eine NPS, also einen Komplementsatz, macht: NPS/ (S/ NP); entsprechend dann die Objektform wen in Peter weiß, wen ich meine mit der Kategorie NPS/ (S/ / NP). Zerlegt man wer, analog zum Relativpronomen der, in einen Interrogativsubordinator w-, der mit einem Satz eine NPS macht, also NPS/ S, und in ein als Funktorkopf fungierendes angehobenes Subjektspronomen er, also S/ (S/ NP), dann ergibt sich <?page no="121"?> 113 die Kategorie von wer aus der Funktionskomposition NPS/ S ⋅ S/ (S/ NP) = NPS/ (S/ NP), graphisch: S NP S/ NP (S/ NP)/ NPS NPS NPS/ (S/ NP) S/ NP Peter weiß wer spricht Die Anhebung von Argumenten zu Funktoren wie wer NPS/ (S/ NP) geschieht wieder aufgrund ihrer Extraktion aus dem Satzverband, wie auch die mögliche Umschreibung Peter weiß, wer es ist, der spricht verdeutlicht, die man auch als verkappten dass-Satz - Peter weiß, dass es X ist, der spricht - betrachten kann. Beidemal tritt das Nebensatzsubjekt in Gestalt eines Relativpronomens auf. Die Anhebung des Subjektpronomens er ist also wiederum nicht nur als formale Notwendigkeit zur Ermöglichung einer Funktionskomposition zu sehen, sondern damit zu begründen, dass der Satz über sein Subjekt in den Frageoperator eingehängt wird. Das Prädikat fungiert nicht (mehr) eindeutig als Kopfkonstituente des Ausdrucks, weil es gerade nicht um die Aussage er spricht geht, sondern vielmehr um den Subjektreferenten, der spricht. Dass jedenfalls das Pronomen wer als Kopf des indirekten Fragesatzes zu kategorisieren ist, zeigt der Tilgungstest. Eine Tilgung der Verbalphrase in Peter weiß (nicht) wer ist durchaus akzeptabel, wie etwa auch Peter weiß nicht was / warum / wo / wann und dergleichen. Freilich handelt es sich dabei um den (angehobenen) Kopf eines Komplementsatzes, da wer nicht unmittelbar der Rektion des übergeordneten Verbums unterliegt und deshalb nicht als direktes Objekt erscheint: *Peter weiß, wen (kommt). Es handelt sich nicht um den Kopf einer Pronominalphrase, wie z.B. in Er tötete (wen er traf) ProNP bzw. in Subjektfunktion, Das kann machen (wer will) ProNP , wo die syntaktische Funktion der gesamten Phrase und die des darin enthaltenen Pronomens übereinstimmen müssen. Hier hat man es - wie wir unter III.1.10.1. gesehen haben - mit einem absoluten Relativpronomen zu tun, dem in etwa eine explizite Struktur derjenige, der / denjenigen, den mit Relativsatz entspricht: <?page no="122"?> 114 S NP S/ NP (S/ NP)/ ProNP ProNP ProNP S / (S/ / NP) S/ / NP der Drache tötete wen er traf Im Unterschied zum w-Element der indirekten Fragepronomen (NPS/ S), gehört das entsprechende Element des absoluten Relativpronomens dem Typ ProNP/ S an und verbindet sich durch Funktionskomposition z.B. mit einem angehobenen Objekt ihn S/ (S/ / NP) zu einem Ausdruck des Typs ProNP/ (S/ / NP), also zu einem Ausdruck, der mit einem objektlosen Satz eine ProNP bildet; auch er enthält wieder das Komplement seines Komplements, nämlich das Objekt / / NP, in sich. Dies lässt sich mit der Pronominalisierungsprobe nachweisen: Er tötete, wen er traf und Er tötete ihn / jeden gegenüber Er erzählte, wen er getroffen hatte aber nicht *Er erzählte ihn sondern Er erzählte es oder auch Wen er traf, den tötete er gegenüber Wen er getroffen hatte, *den / das erzählte er mir. Auch hier können wir zur Kennzeichnung der satzhaltigen Pronominalphrase wieder das Subskript S, also ProNP S , einsetzen. Im Französischen besteht das neutrale indirekte Fragepronomen aus dem Demonstrativum ce und einem Relativpronomen: Pierre sait ce qui arrive / ce que tu veux ‚Peter weiß, was geschieht / was du willst’. Wie in analogen Konstruktionen mit der Konjunktion que, etwa in parce que (cf. III.1.2.), kann man auch hier eine Funktionskomposition annehmen, durch die ce qui / ce que zu einem dem deutschen was entsprechenden (indirekten) Fragepronomen geworden sind, das sich mit dem jeweiligen Restsatz zu einem NPS-Komplement verbindet: (Pierre NP (sait (S/ NP)/ NPS (ce que NPS/ (S/ / NP) tu veux S/ / NP ) NPS ) S/ NP ) S Rein äußerlich unterscheidet sich diese Konstruktion nicht von derjenigen mit absolutem Pronomen, da hier die Formen von NPS und ProNP identisch sind: (Pierre NP (a perdu (S/ NP)/ ProNP (ce que ProNP/ (S/ / NP) il avait trouvé S/ / NP ) ProNP ) S/ NP ) S <?page no="123"?> 115 Im Deutschen kann man die beiden Satztypen durch die Einfügung eines neutralen Korrelats das unterscheiden: Peter hat das, was er gefunden hatte, wieder verloren vs. *Peter weiß das, was du willst. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Relativsätze im engeren und im weiteren Sinn von einem Funktor eingeleitet werden, der aus zwei durch Funktionskomposition miteinander verschmolzenen Komponenten besteht: einem allgemeinen Satz-Subordinator und einem Glied des untergeordneten Satzes (im Falle von dessen / dont ist es nur ein Teil eines Satzgliedes). Dabei bilden die Satz-Subordinatoren mit einem Satz entweder ein Nominalbzw. NP-Attribut, (N/ N)/ S bzw. (NP/ NP)/ S, wie in ein Kater, d-er miaut, oder einen Komplementsatz, NPS/ S, wie in Peter weiß, w-er spricht, oder eine komplexe Pronominalphrase (ProNP/ S), wie in W-er wagt, gewinnt. In anderen grammatischen Modellen lässt sich die morphosyntaktische Struktur und Funktion derartiger sprachlicher Ausdrücke nicht auf diese Weise einsichtig machen. III.1.11. Anhebung klitischer Objektspronomina Als Funktionskomposition darstellbar ist auch die Klitikon-Anhebung des Typs ital. Elena vuole vederlo Elena lo vuole vedere ‚Helena will ihn sehen’, die sogenannte ristrutturazione, die hier allerdings nicht vertieft diskutiert werden soll. Die Voranstellung des von vedere regierten Objektspronomen lo vor das finite vuole setzt im Prinzip voraus, dass die beiden Verbformen zu einer Art komplexem Prädikat zusammengefügt worden sind und das Pronomen daher der finiten Form bzw. dem gesamten Verbalausdruck proklitisch vorangeht. Als Indiz hierfür kann auch der Umstand gewertet werden, dass sich das Auxiliar bei Voranstellung des Klitikons - eines Objektes oder eines Direktionalkomplements - nach dem Hauptverb im Infinitiv richten muß: Ci sono voluto / -a andare vs. Ho voluto andarci (und evtl. Sono voluto andarci). Setzt man nun für die Verbform vuole die Kategorie (S/ NP)/ VNP an und für vederlo VNP/ NP bzw. einfach VNP, da das Subjekt ja nun in dem regierenden Verbum enthalten ist, ergibt sich die Kategorie S/ NP für den komplexen Ausdruck (vuole vederlo) S/ NP . Wendet man dann im Sinne einer Funktionskomposition den Funktor vuole nur auf den Funktor vedere VNP/ ProNP an, also (S/ NP)/ VNP ⋅ VNP/ ProNP, entsteht ein zweistelliges Prädikat voler vedere ‚sehen wollen’ der Kategorie (S/ NP)/ ProNP, wie im Strukturbaum rechts des Pfeils ersichtlich: <?page no="124"?> 116 S/ NP (S/ NP)/ VNP VNP NP VNP/ NP (VNP/ NP)/ ProNP ProNP vuole […] vedere lo S/ NP (S/ NP)/ ProNP ProNP vuole vedere lo Die Struktur bzw. die Folge ((vuole vedere) lo) S/ NP ist nun zu (lo (vuole vedere)) S/ NP umzustellen. Auch hier bewirkt die Funktionskomposition eine Vereinfachung und Binarisierung der Struktur, indem durch eine partielle Anwendung, also dadurch, dass man einen Kopffunktor nur auf den Wert eines Ausdrucks anwendet, eine syntaktische Strukturebene, hier die Infinitivphrase VNP, zum Verschwinden gebracht wird. Dies geschieht freilich unter Inkaufnahme einer asyntaktischen Phantomkonstituente, solange vuole vedere respektive voler vedere nicht eindeutig als eine komplexe Konstituente gesehen wird. Im Falle der Faktitivkonstruktionen des Typs lo faccio partire, wo das Pronomen nicht (jedenfalls nicht als Objekt) vom untergeordneten Verbum regiert wird, ist im Italienischen die Anhebung sogar obligatorisch. Bei nominalen Objekten hat sich ein Wandel von faccio Giorgio venire zu neuital. faccio venire Giorgio, wie frz. je fais venir Georges, vollzogen (cf. III.1.8.). In diesem Fall haben wir auch im Französischen pronominale Proklise, je le fais venir, im Unterschied zu den Konstruktionen, in denen das Pronomen nur vom untergeordneten Verbum regiert wird, wie in je veux le voir (restrukturiertes je le veux voir war bis zum Mfz. geläufig). III.1.12. Infinitivische Adjektivergänzungen (tough-movement) Zunächst gehen wir von einem komplexen italienischen Satz È impossibile leggere il testo ‚Es ist unmöglich, den Text zu lesen’ aus: <?page no="125"?> 117 S S/ VNP VNP NP VNP/ NP (VNP/ NP)/ NP NP È impossibile [...] leggere il testo Der Graph lässt zunächst erkennen, dass die Infinitivphrase VNP als Subjekt fungiert, mit dem das Prädikat è impossibile einen Satz bildet (auf das Problem des pronominalen Subjekts in der deutschen Entsprechung wollen wir an dieser Stelle nicht eingehen, vgl. aber II.3.4.). Nun wird das direkte Objekt il testo aus der Infinitivphrase herausgelöst, zur unmittelbaren Konstituente und zwar zum persönlichen Subjekt und Thema des Gesamtsatzes angehoben und als solches diesem vorangestellt (im Deutschen anstelle des unpersönlichen Subjekts es). Es entsteht so der einfache Satz Il testo è impossibile da leggere ‚Der Text ist unmöglich zu lesen’, in dem eine Funktionskomposition der beiden verbalen Funktoren è impossibile und leggere stattgefunden hat; impossibile regiert nun einen durch die Präposition da eingeführten Infinitiv mit einer nicht-abgebundenen Objektstelle. Technisch kann dieser Prozess folgendermaßen dargestellt werden: Das einstellige Prädikat è impossibile wird auf den Funktor leggere angewendet, wobei die Subjekt-NP nicht weiter berücksichtigt zu werden braucht: S/ VNP ⋅ VNP/ NP = S/ NP. Man erhält also ein einstelliges Prädikat (è impossibile da leggere) S/ NP , als dessen Subjekt die verbleibende NP il testo fungiert: S NP S/ NP S/ VNP VNP/ NP il testo è impossibile da-leggere Dieses komplexe Prädikat entspricht syntaktisch / semantisch in etwa einem adjektivischen è illeggibile und der Ausdruck impossibile da leggere <?page no="126"?> 118 somit dem Adjektiv illeggibile. Die Infinitivphrase ist folglich aufgehoben, so dass wir es nicht mehr mit einer VNP-Konstruktion zu tun haben, sondern eben mit einem komplexen Adjektiv (Reanalyse). Da der Funktor è impossibile hier ein Komplement zu sich nimmt, dem eine NP fehlt (VNP/ NP) und mit diesem einen Ausdruck macht, dem ebenfalls eine NP fehlt (S/ NP) müssen diese beiden Nominalphrasen identisch sein. Auch nach dem Funktionswechsel vom Objekt zum Subjekt des Gesamtsatzes ist aufgrund des Kategoriennamens VNP/ NP des Infinitivs die ursprüngliche Funktion der Nominalphrase noch klar erkennbar. Wird das Prädikat als attributives Adjektiv verwendet, bildet impossibile mit einem Infinitiv, dem eine Nominalphrase fehlt, ein komplexes Attribut des Typs N/ N bzw. NP/ NP. Auch hier müssen die dem Komplement VNP/ NP und die dem Wert NP/ NP des Funktors impossibile fehlende NP identisch sein: NP NP NP/ NP (NP/ NP)/ (VNP/ NP) VNP/ NP un testo impossibile da-leggere Im Unterschied zum Prädikat è impossibile (leggere il testo) ist das Attribut impossibile da... grundsätzlich nicht in der Lage, eine abgeschlossene Infinitivphrase zu sich zu nehmen, sondern nur einen Infinitiv mit nichtabgebundener Objektstelle VNP/ NP, um mit diesem ein komplexes Adjektiv zu bilden: impossibile da leggere (*il testo). Wie gesagt, ist dabei die dem Attribut NP/ NP fehlende NP identisch mit derjenigen, die dem Komplement da leggere fehlt. Das zusammengesetzte impossibile da leggere entspricht daher auch nicht einer syntaktisch-semantisch wohlgeformten Konstituente, d.h. unmöglich zu lesen ist kein mehrstelliges Adjektiv des Typs bereit zu lesen mit Subjektidentität, da man bei Tilgung des Komplements da leggere zu einem nicht äquivalenten il testo è impossibile bzw. un testo impossibile gelangen würde; so etwa auch in einem dtsch. ein leicht zu übersehender Hinweis ≠ ein leichter Hinweis. Demgegenüber kann der adjektivische Kopf in Elsa ist bereit ((die Arbeit) zu lesen) auch allein stehen. Dass es sich hier um eine abgeschlossene Infinitivphrase und damit um eine vollständige Konstituente handelt, folgt darüber hinaus aus der Möglichkeit ihrer Pronominalisierung: Elsa ist bereit dazu aber nicht etwa *Der Hinweis ist es leicht. <?page no="127"?> 119 Durch die Anhebung des Objekts des untergeordneten Verbums zum Subjekt des Gesamtsatzes wird das Verbum semantisch zu einer passivischen Bedeutung umgepolt. Ein Satz wie Der Text ist unmöglich / schwer zu lesen ist im Sinne eines Der Text kann unmöglich / schwer gelesen werden zu interpretieren. Somit können impossibile / difficile da leggere und schwer zu lesen einfach als komplexe Adjektive mit passivisch zu interpretierendem Infinitiv gesehen werden. Im Italienischen gibt es alternativ zur formal aktivischen Version auch eine solche mit reflexiv-passivischem Infinitiv: Il testo è piacevole da leggere / leggersi; eventuell möglich wäre auch eine Passivkonstruktion ? Il testo è facile da essere compreso - im Unterschied etwa zum Französischen oder Deutschen (vgl. lat. Supinum in Haec res est facilis intellectu). Das Deutsche unterscheidet sich seinerseits dadurch, dass alle drei Konstruktionen die Konjunktion zu enthalten, die attributive Version aber durch eine Partizipialform wiedergegeben wird, da ein prädeterminierender attributiver Infinitiv inakzeptabel wäre; dabei fungiert das Partizip als Attribut und das unpersönliche unmöglich als Adverb: Es ist unmöglich, den Text zu lesen / Der Text ist unmöglich zu lesen / der unmöglich zu lesende Text. Die Vorteile der Kategorialgrammatik bei der Darstellung und Interpretation sprachlicher Prozesse werden auch in diesem Ausschnitt offensichtlich. Die funktionale Kategorie eines sprachlichen Ausdrucks bleibt unabhängig von dessen jeweiliger syntaktischer Umgebung im Prinzip konstant, jedenfalls was sein Komplement und damit seine Rektion anbetrifft. So bleibt ein Funktor wie (è) impossibile, unabhängig davon, ob er Teil eines unpersönlichen oder eines persönlichen Prädikats / Attributs ist, ein Ausdruck, der eine Infinitivphrase zu sich nimmt (.../ VNP); im attributiven Fall ist die Objektstelle freilich grundsätzlich nicht abgebunden, (NP/ NP)/ (VNP/ NP). Auch hier ändert sich die Valenz eines sprachlichen Ausdrucks im Zuge solcher Umstellungen und Umstrukturierungen nicht oder jedenfalls nicht grundsätzlich und so bleiben die Resultate der Transformationsprozesse auf die Ausgangsstrukturen hin durchsichtig. Man benötigt daher keine „Spuren“ (s.o.), die den ursprünglichen Platz einer herausbewegten Konstituente anzeigen; eine aus der Valenz sich ergebende Leerstelle, ist als virtuelle Konstituente immer an dem Kategoriennamen selbst erkennbar. Wenn also ein Funktorausdruck mit einer nicht-abgebundenen Leerstelle innerhalb einer in sich abgeschlossenen Konstruktion auftritt, muss ein der Leerstelle entsprechender Ausdruck anderswo in dieser Konstruktion erscheinen. Da die NP un testo impossibile da leggere nur eine Nominalphrase enthält, kann diese schon deshalb nur das zugrundeliegende direkte Objekt von leggere VNP/ NP sein. <?page no="128"?> 120 III.1.13. Subjektanhebung Im Falle der sogenannten Subjektanhebung wird das Subjekt eines Nebensatzes mit finitem Verbum zum Subjekt des Hauptsatzes, genauer gesagt zum persönlichen Subjekt des unpersönlichen Hauptsatzprädikates. Das Verbum des nun subjektlosen Nebensatzes wird zum Infinitiv, d.h. zu einem infinitivischen Anschluss: Es scheint, dass Elsa lacht → Elsa scheint zu lachen oder ital. Sembra che Elsa rida → Elsa sembra ridere. Also in vereinfachter Struktur: S S/ NPS NPS NP NPS/ NP Es scheint Elsa lacht Sembra Elsa rida Auch hier gibt der Kategoriennamen des Prädikats sembra S/ NPS zu erkennen, dass die satzförmige NPS ein Subjektsatz ist. Die finiten Verbformen lacht / rida werden in einem verkürzten Modus hier direkt als Nebensatz-Macher, NPS/ NP statt S/ NP, kategorisiert. Wir sind einmal davon ausgegangen, dass die Konjunktionen nach einer Funktionskomposition mit den Prädikaten - also dass NPS/ S … lacht S/ NP zu (dass lacht) NPS/ NP - getilgt worden sind und die Prädikate diesen komplexen Ausdruck bzw. diese syntaktische Funktion allein repräsentieren: lacht NPS/ NP ; im Italienischen kann unter bestimmten Bedingungen der Konjunktiv rida diese Funktion ohne Konjunktion übernehmen, ähnlich auch in einem dtsch. … (Peter NP komme NPS/ NP ) NPS . Es geht einfach darum, dass das Verbum mit einer Nominalphrase einen Satz bildet, der als Nebensatz fungiert. Die Motivation einer Subjekt-Anhebung ist auch in diesem Fall die Umwandlung einer unpersönlichen Konstruktion ohne eindeutiges Thema in einen Satz mit persönlichem Subjekt und Thema. Wenn dann es scheint / sembra direkt auf lacht / rida, also auf den Kopf des Nebensatzes angewendet wird, ergibt sich durch Funktionskomposition der komplexe Ausdruck S/ NP aus S/ NPS ⋅ NPS/ NP, das heißt also die Kategorie eines einstelligen Verbums (sembra rida) S/ NP . Durch Kürzung verschwindet also im Zuge dieses Prozesses die Kategorie NPS des Nebensatzes und sembra / scheint macht auf diese Weise das Subjekt des untergeordneten rida / <?page no="129"?> 121 lacht zu seinem eigenen. Ein unmittelbar von einem Verbum abhängiges Verbum kann nun aber normalerweise nicht in finiter, sondern nur in infiniter Form auftreten, zumal wenn ihm das syntaktische Subjekt genommen wurde. Daher wandelt sich der komponierte Ausdruck (sembra rida) S/ NP morphologisch zu (sembra ridere) S/ NP / (scheint zu lachen) S/ NP , wobei das nicht-explizite Subjekt des Infinitivs mit dem Subjekt des übergeordneten Prädikats identisch sein muss. Es ist in diesem Fall also das Subjekt des Subjektd.h. des Nebensatzes, das zum Subjekt des Gesamtsatzes wird: S NP S/ NP Elsa scheint zu lachen Elsa sembra ridere Diese Sätze sehen so aus, als ob sie auch aus Konstruktionen mit einem Infinitivanschluss des Typs VNP, wie in Elsa versucht / glaubt zu lachen, abgeleitet werden könnten (cf. 8.), also: S NP S/ NP (S/ NP)/ VNP VNP NP VNP/ NP Elsa scheint […] zu lachen Elsa sembra […] ridere (Elsa versucht/ glaubt […] zu lachen) Scheint / sembra würde sich sich dann per Funktionskomposition mit dem Infinitivausdruck, dem eine Subjekt-NP fehlt, verbinden, um das komplexe Prädikat (scheint zu lachen) S/ NP zu bilden. Im Unterschied zu normalen Infinitivanschlüssen, deren implizites Subjekt mit dem Subjekt des übergeordneten Prädikats referenzidentisch ist, fehlt hier jedoch das Subjekt tatsächlich, da es aus der Infinitivphrase ausgegliedert und zum Subjekt des Gesamtsatzes d.h. des übergeordneten, eigentlich unpersönlichen Verbums angehoben worden ist. Elsa kann aber nicht gleichzeitig <?page no="130"?> 122 Subjekt von scheint und von lachen sein - vgl. etwa *Elsa scheint, (dass) sie lacht gegenüber Elsa glaubt, (dass) sie lacht. Die Verbalphrase (scheint zu lachen) S/ NP stellt nämlich, wie (zunächst) alle Funktionskompositionen, keine syntaktisch-semantisch korrekte Konstituente dar, da zu lachen kein echtes Komplement von scheint ist, wie unter anderem der Pronominalisierungstest beweist. Im Unterschied zu einem Objektinfinitiv, wie in Elsa versucht / glaubt zu lachen → Elsa versucht es / glaubt es, kann die Infinitivergänzung hier nicht pronominalisiert werden: Elsa scheint zu lachen → *Elsa scheint es / *Elsa lo sembra. Sie ist daher auch nicht erfragbar: *Was scheint Elsa? versus Was glaubt Elsa? In unserem Zusammenhang aufschlussreich ist die Unmöglichkeit, die von scheint abhängige Infinitivphrase im Nebensatz auszuklammern: *... obwohl Elsa scheint zu lachen vs. ... obwohl Elsa wünscht / glaubt, zu lachen, sondern nur ... obwohl Elsa zu lachen scheint. Dies zeigt, dass zu lachen scheinen in der Tat ein komplexes Prädikat darstellt, das aufgrund seiner Entstehung dem syntaktisch-semantischen Kompositionalitätsprinzip nicht entspricht und daher nicht ohne weiteres in seine Bestandteile zerlegt und aus diesen zusammengesetzt werden kann. Man könnte auch daran denken, persönlich konstruiertem scheint eine Kategorie (S/ NP)/ (VNP/ NP) zuzuweisen, um zu verdeutlichen, dass dieses Verbum keine abgeschlossene Infinitivphrase zu sich nehmen kann, da es deren Subjekt gewissermaßen usurpiert hat, also: (Elsa NP (scheint (S/ NP)/ (VNP/ NP) zu lachen VNP/ NP ) S/ NP ) S Hier gilt dann wieder die Regel: Wenn mit einem Komplement, dem eine NP fehlt, ein Ausdruck gebildet wird, dem gleichfalls eine NP fehlt, müssen die beiden Nominalphrasen referenzidentisch sein. Analog wurde ja bereits im Fall des zum Subjekt des Gesamtsatzes angehobenen Nebensatzobjekts vorgegangen (cf. III.1.12.): (un testo NP (impossibile (NP/ NP)/ (VNP/ NP) da leggere VNP/ NP ) NP/ NP ) NP Auf diese Weise kann man zwischen einem lediglich nicht realisierten und einem tatsächlich ausgegliederten Infinitiv-Subjekt oder -Objekt unterscheiden. Der zweite Fall führt zu einem nicht-gesättigten Komplement des Typs VNP/ NP (Subjekt) oder VNP/ NP (Objekt), das nicht zu einer VNP ergänzt, sondern als solche direkt mit einem Kopffunktor verbunden wird. Zieht man die AcI-Konstruktion Cäcilie sah den Wagen abfahren (cf. III.1.8.) noch einmal in die Betrachtung mit ein, lässt sich zusammenfas- <?page no="131"?> 123 send Folgendes konstatieren. Die syntaktische Funktion des Nebensatzes, aus dem eine Konstituente in den Hauptsatz gehoben wird, ist insofern von Relevanz, als aus Subjektsätzen stammende Elemente (Subjekte oder Objekte) im Hauptsatz nur als Subjekt fungieren können und aus Objektsätzen stammende (Subjekte) nur als Objekt. Mit anderen Worten: Konstituenten von Subjektsätzen werden zu Subjekten und Konstituenten von Objektsätzen werden zu Objekten des Gesamtsatzes; einen syntaktisch prekären Status erhält dadurch der jeweilige Rest des Gliedsatzes. III.1.14. Morphosyntax und Wortbildung III.1.14.1. Morphosyntax Als Funktionskomposition kann man auch bestimmte Prozesse verstehen, die bei der Verzahnung wort- und satzsyntaktischer Strukturen stattfinden. So ist etwa in dem komplexen Nomen bzw. der Nominalphrase Blumen pflückende Mädchen die Partizipialendung -end adjektivischer und adjektivisierender Funktorkopf eines Verbums mit zwei Leerstellen. Sie nimmt den Stamm eines zweistelligen Verbums, pflück- Stv2 , macht mit diesem ein Adjektiv und wäre damit vom Typus (N/ N)/ St v 2 . Eigentlich ist es nun aber so, dass in einem Ausdruck wie Blumen pflückend das direkte Objekt strukturell-syntaktisch enger mit dem Verbstamm verbunden ist als der das Subjekt repräsentierende Adjektivator -end. Im Unterschied zum Relativpronomen kann die Partizipendung -end nun aber nicht zum Kopf des gesamten Ausdrucks gemacht werden, da man sonst die morphologische Einheit des Wortes zerstörte und dessen Bestandteile verschiedenen syntaktischen Konstituenten zuordnete: ((Blumen pflück-) end) analog zu dem Relativsatz (der (Blumen pflückt)). Anders gesagt kann Blumen pflückkeine wirkliche Konstituente sein, da Stämme keine Funktoren sind, die Satzglieder als Argumente an sich binden. Eine solche Funktion können sie nur in Verbindung mit einer Endung ausüben, das heißt als morphologisch abgeschlosssene Wortformen. Dieses Beschreibungsdilemma ließe sich nur dadurch lösen, dass man Verbstämme als morpho-syntaktische Operatoren betrachtet, die gegebenenfalls mit Objektkomplementen so etwas wie einen komplexen Stamm bilden. Das wäre ein Ausdruck, der aus einem mehrwertigen Stamm und einem Objektkomplement besteht, wie z.B. (Blumen NP pflück- Stv/ NP ) Stv , entsprechend einem bereits univerbierten staubsaug- Stv (-en). Wenn nun die Partizipialendung dem Typ (N/ N)/ St v angehört, ergibt sich bei einer direkten Anwendung auf den Verbstamm die Möglichkeit einer Funkti- <?page no="132"?> 124 onskomposition: (N/ N)/ St v ⋅ St v / NP mit dem Resultat (N/ N)/ NP, also einem Ausdruck, der mit einer NP ein Nominalattribut bildet: N N/ N N St v (N/ N)/ St v NP St v / NP Blumen pflück- -end Mädchen N/ N NP (N/ N)/ NP St v / NP (N/ N)/ St v Blumen pflück- -end Diese Darstellungsweise, in der die Argumentstruktur des Verbstammes auf das Attribut „vererbt“ wird, hat den Vorteil, die Verzahnung von Morphologie und Syntax erkennbar und die morphologische auf die zugrundeliegende syntaktische Struktur hin durchsichtig zu machen. Sie erlaubt es außerdem, der Endung -end (N/ N)/ Stv immer denselben Typ zukommen zu lassen, nämlich die Funktion, mit einem beliebigen Verbstamm ein Attribut zu bilden. Problematisch erscheint freilich der Status des komplexen Stammes des Typs Blumen pflücktrotz der Existenz von staubsaug- oder historisch haushalt-. Es ist jedoch auch in diesem Fall zunächst davon auszugehen, dass der Stamm pflückder valenztragende Kopffunktor der Objekt-NP Blumen ist, während die Endung -end für die Kategorie der Partizipialform pflückend verantwortlich zeichnet. Es ist nun eine syntaktische Ableitungsbedingung zu formulieren, gemäß der morphologisch nichtabgeschlossene Funktoren nicht auf morphologisch abgeschlossene Ausdrücke angewendet werden können, bevor sie nicht mit ihrem übergeordneten Funktor selbst zu einem Wort verbunden worden sind, was <?page no="133"?> 125 naturgemäß nur durch eine Funktionskomposition vonstatten gehen kann. D.h. die Anwendung von pflück- Stv/ NP auf Blumen NP wird blockiert und ein „komplexer Stamm“ (Blumen pflück-) Stv kann nicht zustande kommen. Dieser syntaktische Prozess wird gewissermaßen von der Morphologie overruled, da die Einheit des Wortes im Prinzip Vorrang vor der syntaktischen Konstituentenstruktur hat. Eine solche Blockierung kann allenfalls selbst wieder durch eine morphologische Regel außer Kraft gesetzt werden, die ein zusammengesetztes Verbum mit internem direkten Objekt erzeugt, wie in dem erwähnten staubsaugend, das man dann als (staub-saug- Stv -end (N/ N)/ Stv ) N/ N analysieren kann. Die Alternative besteht darin, die Morphologie stärker von der Syntax zu trennen, den Verbstamm nicht als quasi-syntaktischen Funktor zu fassen und Endungen wie -end als Ausdrücke zu definieren, die mit einem ein- oder mehrstelligen Verbstamm, St v (2) , ein ein- oder mehrstelliges Attribut bilden, also pflück- Stv2 in Kombination mit -end ((N/ N)/ NP)/ Stv2 ergibt wieder pflückend (N/ N)/ NP , d.h. ein einstelliges Adjektiv, das dann als solches ein Objekt zu sich nimmt: N N/ N N NP (N/ N)/ NP St v 2 ((N/ N)/ NP)/ St v 2 Blumen pflück- -end Mädchen Der Nachteil dieser Schreibweise besteht zum einen darin, dass man Ad-hoc-Notationen wie ‚St v 2 ’ einführen muss und zum anderen darin, dass die Partizpialendung -end dann in Abhängigkeit von der Stelligkeit des jeweiligen Verbums unterschiedlichen formalen Kategorien angehört. Zudem tritt die morphosyntaktische Verschränkung von Syntax und Morphologie bei dieser Darstellung weniger deutlich zu Tage als in obiger Version. Ein solches Dilemma ergibt sich grundsätzlich dort, wo durch Endungen oder Affixe wiedergegebene Konstituenten in der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur weniger eng mit der Basis verbunden sind als <?page no="134"?> 126 Komplemente in Form morphologisch abgeschlossener Wörter. Man kann diesbezüglich von morpho-syntaktischen Verwerfungen sprechen. Systematisch ist dies der Fall in der Subjektkonjugation, in der die subjektivische Personalendung mit dem Stamm ein Wort erzeugt, das dann auf der syntaktischen Ebene gegebenenfalls ein Objektkomplement zu sich nimmt, um eine Verbalphrase zu bilden, die nun freilich bereits ein Subjekt oder jedenfalls einen Reflex desselben enthält: (sing-t ein Lied) VP . Diese Morphologisierungspräferenz erklärt sich daraus, dass das Subjekt im Unterschied zu den Objekten eine im Prinzip unverzichtbare Satzkonstituente ist. In Pro-Drop-Sprachen können derartige Morphemkombinationen vollständige Sätze darstellen: Cant-a una canzone oder einfach Cant-a ‚Er singt’. Aus verschiedenen Gründen ist es aber gerechtfertigt, eine Form wie canta zunächst generell als Verbalphrase zu betrachten, die dann auch allein als Satz Canta fungieren kann. Wir könnten in diesem Fall nun gleichermaßen von der Annahme ausgehen, dass die Endung -a mit einer Art komplexem Stamm (cant- Stv/ NP una canzone NP ) Stv eine Verbalphrase macht, (cant-a una canzone) S/ NP , und daher vom Typ -a (S/ NP)/ Stv ist. Wenn man die Endung nun aber per Funktionskomposition direkt auf die Stammform cant- Stv/ NP anwendet, ergibt sich ein Ausdruck des Typs cant-a (S/ NP)/ NP , also ein zweistelliges Prädikat - im prädeterminierenden deutschen Nebensatz lässt sich die Verschiebung besser erkennen: S NP S/ NP St v (S/ NP)/ St v NP St v / NP (da) Bernd ein Lied sing- -t <?page no="135"?> 127 S NP S/ NP NP (S/ NP)/ NP St v / NP (S/ NP)/ St v (da) Bernd ein Lied sing- -t Auch in diesem Kontext wird eine Komposition von Stamm und Endung ausgelöst, weil der morphologisch nicht-abgeschlossene Verbstamm auf das NP-Komplement ein Lied nicht angewendet werden kann. (Die Generative Grammatik suchte, dieser morpho-syntaktischen Verwerfung mit der Einführung einer syntaktischen Kategorie INFL (= inflection) beizukommen.) Die Kategorisierung von Stämmen transitiver Verben wie sing- Stv/ NP als Funktor, dem ein Objekt fehlt, ist allgemein damit zu begründen, dass der Stamm als Repräsentant des gesamten Paradigmas jedenfalls ein direktes Objekt regiert und der zweite Vorgangsbeteiligte erst dann in Abhängigkeit von der morphosyntaktischen Funktion der Endung als Subjekt, als adnominaler Determinator oder sonstwie in Erscheinung tritt. Auch semantisch betrachtet determiniert das Objekt lediglich den Stamm eines Verbums und nicht finite Prädikate wie singt oder canta (vgl. auch III.2.2.). Die „morphologische“ Alternative bestünde darin, zunächst die Wortform sing-t zu bilden, indem man einen Funktor -t ((S/ NP)/ NP)/ Stv2 auf den zweistelligen Verbstamm sing- Stv2 anwendet, um zu der zweistelligen Verbform singt (S/ NP)/ NP zu gelangen, die dann auf das NP-Komplement ein Lied angewendet werden kann. Dadurch ginge allerdings wieder die Generalisierung verloren, dass sich Personalendungen einfach mit Verbstämmen jeder Art und Stelligkeit verbinden und somit immer vom Typ …/ St v sind. Auch hier bewährt sich die Kategorialgrammatik als Rahmen der Darstellung und Diskussion konkurrierender Beschreibungsvorschläge. III.1.14. 