Sprachenpolitik
Eine Einführung
0711
2016
978-3-8233-7493-0
978-3-8233-6493-1
Gunter Narr Verlag
Heiko F. Marten
Ob es um die Rechtschreibreform geht, um Anglizismen im Deutschen oder um den Umgang mit Migranten- oder Minderheitensprachen - Debatten und Meinungen zu Sprache(n) und Sprachformen sind Teil unseres Alltages. Dass Sprache auch Gegenstand der Politik ist, also Sprache und das Verhältnis von Sprachen in der Gesellschaft - bewusst oder unbewusst - gesteuert werden, wird dagegen in deutschsprachigen Kontexten eher selten thematisiert. Diese Einführung gibt einen Überblick über Ansätze, Praktiken, Theorien und Perspektiven auf wichtige Bereiche der Sprach(en)politik. Der erste Teil erläutert den theoretischen Hintergrund, der zweite Teil stellt eine Reihe von Ländern vor, die beispielhaft für wichtige Ansätze der sprachpolitischen Praxis stehen, aber auch nach ihrer Bedeutung für die größten philologischen Fächer (Germanistik, Anglistik, Romanistik) ausgewählt wurden. Damit liegt die erste systematische deutschsprachige Einführung in ein Thema vor, das international seit langem ein großes Maß an Aufmerksamkeit erhält. Sie richtet sich an Studierende und Lehrende sprachwissenschaftlicher Fächer und Nachbardisziplinen ebenso wie an Akteure der sprachpolitischen Praxis.
<?page no="0"?> Sprach(en)politik Heiko F. Marten Eine Einführung Ob es um die Rechtschreibreform geht, um Anglizismen im Deutschen oder um den Umgang mit Migranten- oder Minderheitensprachen - Debatten und Meinungen zu Sprache(n) und Sprachformen sind Teil unseres Alltages. Dass Sprache auch Gegenstand der Politik ist, also Sprache und das Verhältnis von Sprachen in der Gesellschaft - bewusst oder unbewusst - gesteuert werden, wird dagegen in deutschsprachigen Kontexten eher selten thematisiert. Diese Einführung gibt einen Überblick über Ansätze, Praktiken, Theorien und Perspektiven auf wichtige Bereiche der Sprach(en)politik. Der erste Teil erläutert den theoretischen Hintergrund, der zweite Teil stellt eine Reihe von Ländern vor, die beispielhaft für wichtige Ansätze der sprachpolitischen Praxis stehen, aber auch nach ihrer Bedeutung für die größten philologischen Fächer (Germanistik, Anglistik, Romanistik) ausgewählt wurden. Damit liegt die erste systematische deutschsprachige Einführung in ein Thema vor, das international seit langem ein großes Maß an Aufmerksamkeit erhält. Sie richtet sich an Studierende und Lehrende sprachwissenschaftlicher Fächer und Nachbardisziplinen ebenso wie an Akteure der sprachpolitischen Praxis. Marten Sprach(en)politik <?page no="3"?> Heiko F. Marten Sprach(en)politik Eine Einführung <?page no="4"?> Dr. Heiko F. Marten ist Mitarbeiter am Zentrum Sprache, Variation und Migration der Universität Potsdam. Von 2009 bis 2015 war er DAAD-Lektor für germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Tallinn, Estland. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6493-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> Danksagung Die Entstehung dieses Buches über einen Zeitraum von mehreren Jahren ist durch unzählige Faktoren beeinflusst worden. Manches war nützlich oder sogar unentbehrlich, anderes hat dazu geführt, dass der Schreibprozess schwieriger und vor allem langfristiger wurde als ursprünglich erwartet. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen Personen und Institutionen bedanken, die zu diesem Buch beigetragen haben. Meine Doktormutter Carol W. Pfaff (ehem. FU Berlin) ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich nach meinem Magisterstudium der Sprachwissenschaft und insbesondere der Sprachpolitik treu geblieben bin. Nicht zuletzt hat sie mir ermöglicht, die Idee eines Einführungsseminars in die Sprachpolitik zu konzipieren und auszuprobieren. Meinen Kolleg/ innen und Vorgesetzten an der Hochschule Rēzekne (Lettland) und der Universität Tallinn (Estland), insbesondere Mari Tarvas und Maris Saagpakk, gilt Dank für viele inspirierende Gespräche und dafür, dass sie meine Arbeit im Bereich der Sprachpolitik immer wieder unterstützt haben, auch wenn diese mit meinen Lehrverpflichtungen und dem Alltagsgeschäft oft wenig gemein hatte. Unzähligen Kolleginnen und Kollegen weltweit gilt Dank für Vorträge, Diskussionen und Einladungen zu Tagungen und anderen gemeinsamen Aktivitäten, die Stück für Stück mein Verständnis von Sprachpolitik geprägt und erweitert haben. Herzlich gedankt sei insbesondere Nicole Nau (Poznań) und Sanita Lazdiņa (Rēzekne) für ihre wertvollen Kommentare zum Manuskript. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gebührt Dank für die Möglichkeit, über mehrere Jahre an einem - auch in sprachpolitischer Hinsicht - so interessanten Ort wie Tallinn tätig sein zu können. Schließlich danke ich dem Narr Verlag und insbesondere Tillmann Bub für die freundliche Zusammenarbeit und die Geduld, als das Buch aus einem mittelfristigen zu einem immer längerfristigen Projekt wurde. Der größte Dank gilt jedoch meiner Familie: meiner Frau und unseren Kindern dafür, dass sie Verständnis für meinen Wunsch hatten, dieses Buch zu schreiben, dass sie mich immer wieder vorangetrieben haben, wenn zwischen Verpflichtungen des akademischen Alltages und Familie kaum Platz für ein derart umfangreiches Projekt blieb, und nicht zuletzt für die Erprobung unterschiedlicher Modelle der Familiensprachpolitik in der Praxis. Zuletzt jedoch danke ich meinen Eltern für ihre jahrzehntelange intellektuelle, emotionale und finanzielle Unterstützung. Es wäre mein großer Wunsch gewesen, dass mein Vater die Fertigstellung dieses Buches noch erlebt hätte, auch, damit er endlich einmal einen längeren Text von mir auf Deutsch hätte lesen können. Meinen Eltern ist dieses Buch gewidmet. Berlin / Riga , im Sommer 2016 Heiko F. Marten <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................. 11 I Theoretische Grundlagen und Konzepte 2 Grundbegriffe und Definitionen ......................................... 15 2.1 Sprachpolitik und Sprachenpolitik ............................................... 15 2.2 Mit Sprach(en)politik konkurrierende Begriffe im historischen Werdegang .................................................................................... 18 2.3 Sprach(en)politik im heutigen Verständnis .................................. 21 2.4 Status-, Korpus-, Prestige- Spracherwerbs-, Gebrauchs- und Diskursplanung ............................................................................. 24 3 Wichtige Faktoren in der Analyse sprachpolitischer Prozesse ..................................................................................... 30 3.1 Komplexere Modelle zum Verständnis von Sprachpolitik ........... 30 3.2 Ökolinguistische Modelle der Sprachpolitik ................................ 32 3.3 Akteure der Sprachpolitik ............................................................ 35 3.4 Auswärtige Sprachpolitik ............................................................. 38 3.5 Weitere wichtige Konzepte in der Analyse von Sprachpolitik ..... 41 3.6 Sprachpolitik im Kontext von Sprachwissenschaft und Nachbardisziplinen ....................................................................... 44 4 Prinzipien, Ideologien, Identität und Nationalismus ... 46 4.1 Ideologien und Motivationen ....................................................... 46 4.2 Ziele und Prinzipien der Sprachpolitik ........................................ 48 4.3 Identität, Ethnizität und Nationalismus ....................................... 52 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt ......................... 59 5.1 Minderheiten ................................................................................ 59 5.2 Typen von Minderheiten .............................................................. 60 5.3 Typologien von Minderheitensprachen ........................................ 62 5.4 Faktoren, die Minderheitensprachpolitik beeinflussen ................ 64 5.5 Bedrohte Sprachen und ihre Revitalisierung ............................... 65 , <?page no="8"?> 8 Inhaltsverzeichnis 6 Sprachrechte, Sprachgesetzgebung und internationale Vereinbarungen zu Sprache(n) ............................................76 6.1 Klassifizierungen von Sprachgesetzgebung ..................................77 6.2 Internationale juristische Dokumente zu Sprachen und zu Sprachrechten ...............................................................................79 6.3 Europäische Dokumente zu Sprachpolitik und zu Minderheitenrechten .....................................................................80 6.4 Die Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte und die Idee der sprachlichen Menschenrechte .......................................................83 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik ....................................87 7.1 Privater Sprachgebrauch ...............................................................88 7.2 Behörden und Justiz .....................................................................89 7.3 Bildung ..........................................................................................92 7.4 Wirtschaft ......................................................................................95 7.5 Medien ..........................................................................................98 7.6 Weitere Sprachdomänen ...............................................................99 7.7 Sprachdomänen im Zusammenhang mit Korpus-, Prestige-, Spracherwerbs- und Diskursplanung ......................................... 102 7.8 Sprachdomänen: Eine Checkliste ............................................... 105 8 International ausgerichtete Sprachpolitik und Globalisierung ....................................................................... 108 8.1 Globale Sprachenhierarchien ..................................................... 108 8.2 Demokratisierung und Glokalisierung ....................................... 110 8.3 Superdiversität ........................................................................... 112 8.4 Neue Medien .............................................................................. 114 8.5 Sprachpolitik in den Institutionen der EU ................................. 115 8.6 Sprachpolitische Maßnahmen in Europa außerhalb der EU- Institutionen ............................................................................... 117 8.7 Die Vereinten Nationen ............................................................. 118 8.8 Internationale Sprachpolitik von unten ..................................... 120 9 Methoden und Ansätze in der sprachpolitischen Forschung ............................................................................... 124 9.1 Textorientierte Forschung .......................................................... 125 9.2 Die Untersuchung von Sprachgebrauch und -einstellungen ...... 127 9.3 Text- und Diskursanalyse ........................................................... 129 9.4 Domänenanalyse und Linguistic Landscapes ............................. 131 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis 9 9.5 Sprachpolitik im Bildungssektor ................................................ 132 9.6 Weitere Bemerkungen zu Forschungsansätzen .......................... 133 10 Zusammenfassung des theoretischen Teils: Ein ganzheitliches Modell von Sprachpolitik ....................... 136 II Länderbeispiele 11 Einführende Bemerkungen zu den ausgewählten Länderdarstellungen ............................................................ 143 12 Das deutschsprachige Kerngebiet ..................................... 145 12.1 Deutschland: Laisser-faire-Einstellungen im Wandel .................. 145 12.2 Schweiz: Territorialitätsprinzip mit Minderheitenschutz .......... 155 12.3 Österreich: Das schwierige Erbe der Habsburger ....................... 160 13 Organisierte Mehrsprachigkeit in Westeuropa: Luxemburg und Belgien ...................................................... 166 13.1 Luxemburg: Ein Dialekt wird zur Nationalsprache .................... 166 13.2 Belgien: Sprachliche Differenzen als grundlegendes Problem des Staatszusammenhalts ................................................................. 170 14 Traditionen und Mehrsprachigkeit in der Romania .... 177 14.1 Frankreich: Sprachpurismus, Ignorieren existierender Mehrsprachigkeit und Abschottung nach außen ....................... 177 14.2 Spanien: Musterbeispiel regionaler sprachlicher Autonomie ..... 184 14.3 Italien: Sprachminderheiten im Aufwind ................................... 192 15 Großbritannien und Irland: Mehr als nur Englisch ..... 200 15.1 Großbritannien: Englisch, Migranten und keltische Sprachen .. 200 15.2 Irland: Sprache und Identität auf der geteilten Insel ................. 206 16 Demokratisierung und Nationalismus im postsozialistischen Raum .................................................... 214 16.1 Estland, Lettland, Litauen: Das Zurückdrängen der Sprache der ehemaligen Besatzungsmacht ..................................................... 214 16.2 Polen: Purismus und die langsame Anerkennung der Mehrsprachigkeit ........................................................................ 220 16.3 Russland: Nationalismus und Vielfalt im Widerspruch .............. 227 <?page no="10"?> 10 Inhaltsverzeichnis 16.4 Das ehemalige Jugoslawien: Zerfall von Staat und Sprache ..... 233 17 Nordeuropa: Verschiedene Formen der sprachlichen Demokratie ............................................................................. 239 17.1 Norwegen: Demokratische Prinzipien auf höchstem Niveau ..... 239 17.2 Finnland: Offizielle Mehrsprachigkeit vor historischem Hintergrund ............................................................................... 244 17.3 Island: Sprachpurismus in einer isolierten Gesellschaft ............ 248 18 Traditionelle Auswandererländer in Übersee: Englisch im Gegensatz zu anderen Sprachen ................................. 253 18.1 USA: Kaum Einmischung von oben und dennoch Konflikte: Englisch im Verhältnis zur Mehrsprachigkeit ............................ 253 18.2 Kanada: Föderale Zweisprachigkeit und ein komplexes System regionaler Regelungen ............................................................... 260 18.3 Australien und Neuseeland: Verschiedenartiger Umgang mit Mehrsprachigkeit in Abhängigkeit von Geschichte und Regierungswechseln ................................................................... 266 19 Asien: Sprachpolitik zwischen Traditionen, Kolonialismus und Nation Building ................................... 274 19.1 Indien: Föderalismus als Grundprinzip mit Englisch als Lingua Franca ........................................................................................ 274 19.2 Korea: Sprachpolitik in ideologischen Gegensätzen .................. 278 19.3 Malaysia und Singapur als Beispiele für sprachliches Nation Building mit kolonialem Erbe ..................................................... 282 19.4 Israel: Historische Wiedergeburt einer Sprache und heutige Vielsprachigkeit ......................................................................... 287 20 Mehrsprachigkeit in Afrika und Lateinamerika ........... 292 20.1 Afrika: Der schwierige Umgang mit dem kolonialen Erbe ........ 292 20.2 Lateinamerika: Sprachen der indigenen Bevölkerung und der Kolonialmächte im Gegensatz .................................................... 299 III Anhang Bibliographie .................................................................................... 307 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ………..………..………… 324 Index …………………………………………………………………….... 328 <?page no="11"?> 1 Einleitung Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Sprach(en)politik ist Teil unseres Alltags. Ob der Umgang mit Anglizismen im Deutschen, die Rechtschreibreform in den 1990er und frühen 2000er Jahren, die Wahl der Sprachen, die Kinder in der Schule lernen sollen, Forderungen an Migranten, Deutsch zu lernen oder der Erhalt des Niederdeutschen (Plattdeutschen) und Sorbischen in ihren angestammten Gebieten - Sprache bzw. Sprachen und ihre politische und gesellschaftliche Dimension sind regelmäßiger Bestandteil von Diskussionen in der Politik und im Alltag vieler Menschen. Dennoch fehlt gerade in Deutschland ein allgemeines Bewusstsein dafür, dass Sprach(en)politik etwas Normales ist, dass Diskussionen über Sprachen zu einer Gesellschaft gehören wie Debatten über Kultur-, Sozial- oder Bildungspolitik. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sind grundlegende Begriffe und Konzepte im politischen Umgang mit Sprache(n) für viele Menschen im deutschsprachigen Raum erklärungsbedürftig. Es fehlen systematische Informationen zu sprach(en)politischen Strukturen, praktischen Ansätzen und ideologischen Hintergründen als Rahmen für eine theoretisch orientierte Analyse sprach(en) politischer Realitäten ebenso wie zur Vereinfachung der Lösungvon Problemen in der Praxis. Dieses Einführungswerk greift somit ein Thema auf, das implizit in vielen Teilen unserer Gesellschaft präsent ist. Im Gegensatz zur Existenz einer Reihe englischsprachiger Titel hat auf dem deutschsprachigen Markt bisher aber ein Buch gefehlt, das sprach(en)politische Konzepte und Gedanken systematisch ordnet. In diesem Sinne versucht dieses Buch, eine Lücke zu schließen, um ein im internationalen Rahmen seit mehreren Jahrzehnten gängiges, aber auch in Deutschland immer relevanter werdendes Thema genauer zu betrachten. Die Struktur dieses Buches ist seit dem Jahr 2003 wiederholt in sprachwissenschaftlichen Seminaren an der Freien Universität Berlin, der Hochschule Rēzekne in Lettland sowie der Universität Tallinn in Estland erprobt und verfeinert worden. Dabei hat es sich als sinnvoll erwiesen, eine Balance zwischen theoretischem Hintergrund und praktischen Beispielen anzustreben. Das Buch eignet sich somit als kompakte Einführung und als Nachschlagewerk für die Benutzung in wissenschaftlichen Zusammenhängen - für Forschende, Lehrende und Studierende aller sprachwissenschaftlicher Disziplinen, aber auch von Nachbarfächern wie den Erziehungs-, Politik- oder Rechtswissenschaften, der Ethnologie, Soziologie oder Geschichte. Zudem kann das Buch auch als Referenzwerk für Personen von Interesse sein, die in ihrem Berufsalltag mit dem Management von Sprache oder von Mehrsprachigkeit zu tun haben, etwa im Bildungsbereich. Schließlich ist das Buch auch ausdrücklich als Lektüre für interessierte Laien gedacht, die sich für die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Sprache und Mehrsprachigkeit interessieren. Im Sinne der Berücksichtigung von sowohl Theorie als auch praktischen Beispielen besteht das Buch aus zwei Hauptteilen. Im ersten Teil werden wichtige Begriffe, Konzepte und gedankliche Ansätze von Sprach(en)politik Sprach(en)politik ist allgegenwärtig Zwei Teile des Buches: Theorie und Länderbeispiele - <?page no="12"?