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Aufklärer, Sprachgelehrter, Didaktiker

Johann Christoph Adelung (1732-1806)

0820
2008
978-3-8233-7401-5
978-3-8233-6401-6
Gunter Narr Verlag 
Heidrun Kämper
Annette Klosa
Oda Vietze

Der vorliegende Band enthält die Beiträge eines Kolloquiums am Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, in dem das komplexe und moderne Werk sowie das systematische Arbeiten Johann Christoph Adelungs gewürdigt wurde. Die Beiträger und Beiträgerinnen des Bandes stellen das kulturgeschichtliche Denken Adelungs, sein lexikographisches Werk, seine grammatischen, orthographischen und stilistischen Arbeiten unter spezifischen Fragestellungen dar: Adelungs durch Herder inspiriertes Verständnis von Kulturgeschichte bildet gleichsam das Prinzip seiner Arbeit. In Beispielen wird die Adelung-Rezeption beschrieben ebenso wie die Bedeutung seines Werks für heutige sprachhistorische Forschung. Dass Adelung mit seinen Arbeiten in Spannungsfelder einzuordnen ist, machen diejenigen Beiträge deutlich, die ihn als Traditionalisten und als Vertreter der beginnenden Moderne zeigen, als Sprachgelehrten mit präskriptiven und deskriptiven Anliegen, als konservativen Denker und Aufklärer zugleich. Insgesamt gibt dieser Band einen Überblick über die Komplexität von Adelungs Schaffen und über den Stand der Forschung.

<?page no="0"?> Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze (Hrsg.) Aufklärer, Sprachgelehrter, Didaktiker: Johann Christoph Adelung (1732 - 1806) Gunter Narr Verlag Tübingen Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E <?page no="1"?> S T U D I E N Z U R D E U T S C H E N S P R A C H E 4 5 <?page no="2"?> Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Ulrich Hermann Waßner Band 45 <?page no="3"?> Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze (Hrsg.) Aufklärer, Sprachgelehrter, Didaktiker: Johann Christoph Adelung (1732 - 1806) Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Redaktion: Franz Josef Berens Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Hohwieler / Stolz, Mannheim Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-6401-6 <?page no="5"?> Inhalt Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze Einleitung........................................................................................................ 7 Helmut Henne „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk................. 11 Hartmut Schmidt Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache von „roher Naturmusik“ bis zum „Band der Geschlechter und Völker“ ............. 29 Heidrun Kämper „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ - Kulturgeschichte und Lexikographie bei Johann Christoph Adelung .......... 67 Joachim Scharloth Adelung und seine Gegner. Zur Bedeutung geschichtsphilosophischer Kategorien für die Sprachkunde der Spätaufklärung .................................... 89 Peter Wiesinger Die Rezeption und Wirkung von Johann Christoph Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ in Österreich................................................................................................ 115 Oliver Pfefferkorn Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik .................................. 141 Oda Vietze „Es ist daher in Ansehung der fremden Wörter die weise Mittelstraße nothwendig“ - Adelungs Fremdwortkonzeption ........................................ 161 Anja Voeste Präskription und Deskription - Adelungs Grammatiken zwischen Tradition und Moderne ............................................................................... 179 <?page no="6"?> Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze 6 Petra Ewald Das orthographische Werk Adelungs - Deskription im Dienste der Ususlegitimierung ....................................................................................... 193 Evelyn Ziegler Eine Frage des Geschmacks? Adelungs Sprachnormtheorie im Kontext des zeitgenössischen Geschmacksdiskurses ................................. 215 Ludwig M. Eichinger Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts.....247 Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Johann Christoph Adelung.......................................................................... 271 Namenregister............................................................................................. 291 <?page no="7"?> Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze Einleitung Der vorliegende Band enthält die Beiträge eines Kolloquiums, das am 28. und 29. September 2006 am Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, stattfand. Dieses Kolloquium würdigt das komplexe und für seine Zeit moderne Werk sowie das systematische Arbeiten Johann Christoph Adelungs. Die Beiträgerinnen und Beiträger des Bandes stellen das kulturgeschichtliche Denken Adelungs, sein lexikographisches Werk, seine grammatischen, orthographischen und stilistischen Arbeiten unter spezifischen Fragestellungen dar. Adelungs, durch Herder inspiriertes, Verständnis von Kulturgeschichte bildet gleichsam das Prinzip seiner Arbeit. Seine Hauptwerke aus den Bereichen Wörterbuch, Grammatik, Stilistik und Orthographie würdigt Helmut Henne in der Überschau. Nachdem er den Beginn der wissenschaftsgeschichtlichen strukturalistischen Adelung-Forschung mit dem Nachdruck auf das Wörterbuch markiert, hebt er die lexikographische Erklärungsleistung Adelungs hervor, die er u.a. mit den didaktischen Ambitionen des Lehrbuchautors erklärt. Das Lehrbuch selbst führt er als „diskursive Sprachlehre“ mit einer inneren Logik der begrifflichen Entwicklung an; er geht auf seine auf Geschmack (und damit auf eine problematische Kategorie) setzende Stillehre ein, um schließlich Adelungs wissenschaftliches Denken und Arbeiten einem Kritik-Begriff zuzuordnen: dem Wortschatz der hochdeutschen Mundart und der ‘oberen Classen’, einschließlich grammatisch-orthographischer und stilistischer Perspektiven - somit als ein Werk der kritischen Sprachwissenschaft. Vor dem Hintergrund dessen, was die Sprachgelehrten des 18. Jahrhunderts beschäftigte, spiegelt Hartmut Schmidt Adelungs Vorstellungen. Den aus der Bibel abgeleiteten Überzeugungen vom göttlichen Ursprung der dem Menschen verliehenen Sprache, die den Unterschied zwischen Mensch und Tier begründet - von der ursprünglichen Vollkommenheit der Sprache und vom Hebräischen als ihrer Urform - setzt Adelung seine theologieferne Konzeption entgegen: Sprache ist vom Menschen geschaffen, nicht von ihm allein beanspruchbar und in ihren Anfängen unvollkommen. Die älteste Sprache sei zwar die hebräische, nicht aber die Urform. Schmidt ordnet diese Konzeption Adelungs in den Forschungszusammenhang des 18. und 19. Jahrhunderts ein, um anschließend auf Adelungs umfassende wissenschaftliche Lektüre (u.a. Herder, Leibniz, Wolff, Lambert) zu verweisen und sein Werk <?page no="8"?> Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze 8 im Zusammenhang mit dem Begriff von Sprache, Sprachursprung, Sprachentwicklung und Sprachvolk einzuordnen. Die Wörterbuchkonzeption Adelungs wird auf dieser Folie reflektiert. Abschließend verweist Schmidt auf Adelungs terminologische Leistung. Heidrun Kämper stellt vor dem Hintergrund des Kultur-Begriffs Adelungs und dessen Aufklärungs-Konzeption das dem entsprechende lexikographische Programm vor, und zwar in Bezug auf Adelungs Darstellung der Bedeutungsstruktur und seine Belegungspraxis. Zum einen werden die Differenziertheit, Struktur und Systematik als lexikographische Prinzipien des Wörterbuchs Adelungs, als eines Wörterbuchs der Aufklärungszeit, herausgearbeitet. Zum anderen wird Adelungs Belegpraxis rekonstruiert, deren Motiv nicht nur im Nachweis rein sprachlicher Gebrauchsweisen besteht, sondern auch in der Vermittlung von ethischen und moralischen Prinzipien. Diese Praxis ist in das aufklärerisch-erzieherische Denken des späteren 18. Jahrhunderts einzuordnen. Abschließend verweist die Autorin auf die Kategorie des Geschmacks als Kern des Kulturbegriffs Adelungs, in dem sich Sprache und Kultur verdichten. Die heutige Sichtweise auf Adelung als Begründer der modernen soziopragmatischen Sprachgeschichte behandelt Joachim Scharloth. Dazu macht er die Sprachnormendebatte der 1770er Jahre nachvollziehbar und rekonstruiert den ihr zugrundeliegenden Sprachbegriff, mit der Adelungs Gegner dessen sprachhistorisch, regio- und soziolektal fundiertem Sprachgebrauchskonzept widersprachen. Den geschichtsphilosophischen Referenzrahmen seiner Kritiker bezüglich der Sprach- und Kulturgeschichte bildet das im Sinn einer Verfallstheorie zu deutende Lebensaltermodell, das Adelungs Vervollkommnungstheorie entgegensteht. Abschließend bezieht Scharloth den spätaufklärerischen Kulturbegriff auf Adelungs Sprachentwicklungskonzept. Peter Wiesinger verfolgt die österreichische Adelung-Rezeption vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese bestand zunächst in Nachdrucken von Adelungs Wörterbüchern in Österreich, dann in der Berücksichtigung der Grundsätze Adelungs und schließlich in Neubearbeitungen seiner Wörterbücher. Ab den 1830er Jahren war die reine Rezeption deutlich rückläufig. Am Beispiel des ‘Grammatisch-kritischen Wörterbuchs’ und Adelungs Orthographie-, Aussprache-, Stil- und Sprachlehren weist Wiesinger einerseits dessen lebhaften Einfluss auf österreichische Sprachwerke, insbesondere hinsichtlich der Beschreibung des ‘Hochdeutschen’, nach, andererseits berücksichtigt er ebenso die spätere ablehnende österreichische Adelung-Rezeption. <?page no="9"?> Einleitung 9 Oliver Pfefferkorn stellt die Frage nach der Beziehung des von Adelung kodifizierten Wortschatzes zum zeitgenössischen Wortschatz. Subjektive Sprachgebrauchsrestriktionen bzw. vereinfachende Worterklärungen einerseits, genau dem zeitgenössischen Gebrauch entsprechende Restriktionen und Erklärungen andererseits weist Pfefferkorn nach, indem er die Beschreibung von fünf Lemmata in Adelungs Wörterbuch mit dem aus einem Textkorpus der Adelungzeit rekonstruierten Gebrauch vergleicht. Für die Bearbeitung des Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs ist nach seiner Auffassung Adelungs Wörterbuch insgesamt ein wertvolles Hilfsmittel zur Identifizierung von Wortbedeutungen. Oda Vietze referiert Adelungs pragmatische Haltung zu Fremdwörtern, die er in seiner Stilistik formuliert und in Regeln bringt, und vergleicht diese mit der lexikographischen Praxis Adelungs am Beispiel des fremdwortreichsten Buchstabens P. Festzustellen ist eine zunehmend sich senkende Toleranzschwelle. Adelungs lexikographische Konzeption und Praxis in Bezug auf Fremdwörter korrespondiert mit seinem kommunikationsorientierten Sprachbegriff, sowie mit seinem deskriptiven Anspruch, Sprachgebrauch zu kodifizieren. Dass Adelung mit seinen Arbeiten in Spannungsfelder einzuordnen ist, machen diejenigen Beiträge deutlich, die ihn gleichzeitig als Traditionalisten und als Vertreter der beginnenden Moderne zeigen. In diesem Sinn stellt Anja Voeste Adelungs Grammatiken zwischen Präskription und Deskription vor. Der zunehmende Bildungsbedarf des in Staatsdiensten stehenden Bürgertums, und das steigende Prestige korrekten Sprachgebrauchs, sind die Voraussetzungen, unter denen Adelung seine ‘Deutsche Sprachlehre’ im Auftrag des Staatsministers, sowie einen ‘Auszug’ daraus und das ‘Umständliche Lehrgebäude’ verfasste. Am Beispiel der Kategorie des Tempus zeigt die Autorin die Mühen, unter denen Adelung den Weg zu einer wissenschaftlichen Grammatik einschlug; das Syntaxkapitel dagegen verweist auf Adelungs Ablösung von der traditionellen Grammatikbeschreibung und seine Hinwendung zu einer eher deskriptiven Darstellungsweise, die auch Konventionen des Sprachgebrauchs zulässt. Eine ähnliche Ambivalenz zwischen traditioneller Grammatikbeschreibung (usus) und - systematischer, präziser - deskriptiver Darstellungsweise stellt Petra Ewald in Bezug auf Adelungs orthographisches Werk fest. Orthographische Vereinheitlichungsbestrebungen des 18. Jahrhunderts haben entweder die Vereinheitlichung des Usus oder eine grundlegende Reform zum <?page no="10"?> Heidrun Kämper / Annette Klosa / Oda Vietze 10 Gegenstand. Adelung legitimiert als Vertreter der ususorientierten Richtung den Gebrauch als Ausweis der Vollkommenheit, die er wiederum im Obersächsischen erkennt. U.a. am Beispiel der Trennungsregeln Adelungs erweist sich dessen systematische und präzise deskriptive Unterscheidung nach morphologischen bzw. phonologischen Silbengrenzen exemplarisch. Evelyn Ziegler untersucht Adelungs Sprachnormtheorie im Kontext des zeitgenössischen Geschmacksdiskurses. Nachweisbar ist, dass die Geschmackskategorie zum einen das Kriterium Adelungs bei der Sprachbewertung ist; zum andern ist sein Begriff von ‘Hochdeutsch’ einerseits ein ästhetischaffektives, andererseits ein sittlich ausgedeutetes Konzept, das auf Kants Festlegungen zurückzuführen ist. Der Geschmacksdiskurs, der den Prozess sprachlicher Vervollkommnung anstößt, führt in Adelungs Vorstellung von kulturellem Fortschritt zu diesem Ziel. Geschmack ist dementsprechend Adelungs Argument in seinen Sprachwerken. Mit der Instanz des Geschmacks lässt sich die Standardvarietät festlegen; mit ihr wird der Fortschritt der sprachlichen Entwicklung erkennbar. Ludwig M. Eichinger präsentiert Adelung als Zeitgenossen des späten 18. Jahrhunderts. Für den Beginn steht Leibniz, für die Mitte sind Gottsched und Gellert repräsentativ und Carl Philipp Moritz ist als Repräsentant für das Ende zu nennen. Sie bilden eine Linie vom höfisch orientierten Bürger zum emanzipierten Individuum. In Adelungs Werk manifestiert sich dieses von Übergängen und Brüchen gekennzeichnete spätere 18. Jahrhundert. Hinsichtlich seines stilistischen und seines grammatischen Werks ist Adelung als Systematiker vorhandenen sprachlichen Wissens einzuordnen, der im Systematisieren Neues schafft, jedoch die das Ende des 18. Jahrhunderts prägenden neuen Strömungen nicht aufzunehmen vermag. Die in diesem Band vertretenen Arbeiten machen insgesamt deutlich, dass Adelungs Werk nicht in einfache Kategorien einzuordnen ist: Er ist nicht nur strenger Normierer, er ist nicht nur konservativer Denker, er ist nicht nur Traditionalist, sondern zugleich pragmatisch am Usus orientiert, Benutzer aufklärerischer Kategorien, der Moderne zugewandt. Adelung ist ein Sprachgelehrter, dessen Werk stets als ‘sowohl - als auch’ beschreibbar ist. In diesem Sinn gibt der vorliegende Band einen Überblick über die Komplexität von Adelungs Schaffen und über den Stand der Forschung. <?page no="11"?> Helmut Henne „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 1. Johann Christoph Adelung: vor und nach 40 Jahren Adelung lebt. Am 15. Juli des Jahres 2006 erhielt ich aus Leipzig eine E-Mail von Ulla Fix, in der Grüße an mich und Adelung - in dieser Reihenfolge - ausgerichtet waren. Wenn solcherlei Fingerzeige aus Leipzig kommen - wo Adelung 22 Jahre, von 1765 bis 1787, lebte - bin ich geneigt, sie ganz ernst zu nehmen. Ich kenne Johann Christoph Adelung seit knapp 40 Jahren. Als ich mich über ihn beugte, sein Wörterbuch ausgrub und ihn bibliographisch und speziell unter dem Aspekt von Semantik und Lexikographie vorstellte, gab es keine neuere linguistische Literatur zu Adelung. Sicher: Es gab Jacob Grimms kurze Bemerkungen zu Adelungs Wörterbuch (in seiner Vorrede von 1854 zum Deutschen Wörterbuch), Max Hermann Jellineks Einordnung seiner grammatischen Arbeiten (1913/ 14), Wilhelm Scherers (1875) und Otto Baslers (1953) wissenschaftsbiographische Handbuchartikel und die gewichtige Dissertation des Historikers Karl-Ernst Sickel (1933) und Max Müllers schmale Dissertation zur Wortschatzarbeit Adelungs (1903); aber das galt dem „alten“ Adelung, dem vor den Grimms und ihrer Wissenschaft, eher ein Gegenstand der Sprachgeschichte als der sprachgermanistischen Wissenschaftsgeschichte. Aber 1966 folgende - wir rufen den linguistischen Strukturalismus aus - wer erklärte uns da den Adelung? Zunächst mussten die Für Peter Braun zum 80. Geburtstag am 8. Juli 2007. <?page no="12"?> Helmut Henne 12 „Dokumente“ verfügbar sein. Und da stand Adelungs Wörterbuch (Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart) an erster Stelle. Es erschien, 1970, in der „zweyte[n] vermehrte[n] und verbesserte[n] Ausgabe“, die in vier Bänden von 1793 bis 1801 herausgekommen war. In der Einführung (Henne 1970, S. I*) griff ich gleich im ersten Absatz sehr hoch: Ich betonte, dass das Unternehmen Adelungs - wie das der Grimms - Verlagsprojekte seien, dass also Verleger die Wörterbücher dem streitbaren Einzelgänger wie dem über die Grenzen der deutschen Sprache hinaus bekannten Brüderpaar als Verlagsprojekte angeboten hatten. Und dann der entscheidende Satz: Qualität und Umfang der lexikographischen Arbeit legen in beiden Fällen nahe, daß mehr als äußerer Zwang die Wörterbuchfeder führte; innere Disposition zum Sammeln, Beschreiben und Deuten des deutschen Wortschatzes waren hier wie dort vorhanden, wenn auch - naturgemäß - unterschiedliche Konzepte im 18. und 19. Jahrhundert herrschten. Wie die Grimm-Forschung diesen Satz aufgenommen hat, ist mir nicht zugänglich geworden; aber hie Adelung, da Grimm klang sicher verstörend. Nicht für strukturell disponierte Ohren: Adelung problematisiert den Begriff der Bedeutung, spricht von „Merkmahle[n]“ (Henne 1970, S. XV*), welche die Bedeutung eines Wortes konstituieren, und begreift die Bedeutungsbeschreibung im Wörterbuch als eine geordnete Struktur, die gerade nicht „auf gut Glück“ zu haben sei. Zudem unterscheidet Adelung zwischen „Sprache“ und „Sprechen“ und diese insgesamt von dem „Vermögen“ zur Sprache (vgl. Henne 1999, S. 89f.) - das waren Einsichten und Begriffe, die der linguistische Strukturalismus neu präsentierte. Dieser fand, parallel zum distinktiven Merkmal in der Phonologie, das „semantische Merkmal“, begriff die Polysemie der Sprachzeichen als eine spezifische semantische Struktur und griff in der synchronen Beschreibung der Einzelsprachen auf Saussures „langue“, „parole“ und „faculté de langage“ zurück. Johann Christoph Adelung vertrat ein strukturalistisch orientiertes Konzept ante litteram. 2. Bedeutung im Wörterbuch - Deutsch als sprachreflexives Medium Wenn Sie wissen möchten, was ein Ohrenbläser ist, und Sie schlagen das Wörterbuch von Johann Leonhard Frisch von 1741 auf (Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch), dann lesen Sie: „Ohren-Bläser, delator, susurrator“. Das ist eine Übersetzung in die lateinische Sprache, und für die Gelehrten <?page no="13"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 13 der Zeit mag das zureichend sein; aber für das aufstrebende Bürgertum, das beginnt, sich in Sprachgesellschaften zu versammeln, für weibliche Sprachgenossen gar (vgl. Cherubim/ Walsdorf 2005), ist es ganz unzulänglich. Zwar kann man ahnen, dass susurrator ein eher unangenehmer Zeitgenosse ist. Georges' lateinisches Wörterbuch übersetzt: ‘der leise redet, der Zischler, Flüsterer’; und für delator steht ‘Angeber, Ankläger, Denunziant.’ Aber das ist eine Häufung von Synonymen und Quasi-Synonymen unterschiedlicher Provenienz, die den Wörterbuch-Benutzer eher ratlos zurücklassen. Offensichtlich waren deutsche Ausdrücke, denen im kommunikativen Umgang eine relativ präzise Bedeutung zukam, durch lateinische Entsprechungen nicht hinreichend zu erklären. Genau 36 Jahre später, im dritten Band seines Wörterbuchs von 1777 (Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart), setzt Adelung das Stichwort Der Ohrenbläser an, gibt grammatische Zuschreibungen und die movierte Form die Ohrenbläserinn sowie eine Kennzeichnung des Niveaus: „im gemeinen Leben“ (zur stilistischen Markierung bei Adelung vgl. Takada 2004 und Niehr 2005) und bringt daran anschließend die semantische Erklärung in feinster Formulierung seiner „hochdeutschen Mundart“: „eine Person, welche das Gehör eines andern zum Nachtheile eines dritten mißbraucht“, mit einer Mahnung aus der Bibel: „Sey nicht ein Ohrenbläser, Sir. 5,16“, und hier erweitere ich den Beleg: „vnd verleumbde nicht mit deiner Zungen“. Alle semantischen Erklärungen, die nach Adelung präsentiert werden, sind seiner Formulierung unterlegen oder sie machen von ihr Gebrauch. Wie ist dieser Fortschritt von Frisch zu Adelung zu erklären? Wie wird, innerhalb von gut 30 Jahren - der erste Band von Adelungs Wörterbuch erschien 1774, also genau 33 Jahre nach Frischs Werk - das Deutsche zu einem sprachreflexiven Medium? Dazu trägt, zum Beispiel, Frisch selbst bei, der in seinem „Entwurff / [...] wie er sein Teutsches Wörter-Buch / einrichtet“ (1729) folgende semantische Erklärung zur ersten Bedeutung von Land gibt: „Im Gegensatz des Wassers bedeutet bei den Schiffenden die ganze Erde. Terra, littus, aridum. Hat keinen Pluralem.“ (Frisch 1729, S. 403; vgl. Powitz 1959). In diese Reihe gehört natürlich u.a. auch Johann Christoph Gottsched (dessen Wörterbuchauftrag Adelung bekanntlich übernimmt), z.B. mit seinen „Beobachtungen über den Gebrauch und Misbrauch vieler deutscher Wörter und Redensarten“ (1758; vgl. Dill 1992, S. 27ff.). Auch der Blick z.B. auf das Französische, z.B. das Wörterbuch der Académie Française und das englische Wörterbuch von Samuel Johnson hilft weiter - nehmen Sie <?page no="14"?> Helmut Henne 14 hier z.B. „A Dictionary of the English Language: In which The Words are deduced from their Originals, Explained in their Different Meanings, and Authorized by the Names of the Writers in whose Works they are found. Abstracted from the Folio Edition, by Samuel Johnson, A.M.“ (Johnson 1756, 2 Bde.). Entscheidend für die Fähigkeit Adelungs, selbst ein Wörterbuch in dieser Manier zu schreiben, ist aber sein Vorleben. Mit der Übernahme des Wörterbuchauftrags des Verlegers Breitkopf im Jahre 1766 - im selben Jahr war Gottsched verstorben - präsentiert sich ein Journalist, Lehrbuchverfasser, Lexikograph des Mittellateinischen und Verfasser wissenschaftlicher Monographien. Dieser, v.a. der Lehrbuchverfasser, ist um Bestimmungen, Erklärungen und Definitionen nicht verlegen. „Die Cultur bestehet auf der einen Seite in der Summe deutlicher Begriffe, und auf der andern in der durch Volksmenge in einem engen Raume bewirkten Milderung und Verfeinerung des Körpers und der Sitten“, schreibt Adelung in seinem „Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts“ (1782c; vgl. Scharloth 2005, S. 129). In der zweiten Auflage seines Wörterbuchs, im ersten Band von 1793, also 11 Jahre später, hat diese Definition ein Echo: Unter dem Stichwort Cultur - das Lemma fehlt in der ersten Auflage - ist zu lesen: Die Cultur, plur. inus. die Veredlung oder Verfeinerung der gesammten Geistes- und Leibeskräfte eines Menschen oder eines Volkes, so daß dieses Wort so wohl die Aufklärung, die Veredelung des Verstandes durch Befreyung von Vorurtheilen, als auch die Politur, die Veredlung und Verfeinerung der Sitten, unter sich begreift. Schaut man also auf das publizistische und wissenschaftliche Leben, das sich seit dem frühen 18. Jahrhundert in deutscher Sprache und mit deutscher Sprache entfaltet, so darf man feststellen, dass die lexikographische Praxis der publizistischen und wissenschaftlichen hinterherläuft. Unter Adelungs Feder - sein Leitspruch, im Stammbuch eines Leipziger Studenten vom 10. Oktober 1783 lautet: „Nulla dies sine linea“ -, unter Adelungs Feder also laufen beide Linien endlich zusammen. In Paragraph 164 seines Lehrbuchs „Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse [...]. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, [...]. Erster Theil, [...] Zweyte verbesserte Auflage“ (1783) heißt es auf Seite 78: „Der Wißmuth ist das sprödeste Halbmetall, von weißgelblicher ein wenig in das Röthliche spielender Farbe, [...]“. Im fünften Band der ersten Auflage <?page no="15"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 15 seines Wörterbuchs (1786) schreibt Adelung: „Der Wißmuth [...] der Nahme eines sehr spröden Halbmetalles von einer weißgelblichen, in das Röthliche spielenden Farbe, [...]“. Der wesentliche Unterschied dieser Sachdefinition liegt darin, dass der Verfasser im Wörterbuch sagt, Wißmuth sei der „Name“ eines Halbmetalls, den Fokus also zunächst auf die Benennung lenkt, während im Lehrbuch die Sache: „Der Wißmuth ist das [...] Halbmetall“ im Vordergrund steht; zudem im Lehrbuch der Superlativ „das sprödeste Halbmetall“ Anwendung findet, weil die vergleichbaren Halbmetalle vor und nach Wißmuth erklärt werden. Für den Superlativ muss im Wörterbuch der Elativ „sehr spröde“ einstehen, der unbestimmter ist und auch ohne Vergleichsobjekte eingesetzt werden kann. Hier liegt ein weites Feld zur Untersuchung der Entsprechungen und Abhängigkeiten in Lehr- und anderen Werken und im Wörterbuch. An dieser Stelle geht es im Wesentlichen darum, die Genese sprachreflexiver Arbeit zur Erklärung der Bedeutung im deutschen Wörterbuch aufzudecken. Semantische Erklärungen von Wörtern haben ihren Ort im Prozess der Erlernung von Sprachen, auch der Muttersprache; dann in Lehrwerken für Schule und Allgemeinbildung; dann, natürlich, im Wörterbuch. Das Unbekannte oder nur Halb-Gewusste soll durch das Bekannte eingeholt werden. Bedeutung ist somit an Erklärung gebunden, die speziellen Regeln folgt. Ludwig Wittgenstein formuliert es in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ (1971, Paragraph 560) so: „‘Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt.’ D.h.: willst du den Gebrauch des Worts ‘Bedeutung’ verstehen, so sieh nach, was man ‘Erklärung der Bedeutung’ nennt.“ Sieh nach bei Adelung. Seit 1774 gibt es im Deutschen eine systematische Worterklärung im Wörterbuch. 3. Neue deutsche Sprachlehre - diskursiv und argumentativ Die Sprachlehre ist des vernünftigen und wissenschaftlichen Vortrages eben so sehr fähig als eine jede andere Lehre, und es ist die Pflicht eines jeden Sprachlehrers, allen Begriffen in der Sprache den höchsten nur möglichen Grad der Deutlichkeit zu geben und die Gründe aller Erscheinungen so tief aufzusuchen, als die Natur der Sache es verstattet. Adelung, der dieses 1782 schreibt (Adelung 1782b, Bd. 1, S. 116), möchte die Sprachlehre von dem Ruch einer „trivialen“ Kunst befreien, die das Sprachstudium zu einem, wie er sagt: elenden und langweiligen „Gedächtnißwerk“ heruntergebracht hat (Adelung 1782a, Vorrede). Er möchte statt <?page no="16"?> Helmut Henne 16 dessen deutliche Begriffe schaffen, die dem Entwicklungsstand seiner Gegenwartssprache entsprechen; das heißt zugleich, „Gründe“ und „Beweise“ anführen für die eigenen Konzepte (Adelung 1782a, Vorrede). Ich möchte, sofern diese Ansprüche erfüllt werden, von einer diskursiven Sprachlehre sprechen: Sie schreitet von einem Begriff zum anderen mit logischer Konsequenz fort. So entwickelt Adelung die Wortarten als „Redetheile“ aus der Dualität von dem „Selbständige[n]“ oder der „Substanz“ und dem „Unselbständige[n]“, und er bringt es auf zehn Redeteile - eine Klassifizierung der Wortarten, die bis zur Duden-Grammatik von 1966 Bestand hatte: Substantiv, Artikel, Zahlwort, Pronomen, Adjektivum, Adverbium, Verbum, Präposition, Conjunction, Interjection oder Empfindungswort (vgl. Naumann 1986, S. 132ff.). Adelung „diskurriert“ nicht nur in der Herleitung der Wortarten, sondern auch in Bezug auf deren Funktion und Benennung. So sagt er etwa, dass die Benennung „Geschlechtswort“ statt „Artikel“ deshalb in die Irre führe, weil der Artikel das bezügliche Substantiv spezifisch bestimme und die Angabe des Genus dem „Hauptwort“ folge, eine Angabe, welche im Plural übrigens fehle (Adelung 1782b, Bd. 2, S. 540-553). In diesem Zusammenhang ist auch auf seine grundsätzliche Bemerkung zur Übernahme von Termini aus dem Lateinischen zu verweisen: Der Versuch, lateinische „Kunstwörter“ prinzipiell durch deutsche zu ersetzen, scheitere an der spezifischen Eigensemantik dieser Wörter. Er, Adelung, greife auf die lateinischen Kunstwörter zurück, „weil man an ihre eigentliche buchstäbliche Bedeutung nicht mehr denkt, und daher leicht einen jeden Begriff mit ihnen verbinden kann“ (Adelung 1782a, Vorrede). Solche Passagen, wären sie beachtet worden, wieviel gut gemeinte eigendeutsche Terminologiebildung seit 1781 wäre uns erspart geblieben! Ich rechne solche Überlegungen der diskursiven Qualität seiner Sprachlehre zu. Dazu zählen auch solche „Paradestücke“, in denen er auf eigene Fehler verweist, die also gegen die innere Konsequenz seines „Lehrgebäudes“ verstoßen. So schreibt er in der Vorrede zu dem „Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen“, gleichfalls 1781, aber im September dieses Jahres, vier Monate nach der im Mai erschienenen Version (Adelung 1781a): Da ich bey Verfertigung dieses Auszuges die ganze Sprachlehre noch einmal im Zusammenhange [habe] durchdenken müssen, so habe ich theils manche Versehen, so wohl in der Anwendung, als in dem Ausdrucke bemerkt, welche mir in der Sprachlehre entschlüpfet waren, und welche der Verleger, besonders gedruckt, unentgeldlich ausgeben wird; [...]. (Adelung 1781b, Vorrede) <?page no="17"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 17 Adelung „durchdenkt“ erneut und gibt Verbesserungen aus - die diskursive Qualität seiner Arbeit nimmt auch solche Eingeständnisse in Kauf. So ist Adelung eigentlich unbekannt. Von argumentativer Qualität seiner Sprachlehre möchte ich sprechen, sofern Adelung sich mit seinen Kritikern und Rezensenten auseinandersetzt. Dies ist der Fall z.B. in der Vorrede zum „Umständlichen Lehrgebäude“ von 1782, in der er sich mit einer Rezension seiner „Deutschen Sprachlehre“ von 1781 abgibt, die in der „Berliner Bibliothek“ erschienen ist. Er zitiert diese Rezension in seiner Vorrede - eine großzügige Praxis, für die er eigentlich keine Nachfolge gefunden hat - und antwortet in Anmerkungen. In diesen Antworten stoßen wir auf einen Adelung (wir kennen ihn eigentlich schon), der Fehler konzediert; so, wenn der Rezensent die Angabe tadelt, in Liebe und Pöbel z.B. könne das b „gelinde als ein w ausgesprochen“ werden, und Adelung in der Anmerkung schreibt: „Ist zwar von keiner großen Wichtigkeit, aber doch gegründet; war daher schon in dem Auszuge als fehlerhaft angegeben.“ (Adelung 1782b, Bd. 1, S. XXIVf.); der „Zumutungen“ zurückweist, weil der Rezensent eine Ordnung der ablautenden - in der Terminologie Adelungs: der irregulären - Verbklassen verlangt und Adelung antwortet: „Weil keine da sind und da seyn können“ und er auf seine Begründung in der Sprachlehre verweist (ebd., S. XLIV); der den Vorwurf, sein Grundgesetz der Orthographie „schreib wie du sprichst“ sei „partheyisch“, weil sich das auf Obersachsen und die „höhern Classen“ beziehe, zu widerlegen versucht, indem er antwortet: Nichts weniger als partheyisch, wozu mich nichts in der Welt bewegen könnte, zumahl da ich weder der Geburt, noch der Verbindung nach ein Chursachse, sondern ein freyer Weltbürger bin. Bloß die deutlich erkannte Wahrheit hat mir diesen Satz abgedrungen. Man sehe § 26, 27, 32 f. der folgenden Einleitung! (ebd., S. LV ) „Ein freyer Weltbürger“ - damit reiht sich Adelung ein in eine Bewegung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die im Gegensatz zum Patriotismus steht. Lessing schreibt 1758, dass er sich zu allerletzt nach dem Lob eines Patrioten sehnt, „der mich vergeßen lehrt, daß ich ein Weltbürger seyn sollte“ (Feldmann 1904/ 05, S. 347; Brief an Gleim), der nach den Worten Wielands „zum Besten der großen Stadt Gottes mitzuwirken“ versucht (ebd., S. 346). Wenn Ulrike Haß-Zumkehr Adelung einen „rechtlich privilegierten Beamten [...], den gegenüber der Obrigkeit grundsätzlich loyalen Staatsdiener“ nennt (1999, S. 262), einen Mann also, der von 1765 bis 1787, also über 20 Jahre als freier Schriftsteller und Wissenschaftler arbeitete, dann greift sie in der Tat zu kurz. <?page no="18"?> Helmut Henne 18 Dass Adelungs Sprachlehren, sofern sie an Schulen gelehrt werden sollen, didaktische Qualitäten haben, darf man dem geübten Verfasser von Lehrwerken unterstellen. Er schreibt dann auch 1781 eine Sprachlehre „nur für Gymnasien und höhere Schulen, und vielleicht nur für die höhern Classen“, im gleichen Jahr einen „Auszug“ „für Schulen“, die er an anderer Stelle „niedere Schulen“ nennt, und, ein Jahr später, ein zweibändiges umfangreiches „Lehrgebäude“ für die Wissenschaft. Sein grammatisches Werk ist didaktisch gestuft und führt von den „niedern“ zu den „höhern“ Schulen und von dort zu den Sprachgelehrten. Ein Gegenstand, die „hochdeutsche Mundart“ - nur sie ist einer Sprachlehre würdig - wird differenziert und benutzerspezifisch dargestellt. Ich habe Ihnen eine Ansicht von einer Sprachlehre gegeben, die diese als Wissenschaft diskursiv und argumentativ zu etablieren versucht. Die Gebrechen dieser Grammatik, etwa ihre amateurhafte Lautlehre und eine fehlende Satzgliedlehre, weisen sie als ein Werk aus, das vor dem Jacob Grimms und Karl Ferdinand Beckers liegt. 4. Deutsche Stilistik - Literatur unter dem Diktat des „feinen Geschmacks“ Entschiedener noch als in seinem Wörterbuch und seiner Grammatik bettet Adelung seine Stillehre in den gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt ein: „So wie der gesellschaftliche Mensch in der Cultur fortrückt, so entwickelt und erweitert sich auch bey ihm die Empfindung des Schönen und Angenehmen, und der Trieb, diese Empfindung zu befriedigen.“ (Adelung 1789, S. 19). Sehr konkret schildert Adelung dann in seiner Stilistik, wie das bei der Nahrungsaufnahme anfängt: „Nicht zufrieden, sich bloß zu sättigen, soll das, womit er sich sättiget, auch zugleich die Zunge und den Gaumen kitzeln.“ (ebd.). Von hier leite sich der Begriff des Geschmacks her, der sich dann auf alle Bereiche der Kultivierung - u.a. Kleidung, Sprache, Literatur - erstrecke. Geschmack ist demnach das „Vermögen, das Schöne und Angenehme von dem Häßlichen zu unterscheiden“ (ebd.). Dieses „Vermögen“ nun bildet sich nicht im luftleeren Raum aus, sondern ist eine ästhetische und gesellschaftliche Kategorie: Es war der Regierung der sächsischen Auguste vorbehalten, dem deutschen Geschmack die einzig wahre Richtung zu geben, welche er bekommen mußte. In Ansehung der Wohlredenheit [diese zu entfalten ist Aufgabe der Stilistik] zeichnete sich besonders das zweyte Viertel des gegenwärtigen Jahrhunderts aus, in welchem diejenigen guten Schriftsteller von Sachsen ausgingen, welche in kurzem Muster für ganz Deutschland wurden. (ebd., S. 23) <?page no="19"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 19 Die Kategorie ‘Geschmack’ gibt „Muster“ vor, auch und insbesondere für die „Lehre von dem Style“. Die Rede, „eine Reihe mit einander verbundener Worte“, ist in „Vorstellungen oder Gedanken“ einerseits und den „Ausdruck“ derselben andererseits zu gliedern. Mit ‘Vorstellung’ bzw. ‘Gedanken’ beschäftigen sich Logik und Rhetorik, mit dem ‘Ausdruck’, der „Form der Rede“, sowohl die „Sprachlehre“, welche die „Richtigkeit des Ausdrucks“ bestimmt, als auch die „Lehre von dem Style“, welche es „mit dem zweckmäßigen, schönen Ausdrucke zu thun hat“ (Adelung 1789, S. 25). An einem Beispiel erläutert Adelung versuchsweise das Zusammenspiel von „Hauptgedanken“ (der der Rhetorik zuzuordnen ist) und dem „Ausdrucke“, also „Theile des Hauptgedanken, die Neben-Ideen“, die dem „Style oder der Schreibart“ zuzuordnen sind. Adelung zitiert „Logau's Epigramm auf die Raubsucht des Krieges“: Als Venus wollte Mars in ihre Liebe bringen, Hat sie ihn blank und bloß am besten können zwingen. Denn wär sie, wie sie pflegt, im theuern Schmuck geblieben, Hätt er sie dürfen mehr berauben als belieben; (zit. nach ebd., S. 27) Zwar nennt Adelung den Hauptgedanken „schön“, „aber die Wahl und Anordnung der einzelnen Theile [...] fehlerhaft“. Argumente im Einzelnen fehlen (ebd.). Dreier philologischer Vergehen macht sich Adelung schuldig: 1. Er präsentiert einen nicht authentischen Text; den er 2. einer Publikation entnimmt, die, im Jahre 1759, Friedrich von Logau gerade als Muster der Literatursprache vorführen möchte (Logau 1759, S. 26); 3. er bleibt bei seiner Bewertung und Beurteilung vage und pauschal. Im Einzelnen: Adelung entnimmt den Text der Publikation von Ramler und Lessing, „Friedrichs von Logau Sinngedichte“ (samt einem „Vorbericht von der Sprache des Logau“ und einem „Wörterbuch“), erschienen 1759, womit die Verfasser Logaus Sprache als Mittel der Erneuerung der Dichtersprache im 18. Jahrhundert vorstellen: Seine Worte sind überall der Sprache angemessen: nachdrücklich und körnicht, wenn er lehrt; pathetisch und vollklingend, wenn er straft; sanft, einschmeichelnd, angenehm tändelnd, wenn er von Liebe spricht; komisch und naiv, wenn er spottet; possierlich und launisch, wenn er bloß Lachen zu erregen sucht. (Logau 1759, Anhang: „Wörterbuch“, S. 3f.) <?page no="20"?> Helmut Henne 20 Ramler und Lessing modernisieren allerdings den Text: die dritte Zeile des Originals von 1654 lautet: „Denn so sie / wie sie pflegt / in theurem Schmucke blieben / “ ([Logau] Salomon von Golaw 1654, S. 31). Ramler und Lessing setzen also statt des älteren Partizips („blieben“) eine explizit konjunktivische und analytische Verbkonstruktion ein: „Denn wär sie [...] geblieben“. Das nenne ich Modernisierung zum Zwecke kreativer Aneignung. Dreist ist es, wenn diese Textgestalt von einem anderen, also Adelung, übernommen wird, um den Text zu verrufen. Der pauschale Verruf zeigt es: Geschmack ist doch wohl eine fragwürdige Kategorie, ein Konglomerat aus ästhetischen und gesellschaftlichen Komponenten (Ziegler in diesem Band), die gesetzt und, v.a. im ästhetischen Bereich, nicht nur argumentativ gewonnen werden. In Berlin, wo Ramler und Lessing ihren Logau präsentieren, herrscht, um es einfach zu formulieren, ein anderer Geschmack als in Leipzig und Dresden. Und die Abwehr Adelungs wird auch den freimütigen Bildern gelten: Venus verweigert sich „Des Krieges Raubsucht“ - so die Überschrift des Epigramms; „blank und bloß“ tritt sie dem Kriegsgott entgegen, dem nur bleibt, sie zu „belieben“. Im angehängten Wörterbuch heißt es: „Belieben [...] scheint unserm Dichter die Bedeutung des Wortes lieben zu verstärken.“ (Logau 1759, S. 23). Das lässt Raum für unterschiedliche Interpretation. Wie immer, wir wünschten uns den Kriegsgott fortwährend so im Banne der Venus. Und wenn ich vom Geschmack in Berlin gesprochen habe - was wäre, würde ich den in Straßburg von Jakob Michael Reinhold Lenz bemühen? Dieser spricht und schreibt 1775: Wenn wir in die Häuser unserer sogenannten gemeinen Leute gingen, auf ihr Interesse, ihre Leidenschaften Acht gäben und da lernten, wie sich die Natur bei gewissen erheischenden Anlässen ausdrückt, die weder in der Grammatik noch im Wörterbuch stehen: wie unendlich könnten wir unsere gebildete Sprache bereichern, unsere gesellschaftlichen Vergnügen vervielfältigen! (Lenz 1987, Bd. 2, S. 775f.) Daraus folgt eine Literatur, die sich gleichfalls auf „Geschmack“ gründet, der aber einer anderen gesellschaftlichen Basis verpflichtet ist. Als Beispiel ein Drama, das so eröffnet: M ARIANE mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend: Schwester weißt du nicht, wie schreibt man Madam, M a ma t a m m tamm m e me. (Lenz 1987, Bd. 1, S. 192; vgl. Scharloth 2002/ 03, S. 89ff.). <?page no="21"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 21 Ich habe mit meinen Worten zu Adelungs Stillehre keine deskriptive Darstellung unternommen - das bleibt einem anderen Beitrag vorbehalten. Da ‘Geschmack’ eine kultursoziologische Kategorie darstellt, die eine feste Größe im Verbund von Adelungs kulturtheoretischen Begrifflichkeiten darstellt, habe ich auf ihre Problematik, ja Untauglichkeit für die Bewertung von schöner Literatur aufmerksam machen wollen. 5. Adelung, Wieland und Arno Schmidt ‘Kritik’ ist seit dem Humanismus (wieder) die „Kunst oder Wissenschaft, die richtige Lesart und den Sinn der alten Schriftsteller zu bestimmen“ - so formuliert es Adelung (Adelung 1775, Bd. 2, S. 1792); und er fährt fort, „in weiterer Bedeutung“ - und ich formuliere sinngemäß weiter - sei es die Wissenschaft gemäß den Regeln der „Kunst“, hier der deutschen Sprache. Wenn also Adelung in der Vorrede zur ersten Auflage seines Wörterbuchs 1774, Bd. 1 schreibt, es gäbe kaum Vorarbeiten zur „Kritik der deutschen Sprache“ (ebd., S. V), so darf man feststellen, dass er eine solche liefern will, zumindest was den „Vorrath von Wörtern“ des Deutschen betrifft. ‘Kritik’ sieht dabei auch auf den richtigen Wortschatz, also den der „hochdeutschen Mundart“ und den der angelagerten „Mundarten“, sofern sie, wie etwa bei „Opitz, Hofmannswaldau und Lohenstein [...] auf eine entfernte Art zu Zeugen dienen“ (ebd., S. XII). Gegen die soziale Heterogenität, die regionale Vielfalt und die literarische Variation setzt Adelung eine homogene Einheitssprache, die gesellschaftlich konstituiert ist: Es ist die „Schrift- und Gesellschaftssprache“ der „obern Classen“ der „südlichern Chursächsischen Lande“ (Henne 1972, S. 54), die in der lexikographischen Praxis allerdings gefächert und gestuft ist. Und die Arbeit am Wortschatz wird in der Sprachlehre grammatisch und in der Stilistik textuell ergänzt. Bedenkt man, dass seine Grammatik eine Orthographie einschließt, die ihrerseits um ein orthographisches Wörterbuch mit Hinweisen zur Aussprache erweitert wird (Adelung 1788), dass er zudem seinem großen Wortschatzwerk einen vierbändigen „Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der hochdeutschen Mundart“ (Adelung 1793-1802) hinzufügt, so liegt ein wissenschaftliches Ensemble vor, das man tatsächlich „linguistisches Werk“ nennen darf und das bibliographisch aufgearbeitet vorliegt (Strohbach 1984). Dieses „Werk“ ist einer „critischen“ Sprachwissenschaft zuzurechnen, „deren Wesen auf das Practische hingeht“, um mit Jacob Grimm zu sprechen (1819, S. XIII); sie beschreibt und bestimmt die Regeln und Normen der Schrift- und Gesellschaftssprache ihrer Zeit. <?page no="22"?> Helmut Henne 22 Dabei ist mir natürlich nicht entgangen, dass Adelung seine Forschungen und Arbeiten zur Gegenwartssprache historisch einzubetten sucht. Schon der Versuch, die Lemmata seiner Wörterbücher etymologisch herzuleiten, macht dies deutlich. Aber wie kann einer sein Niveau, das er z.B. auf dem Felde der Semantik entwickelt, halten, wenn ihm, „gemessen an der Etymologie im heutigen Verstande“, die germanische und hochdeutsche Lautverschiebung, die neuhochdeutsche Diphthongierung und Monophthongierung, zudem die indogermanische Sprachgemeinschaft unbekannt sind (Pfeifer 1984, S. 233f.)? Das Sein aus dem Werden zu erklären, das ist die Aufgabe der nächsten Generation. Adelung geht es um das Sein; das Werden wird mit Blick auf das Sein erklärt: historisch, so gut es geht; auch sprachvergleichend: Der „Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten“ erscheint in Berlin 1806, im Todesjahr des, nunmehr, Churfürstlich Sächsischen Hofraths und Ober-Bibliothekars, zumindest der „Erste Theil“. Die Vorrede ist unterzeichnet: „Dresden, den 20. Julius 1806“. Verstorben ist Adelung am 10. September 1806. Den Band hat er wohl nicht mehr in seinen Händen gehalten. Man spürt in diesem Werk, wie Adelung sich entfernt von der einen Sprache, die er ‘Mundart’ nannte und mit dem Prädikat ‘hochdeutsch’ schmückte. Und so ist Adelung am Ende meines Vortrages doch gestorben - in den folgenden Beiträgen wird er wieder auferstehen. Und noch eine letzte Ehre sei ihm erwiesen. In Arno Schmidts Spätwerk „Abend mit Goldrand“, erschienen 1975 - es ist ein Erinnerungsbuch, und manche sagen, es sei sein bestes Werk -, kommt dieser auf seine Wieland- Lektüre zu sprechen und formuliert dann, zusammenfassend: „no man did so much for the language of Germany“ (Schmidt 1975, S. 57). Die englische Formulierung überrascht in diesem Kontext schon, und wenn man Arno Schmidt nur ein bisschen kennt, wird man dahinter die Encyclopaedia Britannica vermuten, die nachweislich in Schmidts Bibliothek stand. Die Suche unter dem Stichwort Wieland bleibt ergebnislos; aber Gott sei Dank gibt es ja den „Bargfelder Boten“, „Materialien zum Werk Arno Schmidts“. Und ausgerechnet in der November-Nummer 2005 - am 14. November 2005 habe ich Heidrun Kämper auf ihre Einladung zum Vortrag mein Ja-Wort gegeben - lautet ein Unterkapitel eines Aufsatzes im „Bargfelder Boten“: „Arglistige Täuschung“, in dem es heißt, dass dieser Satz eben der weltberühmten Enzyklopädie entnommen und unter dem Stichwort Adelung, <?page no="23"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 23 Johann Christoph verzeichnet ist und folgenden Wortlaut hat: „No man before Jacob Grimm (q.v.) did so much for the language of Germany“ (Rathjen 2005, S. 22f.). Also nicht Wieland, sondern Adelung. Ein später Triumph für ihn. Dabei besaß Arno Schmidt Adelungs Wörterbuch in der zweiten Auflage von 1793ff. Ich habe es in Bargfeld im August des Jahres 2006 in Händen gehalten. Undank ist der Welt Lohn. 6. Literatur 6.1 Primärquellen [Adelung, Johann Christoph] (1774): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Erster Theil, von A-E. Dem noch beygefüget ist des Herrn M. Fulda Preisschrift über die beyden deutschen Haupt-Dialecte. Leipzig. [Adelung, Johann Christoph] (1775): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Zweyter Theil, von F-K. Leipzig. [Adelung, Johann Christoph] (1777): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Dritter Theil, von L-Scha. Leipzig. [Adelung, Johann Christoph] (1780): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Vierter Theil, von Sche-V. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1781a): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. Preuß. Landen. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1781b): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Berlin. [Adelung, Johann Christoph] (1782a): Johann Christoph Adelungs deutsche Sprachlehre. Wien. Adelung, Johann Christoph (1782b): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Erster Band. Zweyter Band. Leipzig. [Adelung, Johann Christoph] (1782c): Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts. Von dem Verfasser des Begriffs menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse. Leipzig. <?page no="24"?> Helmut Henne 24 [Adelung, Johann Christoph] (1783): Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, von dem Verfasser der Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften. Erster Theil, welcher die Landwirthschaft nebst dem Bergbaue, und die erste Hälfte der Handwerke enthält. Zweyte verbesserte Auflage. Leipzig. [Adelung, Johann Christoph] (1786): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Fünften und letzten Theils Erste Hälfte, von W-Z. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1788): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1789): Ueber den Deutschen Styl. Erster Band. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1790): Ueber den Deutschen Styl. Zweyter Band. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin. [Adelung, Johann Christoph] (1793): Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Erster Theil, von A-E. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1793 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. I. A-E. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 1, 1793. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. [Adelung, Johann Christoph] (1796): Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Zweyter Theil, von F-L. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1796 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. II . F-L. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 2, 1796. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. Adelung, Johann Christoph (1798 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. III . M-Scr. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 3, 1798. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. <?page no="25"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 25 [Adelung, Johann Christoph] (1801): Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Dritter Theil, von M-Scr. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1801 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen Bd. IV . Seb-Z. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 4, 1801. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. [Adelung, Johann Christoph] (1802): Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Vierter Theil, von Seb-Z. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1806): Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Erster Theil. Berlin. 6.2 Sekundärliteratur und -quellen Basler, Otto (1953): Johann Christoph Adelung. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 1. Berlin, S. 63-65. Cherubim, Dieter/ Walsdorf, Ariane (2005): Sprachkritik als Aufklärung. Die Deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert. 2., verb. u. erw. Aufl. Mit einem Beitrag von Helmut Henne. Göttingen. Dill, Gerhard (1992): Johann Christoph Adelungs Wörterbuch der ‘Hochdeutschen Mundart’. Untersuchungen zur lexikographischen Konzeption. Frankfurt a.M. Feldmann, Wilhelm (1904/ 05): Modewörter des 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung, 6, S. 299-353. Frisch, Johann Leonhard (1741 [1977]): Teutsch-Lateinisches Wörterbuch. Berlin. [= Neudr. d. Ausg. Berlin 1741. 2 Bde. in 1 Bd. Mit einer Einführung und Bibliographie von Gerhardt Powitz. (= Documenta Linguistica. Reihe II : Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York]. Frisch, Johann Leonhard (1729): Specimen I. Lexici Germanici Oder Ein Entwurff samt einem Exempel wie er sein Teutsches Wörter-Buch einrichtet [...]. In: Bödikeri, Johannis: [...] Grund-Sätze der Teutschen Sprache [...]. Berlin, S. 401- 484. Gottsched, Johann Christoph (1758): Beobachtungen über den Gebrauch und Misbrauch vieler deutscher Wörter und Redensarten. Straßburg/ Leipzig. Grimm, Jacob (1819): Deutsche Grammatik. Erster Theil. Göttingen. Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm (1854): Deutsches Wörterbuch. Erster Band. A- Biermolke. Leipzig, S. I - LXVIII . [Vorrede]. <?page no="26"?> Helmut Henne 26 Haß-Zumkehr, Ulrike (1999): Die kulturelle Dimension der Lexikografie. Am Beispiel der Wörterbücher von Adelung und Campe. In: Gardt, Andreas/ Haß-Zumkehr, Ulrike/ Roelcke, Thorsten (Hg.): Sprachgeschichte als Kulturgeschichte. Berlin/ New York, S. 247-265. Henne, Helmut (1970): Einführung und Bibliographie. In: Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York, S. I - XXXII *. [Neudr. d. 2. Aufl., Leipzig 1793]. Zugleich in: Henne, Helmut (Hg.) (2001): Deutsche Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts. Einführung und Bibliographie. 2. Aufl. Hildesheim/ New York, S. 145-178. Henne, Helmut (1972): Semantik und Lexikographie. Untersuchungen zur lexikalischen Kodifikation der deutschen Sprache. Berlin/ New York. Henne, Helmut (1999): Gesellschaftliche Bezüge im Selbstverständnis der neueren Sprachwissenschaft. Drei Stationen auf dem Weg in die linguistische Moderne. In: Stickel, Gerhard (Hg.): Sprache - Sprachwissenschaft - Öffentlichkeit. (= Jahrbuch 1998 des Instituts für deutsche Sprache). Berlin/ New York, S. 88-99. Jellinek, Max Hermann (1913/ 14): Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung. Bd. 1 und Bd. 2. Heidelberg. Johnson, Samuel (1756): A Dictionary of the English Language: In which The Words are deduced from their Originals, Explained in their Different Meanings, and Authorized by the Names of the Writers in whose Works they are found. Abstracted from the Folio Edition, by Samuel Johnson, A.M. (Bd. 1 und Bd. 2). London. Lenz, Jakob Michael Reinhold (1987): Werke und Briefe in drei Bänden. Hrsg. v. Sigrid Damm. Leipzig. Logau, Friedrich v. (1759): Sinngedichte. Zwölf Bücher. Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters hrsg. v. Carl Wilhelm Ramler und Gotthold Ephraim Lessing. Leipzig. [Angehängt: Wörterbuch]. [Logau =] Golaw, Salomon v. (1654): Salomons von Golaw Deutscher Sinn-Getichte Drey Tausend. Breßlaw. Müller, Max (1903): Wortkritik und Sprachbereicherung in Adelungs Wörterbuch. Ein Beitrag zur Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache. Berlin. Naumann, Bernd (1986): Grammatik der deutschen Sprache zwischen 1781 und 1856. Die Kategorien der deutschen Grammatik in der Tradition von Johann Werner Meiner und Johann Christoph Adelung. Berlin. Niehr, Thomas (2005): Von ‘veraltetem’, ‘edlem’ und ‘ganz pöbelhaftem’ Sprachgebrauch. Johann Christoph Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch als Quelle für die Erforschung des Denkens, Fühlens und Wollens einer sozialen <?page no="27"?> „Kritik der deutschen Sprache“ - Adelungs linguistisches Werk 27 Schicht des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In: Busse, Dietrich/ Nier, Thomas/ Wengeler, Martin (Hg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Linguistik. Tübingen, S. 169-185. Pfeifer, Wolfgang (1984): Adelungs Stellung zur Etymologie in seinem Wörterbuch. In: Bahner, Werner (Hg.): Sprache und Kulturentwicklung im Blickfeld der deutschen Spätaufklärung. Der Beitrag Johann Christoph Adelungs. (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Klasse. Bd. 70, H. 4). Berlin, S. 233-238. Powitz, Gerhardt (1959): Das deutsche Wörterbuch Johann Leonhard Frischs. Berlin. Rathjen, Friedhelm (2005): Buchderbücher. Einsatzweisen der ‘Encyclopaedia Britannica’ in Schmidts Spätwerk. In: Bargfelder Bote Nr. 283-284, S. 19-29. Scharloth, Joachim (2002/ 03): Deutsche Sprache, deutsche Sitten. Die Sprachkonzeption von J.M.R. Lenz im Kontext der Sprachnormendebatte des 18. Jahrhunderts. In: Lenz-Jahrbuch. Sturm und Drang Studien 12, S. 89-118. Scharloth, Joachim (2005): Sprachnormen und Mentalitäten. Sprachbewußtseinsgeschichte in Deutschland im Zeitraum von 1766-1785. Tübingen. Scherer, Wilhelm (1875): Johann Christoph Adelung. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 1. Leipzig, S. 80-84. Schmidt, Arno (1975): Abend mit Goldrand. Frankfurt a.M. Sickel, Karl-Ernst (1933): Johann Christoph Adelung. Seine Persönlichkeit und seine Geschichtsauffassung. Leipzig. Strohbach, Margrit (1984): Johann Christoph Adelung. Ein Beitrag zu seinem germanistischen Schaffen mit einer Bibliographie seines Gesamtwerks. Berlin/ New York. Takada, Hiroyuki (2004): ‘Vertrauliche Sprechart’ im sprachlichen Alltag um 1800. Soziopragmatische Überlegungen anhand der lexikograpischen Beschreibungen von Adelung. In: Mattheier, Klaus J./ Nitta, Haruo (Hg.): Sprachwandel und Gesellschaftswandel - Wurzeln des heutigen Deutsch. München, S. 265-279. Wittgenstein, Ludwig (1971): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a.M. Ziegler, Evelyn (in diesem Band): Eine Frage des Geschmacks? Adelungs Sprachnormtheorie im Kontext des zeitgenössischen Geschmacksdiskurses. <?page no="29"?> Hartmut Schmidt Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache von „roher Naturmusik“ bis zum „Band der Geschlechter und Völker“ 1. Einführung Goethe und Schiller haben gespottet, Adelung könne ja nur den Kadaver der Sprache anatomieren, ihren Geist und ihr Leben aber nicht fassen. 1 Das macht deutlich, wie schwer es schon Adelungs jüngeren Zeitgenossen fiel, seine Leistungen vorurteilsfrei zu bewerten. Daran hat sich auch in den folgenden Generationen wenig geändert. Das helle Licht, das schon lange über der deutschen Klassik und Romantik leuchtet, hat manche ihrer Vorgänger in tiefen Schatten getaucht. Engagierte freiberufliche Autoren gelten deshalb bis heute als Dilettanten. Dilettanten waren allerdings viele Forscher des 18. Jahrhunderts, aber in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: Liebhaber der Wissenschaft. Sie verfügten über weit schlechtere Hilfsmittel als ihre Nachfolger, alle Erkenntnisse aus den großen späteren Entdeckungen waren ihnen verschlossen. Die Natur- und Geisteswissenschaftler auch dieser Periode aber haben hart und erfolgreich an den Grundlagen gearbeitet, die ihre Nachfolger nutzen konnten: an exakteren Arbeitsweisen, besseren und zum Teil ganz neuartigen Quellenkenntnissen, glücklicheren Hypothesen und Theorien. Die Unterscheidung von Universitätswissenschaftlern und freien Forschern genügt nicht für die Entscheidung über wissenschaftliche Qualität. Zahlreiche wichtige wissenschaftliche Leistungen sind durch freie Forscher hervorgebracht worden. Dilettanten waren auch Herder als Geschichtsphilosoph, Mendelssohn als Religionsphilosoph, Schiller (trotz seiner zeitweiligen Universitätsprofessur) als Historiker oder Winckelmann als Kunsthistoriker; aber schmälert das den Wert ihrer Leistungen? Gelegentlich wird Adelung nachgesagt, ja nur aus Not und für Geld so viel gearbeitet und geschrieben zu haben. Als ob harte Arbeit für den eigenen Lebensunterhalt einen Qualitätsmangel begründen muss. Adelungs Gedanken haben nicht nur im engeren Kreis seiner Leser und Nachfolger weitergewirkt, 2 seine Handbücher 1 „Anatomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver; / Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell“ (Goethe 1958b, S. 213). 2 Vgl. das Adelung-Kapitel in: Schmidt (1986, S. 1-41). <?page no="30"?> Hartmut Schmidt 30 sind durch Freunde wie Gegner gern benutzt worden; aber das Naserümpfen über deren Autor hat trotzdem lange angehalten. Wieland immerhin, der sich mit Adelung im Jahr 1782 einen beiderseits engagierten Schlagabtausch über die Frage der vorrangigen Prägung der Schriftsprache durch blühende Landschaften 3 oder führende Schriftsteller geliefert hatte, reichte ihm achtzehn Jahre später die Hand zur Versöhnung. Seinen Respekt vor Adelungs Leistung („Einer der verdientesten Deutschen Sprachforscher unsrer Zeit“, „einer unsrer angesehensten Sprachgelehrten“) hatte Wieland schon im Konflikt bezeugt. 4 Auch der bedeutendste deutsche Lexikograph der nächsten Generation, Jacob Grimm, hat seinen wichtigsten deutschen Vorgänger auf eine besondere Weise geehrt. Grimm, der in das Deutsche Wörterbuch keine Namen aufnehmen wollte, setzte einen Namensartikel in die alphabetische Stichwortreihe und schrieb: „ ADELUNG , m. vir nobilis, ahd. adalunc, und gangbarer mannsname, der wolklingende eigenname eines mannes, der voraus durch sein wörterbuch ein hohes verdienst um unsere sprache sich errungen hat“ (Grimm/ Grimm 1854-1971, Teil 1, Sp. 178). 5 Über die Anfänge der Geschichte des Menschen und den Beginn seiner Sprachfähigkeit sagt Adelung: „Moses schrieb, da das menschliche Geschlecht, der gewöhnlichen Zeitrechnung zur Folge, schon bey nahe dritthalbtausend Jahre gesprochen [...] hatte“ (Adelung 1781a, S. 11). Mit dieser Formulierung geht Adelung von 2500 Jahren seit der Sprachbegabung des Menschen bis zu Moses' Schöpfungsbericht aus; er hält sich wie seine Zeitgenossen an die biblische Schöpfungsgeschichte und die „gewöhnliche Zeitrechnung“. Moses' Darstellung und die gängigen Ansichten über dessen Lebenszeit gelten dem aufgeklärten Aufklärer Adelung offenbar als Auskünfte, mit deren Zuverlässigkeit er zu rechnen hat. Um Adelungs Ansichten über die Anfänge der Sprache wirklich beurteilen zu können, müssen wir deshalb zunächst einen Blick auf die biblische Schöpfungsgeschichte werfen; denn die Kenntnis ihrer einschlägigen Aussagen und des durch sie vorgegebenen Zeitrahmens gehörte zu den wichtigsten Voraussetzungen, die in 3 Über Adelungs Eintreten für die Vorbildlichkeit des meißnischen Hochdeutsch vgl. Polenz (2002, S. 8). 4 Wieland (1857, S. 345 u. 363): „Was ist Hochdeutsch? “ und das Versöhnungsangebot aus dem Jahr 1800. 5 Adelung selbst hatte vermutlich Freude am Artikel „ ADALINGVS , ADELINGVS , ETHE- LINGVS “ (usw.) seines eigenen Mittellateinischen Wörterbuchs (Adelung 1772-84, Bd. 1, S. 65). <?page no="31"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 31 der westlichen Welt mindestens bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts für jeden galten, der sich zum Thema der Geschichte des Menschen und seiner Sprachfähigkeit äußerte. Der Schöpfungsbericht bestimmte die Leitlinien, die man auch als Bibelskeptiker beachtete, um nicht in das Abwehrfeuer orthodoxer Theologen zu geraten, und die man höchstens in voller Absicht und mit bewusstem Risiko verletzte, wenn man sich zu Fragen der Sprachentstehung äußerte. Weil aber Moses' Schöpfungsbericht auch durch den Islam respektiert wurde, stellt der folgende Abschnitt für einige Punkte neben Hinweise auf die Genesis auch solche auf den Koran. Liest man nach, so fallen neben den Gemeinsamkeiten auch interessante Differenzen auf. Wir benutzen die Gelegenheit gern, um an eine große gemeinsame Tradition von Orient und Okzident zu erinnern. 6 2. Die Voraussetzungen der Sprachdiskussion in der biblischen Schöpfungsgeschichte Es geht hier vor allem um vier Probleme: 1) Ist die Sprache dem Menschen von Gott verliehen worden oder hat der Mensch seine Sprache in der geschichtlichen Phase der Menschwerdung selbst entwickelt? In der Bibel können Adam und Eva sofort nach dem Schöpfungsakt von Gott angesprochen werden, Sprache also verstehen und auch gebrauchen (1. Moses 1, 28 und 2, 16f.), aber dass Gott den Menschen sprechen gelehrt habe, wird nicht ausdrücklich gesagt. Die Auskunft der Bibel bleibt also unterschiedlich interpretierbar. Moses berichtet dann weiter, Gott habe dem Menschen die Benennung der Tiere ausdrücklich überlassen: „Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen“ (1. Moses 2, 19). Gott hört also vom Menschen die Tiernamen. Das Adam eingeräumte Benennungsrecht wandte der dann sogar auf seine „Gehilfin“ an: „Und Adam nannte seine Frau Eva“ (1. Moses 2, 18 und 3, 20). Das durfte man im 18. Jahrhundert, etwas freizügig, so verstehen, dass zwar die Sprachfähigkeit im Menschen angelegt war, aber die „Nomination“, der Akt der Benennung seiner Welt, ihm überlassen wurde. Man konnte den biblischen Bericht über die Namenfindung aber auch sehr eng interpretieren, 6 Vgl. zum Alten Testament Albertz (1989) und zu arabischen Sprachursprungstheorien Roggenhofer (1989). <?page no="32"?> Hartmut Schmidt 32 nämlich so, als hätten schon Adam und Eva durch göttliche Vermittlung hebräisch gesprochen. Bekannt sind die auch im 18. Jahrhundert gern zitierten, mehr oder weniger mythischen Berichte über die Nachprüfung dieser These an isoliert aufgezogenen Kindern und die Verwunderung über das Missglücken der Versuche, auf diese Weise die jedem Menschen angeborene Ur- und erste Universalsprache zu entdecken. Der Koran berichtet Ähnliches wie die Genesis, aber nicht dasselbe: „Und er [Allah] lehrte Adam aller Dinge Namen; dann zeigte er sie den Engeln“ und sprach zu Adam: „O Adam, verkünde ihnen [den Engeln] ihre [der geschaffenen Dinge] Namen“ (Koran, S. 36, 2. Sure, Vers 29). Hier bleibt, anders als bei Moses, Gott der erste „Nominator“, und Adam gibt die ihm durch Gott mitgeteilten „Namen“ an die Engel weiter. Zu Beginn der 55. Sure werden die Lehre des Korans, der Schöpfungsbericht und die Sprachbegabung des Menschen in einen engen Zusammenhang gebracht: „Der Erbarmer lehrte [dich] den Koran. Er erschuf den Menschen, er lehrte ihn deutliche Sprache. Die Sonne und der Mond sind Gesetzen unterworfen“ (Koran, S. 485-486, 55. Sure, Verse 1-4). 7 Auch dieser Text wird unterschiedlich interpretiert: Ist mit dem „Lehren der deutlichen Sprache“ nur die Befähigung zur richtigen Deutung des Korans gemeint oder gehört die Begabung des Menschen mit der deutlichen Sprache im Koran zum Schöpfungsakt und deshalb zur Grundausstattung des Menschen? Verdanken also schon Adam und Eva Gott nicht nur „aller Dinge Namen“, sondern ihre „deutliche Sprache“ überhaupt? 2) Gibt es einen biblisch begründeten entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Tier? Und bezeichnet die Sprachbegabung des Menschen seine besondere Position am besten? Moses berichtet, dass die Wassertiere und die Vögel am fünften Schöpfungstag geschaffen wurden, die Landtiere und der Mensch am sechsten (1. Moses 1, 20-26). Über diese Chronologie der Schöpfung hinaus, die schon als ein Weg vom Niederen zum Höheren zu verstehen war, berichtet die Bibel über die Gottähnlichkeit des Menschen und dessen Auftrag, über alles Leben auf der Erde zu herrschen: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und 7 Der Herausgeber der Reclamausgabe des Korans interpretiert die „deutliche Sprache“ im Sinne von „Beredsamkeit“ und Interpretationsfähigkeit, als Kunst der Korandeutung, ignoriert also den Zusammenhang mit der Schöpfungsgeschichte. <?page no="33"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 33 über alles Gewürm, das auf Erden kriecht“ (1. Moses 1, 26). Auch der Koran sieht den Daseinszweck der Tiere grundsätzlich in ihrem Dienst am Menschen: „und die Tiere, er erschuf sie für euch“ (Koran, S. 248, Sure 16, Vers 5). Wie auch immer, wir dürfen davon ausgehen, dass sich weder die Bibel noch der Koran den Menschen ohne Sprachbegabung vorstellen konnte, dass also beiden Religions-Grundtexten die Sprachfähigkeit ebenso wie der Herrschafts- und Nutzungsauftrag als selbstverständliche Attribute und Vorrechte des Menschen galten. Das 18. Jahrhundert äußerte ernste Zweifel. 8 3) Wie stand es mit der Idee der Urvollkommenheit der Sprache? Die von Gott verliehene Sprachfähigkeit konnte nur als vollkommen gedacht werden. Aber galt die sprachliche Perfektheit auch noch für das, was der Mensch danach mit seiner Sprache angefangen hatte? Den Turmbau zu Babel hatte Gott ja nach der biblischen Überlieferung durch das Mittel der Sprachverwirrung, also durch die Ablösung der ursprünglichen Universalsprache gestoppt: „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“ (1. Moses 11, 1) und: „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! “ (1. Moses 11, 7). Deshalb musste schon Joseph am Nil eine andere alte Kultursprache, Ägyptisch, lernen: „denn er redete mit ihnen [seinen Brüdern] durch einen Dolmetscher“ (1. Moses 42, 23). Auch der Koran spricht von der Sprachtrennung durch Gott: „Und zu seinen Zeichen gehört [...] die Verschiedenartigkeit eurer Zungen“ (Koran, S. 368, Sure 30, Vers 21). Dass sich Sprachen immer noch veränderten, wusste man im 18. Jahrhundert. Waren diese Veränderungen aber optimierende Entwicklungsprozesse oder bezeugten sie den zunehmenden Verfall der göttlichen Ursprache in den Händen des sündhaften Menschen? 4) Eine weitere Frage, die viele mehr oder weniger Gelehrte lange umtrieb, war die nach der ältesten Sprache. Für Juden und Christen konnte dies am ehesten das erwähnte Hebräisch des Schöpfungsberichts und der zehn Gebote sein, von deren bevorzugter Position sich aber schon Herder nicht mehr ganz überzeugt zeigte, als er formulierte: „die so genannte Göttliche, erste Sprache, die Hebräische“ (Herder 1770, S. 23, vgl. ebd., S. 71). 8 Vgl. die Darstellungen verschiedener Autoren in Gessinger/ Rahden (Hg.) (1989), darunter insbesondere Droixhe/ Haßler (1989) über die auch für Adelungs Position wichtige gleichzeitige Diskussion in Frankreich. <?page no="34"?> Hartmut Schmidt 34 Die Antworten der Genesis und des Korans auf diese vier Fragen sind nicht in allen Fällen eindeutig, aber in der jüdisch-christlichen Überlieferung bestand und besteht eine populäre Deutungstradition, die eine enge Auslegung der Bibel bevorzugt: 1) Gott hat dem Menschen im Schöpfungsakt nicht nur die Sprachfähigkeit, sondern auch eine bestimmte Sprache verliehen. 2) Die Sprachfähigkeit des Menschen, seine Seele, seine Vernunft und sein Herrschaftsauftrag unterscheiden ihn grundsätzlich von allen Tieren. 3) Die von Gott verliehene Sprache war selbstverständlich vollkommen. Erst der im Turmbau von Babel zum Ausdruck gekommene Abfall von Gott hat nicht nur zur Auflösung der Spracheinheit, sondern auch zum Verfall der Sprachen geführt. 4) Die einheitliche Ursprache konnte keine andere sein als das Hebräische, die Sprache des Alten Testaments. Solche Überzeugungen boten reichlich Konfliktpotenzial für die junge aufklärerische Sprachwissenschaft, nicht nur in der Auseinandersetzung mit den damaligen Kreationisten. Der zeitgenössische Diskussionsstand war Adelung bekannt. Als Philosophiehistoriker, der die erste populär gehaltene deutschsprachige Philosophiegeschichte (Geschichte der Philosophie für Liebhaber, Leipzig 1786-87, 3 Bde.) und außerdem ein siebenbändiges, ebenfalls philosophiegeschichtliches, aber polemisches Werk (Geschichte der menschlichen Narrheit, Leipzig 1785-89) geschrieben hatte (über beide Titel Wollgast 1984, S. 57 und 61), war er auf eine eigene Stellungnahme recht gut vorbereitet und er kannte sicherlich auch die Risiken solcher Stellungnahmen. Die wichtigsten Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts, an deren Haltung sich Adelung orientieren konnte, waren René Descartes und Condillac. Beide waren dem Streit mit den Theologen ausgewichen. Descartes verzichtete 1633, dem Jahr, in dem Galileo Galilei durch Rom zum Widerruf seines neuen Weltbildes genötigt wurde, aus Sorge, er könne vom Vatikan und den Universitäten in ähnlicher Weise angegriffen werden, auf die Publikation seines druckfertigen Hauptwerks „Le Monde“ (Descartes 1980, S. 341), 9 das uns deshalb verloren gegangen ist. Und der Abbé de Condillac benutzte im Jahr 1746 einen Trick, um mit seiner Theorie über 9 Brief von Descartes an Marin Mersenne, Nov. 1633; vgl. das Nachwort von Irrlitz: „Versuch über Descartes“ (ebd., S. 383). <?page no="35"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 35 die natürliche Entwicklung der Sprache nicht den Zorn seiner Kirche zu erregen. Er stimmt zunächst der biblischen Schöpfungsgeschichte ausdrücklich zu: Adam und Eva haben ihre Denkfähigkeit und ihre Sprachbegabung nicht der Erfahrung, sondern allein und unmittelbar ihrem Schöpfer zu verdanken. Aber, sagt Condillac: Ich nehme an, daß einige Zeit nach der Sintflut zwei Kinder beiderlei Geschlechts in der Wüste herumirrten, bevor sie die Verwendung irgendwelcher Zeichen kannten. [...] Wer weiß, ob es nicht ein Volk gibt, das einen solchen Ursprung hat? Jedenfalls erlaube ich mir diese Annahme. Die Frage ist nun, wie diese entstehende Nation sich eine Sprache gebildet hat. (Condillac 1977, S. 187) Und auf diese listige Annahme gründet er seine Theorie der wechselseitigen Entwicklung von Sprache und Denken. Wie es mit der göttlichen Sprache von Adam und Eva und ihrer „Sprachnation“ weiterging, interessierte ihn nicht. Noch 1766 hatte der Berliner Theologe und bedeutende Statistiker Johann Peter Süßmilch, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, seine Abhandlung über den göttlichen Ursprung der Sprache drucken lassen. Der protestantische Pfarrerssohn Adelung aus Vorpommern, der nach dem Theologiestudium in Halle seine erste Stellung als Gymnasialprofessor in Erfurt schnell wieder verlor, weil er die Rechte seiner evangelischen Gemeinde gegen die Regierung verteidigt hatte und deshalb aus Erfurt fliehen musste, war Mythenkritiker, aber kaum Religionsfeind (Jellinek 1913-14, Bd. 1, S. 329). 10. Er gehörte zu den ersten, die ihre Ansichten über den Ursprung der Sprache ohne Rücksicht auf theologische Vorbehalte offen aussprachen. Seine Antworten auf die zitierten vier Fragen waren: 1) Die Sprache sei „von Menschen erfunden worden“ (Adelung 1781b, S. 7). 2) Schon „als Thier hatte dieser Sohn der Natur [...] das Vermögen, Sprache zu erfinden“ (ebd., S. 8). 3) Die Sprache sei in ihrem Urzustand nicht vollkommen, sondern „rohe Natur-Musik“ gewesen (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 619). 4) „Die hebräische Sprache ist freylich die älteste, von welcher wir die beträchtlichsten Überbleibsel haben; allein sie ist um deßwillen nicht die ursprüngliche“ (Adelung 1781a, S. 10f.). 10 Über Adelungs Religionsverständnis s.a. Wollgast (1984, S. 64-67). <?page no="36"?> Hartmut Schmidt 36 Wir verstehen die Bedeutung Adelungs besser, wenn wir diese seine Ansichten in etwas größerem Zusammenhang behandeln und nicht nur mit dem berühmten Werk Herders, sondern auch mit den Positionen einiger der wichtigsten anderen deutschen Akteure der mehrere Jahrzehnte währenden Diskussion vergleichen. Um der für diese Themen seinerzeit beachtlichen Autorität des Aufklärers Adelung als Philosophie- und Sprachhistoriker gerecht zu werden, müssen wir uns zunächst um die Frage kümmern, wie es um sein Zeitmaß von etwa 2500 Jahren zwischen der „Kindheit der Sprache“ (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 193) und Moses' Schöpfungsbericht und um die angenommenen 6000 Jahre seit dem Schöpfungsakt stand. 3. Zeitrechnung Wir glauben heute zu wissen, dass sich der homo sapiens zumindest in den letzten 50 000 Jahren in seinem biologischen Zustand und Vermögen kaum noch verändert hat und dass die engere Vorgeschichte des homo sapiens viele hunderttausend Jahre in Anspruch genommen hat. Das war der letzte Akt einer Epoche, in deren Verlauf sich die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen sehr langsam entwickelt und in der sich auch die Bedingungen seiner Sprachfähigkeit einschließlich ihrer physiologischen Voraussetzungen ganz allmählich herausgebildet haben, bis der wichtigste Unterschied zwischen Mensch und Tier unumkehrbar manifest geworden ist. Ganz anders das 18. Jahrhundert. Auch aufgeklärte Philosophen hatten sich vom Zeitrahmen, den die Bibel vorgibt, kaum gelöst. In der geistigen Welt der Juden, Christen und Muslime, die sich in der Berufung auf Moses einig waren, konnte sich zu dieser Zeit wohl fast niemand ein Alter der Menschheit vorstellen, das für die Frühzeit entscheidend von Moses' Berechnung der Lebensalter der alttestamentlichen Urväter in der Genesis abgewichen wäre. Zwar äußert sich der Koran nicht in bestimmter Weise zur Zeitrechnung der Bibel, aber er übernimmt mehrfach den Bericht über die sechstägige Schöpfungsdauer, wie ihn Moses gegeben hat: „Siehe, euer Herr ist Allah, welcher die Himmel und die Erde in sechs Tagen erschuf; alsdann setzte er sich auf den Thron“ (Koran, S. 159, Sure 7, Vers 52). 11 Nach biblischer Zeitrechnung stehen wir heute im Jahr 5543 nach dem Schöpfungsakt. Einige christliche Theologen schon des 18. Jahrhunderts waren etwas großzügiger als die Rabbiner und rechneten von der Schöpfung bis 11 Entsprechend auch Koran S. 201 (Sure 10, Vers 3); S. 211 (Sure 11, Vers 9); S. 375 (Sure 32, Vers 3); S. 470 (Sure 50, Vers 37) und S. 492 (Sure 57, Vers 4). <?page no="37"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 37 zur Geburt Christi mit glatten 4000, also bis 1800 schon mit 5800 Jahren (Zedler 1749, Bd. 61, Sp. 818). 12 Wissenschaftler, die an die Schöpfung in nur sechs Tagen nicht glauben wollten, nahmen Zuflucht zu der Hypothese, jeder der sechs Schöpfungstage stehe symbolisch für tausend Jahre, wieder ein hübscher Trick (Zedler 1747, Bd. 54, Sp. 1647). Sie konnten also für den Schöpfungsakt einschließlich des siebenten Ruhetages weitere 7000 Jahre ansetzen und kamen damit auf bisher etwa 12 300 Jahre bis zum Jahr 1750. Allerdings gewannen sie für die Menschheits- und Sprachgeschichte, die erst am sechsten Schöpfungstag begann, nur 2000 Jahre hinzu. Für sie hatte der Mensch die Erde zur Zeit Adelungs also schon seit etwa 8000 Jahren bevölkert. Wer aber für die Geschichte des Sprachprozesses insgesamt nur 5000, 6000, 7000 oder auch 8000 Jahre berechnet, steht vor einer Aufgabe, die zugleich schwer und leicht erscheint. Statt einer viele hunderttausend Jahre währenden Ausbildung der menschlichen Sprachfähigkeit muss man notgedrungen einen sehr knapp bemessenen Übergang vom sprachlosen Tier zum sprachbegabten Menschen vorsehen und sich danach den Verlauf der Ausbildung aller Sprachen aus Zeitnot in Riesenschritten denken. Für die späte Entwicklung der jungen Nationalsprachen verursacht das kaum Probleme, aber für die lange Dauer der Vorgeschichte etwa des Indogermanischen mit allen ihren Sprachspaltungen und Mischungsprozessen steht dann kein ausreichender Zeitrahmen zur Verfügung. Über den Zusammenhang der indogermanischen Sprachfamilie konnte sich Adelung schon erste richtige Vorstellungen 13 bilden. Die Brisanz der Aufgabe 12 Ausführlich über die biblische Zeitrechnung einschließlich der Berechnung der „lezten Welt-Zeiten“ (so dort S. 264): Johann Albrecht Bengel (1746): Welt-Alter darin Die Schriftmässige Zeiten-Linie bewiesen. Esslingen. 13 Adelung hat über Sprachverwandtschaften im Laufe seines Lebens viel gelernt. Dass Deutsch, Isländisch, Schwedisch und Dänisch als germanische Sprachen gelten dürfen, wusste er schon 1782 (siehe Adelung 1782a, Bd. 1, S. 12 u.ö.). Zuletzt bezeichnet er als europäische „Sprachstämme“ u.a. schon Baskisch, Keltisch, Griechisch, Latein, Slavisch, Finnisch, Ungarisch, Lettisch (bzw. „Slavisch-Finnisch“, wohl im Sinne von „Baltisch“), und einige Mischgruppen. Er kennt Gemeinsamkeiten des Deutschen (bzw. Germanischen), des Slawischen und des Persischen, auch des Germanischen und Keltischen und des Germanischen und Griechischen (Adelung 1806a, S. 348-352). Er lehnt die Annahme nur einer Ursprache und eines Stammvolkes in Europa ab (ebd., S. 339). Er hält „Iberisch, Celtisch, Germanisch und Thracisch“ für gründlich verschiedene Sprachen und hat sich z.B. „von dem Celtischen und Gallischen [...] mit nicht geringem Zeitaufwande zahlreiche <?page no="38"?> Hartmut Schmidt 38 aber, eine sehr lange Ausbildungsphase der Sprachfähigkeit und der Einzelsprachen vorzusehen und mit rekonstruiertem Sprachmaterial oder Hypothesen darüber zu füllen, hat die Generation Adelungs noch nicht erkennen können. Sogar in den nächsten zwei Jahrhunderten ist sie nur wenigen bewusst geworden. Adelung selbst interessierte sich zudem mehr für die wichtigen Phasen der Ausbildung der Menschheit als für das Datum des Schöpfungsakts: „Ob dasselbe gerade vor sechs tausend Jahren geschehen, kann uns hier gleich gelten, so bald man nur den Stufengang der Bevölkerung und Cultur einräumet“ (Adelung 1782b, S. 6, vgl. dort auch S. 46-48). Doch er betonte durchaus sein grundsätzliches Einverständnis mit der Darstellung der Genesis und den großen Zügen von deren Zeitrechnung. Gegen die Vorstellung eines wesentlich längeren Entwicklungsganges hatte er ernste Bedenken: „ein Zeitraum von hundert und mehrern hundert tausend Jahren ist so wohl für die Bevölkerung, als für den Grad der Cultur [...] viel zu groß, und widerspricht ganz dem gewöhnlichen Lauf der Dinge“ (ebd., S. 70). Er durfte sich in Kenntnis des „gewöhnlichen Laufs der Dinge“ also darauf beschränken, eine knappe Theorie der Sprachentstehung für einen engen Zeitraum zu entwickeln, um sich dann sofort der Geschichte des Deutschen zuzuwenden. Machen wir einen Zeitschritt zu Adelungs Nachfolgern im frühen 19. Jahrhundert und schauen wir zuerst auf Friedrich Schlegel. Schlegel meinte immerhin schon 1805: „Die in betreff des Alters des Menschengeschlechts aus dem Alten Testament gezogene Chronologie ist wirklich allen Umständen nach falsch“ (Schlegel 1959ff., Bd. 14, S. 10). Das Menschengeschlecht sei zwar vergleichsweise sehr jung, aber aus dem Wachstum der Bevölkerung könne man zurückrechnen, „daß ein Alter von etwa 6000 Jahren zu kurz ist“ (ebd., S. 12). Doch wie sehr sich Schlegel trotz seiner Zweifel an der biblischen Zeitrechnung noch im Bann dieser Zeitrechnung befand, zeigt die Zaghaftigkeit seines Korrekturversuchs: „4000 Jahre vor Christus, wovon eben 2000 Jahre für den Zeitraum vor der Sündflut abgehen, ist auf jeden Fall zu gering; 6000 Jahre vor Christus möchten aber vielleicht vollkommen hinreichen, alles zu erklären“ (ebd.). 14 Sammlungen gemacht“, um Sprachverschiedenheiten erkennen und beurteilen zu können (Adelung 1806a, S. 341). Dass Völker, die in gegenseitigem Austausch standen, auch in Urzeiten Wörter von einander entlehnt hätten, ohne deshalb verwandt zu sein, erscheint ihm „sehr natürlich“ (ebd., S. 345). 14 Vgl. Schmidt (1992, S. 21f.). <?page no="39"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 39 Wilhelm von Humboldt besaß in hohem Maße die Gabe, sich in heiklen Fragen konziliant, unverbindlich und fast beliebig interpretierbar auszudrücken. Er vermied Spekulationen über die seit den ersten Menschen vergangene Zeitdauer, aber zur Frage der plötzlichen Sprachbegabung oder der langsamen Sprachentwicklung nahm er Stellung. Wir lesen in seiner Schrift über das vergleichende Sprachstudium die folgende Formulierung, die sich so ausnimmt, als hätte Humboldt hier eine Brücke zur biblischen Vorstellung eines engen Zusammenhangs von Schöpfung und Sprachbegabung des Menschen geschlagen: „Es kann auch die Sprache nicht anders, als auf einmal entstehen, oder um es genauer auszudrücken, sie muss in jedem Augenblick ihres Daseyns dasjenige besitzen, was sie zu einem Ganzen macht“ (Humboldt 1960-81, Bd. 3, S. 2). Etwas später legt Humboldt seinen Lesern die Schlussfolgerung nahe, der Mensch könne die Sprache nicht selbst erfunden haben: So natürlich die Annahme allmähliger Ausbildung der Sprachen ist, so konnte die Erfindung nur in Einem Schlage geschehen. Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber Sprache zu erfinden, müsste er schon Mensch seyn. (ebd., S. 11) Das stimmt ziemlich genau zur Darstellung der Genesis. Die These von der Spracherfindung „in Einem Schlage“ versucht Humboldt allerdings sofort wieder mit dem gegnerischen Modell langsamen Werdens der Sprache zu versöhnen. Er fährt nämlich fort: Darum aber darf man sich die Sprache nicht als etwas fertig Gegebenes denken, da sonst ebensowenig zu begreifen wäre, wie der Mensch die gegebene verstehen, und sich ihrer bedienen könnte. Sie geht notwendig aus ihm selbst hervor, und gewiss auch nur nach und nach, aber so, dass [...] das erste Wort schon die ganze Sprache antönt und voraussetzt. (ebd.) Das erste Wort setze die ganze Sprache voraus, die Spracherfindung konnte „nur in einem Schlage geschehen“, aber „gewiss nur nach und nach“, eine hübsche Aporie. Erst als die Wissenschaft zum weitgehenden Konsens darüber gelangte, dass die These vom unvermittelt plötzlichen Auftreten des sprachbegabten Menschen auf der Erde nicht zu halten sei, erkannte man dem Prozess der Sprachentstehung einen etwas längeren Zeitraum zu. Der bedeutende Slavist, Indogermanist und auch Germanist August Schleicher setzte 1860 für diesen Prozess immerhin schon 20 000 Jahre an. Er sagt: <?page no="40"?> Hartmut Schmidt 40 Die Zeiträume, welche die Sprachen [...] zu ihrem Werden bedurften, lassen sich kaum auch nur annähernd bestimmen. [...] so werden wir nicht umhin können, für eine Entwickelung von Lautgebärden an zur Sprache der einfachsten Form, von dieser zu höheren und zu höchsten Formen [...] einen mindestens viermal so langen Zeitraum für erforderlich zu halten als der ist, der seit der Blüthe der indogermanischen und semitischen Ursprache bis jetzt verfloß. So würden wir also eine Zeit von mindestens zwanzigtausend Jahren für erforderlich halten für die Entwickelung des sprachlichen Lebens von seinen ersten Anfängen bis zur Gegenwart. (Schleicher 1860, S. 41f.) Auch Schleichers Annahmen greifen zwar noch viel zu kurz, aber sie stellen, 80 Jahre nach Adelungs Äußerungen, den Versuch dar, sich durch die biblische Zeitrechnung nicht mehr binden zu lassen und den Prozess der Sprachentstehung in ein moderneres naturwissenschaftliches Weltbild einzuordnen. Allerdings hielt ihn ein anderes altes Sprachmodell, das genau wie die Auffassungen der Kreationisten bis in die Gegenwart fortwirkt, noch in seinem Bann fest, die Überzeugung, der Sprachprozess sei generell in zwei Etappen verlaufen: der Aufstieg der Sprache bis zur Vollkommenheit in der uns unbekannten Vorzeit (z.B. des Indogermanischen oder des Semitischen) und der darauf unweigerlich folgende Verfall in der uns überlieferten historischen Zeit. Die Abfolge „Aufstieg und Verfall“ entsprach Schleichers fester Überzeugung: „Die Bildung der Sprache, die aufsteigende Geschichte ihrer Entwicklung fällt in die vorhistorische Periode der Völker [...]. In der historischen Periode ist die Sprachengeschichte die Geschichte des Verfalls der Sprachen als solcher in Folge ihrer Knechtung durch den Geist“ (Schleicher 1848, S. 16f.). Dieses zweistufige Sprachgeschichtsmodell versucht, eine Antwort darauf zu geben, dass (vor der großen Zeit der modernen Archäologie) die Geschichte aller alten Völker in der Regel erst mit der Entdeckung, Entzifferung und Kenntnisnahme früher Texte deutlich und deutbar in das Bewusstsein der Neuzeit trat. Die Sprache dieser Texte wurde sehr bald als eine Basis begriffen, von der aus man zu den modernen Zuständen der jeweiligen Sprachen durch allerlei Veränderungsregeln gelangen konnte. Diese Veränderungen konnte man als Beweise für lautlichen, morphologischen und semantischen Verfall interpretieren. Auch hier war, bei ansonsten säkularen Deutungen und Deutern, wieder die alte Idee der Urvollkommenheit der Sprachen im Spiel, allerdings bei manchen, wie Jacob Grimm, weniger unter dem Einfluss der Bibel oder der Philosophie, sondern als Ergebnis des Sanskritstudiums, das den formenverliebten Philologen einen alten Sprachzustand zeigte, der viel komplexer war, als ihn die <?page no="41"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 41 modernen indogermanischen Sprachen besaßen. Das kompliziertere System hielt man für „reicher“ und „edler“, näher am idealisierten Ursprung (vgl. Grimm 1819, S. XXXIVf.). Weiter soll der Versuch, Adelung in die Überzeugungen seiner Zeit und die der unmittelbaren Nachfolger einzuordnen hier nicht gehen. Nur zur Möglichkeit des Vergleichs mit den frühen Spekulationen sei wenigstens eine moderne, wissenschaftlich besser begründete zitiert: Der bedeutende bulgarische Indogermanist Vladimir Georgiev hat vor wenigen Jahrzehnten die nächste Zehnerpotenz ins Spiel gebracht hat, indem er feststellte: Die erste Phase des Indoeuropäischen - das Protoindoeuropäische ( PIE ) - hat viele zehntausende, sogar einige hunderttausende Jahre gedauert. Sie kann in ein älteres und ein jüngeres PIE geteilt werden. Die zweite Phase ist das Spätindoeuropäische, das durch die [...] Rekonstruktion der Junggrammatiker hergestellt wurde. (Georgiev 1969, S. 546) Es ist etwas deprimierend, dass sich heute ganz überwiegend nur Paläologen und Anthropologen, aber kaum Linguisten, dafür interessieren, wann und wie sich die physiologischen Voraussetzungen der menschlichen Sprachfähigkeit (z.B. die Stellung unseres Kehlkopfes) herausgebildet haben. 4. Grundpositionen 4.1 Adelungs sprachphilosophische und sprachwissenschaftliche Vernetzung Ein etwas jüngerer Zeitgenosse Adelungs, der Görlitzer Historiker und Sprachforscher Karl Gottlob von Anton, hat 1799 in der Vorrede seines Werks „Ueber Sprache in Rüksicht auf Geschichte der Menschheit“ (vgl. Eichler/ Hoffmann/ Kunze (Hg.) 1993, S. 31 und Ricken 1984b, S. 77) angemerkt, er habe sich zur Vorbereitung seiner Untersuchung „gegen 600 größere und kleinere Werke über die Sprachen verschaffen können“. Diese Bemerkung belegt, welchem Lesestoff sich ein Gelehrter schon im 18. Jahrhundert stellen musste, der sich unserem Thema widmen wollte. Das wird Adelung in seiner bis 1787 (als er Oberbibliothekar der damaligen sächsischen Hofbibliothek in Dresden wurde) sehr bedrängten finanziellen Lage nicht möglich gewesen sein. Adelung nennt als sprachphilosophischen Bezugspunkt ausdrücklich „Herrn Herders vortreffliche Preisschrift über den Ursprung der Sprache“ (Adelung 1781a, S. 4), die 1781 durch die Berliner Akademie gekrönte Preisschrift über die schon 1769 gestellte Aufgabe: „Haben die Men- <?page no="42"?> Hartmut Schmidt 42 schen, ihren Naturfähigkeiten überlaßen, sich selbst Sprache erfinden können? Und auf welchem Wege wären sie am füglichsten dazu gelangt? “ (Herder 1770, S. 3). 15 Der erste Satz des späteren Weimarer evangelischen Generalsuperintendenten Herder lautete: „Schon als Thier, hat der Mensch Sprache“ (ebd., S. 5). Damit meinte er „die Sprache der Empfindung“ bzw. „unmittelbare Laute der Empfindung“ (ebd., S. 6f., 17), also signalartige Schreie und andere spontane Lautäußerungen der Tiere mit kommunikativer Funktion. Dasselbe wie nach sorgfältiger Forschungsarbeit sein und Adelungs Altersgenosse Erasmus Darwin (1731-1802), der Großvater Charles Darwins, der in seiner Zoonomie Zeugnisse für Zeichengebrauch, Erinnerungsvermögen und „Sprache“ der Tiere sammelte. Der Grundstein zur Selbsterfindung der Sprache war damit immerhin schon den Tieren zugesprochen und der grundlegende biblische Unterschied zwischen Mensch und Tier war relativiert. Manche entsetzen sich noch heute (oder sogar heute wieder mehr als im 19. Jahrhundert) über die Zumutung, andere Primaten, also etwa Schimpansen und Bonos, Gorillas und Orang-Utans und sogar Lemuren, als unsere Vettern im biologischen System der Arten anerkennen zu sollen. Erasmus Darwin war weit revolutionärer als sein Enkel. Er fordert vom Menschen: „Geh du stolzer Vernünftler und nenne den Wurm deinen Bruder! “ (Darwin 1795, S. 341). 16 Neben Herder nennt Adelung einige andere Autoren, die seine sprachphilosophischen Überzeugungen beeinflusst haben: Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Wolff (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 68), 17 aber auch Johann Heinrich Lambert (ebd., Bd. 1, S. 305f.). Beide, Wolff und Lambert, hatten der allgemeinen Grammatik eine wichtige Rolle in ihren philosophischen 15 Die französische Formulierung der Berliner Preisaufgabe: „En supposant les hommes abandonnés à leurs facultés naturelles, sont-ils en état d'inventer le language? et par quels moyens parviendront-ils d'eux-mêmes à cette invention? “ (Jellinek 1913-14, Bd. 1, S. 326). 16 Darwin stellt zahlreiche Beispiele für vernünftiges Handeln der Tiere zusammen (Darwin 1795, S. 320ff.): „Dieses Zeichen der herannahenden Gefahr sowohl als die anderen Zeichen, welche die welsche Mutterhenne ihrer Nachkommenschaft giebt [...] scheint eine Art künstlicher Sprache zu seyn“ (ebd., S. 282). Er spricht von der „natürlichen Sprache der Leidenschaften aller Thiere“ (ebd., S. 290) und meint: „Das Bellen der Hunde [...] scheint eher eine erworbene Sprache, als ein natürliches Zeichen zu seyn“ (ebd., S. 284). 17 Zur Bedeutung von Leibniz und Wolff für Adelung (den alten Christian Wolff konnte Adelung noch während seines Theologiestudiums in Halle erleben, der bedeutende Wolffschüler Siegmund J. Baumgarten hat Adelung in Halle am stärksten beeinflusst) siehe Mühlpfordt (1984, S. 42). <?page no="43"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 43 Systemen eingeräumt (Jellinek 1913-14, Bd. 1, S. 31). Auch eine ganze Reihe deutscher Grammatiker hat Adelung, oft mehrfach, zustimmend oder ablehnend zitiert, natürlich immer wieder Gottsched, aber auch z.B. den Oberpfälzer Karl Friedrich Aichinger (1717-1782), den er etwa dafür tadelte, dass er meinte, das Verb „helfen“ könne man mit dem Akkusativ konstruieren (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 439). Unter den Orthographiereformern nannte er vor allem den Hallenser Hieronymus Freyer (1675-1747), den in Berlin-Cölln wirkenden Pommern Johann Bödiker (1641-1695) und verschiedentlich, aber stets kritisch, die eigenwilligen Reformversuche Klopstocks. Insbesondere dessen Eintreten für das „Gesetz der größten möglichen Sparsamkeit“ als Schreib- und Schriftregel lehnte Adelung ab (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 716f.). Adelung empfiehlt seinen Lesern dagegen ausdrücklich „des Herrn Johann Werner Meiner, Rectors zu Langensalza, philosophische Sprachlehre, welche [...] sich auf die Hebräische, Griechische, Lateinische, Deutsche und Französische Sprache erstrecket; ein überaus gelehrtes und nützliches Werk, dem ich manche Aufklärung zu verdanken habe“ (ebd., Bd. 1, S. 116). 18 Besondere Ehre erweist Adelung auch dem in Berlin lebenden Pommern Karl Wilhelm Ramler (1725-98), Logikprofessor, Dichter, Metriker, Theaterleiter und sprachkritischer Helfer vieler Autoren. Im Umständlichen Lehrgebäude habe er, Adelung, eine andere Klassifikation der starken Verben als in seiner zuerst 1781 erschienenen deutschen Sprachlehre für Schulen gebraucht, „welche ich meinem Freunde, dem Herrn Prof. Ramler in Berlin, zu verdanken habe [...]. Sie ist unstreitig die genaueste“ (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 802). Es darf als sicher gelten, dass der Philosophiehistoriker Adelung nicht nur diese deutschen Philosophen und Grammatiker, sondern auch die einschlägigen Texte von John Locke und natürlich die der bedeutendsten französischen Philosophen Descartes und Condillac recht gut gekannt hat (vgl. Bahner 1984, S. 8, 10, 11; sowie Ricken 1984a, S. 126: „Adelung kannte zumindest Condillac und Helvétius“). Das Werk eines weiteren französischen Sprachphilosophen, die Beschreibung der Südseereise von Charles de Brosses, hatte Adelung sogar 1767 selbst übersetzt und in Halle herausgebracht. Schon in diesem Reisebericht hat de Brosses seine Hypothese von der Nachahmung natürlicher Laute und Schälle durch den Menschen ganz im Sinne Adelungs 18 Adelung führt Meiners Grammatik in der Folge mehrfach an (z.B. Adelung 1782a, Bd. 1, S. 116, 125, 126). Meiners gediegenes Werk war ebenfalls bei Breitkopf erschienen. <?page no="44"?> Hartmut Schmidt 44 als eine wichtige Basis des Sprachursprungs dargestellt. Es liegt nahe, dass Adelung dann auch das 1765 herausgegebene sprachphilosophische Hauptwerk von de Brosses, Traité de la formation mécanique des langues, Paris 1765, 2 Bde., kannte (so Ricken 1984a, S. 124). Adelung kennt auch seinen Zeitgenossen Antoine Court de Gébelin, dessen Genuslehre und Agglutinationstheorie, die auf Adelungs Auffassung der Suffixe als ursprünglich selbstständiger Wörter eingewirkt hat (Jellinek 1913-14, Bd. 1, S. 30; Bd. 2, S. 157, 188), und dessen Bewertung der Schriftentwicklung (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 626). Adelungs Ansichten befanden sich tatsächlich weitgehend im Einklang mit denen der französischen Sprachphilosophen des 18. Jahrhunderts. Sie wirken ebenso wohldurchdacht und sind doch eigenständig und eigenwillig formuliert. Adelung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Diskussion über Sprache, Sprachursprung, Sprachentwicklung und Sprachgebrauch unter seinen Zeitgenossen auch in Deutschland ein enormes öffentliches Interesse fand. 4.2 Sprache, Sprachursprung, Sprachentwicklung, Sprachvolk Hören wir Adelung zu vier Punkten, denen in seiner Sprachauffassung, seiner Sprachlehre, seiner Arbeit als Grammatiker und Lexikograph eine zentrale Rolle zukommt. Das sind die Fragen der Sprachdefinition, der Sprachentstehung, der Sprachentwicklung und des Zusammenhangs von Sprache, Volk, Nation. 4.2.1 Adelungs Sprachdefinition Wir schauen zuerst auf die Bedeutungsangabe in Adelungs Wörterbuch. Dort finden wir folgende Artikelstruktur: Die Sprache [...] 1. Als ein Abstractum, und ohne Plural (1) Das Vermögen zu sprechen (a) Im weitesten Verstande, das Vermögen, den inneren Zustand seines Geistes durch Töne auszudrucken, und in dieser Beziehung haben auch die Thiere eine Sprache [...]. (b) Im engern und gewöhnlichen Verstande ist die Sprache das Vermögen, seine Gedanken durch Worte, d. i. articulierte (eigentlich nachgeahmte Töne) auszudrucken, das Vermögen, Worte als Zeichen der Gedanken zu gebrauchen [...]. (2) Die Art und Weise zu sprechen [...]. 2. Als ein Concretum, folglich mit Plural, der Inbegriff von Tönen, wodurch man seinen innern Zustand ausdruckt (1) Im weitesten Verstande, von allen Tönen, so fern sie Zeichen der Empfindung sind (2) In engerer und gewöhnlicher Bedeutung, der ganze Inbegriff von Wörtern und Redensarten, vermit- <?page no="45"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 45 tels deren die Glieder eines Volkes einander ihre Gedanken mittheilen, die von einer gewissen mit einander verbundenen Menge Menschen angenommene Weise, seine Gedanken durch Wörter und Redensarten von sich [zu] geben. (Adelung 1793-1801, Bd. 4, S. 226f.) In diesen Bestimmungen stecken interessante Ansätze: Sprache als Vermögen, als Fähigkeit / der Zusammenhang von Sprache und Denken / der Zeichencharakter der Wörter / unterschiedliche Sprachen als Kommunikationsmittel von Völkern / aber auch Sprachen als Ausdrucksmittel anderer „mit einander verbundener Mengen von Menschen“, also ein Zugang zu Dialekten und Sondersprachen. Und auch die Überzeugung von der Grundähnlichkeit von Menschen- und Tiersprache und der besonderen Bedeutung der Nachahmung von Naturtönen für die Entstehung der Menschensprache deutet Adelung hier an. Adelungs Bestimmungen unterscheiden sich nicht grundsätzlich vom Allgemeinwissen seiner Zeit, wie es z.B. im Universallexikon von Zedler festgehalten wurde (vgl. Zedler 1744, Bd. 39, S. 399-400). Aber sie sind reichhaltiger und präziser. Dafür noch einige Zitate aus Adelungs wichtigsten Texten: Wenn wir sprechen, so drucken wir unsere Empfindungen und Vorstellungen durch Worte hörbar aus, und unsere Absicht dabey ist, eben dieselben Empfindungen und Vorstellungen in andern zu erwecken. [...] unser ganzer Reichthum in Ansehung der Erkenntniß und Sprache bestehet aus einer Menge zu verschiedenen Zeiten erworbener Begriffe und gebildeter Ausdrücke derselben, aus welchen wir [...] diejenigen heraus heben, welche unserer jedesmahligen Vorstellung gemäß sind, und sie zu einer verständlichen Rede an einander reihen. (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 504) Ohne Anlage zur Erkenntniß findet keine Sprache, aber ohne Sprache auch keine deutliche Erkenntniß Statt. Beyde gehen in gleichen Schritten neben einander und bilden sich wechselsweise aus. (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 184) Sprechen heißt [...] andern die Reihe seiner Vorstellungen durch vernehmliche Laute mittheilen: ein Vermögen, welches nur allein dem Menschen eigen ist. Sprache ist in diesem Verstande sowohl dieses Vermögen, als auch der ganze Inbegriff vernehmlicher Laute, vermittels welcher Menschen einander die Reihe ihrer Vorstellungen mittheilen. (Adelung 1806b, S. 3) Aussagen ähnlicher Präzision selbst bei den großen deutschen Sprachforschern des 19. Jahrhunderts sind selten. Fasst man Adelungs Definitionsansätze in modernere Begriffe, so finden wir bei ihm die kognitive, die expressive und die kommunikative Funktion der Sprache, die Unterscheidung von langue, language und parole und den Versuch, solche Bestimmungen nicht nur systembezogen zu erläutern, sondern auch entwicklungspsychologisch und geschichtlich zu erklären. <?page no="46"?> Hartmut Schmidt 46 4.2.2 Sprachursprung Zedlers Lexikon lässt die heikle Frage, ob die Sprache einen göttlichen oder menschlichen Ursprung habe, noch offen. Dort wird formuliert: „Es sey nun, daß dem ersten Menschen die Sprache anerschaffen, oder daß selbige allmählich von ihm erfunden worden [...]: so ist es doch gewiß, daß das erste Sprechen nicht so gleich eine wohlgesetzte Rede gewesen seyn kann“ (Zedler 1744, Bd. 39, S. 403). Herder bespricht zunächst ausführlich die eher unstrittige „Sprache der Empfindung“ bei Mensch und Tier: „Wollen wir also diese unmittelbaren Laute der Empfindung Sprache nennen: so finde ich ihren Ursprung allerdings sehr natürlich. Er ist nicht blos nicht übermenschlich: sondern offenbar Thierisch: das Naturgesetz einer empfindsamen Maschiene.“ Aber Herder wundert sich, dass sogar Philosophen auf den Gedanken gekommen seien, „aus diesem Geschrei der Empfindungen den Ursprung Menschlicher Sprache zu erklären“ (Herder 1770, beide Zitate S. 17), denn kein Tier habe „den geringsten, eigentlichen Anfang zu einer Menschlichen Sprache“ (ebd., S. 18). Deshalb folgt etwas später der kühnere Schritt: „die Sprache ist erfunden! eben so natürlich und dem Menschen nothwendig erfunden als der Mensch ein Mensch war“ (ebd., S. 37). Adelung, bestärkt durch das Vorbild Herders, aber ohne Herders Konstrukt, dass erst die Gottesgabe der „Besinnung“ bzw. „Besonnenheit“ den Menschen zur Spracherfindung befähigt habe (ebd., S. 34, 69, 94), gibt eine klare und systematisch aufgebaute Auskunft. Er sagt schon 1781 in der Diskussionsfassung seines Sprachursprungskapitels (und dabei bleibt er auch später), er setze voraus: 1. Daß die Sprache von Menschen erfunden worden. Sie von Gott erfinden oder dem Menschen unmittelbar offenbaren lassen, ist freylich sehr bequem, hat aber [...] außer dieser Bequemlichkeit nichts für sich aufzuweisen [...]. 2. Daß der Mensch sie nicht von ungefähr [...] erfunden, sondern daß das Bedürfniß zu sprechen auf das innigste mit seiner Natur und Bestimmung zum gesellschaftlichen Leben verbunden ist, so daß er ohne dasselbe nicht Mensch, und ohne [...] Sprache nicht vernünftiger Mensch seyn kann. 3. Daß die Sprache nicht von ausgebildeten oder mit vorzüglichen Einsichten und Erkenntnissen begabten Menschen erfunden worden, sondern von dem einfachen ganz rohen und sinnlichen Sohne der Natur, so wie er aus den Händen seines Schöpfers kam. (Adelung 1781b, S. 7) 19 19 Vgl. Polenz (2002, S. 4-9). <?page no="47"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 47 Dass Adelung nicht über Mythenkritik hinausging und keinen ernsteren Konflikt mit den Kirchen suchte, wird jedem Leser deutlich, der in Adelungs deutschen Wörterbüchern Artikel wie Gott, Schöpfer, Schöpfung, Seele, Welt o.Ä. aufschlägt. Adelung meint, dass die Vollkommenheit moderner Sprachen in Wort und Schrift viele Forscher geblendet habe, weil man sich nur vorstellen konnte, dass „etwas sehr Wunderbares und Vortreffliches [...] das Werk eines höhern Wesens seyn müsse“ (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 618). Aber gerade dieser Glaube sei falsch, denn: Die erste menschliche Sprache war [...] eine ungeschlachte Nachahmung der Naturtöne ohne alle Verbindung [also ohne Satzstruktur, Anm. d. Verf.] [...] daher Minen und Geberden das Chaos unförmlicher Laute zusammen reihen mußten [...]. Die erste Sprache war rohe Natur-Musik, und die erste Schrift plumpe Mahlerey. (ebd., S. 619) Das ist der Dreh- und Angelpunkt aller Äußerungen Adelungs über den Charakter der ersten Sprache des Menschen. Deshalb war er auch überzeugt, dass alle Sprachen zu Beginn nur über Interjektionen funktioniert haben: Die Interjectionen sind [...] die Anfänge und Bestandtheile einer jeden Sprache, und sind daher nicht sowohl ein Redetheil, als vielmehr die erste Haupt- Classe der vernehmlichen Ausdrücke, welche die Empfindungen als bloße Empfindungen darstellet, dagegen die zweyte Haupt-Classe die eigentlichen Wörter, d. i. die vernehmlichen Ausdrücke klarer Vorstellungen in sich fasset. (ebd., S. 202) 20 Die Interjektionen bilden auch die früheste Grundlage der Wortbildung: „Die Wurzel eines jeden Wortes ist ursprünglich eine Interjection“, die sich später in Adverbien, Verben und Substantive transformiert habe (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 724). Eine Ansicht, die recht gut zur Annahme der ursprünglich fehlenden Wortarteigenschaften indogermanischer Wurzelbegriffe passt. Einfach war auch die frühe Syntax: „In der ersten Kindheit der Sprache weiß man von gar keinen Conjunctionen, sondern man stellet die Sätze und ihre Glieder ohne alle Verbindung neben einander hin“ (ebd., Bd. 2, S. 193). Dass die erste Sprache Nachahmung von Naturtönen sei, ist die Grundlage der bis zum Überdruss des Lesers wiederholten Überzeugung Adelungs, die Sprache sei „im ersten und ursprünglichen Zustande [...] hörbarer Ausdruck 20 Hier unterscheidet sich Adelung von Herder, der wie später Jacob Grimm in den Verben die „Urwurzeln der Sprache“ sah (vgl. Herder 1770, S. 52). Interjektionen seien nur Reste der „Naturtöne“ in den „Sprachen des Ursprungs“, die aber nicht „die Hauptfäden der Menschlichen Sprache“ seien (ebd., S. 10). <?page no="48"?> Hartmut Schmidt 48 der äußern [also nicht auch der inneren] Empfindungen“ (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 200). Von diesem Punkt aus beginnt der lange Weg der Sprachentwicklung bis zu den modernen Sprachen, die „hörbarer Ausdruck unserer klaren Vorstellungen von den Dingen und dem was sich von ihnen sagen lässet“ (ebd.) geworden seien. Die „klaren und deutlichen Erkenntnisse“ waren zentrale Termini schon bei Descartes (omnia quae clare & distincte percipimus, siehe Descartes 2004, S. 58). Adelung legt größten Wert auf den Umstand, dass die Laute der frühesten Sprache nicht innere Empfindungen ausgedrückt, sondern äußere Töne und Geräusche nachgeahmt hätten. Die früheste Sprache gilt ihm als ein Ergebnis der Imitation, nicht der Besinnung. Er sagt: „Das ganze Lehrgebäude von Sprache aus innerer Empfindung ist eine Luftblase“ (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 191). Damit distanziert er sich ausdrücklich von Friedrich Karl Fulda, der „die erste Sprache, so viel sich aus seiner geflissentlich dunkeln Schreibart errathen läßt, nicht undeutlich für den Ausdruck der innern Empfindung hält“ (Adelung 1781b, S. 6f.), und diesmal wohl zugleich von Herders Betonung des „innern“ Sprachursprungs: „so war auch das erste Moment der Besinnung Moment zu innerer Entstehung der Sprache“ (Herder 1770, S. 94). In der „Sprache der Empfindung“ hatte Herder allerdings im Gegensatz zur heutigen „künstlichen Sprache“ „die Sprache der Natur“ gesehen, deren Besitz der frühe Mensch noch mit den Tieren teilte (ebd., S. 6f.). Doch die Beschränkungen der ersten Sprache des „rohen und sinnlichen Sohns der Natur“ auf „rohe Natur-Musik“, „ungeschlachte Nachahmung“ und „Interjektionen“ haben dieser Sprache keineswegs den ästhetischen Reiz nehmen können, „weil die ganze erste Sprache musikalische Dichtung ist“ (Adelung 1782b, S. 137). Adelung war überzeugt davon, dass sich Sprach- und Denkfähigkeit des primitiven Frühmenschen parallel und durch gegenseitigen Anreiz entwickelt hätten und dass die Sprachverhältnisse der Frühzeit für die semantische Analyse noch (oder schon) greifbar seien: „Die Ursprünge der Wörter fallen allemahl in die rohesten Zeiten jedes Volkes, wo es keine andern als ganz sinnliche Vorstellungen hatte und haben konnte, wo folglich die sinnlichste Erklärung allemahl die wahrscheinlichste ist“ (Adelung 1781a, S. 7). In seiner Suche nach einer Ausgangssituation, die primitive Menschen unter primitiven Bedingungen erste Wörter bilden ließ, half ihm die auf Veranlassung seines Verlegers der ersten Ausgabe seines deutschen Wörterbuchs beigegebene Göttinger Preisschrift von Friedrich Karl Fulda „Ueber die beiden <?page no="49"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 49 Hauptdialecte der Teutschen Sprache“ 21 kaum weiter. Fulda meinte: „Die Menschensprache ist aus Metaphern entstanden; und Wiz und Geschichte schaffen täglich neue“ (Fulda 1774, S. 37). 22 Hätte Fulda Metaphern als zweiten Schritt der Nomination bezeichnet, wären die beiden Konkurrenten wohl zur Einigung gelangt. Fuldas Theorie der Bildung der Urwurzeln bot durchaus Ansätze dafür: Jaromír Povejšil betont, Adelung habe Fuldas „Methode der Wurzelanalyse [...] in der ersten Auflage seines ‘Umständlichen Lehrgebäudes’“ [also Adelung 1782a] übernommen und angewandt (Povejšil 1984, S. 148, vgl. auch Jellinek 1913-14, Bd. 2, S. 154). Fuldas Versuch, den „äußersten Ursprung der Sprache“ in einfachsten Wurzellauten mit ebenso ursprünglichen Bedeutungen zu finden, „nach welchem th eine Thätigkeit und s das Zischen des Wassers und des Za[h]ns bedeuten“ (Fulda 1774, S. 40) konnte Adelung tatsächlich gefallen; auch er ging von „zuerst durch einen Konsonaten nachgeahmten Naturschällen“ (Jellinek 1913-14, Bd. 2, S. 154) aus. 4.2.3 Sprachentwicklung Die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur und das gesellschaftliche Zusammenleben bieten ihm nach Adelung die wichtigsten Anreize zur weiteren Ausbildung der Sprache. Wieder befindet er sich im Gleichklang der Überzeugungen mit Herder: „Der Mensch ist in seiner Bestimmung ein Geschöpf der Heerde, der Gesellschaft: die Fortbildung einer Sprache wird ihm also natürlich, wesentlich, nothwendig“ (Herder 1770, S. 112). Deshalb ist für Adelung eine Sprache, die noch in lebendigem Gebrauch ist, nie „fertig“: Die Sprache eines Volkes muß also zu verschiedenen Zeiten nothwendig sehr verschieden seyn. Allein es gibt auch Gründe, warum sie unter den verschiedenen Theilen eines und eben desselben Volkes zu einerley Zeit verschieden seyn kann und muß. Diese Verschiedenheiten machen das aus, was man Dialecte oder Mundarten einer Sprache nennt. (Adelung 1781a, S. 9) Zusätzlich zur regionalen Markierung der Sprache, unterscheidet Adelung soziale Gruppen, so z.B. „die Sprache der Geistlichen, Gelehrten und Gerichtshöfe“ (Adelung 1793-1801, unter Roman), die „Sprache der Fuhrleute“ (ebd., unter Wist) oder die „Kunstsprache der Henker“ (ebd., unter aufzie- 21 Fuldas Preisschrift wurde nur der ersten Auflage des Wörterbuchs beigegeben, in der zweiten (mit kritischer Begründung) wieder weggelassen. Vgl. Povejšil (1984, S. 146, 148). 22 Auch Herder (1770, S. 71, vgl. auch S. 74) betont den „Metapherngeist“ der frühen Sprachen. <?page no="50"?> Hartmut Schmidt 50 hen). Weil die Sprache nie „fertig“ ist, kann eine lebendige Sprache auch nicht dauerhaft „normiert“ werden: „die lebendige Sprache eines ganzen Volkes fixiren wollen, heißt der immer fortschreitenden Natur Gränzen setzen wollen. Nur die Schriftsprache läßt sich fixiren“ (Adelung 1781a, S. 8). Es wäre aber falsch, Adelung die Neigung zur Normierung des Deutschen nach willkürlichen eigenen Vorstellungen zu unterstellen. 23 Selbstverständlich kann die natürliche Autorität jeder guten Grammatik und jedes guten Wörterbuchs einer lebenden Sprache bei Rat suchenden Lesern zur Beachtung des in ihnen festgestellten Sprachgebrauchs führen. Aber es war eben dieser Sprachgebrauch, den Adelung endlich ermitteln wollte, dessen Befolgung er empfahl und dessen „Fixierung“ er deshalb wünschte. Einen persönlichen Anspruch auf Durchsetzung eigener neuer Regeln hat er nirgends formuliert. Dass die Entwicklung einer vorläufig fixierten Schriftsprache von der weiteren Entwicklung der mündlichen Sprache auch künftig nicht abzukoppeln war, und die Fixierungsversuche nicht übertrieben werden durften, hat er gewusst: „Es ist in der deutschen Sprache nur zu viel entschieden worden; es ist Zeit, daß man einmal anfange, zu prüfen und zu untersuchen“ (Adelung 1774-86, Bd. 1, Vorrede, S. XIII). Die wichtigsten Entwicklungsmomente des Fortschritts der Sprachen sind nach Adelungs Überzeugung „Sprachgebrauch“, „Empfindung und Gefühl“, „Geschmack und Wohllaut“, „Analogie“ sowie „Gesetz und Regel“ (vgl. Schmidt 1986, S. 10-32 und 1984, S. 136-140). Sie wirken teils gemeinsam, teils in halbwegs geregelter Abfolge, teils auch gegeneinander und steuern die Entwicklung aller Sprachen auf ihrem langen Weg aus der „dunklen Empfindung“ oder dem „dunklen Gefühl“ bis zu „klaren Begriffen“ oder „klaren Vorstellungen“ sowohl von der Welt wie über die inneren (z.B. grammatischen und lexikalischen) Relationen jeder Sprache (vgl. Adelung 1782a, Bd. 1, S. VIIff., 672, 784; Bd. 2, S. 200, 228). Aber der Aufklärer Adelung warnt vor allzu großem Fortschrittsoptimismus: „Der höchste mögliche Wohlstand ist zugleich der erste Schritt zum Verfalle“ (ebd., Bd. 1, 23 Leider kann auch Jellinek (1913-14, Bd. 1, S. 19f.) so verstanden werden. Jellinek sagt hier: „Die ältere Grammatik verfolgt praktische Zwecke und ist normativ“ und stützt seine Aussage auch mit dem Hinweis auf Adelungs Formulierungen über Regeln als Vorschriften. Er übersieht dabei, dass Adelungs Regeln nach Möglichkeit immer dem allgemeinen Sprachgebrauch folgen sollen. Auch Abweichungen des Obersächsischen von diesem Sprachgebrauch werden gerügt. Nur wo der Sprachgebrauch schwankt, bietet Adelung eigenen Rat an. <?page no="51"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 51 S. 8) und auch „Die Cultur kann nicht ins Unendliche fort steigen“ (Adelung 1782b, S. 238). Der Sprachfortschritt kann insbesondere durch leichtsinnigen Missbrauch gefährdet werden. Grundsätzlich aber ist Adelung von der Möglichkeit des Fortschritts der lebenden Sprachen überzeugt, wenn die Möglichkeiten des Fortschreitens gelegentlich auch eingeschränkt erscheinen oder mit zweifelhaften Mitteln befördert werden. Zur Demonstration der begrifflichen Arbeit Adelungs soll hier sein Umgang wenigstens mit drei seiner wichtigsten Termini, „Fortschritt“, „Wohllaut/ Wohlklang“ und „Gesetz“, belegt werden: 1) Zunächst ein Beispiel für sprachlichen „Fortschritt“ aus der Gebrauchsgeschichte der Konjunktionen, das bis heute aktuell geblieben ist: So wie sich ein Volk und dessen Sprache verfeinern, so sucht man auch in die Verbindungsarten mehr Abwechselung und Mannigfaltigkeit zu bringen; daher häufen sich die Conjunctionen und ihre Bedeutungen. Da der Fortschritt der Cultur keine Grenzen kennet, und die zu Conjunctionen schicklichen Umstandswörter endlich erschöpft werden, so nimmt man dabey seine Zuflucht zu Zusammensetzungen und Nebeneinanderstellungen, und daher kommt es denn, daß oft zwey und drey Wörter den Begriff einer einigen Conjunction erhalten. (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 194) 2) Den uns relativ fremd gewordenen Begriff der Verfeinerung und des Wohlklangs der Sprachen belegt das Beispiel der Einmischung slavischer Elemente in das Ostmitteldeutsche: Diese [„die fränkischen Colonisten“ im meißnischen Gebiet im zehnten Jahrhundert] vermischten sich mit den einheimischen Slaven, welche endlich die Sprache der neuen Ankömmlinge annahmen und mit ihnen zu einem Volke vereinigt wurden. Da die Slavische Sprache wegen ihrer feinen und wohlklingenden Aussprache bekannt ist, so ging ein Theil davon mit in die hierher verpflanzte Fränkische Mundart über, welche schon dadurch verändert und wenigstens in der Aussprache verfeinert ward. (ebd., Bd. 1, S. 81f.) Es ist interessant, dass Adelung hier die Ausspracheregeln des Ostmitteldeutschen nicht, wie wir es gewöhnt sind, aus der Mischung oberdeutscher, westmitteldeutscher und auch niederdeutscher Traditionen im gemeinsamen neuen Siedlungsgebiet ableitet, sondern ausdrücklich aus der veredelnden Langzeitwirkung des slawischen Substrats. 3) Den Begriff des Sprachgesetzes sollen fünf Gesetzesformulierungen aus der großen Zahl seiner Versuche, Gesetze und Regeln zu erkennen, verdeutlichen. Die erste beschreibt die Basis von Adelungs Sprachtheorie: <?page no="52"?> Hartmut Schmidt 52 „die allgemeine Verständlichkeit, das erste Grundgesetz in allen Sprachen“ (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 88f.). Die zweite verknüpft die Begriffe Gesetz und Sprachgebrauch: Da des Änderns und Besserns kein Ende seyn würde [...] hat jedes Volk durch stillschweigende Einwilligung das Gesetz gemacht, daß sein einstimmiger und allgemeiner Gebrauch die höchste Vorschrift in seiner Sprache seyn soll, oder vielmehr, dieses Gesetz folget aus dem Begriffe eines Volkes und einer Sprache [...]. Daraus folge aber nicht, daß eine Sprache, wenn sie einmahl erfunden und nothdürftig ausgebildet worden, nunmehr unveränderlich sey (ebd., Bd. 1, S. 100-101). Die dritte Gesetzesformulierung benennt Adelungs Grundgesetz der Satz- und Textbildung: „Dieses Grundgesetz ist denn nun kein anderes, als daß das unbestimmtere allemahl dem bestimmtern, und zwar nach dem Grade seiner Bestimmtheit vorstehet“ (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 505). Die Beispiele vier und fünf führen gegenläufige Gesetze an, zwischen denen in der Sprachpraxis ein Ausgleich stattfinden müsse, das „allgemeine Grundgesetz der Schrift aller Sprachen: schreib wie du sprichst“ (ebd., Bd. 2, S. 642), das aus verschiedenen Gründen nicht ohne Einschränkung zur Geltung kommen könne, aber „die Aussprache bleibt, wenn sie einmahl allgemein ist, doch immer das höchste Gesetz, dem alle übrige Betrachtungen, so fern sie demselben widersprechen, nachstehen müssen“ (ebd., Bd. 2, S. 664). 4.2.4 Sprachvolk Das Interesse für und die Sorge um die eigene Sprache besaß für Adelung durchaus schon eine politische Dimension, aber keine nationalistische. Adelung sah im gesellschaftlichen Miteinander jedes Volkes die Gewähr für die Funktionsfähigkeit, die Weiterentwicklung und den Fortbestand seiner Sprache. Sei dieses Miteinander nicht mehr gewährleistet, so sei auch die Sprache gefährdet. Er sagt: „Völker entstehen, werden verändert, und gehen unter, so auch die Sprachen“ (Adelung 1806b, S. 3). Dabei urteilte er nüchtern über die humane Substanz eines Volkes: „Den gemeinschaftlichen Ursprung [einer Nation, eines Volkes] muß man hier nicht zu genau nehmen, indem alle Völker von den ältesten Zeiten an, sehr häufig mit einander vermischt worden [sind]“ (Adelung 1781a, S. 5), „die Sprache ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal eines Volkes. Es kann seine Sitten, seine Gebräuche, selbst seine Religion ändern, und es bleibt noch immer eben dasselbe Volk“ (ebd.). Keinesfalls sollten uns die nationalen Stammväter und Stammmütter <?page no="53"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 53 wie in ihrer sowohl früheren wie späteren Verklärung als besonders edel, kulturell hochstehend oder ethisch vorbildlich gelten, denn „die Deutschen und die mit ihnen verwandten Völker waren vor der Völkerwanderung nichts anders als Wilde“ (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 630). Für jede Sprache gilt, dass sie eine diachrone und eine synchrone Funktion besitzt, eine die aufeinander folgenden Generationen verbindende und eine die gegenwärtige Generation vereinende: „Die Sprache [...] ist das engste und genaueste Band der Geschlechter und Nationen, das sicherste Mittel, Völker zu verknüpfen und zu trennen, ja eigentlich das, was Völker zu Völkern macht“ (ebd., Bd. 1, S. 98). 24 Mit der Idee einer engen, prägenden Bindung von Volk und Sprache hat die neuromantische Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts vor allem an Wilhelm von Humboldt und seinen eigentlich nur beiläufig geäußerten, aber faszinierenden und ausdeutbaren Begriff der „inneren Form“ anzuknüpfen versucht. Wer aber glaubt, dass erst mit Humboldts schöner Formulierung eine neue Epoche des Nachdenkens über die Sprache begann, muss nochmals an Adelung und die lange Reihe anderer Vorgänger und Nachfolger bei der Arbeit an dieser Begriffsprägung erinnert werden (vgl. Schmidt 1986, S. 79-84). 25 Auch Adelung spricht vom „Innern des Deutschen Sprachgebrauchs“ (Adelung 1782a, Bd. 2, S. 30), vom „innern Bau der Sprache“ (ebd., Bd. 1, S. 102) und von der „innern Einrichtung der bey einem Volke einmahl gangbaren Sprache“ (ebd., Bd. 2, S. 65f.). Er steht damit in derselben Tradition der „Innerlichkeit“ bzw. des „Inneren“ als des „Eigentlichen“ wie Goethe, der den Begriff der „inneren Form“ aus der griechischen Philosophie schon 1776 aufgriff (Goethe 1958a, S. 22, dazu S. 549, 571), und wie Humboldt und andere Zeitgenossen. Zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert vermitteln im Jahr 1790 auch Immanuel Kants „Kritik der Urteilskraft“ („Ein Ding seiner innern Form halber [...] beurtheilen“ (Kant 1977, Bd. 10, S. 327, vgl. S. 332)) und im Jahr 1808 Friedrich Schlegels bekannte Bemerkung über „die innere Struktur der Sprachen“ (Schlegel 1975, Bd. 8, S. 137). 26 Zum deutschen Vorlauf gehört aber auch schon die Barockpoetik, die 1688 bereits zwischen „innerlicher“ und „äußerlicher Form“ unterscheiden konnte (Markwardt 1937, S. 244). 27 24 Über die seit Leibniz gebrauchte Bandmetapher vgl. Ziegler (2002, S. 111-138). Über den sonstigen Metapherngebrauch Adelungs, seiner Zeitgenossen und Nachfolger vgl. auch Schmidt (1989, S. 203-227). 25 Über die gesamte philosophische Tradition des Begriffs seit der Antike vgl. Schwinger (1934). 26 Vgl. R ži ka (1976, S. 14). 27 Markwardt zitiert hierfür die „Vollständige Deutsche Poesie“ (1688) des hallischen Konrektors Albrecht Christian Rotth. <?page no="54"?> Hartmut Schmidt 54 5. Konsequenzen für die Wörterbucharbeit Adelungs Überzeugung, dass die Sprache einfache und natürliche Anfänge gehabt habe, leitete ihn auch in seiner lexikographischen Methode der Bedeutungsdarstellung und Bedeutungsgliederung. Für die neuere deutsche Lexikographie hat Adelung die Suche nach „konkreten Ursprungsbedeutungen“ eröffnet. Dass Erfolge der Rekonstruktionsbemühungen oft ausbleiben mussten, weil die Anfänge vieler Wortgeschichten, vor allem die der wirklich alten Erbwörter, oft im Dunkeln blieben, war ihm bekannt. Adelung versuchte aber noch mehr: er wollte auch die Abfolge der Bedeutungspunkte seiner Wortartikel an den historischen Verhältnissen orientieren. Zwar durfte er noch von einem relativ kurzen Abstand zu den Sprachzuständen in „den rohesten Zeiten“ ausgehen, aber er wusste, dass auch sein kühner Versuch, die historische „Leiter der Bedeutungen“ zu rekonstruieren, „wie sie vermuthlich aus und auf einander gefolget sind“, oft ebensowenig gelingen konnte, weil die erste Bedeutung eines Wortes, welche gemeiniglich individuell war, nicht mehr vorhanden ist, oder weil manche Sprossen aus der Leiter der Bedeutungen verloren gegangen sind, oder in den Mundarten verborgen liegen. In diesem Falle konnten die Bedeutungen freylich nicht anders als muthmaßlich geordnet werden. (Adelung 1774-86, Bd. 1, Vorrede, S. XIV ) 28 Adelungs Begriff einer diachron begründeten „Bedeutungsleiter“ wurde ein wesentlicher Baustein in der Praxis historischer Bedeutungswörterbücher. Dass diese Praxis für die meisten Nachfolger nicht mit Adelungs Namen verbunden blieb, lag wohl daran, dass sein bedeutendster Nachfolger, Jacob Grimm, zwar das Prinzip übernahm, aber nicht den Terminus. In der Vorrede zum Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm finden wir Jacob Grimms schöne Formulierungen über denselben Sachverhalt: Hinter allen abgezognen bedeutungen des worts liegt eine sinnliche und anschauliche auf dem grund, die bei seiner findung die erste und ursprüngliche war. es ist sein leiblicher bestandtheil, oft geistig überdeckt, erstreckt und verflüchtigt, alle worterklärung, wenn sie gelingen soll, musz ihn ermitteln und entfalten. [...] Diese sinnlichen bedeutungen anzugeben und voranzustellen ist in dem ganzen wörterbuch gestrebt worden, es war aber unmöglich überall den bezeichneten weg einzuschlagen, da es manche einfache und selbst starke verba gibt, deren sinnlicher gehalt nicht mehr deutlich vorliegt 28 Über Adelungs Artikelgliederungen ausführlich Dückert (1984, S. 229-232). <?page no="55"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 55 [...], dann aber auch eine beträchtliche zahl von wörtern in der sprache vorhanden ist, zu welchen das verbum mangelt. (Grimm/ Grimm 1854-1971, Teil I, Vorrede, Sp. XLV f.) 29 Adelung und Grimm unterschieden sich zwar in ihren Mutmaßungen über die „Urwurzeln“ des Wortschatzes. Adelung sah sie in den Interjektionen, Grimm in den Verben. In ihren Hoffnungen und Schlussfolgerungen für die Artikelarbeit stimmten sie überein. Adelung hat sein Darstellungsziel der „Bedeutungsleiter“ zuerst an seiner Umarbeitung des mittelateinischen Wörterbuchs von Du Cange (Adelung 1772-84) 30 zu verwirklichen versucht, für den deutschen Wortschatz begründet hat er es in der Vorrede der ersten Ausgabe seines deutschen Wörterbuchs (Adelung 1774-86), vollendet hat er seine Absichten in der zweiten Auflage dieses Werks (Adelung 1793-1801). Da Adelungs mittellateinisches Wörterbuch wenig bekannt ist, sei sein Verfahren hier einmal gerade an diesem Beispiel vorgestellt. In der Einleitung zum „Glossarium Manuale“ sagt Adelung, es sei notwendig gewesen, die Bedeutungsbeschreibungen von Du Cange und Carpentier, besonders die der mehrdeutigen Wörter, umzuarbeiten: „Vocum significationes, vbi erant multiplices et variae, ad meliorem quemque res ipsa poscere videbatur, reuocatae sunt ordinem, cuius rei testes habemus vocabula Abbas, Altus, Bannum et alia plura [...]“ (Adelung 1772-84, Bd. 1, S. 6). Über die Prinzipien der semantischen Überarbeitung äußert er sich hier noch nicht, aber aus zwei der von ihm empfohlenen Beispielartikel 31 wird zumindest folgendes deutlich: Adelung sucht schon hier nach Bedeutungen, die er als semantische Artikelbasis an die Spitze jedes Artikels setzen kann. Sie stehen für die Ausgangsbedeutungen der im jeweiligen Wörterbuch dargestellten Sprachschicht. Sie können zwar keinen vorhistorisch begründeten Weg des Lateinischen von „dunklen“ hin zu „klaren“ Vorstellungen charakterisieren (das erlaubt der zeitliche Zuschnitt eines mittellateinischen Wörterbuchs ohnehin nicht), aber sie belegen den lexikographischen Weg vom Allgemeineren zum Spezielleren, der in vielen Fällen auch dem zeitlichen Nacheinander der 29 Auch Herder (1770, S. 51, 78) hatte den abgeleiteten Charakter der „geistigen“ Begriffe und die Konkretheit der frühen Sprachen betont. 30 Vgl. darüber auch Armogathe (1984, S. 223). 31 Der hier nicht herangezogene Artikel „ ALTUS , adiect.“ geht von einer eigentlichen Bedeutung (mit der Markierung „proprie“) aus, aber sofort danach beginnt eine Aufreihung von Spezialverwendungen. <?page no="56"?> Hartmut Schmidt 56 Verwendungen entspricht. Sie belegen nach Möglichkeit außerdem Adelungs Ideal der Rekonstruktion einer „Bedeutungsleiter“: Unter „ABBAS“ beginnt die Darstellung mit der Angabe „vox Syriaca“, also einer Herkunftsangabe, hinter die Adelung nicht zurückgehen kann. Die nachfolgenden Punkte entfernen sich zunehmend von der semantischen Basis der frühesten Verwendungen: (1) Praefectus Monasterii; (2) Praefectus cuiusuis societatis (usw.). Unter (6) folgen abschließend mehrere Tiernamen. Noch differenzierter geht der Artikel „BANNVM, vel BANNVS“ vor. Er ist hierarchisch mit der reichen Binnengliederung einer entwickelten Baumstruktur aufgebaut. Nach einer Vorbemerkung, die die Hauptpunkte in einen Darstellungszusammenhang bringt, werden (mit Hinzufügung zahlreicher Unterpunkte und Unter-Unterpunkte) abgehandelt: (I) Edictum publicum; (II) Res ad quam quis cogitur, res iussa; (III) Auctoritas seu ius cogendi et iubendi; (IV) Punitio; (V) Districtus, limes jurisdictionis cuiuscunque, territorium; (VI) Pro Bandum, vexillum. Auch hier kann noch nicht vom Weg der Gliederung und der Artikellektüre vom Konkreten zum Abstrakten gesprochen werden, aber das Bemühen um einen besonnenen, nachzuvollziehenden Artikelaufbau, bei dem die wichtigsten Verwendungen vorn und isolierte Verwendungen am Ende stehen, wird recht deutlich. 32 Adelung hat mit der zeitlich fast parallelen Publikation des sechsbändigen mittellateinischen Wörterbuchs zwischen 1772 und 1784 und der ersten (fünfbändigen) Ausgabe seines „Glossarium Germanicum“ 33 (so im Vorwort des vierten Bandes des „Glossarium Manuale“) zwischen 1774 und 1786 eine staunenswerte lexikographische Gewaltleistung für zwei verschiedene Verleger (Gebauers Witwe und Sohn in Halle und Vater und Sohn Breitkopf in Leipzig) erbracht. Das gilt auch dann, wenn man für beide Wörterbücher eine angemessene Vorbereitungszeit veranschlagt. Den Zeitmangel bei der gleichzeitigen Arbeit an beiden Werken erwähnt er selbst. 34 Es wird vor allem hieran gelegen haben, dass er sein Programm der semantischen Neufassung der Wortartikel zum Mittellateinischen Wörterbuch nicht im gewünschten und dem Publikum im ersten Vorwort versprochenen Maß umsetzen konnte und dass er später die Gelegenheit für eine gründliche 32 Die Grundstrukturen beider Artikel sind durchaus vergleichbar mit den Lösungen unseres modernsten Mittellateinischen Wörterbuchs (1967ff., Bd. 1, Sp. 8-10, 1341-1348). 33 Gemeint ist: Adelung (1774-86). 34 An der Berücksichtigung neuer Materialien für sein Glossarium sei er „maxime autem Glossario Germanico elaborando“ gehindert worden (Adelung 1772-84, Bd. 4, praefatio X v ). <?page no="57"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 57 Neubearbeitung seines deutschen Wörterbuchs so bald und entschlossen wahrnahm. Jacob Grimm spricht über „das gepräge einer ungestörten, gleichmäszigen arbeit“ Adelungs an der ersten Ausgabe seines deutschen Wörterbuchs, „die bald so hoch stieg als sie steigen konnte, und auf die der phantasie gar kein einflusz gestattet war“, während die zweite Ausgabe „hinter der ersten“ stehe (Grimm/ Grimm 1854-1971, Teil I, Vorrede, Sp. XXIII). An dieser Stelle wird er Adelungs enormer lexikographischer Leistung mit seinen etwas versalzenen Lobsprüchen kaum gerecht; er hat den großen Vorgänger mehrfach überzeugender gewürdigt. Adelung wollte in allen seinen Wörterbüchern, so auch im „Glossarium Manuale“ und in den beiden Ausgaben seines deutschen Wörterbuchs, den Kern des darzustellenden Wortschatzes erfassen und dessen Gebrauch beschreiben. Die Erkenntnis und Darstellung der Regeln des historisch tradierten Sprachgebrauchs und dessen gründliche Charakterisierung durch eigene und literarische Belege war ihm stets wichtiger als ein auf Reichtum an Neuwörtern zielendes Bestreben, wie es das wenig später durch Campe herausgegebene und unter dessen Namen bekannte Werk von Christian Samuel Theodor Bernd (Campe (Hg.) 1807-11) 35 auszeichnete. Ganz sicher stellte sich in der Abstinenz Adelungs gegenüber der Fülle der Neuwörter seiner späten Lebensjahre auch Kritik an der neuesten deutschen Literaturszene dar. Besonders hübsch wird der Unterschied der Konzeptionen und die lexikographische Reserviertheit Adelungs gegenüber den neuesten Kompositafluten in einer durch dessen Verleger veranlassten Nachschrift zum 4. Band der zweiten Auflage seines deutschen Wörterbuchs charakterisiert: Der Verfasser giebt zu, daß die Zahl dieser neugebildeten Wörter seit einer bestimmten Zeit beträchtlich zugenommen hat, besonders seit dem hier und da eigene Wörter-Fabriken angelegt worden, aus welchen sie von Zeit zu Zeit wie Kaninchenheerden zu Hunderten hervor strömen. [...] Es ist möglich, daß eines oder das andere mit der Zeit das Bürgerrecht erhält, aber ob dieses wirklich geschehen werde, lässt sich jetzt nicht weissagen“. Seine Materialsammlung sei schon abgeschlossen gewesen, bevor „unsere nachmals berühmten Schriftsteller kaum die ersten Lorbeern ihres nachmaligen Ruhmes aufsprießen sahen. (Adelung 1793-1801, Bd. 4, Nachschrift) 36 35 Erst später formuliert Campe eindeutig: „Bernd, der Abfasser des von mir herausgegebenen Wörterbuchs der Deutschen Sprache“ (Campe 1813, S. XIII ). 36 Mehr zum Problem der Berücksichtigung neuerer und noch selten belegter Wörter in Wörterbüchern (darunter auch die Werke von Adelung und Campe) in: Schmidt (1982, S. 185-202). <?page no="58"?> Hartmut Schmidt 58 6. Schlussbemerkung Adelung galt schon den Vertretern der Generation des Sturm und Drangs als angreifbare Autorität der älteren, regelgläubigen Generation. Gegen deren offene oder versteckte Kritik wendet er sich im „Lehrgebäude“ mit einem Verweis auf die Antike: Athen und Rom zeigen uns in einem sehr getreuen Spiegel, durch was für Mittel auch die blühendste und ausgebildetste Sprache in Verfall gerathen kann. Wenn auf der einen Seite die Neigung zu den gründlichen Wissenschaften veraltet, wenn Philosophie in leeres Geschwätz oder brausende Schwärmerey ausartet, wenn man, anstatt sich deutlicher Begriffe zu befleyssigen, nach Bildern und Figuren hascht, wenn man, bloß um neu zu scheinen, und was Neues zu sagen, auf Empfindeley und Witzeley verfällt, und sich aus Genie-Kitzel über alle Regeln und Vorschriften hinaus setzt; wenn man auf der andern Seite Sprache und Ausdruck zu arm findet, und, unter dem Vorwande, die Sprache zu bereichern, aus fremden Sprachen und Mundarten borgt, alltägliches Geschwätz, dunkle Vorstellungen, mit unter auch wohl Unsinn, zur Schau auszulegen, wenn der Geschmack so weit verfällt, daß die Musen nicht mehr erröthen, die Sprache des Pöbels zu reden, wenn das alles, sage ich, allgemeiner Geschmack wird, dann ist der Verfall der Sprache da. Gerade das waren die Mittel, welche der schönen Griechischen und Römischen Litteratur den Untergang brachten, und ihnen wird auch einmahl die Deutsche ihren Verfall verdanken. Zwar fehlt es in unsern Tagen nicht an halbgelehrten Neulingen aller Art, welche alle diese und noch mehr ähnliche Mittel anwenden, die Herostrate ihrer Muttersprache zu werden; allein noch hat der gute Geschmack zu viele und zu mächtige Freunde, als daß etwas anderes als Verachtung der Lohn solcher Bemühungen seyn könnte. (Adelung 1782a, Bd. 1, S. 70f.) Das Urteil der jüngeren Wissenschaftsgeschichte über Adelung ist, soweit er überhaupt noch zur Kenntnis genommen wird, mit einigen Einschränkungen eher positiv. Max Hermann Jellinek, der bedeutendste deutsche Grammatikhistoriker, gibt ein schönes Beispiel für zwiespältige Lobsprüche. Er formuliert: „Adelungs Schriften gleichen einem seichten und trüben Gewässer“, um fortzufahren: „aber der Schlamm birgt Goldkörner“ (Jellinek 1913-14, Bd. 1, S. 335). An anderer Stelle urteilt er immerhin respektvoll: „Adelung ist ein Markstein in der Geschichte der deutschen Grammatik [...] nicht nur den Abschluss einer Periode bezeichnet sein Werk: es weist in die Zukunft“ (ebd., Bd. 1, S. 331). Ulrich Wyss hat genau dieses Lob für seinen Vergleich Adelungs mit der historischen Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts bestätigt. Er rühmt, dass „Adelung sich schon fast alle Fragestellungen der neuen Sprachwissenschaft zu eigen“ gemacht habe (Wyss 1979, S. 97). <?page no="59"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 59 Nicht zu den geringsten, aber selten beachteten Verdiensten Adelungs zählen seine erfolgreichen Prägungen wichtiger Begriffe und Termini. Interessante Beispiele aus seiner Arbeit als kulturgeschichtlich orientierter Historiker und Sprachwissenschaftler sind hierfür gerade die beiden Komposita Kulturgeschichte (Mühlpfordt 1984, S. 52) 37 und Sprachkultur, diese als generationenübergreifende Aufgabe der Sprachträger (in der Schreibung Sprach- Cultur durchaus schon bei Adelung 1782a, Bd. 1, S. 320: „den wahren Gang der Sprachkultur“). Nicht nur Adelung war Herderleser, sondern Herder hat wohl auch Adelung zur Kenntnis genommen, denn Adelungs Terminus Sprach-Cultur hat auch er 1785, also nur wenig später, in dieser neuen Form gebraucht (Herder 1784/ 85, S. 407). Voraus gehen in beiden Fällen die für die vorherrschende Formulierungsweise des 18. Jahrhunderts besonders charakteristischen und im Verhältnis zu den entsprechenden Komposita begriffsgleichen Wortgruppenlexeme Cultur der Sprache und Geschichte der Cultur. Im Fall der Formulierung Geschichte der Cultur, die den Auftakt für eine neue historische Disziplin abgab, ist Adelung selbst aber wohl ganz bewusst beim Wortgruppenlexem stehengeblieben. Er stellt die Formel nicht nur in den Titel seines Bandes „Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts“ von 1782, sondern wiederholt sie in dieser Form regelmäßig bis zum Schluss des Werks auch im Text (vgl. Adelung 1782b, S. 203, 246, 352, 412 u.ö.), obwohl er im selben Werk in vielen anderen Fällen die Komposita vorzieht: Kirchengeschichte (ebd., S. 334), Naturgeschichte (ebd., S. 248), Religions-, Gelehrten- und Kunstgeschichte (ebd., S. X2 v ), Universal-Geschichte (ebd.). Die Formel Cultur der Sprache wie das durch Adelung daraus geprägte Kompositum Sprach-Cultur standen für die Verantwortung der Einzelnen und der Sprachgemeinschaft, den vorherrschenden Sprachgebrauch zu reflektieren und sorgfältig, das meint auswählend und steuernd, zu pflegen. Sie sind in Adelungs Texten nicht zu übersehen (das Wortgruppenlexem beson- 37 Mühlpfordt meint, Adelung habe das Kompositum Kulturgeschichte selbst schon im Jahr 1782 geprägt (Mühlpfordt 1984, S. 52). Leider hat Mühlpfordt auf die Nennung eines Belegzitats oder einer Belegstelle verzichtet. Ähnlich, aber ebenfalls ohne wirklichen Frühbeleg, Fisch (1992, S. 712). Mühlpfordts Verweis auf Paul E. Geiger, „Das Wort „Geschichte“ und seine Zusammensetzungen“ hilft nicht weiter; Geiger weist das Kompositum erst für das Jahr 1788 für den Kieler Historiker Dietrich Hermann Hegewisch nach (Geiger 1908, S. 47f.). August Langen sagt vorsichtig: „Kulturgeschichte anscheinend seit Schlözer (Staatsanzeiger) 1784“ (in: Maurer/ Stroh (Hg.) 1959, Bd. 2, S. 49). <?page no="60"?> Hartmut Schmidt 60 ders häufig in Adelung 1782a, z.B. Bd. 1, S. IX). 38 Es ist schade, dass die Aktualisierung des Begriffs der Sprachkultur in der DDR, ganz abgesehen vom politischen Impetus dieser Bemühung, nur an die moderne russische und tschechische Tradition, aber nicht an Adelung und Herder angeknüpft hat. Man gab den alten deutschen Terminus Sprachkultur für eine junge Neubildung aus: „Sprachkultur ist ein in der deutschen Sprache relativ junges Wort, ein neuer Begriff“ und „Das erste Wörterbuch, in dem das neue Wort verzeichnet und erklärt wird, ist das ‘Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache’“, heißt es da, ohne sich und uns an die einschlägige Tradition des 18. Jahrhunderts zu erinnern (Ising 1977, S. 13-14). Kulturgeschichte und Sprachkultur sind die zwei Schlüsselbegriffe (und Leitwörter), die Adelungs Denken auf seinen geisteswissenschaftlichen Arbeitsgebieten geprägt haben. 39 Kulturgeschichtlich orientiert war seine Methode zur Lösung sprachgeschichtlicher Probleme von Beginn an. Die Erinnerung und Mahnung an die Aufgabe der Sprachkultur sollte Adelungs Lesern die Einsicht vermitteln, das Schicksal ihres Denk- und Kommunikationsmittels hinge in hohem Maß von ihrem eigenen Handeln ab. Eine Einsicht, die auch uns wieder zu denken geben könnte. Vielleicht hätte die Idee der Sprachkultur früher auch in der Bundesrepublik Freunde gewonnen, wenn man den Terminus Sprachkultur nicht auch hier als DDR-eigene „Lehnübers[etzung] aus der sowj[etischen] Linguistik“ (Paul 2002, S. 943), sondern als Wort- und Ideenschöpfung Adelungs verstanden hätte. Gehen wir also auch in Zukunft gemeinsam auf Entdeckungsfahrt in Adelungs Texten, auf der Suche nach Goldkörnern und mit dem festen Vorsatz, die Leistungen unserer Vorgänger wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. 38 Wolfgang Fleischer hat auf das Syntagma Cultur der Sprache bei Herder und (mit Hinweis auf die zugrundeliegenden Untersuchungen von Konrad Burdach) auf das Vorkommen dieser Formulierung schon im ersten Statut der Berliner Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 1710 aufmerksam gemacht (Fleischer 1980, S. 313). Vgl. auch Paul (2002, S. 943). 39 Günter Mühlpfordt hat die Sprachwissenschaftler mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Adelung vor 1771 für längere Zeit auch über naturwissenschaftliche Themen gearbeitet und publiziert hat (Mühlpfordt 1984, S. 44-46). Auch das ist seinen Wörterbüchern zugute gekommen. <?page no="61"?> Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache 61 7. Literatur 7.1 Zitierte Adelung-Texte Adelung, Johann Christoph (1772-84): Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. 6 Bde. Halle. Adelung, Johann Christoph (1774-86): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. 5 Bde. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1781a [1975]): Über die Geschichte der Deutschen Sprache, über Mundarten und Deutsche Sprachlehre. Leipzig. [Vorveröffentlichte Diskussionsfassung dieses Kapitels für Adelungs „Umständliches Lehrgebäude“ von 1782]. [Faks.-Nachdr. Frankfurt a.M.]. Adelung, Johann Christoph (1781b [1975]): Über den Ursprung der Sprache und den Bau der Wörter, besonders der Deutschen. Ein Versuch. Leipzig. [Vorveröffentlichte Diskussionsfassung, wie Adelung (1781a)]. [Faks.-Nachdr. Frankfurt a.M.]. 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Vorbemerkung Da die Sprache mit der Cultur eines jeden Volkes in dem genauesten Verhältnisse stehet, so lässt sich auch die Geschichte der erstern nie ohne beständige Rücksicht auf den jedesmahligen Zustand und Fortschritt der Cultur begreifflich machen. (Adelung 1781, S. 14) So lautet Adelungs Programm einer Sprachgeschichte, die er als Kulturgeschichte versteht. Dieses Programm stellt eine Äquivalenzbeziehung zwischen Sprache und Kultur, zwischen kultureller und sprachlicher Fortentwicklung her. 1 Wie definiert Adelung Cultur? Cultur ist „die Veredlung oder Verfeinerung der gesammten Geistes- und Leibeskräfte eines Menschen oder eines Volkes“ (Adelung 1793, s.v. Cultur). „Veredlung oder Verfeinerung“ - damit entspricht Adelung ganz dem idealistischen Denken des 18. Jahrhunderts, ebenso wie mit der genaueren Bestimmung, mit der sein Wörterbuchartikel Cultur fortfährt. Cultur meint „so wohl die Aufklärung, die Veredelung des Verstandes durch Befreyung von Vorurtheilen, als auch die Politur, die Veredlung und Verfeinerung der Sitten“ (ebd.). 2 Aufklärung, Veredelung des Verstandes, Befreyung von Vorurtheilen - erkennbar bezieht sich Adelung auf die Kernbegriffe der Aufklärung als geistesgeschichtlicher Epoche, erkennbar lässt sich die Gleichung ‘Kultur ist Aufklärung’ aufmachen. Damit ist die Themenstellung ‘Kulturgeschichte und Lexikographie bei Adelung’ präzisierbar: den Adelung'schen Kulturbe- 1 Vgl. dazu auch den Beitrag von Joachim Scharloth (in diesem Band). 2 Vgl. zu der problematischen Berufung heutiger kulturwissenschaftlicher Linguistik auf Adelungs „normative[s] Kulturkonzept“ Scharloth (2005). Zur mit Adelung einsetzenden gesellschaftsgeschichtlichen Sprachgeschichtsschreibung vgl. Polenz (2002). <?page no="68"?> Heidrun Kämper 68 griff als die Prinzipien seiner Wörterbucharbeit bestimmendes Konzept aufspüren, Aufklärung damit als zentrale Aufgabe seiner lexikographischen Tätigkeit verstehen. Dabei soll Adelung nicht unbedingt an den philosophischen systematischen Aufklärungsbegriff Kants gebunden werden. Der Artikel aufklären der ersten Auflage des Wörterbuchs berechtigt dazu, die wissenschaftliche Konzeption Kants von der eher gesellschaftlichen Adelungs zu unterscheiden. Die erste Band der Auflage des Jahres 1774 ist zehn Jahre vor Kants „Was ist Aufklärung? “ (1784) erschienen und ist instrumentiert, mit eben denjenigen Kategorien, die die Geistesgeschichte des „Jahrhunderts Friedrichs“ 3 prägen. Insofern also ist das Wörterbuch Adelungs ein Wörterbuch der Aufklärung: nicht im philosophisch-systematischen Sinn, sondern als Spiegel des Zeitgeists, besser: als Spiegel gebildeten Denkens des 18. Jahrhunderts. Wenn also Adelung als Vertreter des Zeitalters der Aufklärung apostrophiert wird, dann ist die Epochenbezeichnung in diesem Sinn eines in gebildeten Kreisen allgemeinen freien Denkens zu verstehen. 2. Aufklärung und Wörterbuch Über Adelung als Aufklärer ist ausführlich nachgedacht worden. 4 Es lassen sich widersprüchliche Deutungen ausmachen. Einerseits: Adelung ist nicht nur Zeitgenosse, sondern ein spezifischer Vertreter der Aufklärung - nicht volksnah, wie etwa Campe, für den Volksaufklärung und Volksveredelung Zielbegriffe sind: „Volksaufklärung und Volksveredelung [ist] der letzte und höchste Zweck des Ausbaus der Sprache“ (Campe 1794, S. 13). Zu Adelungs Aufklärungskonzept zählt nicht eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft, „Aufklärung des Volks“ sei ein [...] Steckenpferd der neuern Zeiten, welches ebenso schädlich werden kann, als Überfüllung an Volksmenge. Vermehrte Erkenntniß vermehret die Begierden; mehr Begierden, als man in seinem Stande bequem befriedigen 3 Diese Epochenbezeichnung gibt Kant selbst als Alternative zu „Zeitalter der Aufklärung“: Die Antwort auf die Frage „Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? “ müsse mit nein beantwortet werden, „wohl aber in einem Zeitalter der Aufklärung. [...] Allein daß [...] die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeichen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert Friedrichs.“ (Kant 1784, S. 59). 4 Zu verweisen ist exemplarisch auf Bahner (Hg.) (1984). <?page no="69"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 69 kann, veranlasset Mißvergnügen mit seinem Schicksale, Drang nach den höhern Classen, Übertretung der Gesetze, Laster und Zügellosigkeit der Sitten. (Adelung 1782a, S. 8) 5 Andererseits - in sprachlichen Dingen war Adelung gleichsam Demokrat, zwar unbeirrbar hinsichtlich der Kategorie der ‘obern Classen’ als Sitz und Quelle der Hochsprache. Gleichzeitig aber „[wehrte er] sich gegen übliche aristokratisch-hierarchische Auffassungen in der Sprachnormenfrage [...], gegen eine Sprachstandardisierung nur von den Fürstenhöfen oder von den besten Schriftstellern oder den Gelehrten her“ (Polenz 2002, S. 7). Sein Postulat lautete: „Sprachgesetze [...] müssen wenigstens von dem größten Theil des Volkes, nicht bloß von den obern und gelehrten Classen anerkannt [...] und befolget werden“ (Adelung 1782c, Bd. I, S. 61). Dass er sich als Oberbibliothekar in Dresden um eine öffentlich zugängliche Bibliothek, und damit um Volksaufklärung, bemühte, gehört in diesen Zusammenhang. Adelung ist fraglos Aufklärer, zeitgemäß ohne konsequente gesellschaftlichdemokratisch bestimmte Perspektive. Denn bei allem Bildungs- und Aufklärungsstreben denkt Adelung, anders als Campe, in traditionellen hierarchischen Gesellschaftskategorien, und die Formation der ‘obern Classen’ wird zwar von Adelung nicht eindeutig bestimmt und fixiert, 6 ihre kulturgeschichtliche Funktion der sprachlichen Fortentwicklung aber zweifelsfrei ausgemacht. Als Aufklärer ist Adelung selbstverständlich den entsprechenden zeitgenössischen Kategorien verpflichtet, der Idee der Vernunft und des Verstandes, der Klarheit und Helligkeit. Die die Aufklärungszeit kennzeichnende Hell-Dunkel-Metaphorik ist Darstellungselement in allen seinen 5 In diesem Sinn stellt Bahner eine Verbindung zwischen Adelung und Voltaire her (Bahner 1984, S. 23). Vgl. außerdem zum ‘Verhältnis von Sprachtheorie und Weltanschauung in der Aufklärung’ (allerdings ohne ausdrücklichen Bezug zu Adelung): Ricken (1975), sowie Schiewe (1998, Kap. IV ) und Gardt (1999, Kap. 4). 6 Adelung teilt „die Einwohner [...] in Rücksicht auf Geschmack, Sprache und Sitten in zwey Theile [...], in die obern und niedern Classen. [...] Es fragt sich nur, welche von beyden der Sitz und die Quelle der Schriftsprache ist. Daß es die niedrige nicht seyn kann, ergiebt sich von sich selbst. [...] Es bleiben also nur die obern Classen übrig, und die sind denn auch wirklich der Sitz und die Quelle unserer heutigen Schriftsprache, weil sich [...] der Geschmack hier seit mehrern Jahrhunderten mehr als in irgend einer andern Provinz Deutschlands gereiniget, verfeinert und verbreitet hat, so daß er nicht nur in der Sprache, sondern auch in allem, was in sein Gebieth gehöret, dem ganzen Deutschlande zum Muster hat dienen können.“ (Adelung 1785a, S. 57f.). Auf die Kategorie des Geschmacks kommen wir unten zurück. <?page no="70"?> Heidrun Kämper 70 Schriften. Die zweite Lesart von Aufklärung in seinem Wörterbuch - „der Zustand, da man mehr klare und deutliche, als dunkele Begriffe und Vorurtheile hat“ (Adelung 1793, s.v. Aufklärung) - ist ein Beispiel. Insgesamt also finden wir Adelung in seinen Schriften und in seinem Wörterbuch auf der Höhe des gelehrten Diskurses seiner Zeit. Dieses Wörterbuch, so ist unsere Leitidee, die die folgende Darstellung lenkt, reflektiert das kulturgeschichtliche Konzept Adelungs. Es ist die Umsetzung und Manifestation seines Aufklärungs- und Kulturbegriffs, die Adelung gleichsam im Sinn eines lexikographischen Programms formuliert. Dieses lexikographische Programm legt Adelung im Wörterbuch selbst fest, und zwar im Artikel aufklären. Die dritte Lesart der „figürlichen“ Bedeutung 2) lautet „Viele deutliche Begriffe beybringen“ und als Verwendungsbeispiele gibt Adelung an: Ein aufgeklärtes und unbefangenes Gewissen. Ein aufgeklärter Verstand, der viele deutliche Begriffe hat. Aufgeklärte Zeiten, da man von vielen Dingen klare und deutliche Begriffe hat. (Adelung 1793, s.v. aufklären) Diese Verwendungsbeispiele für das attributiv gebrauchte Partizip aufgeklärt sind in spezifischer Weise Ausdruck aufgeklärten Denkens: in ethischer Hinsicht (Gewissen), in rationaler Hinsicht (Verstand), in temporaler Hinsicht (Zeiten, womit Adelung Epochenbewusstsein zu dokumentieren scheint). Soviel ist also klar: Adelung ist fest verwurzelt im Denken seiner Zeit, und alle Elemente dieses Denkens sind vorhanden. Diese Konstellation ist die Grundvoraussetzung des Adelung'schen Aufklärungswie Kulturbegriffs, dessen wir uns bewusst sein müssen, wenn wir den Fokus auf die Perspektive ‘Aufklärung und Wörterbuch’ im Rahmen des kulturgeschichtlichen Konzepts von Adelung lenken. Um dieses kultur- und sprachgeschichtliche Ideengerüst also soll es im Folgenden gehen. Ich möchte die Perspektive ‘Aufklärung und Wörterbuch’ (als ein Aspekt des Kulturbegriffs Adelungs) konkretisierend zunächst nach den beiden lexikographischen Prinzipien der Bedeutungsbzw. Lesartenerklärung und der den Wortgebrauch dokumentierenden Belegung mit Beispielen und vor allem literarischen Zitaten unterscheiden. Damit sind zwei lexikographische Grundsätze der Erkenntnisvermittlung, nämlich die Darstellung der lexikalischen semantischen Struktur (Abschnitt 2.1) und die Autorisierung dieser Darstellung durch Beispiele und Belege (Abschnitt 2.2), auf unseren Gegenstand übertragen. Anschließend werde ich die Darstellung des Kulturkonzepts Adelungs mit der für dieses Konzept zentralen Kategorie des Geschmacks (Abschnitt 2.3) vervollständigen. <?page no="71"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 71 2.1 Klare und deutliche Begriffe - semantische Strukturen „Klare und deutliche Begriffe“ kennzeichnen den aufgeklärten Verstand. Dem Wörterbuchbenutzer zu diesem zu verhelfen, ist die Aufgabe, zu deren Erfüllung sich der Lexikograph Adelung selbst verpflichtet. Lexikographie, so können wir seine Artikel Aufklärung und aufklären lesen, ist ‘Aufklärung’. Dieses Programm formuliert Adelung auch in den Vorreden zu den beiden Bearbeitungen seines Wörterbuchs, und es hat zwei Aspekte, einen systematischen und einen historischen. Ganz im Sinn seines eigenen Aufklärungsbegriffs legte er sich die Pflicht auf, den Begriff eines jeden Wortes und einer jeden Bedeutung desselben auf das genaueste zu bestimmen; eine Pflicht, deren Erfüllung mir bey dem ganzen Werke die meiste Mühe verursachte. (Adelung 1793, S. VI ) Diese Systematik der Darstellung, die in der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen der „sinnlichen“ (d.i. konkreten) und der „figürlichen“ (d.i. übertragenen) Bedeutung besteht, ist nicht anders als historisch angelegt. Der Historiker Adelung ordnet die Lesarten - selbstverständlich, möchte man sagen - chronologisch: Die Bedeutungen, welche in den meisten Wörterbüchern nur auf gut Glück durch einander geworfen zu werden pflegen, sind der Sache gemäß geordnet, das ist, wie sie vermutlich aus und aufeinander gefolget sind. (Adelung 1773, S. XIV ) 7 Adelung stellt sich die ehrgeizige diachronische Aufgabe, die „Leiter“ von der ersten, „gemeinglich individuell[en]“ Bedeutung bis zu seiner Gegenwart systematisch Sprosse für Sprosse zu erklimmen und dabei jede Sprosse als einzelne Bedeutungsfacette zu verzeichnen: Um die Leiter der Bedeutungen so vollständig als möglich zu liefern, habe ich viele veraltete, wenigstens im Hochdeutschen Veraltete, Bedeutungen mit eingeschaltet, wenn sie zur Aufklärung der noch vorhandenen dienten. Dessen ungeachtet hat sich doch der Gebrauch eines Wortes nur selten so genau bestimmen lassen, dass derselbe auf alle vorkommenden Fälle passen sollte. (ebd.) Die „Leiter der Bedeutung“ rekonstruiert Adelung in Anlehnung an die von ihm sehr geschätzte ‘Abhandlung über den Ursprung der Sprache’ Johann 7 Dass Adelung damit in die Nähe Hermann Pauls rückt, sei vermerkt. Der erste Satz der ‘Prinzipien’ lautet: „Die Sprache ist wie jedes Erzeugnis menschlicher Kultur ein Gegenstand der geschichtlichen Betrachtung.“ (Paul 1975, S. 1). Vgl. dazu auch den Beitrag von Hartmut Schmidt (in diesem Band). <?page no="72"?> Heidrun Kämper 72 Gottfried Herders aus dem Jahr 1772, auf die er im dritten Teil von ‘Versuch’ verweist. 8 Der allmähliche Entwicklungsgang der Sprache und des menschlichen Geistes (nach der Regel „Die Natur macht keine Sprünge“) führt von sinnlich bzw. eigentlich zu figürlich bzw. übertragen, von konkret zu abstrakt, und das Auffinden der ersten sinnlichen Bedeutung und der einzelnen Sprossen der Bedeutungsleiter ist vornehmlicher Gegenstand seiner lexikographischen Bemühungen. Selbstkritisch räumt er allerdings ein: „Vielleicht wird die getroffene Classifikation in manchen Fällen Linnäisch erscheinen“ (Adelung 1773, S. XIVf.). Diese Befürchtung war nicht ganz unberechtigt. Die Weimarer Dichterfürsten stellen in ihrem berühmten, auf Adelung zielenden Distichon ‘Der Sprachforscher’ 9 einander gegenüber den (vom Lexikographen) sezierbaren Körper der Sprache (Kadaver) einerseits, ihr dem Zugriff des Anatomen entzogenes Wesen (Geist, Leben) andererseits. Aufklärung als lexikographisches Prinzip der Lesartenanalyse - wie schlägt sich die „linnäische“ Klassifikation nieder? 10 Zum Beispiel im Artikel bilden: 11 Adelung unterscheidet zwei Hauptlesarten, 1. ‘einem Körper seine äußere Gestalt geben’, 2. ‘die Gestalt einer Sache nachahmen, abbilden’, eine Lesart, in der das Wort wenig mehr gebraucht werde, außer in der Verbindung bildende Künste. Die erste Hauptlesart unterscheidet Adelung wiederum in 1) ‘mit Ertheilung der äußern Gestalt verfertigen’, es ist dies die eigentliche und weitere Bedeutung, und in 2) den figürlichen, also übertragenen Gebrauch, der wiederum unterschieden wird nach (a) ‘den Fähigkeiten des Geistes und Willens die gehörige Richtung geben’ und (b) ‘einbilden, vorstellen’, eine „jetzt veraltete [...] Bedeutung“. Die Bedeutungsstruktur des Verbs ist also wie folgt wiedergegeben: 8 „Ich bemerke [...], daß alle von mir gegebenen Ableitungen der Wörter sich am Ende auf den Grundsatz stützen, daß die deutsche, so wie jede andere Sprache nichts anders als Nachahmung mit Besonnenheit ist; ein etymologischer Grundsatz, welchen Herr Herder in seiner vortrefflichen Abhandlung über den Ursprung der Sprache, auf eine so überzeugende Art aus Vernunftschlüssen erwiesen hat“ (Adelung 1777, o.S. [Vorrede]). 9 „Anatomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver; Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell.“ (Schiller 1962, S. 272). 10 Vgl. zur Artikelstruktur in Adelungs Wörterbuch Strohbach (1984, S. 222-231), Henne (1972, S. 100-107; 1970, S. XV *ff.). 11 „bilden [...] 1. Einem Körper seine äußere Gestalt geben, von Bild, so fern dasselbe ehedem Gestalt bedeutete. 1) Eigentlich und in weiterer Bedeutung, mit Ertheilung der äußern Gestalt verfertigen. [...] 2) Figürlich. (a) Den Fähigkeiten des Geistes und Willens die gehörige Richtung geben. [...] (b) * Einbilden, vorstellen. [...] 2. Die Gestalt einer Sache nachahmen, abbilden.“ (Adelung 1793, s.v. bilden). <?page no="73"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 73 bilden 1. einem Körper seine äußere Gestalt geben 1) Eigentlich und in weiterer Bedeutung, mit Ertheilung der äußern Gestalt verfertigen 2) Figürlich (a) Den Fähigkeiten des Geistes und Willens die gehörige Richtung geben (b) Einbilden, vorstellen 2. Die Gestalt einer Sache nachahmen, abbilden (Adelung 1793, s.v. bilden) Ein Vergleich mit einem unmittelbaren lexikographischen Vorgängerunternehmen macht die Rede von Adelung als in Strukturen denkenden, systematisierenden Lexikographen endgültig plausibel. Der Artikel bilden in Frischs ‘Teutsch-Lateinischem Wörter-Buch’ ist wie folgt aufgebaut: Bilden [...] Aus einer Materie [...] Aus Thon [...] Aus Metall [...] Durch Schnitzen aus Holtz [...] Durch Hauen aus Stein [...] Mit dem Pensel [! ] [...] Das Bilden [...] Abbilden [...] Durch abmahlen [...] durch Kupffer stechen [...] Abbilden Einbilden [...] [...] Vorbilden Bilden, kommt von Bild [...] Einbildnerisch [...] Anbilden [...] (Frisch 1741, s.v. bilden) Ohne die Leistung Frischs im Geringsten schmälern zu wollen: Was bei ihm, rund fünfunddreißig Jahre vor Adelungs erstem lexikographischem Auftritt, noch Ausdruck einer mehr oder weniger assoziativ eingegebenen Reihe von Gebrauchsaspekten ist - Lesarten kann man sie nicht nennen -, stellt sich in der Version Adelungs als durchsichtig und hinsichtlich seiner Struktur plausibel modelliertes semantisches Mikrosystem dar. Insofern ist die systematische Anordnung der semantischen Deskription Adelungs wegweisend für die moderne Lexikographie. <?page no="74"?> Heidrun Kämper 74 Als vorläufiges Fazit lässt sich formulieren: Aufklärung durch sorgfältige Analyse und Abgrenzung der Lesarten eines Lemmas ist ein von Adelung streng verfolgtes lexikographisches Prinzip, und es ist ein aufklärerisches Prinzip. ‘Klare und deutliche Begriffe’ - Adelung als Lexikograph ist Aufklärer: Er strukturiert die lexikalische Semantik der Wörter, gibt also ‘klare und deutliche Begriffe’ von ihnen und leistet somit - dieses Selbstverständnis wird er gehabt haben - einen Beitrag zur kulturellen Fortentwicklung. 2.2 „eine hinlängliche Anzahl Beyspiele“ - Autorität des Zitats Fragen wir nun nach der Umsetzung der zweiten Möglichkeit semantischer Paraphrase - Autorisierung der Bedeutungsstruktur durch Beispiele und Belege. Während die Erarbeitung der semantischen Struktur dem historisch arbeitenden Systematiker aufgegeben war, ist nunmehr der Empiriker am Werk, der Sprache als gesprochenes gesellschaftliches Phänomen versteht, der Sprachgebrauch mithin als gesellschaftliche Praxis beobachtet und in seinem Wörterbuch kodifiziert. Adelungs Belegpraxis steht mit seinem Anspruch präziser Lesartendifferenzierung im engsten Zusammenhang. Das viele „Eigene“ der Wörter „in ihrer Verbindung mit andern“ ökonomisch zu vermitteln, ist nicht zuletzt der Vorteil von Beispielen. Das Beispiel erfordert weniger Platz und erlaubt es dennoch, ein Wort in seinen vornehmsten Lagen gegen andere Wörter dar[zu]stellen; zu geschweigen, dass durch Beyspiele der Gebrauch eines Wortes immer am anschaulichsten wird. (Adelung 1793, S. VII ) Adelung nennt in dieser zitierten Vorrede der zweiten Auflage seines Wörterbuchs rein sprachliche Gründe, die ihn zu seiner Belegungsstrategie bewogen, Gründe des Wortgebrauchs, der syntagmatischen und paradigmatischen Verwendung, kurz: der semantischen und grammatischen Regeln, die die Verwendung der Lemmata bestimmen. Dieses Prinzip setzt er selbstverständlich auch um. Als Beispiel mag der Artikel zu abändern genügen: Abändern, verb reg. act. 1) Eigentlich, ein wenig ändern, d.i. in Nebenumständen anders bestimmen. Ein Kleid abändern, ein wenig ändern. Besonders zur Vermeidung der Einförmigkeit. Pope hat seine Perioden ungemein abgeändert, Dusch. Seine Schreibart abändern. Den Unterschied von ändern, umändern und verändern, S. in diesen Wörtern. 2) Bey einigen neuern Sprachlehrern bedeutet es so viel, als declinieren, d.i. durch Casus verändern; wo doch das Wort den Begriff nicht erschöpft. 3) Im Kanzelley-Style ist abändern so viel als ändern überhaupt. Einen Missbrauch abändern, ihn aufheben, wegschaffen, einen Befehl abändern, ihn widerrufen. (Adelung 1793, s.v. abändern) <?page no="75"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 75 Die Beispiele und Belege dieses Artikels sind rein sprachlich motiviert. Sie dokumentieren eine usuelle Kollokation (Kleid), die Zielsetzung eines übertragenen Gebrauchs („Vermeidung der Einförmigkeit“) sowie die fachsprachliche Verwendung (Sprachlehrer, Kanzelley-Styl). Bei Durchsicht der Wörterbuchartikel Adelungs wird indessen ein weiteres Motiv offenbar, über das Adelung theoretisch keine Auskunft gibt. Es ist das Motiv der moralischen, ethischen, weltanschaulichen Erziehung in aufklärerischem Sinn. Adelung hat ein lexikographisches Prinzip nicht nur in sprachlichem Sinn der begrifflich-semantischen Strukturierung der kodifizierten Lexeme, sondern ein darüber hinausgehendes erzieherisches. Das Zeitalter der Aufklärung ist das Zeitalter der Erziehung, bis hin zur „Erziehung des Menschengeschlechts“ (Lessing 1780). Adelung verfolgt in diesem Sinn ein aufklärerisch-didaktisches Konzept der Erziehung durch Vorbild. Er kodifiziert und belegt Sprachgebrauch nicht nur mit dem Ziel, dem Nutzer zu sprachlicher Erkenntnis zu verhelfen, sondern er konzipiert sein Wörterbuch auch (und vor allem? ) zum Zweck gesellschaftlicher moralisch-sittlicher Erziehung im Sinn aufgeklärten Denkens - Adelungs Wörterbuch ist ein weltanschauliches Wörterbuch, und zwar in allen Wortschatzbereichen, außer womöglich im Bereich derjenigen Lemmata, die Adelung als „ganz pöbelhaft“ klassifiziert (Adelung 1773, S. XIV), deren Aufnahme in sein Werk er aber nicht vermeiden konnte. Diese Funktion, moralische und charakterliche Bildung zu fördern, das Ideal des ‘Strebens nach Vervollkommnung’ zu vermitteln, tritt natürlich und erwartbar bei der Belegung derjenigen Lemmata zu Tage, die selbst gleichsam aus dem ‘Wörterbuch der Aufklärung’ stammen, deren semantische Struktur also einen solchen Konnex verlangt. So belegt etwa den Gebrauch von Pflicht ein Gellert-Zitat: „Die wichtigste Pflicht, die (welche) uns obliegt, die Kräfte unsers Geistes auszubilden“. (Adelung 1798, s.v. Pflicht) Auch den Gebrauch von Vernunft belegt eine Sentenz des Vielgelesenen: „Der Charakter der ehelichen Freundschaft ist von der Natur so weise und sorgfältig bezeichnet, dass ihn die Vernunft leicht wahrnehmen und ausbilden kann“. (Adelung 1801, s.v. Vernunft) Im Artikel Verstand dient ebenfalls ein Gellert-Beleg der Veranschaulichung: „Die Unschuld ohne Verstand ist ein sehr mittelmäßiger Schatz“. (Adelung 1801, s.v. Verstand) <?page no="76"?