2. Wortbildung Vergleichbaren Verwerfungen an der Nahtstelle zwischen Morphologie und Syntax begegnen wir im Bereich der Wortbildung bei der Vererbung der Rektion eines Verbums auf ein deverbales Nomen, wie etwa in engl. <?page no="136"?> 128 to rely on him → reliance on him, und entsprechend bei Adjektiven wie willing to go → willingness to go oder dtsch.: sie hofft auf ein Wunder → ihre Hoffnung auf ein Wunder er empört sich über sie → seine Empörung über sie In einem Fall wie Sehnsucht nach Ruhe, in dem die Kopfkonstituente sucht noch nicht den Status eines Suffixes innehat, kann die Rektion theoretisch von beiden Konstituenten ausgehen. Unter lexikalischsemantischem Aspekt ist es freilich angemessener, die Rektion des Verbums sich sehnen nach zugrundezulegen, als die des Nomens Sucht nach, da es dabei kaum um eine Sucht nach Ruhe, sondern um ein (sich) Sehnen nach Ruhe geht. So kann man auch hier davon ausgehen, dass das Verbum sehn-(en) und sein präpositionales Komplement nach Ruhe strukturell enger miteinander verbunden sind als das Verbum und das zum Quasisuffix gewordene Nomen Sucht, das als Kopf der Gesamtkonstruktion fungiert. Wenn man also einen Stamm der Kategorie sehn- Stv/ PP ansetzt und für den Nominalisierungsfunktor -sucht die Kategorie N/ St v , ergibt sich durch die Funktionskomposition St v / PP N/ St v ein abgeleitetes einstelliges Nomen des Typs Sehnsucht N/ PP in komplexen Nominalen wie eben (Sehnsucht N/ PP nach Ruhe PP ) N . Auch hier wird eine direkte Anwendung von sehn- Stv/ PP auf nach Ruhe PP zur Bildung eines komplexen Stammes (sehnnach Ruhe) Stv aus morphologischen Gründen blockiert und zunächst das Wort Sehnsucht erzeugt: N N Stv N/ St v PP N/ PP PP St v / PP St v / PP N/ St v nach Ruhe sehn- -sucht nach Ruhe sehn- -sucht über sie empör- -ung über sie empör- -ung Vererbung ist somit als Funktionskomposition interpretierbar, bei der ein Funktor A (sehn-) zum Komplement eines Funktors B (-sucht) wird und das Komplement von A (nach Ruhe) zum Komplement des komplexen Ausdrucks AB (Sehnsucht). Der Funktor A ist auf der morphologischen Ebene enger mit B verbunden als mit seinem (ursprünglichen) <?page no="137"?> 129 Komplement, da er mit B ein Wort bildet. Morphologie im Sinne von Wortbildung oder Wortformbildung nimmt hier wie im Falle der Subjektkonjugation (s.o.) sozusagen keine Rücksicht auf syntaktische (und semantische) Konstituentenstrukturen. Und andersherum: gerade, weil solche aus zwei Funktoren bestehenden Ausdrücke keiner Konstituente der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur entsprechen, entziehen sie sich dieser, indem sie sich tendenziell zur morphologischen Einheit und zum Wort entwickeln. Die „morphologische“ Variante sähe hier wie folgt aus: Wir haben einen zweiwertigen Stamm des Typs empör- Stv2 und einen Funktor des Typs -ung (N/ PP)/ Stv2 , deren Verbindung dann wiederum das einstellige Nomen Empörung N/ PP ergäbe. Auch in diesem Fall ginge dadurch aber die Generalisierung verloren, dass sich das Suffix -ung nicht nur mit zweiwertigen Verbstämmen verbindet und namentlich nicht immer mit solchen, die eine Präpositionalphrase regieren. Es nimmt vielmehr (diesbezüglich) beliebige Verbstämme zu sich, um damit Nomina zu bilden, die ihre Valenz vom jeweiligen Verbum erben, und ist daher grundsätzlich vom Typ -ung N/ Stv . In komplexen Nomina wie Korkenzieher stößt man auf ein analoges Strukturmuster, wobei sich noch folgendes spezielle Dilemma ergibt. Einerseits kann die Bildung nicht ohne weiteres als Kompositum klassifiziert werden, weil Zieher in diesem Kontext trotz seiner morphologisch korrekten Form nicht wirklich als Kopfwort zu identifizieren ist - ein Korkenzieher ist kein Zieher -, andererseits ist auch die Klassifikation als deverbale Ableitung nicht ganz unproblematisch, weil ein Verbum korkenziehen nicht existiert und ein Stamm korkenziehdaher als Ableitungsbasis eigentlich nicht in Frage kommt. Dennoch kann man auch hier von der Rektionsbeziehung zwischen dem Verbstamm zieh- und dem direkten Objekt Korken ausgehen und wieder annehmen, dass die Anwendung des morphologisch nicht-abgeschlossenen Funktors auf sein Komplement blockiert ist. Wird nun der Stamm zieh- Stv/ NP mittels Funktionskomposition mit dem Nominalisierungssuffix -er N/ Stv verbunden, ergibt sich ein jedenfalls formal korrektes abgeleitetes Nomen -zieher N/ NP , das eine Nominalphrase regiert. Dieser Ausdruck kann dann auf die noch verbleibende NP Korken angewendet werden: <?page no="138"?> 130 N N St v N/ St v NP N/ NP NP St v / NP St v / NP N/ St v Korken zieh- -er Korken zieh- -er Der problematische Status derartiger Bildungen erklärt sich also daraus, dass sie sich formal als Komposita präsentieren, deren Kopfwort, hier -zieher, jedoch erst durch eine Funktionskomposition entstanden ist und daher keiner Konstituente der zugrundeliegenden Struktur entspricht bzw. entsprechen muß. Im Unterschied zu gewöhnlichen Komposita wie Korkengeld o.dgl. ist daher das Determinans Korken hier kein fakultatives Attribut, sondern eben ein Komplement des Kopfwortes -zieher (vgl. die Darstellung (Korken np -zieher nn/ np ) n unter III.4.4.2.). Im Prinzip finden wir also dieselbe Situation vor wie im Fall des Ausdrucks Blumen pflükkend (s.o.), in dem die Funktionskomposition allerdings kein Nomen, sondern ein adjektivisches Partizip ergibt und der gesamte Ausdruck kein komplexes Wort ist, sondern eine Konstruktion der freien Syntax. Davon abgesehen repräsentiert sowohl die Endung -end als auch das Suffix -er das angehobene Subjekt eines als Komplement fungierenden Verbstamms. Auch Wortbildungsprodukte des Typs Einreiher, Dreimaster, Tausendfüßler, Dickhäuter (sog. Zusammenbildungen), denen in den romanischen Sprachen meist exozentrische Komposita ohne Kopf-Exponenten, wie un duepezzi, un millepiedi, un trealberi etc. entsprechen, können nach diesem Muster analysiert werden: (dick N/ N häut- Stn/ (N/ N) -er N/ Stn ) N . Man kann sagen, dass der Nominalstamm häutallein nicht als Ableitungsbasis fungieren kann - jedenfalls innerhalb dieses Ableitungsmusters - sondern noch einen Determinator etwa in Form eines Adjektivs zu sich nehmen muss und deshalb vom Typ St n / (N/ N) ist. Die Abbindung der freien Stelle N/ N ist jedoch auch in diesem Fall blockiert, da Stämme, wie gesagt, keine Wörter als Komplemente nehmen, um einen komplexen Stamm zu bilden (noch deutlicher beim Typus Dreimaster). Man kann nun den Funktor -er N/ Stn per Funktionskomposition direkt auf den Nominalstamm anwenden, um zu dem morphologisch abgeschlossenen, wenngleich inexistenten Ausdruck -häuter N/ (N/ N) zu gelangen (entsprechend <?page no="139"?> 131 übrigens bei dem Adjektiv dick-häutig). Diesem fehlt noch ein Adjektiv, mit dem es dann ein komplexes Nomen (dick N/ N häuter N/ (N/ N) ) N bildet: N N St n N/ St n N/ N N/ (N/ N) N/ N St n / (N/ N) St n / (N/ N) N/ St n dick häut- -er dick häut- -er Dies zeigt sehr schön, dass wir es auch hier mit einer Mischung oder Kreuzung zwischen Kompositum und Ableitung zu tun haben. Aufgrund der Oberflächenform jedoch werden solche Bildungen intuitiv eher als Komposita der Struktur Dick-Häuter, Drei-Master (und dick-häutig, dreimastig) interpretiert, deren Kopfkonstituente ein Nomen ist, dem ein Determinans fehlt. Die deutschen Adjektive erscheinen in diesem Kontext in der flexionslosen Form, die sie als Erstglied in einfachen Komposita wie Dickdarm annehmen, wo sie freilich fakultative Attribute sind. Es sei noch hinzugefügt, dass die Alternative einer Anwendung von dick N/ N auf häutnicht praktikabel wäre, da häutkein Nomen sondern ein Nominalstamm bzw. eine Ableitungsbasis ist, wie man auch am Umlaut-ä erkennt. Darüber hinaus könnte dick auch nicht auf -häuter angewendet werden, da es sich lediglich auf Haut bezieht, so wie in Bildungen des Typs Schönredner die adverbiale Komponente nur das Verbum reden, nicht aber das Nomen Redner determiniert. In allen diesen Fällen wird also durch die Funktionskomposition eine morphologisch abgeschlossene Wortform erzeugt, die als Konstituente der Gesamtkonstruktion gesehen wird, obgleich sie keiner Konstituente der jeweils zugrundeliegenden syntaktischen Struktur entspricht. III.2. Zur Satzsemantik III.2.1. Bedeutung und Referenz des Satzes Wie bereits angemerkt hat ein Modell der menschlichen Sprache zu zeigen, auf welche Weise die abstrakten syntaktischen Kategorien und Strukturen Inhalte vermitteln und zum Ausdruck bringen, wie sie sich also ihrer eigentlichen Aufgabe entledigen. Dies ist für den Bereich der <?page no="140"?> 132 Satz-Syntax von besonderem Interesse, da der Satz explizit unsere Interpretation des von uns Wahrgenommenen wiedergibt. So wie der Akt der Bezeichnung eines Objektes immer eine Interpretation und Klassifikation des Bezeichneten durch den Sprecher voraussetzt, so stellt die Formulierung eines Satzes eine explizite Beurteilung einer Gegebenheit dar, da der (Aussage-)Satz die Struktur und die Funktion eines Urteils hat, in dem einem Subjekt(-Denotat) ein bestimmtes Prädikat zugesprochen wird. Die sprachliche Wiedergabe von Realität im weitesten Sinn vollzieht sich grundsätzlich durch ein Urteil. Die bewusste Wahrnehmung und damit die Interpretation einer Gegebenheit besteht daher zunächst darin, in das Wahrgenommene eine Subjekt-Prädikat- oder auch Thema-Rhema-Struktur hineinzulesen und es so in zwei Konstituenten zu zerlegen: in eine, über die etwas gesagt wird und eine, mittels derer etwas darüber gesagt wird - außersprachlich formuliert: in ein Substrat oder eine Basis und einen Vorgang oder Zustand, der sich an dieser Basis manifestiert. Es ist dies also ein strukturschaffender und sinnerzeugender kreativer Prozess. Der so geformten Wahrnehmung und Interpretation entspricht die semantische Struktur eines Satzes, seine Bedeutung, während das vom Sprecher Wahrgenommene und Beurteilte als Referenz des Satzes im Sinne der Gegebenheit, auf die sich das Urteil bezieht, gesehen werden kann. In Analogie zum semiotischen Dreieck der lexikalischen Semantik ist die Form-Inhalt-Beziehung des Satzes graphisch folgendermaßen darstellbar: Urteil Satz Gegebenheit Die wahrzunehmende Gegebenheit kann von verschiedenen Sprechern unterschiedlich interpretiert und beurteilt oder zumindest anders formuliert werden, wie z.B im Fall einer sprachlichen Alternative des Typs Alberta ging Brigitte voran oder Brigitte folgte Alberta nach. Dabei ist die Frage, ob eine Interpretation des Wahrnehmungsgegenstandes durch einen Sprecher in irgendeinem objektiven Sinn zutreffend ist oder nicht - und damit allgemein die Frage der Wahrheit einer Aussage - linguistisch zunächst ohne Belang. Rein sprachlich betrachtet kann man sogar behaupten, dass die Funktion von Aussagesätzen darin besteht, die Wahrheit bzw. Tatsachen mitzuteilen - jedenfalls das, was der Sprecher dafür hält; es sei denn, er verfälscht diese Funktion bewusst, indem er die Unwahrheit sagt, um dem Adressaten die Wahrheit vorzuenthalten. <?page no="141"?> 133 Andererseits ist das Verhältnis von außersprachlicher Realität und deren Wahrnehmung, Interpretation und Versprachlichung natürlich nicht beliebig und rein subjektiv, da die Bedeutung eines Satzes die Bandbreite der in seinem Sinne interpretierbaren Gegebenheiten einschränkt und diese auch nicht jede Deutung zulassen. Eine diesbezügliche intersubjektive Übereinstimmung hängt im Einzelfall auch von der mehr oder weniger exakten Definition der Satzbedeutung und ihrer Teile ab. Aus dem Umstand, dass diese Bedeutungen und Bedeutungsstrukturen ihrerseits bestimmten menschlichen Wahrnehmungsmustern entsprechen (etwa der ausgeprägte Anthropozentrismus), ergibt sich das dialektische Verhältnis von Sprache und Wahrnehmung respektive von Sprache und Denken. Die Sprache gibt unsere Wahrnehmungen wieder und unsere Wahrnehmungen sind sprachlich konditioniert. Als Ausgangspunkt dieser Dialektik mag man folgende Situation ansehen: Will man sinnliche Wahrnehmungen sprachlich wiedergeben und vermitteln, ist man durch das eindimensional-lineare Medium der Laute gezwungen, die komplexe außersprachliche Realität intellektuell in einzelne Bestandteile zu zergliedern und wenigstens zwei Grundklassen von Entitäten, nämlich Objekte und Eigenschaften, zu schaffen und auseinanderzuhalten. Zur Referenz des Satzes im Sinne seiner Extension lässt sich nun vorläufig Folgendes sagen: Die Extension eines Satzes wie etwa Ein Kind hat einen Hund geärgert ist die Menge der Gegebenheiten, die durch diesen Satz wiedergegeben und mitgeteilt werden kann. Mit anderen Worten die Menge der Gegebenheiten, auf die dieser Satz zutrifft, bezüglich derer er wahr ist und - noch einmal anders gewendet - die Menge der Gegebenheiten, die im Sinne der Bedeutung dieses Satzes interpretierbar sind. Die Frage jedoch, ob dieser Satz im Falle einer konkreten Äußerung zutreffend ist oder nicht, ob sich der Sprecher möglicherweise in seiner Wahrnehmung getäuscht oder aber die sprachlichen Ausdrücke nicht richtig verwendet hat, ist im Prinzip linguistisch nicht relevant. Der Linguist geht zunächst einfach davon aus, dass ein Sprecher der Ansicht ist, der mit einem Satz im Sinne seiner Bedeutung mitgeteilte Sachverhalt sei der Fall. Das Verhältnis des Satzes zu seiner Extension entspricht allerdings nicht der des Wortes zu seinem Denotat. Der Satz ist keine Bezeichnung im Sinne eines Namens eines Sachverhaltes, mit einem Satz werden keine Gegebenheiten benannt und man sollte daher besser nicht von seinem Denotat sprechen. Der Satz ist kein statisches auf eine Entität bezogenes Symbol, sondern ein expliziter Urteilsakt, der Wahrgenommenes interpretiert und damit dessen Existenz behauptet und mitteilt. In diesem kreativen Akt wird Realität widergespiegelt oder nachgebildet, indem sie als bewusste Wahrnehmung eines Sprechers präsentiert wird. <?page no="142"?> 134 Dass sich auch die Logiker mit dieser Frage schwer tun, zeigt der bekannte Vorschlag von Richard Montague (1974), als Extension des Satzes seinen Wahrheitswert anzusetzen. Aus den genannten Gründen ist eine solche Definition für den Linguisten kaum brauchbar, da die Werte „wahr“ und „falsch“ zunächst keine linguistisch bzw. innersprachlich relevanten Merkmale sind. Allenfalls wäre an die Wahrheitsbedingungen von Sätzen zu denken, wie z.B. die Wahrheitspräsupposition der von faktiven Verben abhängigen Nebensätze, wie in Ich bedaure (nicht), dass ich zu viel getrunken habe. Aber auch hier geht es nicht eigentlich um die Frage, ob der Nebensatz tatsächlich wahr ist oder nicht, sondern darum, dass der Satz sinnlos wäre, falls der Nebensatz nicht ein Faktum wiedergäbe, da man nicht etwas bedauern kann, was nicht geschehen ist. III.2.2. Bedeutung und Referenz von Prädikaten Das entscheidende Element des Satzes ist das Prädikat, das die Ebene des Bezeichnens oder Nennens mit der des Sagens verbindet. Eine Form wie dtsch. schreib-t vereinigt die beiden semiotischen Grundfunktionen in sich: Der Stamm bezeichnet eine bestimmte Art von Tätigkeit, während die Endung die Verbindung zu einem Subjekt herstellt und so für den Akt der Prädikation verantwortlich ist. Das Prädikat spricht dem Denotat einer Nominalphrase die durch seinen Stamm bezeichnete Tätigkeit quasi als Eigenschaft zu. Diese beiden Komponenten werden in Konstruktionen wie lat. Caesar est currens oder engl. he is running syntaktisch auseinandergelegt (cf. II.3.2.). Aufgrund dieser hybriden semantischen Struktur ist die Frage nach der Extension des Ausdrucktyps hier noch schwerer zu beantworten. Die formale Logik und speziell die modelltheoretische Semantik definiert die Extension eines derartigen einstelligen Prädikats als die Menge der Elemente aus einem Individuenbereich oder Universum U, auf die das Prädikat zutrifft. So wäre die Extension unseres Prädikates schreibt die Menge aller Individuen in U, die schreiben. Die aus der Absicht einer mengentheoretischen Interpretation sprachlicher Ausdruckskategorien entstandene Definition ist aber zumindest kontraintuitiv, da das Prädikat, wie das kategorialgrammatische Symbol S/ NP verdeutlicht, ein Ausdruck ist, dem gerade eine Nominalphrase fehlt. Die Form schreibt ist zum einen Träger eines Prädikationsaktes, d.h. Instrument zu dessen Ausführung, und denotiert zum anderen eine Tätigkeit, eine actio, nicht jedoch deren Agens. Da das Prädikat nur ein Teil des Satzes ist, gibt es freilich auch keinen Sachverhalt wieder, der als seine Referenz zu betrachten wäre. Mittels des Prädikates wird eine Eigenschaft zugeordnet, weshalb die Zuordnungen, die mit ihm wiedergegeben werden können, möglicherweise als seine Referenz anzusetzen <?page no="143"?> 135 wären. Wesentlich für den Linguisten ist jedoch die Tatsache, dass das Prädikat zwei denotierende Ausdrücke, nämlich eine Tätigkeitsbezeichnung und ein Subjekt miteinander in Beziehung setzt und dabei ein Urteil produziert, wie eben durch das Symbol S/ NP angezeigt wird. Es bildet mit einem Grundausdruck der Kategorie NP einen solchen der Kategorie S, und semantisch mit einer Entität einen Sachverhalt. Für ein Modell der natürlichen Sprache ist es erforderlich, die sprachlichen Zeichen in ihrer jeweiligen konkreten Verfasstheit zu repräsentieren und sich nicht beliebig davon zu lösen. Die Kombination von Stamm und Endung macht also aus der Bezeichnung einer Tätigkeit schreibdie Bezeichnung einer Eigenschaft des jeweiligen Subjektdenotats. In einem Satz wie Susi schreib-t wird dann mitgeteilt, dass sich die Tätigkeit des Schreibens an der Person Susi manifestiert und als deren Eigenschaft oder Attribut im weitesten Sinn existiert. Sprache funktioniert im Sprechen also mittels des Prädikates als Träger eines Urteilsaktes und damit einer Existenzbehauptung, die direkt oder indirekt für den Zeitpunkt des Sprechaktes Gültigkeit beansprucht. Deshalb enthalten Prädikate (Zeitwörter) auch grundsätzlich einen Zeitparameter, da man kein Urteil fällen kann, ohne den Zeitpunkt anzugeben, zu dem der mitgeteilte Sachverhalt besteht. Prädikate und Sätze sind daher sprachliche Zeichen einer besonderen Natur, nämlich Instrumente zur Wiedergabe und Mitteilung von Existenz respektive von Wahrheit vermittels der Beurteilung von Realität durch einen Sprecher - wobei es, wie schon bemerkt, zunächst allein um die Wahrheit des Sprechers geht. Zumindest indirekt haben alle Sprechakte mit Existenz und mit Wahrheit als deren sprachlichem Pendant zu tun. Eine Frage Schreibt Susi? fragt nach der Wahrheit des Satzes Susi schreibt und ein Befehl Schreibe! befiehlt die Realisierung eines durch Du schreibst wiederzugebenden Sachverhaltes. Diese Existenz-Komponente geht verloren, wenn dem Satz die Sprechaktfunktion abhanden kommt und er nur noch ein sprachliches Interpretationsmuster oder einen Sachverhaltstyp darstellt, über dessen Bestehen allenfalls durch den jeweils übergeordneten Satz etwas mitgeteilt wird, wie in Ich glaube nicht, dass Susi schreibt, mit der Bedeutung ‚Ich glaube nicht, dass ein als Susi schreibt zu interpretierender Vorgang stattfindet’. Das direkte Objekt des Hauptsatzverbums, dass Susi schreibt, wird nun zur Vorgangsbezeichnung und ist deshalb im Unterschied zum unabhängigen Satz ein denotierender Ausdruck, so wie etwa das entsprechende Pronomen in Das glaube ich nicht oder das nominalisierte das Schreiben von Susi. Die Konjunktion dass ist also ein Funktor, der einem Satz die Selbständigkeit nimmt, indem er ihn seines Sprechaktcharakters beraubt. <?page no="144"?> 136 Ein aus dieser Formulierung sich ergebender allgemeinerer Aspekt sei hier noch einmal angesprochen. Wenn ein Funktor wie dass NPS/ S aus einer Behauptung eine Bezeichnung macht, wird die Priorität des Sprechens gegenüber dem Bezeichnen und Benennen erkennbar. Die Funktion der Sprache ist Mitteilung und Kommunikation, also das Sprechen über die Welt, wofür denotierende Ausdrücke mittels eines expliziten oder impliziten Prädikats zu Sätzen mit einem bestimmten Sinn zusammengefügt werden. Der Zweck des Bezeichnens und des Gebrauchs von Bezeichnungen ist, wie alles andere in der Sprache auch, Mitteilung im weitesten Sinne; Bezeichnungen kommen immer als Konstituenten von Mitteilungs- oder anderen Sprechakten vor. Darüber hinaus entstehen Bezeichnungen durch Bezeichnungsakte in Form von Mitteilungen, wie etwa Dies ist eine Videokamera, deren Nominalphrase als Prädikatsnomen erscheint. Bei dem durch dieses Nomen bezeichneten Objekt handelt es sich um etwas, was eine Videokamera ist, also um etwas, dem die Kategorie Videokamera zugesprochen wurde. So begründet sich ja auch der Kopf-Status des Artikels in der Nominalphrase eine Videokamera, die durch ‚ein X, das eine Videokamera ist / ein X aus der Klasse der Videokameras’ expliziert werden kann - in der Kategorialgrammatik in Form des Symbols NP/ N, in dem das Nomen als Komplement des Artikels definiert ist. Das Nennen ist somit aus dem Sagen hervorgegangen und auch stets in dieses eingebettet. Man könnte auch behaupten, das Nennen oder Bezeichnen sei ein impliziter Urteilsakt, der auf einen entsprechenden expliziten Akt zurückzuführen ist. Die Proposition oder der Satzinhalt - wie immer man diesen auch fassen mag - ist daher nicht prioritär gegenüber der Illokution, und Sprechen kann genau genommen nicht als das Beziehen eines illokutionären Aktes auf eine Proposition verstanden werden. Es verhält sich, wie gesagt, vielmehr so, dass die Proposition ein seiner illokutionären Kraft, d.h. seiner assertiven Funktion beraubter Satz ist, mit dem Sachverhaltsbezeichnungen des Typs dass+S gebildet werden können. Man kann bei der Analyse der natürlichen Sprache nicht hinter das Sprechen im Sinne der Mitteilung zurück. So ist es auch problematisch, mit der Sprechakttheorie einen propositionalen Akt des Prädizierens anzunehmen, der als Zusprechen von Eigenschaften definiert wird, jedoch noch keinen illokutiven Akt darstellt. Es gibt aber kein der Illokution quasi vorausgehendes Zusprechen von Eigenschaften, ohne Behauptung, keine Prädikation ohne Illokution, es sei denn diese wird post festum neutralisiert, wie eben in einem untergeordneten Satz oder einer metasprachlichen Unterordnung der Art Der Satz / die Behauptung ‚Susi schreibt’ ist unzutreffend. Zur Frage der Extension von Prädikaten ist an dieser Stelle noch Folgendes zu bemerken: Ebensowenig wie die Extension eines einstelligen <?page no="145"?> 137 Prädikates linguistisch als Menge der Objekte zu sehen ist, auf die das Prädikat zutrifft, ist die Extension eines zweistelligen Verbums die Menge von geordneten Paaren, deren Teile in der von dem Prädikat ausgedrückten Relation stehen. Liest bzw. lesen denotiert keine Paare von Objekten, sondern meint eine u.a. auf ein Buch gerichtete Tätigkeit, die einer Person als Eigenschaft zugesprochen werden kann: Eckhart liest Schundromane. Die Extension von lesen ist die Menge der Tätigkeiten, die dieses Verbum bezeichnet. Zwei Aspekte werden hier miteinander vermengt: Ein Verbum wie lesen bildet zwar Paare, denotiert diese aber nicht, sondern bezieht sich nur indirekt über sein Objekt und sein Subjekt auf sie, weshalb man von indirekter oder vermittelter Extension sprechen kann. Hier ist die Diskrepanz zwischen modelltheoretischer Semantik und allgemeiner Intuition besonders krass; denn noch weniger als beim einstelligen Prädikat würde man die Bestandteile eines Paares mit der sie verbindenden Relation identifizieren. Eine solche referenzsemantische Projektion von Funktorausdrücken auf Mengen von Individuen ist linguistisch in dieser einfachen Form also nicht wirklich von Interesse. III.2.3. Bedeutung und Referenz von Attributen Wir haben gefordert, dass die Symbole der syntaktischen Kategorien auch den jeweiligen semantischen Typ eines sprachlichen Ausdrucks darstellen sollten - wie dies in der Kategorialgrammatik geschieht. Die Symbole für sprachliche Funktoren sollen daher zugleich einen syntaktischen und einen semantischen Kombinationsprozess repräsentieren. Der gerade behandelten Kategorie des Prädikats verwandt ist das Attribut des Typs X/ X, was auf syntaktischer Ebene besagt, dass mit einem Ausdruck der Kategorie X wieder ein (komplexer) Ausdruck dieser Kategorie gebildet wird und die Kategorie des Ausdrucks somit konstant bleibt. So ist, wie bereits gezeigt, ein ital. casa ein Nomen, und das Syntagma casa rossa ist ebenfalls ein (komplexes) Nomen - wir nennen es Nominal -, das dann mittels eines Artikels zu einem Ausdruck der Kategorie NP und damit zu einem Satzglied werden kann: (la NP/ N (casa N rossa N/ N ) N ) NP . Dieses Beispiel ist insofern historisch, als es bereits Edmund Husserl in seinen Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis (1913, S. 339) verwendet: „Zu je einer nominalen Bedeutung S und je einer adjektivischen p gehört die primitive Form Sp (z.B. rotes Haus ), gesetzlich ist das Resultat eine neue Bedeutung der Kategorie nominale Bedeutung“. Dies ist nun insofern auch für die semantische Ebene gültig, als mit casa rossa eine Untermenge der mit casa bezeichneten Objekte gemeint ist und man somit innerhalb derselben Objektklasse und desselben Typus einer noch nicht quantifizierten offenen Menge bleibt - im Unterschied zu <?page no="146"?> 138 quantifizierten Nominalphrasen wie la / una casa rossa oder undici case rosse. Die Notation N/ N für Adjektive macht deutlich, dass es um ein Verhältnis zwischen Klassen von Objekten geht, und das Adjektiv ein Ausdruck ist, der mit einer Objektklasse casa, d.h. mit deren Bezeichnung, wieder eine Objektklasse bildet, und zwar eine inhaltlich komplexere Teilklasse casa rossa. Daraus folgt auch, dass ein Adjektiv nicht imstande ist, allein eine Menge zu denotieren, sondern immer nur im Verbund mit einer nominalen Mengenbezeichnung. Das Symbol N/ N ist auch so zu explizieren, dass das Adjektiv und allgemein Nominalattribute Ausdrükke sind, denen auf syntaktischer Ebene ein Nomen fehlt, um ein (komplexes) Nomen zu bilden, so wie ihnen, semantisch gesprochen, eine Mengenbezeichnung fehlt, um mit dieser die Bezeichnung einer (Teil-)Menge zu bilden. N/ N ist sozusagen eine (unvollständige) Mengenbezeichnung, der (noch) eine Mengenbezeichnung fehlt. Dass Adjektive Funktoren sind, denen die Bezugs- oder Basismenge fehlt, korrespondiert mit der Vorstellung, dass Adjektive die Eigenschaft eines Objekts als Akzidens einer Substanz wiedergeben. Da das Adjektiv im Unterschied zum Nomen ein Ausdruck ist, mit dem man sich nur indirekt über eine Eigenschaft auf ein Objekt beziehen kann, ist die Vorgangsweise der Prädikatenlogik beziehungsweise der modelltheoretischen Semantik, die als Extension von Adjektiven wie von Nomina (Teil-)Mengen von Individuen annehmen, nicht sprachgerecht. Eigenschaften und Objekte werden in der natürlichen Sprache diesbezüglich unterschiedlich behandelt, und Adjektive denotieren keine Objekte, da ihnen eine Objektbezeichnung, wie das Symbol N/ N erkennen lässt, ja gerade fehlt. Die Gleichsetzung von Eigenschaft und Eigenschaftsträger in Definitionen wie: die Extension von rot ist die Menge der roten Objekte, also der Objekte, auf die das Prädikat (ist) rot zutrifft, entspricht der sprachlichen Intuition ebensowenig wie die Vorstellung (cf. III.2.2.), dass die Extension eines Prädikats wie spricht die Menge aller Individuen sei, die sprechen, auf die also dieses Prädikat zutrifft. Adjektive bezeichnen vielmehr Eigenschaften und bilden damit Teilmengen, also Mengen, deren Elemente sich durch eine gemeinsame Eigenschaft von der jeweiligen Komplementmenge unterscheiden. In einem Nominal wie rote Häuser werden werden dem Denotat des Nomens ja keine (roten) Objekte zugeordnet, sondern eben die Eigenschaft rot. Als Bezeichnung von Individuen können Adjektive nur in nominalisierter Form dienen, also etwa die Schwarzen wie die Roten oder die Blauen als Mitglieder bestimmter politischer Parteien. Handelt es sich lediglich um Ellipsen des Basisnomens, wie in der Nominalphrase die schwarzen Sessel und die roten, denotieren die Adjektive selbst keine Objekte. In dem Paar jugendliche Deutsche vs. deutsche Jugendliche werden die gleichen Lexeme <?page no="147"?