> 12 Einleitung aus einer theoretischen Perspektive vorgestellt und diskutiert. Unter Berücksichtigung aktuellster Entwicklungen werden Modelle erläutert, die sprach(en)politisches Handeln zu beschreiben und erklären versuchen. Dabei nimmt das Buch - in Ermangelung einer umfangreicheren deutschsprachigen theoretischen Literatur - insbesondere auf englischsprachige Quellen Bezug, die heute die internationale sprach(en)politische Debatte bestimmen. Der zweite Teil besteht aus überblicksartigen Länderbeispielen. Diese sind so gewählt, dass sie exemplarisch für bestimmte sprach(en)politische Ansätze und Traditionen stehen. Gleichzeitig werden Länder in den Mittelpunkt gestellt, die für Lehrende und Studierende der wichtigsten sprachwissenschaftlichen Fächer im deutschsprachigen Raum - Germanistik, Anglistik und Romanistik - am bedeutendsten sind. Dabei werden diejenigen Aspekte betont, die besonders charakteristisch für ein bestimmtes Land sind. Der begrenzte Umfang dieser auch enzyklopädisch lesbaren Kapitel bedeutet zwangsläufig, dass nicht alle interessanten Elemente der Sprach(en)politik eines Landes vorgestellt und diskutiert werden können. Außerdem muss betont werden, dass - trotz des Versuches, bei der Wahl der Beispiele alle Regionen der Welt zu berücksichtigen - die Auswahl der Länder aus Platzgründen nicht allumfassend sein kann. In beiden Teilen des Buches finden sich eine Reihe didaktisierender Elemente: Neben der Hervorhebung von zentralen Konzepten, Begriffen und Zusammenhängen werden am Ende jedes Abschnittes dessen wichtigste Erkenntnisse zusammengefasst. Jedes Kapitel endet mit einer Liste von Fragen, die zum Nachdenken anregen sollen, aber auch als Grundlage für Diskussionen, etwa im Kontext von Universitätsseminaren, genutzt werden können. ZUSAMMENFASSUNG: Sprach(en)politik ist in Deutschland - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern - kein Thema, das in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Dennoch sind sprach(en)politische Prozesse auch in Deutschland überall präsent - immer dort, wo es um Entscheidungen für oder gegen den Gebrauch einer bestimmten sprachlichen Form oder Sprache geht. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Sprache und Politik: Welche Assoziationen haben Sie spontan zu diesem Zusammenspiel? 2. Wenn Sie dieses Buch im Rahmen eines Seminars an einer Universität o.ä. lesen: In welchem Kontext wird in Ihrem akademischen Umfeld Sprach(en)politik thematisiert? Für welche Fachbereiche könnte das Thema noch von Interesse sein? <?page no="13"?> I Theoretische Grundlagen und Konzepte <?page no="15"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 2.1 Sprachpolitik und Sprachenpolitik In der wissenschaftlichen Betrachtung von Sprach(en)politik existiert eine Vielzahl von Konzepten, Modellen, Beschreibungs- und Analyseansätzen, die oftmals von unterschiedlichen Perspektiven ausgehen und sich dabei ergänzen. Einige dieser Ansätze sind prominenter als andere und haben sich bei sprach(en)politisch Interessierten weit verbreiten können. Eine feste und allgemein akzeptierte Theorie der Sprach(en)politik gibt es bisher jedoch allenfalls in Ansätzen. Im Folgenden sollen einige der wichtigsten und am häufigsten auftretenden Begriffe in der Diskussion erläutert und einige wichtige Modelle der Sprach(en)politik vorgestellt werden. Diese Begriffe und Modelle werden im Verlauf des Buches wieder aufgegriffen und in konkreten Bezug zu einzelnen Situationen gesetzt. Neben der deutschen Terminologie werden zudem bedeutende englische Begriffe vorgestellt, da sprach(en)politische Forschungen und Diskussionen mehr noch als viele andere Teilbereiche der Sprachwissenschaft heute in einem internationalen Kontext und damit weitgehend auf Englisch stattfinden. Die terminologische Diskussion muss zunächst mit dem zentralen Begriff und dem Titel dieses Buches anfangen: Was ist eigentlich Sprach(en)politik? Es gibt viele Ansätze, Begriffe wie Sprachpolitik, Sprachenpolitik, Sprachplanung oder Sprachmanagement zu definieren. Dennoch hat sich in der wissenschaftlichen Diskussion noch kein Begriff wirklich für den Untersuchungs-gegenstand dieses Buches durchsetzen können. Viele zentrale Begriffe werden parallel gebraucht, wobei diese oftmals unterschiedlich nuanciert sein können, nicht zuletzt bedingt durch die metaphorische Wirkung einzelner Termini. Dabei weist etwa Ricento (2006) im Überblickskapitel zu seiner Sammlung sprachpolitischer Einführungstexte darauf hin, dass auch der Begriff Sprache heute anders verstanden werden kann als in der traditionellen Sprachwissenschaft, und dass die Konzeptualisierung von Sprache grundlegend für sprach(en)politische Fragen ist. Dabei handelt es sich etwa um die in jüngster Zeit aufgeworfene Frage, ob es sich bei Sprachen um, wie zumeist unterstellt, wirklich eindeutig abgrenzbare Systeme handelt, die es erlauben, etwa von der deutschen, der englischen oder der chinesischen Sprache zu sprechen. Zur Beantwortung dieser Frage ist unter anderem das Verständnis davon wichtig, welche Formen zu einer Sprache dazugehören. In der Sprachwissenschaft wird zumeist der Begriff der Varietät (engl. variety) gebraucht. Damit sind Ausprägungen einer Sprache gemeint, die im Allgemeinen als Unterarten eine Sprache verstanden werden. Dazu gehören etwa geographisch oder sozial abgrenzbare Varianten des Sprachgebrauchs (Dialekte bzw. Soziolekte). In der sprach(en)politischen Analyse ist dieser Begriff von besonderer Bedeutung, weil er eine Festlegung vermeidet, wo die Grenzen einer Sprache sind: So ist etwa die Entscheidung, ob das Elsässische, das Luxemburgische, das Schweizerdeutsche oder das Niederdeutsche (das oft als Plattdeutsch bezeichnet wird) Teil dessen sind, was wir als „Deutsch“ bezeichnen, nicht nur eine linguistische, son- Was ist Sprach(en)politik? Was ist Sprache? Varietät <?page no="16"?> 16 I Theoretische Grundlagen und Konzepte dern vor allem auch eine sprach(en)politische Frage. Wenn Sprachwissenschaftler also vom Elsässischen als Varietät sprechen, vermeiden sie damit eine Festlegung, ob es sich dabei um einen Dialekt des Deutschen oder um eine eigene Sprache handelt. Dies ist insbesondere in Fällen wichtig, wo in der jeweiligen Sprachgemeinschaft keine klare eigene Meinung zu diesem Thema vorherrscht. Außerdem ist auch der Umgang mit unterschiedlichen sozialen oder funktionalen Varietäten ein Kernthema der Sprach(en)politik - z.B. wenn in den Medien darüber entschieden wird, in welchen Situationen Elemente von Umgangssprache, Jugendsprache oder anderen nicht streng standardsprachlichen Varietäten akzeptiert werden. Autoren wie Blommaert (2010) weisen jedoch darauf hin, dass die Vorstellung, Sprachen bzw. Varietäten existierten streng getrennt nebeneinander, oft eine grobe Vereinfachung dessen ist, was Menschen mit Sprache wirklich tun. Es gibt heute kaum noch Personen, deren Lebenswelt vollkommen einsprachig ist (und dies unabhängig von der individuellen Sprachkompetenz). Auch werden in den allermeisten mehrsprachigen Kontexten Sprachen vermischt (Code Mixing) oder es wird munter zwischen verschiedenen Sprachen gewechselt (Code Switching). Wer jemals ein Gespräch beobachtet hat, an dem Personen beteiligt waren, die mehrere Sprachen beherrschen, kann bestätigen, dass in vielen Situationen z.B. nicht eindeutig Deutsch oder Englisch gesprochen wird, sondern eine Mischung davon oder beides parallel. Dennoch wird ein großer Teil der sprach(en)politischen Diskussion entlang derartiger Verständnislinien geführt - etwa im Hinblick auf Fragen, welche Sprache Amtssprache eines Landes sein soll oder welche Sprachen in den Schulen gelehrt werden sollen. Insofern wird auch im Verlauf dieses Buches der Einfachheit halber zumeist von Sprachen als vermeintlich abgrenzbaren Einheiten gesprochen. Es soll jedoch dabei nicht in Vergessenheit geraten, dass dies schon eine bestimmte Wahrnehmung von Sprache(n) ist, die, wie Ricento schreibt, einen bestimmten Standpunkt voraussetzt, der sprachpolitische Wahrnehmungen und Aktivitäten prägt. In diesem Sinne sind sprach(en)politische Debatten immer „about more than language“ (Ricento 2006: 8), und die wissenschaftliche Beschäftigung damit ein interdisziplinäres Zusammenspiel aus Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Recht, Soziologie und anderen. In der Auseinandersetzung mit Sprach(en)politik ist die Koexistenz zweier Begriffe, Sprachpolitik und Sprachenpolitik, eine traditionelle Besonderheit der deutschsprachigen Wissenschaftstradition. Das Englische spricht lediglich von Language Policy, und auch im Deutschen gibt es Tendenzen, den Begriff Sprachpolitik als den umfassenderen zu verwenden. Der Unterschied von Sprachpolitik und Sprachenpolitik im Deutschen ist in erster Linie, ob Maßnahmen betrachtet werden, die sich auf eine einzige Sprache (was auch immer im konkreten Fall darunter verstanden wird) beziehen, oder auf die Organisation des Verhältnisses verschiedener Sprachen zueinander. Diese Unterscheidung hat eine gewisse Berechtigung, da in der politischen Praxis diese Ansätze oftmals stark voneinander getrennt sind und sich z.T. deutlich unterschiedliche Personengruppen damit beschäftigen. Diese strikte Trennung ist jedoch schwierig, weil sie - wie oben angedeutet - voraussetzt, dass eine klare Abgrenzung von Sprachen möglich ist. Eine Benennung sprach(en)politischen Handelns nur anhand der Frage, ob es sich um eine Sprache oder mehrere handelt, nimmt somit ein Ergebnis einer politischen Entscheidung bereits vorweg. Abgrenzungen von Varietäten Sprachpolitik vs. Sprachenpolitik <?page no="17"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 17 Abbildung 1: Standarddeutsch, Sächsisch, Englisch? Code Mixing auf einem Werbeplakat der „Sächsischen Zeitung“. In diesem Buch wird somit von dieser Stelle an der Begriff Sprachpolitik als Oberbegriff für alle Aktivitäten verwendet, die sich mit der (im weitesten Sinne) politischen Beschäftigung mit Sprache oder Sprachen auseinandersetzen. In Fällen, in denen die Abgrenzung von Sprachen zueinander problematisch ist, wird dagegen von Varietäten gesprochen. Die Verwendung des Begriffes unterschiedlicher Sprachen in diesem Buch setzt voraus, dass diese mit keinen Missverständnissen oder Kontroversen zu tun hat. Somit können etwa Deutsch und Polnisch oder Englisch und Walisisch als zwei Sprachen bezeichnet werden, da aufgrund der deutlichen Unterschiede auf allen sprachlichen Ebenen wohl niemand auf die Idee kommen würde, diese für jeweils zwei Varietäten ein und derselben Sprache zu halten. Hier gilt das Kriterium der Kennzeichnung von Sprachen als Abstandsprachen. Auf der anderen Seite soll das Kriterium des Ausbaus einer Sprache, also der Klassifizierung als eigenständiger Sprache aufgrund einer eigenen schriftsprachlichen Tradition, sehr viel vorsichtiger und nur dort verwandt werden, wo dies in der heutigen sprachpolitischen Debatte weitgehend unkontrovers ist. Als klassisches Beispiel gelten Norwegisch und Schwedisch, die aus politischen Gründen (d.h. aufgrund der Existenz zweier Staaten, die die jeweilige Sprache als Nationalsprache verwenden) als verschiedene Sprachen bezeichnet werden, auch wenn dies aus linguistischer Sicht nach dem Kriterium des Abstandes nicht eindeutig ist. Sprachpolitik als Oberbegriff <?page no="18"?> 18 I Theoretische Grundlagen und Konzepte 2.2 Mit Sprach(en)politik konkurrierende Begriffe im historischen Werdegang Ein wichtiger Begriff, der zu dem der Sprachpolitik in Konkurrenz steht, ist Sprachplanung (Language Planning). Auch hier ist eine klare Abgrenzung schwierig und wird heute zumeist in einer unterschiedlichen Betonung der damit verbundenen Aktivitäten gesehen. So evoziert Sprachplanung eher ein Bild von administrativer als von politischer Tätigkeit. Insgesamt werden Sprachpolitik und Sprachplanung heute aber weitgehend synonym verwendet. Im historischen Werdegang hat das Verständnis der Begriffe Sprachpolitik und Sprachplanung (bzw. Language Policy und Language Planning) eine Reihe von wichtigen Schritten durchlaufen. Im deutschsprachigen Raum ist nach 1945 mit der Idee, Sprache und deren Gebrauch bewusst zu beeinflussen, oft die Sprachverwendung der Nationalsozialisten verbunden gewesen - also etwa der bewusste Einsatz von Sprache zu Propagandazwecken oder die Eindeutschung von Fremdwörtern. Dies erklärt, warum in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg Sprachpolitik - zumindest soweit diese explizit so bezeichnet wurde - im Vergleich zu anderen politischen und akademischen Debatten kaum eine Rolle gespielt hat. Der Gedanke einer aktiven Sprachbeeinflussung war schlichtweg diskreditiert. Anders dagegen im englischsprachigen Raum: Eine der ersten sprachwissenschaftlichen Definitionen von Sprachplanung stammte von dem norwegisch-amerikanischen Sprachwissenschaftler Einar Haugen, einem der Pioniere sprachpolitischer Forschung. Er vertrat 1959 ein noch sehr eng gefasstes Verständnis von Language Planning (vgl. für einen Überblick der terminologischen Entwicklung Vikør 1994 oder Jernudd/ Nekvapil 2012). Seine Definition beschränkte sich auf die Standardisierung von Rechtschreibung, Grammatik und Wortschatz: By Language Planning I understand the activity of preparing a normative orthography, grammar, and dictionary for the guidance of writers and speakers in a non-homogenous speech community. (Zitiert nach Vikør 1994: 87-89) Diese Sichtweise hielt Haugen im Wesentlichen auch ein gutes Jahrzehnt später noch aufrecht. Er unterstrich den normativen Charakter der Sprachpolitik im Sinne der Planung einer einzelnen Sprache durch Sprachinstitutionen wie etwa die Académie Française (Haugen 1972): As I define it, the term Language Planning includes the normative work of language academies and committees, all forms of what is commonly known as language cultivation, and all proposals for language reform or standardization. Auch im Verständnis des Begriffes Sprachplanung durch Rubin/ Jernudd von 1971 steht die Tätigkeit als bewusste Aktivität einer eigens dafür geschaffenen Institution im Mittelpunkt. Allerdings wird hier bereits der konkrete Eingriff in real existierende sprachliche Schwierigkeiten betont: Sprachplanung Sprachpolitik als Beeinflussung des sprachlichen Verhaltens Historischer Werdegang des Verständnisses von Sprachpolitik und -planung <?page no="19"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 19 Language planning is deliberate language change; that is, changes in the systems of language code or speaking or both that are planned by organizations that are established for such purposes or given a mandate to fulfil such purposes. As such, language planning is focused on problem-solving and is characterized by the formulation and evaluation of alternatives for solving language problems to find the best (or optimal, most efficient) decision. Auffällig ist hier die Formulierung der Suche nach einer optimalen bzw. effizientesten Variante - somit wechselt der Focus von der Normierung (anhand nicht näher bestimmter Kriterien) zur Problemlösung. Andere wichtige Autoren, die in dieser „Gründungsperiode“ der sprachpolitischen Forschung in den 1960er-70er Jahren die Diskussion geprägt haben, waren etwa Charles Ferguson und Joshua Fishman (vgl. Rubin et al. 1977) aus einer soziologischen bzw. soziolinguistischen Perspektive. Heinz Kloss hat nicht nur den Begriff Corpus Planning (siehe unten) geprägt, sondern von ihm stammt auch der oben angesprochene Unterschied zwischen Abstand- und Ausbausprache (vgl. Jernudd/ Nekvapil 2012: 24). Neustupný (1970) beschrieb bereits den Unterschied zwischen Ansätzen der Sprachpolitik und solchen der Sprachkultivierung, die auch Haugen erwähnt hat. Gerade in Mitteleuropa war letzteres Konzept lange dominanter als das von Sprachpolitik oder Sprachplanung (vgl. Jernudd/ Nekvapil 2012). Unter Sprachkultivierung wird in dieser Tradition die Beeinflussung einer Sprache im Sinne eines „guten“ oder „schönen“ Sprachgebrauchs verstanden. Die Sprachkultivierung steht damit in engem Verhältnis zu dem, was auch als Sprachelaborierung bezeichnet werden kann (siehe unten), betont jedoch ästhetische und nicht etwa funktionale Prinzipien, zumeist im Sinne einer Traditionswahrung. Der Begriff der Sprachkultivierung geht eng mit der im deutschsprachigen Raum weit verbreiteten Idee der Sprachpflege einher. Das hierbei verwendete Bild betont, dass Sprache ein schützenswertes Gut ist, das nicht sich selbst überlassen werden darf, da dadurch eine Art nicht zu kontrollierender Wildwuchs mit unbekannten Folgen riskiert würde. Auch heute noch ist im deutschsprachigen Raum der Begriff der Sprachkultivierung bzw. der Sprachkultur viel verbreiteter als etwa im englischsprachigen Raum. Wichtiger Teil der Sprachkultur ist die Sprachkritik, also die „alltäglich geübte und notwendige Sprachreflexion (...), die wir uns beim Erwerb von Sprachen aneignen und im Gebrauch beständig mit unseren Spracherfahrungen abgleichen“ (Cherubim 2011: 14; Cherubims Aufsatz ist Teil einer Sammlung von Beiträgen (Schiewe 2011), die sich der Sprachkritik aus unterschiedlichen Perspektiven nähern). Kilian/ Niehr/ Schiewe (2010) teilen ihr Einführungswerk in die Sprachkritik in drei Hauptteile, in denen Sprachkritik aus linguistischer, laienlinguistischer und didaktischer Sichtweise behandelt wird. Dabei werden eine Reihe von Themen diskutiert, die im Sinne dieses Buches auch als Teil der Sprachpolitik bezeichnet werden können. Dazu gehören z.B. die feministische Sprachkritik, der Umgang mit Anglizismen im Deutschen und die Sensibilisierung von Schülern für Sprache als Teil des Lehrplanes an öffentlichen Schulen. Sprachkultivierung, -kultur, -pflege, Sprachkritik <?page no="20"?