> Heidrun Kämper 76 In allen drei Lemmata - Pflicht, Vernunft, Verstand - verdichten sich Leitideen der Spätaufklärung; die Belege geben, ihnen entsprechend, aufgeklärte Lebensregeln wieder. Schauen wir außerdem den Artikel Aberglaube genauer an. Der Begriffsumfang des aufgeklärten Diskurses ist festgelegt. 12 Mit eben dieser Überzeugung schreibt Adelung den Artikel Aberglaube. 13 Mit den Lesarten „derjenige Zustand des Gemüthes, da man äußern Handlungen und Erscheinungen mehr Kraft beylegt, als ihrer eigentlichen Beschaffenheit gemäß ist“ und „In der höhern Schreibart, auch figürlich für abergläubige Menschen“ präsentiert er sich als aufgeklärter Rationalist. Der dokumentarische Aufwand, mit anderen Worten die Länge der beiden Belege macht indes deutlich, dass Adelung den literarischen Beleg nicht bloß zur Dokumentation semantischer Gebrauchsregeln benutzt, sondern dass die Belegauswahl auch inhaltlich motiviert ist. Sie steht im Dienst der Verbreitung aufgeklärter Ideen: Wie manche Scepter hat der Aberglaube nicht zerbrochen, wie viele Thronen hat er nicht umgestürzt, wie viele gütige Monarchen hat er nicht der Wuth eines aufgebrachten Pöbels Preis gegeben, und Der Aberglaube zürnt im Dunkel heilger Wetter/ Und schleudert Fluch und Bann auf Denker mehr als Spötter (Dusch). (beide Zitate Adelung 1793, s.v. Aberglaube) 12 Als Beispiel mag zum einen aus Mendelssohns ‘Morgenstunden’ dienen: „die Vorurtheile, in welche, durch Trägheit im Untersuchen, die Wahrheit selbst verwandelt wird; der blinde Glaube, mit welchem wir gewissen Sätzen anhängen, ohne sie zu prüfen, führet zu Aberglauben und Schwärmerey, die der Glückseligkeit des Menschen nicht weniger gefährlich sind. Atheismus und Aberglaube, Zweifelsucht und Schwärmerey, sind beides Krankheiten der Seele, die ihr den sittlichen Tod androhen.“ (Mendelssohn 1785, S. 19.703). Zum andern ist auf die pointierte Formulierung Kants zu verweisen: „Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung“ (Kant 1790, S. 226). 13 „Der Aberglaube [...] 1) Derjenige Zustand des Gemüthes, da man äußern Handlungen und Erscheinungen mehr Kraft beylegt, als ihrer eigentlichen Beschaffenheit gemäß ist. In engerer Bedeutung, der Glaube an eingebildete unsichtbare wirkende Ursachen, die Neigung, natürlichen Dingen übernatürliche Kräfte beyzulegen. 2) In der höhern Schreibart, auch figürlich für abergläubige Menschen. Wie manche Scepter hat der Aberglaube nicht zerbrochen, wie viel Thronen hat er nicht umgestürzt, wie viele gütige Monarchen hat er nicht der Wuth eines aufgebrachten Pöbels Preis gegeben! Der Aberglaube zürnt im Dunkel heilger Wetter / Und schleudert Fluch und Bann auf Denker mehr als Spötter. Dusch.“ (Adelung 1793, s.v. Aberglaube). <?page no="77"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 77 Wie begründet sich diese Behauptung? Die Rhemen zu Aberglaube im ersten Beleg, nämlich Scepter zerbrochen, Thronen umgestürzt und gütige Monarchen der Wuth eines Pöbels Preis gegeben sind jeweils syntaktisch als Akkusativobjekt mit Aberglaube im Nominativ und untereinander synonymisch, wenngleich andeutungsweise im Sinn einer Klimax, verbunden. Im zweiten Beleg erhält Aberglaube, ebenfalls im Nominativ, die Rhemen und damit Bezugsobjekte zürnt im Dunkel heilger Wetter und schleudert Fluch und Bann auf Denker. Beide Belege hätten ihre Funktion der sprachlichen Dokumentation in wesentlich kürzerer Fassung erfüllt: Wie manche Scepter hat der Aberglaube nicht zerbrochen und Der Aberglaube zürnt im Dunkel heilger Wetter hätten genügt, den sprachlichen, in diesem Fall den stilistischen Aspekt ‘Personifizierung’ zu belegen. In weltanschaulicher Hinsicht bietet der erste Beleg die Möglichkeit, Herrschaftsansprüche (gütiger Monarch) gegenüber dem Volk (Pöbel) zu legitimieren - wir haben auf Adelungs gesellschaftlichen Konservatismus hingewiesen. Der zweite Beleg dokumentiert ausführlich die Gegensätzlichkeit zwischen aufgeklärtem Denker (als Opfer von Aberglaube) und unaufgeklärtem Spötter. Beide Belege, die sich durch Emphase auszeichnen, dokumentieren die aus aufgeklärter Sicht zerstörende Kraft des Aberglaubens. Eine genauere Überprüfung der Adelung'schen Belegpraxis macht deutlich, dass die Vermittlung aufgeklärter Ideen und Grundprinzipien über die entsprechende Belegauswahl nicht nur die lexikographische Beschreibung desjenigen Wortschatzbereichs kennzeichnet, der gleichsam die Terminologie der Spätaufklärung darstellt. Vielmehr ist diese Praxis das grundsätzliche lexikographische Auswahl- und Belegprinzip Adelungs, das er auch in solchen Artikeln verfolgt, die hinsichtlich ihrer semantischen Struktur kaum eine Indienstnahme für aufgeklärte Erziehungsprinzipien erwarten lassen. Ich beschränke mich auf die Strecke ab- und zeige im Folgenden am Beispiel von abhärmen, Absicht, abhangen und abspeisen, dass und inwiefern Adelungs Belegverfahren in diesem Sinn weltanschaulich motiviert ist. Der Gebrauch des Verbs abhärmen 14 wird u.a. mit einem Beleg von Rost dokumentiert: „Der ungezäumte Neid, der sonst nach allem geitzt, / Verlieret hier die abgehärmten Blicke.“ Dies ist ein lexikographisch aufwändiger 14 „Abhärmen [...] sich abhärmen, sich durch Harm entkräften, verzehren; im gemeinen Leben abgrämen. Blaß, wie ein Eremit stand er hier abgehärmt, Zach. Der ungezäumte Neid, der sonst nach allem geitzt,/ Verlieret hier die abgehärmten Blicke, Rost.“ (Adelung 1793, s.v. abhärmen). <?page no="78"?> Heidrun Kämper 78 Beleg, insofern abgehärmte Blicke - in syntaktischer Hinsicht - eine attributähnliche Bestimmung von durch dieses Syntagma personifiziertes Neid darstellt, das zudem durch ein weiteres Attribut, ungezäumt, und durch den eingeschobenen Relativsatz der sonst nach allem geitzt bestimmt wird. Das semantisch-syntaktische Zentrum dieses Belegs bildet also eigentlich Neid, und das zu belegende Lemma abhärmen gerät nur deshalb nicht an die semantische Peripherie des Belegs, der doch eigentlich seinen Gebrauch (und nicht den von Neid) dokumentieren soll, weil es, als Attribut des obligatorischen Akkusativobjekts von verlieren, Teil des Prädikats ist. Der mit diesem Beleg formulierte und von Adelung durch sein Zitat bestätigte moralische Tadel - in diesem nichtsprachlichen, weltanschaulichen Motiv ist das Zitat begründet - richtet sich allererst auf Neid, näher bestimmt durch ungezäumt und durch die Eigenschaft der sonst nach allem geitzt; abgehärmte Blicke steht gleichsam als Nebenaspekt in einer nur mittelbaren semantischen Beziehung zu Neid. Ein weiteres Beispiel ist dem Artikel Absicht entnommen. 15 Es geht um die Belegung mit Adelungs Lieblingsautor Johann Jacob Dusch (geb. 1725 in Celle, gest. 1787 in Altona): 16 „Die Natur erschuf den Menschen zu größern Absichten, als zu bloßer Betrachtung.“ Sprachliches Motiv ist der Nachweis des Plural-Gebrauchs Absichten und der präpositionalen Konstruktion zu der Absicht, und womöglich schließlich die Dokumentation der Verwendung von Absicht mit quantitativem Attribut (größern). Das aufgeklärt-rationalistische Ideal des nicht nur zu Perzeption, sondern zu geistigem Urteil aufgerufenen Menschen ist das eigentliche Belegmotiv, das hier eng mit dem sprachlichen verknüpft ist. 15 „Die Absicht [...] 1) Die Handlung des Absehens in uneigentlicher Bedeutung, und ohne Plural. (1) Die Beziehung auf einen gewissen Gegenstand, auf ein gewisses Verhältniß, wie Rücksicht. [...] (2) Die Bemühung nach einem gewissen Endzwecke, wie das Absehen. [...] 2) Dasjenige, worauf man absiehet; [...] (1) Eigentlich, an den Schießgewehren [...] (2) im figürlichen Verstande, dasjenige, was man bey einer Handlung mit Bewußtseyn und deutlicher Erkenntniß will, durch dieselbe zu erreichen sucht. Seine Absicht erreichen. Traurig, daß ihm seine Absicht fehl geschlagen war. Ihre Verwandelung hat bloß dein Glück zur Absicht. Unsere Absicht mit dem Briefe schlägt leider fehl, Gell. Die Natur erschuf den Menschen zu größern Absichten, als zu bloßer Betrachtung, Dusch. Sollte er wohl unerlaubte Absichten haben? “ (Adelung 1793, s.v. Absicht). 16 Eine Auszählung der Strecke a bis abzhat ergeben: In den 1052 Artikeln dieser Strecke werden insgesamt vierzig Autoren (von Arnold bis Zimmermann, s.u. Anm. 21) namentlich zitiert, davon Dusch und Opitz 57 mal, Gellert und Lessing 25 mal, Weiße 21 mal, sechzehn Autoren kommen je einmal namentlich vor. <?page no="79"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 79 Eine ebensolche Verknüpfung von sprachlicher Erkenntnis mit weltanschaulicher Erziehung findet sich im Artikel abhangen. 17 Die figürliche Bedeutung, „in einem andern Dinge seinem Wesen oder seinen Umständen nach gegründet seyn“, belegt Adelung mit der rhetorischen Nathan-Frage von Lessing: „Hängt denn die Wahrheit von dem Munde desjenigen ab, der sie vorträgt? “ Das sprachliche Motiv ist die Belegung der präpositionalen Konstruktion etwas hängt von etwas ab, deren Nominativposition mit Wahrheit, deren Dativposition mit Mund besetzt ist. Dass die Auswahl dieses Belegs inhaltlich motiviert ist, zeigen die zahlreichen, ihm vorangestellten Beispiele, die diesen sprachlichen Aspekt bereits belegen (etwa „Wie viel hängt von einem Augenblicke ab! Dusch“, „Alle zufälligen Dinge hangen von Gott ab, haben ihm ihr Daseyn und alle ihre Bestimmung zu verdanken.“). Die aufklärerische Botschaft dieses Belegs - ‘die Wahrheit ist absolut’ - ist das eigentliche Motiv seiner Zitierung. Abspeisen 18 im Sinn von „mit solchen Dingen zu befriedigen suchen, die dem Verlangen des andern keine Genüge thun“ wird zur Dokumentation des Syntagmas jemanden/ etwas mit etwas abspeisen (außer mit den vorangestellten Beispielen „Jemanden mit leerer Hoffnung, mit guten Worten, mit eiteln Versprechungen abspeisen“) mit Dusch belegt: „Wenn Schmeichler preisen,/ Das Ohr der Eitelkeit mit Lügen abzuspeisen.“ Die pejorative Grund- 17 „Abhangen [...] 1. In eigentlicher Bedeutung (a) † Von etwas herunter hangen [...] (b) Von körperlichen Flächen, sich neigen, [...] (c) In einer Entfernung von etwas hangen [...] 2. In figürlicher Bedeutung, in einem andern Dinge seinem Wesen, oder seinen Umständen nach gegründet seyn, ihm unterworfen, Gehorsam schuldig seyn. Dieß hängt ganz allein von mir ab, steht allein in meinem Willen, in meiner Gewalt. Die Stärke und Schwäche des Geistes hangen sehr von der Art ab, wie man die Dinge ansieht. Wie viel hängt von einem Augenblicke ab! Dusch. Alle zufällige Dinge hangen von Gott ab, haben ihm ihr Daseyn und alle ihre Bestimmungen zu verdanken. Hängt denn die Wahrheit von dem Munde desjenigen ab, der sie vorträgt? Less. bekommt sie ihren Werth von ihm? Von des Siegers Gnade abhangen.“ (Adelung 1793, s.v. abhangen). 18 „Abspeisen [...] I . Ein Neutrum, welches das Hülfswort haben zu sich nimmt, aufhören zu speisen [...] II . Ein Activum. (a) Mit Speise sättigen, die gehörige Speise reichen. [...] (b) † Einen abspeisen, im gemeinen Leben, ihm das Abendmahl reichen. [...] (c) Figürlich, mit solchen Dingen zu befriedigen suchen, die dem Verlangen des andern keine Genüge thun. Jemanden mit leerer Hoffnung, mit guten Worten, mit eiteln Versprechungen abspeisen. Die Hoffnung beßrer Zeiten/ Speist mein Verlangen nur mit faulen Fischen ab, Günth. Wenn Schmeichler preisen,/ Das Ohr der Eitelkeit mit Lügen abzuspeisen, Dusch.“ (Adelung 1793, s.v. abspeisen). <?page no="80"?> Heidrun Kämper 80 bedeutung des Lemmas erfordert gleichsam einen Beleg, der inhaltlich den entsprechenden moralischen Tadel formuliert. Insofern besteht eine konnotativ solidarische Beziehung zwischen Lügen und abzuspeisen (sowie eine an der Oberfläche synonymische, auf Grund der entgegengesetzten Bedeutungsstruktur tatsächlich aber antonymische ironische Beziehung zu preisen). Die Handlungsbeteiligten in diesem Beleg entsprechen jedoch semantisch nicht der Semantik des Lemmas. Etwas/ jemanden mit etwas abspeisen, so wie Adelung selbst in der Paraphrase formuliert, fordert als Ziel der Handlung (Akkusativobjekt) ein höherwertiges Objekt, um die Niedertracht der Handlung zu bezeichnen. Ohr der Eitelkeit aus diesem Beispiel hat selbst pejorative Bedeutung, so dass Ohr der Eitelkeit, Lügen und abzuspeisen zusammen mit dem handelnden Schmeichler einen konnotativ gleichwertigen Bedeutungskomplex bilden, der die didaktisch-erzieherische Aussage des Belegs trägt. Wir können als Fazit formulieren: Literaturbelege dienen Adelung nicht nur dazu, sprachliche Gebrauchsweisen zu dokumentieren, sondern auch, Ethik und Moral, Rationalität und Vernunft zu vermitteln. Dass dieses nichtsprachliche Motiv ein Belegungsprinzip ist, zeigen nicht zuletzt die weltanschaulichen Sinnträger der zitierten Belege: Im Artikel abhärmen ist es Neid, im Artikel Absicht ist es bloße Betrachtung, im Artikel abhangen ist es Wahrheit, im Artikel abspeisen ist es Lügen. Allesamt sind diese semantischen Kerne die Träger aufgeklärter Leitideen, im Sinn von Miranda (Wahrheit ) bzw. Antimiranda (Neid, bloße Betrachtung, Lügen). Wir kennen dieses Prinzip zitierender Didaktik, z.B. aus Quintilians Schreibdidaktik, in der er rät, dass die „Verse, die man als Muster zum Abschreiben vorlegt, [...] keine müßigen Gedanken“ enthalten sollten, sondern solche, die zu etwas Gutem mahnen. Die Erinnerung an solche Sprüche begleitet den Knaben bis zum Alter, und da sie sich in dem noch ungebildeten Geist einprägt, wird sich ihr Nutzen bis auf die Lebensführung auswirken. (zit. nach Bahmer 1994, S. 485) Dieses Prinzip ist auch bekannt von dem englischen Lexikographen des 18. Jahrhunderts Samuel Johnson - Adelung hat zu seinem ‘Neuen grammatisch-kritischen Wörterbuch der Englischen Sprache’ eine Vorrede geschrieben. Johnson zitierte „keinen Autor [...], dessen Schriften dahin tendierten, das gesunde Empfinden für Religion und Moral zu verletzen“ (Boswell 1984, S. 49). <?page no="81"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 81 Schließlich ist auf den französischen Ästhetiker Abt Batteux zu verweisen. Es ist eine Verbindung Adelungs zu ihm vermutet worden (Schmidt 1984). In Bezug auf das didaktische Verfahren - hier der poetischen Gattungen - besteht diese Parallele (ebenso wie hinsichtlich der Ausdeutung des Geschmacksbegriffs, s.u.). 19 Adelung selbst schließlich - wenn er in seiner Stilistik den „Lehr-Styl“ abhandelt - fordert „Nahrung für den Verstand“, nicht „leere Bilder“ (Adelung 1785b, S. 114). 20 Erziehung zu aufgeklärtem Denken also ist allgemeine publizistische Aufgabe der Gelehrten im ausgehenden 18. Jahrhundert - Adelungs Wörterbuch reiht sich insofern in den Kanon der erzieherisch-pädagogisierenden Literatur in der Zeit der Spätaufklärung ein. Die Funktion von Literaturbelegen in Adelungs Wörterbuch besteht also nicht nur darin, die „Diskursadäquatheit“ (Henne 1972, S. 94) der ihnen vorausgehenden semantischen Explikation nachzuweisen, sondern auch darin, eine bestimmte Weltsicht und Moral, ein aufgeklärtes Menschenbild durch die Gewähr Dritter lehrend zu vermitteln. Adelungs Wörterbuch ist Ideologieträger, und die Reihe der von Helmut Henne nachgewiesenen „ideologischen Argumente“, nämlich „literarische Geschmacksfragen, sprachlicher Einigungswille und regionaler Kulturpatriotismus“ (ebd., S. 54) ist mithin zu ergänzen um das der ethischmoralischen Bildung und aufklärerischen Erziehung. Adelungs Wörterbuch ist nicht nur Ergebnis der Aufklärung, sondern auch ihr Instrument, ihre Vermittlungsinstanz. 19 „Die Poesie verschmäht jeden Gedanken, der zu platt ist, oder durch einen allzuöftern und allzugemeinen Gebrauch seine Würde verlohren hat. [...] In den erhabenern Gattungen der Poesie schöpfen die handelnden Personen, wenn sie sprechen, ihre Begriffe aus einer höhern Classe von Kenntnissen; nämlich aus solchen Kenntnissen, die nur durch Studiren, und durch ein geübtes Nachdenken über Dinge, welche das gemeine Volk nicht fasset noch kennet, erworben werden.“ (Batteux 1770, Bd. I, S. 186f.). 20 Zum „Mißbrauch des bildlichen und figürlichen Styles“ schreibt er: „Es streitet [...] wider die Absicht des Lehr-Styles, den Verstand des Lesers zu vernachlässigen, und sich allein mit seiner Einbildungskraft zu beschäftigen, ihm nichts als Bilder vorzumahlen, und den ganzen Unterricht in ein müßiges Spiel der Phantasie zu verwandeln. Ein solcher Vortrag ist so wohl dem Verfasser nachtheilig, als dem Leser. Dem Verfasser, weil eine solche unnütze Jagd auf Bilder ein Beweis ist, daß er seinen Gegenstand nur dunkel und verworren einsiehet, daß er den Leser täuschen und hintergehen will, den er statt der Nahrung für den Verstand mit leeren Bildern abspeiset; dem Leser aber, dessen Verstand nicht allein unbelehret und unüberzeugt bleibt, sondern auch durch die von Tropen und Figuren erhitzte Einbildungskraft betäubet und verwirret wird.“ (Adelung 1785b, S. 114). <?page no="82"?> Heidrun Kämper 82 Insofern gerät Adelungs Wörterbuch zu einem Archiv der aufklärerischen Populärliteratur des 18. Jahrhunderts. Im Wesentlichen ist es die Literatur der Jahre 1740 bis 1760, die Adelung als Referenzbasis seiner Worterklärungen benutzt. 21 Die Gründe sind bekannt: Diese zwanzig Jahre versteht Adelung als die Blütezeit der deutschen Literatur, den Schriftstellern dieser Epoche zumal verleiht er das Prädikat ‘classisch’. Die Literatur des Sturm und Drang indes kommt nicht in Frage, ihren „so genannte[n] Genies“, die sich „in unsern Tagen [...] beeifern, die Sprache des niedrigsten Pöbels zur Sprache der Muse zu machen“ (Adelung 1775, S. VI), die glauben, „selbst Schöpfer zu seyn, neue Wörter, neue Verbindungen derselben, und neue Wendungen zu erfinden“, bietet Adelung kein Forum. Solcher Art Dichtung gebricht es „an dem gehörigen Grade des Geschmackes“ (Adelung 1782b, S. 97), sie bedeutet „in der Irre herumschweife[n]“ (ebd., S. 99), bedeutet Regellosigkeit. Der Grund, den Adelung für diese Erscheinung des literarischen Verfalls vermutet, ist der Siebenjährige Krieg. Er habe u.a. „Vernachlässigung der Reinigkeit und Richtigkeit der Sprache“, „widrige[n] Gebrauch fremder Wörter“, „Erhebung der niedrigen Volkssprache“ zur Folge (ebd., S. 96). 22 2.3 „Geschmack“ - das Zentrum der Kulturgeschichte Wir können also sagen: Adelungs kulturgeschichtliches Wörterbuchkonzept ruht auf dem Nexus ‘Aufklärung’ und ‘Literatur’, und damit auf dem Prinzip ‘Ethik und Ästhetik’. Ethik und Ästhetik in einen Kausalzusammenhang 21 Neun der vierzig in der Strecke a bis abzzitierten Autoren sind vor 1740 gestorben. Es werden auf dieser Strecke zitiert (in Klammern die Anzahl der Belege): Arnold (1), Bernhard (1), v. Brawe (1), Canitz (9), Cronegk (2), Dusch (57), Ebert (1), Fleming (1), Gellert (25), Gerstenberg (1), Gessner (14), Giseke (1), Gleim (1), Goethe (4), Gottsched (2), Götze (1), Gryphius (10), Günther (9), Hagedorn (14), Haller (4), Herder (1), Hermes (1), Kästner (3), Ewald v. Kleist (1), Lessing (25), Logau (3), Michaelis (2), Mosheim (1), Opitz (57), Rabener (2), Ramler (1), Rost (4), Elias Schlegel (2), Scultetus (1), Uz (3), Weiße (21), Wieland (8), Withof (2), Zachariä (12), Zimmermann (1). 22 Unabhängig davon ist auch auf die Wirkung, welche auf die ‘Aesthetica’ Baumgartens (1750) seit Mitte des 18. Jahrhunderts folgt, zu verweisen. Diese erste Philosophie des Schönen versucht, Ausdrucksformen aller Künste in ein System zu bringen und beschreibt auf wissenschaftlicher Grundlage die sinnliche Erkenntnis des Schönen. Befreit von der Regelpoetik der Barockzeit, verstehen sich die Dichter danach nicht mehr als Nachahmer der Natur, sondern als Schöpfer, als die von Adelung geschmähten ‘Genies’, die sich selbst die Regeln geben. <?page no="83"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 83 zu bringen entspricht dem Kunstbegriff des 18. Jahrhunderts. Dieses Prinzip verdichtet sich in der Kategorie des Geschmacks. Um das Kulturkonzept Adelungs zu vervollständigen, ist hier also seine Kategorie des Geschmacks anzuschließen. Dies soll nur skizzenartig geschehen. 23 Kant legt den Begriff in seiner ‘Kritik der Urteilskraft’ fest: „Zur Beurteilung schöner Gegenstände [...] wird Geschmack [...] gefordert“ (Kant 1790, S. 245). Und: „das Schöne ist das Symbol des Sittlichguten“ (ebd., S. 296). Insofern ist Geschmack „im Grunde ein Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen [...] so leuchtet ein, dass die wahre Propädeutik zur Gründung des Geschmacks die Entwickelung sittlicher Ideen und die Kultur des moralischen Gefühls sei“ (ebd., S. 299f.). Bei Batteux finden wir entsprechende Formulierungen: „Wesentlich ist sein [des Geschmacks] Gegenstand das Gute“ (1770, Bd. I, S. 80). Auch Batteux verknüpft die Entwicklung von Geschmack - d.i. die Entwicklung der schönen Künste - mit der Entwicklungsgeschichte der Kultur. 24 Geschmack bildet sich mit kultureller Höherentwicklung aus. Mit diesem Argument rechtfertigt Adelung bekanntlich seinen Anspruch auf das Obersächsische als deutsche Standardsprache, 25 und, da „die Sprache mit der Cultur eines jeden Volkes in dem genauesten Verhältnisse stehet“, da sich also „die Geschichte der erstern nie ohne beständige Rücksicht auf den je- 23 Auf Adelungs Geschmacks-Begriff soll an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden; vgl. den Beitrag von Evelyn Ziegler (in diesem Band). 24 „Es gab eine Zeit, wo die Menschen allein von der Sorge, ihr Leben zu erhalten oder zu verteidigen, beschäfftigt, und nichts, als entweder Ackerleute, oder Soldaten waren. Da sie weder Gesetzen gehorchten, noch Frieden hielten, noch Sitten hatten; so waren ihre Gesellschaften nichts, als Verschwörungen. Wie sollten wohl in diesen Zeiten der Unruhe und Finsterniß die schönen Künste entsprossen seyn? Ihr Charakter, dass es schöne Künste sind, lässt uns leicht einsehen, dass sie Kinder des Ueberflusses und des Friedens seyn müssen.“ (Batteux 1770, Bd. I, S. 82f.). 25 Die „in Obersachsen wiederhergestellte, und dem gemeinen Menschenverstande begreifflich gemachte und allgemeine verbreitete Philosophie, die prächtigen Höfe der Auguste, welche die schönen und bildenden Künste mit vollen Händen unterstützten, und dadurch Schöpfer des feinern Geschmackes wurden, die von Gottscheden gereinigte und von den fremden Auswüchsen befreyete Sprache, und die vornehmlich durch ihn geschehene Verdrängung des schwülstigen Geschmackes der neuern Italiäner aus der schönen Litteratur der Deutschen u.s.f. Alle diese Umstände wirkten schnell und un-widerstehlich, und Obersachsen ward nunmehr Deutschlands Attica und Toscana und diente dem bisher noch unvollkommenen und schwankenden Geschmacke zur Stütze und Führerin.“ (Adelung 1782b, S. 93f.). <?page no="84"?> Heidrun Kämper 84 desmahligen Zustand und Fortschritt der Cultur begreifflich machen“ (s.o.) lässt, ist Geschmack das Zentrum der aufgeklärten Argumentation Adelungs, in dem sich Sprache und Cultur, Kulturgeschichte und Lexikographie verdichten, und zwar über seinen Literaturbegriff: Geschmack - als „der erste und einige Sinn der schönen Litteratur“ - heißt die Fähigkeit, „das Schöne zu empfinden, und es von dem, was nicht schön ist, zu unterscheiden“ (Adelung 1782b, S. 84). Eine Untersuchung, „ob die Deutschen Geschmack haben“ (ebd., S. 85) komme daher bereits einer „Untersuchung der Deutschen Litteratur und ihres Verhältnisses gegen die Litteratur unserer Nachbarn“ (ebd.) gleich. Zwar sind es nicht die Schriftsteller, die die Sprache fortbilden. Ihr Verdienst - wenn sie gute Schriftsteller sind - liegt hingegen vielmehr in der Vermittlungs- und Vorbildfunktion: Dichter „sammeln nur das allgemein Gute und Schöne, was schon in der Sprache ausgebildet da liegt, heben es heraus, und stellen es der Nation in einem schön verbundenen Ganzen dar.“ Insofern „tragen sie allerdings zur Bildung ihrer Nation und Sprache viel bey, weil ihr Beyspiel auch andere lehret, nur das Gute und Schöne, was schon in der Sprache wirklich da ist, anzuwenden und nachzuahmen.“ (Adelung 1781, S. 108f.). Kurz: Geschmack ist Sprachkultur, „ohne welche keine schöne Deutsche Litteratur möglich“ ist (Adelung 1782b, S. 90). Erkennbar prägt Adelungs Geschmacks-Begriff also nicht nur eine ethisch-ästhetische Ausdeutung, sondern auch eine nationale: Geschmack und Nation - der Einheitsbegriff bestimmt beide. 26 Die Konsequenz dieses Gedankens erfasst das Kompositum: der „höher[e] National-Geschmack“ (Adelung 1783, S. 121). 26 „der gute Geschmack, wenn er National seyn und eine Einheit haben soll, [muss] sich auch auf die Sprache, Sitten, und andere individuelle und conventionelle Verhältnisse erstrecken [...] Was gibt es für allgemeine Grundsätze, welche das, was in der schönen Litteratur wirklich national ist, leiten sollen, und nicht aus der Sprache, den Sitten und dem ganzen Geschmacke der Nation selbst abstrahiret sind? “ (Adelung 1783, S. 116f.). Was national ist, „kann wohl nicht leicht streitig seyn; es gehöret dahin außer der Sprache und dem darin gegründeten Wohlklange, Ton- und Sylbenmaße, der dem Clima und Volke eigenthümliche Schwung des Geistes, Gang der Begriffe und deren Ausdruck durch Worte die jeder Nation eigenen Begriffe des Wohlanständigen und Schicklichen, Sitten und Gebräuche, kurz alles, worin sich eine Nation von der andern unterscheidet“ (ebd., S. 144). Was bedeutet Nation zur Zeit Adelungs? Andreas Gardt fasst die Positionen von Adelung, Gottsched u.a. wie folgt zusammen: „Viele Autoren der Aufklärungszeit [...] sprechen dem Deutschen einheitsstiftende Funktion zu und erkennen zugleich die Bedeutung, die eine einheitliche, gut ausgebaute Hochsprache für die Bildung der Mitglieder dieser Nation besitzt.” (Gardt 2000, S. 186f.). Adelungs eigene Bestimmung setzt Nation und Volk gleich: „Nation, Volk, sind zwar vieldeutige Ausdrücke; allein dem gewöhnlichsten Sprachge- <?page no="85"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 85 3. Schluss „Sprache und Cultur [stehen] in dem genauesten Verhältnisse“ lautet Adelungs Credo. Und er meint damit: sprachlicher und „cultureller“ Fortschritt entsprechen einander. Gelenk zwischen diesen ist - wie wir gesehen haben - der Adelung'sche Aufklärungsbegriff, den wir als lexikographisches Programm gedeutet haben. Als solches hat der Aufklärungsbegriff Adelungs eine strukturell-semantische und eine didaktisch-erzieherische Bedeutungskomponente. Deren lexikographische Umsetzung hat gezeigt: Adelungs kulturgeschichtliches Konzept begründet zum einen die moderne Lexikographie - ‘klare und deutliche Begriffe’. Zum andern stellt sich sein didaktisierendes Belegungsverfahren in die Tradition der Spätaufklärung. Geschmack - als die, diese Prinzipien verdichtende Kategorie - erweist sich nicht nur als das ethisch-ästhetische Konzept, sondern erschließt gleichsam die politische Dimension des Wörterbuchs von Adelung als nationales Unternehmen. 4. Literatur 4.1 Werke Adelungs Adelung, Johann Christoph (1773): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Erster Theil. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1775): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Zweyter Theil. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1777): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Dritter Theil. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1781): Über die Geschichte der deutschen Sprache, über deutsche Mundarten und deutsche Sprachlehre. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1782a): Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts, von dem Verfasser des Begriffs menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1782b): Magazin für die Deutsche Sprache. [Erster Jahrg.]. Leipzig [Selbstverlag]. brauche nach bezeichnen sie eine Menge Menschen, welche bey einer gemeinschaftlichen Abstammung einerley Vorstellungen durch einerley Laute, und auf einerley Art ausdruckt.” (Adelung 1781, S. 5). <?page no="86"?> Heidrun Kämper 86 Adelung, Johann Christoph (1782c [1971]): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 2 Bde. Leipzig. [Nachdr. d. Ausg. 1782. Hildesheim/ New York]. Adelung, Johann Christoph (1783): Magazin für die Deutsche Sprache. [Zweiter Jahrg.]. Leipzig [Selbstverlag]. Adelung, Johann Christoph (1785a): Ueber den Deutschen Styl. Erster Theil. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1785b): Ueber den Deutschen Styl. Zweyter u. dritter Theil. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1793 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. I, A-E. Zweite verm. u. verb. Ausg. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 1, 1793. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. Adelung, Johann Christoph (1798 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. III . Zweite verm. u. verb. Ausg. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 3, 1798. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. Adelung, Johann Christoph (1801 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. IV . Zweite verm. u. verb. Ausg. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 4, 1801. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II ). Hildesheim/ New York]. 4.2 Weitere Literatur Bahmer, Lonni (1994): Quintilian und die Didaktik des Schreibens. Schreibenlernen aus rhetorischer Sicht. In: Wirkendes Wort 44, S. 481-498. Bahner, Werner (1984): Johann Christoph Adelung (1732-1806). Zum historischen Stellenwert seines wissenschaftlichen und publizistischen Wirkens. In: Bahner (Hg.), S. 7-24. Bahner, Werner (Hg.) (1984): Sprache und Kulturentwicklung im Blickfeld der deutschen Spätaufklärung. Der Beitrag Johann Christoph Adelungs. (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Klasse, Bd. 70, H. 4). Berlin. Batteux, Abt (1770 [1976]): Einschränkung der Schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz; aus dem Französischen übersetzt, und mit verschiednen eignen damit verwandten Abhandlungen begleitet von Johann Adolf Schlegeln. Erster Theil. Dritte von neuem verbesserte und vermehrte Auflage. Leipzig. [Nachdr. d. Ausg. 1770. Hildesheim/ New York]. <?page no="87"?> „Sprache und Cultur in dem genauesten Verhältnisse“ 87 Baumgarten, Alexander Gottlieb (1750 [1961]): Aesthetica. Frankfurt a.d.O. [Unverändert. reprogr. Nachdr. d. Ausg. Frankfurt 1750. Hildesheim]. Boswell, James (1984): Das Leben Samuel Johnsons und Das Tagebuch einer Reise nach den Hebriden. Leipzig. Campe, Joachim Heinrich (1794 [1813]): Ueber die Reinigung und Bereicherung der Deutschen Sprache. Dritter Versuch welcher den von dem königl. Preuß. Gelehrtenverein zu Berlin ausgesetzten Preis erhalten hat. Verbesserte und vermehrte Ausgabe. Braunschweig: In der Schulbuchhandlung. [Unter dem Titel „Grundsätze, Regeln und Grenzen der Verdeutschung. Eine von dem königlichen Gelehrtenverein zu Berlin gekrönte Preisschrift.“ In: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Neue stark vermehrte und durchgängig verbesserte Ausgabe. Braunschweig]. Fleischer, Wolfgang (1984): „Allgemeine Eigenschaften“ und „besondere Arten“ des Stils. Einige Bemerkungen zu Johann Christoph Adelungs Werk „Ueber den Deutschen Styl“ (1785). In: Bahner (Hg.), S. 180-190. Frisch, Johann Leonhard (1741 [1977]): Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch. Berlin. [Neudr. d. Ausg. 1741. 2 Bde. in 1 Bd. Mit einer Einführung und Bibliographie von Gerhardt Powitz. Hildesheim/ New York]. Gardt, Andreas (1999): Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin/ New York. Gardt, Andreas (2000): Nation und Sprache in der Zeit der Aufklärung. In: Gardt, Andreas (Hg.): Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Berlin/ New York, S. 169-198. Henne, Helmut (1972): Semantik und Lexikographie. Untersuchungen zur lexikalischen Kodifikation der deutschen Sprache. Berlin/ New York. Henne, Helmut (1970): Einführung und Bibliographie zu Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (1793- 1801). In: Adelung (1793) [1970], S. I *- XXIII *. Kant, Immanuel (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Kant (1977), Bd. 11, S. 53-61. Kant, Immanuel (1790): Kritik der Urteilskraft. In: Kant (1977), Bd. 10, S. 73-455. Kant, Immanuel (1977): Werke in zwölf Bänden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt a.M. Lessing, Gotthold Ephraim (1780): Die Erziehung des Menschengeschlechts. Erstdruck. Berlin. In: Lessing, Gotthold Ephrain (1979): Gotthold Ephraim Lessing. Werke. Bd. 8. Hrsg. v. Herbert G. Göpfert. München, S. 489-510. <?page no="88"?> Heidrun Kämper 88 Mendelssohn, Moses (1785): Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes. In: Digitale Bibliothek (2005). Jubiläumsbd. Frankfurt a.M., S. 19.590- 19.881. Paul, Hermann (1975): Prinzipien der Sprachgeschichte. 9. unveränd. Aufl. Tübingen. Polenz, Peter v. (2002): Sprachgeschichte und Gesellschaftsgeschichte von Adelung bis heute. In: Cherubim, Dieter/ Jakob, Karlheinz/ Linke, Angelika (Hg.): Neue deutsche Sprachgeschichte. Mentalitäts-, kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge. Berlin/ New York, S. 1-23. Ricken, Ulrich (1975): Zum Verhältnis von Sprachtheorie und Weltanschauung in der Aufklärung. In: Zeitschrift für Phonologie, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 31, 5, S. 463-470. Scharloth, Joachim (2005): Pragmatische Geschichte(n). Theorie der Sprachgeschichte und Erzählstrategien bei Adelung und dem soziopragmatischen Paradigma. In: Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft, 15, S. 31-52. Scharloth, Joachim (in diesem Band): Adelung und seine Gegner. Zur Bedeutung geschichtsphilosophischer Kategorien für die Sprachkunde der Spätaufklärung. Scherer, Wilhelm (1875): Adelung. In: Allgemeine Deutsche Biographie. 1. Bd. Leipzig, S. 80-84. Schiewe, Jürgen (1998): Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München. Schiller, Friedrich (1962): Xenien. In: Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke hrsg. v. Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch. Bd. 1. 3. Aufl. München, S. 257-302. Schmidt, Hartmut (1984): Einige Grundbegriffe von Johann Christoph Adelungs Sprachkonzept. In: Bahner (Hg.), S. 135-144. Schmidt, Hartmut (in diesem Band): Johann Christoph Adelung über den langen Weg der Sprache von„roher Naturmusik“ bis zum „Band der Geschlechter und Völker“. Strohbach, Margrit (1984): Johann Christoph Adelung. Ein Beitrag zu seinem germanistischen Schaffen mit einer Bibliographie seines Gesamtwerkes. Berlin/ New York. Ziegler, Evelyn (in diesem Band): Eine Frage des Geschmacks? Adelungs Sprachnormtheorie im Kontext des zeitgenössischen Geschmacksdiskurses. <?page no="89"?> Joachim Scharloth Adelung und seine Gegner Zur Bedeutung geschichtsphilosophischer Kategorien für die Sprachkunde der Spätaufklärung 1. Denkfiguren fundierenden Erinnerns Die Rezeption Adelungs vollzieht sich seit einigen Jahren mehr in der Denkfigur fundierenden Erinnerns als in der einer kritischen Rekonstruktion. Bedeutendster Repräsentant der Inanspruchnahme Adelungs für gegenwärtige linguistische Zwecke ist Peter v. Polenz, der erklärt: „Adelung steht […] am Beginn einer Entwicklungslinie der Sprachgeschichtsschreibung, die in unserer postnationalistischen Zeit wirksamer geworden ist als im nationalromantischen 19. Jahrhundert.“ (Polenz 2002, S. 1). Adelungs Herleitung der Sprachgeschichte aus der Gesellschafts- und Kulturgeschichte sei zum Programm der gegenwärtigen Sprachgeschichte im Zeichen der Soziopragmatik geworden, die die ideologisch aufgeladene und atomistische Sprachgeschichte des 19. Jahrhunderts hinter sich gelassen hat. 1 Der Rückgriff auf Adelung, seine Stilisierung zum Ursprung einer Traditionslinie bei gleichzeitiger Distanzierung von den sprachgeschichtlichen Ansätzen des 19. Jahrhunderts ist typisch für wissenschaftshistorische Schwellensituationen, in denen nicht nur neue Denkstile entwickelt, sondern auch neue Zugriffe auf die Traditionen des eigenen Faches generiert werden, um die gegenwärtige Entwicklung zu legitimieren. Ein Band zum 200. Todestag Adelungs ist der geeignete Ort, solche Bezugnahmen und Traditionskonstruktionen kritisch zu untersuchen. In diesem Aufsatz verfolge ich drei aufeinander aufbauende Ziele: 1) Die Sprachnormendebatte der 1770er Jahre zwischen Adelung und den süddeutschen Sprachkundlern als den in der Adelung-Zeit (1766-1785) zentralen Kristallisationspunkt unterschiedlicher Auffassungen zur Sprache und damit auch zur Frage des „Hochdeutschen“ zu charakterisieren. 1 Auch Stefan Sonderegger hält Adelungs 1781 erschienene Schrift „Über die Geschichte der deutschen Sprache, über deutsche Mundarten und deutsche Sprachlehre“ für die „erste Sprachgeschichte im eigentlichen Sinn“ (Sonderegger 1998, S. 418). Und Hans Ulrich Schmid (2006) lässt sogar die moderne Sprachwissenschaft mit Adelung beginnen. <?page no="90"?> Joachim Scharloth 90 2) Anhand dieser Sprachnormendebatte der 1770er Jahre die zentrale Bedeutung geschichtsphilosophischer Kategorien für das Sprachdenken der spätaufklärerischen Sprachkunde zu verdeutlichen. 3) Die Differenz des aufklärerischen Sprachdenkens zum Denkstil der heutigen Sprachwissenschaft deutlich zu machen und von dort aus die Frage zu diskutieren, ob sich Adelung als Bezugspunkt einer gegenwärtigen Linguistik eignet. 2. Das Schisma der spätaufklärerischen Sprachkunde Der erste Band des „Versuchs eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ (1774) enthält das Schisma der aufklärerischen Sprachkunde der 1770er Jahre. Durch Zufall oder verlegerisches Kalkül kam es dazu, dass einer der erbittertsten Gegner der obersächsischen Sprachkundler in einem ihrer bedeutendsten Werke seine Stimme erheben durfte. Die Göttinger „Königliche Gesellschaft der Wissenschaften“ hatte 1769 die Aufgabe gestellt, „den Ursprung, die Ausbreitung und jetzigen Grenzen der beyden noch herrschenden Hauptdialecte der deutschen Sprache, ihren wesentlichen Charakter und ihr Verhältniß zu den nordischen Sprachen und der alten gothischen zu bestimmen“ (Adelung 1774, S. VI). Dem schwäbischen Sprachkundler Friedrich Karl Fulda, Pastor in Mühlhausen, wurde 1771 der Preis für seine Abhandlung „Über die beiden Hauptdialecte der Teutschen Sprache“ zuerkannt, die dann erstmals 1773 publiziert wurde. Nicht etwa dem Willen Adelungs ist es zu verdanken, sondern einer Entscheidung seines Verlegers Breitkopf, dass Fuldas Preisschrift dem ersten Band des Wörterbuchs vorangestellt wurde. Eine nicht sehr vorteilhafte Entscheidung für Fulda, denn Breitkopf weigerte sich offenbar, Fuldas Preisschrift noch gesondert, also außerhalb von Adelungs Wörterbuch zu publizieren. Adelung selbst räumte in seiner Vorrede ein, die Preisschrift vor der Drucklegung seines Wörterbuchs nicht einmal gekannt zu haben, doch findet er - offenbar nach erfolgter Lektüre - sehr lobende Worte: Die Schrift dieses gelehrten Mannes ist voll des mühsamsten Scharfsinnes. Sie dringt sehr tief in den ursprünglichen Bau nicht bloß der deutschen, sondern fast aller Sprachen des nördlichen Europa ein und löset sie in ihre ersten Bestandtheile auf, daher man es den Herren Verlegern Dank wissen wird, daß sie solche diesem Wörterbuche mit beygefüget haben. Ungeachtet ich diese Schrift nicht eher zu Gesicht bekommen, als bis der erste Theil dieses Wörterbuches bereits abgedrucket war, so freuet es mich doch, daß ich in Ansehung der Etymologie der Wörter, den Hrn. Verfasser beynahe immer auf einem Wege mit mir angetroffen habe. (Adelung 1774, S. VI ) <?page no="91"?> Adelung und seine Gegner 91 Dieses Urteil scheint Adelung aber innerhalb der folgenden Jahre revidiert zu haben. Denn in der zweiten Auflage seines Wörterbuchs sucht man Fuldas Preisschrift vergeblich. Dies erklärt der Leipziger Sprachkundler wie folgt: „Die der ersten Ausgabe vorgesetzte Preisschrift des nunmehr verstorbenen Prediger Fulda ist bey der gegenwärtigen weggelassen worden, [...] weil die darin durchgeführten etymologischen Grundsätze von den meinigen ganz verschieden sind, und daher zu diesem Werke nicht passen [...].“ (Adelung 1793, S. II). Es sind also Fuldas Überlegungen zur Etymologie, die Adelung zunächst ein besonderes Lob wert sind, später aber als Grund für die Entfernung der Preisschrift aus dem Wörterbuch herhalten müssen. Was war geschehen? Noch im Jahr des Erscheinens des ersten Wörterbuchbandes entspann sich eine publizistische Fehde zwischen Adelung und Gottlieb David Hartmann, einem glühenden Verteidiger der sprachkundlichen Überlegungen Fuldas, in deren Rahmen die tiefe Kluft zwischen beiden Lagern in den Bereichen Sprachgeschichte und Sprachtheorie deutlich sichtbar wurde. 2 Auch in den folgenden Jahren wurden von Seiten der süddeutschen Sprachkundler Beiträge zur Hochdeutschfrage verfasst, die an Umfang und Schärfe bei Weitem die Einlassungen der späteren Gegenspieler des Leipziger Sprachkundlers übertreffen. Anders als Helmut Henne, der den „Sprachenstreit“ erst mit der Fehde zwischen Adelung, Wieland, Biester und Rüdiger in den 1780er Jahren beginnen lässt, 3 halte ich die Debatte um die Norm des Hochdeutschen zwischen Adelung und den schwäbischen Sprachkundlern Friedrich Karl Fulda, Johannes Nast und Gottlieb David Hartmann daher für den zentralen Kristallisationspunkt kontroverser Auffassungen von Sprache in der Adelungzeit. Im folgenden Abschnitt werde ich zudem zeigen, dass sowohl die sprachkundliche, als auch die publizistische Basis der Angriffe auf das Sprachnormenkonzept Adelungs weitaus breiter als in den 1780er Jahren war. 2 Zu dieser bislang von der Sprachwissenschaftsgeschichte übersehenen Kontroverse vgl. Scharloth (2005c, S. 263-268). 3 Vgl. Henne (1968, S. 115ff.). Auch v. Polenz bezeichnet Wieland als den „schärfsten Gegner“ Adelungs und erwähnt Fulda und Nast nur in einem Halbsatz. (Vgl. Polenz 1994, S. 166). Selbst Jellinek, der den schwäbischen Sprachkundlern vergleichsweise umfangreiche Kapitel widmet, geht auf ihre Kontroverse mit Adelung im Streit um das Hochdeutsche nicht ein (vgl. Jellinek 1913, Bd. 1, S. 274-282). Zur Bedeutung der Debatte zwischen Wieland und Adelung für die Sprachgeschichte vgl. Lerchner (1984). <?page no="92"?> Joachim Scharloth 92 3. Ansätze zur Formierung eines Gegendiskurses: Schriften, Organe und Netzwerke der schwäbischen Sprachkundler Vor allem Friedrich Karl Fulda und Johannes Nast leisteten in den 1770er, aber auch noch in den 1780er Jahren Beiträge zu allen damals wesentlichen Gebieten der Sprachkunde: zu Sprachgeschichte und Etymologie, Grammatik, Lexikographie und Orthographie. Als sprachgeschichtliches Grundlagenwerk kann Fuldas Preisschrift „Über die beyden Hauptdialecte der Teutschen Sprache“ (1771/ 1773) angesehen werden, seine umfangreiche „Sammlung und Abstammung germanischer Wurzelwörter“ (1776) versteht sich als wichtiger Beitrag zur Etymologie; mit den „Grundregeln der Teutschen Sprache“ (1778) legte Fulda zudem eine kurze Grammatik vor, mit den „Grundsäzen zur endlichen Berichtigung der teütschen Rechtschreibung“ (1778) versuchte Johannes Nast, die Orthographie-Debatte entscheidend mitzuprägen, und Fuldas „Versuch einer allgemeinen teutschen Idiotikensammlung“ (1788) kann als wichtiger Beitrag zur Einlösung des sprachkritischen Programms auf dem Gebiet der Lexikographie gewertet werden. Daneben fungierte Gottlieb David Hartmann als publizistischer Vermittler, der insbesondere den häufig zu gedrängten und daher schwer verständlichen Darstellungen Fuldas eine pointierte, bisweilen auch polemische Form gab. Er tat dies bevorzugt in den „Litterarischen Briefen an das Publikum“ (Hartmann 1769, 1774a, b, c), deren Herausgeber und Hauptautor er war. Hier erschienen auch seine kulturhistorischen Aufsätze, in denen er auch zur Sprachgeschichte Stellung nahm. Zudem trug Hartmann in der „Erfurtischen gelehrten Zeitung“ in zwei längeren Invektiven seine Fehde mit Adelung aus. Fuldas und Nasts publizistisches Hauptorgan waren zunächst die „Gelehrten Ergötzlichkeiten und Nachrichten“ (ab 1774), die ab 1775 unter dem Titel „Schwäbisches Magazin von gelehrten Sachen“ erschienen. In den Jahren 1777 und 1778 gaben sie dann die sprachkundliche Zeitschrift „Der Teütsche Sprachforscher“ heraus. 4 Schon diese breite publizistische Tätigkeit der schwäbischen Sprachkundler zeigt, dass sie - anders als die Beteiligten am Hochdeutschstreit der 1780er Jahre - um eine sprachwissenschaftliche Fundierung und eine alternative Kodifizierung sprachlicher Normen bemüht waren. 4 Für eine ausführliche Bibliographie vgl. Scharloth (2005c) sowie Eichinger (1994 und 1998). <?page no="93"?> Adelung und seine Gegner 93 Ein weiterer Umstand erlaubt es, im Zusammenhang mit ihrer publizistischen Tätigkeit von einem Gegendiskurs zu sprechen: Ihre Vernetzung mit Schriftstellern bzw. ihre Rezeption im literarischen Diskurs. An erster Stelle ist hier der Schriftsteller und Publizist Christian Friedrich Daniel Schubart zu nennen, der in seiner „Deutschen Chronik“ (ab 1774) häufig affirmativ auf das sprachkundliche Werk Fuldas Bezug nahm. 5 Über Gottlieb David Hartmann bestanden enge Verbindungen zur Bardendichtung um Karl Friedrich Kretschmann, Michael Denis und die Dichter des sog. Göttinger Hain, mit denen die süddeutschen Sprachkundler nicht nur die Sprachauffassung, sondern auch eine kulturkritische Haltung teilten. Schließlich zeigen auch die sprachkundlichen Texte von Jakob Michael Reinhold Lenz, einer zentralen Figur des Sturm und Drang, deutliche Einflüsse der sprachkundlichen Überlegungen Nasts und Fuldas. 6 Alle genannten Autoren und literarischen Strömungen teilten mit den schwäbischen Sprachkundlern das Programm eines Sprachausbaus mittels Sprachguts aus den älteren Epochen der deutschen Sprache; gemeinsam war man der Ansicht, dieses habe sich in der Sprache der niederen Schichten bewahrt. So forderte etwa Lenz, „in die Häuser unserer sogenannten gemeinen Leute“ zu gehen, um dort zu hören, „wie sich die Natur bey gewissen erheischenden Anlässen ausdrückt, die weder in der Grammatik noch im Wörterbuch stehen“, denn so könne man „unsere gebildete Sprache bereichern“ (Lenz 1776, S. 66). Tatsächlich finden sich in den Schriften der Stürmer und Dränger häufig Archaismen und von ihren Zeitgenossen als Vulgarismen identifizierte Ausdrücke, ein Indiz dafür, dass das Sprachdenken der schwäbischen Sprachkundler auch einen Einfluss auf den Sprachgebrauch jener sozialen Gruppe hatte, denen auch in Adelungs Sprachnormentheorie die Rolle der Verfasser von Modelltexten zugedacht war: den Schriftstellern. Wie aber war diese Hinwendung zu archaischem Sprachgut begründet? Um dies zu verstehen, ist es nötig, mit den Grundlinien der Wurzeltheorie vertraut zu sein. 4. Die Ontologisierung der Sprache und die Kulturalisierung ihrer Geschichte Der Vater der Wurzeltheorie, wie sie in den 1770er Jahren in der Sprachnormendebatte wirksam wurde, war Friedrich Karl Fulda. Schon in seiner Preisschrift „Über die beiden Hauptdialecte der teutschen Sprache“ hatte er 5 Zum Zusammenhang zwischen Schubart und den schwäbischen Sprachkundlern vgl. Scharloth (2003, 2005d). 6 Vgl. Scharloth (2005a). <?page no="94"?> Joachim Scharloth 94 sie in Grundzügen dargelegt. Weil diese aber den meisten Lesern wegen ihrer dunklen und gedrängten Darstellungsweise weitestgehend unverständlich blieb, sah er sich gezwungen, seine Gedanken in verschiedenen kleineren Aufsätzen zu erläutern. Schließlich publizierte er 1776 die ausführliche „Sammlung und Abstammung germanischer Wurzelwörter, nach der Reihe menschlicher Begriffe, zum Erweis der Tabelle, die der Preisschrift über die zween Hauptdialekte der deutschen Sprache angefügt worden ist, von dem Verfasser derselben“. In der Theorie der Wurzelwörter überlagern sich systematische und sprachhistorische Aspekte. Zum einen ist sie eine Theorie des Sprachursprungs und liefert eine Geschichte der deutschen Sprache, zum anderen zergliedert sie das Deutsche und die mit ihm verwandten germanischen Sprachen in ihre vermeintlich kleinsten Bestandteile, um aus diesen die „natürliche grammatische Ordnung“ der jeweiligen Sprache rekonstruieren zu können. Die sprachhistorische Perspektive ist insofern dominant, als Fulda glaubt, dass die grammatikalische und lexikalische Funktion jener kleinsten sprachlichen Einheiten sich nur aus ihrer Geschichte erklären lässt. Dieser Dominanz der historischen Perspektive trägt die folgende Darstellung Rechnung. Fulda konstruierte sein Wurzelsystem auf der Basis eines umfangreichen Vergleichs der germanischen Sprachen auf allen ihm zugänglichen Sprachstufen. Als grundlegendste Gemeinsamkeit konstatierte er die Existenz bestimmter „Urlaute“ in allen untersuchten Sprachen. Auch wenn es sich, wie Herder bereits in seiner Abhandlung über den Sprachursprung festgestellt hatte, bei den Urlauten um „thierische oder animalische Schälle“ (Fulda 1778, S. 30) handelte, so bilden sie doch das Fundament der menschlichen Sprache. Aus der prinzipiell gleichen Beschaffenheit der menschlichen Sprachwerkzeuge glaubt Fulda schließen zu dürfen, dass diese Laute bei allen Menschen auf der niedrigsten Stufe der Kultur gleich waren. Doch damit nicht genug: Diese von der Natur des Menschen determinierten Laute sind nicht arbiträr, sondern haben eine ebenso natürliche Bedeutung. Wie die Urlaute zu diesen Bedeutungen kamen, darüber schweigt Fulda. Aus verschiedenen Bemerkungen kann man jedoch schließen, dass sie einerseits als Abbild natürlicher Klänge wahrgenommen wurden und dass andererseits ihr Artikulationsort als Zeichen für den bezeichneten Gegenstand aufgefasst wurde. Am Beispiel des Urlautes [k] kann dies verdeutlicht werden, zu dem Fulda erklärt: <?page no="95"?> Adelung und seine Gegner 95 K ist der hole Laut der Kehle und des Gaumens. Und [...] fast alle teutsche Wörter, welche diesen Laut an der Stirne haben, bedeuten teils das Loch des Mundes, und das Kauen, samt dem Schalle desselben; teils jedes Hole, ein Gefäß, oder eine Deke, sie sei mittelbar oder unmittelbar, natürlich oder sittlich. (Fulda 1774c, S. 11) Wie ein Kind aus den einfachen Bausteinen seines Baukastens komplexere Gebäude türmt, so kombinierte der Mensch im Laufe seiner Geschichte die elementaren, allen Völkern gemeinsamen Urlaute zu komplexeren Gebilden. Durch die einfache Kombination zweier Urlaute entstanden die so genannten Urwurzeln, die durch Hinzufügung eines weiteren Lautes zu Wurzelwörtern wurden. Diese Wurzelwörter erklärt Hartmann zu einer „allgemeinen Menschensprache“ (1774a, S. 139). Sie könnten nicht einem bestimmten Volk zugeschrieben werden, sondern bildeten die Ursprache aller Völker. 7 Entscheidend ist, dass auch auf dieser Entwicklungsstufe von einer Arbitrarität der Zeichen keine Rede sein kann. Die Kombination der Urlaute erfolgte nämlich nicht willkürlich, sondern auf der Basis elementarer menschlicher Erfahrungen. Während die Wurzelwörter noch einsilbig waren, so entstanden im Laufe der Menschheitsgeschichte durch Erweiterung der Wurzelwörter um zusätzliche Urlaute oder durch die Kontraktion zweier häufig kookkurierender Wurzelwörter auch mehrsilbige Wörter. 8 Erst auf dieser Stufe der Sprachgeschichte setzt Fulda die Entwicklung von Einzelsprachen an. Dadurch nämlich, dass manche Wurzelwörter in bestimmten Gegenden häufiger verwendet wurden als andere, kam es zu orts- und gruppenspezifischen Kontraktionen und Erweiterungen der Wurzelwörter, die die Basis für Flexionen und Derivation mit spezifischen semantischen Funktionen bildeten. 9 Auch hier verliert die Sprache noch nicht ihre Bindung an das Sein. Sowohl die Hauptbedeutungen der Wörter, als auch ihre Spezifizierung durch Präfixe und Suffixe sind vermittels der ontologisch determinierten Bedeutungen der Urlaute gleichermaßen an das Sein gebunden. Konventionell, aber deshalb noch nicht arbiträr sind allerhöchstens die einer Sprachgemeinschaft eigenen Kombinationen 7 Vgl. auch Fulda (1774c, S. 36). 8 Vgl. Fulda (1774c, S. 20f.). 9 „Man erschöpfte die Lieblinge durch viele Abteilungen und Combinationen, welche an einem andern Ort, und zu einer andern Zeit kaum in den einen oder dem andern, und anderswo ganz ungewöhnlich sind [...]. Zeit und Entfernung prägen andere, gewinnen andere Wurzeln lieb“ (Fulda 1774c, S. 37). <?page no="96"?> Joachim Scharloth 96 der Urwurzeln und Wurzelwörter. Diese korrespondieren allerdings einer bestimmten Weltsicht der Sprechergruppe; sie sind, folgt man Fulda, sprachliche Sedimente der spezifischen Erfahrungen, die die betreffende Sprachgemeinschaft im Laufe ihrer Geschichte gemacht hat. Die Zurückweisung der Arbitrarität der sprachlichen Zeichen ist auch für die Frage der Sprachnormierung und des mit ihr verbundenen Sprachausbaus von allergrößter Bedeutung. Eine Sprache ist nicht ein System arbiträrer Zeichen, mit denen Sprecher auf die Welt Bezug nehmen; vielmehr ist die Sprache ein Spiegel der natürlichen Ordnung der Welt und die menschliche Erfahrung dieser Ordnung ist in die Sprache eingeschrieben. Mit der Bindung der Sprache an das Sein ist für Fulda der normative Orientierungsrahmen für Sprachveränderungen vorgegeben. Eine sprachliche Neuerung kann dem in der Sprache repräsentierten Weltbild gemäß sein, sie kann aber auch gegen die natürliche Ordnung der Sprache verstoßen. Solange in einer Sprache nur die ihr eigenen Wurzelwörter und Kombinationen von Wurzelwörtern verwendet werden, solange entspricht sie der natürlichen Ordnung der Welt und dem Denk- und Erfahrungsschatz der Sprachgemeinschaft. Solche Sprachen gelten Fulda als rein. Sprachen hingegen, die im Laufe ihrer Geschichte eine große Menge fremden Sprachgutes aufgenommen haben, repräsentieren nicht mehr ein einheitliches Weltbild, sind dem Sein inadäquat und erschweren dadurch dessen wahre Erkenntnis. Eine derart degenerierte Sprache macht wahres Sprechen unmöglich. Die deutsche Sprache zählt Fulda nicht zu dieser Kategorie. Sie habe vielmehr den Vorzug vor anderen europäischen Sprachen, dass „ihre Wurzeln original sind.“ Nicht nur bestünden die Substantive und Adjektive meist aus „eigentlichen Wurzeln“, „auch sind Umstand, oder Art, Ort und Zeitbestimmende Wörter vielfältig eigene Wurzeln“ (Fulda 1774c, S. 21). Als Ursache für diese Originalität der deutschen Sprache macht Fulda die Tatsache aus, dass die deutsche Sprache „im Ganzen auf ihrem Grund und Boden unvermischt geblieben ist“ (ebd., S. 19). 5. Konkurrierende Sprachnormenkonzepte in den 1770er Jahren Wer der Sprache Eigentlichkeit zuschreibt, ihre Beschaffenheit aus dem Sein herleitet, der kann den Sprachgebrauch nicht zum Maßstab der Kodifizierung von Sprachnormen machen. Diese Konsequenz aus den etymologischen Theorien Fuldas scheint Adelung zunächst entgangen zu sein, als er den schwäbischen Sprachkundler „in Ansehung der Etymologie der Wörter <?page no="97"?> Adelung und seine Gegner 97 [...] beynahe immer auf einem Wege mit mir“ (Adelung 1774, S. VI) wähnte und sie scheint der eigentlich Grund dafür, warum er auf den neuerlichen Abdruck von Fuldas Preisschrift in der Neuauflage seines Wörterbuchs verzichtete. Adelungs Sprachnormenkonzept nämlich - das sich wohl am treffendsten als elitär-anomalistisch beschreiben lässt - sah vor, den Sprachgebrauch zum Maßstab der Sprachrichtigkeit zu machen; freilich nicht den Sprachgebrauch eines jeden Sprechers. Vielmehr grenzte er den zur Leitvarietät erhobenen Sprachgebrauch diatopisch und diastratisch relativ präzise ein. In der Vorrede zum „Grammatisch-kritischen Wörterbuch“ schrieb er: Diejenige, welche in jedem großen Lande die Stelle einer [...] allgemeinen Sprache vertritt, ist allemahl nur die Mundart einer Provinz, aber der blühendsten, cultiviertesten und durch Geschmack und Wohlstand am meisten ausgebildeten Provinz [...]. In Deutschland ist es seit der Reformation die Mundart der südlichern Chursächsischen Lande. (Adelung 1774, S. VIII f.) Doch sollte natürlich nicht jede Varietät des Obersächsischen Vorbildcharakter für die Hochsprache haben. Adelung orientierte sich bei der Bestimmung der Leitvarietät an einer groben diastratischen Gliederung des Sozial- und Varietätenspektrums. So ließen sich die Einwohner Obersachsen „in Rücksicht auf Geschmack, Sprache und Sitten in zwey Theile theilen, in die obern und niedern Classen“ (Adelung 1785, S. 57). Träger der verfeinerten Kultur und damit auch Sprecher der elaborierten und für ganz Deutschland vorbildlichen Sprache seien allein die „obern Classen“ Obersachsens. Daß es die niedrige nicht seyn kann, ergiebt sich von sich selbst, weil die Schriftsprache die ausgebildetste Mundart der Nation ist, diesen höhern Grad der Ausbildung aber niemand in den untern Classen suchen wird. Diese behalten also ihr Provinzielles, ihr Unreines, und was man alles will, für sich. Es bleiben also nur die obern Classen übrig, und die sind denn auch wirklich der Sitz und die Quelle unserer heutigen Schriftsprache. (Adelung 1785, S. 58) Leider finden sich bei Adelung kaum nähere Bestimmungen seines Konzeptes der „obern Classen“. Aus einigen verstreuten Bemerkungen kann man allerdings schließen, dass Adelung dabei hauptsächlich die Sprache des städtischen Bürgertums meinte. Etwa schreibt er in der Abhandlung „Über die Geschichte der deutschen Sprache, über deutsche Mundarten und deutsche Sprachlehre“ (1781), zugleich Vorrede zum „Allgemeinen Lehrgebäude“, das Hochdeutsche werde „bey der in Obersachsen höher gestiegenen Cultur in den Städten und unter Personen von guter Lebensart und Erziehung häufiger gesprochen, als in andern Provinzen“ (Adelung 1781, S. 84f.). <?page no="98"?> Joachim Scharloth 98 Adelung ist zudem bemüht zu betonen, dass die Debatte um die Norm des Hochdeutschen längst entschieden sei. Das Obersächsische sei „seit der Reformation [...] die gelehrte Mundart von ganz Deutschland geworden, weil fast alle wohlgesittete Leute sich derselben bedienen“ (Adelung 1771, S. 66f.). Für Adelung ist der obersächsische Dialekt demnach faktisch bereits Hochsprache, weshalb sich seine Schriften auch häufig lediglich um eine nachträgliche Legitimierung dieser Tatsache bemühen oder sich damit begnügen, jenen sprach- und kulturgeschichtlichen Prozess zu rekonstruieren, der zum vermeintlichen Status quo führte. So leitet er auch die besondere Qualität des Obersächsischen aus seinem Ursprung ab. Grundsätzlich habe es in Deutschland zwei „Hauptmundarten“ des Deutschen gegeben: Das Oberdeutsche, das im Süden des deutschen Sprachraums gesprochen wurde, und das Niederdeutsche, dessen Sprecher im Norden Deutschlands lebten. Jede dieser Mundarten begreifet wiederum eine Menge anderer Mundarten unter sich, welche mehr oder weniger von einander abgehen, aber doch zusammen genommen ein Ganzes machen, welches sich mit der andern Hauptmundart nicht leicht wird verwechseln lassen. (Adelung 1774, S. VI) Diese Hauptmundarten hätten keinen gemeinsamen Ursprung auf deutschem Boden gehabt, sondern seien im Zuge von Wanderungsbewegungen durch zwei unterschiedliche osteuropäische oder asiatische Völker in den heutigen deutschen Sprachraum gelangt. 10 Das Obersächsische nun kann keinem der beiden Hauptdialekte des Deutschen eindeutig zugeordnet werden. Es stamme ursprünglich vom Fränkischen ab, einem Dialekt, der zwar mit der oberdeutschen Mundart genetisch verwandt sei, sich aber mit der niederdeutschen Mundart vermischt habe. Für Adelung steht das Obersächsische typologisch betrachtet also zwischen dem Oberdeutschen und dem Niederdeutschen. Es halte zudem „die Mittelstraße zwischen dem weitschweifigen Schwulste und rauhem Wortgepränge des Oberdeutschen und zwischen der schlüpfrigen Weichlichkeit und einförmigen unperiodischen Kürze des Niedersachsen“ (Adelung 1774, S. X) und eigne sich schon deswegen zur in ganz Deutschland anerkannten Hochsprache. Bedeutender jedoch als dieses, die spezifische Qualität der Sprache betreffende, Argument ist für Adelung die sprach- und kulturhistorische Begründung der einzigartigen Stellung, die dem Obersächsischen im Kreise der deutschen Dialekte zukommt. Allgemein habe es in Deutschland stets eine 10 Vgl. Adelung (1774, S. VII ). <?page no="99"?> Adelung und seine Gegner 99 dominante Mundart gegeben, je nachdem, aus welcher Provinz der Kaiser stammte oder in welcher Künste und Wissenschaften eine besondere Blüte erlebt hätten. Bis zu den Zeiten der Reformation sei dies die oberdeutsche Mundart gewesen, weil die meisten Kaiser und mit ihnen die meisten Höflinge Oberdeutsche gewesen seien und Wissenschaft und Künste auch in den südlichen Provinzen ihre erste Blüte erlebt hätten. 11 Jenen kulturgeschichtlichen Prozess, an dessen Ende Sachsens kulturelle und sprachliche Überlegenheit steht, lässt Adelung mit der Reformation beginnen. Weil Luther und seine Schüler in Obersachsen ihre Heimat fanden und sich nach und nach die dortige Mundart eigen machten, ihre Schriften in derselben ausfertigten, und dadurch Gelegenheit gaben, daß auch alle ihre zahlreichen Zuhörer, die aus allen Provinzen Deutschlandes nach Obersachsen eileten, sich diese Mundart angewöhneten, so ward solche nach und nach die herrschende Sprache der Gottesgelehrten. (Adelung 1774, S. XIII ) Mit der Reformation sieht Adelung zugleich eine Epoche des Fortschritts der Künste und Wissenschaften anbrechen. Obersachsen sei als das Zentrum der geistlichen Erneuerung auch der „Sitz der übrigen Gelehrsamkeit“ geworden. Die obersächsische Mundart wurde „nach und nach die Hochsprache der Gelehrsamkeit genannt [...], welches sie auch bisher geblieben ist, ob sie gleich in diesem Zeitraume allerley Veränderungen erfahren hat“ (Adelung 1774, S. XIII). Mit dieser für das 18. Jahrhundert so charakteristischen Verschränkung von sprach- und kulturgeschichtlichen Argumenten legitimiert Adelung die sprachliche Hegemonie Obersachsens über die anderen Provinzen Deutschlands. Diese beanspruchte Hegemonie Obersachsens freilich rief die süddeutschen Sprachkundler auf den Plan, die ein alternatives Modell des Hochdeutschen formulierten. Dieses unterschied sich vom Sprachnormenkonzept Adelungs vor allem dadurch, dass der Anomalismus als leitendes Prinzip der Normierungspraxis abgelehnt wurde. In seinem Aufsatz „Grundriß zu einem Würtembergischen Idioticon“ wandte sich Fulda ausdrücklich dagegen, den Sprachgebrauch zum Maßstab des Sprachrichtigen zu erheben: Die teutsche Sprache beruht auf wenigern und festern Gründen, als alle andere Sprachen. Der Gebrauch fragt aber freilich hiernach nicht. Nur was Cicero sprach, war nach seiner Zeit latein: und was man den berühmtesten teutschen Schriftstellern und Kunstrichtern nachbettet, ist gut Teutsch. Durch dergleichen diktatorische Sprüche und Nachahmungen steht unsere heutige 11 Vgl. Adelung (1774, S. VIII ). <?page no="100"?> Joachim Scharloth 100 Gelehrten-Sprache in Gefar, die kräftigste Wörter, kernhafteste Ausdrüke, anpassendste Benennungen, große Schönheiten, unter dem Vorwurf des Provincialen, zu verlieren, und das Kleid, samt Schmuz und Flitter, derjenigen Gegend anzuziehen, darinn die meiste Bücher geschrieben werden. (Fulda 1774b, S. 195) Der Dialekt einer einzigen Provinz darf demnach schon deshalb nicht zur verbindlichen Norm erhoben werden, weil dieses Vorgehen die Gefahr birgt, dass neben dessen Vorzügen auch dessen Fehler („Schmuz“) in ganz Deutschland verbreitet würden. Doch was ist der Maßstab des Sprachrichtigen, der es erlaubt, Fehler zu identifizieren und auszusondern? Hier erweisen sich die schwäbischen Sprachkundler als Verfechter des Analogismus, demzufolge aus dem Vergleich der Elemente des gesamten Sprachschatzes Regeln abstrahiert werden können, die in Zweifelsfällen über die Richtigkeit einer Sprachform entscheiden. Hartmann spricht gar von Regeln, die „aus dem Wesen der Sprache gezogen“ (1774c, S. *43) werden müssten. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass diese Regeln nicht allein aus einer einzigen Mundart oder der Sprache der Gegenwart abstrahiert werden dürfen, sondern vielmehr alle Sprachstufen und sämtliche Dialekte des Deutschen zur Regelfindung herangezogen werden müssen. Dieses Konzept der Normfindung steht dem elitär-anomalistischen Sprachnormenkonzept Adelungs und Gottscheds diametral entgegen. Das Obersächsische als vermeintliche Mischsprache konnte in den Augen der schwäbischen Sprachkundler im Konzert der deutschen Dialekte wegen seiner Unreinheit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Gegen diese Unregelmäßigkeiten führten sie die ursprüngliche Reinheit des Schwäbischen ins Feld. In seinem Aufsatz „Untersuchung der schwäbischen Mundart“ vertritt Fulda die Ansicht, die schwäbische Sprache sei „(und warum soll man es nicht öffentlich sagen dörfen? ) [...] die rechte hochteutsche Sprache“, die „regelmäsigste“ und „dem hochteutschen Genius oder der Natur der höheren teutschen Sprache die angemessenste“. Allein sie spreche „aus Gründen“, allein sie dürfe und müsse den Neuerungen, Ausnahmen, Abweichungen, die sich täglich häufen, und die Mutter beflecken, widersprechen, öffentlich widersprechen [...]; widersprechen mit innerlicher, aus der Natur der Sprache hergenommener, und auch mit äußerlicher Befugniß, als ein [...] grosses, wenigstens in der Gelehrtenrepublik, durch öffentliche wichtige teutsche Schriften, nicht unbeträchtliches Land, dem man zu der Gewohnheit seine geltende Stimme nicht abstreiten, nicht ableugnen kan. (Fulda 1774d, S. 77) <?page no="101"?> Adelung und seine Gegner 101 Das Schwäbische zeichnet sich demnach durch seine Regelmäßigkeit vor den anderen Dialekten des Deutschen aus. Mit der Feststellung, es sei der „Natur der höheren teutschen Sprache“ am angemessensten, spielt Fulda zudem auf die These von der ontologischen Fundierung der Sprache an, nach der jede Sprache ursprünglich eine der Weltsicht ihrer Sprecher und der Ordnung der Dinge gemäße Struktur aufweist. Während Fulda also die Mundart Obersachsens durch Vermischung und falsche Strategien des Sprachausbaus korrumpiert und vom Wesen der deutschen Sprache entfremdet sah, hielt er das Schwäbische wegen dessen ursprünglicher Regelhaftigkeit für einen Dialekt, in dem sich das Wesen der deutschen Sprache und damit die in sie eingeschriebene Weltsicht am authentischsten bewahrt hätten. Trotz aller Vorzüge des Schwäbischen aber kommt dieser Mundart im Sprachnormenkonzept der süddeutschen Sprachkundler nicht derselbe Status zu wie dem Obersächsischen bei Adelung. Vielmehr war es das Ziel Fuldas, Nasts und Hartmanns, den gesamten Sprachschatz systematisch zu erschließen. So klagte Hartmann, es fehle den „Teutschen [...] ein Wörterbuch“, bei dessen Erstellung alle Zeitalter, und der Pöbel aller Orten in ganz Deutschland müßten zu Rathe gezogen werden. [...] Hierzu müssen Schweizer, Schwaben, Niederrheiner, Niederländer, Pommer, u.s.w. zusammentreten; jeder die Idiome seiner Gegenden sammeln, um ein solches großes Werk auszuführen. (1774a, S. 140) Auch für Fulda waren die Mundarten aller Provinzen Deutschlands eine vorzügliche Quelle des Sprachschatzes. Doch hatte die Dokumentation der Mundarten aller Provinzen nicht nur eine synchrone, sondern auch eine diachrone Dimension. Die Sprache der niederen Schichten nämlich galt den schwäbischen Sprachkundlern als altertümlich und unverbildet. Der „Pöbel“ war Fulda „das beste Archiv aller Orten“ (1774b, S. 196). Entsprechend forderte er seine gelehrten Kollegen auf, sich auch mit der Sammlung provinzieller Wörter der „Bauernsprache“ (ebd., S. 202) zu beschäftigen, weil er hoffte, das Hochdeutsche durch dieses archaische Sprachgut ausbauen und seiner wahren Natur wieder näher bringen zu können. Dieses Ansinnen brachte ihm das Lob der „Deutschen Chronik“ ein, in der Schubart 1774 schrieb: „Fulda [ ...] umspannt mit Riesenarmen den ganzen Sprachschatz; läßt sich nicht durch die hochdeutschen Stammler irre machen, sondern behorcht mitten unter'm Schwabenpöbel die Urlaute unsrer Mannsprache.“ (Schubart 1774 u. 1775-1777, Bd. I, S. 621). In diesem Zitat spielt Schubart auf alle wesentlichen Aspekte des Sprachnormenkonzeptes der schwäbi- <?page no="102"?> Joachim Scharloth 102 schen Sprachkundler an: die Orientierung am Sprachschatz und damit die Erhebung des Analogismus zum leitenden Prinzip bei der Normformulierung (im Gegensatz zum Anomalismus Adelungs), die Berücksichtigung der Sprache der niederen Schichten (im Gegensatz zur elitären Orientierung der Obersachsen) und der damit verbundene Glaube, dass sich in ihr das wahre und ursprüngliche Wesen der deutschen Sprache, ihre Eigentlichkeit und eine dem Erfahrungsschatz der Deutschen korrespondierende Weltsicht erhalten habe. Sowohl für Adelung, als auch für seine schwäbischen Kontrahenten, sind also Bezüge auf die Vergangenheit konstitutiv für die Begründung ihres Hochdeutschmodells. Während Adelung die Norm des Hochdeutschen aus einem kulturhistorischen Prozess begründet, der in der Blüte ‘Obersachsen’ gipfelt, vollzieht sich der Vergangenheitsbezug bei seinen Gegnern in der Figur kontrapräsentischen Erinnerns: In alten Sprachstufen sei das ursprüngliche Wesen der deutschen Sprache zu finden, zu dem zurückzukehren Aufgabe der Sprachkunde sei. Diese Bezüge auf die Sprach- und Kulturgeschichte werden besser verständlich, wenn sie im Kontext der herrschenden geschichtsphilosophischen Modelle betrachtet werden. 6. Geschichtsphilosophie zwischen Perfektibilitäts- und Lebensaltermodell Wer sich mit der Geschichtsphilosophie der Spätaufklärung befasst, findet sich mit scheinbar widersprüchlichen Modellen konfrontiert. Das für die Spätaufklärung charakteristische Modell ist das Perfektibilitätsmodell, das in der französischen Geschichtsphilosophie von Jacques Turgot (1750) und Nicolas Condorcet (1781) formuliert wurde. In diesem Modell wird die Geschichte der Menschheit nicht mehr theologisch-heilsgeschichtlich gedeutet, sondern als immanentes weltgeschichtliches Entwicklungsgeschehen, das sich - bei allen negativen Erscheinungen im Geschichtsverlauf - im Modus kontinuierlichen Fortschritts vollzieht. Im Ökonomischen bedeutet dies beispielsweise eine stufenweise Verbesserung von der Wirtschaft der Jäger und Sammler über die Agrarwirtschaft bis hin zur ausdifferenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft. Im Politischen bedeutet dies die Aufeinanderfolge der Regierungsformen Despotie, Monarchie, Aristokratie und schließlich Demokratie. In der Geschichte des Wissens zeige sich - so Turgot - eine Sukzession von Mythos, Philosophie und Wissenschaft; und verschränkt mit all diesen Entwicklungen auch eine Verfeinerung der Sitten und Steigerung der Moral. <?page no="103"?> Adelung und seine Gegner 103 Künste und Wissenschaften werden der Reihe nach entdeckt und vervollkommnen sich; abwechselnd in ihren Fortschritten gehemmt und beschleunigt, gehen sie von einem Himmelsstrich zum nächsten über. Eigennutz, Ehrgeiz und eitle Ruhmsucht ändern ständig das Bild der Welt und überschwemmen die Erde mit Blut. Inmitten ihrer Verwüstungen mildern sich die Sitten, der menschliche Geist wird aufgeklärter, und die isolierten Nationen nähern sich einander an. Schließlich verbinden Handel und Politik alle Erdteile wieder miteinander, und die Gesamtheit der menschlichen Gattung bewegt sich im Wechsel von Ruhe und Bewegung, von Gutem und Bösem, zwar langsam, aber stetig auf eine größere Vollkommenheit zu. (Turgot 1750, S. 140f.) An diesem Fortschrittsoptimismus scheint auch Adelung zu partizipieren. In seinem 1782 erschienenen „Versuch einer Geschichte der Kultur des menschlichen Geschlechts“ schreibt er beispielsweise: „Das menschliche Geschlecht ist seit seinem ersten Entstehen in einem unaufhörlichen Fortschritte so wohl der Bevölkerung, als auch der Cultur begriffen.“ (Adelung 1782b, S. *7). Bedeutend für die Sprachnormendebatte ist dieses Geschichtsbild insofern, als es die Gegenwart immer als den vorläufigen Höhepunkt der sittlichen, kulturellen und geistig-intellektuellen Entwicklung deutet und kulturelle Güter vergangener Zeiten entsprechend geringschätzen muss. Die Gegenwart ist daher der Vergangenheit a priori überlegen, auch sprachlich. Während das Perfektibilitätsmodell also den Fortschritt als durchgängiges Prinzip des gesamten Geschichtsverlaufs annimmt, konzipiert das Lebensaltermodell die Entwicklung von Gesellschaften, Kulturen, aber auch von Sprachen als natürlichen Kreislauf des Werdens und Vergehens. So formulierte Johann Gottfried Herder in seinen Fragmenten „Über die neuere deutsche Litteratur“ (1766) die zirkuläre Entwicklung als eine Art Geschichtsgesetz. So wie der Mensch auf verschiedenen Stufen des Alters erscheinet: so verändert die Zeit alles. Das ganze Menschengeschlecht, ja die tote Welt selbst, jede Nation und jede Familie haben einerlei Gesetze der Veränderung: vom Schlechten zum Guten, vom Guten zum Vortrefflichen, vom Vortrefflichen zum Schlechtern und zum Schlechten: dieses ist der Kreislauf aller Dinge. So ist's mit jeder Kunst und Wissenschaft: sie keimt, trägt Knospen, blüht auf und verblühet. - So ist's auch mit der Sprache. (Herder 1766, Bd. 1, S. 26) In einem großen Analogieschluss postuliert Herder für alles Seiende also die gleichen Entwicklungsstufen, die auch der Mensch Zeit seines Lebens durchläuft. In seiner Terminologie sind dies die Stufen der „Kindheit“, der <?page no="104"?> Joachim Scharloth 104 „Jünglingsjahre“, des „männlichen“ und schließlich des „hohen Alters“. 12 Nach demselben Schema konstruierte geschichtsphilosophische Entwürfe sind im untersuchten Zeitraum allgegenwärtig. Zwar unterscheiden sie sich in Bezeichnungen und Anzahl der Entwicklungsstufen, der beschriebene Prozess aber bleibt im Prinzip immer gleich. Gottlieb David Hartmann etwa unterscheidet in seinen „Vier Briefen über die Geschichte der Menschheit“ im „Zweyten Paquet“ seiner „Litterarischen Briefe an das Publikum“ (1774a und b) den „Hirtenstand“, den „Heldenstand“ (auch „Stand der Wildheit“), den „Bürgerstand“ (auch „Stand der Cultur“) und den „Stand der Weichlichkeit“ und skizziert das gleiche Schema einer sich entfaltenden und schließlich degenerierenden Kultur. 13 Friedrich Karl Fulda wiederum differenziert in seiner „Sammlung und Abstammung germanischer Wurzelwörter, nach der Reihe menschlicher Begriffe“ (1776) nur drei Stufen. Deren Bezeichnung ist offenbar an Herder und Hartmann angelehnt, denn er stellt fest, eine Sprache habe „mit dem Menschen und der Nation, drei Stufen ihres Lebens“, sie sei „ein Kind, ein Jüngling, und ein Greis; Hirte, Held, und Weichling“. 14 Das Lebensaltermodell sieht demnach keine endlose Entwicklung zum Guten, sondern konzipiert die Geschichte eben auch als Verfallsgeschichte. Für die Debatte um die Norm des Hochdeutschen ist dieses Geschichtsmodell insofern relevant, als - je nachdem, in welchem Lebensalter, d.h., auf welcher Entwicklungsstufe sich eine Gesellschaft befand - vergangene Sprachstufen einen durchaus höheren Wert haben konnten als gegenwärtige und als kultureller Wandel nicht notwendig ein Wandel zum Guten sein musste. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass sowohl die Theorie der Wurzelwörter mit ihrer Ontologisierung der Sprache, als auch das Lebensaltermodell für die Kritik des Adelungschen Sprachnormenkonzeptes von zentraler Bedeutung waren. 7. Drei Argumente gegen das Obersächsische als Leitvarietät Die verschiedenen Argumente, die die schwäbischen Sprachkundler gegen Adelungs Modell des Hochdeutschen ins Feld führten, lassen sich als sprachhistorisch, sprachkritisch und kulturkritisch kategorisieren. Das sprachhistorische Argument entfaltete seine Kritik auf der Basis von Wurzeltheorie und Eigentlichkeitsideologie. Zentraler Ansatzpunkt war die Behauptung, 12 Vgl. Herder (1766, Bd. 1, S. 26ff.). 13 Vgl. Hartmann (1774b, S. 1-33). 14 Vgl. Fulda (1776, S. 27). <?page no="105"?> Adelung und seine Gegner 105 das Obersächsische sei historisch gesehen eine Mischsprache. Dies hatte Adelung selbst eingeräumt, als er in der Vorrede zu seinem Wörterbuch schrieb, Hochdeutsch ist nichts anders, als eine durch das Niederdeutsche gemilderte oberdeutsche Mundart. [...] Sie ist irregulärer, weil die beyden Hauptdialecte in ihre zusammen fließen, und sie gewisser Maßen aus denselben zusammen gesetzet ist. Die oberdeutsche, besonders aber die niederdeutsche Mundart, lassen sich weit leichter auf Regeln zurück führen als sie. (Adelung 1774, S. IX ) Was für Adelung ein positiver Aspekt des Obersächsischen war, ist für die schwäbischen Sprachkundler ein Grund, das Obersächsische als Leitvarietät abzulehnen, denn als Mischsprache galt es ihnen als unrein. Gottlieb David Hartmann konstatierte etwa, das Meißnische sei „irregulair, als ein Mischling“, „jünger, dem Flor und der Ausbreitung nach“ (1774c, S. *38) und daher arm. Als Beispiel für die Unregelmäßigkeit des Obersächsischen führt er die Wendung „an ihm begehren“ an. „Nur ein Mischling kann so sprechen, nur die Unkunde kann es dem eigentlichen Hochteutschen aufbürden, dessen geringster Bauer die Fragen wen, und wem niemal verwechselt.“ (ebd.). Doch wurde die mangelnde Regelmäßigkeit und damit die Entfernung vom Ideal der Eigentlichkeit nicht auf die sprachgeschichtlichen Wurzeln des Obersächsischen zurückgeführt. Vielmehr wurde dem Obersächsischen im sprachkritischen Argument zum Vorwurf gemacht, sich durch Aufnahme fremden Sprachgutes, besonders aus dem Französischen, vom eigentlichen Wesen der deutschen Sprache entfernt zu haben. So nannte Schubart in der „Deutschen Chronik“ das Sächsisch-Meißnische abfällig „französirendes Sachsendeutsch“ (1774 u. 1775-1777, Bd. 1, S. 219) und kritisierte jene heftig, die daran arbeiteten, dem „wilden Eichenstamme schmackhafte Zweige aus Frankreich einzupfropfen“ (ebd., Bd. 2, S. 702f.). Auch Fulda hatte in seinem im „Dritten Paquet“ der „Litterarischen Briefe an das Publikum“ erschienenen Aufsatz „Einige Bemerkungen zur Kenntniß der teutschen Sprache“ (1774a) das Obersächsische kritisiert: „Endlich Leipzig. Sie finden hier Ausschuß der besten Kraftwörter, Tyrannei über das Lehrvolle Provinziale, bis auf den heutigen Tag; eine Ohrfeige des Priscians über die andere; französisch-italiänische Terminologie; mit englischen durchwebt.“ (ebd., S. 81). Diese Methode des Sprachausbaus hielt er, auf das Lebensaltermodell referierend, für ein Anzeichen dafür, dass das Greisenalter der Sprache erreicht sei: <?page no="106"?> Joachim Scharloth 106 Die Sprache sorgt von nun an nur für das Leichte der Zunge, und die Zärtlichkeit des Ohrs. Sie verflittert, ründet, schleift und entstellt die Wurzelwörter; und lacht iezt der Bedeutung, die einmal im Wort selbsten soll gelegen sein. [...] Das Regelmäsige mus der Feinheit weichen, und der Eigensinn der Gegenden und der Unkunde entscheidet eigenmächtig, oft gegen alle Gründe. [...] Man schöpft lieber aus fremden, als pöbelhaften und obsoleten Quellen. (Fulda 1776, S. 435) „Leipzig“ wird also zum Synonym eines Sprachgebrauchs, der allen Bemühungen um eine sprachliche Kultivierung des Deutschen aus seinen eigenen Quellen spottet, in dem Provinzialismen gemieden werden, in dem ausländisches Sprachgut dem deutschen vorgezogen wird. Und weil Sprachausbau mittels fremden Sprachguts den Verlust der Eigentlichkeit bedingt, so das sprachkritische Argument, könne das Obersächsische nicht Leitvarietät sein. Der sächsische Sprachgebrauch war Adelungs Kontrahenten freilich nur ein Symptom einer viel tiefer gehenden Krise. Im kulturkritischen Argument deuteten die süddeutschen Sprachkundler die Kultiviertheit Sachsens als eine Überfeinerung, eine Verzärtelung nach französischem Vorbild. Auch hier erwies sich die Referenz auf das Lebensaltermodell als produktiv, denn die vermeintliche kulturelle Fortschrittlichkeit, mit der Adelung die sprachliche Hegemonie Obersachsens begründete, konnte als Sittenverfall diffamiert werden. So schrieb Schubart in der Deutschen Chronik: Sachsen hat schon offt den verdorbenen Geschmack in Deutschland hergestellt; aber offt auch sehr vieles durch seine übertriebene Verfeinerungssucht verdorben. Man denke an Bodmers und Gottscheds Zeiten. Jetzt wandeln sie wirklich auf einer Straße, die gar nicht deutscher Fahrweg ist. Französische Carossen rollten drauf, man sieht's an den seichten Furchen. (Schubart 1774 u. 1775-1777, Bd. 1, S. 349f.) Die Kulturkritik vollzog sich dabei durchaus in moralischen Kategorien. So schloss Fulda an seine Kritik an der Beschaffenheit der Sprache im Greisenalter, in dem er das Obersächsische sah, folgende Beschreibung der sittlichen Verhältnisse an: Die überhäufte Menge der Gegenstände ermattet die menschliche Sele, [sic! ] die nicht stärker worden ist, noch werden kan. Und die unendlichen Bedürfnisse, wie man Nothdurft, Bequemlichkeit und Pracht, dem Stande nach, ohne Unterschied zu nennen beliebt, stürzen sie in tausend Widersprüche. [...] O Göz von Berlichingen! Gröse, Gesundheit, Kräfte, Sorgenlosigkeit, Freiheit, Einfalt, Frugalität - sind verlohren oder pöbelhaft. (Fulda 1776, S. 435) <?page no="107"?