> 139 einmal als Adjektiv und einmal als Nominalphrase verwendet. Mit anderen Worten: Adjektive bezeichnen nicht Teilmengen von Objekten, sondern bilden zusammen mit einem Nomen Bezeichnungen für solche Teilmengen. Die Beantwortung der Frage, wie Attribute oder Prädikate mengentheoretisch interpretiert werden könnten, d.h. welche Art von „Objekten“ sie bezeichnen, ist aber vermutlich kein dringendes linguistisches Anliegen, jedenfalls müßte ihre Relevanz für Beschreibung und Verständnis natürlicher Sprache dargelegt werden. Damit soll freilich nicht in Abrede gestellt werden, dass die Berücksichtigung dieser Diskussion innerhalb der Logik und der modelltheoretischen Semantik auch für den Linguisten erhellend und nützlich sein kann, da dadurch nicht zuletzt die spezifischen Merkmale der natürlichen Sprache deutlicher hervortreten. Eine Homogenisierung unterschiedlicher in natürlichen Sprachen vorkommender Ausdrucksklassen unter dem Zwang einer Repräsentation im Rahmen einer formalen Logik wäre der linguistischen Sache allerdings nicht dienlich. Dies ist jedoch der Fall, wenn in der Prädikatenlogik Nomina (Gattungsnamen) und Adjektive wie Verben bzw. Verbalphrasen als Prädikate gefasst und ihre Extensionen als Mengen von Individuen betrachtet werden, auf die die Prädikate zutreffen. Nomina und Adjektive / Attribute sind keine Prädikate, obwohl sie auf Prädikationen zurückzuführen sind, wie wir oben gezeigt haben. Die Verwendung eines Nomens wie Haus in einem Satz Katja kauft ein Haus setzt eine Prädikation voraus, wie aus der Paraphrase Katja kauft etwas, das ein Haus ist zu ersehen ist. D.h. Haus nennt man etwas, das ein Haus ist, ohne dies mit der Nennung explizit zu behaupten. Analoges gilt für Adjektive wie in dem Nominal rotes Haus, das die Prädikation Haus, das rot ist respektive das Haus ist rot voraussetzt aber nicht aktuell vollzieht. Sowohl Nomen als auch Adjektiv sind denotierende Ausdrücke, wobei ersteres der Name eines Objektes ist und letzteres die Bezeichnung der Qualität eines Objekts, das schon einen Namen hat. Das Nomen bezeichnet das Was eines Objektes, das Adjektiv hingegen das Wie oder Ähnliches. Ein Prädikat ist ein Attribut mit einer pragmatischen, prädikativen Komponente und ein Adjektiv ist ein Nomen ohne direkten Objektbezug, jedenfalls ein Ausdruck, dem ein Nomen fehlt. Diesen Mangel hat das Adjektiv (N/ N) mit dem Prädikat (S/ NP) gemein, während es mit dem Nomen die denotierende Funktion teilt, da es nicht selbst prädiziert (vgl. hierzu etwa auch dtsch. Kranker / krank / kranken). Nomina bezeichnen also Objekte direkt, während sich Adjektive nur indirekt über ein Nomen auf Objekte beziehen, und zwar auf solche, die die vom Adjektiv bezeichnete Eigenschaft besitzen. In diesem indirekten Sinne konstituieren auch Adjektive (Teil-)Mengen von Objekten. Bei der <?page no="148"?> 140 Determination eines Nomens durch ein Adjektiv wird das Denotat des Nomens der Menge von Eigenschaftsträgern zugeordnet, die durch das Adjektiv indirekt konstituiert wird. So sind rote Häuser eine Teilmenge der Objekte mit der Eigenschaft rot und gleichzeitig natürlich eine Teilmenge der Häuser, also - wenn man so will - die Schnittmenge der Häuser und der roten Objekte. Die Grundmenge dieser Schnittmenge wird syntaktisch durch den nominalen Kopf Häuser wiedergegeben und semantisch betrachtet durch die Objektbezeichnung, da der komplexe Gesamtausdruck rote Häuser ja wiederum eine Objekt- und keine Eigenschaftsbezeichnung ist. Entsprechendes gilt für Prädikate: In einem Satz wie Die Kinder spielen wird mitgeteilt, dass diese Kinder eine Teilmenge derjenigen Lebewesen sind, die spielen, d.h. auf die das Prädikat (sie) spielen zutrifft; das Subjektdenotat wird der Menge der Spielenden zugewiesen. Auch das Prädikat bezieht sich also über eine Objektbezeichnung auf eine Menge und konstituiert somit indirekt eine Menge, ohne diese unmittelbar zu denotieren. Freilich produziert ein Prädikat mit einer Objektbezeichnung nicht wieder eine (komplexe) Objektbezeichnung und damit eine Schnittmenge, wie etwa spielende Kinder, sondern es ordnet sich als Kopffunktor die Gesamtheit des jeweiligen Subjektdenotats unter und spricht diesem eine Eigenschaft im weitesten Sinne zu. Dependensfunktoren wie die attributiven Adjektive indessen schneiden sich jeweils einen Teil des Denotats ihres Kopfes heraus. Hier zeigt sich wieder das von uns als Subjektparadox (vgl. II.3.4.) bezeichnete Phänomen, das dadurch entsteht, dass das Subjekt einerseits Determinatum der attributiven Komponente des Prädikates ist, andererseits jedoch Komplement des Prädikats als solchem. Als Attribute von Verben bezeichnen Adverbien Eigenschaften von Vorgängen und Zuständen. Wenn wir davon ausgehen, dass Prädikate (S/ NP) Eigenschaften sind, dann bezeichnen Adverbien Eigenschaften von Eigenschaften, wie an der Form des komplexen Symbols (S/ NP)/ (S/ NP) zu erkennen ist. Das bedeutet, dass Adverbien nicht direkt Eigenschaften von Objekten bezeichnen können, sondern nur indirekt über eine Bezeichnung von Objekteigenschaften, also über ein Verbum (oder ein Adjektiv). In einem Satz wie Les élèves écrivent rapidement ‚Die Schüler schreiben schnell’ wird durch das Adverb keine Eigenschaft der Schüler bezeichnet, sondern eine Eigenschaft der von ihnen ausgeführten Handlung; nur gemeinsam mit dem Prädikat écrivent bezeichnet rapidement eine Objekteigenschaft. Adverbien bezeichnen auch nicht direkt Vorgänge oder Zustände, sondern beziehen sich nur indirekt auf solche; in diesem Sinne konstituieren Adverbien (Teil-)Mengen von Vorgängen oder Zuständen. Es lässt sich also generell feststellen, dass Attribute der Kategorie X/ X nicht denselben Denotattyp haben wie ihr Kom- <?page no="149"?> 141 plement X und sich nur indirekt über dieses Komplement auf dessen Denotat beziehen. Dies gilt aber auch für das Prädikat (S/ NP), das keine Objekte bezeichnet und sich nur indirekt auf solche bezieht, indem es ihnen eine Eigenschaft zuspricht. Die Realisierung des Inhalts solcher Ausdrücke ist grundsätzlich auf die Existenz eines Eigenschaftsträgers angewiesen. Das Denotat dieser Attribute sind Eigenschaften, durch die sich eine Menge von Entitäten von ihrer Obermenge unterscheidet; denn eine Eigenschaft kommt einer Entität immer in Relation zu den übrigen Vertretern ihrer Klasse zu, die diese Eigenschaft nicht besitzen. Adjektive können daher als Funktionen von der Menge der Substantiv-Extensionen (Objekte) in sich beschrieben werden (N/ N), während Adverbien als Funktionen von Verb-Extensionen (Eigenschaften) in sich zu fassen sind ((S/ NP)/ (S/ NP) bzw. V/ V). Als Attribute fungieren darüber hinaus auch Präpositionalphrasen (cf. II.3.1.2.), sei es als Nominalattribute des Typs N/ N, wie in (Tee N (mit Milch) N/ N ) N , sei es als Adverbien des Typs V/ V wie in den Tee ((mit Milch) V/ V trinken V ) V . Präpositionen haben also semantisch gesprochen die Funktion, mit Objektbezeichnungen Eigenschaftsbezeichnungen zu bilden und repräsentieren somit Teile von Eigenschaften; die Relation zu einem bestimmten Objekt j wird als Eigenschaft irgendeines Objektes i dargestellt. Die durch die Präposition ausgedrückte Relation wird dabei durch die jeweilige Nominalphrase spezifiziert. Auch diesbezüglich ist zu bemerken, dass eine Präpositionalphrase wie im Garten eine Eigenschaft von Objekten (Haus im Garten) oder Vorgängen und Zuständen (im Garten essen) bezeichnet und sich damit indirekt auf das Denotat des determinierten Nomens oder Verbums bezieht. D.h. die PP im Garten bezeichnet eine Eigenschaft aller in einem Garten vorfindlichen Objekte, Vorgänge oder Zustände. Schließlich bezeichnen auch Adverbialsätze Eigenschaften und die entsprechenden Konjunktionen haben die Aufgabe, mit einem Satz in der Funktion einer Sachverhaltsbezeichnung die Bezeichnung der Eigenschaft eines Vorgangs oder Zustandes zu bilden. Auch Konjunktionen fungieren demnach so wie andere Relationsbezeichnungen als Kopfkonstituenten von Eigenschaftsbezeichnungen. So wird in einem Satz wie Sein Freund ging nach Hause, weil er müde war der Sachverhalt (dass) er müde war als determinierender näherer (Begleit-)Umstand des Nachhause-Gehens betrachtet. Noch deutlicher wird dies in einem Satz wie Sie spielte, wie sie es von ihm gelernt hatte, wo der durch den Hauptsatz ausgedrückte Vorgang durch den Nebensatz inhaltlich qualifiziert wird (cf. II.3.2.). Eine Ausnahme stellt die Konjunktion dass / que vom Typ NPS/ S dar, insofern sie keinen Attributsatz, sondern einen Komplementsatz einleitet. <?page no="150"?> 142 Es geht hier auch nicht eigentlich um die Wiedergabe einer zweistelligen Relation zwischen Haupt- und Nebensatz, sondern - analog dem bestimmten Artikel - um die Bildung einer satzförmigen Nominalphrase (NPS), also eines in sich abgeschlossenen Komplementtyps, jedenfalls nicht eines Attributes. Nur Grundausdrücken, wie NP oder S, kommt eine Qualität zu, die man als unmittelbare oder autonome Referenz bezeichnen kann, während Funktorausdrücke Eigenschaften bezeichnen oder einfach Teile von Eigenschafts- oder Objektbezeichnungen sind. In der kategorialgrammatischen Notation ist dies klar daran zu erkennen, dass ihnen prinzipiell eine Konstituente fehlt, die sie benötigen, um auf etwas zu referieren, sich auf etwas zu beziehen. Das gilt zunächst für Verben, Adjektive, Adverbien und Präpositionalphrasen, während Konjunktionen, Präpositionen und Relativpronomina Teile von Eigenschaftsbezeichnungen sind und Artikel, Quantoren u.dgl. sowie bestimmte Konjunktionen Teile von Objektbezeichnungen. Interessant ist dabei der Umstand, dass Ausdrücke desselben lexikalischen Inhalts in Abhängigkeit von ihrer Wortklasse über autonome Referenz verfügen oder nicht, was zeigt, dass selbst dieser Aspekt sprachabhängig ist (vgl. modi significandi unter I.). Im Unterschied etwa zum Verbum marschieren bzw. zum Prädikat marschiert, das keine autonome Referenz hat, bezeichnet Marsch unmittelbar eine Entität, auf die z.B. mit einem Artikel oder einem Demonstrativum hingewiesen, ein / der / dieser Marsch, und die auch quantifiziert werden kann, zwei Tagesmärsche. Dasselbe gilt für ein Adjektiv wie stark, dem keine autonome Referenz zukommt, im Unterschied zu dem davon abgeleiteten Nomen Stärke, das ein ideelles „Ding“ denotiert (Hypostase) und daher als eine bis zu einem gewissen Grad unabhängige Entität vorgestellt werden kann. Sprachlich zeigt sich dies auch daran, dass solche deverbalen und deadjektivischen Nomina beim Gebrauch nicht auf einen expliziten Eigenschaftsträger angewiesen sind, an dem sich die jeweilige Eigenschaft manifestiert, wie etwa in einem Es bedarf großer Stärke. Auch die andere in sich abgeschlossene Grundeinheit, nämlich der Satz, besitzt eine autonome Referenz und einen Referenten, den er aber, wie wir gesehen haben, nicht bezeichnet / denotiert, sondern - im Fall der Assertion - mitteilt. Genauer gesagt teilt ein Satz die Existenz einer Gegebenheit resp. eines Sachverhaltes mit. Mit Gegebenheit meinen wir das noch nicht interpretierte Objekt der Wahrnehmung, während der Terminus Sachverhalt immer schon eine Subjekt-Prädikat-Struktur impliziert und somit als die Referenz eines Satzes im engeren Sinne angesehen werden kann. Was wir mitteilen, ist eine in der bewussten Wahrnehmung bereits (sprachlich) interpretierte Gegebenheit. <?page no="151"?> 143 Im Zusammenhang mit der Kategorie des Satzes ist eine weitere Ausdrucksklasse zu erwähnen, die durch die kategorialgrammatische Notation als Attribut ausgewiesen wird, nämlich die sogenannten Satzadverbien, wie in: Überraschenderweise mangelt es ihnen an Taktgefühl. Satzadverbien sind Attribute des Satzes (S/ S) und bilden mit einem Satz wieder einen Satz, also mit einem Ausdruck, der sich auf eine Menge von Sachverhalten bezieht, einen Ausdruck, der eine Teilmenge dieser Sachverhalte wiedergibt. Dies wird deutlich, wenn der Satz nominalisiert und das Satzadverb entsprechend adjektiviert wird: ihr überraschender Mangel an Taktgefühl. Freilich hat dieses Adjektiv - ähnlich wie erfreulich, erstaunlich, bedauerlich u.dgl. - keine wirklich restriktive Funktion. Adjektive dieses Typs bezeichnen nämlich keine dem jeweiligen Determinatum inhärente Eigenschaft, aufgrund derer eine entsprechende Teilmenge gebildet würde, wie etwa in deutlicher / extremer Mangel an Taktgefühl. Ein Satz, der einen in sich abgeschlossenen Sachverhalt mitteilt, wie Es mangelt ihnen an Taktgefühl, kann aber nicht als ganzer inhaltlich modifiziert und restringiert werden; man kann allenfalls zur Realisierung des mitgeteilten Sachverhaltes Stellung nehmen. Dies gilt auch für die modalen Satzadverbien wie möglicherweise, vermutlich, wahrscheinlich in einem Satz wie: Möglicherweise mangelt es ihnen an Taktgefühl. Auch diese Adverbien bezeichnen keine inhärente Eigenschaft des Determinatums, also etwa des mitgeteilten Sachverhaltes, sondern schränken lediglich die Existenzbehauptung der Mitteilung ein. Eine inhärente, restriktive Eigenschaft wäre in diesem Kontext ein Merkmal, das einer Komponente des Satzes wie dem Prädikat oder einem Komplement zukommt, nicht aber dem ganzen Satz als solchem, wie z.B. in Es mangelt ihnen an Taktgefühl gegenüber den Mitbewohnern. Das was den Satz als ganzen ausmacht, ist gerade die Behauptung der Existenz eines Sachverhaltes und eben die kann durch ein Satzadverb bewertet und modifiziert werden. Folgende Explizierung mag dies verdeutlichen: ein Mangel an Taktgefühl ist leider / möglicherweise der Fall. Deshalb können Satzadverbien auch als Antworten auf Satzfragen verwendet werden: Kommt Edith mit? - Wahrscheinlich / Möglicherweise / Hoffentlich / Leider. Dass Sätze durch solche Satzadverbien nicht inhaltlich restringiert werden, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass sie in der zugrundeliegenden Struktur Komplemente des Prädikates sind, aus welchem das Satzadverb abgeleitet ist: Ich bedaure / bin überrascht, dass es ihnen an Taktgefühl mangelt. Auf dieser Ebene ist das Abhängigkeitsverhältnis umgekehrt und der Satz determiniert als Nebensatz das übergeordnete Prädikat oder hängt jedenfalls von ihm ab. Wenn nun der als wahr präsupponierte, von einem faktiven Prädikat wie bedauern abhängige Nebensatz oder der hinsichtlich seiner Existenz abgeschwächte, von ei- <?page no="152"?> 144 nem modalen Prädikat wie (es) ist möglich abhängige Nebensatz als Behauptung formuliert werden soll, geschieht dies in der Weise, dass der ursprüngliche verbale Kopffunktor des Satzes zu einem abhängigen adverbialen Determinans degradiert wird. Dies ist aber in erster Linie eine pragmatische Verschiebung und weniger eine semantische; denn die tiefenstrukturelle Abhängigkeit des zum Hauptsatz aufgewerteten Nebensatzes vom Satzadverb bzw. dem ihm zugrundeliegenden Prädikat ist durch diese Transformation nicht einfach aufgehoben. Es geht nur darum, daß der einen Sachverhalt bezeichnende dass-Satz zur Mitteilung aufgewertet wird und der ursprünglich mitteilende Hauptsatz zum denotierenden Adverb abgewertet. Das syntaktische Abhängigkeitsverhältnis wird also umgedreht und der ursprüngliche Kopffunktor wird zum Dependens-Funktor. So ist das untergeordnete Attribut S/ S aus einem regierenden Prädikat S/ NPS hervorgegangen. Unterordnung in diesem Sinne ist immer Unterordnung von Prädikaten oder Sätzen, sei es als Attribut, sei es als Komplement, wie im Fall des Komplementsatzes. Unterordnung bedeutet, mit anderen Worten, Verlust von Prädikativität und Verlust der Sprechaktfunktion, der illokutionären Kraft. Die Unterordnung von Prädikaten lässt sich allgemein formal so darstellen: Y/ X → X/ X, d.h. ein Kopffunktor des Typs Y/ X wird zum abhängigen Attribut seines Komplementes X, das seines ursprünglichen Komplementstatus verlustig geht, wie z.B. beim Übergang vom prädikativen zum attributiven Adjektiv: (i capelli NP (sono rossi) S/ NP ) S → (capelli N rossi N/ N ) N oder eben in: ((Ich bedaure) S/ / NPS (dass NPS/ S (sie geht) S ) NPS ) S → ((Ich bedaure dass) S/ S (sie geht) S ) S → (Bedauerlicherweise S/ S (geht sie) S ) S Wir haben hier das Satzadverb aus dem ihm zugrundeliegenden Prädikat formal wie folgt abgeleitet: Kategorial, so könnte man sagen, entspricht das Satzadverb bedauerlicherweise S/ S der Kombination von Hauptsatzprädikat und Konjunktion, also ich bedaure dass, bei der sich durch Funktionskomposition von S/ / NPS (ich bedaure) und NPS/ S (dass) ein Ausdruck der Kategorie S/ S ergibt: (ich bedaure dass) S/ S - quasi ‚ich bedaure das’. Analog gilt dies für ein (Es ist möglich dass) S/ S , das kategorial dem Adverb möglicherweise S/ S entspräche. Dadurch, dass die unterordnende Konjunktion dass per Funktionskomposition vom Nebensatz abgezogen wird, mutiert dieser wieder zum assertierenden Hauptsatz. Die prototypischen aus einem regierenden Prädikat abgeleiteten Attribute sind die Formen des Partizip Präsens wie in gli uomini ridenti ‚die <?page no="153"?> 145 lachenden Männer’; das Verbalparadigma selbst sieht also Formen mit dieser Funktion vor. Als determinierende Eigenschaftsbezeichnung greift ridenti aus der Menge der Männer, die Teilmenge heraus, auf die das Prädikat ridono ‚sie lachen’ zutrifft. Das finite Prädikat ridono in dem Satz Gli uomini ridono ‚Die Männer lachen’ determiniert hingegen nicht und seine Aufgabe besteht - wie schon bemerkt - darin, die durch die Subjekt- NP bereits etablierte Menge in ihrer Gesamtheit zu beureilen. Dies ergibt sich syntaktisch bereits daraus, dass das Subjekt kein Nomen, sondern eine extensional determinierte Nominalphrase und ein in sich abgeschlossenes Satzglied ist. Das Prädikat nimmt die Subjekt-NP als Komplement, ((gli NP/ N uomini N ) NP ridono S/ NP ) S , während das Partizip, das keinen Satzgliedstatus hat, nur das Nomen zu sich nimmt, um sich diesem unterzuordnen: (gli NP/ N (uomini N ridenti N/ N ) N ) NP . Attributive Teilmengenbildung geschieht also nur in Kombination mit Bezeichnungen für offene noch nicht quantifizierte Mengen, aus denen die Attribute ebensolche Teilklassen herausschneiden. Dies trifft entsprechend für adverbiale Attribute in einem Kontext wie Ernst redet langsam zu, wo sich zunächst eine offene Teilmenge oder Unterklasse (langsam V/ V reden V ) V bildet, die dann als Prädikat dem Subjektdenotat zugesprochen wird. Noch einmal zusammenfassend, lässt sich Folgendes festhalten: Wenn das Verbum seine illokutive Kraft verliert, wird der prädizierende Ausdruck zu einem denotierenden, die Prädikation, d.h. die Beurteilung, wird zur Determination und das Prädikat zum Determinans. Die Tatsache, dass das Prädikat bei diesem Funktionswandel vom Regens zum Dependens seinen Status als „aktiver“ Funktor (Determinans) beibehält, wird durch das kategorialgrammatische Symbol N/ N und allgemein X/ X sichtbar zum Ausdruck gebracht. Eigenschaftsbezeichnungen sind ja auch unter semantischem Aspekt gewissermaßen aktiv, indem sie auf der Basis eines unterscheidenden Merkmals eine Teilmenge aus dem Denotat ihrer Bezugseinheit herausgreifen. Ein Vertreter der Kategorie X/ X, z.B. N/ N, muss auch aus formalen Gründen aus einer ursprünglich übergeordneten Konstituente hervorgegangen sein, da er ein ganzes X, hier ein N, als Skopus hat. Man erkennt, wie das Prädikat dem Attribut und damit das Sagen dem Nennen auch pragmatisch vorausgehen; denn die Klasse der lachenden Männer wurde dadurch konstituiert, dass einer Menge von Männern das Prädikat (sie) lachen zugesprochen und sie damit als Teilmenge der Lachenden ausgewiesen wurde. Die Teilmenge wird immer durch das abhängige Element konstituiert, sei es ein (Subj.-)Komplement, sei es ein Attribut. Wandelt sich das Prädikat dann in dem Nominal lachende Männer zum abhängigen Determinans, konstituiert es selbst die Teilmenge und die durch den nominalen Kopf Männer bezeichnete Menge bildet die <?page no="154"?> 146 Grundmenge. Die lachenden Männer werden nun nicht mehr als Teilmenge der Lachenden präsentiert, sondern als Teilmenge der Männer. Der Satz unterscheidet sich - um dies noch einmal anders zu formulieren - von bezeichnenden Ausdrücken, wie etwa einem Nominal der Form Nomen+Adjektiv, grundsätzlich dadurch, dass sich das eine Eigenschaft zuweisende Prädikat dem Eigenschaftsträger syntaktisch nicht unterordnet und nicht von ihm abhängt. Es bildet also semantisch keine Teilmenge oder Unterklasse und bleibt nicht im Denotatbereich des Prädikationsgegenstandes, d.h. des Subjekts. Es schafft damit nicht einfach eine neue (komplexe) Bezeichnung, sondern es transzendiert den Eigenschaftsträger und ordnet ihn sich im Prädikationsakt semantisch und syntaktisch unter. Nimmt man bei dem Wandel Die Männer lachen lachende Männer die Zwischenstufe Männer, die lachen an, deren zweite Komponente sich vom Satz zum Nominalattribut entwickelt, kann man den Prozess auch als Funktionskomposition darstellen - hier im Singular: ((der NP/ N Mann N ) NP lacht S/ NP ) S Mann N (der NP/ N lacht S/ NP ) S/ N Das Prädikat (S/ NP) nimmt hier statt der Subjekt-NP lediglich deren Kopf, den definiten Artikel (NP/ N), zu sich und bildet mit diesem einen Ausdruck der Kategorie S/ N. Ein derartiges Gebilde ist jedoch nicht wohlgeformt, da N kein Satzglied ist, mit dem ein Satz produziert werden könnte; auch semantisch betrachtet denotiert ein Nomen ja keine abgeschlossene Menge. Ein fehlendes Nomen charakterisiert allenfalls einen Artikel oder eben ein Nominalattribut. Der das Nomen Mann regierende Ausdruck S/ N wird nun zum Attribut umfunktioniert, wobei N zum Wert der Funktion wird und der ganze Ausdruck folglich N/ N. In dem Attributsatz verliert das Verbum seinen Status als Kopffunktor und der ursprüngliche Artikel der übernimmt diese Funktion. Er erhält somit den Kategorientyp (N/ N)/ (S/ NP), also den eines Relativpronomens (vgl. aber auch III.1.10.1.): (Mann N (der (N/ N)/ (S/ NP) lacht S/ NP ) N/ N ) N . Dieser Prozess ist im übrigen nicht auf die formale Identität von bestimmtem Artikel und Relativpronomen im Deutschen angewiesen, sondern es kann von einem beliebigen und nicht notwendig expliziten Operator des Typs NP/ N ausgegangen werden, der mit einem Nomen eine Nominalphrase macht. Theoretisch könnte man auch folgende Ableitung annehmen: der Mann lacht → der ‚lacht-Mann’ (vgl. Wortbildungen wie die Lachmöwe / -taube) → der lachende Mann, s. auch III.4.4.). <?page no="155"?> 147 III.2.4. Bedeutung und Referenz von sog. Determinatoren Ausdrücke wie der bestimmte Artikel oder das Demonstrativum, in die / diese Frau(en), verweisen (deiktisch) auf definite Teilmengen inhaltlich nicht weiter spezifizierter und damit beliebiger Entitäten. Das als Komplement des Artikels fungierende Nomen Frauen bezeichnet dann die spezifische Klasse, der diese Teilmengen angehören (vgl. den sog. Lambda-Operator in der Prädikatenlogik: x [F(x)], mit dem solche Mengen bezeichnet werden). Es geht also nicht darum, aus einer bestimmten Grundmenge vermittels einer Eigenschaftsbezeichnung eine Teilmenge oder Unterklasse herauszugreifen, wie in unserem Nominal rote Häuser oder in emanzipierte Frauen. Mit einem solchen Determinator wird vielmehr auf einen abstrakten Teilmengen-Typ und potentielle Eigenschaftsträger verwiesen, und das Nomen benennt die spezielle Menge, deren Teilmenge diese Eigenschaftsträger sind - oder anders gesagt: das Nomen benennt eine Eigenschaft (hier Frauen), die den Elementen des jeweiligen Teilmengen-Typs zukommt. Kategorialgrammatisch gesprochen bildet der Artikel mit einem Klassennamen K die Bezeichnung einer quantifizierten Menge K’ aus K. Das Kopffunktor-Komplement-Verhältnis zwischen Determinator und Nomen (NP/ N) spiegelt die Tatsache wider, dass durch die Kombination ein Ausdruck einer anderen Kategorie entsteht; semantisch betrachtet geht es, wie gesagt, um die Überführung einer allgemeinen Klassenbezeichnung wie Frau(en) in die Bezeichnung einer irgendwie quantifizierten (Teil- )Menge wie die Frau(en) oder auch diese Frau(en). Durch die Adjungierung eines Attributes des Typs X/ X an ein Nomen hingegen entsteht aus einer allgemeinen Klassenbezeichnung wie Frauen wieder eine solche: emanzipierte Frauen. Attributartig ist allenfalls das Nomen Frauen in Bezug auf seinen Determinator die(se), ohne jedoch als echtes Attribut zu fungieren, da man nicht davon sprechen kann, dass die NP die(se) Frauen eine Teilmenge von die(se) bezeichnete. Die mögliche Explizierung der Nominalphrase die Frauen durch die Paraphrase diejenigen, die Frauen sind verdeutlicht aber, dass auch attributartige Gebilde auf eine prädikative Funktion zurückführbar sind. Demonstrativa unterscheiden sich dadurch vom definiten Artikel, dass sie pronominal, diese ProNP , und damit auch kontrastiv vewendet werden können: DIESE Frauen. Auch hier hat man es jedoch nicht mit einem Attribut des Nomens zu tun, da DIESE Frauen nicht eine Unterklasse von Frauen bezeichnet, sondern ebenfalls eine quantifizierte (Teil-)Menge von Entitäten, die der Klasse der Frauen zugehören. Mittels des Demonstrativums wird deiktisch auf eine bestimmte Menge von Entitäten hingewiesen, ohne ihnen damit eine spezifische konstante Eigenschaft zuzuord- <?page no="156"?> 148 nen. D.h. die Teilmenge ergibt sich nicht aus einem ihren Elementen inhärenten gemeinsamen Merkmal, sondern sie wird durch eine deiktische Geste als solche geschaffen. Gemeinsam ist den Elementen derartiger Mengen nur der Umstand, dass mit einem bestimmten Determinator auf sie hingewiesen wird und sie so zusammengefasst werden. Eine gemeinsame pragmatische Eigenschaft definiter Determinatoren resultiert auch aus der Annahme des Benutzers, dass das Denotat der Nominalphrase für den Adressaten identifizierbar ist und es daher so etwas wie das Merkmal [+ bekannt] trägt. Es sei in diesem Zusammenhang betont, dass deiktische Ausdrücke, durch die (Teil-)Mengen mittels einer Zeigegeste direkt identifiziert werden können, ein wesentliches Charakteristikum natürlicher Sprachen darstellen und in formalen Sprachen so nicht vorkommen. Analog strukturiert erscheinen Nominalphrasen, die von indefiniten Quantoren oder Kardinalzahlen eingeleitet sind, wie einige / manche / viele / elf Frauen. Auch hier geht es inhaltlich nicht darum, mittels eines Attributes eine Unterklasse des Substantivdenotats zu bezeichnen. Durch den Quantor wird vielmehr wiederum zunächst ein abstraktes System bzw. eine abstrakte Teilmenge von Entitäten konstituiert, um mit dem Nomen dann mitzuteilen, welcher Klasse diese Teilmenge im gegebenen Fall angehört. So etwa in einem Satz wie Einige / manche / viele Frauen verließen den Saal oder In dieser Gegend gibt es viele Pilze oder Dort lebten elf Männer. Solche Quantoren beziehen sich auf mehr oder weniger umfangreiche virtuelle Teilmengen beliebiger (zählbarer) Entitäten. Die pluralischen Quantoren machen besonders deutlich, dass wir es hier nicht mit teilmengenbildenden Determinantien des Nomens zu tun haben, da in einer Nominalphrase wie drei Frauen das Numerale ja nicht auf jede einzelne Frau zu beziehen ist, also kein gemeinsames Merkmal der drei Frauen sein kann, wie etwa das Adjektiv in emanzipierte Frauen. Es geht also nicht um die Teilmenge der Frauen, die „drei“ sind. Der Quantor bezeichnet allenfalls eine Eigenschaft der Menge als solcher, d.h. ihre Mächtigkeit, die etwa im Fall von viele vergleichsweise groß ist. Wenn auch hier kein den Elementen der Menge gemeinsames inhärentes Merkmal bezeichnet wird, dann besteht ihre differentielle Gemeinsamkeit zunächst nur in dem Umstand, dass sie als Element z.B. einer Dreiermenge gefasst und präsentiert werden. Die syntaktisch-semantische Besonderheit all dieser Nominalphrasen besteht darin, dass Kopf und Komplement - also etwa Artikel (NP/ N) und Nomen (N) - im Prinzip den gleichen Denotattyp haben, nämlich irgendwelche Dinge, wie z.B. in die(se) Stühle. Da diese Situation eigentlich für die Kopf-Attribut-Relation charakteristisch ist, besteht auch kein wirkliches Rektionsverhältnis zwischen Artikel, Demonstrativum, Quantor etc. und Nomen. Wie wir sehen konnten, ist das zweite Element eher <?page no="157"?> 149 so etwas wie ein Prädikatsnomen: diese Stühle ← diese Objekte, die Stühle sind oder drei Bayern ← drei, die Bayern sind. Da aber andererseits auch kein reines Attributverhältnis vorliegt, haben wir es mit einem diesbezüglich hybriden Relations- und Konstruktionstypus zu tun. Ausdruck dessen ist die Tatsache, dass der Quantor häufig gerade nicht als morphosyntaktisch regierender Kopf auftritt, wie etwa in frz. beaucoup de / peu de Bavarois, sondern als kongruierender Begleiter des Nomens, wie in ital. molti / pochi bavaresi oder dtsch. viele / wenige Bayern, wo das Nomen kongruenzmorphologisch sogar als Regens erscheint. Um die Eigenart von solchen Funktorköpfen sowie von Artikeln, Demonstrativa u.dgl. zu explizieren, kann man von kongruierenden Köpfen sprechen. Auf semantischer Ebene ist der Unterschied zwischen Attribution und Rektion bzw. zwischen Attribut und Komplement allgemein so zu beschreiben: Wenn einer Teilmenge des Denotats eines Ausdrucks A mittels eines Ausdrucks B ein unterscheidendes Merkmal zugeordnet werden kann, müssen A und B irgendwelche inhaltlichen Gemeinsamkeiten aufweisen und mithin einer gemeinsamen Obermenge zuzuordnen sein. So beziehen sich die Konstituenten der NP freundliche Verkäufer auf verschiedene Teilmengen der Gattung Mensch und diejenigen der NP grüne Dächer auf verschiedene Teilmengen von (konkreten) Objekten. Auch wenn man davon ausgeht, dass sich Adjektive nur indirekt auf Objekte beziehen (cf. III.2.3.), kann man nun sagen, dass das Denotat dieser Nominalphrasen der Schnittmenge (A B) der freundlichen Menschen und der Verkäufer respektive der roten Objekte und der Dächer entspricht, wobei Letztere jeweils die Grundmenge bilden. Anders formuliert: Die Attribuierung ist im ersten Fall eine Funktion von der Menge der Menschen in sich selbst und im zweiten Fall eine Relation von der Menge der konkreten Objekte in sich selbst, wie das Kategoriensymbol N/ N schon zu verstehen gibt. Ein Komplement hingegen kann nicht auf diese Weise eine Teilmenge aus dem Denotat des Funktorkopfes herausgreifen, weil die beiden keiner gemeinsamen Obermenge angehören. So bezeichnet das direkte Objekt in Bücher lesen keine Teilmenge der von dem Verbum bezeichneten Tätigkeitsklasse. Als Komplement ist es vielmehr ein notwendiger struktureller Bestandteil einer solchen Tätigkeit, der durch die NP Bücher lediglich konkretisiert wird. Man hat es hier folglich mit einer indirekten Subklassifikation des Verbums durch eine Nominalphrase zu tun - im Gegensatz zu einem adverbiellen Attribut, wie in laut lesen, das als Vorgangseigenschaft direkt eine Teilmenge von Lesevorgängen herausgreift. Da das Objektkomplement Bücher (NP) also nicht denselben Denotattyp hat wie das Verbum lesen ((S/ NP)/ NP) und die beiden daher keiner gemeinsamen Obermenge zuzuordnen sind, können sie auch keine gemeinsame <?page no="158"?