> 20 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Andererseits zeigen die von Kilian/ Niehr/ Schiewe (2010: 2-6) diskutierten fünf Richtungen der Sprachkritik nach Gauger (1995), dass es klare Unterschiede zwischen Sprachkritik und Sprachpolitik gibt: So sind zwar zwei der fünf Richtungen, die moralische Sprachkritik (z.B. die Ablehnung von beschönigenden Euphemismen in der militärischen Sprache) und die philologische Sprachkritik (z.B. die Propagierung von Traditionalismen zur Abgrenzung von Fremdwörtern), als sprachpolitisch zu bezeichnen, da sie sich mit der grundsätzlichen Akzeptanz bestimmter Lexeme befassen und somit als Teil der Korpusplanung (siehe unten) sicherlich zur Sprachpolitik gehören. Gaugers drei andere Richtungen, die philosophische, literarische und theologische Sprachkritik, beschäftigen sich dagegen mit der Analyse von Begriffen und Stilfiguren in konkreten literarischen oder anderen Kontexten und sind somit eher in der Stilistik oder der Literaturkritik anzusiedeln. Es ist im Gegensatz zur Sprachpolitik auffällig, dass sich Sprachkritik - wie auch Sprachkultur - als Begriffe eher mit Entwicklungen in und der Einflussnahme auf eine einzelne Sprache mit ihrer (insbesondere sozial geprägten) Variation als mit dem Miteinander von Sprachen und Mehrsprachigkeit beschäftigen. Dies spiegelt gerade in Deutschland die verbreitete Ideologie der staatlichen Einsprachigkeit und die Wahrnehmung der Nation als kulturell definierte Einheit wider, die auch heute oft noch Debatten zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in Deutschland prägt. Diese Herangehensweise an Sprachpolitik wird oft auch auf kleinere Sprachen übertragen, deren Existenz als Sprachen in mehrsprachigen Gebilden und oftmals als Minderheitensprachen zwar erkannt wird, die jedoch in der Tradition der Sprachkultur zumeist einzeln betrachtet werden (vgl. z.B. den sehr umfangreichen Überblick über Sprachkulturen in Bezug auf europäische Sprachen in Janich/ Greule 2002). Im Alltag geht Sprachkritik oftmals mit einem kulturpessimistischen Unterton einher. Der „Niedergang der Sprache“ ist in der weiteren Gesellschaft und im Feuilleton ein gern thematisiertes Postulat. Dies kann sowohl von Sprachwissenschaftlern als auch durch Laien initiiert sein. So titelte der Spiegel im Oktober 2006 mit der Schlagzeile „Rettet dem Deutsch“; die Hauptreportage zum Titelthema war mit „Deutsch for Sale“ überschrieben. In der Unterüberschrift heißt es: Die deutsche Sprache wird so schlampig gesprochen und geschrieben wie wohl nie zuvor. Auffälligstes Symptom der dramatischen Verlotterung ist die Mode, fast alles angelsächsisch ‚aufzupeppen‘. Aber es gibt eine Gegenbewegung. (Schreiber 2006) Mit ähnlichem Unterton fragte die Zeit 2010 „Ist Deutsch noch zu retten? “ (Greiner 2010), und die Zahl von immerhin 114 Leserkommentaren zur Online-Version dieses Artikels zeigt, dass es eine große Zahl von Deutschsprachigen gibt, für die das Thema von Relevanz ist. Neuland (2008) weist zudem darauf hin, dass Wahrnehmungen eines vermeintlichen Sprachverfalls in jeder Generation von Neuem auftreten - so gab es z.B. auch 1984 einen Spiegel-Titel mit der Überschrift „Deutsch: Ächz, würg“. Während die Begriffe Sprachkultur, Sprachkritik und Sprachpflege eher mit traditionellen Sichtweisen der Sprachpolitik und Aktivitäten in Bezug auf eine Sprache verbunden sind, deutet der Begriff des Sprachmanagements mehr auf heute dominierende Sichtweisen der Sprachpolitik. Karam (1974) sprach Kulturpessimistischer Unterton der Sprachkritik Sprachmanagement <?page no="21"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 21 bereits von Sprachplanung als „management of linguistic innovation“. Damit rückte in den Vordergrund, dass Sprache in einem natürlichen Prozess von den Sprechern kontinuierlich und zumeist unbewusst verändert wird und mit Hilfe bestimmter Maßnahmen auf diese Veränderungen reagiert werden kann, um Sprache in eine bestimmte Richtung zu lenken. Der grundlegende Ansatz des Sprachmanagements ist, dass davon ausgegangen wird, dass Sprache ohnehin existiert und in einem ständigen Veränderungsprozess begriffen ist. Sprachpolitik kann also lediglich in ohnehin ablaufende Prozesse eingreifen und versuchen, diese zu beeinflussen. Dies steht im Gegensatz zu Ansätzen, die davon ausgehen, Sprache sei von sich aus statisch, Veränderungen seien unerwünscht und Sprache könne von Menschenhand geformt werden, um einen erwünschten Zustand zu erreichen bzw. zu diesem zurückzukehren. Dabei ist der Begriff Sprachmanagement im ursprünglichen Verständnis in einer Tradition zu sehen, die bereits in den 1980er Jahren begründet wurde (vgl. Jernudd/ Neustupný 1987) und heute etwa von Nekvapil (2012) fortgesetzt wird. Diese Tradition sieht Sprachmanagement als Strategie, aktiv in konkretes sprachliches Verhalten einzugreifen und handelt weniger von Tätigkeiten wie dem Aufstellen von Plänen oder anderen Dokumenten. Dieses Language Management Framework (vgl. Jernudd/ Nekvapil 2012: 34-35) beschreibt den Eingriff in sprachliches Handeln sowohl von Individuen - bewusst oder unbewusst - in ihrer unmittelbaren Umgebung als auch von institutioneller Seite zur Beeinflussung des sprachlichen Verhaltens anderer. Dabei wird zwischen einfachem (simple) und organisiertem (organized) Management unterschieden: Einfaches Management bezeichnet den alltäglichen Eingriff in den Sprachgebrauch, etwa wenn als „falsch“ wahrgenommene Lexeme oder grammatische Wendungen korrigiert werden (z.B. wenn Eltern oder Lehrer ihren Kindern bzw. Schülern den Gebrauch von Schimpfwörtern verbieten oder wenn diskutiert wird, ob die Präposition „wegen“ den Dativ oder den Genitiv verlangt). Das organisierte Management ist dagegen communication about language use, wodurch die Frage des gewünschten Sprachgebrauches aus der unmittelbaren Situation herausgenommen und auf eine Metaebene gehoben wird. Insgesamt ergibt sich im organisierten Management dadurch ein kreisförmiger Prozess: Eine sprachlich nicht akzeptierte Situation wird bemerkt, diese wird diskutiert, bevor die getroffene Entscheidung den Sprachbenutzern mitgeteilt wird, um deren Sprachverhalten zu verändern (etwa in Form von offiziell akzeptierten grammatischen oder orthographischen Formen, die durch Wörterbücher oder Lehrpläne für die Schulen festgeschrieben werden). Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass der Begriff des Sprachmanagements auch in der sprachpolitischen Theorie von Spolsky (2004/ 2009, siehe unten) auftritt, dabei jedoch etwas anderes meint, das eher als Teilbereich der allgemeinen Theorie der Sprachpolitik zu verstehen ist. 2.3 Sprach(en)politik im heutigen Verständnis Seit den 1980er Jahren haben sich die Begriffe Sprachpolitik und Sprachplanung zu dem entwickelt, wie sie auch heute größtenteils verstanden werden. Dabei Language Management Framework <?page no="22"?> 22 I Theoretische Grundlagen und Konzepte beinhaltet der Begriff der Sprachpolitik heute das, was in der Generation Haugens darunter verstanden wurde, schließt jedoch auch Elemente von Sprachkultur, -kritik, -pflege und -management mit ein, und bleibt auch nicht auf derartige Ausschnitte beschränkt. Cooper bezeichnete Sprachplanung im Jahr 1989 als „deliberate efforts to influence the behaviour of others with respect to the acquisition, structure, or functional allocation of their language codes“ (zitiert nach Vikør 1994: 87-89). Hier sind zwei Aspekte auffällig: Zum einen werden bewusst die Bereiche des Spracherwerbs, der Struktur und der Funktionen erwähnt - was somit ein deutlich erweitertes Verständnis der Thematik deutlich macht. Zum anderen wird nicht mehr von nur einer Varietät gesprochen, die Formulierung language codes im Plural macht deutlich, dass es sich auch um mehrsprachige Situationen und das Verhältnis verschiedener Varietäten zueinander handeln kann. Abbildung 2: Offene Sprachpolitik in der georgischen Hauptstadt Tbilissi: Straßenschild aus jüngerer Zeit auf Georgisch und Englisch als Ersatz für ein sowjetisches Schild auf Georgisch und Russisch. Allerdings lässt Coopers Ansatz durch die Formulierung, dass Sprachplanung eine vorsätzliche (deliberate) Aktivität sei, den heute oft berücksichtigten Unterschied zwischen offener und verdeckter Sprachpolitik (englisch: covert und overt language policy) unberücksichtigt, so wie etwa von Schiffman (1996: 13- 20) diskutiert. Offene Sprachpolitik ist danach Politik im traditionellen Sinne, also bewusste und offen artikulierte Handlung. Versteckte Sprachpolitik dagegen beeinflusst durch sprachliches oder anderes Handeln de facto sprachliches Verhalten. Shohamy (2006) geht dabei sogar so weit, ihrem englischsprachigen Einführungswerk Language Policy den Untertitel Hidden Agendas zu geben: Damit wird impliziert, dass Sprachpolitik in jedem Fall eine offene, nach außen sichtbare, und eine versteckte Seite hat. Die Definition von Skutnabb-Kangas/ Phillipson (1997) fasst den Begriff der Sprachpolitik noch weiter. Danach ist Sprachpolitik ein „broad over-arching term for decisions on rights and access to language and on the roles and Offene und verdeckte Sprachpolitik Ausweitung des Verständnisses <?page no="23"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 23 functions of particular languages in a given polity“ (Skutnabb-Kangas/ Phillipson 1997: 116-118). Durch die gleichzeitige Erwähnung von Rechten der Sprecher, Zugangsmöglichkeiten zu Varietäten (access) sowie Rollen und Funktionen in der Gesellschaft fasst diese Definition mehrere Schwerpunktsetzungen zusammen. Skutnabb-Kangas/ Phillipson sprechen sowohl von language im Singular als auch von languages im Plural. Sie betonen damit Sprache allgemein und ohne weitere Konkretisierung, gleichzeitig aber auch das Nebeneinander von Varietäten. Außerdem sollten politische Maßnahmen im Rahmen des jeweiligen Kontextes betrachtet werden. Die politischen Einheiten, auf die sich sprachpolitische Maßnahmen beziehen, können dabei stark variieren: Oftmals handelt es sich um einen Staat und landläufig wird auch häufig davon ausgegangen, dass es Staaten sind, die Sprachpolitik betreiben. In dezentral organisierten Staaten wird Sprachpolitik oft auch auf sub-staatlicher Ebene betrieben bzw. es herrscht ein Nebeneinander verschiedener staatlicher Instanzen. So werden sprachpolitische Maßnahmen in Deutschland sowohl auf Bundes-, auf Länder- und auf kommunaler Ebene durchgeführt - jeweils in Abhängigkeit von rechtlichen Kompetenzen und konkreten Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. auch den Abschnitt in Kapitel 3 zu Akteuren der Sprachpolitik). Backhaus (2012) weist ausdrücklich darauf hin, dass auch Städte oder Stadtbezirke ihre eigene Sprachpolitik haben können, die sich in Prinzipien, Ideologien und Umsetzung von der Gesamtstaatsebene deutlich unterscheiden kann. Gleichzeitig kann Sprachpolitik auch supra-staatlich sein: Internationale Organisationen wie die EU oder die UNO können Stellung zu sprachpolitischen Fragen ihrer Mitgliedsstaaten beziehen, und zumeist haben sie auch eine interne Sprachpolitik. Darüber hinaus wird der Begriff der Sprachpolitik aber heute oftmals so verstanden, dass auch nichtstaatliche Akteure sprachpolitisch tätig sein können: Jede Institution wie Schulen oder Krankenhäuser, jede Behörde, jede Firma, und letztendlich jede Familie und jedes Individuum kann eine Art von Sprachpolitik betreiben, also versuchen, sprachliches Verhalten in seinem Umfeld zu beeinflussen. Der Unterschied zwischen offener und verdeckter Sprachpolitik liegt hierbei darin, ob Meinungen zu Sprachgebrauch ausdrücklich kommuniziert werden oder ob nur indirekt durch eigenes sprachliches Verhalten bestimmte Normen gesetzt oder eine bestimmte Ideologie zum Sprachverhalten transportiert werden. Verdeckte Sprachpolitik kann bewusst und unbewusst durchgeführt werden. Unbewusste Sprachpolitik tritt dort auf, wo sprachliche Praktiken durchgesetzt werden, ohne dass dies ein bewusstes Ziel der jeweiligen Akteure ist: So wird im allgemeinen der Gebrauch bestimmter sprachlicher Formen (d.h. Sprachen oder innerhalb einer Sprache bestimmter Varietäten) in einer Situation als „normal“ angesehen, obwohl auch dieser Normalität bestimmte (ggf. unbewusste) Entscheidungen über die Akzeptanz von Varietäten zugrunde liegen (vgl. für eine nähere Diskussion dieser Überlegung Kapitel 3). Dem stehen Situationen gegenüber, in denen Sprachpolitik bewusst verdeckt gehalten wird, etwa, um die Aufrechterhaltung bestimmter Machtverhältnisse zu gewährleisten. Jernudd/ Nekvapil (2012) betonen in diesem Zusammenhang, dass es im Laufe der 1980er und 1990er Jahre zu einem Wechsel in der sprachpolitischen Forschung gekommen ist. War man lange in Verschiedene politische Ebenen Nichtstaatliche Sprachpolitik Bewusste und unbewusste Sprachpolitik <?page no="24"?> 24 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Hinblick auf die Einflussmöglichkeiten staatlicher Institutionen auf die Gesellschaft optimistisch und geneigt, offiziellen Planungen Vertrauen zu schenken, so beschäftigt sich die Analyse heute mehr mit Argumentations- und Verhaltensstrukturen und sich darin spiegelnden Ideologien. Dieser diskursanalytische Ansatz, insbesondere in der Form der Kritischen Diskursanalyse (Critical Discourse Analysis, CDA), betont die Bedeutung von Machtstrukturen, die an der Oberfläche nicht immer erkannt werden können. Diese sind aber für sprachpolitische Realitäten und die Praxis der Einflussnahme auf sprachliches Verhalten grundlegend. Mit Namen wie Tollefson (1991), Blommaert (2010) oder Williams (1992) ist außerdem der Wille verbunden, im Sinne dieses „kritischen“ Ansatzes soziale Veränderungen „von unten“ herbeizuführen. 2.4 Status-, Korpus-, Prestige- Spracherwerbs-, Gebrauchs- und Diskursplanung Neben verschiedenen Sichtweisen auf die Sprachpolitik und die Konnotationen der konkurrierenden Begriffe hat es auch eine Reihe von Ansätzen gegeben, diese Begriffsvielfalt in ein griffiges Modell umzuwandeln. Darin werden die unterschiedlichen Konzepte aufeinander bezogen und als Teilbereiche der Sprachpolitik identifiziert. Traditionell wird oft auf ein anfänglich recht einfaches Modell von Haugen zurückgegriffen, das im Laufe der Jahrzehnte wesentlich erweitert und verändert wurde (vgl. dazu z.B. Kaplan/ Baldauf 1997: 29 oder Hornberger 2006: 28-29). Die wichtigste Unterscheidung, die in der Analyse auch heute oft noch Anwendung findet, ist diejenige zwischen Statusplanung und Korpusplanung (status planning und corpus planning). Statusplanung ist der Auswahlprozess, welche sprachlichen Varietäten welche Funktionen in der Gesellschaft und im Sprachgebrauch der Bevölkerung einnehmen sollen. Damit entspricht der Begriff der Statusplanung in weiten Teilen dem, was in der deutschsprachigen Tradition oft als Sprachenpolitik bezeichnet wird. Dazu gehören etwa die Fragen, welche Sprachen (als Mutter- oder Fremdsprachen) in den Schulen gelehrt werden oder welche Sprachen offizielle Staats- oder Amtssprachen sind. Zur Statusplanung gehört auch die praktische Umsetzung dieser Ziele durch geeignete politische Maßnahmen. Die Auswahl wird oft noch einmal in die Prozesse der Identifizierung des Problems und der Festlegung auf anzustrebende Normen unterteilt - also die Erkenntnis, an welcher Stelle Statusplanung notwendig ist und die Diskussion und Festlegung von Richtlinien, denen die Sprachpolitik folgen soll. Dabei wird heute betont, dass die Auswahlprozesse (vgl. Jernudd/ Nekvapil 2012: 30) oft unbewusst stattfinden und in vielen Situationen de facto ein Status dominiert, der eher durch das Zusammenspiel sozialer Prozesse als durch bewusste Entscheidungen entstanden ist. Zur Implementierung der Statusplanung, also der Umsetzung der Maßnahmen, kann auch noch die Bewertung von Zielen und Umsetzung sowie ggf. die Korrektur der politischen Maßnahmen hinzugefügt werden. Hornberger (2006: 29) argumentiert, dass die Auswahl eher eine Frage der formalen Stellung einer Varietät in der Gesellschaft ist, die Implementierung dagegen die konkreten Funktionen in der Gesellschaft beeinflusst. Sowohl Auswahlprozess und Implementierung Statusplanung und Korpusplanung Teilbereiche der Statusplanung , <?page no="25"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 25 sind dabei nicht als sprachwissenschaftliche Aktivitäten im engen Sinne anzusehen (extra-linguistic). Hier steht also das Zusammenspiel von Sprachwissenschaftlern, Soziologen, Politikwissenschaftlern bzw. von Wissenschaft, Politik und Verwaltung im Mittelpunkt. Korpusplanung bezeichnet dagegen die Auswahl von bestimmten Formen innerhalb einer Sprache, also das, was im Deutschen oft mit Sprachpolitik im engeren Sinne gemeint ist. Grundlage der Korpusplanung einer Sprache ist anfänglich die Kodifizierung, d.h. zunächst die Verschriftlichung einer mündlichen Form. Es darf nicht vergessen werden, dass Sprachen immer zunächst mündlich existieren und erst im Laufe der Zeit verschriftlicht wurden bzw. werden und es auch heute noch viele Sprachen auf der Welt gibt, die nur mündlich gebraucht werden. Außerdem gehört zu den Grundlagen der Korpusplanung die Entwicklung von Standards in Grammatik, Orthographie und Lexikon, also die Einführung von Normen. Aus der Perspektive vieler Sprecher großer, etablierter Sprachen wird dies oft als selbstverständlich empfunden - jedoch ist dies keineswegs so. Die Entwicklung der standarddeutschen Norm (also der mündlichen und schriftlichen Varietät, die landläufig oft als Hochdeutsch bezeichnet wird) aus den diversen zunächst mündlichen, dann zunehmend auch schriftlichen Formen dessen, was aus heutiger Sicht zur deutschen Sprache gehört, hat Jahrhunderte gedauert. Viele kleinere Sprachgemeinschaften, die erst in jüngerer Zeit ihre Sprachen verschriftlicht haben, leiden unter langwierigen Diskussionen der Sprachbenutzer, die sich bei der Entwicklung von Normen auf einen gemeinsamen Nenner einigen müssen (so etwa im Fall des Rätoromanischen in der Schweiz). Dieser gemeinsame Nenner ist manchmal die verbreitetste oder bedeutendste Varietät, allerdings kann die offizielle Anerkennung dieser eine mangelnde Akzeptanz des neuen Standards durch die Sprechergruppen, die eine andere Form (zumeist einen anderen Dialekt) sprechen, zur Folge haben. Alternativ kann versucht werden, eine Konsensvarietät zu entwickeln, die aber Gefahr läuft, von den Sprechergruppen nicht als authentisch empfunden zu werden. Wenn Fragen der Norm weitgehend geklärt sind, kann Korpusplanung die Form einer Elaborierung annehmen. Dies bezeichnet die Entwicklung von Funktionen einer bereits standardisierten Sprache. Für die großen Sprachen mit einer langen Schriftsprachtradition ist dieser Teil der Korpusplanung in der Praxis am bedeutendsten - etwa die Arbeit an Stilvarianten oder die Entwicklung von Terminologien für neu enstehende Bereiche, die die Sprache verändern. Dazu gehört in vielen Sprachen (aber kaum im Deutschen) die Entwicklung von Begriffen, die englische Lehnwörter etwa im Bereich der Computertechnologie ersetzen sollen. Ein anderer Ansatz der Elaborierung ist die Internationalisierung einer Sprache, d.h. die Einführung von Lexemen, die die gegenseitige Verständlichkeit mit anderen Sprachen erleichtern sollen. Wie in allen sprachpolitischen Fragen besteht auch hier ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Ob sich neue Begriffe durchsetzen oder ob die Sprecher andere Wörter vorziehen, hängt von vielen Faktoren ab. Für Hornberger (2006: 29) ist Kodifizierung eine primär sprachwissenschaftliche Tätigkeit, die Elaborierung dagegen wird als semi-linguistic bezeichnet und steht zwischen rein linguistischen und gesellschaftsbezogenen Tätigkeiten. Das Modell von Haugen ist u.a. von Haarmann (1986: 83-118) erweitert worden, in dem zur Status- und Korpusplanung die Prestigeplanung (prestige Kodifizierung und Auswahl von Standards Elaborierung Prestigeplanung <?page no="26"?