> Adelung und seine Gegner 107 Für ihn fungierte demnach das in literarischer Form erinnerte Mittelalter von Goethes „Götz von Berlichingen“ als positives Gegenbild zum gegenwärtigen „Stand der Weichlichkeit“. So wie das Deutsch des Mittelalters dem überfeinerten Obersächsischen gegenübergestellt wurde, so sollten die gegenwärtigen Sitten durch die Vergegenwärtigung vergangener kultureller Stufen kritisiert und gebessert werden. Sprachgeschichte und Kulturgeschichte stehen demnach im Dienst eines kontrapräsentischen Erinnerns, das auf die Wiederherstellung der alten deutschen Sitten zielt. 8. Sprachkundliche Konzepte im Licht der Geschichtsphilosophie Die Analyse der Sprachnormendebatte zwischen Adelung und den schwäbischen Sprachkundlern zeigt, welche Bedeutung geschichtsphilosophische Modelle für das Verständnis der unterschiedlichen Auffassungen von Sprache haben. Ich will im Folgenden anhand zweier Konzepte des späten 18. Jahrhunderts - dem Konzept der Cultur und dem der Bearbeitung - zeigen, wie grundlegend sich diese geschichtsphilosophischen Überlegungen auf das Denken über Sprache auswirkten und wie sie als mentalitäre Dispositionen die sprachkundliche Praxis selbstverständlich beeinflussten. Im Anschluss an diese Rekonstruktion wird es möglich sein, die Frage zu beantworten, welche Bedeutung Adelung für die gegenwärtige Linguistik haben kann. Zunächst also zum Konzept der Cultur. In seinem „Versuch einer Geschichte der Kultur des menschlichen Geschlechts“ definiert Adelung: „Cultur ist mir der Übergang aus dem mehr sinnlichen und thierischen Zustande in enger verschlungene Verbindungen des gesellschaftlichen Lebens.“ (1782b, S. *3). Das für die folgende Argumentation entscheidende an dieser Definition ist die Bestimmung des genus proximum als „Übergang“, wodurch „Cultur“ als ein Prozess definiert wird. Dies unterscheidet den „Cultur“-Begriff der Spätaufklärung fundamental vom Kulturkonzept in den gegenwärtigen Sozial- und Kulturwissenschaften, die „Kultur“ als ein Bedeutungsgewebe (Geertz 1983) bestimmen, das durch eine Menge sozialer Performanzen hervorgebracht und immer wieder aktualisiert wird (Fischer-Lichte 1998). Dass „Cultur“ für Adelung obendrein noch eine normative Ladung hat, zeigen seine weiteren Ausführungen: Zur Cultur gehören vornehmlich fünf Stücke: 1. Abnahme der Leibesstärke und Verfeinerung des thierischen Körpers. [...] 2. Allmähliche Abnahme der sinnlichen oder dunkeln Begriffe und ihrer Herrschaft, und 3. eben so allmäh- <?page no="108"?> Joachim Scharloth 108 liche Zunahme der deutlichen Begriffe, oder der vernünftigen Erkenntniß, und ihrer Herrschaft über die vorigen. 4. Verfeinerung und Milderung der Sitten; und 5. in den höchsten Graden der Cultur, Bildung des Geschmacks. (Adelung 1782b, S. *3f.) Durch die Verwendung deontischer Begriffe wie Verfeinerung, Milderung und Bildung in Kombination mit der Zunahme deutlicher Begriffe und „vernünftiger Erkenntniß“ positioniert er den Cultur-Begriff im Rahmen der Perfektibilitätssemantik. Wie sehr das Cultur-Konzept auch das sprachkundliche Denken Adelungs prägte, zeigt sich an einem Aufsatz Adelungs aus dem „Magazin für die Deutsche Sprache“, der „Beweis der fortschreitenden Cultur des menschlichen Geistes aus der Vergleichung der ältern Sprachen mit den neuern“ (Adelung 1782a) überschrieben ist. Darin erläutert er an ausgewählten Beispielen, inwiefern die lexikalische und grammatikalische Beschaffenheit älterer Sprachen, besonders des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen, als Symptome für die geringere Deutlichkeit dieser Sprachen aufgefasst werden können. Beispielsweise nimmt er den „sorgfältigen und bestimmten Gebrauch der Artikel, der Pronominum, der Hülfswörter u.s.f. in den neuern Sprachen“ als Zeichen für den „Fortschritt des menschlichen Verstandes in der Klarheit und Deutlichkeit seiner Begriffe“ (ebd., S. 17). Auch die Entwicklung der Sprachen hat demnach Anteil an jenem Prozess, den Adelung als „Cultur“ bezeichnet, am Prozess der Verfeinerung der Sitten und am Ausbau des Repertoires begrifflicher Werkzeuge zur Wirklichkeitserschließung. Wie aber bestimmt Adelung die Rolle des Sprachkundlers in diesem Prozess? Diese Frage leitet über zum zweiten Konzept, das im Kontext der Geschichtsphilosophie der Spätaufklärung analysiert werden soll, dem Konzept der Bearbeitung. In seinem programmatischen Aufsatz „Über die Bearbeitung der deutschen Sprache im Elsass, Breisgau und den benachbarten Gegenden“ (1776) schrieb Jakob Michael Reinhold Lenz: „Mir scheinen in unserer Sprache noch unendlich viele Handlungen und Empfindungen unserer Seele Namenlos, vielleicht weil wir bisher als geduldige Bewunderer aller Fremden uns mit auswärtigen Benennungen für einheimische Gefühle begnügt haben [...]“ (ebd., S. 60). Lenz reproduziert hier den Topos der patrii sermonis egestas, den Topos von der Armut der Muttersprache, 15 der im Untersuchungszeitraum zu einem wesentlichen Movens der sprachkundlichen Praxis avanciert war. Auch Adelung stellte in seiner Wörterbuchvorrede fest, die obersächsische 15 Die Geschichte dieses Topos in der Antike verfolgt Foegen (2000). <?page no="109"?> Adelung und seine Gegner 109 Mundart „ist arm an Wörtern, arm an Bedeutungen der vorhandenen Wörter, arm an Wortfügungen, Beugungen und Verbindungen, einen Begriff nach allen seinen Schattierungen geschickt auszudrucken“ (Adelung 1774, S. X). Und Leonhard Meister konstatierte in seinen „Beyträgen zur Geschichte der teutschen Sprache und National-Litteratur“ (1780): „Aus der Berechnung der Armuth oder des Reichthums an Wörtern, der Einförmigkeit oder der Mannigfaltigkeit an Wortfügungen ergiebt sichs, daß die teutsche Sprache erst seit weniger Zeit anfängt, eine gelehrte, ausgebildete Sprache zu werden.“ (ebd., Bd. II, S. 40). Das Deutsche bedurfte also nach Auffassung aller am sprachreflexiven Diskurs Beteiligten der Bereicherung. Daraus ergab sich für den Sprachkundler eine Verpflichtung, die Johann Peter Miller im „Handbuch zu gemeinnützlicher Bildung und Unterweisung der Jugend in öffentlichen Schulen“ wie folgt formulierte: „Eine gute Grammatik muß uns zu der möglichen Vollkommenheit einer Sprache führen” (Miller 1773, S. 21). Diese Aufgabe, die sich für Sprachkundler, Literaten und andere Publizisten im 18. Jahrhundert in Bezug auf die deutsche Sprache stellte, wurde neben „Bearbeitung“ mit Bezeichnungen wie „Kultivierung“ (Friedrich II. 1781, S. 10, 46), „Verfeinerung“ (Adelung 1782b, S. 462f; 1785, S. 16), „Ausbildung“ (Friedrich II. 1781, S. 17), „Verbesserung“ (Fulda 1774c, S. 38, Popowitsch 1780, S. *1) oder gar „Vervollkommnung“ (Afsprung 1781, S. 5) belegt. Jede dieser Bezeichnungen beschreibt eine absichtliche Tätigkeit, einen steuernden, gerichteten Eingriff in das Gefüge der Sprache, die meisten Bezeichnungen sogar eine bewusste Veränderung zum Guten. Die Formulierung einer Norm des Hochdeutschen sollte also dessen Verbesserung dienen. Wollte man diese Haltung der Teilnehmer am Sprachnormendiskurs in die heute gängige sprachwissenschaftliche Terminologie fassen, so müsste man darauf verweisen, dass für das 18. Jahrhundert Normierung und Standardisierung gleichbedeutend waren mit Sprachausbau und sprachlicher Kultivierung. Vor dem Hintergrund des Ideologems der Interdependenz von Sprache und Cultur bedeutet dies: Die Formulierung einer Norm des Hochdeutschen geschah mit dem Ziel, eine Verbesserung der kulturellen und sittlichen Verhältnisse in Deutschland herbeizuführen. Sprachnormierung stand im Dienst der Perfektibilität. 9. Fazit Ist Adelung also der Vater einer kulturanalytisch interessierten soziopragmatischen Sprachgeschichte? Steht er gar am Beginn der modernen Sprachwissenschaft? Betrachtet man Adelungs Sprachdenken vor dem Hintergrund der <?page no="110"?> Joachim Scharloth 110 geschichtsphilosophischen Annahmen, die seine Schriften prägen, so müssen beide Fragen wohl verneint werden. Adelungs Fortschrittsoptimismus und seine Deutung sprachlicher und kultureller Entwicklungen im Modell der Perfektibilität, öffnen eine Kluft zur gegenwärtigen deskriptiven Sprachwissenschaft, die einen produktiven Brückenschlag kaum zulässt. Auch das im Rahmen der Perfektibilitätssemantik formulierte Ziel, mittels Sprachnormierung zu Aufklärung und Verbesserung der Sitten beizutragen, dürften die allerwenigsten Sprachwissenschaftler heute teilen, zumal Adelungs Ambitionen als Aufklärer doch eher bescheiden waren: Aufklärung des Volkes ist ein anderes Steckenpferd der neuern Zeiten, welches eben so schädlich werden kann, als Überfüllung an Volksmenge. Vermehrte Erkenntniß, vermehret die Begierden; mehr Begierden, als man in seinem Stande bequem befriedigen kann, veranlasset Mißvergnügen mit seinem Schicksale, Drang nach den höhern Classen, Übertretung der Gesetze, Laster und Zügellosigkeit der Sitten. [...] Man gebe einer jeden Classe nur gerade so viel Aufklärung, als sie zu ihrem Stande gebraucht, und lasse ihr in allem übrigen ihre Vorurtheile, weil sie ihr wohlthätig sind. (Adelung 1782b, S. *13f.) 10. Literatur 10.1 Quellen - Adelung Adelung, Johann Christoph (1771): Unterweisung in den vornehmsten Künsten und Wissenschaften zum Nutzen der niedern Schulen. Frankfurt a.M./ Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1774): Vorrede. In: Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Erster Theil. Leipzig, S. I - XVI . Adelung, Johann Christoph (1781): Über die Geschichte der deutschen Sprache, über deutsche Mundarten und deutsche Sprachlehre. (= Vorabdruck der „Einleitung“ zum Allgemeinen Lehrgebäude 1782). Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1782a): Beweis der fortschreitenden Cultur des menschlichen Geistes aus der Vergleichung der ältern Sprachen mit den neuern. In: Magazin für die Deutsche Sprache, I/ 1782. Leipzig, S. 3-28. Adelung, Johann Christoph (1782b): Versuch einer Geschichte der Kultur des menschlichen Geschlechts, von dem Verfasser des Begriffs menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1785): Über den deutschen Styl. Theil 1. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1793): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 2., verm. u. verb. Ausg., Theil 1: A-E. Leipzig. <?page no="111"?> Adelung und seine Gegner 111 10.2 Quellen - andere Afsprung, Johann Michael (1781): Bemerkungen über die Abhandlung von der teutschen Litteratur. Frankfurt a.M. Condorcet, Jean Antoine Nicolas de Caritat (1781 [1963]): Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes. [Dt. Übertragung. Hrsg. v. Wilhelm Alff. Frankfurt a.M.]. Friedrich II . (1781): Über die deutsche Litteratur; die Mängel, die man ihr vorwerfen kann; die Ursache derselben; und die Mittel sie zu verbessern. Übers. v. Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. In: Strobl, Johann Baptist (Hg.): Über die deutsche Litteratur. König Friedrich, Jerusalem, Tralles. München, S. 1-50. [Zuerst unter dem Titel: De la littérature allemande. Des défauts qu'on peut lui réprocher; quelle en sont les causes; et par quels moyens on peut les corriger. Berlin 1780]. Fulda, Friedrich Karl (1774a): Einige Bemerkungen zur Kenntniß der teutschen Sprache. In: Litterarische Briefe an das Publikum. Drittes Paquet. Altenburg. S. 74-82. Fulda, Friedrich Karl (1774b): Grundriß zu einem Würtembergischen Idioticon. In: Gelehrte Ergötzlichkeiten und Nachrichten, 1/ 1774, S. 195-202. Fulda, Friedrich Karl (1774c): Über die beyden Hauptdialecte der Teutschen Sprache. In: Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Erster Theil. Leipzig, S. 1-61. [Diese Schrift wurde 1771 verfasst und erschien erstmals 1773]. Fulda, Friedrich Karl (1774d): Untersuchung der schwäbischen Mundart. In: Gelehrte Ergötzlichkeiten und Nachrichten, 1/ 1774, S. 67-83. Fulda, Friedrich Karl (1776): Sammlung und Abstammung germanischer Wurzelwörter, nach der Reihe menschlicher Begriffe, zum Erweis der Tabelle, die der Preisschrift über die zween Hauptdialekte der deutschen Sprache angefügt worden ist, von dem Verfasser derselben. Hrsg. v. Johann Georg Meusel et al. Halle. Fulda, Friderich Carl [sic! ] (1778): Grundregeln der Teutschen Sprache. Stuttgart. Fulda, Friedrich Karl (1788): Versuch einer allgemeinen teutschen Idiotikensammlung. Berlin/ Stettin. Hartmann, Gottlieb David (1769 u. 1774): Litterarische Briefe an das Publikum. Altenburg. Hartmann, Gottlieb David (1774a): Über Fuldas Preisschrift über die beiden Hauptdialecte der teutschen Sprache. In: Litterarische Briefe an das Publikum. Zweytes Paquet. Altenburg, S. 126-152. Hartmann, Gottlieb David (1774b): Vier Briefe über die Geschichte der Menschheit. In: Litterarische Briefe an das Publikum. Zweytes Paquet. Altenburg, S. 1-33. <?page no="112"?> Joachim Scharloth 112 Hartmann, Gottlieb David (1774c): Vorbericht. [Rezension zu Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart]. In: Litterarische Briefe an das Publikum. Drittes Paquet. Altenburg, S. *1-*64. Herder, Johann Gottfried (1766 [1985]): Über die neuere deutsche Litteratur. Fragmente. (= Schriften zur Literatur 1). Hrsg. v. Regine Otto. [Ersch. in: Herder, Johann Gottfried (1985): Ausgewählte Werke in Einzelausgaben]. Berlin/ Weimar. Lenz, Jakob Michael Reinhold (1776 [1987]): Über die Bearbeitung der deutschen Sprache im Elsaß, Breisgau und den benachbarten Gegenden. In: Flüchtige Aufsäzze von J.M.R. Lenz. Hrsg. v. Georg Kayser. Zürich, S. 55-69. [Nachdr. in: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Werke und Briefe in drei Bänden. Hrsg. v. Sigrid Damm. Bd. 2. Leipzig, S. 770-777]. Meister, Leonhard (1780): Beyträge zur Geschichte der teutschen Sprache und National-Litteratur. 2 Theile. Heydelberg. Miller, Johann Peter (1773): Handbuch zu gemeinnützlicher Bildung und Unterweisung der Jugend in öffentlichen Schulen. Ulm. Nast, Johannes (1778): Grundsäze zur endlichen Berichtigung der teütschen Rechtschreibung. In: Der teutsche Sprachforscher. 2. Teil, S. 114-220. Popowitsch, Johann Siegmund Valentin (1780): Versuch einer Vereinigung der Mundarten von Teutschland als eine Einleitung zu einem vollständigen Teutschen Wörterbuche. Wien. Schubart, Christian Friedrich Daniel (1774 u. 1775-1777 [1975]): Deutsche Chronik [ab 1776 unter dem Titel Teutsche Chronik]. Augsburg/ Ulm (1775-77). [Faksimiledr. m. e. Nachw. hrsg. v. Hans Krauss. 4 Bde. (= Deutsche Neudrucke. Reihe: Goethezeit). Heidelberg]. Turgot, Anne Robert Jacques (1750 [1990]): Über die Fortschritte des menschlichen Geistes. [Dt. Ausg. hrsg. v. Johannes Rohbeck u. Lieselotte Steinbrügge. 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Doris Kolesch, S. 13-29. Foegen, Thorsten (2000): Patrii sermonis egestas: Einstellungen lateinischer Autoren zu ihrer Muttersprache. Ein Beitrag zum Sprachbewusstsein in der römischen Antike. (= Beiträge zur Altertumskunde 150). München/ Leipzig. Geertz, Clifford (1983): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a.M. Henne, Helmut (1968): Das Problem des Meißnischen Deutsch oder ‘Was ist Hochdeutsch’ im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Mundartforschung 35, S. 109-129. Jellinek, Max Hermann (1913): Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik bis auf Adelung. 2 Halbbde. (= Germanische Bibliothek 2, 7). Heidelberg. Lerchner, Gotthard (1984): Zur sprachgeschichtlichen Bedeutsamkeit der Auseinandersetzung zwischen Wieland und Adelung. In: Bahner, Werner (Hg.): Sprache und Kulturentwicklung im Blickfeld der deutschen Spätaufklärung. Der Beitrag Johann Christoph Adelungs. (= Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. 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Berlin/ New York, S. 417-442. <?page no="115"?> Peter Wiesinger Die Rezeption und Wirkung von Johann Christoph Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ in Österreich Obwohl der gebürtige Pomorane und Wahlsachse Johann Christoph Adelung (1732-1806) kaum Beziehungen zu Österreich hatte, beeinflusste er durch seine orthographischen, grammatikalischen, stilistischen und lexikographischen Werke vom ausgehenden 18. bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts die Entwicklung der deutschen Schriftsprache des Landes wie kein weiterer Sprachforscher. Schon 1799 nahm der Wiener Piaristen-Lehrer und spätere Magistratsbeamte Franz Anton Gaheis in sein aus den zeitgenössischen Werken gezogenes „Kleines Wörterbuch der deutschen Sprache und Rechtschreibung für jedermann“ als einzigen Familiennamen jenen Adelungs auf und schrieb erläuternd dazu: Johann Christoph Adelung ist der größte deutsche Sprachlehrer unserer Zeit. Adelungsche Grundsätze sind solche Regeln der deutschen Sprache, die Adelung in seinen Schriften anwendet oder empfiehlt. (Gaheis 1799, S. 10) Adelungs sprachwissenschaftliche Werke, die in Österreich - und dies zum Teil mehrfach - nachgedruckt wurden, Zusammenfassungen, Neubearbeitungen und Ergänzungen erfuhren und neue weiterführende Darstellungen anregten, waren die folgenden: „Deutsche Sprachlehre“ (1781a), „Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen“ (1781b), „Ueber den Deutschen Styl“ (1785), „Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie“ (1788b), „Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung“ (1788c), „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ (1774-1786) und vor allem dessen Neubearbeitung als „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ (1793-1801). Die Nachdrucke fingen 1782 an, ihnen schlossen sich ab 1784 Berücksichtigungen der „Adelungschen Grundsätze“ in Sprachratgebern und Schulbüchern an, ehe 1819 Neubearbeitungen begannen. Sie setzten sich bis 1846 fort, obwohl auf Grund der neu aufgekommenen sprachhistorischen Betrachtung der deutschen Sprache und neuer grammatischer Darstellungen der Adelung'sche Einfluss ab den 1830er Jahren merklich zurückging. Mit der ab dem Revolutionsjahr 1848 sich grundle- <?page no="116"?> Peter Wiesinger 116 gend ändernden Kultur- und Schulpolitik entstanden dann vor allem neue Schulbücher, die den neuen sprachwissenschaftlichen Entwicklungen folgten. Dennoch wurde mangels eines neuen handlichen Wörterbuches noch 1876 eine entsprechende Adelung'sche Bearbeitung nochmals nachgedruckt. Im Folgenden untersuchen wir bloß die Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ in Österreich und damit insbesondere die Festlegung eines schriftsprachadäquaten Wortschatzes. Das ist deshalb von grundlegender Bedeutung, weil es gegenüber dem ostmitteldeutsch-norddeutschen Wortgebrauch Adelungs oberdeutsch-österreichische lexikalische Unterschiede gibt. Das aber löste die Frage nach der gültigen Norm aus. Sie wurde unterschiedlich beantwortet, und bekanntlich gibt es im Rahmen der standardsprachlichen Varietäten heute noch das österreichische Deutsch. Die österreichische Rezeption und Wirkung der weiteren sprachwissenschaftlichen Werke Adelungs bleibt einer eigenen Darstellung „Johann Christoph Adelung und Österreich - Die Rezeption und Wirkung seiner sprachwissenschaftlichen Werke“ vorbehalten, die als Band 39 der „Schriften zur deutschen Sprache in Österreich“ im Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main und Wien, erscheinen soll. Von größter Bedeutung für eine korrekte hochdeutsche Schriftsprache in Österreich wurde Adelungs Festlegung eines hochdeutschen Wortschatzes in der 2. Auflage seines „Grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ von 1793-1801. Dabei ging es zwar auch um die wortweise Festlegung von Orthographie und Grammatik der einzelnen Stichwörter, deren allgemeine Regeln Adelung in der „Deutschen Sprachlehre“ (1781a) und in der neubearbeiteten „Vollständigen Anweisung zur deutschen Orthographie“ (1788b) und als knappes Nachschlagewerk in dem dazugehörigen „Kleinen Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung“ (1788c) beschrieben hatte, aber wesentlich war hier die Frage, welcher Wortschatz angesichts der herrschenden landschaftlichen Heteronymie als hochdeutsch und damit als normgerecht und verbindlich zu gelten habe. Adelungs Vorgangsweise war schon im vorangegangenen „Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ von 1774-1786 so, dass er den auf dem Obersächsischen der sozialen Oberschicht basierenden Wortgebrauch als „hochdeutsch“ qualifizierte und ihn, wie es schon im erweiterten Titel des Wörterbuches heißt, durch „beständige Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen“ <?page no="117"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 117 deutlich von den Heteronymen in den anderen deutschen Sprachlandschaften absetzte. Außerdem nahm Adelung eine fünffache soziologisch-stilistische Klassifizierung des Wortschatzes vor und unterschied: 1. die höhere oder erhabene Schreibart, 2. die edle; 3. die Sprechart des gemeinen Lebens und vertraulichen Umganges; 4. die niedrige; und 5. die ganz pöbelhafte. In der 2. Auflage vermerkte Adelung noch zusätzlich mit Sternchen * zu meidende „veraltete oder nur in besonderen Fällen übliche“ und mit Kreuz † „niedrige“ Ausdrücke. Damit aber gab Adelung hinsichtlich des bis dahin nicht geregelten Wortgebrauches erstmals nachvollziehbare Normen dafür, was als „hochdeutsch“ zu gelten habe und was nicht. Adelungs Verfahren wurde in Österreich unterschiedlich beurteilt. Auf der einen Seite gab es zweifellos einen größeren Teil, der im Sinne der Ausrichtung auf einen korrekten Sprachgebrauch nicht nur die Orthographie und die Grammatik, sondern auch den schriftsprachlichen Wortschatz normiert wissen wollte und dies allen voran die Schule und die Sprachpfleger. Auf der anderen Seite traten vaterländisch bewusste Österreicher nicht nur für die Beibehaltung der österreichischen Sprechtradition ein, sondern konnten auch nicht erkennen, inwiefern der gepflegte heimische Wortschatz „provinziell“ und damit schlechter sein sollte als der von Adelung als „hochdeutsch“ propagierte obersächsische. Obwohl sich ein ständiges Für und Wider findet, nahm der diesbezügliche Adelung'sche Einfluss seit den 1830er Jahren deutlich ab. Dazu dürften die geschichtlichen Entwicklungen nicht unwesentlich beigetragen haben. Nachdem Kaiser Franz 1804 das selbstständige österreichische Kaisertum geschaffen und 1806 das Hl. Römische Reich aufgelöst hatte, begann einerseits eine patriotische Besinnung auf die österreichische Monarchie, deren Vielfalt sich u.a. die 1808 ins Leben gerufenen „Vaterländischen Blätter für den österreichischen Kaiserstaat“ widmeten. Andererseits entwickelte sich im 1815 gegründeten Deutschen Bund allmählich eine politische Polarisierung zwischen Österreich und dem aufstrebenden Preußen. Warum sollte man dann dem nördlichen (wenn auch nicht preußischen) Wortgebrauch folgen und den heimischen als schlechter erachten? Obwohl die politischideologischen Anschauungen der Österreicher sich allmählich spalteten und schließlich in die „kleindeutsche“ und „großdeutsche“ Richtung mündeten, bestanden bezüglich der Sprache solche geteilte Auffassungen seit dem Be- <?page no="118"?> Peter Wiesinger 118 kanntwerden von Adelungs „Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ und erst recht seit der genau zur Kenntnis genommenen 2. Auflage. 1 Der erste, der Adelungs Festsetzungen eines „hochdeutschen“ Wortgebrauches gegen den „oberdeutschen“ in Österreich wahrnahm, war 1784 Joseph von Sonnenfels in seinem Lehrbuch „Ueber den Geschäftsstyl“. Wahrscheinlich war ein Briefwechsel mit Adelung wegen der Widmung der „Geschichte der Philosophie“ an Sonnenfels für diesen Anlass, sich Adelungs sprachwissenschaftliche Werke näher anzusehen. Hatte Sonnenfels in der 1. Auflage noch die österreichisch-oberdeutschen kanzleisprachlichen verlängerten pluralischen Artikelformen deren, denen Fremden empfohlen, so ließ er sie in der ein Jahr später erschienenen 2. Auflage mit Bezug auf Adelung zugunsten der einfachen fallen. Zum Wortschatz bemerkte Sonnenfels schon in der 1. Auflage: Die österreichische Provinzialsprache würde an brauchbaren Wörtern nicht eben den kleinsten Beitrag machen [...] Überhaupt sind Schriftsteller und Rezensenten mit dem Namen Provinzialwort zu freygebig: warum Provinzialwort, wenn es der Ableitung nach richtig, und, obgleich nicht überall gebraucht, dennoch überall verstanden wird? warum z.B. wäre Rauchfang nicht so gut als Schorstein [sic! ], Tischler als Schreiner, Fleischhauer wohl noch eigenthümlicher als Mezger, Heckenbeer (woraus das hierländische Landvolk Etschbetsch [...] macht) ohne Zweifel deutscher als der englische Halbbastard Hambutte [...]? Warum Provinzialwort, ein Wort, dessen Begriff die allgemeine Sprache sonst ganz nicht geben kann? wie z.B. das österreichische Sutten, eine eingesessene Strecke Erdreichs, weniger als ein Thal, mehr als eine Grube, und noch keine Tiefe. (Sonnenfels 1784, S. 49) Sonnenfels argumentiert zuletzt wie einstens Popowitsch, der die lexikalisch defizitäre Schriftsprache mit Provinzialwörtern bereichern wollte und diese auch sammelte. 2 Sind aber Provinzialwörter nach Bildung und Bedeutung ebenso richtig wie Adelungs „hochdeutsche“ Wörter, so sieht Sonnenfels in deren Gebrauch keinen Vorteil. Adelung aber wertete Rauchfang als Provinzialwort in Baiern und andern Oberdeutschen Gegenden gegenüber „hochdeutschem“ Schorstein (sic! ) ab. Ähnlich verfuhr Adelung mit Tischler und oberdeutschem Schreiner. Gegenüber Hagebutte waren für Adelung Hambutte, Hätschpätsch in Baiern und Hetscherl um Wien verderbte Formen. 1 Zum Verhältnis von Sprache und Nation in Österreich im 18./ 19. Jahrhundert vgl. Wiesinger (2000, S. 527-536) (= Wiesinger 2006, S. 387-394). 2 Aus Popowitschs Sammlungen, die Reutner 2004 neu herausgab (Popowitsch 2004), vgl. den zeitgenössischen Auszug Popowitsch (1780). <?page no="119"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 119 Schließlich zog Adelung den obersächsischen Fleischer dem Metzger und Fleischhacker im Oberdeutschen und auch einem Fleischhauer vor. Noch in anderer Weise polemisierte Sonnenfels gegen Adelung und war nicht bereit, das Oberdeutsche hintanzustellen. Gegenstand ist die kanzlistische österreichische Bezeichnung Stelle für ein Amt, für die Adelung nur ein Fremdwort in Deutschland bieten kann, was für Sonnenfels kein guter, vorbildlicher Sprachgebrauch ist. Während sich Sonnenfels in der 1. Auflage von 1784 noch sehr dezidiert gegen Adelung ausspricht, schwächte er dies in der 2. Auflage von 1785 wohl mit Rücksicht auf die vorgesehene Widmung der „Geschichte der Philosophie“ deutlich ab. So heißt es 1784: H[err] Adelung hat in seinem Versuche eines grammatisch-kritischen Wörterbuchs, bereits angemerkt, daß in den österreichischen Staaten Stelle für das in dem übrigen Deutschlande gewöhnliche Collegium (oder Department) gebraucht werde. Er hätte hinzusetzen können, daß dieses vaterländische Wort vor dem lateinischen oder französischen Fremdlinge den Vorzug verdient [...]. (Sonnenfels 1784, S. 4) Obwohl schon Adelungs „Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ von 1774-1786 für Österreich 1788 von Johann Georg Traßler in Brünn nachgedruckt worden war, gewann erst die 2. Auflage von 1793-1801 Bedeutung, nachdem 1794 Adelungs Rechtschreibung von der Schule aufgegriffen worden war und dazu auch Adelungs „Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung“, das später nicht nur bearbeitet wurde, sondern von Anfang an als handliches Nachschlagewerk in Mößles Nachdruck auch in Fragen der wortweisen Grammatik die notwendige Hilfe leistete. Ob das kaiserliche Privileg für die 2. Auflage des großen „Wörterbuches“ tatsächlich seinen angestrebten Nutzen hatte und vor Nachdrucken schützte, ist nicht geklärt. Jedenfalls erschienen die beiden ersten Bände 1793 und 1796 gleichzeitig mit der Leipziger Ausgabe bei Johann Gottlob Immanuel Breitkopf bzw. Breitkopf, Sohn und Compagnie auch im Wiener Verlag von Christian Friedrich Wappler, während die Bände 3 und 4 von 1798 und 1801 nur mehr die neue Verlagsangabe Breitkopf und Härtel in Leipzig tragen. Außerdem bot es den schriftsprachlich abzulehnenden oberdeutschen Wortschatz, so dass es im Zweifelsfall stets möglich war, die richtige Entscheidung zu treffen. Bevor noch die 2. Auflage von Adelungs großem „Wörterbuch“ vollständig vorlag, war wie schon 1788 mit der Rezeption von Adelungs Orthographie wieder der unter dem Pseudonym Franz Xaver Samuel Riedl erschienene <?page no="120"?> Peter Wiesinger 120 „Wienerische Sekretär auf alltägliche Fälle“ des Verlegers Joseph Gerold 3 ein Vorreiter in der Propagierung eines schriftsprachegemäßen Wortschatzes, indem er Adelungs stilistische Empfehlung der Ablehnung von Provinzialismen tatkräftig aufgriff. Ab der 5. neubearbeiteten Auflage von 1798 4 enthielt das Werk ein umfängliches, über 1000 Beispiele umfassendes „Verzeichniß schlechtdeutscher österreichischer Provincial-Wörter, und Redensarten, welche mit den daneben gesetzten sollen vertauscht werden“. Wie schon Johann Heinrich Gottlob von Justi in seiner während seiner Wiener Lehrtätigkeit erarbeiteten „Anweisung zu einer guten Deutschen Schreibart“ von 1755, deren 2. Auflage von 1758 Johann Thomas von Trattner 1774 in Wien nachdruckte, mangels klarer Kriterien nicht zwischen im gepflegten Umgang und in der Schrift gebräuchlichen Provinzialwörtern und niedrigen Pöbelausdrücken unterscheiden konnte, 5 so zeigt sich auch hier ein unklassifiziertes Nebeneinander. Lässt man unter den hier genannten über 1000 Ausdrücken reine Dialektaussprachen und Dialektwörter beiseite wie Aaar : Eier; Ante : Ente; affi : hinauf; ausfratscheln : ausforschen; Erchtag : Dienstag; oes : ihr; stahd : still usw., so handelt es sich weitestgehend um Ausdrücke, die Adelung als oberdeutsch oder als in Baiern und/ oder Österreich gebräuchlich nennt und die deshalb als nicht „hochdeutsch“ abzulehnen sind. Ebenso werden in Österreich gebräuchliche, jedoch von Adelung als veraltet oder außer Gebrauch kommend bezeichnete Ausdrücke ersetzt. Wie hier vorgegangen wird, soll eine einschlägige Auswahl von Beispielen zeigen, die eindeutig aus den beiden ersten Bänden von Adelungs „Grammatischkritischem Wörterbuch“ stammen, wobei wir Adelungs entsprechende Hinweise, zum Teil verkürzt, in Klammern hinzufügen. Aehnl : Ahnfrau, Großmutter (A II, 818 Großmutter: obdt. Ahn, Ahnfrau) ausrichten : Böses nachreden (A I, 627 ausrichten: veraltet, jemanden verläumden) Binder : Bötticher (A I, 1139 Bött(i)cher: obdt. Binder) Blunzen : Blutwurst (A I, 1101 Blutwurst: obdt. Plunze) Bube : Knabe (A II, 1648 Knabe: niedrige Schreibart Bube; Bube I, 1233: obdt.) Bußerl : Kuß (A II, 1848 Kuß: in den gemeinen Maa. Bussel) 3 Zum Pseudonym Riedl vgl. die ausführliche Anm. 56 bei Wiesinger (1995, S. 345ff.). 4 Leider fehlt in den benützten Bibliotheken die 4. Auflage, doch dürfte - nach der „Vorrede“ zu schließen - erst die 5. Auflage eine tiefgreifendere Neubearbeitung erfahren haben. 5 Vgl. Wiesinger (2007, S. 113). <?page no="121"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 121 Dudelsack : Sackpfeife (A III, 1241 Sackpfeife: im gemeinen Leben auch Dudelsack) sich entblöden : sich unterstehen (A I, 1817 sich entblöden: sich erkühnen, sich unterstehen; fängt im Hochdeutschen zu veralten an) Fasching : Fastnacht (A II, 56 Fastnacht: im Obdt. Fasching) Fetzen : Lappen, Hader (A II, 125 Fetzen: in den gemeinen Maa. besonders Oberdeutschlands, ein abgeschnittenes oder abgerissenes Stück vom Ganzen. A II, 1907 Lappen: ein herabhängendes Stück Zeuges [...], im Obdt. ein Fetzen) Fisolen : Bohnen (A I, 1116 Bohnen: Türkische Bohnen, auch Faselen genannt) Ganaußer : Gänserich (A II, 406 Gänserich: in Österreich Gonaus) Germ, Gerben : Hefen (A II, 1055 Hefen: obdt. Germ, bairisch Gerben) Karfiol : Blumenkohl (A I, 1308 Carfiol: besonders in obdt. Gegenden übliche Benennung des Blumenkohls) Kanzel : Katheder eines Professors (A II 1495 Kanzel: im Obdt. jeder Lehrstuhl, wofür im Hochdeutschen das griechische Katheder üblich ist) Kirda, Kirchtag : Kirchweihfest (A II, 1589 Kirchweihe: im Österreichischen Kirchtag) klieben : spalten (A II, 1628 klieben: im Hochdeutschen ist dafür spalten üblich) Knödel : Klösse (A II, 1640 Kloß: in Oberdeutschland Knödel) Koch : Brey (A II, 1678 Koch: im Obdt. ist das Koch, der Brey) Krehn : Meerrettig (A III, 140 Meerrettig: Im Obdt. wird der Meerrettig Grän, Krän, Grien, Krien genannt) Marille : Aprikose (A I, 244 Amarelle: eine Art kleiner gelber Aprikosen, welche [...] auch Marille, genannt wird, obgleich andere alle Aprikosen überhaupt [...] Marillen [...] nennen) Limonien : Citronen (A II, 2070 Limone oder Limonie: im gemeinen Leben pflegt man alle eingemachte Früchte des ganzen Citronengeschlechtes Limonien, alle grüne und frische Früchte aber Citronen zu nennen) Ribisel : Johannisbeere (A II, 1637 Johannisbeere: in Österreich Ribisel). Das Verzeichnis österreichischer Ausdrücke, die zugunsten der Adelungschen „hochdeutschen“ Benennungen zu meiden sind, wurde dem „Wienerischen Sekretär“ durch mindestens 10 Jahre bis zur 8. Auflage von 1808 beigegeben. 6 6 Leider fehlen in den benützten Bibliotheken die 9. und 10. Auflage. Der 11. Auflage von 1812 wurde dieses Wörterverzeichnis nicht mehr beigegeben. <?page no="122"?> Peter Wiesinger 122 Ähnliche Anweisungen, doch ohne solche Beispiele, gab 1804 der anonyme „Grätzerische Secretär“, das steirische Gegenstück zum Wiener Werk, indem er als zu vermeidende Sprachhärten neben der unrichtigen Beugung von Substantiven und Verben empfahl, Provinzialismen und veraltete Wörter zu meiden. Zur Belehrung über die Sprachrichtigkeit verwies er in grammatikalischer Hinsicht besonders auf die 2. Auflage von Adelungs „Deutsche Sprachlehre“ von 1792, womit wahrscheinlich weniger die seither durch zwei weitere Auflagen abgelöste Berliner Originalauflage als vielmehr der Wiener Nachdruck dieses Jahres durch den Verleger Johann Thomas von Trattner gemeint war (Der Grätzerische Secretär 1804, S. 45ff.). In die gleiche Kerbe schlug 1802 der Rezensent der 1801 erschienenen „Teutschen Sprachübungen nach einer neuen Lehrart“ von Franz Anton Gaheis in den „Annalen der österreichischen Literatur“, wenn er an dem seiner Meinung nach methodisch gelungenen Werk lediglich auszusetzen hatte: Der einzige Flecken in diesem Handbüchlein ist der, [...] daß es von allen Mängeln der oberdeutschen Mundart nicht ex omni parte gereinigt ist. (Annalen der österreichischen Literatur 1802, Heft 23, Sp. 184) Da für die Fragen des korrekten hochdeutschen Wortgebrauches Adelungs gängiges, vom Wiener Verlag Johann Georg von Mößle mehrfach nachgedrucktes „(Kleines) Wörterbuch der Aussprache und Orthographie“ keine Auskunft gab, war man dafür auf das umfängliche vierbändige „Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ angewiesen. So ist es kein Zufall, dass die sichtlich große Nachfrage nach diesem Nachschlagewerk gerade in Österreich zu den einzigen Nachdrucken und dies in großen Mengen und zu billigem Preis führte. Es war zunächst der Wiener Verleger Anton Pichler, der 1807 den ersten Nachdruck der drei ersten Bände veranstaltete und diesen als Anhang bandweise Dietrich Wilhelm Soltaus „Beyträge und Berichtigungen“ von 1806 beifügte. Schon ins nächste Jahr 1808 fiel der Nachdruck des 4. Bandes, für den der Verlag Soltaus „Beyträge“ bereits durch Franz Xaver Schönberger revidieren und ergänzen ließ. Zugleich machte der rasche Absatz und die große Nachfrage 1808 eine weitere Auflage erforderlich, wofür Schönberger nun auch die den ersten drei Bänden beigegeben „Beyträge“ Soltaus durchsah und ergänzte. Schließlich veranstaltete der Wiener Verleger Bernhard Philipp Bauer 1811 noch einen dritten Nachdruck. 7 7 Über die Wiener Nachdrucke herrscht in der Literatur durch ungenaue Angaben Verwirrung. Während Henne (1970, S. XXV *f.) die Nachdrucke von Pichler von 1807/ 08 über- <?page no="123"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 123 Noch zu Adelungs Lebzeiten fand der norddeutsche Pädagoge Joachim Heinrich Campe (1746-1818) das große Werk Adelungs nicht nur hinsichtlich des deutschen Wortschatzes, sondern besonders bezüglich der fehlenden Fremdwörter als ergänzungsbedürftig. Während Campe mit Rücksicht auf Adelungs Leistungen das unter seiner Leitung von einer Gruppe von Helfern erarbeitete neue und umfänglichere „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ erst nach Adelungs Tod in fünf Bänden von 1807-11 herausbrachte, hielt er es für angebracht, das zweiteilige „Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Wörter“ als „Einen Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuch“ im gleichen Oktavformat 1801 zugleich mit dem Abschluss von Adelungs 4. Band der 2. Auflage auf den Markt zu bringen. Als 1807 der Verleger Anton Pichler in Wien den ersten Nachdruck des Adelungschen Werkes besorgte, gab dies für den Grazer Verleger Franz Xaver Miller den Anlass, sich Campes Ergänzungsband anzunehmen und ihn 1808 für Österreich nachzudrucken. Ein Jahr später, 1809, konnte Miller von Mitarbeitern einen erweiternden 3. Band erhalten und publizieren. Er bot erstmals aus umfänglicher zeitgenössischer Prosa und Fachliteratur gesammelte über 12.000 Stichwörter, und zwar weniger deutsche Wörter als hauptsächlich Fremdwörter, wobei erstere bei Campe fehlen oder dort nicht genannte weitere Bedeutungen aufweisen und letztere oftmals als lateinische medizinische und juridische Fachausdrücke sowie aus dem Französischen stammende Fremdwörter aus verschiedenen Sachgebieten in Campes Wörterbuch nicht enthalten sind. 8 Damit standen den Österreichern sowohl Adelungs Werk als auch Campes sogar erweiterte Fremdwort-Ergänzung zur Verfügung. Bald nach Bauers letztem Nachdruck setzte aber eine gewisse Unzufriedenheit mit Adelungs originalem Werk ein. Einerseits vermisste man im Vergleich zu Campes umfänglicherem und ausführlicherem neuen fünfbändigem geht, lässt Strohbach (1984, S. 27) Pichlers Nachdruck von 1808 aus. Das Bio-bibliographische Handbuch, Bd. 1 (Brekle et al. (Hg.) 1992, S. 22) versteigt sich, die beiden Auflagen Pichlers nicht nur mit den falschen Jahreszahlen 1807-1811 zusammenzufassen, sondern auch als 3. Auflage zu bezeichnen. Dementsprechend wird Bauers Nachdruck von 1811 fälschlich als 4. Auflage nummeriert. Dill (1992, S. 456) nennt als Nachdruck nur die Ausgabe Pichlers von 1808. 8 Es ist merkwürdig, dass weder Henne (1969 S. XXVI *) in seiner Einführung und Bibliographie zum Nachdruck von Campes fünfbändigem Wörterbuch noch das Bio-bibliographische Handbuch, Bd. 2 (Brekle et al. (Hg.) 1993, S. 87f.) den Grazer Nachdruck des Fremdwörterbuches und schon gar nicht den nur hier 1809 erschienenen ergänzenden 3. Teil erwähnen. <?page no="124"?> Peter Wiesinger 124 Werk sowohl den seit den 1770er Jahren vor allem durch die neueren Literaten hinzugekommenen deutschen Wortschatz als auch die von Campe gesammelten aktuellen Fremdwörter. Andererseits erwiesen sich das Quartformat und die Dicke der Bände für den täglichen Gebrauch als unhandlich, was auch sowohl für Campes Fremdwortergänzung als auch für Adelungs eigenen vierbändigen „Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart“ von 1793-1802 zutraf, der in Österreich keine Verbreitung fand. 9 Statt der Aufnahme und Verbreitung des neuen aktuelleren, doch ebenso unhandlichen Wörterbuches von Campe und seines nun selbst neubearbeiteten Fremdwörterbuches von 1813, in das er allerdings nicht die ihm offenbar unbekannt gebliebenen Ergänzungen des Grazer Bandes von 1809 aufnahm, versuchte man vielmehr den Mängeln von Adelungs Werk durch Bearbeitungen und Nachträge abzuhelfen. Dass man in Österreich an Adelungs sprachwissenschaftlichen Werken trotz neuerer Werke in Deutschland festhielt, dürfte zwei Gründe gehabt haben: Einerseits bestand in den 1810er Jahren eine über dreißigjährige gefestigte Adelung- Tradition, so dass mit seinem Namen versehene Werke Richtigkeit und Verbindlichkeit garantierten. Andererseits sorgte das reaktionäre Regime des langjährigen, 1808 eingesetzten österreichischen Staatskanzlers Metternich für die Fortschreibung der bestehenden Bildungsverhältnisse und Kulturpolitik und unterdrückte durch strenge Zensur Neuerungsbestrebungen. So ist es auch kein Zufall, dass die Schulbücher für die Rechtschreibung, Sprachlehre und Abfassung von Gebrauchstexten als „Briefe“ von 1794 bzw. 1805 bis zum Revolutionsjahr 1848 unverändert blieben. Sicher gut gemeint, aber praxisfern war das „Wörterbuch der deutschen Sprache“ des Prager Verlegers Cajetan von Mayregg von 1821. Der anonyme Autor kritisierte Adelungs Aufnahme des alltäglichen Wortschatzes und der vielen Komposita und fand (Wörterbuch der deutschen Sprache 1821, S. III): In dieser Hinsicht ist für Deutsche mehr als die Hälfte dieses Wörterbuches ohne allen Nutzen. Deshalb war sein Ziel, es durch eine Anzahl von fast drey tausend Wörtern 9 Wenn sich in der Wiener Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte die Bände 2 und 4 des „Auszugs“ befinden, so handelt es sich um antiquarische Ankäufe aus späterer Zeit. Keine der benützten Bibliotheken verfügt über den „Auszug“. <?page no="125"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 125 zu bereichern. So nimmt er vor allem den Wortschatz der bei Adelung fehlenden neueren Schriftsteller wie Goethe, Wieland, Musäus, Klopstock, Voß und Kosegarten auf; greift anschaulichen Wortschatz aus Dialektwörterbüchern auf, u.a. aus Matthias Höfers „Etymologischem Wörterbuch der in Oberdeutschland, vorzüglich aber in Österreich üblichen Mundart“ von 1815, und bezieht im neuen Geist der Romantik wiederbelebtes oder überhaupt altdeutsches Wortgut ein, wobei ihm u.a. Fischart, Brandt und Münster als Quellen dienen. Zur Veranschaulichung bringt er jeweils ein Kontextbeispiel als Beleg. Da aber sowohl grammatikalische als auch Ausspracheangaben fehlen, dafür aber oft synchron motivierte Bedeutungszusammenhänge als etymologische Erklärungen geboten werden, leistete dieses Wörterbuch für den sprachlichen Alltagsgebrauch keinerlei Hilfe. Die jedoch darauf ausgerichteten ergänzenden und kürzenden Bearbeitungen schlossen nicht nur an Adelungs Werk an, sondern behielten trotz der Veränderungen Adelungs Namen als Garant für Zuverlässigkeit bei. Außerdem bezog ein Teil von ihnen den Fremdwortschatz nach Campes Ergänzungsband ein. Als eine solche Bearbeitung kann bereits das unter Adelungs Namen gehende „Orthographische und etymologische Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache“ des Schriftstellers Martin Span im handlichen Oktavformat aus dem Jahr 1819 gelten, das ein Jahr später nachgedruckt wurde. Es enthält bloß den „hochdeutschen“ Wortschatz und wurde um weitere deutsche Ausdrücke und um Fremdwörter ergänzt und sah seine lexikologische Stärke ähnlich dem Prager Werk in der ebenfalls weitgehend synchron angelegten Etymologie als Erklärung der jeweiligen Wortbedeutung. Eine unmittelbar verkürzende Bearbeitung von Adelungs Hauptwerk ohne Berücksichtigung der Fremdwörter aber versuchte der Rechnungsrat der k. k. Ungarisch-Siebenbürgischen Hofbuchhaltung in Wien Franz Leopold Schmiedel in vier Bänden im Oktavformat von 1820-1823 als „Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche“, wobei die Bände 2 und 3 wegen Schmiedels Tod erst drei Jahre nach dem 1. Band aus dem Nachlass erscheinen konnten und der umfängliche 2. Band in zwei Teilbände gespalten wurde. 10 Einerseits legte Schmiedel 10 Über Schmiedels Wörterbuch herrscht in der Literatur insofern Verwirrung, als Schmiedel seinem Werk in Gegenüberstellung zwei Titelblätter gab. Während das linke Titelblatt „Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche [...]“ aufweist, lautet das rechte „Handwörterbuch der Deutschen Sprache, <?page no="126"?> Peter Wiesinger 126 das Werk hinsichtlich der Orthographie und Grammatik „mit Rücksicht auf die Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen“ an, und andererseits sollte es „Zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner“ dienen. Bei seiner Bearbeitung ging es Schmiedel darum, nur den „hochdeutschen“ Wortschatz aus Adelung zu wählen, diesem die einzelnen Bedeutungen beizufügen und damit verbundene Redensarten und Sprichwörter anzugeben, so dass es auch lexikologischen Ansprüchen voll gerecht wurde. Da aber bei Teilung des 2. Bandes auch vier kleine Bände offenbar unhandlich waren, blieb der Erfolg des Werkes aus. So unternahm der Wiener Verleger Eduard Schrämbl 1826 einen erneuten, nun einbändigen Versuch mit seinem „Neuen vollständigen Taschen- Wörterbuch der deutschen Sprache“, auf das wir in anderem Zusammenhang noch zurückkommen werden. Verwiesen sei auch noch auf die „Gründliche Lehre der deutschen Rechtschreibung“ des Wiener Universitätsprofessors für Kalligraphie und gleichzeitigen Rechnungsofficials der Staats- und Central- Hofbuchhaltung Franz Thomas Hirsch von 1824 (? ), 11 der dem Mangel an handlichen Darstellungen des besonders fachsprachlichen Fremdwortschatzes dadurch abhelfen wollte, dass er seiner Neubearbeitung ein Verzeichnis der im Alltag wenig geläufigen, als „technisch“ bezeichneten Fremdwörter beifügte. Für alle diese Bearbeitungen und ebenso für die mit Adelungs Namen geführten kleinen Wörterbücher war die Frage nach „hochdeutschem“ und heimisch-österreichischem, also „oberdeutschem“ Wortschatz offenbar rasch gelöst, indem nur der erstere verzeichnet und der letztere weggelassen wurde, weil er eben als nicht schriftsprachegemäß gewertet wurde. Dasselbe galt für die von Adelung als veraltet oder veraltend bezeichneten Ausdrücke. Wie hier mit Auslassungen verfahren wurde, braucht nicht mehr vorgeführt zu werden, denn alle oben im „Wienerischen Sekretär“ als zu vermeidend genach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche [...]“. Strohbach (1984, S. 35) macht daraus zwei Werke. 11 Leider ging im Klosterneuburger Exemplar der untere Teil des Titelblattes mit Autornamen, Verlag und Jahreszahl verloren. Da sich aber auf S. 66 ein Briefmuster mit dem Datum 15. April 1823 befindet und es in Schulbüchern wie in der mehrfach aufgelegten „Anleitung zu schriftlichen Aufsätzen über Gegenstände des bürgerlichen Lebens“ üblich war, die gleichbleibenden Briefmuster im Datum jeweils ein Jahr vor Erscheinen der Neuauflage neu zu datieren, könnte diese Gewohnheit auch auf Hirsch zutreffen, was 1824 als Erscheinungsjahr ergeben würde. <?page no="127"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 127 nannten oberdeutschen Provinzialwörter fehlen in den Bearbeitungen und sind durch Adelungs „hochdeutsche“ Bezeichnungen ersetzt. Nur wenn Adelung keinen eindeutigen Hinweis auf das Oberdeutsche gibt, ist man bereit, auch das heimische Wort aufzunehmen. So finden sich z.B. bei Span zwar nicht als Synonyme angegebene, wohl aber jeweils alphabetisch eingeordnete Doppelformen wie Böttcher / Küfer; Fleischer / Metzger; Jänner / Januar; Klempner / Spängler; Sonnabend / Samstag. Wie erfolgreich bezüglich der zu vermeidenden Provinzialwörter und veraltenden Ausdrücke Adelungs die Schule gearbeitet hat, zeigt sich heute noch am Beispiel von nach Hause, zu Hause und heim, daheim. Adelung nennt als „hochdeutsch“ die ersteren, mittel- und norddeutschen Formen, während er die letzteren, im Oberdeutschen geltenden Bezeichnungen als „in der edlen Schreibart veraltet“ einstuft. Das veranlasste die Schule, nur erstere Formen als korrekt zu lehren, so dass jetzt noch der größte Teil der Studierenden bloß nach Hause, zu Hause als schriftlich angemessen findet, während das auch dialektal gebräuchliche heim und daheim höchstens in mündlicher Verwendung, kaum aber schriftlich als zulässig erscheint. Dass sich solche rigorosen Verfahren jedoch auf Dauer großteils nicht durchsetzen konnten, lag auch am Widerstand patriotischer Österreicher. Bereits 1803 hatte sich Joseph Richter in seinen viel gelesenen „Briefen des jungen Eipeldauers an seinen Herrn Vettern in Kakran“ auf satirischhumorige Weise über diesen gegen den heimischen Wortschatz gerichteten neuen „hochdeutschen“ Wortgebrauch nach Adelung lustig gemacht. So ließ er einen weisen Schustermaster - man denke an Hans Sachs, den damals die Romantiker wiederentdeckten - in einem Wirthshaus von sein Profeßerstuhl aus, wie der junge Eipeldauer meint, narrisch's Zeug dozieren: S' erste Kapitel hat er über d' Eitelkeit einiger Handwerker g'lesen, die ihr Handwerk umtauft habn. „Der Schneider“, hat er g'sagt, „will jetzt durchaus ein Kladermacher seyn; aber da find ich nicht einmal ein Verstand drin; denn er macht ja auch Hosen, und Mantel und Schmis, und da könnt er sich ja eben so gut ein Hosen- und ein Schmießmacher nennen. Hernach haben wir z' Wien einmal Geignmacher g'habt; da sind auch musikalische Instrumentmacher draus wordn, und da liegt schon wieder kein b'stimmter Verstand drin; denn ein Waldhorn und ein Trompeten sind ja auch musikalische Instrumenter, und die können ja d' Herrn, die nur mitn Holz umgehn, nicht auf d' Welt bringen. <?page no="128"?> Peter Wiesinger 128 Aber der Teufel möcht einen erst holn, wenn man hört, daß s' d' Baßgeign ein Fiolon, und den Fiedelbogn ein Streichbogen nennen. D' Geigen hat ja von uralten Zeiten d' Fiedel g'haßn, und deswegn sagt man auch der Fiedelbogen. Hernach streicht der Fiedelbogen ja nicht immer, sondern er springt ja öfters wie ein Bock aufn Schaafdarm herum. Wenn d' Eitelkeit, ein schönern Namen z' haben so fortgeht, so werden sich unsre Fütterer, weil sie s' Holz buttenweis verkaufen, auf d' letzt noch Holznegozianten nennen. (Richter 1803, 3. Brief, S. 15f.) Zwar hieß Adelung die schon länger modische Umbenennung der geläufigen Handwerkernamen auf -macher nicht gut, musste aber bezüglich Schuhmacher zugeben, dass „dieses Wort für edler, als das gemeinere Schuster gehalten wird“. Entsprechend nahm er auch Kleidermacher nicht ins Wörterbuch auf, das aber in Wien bald zur amtlichen Gewerbebezeichnung der Schneider wurde und heute noch gilt. 12 Hingegen führte Adelung sowohl Geigenmacher als auch Instrument-Macher an, ohne allerdings die von Richter- Eipeldauer in Übertreibung vollzogene Gleichsetzung vorzunehmen. Synonym waren für Adelung Baßgeige und das italienisch-französische Fremdwort Violon(e), während er nur Fiedelbogen angibt. Aber zur Satire gehört auch die Übertreibung, wie besonders das selbst kreierte letzte Beispiel Richter-Eipeldauers mit der Umbenennung des heute ausgestorbenen Gewerbes der Fütterer zeigt. Nicht zufällig erschien mit dem dritten Wiener Nachdruck von Adelungs großem „Wörterbuch“ im Jahr 1811 in den „Vaterländischen Blättern“ ein Artikel „Die Deutsche Sprache in Österreich“ eines gewissen L. K. Auch er setzte sich für den oberdeutsch-österreichischen Wortgebrauch ein, wobei zwar die Ablehnung von Fremdwörtern den Anlass lieferte, aber deren Verdeutschung durch Campe in seinem „Wörterbuch der Erklärung und Verdeutschung der unsrer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke“ wohl nach dem Grazer Nachdruck von 1808/ 09 den Ausschlag gab. So heißt es diesbezüglich: Die österreichische Sprache ist, wie überhaupt die oberdeutsche, sehr frühe durch Schriftsteller ausgebildet worden; sie besitzt daher einen größeren Reichthum von Wörtern als die nieder- und hochdeutsche. Sie bezeichnet eine Menge Dinge und Begriffe mit einheimischen Nahmen, zu deren Benennung jene sich fremder bedienen. Wenn Campe, ein geborner Niederdeutscher, den Reichthum der österreichischen Sprache bey Ausarbeitung seines 12 Vgl. Wiesinger (1987, S. 321) (= Wiesinger 2006, S. 89f.). <?page no="129"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 129 Wörterbuchs zur Verdeutschung fremder Ausdrücke mehr benützt hätte, so würde er oft weniger in Verlegenheit gewesen seyn, passende deutsche Ausdrücke für die fremden zu finden. Der österreichische Sprachschatz wäre eine ergiebige Quelle zu diesem Behufe gewesen. So werden, um nur ein Beispiel anzuführen, die Wörter medisiren, und medisant durch afterreden, verunglimpfen, verläumden; durch verläumderisch und schmähsüchtig nicht hinreichend bezeichnet; das österreichische ausrichten und ausrichterisch erschöpft den Begriff in allen Beziehungen. (Vaterländische Blätter, Bd. 4, H. 95, S. 572) Und bezüglich Campes im selben Jahr 1811 abgeschlossenen fünfbändigen neuen „Wörterbuches der deutschen Sprache“ sagt der Verfasser unter gleichzeitigem Hinweis auf Adelungs Werk: Auch das neue große von demselben herausgegebene Wörterbuch der deutschen Sprache beweist, dass die Mitarbeiter zu wenig Rücksicht auf die oberdeutsche Sprache genommen haben. Man macht Adelung'en mit Recht den Vorwurf der Vorliebe für die sächsische und insbesondere für die meißnische Mundart; Campe hegt eine überwiegende Neigung für die niederdeutsche und besonders für die niedersächsische Mundart. (Vaterländische Blätter, Bd. 4, H. 95, S. 572) Deshalb fordert der Autor ein „österreichisches Landwörterbuch“. Da aber dabei landschaftlich Beschränktes und allgemein Gültiges festzustellen sei, müssten für Österreich zunächst fünf „Bezirkswörterbücher“ als Voraussetzung für die dann anzuschließende Vereinigung erarbeitet werden, nämlich „für 1. Wien und seine nächste Umgebung, 2. das übrige Österreich unter der Enns, 3. Österreich ob der Enns, 4. Steyermark, und 5. Kärnten“. Zugleich mahnt der Autor im Anschluss an die sprachsoziologischen Differenzierungen von Adelung sowie von Matthias Höfer in seiner „Volkssprache in Oesterreich vorzüglich ob der Ens“ von 1800 die Unterscheidung von drei Sprachschichten ein, nämlich der „Sprache der besseren Classen“, das ist die gehobene Stadtbevölkerung, der „Sprache des gemeinen Haufens“, das ist die niedrige Stadtbevölkerung, und „der Sprache des Landmannes“, das sind die ländlichen Bauern. Für Wien aber ergeben sich danach nur zwei Sprachschichten, indem z.B. für hochdeutsch Hemd und Knabe „hochwienerisch“ Hemet und Bub(e) und „gemeinwienerisch“ Pfaid oder Pfad und Bue gelten. Inwiefern durch solche Vorgangsweisen schließlich für Österreich ein schriftsprachlich anwendbarer Wortschatz hätte gewonnen werden können, ließ der Autor aber offen. <?page no="130"?> Peter Wiesinger 130 Seine Gedanken griff ein Jahr später 1812 im 2. Jahrgang der von Friedrich Schlegel in Wien herausgegebenen Zeitschrift „Deutsches Museum“ der Slawist und Wiener Hofbibliothekar Bartholomäus Kopitar auf. 13 Er warb für ein solches Vorhaben, jedoch nicht als österreichisches Dialektwörterbuch, sondern in jener Absicht, die Jahrzehnte zuvor schon Johann Siegmund Valentin Popowitsch († 1774) verfolgt hatte, der mit seinen Sammlungen des regionalen, insbesondere österreichischen Wortschatzes das Hochdeutsche bereichern wollte. 14 Aber dieser an Schlegel als Sprachkenner herangetragene Wunsch fand zwar dessen Interesse, doch schlug Schlegel zur Sammlung die Gründung einer „Gesellschaft der vaterländischen Sprachforscher“ und zur Bearbeitung Kopitar selber vor. Mit Kopitars Feststellung, dass Schlegel seinen öffentlich vorgetragenen Wunsch mit vielen Komplimenten ebenso öffentlich erwidert habe, endete auch diese Diskussion ohne Ergebnis. Erst 1819 nahm schließlich der Wiener Archivdirektor Franz Ziska/ Tschischka ein „Österreichisches Idiotikon“, angeregt durch die Zusammenarbeit mit dem aus Breslau gekommenen Max Schottky, in Angriff. 15 Zwar veröffentlichte er daraus mehrfach Abschnitte und schließlich 1832/ 33 größere Teile für Niederösterreich in dem dreibändigen Sammelwerk „Beiträge zur Landeskunde Österreich's unter der Enns“, aber das Gesamtwerk gelangte nie zur Veröffentlichung. Heute zeigt sich freilich, dass Tschischka zwar eigene Erhebungen eingebracht, aber ohne Kennzeichnung viele Abschnitte aus den unveröffentlichten Sammlungen von Popowitsch übernommen hat. 16 Wäre das „Idiotikon“ abgeschlossen und veröffentlicht worden, so wäre es eine Aufzeichnung des zunehmend interessierenden Dialektwortschatzes gewesen und hätte nicht die Absicht gehabt, damit das „Hochdeutsche“ in Österreich durch allgemein gültige Provinzialwörter im Sinne von Austriazismen zu bereichern, worauf der Aufruf von 1811 gezielt hatte. Ein heftiger Kritiker aller Sprachempfehlungen Adelungs war schließlich der Dichter Franz Grillparzer (1791-1872). Zwar gebrauchte er etwa im „Armen Spielmann“ (1847) stets das Dativ -e bei starken Maskulina und Neutra wie auf dem Gange, im Kopfe, dem Liede, nach dem Hause und die Diminutivbildung mit -chen wie das Tischchen, ein Kämmerchen, das Köpfchen, wählte mit Schrank, Knabe und nach Hause nur Adelungs Ausdrücke und wechselte 13 Vgl. zu dieser Diskussion Ernst (1998). 14 Vgl. Popowitsch (1780) und speziell Popowitsch (2004). 15 Vgl. dazu Wiesinger (1998). 16 Vgl. Popowitsch (2004, Bd. 1, S. XCVII ff.). <?page no="131"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 131 Fleischhauer und Fleischer, Stiege und Treppe. Trotzdem lehnte er in seiner „Selbstbiographie“ (1853), „den verhaßten Adelung der Sprachlehre“ ab (Grillparzer o.J., Bd. 14, S. 22). 1813 stellte er bezüglich der Wortformen seinem Gedicht „Der alberne Stingel“ die Bemerkung voraus: Ich weiß wohl, daß Adelung Stengel schreibt, aber ich habe meine eigene Orthographie (Grillparzer o.J., Bd. 2, S. 129), so dass er auch Adelungs Orthographie in Zweifel zog. Im Gedicht „Therese Heberle“ von 1820 machte sich dann Grillparzer über die sächsischen Ausspracheempfehlungen Adelungs lustig: Freund Amor, sag' was ficht dich an? Du sprichst ja wie ein Schwäberle! Ob Adelung auch bebe, Nennst du die Rose Reserle Und Heberle die Hebe. (ebd., Bd. 2, S. 214) Wie abscheulich Grillparzer das Sächsische fand, lässt er uns in seiner Tagebuchaufzeichnung der Reise nach Deutschland von 1826 wissen, wo er zu Dresden, der Hauptstadt Sachsens, notierte: Die Sprache dieser Leute beleidigt mein Ohr. Ein Östreicher kann mit seinem Jargon einem Fremden bäurisch vorkommen, die Sprache dieser Leute aber ist unleidlich. Sie ist unmännlich, geckenhaft, wie von und für Kopflose. [...] Die Leute hier dehnen jede Silbe, verlängern jedes Wort, hängen überall ein Lieblings-E an, so daß ihre Sprache endlich ein förmliches Mäh, Mäh von Schafen wird. (ebd., Bd. 15, S. 128) Schon 1824 machte sich der Wiener Professor Johann Michael Hurtel in seinem „Grundriß der Aufsatzlehre“ Gedanken, wie bezüglich der von Adelung abgelehnten, doch in Österreich allgemein üblichen Provinzialwörter zu verfahren sei. Als Kompromiss empfahl er ihre Verwendung dann, wenn der Schriftsprache geeignete Ausdrücke fehlen und nannte als Beispiele Topfen für ‘käsige Theile der Milch’ und Weichseln für ‘saure Kirschen’. Erst in den 1830er Jahren begann der Einfluss Adelungs merklich nachzulassen. Besonders deutlich wird dies in der von einem gewissen C. Roberto neubearbeiteten 4. Auflage des „Neuesten vollständigen Handwörterbuches der deutschen Sprache“ des Verlegers Eduard Schrämbl von 1840, wo es im Vorwort heißt: 17 17 Es ist abgedruckt in der 5. Auflage von 1846. Die 4. Auflage von 1840 steht in den benützten Bibliotheken nicht zur Verfügung. <?page no="132"?> Peter Wiesinger 132 Der Bearbeiter [...] hat Rücksicht auf das österreichische Idiom und besonders das von Wien genommen. (Adelung 1840) Zwar stand noch immer als Empfehlung Adelungs Autorname im Titel, doch gerade die Aufgabe der Ausspracheempfehlungen Adelungs und deren Ersatz durch Akzentzeichen sowie die, wenn auch zögerliche Aufnahme österreichischer Ausdrücke widersprach gänzlich Adelungs einstigen Bemühungen um das Hochdeutsche. Aber auf diese Weise gelangten erstmals einige oberdeutsch-österreichische Provinzialwörter zu schriftsprachlicher Anerkennung. So finden sich, zum Teil mit besonderem Hinweis auf Österreich (Ö), Carfiol für Blumenkohl, Marille (Ö) für Aprikose, Ribisel (Ö) für Johannisbeere, Knödel (Ö) für Kloß, Kren (Ö) für Meerrettig, Obers (Ö) für Sahne, Topfen (Ö) für Quark, Samstag für Sonnabend. Obwohl dieses „Handwörterbuch“ 1846 in der 5. Auflage erschien und 1876 nochmals nachgedruckt wurde, ging damit die bewusste Ausrichtung nach Adelung zu Ende. Mit dem Revolutionsjahr 1848 endete auch die über 50jährige Verwendung der nach Adelungs Regeln gestalteten Schulbücher mit Rechtschreib- und Sprachlehre. Der Begriff eines „österreichischen Deutsch“ kam allerdings, ebenfalls politisch bedingt, erst nach 1866 auf, als Österreich nach der gegen Preußen verlorenen Schlacht von Königgrätz sich aus den politischen deutschen Belangen zurückzog und fortan seine eigenen Wege ging. Damals aber war das lange an Adelung geschulte hochsprachliche Normbewusstsein so stark verankert, dass 1875 Hermann Lewi seine Beschreibung des „Österreichischen Hochdeutsch“ als den „Versuch einer Darstellung seiner hervorstechendsten Fehler und fehlerhaften Eigenthümlichkeiten“ bezeichnete. <?page no="133"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 133 Literatur 1. Quellen 18 Adelung, Johann Christoph (1774-86): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. 5 Bde. Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf u. Sohn (Bd. 1 (1774), Bd. 2 (1775)); Johann Gottlob Immanuel Breitkopf (Bd. 3 (1777), Bd. 4 (1780), Bd. 5 (1786)). Adelung, Johann Christoph (1781a): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. Preuß. Landen. Berlin: Christian Friedrich Voß u. Sohn. *Adelung Johann Christoph (1781b): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Berlin: Christian Friedrich Voß u. Sohn. Adelung, Johann Christoph (1785): Ueber den Deutschen Styl. 2 Bde. Berlin: Christian Friedrich Voß u. Sohn. [Adelung, Johann Christoph] (1786-1787): Geschichte der Philosophie für Liebhaber. 3 Bde. Leipzig: Johann Friedrich Junius. Adelung, Johann Christoph (1788a): Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bde. 1-5. Brünn: Johann Georg Traßler. [Nachdr. f. Österreich d. Ausg. Adelung (1774-1786)]. Adelung, Johann Christoph (1788b): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1788c): Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung, als der zweyte Theil der vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1793-1801): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 4 Bde. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Compagnie (Bd. 1 (1793)); Breitkopf, Sohn u. Compagnie (Bd. 2 (1796)); Breitkopf u. Härtel (Bd. 3 (1798), Bd. 4 (1801)). 18 Die originalen Werke wurden in folgenden Bibliotheken benützt. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Universitätsbibliothek, Fachbibliothek Germanistik, Bibliothek des Schottenstiftes, Bibliotheca Theresiana. Niederösterreich: Stiftsbibliotheken Klosterneuburg, Melk, Seitenstetten. Ihren Bibliothekaren sei für vielfältige Hilfe und Unterstützung bestens gedankt. Nachweisbare, in diesen Bibliotheken jedoch nicht vorhandene Werke werden mit vorangestelltem * angeführt. Auf Wunsch des Autors sind in der nachfolgenden Quellenübersicht dieses Beitrags zur Verdeutlichung die Verlegernamen aufgeführt. <?page no="134"?> Peter Wiesinger 134 *Adelung, Johann Christoph (1793-1802): Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. 4 Bde. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Compagnie (Bd. 1); Breitkopf und Härtel (Bd. 2-4). Adelung, Johann Christoph (1793/ 1796): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Christian Friedrich Wappler (Bd. 1 (1793), Bd. 2 (1796)). Adelung, Johann Christoph (1807): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen und Berichtigungen. Neueste Ausgabe. Bde. 1-3. Wien: Anton Pichler. Adelung, Johann Christoph (1808): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4 Bde. Wien: Anton Pichler. Adelung, Johann Christoph (1811): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4 Bde. Wien: B[ernhard] Ph[ilipp] Bauer. Adelung, Johann Christoph (1819): Orthographisches und etymologisches Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache zum Gebrauche für Jedermann, und insbesondere für Studierende, Beamte, Geschäfts- und Handelsleute, um vieles vermehret und durchaus berichtiget von Martin Span. Wien/ Triest: Geistingersche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1820): Orthographisches und etymologisches Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache zum Gebrauche für Jedermann, und insbesondere für Studierende, Beamte, Geschäfts- und Handelsleute, um vieles vermehret und durchaus berichtiget von Martin Span. Wien/ Triest: Geistingersche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1820/ 1823): [Titelblatt linke Seite]: Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche mit Rücksicht auf die deutsche Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen, und zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner. Bearbeitet v. Franz Leopold Schmiedel. [Titelblatt rechte Seite]: Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche [...]. 3 Bde. Wien: Johann Georg Mösle's Witwe (Bd. 1 (1820), Bd. 2/ 1 (1823), Bd. 2/ 2 (1823), Bd. 3 (1823)). Adelung, Johann Christoph (1826): Neues vollständiges Taschen-Wörterbuch der deutschen Sprache zur richtigen Betonung, Prosodie, Rechtschreibung, Biegung und Ableitung nach den beßten deutschen Schriftstellern, vorzüglich nach Campe, <?page no="135"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 135 Petri, Schade, Span, Vollbeding vermehrt und verbessert, in welchem zugleich alle üblichen Fremdwörter in der deutschen Schrift- und Umgangs-Sprache erklärt werden; mit einem Anhange, worin die in unserer Sprache eingeschlichenen kriegswissenschaftlichen Fremdwörter nach Müllers Wörterbuch verdeutscht sind. Ein unentbehrliches Handbuch für alle Stände, insbesondere aber für Beamte, Kaufleute und Studirende, wie überhaupt für alle Freunde der deutschen Sprachrichtigkeit. Ganz neue Original-Ausgabe. Wien: [Eduard] Schrämbl. Adelung, Johann Christoph (1828): Neues vollständiges Taschen-Wörterbuch [...] [mit teilweise verändertem Titel]. Zweite vermehrte Original-Ausgabe. Wien: [Eduard] Schrämbl. Adelung, Johann Christoph (1830): Neues vollständiges Hand-Wörterbuch [...]. Dritte, mit 1200 Artikeln vermehrte Original-Ausgabe. Wien: [Eduard] Schrämbl. *Adelung, Johann Christoph (1840): Neues vollständiges Hand-Wörterbuch [...]. Vierte Original-Ausgabe. Wien: [Eduard] Schrämbl. Adelung, Johann Christoph (1846): Neuestes vollständiges Handwörterbuch der deutschen Sprache mit Hinzufügung der üblichsten Fremdwörter, die in der deutschen Schrift- und Umgangssprache vorkommen, [...] Vermehrt mit einem faßlichen Unterrichte, jedes deutsche Wort in kurzer Zeit recht schreiben zu lernen; nebst besonderen Bemerkungen über die richtige Abfassung und Einrichtung der Briefe, besonders schriftlicher Aufsätze des gemeinen Lebens, und einer kurzen Uebersicht der noch üblichen weltlichen und geistlichen Titulaturen. Ein unentbehrliches Handbuch [...] Fünfte, mit 5.000 Artikeln vermehrte Original-Auflage. Wien: Ignaz Klang. Adelung, Johann Christoph (o.J.) [1876]: Neuestes vollständiges Handwörterbuch [...]. Neue Ausgabe. Wien: Sallmayer & Co. Anleitung zu schriftlichen Aufsätzen über Gegenstände des bürgerlichen Lebens für Stadt- und Landschullehrer und für Schüler der Haupt- und der Normal-Schulen. (1808): Wien: K. k. Schulbücher-Verschleiß bey St. Anna. Annalen der österreichischen Literatur (1802): Hrsg. v. einer Gesellschaft inländischer Gelehrten. Jg. 1802. Wien: Anton Doll der Jüngere. Anweisung, die deutsche Sprache richtig zu sprechen, zu lesen und zu schreiben, nebst Beyspielen von Briefen und anderen schriftlichen Aufsätzen. Zum Gebrauche der Trivial-Schulen in den k. k. Staaten. (1805): Wien: Deutsche Schulanstalt bey St. Anna. Campe, Joachim Heinrich (1801): Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuche. Bde. 1 u. 2. Braunschweig: Schulbuchhandlung. Campe, Joachim Heinrich (1808): Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Zweite, verbesserte, und mit einem dritten Band vermehrte Auflage. Bde. 1 u. 2. Graz: Franz Xaver Miller. <?page no="136"?> Peter Wiesinger 136 Campe, Joachim Heinrich (1809): Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Bd. 3: Als Nachtrag zu Campe's Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Graz: Franz Xaver Miller. Campe, Joachim Heinrich (1813): Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelung's und Campe's Wörterbüchern. Neue stark vermehrte und durchgängig verbesserte Ausgabe. Braunschweig: Schulbuchhandlung. Campe, Joachim Heinrich (Hg.) (1807-1811): Wörterbuch der Deutschen Sprache. 5 Bde. Braunschweig: Schulbuchhandlung. Deutsche Sprachlehre zum Gebrauche der deutschen Normal- und Hauptschulen in den k. k. Staaten. (1794): Wien: Deutsche Schulanstalt bey St. Anna. Gaheis, Franz Anton (1799): Kleines Wörterbuch der deutschen Sprache und Rechtschreibung für jedermann, besonders für den Beamten, Geschäftsmann und den deutschen Schulstand. Aus den größern Werken Adelungs, Eberhards, Campens gezogen und herausgegeben. Wien: Aloys Doll. Gaheis, Franz Anton (1801): Teutsche Sprachübungen nach einer neuen Lehrart. Ein Handbuch für Schüler zur Vorbereitung im Sprachunterrichte. Wien: Anton Doll. Der Grätzerische Secretär, oder gründliche Anleitung alle Arten schriftlicher Aufsätze, welche im bürgerlichen Leben vorkommen, nach den Regeln einer guten Schreibart, und in den k. k. Staaten bestehenden Vorschriften zu verfassen. (1804): Graz: Christian Friedrich Trötscher. Grillparzer, Franz (o.J.): Grillparzers Werke in sechzehn Teilen. Hrsg. v. Stefan Hock. (= Goldene Klassiker Bibliothek). Berlin/ Leipzig/ Wien/ Stuttgart. Hirsch, Franz Thomas (1824? ): Gründliche Lehre der deutschen Rechtschreibung nebst einem alphabetischen Verzeichnisse der vorzüglichsten technischen Benennungen, und im Gebrauche selten vorkommenden deutschen, und auch aus fremden Sprachen entlehnten Wörter, zur Bestimmung ihrer Schreibart und Bedeutung. [Wien: Johann Baptist Wallishausser]. Höfer, Matthias (1800): Die Volkssprache in Oesterreich vorzüglich ob der Ens, nach ihrer innerlichen Verfassung und in Vergleichung mit andern Sprachen. In grammatisch-kritischen Bemerkungen entworfen. Wien: Johann Georg Binz. Höfer, Matthias (1815): Etymologisches Wörterbuch der in Oberdeutschland, vorzüglich aber in Oesterreich üblichen Mundart. 3 Bde. Linz: Joseph Kastner. Hurtel, Johann Michael (1824): Grundriß der Aufsatzlehre. Ein theoretisch-praktisches Handbuch zum öffentlichen und zum Privat-Unterrichte. Wien: Carl Gerold. Hurtel, Johann Michael (1841): Grundriß der Aufsatzlehre. Ein theoretisch-praktisches Handbuch zum öffentlichen und zum Privat-Unterrichte. 2. verb. Aufl. Wien: Carl Gerold. <?page no="137"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 137 Hurtel, Johann Michael (1843): Grundriß der Aufsatzlehre. Ein theoretisch-praktisches Handbuch zum öffentlichen und zum Privat-Unterrichte. 3. verb. Aufl. Wien: Carl Gerold. Justi, Johann Heinrich Gottlob v. (1755): Anweisung zu einer guten Deutschen Schreibart und allen in den Geschäften und Rechtsfragen vorfallenden schriftlichen Ausarbeitungen, zu welchem Ende allenthalben wohlausgearbeitete Proben und Beyspiele beigefüget werden. Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf. Justi, Johann Heinrich Gottlob v. (1758): Anweisung zu einer guten Deutschen Schreibart und allen in den Geschäften und Rechtsfragen vorfallenden schriftlichen Ausarbeitungen, zu welchem Ende allenthalben wohlausgearbeitete Proben und Beyspiele beigefüget werden. 2. verb. Aufl. Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf. Justi, Johann Heinrich Gottlob v. (1774): Anweisung zu einer guten Deutschen Schreibart und allen in den Geschäften und Rechtsfragen vorfallenden schriftlichen Ausarbeitungen, zu welchem Ende allenthalben wohlausgearbeitete Proben und Beyspiele beigefüget werden. Wien: Johann Thomas von Trattner. Popowitsch, Johann Siegmund Valentin (1780): Versuch einer Vereinigung der Mundarten von Teutschland als eine Einleitung zu einem vollständigen Teutschen Wörterbuche mit Bestimmungen der Wörter und beträchtlichen Beiträgen zur Naturgeschichte aus den hinterlassenen Schriften des berühmten Herrn Prof. Joh. Siegm. Val. Popowitsch. [Hrsg. v. Ignaz Lethmüller]. Wien: Joseph v. Kurzböck. Popowitsch, Johann Siegmund Valentin (2004): Vocabula Austriaca et Stiriaca. Nach der Abschrift von Anton Wasserthal herausgegeben und eingeleitet von Richard Reutner. 2 Bde. (= Schriften zur deutschen Sprache in Österreich 32, 33). Frankfurt a.M./ Bruxelles/ New York/ Oxford/ Wien. [Riedl, Samuel] (1786): Der wienerische Sekretär für alltägliche Fälle. Zum Gebrauch für jeden, der in schriftlichen Aufsätzen und Briefschreiben Unterricht verlangt. Wien: Joseph Gerold. *Riedl, Samuel (1788): Der wienerische Sekretär für alltägliche Fälle. Zum Gebrauch Jener, welche in Geschäftsaufsätzen Anweisung verlangen. 3., veränderte, durchaus verbesserte, und viel vermehrte Auflage. 2 Bde. Wien: Joseph Gerold. Riedel, Franz Xaver Samuel (1798): Der wienerische Sekretär auf alltägliche Fälle für das gemeine Leben. Zum Gebrauche für jeden, der in der Briefstellerey und in schriftlichen Ausarbeitungen Unterricht verlangt und bedarf. 5., aufs neue umgearbeitete, viel vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Joseph Gerold. Riedel, Franz Xaver Samuel (1808): Der wienerische Sekretär auf alltägliche Fälle für das gemeine Leben. Zum Gebrauche für jeden, der im Briefschreiben und in schriftlich-rechtlichen Aufsätzen Unterricht verlangt. 8., aufs neue umgearbeitete, viel vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Joseph Gerold. <?page no="138"?> Peter Wiesinger 138 Riedel, Franz Xaver Samuel (1812): Der wienerische Sekretär auf alltägliche Fälle für das gemeine Leben. Zum Gebrauche für jeden, der im Briefschreiben und in schriftlich-rechtlichen Aufsätzen wie auch in Stempel-Sachen Unterricht oder Auskunft verlangt. 11., [...] Auflage. Wien: Joseph Gerold. [Richter, Joseph] (1803): Briefe des jungen Eipeldauers an seinen Herrn Vettern in Kakran. Dreyzehntes Heft. Wien: Peter Rehms seelige Witwe. Soltau, D[ietrich] W[ilhelm] (1806): Beyträge zur Berichtigung des Adelungschen grammatisch-kritischen Wörterbuchs. Nebst einem alphabetischen Verzeichniß derjenigen Russischen und Altslavonischen Wörter, welche mit der deutschen Sprache und mit ihren verschwisterten Mundarten verwandt sind. Leipzig/ Lüneburg: Herold und Wahlstab. Sonnenfels, Joseph v. (1784): Ueber den Geschäftsstyl. Die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten. Wien: Joseph v. Kurzbek. Sonnenfels, Joseph v. (1785): Ueber den Geschäftsstyl. Die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten. Zweyte etwas vermehrte Auflage. Wien: Joseph v. Kurzbek. Tschischka, Franz (1832/ 33): Bemerkungen über die Mundart des Volkes im Lande Österreich unter der Enns. In: Beiträge zur Landeskunde Österreich's unter der Enns. Wien, Bd. 1 (1832), S. 74-95; Bd. 2 (1832), S. 148-217; Bd. 3 (1833). S. 123-130. Vaterländische Blätter (1811) = Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. Bd. 4. (1811). Wien. Wörterbuch der deutschen Sprache (1821) = Wörterbuch der deutschen Sprache, zur näheren Kenntniß derselben, durch eine Anzahl von fast drey tausend Wörtern bereichert, die in Adelungs Wörterbuche nicht stehen. Als ein für sich bestehendes Ganzes, und als ein Anhang zu Adelungs und jedem anderen deutschen Wörterbuche. (1821). Prag: Cajetan von Mayregg. 2. Sekundärliteratur Brekle, Herbert E./ Dobnig-Jülch, Edeltraud/ Höller, Hans Jürgen/ Weiß, Helmut (Hg.) (1992/ 1993): Bio-bibliographisches Handbuch zur Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts. Die Grammatiker, Lexikographen und Sprachtheoretiker des deutschsprachigen Raums mit Beschreibungen ihrer Werke. Bde. 1 u. 2. Tübingen. Dill, Gerhard (1992): Johann Christoph Adelungs Wörterbuch der ‘Hochdeutschen Mundart’. Untersuchungen zur lexikographischen Konzeption. (= Europäische Hochschulschriften I/ 1303). Frankfurt a.M./ Bern/ New York/ Paris. Ernst, Peter (1998): Friedrich Schlegels Überlegungen zu einem österreichischen Idiotikon. In: Ernst, Peter/ Patocka, Franz (Hg.): Deutsche Sprache in Raum und Zeit. Festschrift für Peter Wiesinger zum 60. Geburtstag. Wien, S. 335-344. <?page no="139"?> Rezeption und Wirkung von Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch“ 139 Henne, Helmut (1969): Einführung und Bibliographie zur Neuausgabe von Joachim Heinrich Campes „Wörterbuch der Deutschen Sprache“. Hildesheim/ New York. Henne, Helmut (1970): Einführung und Bibliographie zur Neuausgabe von Johann Christoph Adelungs „Grammatisch-kritischem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“. Hildesheim/ New York. Lewi, Hermann (1875): Das österreichische Hochdeutsch. Versuch einer Darstellung seiner hervorstechendsten Fehler und fehlerhaften Eigenthümlichkeiten. Wien. Strohbach, Margrit (1984): Johann Christoph Adelung. Ein Beitrag zu seinem germanistischen Schaffen mit einer Bibliographie seines Gesamtwerkes. (= Studia Linguistica Germanica 21). Berlin/ New York. Wiesinger, Peter (1987): Sprachnorm und Sprachgebrauch. Dargestellt an den österreichischen Handwerkernamen. In: Dyhr, Mogens/ Jørgen, Olse (Hg.): Festschrift für Karl Hyldgaard-Jensen zum 70. 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Lassen sich aus seinen Wörterbuchartikeln Aussagen über den besonders in der Zeit um 1800 verstärkt zu beobachtenden Bedeutungswandel ableiten? Diese Fragestellungen sollen im Zentrum dieses Beitrags stehen. Ich möchte sie in einige Bemerkungen zum Wert historischer Wörterbücher als Quelle zur Beschreibung der Lexik historischer Sprachperioden, vorrangig des Frühneuhochdeutschen und des älteren Neuhochdeutschen einbetten. 2. Historische Wörterbücher und historische Wortbedeutungen Besonders die ältere Forschung betonte die große Bedeutung von Wörterbüchern bei der Analyse historischer Wortschätze. Exemplarisch dafür ist die Behauptung Gerhard Isings aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ältere Wörterbücher enthielten ein höheres Maß an Sprachwirklichkeit als einzelne literarische Belege, wobei er sich speziell auf die Wörterbücher von Stieler und Kramer bezieht (vgl. Ising 1953/ 54, S. 346). Dahinter steht wohl das Argument, dass ein Wörterbuchartikel eines zeitgenössischen Lexikographen eine Abstraktion von nahezu unzähligen Belegstellen darstellt. Zudem besaß dieser zeitgenössische Wörterbuchschreiber die Sprachkompetenz für den jeweiligen Zeitraum, eine Kompetenz, die uns heute fehlt und der wir uns nur mühsam annähern können. So könnte man weiterhin argumentieren. Zu dieser Auffassung passt, dass sich im Deutschen Wörterbuch (DWB) die Darstellung des Wortschatzes des 17. Jahrhunderts schwerpunktmäßig auf das Wörterbuch von Kaspar Stieler stützt, wie Matthias Schulz (2000, S. 69ff.) an einigen von ihm exemplarisch untersuchten Wörterbuchstrecken nachwies. Intensiv werden auch die Wörterbücher des 16. Jahrhunderts zur Wortschatzbeschreibung im DWB herangezogen, besonders die Werke von Petrus Da- <?page no="142"?