> 150 Schnittmenge bilden. Es ist vielmehr so, dass Bücher lesen nicht eine Teilmenge von lesen darstellt - Bücher ist keine Eigenschaft von lesen -, sondern eine Teilmenge des vollständigen komplexen Strukturmusters X lesen oder etwas lesen, wobei die Variable etwas durch die Konstante Bücher belegt wird. Wie verhält es sich diesbezüglich nun mit der komplexen Nominalphrase genau? Insofern Artikel / Demonstrativa / Quantoren einerseits und Nomina andererseits gleichermaßen auf Entitäten oder Dinge aller Art verweisen bzw. diese denotieren, liegt, wie gesagt, eine gemeinsame Obermenge vor. Eine Schnittmenge kann es dennoch nicht geben, weil Artikel und dergleichen beliebige nicht näher spezifizierte Entitäten des Diskursuniversums bezeichnen und damit nur abstrakte oder virtuelle Teilmengen konstituieren. Da es daher keine Klasse von Objekten gibt, denen etwa das Merkmal „diese“ oder „viele“ anhaftet, kann es auch keine Schnittmenge von Objekten geben, die sowohl ein solches „Merkmal“ als auch z.B. das Merkmal „Buch“ aufweisen. Man muss daher unsere Behauptung, Artikel, Demonstrativa u.dgl. einerseits und Nomina andererseits hätten im Prinzip den gleichen Denotattyp, dahingehend relativieren, dass sich diese Denotate jedenfalls hinsichtlich ihres Abstraktheitsgrades doch grundlegend voneinander unterscheiden. III.3. Wort- und Satzgliedstellung in einem formalen Modell III.3.1. Allgemeines Ein unverzichtbares Erfordernis für ein formales Modell der natürlichen Sprache ist die Fähigkeit, die einer gegebenen linearen Zeichenfolge zugrundeliegende syntaktische Struktur direkt abzubilden und dabei den Grad der Markiertheit der Linearisierung erkennen zu lassen, d.h. sensitiv für Aspekte der Wortstellung zu sein (vgl. auch II.3.3.). Der Umstand, dass die Kategoriensymbole der Kategorialgrammatik die kombinatorische Potenz eines Ausdrucks explizieren, ist hierfür insofern von Vorteil, als damit die syntaktische Funktion unabhängig von der jeweiligen Position im Satz immer eindeutig gekennzeichnet ist; jedenfalls gilt dies für die Funktorausdrücke. Infolgedessen lässt sich bei einer sequentiellen Verarbeitung der Elemente eines Satzes von links nach rechts die syntaktische Kategorie der Kombination zweier benachbarter Ausdrücke jeweils unmittelbar errechnen und als echte oder vorläufige sog. Phantomkonstituente identifizieren. <?page no="159"?> 151 Aufgrund dieser positionsunabhängigen Funktionskennzeichnung muss die unmarkierte Position, die ein Ausdruck im Zuge einer Bewegung verlassen hat, nicht durch einen abstrakten leeren Kategorialknoten, eine „Spur“, in der syntaktischen Struktur festgehalten werden (cf. u.a. III.1.12.). Die syntaktische Funktion ist ja zunächst auch nicht positionell sondern strukturell definiert, weshalb durch eine solche Bewegung nicht etwa ein leerer Strukturplatz zurückbleibt. Die enge Verbundenheit eines Elementes mit seinem unmittelbaren Strukturpartner kann aber muss nicht durch Adjazenz, also durch raum-zeitliche Nachbarschaft an der sprachlichen Oberfläche ausgedrückt werden, auch wenn wir für den unmarkierten Fall gerade davon ausgehen. Wenn z.B. im Deutschen das finale Verbum des Nebensatzes … bevor er seiner Freundin einen Hund schenkt im Hauptsatz von seinem direkten Objekt getrennt und in die zweite Position verschoben wird, Er schenkt seiner Freundin einen Hund, entsteht keine Leerstelle am Ende des Satzes, sondern eben die für den deutschen Haptsatz charakteristische Klammerkonstruktion zwischen finitem Verbum und seinem unmittelbaren Strukturpartner, dem direkten Objekt. Entsprechendes gilt für das finale Auxiliar des Nebensatzes … da Susanne gestern im Wörthersee gebadet hat, das im Hauptsatz von seinem Partizip getrennt und ebenfalls in die zweite Satzposition gerückt wird, Susanne hat gestern im Wörthersee gebadet. Wesentlich ist der Umstand und das Wissen darüber, dass Auxiliar und Partizip Strukturpartner sind, was sich eben aus der Kategorie des Auxiliars ergibt, eines Ausdruckes nämlich, der mit einem Partizip Perfekt eine Vergangenheitsform des Verbums baden bildet: (hat (S/ NP)/ Part … gebadet Part ) S/ NP . Man könnte auch sagen, dass der bewegte Funktor seine Strukturstelle mitnimmt und anderswo positioniert. Die Information darüber, dass in einer unmarkierten Oberflächenstruktur das Auxiliar hier eigentlich dem Partizip folgen sollte, ist demgegenüber sekundär, zumal es sich angesichts der Tatsache, dass das finite Hilfsverb im deutschen Hauptsatz nie dort steht, ohnehin nur um eine Hypothese handelt. Dass eine Folge: (hat (S/ NP)/ Part im Wörthersee (S/ NP)/ (S/ NP) gebadet Part ) S/ NP bezüglich des Prinzips der natürlichen Konstituentenreihung markiert ist, ergibt sich freilich schon aus dem Kategoriensymbol des Funktorkopfes hat, dem zu entnehmen ist, dass das Partizip Perfekt der unmittelbare Strukturpartner des Auxiliars ist. Geht man einmal davon aus, dass der unmittelbare Strukturpartner eines Funktorausdrucks diesem im unmarkierten Fall direkt adjazent ist, geben die kategorialgrammatischen Symbole immer schon die unmarkierte Reihenfolge wieder - abgesehen von <?page no="160"?> 152 der Determinationsrichtung, die aber durch die Stellung des Schrägstriches angezeigt werden kann (s. II.3.3.). Dieser Vorteil der Funktionsexplizierung kommt etwa im Falle der Kombination relativ frei beweglicher Attribute mit irgendeinem Nachbarelement zum Tragen. Unabhängig davon, ob z.B. ein Adverb wie ital. domani unmittelbar neben seiner Bezugseinheit Verbum oder Verbalphrase steht, ist es als Funktor der Kategorie V/ V bzw. VP/ VP, also (S/ NP)/ (S/ NP), zu kennzeichnen. Gehört das unmittelbar benachbarte Element nicht der Kategorie S/ NP an, kann das Adverb mit diesem unter bestimmten Bedingungen eine vorläufige Konstituente bilden. So wird z.B.: (Luigi NP ((va (S/ NP)/ PP a Bari PP ) S/ NP domani (S/ NP)/ (S/ NP) ) S/ NP ) S durch Platztausch von Direktionalkomplement und Temporalattribut zu einem dem unmarkierten deutschen Luigi geht morgen nach Bari entsprechenden Satz: (Luigi NP ((va (S/ NP)/ PP domani (S/ NP)/ (S/ NP) ) (S/ NP)/ PP a Bari PP ) S/ NP ) S in dem das Attribut domani per Funktionskomposition auf die Verbform va angewendet wird und die vorläufige Konstituente (va domani) (S/ NP)/ PP bildet, die der gleichen Kategorie angehört wie der verbale Kopf (Kategorienkonstanz bei Attribuierung), d.h. va domani ist weiterhin ein zweistelliger Verbalausdruck, dem ein PP-Komplement und eine Subjekt-NP fehlt - graphisch: S NP S/ NP (S/ NP)/ PP PP (S/ NP)/ PP (S/ NP)/ (S/ NP) Luigi va domani a Bari Der Umstand, dass die zweistellige Verbform va zunächst nur rekursiv erweitert wird, läßt erkennen, dass durch domani die freie PP-Stelle noch nicht abgebunden wird, sondern vielmehr eine Klammerkonstruktion entsteht, in der zwischen Funktorkopf und erstem Komplement eine an- <?page no="161"?> 153 dere Konstituente eingeschoben ist. Auf diese Weise können also auch diskontinuierliche Einheiten in einer Baumstruktur dargestellt werden, ohne dass es dabei zu Problemen mit sich überkreuzenden Ästen und der Forderung der Projektivität kommt. Hier geht es ebensowenig darum, dass das Attribut domani dem Komplement a Bari den Strukturplatz wegnimmt oder gar selbst zum Komplement würde und die Direktionalergänzung die Stelle des Attributes besetzt, sondern wieder nur darum, dass die beiden ihre Oberflächenposition tauschen. Dieses sogenannte sequentielle oder inkrementelle Parsing imitiert die Art und Weise, wie man in eine lineare Zeichenkette Strukturen hineinliest und sie derart interpretiert. Von Wort zu Wort fortschreitend werden neue Konstituenten gebildet, wobei im Falle einer Phantomkonstituente mit der endgültigen Strukturzuweisung bis zum Erscheinen des jeweiligen unmittelbaren Strukturpartners - hier das Komplement a Bari - gewartet werden muss. Wenn hingegen das Temporalattribut dem Satz vorangestellt wird - um eine weitere mögliche Positionsvariante anzusprechen -, kann es mit der ihm nun folgenden NP Luigi keine Funktionskomposition eingehen: Domani (S/ NP)/ (S/ NP) Luigi NP ... Dieser Umstand legt nun eine Interpretation des Attributs als Satzadverb des Typs S/ S nahe, die es jedenfalls erlaubt, den gesamten dem Adverb folgenden Ausdruck, den „Restsatz“, als dessen Skopus zu behandeln, also: (Domani S/ S (Luigi va a Bari) S ) S . Darüber hinaus besteht aber doch auch die Möglichkeit, die Folge domani Luigi als eine thematische Gruppe in einer Phantom- oder jedenfalls vorläufigen Konstituente zusammenzufassen. Hierfür muss das Subjekt allerdings der Operation der Typ-Anhebung (cf. III.1.10.1.) unterzogen werden, um wie das Adverb als Satzmacher (S/ (S/ NP)) aufzutreten, auf den domani S/ S dann mit einer Funktionskomposition anzuwenden ist: ((Domani S/ S Luigi S/ (S/ NP) ) S/ (S/ NP) (va (S/ NP)/ PP a Bari PP ) S/ NP ) S - graphisch: S S/ (S/ NP) S/ NP S/ S S/ (S/ NP) (S/ NP)/ PP PP Domani Luigi va a Bari Der deutlich größere formale Aufwand dieser Rekonstruktion der Satzstruktur kann als Indiz dafür gewertet werden, dass diese strukturelle Interpretation zwar möglich aber wohl nicht die nächstliegende ist. <?page no="162"?> 154 In folgender Version schließlich: ((Luigi S/ (S/ NP) domani S/ S ) S/ (S/ NP) (va (S/ NP)/ PP a Bari PP ) S/ NP ) S kann durch partielle Anwendung des Adverbs auf das vorangehende Subjekt ebenfalls eine Art thematische Gruppe Luigi domani konstituiert werden. Der Übergang von der ersten zur zweiten Konstituente ist in diesem Fall aber „härter“, weil die Abbindung der freien Stelle des angehobenen Subjekts S/ (S/ NP) durch das eingeschobene Adverb verzögert wird. Die syntaktische Struktur wird unterbrochen, weil das initiale Subjekt mit S/ NP einen engeren Skopus hat als das folgende Satzadverb mit S. Im prädeterminierenden deutschen Nebensatz indessen ergibt die nämliche Anordnung von Subjekt und Adverb folgende Struktur: … dass (Luigi NP (morgen (S/ NP)/ (S/ NP) (nach Bari PP fährt (S/ NP)/ PP ) S/ NP ) S/ NP ) S da das Adverb hier nicht als Satzoperator nach links versetzt ist, sondern als VP-Attribut seine unmarkierte Position vor dem Direktionalkomplement einnimmt und auf die Verbalphrase (S/ NP) angewendet wird. In der deutschen Entsprechung zur Version mit initialem Adverb, Domani Luigi va a Bari, bleibt dieses aufgrund der Verb-Zweit-Stellung im Hauptsatz adjazent zum Verbum, mit dem es per Funktionskomposition eine vorläufige Konstituente (morgen fährt) (S/ NP)/ PP bildet; es ist damit auch an der sprachlichen Oberfläche weiterhin konstruktionell in das Satzganze integriert. Eine satzadverbiale Interpretation, d.h. eine Position des Adverbs außerhalb des Kernsatzes, (Morgen S/ S (fährt Luigi nach Bari) S ) S , wird deshalb durch die deutsche Satzgliedstellung weniger nachdrücklich nahegelegt. Rein sequentiell, Schritt für Schritt analysiert, ergibt sich zunächst folgende Struktur: ((Morgen (S/ NP)/ (S/ NP) fährt (S/ NP)/ PP ) (S/ NP)/ PP Luigi NP nach Bari PP ) S Die beiden Verbkomplemente Subjekt und Präpositionalobjekt sind dann formal noch wie folgt zu integrieren. Wenn ein Ausdruck des Typs fährt (S/ NP)/ PP mit einer NP kombiniert und „verrechnet“ (s.u.) wird - die beiden NP können gegeneinander gekürzt werden: (S/ NP)/ PP NP = S/ / PP - ergibt sich der Ausdruck S/ / PP, in welchem der doppelte Schrägstrich andeuten soll, dass PP keine unmittelbare Konstituente des Wertes der Funktion, also des Zählers S des Bruches ist - d.h. keine unmittelbare Satzkonstituente. Im Zuge der Abbindung der freien Stellen der Verbform fährt ist vielmehr die erste, die PP, übersprungen worden <?page no="163"?> 155 und wird nun gewissermaßen nachträglich, nach der Besetzung der Subjektstelle, erst abgebunden. Dass (fährt Luigi) S/ / PP respektive (morgen fährt Luigi) S/ / PP keine syntaktisch mögliche Konstituente unseres Satzes ist und deshalb ((Morgen fährt Luigi) nach Bari) keine akzeptable Satzanalyse darstellt, manifestiert sich in unserem Modell darin, dass die Verbform fährt bzw. die vorläufige Konstituente (morgen fährt) (S/ NP)/ PP auch nicht partiell, also per Funktionskomposition, auf die Subjekt-NP Luigi angewendet werden kann. Die beiden Ausdrücke können, wie gezeigt, nur miteinander verrechnet werden, um zu einem komplexen Ausdruck der Kategorie S/ / PP zu gelangen, der dann mit der noch fehlenden PP einen vollständigen Satz bildet. Diese Situation ist ein Indiz dafür, dass man es mit einer markierten Satzgliedstellung zu tun hat, die in diesem Fall durch die in Relation zum Verbum verkehrte Reihenfolge der Komplemente bedingt ist, also: Verbum - Komplement 2 - Komplement 1 : … fährt Luigi 2 nach Bari 1 diese Anordnung ist im Deutschen freilich die einzig mögliche. Dass man dem deutschen Hauptsatz überhaupt in vielen Fällen keine glatte sequentielle Analyse angedeihen lassen kann, ist darauf zurückzuführen, dass ihm eine prädeterminierende, rechtsköpfige Struktur zugrundeliegt, deren verbaler Kopf aus der letzten in die zweite Position vorbewegt worden ist. Daraus ergibt sich, dass die untereinander nach wie vor rechtsköpfig angeordneten Dependentien mit Ausnahme des jeweils topikalisierten Elementes nun ihrem verbalen Kopf folgen und dort eine syntaktische Klammerstruktur bilden; denn je näher ein Dependens ursprünglich beim verbalen Kopf stand, desto weiter ist es jetzt, wenn es nicht topikalisiert wurde, von diesem entfernt: Dependens top - Verbum - Dependens >n - Dependens n . In dieser Darstellung wird die tieferliegende Differenz zwischen einem italienischen Domani Luigi va a Bari und einem deutschen Morgen fährt Luigi nach Bari präzise formulierbar. Dadurch, dass das finite Verbum als oberster Funktor im deutschen Hauptsatz grundsätzlich die zweite Position einnimmt, hat das satzeinleitende topikalisierte Element immer einen mehr oder weniger direkten Zugang zum Restsatz, aus dem es nicht wirklich extrahiert ist, wie in dem italienischen Strukturtyp (Adverb + Satz) Satz oder allgemein (X + Satz) Satz - so auch bei vorangestellten, nach links dislozierten NP- oder PP-Komplementen wie in (A Bari (Luigi ci va domani) S ) S . Im deutschen Nach Bari fährt Luigi morgen hingegen entspricht der Restsatz, … fährt Luigi morgen, keinem korrekten vollständigen Aussagesatz, ebensowenig wie der Restsatz … fährt Luigi nach Bari aus <?page no="164"?> 156 Morgen fährt Luigi nach Bari im Unterschied zu ital. (Domani (Luigi va a Bari) S ) S ; dies trifft sogar im Fall des nachdrücklich thematisierten, von seinem Verbum getrennten Subjekts zu: (Luigi (domani va a Bari) S ) S . Infolge der Verschränkung von Rechts- und Linksköpfigkeit in Verbindung mit der Subjektinversion im deutschen Hauptsatz wird die Konstituentenstruktur durch die Satzgliedfolge nicht mehr direkt widergespiegelt, d.h. die beiden Strukturebenen sind nicht mehr parallel oder isomorph. Auffallend ist zumal das durch die Verb-Zweit-Regel bedingte obligatorisch postverbale Subjekt dieser Konstruktionen, wie auch in folgender Version mit topikalisiertem PP-Komplement: (((Nach Bari (S/ NP)/ ((S/ NP)/ PP) fährt (S/ NP)/ PP ) S/ NP Luigi NP ) S morgen S/ S ) S Man sieht auch wieder, dass ein angehobener Ausdruckstyp wie hier nach Bari mit dem Komplement PP seines Komplements (S/ NP)/ PP identisch ist. In dieser Version wird die syntaktische Struktur durch die Satzgliedfolge zwar reflektiert - zuerst das PP-Komplement und dann das Subjekt, also S/ NP + NP -, aber in deutlich markierter Determinationsrichtung. Immerhin entspricht die Folge Nach Bari fährt Luigi einem korrekten deutschen Hauptsatz, weshalb die nachgestellte Temporalbestimmung hier auch als Satzadverb katgorisiert werden kann. Die Folge Komplement-Verbum nach Bari fährt ist als solche, wie gesagt, im prädeterminierenden Deutschen eigentlich nicht markiert, erscheint allerdings so nur im Nebensatz: … wenn (Luigi (morgen (nach Bari fährt))). Nimmt man diese Ordnung als Ausgangspunkt, könnte man zu unserer topikalisierten Version einfach dadurch gelangen, dass man das PP-Komplement samt dem finiten Verbum (nach Bari fährt) S/ NP an die Satzspitze bewegt. Ein Direktionalkomplement an der Satzspitze ist freilich auch im Deutschen markiert und daher eher als ein einzeln in die Anfangsposition bewegtes Topik zu sehen, und damit als eine zum Funktor angehobene Präpositionalphrase, die mit einem Satz, dem eine Präpositionalphrase fehlt (S/ / PP), einen vollständigen Satz bildet: (Nach Bari S/ (S/ / PP) ((fährt (S/ NP)/ PP Luigi NP ) S/ / PP morgen S/ S ) S/ / PP ) S <?page no="165"?> 157 S S S/ S S/ (S/ / PP) S/ / PP (S/ NP)/ PP NP Nach Bari fährt Luigi morgen Die Konstruktion besteht so aus einem angehobenen PP-Komplement und einem Satz, dem ein solches Komplement fehlt; angefügt ist noch eine Zeitangabe im Rang eines Satzadverbs. Die Markiertheit dieser Satzgliedstellung erkennt man am doppelten Schrägstrich des Kategoriensymbols S/ / PP, der anzeigt, dass das fehlende PP-Komplement nicht ordnungsgemäß abgebunden ist und die Verbform fährt an der sprachlichen Oberfläche zunächst das zweite, also das Subjektkomplement, zu sich genommen hat. Das topikalisierte, linksversetzte Komplement nach Bari ist also sozusagen ein partieller oder unechter Satzoperator, der zwar einen Satz bildet, aber eben nicht nach Art eines Attributes wie morgen S/ S mit einem vollständigen Satz, sondern mit einem Satztorso, dem gerade das jeweils herausgestellte Glied fehlt. Dieser Typus kann in kategorialgrammatischer Notation als Y/ (Y/ / X) klar definiert werden. In der italienischen Version wäre das gleiche Satzglied hingegen als Satzattribut zu klassifizieren: (A Bari S/ S (Luigi ci va domani) S ) S . In einem inkorrekten ital. *A Bari Luigi va domani könnte das zum Funktor angehobene PP-Komplement nicht direkt auf das nachfolgende Subjekt angewendet werden, also (S/ NP)/ ((S/ NP)/ PP) auf NP bzw. auf S/ (S/ NP). Dies manifestiert den tiefen strukturellen Einschnitt zwischen der ersten und der zweiten Konstituente dieses Satzes, der durch die Extraktion des PP-Komplements aus der Verbalphrase und seine Dislokation vor den Satz entstanden ist; ein dem Deutschen entsprechendes *A Bari va Luigi domani steht ja nicht zur Verfügung. Dieses Komplement kann nun jedoch nicht wie im Deutschen einfach als unechter Satzoperator uminterpretiert werden, da *A Bari Luigi va, im Unterschied zu dtsch. Nach Bari geht Luigi, normalerweise kein korrekter Satz ist; die Folge Objekt-Subjekt-Verb bleibt als Klammerkonstruktion hoch markiert. Daher muss eine syntaktisch akzeptable Oberflächenstruktur im Italienischen auf andere Art und Weise hergestellt werden. Dies geschieht eben durch die pronominale Wiederaufnahme mittels der Proform ci, einer Art (echter) Spur, mit der die durch die Voranstellung verursachte Lücke ge- <?page no="166"?> 158 schlossen wird und wieder ein vollständiger Satz entsteht: (A Bari (Luigi ci va domani) S ) S . Das extranukleare Komplement erhält dadurch, wie gesagt, den Status eines Satzattributes - jedenfalls befindet es sich außerhalb des Kernsatzes mit einer Tendenz zum präpositionslosen hängenden Topik: Bari, Luigi ci va domani. Aus dieser Perspektive wäre es wohl angemessener, es weiterhin als Komplement des Typs NP oder PP zu notieren: (A Bari PP (Luigi ci va domani) S ) S , wodurch auch seine mangelnde syntaktische Integration in das Satzganze sichtbar wird. III.3.2. Prä- und Postdetermination Wenn im Italienischen ein postverbales Komplement aus seiner Position entfernt und dem Satz, das heißt dem Verbum und dem Subjekt vorangestellt wird, befindet es sich an einer für das linksköpfige Italienisch ungewöhnlichen Stelle. Verbleibt dabei das Verbum in seiner finalen Position, ergibt sich zudem die markierte Folge Objekt-Subjekt-Verb: *A Bari Luigi va (s.o.) oder *La poesia Monica scrisse, die selbst im prädeterminierenden deutschen Nebensatz unüblich ist: ? * (… weil) nach Bari Luigi fährt / das Gedicht Monika schrieb. Ein dem deutschen Normalfall Nach Bari fährt Luigi und Das Gedicht schrieb Monika entsprechendes A Bari va Luigi und La poesia scrisse Monica ist ebenfalls kaum akzeptabel, weil die Folge Objekt-Verb(-Subjekt) eine eindeutig prädeterminierende rechtsköpfige Struktur darstellt. So erklärt sich die Genese des Konstruktionstyps A Bari, ci va Luigi und La poesia, la scrisse Monica, in dem das topikalisierte nominale Komplement klar außerhalb des Kernsatzes zu stehen kommt und so nicht in eine markierte Position relativ zu anderen Satzgliedern geraten kann. Man also sagen, dass der italienische Satz nach einer Topikalisierung klarer konturiert ist als die jeweilige deutsche Entsprechung. Man gelangt grundsätzlich zu einer binären Konstruktion, die aus einem oder mehreren topikalisierten Elementen und einem syntaktisch kompletten, selbständigen Kernsatz besteht. Deshalb können alle topikalisierten Konstituenten getilgt werden, wie etwa auch in folgendem Satz mit drei vorangestellten Attributen, der gewissermaßen aus vier vollständigen Teilsätzen besteht: (Ieri (a Roma (Carlo (ha incontrato un amico) S ) S ) S ) S Da das Italienische eine Pro-Drop-Sprache ist, können die dem Verbum vorangehenden Einheiten in beliebiger Auswahl getilgt werden, so etwa auch das nominale Subjekt wie in Ieri, a Roma ha incontrato un amico. Dies gilt auch für Prädikate mit inhärent rhematischem nachgestellten <?page no="167"?> 159 Subjekt: (Ieri (a Parigi (è nata una bimba) S ) S ) S . Sätze des Typs A Carlo piacciono le donne ‚Carlo gefallen die Frauen’ bilden insofern eine Ausnahme, als das dem Verbum vorangehende indirekte Objekt hier als unmarkiertes Thema fungiert und seine Position daher nicht einer Topikalisierungsbewegung verdankt: ((A Carlo piacciono) S/ NP le donne NP ) S - ein interessanter Fall von Prädetermination in einer dominant postdeterminierenden Sprache. Diese präverbale Satzkonstituente kann dementsprechend auch nicht getilgt werden. Im deutschen Satz hingegen besetzen die an die Satzspitze transportierten Konstituenten eine obligatorische Oberflächenstrukturstelle und können deshalb grundsätzlich nicht getilgt werden: *(Gestern) traf Carlo in Rom einen Freund. Zusammenfassend kann man also bemerken, dass an die Satzspitze bewegte topikalisierte Einheiten auch als Satzmacher interpretierbar sind, wobei zwei kategoriale Typen differenziert werden müssen. Die einen nehmen einen vollständigen Satz als Argument zu sich - wie dies im Italienischen grundsätzlich der Fall ist - und haben daher die allgemeine Struktur (A S/ S B S ) S wie in Domani Luigi va a Bari. Handelt es sich bei dem herausgestellten Element um ein Verbkomplement, wie in (A Bari S/ S (Luigi ci va domani) S ) S , kann das extranukleare a Bari durch Typanhebung und Skopuserweiterung den Status eines Satzattributes des Typs S/ S annehmen, wenn man solche Konstituenten nicht weiterhin als einfache Komplemente (PP oder NP) notieren will. Diese Struktur kann auch ein italienischer Satz aufweisen, der aus einem herausgestellten Subjekt und einem Satz ohne explizites Subjektpronomen besteht: (Luigi NP (va a Bari) S ) S . Innerhalb dieser Gruppe ist dann noch zu unterscheiden zwischen dem italienischen Fall des Arguments in Gestalt eines kompletten wohlgeformten Satzes und dem deutschen Typ Morgen fährt Luigi nach Bari, in dem das Argument zwar ein kompletter nicht aber ein wohlgeformter selbständiger Satz ist: *Fährt Luigi nach Bari. Obwohl das satzeinleitende Adverb hier nicht im strikten Sinn extranuklear ist, könnte man, wie wir gezeigt haben, auch diesem Typ eine Analyse der Art (Morgen S/ S (fährt Luigi nach Bari) S ) S angedeihen lassen. Die Vertreter der zweiten Gruppe hingegen sind dadurch charakterisiert, dass das Argument des topikalisierten Elementes ein unvollständiger Satz ist, dem eben dieses Element als Ergänzung fehlt. Sie weisen somit folgende allgemeine Struktur auf: (A S/ (S/ A) B S/ A ) S , wie z.B. (Nach Bari S/ (S/ / PP) (fährt Luigi) S/ / PP ) S oder (Das Gedicht S/ (S/ / NP) (schrieb Monika) S/ / NP ) S , und sie sind für das Deutsche typisch.. Typanhebung wird prinzipiell bei sequentieller Interpretation prädeterminierender Strukturen benötigt, genauer bei der Abfolge Komplement - Kopffunktor, wie in unserem: <?page no="168"?> 160 … dass (Luigi S/ (S/ NP) nach Bari (S/ NP)/ ((S/ NP)/ PP) fährt (S/ NP)/ PP ) S Bei einer streng sequentiellen oder inkrementellen Analyse kann man das angehobene Subjekt partiell auf die Präpositionalphrase anwenden, mit dem Resultat (Luigi nach Bari) S/ ((S/ NP)/ PP) . Es entsteht so durch Funktionskomposition ein komplexer Ausdruck, der mit einem zweistelligen Verbum (S/ NP)/ PP einen Satz bildet, oder, andersherum formuliert, ein Satz, dem ein zweistelliges Verbum fehlt (eine Ausdruckskategorie, die man auch bei sog. gapping in Sätzen wie Claude geht nach Verona und Luigi nach Bari benötigt). Die Notwendigkeit der Typanhebung verdeutlicht, dass Prädetermination, bei der die Komplemente ihrem Kopf vorangehen, im Prinzip ein aufwendigeres syntaktisches Konstruktionsmuster darstellt, das freilich durch die tendenziell präverbale Position des Subjekts in der Sprache immer auch schon angelegt ist. Das Subjekt ist als Topik das am wenigsten eng mit dem Verbum verbundene Komplement und seine Voranstellung ist vor allem kommunikativ-pragmatisch bedingt, da es in der Regel als unmarkiertes Thema fungiert. Um in dieser Situation allzu umfängliche Kategoriennamen zu vermeiden, ist daran zu denken, gewisse Kürzel oder Kurzformen zu verwenden. So wäre etwa S/ NP einfach durch VP zu ersetzen, das dann bei Bedarf jederzeit wieder in das explizite S/ NP zurückverwandelt werden kann. Für unser Beispiel ergäbe sich dann folgende um einiges übersichtlichere Repräsentation: … dass (Luigi S/ VP nach Bari VP/ (VP/ PP) fährt VP/ PP ) S Die partielle Anwendung von Luigi auf nach Bari ergibt dann: (Luigi nach Bari) S/ (VP/ PP) , also wieder einen Ausdruck, der mit einem zweiwertigen Verbum einen Satz bildet. Wird das angehobene Subjekt nicht direkt auf die Präpositionalphrase, sondern erst nach deren Anbindung an das Verbum auf die ganze Verbalphrase angewendet, entsteht folgende Struktur: … dass (Luigi S/ VP (nach Bari VP/ (VP/ PP) fährt VP/ PP ) VP ) S Der Ersetzung von S/ NP durch das einfache Symbol VP in diesem Kontext, in dem das Prädikat als Komplement des Subjekts S/ VP fungiert, entspräche auch dem Umstand, dass Komplemente in der Regel kategorial abgeschlossene Ausdrücke ohne freie Stellen sind. Bei den direkten Objekten ist noch zwischen solchen zu unterscheiden, die mit einem zweiwertigen ein einwertiges Verbum, sprich eine Verbalphrase bilden, wie in (ein Buch VP/ (VP/ NP) liest VP/ NP ) VP , und solchen, die mit einem <?page no="169"?> 161 dreiwertigen Verbum ein zweiwertiges machen und daher vom Typ (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) sind, wie in: … (ein Buch (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) gibt (VP/ NP)/ NP ) VP/ NP Ein indirektes Objekt in einem Studenten ein Buch gibt wäre dann wieder ein Operator, der mit einem zweiwertigen Verbum ein einwertiges, eine VP, bildet: … (einem Studenten VP/ (VP/ NP) (ein Buch gibt) VP/ NP ) VP Generell ist zur Darstellung der Determinationsrichtung mit den Mitteln der Kategorialgrammatik Folgendes festzustellen. Rein rechnerisch ist die Reihenfolge, in der zwei Funktoren miteinander „verrechnet“ werden unerheblich: Luigi S/ VP nach Bari VP/ (VP/ PP) (geht) ergibt ebenso einen Ausdruck der Kategorie S/ (VP/ PP) wie die markierte Folge nach Bari VP/ (VP/ PP) Luigi S/ VP (geht), da derartige Kombinationen kommutativ sind. Verkettungen in der natürlichen Sprache sind aber nicht kommutativ, sondern auf der Zeit(-Raum)-Achse gerichtet. Nur in der weniger markierten Reihenfolge Subjekt NP - Direktional PP ist der erste Funktor auf den zweiten via Funktionskomposition partiell anwendbar: S/ VP ⋅ VP/ (VP/ PP) = S/ (VP/ PP), während dies bei umgekehrter Reihung, VP/ (VP/ PP) S/ VP, nicht möglich wäre (s.u.). Einmal abgesehen von dem grundsätzlichen „Linksdrall“ des Satzsubjekts ist die Unmarkiertheit dieser Reihung damit zu erklären, dass die Konstituente mit dem weiteren Skopus diejenige mit dem engeren partiell in sich enthält, inkludiert; d.h. nach Bari VP/ (VP/ PP) ist ein Teil des angehobenen Funktors Luigi S/ VP und folgt dem Subjekt daher im unmarkierten Fall nach: … da (Luigi S/ VP (nach Bari geht) VP ), so wie in der Folge Objekt ind - Objekt dir in … (einem Freund (einen Brief schreiben)). Hinzu kommt, daß der Funktor mit dem weiteren Skopus normalerweise der thematischere ist und auch deshalb nach links tendiert, wie eben das Subjekt oder das indirekte Objekt. Der unmittelbare (determinierende) Strukturpartner hingegen, hier das direkte Objekt oder das Direktionalkomplement, ist die semantisch und insofern auch die informationell wichtigste Konstituente, die aufgrund ihrer inhärenten Rhematizität einen ausgeprägtem „Rechtsdrall“ aufweist. Wir werden auf diese Zusammenhänge gleich noch ausführlicher zu sprechen kommen. In prädeterminierenden, rechtsköpfigen Sprachen entspricht diese Reihung ja auch dem konstruktionellen Natürlichkeitsprinzip, da dort das weiter rechts auftretende rhematischere Dependens auch näher beim <?page no="170"?