> 26 I Theoretische Grundlagen und Konzepte planning) als dritter Teilbereich hinzugefügt wurde. Das Prestige von Sprache hängt eng mit Einstellungen, Werthaltungen und ideologischen Betrachtungen von Sprache (einer bestimmten Varietät oder von Sprache allgemein) zusammen: Diejenigen sprachlichen Formen, die in einer Gruppe Prestige genießen, werden von dieser Gruppe auch verstärkt verwendet werden, wobei es innerhalb einer Gesellschaft zu großen Unterschieden in der Bewertung kommen kann (man denke etwa an prestigereiche Lexeme und Phraseologismen in der Jugendsprache, die in einem offizielleren Stil inakzeptabel wären). Voraussetzung für den Erhalt einer Minderheitensprache ist, dass diese zumindest in Teilen der Gesellschaft ein gewisses Maß an Prestige besitzt. Wenn die Sprecher einer kleinen Sprache dieser einen Wert beimessen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Sprache benutzen und auch an kommende Generationen weitergeben, deutlich größer, als wenn die Sprache als minderwertig oder ihre Existenz als Problem angesehen wird. Im Idealfall sieht auch die Mehrheitsbevölkerung die Minderheitensprache als bereicherndes Kulturgut und schätzt sie aufgrund bestimmter damit verbundener Eigenschaften wie etwa einer attraktiven oder als „exotisch“ Prestige genießenden Literatur oder Musik. Somit haben Werthaltungen einen unmittelbaren Einfluss auf Maßnahmen zum Erhalt dieser Sprache. Aber auch in Kontexten wie etwa der Diskussion zur Rolle des Englischen in Deutschland hängt viel davon ab, ob die englische Sprache (und die damit oftmals verbundenen Assoziationen zur englischsprachigen Kultur und zu Großbritannien, den USA oder anderen Staaten, in denen das Englische dominiert) grundsätzlich als angenehm empfunden wird oder nicht. Negative Einstellungen zu Sprachen können dabei zu einem völligen Bann bestimmter Sprachformen führen - oftmals im Zusammenspiel mit einer nationalistischen Politik, in der bestimmte Kulturen und Sprachen als gut und andere als schlecht oder falsch bezeichnet werden. Eine weitere mögliche Differenzierung der Sprachpolitik bieten die Kategorien der Spracherwerbsplanung (acquisition planning) und der Sprachgebrauchsplanung (usage planning). Ein Beispiel dafür ist die Sprachpolitik in Wales. Deren Ziel ist es, die Rolle der walisischen Sprache zu stärken, einer keltischen Sprache, die - zusätzlich zum Englischen - von mehr als 500.000 Menschen gesprochen wird. Spracherwerbsplanung beschäftigt sich mit Möglichkeiten, eine Sprache zu erlernen, etwa durch die Organisation von Unterricht und die Erarbeitung passender Lernmaterialien (für Kinder und Jugendliche in den Schulen, aber auch für Erwachsene) oder durch die Verbreitung von Ratgebern für junge Eltern, die ihre Kinder mehrsprachig erziehen wollen. Ein anderes wichtiges Element der Spracherwerbsplanung ist die Schaffung von Anreizen zum Erlernen einer Sprache, etwa eine Bevorzugung von Personen mit bestimmten Sprachkenntnissen bei der Besetzung (öffentlicher) Stellen. Sprachgebrauchsplanung versucht, Möglichkeiten zu schaffen, in denen eine Sprache gebraucht werden kann. Dies kann bei Behörden darin bestehen, dass ausdrücklich auf die Möglichkeit, eine bestimmte Sprache zu benutzen, hingewiesen wird, z.B. durch entsprechende Kennzeichnung eines Büros oder Schalters. Dies erlaubt Sprechern einer Minderheitensprache zu erkennen, wo sie ihre Sprache benutzen können, da Behördenmitarbeitern anders ihre Sprachkompetenz nicht anzusehen ist. Spracherwerbs- und -gebrauchsplanung <?page no="27"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 27 Es ist durchaus sinnvoll, Spracherwerbs- und -gebrauchsplanung als eigenständige Kategorien im praktischen Sprachplanungsprozess zu betrachten. Allerdings ist Spracherwerbsplanung streng genommen Teil der Implementierung der Statusplanung. Sprachgebrauchsplanung beschäftigt sich auch z.B. mit der terminologischen Entwicklung einer Sprache und greift damit in die Korpusplanung ein, etwa wenn der norwegische Staat norwegische Übersetzungen für englischsprachige Begriffe für Neuentwicklungen in der IT-Branche vorschlägt. Zum Versuch, den Gebrauch einer Sprache zu verbreiten, gehören auch Maßnahmen, Sprachen in einzelnen Domänen des Sprachgebrauchs zu fördern. Im Extremfall geschieht dies durch gesetzliche Bestimmungen wie in Frankreich, wo das Französische als Sprache internationaler Tagungen festgeschrieben ist, die zwar durch andere Sprachen wie Englisch ergänzt, aber nicht völlig ersetzt werden darf. Abbildung 3: Übersicht über sprachpolitische Kernbegriffe nach Haugen, Haarmann, Hornberger und Lo Bianco unter Einbeziehung von Konzepten der deutschsprachigen Tradition. Schließlich hat Lo Bianco (2005) vorgeschlagen, Diskursplanung (discourse planning) als sechste Kategorie der Sprachpolitik bzw. -planung einzuführen. Diskurs wird im sprachpolitischen Kontext beschrieben als „means for the negotiation and constitution of the problems, issues, and identities, that are involved in the preceding activities of language planning“ (Lo Bianco 2005: 259). Es handelt sich bei der Sprachdiskurspolitik also um die Steuerung bzw. Beeinflussung gesellschaftlicher Diskussionen mit dem Ziel, die Deutungshoheit über sprachpolitische Realitäten, Wahrnehmungen, Wünsche, Ziele und Maßnahmen zu erlangen bzw. zu behalten. Dabei ist dem Begriff des Diskurses inhärent, dass eine Beschäftigung damit sowohl explizite sprachpolitische Diskurse behandeln kann, gleichermaßen aber sich mit Diskursen beschäftigt, die Sprachpolitik nur indirekt betreffen, etwa zu Werthaltungen zu Diskursplanung <?page no="28"?> 28 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Sprache und sprachlichen Formen. Das Konzept der Diskursplanung entstammt der Wahrnehmung, dass sich Sprachpolitik in einem kontinuierlichen Fluss befindet und von Meinungen und Praktiken in der Gesellschaft permanent beeinflusst und verändert wird. Somit ist die Idee der Diskursplanung eng mit der sprachpolitischen Analyse von Ideologien verbunden (vgl. dazu auch Kapitel 4 und 9). Gleichzeitig weist die sprachpolitische Betrachtung von Diskursen Überschneidungen mit dem Begriff der Sprachkultur auf, da in beiden Fällen in einer Gesellschaft verinnerlichte Werthaltungen, die oft eher implizit sprachliches und sprachpolitisches Handeln beeinflussen, zum Ausdruck kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Sprachkulturplanung bisher keine Verbreitung gefunden hat, auch wenn er im Grunde etwas Ähnliches bezeichnen würde wie die Diskursplanung. Abbildung 3 fasst die oben diskutierten Unterscheidungen der klassischen sprachpolitischen Theorie in der Tradition von Haugen und Haarmann zusammen (in Anlehnung an z.B. Hornberger 2006: 29 oder Kaplan/ Baldauf 1997: 29) und berücksichtigt auch die etwa von Vikør (1994: 101) in einer derartigen Übersicht vorgeschlagene zusätzliche Erwähnung einer Evaluierungsphase bestehender Aktivitäten - also die Beurteilung und Überarbeitung bestehender sprachpolitischer Maßnahmen. Außerdem wird in dieser Graphik davon ausgegangen, dass die deutschsprachige Tradition der Sprachkultur außerhalb der sprachpolitischen Maßnahmen steht, da hiermit allgemeine gesellschaftliche Wahrnehmungen und Werthaltungen zu Sprache(n) und zum Umgang mit diesen verbunden sind. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass gerade die traditionelle und lange die sprachpolitische Diskussion dominierende Differenzierung in Status- und Korpusplanung in jüngerer Zeit auch stark kritisiert bzw. grundsätzlich in Frage gestellt worden ist. Wie bereits in der Diskussion der deutschsprachigen Differenzierung in Sprachpolitik und Sprachenpolitik angedeutet, sind in der Praxis zwar oftmals unterschiedliche Akteure in diesen Bereichen beschäftigt. Dennoch ist eine deutliche Trennung dieser Aktivitäten oft nicht möglich. So ist die Auswahl von lexikalischen oder grammatischen Normen - also einem klassischen Bereich der Korpusplanung - immer mit der Aufwertung einer bestimmten Varietät, etwa einer dialektalen Form, und der Abwertung einer anderen Varietät verbunden. Somit wird also auch durch vermeintlich rein korpusplanerische Tätigkeiten oft Statusplanung im klassischen Sinne betrieben, wenngleich auf eher versteckte Weise. Fishman (2006) weist in seiner Argumentation darauf hin, dass Korpusplanung oft als vermeintlich ideologisch neutral betrachtet wird, während bei Statusplanung die Verbindung zu bestimmten Ideologien oder weiter gefassten politischen Grundsätzen eindeutiger ist (etwa in der Befürwortung einer Nationalsprache oder in der Marginalisierung von Minderheitensprachen). Deshalb lassen sich heikle Statusfragen unter dem Deckmantel der Korpusplanung oft leichter umsetzen. In diesem Buch wird auf diese Unschärfe der Trennung gelegentlich hingewiesen; allerdings werden Status- und Korpusplanung immer dann weiterhin verwendet, wenn diese Tätigkeiten von sprachpolitischen Akteuren so bezeichnet und von der wissenschaftlichen Literatur auch so rezipiert werden. Modell der Grundbegriffe Kritik am traditionellen Modell <?page no="29"?> 2 Grundbegriffe und Definitionen 29 ZUSAMMENFASSUNG: In der sprachpolitischen Forschung gibt es eine Reihe von Kernbegriffen, die sich ähneln und bisweilen synonym gebraucht werden. Dazu gehören im Deutschen traditionell Sprachpolitik (auf eine Sprache bezogen) und Sprachenpolitik (auf mehrere Sprachen bezogen), zwei Begriffe, die in diesem Buch als Sprachpolitik zusammengefasst werden. Etwas andere Nuancen haben Sprachplanung und -management. Ein Großteil der heutigen sprachpolitischen Forschung ist durch die englischsprachige Literatur geprägt; im Deutschen sind lange eher Konzepte wie Sprachkritik und Sprachkultur im Gebrauch gewesen. Das Verständnis von Sprachpolitik hat sich seit den 1960er Jahren stark erweitert, u.a. indem heute offene und versteckte Maßnahmen berücksichtigt werden. Eine übliche Einteilung unterscheidet status-, korpus-, erwerbs-, gebrauchs-, und prestigebezogene Sprachpolitik. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Worin unterscheiden sich in der traditionellen deutschsprachigen Benennung Sprachpolitik und Sprachenpolitik? Warum kann diese Unterscheidung sinnvoll sein und welche Gründe sprechen dagegen? 2. Diskutieren Sie, worin sich Sprachkritik, Sprachkultur und Sprachpflege von Sprachpolitik unterscheiden. Wo gibt es Überschneidungen? 3. Wie hat sich das Verständnis des Begriffes der Sprachpolitik im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gewandelt? 4. Welcher Gedanke liegt dem Begriff des Sprachmanagements zugrunde? 5. Geben Sie Beispiele für Status-, Korpus-, Prestige-, Spracherwerbs- und Diskursplanung. Überlegen Sie, wo Sie selbst mit welchen Teilen der Sprachpolitik in Berührung kommen. 6. Welche sprachpolitischen Maßnahmen kennen Sie in Ihrer Umgebung? Wie würden Sie diese klassifizieren? 7. Welches sind für Sie typische sprachpolitische Maßnahmen? Was ist Ihrer Meinung nach besonders relevant? Welche Maßnahmen sind für Sie neu? 8. Vergleichen Sie die Situation des Hochdeutschen mit dem Prestige deutscher Dialekte (etwa Bayerisch, Sächsisch, Berlinerisch). Wo wird sprachpolitisch auf deren Benutzung Einfluss genommen? 9. Denken Sie an große internationale Sprachen: Welche Einstellungen herrschen im deutschsprachigen Raum Ihrer Meinung nach bspw. zu Englisch, Deutsch, Russisch, Chinesisch, Französisch oder Arabisch vor? 10. Geben Sie Beispiele für Korpusplanung im Deutschen. Was empfinden Sie dabei als sinnvoll und was als unsinnig? <?page no="30"?> 3 Wichtige Faktoren in der Analyse sprachpolitischer Prozesse 3.1 Komplexere Modelle zum Verständnis von Sprachpolitik Neben den terminologischen Definitionen ist für das Verständnis sprachpolitischer Grundbegriffe wichtig, welche Faktoren auf die Sprachpolitik einwirken. Im folgenden Abschnitt werden einige Ansätze vorgestellt, die aus einer Perspektive der ganzheitlichen Beschreibung von Sprachpolitik versuchen, zu veranschaulichen, was in der Analyse von Sprachpolitik wichtig ist und wie damit einzelne sprachpolitische Prozesse nachvollzogen werden können. Im Gegensatz dazu stehen die folgenden Kapitel 4-9, in denen Sprachpolitik jeweils aus einer bestimmten Perspektive betrachtet wird. Erst im abschließenden Kapitel 10 des theoretischen Teils dieses Buches wird dann wieder auf die ganzheitlichen Ansätze verwiesen und der Versuch unternommen, die diskutierten Faktoren und Perspektiven in einem Modell zusammenzuführen. Ein wichtiger Ansatz in der Entwicklung der sprachpolitischen Literatur stammt von Cooper (1989: 98). In Coopers Sicht lässt sich die Analyse einer sprachpolitischen Situation in acht Fragen zusammenfassen: Which actors influence what behaviours of which people for what ends under which conditions by what means through what decision making processes to achieve what effects? Dieser Leitsatz beinhaltet sowohl theoretische Aspekte der Sprachpolitik, etwa die Ziele (ends) und die erhofften Resultate (effects), als auch praktische wie Mittel (means) oder Entscheidungsprozesse (decision making processes). Er geht auf alle Stadien des politischen Prozesses ein (d.h. die vor und während der Politik geltenden Bedingungen (conditions) und das zu beeinflussende Verhalten (behaviours)) und bezieht sich auf allen Beteiligten (sprachpolitische Akteure (actors) und Sprachbenutzer (people)). Ein Vorteil dieser Zusammenfassung von Sprachpolitik ist zweifelsohne, dass er sich nicht damit aufhält, Begrifflichkeiten gegeneinander abzuwägen, sondern versucht, eine klare Handlungsanweisung für die Analyse sprachpolitischer Situationen und Maßnahmen zu geben. In jüngerer Zeit wurde ein umfassender Ansatz z.B. von Spolsky (2004: 5) entwickelt. Spolsky benennt aus der Perspektive einer Sprachgemeinschaft drei Grundelemente, die Sprachpolitik in ihrer Gesamtheit beeinflussen und bei ihrer Analyse berücksichtigt werden sollten. Die Analyse des Sprachgebrauches (language practices) einer Sprachgemeinschaft oder in einer Region stellt heraus, welche Varietäten in welcher Form, wo und von wem benutzt werden. Damit ist dieser Begriff eng mit der Idee der Sprachökologie in einem Gebiet (siehe unten) im Sinne einer Ethnographie des Sprechens verbunden. Die Betonung des Sprachgebrauches stellt in den Mittelpunkt, dass Sprachpolitik stets von einer konkret existierenden sprachlichen Situation ausgeht, die beeinflusst werden soll. Spracheinstellungen (language beliefs) Leitsatz für die Analyse von Sprachpolitik Sprachgebrauch, -einstellungen und -intervention als „Dreiklang“ <?page no="31"?> 31 dagegen stellen die ideologische Seite dar, d.h. bewusste und unbewusste Meinungen und Werthaltungen zu Sprache, die der Sprachverwendung zu Grunde liegen. Sprachintervention (language intervention) entspricht den oben diskutierten Grundbegriffen der Sprachpolitik, und wird als weitgehend synonym mit Sprachplanung (language planning) oder Sprachmanagement (language management) bezeichnet. Dabei wird Sprachmanagement nicht in dem engen Sinne des oben vorgestellten Ansatzes von Jernudd, Neustupný und Nekvapil verstanden, sondern bezeichnet jegliche bewusste Einmischung in das Sprachverhalten. Sprachintervention ist in diesem „Dreiklang“ der grundlegenden Begriffe also der Versuch, die Sprachverwendung zu beeinflussen. Dabei kann auch auf die Spracheinstellungen Einfluss genommen werden. Die Spracheinstellungen beeinflussen die Bedingungen von Sprachpolitik als (bewusste oder unbewusste) Werthaltungen, Sprachintervention dagegen umfasst auch die von Cooper herausgestellten Methoden und Entscheidungsprozesse. Ein entscheidendes Element von Sprachpolitik ist dabei Sprachgesetzgebung. Gesetze auf staatlicher oder sub-staatlicher Ebene sind ein wesentliches Mittel, mit dem ein Staat sprachpolitische Ziele festlegen kann und umzusetzen versucht, die ihrerseits wieder auf Einstellungen und Ideologien und der Wahrnehmung und Beeinflussung von Sprachverhalten basieren (genauer zu Sprachgesetzgebung und Sprachrechten siehe Kapitel 6). Ein Vorteil des Managementbegriffes gegenüber der Verwendung der Begriffe Politik bzw. policy liegt laut Spolsky (2004) darin, dass letztere suggerierten, sprachpolitische Aktivitäten hätten deutlich mehr Einfluss auf Sprachverhalten, als dies tatsächlich der Fall ist. Sprachplanung als Begriff hat die Konnotation eines kreativen Prozesses, der von den Planern eingeleitet und ausgeführt wird. Der Begriff Management dagegen impliziert vielmehr die Intervention in Prozesse, die auch ohne bewusste Eingriffe bereits ablaufen. Dies ist insofern richtig, als dass Sprachverhalten, -wandel und -einstellungen selbstverständlich unabhängig jeglicher aktiven und offenen Sprachpolitik vorhanden sind (auch wenn Einstellungen zu Sprache nicht unabhängig von grundlegenden Ideologien in einer Gesellschaft existieren). Laut Grin bedeutet Sprachmanagement im Sinne von Diversitätsmanagement an effort to achieve certain goals deemed desirable, while using resources (funds, time, etc.) judiciously; in this sense, the management of diversity can be seen as an application of the standard economic approach (Grin 1999: 147). Seine Anwendung von Theorien aus den Wirtschaftswissenschaften ähnelt in Teilen der Terminologie von Cooper und bezieht dabei klassische Elemente wie die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen oder die Berechnung eines Nettowertes (d.h. des eigentlichen Effektes von Sprachpolitik) mit ein. Diese Parallelen stoßen allerdings dort an ihre Grenzen, wo schwer quantifizierbare Faktoren wie Machteinflüsse oder Werthaltungen berücksichtigt werden müssen, die sprachliches Verhalten maßgeblich bestimmen. Vorteile des Managementbegriffes 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="32"?