> Oliver Pfefferkorn 142 sypodius (Dictionarium latinogermanicum, Straßburg 1536), Josua Maaler (Die Teütsch spraach, Zürich 1561) und Levinus Hulsius (Dictionarium Teutsch Frantzösisch / vnnd Frantzösisch Teutsch, Nürnberg 1608). Man stößt im DWB immer wieder auf Lemmata (besonders für das 16. und 17. Jahrhundert), die nur in einem oder mehreren Wörterbüchern belegt sind und deren Bedeutungsbeschreibung sich ausschließlich auf die Darstellung in diesen Wörterbüchern stützt. Meist handelt es sich um Komposita oder Präfigierungen. dachholz ‘tignum; Bauholz, Balken’ (Dasypodius; Serranus 1 ). ( DWB , Bd. 2, Sp. 664) dachgusz ‘imbrex; Hohlziegel, Rinne zum Ableiten des Regenwassers’ (Henisch 2 ). ( DWB , Bd. 2, Sp. 664) dachraffe ‘tignum; Dachlatte, Dachsparre’ (Dasypodius; Maaler; Henisch). ( DWB , Bd. 2, Sp. 666) 3 Für das „Frühneuhochdeutsche Wörterbuch“ (FWB) zählen historische Wörterbücher ebenfalls zu dem Primärquellen. Auch in ihm kann man beobachten, dass gelegentlich Lexeme auftreten, die nur in diesen Wörterbüchern nachgewiesen werden können, nicht im zugrunde liegenden Textkorpus. Ebenso gibt es einzelne Bedeutungsvarianten zahlreicher Lemmata, die sich nur auf Wörterbuchbelege stützen. An einigen Beispielen aus der Strecke beides FWB (Bd. 3, Sp. 842-1062) soll dies demonstriert werden. beifällen ‘etw. neben / zu etw. setzen, tun’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 4 beifangen ‘jn. verhaften, gefangennehmen’ Schwartzenbach H iijv 5 beiflicken ‘(einen Flicken) aufsetzen, etw. anflicken’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 68 Henisch 258 beifliegen ‘herzu-, herbeifliegen’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 68 Henisch 258 1 Serranus (1539). 2 Henisch (1616). 3 In der Neubearbeitung des DWB ( DWB Neubearb., Bd. 6) wurden diese Lemmata dann auch konsequenterweise nicht mehr berücksichtigt. 4 Dictionaire François-Alleman-Latin (1636). 5 Schwartzenbach (1564). <?page no="143"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 143 beifließen ‘hinzufließen’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 68 Henisch 258 beigehen 1 ‘hinzugehen, wo hingehen’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 68 Henisch 258 beirudern ‘heranrudern, zu etw. hin rudern’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 Henisch 263 beischarren ‘etw. aufhäufen, zusammenscharren’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 Henisch 263 beischanzen ‘eine Schanze, Schutzwehr anlegen’ Henisch 258 beischiffen ‘heranschiffen, sich mit dem Schiff nähern’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 Henisch 263 beischlagen ‘jm. zustimmen’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 Henisch 263 beischrappen ‘etw. anhäufen, geizig zusammenscharren’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 Henisch 263 beispielen ‘etw. in Form einer Fabel o.ä. zum Ausdruck bringen’ Voc. Teut.-Lat. aa vv 6 beistecken ‘jm. etw. zustecken’ Dict. Germ.-Gall.-Lat. 69 Henisch 267 beitun 1 ‘etw. hinzutun, hinzufügen’ Henisch 267 Zwischen dem Wortbestand überhaupt und auch einzelnen Wortbedeutungen, die sich in den historischen Wörterbüchern nachschlagen lassen, und der Lexik, die aus Textkorpora gleicher historischer Perioden erschlossen werden kann, besteht somit keine 1: 1-Beziehung. Die Lexik der Wörterbücher spiegelt im Vergleich mit der Lexik der Korpora zumindest partiell eine andere sprachliche Realität wider. Warum das so ist, muss von Fall zu Fall geprüft werden. Ein wichtiger Grund besteht aber wohl darin, dass die frühen deutschen Wörterbücher meist Produkte der Umkehrlexikographie bilden, indem zur Erstellung eines deutschen Wörterbuchs von einem lateinischdeutschen Wörterbuch ausgegangen wurde und die deutschen Äquivalente der lateinischen Lemmata nun wiederum als deutsche Lemmata angesetzt 6 Vocabularius Teutonico-Latinus (1482). <?page no="144"?> Oliver Pfefferkorn 144 wurden. Die Bearbeiter eines lateinisch-deutschen Wörterbuchs versuchten die Semantik der lateinischen Lexeme möglichst genau im Deutschen wiederzugeben, wobei sie auch auf Lehnübersetzungen und neue Wortbildungen zurückgriffen, die im Deutschen zwar möglich, aber nicht geläufig waren. Diese erschienen dann als Lemmata in einem deutschen Wörterbuch und wurden später in andere Wörterbucher übernommen. Zudem wurde in den frühen lexikographischen Werken die sprachliche Realität des Deutschen der frühen Neuzeit nur insoweit erfasst, wie sie sich im Lateinischen spiegelte. 7 3. Adelungs Wörterbuch und der Wortschatz des 18. Jahrhunderts 3.1 Zur Forschungsdiskussion Adelungs Wörterbuch besitzt natürlich eine völlig andere Qualität als z.B. die Werke von Maaler, Henisch oder Stieler. Es gilt als das erste moderne Wörterbuch. Aber auch bei ihm stellt sich die Frage, in welcher Beziehung es zum zeitgenössischen Wortschatz steht, zumal Adelungs Wörterbuchprogramm nicht immer mit seiner lexikographischen Praxis übereinstimmt. Dies wird in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. Margrit Strohbach (1984, S. 218) vertritt die Meinung, dass Adelungs Korpus, was die Sprache seiner Zeit betrifft, nicht abgeschwächt ist, sondern die Sprachwirklichkeit des gesamten deutschsprachigen Gebietes wiedergibt. Natalja Semenjuk (1984, S. 152ff.) geht davon aus, dass Adelungs Wörterbuch hauptsächlich den Wortgebrauch der Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts widerspiegelt. Sie möchte es als Quelle benutzen, um die Sprachsituation im 18. Jahrhundert zu rekonstruieren, denn es enthalte Informationen, die auf der Grundlage von Texten nur schwer zu bekommen seien. Sie bezieht sich dabei auf die territorialen, chronologischen und soziostilistischen Kennzeichnungen des Wortschatzes, die Adelung in seinem Wörterbuch vornimmt und betrachtet es, wenn auch mit einigen Einschränkungen, als eine in dieser Hinsicht verlässliche Quelle. Thomas Niehr (2005, S. 180f.) kommt gerade bei der Betrachtung der von Adelung gegebenen Wortschatzmarkierungen zu dem Ergebnis, dass es sich dabei häufig um eher ästhetisch begründete Normen han- 7 Verweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten von Haß-Zumkehr (2001), Henne (1968) und Schulz (2000), die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mehr oder weniger ausführlich mit dieser Problematik befassen. <?page no="145"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 145 delt, die sich deskriptiv-linguistisch nicht begründen lassen. Er konstatiert eine Mischung von Pedanterie und Willkürlichkeit in Adelungs sprachlichen Urteilen. Adelungs Wörterbuch sei heute vorwiegend nur noch von historischem Interesse. Gerhard Dill meint nun, dass es überhaupt müßig ist zu fragen, wie genau der aufgenommene Lemmabestand den Wortschatz dessen, was Adelung unter der ‘hochdeutschen Mundart’ verstand, repräsentierte und ob seine normativen Entscheidungen bezüglich der Aufnahme und der Ettikettierung veralteter, provinzieller, niedriger und neugebildeter Wörter in irgendwie abstrakter Form ‘richtig’ waren. (Dill 1992, S. 189f.) Die gerade von Zeitgenossen heftig geübte Kritik dokumentiere nur die Uneinheitlichkeit der deutschen Hochsprache, indem sie von einer anderen mundartlichen Basis ausgehe oder auf einem Wörterbuchplan mit anderen Intentionen beruhe (vgl. ebd., S. 190). Ein genaues Urteil darüber, in welchem Verhältnis der von Adelung aufgenommene Wortschatz zur sprachlichen Realität des 18. Jahrhunderts steht, ist für Dill nicht möglich. Erwähnt sei noch, dass man gelegentlich auch in der Literatur zur Wortgeschichte auf ungeprüfte Übernahmen von Adelungs Einschätzungen trifft. So bemerkt Friedrich Kainz (1974, S. 345) in seinem Überblick über den Wortschatz von Klassik und Romantik, dass das Lexem düster vor 1800 als obersächsischer Trivialausdruck gelte, wobei er jedoch auf einen Beleg für diese Einschätzung verzichtet. Den Beweis dafür, dass dies gerade nicht zutrifft, liefert das DWB (Bd. 2, Sp. 1761), das vielfältige Belege aus literarischen Werken des 17. und 18. Jahrhunderts auflistet; düster findet sich bei Gryphius, Lohenstein, Gellert, Lessing, Goethe, Schiller u.a. Allerdings bestimmt Adelung düster als Lexem der gemeinen Mundarten, besonders Ober- und Niedersachsens; Kainz muss sich darauf bezogen haben. Düster, -er, -ste, adj. et adv. welches nur in den gemeinen Mundarten, besonders Ober- und Niedersachsens, für dunkel, finster, gebraucht wird. ( GKW , Bd. 1, Sp. 1622) Adelung relativiert diese Aussage im Anschluss: Es ist wahr, daß auch einige sonst gute Schriftsteller dieses Wort selbst in der höhern Schreibart gebraucht haben; allein, eben so gewiß ist es auch, daß nicht alles, was gute Schriftsteller irgend ein Mahl gebrauchen, dadurch sogleich geadelt wird, weil es, unter andern, sonst auch keine Sprachfehler geben würde. Düster ist der edlern und höhern Schreibart unwürdig, zumahl da es vor dunkel, finster u.s.f. in keinem Stücke etwas voraus hat. ( GKW , Bd. 1, Sp. 1622) <?page no="146"?> Oliver Pfefferkorn 146 Dieses Zitat ist recht aufschlussreich, denn es demonstriert, dass Adelungs Markierungen zumindest partiell subjektive Festlegungen sind, die er bewusst dem Sprachgebrauch seiner Zeit entgegenstellt. Weshalb er düster der Sprache der gemeinen Mundarten zuordnet, ist aus heutiger Perspektive nicht mehr nachzuvollziehen. 8 Im Weiteren möchte ich einige Wortartikel aus Adelungs Wörterbuch mit den Ergebnissen, die aus einer Analyse zeitgenössischer Texte gewonnen wurden, konfrontieren. Die Angemessenheit von Adelungs semantischen Beschreibungen und seinen sprachlichen Urteilen kann letztlich nur vor dem Hintergrund eines Sprachkorpus zum 18. Jahrhundert adäquat erfasst werden. Da ein frei zugängliches Korpus mit Texten dieses Zeitraums zumindest meines Wissens nicht existiert, habe ich ein Behelfskorpus zusammengestellt. Es besteht aus den Texten des 18. Jahrhunderts, die die verschiedenen Ausgaben der Reihe „Digitale Bibliothek“ enthalten. Da dies kein systematisch nach Textsorten, Zeitstufen und Sprachräumen gegliedertes Korpus ist, sondern ein eher zufällig zusammengestelltes, repräsentiert es nicht die sprachliche Realität des 18. Jahrhunderts, sondern steht nur für einen begrenzen Ausschnitt aus dieser Realität. Die Ergebnisse sind somit auch nur als vorläufig zu betrachten. 3.2 zunächst Die Reihe der Analysen möchte ich mit dem Adverb zunächst beginnen. Der entsprechende Artikel aus dem „Grammatisch-kritischen Wörterbuch“ (GKW) lautet: Zunächst, eine Partikel, welche vornehmlich als eine Präposition gebraucht wird, und alsdann die dritte Endung erfordert, sehr nahe, im höchsten Grade nahe. Es saß zunächst mir, unmittelbar bey mir. Zuweilen aber auch als ein Adverbium, mit bey. Er saß zunächst bey mir. Zunächst bey Italien seyn. Figürlich bezeichnet zunächst als ein Adverbium, das, was das erste und eigentliche an einem Dinge ist. Das Wort Diabolus bedeutet zunächst und eigentlich einen Zweyzüngigen. Als ein Nebenwort der Zeit für nächstens, in kurzem, ist es nur im gemeinen Leben einiger Gegenden üblich. ( GKW , Bd. 4, Sp. 1760) 8 Schon Campe wunderte sich im Artikel zu düster seines Wörterbuchs über Adelungs Markierung: „Es ist auffallend, wie Ad. dieses Wort nebst so manchen andern aus der Schriftsprache in die gemeinen Mundarten verweisen und der edlern und höhern Schreibart unwürdig nennen konnte, da es [...] nicht nur von guten Schriftstellern, wie die angeführten Stellen beweisen, verschmäht, sondern selbst auch von den o.g. Schriftstellern aus dem angeblichen goldenen Zeitalter ohne Bedenken gebraucht wird und wurde. In Zusammensetzungen kömpt es auch häufig genug vor.“ (Campe 1807-1811, Teil 1, S. 809). <?page no="147"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 147 Adelung unterscheidet drei Bedeutungsvarianten. Ich möchte sie folgendermaßen umschreiben: zunächst, Präp., Adv. 1. Präposition zum Ausdruck einer lokalen Beziehung: ‘sehr nahe, unmittelbar bei einer Person / einem Gegenstand’; gelegentlich in Kombination mit bei; auch adverbial gebraucht. 2. als Adverb: ‘eigentlich, wesentlich, zuerst’; Übertragung zu 1; oft eine Rangfolge ausdrückend. 3. Temporaladverb: ‘bald, demnächst’; umgangssprachl., landschaftl. (So ist wohl seine Markierung „nur im gemeinen Leben einiger Gegenden“ zu deuten.) Von der lokalen Grundbedeutung ‘sehr nahe, unmittelbar bei jm./ etw.’ leitet Adelung eine übertragene Bedeutung ab, die das Wesentliche einer Erscheinung anzeigen soll, man könnte wohl auch vom Ausdruck einer Rangfolge sprechen. Die temporale Bedeutung, die im Neuhochdeutschen zur vorherrschenden wird, betrachtet Adelung nicht als standardsprachlich, sondern als regional und sozial eingeschränkt. Für den Bedeutungswandel von zunächst ließe sich davon ableiten, dass er von unten nach oben erfolgt sein müsse, also von der regionalen Umgangssprache in die Standardsprache. Dies wäre schon ein durchaus wichtiger Befund. Was lässt sich aber nun aus dem Textkorpus entnehmen? Die lokale Bedeutung ist im gesamten 18. Jahrhundert vom Anfang bis zum Ende vorhanden. Sie tritt in diesem Zeitraum jeweils auch am häufigsten auf. Auf sie muss nicht weiter eingegangen werden. Hinsichtlich der temporalen Bedeutung sind jedoch einige Abweichungen zu konstatieren. Während Adelung nur eine temporale Bedeutung anführt, sind in den von mir herangezogenen Texten mehrere temporale Bedeutungsvarianten nachweisbar: ‘als erstes, zuerst’: Bevor wir jedoch sein Leben weiter verfolgen sind die Streitschriften des Jahres 1748 zu erwähnen, [...]: Zunächst erschien des hiesigen Seniors Fr. Wagners Schrift. (Johann Christian Edelmann, Selbstbiographie, 1752; DB 102, S. 21657) ‘bald, demnächst, als nächstes’: Zunächst nach ihnen eilt | Das große Heer herbei. (Johann Karl Wezel, Kakerlak, 1784; DB 1, S. 172000) Diese Bedeutung entspricht der bei Adelung aufgelisteten temporalen Bedeutung. <?page no="148"?> Oliver Pfefferkorn 148 Eine weitere temporale Bedeutungsvariante ist erst gegen Ende des Jahrhunderts im zugrunde liegenden Textkorpus nachweisbar. Das DWB (Bd. 32, Sp. 548) bezeichnet sie allerdings als veraltet und führt Belege von Logau und Günther an. ‘vor kurzem, kürzlich, gerade eben’: Von dem Standpunkt der gegenwärtigen Bildungsstufe reflektiert man über die zunächst vorhergegangne, und ahnet die kommende. (Friedrich Schlegel, Über Lessing, 1797; DB 1, S. 150654) Die nächste temporale Bedeutungsvariante ist nur spärlich vertreten: ‘vorerst, einstweilen, vorläufig’: Und wenn er sich dem Verlobten gegenüber gestellt hatte, als ob er die Braut zunächst bei sich einquartieren wolle. (Karoline Schulze-Kummerfeldt, Lebenserinnerungen, 1782; DB 102, S. 63191) Schließlich folgt noch die von Adelung differenzierte übertragene Bedeutungsvariante, die ich nicht an die lokale, sondern an die temporale Bedeutung ‘als erstes, zuerst’ anschließen möchte. Sie tritt in den Texten etwa gleichzeitig mit dieser Bedeutung auf. ‘zuerst, unmittelbar’; zum Ausdruck einer Rang- oder Reihenfolge oder einer unmittelbaren Zugehörigkeit: Vor jeglicher Defintion kommen deren etliche vor, so bald man, um zu ihr zu gelangen, dasjenige, was man zunächst und unmittelbar an einem Dinge erkennet, sich als ein Merkmal desselben vorstellt. (Immanuel Kant, Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren, 1762; DB S , S. 51) Was lässt sich aus dieser Gegenüberstellung ableiten? Die Analyse der in den Korpustexten enthaltenen Belege zeigt eine differenziertere temporale Bedeutung von zunächst auf, zumindest für die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die von Adelung vorgenommene Zuordnung der temporalen Bedeutung ‘bald, demnächst’ zum „gemeinen Leben“ lässt sich für die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Sicht des Korpus nicht halten. Sie tritt z.B. in Texten von Schiller, Schlegel, Goethe, Hölderlin und Forster auf. Dies gilt auch für die anderen temporalen Bedeutungsvarianten. Interessanterweise erscheinen im späteren Wörterbuch von Campe nur die lokale und die übertragene Bedeutung ‘zuerst, eigentlich’ (vgl. Campe 1807-1811, Teil 5, S. 906). Die von Adelung vorgenommene Beschränkung der temporalen Bedeutungsvariante auf einige unbestimmt bleibende Gegenden lässt sich aus der Sicht des Korpus nicht genauer einschätzen. Die Verwendung dieser Bedeutung <?page no="149"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 149 in eher standardsprachlichen Texten scheint jedoch gegen eine solche Beschränkung zu sprechen, so dass auch die oben geäußerte Vermutung zum Ablauf des Bedeutungswandels von zunächst durch das Korpusmaterial nicht bestätigt werden kann. 3.3 düster Im Folgenden möchte ich das bereits erwähnte Adjektiv düster noch einmal aufgreifen. Es ist nicht nur ein Beispiel dafür, dass Adelungs regionale und soziostilistische Markierungen nicht immer mit dem Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts übereinstimmen, wie er sich in den Texten manifestiert, sondern auch für eine bei ihm nicht gerade selten begegnende Ungenauigkeit und Willkürlichkeit seiner Bedeutungsbeschreibungen. 9 Adelung unterscheidet im Fall von düster zwei Bedeutungsvarianten: 1. ‘dunkel, finster’. 2. ütr. ‘mürrisch, verdrießlich’. (vgl. GKW , Bd. 1, Sp. 1622) Er fügt hinzu, dass düster im Wesentlichen synonym mit dunkel und finster sei und dass es diesen Adjektiven in keinem Stücke etwas voraus habe. Bei diesen beiden Adjektiven unterscheidet er jedoch jeweils mehr als zwei Bedeutungsvarianten: dunkel 1. ‘schwärzlich, ein wenig schwarz (Ggs. zu hell)’. 2. ‘ohne Licht, finster’. 3. ‘trüb (von Gegenständen, welche die Lichtstrahlen nicht ungehindert durchlassen)’. 4. ‘unkenntlich’; nur in der Bibel. 5. ‘unbekannt’. 6. ‘der nötigen Klarheit beraubt’. 7. ‘unberühmt’. 8. von Tönen: ‘nicht voneinander zu unterscheiden’. ( GKW , Bd. 1, Sp. 1573) finster 1. ‘des Lichtes beraubt’. 2. bei den Jägern: ‘lichtundurchlässig’. 3. ‘verdrießlich, mürrisch’. 4. ‘traurig, niedergeschlagen (Ggs. zu heiter)’. 5. ‘unbekannt’. 6. ‘lasterhaft, in Sünde und Unwissenheit lebend’; nur in der Bibel. ( GKW , Bd. 2, Sp. 163) Düster hat demnach bei Adelung dunkel und finster nichts voraus, im Vergleich mit diesen Adjektiven fehlt ihm sogar etwas. 9 Auf düster verwies in diesem Zusammenhang schon Henne (2001, S. 167). <?page no="150"?> Oliver Pfefferkorn 150 Ein Blick in das Textkorpus zeigt jedoch ein anderes Bild. Düster ist im gesamten 18. Jahrhundert (und auch schon früher) nicht einfach synonym mit dunkel oder finster, sondern besitzt gegenüber diesen Adjektiven einen Mehrwert, der in folgenden Kollokationen zum Ausdruck kommt: zu einen düstern Kerker (Christiana Mariana von Ziegler, Versuch in gebundener Schreib-Art, 1728; DB 45, S. 76964) die düstre Gruft (Sidonia Hedwig Zäunemann, Poetische Rosen in Knospen, 1738; DB 45, S. 75862) den düstern Todespfad (Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Töffel und Käthe, 1772; DB 1, S. 85552) düster [...] wie ein Grab (Gottfried August Bürger, Der wilde Jäger, 1775; DB 1, S. 17590) in dem düstern Begräbnisgewölbe (Johann Karl August Musäus, Volksmärchen der Deutschen, 1782; DB 80, S. 37371) die düstern undurchdringlichen Wälder (Johann Karl August Musäus, Volksmärchen der Deutschen, 1782; DB 80, S. 36575) in düstern Labyrinthen (Benedikte Naubert, Alme oder Egyptische Märchen, 1793/ 97; DB 45, S. 55428) Zum Moment des fehlenden Lichtes kommt das Merkmal des Bedrückenden, Bedrohlichen, Unheimlichen hinzu, das bei finster und dunkel nicht in der gleichen Weise präsent ist. Diese Bedeutungsvariante leitet über zu einer übertragenen, die bei Adelung ebenfalls nicht erscheint, aber das gesamte Jahrhundert hindurch nachweisbar ist: ‘bedrückend, bedrohlich, Angst auslösend (ohne Bezug auf Dunkelheit)’: Gottes Diener ist der Tod, | und auf den Wink des Höchsten mit der düstern Bahre droht. (Sidonia Hedwig Zäunemann, Poetische Rosen in Knospen, 1738; DB 45, S. 75641) Ein düstrer Traum, der einem heitern folget! (Christoph Martin Wieland, Lady Johanna Gray, 1757/ 58; DB 95, S. 68316) [...] in diesen Moment schien mir das glänzende Farbenspiel ihrer Schuppen düster und unangenehm. (Sophie von La Roche, Erscheinungen am See Oneida, 1783; DB 45, S. 39205) Es ist auffällig, dass die beiden bisher genannten Bedeutungsvarianten besonders häufig in Texten von Frauen sowie in Märchen und märchenähnlichen Texten auftreten. <?page no="151"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 151 Nur am Rande sei erwähnt, dass die zweite von Adelung angesetzte Bedeutung zum Ausdruck einer menschlichen Stimmung ‘mürrisch, verdrießlich’ eher selten vorkommt, weitaus häufiger ist dafür die etwas modifizierte Bedeutung: ‘schwermütig, bedrückt, traurig’: Ist der Deutsche, wenn er ein gründlicher Kopf ist, so gar düster und allen Grazien so gar feind. (Gotthold Ephraim Lessing, Über die Empfindungen, 1755; DB 1, S. 123120) Schließlich findet sich im Korpus eine weitere, von Adelung nicht erwähnte Bedeutungsvariante: ‘schwer verständlich, unklar’: Sie plünderte die düstern Schriften eines Hans Engelbrecht, Gerber, Reiz, Bogatzky und anderer. (Friedrich Nicolai, Sebaldus Nothanker, 1773/ 76; DB 1, S. 134411) Dieses Beispiel demonstriert besonders deutlich, dass die Analyse eines Textkorpus im Vergleich mit Adelungs Wortartikel zu einem differenzierteren Ergebnis kommt. Adelung behandelt düster recht stiefmütterlich; es scheint, als ob er eine tiefe Abneigung gegenüber diesem Lexem habe, die jedoch nicht genauer bestimmt werden kann. Auch seine Verbannung aus der „edlern und höhern schreibart“ ist nicht nachzuvollziehen. 3.4 Compliment Allerdings enthält das Wörterbuch auch Gegenbeispiele, in denen die Bedeutungsdifferenzierung und -beschreibung einzelner Lemmata bei Adelung genau mit den Ergebnissen der Korpusanalyse übereinstimmt, partiell sogar noch ausführlicher ist, so im Fall von Compliment. Adelung geht hier von einer engen Bedeutung aus, die er allmählich immer weiter fasst: Das Compliment, des -es, plur. die -e, aus dem Franz. Compliment, eigentlich eine Verbeugung aus Ehrfurcht oder Hochachtung. Ein Compliment machen. In weiterer Bedeutung, ein Gruß mit einer Verbeugung. Ich habe ihnen noch nicht mein Compliment gemacht. In noch weiterem Sinne, ein jeder Gruß. Mein Bruder läßt ihnen sein Compliment machen. Ferner, eine kurze Anrede bey feyerlichen Gelegenheiten, zur Bezeigung seines Antheiles. Einem Feldherren wegen einer gewonnenen Schlacht ein Compliment machen. Ein Compliment-Brief, ein Glückwünschungs-Compliment u.s.f. In noch weiterer Bedeutung werden alle äußerliche Bezeigungen der Hochachtung und Höflichkeit im gesellschaftlichen Leben Complimente genannt; da denn das Wort zuweilen auch in einem nachtheiligen Verstande von dem Überflusse solcher Bezeigungen gebraucht wird. Alle Complimente bey Seite setzen. Ohne Complimente. Ja oft ein Gegensatz der thätigen Erweisung seiner Achtung. Es war nur ein Compliment. ( GKW , Bd. 1, Sp. 1345) <?page no="152"?> Oliver Pfefferkorn 152 Für die meisten der in diesem Artikel beschriebenen Bedeutungsdifferenzierungen oder besser -schattierungen lassen sich im Korpus Belege finden: Kompliment im Sinne einer Verbeugung, im Sinne eines Grußes oder einer Begrüßung, im Sinne einer Anrede bei feierlichen Gelegenheiten zur Bezeigung der Anteilnahme, besonders im Sinne einer Lobrede, aber auch mit der negativen Konnotation einer bloß förmlichen, schmeichelhaften, letztlich aber inhaltslosen Rede. Aus den Texten kann jedoch oft nicht eindeutig erschlossen werden, ob ein Kompliment im Sinne eines (ehrfurchtsvollen) Begrüßungs- oder Abschiedsrituals mit einem Grußwort und/ oder einer Verbeugung vollzogen wird. Meist tritt nur die Kollokation „ein Compliment machen“ auf. Adelungs Bedeutungsbeschreibung geht in diesem Fall über das hinaus, was aus den Korpustexten rekonstruierbar ist. Dass es sich bei einem Kompliment auch um eine Verbeugung handeln kann, thematisieren nur einige Belege aus einem Anstandsbuch: Wenn du das Compliment beginnst, trittst du mit dem rechten Fuße vor, den linken ziehst du ganz gelassen nach. Alles, was sich an dir bewegen muß, bewege sich ungezwungen, nie affektirt. Je größer und vornehmer die Person ist, der du deine Ehrfurcht bezeigen sollst, desto mehr, desto tiefer neige sich dein Haupt und dein Rücken. (Georg Karl Claudius, Kurze Anweisung zur wahren feinen Lebensart, 1800; DB 108, S. 5062) Andere als die von Adelung aufgelisteten Bedeutungsakzentuierungen von Compliment treten im Korpus nicht auf. 3.5 Tagefahrt / Tagereise Das Lemma Tagefahrt kennzeichnet Adelung als ein im Hochdeutschen veraltetes Wort (vgl. GKW, Bd. 4, Sp. 520) und verweist auf Tagereise, das er mit keiner Geltungseinschränkung versieht (vgl. ebd., Sp. 522). Die Bedeutung beider Lemmata ist zu beschreiben als ‘Reise von der Dauer eines Tages; Wegstrecke, die man an einem Tag bewältigen kann’. Beide Lexeme existierten während der gesamten Periode des Frühneuhochdeutschen nebeneinanderher (vgl. FWB, Bd. 5, Sp. 61f. u. 69). Im Wörterbuch von Campe erscheint Tagefahrt ohne jegliche Einschränkung (vgl. Campe 1807-1811, Bd. 4, S. 765). Auch aus dem DWB (Bd. 21, Sp. 74f.) lässt sich ein Veralten von Tagefahrt im 18. Jahrhundert nicht unbedingt ablesen; beide, Tagefahrt und Tagereise sind auch im 19. Jahrhundert belegt. Mein Textkorpus stützt jedoch Adelungs Markierung: Tagefahrt erscheint nur 1-mal, Tagereise dagegen 62-mal. Tagefahrt scheint im 18. Jahrhundert tatsächlich ungebräuchlich geworden zu sein, bis es im folgenden Jahrhundert wiederbelebt wurde. <?page no="153"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 153 3.6 abergläubig / abergläubisch Ein weiteres Beispiel: Adelungs Wörterbuch enthält als Lemma abergläubig. In einer Anmerkung dazu heißt es: So wie man gläubig, kleingläubig und ungläubig sagt; so sollte man auch abergläubig und nicht abergläubisch sagen, obgleich solchs von den meisten geschiehet. Abergläubisch ist wie viele andere Beywörter auf isch, wenigstens gemein und niedrig. ( GKW , Bd. 1, Sp. 31) Als Lemma setzt Adelung also eine Wortbildungsvariante an, die seiner Meinung nach kaum gebräuchlich ist, wohingegen er die gebräuchliche Form als „gemein und niedrig“ einschätzt, sie also lieber vermeiden möchte. Den Stein des Anstoßes bildet die Endung -isch (vgl. dazu unten). Abergläubig taucht in den von mir herangezogenenTexten des 18. Jahrhunderts eher selten auf (nur 23-mal), abergläubisch ist durchgehend vertreten (404-mal), vor allem auch bei den wichtigsten Literaten dieses Jahrhunderts von Wieland bis Goethe. Die Einschätzung „gemein und niedrig“ scheint aus heutiger Perspektive kaum zu halten. Adelung gibt noch weitere Beispiele von Adjektiven auf -isch, die er jeweils dem „gemeinen“ Leben und den „niedrigen“ Mundarten zuordnet und eine gleichbedeutende Variante mit einem anderen Suffix als „anständiger und edeler“ vorzieht: haushältig vs. haushälterisch (GKW, Bd. 2, Sp. 1030f.), regenhaft vs. regnerisch (ebd., Bd. 3, Sp. 1028), argwöhnig vs. argwöhnisch (ebd., Bd. 1, Sp. 428). In diesen Fällen wurde jedoch die -isch-Variante zur Norm. Im Korpus treten dann auch regenhaft und argwöhnig überhaupt nicht auf, haushältig nur 1-mal (1741). Bei den Paaren gesellig vs.gesellisch (ebd., Bd. 2, Sp. 622) und grillig vs. grillisch (ebd., Bd. 2, Sp. 804) wiederum setzte sich die von Adelung bevorzugte -ig-Variante durch. Aus einer Reihe von weiteren Bemerkungen Adelungs spricht eine tiefe Abneigung gegenüber dem Suffix -isch. So schreibt er im Artikel zu diesem Suffix: Besonders im gemeinen Leben, prahlerisch, schwelgerisch, träumerisch, spielerisch, schülerisch u.s.f. wofür man in der anständigern Sprechart lieber prahlhaft, spielhaft, schülerhaft u.s.f. sagt. Viele bezeichnen nur eine nachtheilige Eigenschaft im verächtlichen Verstande, wie hündisch, schweinisch, säuisch, thierisch, viehisch, bäuerisch, teufelisch u.s.f. ( GKW , Bd. 2, Sp. 1400f.) Da tatsächlich viele der auf -isch endenden Adjektive negativ eingeschätzte Eigenschaften bezeichnen, scheint Adelung diesem Suffix generell eine negative Konnotation zuzusprechen. Auch aus der Bemerkung, dass „der dieser <?page no="154"?> Oliver Pfefferkorn 154 Ableitungssylbe eigene Zischlaut eben nicht die glänzendste Seite unserer Sprache ist“ (GKW, Bd. 2, Sp. 1403) spricht eine gewisse Aversion, die wohl nur aus subjektiven Gründen zu erklären ist. Vielleicht spielt hier seine Herkunft aus dem niederdeutschen Raum eine Rolle. 10 3.7 Frühneuhochdeutscher Fachwortschatz Adelungs Wörterbuch kann auch für die Bedeutungsbeschreibung des frühneuhochdeutschen Wortschatzes von Nutzen sein. Im Quellenmaterial des FWB stößt man immer wieder auf Lexeme, die nur ein oder zweimal belegt sind und deren Bedeutung aus dem jeweiligen Kontext nicht hervorgeht. In solchen Fällen kann ein Blick in das „Grammatisch-Kritische Wörterbuch“ ganz hilfreich sein, denn manchmal findet man das gesuchte Wort darin als Lemma und die Bedeutungsbeschreibung passt genau auf die betreffende frnhd. Belegstelle, so z.B. im Falle von tagewurzel im folgenden Beleg aus dem Obersächsischen (1550/ 57): wie man den weinstöcken die tagewurzeln jehrlich benehmen muß, also daß wohl uber fumf, sex schritt vom stock erst ein keim aus der erden [...] ausschlegt. ( FWB , Bd. 5, Sp. 61) Die Bedeutungsangabe hierzu findet sich bei Adelung: Die Tagewurzel, plur. die -n, an den Bäumen und Stauden, besonders an dem Weinstocke, diejenigen Wurzeln, welche am Tage oder in der Dammerde nicht weit von der Oberfläche der Erde zur Seite auswachsen, und auch Thauwurzeln genannt werden, weil sie nicht tiefer wachsen, als ungefähr der Thau in die Erde zu dringen pflegt; zum Unterschiede von den Wasserwurzeln, und der Pfeil- oder Herzwurzel. ( GKW , Bd. 4, S. 524) Andere Beispiele sind terz bzw. tertie ‘sechzigster Teil einer Minute’, terling ‘Ballen, Packen, Würfel’. Meist handelt es sich in diesen Fällen um Fachwortschatz verschiedener Gebiete. So tritt z.B. auch Wortschatz aus dem 10 Seit dem frühen 19. Jahrhundert beschäftigten sich auch die Grammatikschreibung und Wortbildungslehre mit der Problematik der abschätzigen Bedeutung des Suffixes -isch (vgl. dazu den Forschungsüberblick in Eichinger 1982, S. 3-29), allerdings mit einer gewissen Akzentverschiebung im Vergleich zu Adelung. Während dieser das Suffix -isch primär nur als Indikator für eine mundartliche und umgangssprachliche Ausdrucksweise betrachtete und für die Standardsprache andere Varianten empfahl, wird später eher von einer insgesamt negativen Bedeutung, einem „bösen Sinn“ der -isch-Adjektive, soweit sie emotional markiert sind, ausgegangen, der unabhängig von der Semantik des Stammes auftrete (vgl. z.B. Goetze 1899, bes. S. 464-470). <?page no="155"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 155 Bereich des Bergbaus auf, der von Adelung recht ausführlich und präzise beschrieben wird, z.B.: Tagegang, Tagegebäude, Tagegehänge, Tagekluft, Tagekohle, Tageluft. Adelung bemüht sich jeweils um eine exakte Begriffsbestimmung; die beigefügten Hinweise, z.B. „nur im Bergbaue üblich“, sind hier nicht normativ, sondern deskriptiv zu verstehen (vgl. Dill 1992, S. 133). Die jeweilige Bedeutungsangabe entspricht genau dem, was sowohl das „Bergwörterbuch“ (Veith 1871) als auch das DWB zu den entsprechenden Lemmata angeben, ohne jedoch auf Adelung zu verweisen. Welche Quellen Adelung zur Beschreibung der Fachlexik herangezogen hat, wurde noch nicht eingehend untersucht. Die Erläuterungen zu den Fachtermini der Bergwerkssprache scheint er zum Teil dem „Universal-Lexikon“ von Johann Heinrich Zedler (1732ff.) entnommen zu haben, weniger, wie Dill (1992, S. 150) vermutet, dem Wörterbuch von Frisch (1741). Hilfreich war das Adelung'sche Wörterbuch auch bei folgendem Beleg aus dem Jahr 1695: Wann bis dahero ein oder der andre gerichtsmann mit tod oder sonsten abgangen, so hat je und allwegen schultheiß und übrige des gerichts daß recht und den brauch gehabt, an des abgegangen blatz zwey andere ehrliche und tadelhafte persohnen zue erwöhlen. ( FWB , Bd. 5, S. 25) Die Bedeutung von tadelhaft ist hier etwas ungewöhnlich und nicht so leicht zu rekonstruieren, zumal jeder Versuch einer Bedeutungsangabe immer nur hypothetisch bliebe. Der Artikel tadelhaft des GKW enthält neben der Bedeutungsvariante „Mit einem Tadel oder Fehler behaftet, werth getadelt zu werden“ noch eine weitere: 2. Neigung, Fertigkeit besitzend, Tadel oder Fehler an etwas zu finden; nur in einigen Gegenden. So auch die Tadelhaftigkeit. ( GKW , Bd. 4, S. 513) Damit ist die Bedeutung von tadelhaft im fraglichen Beleg erfasst. Dieser Beleg vermag Adelungs vage Aussage „nur in einigen Gegenden“ zu präzisieren: Er stammt aus einem rheinfränkischen Rechtstext. 4. Zusammenfassung Adelungs Wörterbuch hat, wenn man es als isoliertes Werk betrachtet, nur einen recht begrenzten Aussagewert für die Sprache des 18. Jahrhunderts. Die Untersuchung zeigte, dass einzelne Wortartikel durchaus den zeitgenössischen Sprachgebrauch widerspiegeln, andere ihn dagegen nur teilweise und damit ungenügend erfassen. Zudem ist es nicht durchweg deskriptiv ausge- <?page no="156"?> Oliver Pfefferkorn 156 richtet, sondern besitzt vor allem hinsichtlich der soziostilistischen Markierungen eine stark präskriptive Komponente. Es ist zunächst einmal ein Zeugnis für den Stand und die Besonderheiten der Lexikographie am Ende des 18. Jahrhundert. Seine Bedeutung für Forschungen zur historischen Semantik erhält es jedoch als Bezugsobjekt für korpusbasierte Analysen zum Wortschatz des 17. und 18. Jahrhunderts. So kann es der Bestätigung oder gelegentlich sogar der Präzisierung solcher Analysen dienen, wenn nämlich die Analyseergebnisse mit Adelungs Einträgen übereinstimmen. Wiederum kann auch nur ein korpusbasiertes Vorgehen feststellen, in welchen Punkten Adelungs Beschreibungen dem Sprachgebrauch unangemessen und somit zu relativieren sind. Adelung hatte notwendigerweise einen begrenzten Blick auf die zeitgenössische sprachliche Realität. Mit den Kategorien richtig oder falsch wird man Adelungs Bedeutungsangaben und die von ihm verwendeten Markierungen tatsächlich nicht angemessen beurteilen können, denn sie beruhen letztlich auf seiner eigenen Spracherfahrung, die notwendigerweise eingeschränkt sein musste. Die Möglichkeit, diese subjektiven Kenntnisse zu objektivieren, hatte er nicht, es sei denn, er hätte einen Kreis von Mitstreitern aus verschiedenen Sprachräumen und sozialen Schichten um sich geschart. Aber auch beim heutigen Stand der Lexikographie finden sich in Wörterbüchern zur deutschen Gegenwartssprache gelegentlich Einträge, über die man in ähnlicher Weise diskutieren könnte. 5. Literatur 5.1 Schriften Adelungs GKW = Adelung, Johann Christoph (1793-1801 [2004]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Bd. 1-4. Leipzig. [Elektron. Neusatz u. Faks. (Fraktur) d. Ausg. 1793-1801. (= Digitale Bibliothek 40, CD ). Berlin]. 5.2 Textsammlungen DB 1 = Bertram, Mathias (Hg.) (2000): Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. Studienbibliothek. (= Digitale Bibliothek 1, CD ). Berlin. DB 45 = Lehmstedt, Mark (Hg.) (2004): Deutsche Literatur von Frauen. Von Catharina von Greiffenberg bis Franziska Gräfin zu Reventlow. (= Digitale Bibliothek 45, CD ). Berlin. <?page no="157"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 157 DB 80 = Uther, Hans-Jörg (Hg.) (2004): Deutsche Märchen und Sagen. (= Digitale Bibliothek 80, CD ). Berlin. DB 95 = Finkbeiner, Markus (Hg.) (2004): Deutsche Dramen von Hans Sachs bis Arthur Schnitzler. (= Digitale Bibliothek 95, CD ). Berlin. DB 102 = Simons, Oliver (Hg.) (2004): Deutsche Autobiographien 1690-1930. (= Digitale Bibliothek 102, CD) . Berlin. DB 108 = Zillig, Werner (Hg.) (2004): Gutes Benehmen. Anstandsbücher von Knigge bis heute. (= Digitale Biliothek 108, CD ). Berlin. DB 111 = Uther, Hans-Jörg (Hg.) (2005): Merkwürdige Literatur. (= Digitale Bibliothek 111, CD ). Berlin. DB S = Kant, Immanuel (2004): Werke. (= Digitale Bibliothek Sonderbd., CD ). Berlin. 5.3 Wörterbücher Campe, Joachim Heinrich (1807-1811 [1969]): Wörterbuch der Deutschen Sprache. Teil 1-5. Braunschweig. [Reprogr. Nachdr. d. Ausg. 1807-1811. Hildesheim/ New York]. Dictionaire François-Alleman-Latin (1636). Genf. DWB = Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm (1854ff. [1984]): Deutsches Wörterbuch. Leipzig. [Fotomech. Nachdr. d. Erstausg. München]. DWB Neubearb. = Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm (1983ff.): Deutsches Wörterbuch. Neubearbeitung. Hrsg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (vormals Akademie der Wissenschaften der DDR ) und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1ff. Leipzig. Frisch, Johann Leonhard (1741 [1977]): Teutsch-Lateinisches Wörterbuch. Berlin. [= Neudr. d. Ausg. Berlin 1741. 2 Bde. in 1 Bd. Mit einer Einführung und Bibliographie von Gerhardt Powitz. (= Documenta Linguistica. Reihe II : Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York]. FWB = Anderson, Robert R./ Goebel, Ulrich/ Reichmann, Oskar (Hg.) (1989ff.): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Bd. 1ff. Berlin/ New York. Henisch, Georg (1616): Teutsche Sprach vnd Weißheit. Augsburg. Schwartzenbach, Leonard (1564): Synonyma. Frankfurt a.M. Serranus, Johannes (1539): Dictionarium Latinogermanicum. Nürnberg. Veith, Heinrich (1871): Deutsches Bergwörterbuch. Breslau. Vocabularius Teutonico-Latinus (1482). Nürnberg. <?page no="158"?> Oliver Pfefferkorn 158 Zedler, Johann Heinrich (1732ff. [1961ff.]): Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste. Leipzig/ Halle. [Photomechan. Nachdr. d. Ausg. 1732ff. Graz]. 5.4 Sekundärliteratur Dill, Gerhard (1992): Johann Christoph Adelungs Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart’. Untersuchungen zur lexikographischen Konzeption. Frankfurt a.M./ Bern/ New York/ Paris. Eichinger, Ludwig M. (1982): Syntaktische Transposition und semantische Derivation. Die Adjektive auf -isch im heutigen Deutsch. (= Linguistische Arbeiten 113). Tübingen. Goetze, Alfred (1899): Zur geschichte der adjectiva auf -isch. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur ( PBB ) 24, S. 464-522. Haß-Zumkehr, Ulrike (2001): Deutsche Wörterbücher - Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. Berlin/ New York. Henne, Helmut (1968): Deutsche Lexikographie und Sprachnorm im 17. und 18. Jahrhundert. In: Mitzka, Walter (Hg.): Wortgeographie und Gesellschaft. Festgabe für Ludwig Erich Schmitt zum 60. Geburtstag am 10. Februar 1968. Berlin, S. 80-114. Henne, Helmut (2001): Einführung und Bibliographie zu Johann Christoph Adelung, Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (1793- 1801). In: Henne, Helmut (Hg.): Deutsche Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts. Einführung und Bibliographie. 2. erw. Aufl. Hildesheim/ Zürich/ New York, S. 145-178. Ising, Gerhard (1953/ 54): Die Erfassung der deutschen Sprache des ausgehenden 17. Jahrhunderts in Wörterbüchern Matthias Kramers und Kaspar Stielers. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 3, S. 335-346. Kainz, Friedrich (1974): Klassik und Romantik. In: Deutsche Wortgeschichte. Bd. 2. Hrsg. v. Friedrich Maurer und Heinz Rupp. 3., neubearb. Aufl. Berlin/ New York, S. 245-491. Niehr, Thomas (2005): Von ‘veraltetem’, ‘edlem’ und ‘ganz pöbelhaftem’ Sprachgebrauch. Johann Christoph Adelungs Grammatisch-Kritisches Wörterbuch als Quelle für die Erforschung des Denkens, Fühlens und Wollens einer sozialen Schicht des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In: Busse, Dietrich/ Niehr, Thomas/ Wengeler, Martin (Hg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Linguistik. Tübingen, S. 169-185. <?page no="159"?> Adelungs Wörterbuch und die historische Semantik 159 Schulz, Matthias (2000): Zur Eignung von älteren Wörterbüchern und Wörterbuchvergleichen für eine Analyse von Wortschatz und dessen Wandel. In: Sprachwissenschaft 25, S. 63-75. Semenjuk, Natalija (1984): Versuch einer Rekonstruktion der Sprachsituation im 18. Jahrhundert anhand von lexikographischen Daten bei Johann Christoph Adelung. In: Bahner, Werner (Hg.): Sprache und Kulturentwicklung im Blickfeld der deutschen Spätaufklärung. Der Beitrag Johann Christoph Adelungs. (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Klasse. Bd. 70, H. 4). Berlin, S. 151-157. Strohbach, Margrit (1984): Johann Christoph Adelung. Ein Beitrag zu seinem germanistischen Schaffen mit einer Bibliographie seines Gesamtwerkes. Berlin/ New York. <?page no="161"?> Oda Vietze „Es ist daher in Ansehung der fremden Wörter die weise Mittelstraße nothwendig“ 1 - Adelungs Fremdwortkonzeption 1. Die Preisfrage der Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Jahre 1792 Im Jahr 1792 schrieb die Akademie der Wissenschaften zu Berlin einen Aufsatzwettbewerb aus. Die Preisfrage 2 lautete: Ist vollkommene Reinheit einer Sprache überhaupt und besonders der Teutschen möglich und nothwendig? Wie und nach welchen Grundsätzen kann die Reinigkeit der teutschen Sprache am besten befördert werden? Wie weit kann und muß dieselbe getrieben werden, ohne ihr noch wesentlichere Vollkommenheiten aufzuopfern, und welche Theile des teutschen Sprachschatzes bedürfen vorzüglich die Absonderung des Fremdartigen, in welchen andern hingegen würde diese Absonderung unthunlich oder nachtheilig sein? (nach: Kirkness 1975, S. 69) Seit dem 17. Jahrhundert war der durch den vermeintlich starken Fremdspracheneinfluss der Zeit motivierte Diskurs über die „Reinheit“ der deutschen Sprache sehr intensiv geführt worden. Das sprachkritische Hauptanliegen des späten 17. Jahrhunderts war es gewesen, die deutsche Sprache als Wissenschaftssprache neben dem Lateinischen als bewährter Wissenschaftssprache und dem Französischen als hochentwickelter Literatur- und Gesellschaftssprache durchzusetzen. Diese Sprachreinigungsbemühungen stellten einen ganz wesentlichen Bestandteil des Versuchs dar, eine hochsprachliche Norm herauszubilden. Der Sprachpurismus des (späten) 18. Jahrhunderts war kein reiner Fremdwortpurismus - er legte den Schwerpunkt vielmehr auf die Reinheit oder Reinigkeit der Sprache und umfasste weit mehr als nur das Problem der Ersetzung von als unnötig oder hässlich eingestuften Fremdwörtern durch einheimische Wörter. Die maßgeblichen Sprachreiniger wandten sich gegen Neologismen, Regionalismen, Archaismen und Fremdwörter sowie so genannte „unreine“, „barbarische“, „unrichtige“ Elemente, die sie nicht als hochsprachlich gelten ließen und zu verdeutschen suchten. 1 Adelung (1785, S. 111). 2 Gessinger (2004) verfolgt die Genese der Preisfrage und zeichnet nach, wie sich ihr Gegenstand verschob von Sprachbereicherung zur Sprachreinigung, von der Stilistik und Grammatik zur Lexik und vom Wortschatz insgesamt auf Fremdwörter. <?page no="162"?> Oda Vietze 162 Die Berliner Akademie erkannte Joachim Heinrich Campe den 1. Preis und Johann Friedrich August Kinderling den 2. Preis zu. Beide Preisträger setzten sich in ihren Aufsätzen mit den Ansichten Johann Christoph Adelungs auseinander, was dessen großen Einfluss auf die Sprachreiniger der Spätaufklärung deutlich macht. Um Adelungs Stellung innerhalb dieses Diskurses sowie seine Nachwirkung zu veranschaulichen, stelle ich die Positionen Adelungs denen Kinderlings und Campes gegenüber. 2. Adelungs Ansichten über die Reinheit der Sprache Adelung äußerte seine Ansichten über die Reinheit der Sprache und besonders über die fremden Wörter in verschiedenen Werken: in den Vorreden der beiden Auflagen seines Wörterbuches (1774 bzw. 1793) und am vollständigsten im 3. Kapitel von „Ueber den deutschen Styl“ (1785). Ich konzentriere mich in meinen Darlegungen auf Adelungs Haltung gegenüber den Fremdwörtern. In der (Rhetorik-orientierten) Schrift „Ueber den deutschen Styl“, die er selbst als „Lehrbuch“ (Adelung 1785, Vorr., S. VI) bezeichnete, wird sein Bemühen um Reinheit und damit um eine Kultivierung der Sprache besonders deutlich. In der dem Kapitel „Reinigkeit“ vorangestellten „Erklärung“ formulierte er seine Auffassung von „fremdartig“: Rein ist, was nicht mit fremdartigen Theilen vermischt ist. Das Fremdartige, was in Sprachen in Betrachtung kommen kann, sind vornehmlich, veraltete, provinzielle, ausländische und sprachwidrig gebildete neue Wörter, Bedeutungen und Formen. Die erste Art gibt die Archaismen, die zweyte die Provincialismen, die dritte die Latinismen, Gallicismen, u.s.f. und die vierte endlich die Neologismen. Alle zusammen werden noch mit zu den Barbarismen gerechnet. (ebd., S. 84) Als Ursachen für die zeitgenössische „Sprachmengerey“ sah Adelung theils Bequemlichkeit, nicht lange nach einem guten schicklichen Ausdrucke herum sinnen zu dürfen; theils Unwissenheit und Unkunde des Reichthumes seiner Muttersprache; theils Eitelkeit, gelehrt zu scheinen; theils aber auch und vornehmlich Mangel des Geschmackes, wobey man das Widerwärtige nicht empfindet, welches dergleichen Mischmasch mit sich führet. (ebd., S. 110f.) Bei den „ausländischen Wörtern und Formen“ unterschied Adelung zwischen „nothwendigen“ und „verwerflichen“ Wörtern (ebd., S. 107ff.). So müsse man ein Fremdwort beibehalten, wenn es etwas auf eine bestimmte und allgemeinverständliche Art ausdrücke und das Deutsche weder ein eige- <?page no="163"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 163 nes Wort habe noch bilden könne; als Beispiele führte er wissenschaftlich und publizistisch gängige Lehnwörter an wie Litteratur, Patriot, Contrast, Tyrann, Chicane. In manchen Fällen - „wenn das Deutsche Wort nicht sehr klar und bestimmt ist, das fremde hingegen bereits allgemein bekannt ist“ (Adelung 1785, S. 108) - sei sogar das fremde einem einheimischen Wort vorzuziehen, sofern nämlich dieses „entweder den Begriff schielend, falsch und mangelhaft ausdruckt“ (ebd., S. 107f.), wie z.B. Zwischenreich, Stachelschrift, Denkschrift, abgezogen, sofern es zweideutig ist, z.B. Streitschrift, sofern es „wider die herrschende Analogie gebildet, und folglich barbarisch ist“, z.B. Eilbote, Einzelherr, oder sofern es „niedrig“ ist, z.B. Geschwader. Diese Beispiele zeigen deutlich seine Abneigung gegen deutsche Neubildungen, die größtenteils von anderen Sprachreinigern neugebildete Ersatzwörter waren und seiner Meinung nach den Begriff nicht adäquat ausdrückten. In allen anderen Fällen seien fremde Wörter als unerwünscht und überflüssig abzulehnen: Unnöthig und barbarisch hingegen sind alle fremde Wörter, für deren Begriff man einen guten und bestimmten einheimischen Ausdruck hat (ebd., S. 109); u.a. nennt er als Beispiele solche Wörter, die sich dennoch durchgesetzt haben wie Skizze, Dialog, frappant, Interesse, Tendenz. Falls es einmal nicht möglich sei, die semantischen Schattierungen eines Fremdwortes durch ein einziges deutsches Wort wiederzugeben, gäbe es gewiss für jede dieser Nuancen eine passende deutsche Entsprechung; beispielsweise könne interessant durch „wichtig, reitzend, viel versprechend u.s.f.“ ersetzt werden. Seine Ausführungen fasste er in fünf „Regeln der Klugheit“ (Adelung 1785, S. 111ff.), allgemeinen Grundsätzen für die Behandlung von Fremdwörtern, wie folgt zusammen: „1. Man behalte sie, wenn sie seit langen Zeiten eingeführet, zu Bürgern aufgenommen und allgemein verständlich sind“ (ebd., S. 111ff.), als Beispiele nennt er u.a. assimilierte Lehnwörter der ältesten Entlehnungsphase wie Pflaster, Bischof, Kanzel, Fenster, Pulver. „2. Man behalte sie in der Gestalt, in welcher sie einmahl allgemein bekannt und verständlich sind“ (ebd., S. 111ff.), z.B. Muselman, Vezir, China. „3. Man behalte das fremde Wort, wenn dessen Begriff ausgedruckt werden muß, und wir kein einheimisches, bestimmtes, verständliches und analogisch richtiges für dasselbe haben“ (ebd., S. 111ff.), denn übertriebener Purismus schade der Verständlichkeit. <?page no="164"?> Oda Vietze 164 „4. Unter zwey gleich bedeutenden fremden Wörtern, oder unter zwey Formen eines und eben desselben Wortes wähle man die, welche der Deutschen Analogie am nächsten kommt, und einmahl die bekannteste, folglich auch die verständlichste ist“ (Adelung 1785, S. 111ff.), z.B. Memorial, nicht Memoire, Protokoll, nicht Proces verbal. „5. Man befolge in Ansehung der Biegung und Orthographie den besten Sprachgebrauch, welcher der Verständlichkeit so wohl, als dem Wohlklange am angemessensten ist.“ (ebd.) In allen sonstigen Fällen sollten ausländische Wörter als „barbarisch“ vermieden werden; ausländische Wortfügungen und Redewendungen seien unter keinen Umständen zulässig (ebd., S. 113). Bereits in der Vorrede des 11 Jahre früher erschienenen ersten Bandes seines Grammatisch-kritischen Wörterbuches (1774-86) hatte Adelung sich zur Frage der Aufnahme von Fremdwörtern detailliert geäußert. In diesem Wörterbuch wollte er die „Schrift- und feinere Gesellschaftssprache“ des Hochdeutschen verzeichnen. Wie schon der Titel aussagt, strebte er - trotz seiner sozial und regional einschränkenden Definition 3 von „Hochdeutsch“ als „Schrift- und feinere Gesellschaftssprache der oberen Classen insbesondere der südlichen Chursächsischen Lande“ - eine vollständige Erfassung des Sprachstoffes an; der Zusatz „Versuch“ schränkt diesen Anspruch, den gesamten Wortschatz der Literatursprache der „Hochdeutschen Mundart“ darzustellen, gleichzeitig ein. Er stellt fest, dass die „hochdeutsche Mundart“ wegen ihrer vermeintlichen Armut an Wörtern zu der Zeit, als man anfieng, die Künste und Wissenschaften in derselben vorzutragen, [...], die meisten Kunstwörter nicht anders, als durch Hülfe fremder Sprachen ausdrücken konnte, wodurch sie ein barbarisches und scheusliches Ansehen bekam; [...]. (Adelung 1774, Vorr., S. X) Der hochdeutschen Mundart fehle es „nur gar zu oft an Ausdrücken, eine und eben dieselbe Sache nach allen Schattierungen [...] zu bezeichnen“ - im Gegensatz dazu sei die oberdeutsche Mundart reich an „dergleichen Wörtern“ (ebd.). Auch in Wörterbuchartikeln rühmte er vielfach den Reichtum des Oberdeutschen an einheimischen Wörtern, für die die anderen Mundarten fremde gebrauchen müssten. 3 Vgl. u.a. „Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache“ (Adelung 1782, Bd. I, S. LX ). <?page no="165"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 165 Heftig polemisierte Adelung gegen die Neueinführung überflüssiger Fremdwörter: Diese Armuth aber entschuldiget die gezierte Sprachmengerey einiger neuern Witzlinge auf keine Weise, welche ihre Muttersprache noch immer mit einem Pendant, Plaisanterie, frappant, suffisante Mine, Sujet, debutiren, Ideal, populär, Tiraden u.s.f. beflecken, ungeachtet diese Begriffe schon längst eben so gute deutsche Benennungen haben, deren Verleugnung Unkunde entweder der deutschen Sprache, oder wohl gar der Sache selbst verräth. (Adelung 1774, Vorr., S. X, Anm.) 3. Die lexikographische Praxis Adelungs Bei der Lemmatisierung der Fremdwörter war er in der 1. Auflage seines Wörterbuches noch relativ zurückhaltend, auch wenn er schon zu mehr Zugeständnissen bereit war als in seiner ersten Planung: Alle ausländische Wörter, die nicht das deutsche Bürgerrecht erhalten haben, sollten meinem ersten Entwurfe 4 nach, gleichfalls völlig ausgeschlossen bleiben. Allein in der Folge habe ich in Ansehung einiger dennoch eine Ausnahme gemacht. Vielleicht hätten noch viele andere mit eben dem Rechte aufgeführet werden können; ich glaubte aber nicht, daß es der Mühe werth sey, sie mühsam aufzusuchen, und wählete nur die, welche es eines oder des andern Umstandes wegen vorzüglich zu verdienen schienen. (Adelung 1774, S. XIII ) In der (knapper gehaltenen) Vorrede zur zwischen 1793 und 1801 erschienenen 2. Auflage des Wörterbuches (Adelung 1793) erläuterte er, warum er nun bestimmte Wörter aufgenommen hatte: Ich hatte bey der ersten Bearbeitung dieses Wörterbuches anfänglich den Entschluß gefasset, alle theils aus Noth, theils aus Unverstand und Mangel des Geschmackes in die Deutsche Sprache eingeführte fremde Wörter gänzlich bey Seite zu legen, und mich bloß auf eigentlich Deutsche einzuschränken. Allein ich wurde doch sehr bald selbst überzeugt, daß die ganzliche Abwesenheit aller Wörter dieser Art leicht für einen wesentlichen Mangel gehalten werden könnte, zumahl da ein großer Theil derselben nunmehr unentbehrlich ist, und für viele vielleicht noch mehr einer Erklärung bedarf, als eigentlich Deutsche Wörter. Ich bin daher schon in der ersten Auflage sehr bald von diesem Entschlusse abgegangen, und habe in der gegenwärtigen neuen noch mehr solcher Wörter aufgeführet, ohne mich doch überwinden zu können, sie alle aufzunehmen. Manche sind bloß um deßwillen angeführet, um durch den beygefügten Deutschen Ausdruck ihre Unnöthigkeit und Verwerflichkeit zu zeigen. (Adelung 1793-1801, Vorr., S. IV f.) 4 Gemeint ist die Ankündigung von 1770, in der er noch strengere Grundsätze vertrat: „[...] alle ohne Noth aus fremden Sprachen entlehnte Wörter sollen wegfallen [...]“; vgl. Dill (1992, S. 157). <?page no="166"?> Oda Vietze 166 Um Adelungs Aussagen mit seiner lexikographischen Vorgehensweise bei der Lemmatisierung und Paraphrasierung zu vergleichen, habe ich den fremdwortreichsten Buchstaben P, der sich in der 2. Auflage über 241 Spalten erstreckt, untersucht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: 5 1. Einige Fremdwörter sind nur mit einer Herkunftsangabe und einer (kurzen) Paraphrase versehen - ein Hinweis darauf, dass er sie als eingebürgert betrachtete: Die Phi le, [...] aus dem Lat. phiola, eine Flasche mit einem langen Halse und runden Bauche. ( GKW , Bd. III , S. 766) 6 Der Piláster, [...] aus dem Franz. Pilastre, ein Pfeiler. (ebd., S. 768) 2. Der Hinweis auf die Entbehrlichkeit und Ersetzbarkeit eines Fremdwortes erfolgt dadurch, dass es lediglich als Verweislemma verzeichnet ist und keine weitere Paraphrasierung erfolgt: Die Präpositi n, [...] S. Vorwort. ( GKW , Bd. III , S. 827) 3. Erhalten gebliebene Besonderheiten der Aussprache werden erläutert: Die Poes e, (dreysylbig,) plur. die Poes en, (viersylbig,) [...]. ( GKW , Bd. III , S. 799) Das Pántalon, (sprich Pantalong,) [...]. (ebd., S. 645) Der P villon, (sprich Pawilljong,) [...]. (ebd., S. 678) 4. Um die Entbehrlichkeit fremder Begriffe zu verdeutlichen, wird zur semantischen Erläuterung ein deutsches Synonym als Ersatzwortvorschlag beigegeben: Der Prosp ct, [...] aus dem Latein. Prospectus und Franz. Prospect. 1) Alles dasjenige, was man erblickt, in Ansehung der angenehmen oder unangenehmen Empfindung, welche es bey dem Anblicke macht; der Anblick. 2) Was man in einiger Ferne erblickt, und die Aussicht in die Ferne; die Aussicht. Jemanden den Prospect verbauen. Ein angenehmer Prospect. Besonders ein Theil der Erdfläche, so wie er sich dem Auge in der Entfernung darstellet; die Ansicht. (ebd., S. 848-849) Das Perspect v, [...] aus dem Französ. Perspectif, ein optisches Instrument, wodurch man entlegene Sachen deutlich erkennen kann; das Fernrohr, Sehrohr. (ebd., S. 694) 5 Dill (1992) untersuchte anhand der Adelungschen Kriterien die Behandlung von Fremdwörtern in dessen Wörterbuch; ich stütze mich hier auf seine Ausführungen. 6 Die folgenden mit GKW gekennzeichneten Belege wurden dem Grammatisch-kritischen Wörterbuch von 1793-1801 entnommen. <?page no="167"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 167 Dabei wies Adelung gelegentlich ausdrücklich auf einheimische Ersatzwörter für Wörter oder auch Teilbedeutungen hin: Das P dagra, [...] Man kann dieses ausländische Wort gar wohl entbehren, indem man mehrere einheimische Ausdrücke hat, unter welchen man nur zu wählen braucht. ( GKW , Bd. III , S. 799) Das Publicum, [...] 1) eigentlich eine an einem öffentlichen Orte versammelte Menge Menschen. [...] und in dieser Bedeutung haben wir im Deutschen freylich kein schickliches Wort, dasselbe in allen Fällen auszudrucken, obgleich der Ausdruck Zuschauer für viele Fälle bequem ist. (ebd., S. 856f.) [...] 3) Im weitesten Verstande verstehet man unter diesem Ausdrucke alle mit uns zugleich lebende Personen; in welchem Falle das Deutsche Wort Welt diesen Begriff eben so gut ausdruckt [...] (ebd., S. 857). Die Par de, [...] Daher denn dieses Wort mit allen Hauptwörtern zusammen gesetzet wird, welche zur Parade, d.i. zum Staate, bestimmt sind, wofür in vielen Fällen auch das mehr Deutsche Pracht gebraucht werden kann. (ebd., S. 656) Interessant ist, dass er gelegentlich explizit Wertungen äußert und so seine Einstellung sichtbar werden lässt: 2. Das Prodúct: Die Früchte oder Güter eines Landes, so wie sie durch die Hand des ersten Besitzers von der Natur gewonnen werden, pflegt man gemeiniglich die Producte eines solchen Landes, die Landes-Producte zu nennen. Das mehr Deutsche Erzeugniß, plur. Erzeugnisse, druckt sie eben so gut aus. ( GKW , Bd. III , S. 844) Populär [...]: ein von einigen neuern Schriftstellern ohne Noth aus dem Franz. populaire entlehntes Wort, dem größten Haufen, den niedern Classen der Glieder eines Staates verständlich; allgemein verständlich.[...] Auch für, den niedern Classen der Weltbürger nützlich, haben es einige einführen wollen, als wenn wir nicht schon das gute eben das sagende Deutsche Wort gemeinnützig hätten. (ebd., S. 808) Priv t, ein aus dem Lat. privatus entlehntes und in verschiedenen Zusammensetzungen übliches Wort, solche Dinge zu bezeichnen, welche den öffentlichen eben dieser Art entgegen gesetzet werden, und wofür sich im Ganzen noch kein schicklicher Deutscher Ausdruck hat wollen finden lassen, indem geheim in den meisten Fällen zu viel saget. Indessen hat man doch in vielen einzelnen Fällen gute Deutsche Wörter, die man dafür gebrauchen kann. (ebd., S. 840) <?page no="168"?> Oda Vietze 168 Abb. 1: Populär (Adelung 1798: Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Bd. III , S. 808) 5. Als Ersatzwort für gebräuchliche Fremdwörter bot Adelung zuweilen auch veraltete oder nur regional verwendete Synonyme an: Präsidênt: Ehedem gebrauchte man das gute Deutsche Wort Stabhalter dafür [...]. ( GKW , Bd. III , S. 827) Postuliren: [...] Ehedem bedeutete es einstimmig, einmüthig zum Bischofe wählen, besonders wenn der Candidat schon an einem andern Orte Bischof war. (ebd., S. 817) Der Alt n, [...] ein flaches Dach, oder auch ein freyer Platz auf einem Dache, auf welchem man herum gehen kann. Anm.: Auch dieses Wort ist das Ital. Altana, welches durch die Baumeister nach Deutschland verpflanzet worden. Die ältern Deutschen hatten andere Wörter, einen solchen Platz zu benennen. Denn so findet man dafür die Wörter Hochhaus, Puny, Umlauf, Eßlaube, Truckeney, vermuthlich, weil man die Wäsche auf solchen Altanen trocknete, und am häufigsten Söller. ( GKW , Bd. I , S. 235) Der Secretär, [...] welchen man im Oberdeutschen mit einem alten guten Worte auch wohl noch einen Geheimschreiber nennet. ( GKW , Bd. IV , S. 5) 6. Wenn die Ersatzwortvorschläge die Bedeutung des Wortes nur unvollständig wiedergeben, plädierte Adelung für die Beibehaltung der Fremdwörter: Die Protestati n, [...] Ehedem gebrauchte man dafür die Ausdrücke Einrede, Sonderung, Meldung u.s.f. welche doch insgesammt den Begriff nur halb ausdrucken [...]. ( GKW , Bd. III , S. 849) Der Patri t, [...] 2) In weiterer Bedeutung wird dieses Wort oft sehr gemißbraucht, indem man schon einen jeden, welcher eine parteyische oder auf Nebenumstände gegründete Liebe für sein Vaterland oder seinen Wohnort blicken lässet, und dessen auch parteyische Liebe gemeiniglich nur auf der Zunge wohnet, oder welcher gar seinen eigenen Vortheil unter dem Scheine des allgemeinen Besten sucht, einen Patrioten zu nennen pflegt. [...] Man hat statt dieses fremden Wortes das veraltete Biedermann vorgeschlagen, welches aber dessen Begriff in keiner von beyden Bedeutungen erschöpfet. (ebd., S. 672) <?page no="169"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 169 Abb. 2: Der Patriot (Adelung 1798: Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Bd. III , S. 672) 7. Nicht erfolgreiche Verdeutschungsversuche verteidigte Adelung nicht: Die Perspect ve, [...] Gryphius suchte dieses Wort durch Schaukunst zu ersetzen, welches aber keinen Beyfall erhalten hat. ( GKW , Bd. III , S. 694) Die Perr cke, oder Perrúcke, [...] Einige übertriebene Puristen in der Sprache haben den Französischen Nahmen auszumerzen gesucht, und dafür Haarmütze angerathen, womit sie aber nur verlacht worden. Der Nahme Mütze ist bereits zu niedrig geworden, als daß er sich ohne Ärgerniß von einem so feyerlichen Kleidungsstücke als die Perrücke ist, sollte gebrauchen lassen. (ebd., S. 691) 8. Häufig ordnete Adelung den Gebrauch von Fremdwörtern einer bestimmten stilistischen Ebene zu, z.B. der Ebene des „gemeinen Lebens“ oder den „niedrigen Sprecharten“: Der Part, [...] 2) Ein oder mehrere mit andern streitige Personen, besonders in den Rechten. Der eine Part, der andere Part. Der Gegenpart, der Widerpart. In der bessern Sprechart ist dafür Partey, und in der anständigern Theil, und für Gegenpart Gegner und Gegentheil üblich. ( GKW , Bd. III , S. 659) Der Pard n, [...] ein aus dem Franz. Pardon, nur im gemeinen Leben für Vergebung und Begnadigung übliches Wort [...]. (ebd., S. 658) Teilweise ist dies auch mit einer regionalen Zuordnung verbunden: 1. * Der Páß, [...] ein gleichfalls nur im gemeinen Leben, besonders Nieder- Deutschlandes, übliches Wort. (ebd., S. 664) 9. Eingebürgerten Fremdwörtern bestätigte er explizit das „Bürgerrecht im Deutschen“: Der Proz ß; [...] Da Prozeß durch den langen und häufigen Gebrauch nunmehr schon eine Art von Bürgerrecht erhalten hat, so kann man das Latein. c in demselben auch füglich mit dem mehr Deutschen z vertauschen. ( GKW , Bd. III , S. 851) <?page no="170"?> Oda Vietze 170 Ph: [...] Wir haben ihn nur in einigen aus dem Griechischen herstammenden Wörtern, wo man das der Griechen nach dem Vorgange der Lateiner durch denselben auszudrucken pflegt. In vielen Wörtern, welche bereits eine Art von Bürgerrecht erhalten haben, kann man ihm füglich ein Deutsches f unterschieben [...]. ( GKW , Bd. III , S. 764f.) Abb. 3: Der Prozeß (Adelung 1798: Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Bd. III , S. 851) Es zeigte sich, dass Adelung seine Wörterbucheinträge gemäß seinen theoretischen Erörterungen und Forderungen gestaltete, in dem er einerseits zwar auf Ersatzwortvorschläge hinwies, andererseits für die Beibehaltung vieler von ihm lemmatisierter Fremdwörter plädierte, z.B., wenn sie für die semantische Differenzierung notwendig seien und kein deutsches Wort dafür zur Verfügung stünde. <?page no="171"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 171 Die von Adelung behauptete Vermehrung der Lemmata in der 2. Auflage lässt sich auch für den untersuchten Lemmabereich belegen. Dabei handelt es sich nicht um eine rein zahlenmäßige Vermehrung. Einige Lemmata aus der 1. Auflage sind in der 2. nicht mehr vorhanden, z.B. par (ein arithmetischer Terminus mit der Bedeutung ‘gleich’), Passee (ein Terminus der Perückenmacher), Perl-Cantille (Bezeichnung für einen von Drahtziehern und Stickern verwendeten zusammengesponnenen Gold- und Silberdraht) und Politie (Bezeichnung für eine bürgerliche Verfassung; unter diesem Lemma merkt Adelung an, dass es nur selten vorkommt). Die 2. Auflage 7 verzeichnet neue Lemmata und Ableitungen wie beispielsweise Pagode, paradox, passiv, pathetisch, pantomimisch, Politur, Phiole, Phlegma, Physiognomie, Pokal. Diese Auswahl lässt auf eine differenzierte Aufnahme von Fremdwörtern als Lemmata seines Wörterbuches schließen. Neben der Lemmatisierung der Fremdwörter lohnt sich auch ein kurzer Blick auf den Fremdwortgebrauch Adelungs in den Wortartikeln selbst, also in den semantischen und etymologischen Erläuterungen. 8 Einerseits nutzte er historisches Fremdwortgut zur Stützung seiner Etymologieversuche und andererseits in der Auflistung ihm bekannter fremdsprachlicher und eine gewisse lautliche Ähnlichkeit aufweisender Synonyme. Zur Bedeutungserläuterung zog er durchaus auch Fremdwörter heran, die er selbst nicht lemmatisiert hatte. Ein Beispiel: Der Pillenfarn, [...] eine Art des Farns oder Farnkrautes, dessen männliche Blüthe an der Seite des Blattes, die weibliche runde Fructification 9 aber in Gestalt kleiner Pillen an der Wurzel sitzet [...]. ( GKW , Bd. III , S. 769) 4. Die Preisträger und ihr Verhältnis zu Adelung Den 2. Preis der Akademie erhielt Kinderling mit der Schrift „Über die Reinigkeit der Deutschen Sprache, und die Beförderungsmittel derselben, mit einer Musterung der fremden Wörter und andern Wörterverzeichnissen“ (1795), in der er eine Zusammenfassung des zeitgenössischen Diskurses über die „Reinheit“ der deutschen Sprache gibt. 7 In der 2. Auflage umfasst der Buchstabe P sechs Spalten weniger. 8 Dill (1992, S. 158) führt weitere Beispiele an und mutmaßt als Grund dafür einerseits einen Hang Adelungs zur „Sprachenzyklopädie“, dem Bestreben, alles Wissenswerte soweit wie möglich im Wörterbuch unterzubringen, andererseits den Wunsch, dadurch die Verwandtschaft der angeführten Sprachen dokumentieren und so letztlich seine Sprachentstehungstheorie bestätigen zu wollen (ebd., S. 168f.). 9 Fructification ist im Wörterbuch nicht lemmatisiert. <?page no="172"?> Oda Vietze 172 Einleitend stellte Kinderling fest: [...] wenn es uns mit der Reinigung der deutschen Sprache ein Ernst ist, so müssen wir nothwendig die Fremdlinge sorgfältig mustern, und den einheimischen guten Wörtern die Ehre wiedergeben, welche die fremden Wörter an sich gerissen haben. (Kinderling 1795, Vorr., o.S.) Der erste Teil seiner Schrift befasst sich mit der Reinheit der Sprache und darin u.a. mit der Frage, welche Fremdwörter zulässig oder zu verwerfen seien; seine Erörterungen stimmen mit denen Adelungs weitgehend überein. Kinderling verwies häufig auf Adelungs Arbeit „Ueber den Styl“ und äußerte überwiegend Lob für „das vortreffliche Adelungsche Wörterbuch“ (ebd., S. 83), das man „den berühmtesten Werken der Ausländer an die Seite stellen“ (ebd.) könne. Er stellte wiederholt - z.B. im Abschnitt über die Fremdwörter - eine Gültigkeit der Adelung'schen Aussagen und „sehr gegründeten“ (ebd., S. 50) Regeln fest; eine klare Abgrenzung ist dagegen ablesbar an Wertungen wie der, dass Adelungs „Formulierungen ziemlich strenge sind“ (ebd., S. 20), dass „sein Urtheil über die alten Wörter zu strenge ausgefallen“ sei (ebd., S. 21), er in manchen Punkten „den gar zu strengen Forderungen des Herrn Adelung nicht beytreten“ könne (ebd., S. 54); einige von Adelung angeführte Beispiele kritisierte er. 10 Im zweiten Teil widmete er sich den Methoden, durch die die Reinheit bestimmter Wortschatzbereiche wie der Sittenlehre, populärer Philosophie, Erdbeschreibung, Künste und Handwerk erreicht werden könnte. Insbesondere verwies Kinderling darauf, dass die Sprachreinigung nicht allein gegen die Fremdwörter zu richten sei, sondern „alles Sprachwidrige“ in Syntax, Wortbildung und Wortschatz zu verwerfen sei. Gegen durch den Sprachgebrauch akzeptierte Fremdwörter hatte er keine Einwände. Im Anhang der Preisschrift befindet sich ein 242 Seiten umfassendes Fremdwortverzeichnis, das er „aus dem Adelungischen Wörterbuche mit wenigen Zusätzen genommen“ (Kinderling 1795, S. 100f.) hat; ca. 180 der dort angeführten Verdeutschungen beanspruchte er selbst gebildet zu haben. 11 Wie Kirkness feststellte, hat Kinderling den größten Teil seines Materials von anderen Autoren, vornehmlich Adelung und Leibniz, geborgt und kritisch zusammengefasst oder wiederholt. 10 Vgl. ebd., S. 36, 55, 57f. 11 Vgl. Kirkness (1975, S. 77f.). <?page no="173"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 173 Den Aufsatzwettbewerb gewann Campe mit seiner Schrift „Ueber die Reinigung und Bereicherung der Deutschen Sprache“. Einleitend beschrieb er die Motivation seiner sprachpflegerischen Bemühungen: Eine, von aller Einmischung des Fremdartigen rein und unbefleckt erhaltene Sprache ist daher auch das beste und wirksamste Mittel oder Werkzeug zu der geistigen, sittlichen und bürgerlichen Ausbildung desjenigen Volks, welches das Glück hat, sie zu besitzen. (Campe 1794, S. XXX ) Er wollte das gelehrte Aufklärungswissen sowie die Ideen der Französischen Revolution in alle Bevölkerungsschichten verbreiten, um so Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen, und dazu war eine allen verständliche Sprache erforderlich. 12 Diese radikaldemokratische, volksaufklärerische Absicht bildete den Hintergrund der sprachpflegerischen Bemühungen Campes, deren Wirkung weit bis in das 19. und 20. Jahrhundert reicht. Campes Bestrebungen richteten sich gegen alles Fremdartige und „Unreine“, gegen unverständliche, abweichende und mehrdeutige Lexeme und Phraseologismen. Um eine allgemeine Verständlichkeit der Sprache sicherzustellen, sollten möglichst alle Wortformen nach der Analogie des überregionalen Hochdeutsch gebildet oder ihr angepasst sein. Alles Nichtanaloge, bei zusammengesetzten und abgeleiteten Wörtern alles nicht morphologisch Motivierte und deshalb Nichtverständliche lehnte er ab, ebenso alle Wörter und Wendungen aus fremden Sprachen. Fremd- und Lehnwörter sollten durch Lexeme deutscher Herkunft ersetzt werden. Längst eingebürgerte, assimilierte Lehnwörter dagegen sollten nicht verdeutscht werden. Den Gebrauch von Fremdwörtern zum Ausdruck feiner Bedeutungsunterschiede hielt er nur zeitlich begrenzt für zulässig, z.B. bei literarischen Schriftstellern und auch nur bei Schriften, die nicht für Laien bestimmt waren. Die Bereicherung des Wortschatzes sollte durch Reaktivierung von Archaismen, Aufnahme von dialektalem Wortschatz in die Hochsprache, Neubildungen und Lehnübersetzungen erfolgen. 1801 erschien das „Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke“, in dem Campe den fremdsprachlichen Wortschatz seiner Zeit abbildete, um „eine so viel möglich vollständige Sammlung aller, unserer Sprache beigemischten, fremden 12 Vgl. Schiewe (1988, S. 21ff.). <?page no="174"?> Oda Vietze 174 Wörter“ (2. Aufl. 1813, Bd. I, Vorr., S. IV) zu geben, sowie eine lexikalische Bestandsaufnahme des unter puristischen Gesichtspunkten neugebildeten Wortschatzes 13 vornahm. Campe sah seine Arbeiten über die deutsche Sprache und besonders das Verdeutschungswörterbuch als Nachtrag zum Wörterbuch Adelungs an, da dieser sich seiner Meinung nach zu oberflächlich mit den Fremdwörtern befasst habe. Die 2., „stark vermehrte und durchgängig verbesserte Ausgabe“ dieses Wörterbuches (1813) umfasste 11000 Verdeutschungsvorschläge vorwiegend aus den gesellschaftlich relevanten Bereichen wie Politik, Wissenschaft, Religion, Militärwesen, 14 deren größter Teil sich jedoch nicht durchsetzen konnte. 15 Außerdem gab er alle Vorschläge für Ersatzwörter, die nicht bei Adelung gebucht sind, in einem Verzeichnis bei. Die Arbeiten Campes bilden einen Höhepunkt der Sprachreinigungsbewegung; zugleich markieren sie den Punkt, ab dem sich die Bemühungen zur Reinigung der Sprache schrittweise zu einem Fremdwortpurismus verengten. 5. Resümee Anhand der vorgestellten Überlegungen Adelungs wird eine Entwicklung seiner Einstellung gegenüber fremden Wörtern sichtbar. War er zu Beginn der Wörterbucharbeit bei der Auswahl der aufzunehmenden Lemmata noch sehr restriktiv vorgegangen, so ist in den folgenden Jahren eine allmähliche Lockerung bzw. Mäßigung festzustellen, eine deutliche Präzisierung und Abwendung von einem unreflektierten Purismus hin zu einem rationalistischen, maßvollen und damit positiven Purismus, der sich gleichermaßen von den Bestrebungen der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts wie von den Bemühungen Campes unterscheidet. Sowohl an seinen theoretischen Ausführungen zur Reinigkeit der Sprache als auch an deren Umsetzung bei der Wörterbucharbeit ist eine zunehmende Toleranz gegenüber Fremdwörtern und Verdeutschungen ablesbar. So zog er gebräuchliche und bewährte Wörter fremder Herkunft gezwungenen Neubildungen vor, wenn diese seine Forderungen nach Bestimmtheit, Verständlichkeit und stilistischer ‘Würde’ nicht erfüllten. Die prinzipielle Ablehnung 13 Vgl. dazu Henne (1975b, S. 162). 14 Vgl. Schiewe (1989, S. 233). 15 Nach Kirkness (1975, S. 154) betrifft das 90 % der Verdeutschungsvorschläge. <?page no="175"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 175 von Fremdwörtern und Verurteilung von Ersatzwörtern in der 1. Auflage wandelte sich allmählich; zugleich blieb er gegenüber der Bildung von Ersatzwörtern durch Zusammensetzung und Ableitung in der Art der Fremdwortverdeutscher reserviert. Adelungs lexikographisches Interesse war vorwiegend auf die Erfassung, Vereinheitlichung und Vervollkommnung der deutschen Sprache gerichtet. In der wachsenden Bereitschaft zur vermehrten Aufnahme von Fremdwörtern in der 2. Auflage des Wörterbuches spiegelt sich diese pragmatische Einstellung wider. Sie ist auch ein Indiz dafür, dass neben den sprachpflegerischen Absichten zunehmend Adelungs lexikographisches Bestreben nach möglichst umfassender Information in den Vordergrund trat. Seine undogmatische, gemäßigte Haltung gegenüber Wörtern fremden Ursprungs brachte ihm die bereits erwähnte Kritik z.B. Campes ein. Da sein vorrangiges Interesse der Sprache als Kommunikationsmittel galt und er im Sprachgebrauch „die höchste und unumschränkteste Macht“ (Adelung 1782, Bd. I, S. 109) sah, konnte er schon deshalb nicht so puristisch sein. 16 Adelungs normativ-kodifizierende Arbeit auch im lexikographischen Bereich stellt einen Höhepunkt und Abschluss der Bestrebungen des 17. und 18. Jahrhunderts nach einem genormten Hochdeutsch dar. Auch die Puristen des 19. und 20. Jahrhunderts, die zwar einen anderen Weg gingen, setzten sich anfangs mit der Position Adelungs auseinander. 6. Literatur 6.1 Schriften Johann Christoph Adelungs Adelung, Johann Christoph (1774): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Erster Theil, von A- E. Dem noch beygefüget ist des Herrn M. Fulda Preisschrift über die beyden deutschen Haupt-Dialecte. Leipzig. (Vorrede 1773). Adelung, Johann Christoph (1775): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Zweyter Theil, von F-K. Leipzig. 16 Vgl. (Henne 1975a, S. 115). <?page no="176"?> Oda Vietze 176 Adelung, Johann Christoph (1777): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Dritter Theil, von L- Scha. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1780): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Vierter Theil, von Sche-V. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1782): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Erster und zweyter Band. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1785): Ueber den deutschen Styl. Drei Theile in zwei Bänden. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1786): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Fünften und letzten Theils Erste Hälfte, von W-Z. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1793 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. I. A-E. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1793. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II : Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York]. [Zit. als GKW , Bd. I]. Adelung, Johann Christoph (1793-1801 [2001]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Leipzig. [Elektron. Volltextu. Faksimile-Edit. nach d. Ausgabe letzter Hand 1793-1801. (= Digitale Bibliothek Bd. 40). Berlin]. Adelung, Johann Christoph (1796 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. II . F-L. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 2, 1796. (= Documenta Linguistica. Reihe II : Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York]. [Zit. als GKW , Bd. II ]. Adelung, Johann Christoph (1798 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. III . M-Scr. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 3, 1798. (= Documenta Linguistica. Reihe II : Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts ) . Hildesheim/ New York]. [Zit. als GKW , Bd. III ]. <?page no="177"?> Adelungs Fremdwortkonzeption 177 Adelung, Johann Christoph (1801 [1970]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. IV . Seb-Z. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. [Neudr. d. 2. Aufl., Bd. 4, 1801. (= Documenta Linguistica. Reihe II : Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York]. [Zit. als GKW , Bd. IV ]. 6.2 Sonstige Primärliteratur Campe, Joachim Heinrich (1794): Ueber die Reinigung und Bereicherung der Deutschen Sprache. Dritter Versuch, welcher den von dem Königl. Preuß. Gelehrtenverein zu Berlin ausgesetzten Preis erhalten hat. Braunschweig. Campe, Joachim Heinrich (Hg.) (1807-11 [1969]): Wörterbuch der Deutschen Sprache. 5 Bde. Braunschweig. [Nachdr. d. Ausg. 1807-11. Hildesheim/ New York]. Campe, Joachim Heinrich (1813): Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Ein Ergänzungsband zu Adelung's und Campe's Wörterbüchern. Neue stark vermehrte und verbesserte Ausgabe. Braunschweig. Kinderling, Johann Friedrich August (1795): Über die Reinigkeit der Deutschen Sprache, und die Beförderungsmittel derselben, mit einer Musterung der fremden Wörter und andern Wörterverzeichnissen. Berlin. 6.3 Sekundärliteratur Bahner, Werner (Hg.) (1984): Sprache und Kulturentwicklung im Blickfeld der deutschen Aufklärung. Der Beitrag Johann Christoph Adelungs. (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Bd. 70, H. 4). Berlin. Cherubim, Dieter/ Walsdorf, Ariane (2004): Sprachkritik als Aufklärung. Die Deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert. (= Göttinger Bibliotheksschriften 27). Göttingen. Dill, Gerhard (1992): Johann Christoph Adelungs Wörterbuch der ‘Hochdeutschen Mundart’. Untersuchungen zur lexikographischen Konzeption. (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur 1303). Frankfurt a.M./ Bern/ New York/ Paris. Gessinger, Joachim (2004): Kritik der sprachlichen Unvernunft. Joachim Heinrich Campe und die Preisfrage der Berliner Akademie zur Reinheit der deutschen Sprache. In: Tintemann, Ute/ Trabant, Jürgen (Hg.): Sprache und Sprachen in Berlin um 1800. (= Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800, Bd. 3). Hannover-Laatzen, S. 13-32. <?page no="178"?> Oda Vietze 178 Haß-Zumkehr, Ulrike (1999): Die kulturelle Dimension der Lexikografie. Am Beispiel der Wörterbücher von Adelung und Campe. In: Gardt, Andreas/ Haß-Zumkehr, Ulrike/ Roelcke, Thorsten (Hg.): Sprachgeschichte als Kulturgeschichte. Berlin/ New York, S. 247-266. Haß-Zumkehr, Ulrike (2001): Deutsche Wörterbücher - Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. Berlin/ New York. Henne, Helmut (1975a): Einführung und Bibliographie zu Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (1793- 1801). In: Henne (Hg.), S. 109-142. Henne, Helmut (1975b): Einführung und Bibliographie zu Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache (1807-1811). In: Henne (Hg.), S. 143-164. Henne, Helmut (Hg.) (1975): Deutsche Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts. Einführung und Bibliographie. Hildesheim/ New York. Kirkness, Alan (1975): Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789-1871. Eine historische Dokumentation. 2 Bde. (= Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 26.1/ 26.2). Tübingen. Kirkness, Alan (1998): Das Phänomen des Purismus in der Geschichte des Deutschen. In: Besch, Werner/ Reichmann, Oskar/ Sonderegger, Stefan (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 1. Tlbd. 2., neubearb. und erw. Aufl. Berlin/ New York, S. 407-416. Müller, Max (1903): Wortkritik und Sprachbereicherung in Adelungs Wörterbuch. Ein Beitrag zur Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache. Berlin. Polenz, Peter v. (1994): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 2: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin/ New York. Schiewe, Jürgen (1988): Sprachpurismus und Emanzipation. Joachim Heinrich Campes Verdeutschungsprogramm als Voraussetzung für Gesellschaftsveränderungen. (= Germanistische Linguistik 96-97). Hildesheim/ Zürich/ New York. Schiewe, Jürgen (1989): Sprache und Öffentlichkeit: Carl Gustav Jochmann und die politische Sprachkritik der Spätaufklärung. (= Philologische Studien und Quellen 118). Berlin. Schiewe, Jürgen (1998): Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München. <?page no="179"?> Anja Voeste Präskription und Deskription - Adelungs Grammatiken zwischen Tradition und Moderne Adelungs Grammatiken changieren zwischen Präskription und Deskription. Sie stehen in der Tradition der lateinischen Schulgrammatik, lassen diese Kontexte aber ein gutes Stück hinter sich. Sie stellen sich in den Dienst der Didaxe, wahren aber explizit den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Adelungs Grammatiken stehen in einer Linie mit den Arbeiten der Vorgänger, ragen jedoch auch deutlich über sie hinaus. Diese divergierenden, teilweise sogar kontradiktorischen Urteile lassen sich - dies soll im Folgenden anhand des Komplexes „Tempus und Temporalität“ exemplarisch illustriert werden - in einer stimmigen Gesamtinterpretation von Werk und Person aufheben, die Adelung zwischen Tradition und Moderne positioniert. 