> 162 Kopf steht, während bei Postdetermination die Abfolge ‚Thema vor Rhema’ diesem Konstruktionsprinzip zuwiderläuft und so zu Klammerkonstruktionen führt, wie etwa im deutschen Hauptsatz: Morgen fährt Luigi nach Bari oder Jessica schreibt einem Freund einen Brief. Klammerstellung entsteht also nicht nur dadurch, dass sich zwischen Funktorkopf und Komplement ein Attribut schiebt, wie in Luigi fährt - morgen - nach Bari, sondern auch dadurch, dass das zweite Komplement zwischen Funktorkopf und erstem Komplement zu stehen kommt, wie eben bei der Reihenfolge Verbum-Objekt ind -Objekt dir , oder auch in dem Satz: Luigi (bringt ((S/ NP)/ NP)/ PP die Kinder NP in die Schule PP ) S/ NP wo in einem ersten Schritt durch reine Verrechnung die Phantomkonstituente (bringt die Kinder) (S/ NP)/ / PP entsteht. Auch hier kann der Kopffunktor bringt, wie der doppelte Schrägstrich zu erkennen gibt, nicht direkt oder partiell auf das unmittelbar folgende Komplement angewendet werden. Gehen in der spiegelbildlichen Version die Komplemente in Form angehobener Funktoren dem Verbum voran, ergibt sich folgendes Gebilde (in Kurzform): … (in die Schule (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ PP) die Kinder VP/ (VP/ NP) bringt (VP/ NP)/ PP ) VP Bei sequentieller Analyse entsteht in einem ersten Schritt durch Verrechnung - Funktionskomposition ist ausgeschlossen - der Ausdruck (in die Schule die Kinder) VP/ ((VP/ NP)/ PP) , also etwas, das mit einer dreiwertigen Verbform wie bringt eine Verbalphrase bildet. Die umgekehrte Komplementfolge, (die Kinder VP/ (VP/ NP) in die Schule (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ PP) ) VP/ ((VP/ NP)/ PP) (bringt) führt zwar rein rechnerisch zu demselben Resultat, VP/ ((VP/ NP)/ PP), das hier jedoch direkter durch eine Funktionskomposition von direktem Objekt und PP-Komplement zu erreichen ist, wodurch diese Sequenz als die unmarkierte ausgewiesen wird. Dies zeigt von neuem sehr schön, dass die unterschiedlichen Markiertheitsgrade von Konstituentenfolgen mit den Mitteln der Kategorialgrammatik präzise und nachvollziehbar wiedergegeben werden können. III.3.3. Periphrastische Verbformen Die bekannteste Klammerkonstruktion ist die von Auxiliar und infiniter Verbform gebildete, wie z.B. in Susi hat eine Couch gekauft, die eine Ver- <?page no="171"?> 163 schränkung von Morphologie und Syntax zur Folge hat (cf. III.1.7.). Es ist daher erforderlich, das Auxiliar von vornherein als Kopfkonstituente einer α -wertigen Verbform zu kennzeichnen, um zu verhindern, dass es als transitives Vollverb interpretiert wird und die NP eine Couch oder die Folge eine Couch gekauft als dessen direktes Objekt. In unserem Fall ist hat daher vom Typ (S/ α αα α )/ Part α , d.h. es ist ein Funktor, der mit dem Partizip eines Verbums einer bestimmten Stelligkeit α eine entsprechende finite Verbform bildet - in unserem Fall eine solche, der zwei Komplemente fehlen. Der Umstand, dass das Auxiliar zunächst nicht seinen unmittelbaren Strukturpartner zu sich nimmt, wird wiederum mittels des doppelten Schrägstriches angezeigt: … ((hat ((S/ NP)/ NP)/ Part2 eine Couch NP ) (S/ NP)/ / Part2 gekauft Part2 ) S/ NP - graphisch: S/ NP (S/ NP)/ / Part 2 Part 2 ((S/ NP)/ NP)/ Part 2 NP hat eine Couch gekauft Eine alternative Analyse ist die folgende: (a) S/ NP (S/ NP)/ Part Part NP Part/ NP hat eine Couch gekauft Der Vorteil dieser Darstellung liegt darin, dass das Auxiliar hat hier nicht von vornherein auf die Bildung zweistelliger Prädikate festgelegt ist, sondern generell auf die von Prädikaten. Die Stelligkeit des Gesamtausdrucks wird ja allein durch das jeweilige den lexikalischen Kern repräsentierende Partizip bestimmt. Das bedeutet, dass das Auxiliar in der Verbform hat gekauft derselben Kategorie (S/ NP)/ Part angehört wie z.B. in hat geschlafen oder hat gegeben. Der Nachteil ist zunächst darin zu sehen, <?page no="172"?> 164 dass das Partizip als Teil einer (periphrastischen) Wortform allein kein NP-Komplement zu sich nehmen kann, um so etwas wie ein komplexes Partizip eine Couch gekauft zu bilden, bevor es nicht gemeinsam mit dem Auxiliar eine vollständige Wortform und Satzkonstituente darstellt (cf. sing-t etc. unter III.1.14.1). Da nun aber das Partizip mit dem Auxiliar strukturell enger verbunden ist als mit der Nominalphrase, scheint die Strukturzuweisung (a) (hat (eine Couch gekauft)) ohnehin nicht korrekt zu sein, auch wenn man ihr immer wieder begegnet. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass die Anwendung des Partizips gekauft auf die NP eine Couch blockiert ist, wird das Auxiliar hat per Funktionskomposition auf den Funktorkopf gekauft angewendet, woraus sich nun das erwünschte Resultat (hat gekauft) (S/ NP)/ NP , d.h. eine zweiwertige finite Verbform ergibt. Diese kann dann die noch verbleibende NP eine Couch als Objekt zu sich nehmen. Die Tatsache, dass in dieser Version die sequentielle Analyse nach dem Auxiliar zunächst ausgesetzt werden muss, macht die Unterbrechung der Morphologie durch die Satzsyntax und damit den Strukturbruch zwischen dem Auxiliar und der Nominalphrase deutlich sichtbar. Diese beiden Einheiten können auch nicht miteinander verrechnet werden, da sie kein gemeinsames Element besitzen; die NP im Symbol des Auxiliars steht ja für das Subjekt. In einer strukturanalogen Reihung der Konstituenten wie im deutschen Nebensatz lässt sich die Wirkung der funktionalen Komposition von Auxiliar und Partizip dann wie folgt darstellen: … dass Susi (eine Couch NP (gekauft Part/ NP hat (S/ NP)/ Part ) (S/ NP)/ NP ) S/ NP (b) S/ NP NP (S/ NP)/ NP Part/ NP (S/ NP)/ Part eine Couch gekauft hat Im Rahmen unseres Modells differenzieren sich also verschiedene Grade der Natürlichkeit des Übergangs von einem Ausdruck zum anderen an der linearen Oberfläche. Sie entsprechen verschiedenen Graden und Arten struktureller Bindung und Verzahnung der sprachlichen Einheiten. Eine Reihung kann als umso natürlicher gelten, je mehr sie als strukturanaloge Anordnung zu qualifizieren ist, wobei allerdings Konflikte zwischen unterschiedlichen Linearisierungsparametern und Opti- <?page no="173"?> 165 mierungsstrategien nicht auszuschließen sind. Im Folgenden sollen nun die drei Grundtypen struktureller Verknüpfung in ihren verschiedenen Spielarten noch einmal im Überblick vorgestellt werden. III.3.4. Arten struktureller Verknüpfung 1. Funktionale Anwendung: Sie ist möglich beim Übergang von einem Kopffunktor zu seinem (ersten) Komplement, also zu dem ihm fehlenden unmittelbaren Strukturpartner, den er als Ganzen zu sich nimmt: (sieht VP/ NP den Gegner NP ) VP oder (hat VP/ Part geträumt Part ) VP aber auch in ((écrit une lettre) VP/ PP à un ami PP ) VP oder im Falle des Komplements der Verbalphrase, nämlich des Subjekts, einmal abgesehen davon, dass dieses seinem Kopffunktor normalerweise vorangeht: (Pierre NP écrit S/ NP ) S . Eine solche Anwendung ist auch in umgekehrter Richtung - also vom Komplement zum Funktorkopf - möglich, freilich erst nach einer Typanhebung des ursprünglichen Komplements: (Pierre S/ (S/ NP) écrit S/ NP ) S . Die Notwendigkeit der Typanhebung zeigt allerdings auch, dass diese strukturelle Analyse nicht die primäre ist. Analoges gilt natürlich für die Anwendung von Attributen auf ihren Kopf, wie etwa in (rotes N/ N Dach N ) N oder (redet (S/ NP) schnell (S/ NP)/ (S/ NP) ) S/ NP . Alle anderen Konstituentenfolgen, unabhängig von der Determinationsrichtung, sind insofern markierter und weniger natürlich, als das jeweils benachbarte Element kein unmittelbarer Strukturpartner ist. 2. Partielle Anwendung / Funktionskomposition (vgl. III.1.): Ein Funktorausdruck nimmt nur den Kopf bzw. allgemein den Funktor seines komplexen Komplements und lässt dessen eigenes Komplement zunächst unberücksichtigt. Dieses erscheint dann als Komplement des aus der Kombination der beiden Funktoren entstandenen Ausdruckes wie in (ins PP/ N Bett N ) PP aus (in PP/ NP (das NP/ N Bett N ) NP ) PP . Mit anderen Worten: das Komplement des ersten Funktors ist identisch mit dem Wert des zweiten, weshalb nach der Anwendung nur noch der Wert des ersten Funktors und das Komplement des zweiten übrigbleibt: A/ B B/ C = A/ C. Mittels dieser Operation gelangt man unter anderem von einem zweiten Komplement zu seinem (zweistelligen) Funktorkopf, wie etwa von einem Subjekt zu einem zweistelligen Verbum, dessen Objektstelle noch nicht abgebunden ist: ((Peter S/ (S/ NP) macht (S/ NP)/ NP ) S/ / NP Fortschritte NP ) S <?page no="174"?> 166 Wieder ist der doppelte Schrägstrich zu beachten, der dadurch entsteht, dass bei der Anwendung des Subjekts auf das zweistellige Prädikat das direkte Objekt, also der unmittelbare Strukturpartner der Verbform noch nicht genommen ist. Die umgekehrte Reihenfolge … ((macht (S/ NP)/ NP Peter NP ) S/ / NP Fortschritte NP ) S ist markierter, da in diesem Fall das direkte Objekt übersprungen wird und daher nicht einmal eine partielle Anwendung des Verbums auf die Subjekt-NP möglich ist (s.u.). Funktionskomposition ist wieder durchführbar beim Übergang von einem indirekten Objekt zu einem dreiwertigen verbalen Kopf, wie in: (einem Freund (S/ NP)/ ((S/ NP)/ NP) schrieb ((S/ NP)/ NP)/ NP ) (S/ NP)/ / NP in dem Satz: (((Einem Freund schrieb) (S/ NP)/ / NP Lars NP ) S/ / / NP einen Brief NP ) S in welchem das indirekte Objekt unmittelbar auf das Verbum angewendet wird. Wie sich zeigt, kann von unten nach oben ein Komplement übersprungen und von Komplement 2 direkt zum verbalen Funktorkopf weitergegangen werden, ohne dass eine hochmarkierte Folge enstünde; denn das Verbum (hier: schrieb) ist jedenfalls ein Teil des (eigentlichen) Kopfes von Komplement 2 (einem Freund), genauer gesagt die Kopfkonstituente seines Kopfes (schrieb (einen Brief)). Daher gibt es im deutschen Hauptsatz - wie wir oben bemerkt haben - immer einen relativ direkten Zugang von der vorangestellten Konstituente über das Verbum zum Restsatz. Eine partielle Anwendung ist dann natürlich auch beim Übergang von angehobenem Komplement 2 zu angehobenem Komplement 1 , allgemein von Komplement n zu Komplement n-1 , also vom Komplement mit dem weiteren Skopus zum Komplement mit dem engeren Skopus möglich, weil das (zum Funktor angehobene) engere Komplement (B/ C) eben das produziert, was das weitere (A/ B) zu sich nimmt: ein direktes Objekt macht mit einem dreiwertigen Verbum ein zweiwertiges, ein indirektes Objekt macht mit einem zweiwertigen Verbum ein einwertiges und ein Subjekt macht mit einem einwertigen Verbum einen Satz, wie man im Fall des deutschen Nebensatzes optimal erkennen kann: (Lars S/ VP einem Freund VP/ (VP/ NP) einen Brief (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) schrieb (VP/ NP)/ NP ) S in den Schritten: (Lars einem Freund) S/ (VP/ NP) und (einem Freund einen Brief) VP/ ((VP/ NP)/ NP) <?page no="175"?> 167 bzw.: … da (((Lars einem Freund) einen Brief) S/ ((VP/ NP)/ NP) schrieb (VP/ NP)/ NP ) S in Worten: (Lars einem Freund einen Brief) S/ ((VP/ NP)/ NP) ist ein Ausdruck, dem ein dreistelliges Verbum fehlt, um einen Satz zu bilden. Man kann auch sagen, dass eine solche partielle Anwendung möglich ist, weil das engere Komplement n-1 grundsätzlich Teil des (eigentlichen) Kopfes des weiteren Komplements n ist, und in diesem Fall ist n-1 die Komplementkonstituente des (eigentlichen) Kopfes von n. Der Übergang vom direktem Objekt zu seinem unmittelbaren Strukturpartner vollzieht sich wieder in Form einer normalen funktionalen Anwendung: (einen Brief (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) schrieb (VP/ NP)/ NP ) VP/ NP . In bestimmten Kontexten kann auch hier, in einer Folge K 3 -K 1 , ein Komplement übersprungen werden, also in unserem Fall das indirekte Objekt K 2 zwischen Subjekt und direktem Objekt, wie etwa in dem Relativsatz (der Freund, dem) Lars einen Brief schrieb oder in einem Nebensatz wie (da ihm) Lars einen Brief schrieb: ((Lars S/ VP einen Brief (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) ) (S/ / NP)/ ((VP/ NP)/ NP) schrieb (VP/ NP)/ NP ) S/ / NP Hier kann der erste Funktor, das angehobene Subjekt, freilich nur auf den Wert des Wertes des ihm folgenden Funktors einen Brief angewendet werden, auf die VP also. Wir erhalten damit einen Ausdruck, der mit einem dreistelligen Verbum einen Ausdruck S/ / NP bildet, dessen vorletztes Argument, das indirekte Objekt, noch nicht genommen ist und dessen letztes Komplement (Lars) dem ersten (Brief) unmittelbar vorangeht: … (Lars einen Brief schrieb) S/ / NP . In allen Fällen ist der Übergang von unten nach oben in Richtung auf den eigentlichen Kopf auch rechnerisch relativ leicht zu bewerkstelligen, wenn jeweils ein weiteres Komplement n einem engeren Komplement n-1 vorangeht. Wie an unserem Beispiel Luigi fährt morgen nach Bari zu sehen war, kann auch von einer partiellen Anwendung eines Attributes auf seinen Kopf gesprochen werden. Im vorliegenden Satz wird morgen partiell auf das zweiwertige fährt angewendet, um mit diesem wieder eine (komplexe) Verbform zu schaffen, der ein PP-Komplement fehlt: (Luigi NP ((fährt (S/ NP)/ PP morgen (S/ NP)/ (S/ NP) ) (S/ NP)/ PP nach Bari PP ) S/ NP ) S Es ist also festzuhalten, dass sich partielle Anwendung immer als Kombination eines Funktors mit einem Teil des unmittelbaren Struktur- <?page no="176"?> 168 partners darstellt - normalerweise mit dessen Kopfkonstituente und bei typangehobenen Komplementen mit der Komplementkonstituente, jedenfalls immer mit der jeweiligen Funktorkonstituente. 3. Verrechnung: So bezeichnen wir die Operation bei Übergängen, die weder durch eine volle funktionale Anwendung noch durch eine partielle Anwendung, sprich Funktionskomposition, zu bewerkstelligen bzw. wiederzugeben sind und so im Prinzip für markierte, nicht strukturanaloge Satzgliedfolgen stehen. Eine solche Situation ist immer dann gegeben, wenn die Reihenfolge von Komplementen umgekehrt wird und das zweite näher beim jeweiligen Kopf steht als das erste, d.h. wenn das zweite Komplement zwischen dem Kopf und dem ersten Komplement auftritt und damit Klammerkonstruktionen folgender Art entstehen: Kopf- Komplement 2 -Komplement 1 respektive bei prädeterminierender Anordnung Komplement 1 -Komplement 2 -Kopf, wie z.B. in: Lars ((schrieb (VP/ NP)/ NP einem Freund NP ) VP/ / NP einen Brief NP ) VP - graphisch: S NP S/ NP (S/ NP)/ / NP NP ((S/ NP)/ NP)/ NP NP Lars schrieb einem Freund einen Brief oder bei anderen Vorfeldbesetzungen: (Einen Brief) schrieb Lars einem Freund und (Einem Freund) schrieb Lars einen Brief. Diese strukturell markierten Folgen sind im Deutschen indessen unmarkiert, da sie der Komplementreihung prädeterminierender Sprachen - Komplement mit weiterem Skopus vor dem mit engerem Skopus - entsprechen. Gleichzeitig steht diese Reihung mit der universellen Tendenz in Einklang, thematischere Einheiten weniger thematischen vorangehen und rhematischere Einheiten weniger rhematischen folgen zu lassen. Hierzu ist noch einmal zu bemerken, dass sich Thematizität und Skopusweite proportional zueinander verhalten - eine Korrelation, die ja auch Satzadverbiale, Temporaladverbiale und Lokaladverbiale (in dieser Reihenfolge) an die Spitze des Satzes bringt, und eben auch das Subjekt, das einen weiteren Skopus hat als die Objekte. <?page no="177"?> 169 Da die Komplementreihung im deutschen Hauptsatz in sich prädeterminierend bleibt, ist dort die strukturell eigentlich unmarkierte Reihung V-O dir -O ind , wie in Lars schrieb einen Brief einem Freund nach dem Muster etwa eines ital. Lars scrisse una lettera a un amico, deutlich markiert. Noch weniger akzeptabel ist diese Komplementfolge im präverbalen Bereich, wo sie zu einer Klammerkonstruktion O dir -O ind -V führt. Also statt unmarkiertem: (da Lars) (einem Freund VP/ (VP/ NP) einen Brief (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) ) VP/ ((VP/ NP)/ NP schrieb (VP/ NP)/ NP markiertes: (da Lars) einen Brief (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) einem Freund VP/ (VP/ NP) schrieb (VP/ NP)/ NP Von der (funktional angehobenen) NP einen Brief zu der NP einem Freund gibt es keinen Zugang, da hier nicht der Nenner des ersten Funktors und der Zähler des zweiten Funktors identisch sind, wie bei der Funktionskomposition, sondern umgekehrt der Zähler des ersten und der Nenner des zweiten, also (VP/ NP)/ ((VP/ NP)/ NP) für Brief und VP/ (VP/ NP) für einem Freund. Das indirekte Objekt ist eben nicht ein Teil des (eigentlichen) Kopfes des hier erstgereihten direkten Objekts und dieses setzt kein indirektes Objekt voraus. Somit ist in diesem Fall sowohl das syntaktische Adjazenzprinzip verletzt, als auch das Skopusverengungsprinzip, nach dem das Komplement mit dem weiteren Skopus dem mit dem engeren vorangeht, und damit schließlich auch das kommunikative Prinzip, gemäß dem die thematischere Konstituente der rhematischeren vorausgeht. Diese Komplementfolge ist lediglich in postdeterminierenden, linksköpfigen Mustern unmarkiert, so in ital. scrisse una lettera a un amico, wo sie zumindest dem syntaktisch-konstruktionellen Adjazenzprinzip entspricht. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun folgende Wortstellungstendenzen und -präferenzen innerhalb unterschiedlicher Sprachtypen erklären. Nach rechts, soll heißen bei rechtsabhängigen Strukturen, kann eine nicht strukturanaloge Reihung, also eine Klammerkonstruktion wie schrieb einem Freund einen Brief eher hingenommen werden, weil sie immerhin bewirkt, dass das eigentliche Mitteilungsziel an das Ende des Satzes gelangt. Unabhängig von ihrer Position relativ zum Verbum entspricht die Abfolge der Komplemente auch dem Skopusverengungsprinzip. Das Deutsche stellt daher seine unmarkierte OV-Reihung, also etwa O ind -O dir , wie in einem Freund einen Brief schrieb im postverbalen Bereich <?page no="178"?> 170 des Hauptsatzes nicht um und behält, wie schon bemerkt, auch dort das prädeterminierende Stellungsmuster Kom plement 2 -Komplement 1 (-Verbum) bei. Selbst im Italienischen ist deshalb neben dem unmarkierten Lars scrisse una lettera a un amico ein zu dem dtsch. Lars schrieb einem Freund einen Brief paralleles Lars scrisse a un amico una lettera akzeptabel. Eben damit ist zu begründen, dass Prädetermination allgemein weniger Variation und Stellungsfreiheit zulässt als Postdetermination. Da erstere im unmarkierten Fall notwendig sowohl dem syntaktischen Adjazenzals auch dem Skopusverengungsprinzip entspricht, würde eine Umkehrung der Komplementfolge beide Prinzipien verletzen. Eine Klammerkonstruktion nach links, wie ... dass Lars einen Brief einem Freund schrieb, ist aus diesem Grunde schwerlich als unmarkiertes Serialisierungsmuster einer Sprache vorstellbar. Während bei Prädetermination also eine Optimierung im Sinne einer gleichzeitigen Realisierung der genannten beiden Prinzipien möglich ist, kann bei Postdetermination der grundsätzliche Konflikt nicht gelöst werden: entweder obsiegt das Adjazenzprinzip oder das Skopusverengungsprinzip und die Tendenz, das Mitteilungsziel in die finale Position zu bringen. Die Prädetermination hat andererseits den Nachteil, dass das eigentliche Mitteilungsziel nicht in der absolut letzten Position auftreten kann, sondern nur in der vorletzten vor dem verbalen Kopf, also vor der Konstituente mit dem niedrigsten Mitteilungswert innerhalb einer komplexen Verbalphrase.: (... dass Lars) einem Freund einen BRIEF schrieb, gegenüber dem diesbezüglich optimalen Hauptsatz … schrieb einem Freund einen BRIEF, der freilich das Adjazenzprinzip verletzt. Ein anderer Vorteil der Postdetermination ist darin zu sehen, dass der in Anfangsposition auftretende Kopf mit seiner Valenz und seiner Bedeutung die Art der Komplemente vorhersehbar macht. Diese Abfolge ist auch insofern konstruktionell günstiger, als jeweils von der Basis ausgegangen wird und die Komplemente nicht vorläufig „in der Luft hängen“ wie im Fall der Prädetermination. Dort erscheint zunächst eine Komplementfolge ohne Funktorkopf: ... da (Lars 3 (einem Freund 2 (einen Brief 1 (schrieb)))), während man es bei Postdetermination einfach mit immer komplexer werdenden Funktorköpfen zu tun hat: Lars ((schrieb einem Freund) einen Brief) oder italienisch unmarkiert: Lars ((scrisse una lettera) a un amico). Deshalb ist es im präverbalen Bereich, bevor der eigentliche Funktorkopf ins Spiel kommt, von Bedeutung, dass die Komplemente in der richtigen Reihenfolge gemäß dem Skopusverengungsprinzip präsentiert werden, wie etwa in dem Nebensatz … nachdem Lars Lisa Peter vorgestellt hatte. Mit der Möglichkeit der Typ-Anhebung, das heißt der Verwandlung von Komplementen in Funktoren, kann dieses Struktur- und Linearisie- <?page no="179"?> 171 rungsmuster im Rahmen der Kategorialgrammatik gut sichtbar gemacht werden. Die Komplemente erscheinen als Einheiten, die einen Ausdruck suchen, der sozusagen mit ihnen ein komplexes Gebilde produziert - wie etwa auch das Subjekt, das eine Verbalphrase sucht, die mit ihm einen Satz macht: S/ (S/ NP). Solche Einheiten sind folglich mit dem Komplement ihres Komplements (NP) identisch. Innerhalb strikt prädeterminierender Strukturen führt im Übrigen die Topikalisierung von Satzgliedern in die Position(en) vor dem Subjekt zu etwas problematischen Resultaten, wie etwa bei der Transformation der deutschen Basisordnung: (dass) Karl gestern in Rom einen Bekannten traf in eine hypothetische Hauptsatzversion mit topikalisiertem Temporaldverb: *Gestern Karl in Rom einen Bekannten traf Hier könnte man nicht ohne weiteres erkennen, dass das Adverb aus dem Satz heraus- und vor diesen hinbewegt wurde. Die Serialisierung wäre auch so zu interpretieren, dass nur eine Umstellung zweier prädeterminierender bzw. präverbaler Konstituenten, Subjekt und Adverb, stattgefunden hat und dabei eine deutlich markierte Folge entstanden ist; denn das Adverb erscheint nun nicht etwa in einer grundsätzlich anderen Position, sondern steht nach wie vor präverbal. Auch im deutschen OV- Nebensatz wird eine solche Reihung vermieden und das Subjekt verbleibt vorzugsweise an der Satzspitze: ? Ich weiß, dass gestern Karl in Rom einen Bekannten traf In einem ital. Ieri, Carlo incontrò a Roma un conoscente oder Ieri, a Roma, Carlo incontrò un conoscente ist hingegen klar, dass der Kernsatz mit dem unmarkiert präverbalen Subjekt beginnt und die Adverbiale aus dem Satz extrahiert und diesem vorangestellt worden sind, da das Italienische eine eindeutig postdeterminierende VO-Sprache ist. Eine deutsche OV- Entsprechung des Satzes hätte mit seinen vier präverbalen Konstituenten in dieser Anordnung eine eher unübersichtliche Oberflächenstruktur: *Gestern 4 in Rom 3 Karl 2 einen Bekannten 1 traf Analoges lässt sich im Fall einer Transformierung des Grundmusters (dass) Lars einem Freund einen Brief schrieb zu einer hypothetischen Hauptsatzversion mit topikalisiertem indirekten Objekt *Einem Freund Lars einen Brief schrieb beobachten. Irritierend wirkt hier, wie auch im voranstehenden Beispiel, insbesondere die Verflechtung determinierender Konstituenten, wie der beiden Objekte, mit dem nicht- <?page no="180"?> 172 determinierenden Subjekt. Durch die obligatorische Zweitposition des Verbums im Hauptsatz indessen - Einem Freund schrieb Lars einen Brief oder auch Gestern traf Karl in Rom einen Bekannten (und zur Not Gestern in Rom traf Karl einen Bekannten) - wird das erste Element eindeutig als topikalisierte und bis zu einem gewissen Grad außerhalb des Kernsatzes befindliche Konstituente erkennbar. D.h. das finite Verbum trennt die topikalisierte Konstituente deutlich vom Restsatz; in der unmarkierten Basisordnung trennt es das Subjekt vom Prädikatskomplex. Wie wir in III.3.1. festgestellt haben, ist das topikalisierte Element durch die Verb- Zweitstellung allerdings nicht ganz so klar aus dem Kernsatz ausgelagert wie im Italienischen, wo der verbleibende Rest immer einen strukturell abgeschlossenen, selbständigen Satz darstellt. Geht man im Deutschen vom Nebensatzmuster XV als Basisordnung aus, gelangt man zum jeweiligen Hauptsatz, indem man eine beliebige Konstituente zusammen mit dem (finiten) Verbum an die Spitze des Satzes befördert: Peter / Gestern / In Rom / Einen Bekannten traf … Der jeweilige Restsatz behält konstant die ursprüngliche Reihenfolge bei, also z.B.: Einen Bekannten traf Peter gestern in Rom oder In Rom traf Peter gestern einen Bekannten, wobei das Subjekt dem Verbum immer unmittelbar folgt und damit seine relative Spitzenposition bewahrt. Nicht einmal durch Verrechnung miteinander zu verbinden sind zwei Ausdrücke, deren Kategoriensymbole keine gemeinsamen Elemente besitzen. Dies ist prinzipiell dann der Fall, wenn sich die Ausdrücke auf verschiedenen Strukturebenen bewegen. So kann z.B. ein Adjektiv (N/ N), das mit einem Nomen wieder ein (komplexes) Nomen produziert, nicht auf ein Satzglied wie eine Nominalphrase (NP) oder eine Verbalphrase (S/ NP) angewendet werden; inkorrekt wäre deshalb eine Analyse wie *((i NP/ N capelli N ) NP biondi N/ N ) NP . Dies gilt umso mehr, wenn Satzglieder und Wortkonstituenten miteinander verschränkt sind, wie im Fall der diskontinuierlichen Verbformen des Typs (s.o.): (Susi NP (hat (S/ NP)/ Part eine Couch NP gekauft Part/ NP ) S/ NP ) S Hier muss zwischen Hilfsverb und Nominalphrase die sequentielle syntaktische und morphologische Analyse vorübergehend suspendiert werden. Abschließend sei noch einmal hervorgehoben, dass die Kategorialgrammatik für die Wiedergabe der Wortstellungsmuster und das Sichtbarmachen der Wortstellungsprobleme natürlicher Sprachen deshalb besonders geeignet ist, weil sich durch die explizite Funktionsmarkierung der zu kombinierenden Einheiten das Resultat der jeweiligen Verbindung sofort errechnet. So kann man z.B. zeigen - um dies noch einmal zusam- <?page no="181"?> 173 menfassend zu formulieren - dass man „von unten nach oben“ also vom Dependens zum Kopf per Funktionskomposition sehr wohl ein Komplement überspringen kann, nicht aber von „oben nach unten“, da dadurch eine nur mittels Verrechnung nachzuvollziehende Klammerkonstruktion entsteht. So etwa bei der unmarkierten Folge Subjekt-Verb 2 , (Peter S/ (S/ NP) traf (S/ NP)/ NP ) S/ / NP …, im Unterschied zu … dann (traf (S/ NP)/ NP Peter S/ (S/ NP) ) S/ / NP oder einfacher … dann (traf (S/ NP)/ NP Peter NP ) S/ / NP (einen Freund), wo dem transitiven Verbum zuerst die Subjektstelle abgebunden wird und daher keine Funktionskomposition möglich ist. Analoges trifft für eine Dependens-Kopf-Folge O ind -V 3 zu: … (einem Freund VP/ (VP/ NP) brachte (VP/ NP)/ NP ) VP/ / NP gegenüber umgekehrtem: (brachte (VP/ NP)/ NP einem Freund VP/ (VP/ NP) ) VP/ / NP …, das wiederum nur „verrechnet“ werden kann. III.4. Morphologie: Wörter und Wortformen III.4.1. Stamm und Endung / Suffix In einem Modell der natürlichen Sprache muss sichtbar werden, dass Morphologie „geronnene“ wortinterne Syntax ist. Die kombinatorischen Prozesse im Bereich der Morphologie sind insofern besonders interessant, als durch sie jeweils Gebilde einer grundlegend neuen Kategorie entstehen, nämlich morphologisch abgeschlossene Wörter und Wortformen aus morphologisch nicht abgeschlossenen gebundenen Basiselementen, sieht man einmal vom Wortbildungsverfahren der Komposition ab (s. III.4.4.2.). Spezielle Aufmerksamkeit verdient der semantische Aspekt morphologisch komplexer Strukturen, nämlich die Frage der Bedeutung gebundener Morpheme und der Herstellung einer Gesamtbedeutung durch die Kombination solcher unselbständigen Elemente (Problem der Kompositionalität resp. der Emergenz). Es geht also darum, aus dem gemeinsamen Ursprung sich ergebende Analogien sowie spezifische Unterschiede zwischen Strukturen und Prozessen der Morphologie und solchen der freien Syntax darzustellen. Auch innerhalb morphologischer Gebilde hat das untergeordnete, abhängige Element eine Funktion innerhalb des durch das übergeordnete <?page no="182"?> 174 Element gesetzten strukturellen Rahmens. Dabei stellt sich zunächst die Frage nach Definition und Bestimmung des Kopfes morphologisch komplexer Ausdrücke. Dieses Unterfangen wird im Bereich der Morphologie unter anderem dadurch erschwert, dass der sogenannte Tilgungstest, gemäß dem die Konstituente, die den gesamten Ausdruck allein vertreten kann, den Kopf bildet, naturgemäß nicht anwendbar ist, wenn alle Elemente morphologisch gebunden und daher nicht isoliert zu verwenden sind. Dieses Problem ergibt sich ja schon in Randbereichen der Syntax, etwa beim Artikel, der im Französischen, Italienischen oder Englischen im Unterschied zum Deutschen oder Spanischen nicht allein als Pronominalphrase gebraucht werden kann - also der Mann und mit demonstrativem Charakter der oder span. el profesor und él aber nicht etwa the für the man oder ital. il für il cane -, der aber nichtsdestoweniger in allen diesen Sprachen sinnvollerweise als Kopf der Nominalphrase zu betrachten ist (cf. III.2.4.); entsprechend bei Demonstrativa in dtsch. dieser (Mann) gegenüber frz. cet *(homme). Stellt man sich also die Frage, welche Konstituente die Gesamtkategorie einer morphologisch komplexen Wortform repräsentiert und darin dem jeweils anderen Bestandteil eine bestimmte Funktion zuweist, gelangt man zu dem Resultat, dass es - z.B. in Verbformen wie ital. cant-o, cant-ate, cant-are, cant-ando, cant-ato etc. - die Endungen sind, die dem Stamm gewisse Funktionen zuordnen, jedenfalls nicht umgekehrt, und die mit dem Stamm einen komplexen Ausdruck einer bestimmten syntaktischen Kategorie bilden. Anders gesagt: die unterschiedlichen syntaktischen Kategorien und Funktionen dieser Ausdrücke werden durch die Flexionsendungen wiedergegeben. In unserem Fall handelt es sich zwar durchwegs um Verbformen, die aber ganz unterschiedlichen funktionalen Klassen angehören. So sind canto und cantate Verbalphrasen oder auch Sätze, cantando kann einem Adverbial entsprechen, cantare einem Nomen und cantante / cantato einem Nomen oder einem Adjektiv. Wortbildungssuffixe indessen können auch die Wortart, der der Stamm eigentlich angehört, verändern, wie etwa dtsch. -ung oder -er, die in Wohn-ung oder Schwimm-er mit einem Verbstamm ein Nomen erzeugen. Deshalb ist die Kopf-Frage hier auch weniger problematisch als innerhalb der Flexion, wo mit Verbstämmen Verben und mit Substantivstämmen Substantive etc. geformt werden. In allen Fällen jedoch bilden Suffixe und Endungen mit einem Stamm ein Wort bzw. eine Wortform und sind damit Wort(form)-Macher des Typs Wort/ Stamm (W/ St), wie in ital. muro: (mur- Stn -o W/ Stn ) W oder in canto: (cant- Stv -o W/ Stv ) W , sowie in dtsch. Wohnung: (Wohn- Stv -ung W/ Stv ) W . <?page no="183"?