> 32 I Theoretische Grundlagen und Konzepte 3.2 Ökolinguistische Modelle der Sprachpolitik Eine Reihe von Ansätzen versuchen, die Vielzahl von Faktoren zusammenzufassen, die Sprachpolitik in einem bestimmten Gebiet beeinflussen können. Diese werden als ökolinguistische Studien bezeichnet. In diesen Modellen werden nicht nur die oben angesprochenen Kernbereiche der Sprachpolitik diskutiert, sondern sie versuchen, das Zusammenspiel von Sprechern, Institutionen, sprachlichen und außersprachlichen Faktoren, und nicht zuletzt den in einem Gebiet miteinander koexistierenden bzw. konkurrierenden Sprachen zu beschreiben. Die Bezeichnung als ökolinguistische Modelle geschieht dabei in Analogie zu biologischen Ökosystemen mit ihrem Zusammenspiel der Arten und diversen Faktoren, die das Biosystem prägen und beeinflussen. Gleichzeitig ist die Analogie nicht nur metaphorisch gemeint: Eine reichhaltige sprachliche Diversität wird auch als Grundlage für ein Miteinander der Kulturen und damit auch der Menschheit in der biologischen Vielfalt der Erde gesehen (Mühlhäusler 1996, 2000). In diesem Sinne gilt für die Sprachpolitik: „A laissez faire policy towards a natural environment is equally hazardous as a laissez faire policy towards languages “ (Mühlhäusler 1996: 14). Sprachökologische Darstellungsversuche zeichnen sich im Allgemeinen durch ihre Komplexität aus. Zudem versuchen sie, sprachliche Zusammenhänge vor allem aus einer Makroperspektive zu betrachten, d.h. der Gesamtperspektive (im Gegensatz zu einer detailiierten Betrachtung räumlich begrenzter Situationen). Letzlich können ökolinguistische Modelle jedoch auf jede einzelne, auch kleinere Mikro- Situation bis hin zum Miteinander sprachlicher Varietäten innerhalb einer Familie angewandt werden (vgl. zum Begriff und zu Ansätzen in der Ökolinguistik das klassische Standardwerk von Haugen (1972), Mühlhäusler (1996, 2000), den überblicksartigen Reader von Fill und Mühlhäusler (2001) sowie auf Deutsch Fill (1993) oder Ros (2009)). Die Ökolinguistik nimmt somit eine Perspektive ein, die die Diversität der sprachlichen „ Bewohner “ einer Region und der Beziehungen zwischen ihnen zum Schwerpunkt nimmt. Diese Beziehungen sind dynamisch und schaffen ein System gegenseitiger Beeinflussung und Abhängigkeiten (Mühlhäusler 1996: 4-5). Die wesentliche Aufgabe der Sprachpolitik ist dabei, die vorhandenen Varietäten, die Sprecher(gruppen) und ihre Bedürfnisse als System zu analysieren, in dem alle wichtigen Belange einbezogen und miteinander verbunden sind. Autoren wie Phillipson oder Skutnabb-Kangas gehen sogar noch einen Schritt weiter: In ihrer Analyse der Rolle des Englischen in verschiedenen Ländern setzen sie einem Paradigma der Verbreitung des Englischen unmittelbar ein Paradigma der Sprachökologie gegenüber: Letzteres berücksichtigt Aspekte wie Menschenrechte, Chancengleichheit, Mehrsprachigkeit und Selbstbestimmung bzw. Souveränität aus einer sprachlichen Perspektive (Phillipson/ Skutnabb-Kangas 1997: 144). Für die Ermittlung und Beschreibung einer sprachökologischen Situation gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Der französische Sprachwissenschaftler Calvet schlägt eine Arbeit mit sich ergänzenden Fragebögen vor. Sprachliche Diversität im Ökosystem Arbeit mit Fragebögen <?page no="33"?> 33 Ein Fragebogen betrachtet ein ökolinguistisches System aus der Perspektive einer bestimmten Varietät und ihrer Kontaktsituationen: Welche Funktionen hat eine Sprache, und in welchen dieser Funktionen steht sie in Kontakt mit (und damit oft auch in einer Konfliktsituation zu) anderen Sprachen? Zwei weitere Fragebögen analysieren die ökolinguistische Gesamtsituation in einem Land oder einer Stadt (Calvet 2002: 81-83, 85-87). Die auszufüllenden Punkte beziehen sich dabei auf die Anzahl und Herkunft der vorhandenen Sprachen, ihre mögliche offizielle Anerkennung und Muster ihres Gebrauches. Als Ergebnis ergibt diese Methode eine Liste von Sprachen innerhalb der untersuchten Region, die ihre Größe, Status und Funktionen beschreibt. Mit einem letzten Fragebogen versucht Calvet, die offizielle Sprachpolitik zu beschreiben und zu bewerten (Calvet 2002: 83-84). Die hier formulierten Fragen beziehen sich alle auf die offizielle Politik eines Staates auf verschiedenen Ebenen (national, regional) hinsichtlich derjenigen sprachlichen Funktionen, auf die die Politik unmittelbar Einfluss nimmt. Diese Fragebogenmethode ist dabei eine mögliche Grundlage für eine Bestandsaufnahme der Situation in einem ökolinguistischen System, die auch den relativ einfachen Vergleich verschiedener Systeme ermöglicht. Ein anderer Ansatz, der gleichfalls die Bedingungen von sprachlichem Miteinander in einem Gebiet zusammenfasst, ist das Modell von Kaplan/ Baldauf (1997). Ihre Darstellung einer abstrakten geographischen Situation bezieht die Varietäten in einem Gebiet in Form einer Graphik aufeinander. Zudem umfasst sie sprachpolitische Akteure sowie eine Reihe von Rahmenbedingungen, die die politischen Ziele und Durchführung der Sprachpolitik beeinflussen (Kaplan/ Baldauf 1997: 311). Faktoren, die hier berücksichtigt werden, sind Sprachtod, Spracherhalt bzw. Wiederbelebung (einer kleinen und gefährdeten Sprache) und der damit zusammenhängende Sprachwechsel von Sprechern einer Varietät zur anderen (zu Minderheitensprachpolitik siehe Kapitel 5). Außerdem werden der sprachliche Wandel innerhalb einer Varietät, Sprachkontakt mehrerer Varietäten untereinander sowie die Entwicklung von Schriftlichkeit und Alphabetisierung mit einbezogen. Im zusammenfassenden Modell (Abbildung 4) steht das große Oval sinnbildlich für eine geographische sprachpolitische Einheit, die betrachtet wird (d.h. oftmals für einen Staat oder eine Region). Die Kreise innerhalb dieses Ovals symbolisieren die Sprachen, die in dieser Einheit vorkommen, wobei davon ausgegangen wird, dass es zumeist eine dominante Sprache gibt, die als Nationalsprache o.ä. sehr viel größere Präsenz hat als die kleinen Sprachen, die hier beispielhaft als 1-7 dargestellt sind. Eine unterschiedliche Größe der kleineren Kreise, ihre symbolische Anordnung in der Graphik und ihr Abstand oder ihre Nähe zueinander können noch einmal sinnbildhaft für die Größe der Sprachgemeinschaften, die Funktionen der Sprachen oder den linguistischen Abstand untereinander stehen. Von außen wirken dann Akteure und die oben genannten Faktoren auf dieses Ökosystem ein. Graphische Darstellung der Ökolinguistik 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="34"?> 34 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Abbildung 4: Das Modell von Kaplan/ Baldauf zu Einflüssen in einem sprachlichen Ökosystem. Wie jedes andere Modell ist auch diese Darstellung selbstredend eine Vereinfachung der Realität. Sie kann nur den Charakter einer Einordnung zu einem gewissen Zeitpunkt aus einer individuellen Perspektive darstellen. Ergänzungen oder Veränderungen hinsichtlich der Akteure, der Einflussfaktoren und auch eine Differenzierung der Varietäten entsprechend jeder individuellen Situation sind nicht nur möglich, sondern sogar notwendig, um jedem Einzelfall gerecht zu werden. Außerdem geht dieses Modell - wie viele andere - strikt davon aus, dass sprachliche Varietäten sich im Gebrauch immer klar abgrenzen lassen. Trotz dieser Mängel bietet dieses Modell jedoch die Möglichkeit, mit relativ einfachen Mitteln eine übersichtsartige Darstellung einer sprachpolitischen Situation zu erstellen, die individuell durch weitere wichtige Komponenten ergänzt werden kann. Außerdem bietet dieser Ansatz, wenn mehrere Graphiken zu unterschiedlichen linguistischen Ökosystemen erstellt werden, auch die Möglichkeit eines Vergleiches sprachpolitischer Situationen. ZUSAMMENFASSUNG: Ein verbreitetes Modell zum Verständnis von Sprachpolitik stammt von Spolsky (2004), der zwischen Spracheinstellungen, -gebrauch und -intervention/ -management unterscheidet. Dabei ist heute besonders eine ökolinguistische Perspektive von Bedeutung, die Varietäten innerhalb eines Gebietes und unterschiedlichste Faktoren, die auf diese einwirken, gemeinsam untersuchen. Eine Version der Darstellung eines sprachlichen Ökosystems ist das Modell von Kaplan/ Baldauf (1997). <?page no="35"?> 35 Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Lassen Sie sich Coopers „Mustersatz“ zum Verständnis von Sprachpolitik auf der Zunge zergehen. Erkennen Sie darin einen allgemeingültigen Ansatz zur Analyse von (sprach)politischen Situationen? Oder fehlt Ihnen etwas? Wenden Sie diese Methode auf eine Ihnen bekannte Situation an. 2. Was ist der „Dreiklang“ in der sprachpolitischen Theorie von Spolsky? 3. Welche Metapher steckt hinter dem Begriff der Sprachökologie? Stimmen Sie der Wahrnehmung von Sprachen als Ökosystem zu? 4. Wenden Sie das graphische Modell von Kaplan und Baldauf auf eine sprachpolitische Situation an (aus Ihrem Erfahrungsschatz oder unter Zuhilfenahme eines der Länderkapitel im zweiten Teil dieses Buches). Finden Sie diesen Ansatz nützlich? Wo stößt das Modell an seine Grenzen? 3.3 Akteure der Sprachpolitik Ein wichtiger Teil des sprachpolitischen Ansatzes von Kaplan/ Baldauf (1997) sind die Akteure der Sprachpolitik. In den vorherigen Kapiteln ist bereits kurz angesprochen worden, dass Sprachpolitik im weiteren Verständnis nicht nur von „klassischen” Akteuren der Politik bestimmt und umgesetzt wird, sondern letzlich jeder Mensch und jede Institution Sprachpolitik betreiben können und dies in gewisser Weise auch - bewusst oder unbewusst - tun. Die Akteure sind dabei nicht nur als eine der Kategorien in der Definition von Cooper in Erscheinung getreten, auch Spolskys Ansatz schließt die Perspektive von Sprechern bzw. Sprechergruppen als Grundlage der Sprachpolitik ein. In ihrem Modell nennen Kaplan/ Baldauf (1997: 5-13) vier große Gruppen von Akteuren der Sprachpolitik. Grundsätzlich können alle diese Gruppen dabei sowohl Status-, Korpus-, Prestige-, Gebrauchs-, Diskurs- und Spracherwerbsplanung betreiben. Die erste Kategorie Regierung umfasst alle Regierungsstellen, Ministerien, Behörden etc., die explizit den Auftrag haben, Sprachpolitik zu betreiben, d.h. zu planen und umzusetzen. Dies kann entweder im Rahmen der normalen Verwaltungsstrukturen geschehen, oder als spezielle Einrichtungen (wie etwa Sprachplanungsbehörden, Kommissionen o.ä.). Sprachpolitik durch Regierungseinrichtungen kann auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erfolgen und ist der „klassischste“ Teil der sprachpolitischen Akteure, auf den sich auch ein Großteil der Aufmerksamkeit der sprachpolitischen Forschung richtet. Die zweite Kategorie sind die Bildungseinrichtungen. Der Bildungssektor ist einer der bedeutendsten Bereiche der Sprachpolitik (siehe dazu auch Kapitel 7 zu Sprachdomänen). Die beteiligten Organisationen, vom Kindergarten über die Schule bis zur Universität und zu Institutionen der Erwachsenenbildung sowie die Behörden, die Lehrpläne erstellen und die Bildungseinrichtungen überwachen, beeinflussen Sprachgebrauch und Spracherwerb zunächst explizit - am deutlichsten in Form von Fremdsprachen- und Muttersprachunterricht. Aber auch implizit sind sie maßgeblich daran beteiligt, Sprachstandards festzuschreiben und durchzusetzen. Ein nicht unerheblicher Teil des Vier Gruppen von Akteuren 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="36"?> 36 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Prestiges bestimmter Sprachformen hängt davon ab, ob diese Teil des normalen Schulcurriculums sind oder nicht. Bildungsinstitutionen werden in der Praxis meist vom Staat geführt bzw. stehen zumindest unter dessen Aufsicht, aber auch Kirchen oder private Organisationen können Bildungsträger sein, die damit - ggf. im Rahmen gesetzlicher Vorgaben - wichtige sprachpolitische Entscheidungen treffen. Zum Dritten fallen in die Gruppe der Quasiregierungsorganisationen andere staatlich finanzierte Einrichtungen wie Krankenhäuser, Kulturinstitutionen, aber auch der Justizbereich. Sprachpolitik ist hier zumeist indirekt, d.h. sie wird von Sprachverwendung und ihr zugrunde liegenden Prinzipien bestimmt. Eine explizite Formulierung von sprachplanerischen Zielen ist dagegen eher selten. Ausnahme sind Kulturorganisationen, deren Ziel die Förderung einer bestimmten Kultur und der damit verbundenen Sprache ist. Die letzte Gruppe wird von Kaplan/ Baldauf mit „andere Organisationen“ bezeichnet und weist darauf hin, dass letztlich jede Institution eine - zumeist implizite - Sprachpolitik betreibt. Ebenso wie für die Quasiregierungsorganisationen gilt auch für private Unternehmen, dass Sprachpolitik meist indirekt durchgeführt wird. Beispiele dafür sind Anforderungen an die Mitarbeiter, bestimmte Sprachkenntnisse aufzuweisen oder bestimmte sprachliche Standards einzuhalten. Diese werden nicht zuletzt durch die Bedürfnisse bzw. Erwartungen der Kunden bestimmt. Von staatlicher Seite werden private Unternehmen beeinflusst, wenn es explizite Gesetze gibt, die die Verwendung bestimmter Sprachen z.B. in der Buchhaltung, Werbung oder bei der Kennzeichnung von Produkten vorschreiben. Aufgrund der Anpassung an die Bedürfnisse der Kunden lassen sich gerade anhand der Sprachpolitik in Privatunternehmen Einstellungen zu Sprachen in der Bevölkerung gut erkennen. Die vier Kategorien von Kaplan/ Baldauf sind als Orientierung nützlich, allerdings gibt es einige weitere Akteure der Sprachpolitik, die keine Berücksichtigung finden. Der Schwerpunkt der anderen Organisationen auf Wirtschaftsunternehmen muss ergänzt werden etwa durch nicht-staatliche politische Organisationen wie Parteien, NGOs oder Aktivistenorganisationen (vgl. zur Rolle von Aktivisten in unterschiedlichsten sprachpolitischen Situationen Spolsky 2009: 181-205). So sind gerade im Bereich der Minderheitensprachen private Vereine und Gruppen wichtig, die wiederum entweder explizit die Förderung einer bestimmten Sprache zum Ziel haben, oder das eher implizit tun. Dazu gehören auch Theater, Kinos oder Musikgruppen, die bewusst in einer Minderheitensprache arbeiten. Weitere Akteure: Private Organisationen und Personen <?page no="37"?> 37 Abbildung 5: Sprachpolitik einer touristischen Organisation: Zweisprachige Information und zehnsprachiger Willkommensgruß am Schloss Chambord (Tal der Loire, Frankreich). Darüber hinaus können auch einzelne Freundeskreise oder Familien und letztlich jedes Individuum für sich als sprachpolitische Akteure bezeichnet werden. Spolsky (2004: 10) formuliert dies so, dass jede Mutter oder jeder Vater, die den Sprachgebrauch ihrer Kinder verbessern, Sprachpolitik betreiben. Durch gezielte Intervention werden phonetische oder grammatikalische Abweichungen von der Norm korrigiert, etwa wenn dialektale Ausdrücke abgelehnt werden und die Standardsprache damit als prestigeträchtig markiert wird. Auch die Ächtung von Vulgärausdrücken in der Familie ist eine korpusplanerische Variante einer sprachpolitischen Ideologie. Ebenso betreiben Familien Statusplanung, wenn sie darüber entscheiden, welche Sprache(n) ihre Kinder als Muttersprache(n) lernen, welche Sprache die Hauptunterrichtssprache in Kindergarten und Schule ist und welche Fremdsprachen von den Kindern gelernt werden sollen (zu Beispielen der Erforschung von Familiensprachpolitik siehe Schwartz/ Verschik 2013). Die sprachpolitische Literatur hat sich traditionell eher mit der Makroebene beschäftigt, oftmals in Form von Analysen staatlicher Sprachpolitik. 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="38"?> 38 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Dementsprechend stehen auch in diesem Buch staatliche sprachpolitische Maßnahmen im Vordergrund, auf die ggf. durch private Organisationen in größerem Stil reagiert wird. Insgesamt sollte aber das Bewusstsein dafür existieren, dass in sprachpolitischen Situationen unterschiedlichste Akteure interagieren, so wie sich dies auch in den von Spolsky definitierten Bereichen widerspiegelt: Ideologien, Sprachgebrauch und planerische Intervention stehen hinter dem Verhalten in jeder sprachlichen Situation, ganz gleich, wie bewusst oder unbewusst sprachpolitisches Handeln ist. Lo Bianco (2010) argumentiert in diesem Kontext, dass es vier grundsätzliche Wege sprachpolitischer Aktivitäten gibt. Dies sind erstens offizielle Texte und Verlautbarungen wie Gesetze und Sprachpläne. Zweitens gehören öffentliche Diskurse dazu, also „statements, discussions and public attitudes that accompany or respond to, or precede public texts“ (Lo Bianco 2010: 49), in denen sprachpolitische Maßnahmen diskutiert werden. Zum Dritten ist auch „performative action“ eine Art des sprachpolitischen Handelns: Diese Kategorie ähnelt Spolskys Wahrnehmung des Sprachgebrauches als Teil der Sprachpolitik, bezieht sich bei Lo Bianco aber ausdrücklich auf Personen und Institutionen mit Vorbildcharakter (im Sinne eines bestimmten sprachpolitischen Zieles): „This is essentially about what powerful and significant individuals, institutions and entities, collectivities and communities actually do in their communicative practice“ (ibid.). Schließlich bezeichnet „deliberative process“ die bewusste Einbeziehung von sprachpolitischen Experten, Sprechergruppen und Machthabern zum gemeinsamen Erarbeiten und Aushandeln einer Sprachpolitik. Auf die unterschiedlichen Gruppen der sprachpolitischen Akteure bezogen, zeigen sich gewisse Unterschiede in den Wegen, die den Akteuren zur Verfügung stehen. So stehen offizielle Verlautbarungen vor allem den Regierungsstellen, Bildungsinstitutionen und ggf. regierungsähnlichen Institutionen zur Verfügung. In geringerem Maße können auch Privatunternehmen und Aktivistengruppen derartige Mittel einsetzen, etwa wenn ein großes Unternehmen offizielle sprachpolitische Regeln veröffentlicht (wenngleich diese dann natürlich nur auf den Einflussbereich des Unternehmens wirken). Öffentliche Diskussionen können von Regierungsstellen, Unternehmen ebenso wie von Individuen und kleinen Personengruppen angeregt werden. Performative Arten der Sprachpolitik sind dagegen insbesondere für Gruppen von Bedeutung, die wenig Einfluss auf offizielle Stellen haben, Lo Bianco (2010: 49) spricht nicht zuletzt auch von möglichem subversivem, transgressivem und unterminierendem Verhalten. Schließlich setzen die bewussten Prozesse voraus, dass eine Diskussion zwischen unterschiedlichen Akteuren stattfindet; auch hier können - je nach politischer Situation - Akteure aller Ebenen teilhaben. 