1. Historische Kontexte Stellenwert und Bedeutung von Adelungs Grammatiken erschließen sich am ehesten im historischen Kontext ihrer Entstehung: Seine Arbeiten kamen den Erfordernissen der preußischen Staatspolitik entgegen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Ausbau und die Modernisierung des Verwaltungsapparats vorantrieb und deshalb Bürgerliche mit der unabdingbaren administrativen Fachkompetenz für den Staatsdienst zu rekrutieren suchte. Eine solche Einbindung neuer Schichten in den absolutistischen Staat sollte nicht zuletzt auch die wachsenden Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums konterkarieren, dessen Loyalität der preußische Staat sich durch die Öffnung von Aufstiegskanälen zu sichern suchte. 1 Aus der Sicht des Bürgertums boten diese - nicht nur in Preußen zu beobachtenden - Bestrebungen des absolutistischen Staates ungeahnte neue Chancen: Weil das soziale Kapital der Bildung gegen die Privilegien des Adels gesetzt werden konnte, eigneten Bürger sich Lateinkenntnisse an und absolvierten die für den sozialen Aufstieg unabdingbare akademische Ausbildung. Das Bürgertum nahm die sich hier eröffnenden Chancen wahr: es „ließ sich erziehen“. 1 Vgl. Gessinger (1980, v.a. S. 5-13). <?page no="180"?> Anja Voeste 180 Besonderes Augenmerk galt in diesem Zusammenhang der deutschen Sprache. Deren stilistische Beherrschung und „vernünftige“ Durchdringung wurde nun zum Ausweis von Gelehrsamkeit und Geschmack. Hatte das Deutsche sich als Verwaltungs- und als Unterrichtssprache an den Universitäten bereits durchgesetzt, so wurde nun die „Fertigkeit im Sprechen“, überhaupt „der gute Sprachgebrauch“ im gesellschaftlichen Verkehr allgemein, zusehends wichtiger. Der preußische Staat unterstützte und flankierte diese Entwicklung der geschriebenen wie der gesprochenen Sprache zum Statussymbol durch die Unterrichtsreform des Staatsministers von Zedlitz. Diese zielte auf den Auf- und Ausbau eines dichten Netzes städtischer Bürgerschulen, in deren Lehrplänen der „höhere[n] Pflege des Deutschen“ (Rethwisch 1898, S. 745) zentrale Bedeutung zukam. Die mit Kabinettsordre Friedrichs II. vom September 1779 verfügte Neuregelung des Deutschunterrichts für die preußischen Gymnasien wies insbesondere der deutschen Grammatik eine Schlüsselstellung zu: Eine gute teutsche Grammatik, die die beste ist, muß auch bey den Schuhlen gebraucht werden, es sey nun die Gottsched'sche, 2 oder eine andere, die zum Besten ist. (zit. n. Raumer 1873, S. 168) 2. Adelungs Grammatiken Die vom König befohlene Unterweisung in der „teutschen“ Grammatik war nicht mehr einfach nur als Propädeutikum des Griechisch-, Latein- oder Französischunterrichts in den Gymnasien des Landes gedacht, sondern sie sollte die für den „urbanen“ gesellschaftlichen Umgang zentral wichtigen Fertigkeiten ausbilden. Der König selbst hätte sich mit Gottscheds Grammatik zufrieden gegeben; 3 von Zedlitz hingegen entschied sich gegen Gottsched und für die Indienstnahme Adelungs, der sich mit dem Erscheinen der ersten Bände seines Wörterbuchs bereits große Anerkennung erworben hatte. Adelungs im Auftrag des Staatsministers verfasste, 1781 unter dem Titel „Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen“ publizierte Arbeit wurde von zwei weiteren Grammatiken, dem „Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen“ aus dem gleichen Jahr 2 Gemeint ist die „Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst, Nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts abgefasset“ (Leipzig 1748). 3 Naumann (1986, S. 97) spricht dagegen von der Anweisung Friedrichs II., die Grammatik Gottscheds durch eine Grammatik zu ersetzen, mit Hilfe derer die deutsche Sprache auf höherem Niveau gelehrt werden könne. <?page no="181"?> Präskription und Deskription 181 und dem zweibändigen „Umständlichen Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen“ von 1782 flankiert. Sind Aufbau, Kapitel- und Paragrapheneinteilung der drei Werke auch kongruent, 4 so unterscheiden sich diese doch durch den Grad ihrer Explizitheit und durch ihre Ausrichtung auf jeweils spezifische Zielgruppen: auf die Gymnasiallehrer, die Elementarschullehrer bzw. die Sprachgelehrten. 5 Beschreibt und begründet die „Sprachlehre“, den Absichtserklärungen des Verfassers zufolge, den Sprachgebrauch, so fasst der „Auszug“ die Resultate zusammen. Das „Umständliche Lehrgebäude“ hingegen legt die Stichhaltigkeit der in der „Sprachlehre“ angeführten Begründungen dar. Es enthält zudem ihre ausführliche - eben „umständliche“ - Herleitung. Von Zedlitz hatte durch die Verpflichtung Adelungs den neuen Anforderungen an den Grammatikunterricht Rechnung getragen. Adelung hat diesen Anspruch eingelöst. Gottscheds Grammatik war noch eine Kollektion auf das mechanische Einpauken zugeschnittener autoritativer Haupt-, Unter- und Sonderregeln gewesen. Adelungs Grammatiken wollen den Sprecher nicht bevormunden; sie wollen ihn über den Sprachgebrauch aufklären. 3. Adelung und die Grammatikschreibung im ausgehenden 18. Jahrhundert Die Grammatikschreibung des ausgehenden 18. Jahrhunderts gliedert sich in drei Gruppen: die traditionelle, die historische und die philosophische Grammatik. 6 Die erstgenannte Gruppe umfasst, in der Tradition der lateinischen Schulgrammatik, sowohl die pädagogische als auch die kritischnormative Grammatik; deren besonderes Interesse galt der Sprachpflege, d.h. dem Auf- und Ausbau eines literatursprachlichen Normensystems. 4 Lediglich bei der Behandlung des Adverbs entschied sich Adelung für eine andere Reihenfolge im 2. Kap. des „Auszugs“. 5 Die methodischen Ausführungen in den Vorreden richten sich an Lehrer und nicht an Schüler, woraus zu schließen ist, dass sie in erster Linie als Unterrichtsvorbereitung für Lehrer dienen sollten. Gessinger (1980, S. 74f.) weist nach, dass die „Sprachlehre“ als Schulbuch, d.h. als Hilfsmittel für Schüler, nur selten verwendet wurde. 6 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Schmidt (1985, S. 159-195) und generell Naumann (1986). <?page no="182"?> Anja Voeste 182 Die historische Grammatik vor Grimm ist eng mit der deutschen nationalen, vor allem der der Bearbeitung und Edition mittelalterlicher Texte gewidmeten Philologie verbunden. Aus der Beschäftigung mit historischen Texten erwuchsen auch Impulse für grammatische und lexikalische Untersuchungen des zeitgenössischen Deutschen. Die philosophische Grammatik fußt auf der französischen „Grammaire générale et raisonnée“ von Port Royal (Arnauld/ Lancelot 1660) und ist seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland vertreten. Ihre übereinzelsprachliche Zielsetzung schlägt sich in den verschiedenen Bezeichnungen nieder: als Universalgrammatik, allgemeine, logische oder spekulative Grammatik untersucht sie die Voraussetzungen der menschlichen Sprachfähigkeit und versucht, das Sprachsystem auf ein a priori und universal vorhandenes Ensemble rationaler Kategorien zurückzuführen. Adelung ist keiner dieser Richtungen eindeutig zuzuordnen. 1913 bezeichnet Jellinek die Grammatiken als Werke, in denen die Stränge dieser unterschiedlichen Grammatiktraditionen, überhaupt die Tendenzen der Ära nach Gottsched, zusammenfließen, die jedoch nicht lediglich die Summe dieser Epoche formulieren, sondern über diese hinaus „in die Zukunft weisen“ (Jellinek 1913-1914, S. 331). Ihre Ausrichtung ist sowohl pädagogisch als auch wissenschaftlich. 7 Ihr Anspruch ist deskriptiv, aber durchaus auch kritisch-normativ: dies zeigt sich in Adelungs Orientierung am klassizistischen Stilideal, das eng mit der literarischen Blütezeit Obersachsens 1740-1760 verbunden ist. Von zentraler Bedeutung aber ist ihr wissenschaftlicher Anspruch: Adelungs Arbeiten enthalten nicht nur ausführliche Beschreibungen sprachlicher Sachverhalte, sondern auch weit über die bloße Deskription hinausweisende problemorientierte Explikationen und Reflexionen. Sie bahnen der Sprachbetrachtung „den Weg, sich zu einer Wissenschaft zu erheben“ (Adelung 1781 [1977], S. 9 der Vorrede [o.S.]). 4. Zwischen normativer Schultradition und moderner Sprachwissenschaft Allerdings beinhaltet diese Sichtweise eine unzulässige Vereinfachung: Die wissenschaftlich argumentierende, empirisch unterfütterte Darstellung setzt sich in Adelungs Grammatiken gegen die Zählebigkeit althergebrachter Ka- 7 Strohbach (1984, S. 201) ist dagegen der Meinung, die Sprachlehre sei „gemäß der Schultradition verfaßt“. <?page no="183"?> Präskription und Deskription 183 tegorien und Erklärungsmuster nur mühsam und letztlich unvollkommen durch. Der Blick auf die Kategorie Tempus demonstriert, unter welch erschwerten Bedingungen die „Erhebung zur Wissenschaft“ vonstatten ging. Verweist Adelung auch ausdrücklich darauf, dass das deutsche Sprachsystem anders aufgebaut sei als das lateinische, so orientiert er sich letztlich doch am lateinischen Grammatikmodell. Er stellt etwa fest, das Deutsche besitze nur ein Genus verbi und lediglich zwei Tempusformen. Das hindert ihn jedoch nicht, die lateinischen Kategorien mit dem Hinweis zu übertragen, die analytischen Formen dienten dazu, die „mangelhafte [meine Hervorhebung] Deutsche [Konjugation; Anm. d. Verf.] in Vergleichung mit der Lateinischen“ (Adelung 1782, Bd. 1, S. 771) zu ergänzen. Auch die Explikation der Tempusformen richtet sich am lateinischen Modell aus. Im Kapitel „Von dem Verbo“ statuiert Adelung für alle Tempusformen grundsätzlich eine bestimmte zeitreferenzielle Bedeutung. Gemäß der Gliederung unserer Zeitvorstellung in ein Jetzt, ein Vorher und ein Nachher unterscheidet er die den Tempusstufen Präsens, Präteritum und Futur zugrunde liegenden Zeitstufen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. 8 Die Hauptzeiten Präteritum (bei Adelung noch als Oberbegriff für die Vergangenheitstempora gebraucht) und Futur untergliedern sich weiter nach absoluter und relativer Zeitbedeutung, d.h. danach, ob sie auf temporale Beziehungen zwischen verschiedenen dargestellten Prozessen verweisen oder nicht. Das Perfekt bezeichnet laut Adelung die Vergangenheit in absoluter Zeitbedeutung; Imperfekt und Plusquamperfekt hingegen markieren Zeitrelationen in der Vergangenheit: das Imperfekt Gleichzeitigkeit („Wenn eine Handlung noch nicht völlig vorüber ist, wenn die andere anfängt, als ich ihn lobte, lächelte er […]“; Adelung 1782, Bd. 1, S. 765); das Plusquamperfekt Vorzeitigkeit („Wenn die eine Handlung schon völlig vorüber ist, wenn sich die andere anfängt […]: als ich ihn gelobt hatte, da lächelte er“; ebd.). Auch das Futur existiert in der absoluten und der relativen Variante: Das einfache Futur ist das futurum absolutum. Das Futurperfekt, das futurum exactum, bezeichnet hingegen die Relation der Vorzeitigkeit („In Rücksicht auf eine andere Handlung, in deren Betrachtung sie als vergangen angesehen wird […]: wenn ich ihn werde gelobet haben, so wird er lächeln“; ebd., S. 766). 9 8 Vgl. dagegen die grundsätzliche Unterscheidung von Tempus und Zeit schon bei Aichinger (1754, S. 290-297). 9 Im „Auszug“ wird das Futur II nicht berücksichtigt, da Adelung es offenbar nicht als relevant für den Elementarschulunterricht erachtet. <?page no="184"?> Anja Voeste 184 Nicht nur das Kategoriensystem nährt sich hier von den sechs Tempora des Lateinischen. Auch die Erklärungen zur Tempusbedeutung entstammen dem lateinischen Modell. Adelungs Verhaftung in der Welt der lateinischen Grammatik wird um so deutlicher, je weiter der Weg ins Detail führt: Er definiert das Perfekt als unmarkiertes Erzähltempus und schreibt dem Imperfekt einen infektiven 10 Aspekt zu, d.h. die Bezeichnung eines Geschehens als noch im Vollzug befindlich bzw. nicht abgeschlossen - mithin „imperfekt“. Offensichtlich überträgt Adelung hier die lateinische Terminologie und das traditionelle Verständnis der Vergangenheitstempora unbesehen auf das Deutsche, denn die schematische Zuweisung von Tempusbedeutungen war sicherlich nicht aus der Sprachwirklichkeit des 18. Jahrhunderts geschöpft. Adelung mag aber auch Johann Werner Meiner seine Reverenz erwiesen haben, indem er dessen Interpretation der Tempusbedeutungen folgte. 11 Die vermeintliche Beugung unter das Joch der Tradition tut Adelungs Wissenschaftlichkeit aber nicht eigentlich Abbruch. Zumindest lassen sich „mildernde Umstände“ ins Feld führen. Die Verhaftung in der gängigen Einteilung, Bezeichnung und Explikation der Tempora und die offensichtliche - und durchaus anfechtbare - Übertragung des lateinischen Systems auf das Deutsche erschienen ihm im gegebenen Kontext einer Handreichung für den Schulunterricht, also aus didaktischen Gründen, als vertretbar, ja vorteilhaft: Die Deutsche Sprachlehre könnte sich in Ansehung der Conjugation mit demjenigen begnügen, was unmittelbar an dem Wurzelworte selbst bezeichnet wird. Allein, weil alle Deutsche Sprachlehren die Lateinische zum Muster genommen, so hat man auch das Lateinische Verbum zum Grunde gelegt, und die Deutsche Conjugation darnach vorgetragen, und so hat man denn im Deutschen ein Passivum, ein Tempus perfectum, plusquamperfectum, futurum u.s.f. bekommen, wovon die Deutsche Sprache eigentlich nichts weiß [meine Hervorhebung]. Indessen ist diese Gewohnheit hier am unschadlichsten, weil sehr häufig Fälle vorkommen, wo die Conjugationen beyder Sprachen mit einander verglichen werden müssen, daher die Kürze des Ausdrucks gewinnet, wenn man die Lateinischen Kunstwörter zum Grunde legen kann, obgleich die Deutsche Conjugation in den meisten Fällen eigentlich nur eine Umschreibung ist. (Adelung 1782, Bd. 1, S. 762) 10 Infektiv hier im Gegensatz zu perfektiv. 11 Die Grundbedeutungen der Tempusformen finden sich so auch in der philosophischen Grammatik Johann Werner Meiners von 1781 (vgl. Meiner 1781, S. 13f. und 236-243), die Adelung in der Vorrede zur „Sprachkunst“ als einzig Lobenswerte hervorhebt. <?page no="185"?> Präskription und Deskription 185 5. Der Durchbruch zur modernen Sprachwissenschaft Im Abschnitt „Von dem Syntaxe“ legt Adelung das Korsett der lateinischen Schulgrammatik ab. Mit der differenzierten Beschreibung dessen, was ist, öffnet er den Blick auf das weite Feld der tatsächlichen Bedeutungsvarianten unterschiedlicher Tempusformen. Dem Unternehmen einer dichten Beschreibung steht allerdings nach wie vor die Schulmeinung, jede Tempusform besitze eine und nur eine Bedeutung, im Weg. Adelung überwindet diese Barriere mit der Auffassung, Tempusformen könnten als Ersatzformen für andere Tempusformen eintreten. Im Satz „Adelung fährt dieses Jahr zur IDS- Jahrestagung nach Mannheim“ fungiert das Präsens beispielsweise als Ersatzform für das laut präskriptiver Schultradition eigentlich zu verwendende Futur. Adelungs detaillierte Explikation des „abweichenden“ Gebrauchs legt die tatsächliche Polyfunktionalität der Tempusformen offen. Allein die Vielfalt möglicher Präsensformen - aktuelles Präsens, futurisches Präsens, Präsens anstatt Perfekt, historisches Präsens, atemporales Präsens - transzendiert bereits das oben skizzierte simple dreifaltige Schema. Adelung demonstriert, dass nach dem alten Konzept einfacher Zeitreferenzialität eigentlich nicht statthafte Tempusformen je nach Kontext möglich, sinnvoll und auch üblich sind. Mittels Beschreibung des tatsächlichen Sprachgebrauchs anstelle einer bloßen Ableitung von Regeln aus simplen Kategorienschemata werden nicht nur Funktionen durchleuchtet - etwa die Bindung bestimmter Verwendungen an spezifische Textsorten, also die Tauglichkeit der Ersatzformen als stilistisches Mittel. Darüber hinaus werden diese Gebrauchsformen auch rational begründet, etwa durch sprachhistorische Herleitung: […] allein es zeigen sich doch hin und wieder manche Abweichungen, besonders in Ansehung des Präsentis und Futuri, ohne Zweifel, weil beyde Zeiten in der ersten Kindheit der Sprache nicht von einander unterschieden wurden, daher das Präsens, wie in mehr alten Sprachen, das Futurum mit vertreten mußte. Dieses erhellet unter andern auch daraus, weil die Deutsche Conjugation das Futurum nicht aus sich selbst machen kann, sondern dasselbe umschreiben muß; daher man dessen Verhältniß erst in den spätern Zeiten klar empfunden zu haben scheinet, da die vornehmste Bildung der Sprache schon vorüber war. Daher stehet denn das Präsens noch häufig anstatt des Futuri: ich reise morgen nach Berlin; ich bin bald wieder hier; wenn du wieder zurück kommst […]. (Adelung 1782, Bd. 2, S. 374f.) Ein Vergleich der Ausführungen zu Tempus und Temporalität in „Von dem Verbo“ mit denen im Abschnitt „Von dem Syntaxe“ verdeutlicht die unterschiedliche Herangehensweise an ein und denselben Gegenstand: Steht im <?page no="186"?> Anja Voeste 186 einen Fall der Rückgriff auf Bewährtes und didaktisch Praktikables, auf die Tradition der präskriptiven Schulgrammatik im Vordergrund, so im anderen Fall die differenzierte, dichte Beschreibung. Diese verbindet sich bereits mit dem Versuch einer Erklärung, „warum das Veränderliche in der Sprache gerade so und nicht anders eingerichtet ist“ (Adelung 1781 [1977], S. 2 der Vorrede [o.S.]), in dem sich bereits ein unwillkürliches Abdriften von der präskriptiven Tradition - vielleicht auch bereits mehr als das - ankündigt. 6. Ambiguitäten der Selbstpositionierung Traditionsverhaftung einerseits, wissenschaftlicher Anspruch andererseits führen in charakteristische Widersprüche, die sich etwa an Adelungs Behandlung des Imperfekts illustrieren lassen. Dieses ist die Tempusform zur Bezeichnung vergangener, aber erst kurz vor der Sprechzeit endender Prozesse: Das Imperfectum wird überhaupt gebraucht, wenn eine Handlung erzählet werden soll, welche in Ansehung des Redenden, oder vielmehr des Zusammenhanges der Rede, als erst kurz vergangen dargestellet werden soll. (Adelung 1782, Bd. 2, S. 379) Dieser infektive Aspekt trifft Adelung zufolge auch dann zu, wenn zusammenhängende, vor der Sprechzeit liegende Prozesse geschildert werden, deren Aktzeiten sich überschneiden. 12 Ein Unterfall ist der Gebrauch des Imperfekts als Tempus zur Schilderung vor der Sprechzeit liegender, chronologisch gereihter Prozesse: „In zusammen hangenden Erzählungen, wo Dinge auf einander folgend dargestellet werden; daher es in einer zusammen hangenden Geschichte am häufigsten gebraucht, und um deswillen auch das wahre Tempus historicum der Hochdeutschen ist.“ (Adelung 1782, Bd. 2, S. 379f.). Diese Interpretation der Tempusbedeutungen nährt sich maßgeblich von den Regeln der lateinischen consecutio temporum. Relative Verwendung und infektiver Aspekt - sei es in Relation zur Sprechzeit („erst kurz vergangen“) oder in der zeitlichen Überschneidung vor der Sprechzeit liegender Ereignisse - sind zentral. Ohne den Rückgriff auf die lateinische Grammatik wäre nicht nachzuvollziehen, warum für Adelung der unmarkierte Gebrauch des Imperfekts im Sinne absoluter Zeitbedeutung, also als Erzähltempus, nur einen Unterfall des Imperfekts in relativer Zeitbedeutung darstellt. 12 Vgl. Adelung (1782, Bd. 2, S. 379). <?page no="187"?> Präskription und Deskription 187 In Widersprüche verwickelt sich Adelung nun dort, wo er sich über die mangelnde Unterscheidung zwischen tatsächlichen zeitlichen Verhältnissen und der aspektuellen Markierung von Ereignissen durch Tempuswahl mokiert und damit gegen seine eigene Definition des Imperfekts polemisiert: Wenn ich sage, er fiel von dem Dache und brach den Hals, so wird die Handlung ebenso vollkommen vorüber geschildert, als wenn ein anderer sagt, er ist von dem Dache gefallen und hat den Hals gebrochen […]. (Adelung 1782, Bd. 2, S. 379) Ebenso irritierend wirkt die harsche Kritik an Gottscheds Ausführungen zum Bedeutungsunterschied von Perfekt und Imperfekt. 13 Das Imperfekt als „unlängst vergangene Zeit“ diene, so Gottsched, der Schilderung vom Sprecher selbst miterlebter Begebenheiten; das Perfekt („völlig vergangene Zeit“) bezeichne Vorgänge, bei denen der Sprecher nicht zugegen war. Obwohl die Beispielsätze, die Adelung gegen Gottsched ins Feld führt, bestens geeignet sind, auch seine eigene Behauptung eines infektiven Aspekts des Imperfekts zu widerlegen, urteilt Adelung: Es ist unnöthig, den Ungrund dieses Unterschiedes zu beweisen; das erste das beste Beyspiel ist dazu hinlänglich. Wenn ich erzähle, im Anfang schuf Gott Himmel und Erde u.s.f. [infektiv? ; Anm. d.Verf.] wer wird sich da wohl träumen lassen, daß ich mit dabey gewesen? oder wenn ich sage, ich bin gestern zu Gaste gewesen, welcher vernünftige Mensch wird wohl zweifeln, daß ich mit dabey gewesen? (Adelung 1782, Bd. 2, S. 384) Diese auf den ersten Blick befremdlich wirkenden Unstimmigkeiten werden im Kontext des zeitgenössischen grammatischen Diskurses nachvollziehbar: Durch die Übernahme von Kategorisierungen, Interpretationen und Beispielsätzen anderer Grammatiker weist Adelung sich als moderner Sprachwissenschaftler aus, der sich von der präskriptiven Grammatikschreibung und ihrem prototypischen Vertreter Gottsched distanziert. Die Anleihen aus den Werken der „Modernen“ weisen ihn anderen Experten gegenüber als solchen aus. Sind die Grundbedeutungen der Tempusformen vermutlich aus Johann Werner Meiners kurz vorher erschienener philosophischer Grammatik übernommen, so schließt sich die Bewertung von Gottscheds Ausführungen Carl Friedrich Aichingers z.T. wörtlich entlehnter Kritik an. 14 Dass dieses 13 Vgl. Gottsched (1762, Tl. 2, S. 543f., Regel V). 14 „Wenn man sagt, die vergangene Zeit ist entweder vollkommen, oder unvollkommen, u.s.f. so muß man solches nicht, wie die Grammatici guten Theils irrig meinen, von den Sachen selbst verstehen, als wäre z.B. was durch ein imperfectum ausgedrückt wird, noch nicht ganz vergangen. Es lautet sehr einfältig, wenn man saget: amabam heißt: ich habe <?page no="188"?> Anja Voeste 188 Vorgehen zu Widersprüchen führt, ist sekundär und wird billigend in Kauf genommen: Nicht Inhalte stehen hier im Vordergrund, sondern die Distanzierung von der präskriptiven Tradition. Diese Interpretation wird durch Äußerungen in den „Vorreden“ gestützt, in denen Adelung sich als Gegner der traditionellen Grammatikschreibung bekennt und seinen Vorgängern knechtische Anhänglichkeit an die lateinische Sprachlehre vorwirft. 15 Er selbst gedenke der „ächte[n] und wahre[n] Sprachgelehrsamkeit“ (Adelung 1782, Bd. 1, S. V) zu allgemeiner Anerkennung zu verhelfen. Hier wie dort also erteilt Adelung der traditionellen Grammatikschreibung eine Absage, auch wenn er noch mit einem Bein fest auf deren Terrain steht. 7. Soziolinguistische Determinanten in Adelungs Grammatiken In der Physiognomie des Grammatikers, der die traditionelle Welt der präskriptiven Schulgrammatik mit unübersehbar „modernen“ Tendenzen zusammenführt, fehlt bislang noch ein wichtiger Zug: Die häufig anzutreffende Einstufung der sprachwissenschaftlichen Arbeiten des 18. Jahrhunderts als Vorläufer der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts lässt außer Acht, dass aus dem 18. Jahrhundert durchaus auch Fäden zur Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts hinüberführen. Ein wichtiger Kontinuitätsstrang ist die - an Adelung häufig und heftig kritisierte - Berücksichtigung soziolinguistischer Determinanten. Indiz für Adelungs Augenmerk auf die Sprecher ist nicht nur die im Hochdeutschstreit 16 ad nauseam wiederholte Behauptung, das Hochdeutsche sei die Sprache der „obern Classen“ Obersachsens als einer sozial und regional klar umrissenen Sprechergruppe. Diese Einschätzung ließe sich noch auf die uneingeschränkte Anerkennung rhetorischer Prinzipien zurückführen - hier die „Grundregel“ nach Quintilians „Institutio oratoria“, die Hochsprache eines Landes werde (in ihrer vornehmsten Provinz) auch gesprochen. 17 Die Sprecherzentriertheit geliebet, und liebe noch. Also müßte dieses: er brach den Hals, auch so viel seyn, als: er hat den Hals gebrochen, und bricht ihn noch. Ferner ists wider alle Erfahrung, wenn man das praeteritum eintheilet in das jüngst und längst vergangene. Wenn ich sage: Im Anfang schuff GOTT Himmel und Erde, und: diese Nacht habe ich wohl geschlaffen: welches unter beiden ist eher geschehen? “ (Aichinger 1754, S. 290f.). Vgl. auch die Übernahme zahlreicher Beispielsätze von Aichinger (ebd., S. 290-297). 15 Vgl. Adelung (1782, Bd. 1, S. XVII ). 16 Vgl. dazu Scharloth (2005, S. 188ff.). 17 Vgl. dazu Goebl (1998, S. 478f.) und Schlieben-Lange (1994, S. 106) sowie generell Haas (1980). <?page no="189"?> Präskription und Deskription 189 manifestiert sich auch andernorts, nicht zuletzt bei der Abhandlung des Tempusgebrauchs: Die Verwendung der Tempora richte sich, so Adelung, weder nach der tatsächlichen Einbettung der geschilderten Abläufe in die Zeit noch nach präskriptiven Regeln, sondern nach der Entscheidung des Sprechers, Prozesse oder Sachverhalte auf eine bestimmte Art temporal zu markieren: Das Plusquamperfectum ist unter den drey vergangenen Zeiten am deutlichsten bestimmt. Indessen kommt es auch bey diesem, so wie bey den beyden übrigen, oft bloß darauf an, wie der Sprechende eine Veränderung gedacht wissen will, da denn in manchen Fällen mehr als eines dieser Zeiten stehen kann […]. (Adelung 1782, Bd. 2, S. 383) Adelung hält es daher nicht für möglich, grundlegende und einfache Regeln zum korrekten Gebrauch der Vergangenheitstempora zu formulieren. Der Grammatiker gesteht sein Unvermögen ein, eine adäquate Richtschnur für die Tempuswahl zu geben. Statt dessen verweist er als Leitlinien auf den Geschmack und das auf diesem beruhende Sprachgefühl. Somit ist die Tempuswahl für Adelung letztlich doch keine Entscheidung des Sprechers, sondern an überindividuelle - und das heißt hier bildungsbürgerliche - Konventionen gebunden: […] allein ich gestehe gern, daß sie [die Regeln] nicht auf alle Fälle passen, zweifele aber auch, daß sich wenig einfache Regeln werden ausfindig machen lassen, welche alle, oder auch nur die vornehmsten Fälle umfaßten, daher der richtige Gebrauch der Zeiten im Deutschen, so wie in allen andern Sprachen, welche eine der drey Hauptzeiten in mehrere Unterarten zerfällen, größten Theils ein Werk der Übung und des dadurch erworbenen Geschmackes und seines Gefühles ist. (Adelung 1782, Bd. 2, S. 377f.) 8. Resümee Der Blick in die Detailwelt der Grammatiken erweist die Auffassung, Adelung habe sich in erster Linie von präskriptiven Orientierungen leiten lassen, als nicht haltbar. Die Behandlung von Tempus und Temporalität illustriert die Mühen eines Bildungsprozesses, an dessen Ende die „Erhebung zur Wissenschaft“ absehbar, aber noch keineswegs vollendet ist. Moderne, nach heutigem Verständnis „wissenschaftliche“ Denkmuster lösen die Welt der traditionellen Schulgrammatik nicht einfach ab. Vielmehr changiert Adelung zwischen Präskription und Deskription, zwischen Tradition und Moderne. Der deskriptive und explanative Grundzug der Grammatiken wird von den Erfordernissen der Zeit verstärkt. Gemeint ist damit das Bedürfnis einer bürgerlichen Schicht nach „Aufklärung“ über Sprache: nach einer Bestandsauf- <?page no="190"?> Anja Voeste 190 nahme sine ira et studio, die bei der Protokollierung sprachlicher Phänomene nicht stehenbleibt, sondern zur wissenschaftlichen Analyse des Materials fortschreitet. A la longue hingegen überwiegt, jenseits der Intentionen ihres Verfassers und unabhängig von deren spezifischer Mischung, die normative Wirkung des Œuvres: Seine zahllosen Bücher und Ausgaben überschwemmten, von Regierungen und Behörden geschützt und eingeführt, alle deutschen Lande und Schulen; sie werfen ihre Schatten noch bis in unsere Zeit [das ausgehende 19. Jahrhundert; Anm. d. Verf.], die in Grammatik, Zeichensetzung und Rechtschreibung zum Teil noch immer unter dem Banne dieses Gelehrten steht. (Sahr 1894, S. 338) Maßgebliche Ursache dieser ironischen Pointe der Rezeptionsgeschichte war wieder die (Nachfrage-)Macht der Verhältnisse: der wachsende Bedarf an Verwaltungskräften, der von einem aufstiegsambitionierten und deshalb an sprachlicher Bildung brennend interessierten Bürgertum befriedigt werden sollte. „Aufgeklärte“ sprachliche Umgangsformen gehörten zum sozialen Kapital dieser sich formierenden, belehrbaren bürgerlichen Elite. 9. Literatur 9.1 Schriften Johann Christoph Adelungs Adelung, Johann Christoph (1781): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1781 [1977]): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. Berlin. [Nachdr. d. Ausg. 1781. Hildesheim/ New York]. Adelung, Johann Christoph (1782 [1971]): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 2 Bde. Leipzig. [Nachdr. d. Ausg. 1782. Hildesheim/ New York]. 9.2 Sekundärliteratur Aichinger, Carl Friedrich (1754 [1972]): Versuch einer teutschen Sprachlehre. Wien. [Reprogr. Nachdr. d. Ausg. 1754. Hildesheim/ New York]. Arnauld, Antoine/ Lancelot, Claude (1660): Grammaire générale et raisonnée. Paris. Gessinger, Joachim (1980): Sprache und Bürgertum. Zur Sozialgeschichte sprachlicher Verkehrsformen im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Stuttgart. Goebl, Hans (1998): Sprachgeschichte kontrastiv: vergleichende Beobachtungen an der Geschichte der deutschen und italienischen Hochsprache. In: Cordin, Patrizia/ Iliescu, Maria/ Siller-Runggaldier, Heidi (Hg.): Parallela 6. Italienisch und Deutsch im Kontakt und im Vergleich. Trento, S. 471-485. <?page no="191"?> Präskription und Deskription 191 Gottsched, Johann Christoph (1748): Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst, Nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts abgefasst. Leipzig. Gottsched, Johann Christoph (1762 [1978/ 1980]): Vollständigere und Neuerläuterte Deutsche Sprachkunst, Nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und itzigen Jahrhunderts abgefasset. 5., verb. Aufl. Leipzig. In: Gottsched, Johann Christoph (1978/ 1980): Ausgewählte Werke. Bd. 8: Deutsche Sprachkunst. 3 Teilbde. Hrsg. v. Phillip M. Mitchell, bearb. v. Herbert Penzl. [Ersch. als bearb. Neudr. d. Ausg. Leipzig 1762]. Berlin/ New York. Haas, Elke (1980): Rhetorik und Hochsprache. Über die Wirksamkeit der Rhetorik bei der Entstehung der deutschen Hochsprache im 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M./ Bern/ Cirencester. Jellinek, Max Hermann (1913-1914): Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung. 2 Bde. Heidelberg. Meiner, Johann Werner (1781 [1971]): Versuch einer an der menschlichen Sprache abgebildeten Vernunftlehre oder Philosophische und allgemeine Sprachlehre. Leipzig. [Nachdr. d. Ausgabe 1781. Stuttgart-Bad Cannstatt]. Naumann, Bernd (1986): Grammatik der deutschen Sprache zwischen 1781 und 1856. Die Kategorien der deutschen Grammatik in der Tradition von Johann Werner Meiner und Johann Christoph Adelung. Berlin. Raumer, Rudolf v. (1873): Der Unterricht im Deutschen. In: Raumer, Rudolf v.: Geschichte der Pädagogik. Vom Wiederaufblühen klassischer Studien bis auf unsere Zeit. Dritter Theil. 4. Aufl. Gütersloh, S. 99-256. Rethwisch, Conrad (1898 [1971]): Karl Abraham Freiherr von Zedlitz. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Berlin, S. 744-748. [Ersch. als Neudr. d. 1. Aufl. Bd. 44. Leipzig. 1898.]. Sahr, Julius (1894): Gottfried August Bürger als Lehrer der deutschen Sprache. In: Zeitschrift für den deutschen Unterricht, Ergänzungshefte, Jg. 8, 3, S. 310-354. Scharloth, Joachim (2005): Sprachnormen und Mentalitäten. Sprachbewusstseinsgeschichte in Deutschland im Zeitraum von 1766-1785. Tübingen. Schlieben-Lange, Brigitte (1994): Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit. In: Günther, Hartmut/ Ludwig, Otto (Hg.): Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. 1. Halbbd. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 10). Berlin/ New York, S. 102-121. Schmidt, Hartmut (1985): Aspekte der Institutionalisierung. Zur Durchsetzung der neuen Denkmuster. In: Bahner, Werner/ Neumann, Werner (Hg.): Sprachwissenschaftliche Germanistik. Ihre Herausbildung und Begründung. Berlin, S. 151-248. Strohbach, Margrit (1984): Johann Christoph Adelung: ein Beitrag zu seinem germanistischen Schaffen. Berlin/ New York. <?page no="193"?> Petra Ewald Das orthographische Werk Adelungs - Deskription im Dienste der Ususlegitimierung Die zeitgenössische deutsche Orthographie gehört zu den zentralen Gegenständen der Adelung'schen Sprachbeschreibung. Dies offenbart sich etwa darin, dass orthographischen Fragen gewidmete Aufsätze in seinem „Magazin für die deutsche Sprache“ breiten Raum einnehmen, vor allem aber in dem gewichtigen Werk „Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie“ (Adelung 1788). Dass dieses im Jahre 1835 seine fünfte Auflage erlebt (vgl. Strohbach 1984, S. 24), kann als Indiz für den beträchtlichen Einfluss der Adelung'schen Orthographieregelung gesehen werden. Auch mit Adelungs „Sprachlehre“ dürfte seine Rechtschreibkodifizierung weite Verbreitung gefunden haben, treffen hier doch alle von Bergmann festgestellten Wirkungsfaktoren zusammen, die Wirkung „durch Verbreitung“, „durch Ansehen“, „durch Schriftsteller“ und „durch die Schule“ (Bergmann 1982, S. 272ff.). Ungeachtet dieser bemerkenswerten Ausstrahlung seiner Arbeiten zur deutschen Rechtschreibung wird dem Orthographen Adelung in seiner Zeit neben Lob jedoch auch Tadel zuteil, erscheint er als „Leitbild und Stein des Anstoßes“ (Henne 1984, S. 98), als „überlegener Macher, der die Kritik auf sich zieht“ (ebd., S. 99). Die ambivalente Sicht der Zeitgenossen lässt sich auch auf die Spezifika der Adelung'schen Orthographiedarstellung zurückführen, die im Folgenden zu umreißen sind. Zur Erläuterung dieser Besonderheiten bedarf es zunächst einiger (hier nur thesenhafter) Vorbemerkungen über den Stellenwert von geschriebener Sprache, Orthographie und Orthographiekodifizierung im 18. Jahrhundert sowie über die Positionierung Adelungs im Spektrum der zeitgenössischen Rechtschreibregelungen. Die gesellschaftliche Konstellation des 18. Jahrhunderts drängte in Richtung auf die Entwicklung einer die regionalen sprachlichen Varietäten überdachenden deutschen Einheitssprache. In der von Grammatikern, aber auch von Schriftstellern geführten Kontroverse um deren Wesensmerkmale (dem so genannten Hochdeutschstreit) stehen sich ein „analogische[s] Modell“ (Wells 1990, S. 322) und eine „anomalistische Position“ (ebd., S. 323) gegen- <?page no="194"?> Petra Ewald 194 über. 1 Während Erstere Hochdeutsch als Ergebnis einer in der „verfeinerte[n] und ausgebildete[n] Büchersprache“ (Rüdiger 1783, S. 3) verkörperten Auswahl (eines Aushubs) sieht, sprechen die Vertreter des Anomalismus einer „ausgebildetste[n] Mundart“ (Adelung 1782c, S. 54), zumeist dem Obersächsischen, den Status der Leitvarietät zu. Gemäß dem analogischen Modell kann die Entwicklung der Ausgleichssprache nur in der geschriebenen Existenzweise vonstattengehen, die als Mittel der indirekten Kommunikation über Mundartgrenzen hinweg ohnehin einem viel stärkeren Vereinheitlichungsdruck als die gesprochene Sprache ausgesetzt ist: 2 „Die Aushebung ist bloß allmählich durch den Gebrauch der guten Schriftsteller und ihre Nachahmung im mündlichen Gebrauch der feinern Lebensart geschehen“ (Rüdiger 1783, S. 36). Vertreter der anomalistischen Position gehen (in allgemeinen programmatischen Aussagen) zwar von einer Vorbildhaftigkeit der in einer bestimmten Region gesprochenen Sprache aus, sehen die geschriebene Sprache jedoch als entscheidendes Läuterungs- und Verbreitungsmedium dieser Mustersprache. Dies lässt die folgende Bestimmung des Hochdeutschbegriffes durch Adelung erkennen, der im 18. Jahrhundert zu den exponiertesten Verfechtern des anomalistischen Modells zählt: Diese unter dem Namen des Hochdeutschen bekannte Mundart wird in den südlichen chursächsischen Provinzen am allgemeinsten und zugleich am reinsten gesprochen, und hat sich aus ihrer Mitte durch Geschmack, Künste und Wissenschaften über einen großen Theil des übrigen Deutschlandes verbreitet, wo sie die Schrift- und Gesellschafts-Sprache des gesittetsten Theiles der Nation geworden ist [...]. (Adelung 1782a, S. LVIII ) 3 Den zeitgenössischen Konsens über die Bedeutung der geschriebenen Sprache im Vereinheitlichungsprozess belegt die allgemeine Akzeptanz der Bezeichnung „Schriftsprache“ für die neue Einheitssprache. Die Wahrnehmung der geschriebenen Sprache als Vereinheitlichungsmedium schärft den zeitgenössischen Blick auf die Beschaffenheit der Schrei- 1 Eine eingehende Beschreibung der konkurrierenden Diskurse zu den Wesensmerkmalen des Hochdeutschen und ihrer Hauptvertreter im Zeitraum von 1766 bis 1785 findet sich in Scharloth (2005, S. 173ff.). 2 „In Büchern und öffentlichen Schriften, ist es noch weit nöthiger alle Untermengung der Provinzialmundart zu vermeiden, denn man schreibt nicht bloß für seine Provinz, sondern für ganz Deutschland.“ (Stosch 1782b, S. 194). 3 Zur Position Adelungs im Hochdeutschstreit des 18. Jahrhunderts vergleiche man ausführlich Jellinek (1913, S. 360ff.) und Scharloth (2005, S. 188ff.). <?page no="195"?> Das orthographische Werk Adelungs 195 bungsnorm: „Mit der Ausbildung einer neuhochdeutschen Schriftsprache als neuer überregionaler Größe entsteht [...] auf der graphematischen Seite die Notwendigkeit einer allgemein gültigen Rechtschreibung [...]“ (Sonderegger 1979, S. 29). Vorhandene Abweichungen werden zunehmend als Hindernisse der sprachlichen Vereinigung missbilligt und einheitsstiftende Bemühungen der Grammatiker eingeklagt: - So finde ich, z.B. die Ungewisheit unsrer Rechtschreibung so unschicklich und unbequem als irgend jemand [...]. (Wieland 1781, S. 82) - Wie sehr wäre es [...] zu wünschen, daß sich unsere besten Sprachforscher vereinigten, und der Rechtschreibung Gesetze schrieben, die wenigstens der Schriftsteller, ohne die Geisel der Critik zu fühlen, nie verletzen dürfte. (Allgemeine deutsche Bibliothek 1791, 99. Bd., 1. Stück, S. 258) 4 In einer einheitlichen Orthographie sahen zahlreiche Grammatiker zudem das entscheidende Instrument, um die erheblichen regionalen Unterschiede in der Lautung der sich entwickelnden Einheitssprache zu beseitigen. 5 Vor diesem Hintergrund, aber auch mit Blick auf den wachsenden Bedarf des Deutschunterrichts an orthographischen Regelwerken, lässt sich die merkliche Intensivierung der Kodifizierungsbemühungen im 18. Jahrhundert erklären (vgl. Ewald 1990, S. 9ff.). Innerhalb der Orthographieregelung des 18. Jahrhunderts stehen sich zwei Stränge mit konträrer Zielstellung gegenüber: Die so genannte ususorientierte Kodifizierungsrichtung zielt auf eine Erfassung und Festschreibung der im Schreibgebrauch erkennbaren Regularitäten (also der Schreibungs- 4 Orthographiekritik begegnet im ausgehenden 18. Jahrhundert häufig als Element einer übergreifenden Sprachkritik, ist doch die „Klage über den schlechten Zustand der deutschen Sprache [...] ein Topos des metasprachlichen Diskurses im Zeitraum von 1766 bis 1785“ (Scharloth 2005, S. 143). Nach Scharloth (ebd., S. 149f.) werden dem deutschen Sprachsystem in diesem Zeitraum vor allem lexikalische, syntaktische und phonetische Defizite angelastet. Dass in seiner Darstellung die oben angedeutete Bemängelung der zeitgenössischen Orthographie unberücksichtigt bleibt, erscheint umso unverständlicher, als - wie im Weiteren zu erläutern sein wird - aus dieser Kritik eine Vielzahl von Erneuerungskonzepten hervorgeht. Einige der von Scharloth ausführlich behandelten Grammatiker, Johann Jakob Hemmer, Johann Nast und Friedrich Carl Fulda (vgl. Scharloth 2005, S. 185ff., S. 256ff.), machen in seinem Untersuchungszeitraum auch als Orthographiereformer von sich reden. 5 Eine solche ausspracheregulierende Funktion wird der Orthographie von zahlreichen Grammatikern des 18. Jahrhunderts zugeschrieben, so etwa von Gottsched (1762, S. 71), Mäzke (1776, S. 28), Klopstock (1780, S. 70f.), Stosch (1782a, S. 176ff.), Rüdiger (1784, S. 19), Adelung (1788, S. 57) und Zöllner (1796, S. 213ff.). <?page no="196"?> Petra Ewald 196 norm). Mittels deskriptiv-präskriptiver Regeln soll den im Usus angebahnten Übereinstimmungen zu größerer Verbreitung verholfen und die deutsche Orthographie durch Vereinheitlichung verbessert werden, wohingegen normoptimierende Eingriffe in den Schreibgebrauch kaum erwogen werden. Die Intention dieser Regelungsfraktion, als deren wichtigster Vertreter Adelung gilt, entspricht dem dominierenden gesellschaftlichen Bedürfnis nach einer einheitlichen deutschen Orthographie. (Prominente Vorläufer Adelungs in der ususorientierten Kodifizierungsrichtung des 18. Jahrhunderts sind Hieronymus Freyer, Johann Christoph Gottsched, Carl Friedrich Aichinger und Johann Friedrich Heynatz.) Die Regelwerke der zweiten Richtung, die sich zusammenfassend als Reformorthographien bezeichnen lassen, gehen aus einer grundsätzlichen Kritik des verbreiteten Schreibgebrauchs hervor und verfolgen das Ziel, dessen weitere Entwicklung durch Etablierung anderer, als besser betrachteter Regularitäten in eine gänzlich neue Richtung zu lenken. (Insofern operieren die Reformer mit rein präskriptiven, nicht durch den Usus gestützten Regeln.) Die Reformfraktion eint zwar das Streben nach grundsätzlicher Verbesserung der deutschen Orthographie. Die Vorstellungen von einer optimalen Rechtschreibung und damit die favorisierten Erneuerungskonzepte divergieren jedoch deutlich: Bezieht man sich auf programmatische Forderungen, lässt sich allenfalls ein Nebeneinander von phonetisch-phonemischen und etymologisch-morphematischen Reformkonzepten ausmachen. (Erstere vertreten vor allem Johann Jakob Hemmer, Friedrich Gottlieb Klopstock sowie Johann Nast, letztere Friedrich Carl Fulda sowie Gotthelf Abraham Mäzke.) Auch innerhalb der beiden Reformlager weichen die konkreten Vorstellungen von einer verbesserten Orthographie z.T. erheblich voneinander ab. Die zeitgenössische Öffentlichkeit reagiert auf die Erneuerungsvorschläge mit heftiger Kritik: Missbilligt wird vor allem die funktionale Unausgewogenheit der Regelungsgrundsätze wie auch die von den Reformkonzepten ausgehende Gefährdung der erreichten orthographischen Einheit. So ist schon weniger als ein Jahrzehnt nach dem Aufbranden der Reformdebatte offensichtlich, dass diese lediglich eine Episode und für den Fortgang der Normentwicklung bedeutungslos bleiben würde. 6 Nichtsdestotrotz gehe ich davon aus, dass die Auseinandersetzung mit den Orthographiereformkonzepten erhebliche Spuren im orthographischen Werk Adelungs (möglicherweise sogar in seiner gesamten Sprachbeschreibung) 6 Zu den Orthographiereformkonzepten des 18. Jahrhunderts vgl. Ewald (2004). <?page no="197"?> Das orthographische Werk Adelungs 197 hinterlassen hat. Dies legt auch die Chronologie der einschlägigen Publikationen nahe: Die wichtigsten Neuregelungsvorschläge gelangten in den Jahren 1775 bis 1780 an die Öffentlichkeit. Die Orthographiedebatte erreicht in dieser kurzen Zeitspanne eine solche Intensität, dass die Reformideen innerhalb der metasprachlichen Diskurse breiten Raum gewinnen. So registriert etwa Wieland 1783, dass „in diesen letzten Jahren eine Art von Orthographischer Influenza unter uns epidemisch worden ist“ (Wieland 1783, S. 47). In offensichtlicher Absetzung von den Reformern formuliert Adelung kurz nach dem Höhepunkt der Reformbestrebungen, in der Vorrede zu seiner 1781 erschienenen „Sprachlehre“, seinen Gegenentwurf von den Aufgaben eines Sprachlehrers. Er betont die Notwendigkeit, daß man das Wesen der Sprache in ihr selbst aufsuche, von allem was in derselben vorkommt, deutliche Begriffe zu bekommen und zu geben suche, und den Ursachen nachforsche, warum das Veränderliche in der Sprache gerade so und nicht anders eingerichtet ist. (Adelung 1781, Vorrede o.S.) „Das sich selbst überlassene Bedürfniß thut nichts ohne Ursache“ (Adelung 1782b, S. 75). Solange man die Frage „nach Grund und Ursache“ vernachlässigt habe, sei die Sprachlehre „auf der verächtlichen Stufe einer freyen Kunst“ stehen geblieben, „welche selbst so sehr frey war, daß auch ein jeder, der über seine Sprache nachzudenken anfing, sich berechtigt halten konnte, ihr seine Einfälle als Regeln und Gesetze aufzudringen“ (Adelung 1781, Vorrede o.S.). Der Reformgedanke kann, wie Adelung in seiner Auseinandersetzung mit den orthographischen Neuerungen feststellt, nur greifen, sofern „die wahren Sprachgründe übersehen“ werden (Adelung 1788, S. 410). Folgerichtig betrachtet er deren Aufdeckung als den entscheidenden Weg zur Legitimierung des Usus und zur Abwehr von Reformbestrebungen. Das Ziel der Ususbegründung setzt die Überzeugung von der Vollkommenheit des Schreibgebrauchs voraus, die bei Adelung denn auch deutlich stärker als bei allen anderen Vertretern der ususorientierten Kodifizierungsrichtung ausgeprägt ist. Wie etwa einschlägige Äußerungen von Freyer und Heynatz offenbaren, folgen diese in ihren Kodifizierungen dem etablierten Gebrauch nicht ohne Vorbehalte. Freyer gibt deutlich zu erkennen, dass seine Orientierung am Usus eher pragmatischen Erwägungen geschuldet ist (vgl. Freyer 1722, S. 22f.). <?page no="198"?> Petra Ewald 198 Heynatz bemerkt resignierend, „daß unser Verstand in der Rechtschreibung oft etwas als gut und nützlich erkennen kann, das wir doch um des herschenden Gebrauchs willen nicht einführen dürfen“ (Heynatz 1774, Briefe IV, S. 196). Im Kontrast dazu geht es Adelung (ungeachtet seiner punktuellen Kritik an einzelnen Orthogrammen) ganz offensichtlich um die „logische[n] Analyse des innerlich akzeptierten zeitgenössischen Idealzustandes“ (Neumann 1984, S. 93). Wäre unsere gewöhnliche Orthographie so sehr ein Werk des Zufalles und des Grillenfanges und Eigensinnes einzelner Personen, als in ältern und neuern Zeiten aus Unwissenheit ihrer Gründe wohl mehrmahls ist behauptet worden, so könnte sie auf keinen allgemeinen Grundsätzen beruhen, sondern müßte ein verworrenes Chaos seyn, in welchem sich weder Plan noch Absicht würde entdecken lassen. Allein aus dem folgenden wird erhellen, daß sie das nicht ist, sondern ein schönes, sehr wohl verbundenes Ganzes ausmacht, welches auf dem zwar dunkeln, aber doch sehr richtigen Bewußtseyn der Absicht und Mittel gegründet ist. (Adelung 1788, S. 12f.) 7 Zur Ususlegitimierung bedient Adelung sich vor allem zweier Strategien, die seine orthographische Regelung prägen. 8 Die erste, die hier nur angedeutet werden kann, besteht im Nachweis einer durchgehenden Übereinstimmung 7 Diese grundsätzliche Bejahung des zeitgenössischen Orthographiezustandes korrespondiert mit Adelungs allgemeiner, fortwährend betonter Überzeugung, dass jede „Sprache [...] mit der Erkenntniß eines Volkes und dessen Art zu denken, in dem genauesten Verhältnisse [stehet]“ (Adelung 1781, S. 4). Die Annahme „eines engen Zusammenhangs zwischen einer Sprache, dem Denken ihrer Sprecher und der kulturellen Entwicklung der Sprachgemeinschaft“ wird nach Scharloth (2005, S. 530) von den Kontrahenten im Hochdeutschstreit (1766-1785) „gleichermaßen akzeptiert“. Zu Adelungs Sicht auf das Verhältnis von sprachlicher und gesellschaftlicher Entwicklung vergleiche man u.a. Neumann (1984). 8 Daneben setzt er sich durchaus auch direkt mit den Reformkonzepten auseinander, vor allem in seinem Aufsatz „Gebrauch und Mißbrauch der Etymologie“ (Adelung 1783) und im Anhang „Ueber die orthographischen Neuerungen“ (Adelung 1788, S. 405-426). An einer abwägenden, um Objektivität bemühten Einschätzung der Erneuerungsideen ist ihm hier jedoch kaum gelegen. Dies bemerkt auch ein zeitgenössischer Kritiker: „Statt dessen, was der Verf. unter der Rubrik V o n o r t h o g r a p h i s c h e n N e u e r u n g e n S. 405. u. ff. sagt, hätten wir überhaupt eine Geschichte der Orthographie [...] gewünscht. Und bey den orthographischen Reformen nicht blos das in die Augen fallende Lächerliche einer orthographischen Neuerung, noch weniger ihres Urhebers, sondern auch die scheinbaren und oft ganz guten Gründe seiner Reformen [...]“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1789, 88. Bd., 2. Stück, S. 35). Insgesamt lässt Adelung keine Gelegenheit zur Verunglimpfung der Orthographiereformer aus, schmäht sie u.a. als „kleine [...] Geister“, die an der „Windmühle“ der Orthographie „zu Rittern zu werden suchen“ (Adelung 1782a, S. 68). (Zur Auseinandersetzung zwischen Klopstock und Adelung vergleiche man Baudusch 1984.) <?page no="199"?> Das orthographische Werk Adelungs 199 des Usus mit den erkannten orthographischen Regularitäten, mit den Leitgrößen der deutschen Orthographie. In Adelungs algorithmisch angelegtem Leitgrößengefüge 9 nimmt die „allgemeine[n] beste[n] Aussprache“ (Adelung 1788, S. 17) den höchsten Rang ein: „Schreib wie du sprichst ist das höchste und vornehmste, und wenn man die folgenden nähern Bestimmungen dazu nimmt, auch das einzige Grundgesetz für die Schrift in allen Sprachen“ (ebd., S. 28) [Hervorhebung im Original]. Gemäß seiner oben skizzierten Position im Hochdeutschstreit behauptet Adelung eine tatsächliche Existenz der schreibungsleitenden Musteraussprache, die er in Obersachsen lokalisiert: [...] die in guten Deutschen Schriften zum Grunde liegende Aussprache muß irgendwo die gewöhnliche mündliche Aussprache einer gewissen in engerer gesellschaftlicher Verbindung lebender Menge Menschen seyn. [...] Es kommt also nur darauf an, diejenige Provinz ausfindig zu machen, in welcher die mündliche Aussprache die Aussprache der obern Classen in den übrigen Provinzen an Güte und Richtigkeit übertrifft; und ganz Deutschland hat seit zwey hundert Jahren das südliche Ober-Sachsen dafür anerkannt [...]. (ebd., S. 50) Mit dieser Präzisierung seiner wichtigsten orthographischen Leitgröße bringt Adelung seine Position im Hochdeutschstreit in die Rechtschreibregelung ein, womit ihm heftiger Widerspruch gewiss ist. Die Gegner eines obersächsischen Führungsanspruchs im Prozess der Schriftsprachentwicklung betonen denn auch insbesondere die schriftsprachwidrigen Aussprachebesonderheiten dieser Region und deren Verbreitung in breiten Kreisen der Bevölkerung: Hr. Adelung behauptet, daß, im Ganzen genommen, die gebildete Klasse dort [in Kursachsen, Anm. d. Verf.] richtig ausspricht; das, dünkt mich, tut sie allenthalben. Aber selbst bei Obersachsen aus dieser Klasse ist [...] das widerliche mir statt wir, die höchstseltsame Verwechslung des b und p, des d und t sehr gewöhnlich, wenigstens im geschwinden Reden des Umgangs. (Biester 1783, S. 17) In dem offensichtlichen Bestreben, sein Sprach- und Orthographiekonzept um jeden Preis als stimmig und den Usus als regelgemäß zu erweisen, sucht Adelung diese Vorwürfe mittels zweier Argumente zu entkräften: Zum einen tut er mundartlich bedingte Lautungsbesonderheiten, wie „Saun, (Sohn,) jo, worum, hoste, (hast du,) Fra, (Frau,) Kleder, Beene, u.s.f.“ (Adelung 1788, S. 56), als „Fehler einzelner Personen“ (ebd., S. 55) ab. 10 9 Vgl. dazu genauer Ewald (1992). 10 Dagegen heben sowohl Freyer als auch Gottsched die vor allem im „Pöbel“ (Gottsched 1762, S. 68) verbreiteten nicht-schriftsprachlichen obersächsischen Aussprachespezifika hervor (vgl. Freyer 1722, S. 7; Gottsched 1762, S. 68). <?page no="200"?> Petra Ewald 200 Zum anderen bagatellisiert er nicht-schreibungsgemäße Aussprachebesonderheiten (in ihrer Relevanz für die Orthographie), indem er die Lautungsgebundenheit der Schreibung generell relativiert und den „Unterschied des mündlichen Ausdruckes von dem schriftlichen, und den Vorzug des letztern vor dem ersten“ betont: [...] so behält der mündliche Ausdruck auch in der besten Aussprache, wegen der wenigen Zeit, welche ihm verstattet ist, oft noch manches Fehlerhafte und Irrige, welches erst die Schrift ableget, weil sie mehr Zeit und Muße hat, die gehörige Auswahl zu treffen. Aussprache und Schrift können daher in den gewöhnlichen Fällen nicht ganz einerley seyn [...]; sondern die Schrift muß natürlich einen höhern Grad der Vollkommenheit haben, weil sie Zeit hat, alles das abzulegen und zurück zu lassen, was der Schreibende bey nur ein wenig Ueberlegung als fehlerhaft erkennen kann. (Adelung 1788, S. 53) Damit ist angedeutet, dass der Schreibende im Umgang mit der Leitgröße Aussprache im Grunde ein zirkuläres Verfahren anzuwenden hat, indem die Determinante zunächst aus der eigentlich zu bestimmenden Größe abgeleitet werden muss. 11 Allerdings belässt es Adelung bei derart vorsichtigen Relativierungen und scheut davor zurück, die Beziehungen zwischen Schreibgebrauch und Musteraussprache grundsätzlich in Frage zu stellen. Innerhalb seines Orthographiekonstrukts bleiben wesentliche Merkmale des Usus weiterhin durch die Lautung legitimiert. Sein Streben nach Regelhaftigkeit um jeden Preis wird von der zeitgenössischen Kritik durchaus registriert: [...] das Meiste [u.a. die schreibungswidrigen obersächsischen Ausspracheeigenheiten, Anm. d. Verf.] leugnet er gerade zu, aber er leugnet es auch nur. Ich habe mich sehr darüber gewundert, weil ein solches Bezeigen eines Mannes, von welchem man stets Gründlichkeit mit Bescheidenheit verbunden gewohnt ist, eben darum desto auffallender wird, und in der Tat die Vermuthung des Ungenannten im T. Merkur bestätiget, daß Hr. Ad. [...] leidenschaftlich handele. (Deutsches Museum 1783, 2. Bd., 9. Stück, S. 208) Manche Definition, manche General - Regel dünkt uns überflüßig. In deren Anwendung muß man dann, wenn Schwierigkeiten eintreten, zu Distinctionen, Ausnahmen und Ausflüchten seine Zuflucht nehmen, um das Gesetz zu retten. (Allgemeine deutsche Bibliothek 1789, 88. Bd., 2. Stück, S. 26) 11 Dass die ususorientierte Kodifizierungsrichtung nicht zwingend auf das Konstrukt einer fiktiven Musteraussprache zurückgreifen muss, verdeutlicht die folgende Regelformulierung von Heynatz: „Unter den eigentlichen allgemeinen Regeln der Rechtschreibung ist folgende die vornehmste: Man schreibe alle Wörter so, daß ein jeder, der lesen gelernt hat, sie nicht anders aussprechen könne, als man sie will gelesen haben. Andre drücken diese Regel so aus: Schreib, wie du sprichst.“ (Heynatz 1770, S. 42). <?page no="201"?> Das orthographische Werk Adelungs 201 Die zweite Strategie Adelungs zur Legitimierung des zeitgenössischen Usus verdient insofern besondere Hervorhebung, als sie die herausragenden Qualitäten der Adelung'schen Orthographiedarstellung begründet: Adelung belässt es nicht bei einer bloßen Kodifizierung der Norm. Weit mehr als allen seinen Vorgängern in der ususorientierten Regelungsfraktion ist ihm daran gelegen, die Norm nicht nur systematisch, sondern auch umfassend zu beschreiben. Denn nur eine Erfassung sämtlicher Regularitäten des Schreibgebrauchs führt für Adelung zur Antwort auf die letztlich entscheidende Frage „nach Grund und Ursache“ und gestattet damit eine funktionale Legitimation des Usus sowie die Abwehr des Reformgedankens. Gemäß Adelungs Überzeugung rühren viele „der vorgeworfenen Mängel [...] wirklich nur zu oft aus einer mangelhaften Kenntniß der Sprache und ihrer Einrichtung her“ (Adelung 1782b, S. 82). Im Folgenden soll anhand der Regeln für die graphische Trennung heimischer Wörter am Zeilenende demonstriert werden, in welchem Maße die deskriptiven Leistungen Adelungs die seiner Vorläufer übertreffen. Dabei konzentriere ich mich auf den Umgang mit den Leitgrößen des Trennverfahrens, vernachlässige also völlig die (ebenfalls aufschlussreiche) Behandlung der vielfältigen Problemfälle. 12 Die ususorientierten Regelwerke des 18. Jahrhunderts stimmen darin überein, dass die graphische Worttrennung grundsätzlich der Silbenstruktur des gesprochenen Wortes folgt: „[...] man lasse das bey einer jeden Sylbe beysammen, was jede Oeffnung des Mundes beysammen hören läßt [...]“ (Adelung 1788, S. 292f.). 13 Wie wir dank neuester Untersuchungsergebnisse wissen (vgl. Güthert 2005), entspricht diese bis heute gültige Basisregel dem etablierten zeitgenössischen Usus. Da Silben die zentralen Orientierungsgrößen der Worttrennung darstellen, ist zunächst aus der Sicht der modernen Silbenphonologie knapp zu skizzieren, wie sich die Position von Silbengrenzen bestimmen lässt. (Diese Darstellung soll lediglich eine Folie für die Beschreibung der historischen Rechtschreibregelwerke bereitstellen und keinesfalls Maßstäbe für deren Bewertung set- 12 Eine detaillierte Analyse des Worttrennungsverfahrens bei (unterschiedlich begründeten) Fallgruppen instabiler graphischer Segmentierung, die die Entwicklung von Schreibungsnorm und Kodifizierung bis zum Jahre 1800 erfasst, bietet Güthert (2005). 13 In Übereinstimmung mit Güthert, die sowohl Aichingers „Ein-Graphem-Regel“ als auch Freyers Orientierung an Konsonantenbuchstabenclustern im graphischen Anlaut einer eingehenden Analyse unterzieht (vgl. Güthert 2005, S. 29ff.), betrachte ich alle unten wiedergegebenen Regeln als Spielarten des syllabisch orientierten Kodifizierungsstranges. <?page no="202"?> Petra Ewald 202 zen.) Innerhalb von Simplizia ist die Lage der Silbengrenze rein phonologisch bestimmt; d.h., sie lässt sich mit Blick auf die Phonemsequenz des Wortes beschreiben, z.B. mit der folgendenden Regel: „Weist eine Wortform zwischen zwei Silbenkernen oder einem Diphthong und einem Silbenkern einen Konsonanten auf, so gehört dieser zur zweiten Silbe.“ (Eisenberg 2005, S. 46), vgl. [' ] (Schale), [' (Krone). Komplizierter stellt sich die Situation bei morphologisch komplexen Wörtern (Wortbildungskonstruktionen und Flexionsformen) dar: Unter bestimmten Bedingungen ist die Lage der Silbengrenze auch hier rein phonologisch bestimmt - nämlich dann, wenn „eine Wortform ein vokalisch anlautendes Suffix [enthält]“ (Eisenberg 2005, S. 47), vgl. ' ] (fahren), ['di b n] (Diebin), ['zy s ] (süßer). Dies hat zur Folge, dass Silben- und Morphemgrenze divergieren. „In allen anderen Fällen fällt die Silbengrenze mit der Morphemgrenze zusammen, unabhängig davon, wo sie aufgrund der phonologischen Bedingungen liegen müsste. Man spricht hier von einer morphologisch bestimmten Silbengrenze.“ (ebd., S. 47f.). Solche morphologisch bestimmten Silbengrenzen finden sich generell zwischen den unmittelbaren Konstituenten von Komposita, nach Präfixen und vor konsonantisch anlautenden Suffixen. Sie entsprechen z.T. den Regularitäten der phonologisch bestimmten Silbengrenzen - vgl. ['v l l] (Wollschal), ['un n] (unschön), ['bo t aft] (Botschaft) -, z.T. weichen sie von diesen ab - vgl. ['mi t r çt] (Mietrecht, phonologisch eigentlich ['mi tr çt]), [ nt ' t n] (entraten, phonologisch eigentlich [ n 't t n]), ['v k n s] (Wagnis, phonologisch eigentlich ['v kn s]) (vgl. ebd., S. 48). Im letzten Fall würden wir von einer eindeutigen morphologischen Überformung der Silbenwahrnehmung ausgehen. 14 Im Weiteren soll zunächst dargestellt werden, inwieweit prominente Vorläufer Adelungs im ususorientierten Kodifizierungsstrang des 18. Jahrhunderts auf phonologisch und morphologisch bestimmte Silbengrenzen morphologisch komplexer Wörter Bezug nehmen. Als einschlägig erweisen sich die folgenden Schreibanweisungen: 14 Die seit 2006 gültige amtliche Rechtschreibregelung berücksichtigt mit der Abhebung der „Trennung zusammengesetzter und präfigierter Wörter“ von der „Trennung mehrsilbiger einfacher und suffigierter Wörter“ (Duden 2006, S. 1215) die Existenz durchgehend morphologisch bestimmter Silbengrenzen in Komposita und Präfixderivaten (vgl. § 108). Innerhalb der heterogenen zweiten Gruppe wird die Lage der Trennstelle nicht mit Blick auf Morphemgrenzen, sondern lediglich unter Bezugnahme auf Merkmale der Buchstabenfolge festgelegt. (Zur Kritik der amtlichen Regelung in der 1996 beschlossenen Fassung vgl. Geilfuß-Wolfgang 2005, S. 5ff.) <?page no="203"?> Das orthographische Werk Adelungs 203 Freyer (1722): Die Abtheilung der Sylben muß im schreiben vornehmlich nach der Pronuntiation geschehen: iedoch in manchen Stücken auch dabey auf den vsum gesehen werden. (S. 79f.) Der vsus scribendi trifft mit der Pronuntiation zwar meistens überein, ja muß sich eben darnach eigentlich richten: doch aber hat er auch noch etwas besonders. Denn 1. ist mit auf die Composition zu sehen und ein iedes Wort also zu theilen, wie es zusammengesetzet ist. Daher schreibet man her-ein, [...] vor-aus, [...] Schreib-art, Heb-amme, und so weiter: ob man gleich nach der Pronuntiation das r und b fast eben so leicht zur letzten als zur ersten Sylbe ziehen möchte. [...]. 4. Die Buchstaben bl, br, dr, gl, gn, gr und andere dergleichen, womit sich ganze Wörter anfangen können, bleiben auch in deriuatis beysammen, wenn sie alle beyde zum Haupt- und Stammwort gehören. Um des willen schreibt man ü-bler, ü-brig, nie-drig, hü-glicht, Wa-gner, bege-gnen, re-gnen, segnen, Lü-gner, hun-grig: denn das Stammwort heist übel, über, nieder, Hügel, Wagen, gegen, Regen, Segen, Lügen, Hunger [... ]. Hingegen werden sie getrennet, wenn der letzte Buchstab entweder durch die Endung oder durch ein ander Wort hinzugekommen ist: als in löb-lich, üblich, vergeb-lich, lieb-reich, Hand-reichung, täg-lich, beweg-lich, königlich, Zeug-niß, weg-reiten. (S. 80ff.) Aichinger (1754): § 49. Zum andern, wenn für ein mehrsyllbichtes Wort am Ende einer Zeile nicht Platz genug ist: so setzen es die Teutschen, wie alle Abendländer, am Ende einer Syllbe ab, und bringen das übrige auf die folgende Zeile. Um aber die Syllben nicht falsch zu theilen, oder unrichtig zu buchstabiren [...], bedarff man folgender Regeln: 1.) Ein Mitlauter zwischen zween Selbstlautern wird allezeit zur letztern Syllbe gerechnet, als: le gen, ste hen. Ausgenommen die zusammengesetzten, z.B. ver achten, Haus arme. [...] 2.) Von zween Mitlautern gehört einer zur erstern, der andre zur letztern Syllbe, als: lauf fen, Hir ten, reg nen. Die zusammen gesetzten sind abermahl ausgenommen, als: ent ehren, ge brechen, Hals eisen. [...] 3.) Von drey Mitlautern gehören immer zween zur ersten Syllbe, es mögen gedoppelte drunter seyn, oder nicht, als: muß te, Gesand ter, schlupf fen, verborg ne, stümp le. Die zusammengesetzten nehmen sich, wie allemahl, aus, als: be pflanzen. (S. 89f.) <?page no="204"?> Petra Ewald 204 Heynatz (1770): Man trennt die Sylben bei Abbrechung der Zeilen so, wie man sie ausspricht, nur beobachtet man im Schreiben die Zusammensetzung besser, als im Aussprechen; z. E. Ha ben, Wei ne, Bä der, Erb recht, Ob acht, her aus, Donners tag, ach te, Am pfer, hei srer, Tad ler, lei sten, reis ten, Rös lein, las sen, sto ßen, köp fen, se gnen. (S. 66f.) Im Kapitel „Orthoepie“ finden sich die folgenden Aussagen zur Lage der Silbengrenze in morphologisch komplexen Wörtern: In zusammengesetzten Wörtern müssen die Sylben nach der Zusammensetzung getrennt werden, z. E. er-blich von er und bleichen, Ent-erbeter von ent und erben. (ebd., S. 31) Außer der Zusammensetzung gehört ein Mitlauter, der zwischen zwei Selbstlautern steht, gewöhnlicherweise zum Folgenden. Z.E. ha ben, imgleichen von verdoppelten Mitlautern der erste zum Vorhergehenden und der andere zum Folgenden. Z.E. Ret tig. (S. 32) Von zwei andern Mitlautern, die in der Mitte auf einander folgen, gehört gemeinglich der zweite ebenfalls zur folgenden Sylbe. Z.E. Gelüb de, Näch te, Ad ler, Nad ler, ar tig, ad lich, ed ler, Geg ner. (S. 32) Wenn 3 Konsonanten außer der Zusammensetzung zusammenkommen, so gehören gemeiniglich die beiden ersten zur vorhergehenden Sylbe. Z.E. kindlich, Bündniß, Handlung. (S. 32) Auf eine genaue Analyse der einzelnen Schreibanweisungen muss verzichtet werden. Die Überschau ergibt, dass alle drei Regelwerke die spezifische Lage von Silbengrenzen in morphologisch komplexen Wörtern berücksichtigen. 15 (Unterschiede in deren Benennung/ Kategorisierung erscheinen in diesem Zusammenhang sekundär: Während Freyer die Komposition und [Suffix-]Derivation nennt, beziehen sich Aichinger und Heynatz auf die Kategorie der Zusammensetzung, die jedoch offensichtlich auch Präfixderivate umfasst.) Im Vergleich mit der unten zu besprechenden Regelung Adelungs fällt vor allem zweierlei auf: Wie besonders die gebotenen Beispiele nahelegen, zielen die Regeln zum einen primär auf die Absicherung einer normgerechten Worttrennung bei Fällen von morphologisch überformter Silbenwahrnehmung, die den üblichen Syllabierungsregularitäten nicht entsprechen. (Hier 15 Bei Gottsched (1762) finden sich keine einschlägigen Aussagen. <?page no="205"?> Das orthographische Werk Adelungs 205 besteht in der Tat ein besonderer Kodifizierungsbedarf, weil eine rein syllabische, die Morphemstruktur vernachlässigende Worttrennung zu Normverstößen führen würde.) 16 Den Fallgruppen einer phonologisch regulären Silbensegmentierung wird auf diese Weise weniger Aufmerksamkeit zuteil, als ihnen mit Blick auf ihre Häufigkeit zukäme. Zum anderen eint alle Schreibanweisungen der Verzicht auf eine morphologische Ausrichtung der Regeln zur Trennung von Suffixderivaten: Aichinger und Heynatz regeln, außerhalb der „Zusammensetzung“, lediglich den Umgang mit Clustern von Konsonantenbuchstaben und beziehen sich nicht auf die morphologische Struktur von Suffixderivaten und Flexionsformen. (Dieses Verfahren, dessen sich auch die geltende amtliche Regelung bedient, gestattet in der Mehrzahl der Fälle eine eindeutige Bestimmung der Trennstelle, sodass es den Notwendigkeiten der Kodifizierung genügt.) Freyers Regelung lässt sich lediglich der Hinweis auf die Abtrennung konsonantisch anlautender Suffixe entnehmen. Der Umgang mit Suffixderivaten wird jedoch weder fokussiert noch differenziert beschrieben. Diese Auffälligkeiten deuten darauf hin, dass die Regeln der Adelung-Vorgänger primär dem eigentlichen kodifikatorischen Ziel verpflichtet sind, ein einheitliches Trennverfahren herbeizuführen. Mit Adelung erreicht die Darstellung der Worttrennungsregeln bei morphologisch komplexen Wörtern eine neue Qualität, die die folgenden Regeln belegen: 17 Adelung (1788): Bei den „zusammen gesetzten Wörter[n] [...] folgt [...] die Aussprache der Zusammensetzung, und die Schrift folgt ihr auf dem Fuße nach: da mahls, nun-mehr, der-selbe, die-selbe, das-selbe, Erb-recht [...]. (S. 293f.) 16 Auch Güthert registriert bei den nach 1718 erschienenen Regeln (zur „Trennung von Suffigierungen mit konsonantisch anlautenden Wortbildungsmorphemen“, Güthert 2005, S. 84) ein „zunehmende[s] Problembewusstsein, das sich in der Auswahl der Beispieltrennungen zeigt. Während zu Beginn [im 16. und 17. Jahrhundert, Anm. d. Verf.] hauptsächlich Beispiele mit zusammenfallender Silben- und Morphemgrenze angeführt werden, überwiegen im 18. Jahrhundert Beispiele, bei denen phonologisches Syllabieren und morphologisches Segmentieren zu einer anderen Trennstelle führen“ (ebd., S. 93). 17 Bei deren Deutung ist die Ambiguität des Wortes Silbe im 18. Jahrhundert in Rechnung zu stellen. Die aus heutiger Sicht z.T. problematische Morphemkategorisierung soll im Weiteren nicht thematisiert werden. <?page no="206"?> Petra Ewald 206 Unter den abgeleiteten Wörtern folgen „der vorigen Analogie“ a) Alle mit Vorsylben abgeleitete[n] Wörter, folglich alle die, welche sich mit den Ableitungssylben be, ge, er, ent, ver und zer anfangen: be-graben, [...] ge-brauchen [...]. [...] b) Diejenigen Nachsylben, welche sich mit einem Consonanten anfangen, [...] das Wurzelwort mag sich endigen wie es will. Diese Ableitungssylben sind nun: bar, chen, da, men, nen, niß, sal, sel, sam, seln, sen, schaft, schen, te, thum, zen, und an den Zahlwörtern zig und ßig: sicht-bar, Söhn-chen, Gelüb-de, Freun-de, leb-haft, Kind-heit, Bitter-keit, Knäb-lein [...]. [...] Anders verhält es sich mit denjenigen Ableitungslauten und Sylben, welche sich mit einem Vocal anfangen, [...] und in Ansehung dieser folgen Aussprache und Schrift dem Wohlklange, indem sie den letzten Consonanten der Wurzel der Ableitungssylbe zulegen [...]. Diese Ableitungssylben sind nun: and, art, ath, e, el, eln, en, er, ern, ert, es, ey, ich, icht, ig, ing, inn, ist, isch, itz, od, old, ung, uth; z.B. Hei-land, Ban-kard, Ban-kert, Heimath, Lie-be, Flä-che, Flü-gel [...]. [...] Eben das gilt auch von den gebogenen. Fängt sich die Biegungssylbe mit einem Consonanten an, wie te, test, ten, ter, in der Conjugation, und das ste des Superlatives, so folgen Aussprache und Schrift dem Baue des Wortes: ich lieb-te, du lieb-test, wir lieb-ten, ein Gelieb-ter, der schön-ste, am größ-ten. Fängt sie sich aber mit einem Vocale an, welches denn am häufigsten geschiehet, so tritt die vorige Analogie ein, und es wird der letzte Consonant des Wortes der Biegungssylbe zugelegt: des Man-nes, die Bäu-me, du lie-best, ein gu-ter, de-ren, freund-schaft-li-che, här-te-rer [...]. (Adelung 1788, S. 295ff.) Wie die Regeln erweisen, erfasst Adelung sehr genau, differenziert und nahezu vollständig, bei welchen Gruppen von Wörtern sich die Worttrennung an einer morphologisch bestimmten und bei welchen an einer phonologisch bestimmten Silbengrenze orientiert - mit der Konsequenz, dass sich seine Schreibanweisungen in zweierlei Hinsicht grundsätzlich von denen seiner Vorgänger unterscheiden: In der präzisen, nahezu lückenlosen Darstellung der Lage von Silben-/ Wortsegmentgrenzen in Abhängigkeit von den relevanten morphologischen Merkmalen der Wörter gewinnen die phonologisch regulären Trennungen das ihrer Frequenz gemäße Gewicht, sodass der sensible Bereich phonologisch „irregulärer“ Segmentierungen (der besonderes <?page no="207"?> Das orthographische Werk Adelungs 207 orthographisches Problempotenzial in sich birgt) in den Hintergrund tritt. Ganz offensichtlich löst Adelung sich hier von den Erfordernissen der Normkodifikation und zielt auf eine komplexe, alle Fallgruppen angemessen berücksichtigende Beschreibung des orthographischen Teilbereichs und seiner Determinanten. Ein weiterer deutlicher Deskriptionsgewinn ist bei den Anweisungen zur Trennung von Suffixderivaten und Flexionsformen zu verzeichnen: Während sich die Regeln seiner Vorgänger primär auf die Zahl (bei Freyer auch Art) der intervokalgraphemischen Konsonantengrapheme beziehen und die morphologische Struktur der Wörter unberücksichtigt lassen, macht Adelung die Lage der Trennstelle am Anlaut der abzutrennenden Morpheme fest und gelangt damit zu einer durchgehend morphologischen Ausrichtung seiner Schreibanweisungen. 18 Dieses Bestreben nach umfassender und gründlicher Deskription entspringt primär Adelungs oben dargestellter Überzeugung von einer notwendig deskriptiv-begründenden Anlage der Grammatik, setzt doch die Wahrnehmung der „Absicht und Mittel“ (Adelung 1788, S. 406) eine komplette Erfassung der sprachlichen Regularitäten voraus. Für unseren Beispielbereich bietet Adelung die folgenden „Ursachen“, weshalb die Syllabierung (und damit sekundär auch die Worttrennung) zum einen morphologisch, zum anderen phonologisch bestimmt ist: Unter den abgeleiteten [Wörtern] haben einige sehr kenntliche Ableitungssylben, welche die Fähigkeit des größten Theiles der Schreibenden nicht überschreiten, und bey diesen und den zusammengesetzten Wörtern richtet sich die Aussprache nach dem Baue des Wortes. Andere haben sehr kurze und dunkele Ableitungssylben, welche der größte Theil der Schreibenden nicht als solche erkennen kann, und noch dunkeler sind die Biegungslaute; daher folget die Aussprache in Ansehung beyder Arten dem Wohlklange, und dem guten Verhältnisse für das Auge, so daß die Theile einander an Umfang nicht zu ungleich sind. (Adelung 1788, S. 293). 19 (Die undifferenzierte Beschreibung der „Biegungslaute“ verdunkelt hier die S. 297 korrekt dargestellten unterschiedlichen Segmentierungsverfahren.) 18 Auch Güthert bemerkt die neue deskriptive Qualität der Adelung'schen Regelung, indem sie feststellt, dass „nur Adelung (1782) auf die ungleiche Trennung bei den beiden Derivationstypen hinweist“ (2005, S. 97). 19 Dass die von Adelung offensichtlich akzeptierte Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben im direkten Wortanlaut, wie in e-wig (vgl. Adelung 1788, S. 292), zu ungleichgewichtigen Wortsegmenten führt, wird nicht problematisiert. <?page no="208"?> Petra Ewald 208 Insgesamt geht es nach Adelung bei der Worttrennung um die „[...] Frage, wie diese Theilung geschehen müsse, damit man das Wort nicht verunstalte, und dadurch die möglichste Verständlichkeit störe“ (Adelung 1788, S. 290). Damit beruft er sich auf die aus seiner Sicht zentrale funktionale Anforderung an Sprache, „die höchste mögliche Verständlichkeit“ (Adelung 1781, Vorrede o.S.). Der postulierte universelle Verständlichkeitsanspruch verschafft Adelung hier ein einheitliches Bewertungskriterium, auf dessen Grundlage sich die unterschiedlichen Verfahren - syllabisch-morphologische und rein syllabische Trennung - als funktional adäquat erweisen: Syllabischmorphologisch wird nach Adelung getrennt, sofern der größte Teil der Schreibenden die solcherart segmentierten Wortbausteine (Kompositionsglieder, Präfixe, wortähnliche konsonantisch anlautende Suffixe) als solche wahrzunehmen vermag (und ihre formativische „Intaktheit“ folglich die Verständlichkeit befördert). Hingegen vernachlässige man die Morphemstruktur beim Syllabieren wie auch bei der Worttrennung, sofern es sich um (in der Regel kurze) vokalisch anlautende Suffixe handele, die der Sprachgemeinschaft kaum noch als Wortbausteine bewusst seien. Die rein syllabische Trennung tue der Verständlichkeit hier keinen Abbruch und habe den positiven Effekt, die Entstehung zu großer Diskrepanzen zwischen der Buchstabenzahl der Trennsegmente zu verhindern. 20 Eine solche komplexe Begründung (und Legitimierung) des Usus setzt dessen umfassende Deskription voraus. Genauigkeit und Differenziertheit der Normbeschreibung erklären sich folglich mit Blick auf das Anliegen der Normbegründung. Unabhängig davon, wie weit man Adelung in der Annahme einer allgemeinen Korrelation zwischen Umfang und Wahrnehmung von Suffixen folgen möchte, kann man es ihm durchaus als Verdienst anrechnen, überhaupt nach einer Erklärung des divergierenden Syllabierungs- und Trennverfahrens gesucht zu haben. Interessant erscheint der geltend gemachte Aspekt der graphischen Gewichtigkeit der Trennsegmente, da Adelung auch andere Normausprägungen mit derartigen rein visuellen Gesichtspunkten begründet (vgl. weiter unten). 20 Mit Blick auf die zeitgenössischen Konzepte einer Neuregelung der deutschen Orthographie bedurfte besonders das rein syllabische Segmentierungsverfahren einer Legitimierung: Hemmer fordert bereits 1775 (vgl. Güthert 2005, S. 19f.), aber auch in seinem Reformregelwerk von 1780 ausdrücklich ein rein morphologisches Trennverfahren: „58 §. Man muß di wörter wider in eben di glider oder silben teilen, aus deren zusammenfügung si entstanden sind“ (Hemmer 1780, S. 126). Auch Mäzke wendet sich, unter Berufung auf Hemmer, gegen eine rein syllabische Worttrennung (vgl. Mäzke 1780, S. 71f., S. 129ff.). <?page no="209"?> Das orthographische Werk Adelungs 209 Abschließend sei kurz der Frage nachgegangen, welche Wertung die Adelung'schen Beschreibungs- und Begründungsangebote von Zeitgenossen und Nachfolgern erfahren. Wiederum offenbart sich, dass Adelung in seiner Zeit als Leitbild und Stein des Anstoßes gilt: Die besonderen deskriptiven Qualitäten seiner Arbeiten werden (auch von Kritikern) allgemein anerkannt. So bemerkt etwa der Rezensent der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ in Bezug auf Adelungs „Sprachlehre“ (Adelung 1781), dass diese „wirklich [...] vor allen, welche wir bisher bekommen haben, den Vorzug verdienet“ (Allgemeine deutsche Bibliothek 1781, 47. Bd., 1. Stück, S. 280). Rüdiger weist Adelung ungeachtet aller zwischen beiden bestehenden Meinungsverschiedenheiten in der Gruppe der „rüstigen Arbeiter[n]“ auf dem Gebiet der deutschen Rechtschreibung eine Sonderposition zu: „Der verdienteste unter ihnen allen ist Herr Adelung, den wir allenfalls allein allen Arbeiten der Ausländer in ihrer Sprachkunde entgegen setzen können.“ (Rüdiger 1782, S. 32f.). Die Adelung gegenüber eher kritisch eingestellten Rezensenten der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ ziehen seine Arbeiten denn auch wiederholt als Bewertungsmaßstab heran (vgl. Ewald 1990, S. 3). Zum Stein des Anstoßes macht den Orthographen Adelung sein offensichtliches Bestreben, den herrschenden Schreibgebrauch in allen Facetten als regelgemäß und funktional begründet zu erweisen: „Ich sehe nicht ein, warum Hr. Adelung in die Schreibgeseze mehr Weisheit legt, als darin sein kan? [...] Mag es doch Sprachgebrauch sein, nur mache man es nicht zu großer Weisheit“ (Deutsches Museum 1783, 2. Bd., 9. Stück, S. 212f.). Die zuletzt angeführte Kritik bezieht sich auf den (auch bei der Begründung der Worttrennungsregeln anklingenden) Aspekt der graphischen „Vollständigkeit“, den Adelung mit dem folgenden „Nebengesetz[e]“ (Adelung 1782b, S. 74) erfasst: „Gib einem Worte die gehörige Vollständigkeit, welche es der Aussprache unbeschadet erhalten kann“ (ebd., S. 77). Wagen wir einen großen Sprung in die Gegenwart: Innerhalb der Forschungen zur deutschen Orthographie zeichnet sich, auch infolge der jüngsten Reformdebatte, eine Fokusverlagerung ab: Erfolgte die Orthographiebeschreibung zuvor häufig mit dem primären Ziel einer kritischen Normbewertung, steht sie nunmehr vorrangig im Dienste der Normbegründung (und begibt sich damit wieder stärker in die Adelung'sche Traditionslinie). Daraus erwachsen neue Impulse der Auseinandersetzung mit Adelungs orthographischen Arbeiten, die nunmehr - in zeitlicher Distanz vom polarisierenden Hochdeutschstreit - unbefangener als im ausgehenden 18. Jahrhundert erfolgen kann. Adelungs (lange Zeit unberücksichtigte) Erklärungsangebote gera- <?page no="210"?> Petra Ewald 210 ten wieder stärker ins Blickfeld - und werden z.T. als tragfähig erkannt. So beruft sich Beatrice Primus in ihren Darlegungen zu den Dehnungszeichen im Deutschen ausdrücklich auf Adelung: Schließlich sei noch eine Funktion erwähnt, die im Folgenden eine wichtige Rolle spielen wird [...]. Es handelt sich um Dehnungszeichen bei einsilbigen Wörtern mit offener Silbe und voller lexikalischer Bedeutung, die bei diesem Worttyp konsequent verwendet werden [...]. Bei diesem Worttyp muß der Vokal ein betonter, langer Vollvokal sein. Ein Dehnungszeichen ist völlig überflüssig. Die hier gesuchte Funktion der Dehnungszeichen hat schon Adelung [...] vorweggenommen. Für ihn dienen Dehnungszeichen nämlich besonders bei lexikalischen Einsilblern (bei ‘vollständigen Begriffen’) unter anderem dazu, eine harmonische ‘Schwererelation’ bzw. die ‘Würde’ der Wörter ‘fürs Auge’ herzustellen. (Primus 2000, S. 22) 21 Wie sich auch in der Orthographieforschung zeigt, unterliegt der Umgang mit Sprachdarstellungen vergangener Jahrhunderte einem historischen Wandel. In welchem Maße Einsichten des Orthographen Adelung zur Kenntnis genommen und als diskussionswürdig erkannt werden, hängt nicht zuletzt von der jeweiligen Ausrichtung und vom Hauptinteresse der Schriftlinguistik ab. Gerade aus der Fülle Adelung'scher Deskriptions- und Begründungsangebote erwachsen durchaus Anregungen für gegenwärtige und sicher auch noch für zukünftige Forschungen. 21 Bereits Jellinek (1913, S. 382) stellt fest, dass Adelung mit seinem „Vollständigkeitsgesetz“ auf einen Beschreibungsansatz Fuldas zurückgreift, dem zufolge die Verdoppelung von Vokalbuchstaben und die Verwendung des „stumme[n] h“ „aus keiner andern ergründbaren Ursache“ heraus erfolge, „als der, dass ihm [dem Schreibgebrauch, Anm. d. Verf.] die Wurzel, das Wort, zu einfach, zu arm, zu naket scheint. [...] Vor der Hauptepoche, der Mitte des vierzehenden Jarhunderts, ist an kein solches h zu denken. Es trat sehr furchtsam ein. Aber der Schlamp gefiel.“ (Fulda 1777, S. 165f.). Von einer bloßen Übernahme kann jedoch keine Rede sein, zumal Adelung den (wesentlich genauer erläuterten) Gestaltaspekt in das Gefüge seiner „Nebengesetze“ (Adelung 1782b, S. 65) einfügt und die Vollständigkeit der Wörter - im Unterschied zum Kritiker Fulda - „in der Schicklichkeit oder dem Wohlanständigen“ (ebd., S. 77) begründet sieht. Interessanterweise bestätigt sich in der heutigen Adelung-Rezeption die folgende Einschätzung Jellineks: „Adelung ist ein Markstein in der Geschichte der deutschen Grammatik. In seinen Arbeiten strömen beinahe alle Anregungen und Erkenntnisse der nachgottschedischen Zeit zusammen. Dadurch machte er die Schriften seiner Vorgänger überflüssig und ihre Namen gerieten in Vergessenheit. Was die Spätern an Errungenschaften der ältern nhd. Grammatik übernahmen - und das ist nicht ganz wenig -, empfingen sie durch das Mittel der Adelungschen Schriften.“ (Jellinek 1913, S. 331). <?page no="211"?