> 175 Die Formulierung, Endungen und Suffixe würden Stämmen unterschiedliche Funktionen zuweisen, ist insofern etwas irreführend, als Stämme eigentlich gerade keine spezielle Funktion haben, sondern einfach potentielle Basen für Suffixe und Endungen sind, die mit ihnen Wörter und Wortformen unterschiedlicher Kategorien und Funktionen herstellen. Innerhalb der freien Syntax ist es hingegen so, dass Kopffunktoren ihren Komplementen eine bestimmte Funktion zuweisen, wie etwa das Prädikat biss, das in dem Satz Der Hund biss den Läufer die erste Nominalphrase zum Subjekt (und Agens) macht und die zweite zum Objekt (und Patiens), da bei Nomina Wortart und syntaktische (und semantische) Funktion zu trennen sind. In der Morphologie stellt sich also auch das Komplement etwas anders dar als in der freien Syntax, wo Komplemente definitionsgemäß (morpho-)syntaktisch abgeschlossene nullstellige Ausdrücke sind, wie Nomina, Nominalphrasen oder Sätze. Das klassische Komplement in der Morphologie, der Stamm, hingegen ist morphologisch nicht abgeschlossen, ebensowenig wie Endungen oder Suffixe. Es ist, wie schon angedeutet, vielmehr so, dass der Stamm nicht direkt einer bestimmten morphosyntaktischen Kategorie zugeordnet werden kann und er auf dieser Ebene funktionslos oder besser funktional neutral ist - gewissermaßen morphosyntaktisch nicht „formatiert“. Er ist als solcher kein Element irgendeiner Wortklasse aber doch insoweit einer Wortart zuzurechnen, als er zunächst zur Erzeugung von Formen einer bestimmten Wortart dient. So ist ital. cant- ‚sing-’ ein Verbstamm, mur- ‚Mauer-’ ein Nominalstamm und grand- ‚groß-’ ein Adjektivstamm, und sie behalten diese Kategorien auch in anderen Umgebungen. Der Stamm steht für die konstante lexikalische Bedeutung der Elemente eines Formenparadigmas, wozu etwa im Falle eines Verbums auch die Valenz oder Stelligkeit des Ausdrucks gehört. Diese kann aber, wie wir auch unter IIII.1.14.1. erörtert haben, ohne eine Endung nicht realisiert werden. Der Verlust der semiotischen Selbständigkeit wirkt sich auch auf Bedeutung und Referenz solcher Zeichen und damit überhaupt auf ihre Zeichenhaftigkeit aus. Die gebundenen Morpheme eines komplexen Zeichens sind sowohl morphologisch als auch semantisch interdependent, was interessante Konsequenzen für das Verhältnis von Form und Inhalt hat. Die Bedeutung von funktionalen Morphemen wie Endungen oder Suffixe ist immer nur hinsichtlich ihres jeweiligen Stamm-Komplements zu formulieren, während ihnen isoliert nicht ohne weiteres eine Bedeutung bzw. ein Denotat zugewiesen werden kann. So hat, um mit einem Beispiel aus der Wortbildung zu beginnen, das deutsche Suffix -er zur Bildung von Nomina Agentis, wie in Taucher oder Lehrer, für sich genommen nicht einfach die Bedeutung ‚(männliche) Person’ oder funktio- <?page no="184"?> 176 naler formuliert ‚Ausübender’ oder ‚Agens’, sondern vielmehr die Bedeutung ‚(männliche) Person, welche die durch den Stamm bezeichnete Tätigkeit ausübt’. Das heißt, dass das Suffix nur in Kombination mit dem Stamm überhaupt etwas bezeichnet und nur gemeinsam mit diesem als Zeichen funktioniert. Im Unterschied zum nominalen Kopf des deutschen Kompositums Apfelbaum bedeutet das Suffix in frz. pomm-ier nicht einfach ,Baum’, sondern ‚Baum, der die durch den Stamm bezeichneten Früchte trägt’ auf der Basis des allgemeinen morphosemantischen Musters ‚Objekt, das etwas mit dem Referenten der Ableitungsbasis zu tun hat’. D.h. die im Kompositum morphologisch nicht ausgedrückte Relation zwischen Apfel und Baum wird in pomm-ier durch das inhärent relationale Suffix selbst wiedergegeben - die Tatsache nämlich, dass es sich um eine Entität handelt, die etwas mit Äpfeln zu tun hat; freilich wird im Kompositum ebendies durch die in einer bestimmten Reihenfolge juxtaponierten Nomina vermittelt. Solche Suffixe beziehen sich daher immer auf einen Referenten in Relation zum Denotat des jeweiligen Stammes, dem dabei eine spezifizierende Funktion zukommt. Im Kompositum Apfelbaum indessen fungiert die Kopfkonstituente Baum nicht als Funktor wie das Suffix -ier, sondern als Komplement des Attributes Apfel-, das vom Typ N/ N oder allgemeiner W/ W ist, da es mit einem Wort wieder ein Wort bildet. Demnach ist der „aktive“ Operator im Fall des Kompositums das attributive Determinans und im Fall der Suffixableitung der Kopf, also das Determinatum. Eine entsprechende historische Entwicklung hat das romanische Adverbialsuffix -mente genommen, das von einem attributiv determinierten Kopfnomen in lat. clara mente ‚auf klare Weise’ zu einem grammatischen Funktorkopf geworden ist, der mit einem Adjektiv ein Adverb bildet, wie in ital. chiaramente. Für die Darstellung der Kombination morphologisch und semantisch gebundener Einheiten erweist sich die kategorialgrammatische Funktor- Komplement-Notation als besonders geeignet und angemessen. Wenn man ein Suffix oder eine Endung durch einen Funktor wiedergibt, der mit einem Stamm einen morphologisch abgeschlossenen Ausdruck einer bestimmten Kategorie bildet, ist man nicht gezwungen, einem Morphem wie dem Suffix -ier oder einem dtsch. -ung isoliert eine bestimmte Bedeutung zukommen zu lassen. Auf der semantischen Ebene sind diese Suffixe Funktoren, die mit der Bedeutung eines Stammes die komplexe Gesamtbedeutung eines Nomens produzieren. Die Bedeutung eines Funktors wird, ebenso wie seine morphosyntaktische Kategorie, generell funktional und relational definiert. Analoge Verhältnisse finden sich im Bereich der Flexion, wie z.B. bei den Endungen finiter Verbformen des Typs ital. cant-o / cant-a / cant-iamo <?page no="185"?> 177 etc. Auch hier liegen keine semantisch abgeschlossenen gewissermaßen autonomen Zeichen vor, da etwa die Endung -o in cant-o nicht einfach mit dem Subjektpronomen io gleichzusetzen ist. Funktional zunächst einfach deswegen, weil der Stamm cantals solcher keine Verbalphrase also kein Prädikat ist und zum zweiten, weil diese Endung nicht nur die Grundbedeutung ‚ich’ besitzt, sondern darüber hinaus die Bedeutungskomponenten [Präsens, Indikativ], die sich nicht auf das Subjekt als solches beziehen, sondern auf das Denotat des Verbstamms. Es besteht hier also keine lokale Entsprechung oder Isomorphie zwischen morphologischer und semantischer Struktur. Man kann deshalb nur sagen, dass die Endung -o mit einem Verbstamm St vi eine finite Verbform der Bedeutung ‚1.Pers.Sg.Präs.Ind.’ von vi (hier cantare) bildet, die der syntaktischen Kategorie Verbalphrase oder Satz angehört. Eine Endung wie -o enthält freilich nicht eine Menge völlig heterogener semantischer Merkmale ohne gemeinsamen Nenner. Wir haben es vielmehr mit einem Merkmalsbündel zu tun, das bestimmte syntaktische Kategorien charakterisiert. So umfasst unsere Endung alle wesentlichen Merkmale der Prädikation bzw. des Satzes, als da sind: Subjekt, Tempus und Modus. In zweiter Linie können dann Merkmale wie Aspekt und Aktiv-/ Passivdiathese hinzukommen. Die Klassifikation der kategoriebestimmenden Endungen und Suffixe als Funktorkopf des jeweiligen Gesamtausdrucks ist vor allem dort bemerkenswert, wo die entsprechende Konstituente in Konstruktionen der freien Syntax Komplementstatus hat, wie etwa das Subjektpronomen in io canto oder er singt resp. das lexikalische Subjekt in Beniamino singt. Im Unterschied zu einer Endung wie -o oder dtsch. -t bestimmt jedoch das (pro)nominale Subjekt nicht die Kategorie des komplexen Ausdrucks, also des Satzes, sondern umgekehrt weist das Prädikat der (Pro)Nominalphrase eine syntaktische und semantische Funktion zu. In dieser Weise morphologisiert wird jeweils das Element mit der geringeren Intension, d.h. dasjenige, das einem kleineren Formeninventar angehört, wie eben das pronominale Subjekt sowie die Tempus-, Aspekt- und Modusangabe beim Verbum oder Numerus, Genus, Kasus beim Nomen und dergleichen. Diese Einheiten bilden nun das Gerüst eines Flexionsparadigmas, indem sie mit einem diesbezüglich neutralen Stamm Ausdrücke unterschiedlicher morphosyntaktischer Kategorien produzieren. Durch den historischen Prozess der Morphologisierung zu Stamm einerseits und Endung oder Suffix andererseits können auch ursprüngliche Komplemente kategorie- und funktionsbestimmende Teile des neu entstandenen Wortes werden und als suffixale Kopffunktoren des Gesamtausdruckes auftreten. <?page no="186"?> 178 Die Interpretation des Subjekt-Komplementes als morphosyntaktischer Kopffunktor einer Verbform ((S/ (S/ NP)) ist im Übrigen weniger widersprüchlich, als es erscheinen mag, da das Subjekt bekanntlich ein besonderes Komplement ist, das im Unterschied zu den Objekten die Kategorie seines verbalen Kopfes tiefgreifend verändert und den Kategorienwechsel vom Prädikat zum Satz entscheidend mitbestimmt. Die das Subjekt reflektierende Personalendung in cant-o / sing-t u.dgl. macht mit einem Stamm ein Prädikat und vollzieht dadurch den Übergang von einem denotierenden zu einem prädizierenden sprachlichen Ausdruck (cf. III.2.2.). Zusammenfassend sei noch einmal festgestellt, dass Verbendungen in Konstruktionen der freien Syntax entweder Komplementen eines Kopffunktors entsprechen, wie in cant-o, oder attribuierten Köpfen, wie in cant-ante ‚einer, der singt’, oder sie waren bereits Kopffunktoren, wie in cant-erò aus vlat. cantare habeo (cf. III.1.6.). Die inhärente Relationalität und der Verlust der semiotischen Selbständigkeit ermöglichen nun auch die Entstehung von Morphemen mit kumulativer, nicht gestalthafter semantischer Struktur, der kein einheitlicher Referent mehr entspricht. So ist etwa eine durch die Merkmalskombination [1.Pers. Sg. Präs. Ind.] definierte Entität, die durch ein ital. -o bezeichnet würde, nicht vorstellbar. Entsprechendes gilt für Deklinationsendungen wie die des Ablativs in lat. terr- ‚zu Lande’, die semantisch nicht einfach mit der Präposition zu oder auf gleichzusetzen ist, da sie darüber hinaus die inhaltlichen Komponenten [fem.Sg.] enthält. Auch hier übernehmen also die Endungen alle semantischen (und grammatischen) Merkmale des Wortes, die über die Bedeutung des reinen Stammes hinausgehen und akkumulieren sie in sich (Polysemasie). In diesem Fall sind es Merkmale, die nicht dem Lokativrelator ‚auf’ als solchem zukommen, sondern, wie eben Numerus, dem Denotat des Nominalstammes respektive dem des ganzen Wortes. Diese Situation erinnert an das Phänomen der Funktionskomposition, durch die im Fall der Artikelpräposition des Typs im wie in im Garten die Merkmale [mask. Sg. Dat. def.] der Nominalphrase bzw. des Nomens vom präpositionalen Kopf in aufgesogen werden (cf. III.1.1.). In dieser Weise lässt sich die Entstehung von Flexion im verbalen und nominalen Bereich explizit nachvollziehen und formal rekonstruieren. Daher muß in der Morphologie generell - aus formalen wie aus inhaltlichen Gründen - mit dem Konzept eines dynamischen Funktors gearbeitet werden, der mit einem weiteren morphologisch gebundenen Element einen abgeschlossenen Ausdruck einer bestimmten Gesamtbedeutung erzeugt. Man kann nicht sagen, um es noch einmal anders zu formulieren, frz. -ier oder dtsch. -ung bedeuteten dies oder jenes, sondern man muss sagen, französische / deutsche Nomina auf -ier bzw. -ung bedeuten und <?page no="187"?> 179 denotieren dies oder jenes. Ebenso unangemessen wäre die Frage, was die Morpheme - in lat. terr und -e in urbe bezeichnen, da nur zu fragen ist, was ein lateinisches Nomen auf - oder -e bezeichnet (einmal abgesehen davon, dass der lateinische Ablativ ganz unterschiedliche semantische Funktionen übernehmen kann). Man kann also z.B. feststellen, dass terr und urbe oder loc Lokalangaben sind, nicht jedoch, dass - , -e, - im Lateinischen Lokalrelationen bezeichnen, im Unterschied zu einer Präposition wie in, der als solcher bestimmte Bedeutungen zugeordnet werden können. Suffixe und Endungen dieser Art sind daher als Synsemantika zu bezeichnen, die nur in Kombination mit einem Stamm als Bedeutungsträger und damit als Zeichen funktionieren. Im Unterschied zur Satzsyntax, in der es primär um Strukturen und abstrakte Kategorien geht, haben wir es in der Morphologie und der Morphosyntax also immer auch mit spezifischen sprachlichen Formen und Formtypen zu tun, deren zentrale Einheit die des Wortes ist. Wenn man annimmt, dass dem morphologisch nicht-abgeschlossenen Status gebundener Morpheme, wie Suffixe und Endungen, so etwas wie eine nicht-abgeschlossene, gebundene semantische Struktur oder Bedeutung korrespondiert, ist auch danach zu fragen, wie es diesbezüglich mit den Stämmen steht, die wir oben als funktional neutrale, morphosyntaktisch noch nicht formatierte Einheiten definiert haben. Nominalstämmen wie cas- (von casa) oder port- (von porto) ohne Ausdruck des semantischen Merkmals ‚Numerus’ - sie sind gewissermaßen weder Singular noch Plural - fehlt ein wesentlicher Bestandteil von Objektbezeichnungen. D.h. die Bedeutungsseite des Stammorphems ist zwar in sich homogen und konstant aber nicht komplett, da Quantifikation im weitesten Sinn eine Voraussetzung für das Denotieren und das Referieren auf Objekte darstellt; einem Stamm wie span. hermanfehlt sogar die Angabe des biologischen Geschlechts (herman-o / -a ‚Bruder / Schwester’). Stämme sind somit Träger nicht-abgeschlossener, unvollständiger und in gewissem Maß gebundener Bedeutungen und können daher nur in Kombination mit anderen gebundenen Morphemen verwendet werden, die den Teil der Bedeutung zum Ausdruck bringen, der ihnen fehlt. Es gibt also in der Tat auch auf semantischer Ebene Interdependenz zwischen den gebundenen Morphemen komplexer Wortformen. Umso mehr trifft dies für Verbstämme wie dtsch. find- oder leitzu, die zwar ebenfalls inhaltlich homogen sind (und die Valenz des Verbums enthalten), aber insofern semantisch unabgeschlossen bleiben, als sie noch keinem semantischen Muster oder Bedeutungsrespektive Denotat-Typ zugeordnet sind. Es ist noch nicht fixiert, ob es sich um ein Prädikat handeln soll wie in leit-et S/ NP , um ein Attribut wie in leit-end.. N/ N und ge-leitet.. N/ N , um eine Vorgangsbezeichnung in Form des Infinitivs leiten oder <?page no="188"?> 180 um eine abstrakte oder konkrete Entität wie in Leit-ung N (vgl. hierzu auch das bereits angesprochene mittelalterliche Konzept der modi significandi, die über die modi intelligendi auf die modi essendi der Dinge zurückzuführen sind). Insoweit entspricht also morphologischer Gebundenheit auch hier semantische Gebundenheit und eine daraus resultierende Interdependenz der Konstituenten. Wie immer man nun die Bedeutung eines Stammes definieren mag, ist festzuhalten, dass er diese Bedeutung nicht allein wiedergeben kann, und dass erst aus der Kombination zweier unvollständiger Bedeutungen eine vollständige, abgeschlossene Gesamtbedeutung und Bedeutungsgestalt geschaffen wird. Diesbezüglich unterscheiden sich die Affixe, jedenfalls die Suffixe und die Endungen, eindeutig von den Klitika, die ja definitionsgemäß nicht akzentuiert werden und damit gleichfalls nicht allein verwendet werden können. Sie sind aber selbst dann, wenn sie morphologisch unvollständig erscheinen, wie etwa die phonologischen Klitika in dtsch. i-geb-s-m für ich gebe es ihm, semantisch abgeschlossen und haben genau dieselbe Bedeutung wie die entsprechenden Vollformen. Im Gegensatz zu den Affixen können sie daher als Wörter klassifiziert werden, die trotz ihrer positionellen Gebundenheit sowohl morphologisch (zumindest in einer Variante), als auch semantisch abgeschlossen sind. Deshalb verbinden sie sich auch nicht mit Stämmen, also mit gebundenen, nach rechts offenen Morphemen, sondern im Prinzip mit vollständigen Wörtern. III.4.2. Auxiliare Ein solcher Verlust der semiotischen Autonomie und die Reduktion auf die Rolle eines konstituierenden Bestandteils einer komplexen Wortform lassen sich in bestimmten Kontexten auch bei morphologisch abgeschlossenen und nur semantisch-funktional gebundenen Ausdrücken, wie z.B. sogenannten Hilfsverben, beobachten. So ist ital. abbiamo ‚wir haben’ als finiter Teil der 1.Pers.Plur. eines zusammengesetzten Perfekts wie in Ieri abbiamo mangiato una pizza eine vollständige Wortform, die jedoch inhaltlich nicht mit dem Präsens des (Voll-)Verbs avere zu identifizieren ist. Entsprechend verhält es sich mit dem infiniten Bestandteil mangiato, der seinerseits nicht mit dem Partizip Passiv, wie in La pizza è / viene mangiata oder attributiv in la pizza mangiata, gleichgesetzt werden darf und auch nicht etwa als direktes Objekt von abbiamo fungiert, wie in abbiamo fame. Gemeinsam bilden die beiden vielmehr eine (nicht-passivische und nichtpräsentische) finite Form des Verbums mangiare, ebenso wie im Fall eines intransitiven Verbums: abbiamo dormito (cf. III.1.7.). Übrigens kann man auch hier in der Regel davon ausgehen, dass sich funktional gebundene Einheiten mit ebensolchen kombinieren. <?page no="189"?> 181 Diese Situation finden wir auch im Fall eines deutschen Futurs wie er wird kommen, wo das Auxiliar werden zusammen mit dem Infinitiv eine finite Form des Paradigmas von kommen ergibt (historisch vermutlich nicht aus dem Infinitiv sondern aus dem Part.Präs. kommend entstanden). Wird ist hier nicht mit der Präsensform des (Voll-)Verbs werden zu identifizieren und kommen nicht als Prädikativ zu interpretieren wie in Bill wird Vater / älter. Derartige semantisch-funktional gebundenen „Wörter“ verfügen also ebenfalls nicht mehr über eine autonome Bedeutung und einen eigenen Referenten, sondern sind nur noch Teilsignifikanten komplexer Bedeutungsträger und in diesem engeren Sinne Synsemantika. Die Konstituenten solcher periphrastischen Formen kommen daher den Konstituenten der aus Stamm und Endung bestehenden flexivischen Entsprechungen funktionell schon sehr nahe, wie z.B. ha cantato und cant-ò ‚er sang’ oder franz. il va arriver und il arriv-era (vgl. hierzu auch III.1. 6.). Die Auxiliarisierung der Formen von aller im periphrastischen Futur ist deutlich daran zu erkennen, dass das Verbum selbst nicht ins Futur gesetzt werden kann: *il ira arriver, wie in il va / ira chercher le médecin; denn va ist in diesem Kontext nicht mehr einfach präsentisch, sondern Träger des Merkmals [Futur]. Geben wir die morphologische Kategorie Partizip Perfekt durch das Symbol Part wieder und den Stamm eines Verbums durch St v , dann stellt sich die innere Struktur einer Verbalphrase wie aveva mangiato una pizza ‚Er hatte eine Pizza gegessen’ wie folgt dar: (a) VP VP/ Part Part St v / Part VP/ St v Part/ NP NP av- -eva mangiato una pizza (b) VP VP/ NP NP VP/ Part Part/ NP aveva mangiato una pizza <?page no="190"?> 182 In (a) lässt sich sehr schön erkennen, wie mittels einer Funktionskomposition das Hilfsverb aveva VP/ Part erzeugt wird, also eine Form, die mit einem Partizip Perfekt eine Verbalphrase macht. Dabei bilden Hilfsverbstamm und Partizip zunächst eine Art komplexen Präteritalstamm, dem außer der Endung noch eine Nominalphrase fehlt: (av- Stv/ Part mangiato- Part/ NP ) Stv/ NP ; denn auch hier liegt die Valenz im Stamm des Verbums. Das Auxiliar kann jedoch erst auf das Partizip angewendet werden, wenn sein Stamm mittels der Endung -eva VP/ Stv zu einer morphologisch abgeschlossenen Form aveva geworden ist. Diese wird dann unter (b) in einer weiteren Funktionskomposition auf den Kopf des komplexen Partizips (mangiato Part/ NP una pizza NP ) Part angewendet, um ein periphrastisches Plusquamperfekt (aveva mangiato) VP/ NP zu erzeugen. Wie wir schon unter III.3.3. deutlich gemacht haben, wird die Anwendung der morphosemantisch gebundenen Einheit mangiato auf die NP una pizza blockiert, um zunächst eine morphosyntaktisch abgeschlossene Wortform aveva mangiato zu bilden, die dann die Nominalphrase zu sich nehmen kann. En passant sei kurz auf die Frage eingegangen, wie im Rahmen unseres Formalismus das morphologisch dreigliedrige, aus Präfix, Stamm und Suffix bestehende deutsche Partizip des Typs ge-kauf-t darzustellen ist. Wir gehen auch hier von einer binären Zerlegung in eine rein morphologisch abgeschlossene Form -kauft und ein darauf bezogenes Präfix geaus: (ge- (kauf-t)). Dazu berechtigen uns unter anderem die ge-losen Partizipien präfigierter Verben wie ver-kauft aber auch studiert u.ä., ganz abgesehen von dialektalen Varianten wie es hat passt oder ich bin kommen / gangen. Dort wo es auftritt, ist das Präfix obligatorisch und daher nicht ohne weiteres als Attribut zu klassifizieren aber auch nicht einfach als Komplement der Basiskombination (Stamm-Suffix). Um diese hybride Kategorie eines obligatorischen Attributs wiederzugeben, kann man von einem attributiven Präfix des Typs Part/ Part ausgehen, das als solches von bestimmten präfixlosen Partizipialformen genommen werden muss: (ge- Part/ Part (kauf- Stv -t (Part/ (Part/ Part))/ Stv ) Part/ (Part/ Part) ) Part Man hat es hier im Übrigen mit dem aus der Wortbildung bekannten Typ der parasynthetischen Bildung (cf. III.4.4.) zu tun, d.i. eine Suffixableitung, die nur in Kombination mit einem Präfix zu verwenden ist. Wir können somit drei Typen gebundener Morpheme unterscheiden: Zum ersten die morphologisch und semantisch gebundenen Suffixe und Endungen - bis zu einem gewissen Grad sind auch die Stämme hinzuzurechnen -, zum zweiten die nur semantisch (aber auch distributionell) gebundenen Auxiliare - in einem bestimmten Ausmaß auch ihre infiniten <?page no="191"?> 183 Komplemente - und zum dritten die nur positionell gebundenen aber im Prinzip morphologisch und semantisch abgeschlossenen Klitika. Versteht man unter semantisch vollständigen oder abgeschlossenen Ausdrücken solche, die über ein eigenes gestalthaftes Denotat oder jedenfalls eine derartige Gesamtbedeutung verfügen, sind im Grunde alle Wörter und Wortformen, mit Ausnahme der Auxiliare, dieser Klasse zuzurechnen. Diese semantische Abgeschlossenheit setzt keine syntakto-semantische Abgeschlossenheit im Sinne einer strukturellen Nullstelligkeit oder Nullvalenz voraus. Daher ist auch eine Präposition wie in (V/ V)/ NP trotz ihrer freien Stelle(n) als semantisch vollständig und abgeschlossen zu betrachten, weil sie als solche kontextunabhängig eine spezifische Enthaltensrelation bezeichnet. Demzufolge, und dies unterstreicht von neuem die Analogie oder den Parallelismus von Form und Inhalt, ist die morphologische Abgeschlossenheit eine Voraussetzung für die semantische; dabei handelt es sich um eine notwendige Voraussetzung, wegen der Auxiliare jedoch nicht um eine hinreichende. Da es hier um die Natur und den Status des Zeichens als solchem geht, kann man auch von semiotischer Abgeschlossenheit oder Vollständigkeit eines Ausdrucks sprechen. Das sogenannte Kompositionalitätsprinzip, gemäß dem die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks eine Funktion der Bedeutungen seiner Teile und der Art ihrer syntaktischen Kombination ist, hat also grosso modo auch im Bereich der Morphologie seine Gültigkeit. Funktoren wie Endungen und Suffixe sind freilich Zeichen, die als Bestandteil eines komplexen Ausdrucks zwar erkennbar, aber nicht isoliert verfügbar und - wenn man so will - nicht zitierbar sind. So ist etwa die Behauptung, die Bedeutung der lateinischen Form urb-e ‚in der Stadt’ (z.B. in tot urbe) bestehe aus der Bedeutung ihrer Teile und der Art ihrer morphosyntaktischen Kombination, insofern etwas problematisch, als eben -e als solches nicht einfach ‚in’ bedeutet, sondern die semantische Funktion hat, mit bestimmten Nominalstämmen einen lokativischen Ausdruck zu bilden. Die Endung ist nichtsdestoweniger der Exponent der Bedeutungskomponente ‚in’ und der lokativischen Bedeutung dieser Wortform. Wenn derartige Morpheme also Exponenten von Bedeutungsteilen sind, kann man sagen, dass Formen wie urb-e oder terr- eine Bedeutung besitzen, die aus zwei Bedeutungsteilen oder Teilbedeutungen bestehen, während Präpositionalphrasen wie in urbe, in terr oder dtsch. in Wirklichkeit eine aus zwei Einzelbedeutungen zusammengesetzte komplexe Gesamtbedeutung zukommt. Entsprechendes gilt für eine Verbform cant-o, die eine Bedeutung hat, die aus zwei Bedeutungsteilen besteht, während z.B. frz. je chante oder engl. I sing semantisch aus zwei Einzelbedeutungen besteht, die eine komplexe Gesamtbedeutung ergeben. Dies lässt sich auch auf die nur semantisch gebundenen Auxiliare übertragen: periphra- <?page no="192"?> 184 stische Verbformen wie abbiamo mangiato oder wird kommen sind Ausdrücke mit einer aus zwei Teilbedeutungen bestehenden Bedeutung. Gebundene Konstituenten morphologisch komplexer Ausdrücke können generell als Teilsignifikanten bezeichnet werden, die als unvollständige Zeichen zu einem vollständigen Zeichen mit einer abgeschlossenen Bedeutung kombiniert werden. III.4. 3. Syntaktische Funktion und Wortart Noch nicht systematisch in das Modell integriert haben wir das Verhältnis von syntaktischer Funktion / Kategorie einerseits und Wortart andererseits, das in der Morphologie flektierender Sprachen aber von zentraler Bedeutung ist. Die syntaktischen Funktionen eines Wortes in der jeweils übergeordneten Struktureinheit werden zumeist durch Endungen angezeigt und differenziert, während sich die durch den gemeinsamen Stamm widergespiegelte Konstanz der Wortart in der potentiellen Determination eines Wortes ausdrückt, d.h. in der möglichen Auswahl der von ihm abhängigen und es determinierenden Ausdrücke. Unabhängig von ihrer Funktion als Prädikat, als Infinitiv oder als Partizip kann z.B. eine Verbform von einem direkten Objekt oder einem Adverb determiniert werden: mange / manger / mangeant sa soupe lentement. Um nun für verbbezogene, dem allgemeinen Typ Verb/ Verb angehörende Attribute wie lentement oder beaucoup erreichbar zu sein, muss die Verbform immer als Element des Verbparadigmas zu erkennen sein und daher etwa wie folgt gekennzeichnet werden: … ((buvant (N/ NV)/ NP son lait NP ) N/ NV lentement V/ V ) N/ NV wo das Adverb auf den tiefgestellten Wortartmarker V in N/ N V , der sich immer auf das Kategoriensymbol als Ganzes bezieht, anwendbar ist: N N N/ N V N/ N V V/ V (N/ N V )/ NP NP enfant mangeant sa soupe lentement <?page no="193"?> 185 Symbole wie V/ V sind eigentlich Kurzformen für X V / X V und repräsentieren Attribute, die mit einem Ausdruck der syntaktischen Kategorie bzw. Funktion X und der Wortart V(erb) wieder eine Einheit dieses Typs erzeugen. Bei Ausdrücken, die mehr als ein Wort umfassen - wie in unserem Beispiel - bezieht sich die Wortartangabe im strengen Sinn natürlich nur auf das jeweilige Kopfwort; d.h. V/ V ist ein Attribut, das beliebige Verbformen oder verbregierte Strukturen determinieren kann. V/ V spricht im übrigen auch auf den Bestandteil V des Symbols VNP für Infinitivphrasen an: ((manger VNP/ NP sa soupe NP ) VNP lentement V/ V ) VNP . Nach der Anwendung auf den nominalen Kopf verschwindet die Wortartmarkierung des Attributes wieder: N, wie hier enfant N , ergibt in Kombination mit N/ N V daher wieder ein N. Wenn also verschiedene Formen eines lexikalischen Paradigmas unterschiedliche syntaktische Funktionen haben oder wenn Vertreter verschiedener Wortarten dieselbe syntaktische Funktion ausüben können, muss die Wortart explizit angegeben werden, um eine wortartspezifische Attribuierung zu gewährleisten. So kann einem Nomen im Genitiv die syntaktische Funktion N/ N zukommen, wie etwa in lat. currus N regis N/ N ‚Wagen des Königs’, während ein Nomen im Ablativ als lokales oder instrumentales Adverbial des Typs (S/ NP)/ (S/ NP) bzw. V/ V fungieren kann, wie in curru V/ V vehitur S/ NPV ‚(er) fährt auf einem Wagen’. Wenn nun ein solches Nomen durch ein Attribut erweitert werden soll, wie etwa in currus N regis N/ N famosi N/ N ‚der Wagen des berühmten Königs’, muss die Wortart vermerkt werden, damit das Adjektiv famosus N/ N eine Anlaufstelle der Kategorie N hat. Wenn das attributive Nomen regis durch das denominale Adjektiv regalis ersetzt wird, ist eine analoge Erweiterung durch das Adjektiv famosus hingegen ausgeschlossen; dieses könnte sich allenfalls auf den Kopfausdruck currus oder das Nominal currus regalis beziehen: ((currus regalis) N famosus N/ N ) N ‚der berühmte Königswagen’. Analoges gilt für ein erweitertes curru V/ V regis / regali vehitur ‚(er) fährt auf dem Wagen des Königs / dem königlichen Wagen’, da sich weder das genitivische regis N/ N noch das Adjektiv regalis N/ N mit einen Ausdruck des Typs V/ V verbindet. Daher muss der adverbiale Kopf curru durch ein Subskript als Nomen gekennzeichnet werden: (curru V/ VN regis N/ N / regali N/ N ) V/ VN . Wird dazuhin das Nomen regis durch ein Adjektiv erweitert, muss es ebenfalls bezüglich seiner Wortart spezifiziert werden, da sich ein Adjektiv nicht mit einem Ausdruck des Typs N/ N kombinieren kann, also: (curru V/ VN (regis N/ NN famosi N/ N ) N/ NN ) V/ VN , und graphisch für die gesamte Verbalphrase curru regis famosi vehitur ‚(er) fährt auf dem Wagen des berühmten Königs’ (vgl. auch II.3.1.2.): <?page no="194"?