3.4 Auswärtige Sprachpolitik Ein spezieller Teil der Sprachpolitik, der im Zusammenhang von sprachpolitischen Akteuren besprochen werden sollte, ist der der Auswärtigen Sprachpolitik (exterior language policy). Auswärtige Sprachpolitik ist im Allgemeinen Teil der Außenpolitik eines Landes und wird vom Staat bzw. von staatlich unterstützten Organisationen ausgeführt. Sie gehört damit weitgehend zur Offizielle Texte, öffentliche Diskurse, performative action , deliberative processes Wege der Teilnahme an sprachpolitischen Prozessen Francophonie, Goethe-Institut, British Council <?page no="39"?> 39 Statusplanung, also der Aufwertung einer bestimmten Varietät (zumeist einer Nationalsprache) im sprachökologischen System eines anderen Landes. Abbildung 6: Auswärtige Sprach- und Kulturpolitik Chinas: Das Konfuzius-Institut an der Universität Tallinn, Estland. Gleichzeitig ist die auswärtige Sprachpolitik auch eng mit der Spracherwerbspolitik verbunden: Ein Staat wirkt darauf hin, dass seine Sprache von möglichst vielen Menschen als Fremdsprache gelernt wird. Ein bekanntes Beispiel für die Förderung einer Sprache im Ausland ist die Francophonie. Diese sprach- und kulturpolitische Organisation verbindet Länder, in denen Französisch von vielen Menschen als Mutter- oder Zweitsprache gesprochen wird (z.B. Frankreich, Kanada, ehemalige französische Kolonien in Afrika) mit Ländern, die eine besondere Verbindung zur französisch(sprachig)en Kultur empfinden (z.B. Rumänien). Die Idee ist dabei, der französischen Sprache und französischsprachiger Kultur Aufmerksamkeit und Einfluss in der Welt zu sichern, gerade auch als Gegengewicht zum Englischen. Ähnliche Zusammenschlüsse gibt es auch seitens der spanisch- oder portugiesischsprachigen Länder. Auf nationalstaatlicher Ebene wird auswärtige Sprachpolitik oft in Form der Finanzierung bzw. Unterstützung einzelner Institutionen betrieben. Für die deutsche Sprache ist dabei vor allem das Goethe-Institut zu nennen, das weltweit Kulturveranstaltungen organisiert, Sprachkurse anbietet, Bibliotheken finanziert und damit versucht, der deutschen Sprache internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen und sie Interessierten zugänglich zu machen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst vergibt Stipendien an deutsche Studierende und Wissenschaftler, die im Ausland studieren bzw. forschen möchten, ebenso wie an ausländische Studierende und Forscher, die vorübergehend an einer deutschen Wissenschaftseinrichtung tätig sein möchten. Auswärtige Sprachpolitik in der Praxis Auswärtige Sprachpolitik Deutschlands 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="40"?> 40 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Aber auch die Finanzierung oder organisatorische Förderung deutscher Schulen und deutschsprachiger Unterrichtsprogramme im Ausland oder die Verbreitung einer deutschsprachigen Medienpräsenz durch die Deutsche Welle sind Mittel der auswärtigen Sprachpolitik Deutschlands. Ziel ist stets, deutsche Sprachkenntnisse und Wissen über Deutschland zu vermitteln. Dadurch sollen Interesse und Verbindungen zu Deutschland aufgebaut werden, die nicht zuletzt auch von wirtschaftlicher Bedeutung sein können. Auf vergleichbare Weise betreibt Großbritannien die Filialen des British Council und den BBC World Service und Spanien das Instituto Cervantes. Aber auch kleinere Länder unterhalten derartige Institutionen wie etwa das Dänische Kulturinstitut, die dann oft nur in einzelnen Regionen der Welt tätig sind und keinen Anspruch auf globale Präsenz stellen. Auch wenn die auswärtige Sprachpolitik in erster Linie durch staatliche und staatlich finanzierte Akteure betrieben wird, kann auch in diesem Bereich jede Person dazu beitragen, bestimmte Varietäten auf internationaler Ebene zu fördern (oder dies eben nicht zu tun). So steht die Entscheidung von Einzelnen, sich im Ausland stets der Muttersprache zu bedienen, im Kontrast zu Versuchen, auch als Tourist oder in Wirtschaftsbeziehungen die Sprache des Gastlandes bzw. des Wirtschaftspartners zu erwerben. Dies hängt im Einzelfall nicht nur von der individuellen Sprachkompetenz ab, sondern auch von damit verbundenen Einstellungen und der Praxis eines gegenseitigen Aushandelns, auf welche Sprache man sich in einer konkreten Kommunikationssituation einigt bzw. wie man diese Einigung zu beeinflussen versucht. ZUSAMMENFASSUNG: An den Akteuren wird besonders sichtbar, wie umfassend Sprachpolitik heute verstanden wird. Neben klassischen Akteuren wie Regierungen und Behörden sind Bildungseinrichtungen besonders wichtig. Letztlich hat aber jede Organisation, jede Firma, jeder Verein eine eigene Sprachpolitik, und auch Familien und Individuen sind sprachpolitische Akteure. Eine besondere Rolle spielen Aktivisten wie NGOs, insbesondere in der Minderheitensprachpolitik. Die Akteure können dabei auf sehr unterschiedlichen Wegen Sprachpolitik beeinflussen. Eine Sonderform der Sprachpolitik ist die Auswärtige Sprachpolitik. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Welche Akteure können Sprachpolitik betreiben? Was für Einteilungen sind dabei sinnvoll? Können die Akteure immer klar abgegrenzt werden? 2. Welche grundsätzlichen Unterschiede gibt es in den Möglichkeiten zu sprachpolitischen Aktivitäten von staatlichen Stellen, privaten Organisationen und Einzelpersonen? 3. Welche sprachpolitischen Akteure fallen Ihnen in Ihrem Umfeld auf? Wer beeinflusst Ihr eigenes Sprachverhalten und Ihre eigenen Werthaltungen zu Sprache(n) am deutlichsten? 4. Was für eine Sprachpolitik haben Sie selbst? Denken Sie daran, welche Sprachen und Varietäten von Sprache Sie gebrauchen, lernen und welche Formen Sie im Sprachgebrauch anderer befürworten bzw. ablehnen. Wo Andere Länder <?page no="41"?> 41 betreffen Ihre sprachpolitischen Ansichten nur Ihr eigenes Sprachverhalten und wo beeinflussen Sie damit auch Ihr Umfeld? 5. Institutionen wie das Goethe-Institut sind teuer und verbrauchen nicht unerhebliche Summen an Steuergeldern. Welche Überlegungen stecken von der Seite des Staates dahinter? Finden Sie diese Politik richtig? 3.5 Weitere wichtige Konzepte in der Analyse von Sprachpolitik 3.5.1 Sprachpolitik von oben und von unten und auf Mikro- und Makroebene In diesem Kapitel sollen noch einige weitere allgemeine Aspekte angesprochen werden, die regelmäßiger Teil sprachpolitischer Diskussionen sind. Ein wichtiger Gegensatz liegt im Unterschied zwischen Sprachpolitik von oben (topdown) und von unten (bottom-up). Maßnahmen, die von Politikern, Behörden, der Regierung o.ä. den Sprachgemeinschaften auferlegt werden, z.B. Sprachgesetze, sind Teil einer Sprachpolitik von oben. Sprachpolitik von unten sind z.B. Strategien, die von einer Sprachgemeinschaft oder zumindest einzelnen Aktivisten selbst initiiert und durchgeführt werden. Nettle/ Romaine (2000: 200) argumentieren in diesem Zusammenhang, dass Maßnahmen dann am wirkungsvollsten sind, wenn sie Elemente von oben und von unten verbinden - da dadurch gewährleistet werden kann, dass die Beteiligten nicht gegeneinander agieren. Gesetzgebung und andere Regierungsmaßnahmen können wirkungsvoll sein, indem sie einen stabilen Rahmen für politische Maßnahmen schaffen. Diese werden sich aber nur bedingt durchsetzen, wenn sie im Gegensatz zu den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung stehen, bzw. wenn nicht zumindest bedeutende Teile der Bevölkerung diese unterstützen. Diese Unterteilung ist - wie alle theoretischen Modelle - eine Vereinfachung der Realität: Es gibt Zwischenstufen, etwa wenn Schulen eine Sprachpolitik verfolgen, die von einzelnen Lehrern in Zusammenarbeit mit Eltern und Schülern initiiert ist, aber im gesetzlich festgelegten Rahmen stattfindet. Letzterer Aspekt ist auch wichtig, wenn wir die damit in Verbindung stehende Differenzierung zwischen Sprachpolitik auf der Mikro- und auf der Makroebene unterscheiden, entsprechend den in den Sozialwissenschaften allgemein üblichen Kriterien. Sprachpolitik im Makrobereich betrifft die gesamte Gesellschaft oder einen gesamten Staat. Sie betrachtet die sprachlichen Verhältnisse aus einer ganzheitlichen Perspektive und setzt die Rahmenbedingungen, die in Bezug auf einzelne Situationen nicht näher differenziert werden. Sprachpolitik auf der Makroebene wird zumeist von allgemein staatlich agierenden Sprachplanern wie Regierungsinstitutionen durchgeführt. Sie ist somit in der Praxis oftmals mit der Sprachpolitik von oben verbunden, muss dies jedoch nicht sein: Auch eine Initiative von Aktivisten kann Sprachpolitik auf der Makroebene sein, wenn diese versucht, eine Gesetzesänderung zu bewirken, die Konsequenzen für weite Teile eines Landes hätte. Dem steht die Sprachpolitik auf der Mikroebene entgegen - kleine politische Maßnahmen mit beschränktem Wirkungsradius in einem Stadtteil, einem Dorf, hinsichtlich einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder auch nur Mikro- und Makroebene 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="42"?> 42 I Theoretische Grundlagen und Konzepte einer einzelnen Institution wie einer Schule, einer Behörde, einem Unternehmen o.ä. Streng genommen hat jeder Mensch seine eigene individuelle Mikrosprachpolitik, indem bestimmte Sprachnormen bewusst oder unbewusst propagiert und angewandt werden. Mikrosprachpolitik ist oft mit Graswurzelbewegungen und Sprachpolitik von unten verbunden, die in einem eng abgegrenzten Rahmen stattfindet. Gleichzeitig kann Mikrosprachpolitik auch von oben initiiert sein, etwa wenn staatliche Akteure eine Maßnahme im Bildungssystem durchführen, die auf eine oder wenige Schulen oder Universitäten begrenzt bleibt. Zusätzlich zu den Begriffen Makro und Mikro wird manchmal der Begriff der Mesoebene gebraucht, um Zwischenstufen zu kennzeichnen. Dieser ist z.B. zur Unterscheidung von politischen Maßnahmen der Regierung eines Landes, der Verwaltung einer Stadt oder eines Stadtteils und einzelner Institutionen sinnvoll. Der Unterschied zwischen Makro- und Mikroperspektive ist insgesamt nicht nur in der Praxis von Bedeutung, sondern kennzeichnet vor allem auch Ansätze der sprachpolitischen Forschung. 3.5.2 Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit Ein weiterer grundlegender konzeptueller Unterschied wird oft zwischen Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit gemacht. Dieser bestimmt nicht zuletzt auch die traditionelle Wahrnehmung des Unterschiedes zwischen (mehrsprachiger) Status- und (einsprachiger) Korpusplanung. Dabei gilt dieser Unterschied sowohl für Personen als auch für Gesellschaften bzw. Staaten oder Regionen. Einsprachige Personen sind durchaus nicht selten, nicht zuletzt in großen Nationalstaaten mit einer dominanten Ideologie, die Sprache, Nation und Staat verbindet wie Deutschland, Frankreich, Russland oder Polen. Auch in Ländern, in denen eine global bedeutende Sprache dominiert, aufgrund derer die Beherrschung anderer Sprachen von vielen Menschen als entbehrlich eingeschätzt wird, gibt es viele Menschen, die weitgehend einsprachig sind - wie in Großbritannien, den USA oder vielen spanischsprachigen Staaten Lateinamerikas. Global betrachtet ist aber die Mehrheit der Menschheit nicht einsprachig, und auch die Einsprachigkeit vieler Menschen in Ländern wie Deutschland gilt nur dann, wenn Dialekte oder eine Differenzierung von Stilebenen und sozialen Varietäten vernachlässigt werden. Außerdem stellt sich die Frage, wie viel Kompetenz in einer zweiten Sprache notwendig ist, um nicht mehr als einsprachig zu gelten. Definitionen für den Begriff „zwei-“ bzw. „mehrsprachig“ gibt es viele. Konsens ist weitgehend, dass eine gewisse funktionale Mehrsprachigkeit gefordert ist - die bloße Kenntnis einzelner Lexeme in einer anderen Sprache reicht also nicht aus, um als mehrsprachig zu gelten. Es wird normalerweise aber nicht annähernd verlangt, dass einer Person in einer zweiten Sprache all diejenigen sprachlichen Funktionen zur Verfügung stehen, die sie in der Erstsprache ausführen kann (zu einer aktuellen Mehrsprachigkeitsdiskussion, in der viele traditionelle Konzepte hinterfragt werden, vgl. Aronin/ Singleton 2012). Individuelle Ein- und Mehrsprachigkeit <?page no="43"?> 43 Abbildung 7: Deutschland als einsprachiges oder als mehrsprachiges Land mit Deutsch als Hauptsprache? Schild am Centrum Judaicum in Berlin. Im Gegensatz zur individuellen Einsprachigkeit ist es fragwürdig, ob es so etwas wie gesellschaftliche Einsprachigkeit, also einsprachige Staaten oder Regionen, überhaupt gibt. Auch in Gebieten, die hinsichtlich der Erstsprache der Bevölkerung weitgehend homogen sind, spielen fast immer andere Sprachen zumindest eine eingeschränkte Rolle, als Fremdsprachen oder auch durch die Sprachen von Migranten. Spolsky (2004) verbindet Klassifikationen von Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit mit Sprachpolitik. Ein- und Mehrsprachigkeit und deren Bedeutung für die nationale Identität beeinflussen maßgeblich die Frage, was für eine Art von Sprachpolitik ein Staat durchführt und welche sprachpolitischen Initiativen aus der Bevölkerung zu erwarten sind. Dabei zitiert Spolsky Lambert (1999), nach dem sich einige eindeutige Tendenzen erkennen lassen. Nach Lambert verbinden Länder, die von ihrer Ideologie her einsprachig sind, zumeist eine Sprache mit ihrer nationalen Identität. Sprachpolitische Aktivitäten befassen sich meistens mit Korpusplanung für die Nationalsprache sowie einer Sprachverbreitungspolitik (so z.B. auch in Deutschland oder Frankreich). In Ländern mit zwei oder drei Nationalsprachen dominieren dagegen Fragen der Statusplanung (etwa in Belgien oder der Schweiz). In Staaten, in denen keine Sprache konstituierend für die Nation ist, kann es zu Statusplanung kommen, die bestimmte Varietäten bevorzugt und ggf. auch zu offiziellen Sprachen ausbaut, es können aber auch korpusplanerische Aktivitäten dominieren, etwa um Sprechern von Minderheitensprachen Zugang zu mehr sprachlichen Funktionen zu ermöglichen. Spolsky betont dabei, dass es in fast allen Fällen nicht um die tatsächliche Mehrsprachigkeit, sondern um die Ideologie des jeweiligen Staates geht, die in eklatantem Gegensatz zur sprachlichen Realität stehen kann. So ignorieren Länder wie Frankreich oder Gesellschaftliche Ein- und Mehrsprachigkeit 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="44"?> 44 I Theoretische Grundlagen und Konzepte auch viele arabische Länder, in denen nur eine Sprache (Französisch bzw. Arabisch) offiziellen Status hat, die Vielzahl der existierenden Minderheitensprachen. Außerdem ist durch Migrationsbewegungen an vielen Orten eine neue Mehrsprachigkeit entstanden, auf die Staaten reagieren müssen, etwa durch Spracherwerbspolitik für Migranten. Schließlich fordern die Globalisierung und die Rolle des Englischen weltweit viele Staaten dazu auf, sich mit einer Fremdsprachenpolitik zu befassen, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Somit lässt sich zusammenfassen, dass das Postulat der gesellschaftlichen Einsprachigkeit fast immer im Widerspruch zu einer mehrsprachigen Realität steht. Dieser Widerspruch ist vielerorts Ursache für Sprachkonflikte, die durch eine gezielte Sprachpolitik verschärft oder auch besänftigt werden können (vgl. dazu auch Kapitel 4 zu Ideologien). 3.6 Sprachpolitik im Kontext von Sprachwissenschaft und Nachbardisziplinen Wie in den obigen Abschnitten verdeutlicht, steht die sprachpolitische Forschung in engem Zusammenhang mit vielen anderen wissenschaftlichen Traditionen und ist in diesem Sinne genuin interdisziplinär. Dies betrifft sowohl den theoretisch-methodischen Hintergrund der sprachpolitischen Analyse als auch die praktische Anwendung in der Forschung. Ricentos Einführungswerk in die Sprachpolitik widmet geschichtswissenschaftlichen Ansätzen (Wiley 2006), ethnographischen Methoden (Canagarajah 2006), geolinguistischen (Cartwright 2006) und psycho-soziologischen (Baker 2006) Analysen sowie linguistischen Methoden im engeren Sinne (Wodak 2006) eigene Kapitel (Ricento 2006, Kapitel 8-12). Dabei wird in der Praxis oft deutlich, dass erst eine Kombination von Methoden ein umfassendes Verständnis einer Situation ermöglicht. Von den Methoden getrennt werden in Ricentos Buch einige übergeordnete wissenschaftstheoretische Hintergründe diskutiert, die der Forschung zu Grunde liegen können (Ricento 2006: Kapitel 3-7). Dies sind die kritische Theorie (Tollefson 2006), deren Einfluss auf die sprachpolitische Forschung bereits im Zusammenhang mit der (Kritischen) Diskursanalyse angedeutet wurde (Kapitel 2, siehe auch Kapitel 4 und 9) oder der Postmodernismus (Pennycook 2006, vgl. auch die Diskussion zur Aufweichung der Wahrnehmung klarer Grenzen von Sprachen in Kapitel 2). Die Anwendung ökonomischer Ansätze (Grin 2006) wurde bereits in der Diskussion des Begriffs Sprachmanagement (Kapitel 3) angesprochen. Politische Theorie (Schmidt 2006) betont die geisteswissenschaftlichen Traditionen verbundene politikwissenschaftliche Forschung, während Sprachkultur schließlich (siehe auch Kapitel 2) im Zusammenhang mit Kulturtheorie (Schiffman 2006) im Kontext weiter gefasster kultureller Analysen steht. Schließlich geht Ricentos Einführung (2006: Kapitel 13-19) auch ausdrücklich auf einige wichtige Kernthemen ein, die in der sprachpolitischen Forschung immer wieder eine Rolle spielen. Dazu gehören Fragen von (nationaler) Identität, Minderheiten, Menschenrechten, Bildung, Sprachwechsel (zumeist die Verdrängung einer Sprache durch eine andere bzw. Maßnahmen, die dies verhindern sollen), Gebärdensprachen und sprachlicher Imperialismus. Auch Widerspruch Wahrnehmung - Realität Wissenschaftliche Traditionen und Hintergründe Interdisziplinäre Kernbegriffe <?page no="45"?