> Das orthographische Werk Adelungs 211 Literatur 1. Zitierte Schriften Johann Christoph Adelungs Adelung, Johann Christoph (1781): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1782a): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 1. Bd. Leipzig. Adelung, Johann Christoph (1782b): Grundgesetz der Deutschen Orthographie. In: Magazin für die Deutsche Sprache. Von Johann Christoph Adelung. Leipzig. 1. Jg., 1. Stück, S. 59-83. Adelung, Johann Christoph (1782c): Sind es Schriftsteller, welche die Sprachen bilden und ausbilden? In: Magazin für die Deutsche Sprache. Von Johann Christoph Adelung. Leipzig. 1. Jg., 3. Stück, S. 45-57. Adelung, Johann Christoph (1783): Gebrauch und Mißbrauch der Etymologie. In: Magazin für die Deutsche Sprache. Von Johann Christoph Adelung. Leipzig. 2. Jg., 1. Stück, S. 96-121. Adelung, Johann Christoph (1788 [1978]): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Leipzig. [Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1788. Hildesheim/ New York]. 2. Sonstige Primärliteratur (18. Jahrhundert) Aichinger, Carl Friedrich (1754 [1972]): Versuch einer teutschen Sprachlehre. Frankfurt a.M./ Leipzig. [Reprogr. Nachdr. d. Ausg. 1754 m. e. Vorw. v. Monika Rössing-Hager. (= Documenta Linguistica, Reihe V). Hildesheim/ New York]. Allgemeine deutsche Bibliothek (1765-1792): Hrsg. v. Friedrich Nicolai. Berlin/ Stettin. Biester, Johann Erich (1783 [1986]): Ist Kursachsen das Tribunal der Sprache und Literatur für die übrigen Provinzen Deutschlands? In: Gedike, Friedrich Johann/ Biester, Erich (Hg.) (1986): Berlinische Monatsschrift (1783-1796). Auswahl. Hrsg. v. Peter Weber. (= Reclams Universal-Bibliothek 1121). Leipzig, S. 15- 22. Deutsches Museum (1776-1788): Hrsg. v. Heinrich Christian Boie. 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Eine Untersuchung dieser Kategorie bietet sich aus drei Gründen an: 1) Die Kategorie des Geschmacks wird von Adelung in einen weiten Rahmen gestellt. Sie ist für die Begründung des Hochdeutschen von zentraler Bedeutung, weil die Sprachentwicklung an die gesellschaftliche Entwicklung und in diesem Zusammenhang ausdrücklich an die Geschmacksentwicklung im Sinne einer kultursoziologischen Größe gekoppelt wird. Diese Verknüpfung ist nicht zufällig, sondern vor dem Hintergrund der sozialgeschichtlichen wie geistes- und philosophiegeschichtlichen Entwicklungen im 18. Jahrhundert nahe liegend. 2) Die Geschmackskategorie ist hilfreich für Adelungs Bestimmung der Rolle der Schriftsteller im Standardisierungsprozess. Die Tatsache, dass er ihnen keine sprachlich-normative Definitionsmacht zugesteht, sondern ihre Funktion auf die von Modellschreibern (und dies auch nur unter gewissen einschränkenden Bedingungen) festlegt, wird erst aus seiner spezifischen Interpretation und Applikation des Geschmacksbegriffs verständlich. 1 Dieser Aufsatz stellt eine überarbeitete Fassung meines Online-Manuskripts „Eine Frage des Geschmacks? Adelungs Sprachnormtheorie“ (2005) dar. 2 Vgl. Eichler/ Bergmann (1967), Nerius (1967), Henne (1968), Große (1981), Püschel (1982), Lerchner (1984), Ricken (1984), Strohbach (1984), Wollgast (1984), Polenz (1986, 1994, 2002), Schmidt-Regener (1989) und Scharloth (2005a). <?page no="216"?> Evelyn Ziegler 216 3) Das Eigentümliche der Kategorie des Geschmacks liegt darin, dass sich in ihr in unauflöslicher Weise eine ästhetische wie eine soziologische Dimension überkreuzen, - ja, dass dieser Begriff die komplexe Interaktion dieser Dimensionen sinnfällig macht. Diese wird insbesondere da sichtbar, wo die Kategorie des Geschmacks im Verbund mit anderen gesellschaftlich relevanten Kategorien wie etwa Bildung, Einkommen/ Besitz und soziale Gruppenzugehörigkeit auftritt. Zugleich bildet die Kategorie des Geschmacks einen zentralen Anknüpfungspunkt zu gegenwärtigen Sprachwandel-, insbesondere Standardisierungstheorien, weil die Entwicklung einer Sprache immer auch Spiegel soziologischer Wirkmächte ist, etwa der von Prestige und Anerkennung (vgl. Labov 2001), die als Funktion des „legitimen Geschmacks“ (Bourdieu 1987) die Aneignung und Verwendung bestimmter Sprachformen mitbestimmen. Im Folgenden möchte ich mich bei der Skizzierung der Auffassungen Adelungs zum Geschmacksbegriff im Rahmen seines „Hochdeutsch“-Konzepts eng an die Chronologie seiner Schriften halten und dabei deutlich machen, dass schon das Ausgangsmaterial, d.h. seine frühen Schriften, die zentrale Differenzierung in eine subjektive und objektive (im Sinne einer sozialen Tatsache) Dimensionierung dieser Kategorie bieten. Sie lassen sichtbar werden, dass die Kategorie des Geschmacks nicht nur die Basis für Adelungs eigenes Sprachwerturteil bildet, sondern ein wesentliches Definitionsmerkmal seiner „Hochdeutsch“-Konzeption ist. 2. Adelungs subjektive Geschmacksurteile über das Nieder-, Hoch- und Oberdeutsche Im „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ bestimmt Adelung die hochdeutsche Mundart wie folgt: Allein im engern und gewöhnlichsten Verstande bezeichnet dieses Wort die meißnische oder obersächsische Mundart, so fern sie seit der Reformation die Hofsprache der Gelehrsamkeit geworden ist, und durch die Schriftsteller aller Mundarten theils viele Erweiterungen, theils aber auch manche Einschränkungen erfahren hat. (Adelung 1774, S. VI ) Hochdeutsch meint danach das gesprochene und geschriebene meißnische Deutsch der gebildeten Schichten Obersachsens. Ihre Mustergültigkeit erhält diese Varietät dadurch, dass sie sowohl in arealer Perspektive als auch unter euphonischen Gesichtspunkten eine Mittelstellung zwischen dem Nieder- und Oberdeutschen einnimmt: <?page no="217"?> Eine Frage des Geschmacks? 217 Sie [die hochdeutsche Mundart, Anm. d. Verf.] hält das Mittel zwischen der stolzen, rauhen, weitschweifigen, mit lauter eingebildeten Nachdrücken überladenen Sprache des hauchenden und zischenden Oberdeutschen, und der gar zu weichen, schlüpfrigen und kurzen Sprache des Niederdeutschen. (Adelung 1774, S. IX ) Die hier verwendeten klassifizierenden Kategorien bilden ein Konglomerat aus affektiv-evaluativen Bewertungen, die sich auf die einzelnen Varietäten als Ganzes beziehen und offen bestimmte Stigmatisierungen der Varietäten wie auch ihrer Sprecher und Sprecherinnen erkennen lassen. Diese Einstellungsäußerungen, die sich einer lebensweltlichen Metaphorik bedienen, betreffen kollektive Aussprachegewohnheiten. Unter ästhetischen Gesichtspunkten beschreibt Adelung die Stimmqualität der oberdeutschen Sprechweise als „rauh“, „hauchend“, „zischend“, die Stimmqualität der niederdeutschen Sprechweise als „weich“ und „kurz“. Metaphorische Konzeptualisierungen wie „stolz“, „weitschweifig“ und „schlüpfrig“ stellen dagegen Zuschreibungen dar, die Sprechereigenschaften konnotieren und zeigen, dass Adelung zwischen Sprache, Sprechen und Sprecher bzw. Sprecherin nicht immer scharf trennt und seine Bewertungen nicht hinreichend linguistisch zu begründen vermag. Darüber hinaus fällt auf, dass der Varietätenvergleich hinkt, weil Adelung dialektale Großraumvarietäten wie das Ober- und Niederdeutsche mit der so genannten hochdeutschen Mundart, d.h. Standardvarietät, vergleicht und auf dieser Basis eine Bewertungshierarchie konstruiert. Wie diese Textstelle darüber hinaus verdeutlicht, lässt das Anwendungsspektrum des Begriffs Mundart mehrere Bedeutungen zu, so dass man geradezu von terminologischer Ubiquität sprechen kann. 3 Aber nicht dieser Aspekt soll im Weiteren interessieren, sondern die Tatsache, dass Adelung seine Entscheidung für eine bestimmte Leitvarietät im Standardisierungsprozess des Deutschen mit einem spezifischen Set sprachlicher Bewertungen absichert. Diese affektiv-evaluativen Bewertungen ergeben in der Summe ein sprachästhetisches Urteil, das gleichzeitig eine Abwertung der nieder- und oberdeutschen Dialektgruppen impliziert. Dass Adelung das „Hochdeutsche“ unter spezifisch ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, sich also auf seinen individuellen Geschmack beruft, setzt in gewisser Hinsicht ein kollektives Wissen um diese Stereotype voraus, unabhängig davon, ob sie geteilt werden oder nicht. Adelung unterstellt also ein gesellschaftliches Sprachbewusstsein, wonach Sprache und Sprecher 3 Vgl. dazu ausführlicher Püschel (1982). <?page no="218"?> Evelyn Ziegler 218 bzw. Sprecherinnen kollektiv in ästhetischen Kategorien wahrgenommen werden. Dadurch erhält Geschmack, verstanden als ein System von gesellschaftlichen Konventionen, auch eine soziologische Dimension: Sprecher und Sprecherinnen einer bestimmten Varietät werden mit Hilfe ästhetischer Kategorien als soziale Gruppierung gekennzeichnet. Dementsprechend aktualisiert Adelung mit seinen bewertenden Äußerungen über das Ober- und Niederdeutsche und ihrer Sprecher und Sprecherinnen bereits bekannte, historisch weiter zurückreichende Stereotype, die eine bestimmte Dialektideologie 4 zu erkennen geben. Der Versuch Adelungs, seine Sprachnormvorstellungen auf ein intersubjektiv geteiltes Geschmacksurteil zu gründen, ist vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass der Geschmacksbegriff im europäischen Denken des 18. Jahrhunderts einen hohen Rang einnimmt, der mit Kants Theorie des Geschmacksurteils im ersten Teil der „Kritik der Urteilskraft“ (1790) seinen Höhepunkt erreicht. Geschmack ist gleichsam ein Epochenmerkmal des 18. Jahrhunderts und stellt eine zentrale Kategorie des gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, literarischen und kulturellen Lebens dieser Zeit dar. Seine soziohistorische Bedeutung in Deutschland wird unter anderem greifbar in den Zeitschriften „Geschmack und Sitten“ (Göttingen 1752), „Bibliothek für Denker und Männer von Geschmack“ (Gera 1783-1791), „Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks“ (Berlin 1795-1800), „Amalthea“ (Leipzig 1788-1789), im Untertitel annonciert als „Zeitschrift für Wissenschaft und Geschmack“ sowie in der „Monatsschrift für Deutsche“, „zur Veredelung der Kenntnisse, zur Bildung des Geschmacks, und zu froher Unterhaltung“ (Leipzig 1800-1802). Adelungs ästhetisch fundiertes Sprachnormurteil sieht zunächst wie ein individuelles Urteil aus. Aber da Geschmacksurteile ihren Sinn nur in intersubjektiven Zusammenhängen erlangen, d.h. dann, wenn davon auszugehen ist, dass sie entweder angenommen oder zurückgewiesen werden, antizipieren sie dort, wo sie auf Zustimmung hoffen, immer den sensus communis, der - das zeigt die Begriffsgeschichte - seine Bedeutung immer lokal und kulturspezifisch erhält. In der Philosophie des 18. Jahrhunderts bezeichnet der 4 Unter dem Begriff „Dialektideologie“ verstehe ich analog zu dem Begriff „Standardideologie“ (vgl. Blommaert 1999, Milroy 2001) ein spezifisches Set gesellschaftlich geteilter Wissensformate, die sich als kulturelle Konzeptionen weniger auf sprachliche Strukturen beziehen als vielmehr der Durchsetzung von Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen dienen. <?page no="219"?> Eine Frage des Geschmacks? 219 Gemeinsinn bzw. der gemeine oder gesunde Menschenverstand das Vermögen, zu Wissen, zu ethischen oder ästhetischen Urteilen zu gelangen, ohne auf rationale Argumente zurückgreifen zu müssen. Für Aristoteles ist der Gemeinsinn eine Art innerer Sinn, ein Mittleres zwischen der Sinnestätigkeit einzelner Sinne und dem Verstand (vgl. Grünepütt 1995). Vor diesem Hintergrund stellt Adelungs Urteil einerseits ein schwer präzisierbares Geschmacksurteil dar, andererseits beansprucht es normative Geltung. Allerdings bleibt Adelung eine linguistische Begründung für diesen Anspruch schuldig. Statt dessen unterfüttert er die Aktualisierung seines ästhetischen Werturteils und seine normativen Implikationen mit soziokulturellen Beobachtungen, die die sprachliche Entwicklung als eine Funktion der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen geben und auf diese Weise das subjektive Urteil objektiv absichern sollen: In der Folge, da Handlung, Wohlstand, Geschmack und Sitten in Meissen immer blühender wurden, erstreckte sich die immer fortschreitende Cultur auch auf sie, so dass sie bey der Wiederherstellung der Künste und Wissenschaften im sechzehnten Jahrhundert zur Verfeinerung und Ausbildung der rauhen und vernachlässigten Oberdeutschen Mundart gebraucht werden konnte. Meissen und Obersachsen blieben noch lange nach der Reformation der vornehmste Sitz des Geschmackes und der Gelehrsamkeit in ganz Deutschland, und daher geschahe es, dass die hier verfeinerte und ausgebildete Sprache, nicht allein die Schriftsprache des ganzen aufgeklärten Theils der Nation, sondern auch die gesellschaftliche Sprache fast aller Personen von Geschmack und Erziehung, besonders in dem mittlern und nördlichen Deutschlande, ward und noch ist. (Adelung 1782b, Bd. I, S. 82) Gesellschaftlicher Fortschritt definiert sich über feine Sitten, Geschmack und Gelehrsamkeit sowie Wohlstand. Die Ausprägung dieser Faktoren bestimmt die Grade der kulturellen Entwicklung. Weil für Adelung die kulturelle, wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklung in Obersachsen am weitesten fortgeschritten ist, kann er dieser Region einen prominenten Platz zuweisen und so sein Sprachwerturteil verobjektivieren. Wie die Textstelle außerdem verdeutlicht, liegt diesem Versuch, das Hochdeutsche zu bestimmen, ein anderer Geschmacksbegriff zugrunde. Dieser hat weniger den Charakter einer intuitiven ästhetischen Kategorie als vielmehr den einer gesellschaftlich konstitutiven Größe, die sich nicht allein in ästhetisch-affektiven Komponenten erschöpft, sondern auch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, sittliche Komponenten umfasst. <?page no="220"?> Evelyn Ziegler 220 Die Verwendung des Geschmacksbegriffs mit diesen beiden Bedeutungskomponenten des Ästhetisch-Affektiven wie des Sittlichen durch Adelung ist alles andere als zufällig. Dies zeigt die Karriere des Geschmacksbegriffs als ästhetisch-sittliche Kategorie beginnend mit dem 18. Jahrhundert parallel zur Entwicklung des aufkommenden Bürgertums als Trägerschicht der Aufklärung. Die Reflexion auf diesen philosophiegeschichtlichen Hintergrund ist darum nicht nur notwendig, sondern schützt auch vor einer modernen, möglicherweise verzerrenden Interpretation des Geschmacksbegriffs bei Adelung. Zudem erlaubt erst die Kontextualisierung im synchronen Wissenszusammenhang, den vollen Verwendungswert des Geschmacksbegriffs bei Adelung erkennbar werden zu lassen. 3. Der Geschmacksbegriff im ästhetisch-sittlichen Diskurs des 18. Jahrhunderts Die Entwicklung des Geschmacksbegriffs ist als ein gesamteuropäisches Phänomen zu betrachten, das die Romania, England und Deutschland gleichermaßen betrifft. Wie die begriffsgeschichtliche Forschung zur Philosophie des 18. Jahrhunderts zeigt (vgl. Schümmer 1974; Fick 1996a, b; Lüthe/ Fontius 2001), geht der Begriff des Geschmacks als intuitive Wertung ästhetischer Gegenstände und als allgemein verbindlicher Maßstab für ästhetische Qualität auf die französische Literatur- und Kunsttheorie des ausgehenden 17. Jahrhunderts zurück. 5 Hier sind es insbesondere die Theoretiker des Ideals der bonne société und der honnêteté, bei denen sich erste Überlegungen zum Geschmacksbegriff finden. Ihre Reflexion des Sinns für Distinktion ist vor dem Hintergrund eines umfassenden Distanzierungsschubs der höfischen Elite in Versailles zu sehen, die sich nicht zuletzt im Symboldiskurs der Prachtentfaltung von dem reich gewordenen Bürgertum abzusetzen suchte. 6 Die Entwicklung des Geschmacksbegriffs ist insofern auch eine Antwort auf einen Modernisierungsschub. 5 Erstmals taucht der Begriff in der Schrift „El discreto“ von Balthasar Gracián (1646) auf, die insofern eine besondere Bedeutung für den Geschmacksdiskurs hat, als sie den Geschmacksbegriff mit Werten wie Affektbeherrschung, Urteilsfähigkeit und Gefälligkeit verbindet (vgl. Lüthe/ Fontius 2001). 6 Vgl. hierzu ausführlicher den Beitrag von Flandrin (1991) „Der gute Geschmack und seine soziale Hierarchie“, der aufzeigt, inwieweit „die Klassenrivalitäten innerhalb der Eliten dazu beigetragen haben, dem Konzept des guten Geschmacks und der Ideologie des Fortschritts der Künste zur Geltung zu verhelfen“ (S. 307). <?page no="221"?> Eine Frage des Geschmacks? 221 In Deutschland wird der Geschmacksbegriff 1727 von König übernommen, der in seiner Schrift „Untersuchung Von dem guten Geschmack“ die französischen Geschmackstheorien in Deutschland einführt und bekannt macht. Wichtige Autoren im Geschmacksdiskurs sind im Anschluss Gottsched, Bodmer, Breitinger, Gellert, Sulzer, Herder und Kant. 7 Vorherrschendes Charakteristikum der Rezeption und Diskussion in Deutschland ist, dass Geschmack nicht allein ein auf die Kunst beschränktes ästhetisches Allgemeines bezeichnet, sondern grundsätzlich alle Kulturerscheinungen betrifft. Zu einem primären Differenzierungskriterium, d.h. Sozialbegriff, avancierend löst die Geschmackskategorie mehr und mehr die Vorstellung ab, die in der Kultur vorkommenden Gegenstände und Erscheinungen seien vorrangig unter religiösen Gesichtspunkten zu beurteilen. Der Geschmacksbegriff tritt so in Konkurrenz zur Religion. 8 Der Sinn für das „Schöne und Gute“ wird, wie insbesondere die Schriften von Kant zeigen, in der Gesellschaft verankert und als Ausdruck von Humanität und Sozialität verstanden. Mit der Entwicklung des Geschmacksbegriffs sind also auch eine gesellschaftliche Entwicklung und eine Entwicklung gesellschaftlicher Normen verbunden. Geschmack ist in diesem Sinne eine besondere und besonders wichtige kulturelle Kategorie, über welche sich die bürgerliche Gesellschaft definiert und distinguiert. Der Beginn dieses Interesses an Kultiviertheit markiert zugleich das Ende der „Aura des Sakralen“ (Belting 1990) und - in soziologischer Sicht - den Anfang einer Emanzipationsbewegung, denn der Geschmacksbegriff wird nicht länger aristokratisch-elitär (wie in Frankreich), sondern bildungsbürgerlich-sozial definiert. Angesichts der Vielzahl der Geschmackstheoretiker möchte ich im Folgenden meine Auswahl beschränken und nur den prominentesten unter ihnen, nämlich Kant, näher behandeln. Kant galt zur Zeit Adelungs als die philosophische Autorität schlechthin. Er hat die grundlegendste Konzeption des Geschmacksbegriffs vorgelegt, in dem er im Rahmen seiner „Kritik der Ur- 7 Einen wortsemantischen sowie begriffsgeschichtlichen Überblick zu Geschmack im 18. und 19. Jahrhundert gibt Brückner (2003), eine kultursoziologische Einbettung und neurobiologische Fundierung der Metaphorisierung von Geschmack im 18. Jahrhundert liefert Ziegler (2006). 8 Pikanterweise hat Schleiermacher (1799, S. 79f.) diesen geistesgeschichtlichen Wandlungsprozess aufgenommen und zu einer Reformulierung des Begriffes der Religion als „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ genutzt. <?page no="222"?> Evelyn Ziegler 222 teilskraft“ (Kant 1790) 9 die a priori Bedingungen des Geschmacksurteils herausgearbeitet und im deutschsprachigen Raum den Diskurs um den Geschmacksbegriff zu einem Abschluss gebracht hat. Vor allem aber sprechen für eine solche Konzentration auf Kant die vielen inhaltlichen Übereinstimmungen in zentralen Punkten der Konzeption des Geschmacksbegriffs. Dies rechtfertigt die Bezugnahme auf Kant a posteriori. Kant bezeichnet in der „Kritik der Urteilskraft“ den Geschmack als ein Erkenntnisvermögen, genauer Beurteilungsvermögen, das durch ein „Wohlgefallen oder Mißfallen, ohne alles Interesse“ (ebd.) gekennzeichnet ist. „Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön“ (ebd., S. 48). Schön ist dabei, was ohne Begriff allgemein gefällt und Schönheit dann die Form eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird. Geschmack wird dabei nicht nur als ein ästhetisches Beurteilungsvermögen verstanden, sondern auch als ein Charakteristikum der Vervollkommnung von Vernunft und Sittlichkeit in jedem Menschen betrachtet. Für Kant heißt das, durch Bildung des Geschmacks den Menschen für seine gesellschaftliche Lage gesittet zu machen, d.h., „das sittliche Gefühl frühzeitig in dem Busen eines jeden jungen Weltbürgers zu einer thätigen Empfindung zu erhöhen“ (Kant 1764, S. 256). Geschmack kennzeichnet insofern ein „Symbol des Sittlichguten“ (Kant 1790, S. 213) und damit eine Norm des sozialen Umgangs. Seine volle Bedeutung erreicht er, wenn er sich zur „Kultur des moralischen Gefühls“ (ebd., S. 217), d.h. als gemeinschaftlicher, sittlicher Sinn für das Gute ausbildet. Dementsprechend ist Geschmack eine kulturelle Kategorie, durch die sich die bürgerliche Gesellschaft definiert, denn Geschmack gehört zum bürgerlichen Ideal des gebildeten Menschen und trägt den kulturellen Fortschritt. Damit erhält die Definition von Geschmack eine tautologische Komponente. Denn Geschmack ist der durch die Gesellschaft (re)produzierte ästhetische und normative Sinn für das Schöne, Passende und Angemessene. Dieser aber ist als Gemeinsinn Bedingung für die Ausbildung eben jener „feinen“ Gesellschaft. Diese Zirkeldefinition deutet an, dass es einerseits der Geschmack ist, der sagt, was als schön und sittlich-gut zu gelten hat, und dass andererseits nur durch das, was in gesellschaftlichen Konventionen und Normierungen bereits vorgegeben ist, der Geschmackssinn seine Inhalte und seine Ausprägung erfährt. 9 Die „Kritik der Urteilskraft“ geht auf das 1787 geplante Projekt, eine Kritik des Geschmacks zu verfassen, zurück (vgl. Valle 2006). <?page no="223"?> Eine Frage des Geschmacks? 223 Im Unterschied zum Geschmack ist das Geschmacksurteil immer in der Verbindung von affektiven und kognitiven Aspekten, intuitiver Wertung und intellektueller Rechtfertigung zu sehen. Hierein spielt das Problem der Mitteilbarkeit, indem es um den Ausgleich zwischen Subjektivem und Objektivem, Individuum und Gesellschaft geht. Kant bestimmt das Geschmacksurteil als eines mit intersubjektiver Geltung. Dies meint, dass die intersubjektive Geltung von Geschmacksurteilen einen Gemeinsinn (sensus communis), ein gemeinsames Urteilsvermögen voraussetzt. Der Begriff Gemeinsinn deutet dabei darauf hin, dass das Geschmacksurteil nicht beliebig ist und die Zustimmung aller erfordert. Dies führt zu der Frage, wie es möglich ist, dass ein jeweiliges individuelles Gefühl im Anblick des Schönen als der Stellvertreter eines jeden anderen auftreten kann. Mit dem Geschmacksurteil ist also der Anspruch auf Allgemeingültigkeit verbunden. Worauf wird nun diese Allgemeingültigkeit gestützt? Das Geschmacksurteil stellt, so Kant, selbst eine Norm dar und kommt deshalb ohne eine vorformulierte, vorgegebene Norm aus. Daraus ergibt sich, dass im Geschmacksurteil eine Soll-Norm formuliert wird: Die anderen sollen diesem Urteil zustimmen. Dass Geschmacksempfindungen die Form von Urteilen haben, drückt diesen Anspruch aus. Das Urteil „X ist schön“ ist somit ein Synonym für „X ist Objekt allgemein verbindlichen Wohlgefallens“. Das Geschmacksurteil ist also ein individuelles, nicht logisch begründbares Urteil: Es lässt sich keine Regel angeben, die erfüllt sein muss, damit das Geschmacksurteil gefällt werden kann. Obwohl es eine solche Regel nicht gibt, beansprucht das Geschmacksurteil allgemeine Zustimmung und Verbindlichkeit, will also nicht beliebig sein. Verbindlich sein kann es, weil es eine Art sensus communis beinhaltet. Im Zuge der a-priori-Begründung, dass das Geschmacksurteil allgemeine Zustimmung fordern kann, zeichnet Kant folgendes Bild: Das reine Geschmacksurteil, das ein interesseloses Wohlgefallen darstellt, erklärt Kant als das freie Spiel der Erkenntniskräfte (der harmonischen Proportion zwischen Einbildungskraft und Verstand; vgl. Kant 1790, S. 80). Dieses stellt sich in jedem Subjekt anlässlich der Betrachtung eines Gegenstandes spontan ein. Insofern stellt es ein subjektives Allgemeines dar, das eben darum auf allgemeine Zustimmung abzielen kann. Im reinen Geschmacksurteil, weil es bar eines bestimmten individuellen, das Urteil verfälschenden Interesses erfolgt, wird das freie Spiel der Erkenntniskräfte wie ein autopoietischer Prozess, der im Prinzip in jedem Subjekt gleich abläuft, vorgestellt. <?page no="224"?> Evelyn Ziegler 224 In seiner Abhandlung „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ (1798) hat Kant den Geschmacksbegriff weiter bestimmt, und zwar insbesondere mit Blick auf seine gesellschaftliche Dimension. D.h., gegenüber der „Kritik der Urteilskraft“ hat er die transzendentale Perspektive, die nach den a priori Bedingungen der Möglichkeit des Geschmacksurteils fragt, gegen eine pragmatische Analyse des Geschmacksurteils getauscht: Alle Darstellung seiner eigenen Person oder seiner Kunst mit Geschmack setzt einen gesellschaftlichen Zustand (sich mitzuteilen) voraus, der nicht immer gesellig (teilnehmend an der Lust anderer), sondern im Anfange gemeiniglich barbarisch, ungesellig und bloß wetteifernd ist. - In völliger Einsamkeit wird niemand sich sein Haus schmücken oder ausputzen; (Kant 1798, S. 179) Geschmack ist „ein Vermögen der gesellschaftlichen Beurteilung äußerer Gegenstände in der Einbildungskraft“ (Kant 1798, S. 178f.). Er enthält eine „Tendenz zur äußeren Beförderung der Moralität“ (ebd., S. 183), d.h., er zielt darauf ab, den Menschen für seine gesellschaftliche Lage gesittet zu machen und den kultivierten Umgang zu befördern. 10 Dieses „Gesittetsein“ ist eine Qualität, die den „Anschein oder Anstand vom Sittlichguten“ (ebd., S. 184) ausdrückt und mit anderen Eigenschaften wie „wohlanständig“, „manierlich“ und „geschliffen“ (ebd.) einhergeht. Insgesamt beschreiben diese Qualitäten zeitgenössische bürgerliche Tugenden und stellen einen bestimmten gesellschaftlichen Kontext her. Geschmack als äußerer Ausdruck von Moralität verbindet die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, indem sie ein gemeinsames bürgerliches Geschmacksbewusstsein entwickeln. Damit stellt der Geschmackssinn ein Integrationsinstrument dar und erhält eine sozialsymbolische Bedeutung bzw. einen gesellschaftlichen Distinktionswert. 11 Weil der Geschmacksinn aber immer zugleich den Gemein- 10 Shaftesbury hat als einer der Ersten auf die gesellschaftliche Bedeutung des „Geschmacks“ hingewiesen. In seiner Schrift „Die Moralisten“ (o.J.) stellt er fest, dass die Gesellschaft nicht nur durch Prinzipien und Regeln organisiert wird, sondern auch durch den „Geschmack“. „Geschmack“ ist dabei die Voraussetzung für die Möglichkeit des Fortschritts und der Verbesserung einer Gesellschaft und beschreibt die Fähigkeit, das Gute, Schöne und Richtige zu erkennen, also ethische Prinzipien zu entwickeln und zu befolgen. Als „moral taste“, d.h. als ein moralischer Sinn, wird er einerseits durch Selbstausbildung, andererseits durch die Gesellschaft mit guten und gebildeten Freunden erworben. Er trägt so zur Verbesserung der Qualität der sozialen Kohäsion der Gesellschaft bei. 11 Vgl. hierzu ausführlicher die Untersuchung von Kaiser über „‘Geschmack’ als Basis der Verständigung. Chr. F. Gellerts Brieftheorie“ (1996), in der gezeigt wird, wie die Ge- <?page no="225"?> Eine Frage des Geschmacks? 225 sinn (sensus communis) notwendig einschließt - Geschmack beweist die Person, die einen Sinn hat für das, was als wohlanständig und manierlich 12 gilt - sind im Geschmacksurteil ein ästhetisches mit einem sittlichen Urteil unauflöslich verschränkt. Kants Konzeption von „Geschmack“ und Geschmacksurteil findet, wie ich im Folgenden zeigen werde, seine Anwendung in Adelungs Sprachnormüberlegungen insbesondere in zwei Hinsichten: zum einen in der Verschränkung von Geschmackssinn und Gemeinsinn, Ersterer artikuliert sich nur als Letzterer; zum anderen in der Identität von ästhetischem und sittlich-normativem Urteil im Geschmacksurteil. 4. „Geschmack“ als kultursoziologische Kategorie in Adelungs Sprachnormtheorie Auch wenn authentische Berichte oder Dokumentationen über Adelungs Rezeption des zeitgenössischen Geschmacksdiskurses fehlen, so kann doch angenommen werden, dass der Rezeptionshorizont die deutschen Geschmackstheoretiker, insbesondere Kant, und ihre Vorgänger umfasst. So ist davon auszugehen, dass die „Berlinische Monatsschrift“ und damit das Organ, in dem der Diskurs über die Frage „Was ist Aufklärung“ stattfand, zur „Pflichtlektüre“ Adelungs (wie jedes Gebildeten) gehörte. Eine wichtige Informationsquelle stellt sicherlich auch das zweibändige Lexikon des Popularphilosophen Sulzer dar. Sulzer legt mit seinem Werk „Allgemeine Theorie der Schönen Künste“ (1771-1774) die erste Enzyklopädie im deutschen Sprachraum vor und systematisiert damit das Feld der Ästhetik in lexikalischer Form. Ästhetische Grundbegriffe wie „Geschmack“ und „Klassisch“ werden darin zum Teil sehr ausführlich behandelt. Sulzers Ausführungen schmackskategorie, die traditionell aus der Welt des Hofes stammt, in der bürgerlichen Schreibkultur zu einer moralischen Tugend uminterpretiert wird. Die moralisch-soziale Dimension, die sich auf der Makroebene als „freundschaftliche Korrespondenz“, auf der Mikroebene in der Vermeidung bestimmter sozialer Verhaltensweisen wie Insinuationen und Komplimentieren ausdrückt, hat als ihr Medium die schöne Literatur und als ihr Ziel die Fähigkeit zur Beurteilung und Herstellung von Kultur. Indem sich mit der Evolution eines „guten Geschmacks“ eine gemeinsame Verständigungsgrundlage etabliert, wird auch der Homogenisierungsprozess innerhalb des gebildeten Bürgertums befördert. Der geschmackvoll-natürliche Brief ahmt dann jene Kommunikationsformen nach, wie sie „gesittete und geschickte Leute“ auszeichnen (Kaiser 1996, S. 50). 12 Die Begriffe „wohlanständig“ und „manierlich“ deuten von ihrem Wortsinn her schon die Verknüpfung der ästhetischen und sittlichen Dimension von Geschmacksinn an. <?page no="226"?> Evelyn Ziegler 226 zum Geschmacksbegriff zeichnen sich vor allen Dingen dadurch aus, dass sie den ausdifferenzierten und durchaus widersprüchlichen europäischen Geschmacksdiskurs komprimiert zusammenfassen. Die Vermutung drängt sich also auf, dass der zeitgenössisch so virulente Geschmacksdiskurs Adelungs Interesse für die gesellschaftliche Verankerung seiner Sprachnormtheorie stimulierte und seine Begriffsverwendung in spezifischer Weise präfigurierte und kontextualisierte. 13 Dreh- und Angelpunkt der Adelungschen Sprachtheorie ist die Idee von der Wechselwirkung zwischen Sprache, „Cultur“ 14 und „Geschmack“. Wichtigste Voraussetzung für die Sprachentwicklung und die intellektuelle Entfaltung des Individuums ist die Gesellschaft, wie Adelung in seiner Schrift „Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse“ (1778-1781) feststellt: Die Gesellschaft ist der einige Schauplatz, auf welchem der Mensch alle in ihm liegende Möglichkeiten zur Wirklichkeit bringen kann; selbst sein Vermögen, deutliche Begriffe zu haben, kann sich nur in ihr entwickeln, weil es sich nicht anders als mit der Sprache zugleich entwickeln und ausbilden kann, diese aber bloß ein Bedürfnis des gesellschaftlichen Lebens ist. (ebd., Bd. IV, S. 379) Ausgehend von diesem Beschreibungsrahmen erläutert Adelung in seinem Vorwort (Adelung 1788) zu „Karl Ignaz Thams neues ausführliches und vollständiges deutsch-böhmisches Nationallexikon oder Wörterbuch“ (1788 [2. Aufl. 1799]) sein Verständnis von „Cultur“ 15 und Sprache genauer. Danach ist Sprache der erste Schritt zur „Cultur“ und die Sprachentwicklung eine von der gesellschaftlichen Entwicklung abhängige Größe, und zwar in progressiver wie regressiver Hinsicht: 13 Adelung ist bei weitem nicht der einzige, der die Geschmackskategorie in sein Sprachnormkonzept integriert. Auch Wieland, Biester, Rüdiger, Klopstock, Voss, Campe, Radloff und Jean Paul instrumentalisieren sie, allerdings zur Bestimmung konkurrierender Sprachnormvorstellungen. Sie fokussieren auf den Geniebegriff und den individuellen Geschmack, der als Urteilsinstanz höher gewertet wird als der kollektive Geschmack und so die Sprachautorität der Schriftsteller fundiert. Dabei dürfte im Hintergrund immer Kant die zentrale Bezugsgröße gewesen sein, selbst dort, wo sich die Genannten kritisch von ihr absetzten. 14 Zur Begriffsgeschichte von Zivilisation/ Kultur vgl. Fisch (1992). 15 Zur Wortwahl bemerkt Adelung in seinem „Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts“: „Gerne hätte ich für das Wort Cultur einen deutschen Ausdruck gewählt; allein ich weiß keinen, der dessen Begriff erschöpfte. Verfeinerung, Aufklärung, Entwickelung der Fertigkeiten, sagen alle etwas, aber nicht alles.“ (Adelung 1782a, Vorrede, o.S.). <?page no="227"?> Eine Frage des Geschmacks? 227 Der Reichthum einer Sprache hängt immer von dem Fortschritte eines Volkes in den Künsten und Wissenschaften ab, ihre Biegsamkeit, ihr Wohlklang und ihre ganze Verfeinerung aber von dem Geschmacke. Beyde erreichten in den jetzt genannten Zeiträumen einen bisher in Böhmen ungewöhnlichen Grad der Vollkommenheit, und hatten daher auch den gewöhnlichen Einfluss auf die Sprache. (zit. n. Strohbach 1984, S. 48) Konkret bedeutet das: Die Sprache ist der Ausdruck unserer Begriffe und Empfindungen, und ist diesen daher auf das genaueste angemessen. Sind diese arm, eingeschränkt, sinnlich, ungebildet, so ist es die Sprache auch, und ebenso umgekehrt, weil beyde unzertrennlich in einander wirken, sich gegenseitig verfeinern oder vergröbern, wenn ich so sagen darf. So lange also ein Volk in Kenntnissen in dem Geschmacke wächst, so lange fährt auch die Sprache fort, immer mehr bereichert und verfeinert zu werden […]. (zit. n. ebd., S. 49) Unter „Cultur“ versteht Adelung dementsprechend die „Veredlung oder Verfeinerung der gesammten Geistes- und Leibeskräfte eines Menschen oder eines Volkes“ (Adelung 1793-1801, Bd. I, S. 1354, Sp. 1). Der Begriff „Cultur“ meint also ein Wandlungskontinuum, das sowohl „die Aufklärung, die Veredelung des Verstandes durch Befreyung von Vorurtheilen“ als auch „die Politur, die Veredlung und Verfeinerung der Sitten“ (ebd.) umfasst. Adelungs Kulturbegriff als leitendes Prinzip der Geschichte entspricht damit dem normativen Kulturbegriff der Spätaufklärung, wie er etwa bei Kant als Bewertungsmaßstab für gesellschaftliche Entwicklungen entworfen wird. 16 Trotz seines universalen Anspruchs lässt sich in der Verwendung des Begriffs durch Adelung eine gewisse Verengung auf die Bereiche „Verstand“ und „Sitten“ feststellen, die begrifflich in den Subkategorisierungen „Cultur des Geistes“ und „Cultur des Geschmackes“ geschieden werden. Adelung betrachtet den Prozess der Kultivierung als einen mehrstufigen Prozess, der von der untersten Stufe, der Abnahme der Leibesstärke und Verfeinerung des Körpers, bis zur höchsten Stufe, der Bildung des Geschmacks, führt. Dieser allmähliche Fortschritt ist Ausdruck des Strebens nach Vervollkommnung. 17 Im Rahmen dieses Fortschrittsdenkens definiert Adelung den Geschmacksbegriff wie folgt: 16 Vgl. Kant (1784). 17 Vgl. dazu ausführlicher Polenz (2002), Scharloth (2005b). <?page no="228"?> Evelyn Ziegler 228 Der Geschmack ist in den schönen und bildenden Künsten das Vermögen, und in engerer Bedeutung, die Fertigkeit, das Schöne oder Häßliche an einer Sache mit Leichtigkeit zu entdecken und zu empfinden. Aeußert sich dieses Vermögen den Grundsätzen des Schönen gemäß, so heißt es der gute Geschmack, wenn es aber demselben widerspricht, wenn es Mängel und Fehler für schön hält, so bekommt es den Nahmen des falschen, verdorbenen, oder schlechtes Geschmackes. […] Schön ist, was Wohlgefallen erregt (Adelung 1785, S. 376, 379) 18 Wenn Adelung die Geschmacksentwicklung auf der höchsten Entwicklungsstufe des Kultivierungsprozesses verortet und ihr einen zentralen Stellenwert in seiner Auffassung von „Cultur“ einräumt, dann lässt er damit eine auffällige Parallele zu Kant erkennen. Auch für Kant gilt: „die auf den höchsten Punkt gekommene Zivilisierung [macht] das Hauptwerk der verfeinerten Neigung“ (Kant 1790, S. 149). „Geschmack“, so verstanden, ist für Adelung, ebenso wie für Kant, ein Bildungsbegriff, der eine sinnliche, daneben eine dezidiert sittliche und insofern eine handlungsbezogene Komponente hat. Dies geht auch aus dem entsprechenden Eintrag in Adelungs Wörterbuch hervor. Adelung differenziert mit Blick auf die übertragenen Bedeutungen unter anderem folgende Bedeutungskomponenten: (a) die Empfindung des Guten und Schönen an einer Sache. Dazu erläutert Adelung: „Bey einer guten Erziehung muß vornehmlich darauf gesehen werden, daß junge Leute mit 18 Der Metaphorisierungsprozess, d.h. die Übertragung vom Gustatorischen zum Ästhetischen, erklärt sich für Adelung folgendermaßen: „Das Wort Geschmack ist ein tropischer Ausdruck, der von der Empfindung, welche die Speisen auf der Zunge machen, hergenommen, und auf die Empfindung des Schönen und Häßlichen übertragen worden. […] Wenn ein ganz rohes Volk anfängt, sich zu verfeinern, so sind die Nahrungsmittel immer der erste Gegenstand, an welchem sich diese Verfeinerung äußert, und da ist es denn ganz natürlich, daß man die Empfindung des Angenehmen und Unangenehmen auf der Zunge, auf die Empfindung des Schönen und Häßlichen überhaupt überträgt.“ (Adelung 1785, S. 377f.). Dieser Entwicklungsbzw. Metaphorisierungsprozess, den Adelung hier beschreibt, scheint auch unter einer bedürfnistheoretischen Perspektive plausibel. In dem Maße, in dem basale Bedürfnisse befriedigt werden, in dem Maße wächst der Sinn nach der Befriedigung höherer Bedürfnisse, d.h. Kultivierung (vgl. Maslow 1987). Um es auf den Punkt zu bringen: Solange sich die Frage stellt, was auf den Tisch kommt, ist es wichtig, dass es schmeckt. Wenn aber dies nicht mehr in Frage steht, öffnet sich der Sinn für die Frage, wie es auf den Tisch kommt und wie gespeist wird - so können auch die Tischsitten zu einer Sache des Geschmacks werden. <?page no="229"?> Eine Frage des Geschmacks? 229 Geschmack und Empfindung lesen lernen“, 19 (b) in weiterer Bedeutung ist der Geschmack die auf den Geschmack, oder die Empfindung des Schönen gegründete Art zu denken und zu handeln. 20 Wie in der ersten Bedeutungsangabe deutlich wird, bezeichnet „gut“ nicht nur das Gegenteil von „schlecht“, und zwar im Sinne eines Qualitätsurteils, sondern drückt auch eine sittliche Komponente aus. Darauf lässt insbesondere die Paarformel des „Guten und Schönen“ schließen, die im 18. Jahrhundert äußerst populär ist und die in der Lesart einer ästhetisch-sittlichen Bedeutung den Sinn für das Angemessene meint. Dass das Gute auf den sittlichen Bereich referiert, wird auch in der weiteren Erläuterung deutlich, in der „Geschmack“ nicht nur ein Merkmal, sondern auch eine Funktion „guter Erziehung“ und damit ein Teil gesellschaftlicher Kernkompetenzen ist. Deutlich zeigt sich hier die Einbindung des Geschmacks in das gesellschaftlich Schickliche, also das, was die gesellschaftliche Erwartungshaltung und das Sozialhandeln bestimmt. 21 In Hinblick auf die Sprachstandardisierung im Besonderen hat Adelung mehrfach die Geschmackskategorie diskutiert. In seiner Schrift „Was ist Hochdeutsch? “ von 1782 stellt er seine Sprachtheorie in den Rahmen einer übergeordneten Kulturtheorie und formuliert die entscheidungsrelevanten Aspekte in zehn Punkten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Punkte 1, 2, 4, 5, 6 und 7, die in ihrer thesenhaften Zuspitzung deutlich machen, inwiefern „Geschmack“ und Sprachentwicklung in einem wechselseitigen 19 Vgl. dazu auch Adelungs Ausführungen in der Vorrede zur „Deutschen Sprachlehre“, in der es heißt: „Einen Umstand kann man Lehrern auf höhern und niedern Schulen nie genug empfehlen, nämlich die frühe Bildung des Geschmackes der ihr anvertrauten Jugend; ein Hülfsmittel, welches in dem ganzen gesellschaftlichen Leben, in allen Künsten und Wissenschaften, und vornehmlich in den Sprachen von der größten Wichtigkeit und Nothwendigkeit ist“ (Adelung 1781, S. 4). 20 Vgl. Adelung (1793-1801, Bd. II , Sp. 612-614). 21 Eine entsprechende Parallelformulierung, allerdings weitaus expliziter, findet sich auch in Sulzers Artikel über Geschmack. Hier heißt es: „Der Geschmack ist im Grunde nichts als das innere Gefühl, wodurch man die Reizung des Wahren und Guten empfindet […]. Zugleich erweckt er ein so richtiges Gefühl der Ordnung, Schönheit und Übereinstimmung, daß Widerwillen und Verachtung gegen das Schlechte, Unordentliche und Häßliche, von welcher Art es sein möge, eine natürliche Wirkung desselben ist. Der Mensch, in dessen Seele der gute Geschmack seine völlige Bedeutung erreicht hat, ist in seiner ganzen Art zu denken und zu handeln gründlicher, angenehmer und gefälliger als andere Menschen.“ (Sulzer 1771-1774, S. 371). <?page no="230"?> Evelyn Ziegler 230 Bedingungsverhältnis stehen und inwieweit dieses Bedingungsverhältnis kein individuell beeinflussbares, sondern ein sozial gestaltetes ist. Indem ökonomische, kulturelle, sittliche und wissenschaftliche Entwicklungen zur „Ausbildung“ und „Verfeinerung“ des „Geschmackes“ beitragen, ist die Geschmacksentwicklung an das gesellschaftliche Handeln und den gesellschaftlichen Fortschritt gebunden. Dieser Kausalzusammenhang initiiert einen stetigen evolutionären Prozess. In ihm spielen einzelne Individuen nur als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe eine Rolle, da die Ausbildung kommunikativer und sprachlicher Regeln immer über das gesellschaftliche Handeln einer Gemeinschaft erfolgt. Die soziale Dimension dominiert, Einzelnen wird kein Sonderstatus zugestanden. In den Worten von Adelung: Die Ausbildung der Sprache folgt dem jedesmahligen Grade des Geschmackes und der klaren Vorstellungsart im Ganzen, und einzelne Mitglieder haben vor diesem Ganzen eigentlich nichts voraus. (Adelung 1782-84a, 3. St., S. 46) Mit diesem Entwicklungsmodell postuliert Adelung eine beständige Wechselwirkung zwischen allen Formen der materiellen, habituellen und ideellen Kultur. Allerdings findet diese Entwicklung unter geographischen und soziologischen Gesichtspunkten ungleichmäßig statt. Zu den regionalen Zentren der Entwicklung zählt seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, also seit der Reformation, der thüringisch-obersächsische Raum. Da Obersachsen wirtschaftlich und kulturell heraussticht, sind dort auch der „Geschmack“ und also auch die Sprache am weitesten entwickelt. In soziologischer Perspektive ist der Geschmack an die oberen Klassen gebunden, „weil nur immer diese der Sitz des feinsten und besten Geschmackes“ ist (Adelung 1782-84a, 1. St., S. 7). Insofern kann die Ausbildung der Standardsprache nur von dieser gesellschaftlichen Gruppe getragen werden. Geschmack ist damit zunächst eine gruppenspezifische Qualität, die aber im Laufe des Standardisierungsprozesses ihre Exklusivität notwendigerweise verliert. Dynamik und Komplexität dieser Tendenz lassen dabei deutlich werden, inwieweit moralisch-private Innerlichkeit und kollektive, d.h. nationale, Ambitionen in einem Bedingungszusammenhang stehen. Die Berufung auf den Geschmack trägt zur Demokratisierung des ästhetischen Urteilsvermögens bei. Dabei unterstellt Adelung, dass alle Sprachteilhaber prinzipiell zu demselben Sprachwerturteil kommen und das Meißnische als Leitvarietät anerkennen. Das elitäre Sprachbewusstsein wandelt sich dementsprechend in ein kollektives Bewusstsein, indem die oberen Klassen Meißens zum „Vor- <?page no="231"?> Eine Frage des Geschmacks? 231 bild der ganzen Nation (Adelung 1782-84a, 1. St., S. 88) werden und ein Vaterland der Gebildeten generieren. Das bedeutet insgesamt, dass „der gute Geschmack, wenn er National seyn und eine Einheit haben soll, sich auch auf die Sprache, Sitten, und andere individuelle und conventionelle Verhältnisse erstrecken muß“ (ebd., 4. St., S. 116). Die Geschmacksentwicklung als Motor der Sprachentwicklung enthält dabei eine dezidiert ästhetisch-sittliche Komponente. Die Standardsprache ist die „Schrift- und Gesellschafts-Sprache des gesittetsten Theiles der Nation“ (Adelung 1782b, S. LVIII). Dies wird insbesondere dort deutlich, wo Adelung „Cultur“ als Synonym für Aufklärung verwendet und als Ausdruck eines „gereinigten Religions-Begriffs“, einer „gesäuberten Philosophie“ und einer „schönen Wissenschaft“ (ebd., 1. St., S. 22) versteht. Als Verbesserungen, d.h. als Verfeinerung und Vervollkommnung der Sitten, die das gesellschaftliche Leben regeln, sind sie die Voraussetzung dafür, dass das Gute, Richtige und Schöne erkannt werden kann. Auf der Sprachhandlungsebene zeigt sich die Wirksamkeit dieser Kategorie darin, dass sich die gebildeten Sprecher und Sprecherinnen vom Dialektgebrauch distanzieren und so den Prozess der Vertikalisierung 22 des Varietätensystems initiieren („Der gute Geschmack hat die hochdeutsche Mundart aus allen übrigen heraus gehoben“; Adelung 1782b, S. 89). Ihre Nachhaltigkeit drückt sich darin aus, den einmal erreichten Sprachstandard vor Interferenzen, insbesondere regionalsprachlichen, zu bewahren. „Geschmack“, als metasprachliche Urteilsinstanz, wird so zum Filter für Sprachrichtigkeit, Sprachreinheit und Sprachschönheit. Seine Bedeutung für die Sprachstandardisierung ist insofern eine zweifache: Die kollektive Geschmacksentwicklung bildet zunächst die Voraussetzung dafür, dass in einer Gesellschaft ein Bedürfnis nach Distanzierung vom Dialekt stattfinden und in der Folge ein Standard entstehen kann. Sodann sichert sie den einmal erreichten Standard ab. Der Geschmack ist dabei ein Urteilsvermögen, das dazu befähigt, die richtige und angemessene Variante zu wählen und mit dieser Variantenwahl gesellschaftliche Erwartungshaltungen zu erfüllen, d.h. Wohlgefallen zu finden. Die Varianten- und Varietätenwahl dient folglich nicht nur der Absicht, einen bestimmten Inhalt zu kommunizieren (dieses Interesse allein genommen würde eine niedrigere „Culturstufe“ markieren), sondern auch der Absicht, mit der Wahl der Sprachformen eine ästhetische Erfahrung zu ermög- 22 Zum Begriff der Vertikalisierung vgl. Reichmann et al. (1988). <?page no="232"?> Evelyn Ziegler 232 lichen. Der Sprachgebrauch soll also normgerecht und schön zugleich sein. Mit dieser doppelten Funktionsbestimmung sprachlichen Handelns - wie gesellschaftlichen Handelns überhaupt - rückt Adelung ein weiteres Mal in die Nähe Kants, wenn jener, wie weiter oben gezeigt wurde, den Aspekt des „Wohlgefallens“ zu einem zentralen Kriterium verfeinerter gesellschaftlicher Umgangsformen erhebt. Adelung stellt fest: Allein so bald der Geschmack eine gewisse Feinheit und Allgemeinheit bekommt, so ist die bloße Befriedigung des Bedürfnisses nicht hinlänglich, sondern man wählet unter mehrern zu einem Zwecke dienlichen Vorstellungen die angenehmsten und schicklichsten, und trägt sie so vor, daß sie eben dieselben angenehmen Empfindungen bey anderen erregen, welche der Sprechende hatte; d.i. man spricht, um mit Wohlgefallen verstanden zu werden. (Adelung 1785, S. 34) Adelung knüpft (ebenso wie Kant) Geschmack an die Erfahrung von Geselligkeit. Folglich zielt das Geschmacksurteil auf allgemeine Zustimmung. Da Geschmack als eine Art sensus communis und Standardnähe kovariieren - genau darin vollzieht sich der Prozess der Kultivierung im Bereich der Sprache - kann die Geschmacksbildung kollektiv verankert und die sprachnormative Bedeutung Einzelner, insbesondere die Bedeutung der Schriftsteller, aus der Perspektive des sensus communis des Geschmacks kritisch hinterfragt werden. Vertritt Adelung in der Vorrede zum „Versuch eines vollständigen Grammatisch-kritischen Wörterbuches“ (1774) noch eine relativ liberale Position, indem er sich dahingehend äußert, dass das „Hochdeutsche“ von den Schriftstellern aller Gebiete bereichert werden könne, so radikalisiert er in den 80er Jahren seine Ansichten bezüglich der sprachlichen Definitionsmacht der Schriftsteller. Zwar räumt er den Schriftstellern immer noch eine gewisse Sprachautorität ein, allerdings unter der einschränkenden Bedingung, dass sie dabei den geltenden sprachlichen Normen folgen und sich am Geschmack der oberen Klassen Sachsens orientieren. Denn nur als „Glied(er) der Classe zu welcher sie gehören“ (Adelung 1782-84a, 3. St., S. 53), also als Teil der bildungsbürgerlichen Schicht, können sie Verdienste um die Sprache haben, d.h. dann, wenn sie „die Kunst verstehen, ihren Obliegenheiten mit Kenntniß und Geschmack genug zu thun“ (ebd.). Dabei steht für Adelung fest, dass „die gewöhnliche Mundart Obersachsens“ von den oberen Klassen „zu den Schriftstellern ausgegangen ist“ (ebd., 3. St., S. 47). <?page no="233"?> Eine Frage des Geschmacks? 233 Folglich reduziert sich die Rolle der Schriftsteller auf die von Modellschreibern 23 bzw. Normpopulisatoren. Dies erklärt, warum die „Hochdeutsche Mundart“ nicht „nach einzelnen Personen beurtheilet werden“ kann (Adelung 1782-84a, 1. St., S. 28), sondern nur nach dem, „was in den obern Classen das üblichste und allgemeinste ist“ (ebd.). Insofern der Vereinheitlichungsprozess mit der Kommunikationsdichte der Sprachgemeinschaft korreliert, 24 die Schriftsteller aber „ohne engere gesellschaftliche Verbindung“ leben (ebd., 4. St., S. 150), haben sie an dieser Entwicklung nur in geringerem Umfang teil. Da die meisten zeitgenössischen Schriftsteller ohnehin nicht aus Obersachsen stammen, d.h. das „Hochdeutsche“ erst sekundär erworben haben, verfügen sie in der Regel über eine unzureichende Sprachkompetenz. Es erscheint Adelung deshalb sonderbar, „wenn Schriftsteller aus den Provinzen den Hochdeutschen Sprachgebrauch, welchen sie oft nicht anders als äußerst unvollkommen kennen, oder das was gut Hochdeutsch ist, oder nicht, bestimmen wollen“ (ebd., 1. St., S. 30f.). Damit positioniert sich Adelung konträr zu den Vertretern der so genannten Aushubtheorie. Diese Theorie reicht bis in die Antike zurück und gesteht den Schriftstellern eine zentrale Funktion im Standardisierungsprozess zu, indem sie als Standardisierungsagenten das „Beste“ und „Gewöhnlichste“ aus den „Mundarten“ ausheben. Bereits Gottsched hatte in seiner 1748 erschienenen „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ den Schriftstellern eine Norm stiftende Funktion zugeschrieben und dies auch im Titelzusatz kenntlich gemacht. Adelung weist diese Vorrechte der Schriftsteller zurück und stellt stattdessen deutlich heraus, dass die Schriftsteller die Sprache weder erfinden noch verbessern. Sie sind deshalb auch nicht die „Schöpfer und Ausbilder der Sprache“ (1782-84a, 3. St., S. 50) und zwar aus dem einfachen Grunde, weil sich die Verfeinerung der Sprache primär in der gesprochenen Sprache vollzieht, sekundär in der Schriftlichkeit spiegelt. Daraus folgt zum einen, dass die Schriftsteller die gesprochene Sprache ihres Lesepublikums abbilden müssen, wollen sie gelesen werden. Zum anderen heißt das, dass die Schriftsteller nur den herrschenden Sprachgebrauch wiedergeben, d.h., dass ihr Sprachgebrauch nur die „Folge[n] der bereits zu einem gewissen 23 Zur Bedeutung von Modellschreibern im sozialen Kräftefeld der Sprachstandardisierung vgl. Ammon (2003). 24 Vgl. Adelung: „Eine Sprache wird natürlicherweise immer mehr verfeinert und ausgebildet, je näher die bürgerliche Gesellschaft in einem Lande zusammen rückt“ (1782-84a, 3. St., S. 47). <?page no="234"?> Evelyn Ziegler 234 Grade ausgebildeten Sprache“ ist (Adelung 1782-84a, 3. St., S. 50). Ihre sprachschöpferische Leistung relativiert Adelung dahingehend, dass sich diese im Allgemeinen auf die Bildung von Ableitungen und Komposita beschränkt, d.h. das bereits vorhandene Sprachmaterial nur neu kombiniert. Auch stellen diese Sprachleistungen kein individuelles Privileg dar, weil sie integraler Bestandteil jeder Form von Sprachhandeln sind. Zudem müssen diese Sprachschöpfungen immer bestimmten Regeln, d.h. dem Analogieprinzip, folgen. Adelung sieht also keinen Widerspruch zwischen Usus und Analogie, denn der Usus stellt eigentlich nur ein spezifisches Set von Analogien dar, das durch den interindividuellen Abgleich im sprachlichen Handeln ausgebildet wird und in der Folge den Charakter der Verbindlichkeit annimmt. In den Worten von Adelung: Dasjenige, wodurch sich eine Sprache von andern, eine Mundart von der andern unterscheidet, sind verschiedene befolgte Analogien. […] Dasjenige, was unter mehrern und oft sehr vielen Analogien in jeder Sprache oder Mundart der einen vor der andern den Vorzug gibt, ist der Sprachgebrauch. (Adelung 1782-84a, 4. St., S. 84) Die Verdienste der Schriftsteller bestehen im Großen und Ganzen darin, dass sie in einer „größern Reinigkeit und in einer mehrern Auswahl, als der flüchtige und schnell vorüber gehende mündliche Ausdruck in den meisten Fällen gestattet“ (Adelung 1782-84a, 3. St., S. 53) die Sprache handhaben. Sie wählen dabei aus dem Sprachgebrauch der „ausgebildetste[n] Mundart“ aus, und zwar mit „Geschmack“ (ebd., S. 54). Alles in allem reproduzieren die Schriftsteller also nur bereits bestehende Normen. Auf dieser Grundlage ergibt sich für Adelung die Pflicht der Schriftsteller, sich nie von dem jedesmahligen Sprachgebrauche dieses Ganzen zu entfernen, weil sie sonst ihrer eigenen Absicht entgegen arbeiten. Schriftsteller, welche sich in der Sprache als Sonderlinge ankündigen, machen sich eben dadurch dem besseren Theile der Nation, an welcher ihnen doch am meisten gelegen seyn sollte, unlesbar. (ebd., S. 56f.) Sollten die Schriftsteller trotzdem von der Sprachnorm abweichen, dann ist dies ebenso Ausdruck einer spezifischen moralischen Verfasstheit wie es umgekehrt die Anwendung der Normen ist. Dementsprechend ist die Nicht- Befolgung sprachlicher Normen ein Indikator mangelnder „innerer Werthe“ (ebd., S. 57). Aufs Ganze gesehen spielen diese Abweichungen jedoch keine Rolle für den Verlauf der Sprachentwicklung, denn: <?page no="235"?> Eine Frage des Geschmacks? 235 Einzelne Personen verhalten sich zu der Nation oder dem gebildeten Theile derselben immer wie einzelne Tropfen zu einem großen Strome: so wenig diese dessen Lauf aufhalten oder beschleunigen können, so wenig auch jene. (Adelung 1785, S. 17) Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum für Adelung die so genannte obersächsische Klassik die „schönste“ Phase „nicht nur der schönen Litteratur Deutschlandes, sondern des Deutschen Geschmackes überhaupt“ (Adelung 1782-84a, 1. St., S. 94) darstellt. Deutschlands Sprache und Literatur hatten nach Adelung in dieser Zeit einen gewissen Grad der Einheit erreicht. Die wirklich klassischen Schriftsteller dieses Zeitraums hätten sich, so Adelung, bemüht, in Sprache und „Geschmack“ dem Vorbild der „obern Classen der ausgebildsten Provinz“ zu folgen, d.h. die hier entstandenen und „veredelten Analogien in Rücksicht alles dessen, was blos zufällig und conventionell ist“ zu übernehmen (Adelung 1782-84a, 4. St., S. 140). Dadurch erst hätten sie die Grundlage für eine Nationalliteratur gebildet. Klassische Schriftsteller könnten deshalb nur solche Schriftsteller sein, die sich an die gesellschaftlichen Konventionen halten, d.h. an das, was allgemein als schön, gebräuchlich, wohlanständig und sittlich anerkannt wird. Nur dann könnten sie normative Mustergültigkeit beanspruchen. Adelungs Bestimmung des Klassiker-Begriffs lautet dementsprechend: Classische Schriftsteller so wohl in der Sprache als Litteratur können nur diejenigen seyn, welche der Einheit in beyden Stücken am nächsten kommen, und sie sind nur in so fern classisch, als sie diese Einheit erreichen. - Das sind nun freylich Fesseln, welche der Kraft des Geistes und Genies angeleget werden; aber nicht bloß wohlthätige, sondern schlechterdings nothwendige Fesseln, ohne welche das Genie in einem unbegränzten Raume ohne Absicht, Mittel und Endzweck seine Kraft verbrauset. (Adelung 1782-84a, 4. St., S. 145f.) Die Motive für Adelungs Meinungsumschwung in den 80er Jahren sind in der Forschungsliteratur häufig benannt und diskutiert worden. Die Hinweise auf seine kritische Haltung gegenüber den Vertretern der neuen Schriftstellergeneration, zu denen u.a. auch Wieland und Klopstock gezählt werden können, sind zahlreich. Adelung moniert bei dieser Schriftstellergruppe vor allen Dingen den zunehmenden Gebrauch freierer Formen, sowohl auf der sprachlichen als auch auf der inhaltlichen Ebene. Noch kritischer jedoch fallen seine Bemerkungen über die Sturm-und-Drang-Schriftsteller aus. Seine spöttischen Etikettierungen der sprachlichen Leistungen der Schriftsteller dieser Epoche sind häufig moralisch konnotiert. So bewertet Adelung den <?page no="236"?> Evelyn Ziegler 236 Sprachgebrauch dieser Epoche als „barbarisches Deutsch“ (Adelung 1782- 84a, 4. St., S. 89), die sich darin spiegelnde sprachliche Heterogenität als ein „wahres Babel“ (ebd., S. 153), das die bereits erreichte Vereinheitlichung und Einheit der Schriftsprache gefährde. 25 Insbesondere kritisiert er die Vorliebe für pöbelhafte Ausdrücke: Es ist in unsern Tagen um so viel nötiger, in diesem Stücke strenge zu sein, je mehr sich einige so genannte Genies beeifern, die Sprache des niedrigen Pöbels zur Sprache der Musen zu machen. (zit. n. Nerius 1967, S. 69) Basis seiner kritischen Äußerungen ist die Auffassung, dass gesellschaftliches Handeln, und damit auch Sprachhandeln, grundsätzlich in der „Einschränkung der Kräfte so wohl des Leibes als des Geistes auf gewisse bestimmte Punkte“ besteht (Adelung 1782-84a, 4. St., S. 142). Das Genie bildet grundsätzlich keine Ausnahme. Es steht nicht über den gesellschaftlichen Normen, d.h. außerhalb des sittlich-ästhetischen Gefüges, sondern folgt den gesellschaftlichen Normen. Es gilt das Primat der Konventionalität; deshalb gibt es auch nur eine Norm für alle Gesellschaftsmitglieder. Adelung folgt damit der klassizistischen Richtung der Aufklärung. Danach benötigt das Genie den herrschenden Geschmack als Regulativ. Dieser Ausgleich zwischen Genie und Geschmack wird im Sturm und Drang aufgehoben. Das Originalgenie als Selbstbeschreibungskonzept zeitgenössischer Schriftsteller definiert sich gerade gegen den herrschenden Geschmack und versteht sich als Inbegriff schöpferischer Kraft. Die Individualität des Einzelnen wird der Kollektivität der bürgerlichen Gesellschaft gegenübergestellt. 26 Denn in der Individualität des Genies ist die Originalität, in der Kollektivität der bürgerlichen Gesellschaft der sensus communis inkarniert. Damit wird deutlich, dass Adelung den Geschmacksbegriff ganz im Sinne von Kant als ein Reflexionsvermögen definiert und an den sensus communis koppelt, d.h. an eine Appellinstanz beim Urteilen, die prinzipiell allen Menschen gemeinsam ist und einen bestimmten zivilisatorischen Habitus beschreibt. Erst unter den Voraussetzungen der Ausbildung einer Kultur des Geschmacks und einer allgemeinen ästhetischen Urteilskraft können bürgerliche Gesellschaften in ihrer Entwicklung avancieren und kulturelle Symbolsysteme ihre allgemeingültige Bedeutung erlangen. 25 Ganz im Sinne der Sprachverfallstheorie stellt er daneben fest, dass „schöne Geister hier im Tone des niedrigsten Pöbels reden, und sich dort aus Sprachfehlern eine Ehre machen, oder sich wohl gar ihre eigene Sprache bilden“ (Adelung 1782-84a, 4. St., S. 122). 26 Zum Spannungsverhältnis von Aufklärung und Sturm und Drang vgl. Plachta (1997). <?page no="237"?> Eine Frage des Geschmacks? 237 Auch in der Entgegensetzung von Geschmacksurteil und Genie, das Eine den sensus communis repräsentierend, das Andere das Individualitätsideal, fällt eine große Affinität von Adelung zu Kant auf. So wie bei Adelung der herrschende Geschmack dem Genie „Fesseln“ anlegen muss, damit das Genie Geschmack beweisen kann, so ist nach Kant der Geschmack „die Disziplin (die Zucht) des Genies“ und „beschneidet diesem sehr die Flügel und macht es gesittet oder geschliffen; zugleich gibt er [der Geschmack, Anm. d. Verf.] diesem eine Leitung, worüber und bis wie weit es sich verbreiten soll, um zweckmäßig zu bleiben“ (Kant 1790, S. 175). Kants Disziplinierung des Genies durch den Geschmack impliziert auch den Gedanken einer evolutionären Kulturentwicklung. Indem er [der Geschmack, Anm. d. Verf.] Klarheit und Ordnung in die Gedankenfülle hineinbringt, macht er die Ideen haltbar, eines dauernden, zugleich auch allgemeinen Beifalls, der Nachfolge anderer und einer immer fortschreitenden Kultur fähig. (ebd.) Einmal mehr wird die Nähe zu Adelungs Verhältnisbestimmung von „Geschmack“ und Genie, „Geschmack“ und Kultur sichtbar. Diese Parallelbestimmungen deuten an, warum es Adelung nicht darum gehen kann, eine Geschmackstheorie zu konzipieren, die auch eine Theorie des Genies, d.h. eine Produktionsästhetik - im Sinne von Sprachinnovation - integriert. Eine solche Perspektive liegt außerhalb seines Interesses. Es geht ihm nicht um die Legitimation sprachinnovativer Autorität, sondern um die Ausbildung eines kollektiven Sprachnormbewusstseins und das heißt für Adelung letztlich eines nationalen sprachlichen Bewusstseins. In Adelungs Kodifizierungspraxis wird die Kategorie des Geschmacks mehrfach relevant, und zwar in der Lexikographie, Grammatik und Stilistik. Sie fungiert in der Lexikographie als Selektionsprinzip, indem sie die Lemmaaufnahme steuert. Adelung vertritt bei der Auswahl der Lemmata für sein „Grammatisch-kritisches Wörterbuch“ einen gemäßigten Purismus und begründet seine Haltung damit, dass er anfänglich die Wörter, „die theils aus Noth, theils aus Unverstand und Mangel des Geschmackes in die Deutsche Sprache eingeführte fremde Wörter gänzlich bey Seite zu legen“ beschlossen hatte (Adelung 1793-1801, Bd. I, S. IVf.). Im Laufe seiner Arbeiten habe er aber dann seine Meinung geändert und sei dazu übergegangen, viele der neuen Fremdwörter aufzunehmen, weil sie unentbehrlich geworden seien. In seiner Grammatikschreibung fungiert die Kategorie des Geschmacks als Urteilsinstanz, und zwar dort, wo es um optionale Variation geht. Zum Gebrauch der Verbspitzenstellung in Aussagesätzen erklärt Adelung: <?page no="238"?> Evelyn Ziegler 238 Die Inversion ist bloß dazu da, einen Begriff an eine Stelle zu setzen, wo er die Aufmerksamkeit des Lesers oder Zuhörers mehr auf sich ziehet, als in einer gewöhnlichen Stelle. Geschmack und Beurtheilungskraft müssen entscheiden, welche Begriffe dazu am schicklichsten sind, und einen wahren Nachdruck gewähren können, d.i. der Aufmerksamkeit des Zuhörers vorzüglich werth sind, und zwar mehr als das Subject. (Adelung 1782b, Bd. II , S. 564f.) Der Geschmack der Sprachteilhaber entscheidet letztlich darüber, inwieweit der Gebrauch dieser syntaktischen Variationsmöglichkeit kommunikativ-funktional angemessen ist. Mehr noch, entscheidend ist die Adressatenorientierung, d.h., dass die Aufmerksamkeit des Zuhörers höher gewertet wird als die des Subjektes. Der Sprecher muss also ein Gefühl dafür entwickeln, was auf Seiten des Zuhörers auf Wohlgefallen trifft. Die Fähigkeit zu diesem Perspektivenwechsel macht den Geschmack aus und führt zu seiner Kultivierung. Auch für die Konservierung bzw. Restitution des auslautenden -ebei der Kasusmarkierung der starken Maskulina und Neutra plädiert Adelung auf der Grundlage der Geschmackskategorie. Das -eist für ihn ein „characteristischer Biegungslaut, daher derselbe, in eigentlich deutschen Wörtern, im Genitiv und Dativ der Einheit nie verbissen werden sollte“ (Adelung 1782b, Bd. I, S. 399). Adelung begründet seine Entscheidung zum einem mit dem Kriterium der Sprachrichtigkeit, zum anderen mit dem Geschmack. Daraus ergibt sich: Da das Dativ-e den Kasus allein markiert, ist es aus flexionsmorphologischer Sicht unverzichtbar und daher wichtiger als das Genitiv-e. Insofern das -eaber auch ein Zeichen verfeinerter, vollkommenerer Sprache ist, lässt es den kulturellen Fortschritt und guten Geschmack deutlich werden. Damit wird es sozialsymbolisch bedeutsam. Ähnlich wie bei der e-Apokope argumentiert Adelung auch bei der e-Synkope, die im Verbalparadigma fakultativ ist. Obwohl e-lose Varianten in der 2. Sg. und 2. Pl. Präsens (du hilfest - du hilfst, ihr helfet - ihr helft) sowie im Imperativ Pl. (helfet! - helft! ) längst gebräuchlich waren, 27 schränkt Adelung die Verwendung der e-Synkope mit dem Argument ein, dass diese Variante nicht nur diaphasisch markiert, 28 sondern auch Ausdruck eines nicht verfeinerten Sprachgebrauchs sei, nämlich dort, wo sie zur Härte des Klangs beitrage: 27 Zur Kodifizierungspraxis und zum Gebrauch der e-Apokope und e-Synkope im 19. Jahrhundert vgl. Ziegler (2007). 28 Diese stilistische Umwertung könnte man auch als einen Fall von „Reallocation“ betrachten (vgl. Trudgill 1986). <?page no="239"?> Eine Frage des Geschmacks? 239 wo die Zusammenziehung in den Endsylben statt findet oder nicht; die Sprache des gesellschaftlichen Umganges ziehet gern zusammen, wenn es ohne Härte geschehen kann, die feyerliche Sprache nicht so gern. (Adelung 1781, S. 281) Im Bereich der Tempora spielt die Geschmackskategorie ebenfalls eine Rolle. Adelung vertritt hier den Standpunkt, dass sich für den richtigen Gebrauch der Tempora in vielen Fällen keine einfachen Regeln formulieren lassen. Angesichts dieser Schwierigkeit erklärt er das Erlernen des richtigen Gebrauchs der Zeiten zu einer Sache der Übung, wobei durch die Übung auch der Geschmack ausgebildet werde, der als „Sprachgefühl“ den weiteren Erwerb und Gebrauch der Normen steuere (vgl. Adelung 1782b, Bd. II, S. 378). Schließlich ist die Kategorie des Geschmacks auch in Adelungs Stilistik bedeutsam. Hier dient sie der Grundlegung einer Theorie der „Wohlredenheit“, verstanden als die „Fertigkeit, sich in allen Fällen so auszudrücken, dass man mit Wohlgefallen verstanden werde“ (Adelung 1785, S. 20). Wodurch lässt sich so ein Wohlgefallen evozieren bzw. welche Merkmale muss ein entsprechender Sprachstil aufweisen? Adelung führt folgende allgemeine Eigenschaften auf: Gebrauch des Hochdeutschen bzw. der Schriftsprache, Sprachrichtigkeit, Sprachreinheit, Klarheit und Deutlichkeit, Angemessenheit und Üblichkeit, Präzision und Kürze, Würde, Wohlklang, Lebhaftigkeit und Einheit (vgl. Adelung 1785, S. 37). Allerdings sind damit weder konkrete Regeln für „Wohlredenheit“ noch für Geschmack formuliert. Vielmehr werden Sprachwerturteile benannt, deren konkrete Umsetzung einzig und allein eine Entscheidung der Sprachteilhaber und ihrer Erwartungserwartung ist. Daraus lässt sich insgesamt folgern: Dort, (a) wo Variation als Folge von Sprachwandel auftritt, (b) wo keine verbindlichen Regeln formuliert werden können, (c) wo es um stilistische Nuancen/ Sprachschönheit geht, entscheidet der Geschmack der Sprachteilhaber darüber, welche Variante die richtige und angemessene ist. Geschmack ist damit eine Urteilsinstanz. 5. Fazit: Adelungs Sprachnormtheorie und ihre Nähe zu modernen Standardisierungstheorien Wie gezeigt werden konnte, spielt die Geschmackskategorie in Adelungs Sprachnormtheorie eine zentrale Rolle. Sie bildet die Grundlage und den Maßstab für die soziale und regionale Verortung der Standardvarietät. Als <?page no="240"?> Evelyn Ziegler 240 eine kultursoziologische Größe dient sie sowohl dem geschichtlichen Erkennen des Fortschritts sprachlicher Entwicklung als auch der Sprachplanung. Sie stellt damit eine gleichermaßen evolutionäre wie regulative Größe dar, die das gesellschaftliche Sprachhandeln formt. Vor dem geistes- und kulturgeschichtlichen Hintergrund erweist sich diese Wahl Adelungs alles andere als zufällig. Denn in den 80er und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts erreichte der Geschmacksdiskurs seinen Höhepunkt. Anhand der Parallelen zu Kant konnte deutlich gemacht werden, dass sich Adelung auf Augenhöhe mit der zeitgenössischen Reflexion des Geschmacksbegriffs befand. Diese Parallelen lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen: 1) Geschmack bezeichnet eine ästhetische wie normative Kategorie. 2) Geschmack zielt auf Geselligkeit und ist zugleich ein kollektiv verankertes Vermögen, das durch eine spezifische Gemeinschaft repräsentiert wird. 3) Geschmack ist kultivierbar und damit eine dynamische Größe. 4) Geschmack (re)konstituiert die Gemeinschaft auf der Basis seiner normativen Kraft. 5) Die Originalität des Genies wird durch den den sensus communis repräsentierenden Geschmack begrenzt. Das Genie muss den Geschmack der „feinen“ Gesellschaft treffen, um als genial zu gelten. Darüber hinaus konnte herausgearbeitet werden, dass es Adelung bei der Formulierung seiner Sprachnormtheorie primär um die Bestimmung und Begründung einer Leitvarietät geht, daneben um den Prozess ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung. Dabei formuliert Adelung mit Hilfe der Geschmackskategorie eine Standardisierungstheorie, die die Entwicklung eines Sprachnormbewusstseins und damit die Akzeptanz der Standardvarietät kultursoziologisch fundiert. Die Geschmackskategorie dient den sozialen Gruppen als Instrument der Selbst- und Fremdwahrnehmung und ist ein zentraler Steuerungsfaktor soziolinguistischer Prozesse. Für die oberen Klassen stellt sie sich zunächst als eine Strategie des Habitus „kulturelles Kapital“ (Bourdieu) dar und wird für die soziale Distinktion in Anspruch genommen. 29 Der Abstand wird über die sprachliche Distinktion (Geschmack) für die anderen 29 Für Bourdieu (1987, S. 284) bildet der Geschmack den „praktischen Operator für die Umwandlung der Dinge in distinkte und distinktive Zeichen […], durch ihn geraten die Unterschiede aus der physischen Ordnung der Dinge in die symbolische Ordnung signifikanter Unterscheidungen“. <?page no="241"?> Eine Frage des Geschmacks? 241 Sprachteilhaber sichtbar ausgedrückt. Im Zuge der allgemeinen Standardisierung verliert die Geschmackskategorie dann - notwendigerweise - ihre Exklusivität und prägt zunehmend die kollektiven Spracheinstellungen und Sprachhandlungen. Denn: Geschmack ist das, worin alle Sprachteilhaber prinzipiell übereinstimmen. Die Konventionalisierung des Geschmacks stellt insofern eine Grundbedingung für den sozialen Ausbau der Standardvarietät dar. Diese Zielbestimmung macht schließlich auch deutlich, warum Adelung den Geniebegriff, aller zeitgenössischen Tendenzen zum Trotz, eng auslegt und an die Gesellschaft und ihre Normen zurückbindet. Adelung betrachtet „Geschmack“ als Grundlage für die gesellschaftliche Zuweisung von „symbolischem Kapital“, d.h. von „Ansehen“ und „Würde“, also Prestige. Diejenigen Sprachteilhaber, die Geschmack beweisen, genießen gesellschaftliche Anerkennung. Weil sie gesellschaftliche Anerkennung genießen, ist ihr Sprachgebrauch nachahmenswerter als der Sprachgebrauch derjenigen, die kein Ansehen genießen. „Geschmack“ und „Ansehen“ legitimieren deshalb nicht nur, sondern befördern auch die allgemeine Ausbreitung von Varietäten und Varianten. In dieser Perspektive lässt Adelungs Standardisierungstheorie eine auffällige Nähe zu modernen Standardisierungstheorien erkennen. Wie Labov (2001) zeigt, wird die extralinguistische Ausbreitung von Varianten und Varietäten durch den Faktor Prestige gesteuert. Die (offene bzw. verdeckte) Prestigezuweisung setzt dabei Einigkeit der Sprachteilhaber über die Bewertung entsprechender Varietäten bzw. Varianten voraus. Extern gesteuerter Sprachwandel definiert sich nach Labov als die bewusste oder unbewusste Übernahme von Sprachformen bestimmter Sprechergruppen, die als Modellsprecher gelten, d.h. als sprachliche Vorbilder angesehen werden. Die bewusste Übernahme betrifft solche Sprachformen, die sich durch ein overtes Prestige auszeichnen und auf den Standard abzielen. Overtes Prestige genießt im Allgemeinen der Sprachgebrauch höher stehender sozialer Gruppen. Diese Form des Sprachwandels bezeichnet Labov als „change from above“. Die unbewusste Übernahme betrifft dagegen solche Sprachformen, die sich durch ein verstecktes Prestige auszeichnen und in Nonstandardvarietäten vorkommen. Ihre allgemeine Übernahme bezeichnet Labov als „change from below“. Die Prestigekategorie hat auch in die Standardisierungstheorie Eingang gefunden, insbesondere in das Standardisierungsmodell von Haarmann (1988), das neben der Struktur- und Statusplanung der Standardvarietät auch eine Prestigeplanung vorsieht. Diese ist nötig, um den Status einer Standardvarietät abzustützen und ihre Strukturmerkmale in der Sprachgemeinschaft durchzusetzen (Generalisierung der Standardvarietät). <?page no="242"?> Evelyn Ziegler 242 Allerdings: Die volle Explizierung dieser Kategorie bleibt Adelung ebenso schuldig wie die moderne Soziolinguistik. Die Geschmackskategorie erscheint immer bis zu einem gewissen Grade vage und opak, da nie wirklich deutlich wird, welche Faktoren in ihr zusammenfließen bzw. welche Parameter die Grundlage für ein Geschmacksurteil bilden. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten: Adelung hat mit der Kategorie des „Geschmacks“ einen Begriff eingeführt, der die Wirkfaktoren, die den sozialen Ausbau der Standardvarietät steuern, zusammenfasst. Insofern hat er ein soziolinguistisches Reflexionsinstrument entdeckt, das den originären Zusammenhang des Ästhetischen wie Sittlichen in soziokulturellen Entwicklungsprozessen, wie z.B. dem der Sprachstandardisierung, zum Ausdruck bringt. Damit ist er nicht nur jenen modernen Sprachstandardisierungstheorien zuvorgekommen, die den Begriff des Prestiges zentral setzen. Vielmehr ist seine Konzeptualisierung von Geschmack für die Beschreibung und Erklärung von Sprachstandarisierung noch gar nicht voll ausgeschöpft worden. 6. Literatur 6.1 Schriften Johann Christoph Adelungs Adelung, Johann Christoph (1774): Vorrede. 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Jahrhundert beginnt in diesem Sinn mit einem Mann, der sich zu der ausgezeichneten Zitiergröße dieses Jahrhunderts entwickeln wird, Gottfried Wilhelm Leibniz. 1 Leibniz, der zum Vordenker und Vorformulierer der bürgerlich-aufgeklärten Gedanken von der Nützlichkeit des Deutschen werden wird, bemüht sich durchaus noch um eine gesellschaftliche Repräsentation, die ihn in die alten Strukturen eingebettet erscheinen lässt: 2 Abb. 1: Gottfried Wilhelm Leibniz 1 Als solche schon dargestellt von Blackall (1966, S. 2-9). 2 Dass der Habitus in diesem Kontext nichts beliebiges Äußeres ist, zeigt das berühmte Beispiel der deutschsprachigen Gracian-Vorlesung von Thomasius, bei der die Wahl der Kleidung ähnlichen symbolischen Wert hat wie die Sprachwahl (vgl. Schiewe 1996, S. 2- 4, 90). <?page no="248"?> Ludwig M. Eichinger 248 Sein Habitus, die Allonge-Perücke, kennzeichnet ihn als ein Mitglied einer adeligen Gesellschaft. Leibniz schreibt auch Zeit seines Lebens lateinisch und französisch, erst nach seinem Tod werden seine deutschen Schriften erscheinen; so ist er denn noch eingebettet in den von den adeligen Formen geprägten obrigkeitlichen Diskurs und in die wissenschaftliche Welt der internationalen Sprache Latein. 3 Anders sieht das schon aus, wenn wir uns den einflussreichsten Grammatiker aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ansehen: 4 Abb. 2: Johann Christoph Gottsched Schon die Herrichtung, in der uns Johann Christoph Gottsched vom Frontispiz seiner „Sprachkunst“ 5 entgegenblickt, zeigt uns einen wesentlich bürgerlicheren Menschen. Durch seine Bildung und seine eigene Tüchtigkeit hat er eine Funktion in der adeligen Gesellschaft gewonnen, die von den Adeligen nicht wahrgenommen werden konnte - nicht zuletzt, weil ihnen die zugrunde liegende Idee der Nützlichkeit fremd blieb. Die gebildete, geregelte Sprache der Vernunft ist es demnach auch, die mit jenem Bild in seiner Sprachkunst korreliert; Spitzenjabot und Weste können immerhin als Zeichen gelesen werden, dass an der Integration in die höfische Welt noch nicht gerüttelt wird - es geht um eine aufgeklärt vernünftige Variante des alten Musters. Schon bald darauf wird die von Gottsched geprägte Sprache Kritiker finden - und auch sein Habitus, man denke für die Sprache an Gotthold Ephraim 3 Vgl. Schiewe (1996, S. 89; aber auch S. 92, Anm. 26). 4 Zum sprachwissenschaftlichen Werk Gottscheds siehe Eichinger (1994b). 5 Gottsched (1748) in der fünften Auflage von 1762. <?page no="249"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 249 Lessing, für die Symbolik der Dinge und Handlungen an jene skurrile Szene, als die Johann Wolfgang von Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ seinen Besuch bei Gottsched schildert. 6 Nicht nur in ihr erscheinen dessen autoritäre Setzungen als wenig fruchtbringende Beschneidungsarbeiten auf der Basis eines Klassizismus, der zunehmend als aseptisch empfunden wurde. Die Kritiker wollen in eine variablere und individuellere Welt, die auch sprachlich der neuen, nicht auf Herkunft fußenden Identität Rechnung trägt. Um die Contrebande dieser Botschaft in die ja noch ganz aristokratisch bestimmten Staaten einbringen zu können, wird sie an Textsorten vorgeführt und ausgebildet, welche Privatheit vorspiegeln. Privatheit ist der Garant für unnormierte Natürlichkeit und für Lizenzen in Form und Inhalt, die in geformteren Texten Anstoß erregt hätten - Dialoge und Brief sind so der Experimentierplatz für das eigentlich bürgerliche Reden. 7 Damit ist es nicht zufällig, dass einer der ersten und wichtigsten, da ihm freundlich verbundenen Kritiker des Gottschedschen Klassizismus, Christian Fürchtegott Gellert, sich mit seinen Anmerkungen und Beispielen zum Briefeschreiben profiliert. 8 Abb. 3: Christian Fürchtegott Gellert Die Einfachheit und die christliche Redlichkeit seines Habitus wie seines Schreibens waren zunächst bewundertes Muster, wie in der späteren Weiterentwicklung Gegenstand des Spottes. 9 Auch hiervon unterrichtet uns Goethe in den Partien von „Dichtung und Wahrheit“, in denen er von der Zeit seiner Erziehung und Bildung in Leipzig schreibt. 10 6 Goethe (1889, S. 86f.). 7 Vgl. dazu Eichinger (1990). 8 Siehe Gellert (1751, S. 4). 9 Zur „empfindsamen“ Wende, die Gellert im sprachwissenschaftlichen Aufklärungsdiskurs darstellt, siehe Gerken (1990, S. 132ff.). 10 Goethe (1889, S. 65-67 und 88ff.). <?page no="250"?> Ludwig M. Eichinger 250 Die deutsche Sprachwissenschaft - und die deutsche Sprache - hatten das Glück, dass sich dann zum Ende des Jahrhunderts hin mit Johann Christoph Adelung ein Wissenschaftler fand, der es verstand, alle die geschilderten Entwicklungen und getroffenen Festlegungen zusammenzufassen und in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Und das in einer Weise, dass sich die bildungsbürgerlichen Schreiber dieser Zeit in seinen Darstellungen und Vorgaben im Wesentlichen wiederfinden konnten. Von dieser Schicht wurde ja die sprachliche Fortentwicklung getragen. Was Adelung auf der Ebene der Grammatik, der Stilistik und nicht zuletzt des Wortschatzes beschreibt, gibt die Basis für eine zeitgemäße Schriftlichkeit ab, in der die Vorzüge von Gottscheds Klassizismus und der Gellert'schen Empfindsamkeit Eingang gefunden haben, aber deutlich in Richtung auf eine Schriftlichkeit überschritten werden, die dem literarischen, dem alltäglichen und nicht zuletzt dem wissenschaftlichen Schreiben neue Möglichkeiten eröffnen sollte. Abb. 4: Johann Christoph Adelung Adelung ist ein außerordentlich prosaischer Zeitgenosse von Klopstock und Wieland, 11 ganz zu schweigen der Klassiker - nicht umsonst ist eine der Xenien auf ihn gezielt. 12 Seine Arbeiten aber werden alle benutzen, seine Regelhörigkeit jedoch wird ihnen zum Spott dienen, da sie sich einer Gesellschaft autonomer, vernünftiger, sich selbst regulierender Individuen verpflichtet fühlen. Sie werden in Kleidung und Sprache einer gelassenen Natürlichkeit das Wort reden. Für diese Stufe, deren Banalisierung wir dann im 19. Jahrhundert erleben werden, steht das Bild von Carl Philipp Moritz, das uns einen schlicht frisierten jüngeren Mann mit offenem Kragen zeigt. 11 Vgl. Naumann (1992). 12 Elbe. / All ihr andern, ihr sprecht nur ein Kauderwelsch. Unter den Flüssen / Deutschlands rede nur ich, und auch in Meißen nur, deutsch. <?page no="251"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 251 Abb. 5: Carl Philipp Moritz Mit ihm befinden wir uns an jener Schwelle, wo in deutschen Landen der Reformabsolutismus, wie ihn die Staatslehrer des Heiligen Römischen Reiches im Kameralismus vertreten hatten, langsam aber sicher durch die Gegenutopie einer bürgerlichen Gesellschaft verdrängt wurde. 13 Zu ihren tragenden Ideen gehört das autonome Verfügen über die Muttersprache in allen möglichen Bereichen und zu allen möglichen Zwecken. 1.2 Adelung und der Denkstil einer praktischen Aufklärung 1.2.1 Liebe: ein gesellschaftlich-lexikographisches Beispiel Das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts ist in herausragender Weise von einer Überlagerung von konkurrierenden Denkstilen gekennzeichnet. 