> 186 S/ NP V/ V N S/ NP V V/ V N N/ N N N/ N N N/ N St n (V/ V N )/ St n curr- - u regis famosi vehitur Der Umstand, dass die Wortart durch die mögliche Determination konstituiert wird, bedeutet in diesem Falle, dass ein Nomen - im Unterschied etwa zu einem Adjektiv - unabhängig von seiner syntaktischen Funktion von einem Adjektiv oder einem weiteren Nomen im Genitiv und darüber hinaus von einem Adverbial oder einem Relativsatz determiniert werden kann. In Artikelsprachen kommt noch die Möglichkeit der Verbindung mit einem Artikel und verwandten „Determinatoren“ hinzu. Eine Wortart wird demnach durch folgende Faktoren konstituiert: a) durch die charakteristische Gesamtheit der syntaktischen Funktionen ihrer Vertreter und gegebenenfalls durch eine entsprechende Menge von unterschiedlichen Formen, b) durch eine bestimmte Auswahl von Determinantien, die sich auf alle Elemente eines Lexems oder lexikalischen Paradigmas beziehen können, und c) durch eine relativ konstante Bedeutungs- oder Denotatskategorie, die auch von den potentiellen Determinatoren widergespiegelt wird. So bezeichnet ein Nomen etwas, was bestimmte Eigenschaften besitzen und daher durch Adjektive determiniert werden kann; dies gilt gleichermaßen für Konkreta wie für Abstrakta: das große Haus und die große Freiheit. Darüber hinaus kann auf die Referenten von Substantiven mittels deiktischer Ausdrücke gezeigt werden: dieses Haus und diese Freiheit, sie sind pluralisierbar, Häuser und Freiheiten, sie können von Possessiva begleitet sein, mein Haus und meine Freiheit, usw. Insofern sind die Wortarten - wie schon des öfteren bemerkt - kognitiv von großem Interesse, da hier tatsächlich sprachliche Gestaltung oder wenn man so will sprachliche Schöpfung von „Realität“ stattfindet. Ein Adjektiv bezeichnet etwas, was in verschiedenen Graden vorkommen und daher von Gradadverbien begleitet sein kann, sehr groß, ein bisschen traurig, ziemlich schnell. Adjektive, die nicht graduierbar sind, weil <?page no="195"?> 187 sie z.B. nur transponierte Nomina darstellen, können unter dem Druck der Wortartzugehörigkeit zu graduierbaren mutieren, wie etwa das französische Relationsadjektiv sportif in club sportif ‚Sportklub’ als Eigenschaftswort in une femme très sportive. Verben bezeichnen nicht einfach Vorgänge und Zustände sondern vielmehr deren Realisierung unter bestimmten Modalitäten und können daher durch Modaladverbien determiniert werden, wie in Klausi spielt schnell / falsch / lang. Da Verben semantisch als Eigenschaften eines Subjekts gefasst sind, bezeichnen Adverbien Eigenschaften von Eigenschaften, während sie als Adjektive in sein schnelles / langes Spiel Eigenschaften des durch das Nomen Spiel bezeichneten „Dinges“ wiedergeben. Auch deshalb ist die deverbale Ableitung Spiel - im Unterschied etwa zum Partizip spielend - kein Element des Paradigmas von spielen, abgesehen davon, dass es kein direktes Objekt zu sich nehmen kann; aus diesem Grund ist die Partizipform spielend als adjektivisches Adverb in etwas spielend schaffen ebenfalls kein Element des Verbalparadigmas. Entsprechend wird die präpositionale Ortsangabe als Eigenschaft einer Eigenschaft in der Aussage X lebt in der Stadt zur Bezeichnung einer Eigenschaft des Substantivdenotats in das Leben in der Stadt, die dann auch adjektivisch ausdrückbar ist: das städtische Leben. Derartige semantische Merkmale bestimmter Wortarten und ihrer Vertreter bleiben unabhängig von deren jeweiliger syntaktischer Funktion konstant. Wortartangaben benötigt man schließlich auch noch in folgendem Kontext: Wenn Attribute auch Komplemente von Kopffunktoren sein können, ist ihr Status als Funktor gewissermaßen außer Kraft gesetzt und sie treten, wie alle Komplemente von Kopffunktoren, als Grundausdrücke auf. So etwa prädikative Adjektive wie in dem Satz Das Wetter (ist (S/ NP)/ Adj schlecht Adj ) S/ NP oder adverbiale Verbkomplemente wie in Bertil (zieht (S/ NP)/ Adv nach Brüssel Adv ) S/ NP , wobei das Symbol Adj für Adjektiv(phrase) steht und Adv für Adverb(phrase). Diese lexikalischen Kategorien benötigt man dann auch als Anlaufstelle für die Attribute von Adjektiven und Adverbien, da diese ungeachtet des Status als Attribut oder als Kopula-Komplement von einem Adverb determiniert werden können. Als Beispiel diene uns das Gradadverb sehr in: Das Wetter (ist (S/ NP)/ Adj (sehr Adj/ Adj schlecht Adj ) Adj ) S/ NP und als Attribut-Attribut in ((sehr Adj/ Adj schlechtes N/ NAdj ) N/ NAdj Wetter N ) N , einem komplexen Nominal, in dem man das Adverb natürlich auch explizit funktional als (N/ N)/ (N/ N) klassifizieren kann. Dieses Gradadverb <?page no="196"?> 188 kann aber auch Adverbien in der Funktion eines Verbkomplements (a) oder eines Verbattributes (b) determinieren: (a) Das Stück (dauerte (S/ NP)/ Adv (sehr Adv/ Adv lange Adv ) Adv ) S/ NP (b) Peter (arbeitete S/ NPV (sehr Adv/ Adv lange V/ VAdv ) V/ VAdv ) S/ NPV Die Markierung der Wortart durch ein der Funktionsangabe hinzugefügtes Subskript visualisiert auch das Faktum, dass die Wortart strukturell insbesondere „nach unten“ für die abhängigen Attribute von Belang ist und die syntaktische Funktion „nach oben“, d.h. auf die jeweils übergeordnete Struktur zielt. So ist unser attributives schlechtes N/ NAdj (Wetter) nach oben ein N/ N und nach unten ein Adj(ektiv), während eine Form wie lat. regis N/ NN in currus regis ‚Wagen des Königs’ nach oben gleichfalls ein N/ N aber nach unten ein N(omen) ist. Die syntaktische Funktion eines sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus dem Verhältnis zu seinem jeweiligen Kopf. Konstante syntaktische Merkmale der Vertreter einer Wortart sind freilich nicht nur ihre möglichen Attribute, also die determinierenden Funktoren, sondern auch die abhängigen determinierenden Komplemente wie etwa die Objekte von Verben oder Präpositionen. Hier zeigt sich wieder die Sonderrolle des Subjekts, das zwar ein Komplement aber, im Unterschied zum Objekt, kein Determinans des Verbums ist (cf. III.2.2.) und daher auch nicht unabhängig von der syntaktischen Funktion der Verbform auftreten kann, sondern nur in Kombination mit finiten Formen. Ein Subjekt nehmen zu können, ist zwar ein charakteristisches Merkmal der Wortart Verbum aber eben kein konstantes, für alle Formen zutreffendes, wie etwa die Fähigkeit aller finiten und infiniten Formen des Paradigmas eines transitiven Verbums, ein direktes Objekt zu sich zu nehmen. Semantisch gesehen entsprechen alle Elemente, die einen Ausdruck subklassifizieren können, konstanten Wortartmerkmalen in diesem Sinne. Eine Erweiterung der zunächst ausschließlich mit Funktionskategorien (abgesehen von den beiden Grundausdrücken N(P) und S) arbeitenden Kategorialgrammatik um die lexikalische Kategorie der Wortart ist also geboten, um auf die auch syntaktisch relevante sprachliche Realität des Lexems oder Wortformenparadigmas eingehen zu können. Auch in allen anderen Fällen, in denen eine Information über die Wortart eines Attributs von Interesse ist, kann diese durch ein Subskript mitgeteilt werden. So z.B. bei einem als Attribut des Typs N/ N fungierenden Adverb wie in der NP (das NP/ N (Haus N dort N/ NAdv ) N ) NP oder in dem Nominal (Haus N (in <?page no="197"?> 189 der Sonne) N/ NPP ) N mit einem komplexen Adverbial. Die lexikalische Information ist in diesem Falle auch für die Wortstellung relevant, da solche Nominalattribute, im Unterschied zum Adjektiv (dortig, sonnig), dem Nomen folgen müssen. Wie das letzte Beispiel zeigt, geht es hierbei ncht nur um die Wortart im engeren Sinn, sondern auch um die jeweilige syntaktische Kategorie eines Funktors wie eben bei der adnominalen PP (in (N/ NPP)/ NP der Sonne NP ) N/ NPP . Analog ist in (Haus N (der N/ NNP/ N Mutter N ) N/ NNP ) N der adnominale Genitiv darzustellen, wobei sichtbar wird, dass ein Artikel grundsätzlich mit einem Nomen eine NP bildet, hier der Mutter, die freilich unterschiedliche Funktionen annehmen kann, wie etwa auch die eines Adverbials V/ V) in einer Verbalphrase: … (schläft V (die (V/ VNP)/ N (ganze N/ N Zeit N ) N ) V/ VNP ) V Um zum nächsten Kapitel - Wortbildung - überzuleiten, vergleichen wir noch einmal die attributive Nominalform regis mit dem funktionsgleichen denominalen Adjektiv regalis, die beide vom Typ N/ N sind oder sein können. Geht man nun vom Nominalstamm regaus, erkennt man, dass im ersten Fall die Funktion N/ N erreicht wird, ohne die Wortart zu transzendieren, während im zweiten Fall ein Wortartwechsel stattfindet und zwar zu einer Wortart, der als solcher die Grundfunktion N/ N eigen ist: (reg- Stn -alis (N/ N)/ Stn ) N/ N . Bedient man sich auch hier der Wortartmarkierung Adj, gelangt man zu folgender funktional neutralen Darstellung: (reg- Stn -alis Adj/ Stn ) Adj . III.4.4. Wortbildung III.4.4.1. Derivation Die Wortbildung ist, wie die Morphologie allgemein, eine Schnittstelle von Lexikon und Syntax, im Sinne einer Integration von Syntax in die Lexik - ein Prozess, den man als Lexikalisierung oder auch als Morphologisierung (s.u. III.4.4.2.) bezeichnen kann. Im Unterschied zur Flexion, bei der man es mit der Erzeugung verschiedener Formen ein und desselben Wortes im Sinn eines Lexems zu tun hat, geht es hier um die Bildung neuer Wörter aus gebundenen Morphemen und / oder (freien) Wörtern und damit um die Erweiterung des Wortschatzes einer Sprache mit eigenen Mitteln und eigenem Material. Der zentrale gebundene Funktor in diesem Bereich ist, neben dem Präfix, das Derivationssuffix, das als Kopf- <?page no="198"?> 190 funktor eben dadurch vom Flexiv zu unterscheiden ist, dass es nicht wie dieses wortform-bildend sondern wort-bildend und damit, jedenfalls in flektierenden Sprachen, stamm-bildend ist. Auf die Produkte der Wortbildung werden dann gegebenenfalls die verschiedenen Flexive zur Übertragung syntaktischer Funktionen und anderer grammatischer Merkmale angewendet, wie z.B. in dem deverbalen italienischen Nomen calcola-tor-e / calcola-tor-i (aus calcolare) ‚Rechner’ oder dem Adjektiv calcola-bil-e / calcola-bil-i u.dgl. Während im Bereich der Flexion, wie wir festgestellt haben, der Kopf- Status der Endung prekär ist, lässt sich diese Frage innerhalb von Derivationen meist eindeutig entscheiden, da das Suffix immer auch Repräsentant der Wortart und damit des Bedeutungs- oder Denotat-Typs ist. Daher sind Suffixe wie -tor(-e) und -bil(-e) morphologisch und semantisch Kopf der Ableitung: calcola-tore bezeichnet eine Person oder eine Maschine und calcola-bile eine Qualität, wohingegen die verbale Ableitungsbasis calcol-are eine Tätigkeit bezeichnet und historisch ihrerseits schon eine denominale Ableitung aus lat. calculus ‚Rechenstein’ darstellt. Aber auch dort, wo das Suffix die Wortart der Ableitungsbasis nicht verändert, wie in notizi-ario aus notizia oder frz. banqu-ier aus banque, ist die morphosemantische Abhängigkeitsstruktur klar (Bildungen wie (verschiedene) Ismen belegen, dass das Suffix in der Tat als Kopfkonstituente aufgefasst wird). Flexive indessen bilden mit dem Stamm eines Wortes einer bestimmten Wortart eine spezielle Form ebendieses Wortes, wie z.B. ved-iamo ‚wir sehen’, und sind somit vom Typ Wort x / Stamm x , also W x / St x , wobei W immer für eine spezielle Funktion des Wortes steht. Bei der Suffigierung hingegen sind grundsätzlich zwei Stämme im Spiel: St y / St x , d.h. Stamm y / Stamm x , die auch derselben Wortart angehören können (St x2 / St x1 ). Die Flexion bewegt sich, anders gesagt, im Rahmen eines Wortes, während die Suffigierung und allgemein die Wortbildung diesen Rahmen transzendiert und prinzipiell mindestens zwei verschiedene Wörter einschließt. Der Kopfstatus von Suffixen ist also noch ausgeprägter als der von Flexiven, da erstere als Repräsentanten der Wortart und des jeweiligen Denotattyps die Basis für die wortartspezifische Determination und die funktionellen Flexive bilden. So z.B. in dem oben genannten Adjektiv ((calcola- Stv -bil- Sta/ Stv ) Sta -e Adj/ Sta ) Adj , in dem die Adjektivendung -e Adj/ Sta mit einem Adjektivstamm ein Adjektiv bildet, oder in einem komplexen Nomen wie ital. industrializzazione: ((((industri- Stn -al- Sta/ Stn ) Sta -izza- Stv/ Sta ) Stv -zion- Stn/ Stv ) Stn -e N/ Stn ) N - und: <?page no="199"?> 191 N St n N/ St n St v St n / St v St a St v / St a St n St a / St n industri- -al- -izza- -zion- -e Auf der linken Seite des Strukturbaumes ist leicht zu erkennen, wie aus einem Nominalstamm mittels eines Suffixes ein Adjektiv-, dann ein Verbal- und schließlich wieder ein Nominalstamm gebildet wird. Deutlich sichtbar wird auch der Unterschied zwischen den stammbildenden Suffixen und dem wortformbildenen Flexiv -e vom Typ W x / St x . Während auf der linken Seite des Baumes die Ableitungsbasen, d.h. die Komplemente aufsteigen, sind auf der rechten Seite die Suffixe und die Endung, also die Funktoren der rechtsköpfigen Bildungen aufgereiht. Aus formaler Perspektive ist noch auf folgende Eigenart der Derivation hinzuweisen: Obwohl wir es hier mit Kopffunktoren zu tun haben, ergibt sich wie bei Attribution eine iterative Struktur, weil durch die Anwendung eines weiteren Suffixes jedesmal wieder ein neues Wort bzw. ein neuer Wortstamm entsteht. Da man damit komplexe Wörter erzeugt, die mehrere Wörter oder Stämme - anders gesagt, jeweils wieder ein morphologisch einfacheres Wort - in sich enthalten, könnte man von Zwiebel- oder Babuschka-Strukturen sprechen. Dies ist kategorial damit zu begründen, dass Suffixe, im Unterschied etwa zu transitiven Verben, nicht mehrwertig sind, sondern nur ein einziges Komplement zu sich nehmen können. Bei Erweiterung eines Wortes / Stammes durch ein zusätzliches Suffix nimmt dieses folglich immer den gesamten ihm vorangehenden, bereits suffigierten Stamm en bloc zu sich (vgl. aber unter III.1.5. das durch eine Funktionskomposition entstandene komplexe Suffix -erie in frz. chevalerie). Wesentlich ist der Umstand, dass in der Wortbildung immer nur ein neues Wort mit einem Wort oder ein neuer Stamm mit einem Stamm produziert werden kann. Dort, wo sich ein tatsächlicher Kategorienwechsel vollzieht, nämlich bei der Anwendung von Flexiven, die mit einem Stamm ein abgeschlossenes Wort formen, ist auch keine Iteration möglich. <?page no="200"?> 192 Wir haben bereits wiederholt den Umstand angesprochen, dass einem Suffix wie -azion(e) (eigentlich -zione ohne den Stammvokal des Verbums) nicht isoliert irgendeine Bedeutung zugeordnet werden kann, da seine Aufgabe als Funktor vielmehr darin besteht, mit einem Verbstamm ein Nomen zu bilden, das unter anderem einen Vorgang bezeichnet. Das Suffix hat nicht als solches die Bedeutung ‚Vorgang’, so wenig wie -ator(e) als solches die Bedeutung ‚Täter’ hat oder -oso in sabbi-oso ‚ricco di sabbia’ die Bedeutung ‚reich (an)’. Dieser Verlust der semiotischen Autonomie bei gebundenen Morphemen ist nun auch unter folgender allgemeineren Perspektive von Interesse. Die Sprache trennt zunächst Teile oder Aspekte von Entitäten aller Art, die in der Realität, aber auch in deren Wahrnehmung, so nicht voneinander getrennt sind, indem sie diese Teile mit eigenen Wörtern benennt und ihnen dadurch eine Art autonomer Existenz verschafft. So wird eine Eigenschaft von ihren Eigenschaftsträgern getrennt, indem man sie z.B. mit dem Adjektiv blau bezeichnet. In der syntaktischen Struktur, konkret beim Sprechen, d.h. beim Gebrauch der Sprache werden nun diese Facetten wieder zusammengefügt, um eine komplexe Realität darzustellen. In einem Syntagma wie blauer Himmel projiziert man die beiden Aspekte wieder aufeinander, wobei die vorgängige Analyse aufgrund der linearen Eindimensionalität der sprachlichen Zeichen aber als solche bestehen bleibt. Ebenso trennt man die Modalität von dem Prozess, dem eine bestimmte Modalität zu eigen ist, indem man sie z.B. mit dem Adverb rapidamente bezeichnet, um sie dann in Sätzen wie Ibrahim corre / parla / mangia rapidamente mit verschiedenen Modalitätsträgern zu kombinieren. Dies entspricht auch dem Prozess der bewussten Wahrnehmung, deren Vehikel eben die sprachlichen Einheiten und Strukturen sind. Auch hier geschehen kontinuierliche Zuordnungen und Wiederzusammensetzungen von jedenfalls sprachlich getrennten Teilen der Realität. Eine wesentliche Leistung der Sprache ist, allgemein gesprochen, die Trennung von Substanz und Akzidens zur Bildung von Urteilen, wodurch analytisches (wissenschaftliches) Denken auf der Basis von Klassen- und Subklassenbildung erst ermöglicht wird. Dieser Vorgang der Wiederzusammensetzung (vgl. hierzu auch G.E. Lessings, Laokoon, XVII) lässt sich mit dem Funktor-Argumentmodell der Kategorialgrammatik gut nachbilden, da dort die sprachlichen Zeichen gerade nach ihren kombinatorischen Eigenschaften kategorisiert werden. Dieses Wiederzusammensetzen kann dazu führen, dass die sprachlich dissoziierten Teile, etwa bei hoher Gebrauchsfrequenz, morphologisch gewissermaßen wieder zusammenwachsen und nicht mehr so deutlich als eigene autonome Entitäten in Erscheinung treten. Es entstehen somit <?page no="201"?> 193 wieder synthetischere, weniger transparente Ausdrücke, die die sprachlich-kognitive Trennung der Bestandteile eines Objekts nicht mehr linear widerspiegeln. So sind, um unser Beispiel noch einmal aufzugreifen, in einem frz. pomm-ier Baum und produzierte Frucht sprachlich weniger scharf voneinander getrennt als im deutschen Kompositum Apfelbaum, und in einem dtsch. Asch-er weniger deutlich als in Aschenbecher, entsprechend auch in einem synthetischen Kätzchen gegenüber einem analytischen kleine Katze. Dies trifft analog für die Flexion zu, wo etwa in einem ital. canta Person und Tätigkeit, Substanz und Akzidens, weniger klar geschieden sind als in frz. il chante oder dtsch. er singt. Die Tendenz zur Durchsichtigkeit konkurriert hier also mit der Tendenz zur kompakten, knappen Bezeichnung mittels ökonomischer Mehrzweckinstrumente wie den morphologisch und semantisch gebundenen Suffixen. Wenn nun Suffixe in der Regel eindeutige Fälle von Synsemantika sind, die außerhalb ihres morphologischen Kontextes nicht (mehr) als Zeichen fungieren, stellen sich Präfixe diesbezüglich doch etwas differenzierter dar. Vor allem sind Präfixe keine Köpfe sondern Attribute und zwar, wie der morphologische Befund zu ergeben scheint, Attribute von Wörtern. Präfixe verbinden sich im Unterschied zu Suffixen nicht mit Stämmen, sondern - und dies haben Präfixableitungen mit Komposita gemeinsam - mit morphologisch abgeschlossenen Wortformen, wie in: (aus- V/ V (geh- Stv -en V/ Stv ) V ) V . Sie sind daher im Unterschied zu Suffixen auch keine morphologisch notwendigen Konstituenten des Gesamtausdrucks, den sie nicht repräsentieren, sondern sie stellen, wie syntaktische Attribute auch, tilgbare kategorieerhaltende Erweiterungen des Typs X/ X dar (cf. aber unten). Diese Analyse hat allerdings zur Folge, dass ein Präfix wie auseinfach als Adverb klassifiziert würde und somit dieselbe Funktion wie das Adverb hinaus V/ V in (hinaus gehen) V oder auch wie langsam V/ V in (langsam gehen) V hätte. Es verhält sich nun jedoch so, dass das Präfix aus-, wie die meisten dieser Elemente, zwar auf ein adverbiales Komplement des Verbums zurückgeht, aber doch insofern schon zu einem quasi gebundenen Morphem geworden ist, als ausim Deutschen nicht mehr unbeschränkt als Adverb verwendet werden kann und außerdem, gerade in Kombination mit -gehen, eine deutliche semantische Lexikalisierung erfahren hat. Wenn ausalso durch einen historischen Prozess seinen Status als freies Morphem eingebüßt hat, kann es sich im Prinzip auch nicht mehr mit einem freien Morphem, sprich einem Wort, kombinieren, sondern eben nur mit einem gebundenen Stamm, um mit diesem einen erweiterten Stamm zu bilden. So gesehen ist es folglich stammbildend wie ein Suffix, mit dem <?page no="202"?> 194 Unterschied, dass es nicht als Kopffunktor sondern als Dependens- Funktor des Stammes auftritt und damit vom Typ St X / St X ist. Damit kommt es zu folgender morphologischen Reanalyse, bei der ein neuer Stamm ausgehmit einem Flexiv wie der Infinitivendung zu einer Wortform verbunden wird: ((aus- Stv/ Stv geh- Stv ) Stv -en V/ Stv ) V . Der attributive Funktor aus- Stv/ Stv bleibt morphologisch fakultativ ist aber semantisch gebunden, denn die präfixlose Form geh-en ist zwar morphologisch korrekt, der Strukturpartner der Flexionsendung ist jedoch der komplexe Stamm ausgeh-. Wir beobachten also auch hier einen partiellen Verlust der Isomorphie zwischen morphosyntaktischer und semantischer Struktur, dessen Wirkung derjenigen einer Funktionkomposition vergleichbar ist. Die durch die morphologische Kategorie des Präfixes gewährleistete Fakultätivität entspricht jedoch weiterhin der loseren Bindung des Präfixes an den Stamm und die Trennbarkeit von seiner verbalen Basis in Konstruktionen wie: Franzi geht heute abend aus. Es bleibt auch der Sachverhalt, dass rein oberflächenmorphologisch der Strukturpartner eines Präfixes ein Wort ist oder anders gesagt, dass ein präfigiertes Wort morphologisch immer in ein Präfix und ein Wort zu zerlegen ist, es also die typisch attributive Struktur (Präfix+Wort) Wort - und iteriert: (Präfix (Präfix+Wort) Wort ) Wort etc. - aufweist. Dies gilt auch für die sog. parasynthetischen Ableitungen, deren Präfix lexikalisch obligatorisch ist, wie frz. em-bouteill-er, a-plat-ir oder das dtsch. ein-tüt-en, die nicht ohne Präfix vorkommen: *bouteiller, *platir, *tüten. Beispiele wie die französischen deadjektivischen Verben a-grand-ir und grand-ir ‚vergrößern’ beweisen freilich, dass es sich hierbei eher um zufällige Lücken handelt. Präfixe müssen zumal dort als stammbildend betrachtet werden, wo sie Teil der Basis einer Suffixableitung sind, wie in ital. denazionalizza-zione (auch snazionalizza-zione), das eine Nominalisierung des Verbums denazionalizzare darstellt und nicht eine Präfigierung des Nomens nazionalizzazione, also: (((de- Stv/ Stv ((nazion- Stn -al- Sta/ Stn ) Sta -izza- Stv/ Sta ) Stv ) Stv -zion- Stn/ Stv ) Stn -e N/ Stn ) N <?page no="203"?> 195 N St n N/ St n St v St n / St v St v / St v St v St a St v / St a St n St a / St n denazion- -al- -izz- -azion- -e Auch hier findet man die Komplemente jeweils auf der linken Baumseite und die Funktoren auf der rechten mit Ausnahme des Attributfunktors de-. Die Graphik zeigt deutlich, dass Präfigierungen morphologisch immer (auch) in die Konstituenten Präfix+Wort zu zerlegen sind (de+nazionalizzazione), wenngleich das Präfix im vorliegenden Falle, wie gesagt, morphosemantisch keine unmittelbare Konstituente der Gesamtableitung ist, sondern Strukturpartner des Verbstammes nazionalizzabeziehungsweise des Verbums nazionalizzare. Präfixe sind im allgemeinen wortartsensitiv und determinieren häufig nur Vertreter bestimmter Wortarten (vgl. auch III.4.3.). Das Privativpräfix in-/ im-, dtsch. unetwa verbindet sich mit Adjektiven und - aus semantischen Gründen - nicht mit Verben. Deshalb ist die Ableitungsbasis eines ital. in-dipendente keine Verbform, also kein Element des Paradigmas von dipendere, sondern das Adjektiv dipendente, dem im Deutschen das Adjektiv abhängig mit dem privativen Gegenstück unabhängig entspricht, während die Verbform abhängend kein privatives *unabhängend bilden kann, da es kein Verbum *unabhängen gibt. Die Form passend hinwiederum hat bereits zum Adjektiv mutiert, von dem auch ein privatives unpassend abgeleitet werden kann. Im Unterschied zu Attributen in der freien Syntax können Präfixe freilich auch die Valenz ihrer Basis ändern, wie etwa im Falle unseres in III.1.4. diskutierten Beispiels Der Pfeil dringt durch die Wand → Der Pfeil durchdringt die Wand, analog etwa auch fährt um → umfährt oder fliegt über → überfliegt. Dadurch dass die Kopfkonstituente des adverbialen Komplements durch die Wand zu einem Teil des Wortes wird, wandelt sich dieses zum transitiven Verbum mit direktem Objekt. Eine derartige Wir- <?page no="204"?> 196 kung eines attributiven Funktors auf seinen Kopf ist nur deshalb möglich, weil hier nicht einfach ein erweitertes Syntagma mit einem fakultativen Attribut entsteht, sondern ein neues Wort respektive ein neuer Stamm mit einer speziellen Bedeutung, die auch eine Änderung der syntaktischen Valenz einschließen kann. Solche Entwicklungen zeigen, dass die innere Struktur eines morphologisch komplexen Wortes nicht einfach ein Teil der umgebenden syntaktischen Struktur ist, und das Wort eine eigene strukturelle Ebene im Satz konstituiert. Trotz alledem bleibt das Präfix Attribut des verbalen Kopfes, und die Tilgungsprobe funktioniert zumindest unter morphologischem Aspekt problemlos: (durch-)dringen, (um- )fahren, (über-)fliegen oder auch (aus-)gehen. Der attributive Status ist aber auch semantisch zu begründen, da man es im weiteren Sinn ja durchaus mit einer Subklassifikation der einfachen Verben zu tun hat. III.4.4.2. Komposition Vor dem Hintergrund der Affinität von Präfigierung und Komposition ist die Frage zu stellen, wie diese beiden Wortbildungsmuster in unserem formalen Modell auseinanderzuhalten sind. Die erste Konstituente eines deutschen Nominalkompositums wie Filterkaffee ist zweifellos ebenfalls ein attributiver Funktor und könnte daher zunächst derselben Kategorie wie das Adjektiv in starker Kaffee, nämlich N/ N, zugewiesen werden. Wiederum wäre aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Wert des Adjektiv-Funktors ein nominales Syntagma (Nominal) ist, der des adnominalen Nomens jedoch ein Kompositum, also ein Wort. Um graphisch zu verdeutlichen, dass es sich hier um innerlexikalische Prozesse im Rahmen des Wortes handelt, kann man in Analogie zu den Minuskeln in St v für Verbal- oder in St n für Nominalstamm ein Symbol W x (Wort x ) für morphologisch abgeschlossene Formen der Wortart x verwenden, also gerade für Bestandteile von Komposita. Einfachheitshalber ist diese Bedeutung der Minuskel x selbst zu übertragen, so dass das Determinans unseres Kompositums als W n / W n oder eben als n/ n kategorisiert wird. Wenn man schließlich noch die Wortart dieses nominalen Attributs anzeigen möchte, ist es mit dem Kategoriensymbol n n/ n auszuzeichnen. Somit ist dem Kompositum folgende morpholexikalische Struktur zuzuordnen: (Filter nn/ n Kaffee n ) n . Dabei gilt, dass alle Ausdrücke der Kategorie n im Sinne einer Teilmenge auch Elemente der Kategorie N sind. Die graphische Anordnung, in der zunächst die Wortart und dann die Funktion als Subskript erscheint, im Unterschied zu unserem lat. (currus N regis N/ NN ) N (s.o. III.4.3.), ist so begründet: Die Form regis ist (u.a.) ein Attribut der Kategorie Nomen, während die erste Konstituente Wortes Filter- <?page no="205"?> 197 kaffee als solche kein Funktor ist, sondern ein Nomen des Typs n, das in diesem speziellen Kontext die Funktion n/ n eines adnominalen Attributes übernimmt. Der speziellen Frage, inwieweit deverbale Köpfe wie -bau in Hausbau als Funktorköpfe eines Komplements Hauszu analysieren sind, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Man kann aber auch in solchen Fällen zunächst von der attributiven Funktion des determinierenden Nomens ausgehen, da Hausbau eine bestimmte Sparte von Bau bezeichnet und das Nomen Bau als solches ein nullstelliger Grundausdruck ist, im Unterschied freilich zu Fällen wie Hoffnung auf Besserung / Gang nach Emmaus / Schlag ins Wasser u.dgl., in denen die präpositionale Rektion des zugrundeliegenden Verbums übernommen wird (vgl. aber unten). Als Wortbildungsfunktoren auftretende Nomina können sich aber auch mit Vertretern anderer Wortarten kombinieren und sind dann vom Typ y x/ x. So haben wir in messerscharf oder (blut nadj/ adj rot adj ) adj ein Nomen, das mit einem Adjektiv wieder ein Adjektiv macht - im Unterschied etwa zu dem Nominalkompositum (Blut nn/ n schande n ) n , in dem Blut ein Nomen spezifiziert - und in (brust nv/ v schwimmen v ) v ein Nomen, das mit einem Verbum ein Verbum bildet. Von dem Muster blutrot zu unterscheiden ist die Kombination von Nomina mit Adjektiven, denen eine spezifische Valenz inhärent ist, wie z.B. arm / reich (an) oder frei / voll (von) in Komposita wie blutarm oder eisfrei. In diesen Fällen ist das Adjektiv als suffixartiger Kopffunktor zu definieren, der ein Nomen als Komplement zu sich nimmt, um mit diesem ein komplexes Adjektiv zu bilden, und somit vom Typ y/ x y ist: (eisn frei adj/ nadj ) adj. H ier erscheint im Übrigen die Funktionsangabe zuerst, gefolgt von einem wortartspezifizierenden Subskript, weil das Adjektiv frei als solches und nicht nur in diesem Kontext ein Kopffunktor des Typs adj/ n bzw. Adj/ PP ist. Während in diesen Komposita die Relation zwischen Nomen und Adjektiv durch die Valenz des Adjektivs bestimmt wird, ist es im Fall von blutrot das nominale Attribut in seiner Verwendung als Vergleichsobjekt, das die syntaktisch-semantische Beziehung zwischen den Konstituenten herstellt. Dem entspricht auf semantischer Ebene die Tatsache, dass blutrot eine Art von rot bezeichnet, blutarm jedoch nicht eine Art von arm und schneefrei nicht eine Art von frei. In blutarm bezeichnet blutkeine Eigenschaft von arm, in blutrot indessen eine Eigenschaft von rot. Bezeichnenderweise lässt sich bei den suffixartigen Funktoren in eisfrei / blutarm oder wasserreich eine gewisse Lexikalisierung oder Morphologisierung erkennen. Dieser semantische Prozess manifestiert sich in einer progressiven Verringerung des Bedeutungsgehaltes solcher Elemente, wie dies schon ganz eindeutig bei Suffixoiden wie -los in treulos / farblos / arbeitslos oder <?page no="206"?