14 Als Adelung stirbt, ist zumindest in der Sprachwissenschaft das 18. Jahrhundert mit seiner Bemühung um Ausgestaltung und Durchsetzung einer deutschen Bildungs- Schrift-Sprache einigermaßen vorbei. Ganz zu Ende ist fast nie etwas, aber so erscheinen die Spuren von Gedanken und Konzeptionen des 18. Jahrhunderts, die sich noch finden, irgendwie merkwürdig. Schon Joachim Heinrich Campe mit seinem unmittelbar nach Adelungs Tod erschienenen Wörterbuch (1807- 1811) wirkt merkwürdig verloren zwischen den Weltbürgern der Klassik, den nationalidealistischen Frühromantikern und den nationalen Raubeinen vom Schlage eines Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn. 15 Und auch der durchaus aufklärerische, dem Volke zugeneigte Impetus der frühen Dialekto- 13 Vgl. Eichinger (1991, S. 58-61) zu Friedrich Karl von Moser und Johann Heinrich Gottlob von Justi. 14 Diese Konzeption, die von Ludwik Fleck entwickelt wurde, erscheint variabler als die Vorstellung vom „Paradigmenwechsel“ (Fleck 1980); siehe auch Eichinger (1996a, S. 208-210). 15 Vgl. etwa Bahner/ Neumann (Hg.) (1985, S. 81ff.). <?page no="252"?> Ludwig M. Eichinger 252 logie eines Johann Andreas Schmeller wird schnell von einer romantischen Neigung zur historischen und natürlichen Idealisierung aufgesogen. 16 Und wenn man sich etwa Campes, des unmittelbaren Nachfolgers Adelungs, Wörterbucheinträge etwas genauer ansieht, hat er sich doch sehr an die romantische Welt angepasst. Ein gutes Beispiel dafür ist der Eintrag für Liebe, „Liebe als Technik“ gegen „Liebe als Passion“ könnte man in grober Anzitierung eines Luhmann'schen Titels die beiden Einträge gegenüberstellen. An den zentralen Punkten der jeweiligen Beschreibung lässt sich das schön zeigen: Stichwort Liebe Adelung (1796) Campe (1807-1811) 1) In der weitesten Bedeutung, der Gemüthsstand, da man sich an dem Genusse oder Besitze einer Sache vergnüget. Die Liebe zum Weine, zum Gelde, zur Wahrheit, zur Freyheit u.s.f. Lust und Liebe zu einem Dinge u.s.f. Überhaupt der Zustand des Gemüths, da man inniges Wohlgefallen an einer Sache hat, sich am Besitz oder Genuß derselben vergnüget. Die Liebe zur Freiheit, zur Wahrheit, zum Leben, zum Weine, zum Gelde etc. Lust und Liebe zu einem Dinge, macht alle Mühe und Arbeit geringe. […] 2) In etwas engerer Bedeutung ist es der Gemüthsstand, da man sich an jemandes Wohlfahrt vergnüget und selbige auf das möglichste zu befördern sucht. Eine reine, unschuldige Liebe. Die unerlaubte, eigennützige Liebe. Die blinde Liebe, welche bloß aus einem natürlichen Triebe entstehet, aber doch die Neigung nicht nach den Graden der Beschaffenheit des Gegenstandes abmisset. Die eheliche Liebe. Die Liebe Gottes, so wohl, welche Gott gegen seine Geschöpfe heget, als auch die Liebe der Menschen gegen Gott, […] Thun sie mir die Liebe und sagen es nicht. Etwas aus Liebe thun, im Gegensatze dessen, was aus Zwang geschieht. Thun sie es mir zu Liebe, aus Liebe zu mir. Werden sie mir zur (zu) Liebe munter, Gell. Besonders das innige Wohlgefallen an einer Person, die große Zuneigung zu derselben, verbunden mit freudigem Bestreben derselben wohl zu thun. Liebe zu jemand zu haben, tragen, zeigen. So Menschenliebe. Liebe erwecken, erregen. Zur Liebe reizen. Für die Liebe empfänglich sein. Etwas aus Liebe zu jemand thun, darum weil man ihn liebt. Thun sie es mir zu Liebe, aus Liebe zu mir. „Werden sie mir zur (zu) Liebe munter.“ Gellert. […] 16 Diese Wende ist in verschiedenen Beiträgen in Eichinger/ Naumann (Hg.) (1988) dokumentiert. <?page no="253"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 253 3) In der engsten Bedeutung ist es die Leidenschaft, oder das zu einer Fertigkeit gewordene Verlangen nach dem Besitze oder Genusse einer Person andern Geschlechtes, da sie denn so wohl rechtmäßig und geordnet, als unrechtmäßig und ungeordnet seyn kann. Liebe gegen eine Person empfinden. Die Liebe erlischt, so bald man aufhört zu hoffen und zu fürchten. In engerer Bedeutung bezeichnet Liebe das innige Wohlgefallen an einer Person anderes Geschlechts, der Wunsch mit ihr zu leben, verbunden mit dem freudigen Bestreben, ihre Zufriedenheit und ihre Wohlfahrt zu befördern und alles Unangenehme zu entfernen oder zu vermindern; auch die Minne. G. d. Liebe gegen eine Person empfinden. In Liebe entbrennen, von einer heftigen Liebe hingerissen werden. Vor Liebe brennen, eine große leidenschaftliche Liebe empfinden. Eine innige, feurige, brennende Liebe. Eine zarte, hohe, edle Liebe. Sinnliche Liebe, die nur in sinnlichem Wohlgefallen bestehet und mit der Begier und dem Streben nach sinnlichem Genusse verbunden ist. Adelungs Unterpunkt 1) ist durchaus jener der Beziehung zu etwas Angenehmen: man liebt, was einem Freude und Genuss verspricht. Der eigene Nutzen steht dabei gut aufklärerisch-bürgerlich im Vordergrund. Sein Punkt 2) verbindet den caritas- und amicitia-Aspekt aller europäischen Liebeskonzeptionen und stellt ihnen den eros-Aspekt als Punkt 3) gegenüber, wobei ihm die Rechtmäßigkeit dieser Neigung demgegenüber sekundär erscheint. 17 Dafür wird unter 2) die Liebe begründet mit der „Geeignetheit“, der Würdigkeit des Objekts der Liebe. Bemerkenswert ist hierbei insbesondere, dass als kritikwürdiger Fall gerade die blinde Liebe genannt wird, die zugunsten einer Art animalischer Natürlichkeit auf diesen gesellschaftlichen Konsens verzichtet. Mit diesen Bewertungen steht die Adelung'sche Beschreibung fest in der aufklärerischen Tradition des 18. Jahrhunderts. Demgegenüber ist es das reine Wohlgefallen (ohne die Frage, ob es dazu objektive Eigenschaften als Grundlage braucht), was bei Campe die Liebe bestimmt; bei der Liebe zu Personen wird der Aspekt der caritas hinzugefügt. Wo die Liebe zum anderen Geschlecht eingeführt wird, heißt es als erstes, Liebe bezeichne den Wunsch, mit dieser Person gemeinsam zu leben. 17 Zu diesen Teilbedeutungen vgl. Ritter/ Gründer/ Gabriel (1980), s.v. Liebe; zu ihrem Widerstreiten z.B. Praz (1988, S. 21ff.). <?page no="254"?> Ludwig M. Eichinger 254 Die sinnliche Liebe wird demgegenüber abgewertet. Und das, wiewohl das Brennen der Leidenschaft, die intensive Empfindung der Liebe, in den Belegen als zentrales Element auftaucht. Den Unterschied zu Adelung belegt auch die Richtung der Kritik: „Sinnliche Liebe, die nur in sinnlichem Wohlgefallen bestehet und mit der Begier und dem Streben nach sinnlichem Genusse verbunden ist.“ Die Richtung der Bedeutungsentwicklung, so wie sie uns die beiden Wörterbücher dokumentieren, führt dahin, dass es keine Gründe für das Wohlgefallen, also für die Liebe, mehr geben muss. - Das ist der Beginn des 19. Jahrhunderts. 18 1.2.2 Vom Schlagen geschlagener Schlachten Dass hier Adelung als ein Vertreter einer pragmatischen Aufklärung erscheint, damit im Vergleich zu Campe geradezu als Erotiker, wirkt allerdings einigermaßen paradox, wenn man sich diesen alten Hagestolz vor Augen hält, von dem die Biographie universelle zu vermelden weiß, sein Schreibtisch sei seine Frau gewesen und seine siebzig Bücher seine Kinder, 19 jedoch erscheint auch sonst gelegentlich bei ihm der galante Geist der Zeit, nicht zuletzt, wenn er die Ebene der sprachwissenschaftlichen Diskussion im engeren Sinn verlässt, so etwa in der polemischen Auseinandersetzung mit anders gearteten Meinungen zur Charakteristik des Hochdeutschen. 20 So führt er im „Umständlichen Lehrgebäude“ von 1782 aus: 21 Die verblühete ältere Schwester sahe von Anfang an scheel dazu, beneidete die jüngere wegen ihrer Reitze, und suchte sie aus Verzweiflung durch den Vorwurf der Ketzerey verhasst zu machen. In guten Stunden vergaß sie zwar diese Grille, und fing so gar an, sich nach ihr zu bilden; allein die böse Laune stellte sich bald wieder ein, und dann behauptete sie wohl in allem Ernste, dass ihre Runzeln, ihre steifen und stolzen Blicke und ihre Archaismen regelmäßiger wären, als die sanften Reitze des jungen gefälligen Mädchens. Mit unter schrie sie auch über Despotismus und Tyranney, obgleich das gute Mädchen nichts weniger als despotisch war, und nur der ältern Schwester, wenn ihr die Coquetterie ihrer jüngern Jahre ankam, zuweilen den Spiegel vorhielt, und sie an ihre Falten und verblüheten Reitze erinnerte. (Adelung 1782, S. 82f.) 18 Mit sehr komplizierten Folgen; siehe Luhmann (1982, S. 173ff.). 19 Zu dieser und weiteren Einzelheiten aus Adelungs Leben vgl. Naumann (1992). 20 Dazu in - etwas vergröberter - Kurzfassung Gardt (1999, S. 188). 21 Zu ähnlichen Verbildlichungen in Klopstocks Grammatischen Gesprächen vgl. Eichinger (1990). <?page no="255"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 255 Man kann in der verrunzelten älteren Schwester durchaus eine Schriftsprachlichkeit süddeutscher Tradition gespiegelt sehen, die er allerdings 1782 auf grammatischem Gebiet einigermaßen verspätet bekämpft, die Auseinandersetzung war wahrlich schon beendet, und so scheint uns Adelungs Blick hier fast schon anachronistisch; 1782 war eben auch der Blick- und Fixpunkt Leipzig auch nicht mehr das, was er einmal gewesen war. Die Frage der grammatischen Ausgestaltung wurde so weitgehend als erledigt angesehen, dass Klopstock in den „Grammatischen Gesprächen“, die einen Teil seiner „Gelehrtenrepublik“ bilden, die „Grammatik“ bei den generellen Gesprächen über den Wert des Deutschen heimschicken lässt und sie nur beizieht, wenn irgendwelche Einzelfragen zu behandeln sind. 22 1.2.3 Die letzten Dilettanten Dass Klopstock die Grammatik heimschickt, wird manchen weniger verwundern als der Tatbestand selber, dass sich ein Dichter - und noch dazu solch ein hymnischer Dichter - mit Grammatik beschäftigt. In gewisser Weise lässt sich das Wort, das jemand einmal auf das 16. Jahrhundert geprägt hat, dass nämlich jeder, der sonst nichts zu tun gehabt habe, eine Orthographielehre geschrieben habe, für die Zeit etwa zwischen 1750 und 1780 analog auf grammatische Abhandlungen anwenden. 23 Diese Neigung fand verschiedene Foren: allerorten entstanden größere und kleinere Akademien, etwa auch in der Pfalz, in der sich Johann Jacob Hemmer als ordentlicher Grammatiker und letztlich tollkühner Orthographiereformer hervortat, 24 deutsche Gesellschaften nach dem Mencke'schen 25 und Gottsched'schen Muster und eine anschwellende, wenn auch häufig sehr kurzfristige Zeitschriftenliteratur taten ein Übriges. Und so konnte fast jeder, der seine Stimme erhob, damit rechnen, zumindest gedruckt, wenn schon nicht gelesen zu werden. Der Meinungen waren viele und vielfältige; dass dabei dominant Lehrer und Pfarrer - häufig in Personalunion - eine Rolle spielen, vermag nicht zu verwundern. Welche Wege dabei die Wertschätzung im Einzelnen geht, ist nicht leicht zu sehen. So vertreten im „Schwäbischen 22 Eichinger (1989, S. 214; 1990, S. 88-90). 23 Jellinek (1913-14, S. 245). 24 Siehe Haller-Wolf (1987). 25 Johann Burkhard Mencke, Förderer Gottscheds, führte ihn auch in die „Deutschübende poetische Gesellschaft“ ein, die als „Deutsche Gesellschaft“ eine von Gottscheds Haupttätigkeitsfeldern werden sollte. <?page no="256"?> Ludwig M. Eichinger 256 Magazin von gelehrten Sachen“ Johann Nast und Friedrich Karl Fulda mit Verve den Vorzug einer schwäbischen Form des Hochdeutschen, weil sie dem ältesten Zustand entspreche - was gerade von Fulda mit nicht immer geeigneten etymologischen Belegen unterfüttert wird. 26 Dass das eigentlich ganz entgegen den Intentionen Adelungs gehen musste, hindert nicht, dass Fuldas etymologisches Werk der ersten Auflage des Adelungschen Wörterbuchs aus Verlagsinteressen vorgebunden wurde. Solche Positionen führten zu heftigen Auseinandersetzungen, wiewohl vernünftige Grammatiker wie Karl Friedrich Aichinger (1754) zu solchen Versuchen das Nötige bereits gesagt hatten, wie etwa in der folgenden Kommentierung des Vorschlags, bei flektierten Verbformen in der ersten Person das Personalpronomen wegzulassen: Die verba finita haben ordentlich die pronomina personae bey sich, als: ich baue, du bauest, er baut, sie baut, wir bauen, es hagelt, es wittert. *Wer demnach durch Verbeissung des Wörtleins ich eine Schönheit anzubringen meinet: der mag sich auf dem Parnasso Boico immatriculiren lassen. (Aichinger 1754, S. 435) Neben diesem abstrakteren Diskurs einer bürgerlichen Funktionalelite stehen die dezidiert für die Schulpraxis gedachten Ableitungen aus diesen Überlegungen. Dabei handelt es sich häufig um das Ausbuchstabieren der von Gottsched angelegten Vorgaben, mit mehr oder minder starken eigenen Adaptationen. Um bei den noch zu belehrenden Süddeutschen zu bleiben, wären Autoren wie Balthasar von Antesberg, Franz Joseph Bob, aber letztlich auch Heinrich Braun zu nennen. 27 Letztlich zeigt sich deutlich, dass insgesamt noch nicht ganz klar ist, wer eigentlich dafür zuständig sein solle, eine Grammatik zu schreiben und bzw. oder zu beurteilen. Hier gibt es zumindest zwei offene Seiten, einerseits über die Prosodie zur Verskunst und damit letztlich zu einem rhetorischen Blick auf den Gegenstandsbereich. So hatte Gottsched seine „Redekunst“ über ein Jahrzehnt früher veröffentlicht, als er seine „Sprachkunst“ erscheinen ließ. Zum anderen fühlten sich die Dichter und Schriftsteller ebenfalls berufen, sich an der grammatischen Diskussion zu beteiligen; das zeigt nicht nur das Beispiel Klopstocks, sondern auch die Einschätzung Gellerts oder auch der 26 Vgl. dazu die Ausführungen in den entsprechenden Artikeln des Bio-Bibliographischen Handbuchs, d.h. Eichinger (1992a-c, 1994a und b, 1998a und b); dort werden auch die entsprechenden Titel genannt; siehe auch Strohbach (1984, S. 170ff.). 27 Zu Einzelheiten siehe die entsprechenden Artikel in Brekle et al. (Hg.) (1992-2005). <?page no="257"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 257 Tatbestand, dass Lessing eine - äußerst kritische - Rezension der Gottsched'schen Sprachlehre vorlegt, die von wenig sprachwissenschaftlichem Sachverstand getrübt ist. 28 Zu welcher dieser Gruppen wollen wir Johann Christoph Adelung rechnen, dem nach allerlei Wirrnissen letztlich der Beruf als Bibliothekar das tägliche Brot verdienen half? Es sind jedenfalls die verschiedenen Angehörigen der ein feudales System verwaltenden bürgerlichen Funktionseliten, die einen Teil ihrer Leistung auf die Verbesserung des sprachlichen Zustandes und auf seine Beschreibung verwenden. Der kompilierende Ort der Bibliothek ermöglicht es dann Adelung, seiner Begabung zu frönen, zusammenzufassend zu sehen, was in den Jahrzehnten zuvor geschrieben worden war, einen festen Glauben zu besitzen und von einem einigermaßen gefestigten Gebrauch unter den gebildeten Schreibern ausgehen zu können. Dass daneben die theoretischen Begründungen der gefällten Entscheidungen, deren praktische Plausibilität zumeist außer Frage steht, nicht von der stringentesten Art war, war in der konkreten Situation und dem folgenden Umbruch der wissenschaftlichen Interessen offenbar nicht mehr so sehr von Bedeutung. Adelungs Kenntnisse übernimmt das 19. Jahrhundert, seine Bücher kaum, und wenn, dann kommen eher banalisierende Extrakte von „Schulmännern“ wie der Familie Heinsius 29 auf den Markt. Diese Anwendungsorientierung auf der einen und der Aufschwung der historischen Sprachwissenschaft auf der anderen Seite zeigen eines: Adelung steht am Ende der Phase, in der Liebhaber, Amateure den wissenschaftlichen Diskurs bestimmen, und in gewissem Umfang gehört er auch dazu. 2. Stilistik als positiver Kern 2.1 Guter Stil Die in zwei Bänden erschienen Stilistik Adelungs ist mit ihrem Erscheinungsjahr 1785 das letzte der großen Werke unseres Autors. Für ihren relativ späten Erscheinungstermin ist sie vergleichsweise konservativ, was heißt, extrem stark von dem klassizistischen Muster der Gottsched'schen Überlegungen geprägt. Was er für eine gute Schreibart hält, unterscheidet sich nicht viel von den Vorgaben Gottscheds. 28 Vgl. Lessing (1759); unter Nutzung einer vorliegenden Besprechung. 29 Im Gefolge von Otto Friedrich Theodor Heinsius; siehe Eichinger (1996b). <?page no="258"?> Ludwig M. Eichinger 258 GOTTSCHED gute Schreibart ADELUNG etwa wie Gottsched ADELUNG ohne Entsprechung 1. deutlich 4. Klarheit + Deutlichkeit 1. Hochdeutsch 2. artig 5. Angemessenheit + 2. Sprachrichtigkeit 3. ungezwungen 9. Lebhaftigkeit? 3. Reinigkeit 4. vernünftig 10. Einheit 5. natürlich 8. Wohlklang? 6. edel 7. Würde 7. wohlgefaßt 6. Präzision 8. ausführlich 9. wohlverknüpft 10. wohlabgetheilet Wiewohl an dieser Gegenüberstellung unmittelbar sichtbar wird, dass das Konzept Adelungs dem Gottsched'schen System einiges verdankt, ist auch die Weiterentwicklung deutlich. Vor allem manche grammatischen Dinge scheinen im Vergleich zu Gottsched immerhin schon geklärt. Einen wohlverknüpften und wohlabgeteilten Text zu verfassen, scheint Adelung kein Problem mehr zu sein, einen Text also, der den Periodenbau in angemessener Weise beherrscht, ohne in lakonischer Kürze in ein anderes Extrem der Unverständlichkeit zu verfallen. Bemerkenswert ist überhaupt, dass alle auf eine bürgerliche mediocritas zielenden Bestimmungen zur sprachlichen Haltung und Form, Vernünftigkeit, Natürlichkeit und Ausführlichkeit offenbar in der als einheitlich empfundenen Erfahrung, Hochdeutsch zu schreiben, verschwinden. Dass sich Adelung in der Charakterisierung dieses Hochdeutschen in unauflösliche definitorische Widersprüche verstrickt, ist nur deshalb weniger wichtig, als im Wesentlichen Konsens über die Form einer angemessenen Schriftsprache besteht. Zu dieser Sicherheit hatte wohl auch beigetragen, dass Adelung mit gutem Griff die Ergebnisse der letzten Jahrzehnte an Sprachforschung zusammenfasst und neu zusammenstellt. So schafft er es, das im Wesentlichen zu umreißen, was für die nächsten Jahrhunderte unter traditioneller Grammatik verstanden werden wird. Dabei ist er teils recht eigenständig, etwa was die Behandlung der Tempora betrifft, teils trifft er strukturell eine gute Wahl, etwa bei der Ansetzung von letztlich vier Kasus (beides übrigens z.B. bei Aichinger präformiert). <?page no="259"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 259 2.2 Der Spätaufklärer Adelung Neben einer eher mechanischen Regelhaftigkeit, wie sie aus den verschiedenen praktischen Ausführungen spricht, stehen theoretische Überlegungen, die eigentlich nicht viel damit zu tun haben. Das zeigen sehr deutlich seine Ausführungen zu „Notwendigkeit, Konventionalität und Willkürlichkeit“ sprachlicher Benennungen (Adelung 1785, S. 6f.): Insofern der Laut, welche zum Zeichen des Dinges und unserer Vorstellung davon dienen sollt, von dem Dinge selbst oder vielmehr von dem Eindrucke desselben auf einen der Sinne, hergenommen ist, in so fern liegt auch in den Worten etwas nothwendiges und wesentliches. So fern aber bey mehrern Eindrücken, welche ein Gegenstand auf die Sinne macht, ein Volk diesen, ein anderes auch einen anderen Eindruck wählen konnte, in so fern ist die Verbindung zwischen Vorstellung und Zeichen gewisser Massen willkührlich, obgleich nicht völlig, weil jedes Volk bey seinen individuellen Umständen nicht leicht einen anderen Ausdruck wählen konnte, sondern den nehmen mußte, welchen es wirklich genommen hat. (Adelung 1785, S. 8f.) Man findet hier eine Reihe der Fahnenwörter und zentralen Denkmuster spätaufklärerischen Denkens versammelt. Einerseits die nicht der göttlichen Setzung sondern der menschlichen Aktivität zugeschriebene Schaffung der Sprache, wie sie in der deutschen Diskussion durch Johann Gottfried Herder in seiner Preisschrift über den Ursprung der Sprache aus dem Jahr 1772 eingebracht wurde. Zum Zweiten ist zu nennen die Herleitung der sprachlichen Reaktionen von den Sinneseindrücken und den daraus folgenden Vorstellungen, die man auch bei Herder, aber auch in der Schule der französischen Sensualisten unter der Leitung Condillacs finden kann. 30 Zum Dritten betont aufklärerisches Denken, wie es sich etwa in den entsprechenden Abhandlungen in der großen französischen Enzyklopädie zeigt, dass für alle Sprachen gleichförmige Bedingungen gelten, dass sie somit auf universalgrammatische Prinzipien zurückzuführen seien. Die Universalgrammatik hatte bekanntlich von Frankreich ausgehend weite Bereiche des europäischen Sprachdenkens erfasst, auch viele populärere Grammatiken des Deutschen lassen sich universalistisch lesen. Letztlich findet sich auch der diese Idee konterkarierende Punkt, dass der kulturelle Zusammenhalt, der sich bei den Völkern auch in der gleichen Sprache niederschlage, bestimmte sprachliche Optionen nahelege, die dann 30 Vgl. dazu z.B. Gardt (1999, S. 176ff. und 226). <?page no="260"?> Ludwig M. Eichinger 260 sprachspezifisch seien. Inwieweit die jeweilige Wahl etwas über das Volk aussagt, ist zumindest hier nicht Adelungs Thema. Auch diese Idee findet sich aber bekanntlich in der Herder'schen Sprachursprungsschrift, dort gefasst in das Konzept des Volksgeists. Auf der anderen Seite werden diese scheinbar so abgehobenen Überlegungen durchaus für die binnendeutschen Auseinandersetzungen nutzbar gemacht. 2.3 Von rohen und gebildeten Völkern So stellt er denn auch in der Stilistik unter dem Titel „Roheit der Sprache bei rohen Völkern“ (Adelung 1785, S. 13f.), an einer Stelle, an der er prinzipiell über den Mangel von Abstraktion bei den von ihm so genannten „primitiven Völkern“ räsoniert, fest: Je weniger aufgeklärt es [das Volk] ist, desto stärker sind bey demselben die untern Kräfte, besonders die Einbildungskraft und die Leidenschaften, und diese drucken dann auch ihr Gepräge der ganzen Sprache auf, die dadurch in diesem Zustande freilich zur Dichtung bequemer ist, als in einem hohen Grade der Kultur. (ebd., S. 13) Auch diese vielleicht etwas merkwürdig erscheinende Auffassung von Dichtkunst zeigt Adelung einerseits als getreuen Knecht der nützlichkeitsorientierten Aufklärung, die das Überflüssige zu vermeiden sucht, zum anderen ist aber auch hier an die Herder'schen Gedanken zur Volkspoesie zu erinnern. Bei der weiteren Beschreibung dieser rohen Völker und ihrer Sprache findet er übrigens viele Merkmale, die auch der Sprache des Süddeutschen, d.h. den „oberdeutschen Dialekten“, eigen sind. Mit der Roheit des Geistes ist immer auch eine gewisse Stärke des Leibes und folglich auch der Empfindungs- und Sprach-Organe verbunden. Daher trägt ein solches Volk seine Töne mit einer ihm eigenen Stärke und Härte vor. Daher Häufung der Consonanten, Neigung zu den Gurgeltönen, zu den tiefen Vokalen und Doppellauten. Es setzt Laute zu, und läßt Töne weg, je nach dem die Hitze der Leidenschaft oder der Nachdruck es zu erfordern scheint. (Adelung 1785, S. 14) Gegenüber solchen gröberen aber ausdrucksfähigen Varietäten habe das Französische mit seiner Verfeinerung übertrieben, denn die Sprache könne auch „so sehr verfeinert, aufgekläret und abgeschliffen werden, dass sie in den Augen eines anderen Volkes alle Kraft und Stärke verlieret“ (Adelung 1785, S. 18). <?page no="261"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 261 2.4 Geschmack, vielleicht - aber keine Genies Des Weiteren muss sich Adelung zwischen diesen Extremen auch schon mehr als das noch bei Gottsched notwendig war, mit dem Konzept des Geschmacks, ja des guten Geschmacks, auseinandersetzen. 31 Vor allem in der letztgenannten Fügung wird er ein Hauptbegriff der individuell-bürgerlichen Aufklärung. Für Adelung, der im Sinne eines Klassizismus nach Gottscheds Muster nicht nur an die beschreibbare objektive Existenz des Schönen, sondern auch an seine Lehrbarkeit glaubt, ist der Geschmack nur die Fähigkeit des verfeinerten Menschen, diese Schönheit auch zu empfinden. 32 Was die sprachliche Seite des Problems angeht, so kann man darauf hinweisen, dass Christian Fürchtegott Gellert schon in der Hochzeit Gottschedisch-klassizistischen Denkens seine Abhandlungen über die Verfertigung von Briefen geschrieben hat, deren eine er 1751 als „Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen“ betitelt. In dieser Abhandlung wird bereits zu dieser Zeit der Wirksamkeit von Regeln beim Schreiben ordentlicher Texte eine Absage erteilt, konkret wird solcherart einerseits der Kanzleistil, andererseits aber ebenso sehr die banale Deutlichkeit, die aus dem aufklärerischen Klassizismus Gottscheds stamme, kritisiert. Es ist die aus der Aufklärung in Deutschland erwachsene Empfindsamkeit, die hier ein erstes Mal, im informalen Reiche des Briefes, ihr Haupt erhebt. Adelung, wiewohl er den Geschmack, wir haben es gezeigt, sensualistisch von der objektiven Existenz des Schönen und seiner Empfindbarkeit herleitet, und ihn damit unter seine Grundbegriffe einführt, kann letztlich so viel Eigenständigkeit und Verzicht auf Einzelregeln nicht gut heißen. So schreibt er denn im dritten Teil von „Über den deutschen Styl“, wo er die „Hilfsmittel der guten Schreibart“ behandelt: Der Letztere [= der Geschmack; Anm. d. Verf.] ist hier, so wie in dem ganzen Gebiethe der schönen und bildenden Künste so nothwendig, daß ohne einen vorzüglich hohen Grad desselben schlechterdings an keinen guten Styl 31 Vor allem der „gute Geschmack“ ist zweifellos eine der Kernwendungen in einer Zeit, der das Vertrauen in die starren rhetorischen Regeln verloren gegangen ist, ohne dass die Hoffnung auf Lehrbarkeit des „sensiblen“ Menschen aufgegeben würde: „Was zunächst paradox klingt, die Unterweisung zur Natürlichkeit, ist für Gellert kein Widerspruch: er geht davon aus, dass der gute Geschmack durch beständige Übung und Gebrauch so natürlich werde, dass er nicht nur die Schreibart, sondern schließlich auch Gespräche, Handlungen, Denkart und Charakter präge“ (Brückner 2003, S. 41); siehe auch Kaiser (1996). 32 Adelung zu einem Versöhner der Widersprüche der rationalen mit dem empfindsamen Aufklärung zu machen, wie das ansatzweise in Dengler (2003) geschieht, erscheint etwas hoch gegriffen. <?page no="262"?> Ludwig M. Eichinger 262 wieder zu gedenken ist. Die Mittel, woher derselbe erworben wird, sind vornehmlich Kenntniß der Regeln des Schönen oder die Kritik, ein langwieriger Umgang mit dem Schönen in dem Felde des Styles oder der Gebrauch der klassischen Schriftsteller, und eine fortgesetzte Übung. (Adelung 1785, S. 357f.) Wenn sich so die Anforderungen des Geschmacks zumindest verbal noch in sein Konzept des regelgeleiteten Lernens einbauen lassen, so tut sich Adelung mit einem anderen Kernbegriff der empfindsamen Aufklärung und der Sturm-und-Drang-Epoche, in der er ja lebt, wesentlich schwerer. Er wendet ihn daher auch lange kritisch hin und her: Es ist das der Begriff des Genies. Auch für ihn und seinen Gebrauch ist in der deutschen Tradition nicht zuletzt Gellert zuständig. Was hier eine ganze Epoche des Deutschen prägen wird, hat bei Adelung als einem praktisch gesinnten Aufklärer einen ganz anderen Stellenwert: Das Genie als eine erhöhte Begabung, die nicht auf die eigentliche Vernunft zurückgeführt werden kann, gehört dabei zu den unteren Kräften des Menschen, die man zur Dichtung brauche, aber eben nicht zu den Kräften des Verstandes, die nach Meinung einer rationalistischen Aufklärung den Menschen erst eigentlich kennzeichneten. Genie ohne Regel zudem, hält er für nichts: Ein rechtschaffener Geschäftsmann von den zu seinem Amte nöthigen Fähigkeiten ist der bürgerlichen Gesellschaft unendlich brauchbarer als zehn Genies, deren Gegenstand immer nur das Angenehme ist. (Adelung 1785, S. 358) Er versucht dann, den nach seiner Meinung nach erlernbaren Geschmack als etwas Positives gegen das Genie als letztlich etwas Dekadentes auszuspielen: 33 Wiefern regellose Stücke schön sind? § 7 Diese Frage würde sich zu anderen Zeiten ein jeder selbst beantwortet haben, allein jetzt, da alles, was das wahre Schöne betrifft, so sehr verkannt wird, muß ich noch einen Augenblick dabey stehen bleiben. Producte, welche 33 Vgl. im Gesamtkontext folgende Einschätzung Georg Christoph Lichtenbergs: „Allein mich dünkt, da das menschliche Leben so sehr kurz ist, und uns nur Weisheit, Tugend und zum Vergnügen so viele Wege offenstehen, so täten diese Menschen besser, sie läsen den seligen Gellert, der auf eine Weise für Deutschland geschrieben hat, deren Wert man über jetziger Genie-Seherei und Genie-Flegelei, die eine so viel über, als die andere unter der Linie der Schönheit und Wahrheit weg, fast zu verkennen anfängt; Gellert, der eben deswegen ein großer Mann war, weil er allen Ständen ohne Kommentar verständlich ist, und ohne eines andern als seines eignen großen und unsterblichen Geistes Zutun zugleich unterrichtet, bessert und vergnügt.“ (Lichtenberg 1967-1972, Bd. III , S. 306). <?page no="263"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 263 von den Gesetzen des absoluten Schönen abweichen, nennet man irregulär oder regellos. Homers Epopeen, Shakespears Schauspiele sind irregulär, weil in beyden gar oft und sehr wider die Regeln des allgemeinen Schönen gesündiget wird [...] Shakespeare ist wegen seinem meisterhaften Darstellung der Charaktere, wegen seiner treffenden und feinen Beschreibungen und Wege des Ausdrucks der Leidenschaften schätzbar, aber gewiß nicht wegen der unnatürlich langen Dauer seiner Handlung, wegen der widerwärtigen Vermischung des Komischen und Tragischen und wegen seines [...] Witzes [...]. Wenn das kein Beweis des verwilderten Geschmackes ist, so weiß ich nicht, was es sonst sein soll. (Adelung 1785, S. 401f.) Diese Stelle, die ja nicht den längst toten Shakespeare, sondern Adelungs Zeitgenossen treffen sollte - Wieland hatte ja gerade Shakespeare übersetzt -, zeigt erstens, dass Adelung der Wirkung der Schriftsteller für die allgemeine Sprachentwicklung nicht viel zutraut, da er sie in ihren Fähigkeiten den unteren Bereichen des Menschen zuordnet. Dass er damit auch unter seinen spätaufklärerischen Zeitgenossen relativ allein steht, dass er damit als später Gottschedianer gelten kann, belegt diese Stelle dadurch sehr schön, dass er sich hier ja nicht nur mit seinen Sturm-und-Drang-Zeitgenossen als Verehrern Shakespeares anlegt, sondern eben mit dem zu Recht als spätaufklärerisch empfindsam wahrgenommenen Wieland. Es gäbe eine Reihe weiterer Punkte, die Adelungs ambivalente Stellung her von einer Gottsched'schen Rhetorik hin zu einer empfindsamen Stilistik kennzeichnen. So hat Claudia Kestenholz (1994) im Zusammenhang eines Artikels über Carl Philip Moritz einiges zu den entsprechenden Denkmustern Adelungs ausgeführt: Adelungs Stilistik gibt exemplarisch, was Moritz verwirft: nämlich eine detaillierte Klassifikation der verschiedenen Stilarten, die einzeln charakterisiert werden; die Wertung operiert mit den von Moritz ins Lächerliche gezogenen Kategorien, z.B. der höheren und der niederen Schreibart; andererseits verweist Adelung immer wieder auf Grundwerte des Stils wie Einfachheit, implizite Sachkenntnis, edle Einfalt, denen auch Moritz das Wort redet. (Kestenholz 1994, S. 75) So ist bei Adelung auffällig eine relative Fortschrittlichkeit der theoretischen Ausführungen, die sich in seinem Sensualismus zeigt, auch in der grundsätzlichen Annahme, dass das klare Denken die Voraussetzung für ein klares Sprechen sei, und dass man jemandem, der nicht klar denken könne, auch nicht beibringen könne, klar zu sprechen - er versucht es dann aber trotzdem. <?page no="264"?> Ludwig M. Eichinger 264 2.5 Adelungs allgemeine Stilvorgaben Was eigentlich positiv einen guten Stil ausmacht, wird im Einzelnen kaum dargestellt, hauptsächlich gibt es zu kritisierende Beispiele. Eine bemerkenswerte Verschiebung ist, dass die jetzt angemessene Sprache kein Werk der Schriftsteller sei, sondern ihrer gebildeten, sachorientierten Benutzer (in den oberen Klassen). Die Sprache des eigentlichen Volkes, 34 zeitgemäß Pöbel genannt, ist auf keinen Fall hochsprachfähig, wenn auch hier Adelung bezüglich Obersachsens einschränkt: Das Volk ist hier zwar nicht so sehr Volk, als in anderen Provinzen, aber gegen das Ganze ist es doch immer Volk, und seine Sprache muß daher immer ihr eigenes Rohes und Ungeschlachtes haben. (Adelung 1785, S. 57) Was die Sprachrichtigkeit angeht, so konstatiert Adelung pauschal: „Sprachrichtig ist, was den Regeln gemäß ist.“ (S. 64). Ein schöner Satz. Hauptkorrekturmerkmal in Zweifelsfällen sind die Analogie und der Sprachgebrauch, allerdings gebe es hier keine Mehrheitsentscheidungen gegen das Obersächsische (Adelung 1785, S. 71): Ein Beispiel mag den Satz deutlich machen. Gellert ist unstreitig einer der reinsten und sprachrichtigsten Schriftsteller und dennoch ist er nicht frei von mancherley Fehlern und Nachlässigkeiten. Man findet bei ihm krank sehen für krank aussehen sehr häufig den Conjunktiv statt des Indicatives, wisse, daß Gelehrsamkeit ohne Tugend - weder für dich noch die Welt Glück sei, Verbeißung des mildernden e, gelind seyn, streng leben und ähnliche Fehler mehr. Diese werden bloß darum Fehler, weil sie wieder den herrschenden Sprachgebrauch der obern Classe Ober=sachsens und folglich auch der meisten und besten Schriftsteller sind, welche diesen Nahmen insofern verdienen, als sie einen Gebrauch bilden. (Adelung 1785, S. 76) Man sieht den Zirkel der Argumentation: Bester Schriftsteller kann nur sein, wer so schreibt wie Adelung das für gut hält, und damit hat Adelung eigentlich schon im Voraus definiert, wen er für einen guten Schriftsteller halten will, nämlich den, der so schreibt, wie er es für gut hält. Und außerdem zählen die Schriftsteller nicht. 2.5.1 Die Messlatte Für einen guten Text brauche es nicht nur die Anwesenheit eines gewissen Verstandes, sondern seine Vollständigkeit, deren erste Stufe eine grammatische Vollständigkeit sei (Adelung 1785, S. 135), daneben aber auch eine 34 Dazu Shimizu (2004). <?page no="265"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 265 logische und eine ästhetische (Adelung 1785, S. 138). So recht zeigt sich der Verstand erst in der regelmäßigen Üblichkeit, wie sie Adelung zu beschreiben sucht. Weitere Punkte dienen der Stützung regionaler Vorlieben, so fehle es den oberdeutschen Mundarten wegen des Überflusses an Silben an Präzision, dagegen habe das Obersächsische von Hause aus den gewünschten Wohlklang, was sich unter anderem an dem bereits angesprochenen mildernden „e“ zeige. Lediglich auf der Ebene des Wohlklangs wird auch für diese vorbildliche Sprache ein Wechsel zwischen langen und kurzen Sätzen gefordert. 2.5.2 Stilistik und Rhetorik: der mittlere Stil Nach allem, was wir bisher gehört haben, muss es Adelung eigentlich um die Entwicklung einer angemessenen mittleren Prosa-Stilform gehen, auf sie läuft die Entwicklung eigentlich zu. Das ganze Getöse um den höheren und niederen Stil, die ja beide eigentlich nicht so recht vernunftgemäß sind, lenkt davon nur ab. Paradigmatisch ist dafür die Auseinandersetzung des Kanzley- Stils, den nicht zuletzt die aufgeklärten Kameralisten vom Typ Justi oder Moser praktisch unter Beschuss genommen hatten und den auch Gottsched wegen des Mangels an Verstand schon kritisiert hatte. 35 Genauer gesagt benennt Adelung diese Stilform, die er insgesamt dem mittleren Stil zurechnet (Adelung 1785, S. 68f.) als „Kanzeley=oder Curial= Styl“, das heißt es geht einerseits um den Hofstil und andererseits um den Gerichtsstil. Unangesehen dieser Unterteilung erfordere der Kanzleistil insgesamt „einen hohen Grad an Würde und Ernst [...], welcher alles niedrige, vertrauliche u.s.f. schlechterdings ausschließet“ (Adelung 1785, S. 70). Dabei ergeben sich angesichts der Sachverhalte, die in diesem Stil behandelt werden, zwei praktisch einander widersprechende Anforderungen, nämlich Deutlichkeit auf der einen und Bestimmtheit auf der anderen Seite. Deutlichkeit betrifft die Frage der Durchsichtigkeit; 36 unter Bestimmtheit ist der Versuch zu verstehen, durch mehr und mehr Erläuterungen bis zu jenem Punkte zu kommen, dass keine Missverständnisse beim Leser mehr aufkommen könnten. Dadurch sei auch die ansonsten geltende Anforderung der reinen Verständlichkeit, die Anforderung der edlen Einfalt des Stils zu relativieren. Beim Gerichtsstil sei das durch die gesellschaftlichen Beschränkungen des Orts und durch die Komplexität der Sachverhalte vorgegeben, beim Hofstil in Sonderheit durch die Anforderungen der „Courtoisie“ - man kann in diesen formellen Zusam- 35 Vgl. Eichinger (1991, v.a. S. 57-64). 36 Zur Bedeutung wie Wandelbarkeit dieses Konzepts siehe Reichmann (1992). <?page no="266"?> Ludwig M. Eichinger 266 menhängen nicht einfach „natürlich“ reden, wie man wolle. Auch sei in solchen Zusammenhängen der Gebrauch der „aufrechtlichen Kunst“ (Adelung 1785, S. 76), also einer jeweiligen juristischen Terminologie nicht zu vermeiden, sondern sogar ein Signal der Angemessenheit. Wenn man der Sache im Einzelnen nachgeht, kann man sehen, dass die Rettung eines entschlackten Kanzley-Stils für Adelung eine zentrale Rolle für den eigenständigen Charakter von Schriftlichkeit spielt. Er ist, was ein erheblicher Gewinn an Einsicht ist, der aber durch allerlei rhetorischen Müll verschüttet wird, der Überzeugung, dass Schriftsprachlichkeit ihren eigenen Grad an Komplexität verlangt. 3. Adelungs Wirkung und Bedeutung Bei all dem sieht man aber auch, dass Adelung kein stilistischer Neuerer ist. Vielmehr zieht er die Summe dessen, was an der bisherigen Praxis als positiv zu sehen ist, und will das als adäquate schriftsprachliche Ausdrucksweise erhalten sehen. Wenn auch die bewusste Betonung von Schriftsprachlichkeit bedeutsam ist, erscheint die Gesamtposition als unzeitgemäß. So bleibt sie zu der Zeit, zu der er seine Bücher veröffentlicht, schon nicht mehr unwidersprochen. Carl Philip Moritz, ein unmittelbarer Zeitgenosse, setzt sich schon im Jahr 1792 kritisch mit Adelungs Position auseinander; in einer kurzen Schrift mit dem Titel „Soll die Mode auch in der Sprache herrschen“ geht er im Wesentlichen mit Adelungs Empfehlung ins Gericht, den Kanzleistil, der ja wie gerade gezeigt, der Würde der Sache angemessen sei, allmählich weiter zu entwickeln und ihn nicht abzulösen. Im Unterschied zu den zitierten Courtoisie-Gedanken Adelungs betont Moritz, dass gerade hier, wo das Wort „in das wirkliche Handeln übergeht“ eine Berufung auf Richtigkeit und natürliche Angemessenheit das einzig angemessene Kriterium darstelle, da alles andere die nötige Klarheit der Ausdrucksweise in diesem Zusammenhang verdunkle. Moritz wird dann in voller Konsequenz fordern, was ja auch Adelung theoretisch schon sagt: Jede Sachprosa habe im Prinzip der Forderung der „edlen Einfalt“ zu genügen - er wird sogar das Ästhetik-Kriterium des Geschmacks für solche Texte zugunsten der Klarheitsanforderung aufheben. Das ist dann nicht mehr die Weiterentwicklung der Summe der rhetorischen Tradition unter stilistisch-bürgerlichen Vorzeichen, sondern das ist der Beginn einer Stilistik für eine neue Gesellschaft. Moritz mag der erste sein, der das konsequent durchgestaltet hat, er - unter anderem Rhetoriklehrer der Humboldts - liegt aber, wenn man so will, im Trend der Zeit. <?page no="267"?> Vom Glück, Regeln zu befolgen - Adelung im Stil des 18. Jahrhunderts 267 Adelungs Stilistik ist eine große Systematisierungsleistung all dessen, was im Laufe der ersten sechzig Jahre des 18. Jahrhunderts in grammatischen und stilistisch-rhetorischen Kenntnissen zusammengetragen worden war. Dabei ist er nicht nur Kompilator, sondern ein selbstständig ordnender Kopf, der mit dem Ordnen Neues schafft. Praktisch prägen seine Werke auch jene Autoren entscheidend, die seine Gegner sein werden: Adelung wird auf Jahrzehnte hinaus die Gewährsperson für grammatische und stilistische Fragen bleiben. Dennoch sieht man, dass er den Entwicklungen einer zu seiner Zeit modernen empfindsamen Bürgerlichkeit, ihren sprachlichen Gestaltungsweisen fremd bleibt, fremd bleiben muss, ja mehr noch der gerade kommenden Romantik und sogar schon der ihrer Individualität wohl bewussten deutschen Klassik. Seine Leistung gehört dem 18. Jahrhundert zu - was immerhin ein Lob für das 18. Jahrhundert ist. 4. Literatur 4.1 Verzeichnis der Primärquellen Adelung, Johann Christoph (1782 [1971]): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 2 Bde. Leipzig. [Neudr. d. Ausg. 1782. Hildesheim/ New York]. 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Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis Adelung, Johann Christoph (1772-1784): Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. 6 Bde. Halle. Einzelbände: 1772: Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. Bd. 1. Halle: Joh. Just. Gebauers Witwe und Sohn. 1773: Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. Bd. 2. Halle: Joh. Just. Gebauers Witwe und Sohn. 1774: Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. Bd. 3. Halle: Joh. Just. Gebauers Witwe und Sohn. 1776: Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. Bd. 4. Halle: Joh. Just. Gebauers Witwe und Sohn. 1778: Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. Bd. 5. Halle: Joh. Just. Gebauers Witwe und Sohn. 1784: Glossarium Manuale ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis. Ex magnis glossariis Caroli du Fresne, Domini Du Cange et Carpentarii in compendium redactum multisque verbis et dicendi formulis auctum. Bd. 6. Halle: Joh. Just. Gebauers Witwe und Sohn. <?page no="272"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 272 Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart [Adelung, Johann Christoph] (1774-1786): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 5 Theile. Leipzig. Einzelbände: 1774: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Erster Theil, von A-E. Dem noch beygefüget ist des Herrn M. Fulda Preisschrift über die beyden deutschen Haupt-Dialecte. Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn. 1775: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Zweyter Theil, von F-K. Leipzig: Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn. 1777: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Dritter Theil, von L-Scha. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. 1780: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Vierter Theil, von Sche-V. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. 1786: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Fünften und letzten Theils Erste Hälfte, von W-Z. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Adelung, Johann Christoph (1788): Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 5 Theile. Brünn. [Nachdruck für Österreich der Ausgabe Leipzig 1774-1786]. Einzelbände: 1788: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Erster Theil. Brünn: Johann Georg Traßler. 1788: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Zweyter Theil. Brünn: Johann Georg Traßler. <?page no="273"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 273 1788: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Dritter Theil. Brünn: Johann Georg Traßler. 1788: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Vierter Theil. Brünn: Johann Georg Traßler. 1788: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Fünfter Theil. Brünn: Johann Georg Traßler. [Die 2. (1793-1801) und folgende Auflagen dieses Werkes erschienen unter dem Titel „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen“, vgl. den entsprechenden Eintrag.] Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse Adelung, Johann Christoph (1778-1781): Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse, so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben. Von dem Verf. d. Unterweisung in Künsten und Wissenschaften. Leipzig. Einzelbände: 1778: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse, so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben. Von dem Verf. d. Unterweisung in Künsten und Wissenschaften. 1. Theil. Welcher die Landwirthschaft nebst dem Bergbaue, und die erste Hälfte der Handwerke enthält. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. 1779: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse, so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben. Von dem Verf. d. Unterweisung in Künsten und Wissenschaften. 2. Theil. Welcher die letzte Hälfte der Handwerke und Handarbeiten enthält. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. 1780: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse, so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben. Von dem Verf. d. Unterweisung in Künsten und Wissenschaften. 3. Theil. Welcher die Handlung und die Künste des Vergnügens enthält. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. <?page no="274"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 274 1781: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse, so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben. Von dem Verf. d. Unterweisung in Künsten und Wissenschaften. 4. Theil. Welcher die höhern Wissenschaften und die Regierungskunst enthält. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. [Adelung, Johann Christoph] (1783-1789): Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, von dem Verfasser der Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften. Zweyte verbesserte Auflage. Leipzig. Einzelbände: 1783: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, von dem Verfasser der Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften. Erster Theil, welcher die Landwirthschaft nebst dem Bergbaue, und die erste Hälfte der Handwerke enthält. Zweyte verbesserte Auflage. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. 1785: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, von dem Verfasser der Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften. Zweyter Theil, welcher die letzte Hälfte der Handwerke und Handarbeiten enthält. Zweyte verbesserte Auflage. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. 1786: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, von dem Verfasser der Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften. Dritter Theil, welcher die Handlung und die Künste des Vergnügens enthält. Zweyte verbesserte Auflage. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. 1789: Kurzer Begriff menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse so fern sie auf Erwerbung des Unterhalts, auf Vergnügen, auf Wissenschaft, und auf Regierung der Gesellschaft abzielen. In vier Theilen. Für Realschulen und das bürgerliche Leben, von dem Verfasser der Unterweisung in den Künsten und Wissenschaften. Vierter Theil, welcher die höhern Wissenschaften und die Regierungskunst enthält. Zweyte verbesserte Auflage. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. <?page no="275"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 275 Deutsche Sprachlehre Adelung, Johann Christoph (1781): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1792): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. 2. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1795): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. 3. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1801): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. 4. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1806): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. 5. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1816): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. 6. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1977): Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königlich Preußischen Landen. [Nachdruck der Ausgabe Berlin 1781]. Hildesheim/ New York: Olms. Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen Adelung, Johann Christoph (1781): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Berlin. Adelung, Johann Christoph (1792): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 2. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1800): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 3. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1818): Auszug aus der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 4. Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. <?page no="276"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 276 Über den Ursprung der Sprache und den Bau der Wörter Adelung, Johann Christoph (1781): Über den Ursprung der Sprache und den Bau der Wörter, besonders der Deutschen. Ein Versuch. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. [Vorveröffentlichte Diskussionsfassung dieses Kapitels für Adelungs „Umständliches Lehrgebäude“ von 1782]. Adelung, Johann Christoph (1975): Über den Ursprung der Sprache und den Bau der Wörter, besonders der Deutschen. Ein Versuch. Frankfurt a.M.: Minerva GmbH. [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1781]. Über die Geschichte der Deutschen Sprache, über Deutsche Mundarten und Deutsche Sprachlehre Adelung, Johann Christoph (1781): Über die Geschichte der Deutschen Sprache, über Deutsche Mundarten und Deutsche Sprachlehre. (= Vorabdruck der „Einleitung“ zum Allgemeinen Lehrgebäude 1782). Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. [Vorveröffentlichte Diskussionsfassung dieses Kapitels für Adelungs „Umständliches Lehrgebäude“ von 1782]. Adelung, Johann Christoph (1975): Über die Geschichte der Deutschen Sprache, über Mundarten und Deutsche Sprachlehre. Frankfurt a.M.: Minerva GmbH. [Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1781]. Johann Christoph Adelungs deutsche Sprachlehre [Adelung, Johann Christoph] (1782): Johann Christoph Adelungs deutsche Sprachlehre. Wien: Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserlich königlicher Hofbuchdrucker und Buchhändler. Grundsätze der Deutschen Orthographie Adelung, Johann Christoph (1782): Grundsätze der Deutschen Orthographie. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache Adelung, Johann Christoph (1782): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 2 Bde. Leipzig. <?page no="277"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 277 Einzelbände: 1782: Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Erster Band. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. 1782: Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Zweyter Band. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Adelung, Johann Christoph (1971): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. (= Documenta linguistica. Reihe 5: Deutsche Grammatiken des 16. bis 18. Jahrhunderts). 2 Bde. Hildesheim/ New York. [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1782]. Einzelbände: 1971: Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Bd. 1 (= Documenta linguistica. Reihe 5: Deutsche Grammatiken des 16. bis 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York: Olms. 1971: Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. Bd. 2 (= Documenta linguistica. Reihe 5: Deutsche Grammatiken des 16. bis 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York: Olms. Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts [Adelung, Johann Christoph] (1782): Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts. Von dem Verfasser des Begriffs menschlicher Fertigkeiten und Kenntnisse. Leipzig: Christian Gottlieb Hertel. Magazin für die Deutsche Sprache Adelung, Johann Christoph (1782-83): Magazin für die Deutsche Sprache. Erster Jahrgang, Stück 1-4. Leipzig. Darin: (1782): Ersten Jahrganges erstes Stück. Leipzig: auf Kosten des Verfassers [Selbstverlag]. (1782): Ersten Jahrganges zweytes Stück. Leipzig: auf Kosten des Verfassers [Selbstverlag]. (1782): Ersten Jahrganges drittes Stück. Leipzig: auf Kosten des Verfassers [Selbstverlag]. (1783): Ersten Jahrganges viertes Stück. Leipzig: auf Kosten des Verfassers [Selbstverlag]. <?page no="278"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 278 Adelung, Johann Christoph (1783-84): Magazin für die Deutsche Sprache. Zweyter Band, Stück 1-4. Leipzig. Darin: (1783): Zweyten Bandes erstes Stück. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. (1784): Zweyten Bandes zweytes Stück. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. (1784): Zweyten Bandes drittes Stück. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. (1784): Zweyten Bandes viertes Stück. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Adelung, Johann Christoph (1969): Magazin für die deutsche Sprache. Hildesheim. [Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1782-84]. Einzelbände: 1969: Magazin für die deutsche Sprache. Bd. I. Hildesheim: Olms. [Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1782-83]. 1969: Magazin für die deutsche Sprache. Bd. II. Hildesheim: Olms. [Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1783-84]. Neues grammatisch-kritisches Wörterbuch der Englischen Sprache Adelung, Johann Christoph (1783-1796): Neues grammatisch-kritisches Wörterbuch der Englischen Sprache für die Deutschen; vornehmlich aus dem größeren englischen Werke des Hrn. Samuel Johnson nach dessen vierten Ausgabe gezogen, und mit vielen Wörtern, Bedeutungen und Beyspielen vermehrt. 2 Bde. Leipzig. Einzelbände: 1783: Neues grammatisch-kritisches Wörterbuch der Englischen Sprache für die Deutschen; vornehmlich aus dem größeren englischen Werke des Hrn. Samuel Johnson nach dessen vierten Ausgabe gezogen, und mit vielen Wörtern, Bedeutungen und Beyspielen vermehrt. Bd. 1. A-J. Leipzig: Schwickertscher Verlag. 1796: Neues grammatisch-kritisches Wörterbuch der Englischen Sprache für die Deutschen; vornehmlich aus dem größeren englischen Werke des Hrn. Samuel Johnson nach dessen vierten Ausgabe gezogen, und mit vielen Wörtern, Bedeutungen und Beyspielen vermehrt. Bd. 2. K-Z. Leipzig: Schwickertscher Verlag. Ueber den Deutschen Styl Adelung, Johann Christoph (1785): Ueber den Deutschen Styl. Drei Theile. Berlin. <?page no="279"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 279 Einzelbände: 1785: Ueber den Deutschen Styl. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Voss und Sohn. 1785: Ueber den Deutschen Styl. Zweyter und dritter Theil. Berlin: Christian Friedrich Voss und Sohn. Adelung, Johann Christoph (1787): Über den deutschen Styl. Neue, vermehrte und verbesserte Auflage. 2 Bde. Berlin und Brünn. 1787: Ueber den Deutschen Styl. Bd. 1. Berlin: Christian Friedrich Voss und Sohn. 1787: Ueber den Deutschen Styl. Bd. 2. Brünn: Verlag Siedler. Adelung, Johann Christoph (1789-1790): Ueber den Deutschen Styl. 2 Bde. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin. Einzelbände: 1789: Ueber den Deutschen Styl. Erster Band. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. 1790: Ueber den Deutschen Styl. Zweyter Band. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn. 1800: J.C. Adelung über den Deutschen Styl, im Auszuge von Theodor Heinsius, Doktor der Philosophie. Berlin: Vossische Buchhandlung. 1807: J.C. Adelung über den Deutschen Styl, im Auszuge von Theodor Heinsius, Doktor der Philosophie. 2. Auflage. Berlin: Vossische Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1974): Über den deutschen Styl. 3 Theile in 1 Band. Hildesheim [u.a.]: Olms. [Nachdruck der Ausgabe Berlin 1785]. Über die deutschen Mundarten und beyden Hauptdialekte Adelung, Johann Christoph (1786): Über die deutschen Mundarten und beyden Hauptdialekte. Nach der Vorrede in seinem großen deutschen Wörterbuche. In: Litterarische Chronik. Zweyter Band. Bern: Hallerische Buchhandlung, S. 350-373. Geschichte der Philosophie für Liebhaber [Adelung, Johann Christoph] (1786-1787): Geschichte der Philosophie für Liebhaber. 3 Bde. Leipzig. <?page no="280"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 280 Einzelbände: 1786: Geschichte der Philosophie für Liebhaber. Bd. 1. Leipzig. Johann Friedrich Junius. 1786: Geschichte der Philosophie für Liebhaber. Bd. 2. Leipzig. Johann Friedrich Junius. 1787: Geschichte der Philosophie für Liebhaber. Bd. 3. Leipzig. Johann Friedrich Junius. Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung Adelung, Johann Christoph (1788): Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung, als der zweyte Theil der vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1790): Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung, als der zweyte Theil der vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie. Zweyte vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1812): Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung, als der zweyte Theil der vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie. 3. Auflage. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1819): Kleines Wörterbuch für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung, als der zweyte Theil der vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie. 4. Auflage. Leipzig: [Weygandsche Buchhandlung]. Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie Adelung, Johann Christoph (1788): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1790): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. <?page no="281"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 281 Adelung, Johann Christoph (1812): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. 3. Auflage. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1820): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. 4., verbesserte und vermehrte Auflage. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. Adelung, Johann Christoph (1978): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Hildesheim/ New York: Olms. [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1788]. Vorrede zu Karl Thams deutsch-böhmischem Nationallexikon Adelung, Johann Christoph (1788): Vorrede. In: Karl Thams deutsch-böhmisches Nationallexikon. Mit einer Vorrede begleitet von J.C. Adelung, kurfürstlich sächsischen Hofrathe und Oberbibliothekar. Prag/ Wien: Schönfeld, S. 3-14. Adelung, Johann Christoph (1799): Vorrede. In: Karl Thams deutsch-böhmisches Nationallexikon. Mit einer Vorrede begleitet von J.C. Adelung, kurfürstlich sächsischen Hofrathe und Oberbibliothekar. 2. sehr vermehrte und verbesserte Auflage in 2 Theilen. Prag: Neureitter, S. 3-14. Von dem Geschäfts-Style, und besonders von dem Kanzelley- und Curial- Style Adelung, Johann Christoph (1788): Von dem Geschäfts-Style, und besonders von dem Kanzelley- und Curial-Style. In: Niedersächsisches Archiv für Jurisprudenz und juristische Litteratur. In Gesellschaft mehrerer herausgegeben von D.J.C. Koppe. Erster Band. Leipzig: E.M. Gräff, S. 105-123. Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart Adelung, Johann Christoph (1793-1801): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 4 Theile. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig. <?page no="282"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 282 Einzelbände: 1793: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Erster Theil. A-E. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Compagnie. 1796: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Zweyter Theil. F-L. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf, Sohn und Compagnie. 1798: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Dritter Theil. M-Scr. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig: Breitkopf und Härtel. 1801: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Vierter Theil. Seb-Z. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig: Breitkopf und Härtel. Adelung, Johann Christoph (1793-1801): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 4 Bde. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Wien. Einzelbände: 1793: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. 1. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Christian Friedrich Wapler. 1796: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. 2. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Christian Friedrich Wapler. [1798: ] Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. 3. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Christian Friedrich Wapler. 1801: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. 4. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Wien: Christian Friedrich Wapler. Adelung, Johann Christoph (1807-1808): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen und Berichtigungen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4 Theile. Neueste Ausgabe. Wien. <?page no="283"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 283 Einzelbände: 1807: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen und Berichtigungen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 1. Theil. A-E. Neueste Ausgabe. Wien: Anton Pichler. 1807: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen und Berichtigungen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 2. Theil. F-L. Neueste Ausgabe. Wien: Anton Pichler. 1807: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen und Berichtigungen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 3. Theil. M-Scr. Neueste Ausgabe. Wien: Anton Pichler. 1808: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen und Berichtigungen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4. Theil. Seb-Z. Neueste Ausgabe. Wien: Anton Pichler. Adelung, Johann Christoph (1808): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit Dietrich Wilhelm Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4 Theile. Wien. Einzelbände: 1808: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. Theil 1. A-E. Wien: Anton Pichler. 1808: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. Theil 2. F-L. Wien: Anton Pichler. 1808: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. Theil 3. M-Scr. Wien: Anton Pichler. 1808: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. Theil 4. Seb-Z. Wien: Anton Pichler. <?page no="284"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 284 Adelung, Johann Christoph (1811): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4 Theile. Wien. Einzelbände: 1811: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 1. Theil. A-E. Wien: Bernhard Philipp Bauer. 1811: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 2. Theil. F-L. Wien: Bernhard Philipp Bauer. 1811: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 3. Theil. M-Scr. Wien: Bernhard Philipp Bauer. 1811: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D.W. Soltau's Beyträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4. Theil. Seb-Z. Wien: Bernhard Philipp Bauer. Adelung, Johann Christoph (1970): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 4 Bde. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II. Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York. [Neudruck der 2. Auflage 1793-1801]. Einzelbände: 1970: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. I. A-E. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II . Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York: Olms. 1970: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. II. F-L. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II . Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York: Olms. <?page no="285"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 285 1970: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. III. M-Scr. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II . Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York: Olms. 1970: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. IV. Seb-Z. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. (= Documenta Linguistica. Reihe II . Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts). Hildesheim/ New York: Olms. Adelung, Johann Christoph (2001): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. (= Digitale Bibliothek 40, CD-ROM). Berlin: Directmedia Publ. [Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand. Leipzig 1793-1801]. Adelung, Johann Christoph (2004): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. (= Digitale Bibliothek 40, CD-ROM). Berlin: Directmedia Publ. [Elektronischer Neusatz und Faksimile (Fraktur) der zweyten vermehrten und verbesserten Ausgabe. Bd. 1-4. Leipzig 1793-1801]. [Die 1. Auflage dieses Werkes erschien unter dem Titel „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen“ (1774-1786), vgl. den entsprechenden Eintrag.] Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart [Adelung, Johann Christoph] (1793-1802): Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. 4 Theile. Leipzig. Einzelbände: 1793: Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Erster Theil, von A-E. Leipzig: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Compagnie. 1796: Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Zweyter Theil, von F-L. Leipzig: Breitkopf und Härtel. <?page no="286"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 286 1801: Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Dritter Theil, von M-Scr. Leipzig: Breitkopf und Härtel. 1802: Johann Christoph Adelungs Auszug aus dem grammatisch-kritischen Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. Vierter Theil, von Seb-Z. Leipzig: Breitkopf und Härtel. Anweisung alte und neue Sprachen, auf eine leichte Art, zu erlernen Adelung, Johann Christoph (1797): Anweisung alte und neue Sprachen, auf eine leichtere Art, zu erlernen. Mit einer Vorrede des Churfürstl. Hofraths und Ober-Bibliothekars in Dresden, Herrn Adelung. Aus dem Französischen mit Anmerkungen von Christian Heinrich Reichel. Zittau/ Leipzig: Johann David Schöps. Vorrede des Herrn Hofraths Adelung, über die Handschriften von altdeutschen Gedichten Adelung, Johann Christoph (1799): Vorrede des Herrn Hofraths Adelung, über die Handschriften von altdeutschen Gedichten, welche sich in der churfürstlichen Bibliothek zu Dresden befinden. In: Altdeutsche Gedichte in Rom, oder fortgesetzte Nachrichten von Heidelbergerischen Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek von Friedrich Adelung. Nebst einer Vorrede von dem Herrn Hofrath Adelung über Handschriften von altdeutschen Gedichten in der churfürstlichen Bibliothek zu Dresden. Königsberg: Friedrich Nicolovius, S. V-XXXII. Ueber Hr. Vossen's Beurtheilung meines Wörterbuchs Adelung, Johann Christoph (1804): Ueber Hr. Vossen's Beurtheilung meines Wörterbuches in der neuen Jenaischen Literatur-Zeitung. In: Neues Allgemeines Intelligenzblatt für Literatur und Kunst. 15. Stück. Sonnabends den 31. März 1804, Sp. 223-236. Älteste Geschichte der Deutschen, ihrer Sprache und Litteratur Adelung, Johann Christoph (1806): Älteste Geschichte der Deutschen, ihrer Sprache und Litteratur, bis zur Völkerwanderung. Leipzig: Göschen. Deutsche Sprachlehre für Schulen Adelung, Johann Christoph (1806): Deutsche Sprachlehre für Schulen. 5. und mit einer kurzen Geschichte der deutschen Sprache vermehrte Auflage. Berlin: Vossische Buchhandlung. <?page no="287"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 287 Über den Ossian Adelung, Johann Christoph (1806): Über den Ossian. In: Der Neue Teutsche Merkur vom Jahr 1806. Herausgegeben von C.M. Wieland. Zweiter Band. Weimar: Im Verlage des l. Industrie-Comptoirs, S. 31-52, S. 116-145. Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser Adelung, Johann Christoph (1806-1817): Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. 4 Theile. Berlin. Einzelbände: 1806: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Erster Theil: Asiatische Sprachen. Berlin: Vossische Buchhandlung. 1809: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Zweyter Theil: Europäische Sprachen. Berlin: Vossische Buchhandlung. 1812: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Dritter Theil. Erste Abtheilung: Afrikanische Sprachen. (Mit Benützung einiger Papiere desselben fortgesetzt, und aus zum Theil ganz neuen oder wenig bekannten Hülfsmitteln bearbeitet von Dr. Johann Severin Vater, Professor der Theologie und Bibliothekar zu Königsberg). Berlin: Vossische Buchhandlung. 1813: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Dritter Theil. Zweyte Abtheilung: Amerikanische Sprachen. (Mit Benützung einiger Papiere desselben fortgesetzt, und aus zum Theil ganz neuen oder wenig bekannten Hülfsmitteln bearbeitet von Dr. Johann Severin Vater, Professor der Theologie und Bibliothekar zu Königsberg). Berlin: Vossische Buchhandlung. 1816: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Dritter Theil. Dritte Abtheilung: Beschluß der amerikanischen Sprachen. (Mit Benützung einiger Papiere desselben fortgesetzt, und aus zum Theil ganz neuen oder wenig bekannten Hülfsmitteln bearbeitet von Dr. Johann Severin Vater, Professor der Theologie und Bibliothekar zu Königsberg). Berlin: Vossische Buchhandlung. 1817: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Vierter Theil: Nachträge, Zusätze und Register. (Mit Benützung einiger Papiere desselben fortgesetzt, und aus zum Theil ganz neuen oder wenig bekannten Hülfsmitteln bearbeitet von Dr. Johann Severin Vater, Professor der Theologie und Bibliothekar zu Königsberg). Berlin: Vossische Buchhandlung. <?page no="288"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 288 Orthographisches und etymologisches Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache zum Gebrauche für Jedermann Adelung, Johann Christoph (1819): Orthographisches und etymologisches Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache zum Gebrauche für Jedermann, und insbesondere für Studierende, Beamte, Geschäfts- und Handelsleute, um vieles vermehret und durchaus berichtiget von Martin Span. Wien/ Triest: Geistingersche Buchhandlung. Kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache / Handwörterbuch der Deutschen Sprache Adelung, Johann Christoph (1820-1823): [Titelblatt linke Seite: ] Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche mit Rücksicht auf die deutsche Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen, und zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner. Bearbeitet v. Franz Leopold Schmiedel. [Titelblatt rechte Seite: ] Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche. 3 Bde. Wien: Johann Georg Mösle's Witwe. Einzelbände: 1820: [Titelblatt linke Seite: ] Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche mit Rücksicht auf die deutsche Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen, und zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner. Bearbeitet v. Franz Leopold Schmiedel. [Titelblatt rechte Seite: ] Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche. Bd. 1. Wien: Johann Georg Mösle's Witwe. 1823: [Titelblatt linke Seite: ] Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche mit Rücksicht auf die deutsche Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen, und zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner. Bearbeitet v. Franz Leopold Schmiedel. [Titelblatt rechte Seite: ] Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche. Bd. 2.1. Wien: J. G. v. Mösle's Witwe. 1823: [Titelblatt linke Seite: ] Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche mit Rücksicht auf die deutsche Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen, und zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner. Bearbeitet v. Franz Leopold Schmiedel. [Titelblatt rechte Seite: ] Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche. Bd. 2.2. Wien: J. G. v. Mösle's Witwe. <?page no="289"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 289 1823: [Titelblatt linke Seite: ] Johann Christoph Adelungs kleines Wörterbuch der Deutschen Sprache, nach dessen großem Wörterbuche mit Rücksicht auf die deutsche Sprachlehre der k. k. Normal- und Hauptschulen, und zum Gebrauche für jedermann, besonders aber für Studierende, Beamte und andere Geschäftsmänner. Bearbeitet v. Franz Leopold Schmiedel. [Titelblatt rechte Seite: ] Handwörterbuch der Deutschen Sprache, nach Johann Christoph Adelungs großem Wörterbuche. Bd. 3. Wien: J. G. v. Mösle's Witwe. Orthographisches und etymologisches Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache Adelung, Johann Christoph (1820): Joh(ann) Christoph Adelungs orthographisches und etymologisches Taschenwörterbuch der Deutschen Sprache zum Gebrauche für Jedermann, und insbesondere für Studierende, Beamte, Geschäfts- und Handelsleute, um vieles vermehret und durchaus berichtiget von Martin Span. Wien/ Triest. Neues vollständiges Taschen-Wörterbuch der deutschen Sprache Adelung, Johann Christoph (1826): Neues vollständiges Taschen-Wörterbuch der deutschen Sprache zur richtigen Betonung, Prosodie, Rechtschreibung, Biegung und Ableitung nach den beßten deutschen Schriftstellern, vorzüglich nach Campe, Petri, Schade, Span, Vollbeding vermehrt und verbessert, in welchem zugleich alle üblichen Fremdwörter in der deutschen Schrift- und Umgangs-Sprache erklärt werden; mit einem Anhange, worin die in unserer Sprache eingeschlichenen kriegswissenschaftlichen Fremdwörter nach Müllers Wörterbuch verdeutscht sind. Ein unentbehrliches Handbuch für alle Stände, insbesondere aber für Beamte, Kaufleute und Studirende, wie überhaupt für alle Freunde der deutschen Sprachrichtigkeit. Ganz neue Original- Ausgabe. Wien: Eduard Schrämbl. Adelung, Johann Christoph (1828): Neues vollständiges Taschen-Wörterbuch [...] [mit teilweise verändertem Titel]. Zweite vermehrte Original-Ausgabe. Wien: Eduard Schrämbl. Adelung, Johann Christoph (1830): Neues vollständiges Hand-Wörterbuch der deutschen Sprache: Zur richtigen Betonung, Prosodie, Rechtschreibung, Biegung und Ableitung. Dritte, mit 1200 Artikeln vermehrte Original-Ausgabe. Wien: Eduard Schrämbl. *Adelung, Johann Christoph (1840): Neues vollständiges Hand-Wörterbuch [...]. Vierte Original-Ausgabe. Wien: Eduard Schrämbl. <?page no="290"?> Verzeichnis der sprachwissenschaftlichen Werke von Adelung 290 Adelung, Johann Christoph (1846): Neuestes vollständiges Handwörterbuch der deutschen Sprache mit Hinzufügung der üblichsten Fremdwörter, die in der deutschen Schrift- und Umgangssprache vorkommen, [...]. Vermehrt mit einem faßlichen Unterrichte, jedes deutsche Wort in kurzer Zeit recht schreiben zu lernen; nebst besonderen Bemerkungen über die richtige Abfassung und Einrichtung der Briefe, besonders schriftlicher Aufsätze des gemeinen Lebens, und einer kurzen Uebersicht der noch üblichen weltlichen und geistlichen Titulaturen. Ein unentbehrliches Handbuch für alle Stände, insbesondere aber für Beamte, Kaufleute und Studirende [...]. Fünfte, mit 5.000 Artikeln vermehrte Original-Auflage. Wien: Ignaz Klang. Adelung, Johann Christoph (o.J.) [1876]: Neuestes vollständiges Handwörterbuch [...]. Neue Ausgabe. Wien: Sallmayer & Co. <?page no="291"?> Namenregister Aichinger, Carl Friedrich 43, 183, 187- 188, 196, 201, 203-205, 256, 258 Antesberg, Balthasar von 256 Anton, Karl Gottlob von 41 Aristoteles 219 Arndt, Ernst Moritz 251 Bahner, Werner 69 Basler, Otto 11 Batteux, Charles 81, 83 Bauer, Bernhard Philipp 122-123 Baumgarten, Siegmund J. 42 Baumgarten, Alexander Gottlieb 82 Becker, Karl Ferdinand 18 Bergmann, Rolf 193 Bernd, Christian Samuel Theodor 57 Biester, Johann Erich 91, 226 Bob, Franz Joseph 256 Bödiker, Johann 43 Bodmer, Johann Jakob 106, 221 Bourdieu, Pierre 240 Brandt, Sebastian 125 Braun, Peter 11 Braun, Heinrich 256 Breitinger, Johann Jakob 221 Breitkopf (Verlegerfamilie) 14, 43, 56, 90, 119 Brosses, Charles de 43-44 Burdach, Konrad 60 Campe, Joachim Heinrich 57, 68-69, 123-125, 128-129, 146, 148, 152, 162, 173-175, 226, 251-254 Cicero, Marcus Tullius 99 Condillac, Étienne Bonnot de 34-35, 43, 259 Condorcet, Nicolas 102 Court de Gébelin, Antoine 44 Darwin, Erasmus 42 Darwin, Charles 42 Dasypodius, Petrus 141-142 Denis, Michael 93 Descartes, René 34, 43, 48 Dill, Gerhard 123, 166, 171 Du Cange, Charles du Fresne 55 Dusch, Johann Jacob 78-79 Fischart, Johann Baptist 125 Fleck, Ludwik 251 Fleischer, Wolfgang 60 Forster, Georg 148 Freyer, Hieronymus 43, 196-197, 199, 201, 203-205, 207 Friedrich II. 180 Frisch, Johann Leonhard 12-13, 73, 155 Fulda, Friedrich Carl 48-49, 90-97, 99- 101, 104-106, 195-196, 210, 256 Gaheis, Franz Anton 115, 122 Galilei, Galileo 34 Gardt, Andreas 84 Geiger, Paul E. 59 Gellert, Christian Fürchtegott 10, 75, 78, 145, 221, 249-250, 256, 261- 262, 264 Georges, Karl-Ernst 13 Georgiev, Vladimir 41 Gerold, Joseph 120 Gessinger, Joachim 161, 181 Goethe, Johann Wolfgang von 29, 53, 107, 125, 145, 148, 153, 249 Gottsched, Johann Christoph 10, 13- 14, 43, 83-84, 100, 106, 180-182, 187, 195-196, 199, 221, 233, 248- 250, 255-258, 261, 263, 265 Gracián, Balthasar 220 Grillparzer, Franz 130-131 Grimm, Jacob 11-12, 18, 21, 23, 30, 40, 47, 54-55, 57, 182 Grimm, Jacob und Wilhelm 54 Gryphius, Andreas 145 Günther, Johann Christian 148 Güthert, Kerstin 205, 207 <?page no="292"?> Namenregister 292 Haarmann, Harald 241 Hartmann, Gottlieb David 91-93, 95, 100-101, 104-105 Haß-Zumkehr, Ulrike 17 Hegewisch, Dietrich Hermann 59 Heinsius, Otto Friedrich Theodor 257 Helvétius, Claude Adrien 43 Hemmer, Johann Jakob 195-196, 208, 255 Henisch, Georg 144 Henne, Helmut 81, 91, 122-123, 149 Herder, Johann Gottfried 7, 29, 33, 36, 41-42, 46-49, 55, 59-60, 72, 94, 103-104, 221, 259-260 Heynatz, Johann Friedrich 196-198, 200, 204-205 Hirsch, Franz Thomas 126 Höfer, Matthias 125, 129 Hofmannswaldau, Christian Hofmann von 21 Hölderlin, Friedrich 148 Homer 263 Hulsius, Levinus 142 Humboldt, Wilhelm von 39, 53, 266 Hurtel, Johann Michael 131 Ising, Gerhard 141 Jahn, Friedrich Ludwig 251 Jean Paul 226 Jellinek, Max Hermann 11, 50, 58, 91, 182, 210 Johnson, Samuel 13, 14, 80 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 120, 251, 265 Kainz, Friedrich 145 Kaiser, Claudia 224 Kant, Immanuel 10, 53, 68, 76, 83, 218, 221-228, 232, 236-237, 240 Kestenholz, Claudia 263 Kinderling, Johann Friedrich August 162, 171-172 Kirkness, Alan 172 Klopstock, Friedrich Gottlieb 43, 125, 195-196, 198, 226, 235, 250, 254- 256 Kopitar, Bartholomäus 130 Kosegarten, Ludwig Gotthard 125 Kramer, Matthias 141 Kretschmann, Karl Friedrich 93 Labov, William 241 Lambert, Johann Heinrich 7, 42 Langen, August 59 Leibniz, Gottfried Wilhelm 7, 10, 42, 172, 247 Lenz, Jakob Michael Reinhold 20, 93, 108 Lessing, Gotthold Ephraim 17, 19-20, 78-79, 145, 249, 257 Lewi, Hermann 132 Lichtenberg, Georg Christoph 262 Locke, John 43 Logau, Friedrich von 19-20, 148 Lohenstein, Daniel Caspar von 21, 145 Luhmann, Niklas 252 Luther, Martin 99 Maaler, Josua 142, 144 Markwardt, Bruno 53 Mayregg, Cajetan von 124 Mäzke, Gotthelf Abraham 195-196, 208 Meiner, Johann Werner 43, 184, 187 Meister, Leonhard 109 Mencke, Johann Burkhard 255 Mendelssohn, Moses 29, 76 Mersenne, Marin 34 Metternich, Clemens Wenzel Lothar von 124 Miller, Johann Peter 109 Miller, Franz Xaver 123 Moritz, Carl Philipp 10, 250, 263, 266 Moser, Friedrich Karl von 251, 265 Mößle, Johann Georg von 119, 122 Mühlpfordt, Günter 59-60 Müller, Max 11 <?page no="293"?> Namenregister 293 Münster, Sebastian 125 Musäus, Johann Karl August 125 Nast, Johannes 91-93, 101, 195-196, 256 Naumann, Bernd 180 Opitz, Martin 21, 78 Pauls, Hermann 71 Pichler, Anton 122-123 Polenz, Peter von 89, 91 Popowitsch, Johann Siegmund Valentin 118, 130 Povejšil, Jaromír 49 Primus, Beatrice 210 Quintilian 80, 188 Radloff, Wilhelm 226 Ramler, Karl Wilhelm 19-20, 43 Richter, Joseph 127 Richter, Joseph 128 Riedl, Franz Xaver Samuel 119 Roberto, C. 131 [Vornamen? ] Rotth, Albrecht Christian 53 Rüdiger, Johann Christian Christoph 91, 195, 209, 226 Sachs, Hans 127 Saussure, Ferdinand de 12 Scherer, Wilhelm 11 Schiller, Friedrich 29, 145, 148 Schlegel, Friedrich 38, 53, 130, 148 Schleicher, August 39-40 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 221 Schmeller, Johann Andreas 252 Schmid, Hans Ulrich 89 Schmidt, Arno 21-23 Schmiedel, Franz Leopold 125 Schönberger, Franz Xaver 122 Schottky, Max 130 Schrämbl, Eduard 126, 131 Schubart, Christian Friedrich Daniel 93, 101, 105-106 Schulz, Matthias 141 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper of 224 Shakespeare, William 263 Sickel, Karl-Ernst 11 Soltau, Dietrich Wilhelm 122 Sonderegger, Stefan 89 Sonnenfels, Joseph von 118-119 Span, Martin 125 Stieler, Kaspar 141, 144 Stosch, Samuel Johann Ernst 195 Strohbach, Margrit 123, 126, 182 Sulzer, Johann Georg 221, 225, 229 Süßmilch, Johann Peter 35 Thams, Karl Ignaz 226 Thomasius, Christian 247 Traßler, Johann Georg 119 Trattner, Johann Thomas von 120, 122 Tschischka, Franz (siehe auch Ziska) 130 Turgot, Jacques 102 Voltaire 69 Voß, Johann Heinrich 125, 226 Wappler, Christian Friedrich 119 Weiße, Christian 78 Wieland, Christoph Martin 17, 21-23, 30, 91, 125, 153, 197, 226, 235, 250, 263 Winckelmann, Johann Joachim 29 Wittgenstein, Ludwig 15 Wolff, Christian 7, 42 Wyss, Ulrich 58 Zedler, Johann Heinrich 45-46, 155 Zedlitz, Karl Abraham Freiherr von 180-181 Ziska, Franz (siehe auch Tschischka) 130 Zöllner, Johann Friedrich 195