> 198 bei engl. -ful in successful etc. gegeben ist, die in dieser Bedeutung praktisch nicht mehr als eigenständige Adjektive verwendet werden können. Graphisch stellen sich die beiden zusammengesetzten Adjektivtypen so dar: adj vs. adj n adj/ adj adj n adj/ n adj blut- -rot blut- -arm Attributive Wortbildungsfunktoren können schließlich auch von Haus aus Attribute des Typs X/ X sein, die Syntagmen der Kategorie X bilden, wie etwa in dem Kompositum herübergrüßen, dessen erste Konstituente das Adverb herüber V/ V ist. Da es in dieser Konstellation aber als Wortbildungsfunktor auftritt, hat es den Typ v/ v bzw. v/ v adv und das ganze Verbum wird: (herüber v/ vadv grüßen v ) v . So kann auch der Unterschied zwischen syntagmatischem frz. petit livre ‚kleines Buch’ und kompositionellem petit pain ‚Brötchen’ ausgedrückt werden. Im ersten Fall ist das Adjektiv vom Typ N/ N, da es mit einem Nomen ein Syntagma, ein Nominal (petit N/ N livre N ) N produziert, und im zweiten Fall vom Typ n/ n adj , da es mit einem Wort wieder ein Wort bildet, nämlich das Kompositum (petit n/ nadj pain n ) n (vgl. auch dtsch. rote Rüben, schweres Wasser, saure Gurken u.dgl.). Erwähnt sei abschließend noch der vieldiskutierte Typ frz. comptegouttes, ital. contagocce oder span. cuentagotas ‚Tropfenzähler’, dem eine Verb-Objekt-Relation zugrundeliegt. Ungewöhnlich an diesem Muster ist die Kombination eines morphologisch gebundenen Funktorkopfes mit einem Wort statt mit einem morphologisch ebenfalls gebundenen Element. Geläufig ist eine derartige Kombination allenfalls bei Attributen in Form eines Präfixes, wie etwa in franz. re-faire, ital. s-contento oder dtsch. ver-führen. Ein solches morphologisches Muster findet man auch in deutschen Bildungen der Art Schlag-arm, Wett-büro, Zahl-tag oder auch Lachtaube und Prügelknabe, bei denen die verbale Stammform jedoch als prädeterminierendes Attribut fungiert. Alle diese Gebilde entsprechen jedenfalls nicht der klassischen Definition des Kompositums als komplexes Wort, das aus mehreren Wörtern besteht. Bei dem oberflächlich parallelen frz. compte-gouttes oder compte-tours hingegen ist der Verbstamm - interpretiert man denn diese Konstituente <?page no="207"?> 199 als Stamm - ein Funktorkopf, der ein direktes Objekt gouttes regiert. Es würde sich daher auch die Annahme eines agentiven Nullsuffixes in Analogie zu einem deutschen Nominalkompositum Tropfenzähl-er bzw. einem frz. compt-eur (de) gouttes anbieten: ((compte- Stv - ∅ n/ Stv ) nn/ n gouttes n ) n ; ein Nominalkompositum dieses Strukturmusters in der Form *compteurgouttes ist im Französischen allerdings kaum zu erwarten. Im Rahmen einer solchen Analyse wäre dann -gouttes wie dtsch. Tropfenals nominales Attribut des Typs n n/ n zu klassifizieren, womit es dann strukturell freilich nicht von einem compteur de taxi ‚Taxameter’ zu unterscheiden wäre, dem keine Verb-Objekt-Beziehung zugrundeliegt. Da Formen wie compte- / conta- / cuenta- oder gardein garde-robe oder garde-malade ‚Krankenwärter’ nun aber eindeutig verbaler Natur sind, sollte man doch von einem Rektionsverhältnis zwischen ihnen und dem folgenden Nomen ausgehen und die Struktur des Wortes entsprechend wiedergeben. Man kann nun das (artikellose) Nomen gouttes auf der Ebene der Wortbildung als Nominalphrase in der Funktion eines direkten Objekts interpretieren. Wir haben es also mit einer Art morphologischer NP zu tun, die gemäß unserer Konvention durch Minuskeln wiederzugeben ist: -gouttes np ; die gesamte Bildung stellt sich dann wie folgt dar: (compte- Stvn/ np -gouttes np ) n . Wie immer man die erste Konstituente morphologisch interpretiert, wird man es mit einem verbalen Kopffunktor zu tun haben, der mit einem direkten Objekt ein komplexes Nomen bildet. Strukturell wäre im übrigen eher für eine Interpretation als Stamm zu plädieren denn als definite Verbform wie z.B. die 3.Pers.Sing., da diese kein typisches Wortbildungselement ist und sich auf der Ebene der Satzsyntax mit einer formalen NP les / des gouttes verbindet. Die Kategorie np bzw. der Funktor Stv n/ np macht die eingangs apostrophierte Integration der Syntax in die Lexik durch die Wortbildung sichtbar. Diese Notation könnte nun auch auf die oben angesprochenen Nominalkomposita mit deverbalem Kopf des Typs Hausbau angewendet werden, da ja auch dort eine Verb-Objekt-Relation zugrundezulegen ist. Solche Bildungen hätten dann die Struktur: (Haus np -bau nn/ np ) n , im Unterschied zu attributivem Hausfrau oder Haustür: (Haus nn/ n -tür n ) n . Dem rektionalen Typ gehören dann auch Komposita wie Tropfenzähler (cf. III.1.14.2.) an, dessen nominale Kopfkonstituente als solche ebenfalls kein Funktor ist, innerhalb unseres Wortbildungsmusters aber diese Funktion wahrnimmt: (Tropfen np -zähler nn/ np ) n . Gerade im Bereich der Wortbildung und generell in dem der Morphologie manifestiert sich die deskriptive und analytische Potenz der Katego- <?page no="208"?> 200 rialgrammatik und ihre Fähigkeit, sehr feine morphosyntaktische und morphosemantische Differenzierungen vorzunehmen (und aufzufinden), und zwar gerade deshalb, weil man sich gezwungen sieht, in jedem Einzelfall eine explizite Funktionsdefinition vorzunehmen, die dann in einem bestimmten Typ von Kategoriensymbol ihren Ausdruck findet. III.4.5. Zur mentalen Speicherung und Verarbeitung gebundener Morpheme und morphologisch komplexer Ausdrücke Die Konzeption morphologisch gebundener Einheiten wie Affixe und Endungen als Funktoren, die virtuell auf ein oder mehrere Komplemente ausgerichtet sind, ist auch unter kognitiv-mentalem Aspekt von Interesse. Die selbst dem linguistisch ungebildeten, naiven Sprecher jederzeit zur Verfügung stehende Möglichkeit der analogischen Neubildung von Formen lässt erkennen, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist, die Struktur morphologisch komplexer Wortformen unbewusst zu erfassen, das heißt zu analysieren, zu segmentieren und die Bestandteile zu rekomponieren. Unbewußt ist diese Kenntnis insoweit, als der naive Sprecher normalerweise nicht in der Lage ist, über Struktur und Bildung seiner korrekten Konstruktionen explizit Rechenschaft abzulegen. Er verfügt über eine Art von implizitem, prozeduralem Wissen und nicht über ein mitteilbares deklaratives Wissen, das er auf einer sprachlichen Metaebene als solches formulieren könnte. Jedenfalls ist dies keine Bedingung für einen derartigen kreativen Umgang mit der eigenen Sprache (cf. II.2.). Es ist die Differenz zwischen Können und Wissen, wie man sie etwa erfährt, wenn man seine eigene Muttersprache unterrichtet. Wenn der Sprecher nun aber einen Zugriff auf einzelne Wortkonstituenten, also auch auf gebundene Morpheme, zumal auf Flexive, zu haben scheint, stellen sich die folgenden beiden Fragen: 1. Sind die gebundenen Morpheme, wie etwa Flexive, Suffixe oder auch Wortstämme als solche isoliert im Gedächtnis gespeichert und wenn ja, in welcher Form und mit welchem Inhalt? 2. Wie und nach welchen Regeln werden gebundene Morpheme gegbenenfalls zu einem komplexen, morphologisch abgeschlossenen Wort zusammengefügt - wie wird mit ihnen „umgegangen“? Zu 1.: Gegen die mögliche Annahme, dass gebundene, insbesondere grammatische Morpheme als solche isoliert im Gedächtnis gespeichert sind, sprechen vor allem folgende Gegebenheiten. Derartige Elemente <?page no="209"?> 201 haben - abgesehen vielleicht von Numerus und (biologischem) Genus - abstrakte Bedeutungen und Bedeutungskomponenten, die schwerlich ohne die Verwendung metasprachlicher, linguistischer Begriffe, wie Tempus, Aspekt, Modus, Aktiv / Passiv und dergleichen beschrieben und definiert werden können, über die der naive Sprecher jedoch nicht verfügt; dies gilt in erhöhtem Maße für die weitgehend entsemantisierten Kasuskategorien beim Nomen wie Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ. Außerdem handelt es sich hierbei, wie wir gesehen haben, um Synsemantika, um Morpheme also, die nicht nur ausschließlich in Kombination mit einem anderen Morphem verwendet werden können, sondern darüber hinaus nur in Kombination etwa mit einem lexikalischen Stamm eine bestimmte Bedeutung bzw. überhaupt eine Bedeutung annehmen. So bedeutet z.B. eine italienische Verbendung -a als solche nichts, auch nicht im Sinne einer Polysemie oder Homonymie. In Kombination mit einem Verbum der ersten Konjugation bedeutet sie ‚3.Pers.Sing.Präs.Ind.’ wie in ball-a ‚sie tanzt’ aber auch ‚2.Pers.Sing.Imp.’ wie in ball-a! ‚tanze! ’. In Verbindung mit einem Verbum der anderen Konjugationen indessen bedeutet dieselbe Endungsform ‚1./ 2./ 3.Pers.Sing.Präs.Konj.’ wie in (che) ved-a ‚(dass) ich/ du/ er sehe(st)’. Davon abgesehen bedeutet es in Kombination mit einem Substantiv- oder Adjektivstamm ‚Fem.Sing’ wie in bell-a. Die Endung -i bedeutet in Verben der ersten Konjugation sowohl ‚2.Pers.Sing.Präs.Ind.’ wie in ball-i als auch ‚1./ 2./ 3.Pers.Sing.Präs.Konj.’ wie in (che) ball-i. Darüber hinaus bedeutet die Endung im Nominalbereich ‚Mask.Plur.’ wie in bell-i oder einfach ‚Plural’ wie in grand-i. Zum einen wird also dasselbe Konzept, etwa ‚2.Pers.Sing.Präs.Konj.’, interparadigmatisch durch verschiedene Endungen wiedergegeben und zum anderen haben die gleichen Endungsformen sowohl interals auch innerparadigmatisch ganz unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen. Dieser absoluten Distributions- und Kontextabhängigkeit der Bedeutung solcher Morpheme wird, wie gesagt, dadurch Rechnung getragen, dass sie als Elemente definiert und dargestellt werden, die in Verbindung mit Vertretern anderer Ausdruckskategorien komplexe Einheiten mit einer eigenen Gesamtbedeutung bilden. Für Sprachbenutzer und empfänger stellt sich die Situation konkret dann so dar, dass etwa eine aus dem Stamm eines Verbums V i der ersten Konjugation und der Endung -i bestehende Wortform wie ital. cant-i global entweder ‚2.Pers.Sing.Präs.Ind.’ oder ‚1./ 2./ 3.Pers.Sing.Präs.Konj.’ von V i bedeutet, was immer sie damit konzeptionell auch verbinden. Man kann in Bezug auf derartige grammatische Morpheme von bedingter kombinatorischer Funktionalität sprechen, um anzudeuten, dass sie außerhalb ihrer kom- <?page no="210"?> 202 plexen Strukturmuster als Morphem und damit als Zeichen nicht existieren. Infolgedessen ist es zumindest unwahrscheinlich, dass der mentale Speicher isolierte Einheiten wie ital. -i oder -a aber auch markantere und eindeutigere wie -iamo mit der Bedeutung ‚1.Pers.Plur.Präs.’ enthält, zumal diese Flexive mit ihrer kumulativen Bedeutungsstruktur - ganz im Unterschied zu den entsprechenden Subjektpronomina io, tu etc. - keine klaren Denotate besitzen, einmal abgesehen von deren abstrakter Natur. Wie unter III.4.1. erörtert, beziehen sich bestimmte semantische Merkmale von Verbalendungen gar nicht auf die Person, d.h. auf das Subjektdenotat als solches, sondern ausschließlich auf den jeweiligen Verbstamm, wie etwa [Präsens / Präteritum] oder [Indikativ / Konjunktiv]; die morphologische und die semantische Struktur dieser Verbformen sind nicht isomorph, sondern ihre Beziehungen sind eher diffus und nicht-lokal. Die Verbformen bzw. ihre Bestandteile funktionieren gerade auch deswegen nur in vollständiger Form als Zeichen, weil es meist keine eindeutigen Entsprechungen zwischen den Konstituenten der morphologischen und denen der semantischen Struktur gibt. Diese „Diffusion“ begünstigt eine tendenziell holistische Auffasung solcher mehrgliedrigen Gebilde sowie ihrer Erzeugung und Interpretation. Es ist also anzunehmen, dass im mentalen Speicher - wie in der Sprache selbst - nur vollständige Wortformen vorkommen, wie eben canti, canta, cantiamo oder cantare mit ihren wie auch immer gespeicherten Bedeutungen ‚er/ sie singt, du singst, wir singen, singen’. Morpheme wie -i, -a, -iamo oder -are sind zwar als Einheiten vorhanden und erkennbar aber immer nur als Bestandteil einer abgeschlossenen Wortform. Bis zu einem gewissen Grad kennzeichnet das, was wir als bedingte Funktionalität bezeichnet haben, auch den Strukturpartner des Flexivs, den Wortstamm. Er ist wohl semantisch eigenständiger und sein Denotat entspricht im Prinzip einer gestalthaften Entität, wie im Fall von cant-, ball- oder tavol-, seine Verwendungsbedingungen, als die eines ebenfalls nie isoliert auftretenden Morphems, gleichen jedoch denen der Flexive und Suffixe (cf. III.4.1.). Es ist daher auch nicht anzunehmen, dass Wortstämme als solche gesondert im Gedächtnis gespeichert sind, was seinerseits unsere Hypothese stützte, dass die Einheiten des mentalen Speichers im Normalfall morphologisch abgeschlossene, vollständige, wenngleich segmentierbare Wörter und Wortformen sind. Für morphologisch komplexe Zeichen charakteristisch ist die syntagmatische Interdependenz im Sinn einer wechselseitigen Voraussetzung zweier Elemente A und B, wobei die Anwesenheit von A die Anwesenheit von B voraussetzt und umgekehrt (auch Solidarität); in Fällen wie dtsch. Tisch-e oder lat. arbor-is, <?page no="211"?> 203 in denen der Stamm mit dem Nom.Sing. formal identisch ist, stellt sich die Situation möglicherweise etwas anders dar (s.u.). Zu 2.: Wie entstehen nun von einem naiven Sprecher (zum ersten Mal) analog gebildete Formen wie *goed, *gehte, *hat gesingt oder auch korrekte Bildungen wie gesurft und (du) beamst, wenn man nicht annehmen will, dass der Sprecher direkten Zugriff auf einen Speicher von gebundenen Morphemen wie Stämmen und vor allem Endungen oder sonstigen grammatischen Morphemen hat? Eine solche Annahme wäre aber zwingend, wenn man davon ausgeht, dass der Sprecher bestimmte Bildungsregeln gelernt hat, die er in derartigen Situationen anwendet; denn eine Regel, die die Kombination und korrekte Anordnung der Konstituenten eines Ausdrucks beschreibt - wie z.B. die folgende: „im Deutschen wird die 2.Pers.Sing.Prät.Ind. regelmäßig durch die Anfügung der Endung -test an den Verbstamm gebildet“ (mach-test etc., wobei die Endung noch weiter zerlegbar wäre) -, muss, wie immer sie auch formuliert ist, auf die gebundenen, morphologisch nicht-abgeschlossenen Konstituenten einzeln Bezug nehmen. Sodann wäre danach zu fragen, wie der naive Sprecher diese Regel gelernt hat, was bei nicht-vermitteltem Spracherwerb so viel bedeutet wie die Frage, wie der Sprecher diese Regel gefunden und für sich „formuliert“ hat und in welcher Form oder „Sprache“ sie in seinem Gedächtnis gespeichert ist. Die Frage der Formulierung stellt sich grundsätzlich, unabhängig davon, ob man das diesbezügliche Wissen als rein prozedural erachtet oder ob man glaubt, dass es sich zwar um explizite aber für den Sprecher nicht ohne weiteres zugängliche und verbalisierbare Bildungsregeln handelt. Was wäre nun aber eine denkbare Strategie für die Speicherung von Wortformen bzw. Lexemen im Sinne von Flexionsparadigmen - und wie hat man sich die produktive Bildung neuer (für den Sprecher) Formen vorzustellen? Mit anderen Worten, wie werden allgemeinere und abstraktere Strukturmuster mental gespeichert und in welcher Weise stehen sie dem Sprecher für die Bildung neuer Formen zur Verfügung? Geht man davon aus, dass gebundene Morpheme nicht isoliert im mentalen Speicher enthalten sind, muss man zunächst folgern, dass jede Wortform einzeln gelernt und als solche gespeichert wird, was freilich keine besonders effiziente, ökonomische Speicherungsstrategie darstellte. Abgesehen davon, könnte auf diesem Wege die Fähigkeit zur spontanen Bildung neuer Formen nicht erklärt werden - ebensowenig wie die spontane Analyse und Interpretation zum ersten Mal gehörter morphologisch komplexer Wörter. Sieht man aus den genannten Gründen vom Besitz allgemeiner Bildungsregeln auf einer metasprachlichen Ebene ab und geht man nicht <?page no="212"?> 204 davon aus, dass Neubildungen grundsätzlich analog zu einer ganz bestimmten ähnlich lautenden Wortform geschaffen werden, wie etwa die Formen *glinste oder *geglinst eines fiktiven Verbums *glinsen nach grinste / gegrinst zu dtsch. grinsen, liegt die Annahme einer Speicherung und produktiven Nutzung geläufiger morphologischer Strukturmuster nahe. Es ist vorstellbar, dass von den verschiedenen in Kombination mit einer bestimmten Endung schon gespeicherten Stämmen oder lexikalischen Nuklei abstrahiert werden kann und sich diese zu einer Stammvariable verdichten und neutralisieren, die dann Teil eines allgemeinen morphologischen Musters der Form „Nukleus-te“ für die 1./ 3.Pers.Sing.Prät. oder ge-Nukleus-t für das Partizip eines regelmäßigen deutschen Verbums wird. In derartige Muster wird dann der jeweilige Nukleus, in unserem Falle glins-, eingesetzt, um die Form glins-te, glins-en oder ge-glins-t und damit alle anderen Elemente des Paradigmas zu erhalten. Wichtig ist dabei die Annahme, dass die einzelnen Strukturmuster nicht jedesmal nach gelernten Regeln „neu“ gebildet werden, sondern als solche im Gedächtnis gespeichert sind und die Nukleusvariable dann durch einen konkreten Nukleus oder Stamm ersetzt wird. Man könnte auch sagen, die Nukleusvariable steht jeweils für alle sich im Gedächtnis überlagernden Stämme, die der Sprachbenutzer bereits in Kombination mit einer bestimmten Endung verwendet bzw. vernommen hat. Eine analoge Neubildung erfolgt dann gewissermaßen in Analogie zu allen dem Sprecher bereits untergekommenen Fällen. So werden glinste wie *gehte in Analogie zu allen schon gespeicherten Präteritumsformen dieses regelmäßigen Typus produziert, wobei ganz bestimmte formal und/ oder inhaltlich affine Verbformen als primäre Analogiequelle natürlich eine Rolle spielen können. Man sollte sich also den mentalen Prozess der Flexion zumal neuer, noch nicht gespeicherter Wörter weniger als sequentielle additive Hinzufügung einzelner und als solche dem Sprecher zur Verfügung stehender grammatischer Morpheme vorstellen, denn dann müssten Endungen irgendwo isoliert gespeichert sein, sondern eher umgekehrt als Einsetzung konkreter lexikalischer Nuklei in gelernte und gespeicherte morphologische Strukturmuster der genannten Art. Speziell auch im Fall sogenannter diskontinuierlicher Morpheme, wie bei Partizipien des Typs gemach-t oder ge-schlag-en, ist die Annahme der Einfügung eines Stammes in das gespeicherte Strukturmuster ge-Nukleus-t / ge-Nukleus-en zweifellos der Annahme überlegen, dem Stamm würde sequentiell oder simultan ein Präfix und eine Endung hinzugefügt. Eine Gesamtheit von Strukturmustern des Typs ‚(Präfix-)Nukleus- Flexiv’ bildet dann in fixer Verbindung mit den zugehörigen Bedeutun- <?page no="213"?> 205 gen ein Paradigma, dem gehirnphysiologisch ein komplexer, ein neuronales Netzwerk bildender Zellverband entspricht. Zwischen den Elementen derartiger Verbände besteht eine hohe Permeabilität, die es dem Sprachbenutzer gestattet, leicht von jeder beliebigen Form des Paradigmas zu jeder anderen zu gelangen. So weiß ein Deutschsprachiger nach einer ersten Begegnung mit der Form (er) beamt, dass die entsprechende 2.Pers.Sing. (du) beamst, die 2.Pers.Plur.Prät. (ihr) beamtet, das Part.Perf. gebeamt und der Infinitiv beamen lautet. D.h. er bewegt sich quasi automatisch von einem Element des Paradigmas zum anderen - er schiebt sozusagen den Stamm durch das Paradigma -, ohne Anwendung metasprachlich formulierter Regeln zur Analyse und zur Synthese neuer Formen. Bei der Vorstellung, dass Stämme in gespeicherte morphologische Strukturmuster eingesetzt werden, gilt es freilich zu bedenken, dass auch Stämme nicht isoliert in Erscheinung treten. Sie sind aber als Konstanten eines Paradigmas und als Träger der lexikalisch-referentiellen Bedeutung der Verbformen doch selbständigere Zeichen als grammatische Morpheme, abgesehen davon, dass mit dem Stamm homophone Formen häufig als Wörter in unterschiedlicher Funktion auftreten. So z.B. ein frz. marchin den Präsensformen marche / marches / marchent und im Imperativ marche! sowie im Nomen (la) marche oder ein dtsch. kommim Imperativ komm! Beim Nomen ist es im Deutschen der Nominativ Singular, der formal mit dem Stamm übereinstimmt: Kind-er / König-s / Bett-en und beim Adjektiv die prädikative Form und das Adverb: schnell, fröhlich etc. Wenn Stämme als Bestandteile komplexer Wortformen leichter isolierbar sind, muss dies nicht bedeuten, dass sie auch isoliert gespeichert werden. Auch sie existieren in objektsprachlicher Verwendung immer nur in Begleitung einer Endung und sei es einer Nullendung; denn auch dort, wo Wortform und Stamm gleichlautend sind, wie im deutschen Nominativ Singular, sind die beiden auf funktioneller Ebene natürlich nicht miteinander identisch. Da nun aber beiden Konstituenten - Stamm und Endung - etwas fehlt, erscheint die Vorstellung, dass sich der Stamm eine Endung „nimmt“ auch nicht völlig abwegig. Wie wir unter III.4.1. gezeigt haben, ist der Stamm allerdings Basis für die verschiedensten syntaktischen Funktionen und somit eher Funktionsempfänger als Funktionsgeber wie die Endungen. Um diese ambivalente Situation des Stammes wiederzugeben, könnte man ihn durch Typanhebung als Funktor darstellen, der einen „Wortmacher“ in Gestalt einer Endung zu sich nimmt, die mit ihm ein Wort erzeugt. Im Fall einer Verbform hätte ein solcher angehobener Funktor-Stamm also die Form: W/ (W/ St v ) und konkret für ein dtsch. machte: (mach- W/ (W/ Stv) -te W/ Stv ) W . <?page no="214"?> 206 Die Endungen bleiben freilich die genuinen kategoriebestimmenden Funktoren und bilden das strukturelle und funktionale Gerüst eines lexikalischen Paradigmas. Die grammatischen Funktionsmorpheme, die ja insgesamt, d.h. unter interparadigmatischer Perspektive, eine bedeutend höhere Verwendungsfrequenz als jeder einzelne Stamm aufweisen, bilden somit den morphologischen Grund, auf dem dann durch Einsetzung lexikalischer Stämme die verschiedenen Wort-Figuren entstehen (wenngleich eine solche Anleihe bei der eher auf mehrdimensionale Wahrnehmungsobjekte bezogenen gestaltpsychologischen Begrifflichkeit nicht ganz unproblematisch ist). Dieses Verhältnis ergibt sich einfach auch daraus, dass die Flexive einer Sprache einem finiten Inventar angehören, während die Zahl der lexikalischen Nuklei unbegrenzt ist und diese immer von neuem in das funktionale Gerüst der grammatischen Morpheme eingehängt werden können. Diesem Befund entspricht darüber hinaus auch das Akzentmuster flektierter Formen, deren Hauptakzent, im Rahmen der Akzentregeln einer Sprache, tendenziell auf den Stamm fällt, der damit den eher rhematischen Bestandteil ausmacht, während die Flexive tendenziell unbetont thematisch sind. Die Art und Weise der Darstellung der Kategorien durch sprechende funktionale Symbole, d.h. durch Symbole, die die Fügungspotenz eines sprachlichen Funktorausdrucks erkennen lassen, entspricht möglicherweise der Art und Weise, in der diese Ausdrücke im Gehirn gespeichert sind. Die gebundenen Morpheme und darüber hinaus alle Funktoren enthalten in ihrer Valenz virtuell immer auch ihren unmittelbaren Strukturpartner und erscheinen daher nie isoliert, sondern stehen permanent mit ihrem Komplement bzw. ihrer Komplementkategorie in Verbindung, und dies sowohl auf (morpho-)syntaktischer als auch auf semantischer Ebene (vgl. hierzu den Begriff der immanenten Grammatik unter II.1.-2.). In diesem Sinne sind morphologisch komplexe Ausdrücke wie mach-te / gemach-t / Kind-er oder auch Füg-ung / Schwimm-er und dergleichen für den naiven Sprachbenutzer zwar segmentierbar aber ihre Konstituenten können nicht wirklich getrennt und isoliert werden, da sie auf keiner Ebene ohne ihre jeweilige Ergänzung existieren. Die Symbole informieren über die Art und Weise, in der mit einem sprachlichen Funktor-Zeichen umzugehen ist, also darüber, was mit ihm gemacht werden kann, so wie im Fall der Handhabung eines Werkzeugs oder - anders formuliert - der Verwendung von Teilen eines Bausatzes. Die Funktoren sind, wie alle bedeutungstragenden Einheiten, Vehikel der Wiedergabe von Bewusstseinsinhalten und gleichzeitig Instrumente zur Bildung komplexer sprachlicher Ausdrücke. Als Elemente eines Bausatzes sind sie selbst immer auch Bestandteil ihrer Produkte. So ist etwa die Endung der Form mach-te ein Morphem mit einer bestimmten Bedeutung, <?page no="215"?> 207 das die Funktion hat, mit einem Stamm eine Verbform zu bilden, und es ist zugleich konstituierender Bestandteil des erzeugten Gesamtausdrucks. Dies entspricht genau der Grundidee der Kategorialgrammatik. <?page no="216"?> 208 LITERATURVERZEICHNIS Ajdukiewicz, Kasimierz (1935), „Die syntaktische Konnexität“. Studia Philosophica 1: 1-27. 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In: Corbett / Fraser / McGlashan (edd.), Heads in Grammatial Theory, 292-315. <?page no="220"?> 212 Begriffsregister Adjazenz 27 Aktualisator 54 assoziative Verknüpfung 73 autokonstruktiv 31 azephal 40 Bausatz 206 bedingte kombinatorische Funktionalität 201 deklaratives / prozedurales Wissen 28, 200 Dependens-Funktor 40 diskontinuierliche Konstituenten 26, 153 Emergenz 173 Ergänzung 47 ergativische Verben 64 Erweiterung 47 Existenzielle/ generische Lesart 58 Existenzverben 67 expletives es 67 Form des Inhalts 11, 15, 32 Fremdsprachendidaktik 21 funktionale / partielle Anwendung 165 Funktionskomposition 57 Gapping 160 Gegebenheit 132, 142 Generative Grammatik 3, 4, 21 Grundelement 45 holistisch 202 Hypostasierung 50, 142 indirekte Frage 88, 112 indirekte Interpretation 8 indirekte Subklassifikation 149 INFL 127 inkrementell 24, 55, 153 Isomorphie 74, 156, 177, 194, 202 Kausativkonstruktion 92 Klammerkonstruktion 26, 55, 155, 162 Klitikon 180 kommutativ 161 Kompositionalitätsprinzip 74, 122, 173, 183 kongruierender Kopf 149 Konstituenz 37 konstruktionell ikonisch 74 konstruktionelles Natürlickeitsprinzip 161 Koordination 51 Kopf-Komplement 46 Kreativität 21 kumulative Merkmalsstruktur 83, 100, 178, 202 Lambda-Operator 8, 147 Linearisierungskonflikt 62 Mitteilungswert 62 Modelltheoretische Semantik 134, 138 modi significandi 11, 142 Montague-Grammatik 7 morphologisch abgeschlossen 123, 202 morphosyntaktische Verwerfung 126, 127 neuronales Netzwerk 205 <?page no="221"?> 213 Nominal 40, 137 offene Menge 54, 145 paradigmatische Unendlichkeit 22 parasynthetische Bildung 182, 194 partielle Anwendung 72 Phantomkonstituente 55, 73, 86, 150 Polysemasie 178 Portemanteau-Morphem 71 Projektivität 27 Proposition 53, 136 Psych-Verben 69 Quantoren 50, 60, 100, 142, 148 Reanalyse 70, 84, 118, 194 Rekursivität 22 Relation / Funktion in X 149 Relationale Grammatik 3 Sachverhalt 50, 53, 142 Satzadverb 61, 143 Scharnier 45, 102 Schrägstrichnotation / Doppelschrägstrich 1, 55 Semantisch gebunden / abgeschlossen 176, 179, 180 semantische Valenz 17 semiotisch abgeschlossen 183 Skopusverengungsprinzip 169 Solidarität 202 Spurentheorie 8, 105, 119, 151, 157 stammbildend 190, 193 Stammvariable 204 strukturelle Analogie 27 Strukturpartner 31, 151, 206 Subjekt(-Paradox) 43, 61, 140 Synsemantikum 179, 181, 193, 201 Teilbedeutung 184 Thema / Rhema 161 themaloser Satz 66 Tilgungstest 174, 196 Topik 65 Topikalisierung 158 Typanhebung 24, 56, 100 Unifikationsgrammatik 3 Univerbierung 91, 98, 123 Universalgrammatik 33 (un-)mittelbare Extension 49, 137, 142 Ur-Protagonist 32 Verb-Zweit-Regel 156 Vererbung 128 Verrechnung 168 Vorbereich / Nachbereich 35 Wert 36 Wortart 42 Zusammenbildung 130 Zwiebelstruktur 191 <?page no="222"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Die Beiträge des vorliegenden Bandes kreisen um die Begriffe ffder Motivation und Ikonizität. Ihre Rolle bei der Herausbildung sprachlicher Strukturen soll geklärt werden, indem Daten aus verschiedenen Sprachen und von verschiedenen Sprachebenen analysiert werden. Die Begriffe sind nicht an spezififfsche Modelle figebunden, sondern gehören der Sprachtheorie an. Daher erfordert ihre angemessene Behandlung interdisziplinäre Zugänge. Eben das ist das Anliegen dieses Bandes, in dem Autorinnen und Autoren der Allgemeinen, Historisch-Vergleichenden, Germanistischen, Anglistischen und Romanistischen Linguistik sowie der Anglistischen Literaturwissenschaft und der Phonetik zu Wort kommen. Peter Gallmann / Christian Lehmann / Rosemarie Lühr (Hg.) Sprachliche Motivation Zur Interdependenz von Inhalt und Ausdruck Tübinger Beiträge zur Linguistik, Band 502 2007, VI, 231 Seiten, €[D] 49,00/ SFr 77,50 ISBN 978-3-8233-6302-6 018407 Auslieferung Ma rz 2007.i3 3 14.03.2007 13: 49: 10 Uhr <?page no="223"?> Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 752 88 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Tübinger Beiträge zur Linguistik Stark, Elisabeth / Wandruszka, Ulrich (Hrsg.) Syntaxtheorien Modelle, Methoden, Motive Tübinger Beiträge zur Linguistik 469, 2003, 310 Seiten, 58,- SFR 98,- ISBN 3-8233-5765-4 In diesem Band diskutieren Vertreter verschiedenster syntaktischer Theorien und Modelle über vorrangige Erkenntnisziele, methodologische Prämissen und Motive für die Wahl eines bestimmten linguistischen Ansatzes. Eine klare Explizierung der Motive für die Verwendung eines Beschreibungs- und Darstellungsverfahrens ist für eine produktive Theorie- und Methodendiskussion in der vielgestaltigen modernen Sprachwissenschaft besonders wichtig. Unter dieser Perspektive werden (morpho-)syntaktische Phänomene des Französischen, des Italienischen und Spanischen aber auch des Sardischen, Bündnerromanischen und Englischen erörtert. Aus dem Inhalt: Udo L. Figge, Satzsyntax in einer semiotischen Sprachtheorie; Georg A. Kaiser, Syntaktische Variation und generative Syntaxtheorie; Thomas Lamberth, Möglichkeiten und Grenzen einer Dependenzgrammatik am Beispiel AcI-verdächtiger Konstruktionen im Italienischen; Giuseppe Longobardi, On Parameters and Parameter Theory; Guido Mensching, Minimalistische Syntax der romanischen Sprachen; Giampaolo Salvi, Teoria sintattica e spiegazione diacronica; Christoph Schwarze, Ein Plädoyer für die Lexikalisch-Funktionale Grammatik, Carmen Dobrovie- Sorin, Generic indefinites and (un)selective binding; Heinz Werner, Die Rolle der Syntax in einer Grammatik.