> 45 hier überlappen sich viele Themen, etwa Sprachrechte, Minderheiten und Sprachwechsel. In den folgenden Kapiteln werde einige dieser Schlagworte aufgegriffen und durch weitere wichtige Aspekte der sprachpolitischen Diskussion ergänzt. Dass Sprachpolitik heute allerdings nach wie vor - bei aller Interdisziplinarität und einer gewissen Aufweichung von Fachgrenzen - in der Soziolinguistik und damit in der Sprachwissenschaft angesiedelt ist, liegt nicht zuletzt an der oben skizzierten historischen Entwicklung. Es waren eben primär Sprachwissenschaftler, die sich ursprünglich mit sprachpolitischen Fragen beschäftigten. Der Unterschied zur Sprachsoziologie oder zu sprachpolitischen Fragen in der Politikwissenschaft liegt dabei auch heute noch vor allem im Fokus auf der Sprache, den Sprechern und den Entwicklungstendenzen im Gebrauch von Sprache und Sprachen. Dieser steht im Gegensatz zu einem Erkenntnisinteresse, das auf soziale Prozesse oder politische Strukturen abzielt, wofür Sprache nur ein Faktor unter mehreren ist. Während viele dieser Kernthemen in den folgenden Kapiteln 4-8 genauer diskutiert werden, werden methodologische und theoretische Ansätze und ihre Überschneidungen in Kapitel 9 noch einmal genauer thematisiert. ZUSAMMENFASSUNG: Ein wichtiger Unterschied im Verständnis von Sprachpolitik besteht zwischen Sprachpolitik von oben und von unten; eine weitere Unterscheidung ist die zwischen Mikro- und Makropolitik. Von Bedeutung sind außerdem Wahrnehmungen von Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit und Implikationen, die damit verbunden sind, welche Variante als Normalität angesehen wird. Die Beschäftigung mit Sprachpolitik ist eine genuin interdisziplinäre Tätigkeit, die aus der Soziolinguistik in viele Nachbarfächer hineinragt und viele Methoden und Ansätze von diesen übernommen hat. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Wie steht Sprachpolitik als interdisziplinäre Wissenschaft im Verhältnis zu anderen akademischen Kontexten und Traditionen? 2. Ist für Sie Einsprachigkeit oder Mehrsprachigkeit der Normalfall? Denken Sie an Personen in Ihrer Nachbarschaft, bei der Arbeit, in Ihrer Familie und Ihrem Freundeskreis. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob jemand für Sie als mehrsprachig gilt? 3. Suchen Sie in Ihrer Umgebung nach Beispielen für Sprachpolitik auf Mikro- und auf Makroebene. Wo ist eine Abgrenzung schwierig? 4. Was ist der Unterschied zwischen Sprachpolitik von oben und von unten? Was für Erfolgschancen haben sprachpolitische Aktivitäten von oben und von unten bzw. wo können diese scheitern? 3 Faktoren in der Analyse von Sprachpolitik <?page no="46"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität und Nationalismus 4.1 Ideologien und Motivationen Wie in den vorigen Kapiteln bereits mehrfach zur Sprache gekommen ist, gibt es sehr viele unterschiedliche mögliche Ziele, die mit sprachpolitischem Handeln verfolgt werden. Eng verbunden mit diesen Zielen sind die von Spolsky betonten Einstellungen und Werthaltungen zu Sprache und zum Sprachverhalten einer Person oder einer Gruppe, auf die Sprachpolitik zu reagieren versucht. Die Suche nach den Motivationen von Sprachpolitik ist somit eine der grundlegenden Beschäftigungen der sprachpolitischen Analyse. Dabei können diese Motivationen als „Glaubensgrundsätze“ explizit formuliert sein, sie können sprachpolitisches Handeln aber auch nur implizit bestimmen. Gleichzeitig kann Sprachpolitik auch immer als Ausdruck bestimmter Machtverhältnisse gesehen werden, die Ziele und Motivationen verschiedener Sprechergruppen und sprachpolitischer Akteure bestimmen (vgl. u.a. Wright 2004). Dies gilt wiederum sowohl für Sprachpolitik im Kleinen als auch im Großen, auf Makro- und auf Mikroebene. Sprachpolitik ist somit - wie menschliches Handeln in vielen Bereichen des Lebens und der Politik - kaum losgelöst von einer zumindest implizit zugrunde liegenden Perspektive auf die Welt, ohne Werthaltungen, ohne Ideologie und Meinungen dazu, was als „normal“ angesehen wird, denkbar. Dabei vertritt auch die Negierung der Existenz einer Ideologie implizit bereits Werthaltungen, etwa wenn der „pragmatische“ Charakter sprachpolitischer Maßnahmen betont wird, der ausschließlich das Lösen individueller Probleme zum Anspruch hat. In der Praxis bedeutet dies zumeist nichts anderes, als dass das Handeln durch die in einer Gesellschaft implizit vorherrschenden Werte bestimmt wird. Robichaud/ De Schutter (2012: 145) betonen, dass neben der reinen Kommunikation(sfähigkeit) als ultimativem Ziel einer Sprachpolitik, die Sprache nur als Werkzeug zum Erreichen anderer Interessen sieht, durchaus andere Motive hinter einer derartigen Haltung stehen können: Dies können wirtschaftliche Gründe sein, aber auch abstraktere politische Ziele wie die Einheit einer Nation, Demokratie oder auch kulturelle Diversität, Gleichheit, Autonomie oder Würde von Personen, Bevölkerungsgruppen und Kulturen. Es können also auch der Respekt vor der Vielfalt, der gleiche Zugang zu Bildungsressourcen oder andere demokratische Ideen Grundlage von Haltungen sein, für die Sprache an sich kein Selbstzweck ist. Und, wie in der Diskussion von Zielen der Sprachpolitik weiter unten zu sehen sein wird, ist es richtig, dass in vielen Fällen die Sprache selbst nur eine Komponente in einer Gemengelage an Motiven ist. Sprachpolitik „ ohne Ideologie “ <?page no="47"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität, Nationalismus 47 Abbildung 8: Reihenfolge und Größe von Sprachen als Ausdruck von Machtverhältnissen und Normalität im Diskurs einer Gesellschaft: Deutsch-niedersorbisches Ortsschild im Spreewald. In der sprachpolitischen Forschung hat seit ihren Anfängen ein starkes Umdenken stattgefunden. Dies kann mit den Schlagworten eines „neoklassischen“ vs. einem „historisch-strukturellen“ Ansatz gekennzeichnet werden (vgl. Ricento 1996: 128-129). Darunter wird der Übergang von eher deskriptiv angelegter Analyse zur stärkeren Fokussierung auf Ideologien oder Machtverhältnisse und damit verbunden auch einer Kritik an diesen verstanden. Wie sich auch am Begriff der Sprachdiskursplanung festmacht (vgl. Kapitel 2), sind in den letzten Jahren aus der Diskursanalyse eine Reihe von Schlüsselbegriffen in die sprachpolitische Diskussion eingebracht worden (vgl. dazu für die deutschsprachige Diskussion etwa die Arbeiten von Spitzmüller und Warnke, zur Kritischen Diskursanalyse von Wodak, siehe auch Kapitel 2 und 12). So ist es heute in der sprachpolitischen Forschung üblich zu hinterfragen, wie sich Machtstrukturen in der Sprache widerspiegeln oder in welchem Maße eine gesellschaftliche Gruppe Gehör findet. Dadurch lassen sich Erkenntnisse über implizite sprachpolitische Werthaltungen und daraus resultierende Ziele ableiten (zu Sprache und Ideologien siehe auch Blommaert 1999). Der oben gebrauchte Begriff der Motivationen in der Sprachpolitik kann außerdem in Analogie zu Motivationen beim Sprachenlernen verstanden werden, wie er vor allem in der Untersuchung von Gründen für das Fremdsprachenlernen Verbreitung gefunden hat (vgl. dazu etwa Gardner/ Lambert 1972 oder Dörnyei 1998, 2003). Dabei geht es in erster Linie darum, warum Menschen eine bestimmte Sprache sprechen und/ oder lernen (wollen). Eine grundlegende Unterscheidung, die oft noch weiter differenziert wird, wird zumeist zwischen intrinsischer und instrumenteller Motivation gemacht. Intrinsische Motivation liegt vor, wenn jemand aus von innen kommendem Interesse, aus ästhetischen Gründen, aus dem Wunsch nach der Entwicklung der Persönlichkeit o.ä. eine Sprache lernen möchte. Instrumentelle Motivation bedeutet Machtverhältnisse im Zentrum sprachpolitischer Analysen Motivationen im Sprachenlernen und -gebrauch <?page no="48"?> 48 I Theoretische Grundlagen und Konzepte dagegen, dass ein praktisches Ziel (etwa bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder die Möglichkeit, im Ausland zu studieren) das Sprachenlernen leitet. Der Ansatz der Motivationen kann dabei helfen, um Sprachpolitik im weiteren Sinne zu verstehen. Dabei ist die Entscheidung über das Sprachenlernen, die eine Person für sich oder auch z.B. für ihre Kinder trifft, im strengen Sinne auch eine sprachpolitische Handlung. 4.2 Ziele und Prinzipien der Sprachpolitik 4.2.1 Ziele nach Nahir Jenseits einer größeren ideologischen Einordnung durch diskursanalytische Studien u.ä. haben sich auch andere Autoren mit mehr oder weniger expliziten Zielen und Motivationen von Sprachpolitik beschäftigt. Auch dabei kann zwischen Motiven, die einen Wert an sich darstellen, und pragmatischen Zielen differenziert werden. So hat Nahir bereits 1984 elf klassische Ziele identifiziert (vgl. dazu z.B. Kaplan/ Baldauf 1997: 60-79). Sprachpurismus gehört zu den aus sich selbst heraus begründeten Zielen und richtet sich gegen als „falsch“ angesehene sprachliche Elemente. In der nach außen gerichteten Variante sind dies Lehnelemente aus anderen Sprachen, etwa wenn gegen die Verwendung von Anglizismen im Deutschen oder anderen Sprachen argumentiert wird. Nach innen gerichteter Sprachpurismus hat dagegen die Durchsetzung einer bestimmten Norm des „korrekten“ Sprachgebrauchs zum Ziel, etwa einer Standardsprache im Verhältnis zu Dialekten. Unter dem Stichwort der Sprachwiederbelebung, das in ähnlicher Form auch in dem Modell von Kaplan/ Baldauf als Einflussfaktor auf Sprachpolitik genannt wird, wird im Extremfall die Wiederverbreitung einer bereits ausgestorbenen Sprache verstanden. Oft handelt es sich dabei aber um die Revitalisierung einer bedrohten Sprache, was vielerorts als Reversal of Language Shift oder einfach RLS bezeichnet wird. Sprachwiederbelebung ist eng verbunden mit dem Spracherhalt. In der Praxis sind diese beiden Ziele oft schwer zu trennen. Der Unterschied zwischen beiden Konzepten liegt eher in der Wahrnemung der aktuellen Stellung der Sprache: Soll eine Sprache verteidigt werden, die an Sprechern oder an Funktionen verliert, oder geht es primär um die aktive Erweiterung von Sprechergruppen und Funktionen. Zumeist sind Spracherhalt und -wiederbelebung Teil der Minderheitensprachpolitik (vgl. dazu Kapitel 5 zu Minderheitensprachen), diese können aber auch im Kontext von Purismus, Reform oder Standardisierung (s.u.) auftreten, etwa wenn eine bestimmte Varietät innerhalb einer Sprache propagiert wird (etwa die Standardsprache gegenüber Dialekten oder eine neuere gegenüber einer älteren Orthographie). Auch Spracherhalt und -wiederbelebung werden zumeist als ein Wert an sich gesehen. Sprachverbreitung ist demgegenüber die Propagierung einer bestimmten Varietät, die oft zu Lasten anderer stattfindet - entweder als Verbreitung einer einheitlichen Nationalsprache innerhalb eines Landes oder als externe Sprachverbreitung, etwa durch Kulturinstitute und Elf Ziele der Sprachpolitik <?page no="49"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität, Nationalismus 49 Sprachkurse im Ausland. Im Extremfall kann Sprachverbreitung zum Aussterben anderer Varietäten führen. Sprachverbreitung ist dabei oft instrumentell motiviert, so wie in den Bemühungen von British Council, Francophonie oder Goethe-Institut, in denen Sprache nicht nur ein Wert an sich ist, sondern auch dazu dient, einem Land Aufmerksamkeit zu garantieren, was nicht zuletzt auch aus ökonomischen Gründen wichtig ist (vgl. dazu Kapitel 3). Sprachreformen sind in der Praxis zumeist das Ziel von Sprachplanern, die die Standardvarietät an Veränderungen im mündlichen Sprachgebrauch anzugleichen versuchen. Beispiele dafür sind Rechtschreibreformen oder die Aufnahme neuer Wörter oder Strukturen in offiziell sanktionierte Wörterbücher oder Grammatiken. Dabei stehen zumeist pragmatische Erwägungen im Vordergrund, etwa die Beseitigung von Mehrdeutigkeiten oder eine Erneuerung von schriftlichen Sprachformen, von denen sich der mündliche Gebrauch stark entfernt hat. Damit ist auch die lexikalische Modernisierung eng verbunden, etwa, wenn die Sprachpolitik auf technische Neuerungen reagiert und Begriffe dafür entwirft - eine Praxis, die im deutschsprachigen Raum allerdings eher unbekannt ist. Sprachstandardisierung ist dagegen die Einführung einer Norm, d.h. sie kommt zumeist vor der Modernisierung und der Reform, hat mit diesen aber das praktische Ziel gemein, Kommunikation vereinfachen zu wollen. Eine Terminologische Vereinheitlichung beschäftigt sich dagegen mit der Durchsetzung einheitlicher Sprachstandards, etwa in der Wissenschaft. Diese sind oft darauf ausgerichtet, eine Verständigung mit anderen Sprachen zu erleichtern, etwa wenn international gemeinsame Begriffe geformt werden, und steht somit in engem Zusammenhang mit Bemühungen aus dem Bereich der zwischensprachlichen Kommunikation. Dies kann auch die Form der Propagierung einer Lingua Franca annehmen, etwa wenn internationale Konzerne auch in ihren Büros in nichtenglischsprachigen Ländern Englisch verwenden. Ein anderes Beispiel ist Skandinavien, wo gemeinsame nordische Begriffe für technische Neuerungen gesucht werden, damit Dänen, Schweden und Norweger miteinander in ihrer jeweiligen Muttersprache kommunizieren können. Ähnlich motiviert ist die Standardisierung von Hilfscodes, etwa von Zeichensprachen, oder auch die Vereinheitlichung geographischer Namen auf internationalen Landkarten, in Fahrplänen o.ä. Die stilistische Vereinfachung hat schließlich mit dem Wunsch nach verständlicher Sprache zu tun, etwa wenn in der Behörden- oder Juristensprache Formulierungen Verwendung finden, die auch Menschen ohne entsprechende Fachkompetenz verstehen können. 4.2.2 Prinzipien der Sprachplanung nach Vikør Eine alternative Klassifizierung von Zielen der Sprachplanung wird von Vikør (1994: 143-145) vorgeschlagen. In diesem Modell werden vier Prinzipien identifiziert, die sprachpolitischen Aktivitäten zugrunde liegen können. Interne sprachliche Prinzipien beeinflussen Sprachpolitik, z.B. wenn eine Vereinfachung phonologischer oder morphologischer Strukturen angestrebt wird. Dies gilt etwa für die Vereinheitlichung von Dialekten mit dem Ziel der Erarbeitung einer Standardvarietät. Ähnliches gilt für die Vermeidung Vier Arten von Prinzipien der Sprachplanung <?page no="50"?> 50 I Theoretische Grundlagen und Konzepte von lexikalischer Mehrdeutigkeit oder eine Sprachplanung, die auf etymologischen Prinzipien basiert. Dadurch soll in der Praxis die Verständlichkeit innerhalb eines Sprachraumes gefördert werden, indem die Vielzahl möglicher Formen anhand festgelegter Kriterien so reduziert wird, dass sich ein Großteil der Sprecher darin wiederfinden kann. Es können hierbei also pragmatische Erwägungen dominieren, bei etymologisch motivierter Sprachpolitik aber auch der intrinsische Wert einer Variante, die als „schöner“ empfunden wird. Prinzipien, die sich am Verhältnis zu anderen Varietäten orientieren, können sich an eine „Modellvarietät“ anlehnen, die (bewusst oder unbewusst) als besonders nachahmenswert wahrgenommen wird - dies ist erneut sowohl aus pragmatischen als auch aus ästhetischen Gesichtspunkten möglich. Das Gegenteil davon ist die Ablehnung anderer Varietäten, etwa in Form von puristischer Säuberung einer Sprache von fremden Elementen, wie etwa die Anti- Anglizismen-Gesetzgebung in Frankreich. Hierbei stehen intrinsische Gründe im Vordergrund, allerdings kann eine puristische Form auch bewusst zur Stärkung des Nationalbewusstseins eingesetzt werden, wodurch eine instrumentelle Motivation im Vordergrund stünde (vgl. dazu Kapitel 4.3 zu Sprachpolitik und Nationalismus). Zur Gruppe der Prinzipien, die das Verhältnis zwischen Sprache und Sprechern zum Ausgangspunkt haben, gehört etwa das Mehrheitsprinzip, nach dem der Sprachgebrauch der Mehrheit als normgebend angesehen wird. Das Prinzip der freien Wahl erlaubt dagegen eine möglichst große Bandbreite an Alternativformen, um individuellen Wünschen von Sprechern gerecht zu werden. Dies kann in Form von zugelassenen Parallelformen in der offiziellen Orthographie geschehen, wie seit der letzten Rechtschreibreform in Ansätzen auch im Deutschen mit empfohlenen und nicht empfohlenen, aber nicht als falsch angesehenen Formen. Im mündlichen Sprachgebrauch fördert eine Politik der freien Wahl etwa die Akzeptanz von Dialekten auch in offizielleren Kontexten. Andere Prinzipien in dieser Gruppe sind etwa das Prinzip der Friedfertigkeit oder sein Gegenteil, das Prinzip der Revolte. Bei ersterem wird ein existierender Status quo als Grundlage der Sprachplanung angesehen, um einer Unruhe in der Sprachgemeinschaft entgegenzuwirken, bei letzterem will Sprachgebrauch bewusst provozieren. Das Prinzip der Revolte wurde bzw. wird z.B. in der feministischen Sprachkritik oder beim „Gendern“ angewandt, wenn durch die Verwendung etwa des Binnen-I („StudentInnen“) auf die mangelnde Gleichstellung von Frauen und Männern hingewiesen werden soll(te) oder durch den Gender Gap („Student_innen“) die Existenz von Menschen thematisiert wird, auf die die traditionelle Einteilung in männlich und weiblich nicht zutrifft. Damit soll in erster Linie Aufmerksamkeit erregt werden, um gesellschaftliche Debatten anzustoßen. Ähnliche Zwecke verfolgt z.B. die bewusste Verwendung einer Minderheitensprache in Kontexten, in denen nur die offizielle Sprache eines Landes vorgesehen ist. In diesem Zusammenhang sind auch die Prinzipien von Prestige oder Gegenprestige zu sehen - entweder werden die sozial höchststehenden Formen (etwa ein Dialekt der Oberklasse) als Norm empfunden, oder das genaue Gegenteil. Letzteres geschieht dabei oftmals als Reaktion „von unten“ auf eine Sprachpolitik, die die Bedürfnisse von Teilen der Bevölkerung nicht ausreichend berücksichtigt. Dabei ist die Motivation der Sprachpolitik in <?page no="51"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität, Nationalismus 51 den meisten derartigen Fällen instrumentell, d.h. Sprachpolitik wird eingesetzt, um gesellschaftliche Ziele zu verfolgen. Die letzte Kategorie der sprachpolitischen Prinzipien nach Vikør ist die Begründung durch allgemeinere politische Ideologien. Dabei stehen politische Ideologien zumeist im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Sprache und Sprechern. Gleichzeitig ist die ideologische Seite eng mit den oben angesprochenen Machtverhältnissen in einer Gesellschaft verbunden. Vikør nennt als wichtige Ideologie den Nationalismus, der sich in sprachpolitischer Hinsicht zumeist in der Propagierung einer Nationalsprache als Zeichen nationaler Einheit, oftmals mit einem festen Zentrum und einer herausragenden Varietät, etwa der der Hauptstadt, manifestiert. Nationalismus kann Elemente des Purismus einschließen, etwa wenn als „nationaler“ empfundene sprachliche Varianten mit weniger Einflüssen von außen propagiert werden. Davon lässt sich die Ideologie des Traditionalismus unterscheiden, d.h. das Ziel, so wenig an überlieferten Sprachformen zu ändern wie möglich. Dies ist eng mit Sprachpurismus verbunden, muss aber nicht immer ein nationalistisches Element enthalten. Auf der anderen Seite steht eine Sprachpolitik, die explizit demokratisch sein möchte bzw. Gleichberechtigung anstrebt. Normen sollen also als Folge einer breiten Diskussion in der Gesellschaft entstehen, um die Interessen so vieler Sprechergruppen wie möglich zu berücksichtigen. Davon zu unterscheiden ist Sprachpolitik, die auf liberalen Prinzipien basiert oder sogar einen sprachlichen Anarchismus befürwortet - Sprache soll so frei wie möglich sein und sich ohne Regulierung entwickeln. Wie in den vorherigen Kapiteln muss betont werden, dass die verschiedenen hier vorgestellten Ansätze sich nicht gegenseitig ausschließen. In der Realität kommt es oft zu einem Zusammenspiel von Motivationen, und dies sollte auch in einer Analyse von Sprachpolitik berücksichtigt werden. ZUSAMMENFASSUNG: Die Frage nach Zielen und Motivationen ist in den meisten sprachpolitischen Situationen entscheidend für deren Verständnis. Oft wird dabei nach Ideologien geforscht, die sprachpolitischem Verhalten zugrunde liegen und die sich häufig eher indirekt äußern. Traditionellere Ansätze befassen sich mit Zielen und Prinzipien der Sprachpolitik, die eher die Sprache selbst oder gesellschaftliche Entwicklungen in den Mittelpunkt stellen. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Was sind Ziele und Prinzipien, die Sprachpolitik begründen? Welche dieser Ziele und Prinzipien kennen Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung? 2. Welche sprachpolitischen Ziele finden Sie sinnvoll? Welche Ziele der Sprachpolitik lehnen Sie ab? Warum? 3. Ideologien und Sprachpolitik stehen oft in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Welche Ideologien können Sprachpolitik zugrunde liegen? Und wie können nicht offen artikulierte Ideologien durch die Analyse von Sprachpolitik an die Oberfläche kommen? Ideologien <?page no="52"?> 52 I Theoretische Grundlagen und Konzepte 4.3 Identität, Ethnizität und Nationalismus 4.3.1 Persönliche und kollektive Identität Eine der wichtigsten Grundlagen für sprachpolitisches Handeln ist Identität, und zwar sowohl persönliche als auch kollektive Identität. Teile der kollektiven Identität sind deren ethnische und nationale Spielarten; Sprachpolitik ist in der Praxis oft eng verbunden mit Ethnizität und Nationalismus. Wie bereits im vorigen Kapitel im Kontext von sprachpolitischen Prinzipien angesprochen, spielt Nationalismus gerade in Fragen der Statusplanung oft eine entscheidende Rolle, die das Verhältnis von Sprechern und Sprechergruppen zu bestimmten Varietäten (und ihren Sprechern) dauerhaft prägen kann. Das ausgesprochen umfangreiche Feld des Zusammenspiels von Identität, Ethnizität und Nationalismus mit Sprache(n) und Sprachpolitik kann im Rahmen dieses Buches nur knapp umrissen werden; dennoch sollen zumindest einige wichtige Aspekte angesprochen werden. Fishman (1999: 448) definiert Identität als „Bewusstsein des Einzelnen, zu einer Gruppe zu gehören“; diese Gruppe gibt uns „einen Platz in der Welt“ und „stellt die Verbindung zur Gesellschaft her, in der wir leben.” Sowohl für die individuelle Identität einer Person als auch für die kollektive Identität einer Gruppe ist Sprache eine wichtige symbolische Komponente, die aber auch praktische Konsequenzen hat. Sprache als Teil der Identität beeinflusst das Selbst und die Selbstwahrnehmung maßgeblich. Dabei gilt, wie in anderen Identitätsfragen, dass eine Identifikation mit bestimmten sprachlichen Varietäten oft erst im Unterschied zu anderen Personen und Gruppen besonders deutlich wird (vgl. z.B. Haarmann 1995: 5), wobei die entscheidenden Kriterien sowohl durch Selbstals auch durch Fremdwahrnehmung begründet werden. Obwohl auch in Identitätswahrnehmungen keine Situation exakt einer anderen gleicht, gibt es doch eine Reihe von Faktoren, die weitgehend als entscheidend angesehen werden. Dazu gehören die (biologische und soziale) Herkunft, der Wohnort (Land, Region, Stadt bis zum eigenen Wohnviertel), Beruf, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Religion, politische Überzeugung, aber eben auch die Sprache (vgl. dazu z.B. Laponce 1987: 45). In der Auflistung des norwegischen Soziologen Hylland Eriksen (1997: 36) finden sich auf ähnliche Weise der ethnische Hintergrund, die Nationalität, Familientraditionen, Wohnort, Sprache, Geschlecht, Religion, soziale Klasse, Lifestyle, Politik, Individualität, Bildung, Alter und Familienstand. In Situationen, in denen verschiedene Gruppenidentitäten in einer Region nebeneinander existieren, nimmt Sprache somit eine Funktion ein, an der sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe festmachen lässt. Im Sinne dieses Zusammenspiels von individueller und gesellschaftlicher Identität, für die Sprache ein bestimmendes Element ist, wird diese auch als core value, als Kernfaktor, bezeichnet (vgl. dazu etwa Schiffman 1996: 11-12, der die Prägung dieses Begriffes durch Smolicz zusammenfasst). Das Konzept der Identität ist allerdings in post-strukturalistischen Ansätzen der jüngeren Zeit auch grundsätzlich hinterfragt worden. In ihnen ist Identität weniger wichtig als das, was z.B. Eckert (2000) als communities of Identität: Sprache als Kernelement Entscheidende Faktoren Communities of Practice <?page no="53"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität, Nationalismus 53 practice bezeichnet. Darunter werden Gemeinschaften verstanden, in denen Werte und damit auch Zugehörigkeitsgefühle der Individuen erst in der Interaktion mit anderen Personen geschaffen werden. An dieser Sichtweise ist heute weitgehend akzeptiert, dass Identitäten nicht statisch sind, sondern sich im Laufe individueller Biographien ändern können und vom jeweiligen Bezugspunkt, d.h. auch anderen Personen(gruppen) abhängen. Es bleibt aber unbestritten, dass Sprache und sprachliches Verhalten konstitutive Bestandteile von individueller Identität, wichtige Teile der Selbst- und Fremdzuordnung zu einer Gruppe und gleichzeitig eine Abgrenzungsmöglichkeit von anderen Individuen und Gruppen darstellen, auch wenn diese im Fluss sind, sich verändern können und mit einer Reihe anderer Faktoren im Wechselspiel stehen. 4.3.2 Ethnizität Der Begriff der Ethnizität hängt eng mit Fragen der Identität zusammen und ist gleichermaßen in vielen Situationen eine wichtige Komponente sprachpolitischen Handelns. Der Begriff stammt vom griechischen ethnos („Volk“ in einer abgrenzenden Bedeutung, d.h. in Bezug auf religiös oder kulturell Fremde) und betont unter anderem die kulturellen und sprachlichen Gemeinsamkeiten innerhalb eines Volkes. Dieses besitzt ein gemeinsames Wir-Gefühl, fasst sich dadurch als Gruppe auf und wird im Allgemeinen auch von außen als solche wahrgenommen. Der Begriff steht damit im Gegensatz zur Betonung der Gemeinsamkeiten der Bevölkerung eines Staates, die sich durch die Zugehörigkeit zu diesem Staat definiert. Devetak (1996: 203-204) nennt zwei Hauptkriterien für Ethnizität: Danach definiert Ethnizität eine größere Gruppe Menschen als zusammengehörig, zum einen, weil diese an eine gemeinsame Abstammung und eine gemeinsame Geschichte glauben, und zum anderen, weil dieser Glaube in ihnen einen gemeinsamen Sinn für Identität und ein Solidargefühl bewirkt. Dabei hängt Ethnizität allein von der individuellen Wahrnehmung ab: „Ethnicity is as real as people want it to be“ (Devetak 1996: 203-204). Solche Mythen einer gemeinsamen Herkunft und die daraus resultierende Abgrenzung zu anderen Bevölkerungsgruppen führen oft zum Entstehen von politischen Grenzen wie bei der Gründung von Staaten nach ethnischen Kriterien. Innerhalb eines existierenden Staates können ethnische Abgrenzungen als entscheidendes Gruppenmerkmal dienen und oft zur Skepsis gegenüber Personen führen, die in wesentlichen Faktoren der Identitätsbildung einer ethnischen Gruppe anders sind als die Mehrheitsbevölkerung. Dies kann Migranten betreffen, aber auch traditionell in einem Land lebende Minderheiten (vgl. Hylland Eriksen 2002: 11-15). Nettle/ Romaine (2000: 193) unterstreichen die Rolle von Sprache in diesem Prozess: Even if identity as a distinct ethnic group can survive language shift, it is simply something completely different to express one’s Québécois or Welsh identity through the medium of English. Es ist also zwar durchaus denkbar, sich auch ohne die französische bzw. walisische Sprache als „echter“ Quebecer oder Waliser zu fühlen und auch als solcher wahrgenommen zu werden, doch ist dies eben sehr viel schwieriger, Ethnizität im Gegensatz zu Nationalismus Hauptkriterien <?page no="54"?> 54 I Theoretische Grundlagen und Konzepte wenn eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zu rein englischsprachigen Kanadiern bzw. zu Engländern wegfällt. Ethnizität als Gruppenkonzept ist oftmals dekonstruiert worden in dem Sinne, dass der Charakter einer ethnischen Gruppe als „naturgegeben“ in Frage gestellt worden ist. Daraus folgt, dass eine Einteilung von Bevölkerungsgruppen nach ethnischen (und damit oft sprachlichen) Kriterien keine Zwangsläufigkeit ist, sondern auch - bei andersartigen historischen Entwicklungen - anders erfolgen könnte. Dennoch kann kaum bestritten werden, dass ein Gruppengefühl im Sinne einer Ethnizität in der Realität die Selbst- und Fremdwahrnehmung vieler Menschen bestimmt (vgl. etwa May 2001). Es ist aber sehr wichtig zu beachten, dass die Grenzen einer ethnischen Gruppe nicht ein für alle mal festgelegt sind. Im Gegenteil hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese Grenzen dynamisch sind und sich als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen anpassen können. Alte und neue Merkmale einer Ethnizität können sich vereinen; diese werden von den Mitgliedern der Gruppe kontinuierlich (explizit und implizit) diskutiert. Dabei kann es innerhalb einer Gruppe durchaus Streit und sehr verschiedene Auffassungen darüber geben, wer die Kriterien einer ethnischen Zugehörigkeit erfüllt. Glaser (2002) nennt dies den Gegensatz von essentialistischem und dynamischem Verständnis von Ethnizität: Essentialisten, oft auch als Traditionalisten bezeichnet, betonen traditionelle Werte einer Gemeinschaft, die nicht oder nur kaum verändert werden dürfen. Für die Sprachpolitik bedeutet dies, dass sich auch Sprache nicht verändern darf. Die „wahre“ Kultur und Sprache wird somit durch einen Referenzpunkt in der Vergangenheit definiert. Vertreter des dynamischen Ansatzes, die auch als Modernisierer bezeichnet werden, betonen dagegen die Vitalität von Ethnizität, Identität und auch Sprache, und sind bereit, sich auf Veränderungen einzustellen. Derartige Diskussionen finden sich häufig in Gruppen von „Neuen Sprechern“ von Minderheitensprachen, d.h. Personen, die die Minderheitensprache als Erwachsene lernen, weil sie sich für die historische Sprache ihrer Vorfahren interessieren. Als Muttersprachler einer anderen Sprache haben sie oftmals Schwierigkeiten, von den traditionellen Sprechern anerkannt zu werden (vgl. z.B. O’Rourke/ Ramallo 2011). Für sprachpolitische Debatten bedeutet dies nicht zuletzt, dass versucht werden kann, die Wahrnehmung von Zugehörigkeit bzw. Abgrenzung aufgrund von Sprache bewusst zu beeinflussen. Ein Sonderfall in der Betrachtung von Ethnizität und Identität und von Sprachpolitik vor diesem Hintergrund sind - zumindest aus europäischer Perspektive - indigene Völker, oft auch als Urbevölkerung bezeichnet. Damit sind traditionelle ethnische Gruppen gemeint, die in ihrer Kultur alte Lebensweisen und Werte bewahrt haben, die im Gegensatz zur westlich geprägten Moderne und den ökonomischen und kulturellen Prinzipien der globalisierten Welt stehen. Oft bestehen diese Traditionen trotz starker Versuche von Gruppen der Mehrheitsbevölkerung oder von Kolonialisten, die ursprüngliche Lebensweise zu unterbinden. Beispiele dafür sind etwa die amerikanische oder australische Urbevölkerung. Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO), die zu den Unterorganisationen der UNO gehört, ist das wichtigste internationale Dokument zum Schutz von indigenen Völkern. Danach trifft die Bezeichnung „indigen“ auf traditionelle Bewohner zu, die ein Gebiet zu einem Zeitpunkt bewohnten, Dekonstruktion von Ethnizität Traditionalisten vs. Modernisierer Indigene Völker <?page no="55"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität, Nationalismus 55 als dieses von einer anderen Bevölkerungsgruppe erobert wurde. Zusätzliche Merkmale sind, dass diese Gruppen an einer traditionellen gemeinsamen Identität festhalten, und dass sie in den allermeisten Fällen weniger Macht und Zugriff auf Ressourcen haben als die Mehrheitsbevölkerung (vgl. z.B. Clech Lâm 2000: 6). Von besonderer Bedeutung ist dabei auch die Selbstwahrnehmung als Urbevölkerung. Hylland Eriksen (2002: 125) weist darauf hin, dass einzelne Personen, die einer indigenen Bevölkerungsgruppe angehören, durchaus hohe Positionen in der Verwaltung oder Regierung bekleiden können. Diese sind jedoch „besonders verletzlich bei der Modernisierung eines Staates.“ Für Firsching (2002: 135) sind indigene Völker (indigenous people, I.P.) ursprüngliche Einwohner eines Landes, welche im Laufe der Geschichte immer größere Verluste ihrer ursprünglichen Rechtsposition hinnehmen mußten. (…) Im Gegensatz zu anderen Volksgruppen steht bei I.P. vor allem deren unterschiedliche ethnische Identität, deren besonders ausgebildete Kultur, Tradition und Lebensweise sowie deren spezielles Verhältnis zur Natur im Vordergrund. Im sprachpolitischen Kontext ist von besonderer Bedeutung, dass bei indigenen Völkern noch mehr als bei anderen ethnischen Gruppen sprachliche Belange und Menschenrechte miteinander in Verbindung stehen und Sprachpolitik eine Perspektive des Rechtes auf das Anderssein einnehmen sollte. 4.3.3 Nationalismus und Nationalstaaten Sprache, Sprachpolitik, Identität und Ethnizität sind auch eng mit der Idee der Nation, dem Nationalismus und damit der Enstehung und Entwicklung von Nationalstaaten verbunden, also dem, was auch auf Deutsch oftmals mit dem Begriff des Nation Building bezeichnet wird. Wie in Kapitel 4.1 erläutert, bestimmen Ideologien zu Sprache häufig die Planung und Durchführung von Sprachpolitik. Gleichzeitig interagiert Sprachpolitik im Rahmen der individuellen und kollektiven Identität oft mit der Identifikation mit einem Staat oder einer Region. Personengruppen, die eine kollektive sprachliche Identität teilen, sind häufig bestrebt, weitere Referenzpunkte für ihre gemeinsame Identität zu definieren, die über die Wahrnehmung als ethnische Gruppe hinausgehen. Dazu kann die Orientierung an einem Nationalgefühl gehören, die das Ziel verfolgt, einen Nationalstaat nach den eigenen Vorstellungen zu prägen. Wo dieser noch nicht existiert, wird versucht, diesen aufzubauen, wobei auch der Sprache der ethnischen Gruppe eine maßgebliche Bedeutung eingeräumt wird. Beispiele gibt es viele, gerade in Europa. Außerhalb Europas ist die Idee des Nationalstaates, der sich primär an sprachlichen Kriterien orientiert, weniger prägend, jedoch auch nicht unbekannt. Für das Verständnis des Verhältnisses von Nationalstaaten und Sprache in Europa ist ein kurzer Blick auf das Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert sinnvoll. Maßgeblich beeinflusst von der amerikanischen Unabhängigkeit 1776 und der Französischen Revolution 1789, bewegte sich der Zeitgeist weg von der traditionellen Auffassung eines Staates mit einem Mo- Nation Building auf sprachlicher Grundlage <?page no="56"?> 56 I Theoretische Grundlagen und Konzepte narchen und einer Herrscherdynastie als Bezugspunkte. Stattdessen verbreitete sich die Idee der Nation, in deren Folge in ganz Europa nationalistische Gruppen begannen, für einen besseren Zusammenhalt innerhalb ihres Landes und für klarere Grenzen zu den Nachbarstaaten zu kämpfen. Hieran wird der enge Zusammenhang von Nationalismus mit der politischen Einheit eines Staates im Gegensatz zum Zusammenhalt ethnischer Gruppen deutlich, die sich nicht auf einen gemeinsamen Staat beziehen (auch wenn aus ethnischen Gruppen oftmals Nationalbewegungen entstehen, vgl. etwa Fishman 1996: 42- 45, der Beispiele von Nationalbewegungen weltweit auflistet, in denen Sprache, Kultur und Nation unmittelbar aufeinander bezogen wurden). Abbildung 9: Verbindung von deutscher Sprache, Deutschtum, Heimat und Volk: Gedenktafel im österreichischen (! ) Villach (Kärnten). Ein klassisches Beispiel dafür ist die Entstehung des deutschen Nationalbewusstseins mit der Vorstellung eines alle deutschsprachigen Länder umfassenden Nationalstaates als Sprach- und Kulturnation im 19. Jahrhundert. Der politische Rahmen dieser Entwicklungen konnte dabei jedoch recht unterschiedlich sein: Das Vereinigte Königreich und Frankreich etwa existierten als staatliche Einheiten bereits über Jahrhunderte hinweg und begannen nun erst, sich auch kulturell zu zentralisieren. Ein wichtiger Bestandteil dieser Entwicklungen war, dass Sprachen an ihren Rändern (z.B. Walisisch und Schottisches Gälisch in Großbritannien oder Bretonisch und Baskisch in Frankreich) stigmatisiert und zurückgedrängt wurden. Aber auch der Wechsel vom Latein als Schriftsprache hin zu einer Verschriftlichung der mündlichen Sprachformen der Gegend um Paris war in Frankreich entscheidend für die Ausbreitung einer eigenen Nationalkultur, die sich an einer gemeinsamen Schriftsprachform orientierte (Haarmann 1993: 210-278). Gerade das Beispiel Frankreichs zeigt, dass die Entstehung eines Nationalstaates, der auf einer gemeinsamen Sprache basiert, oft mit umfangreichen Korpusplanungsmaßnahmen einhergeht, durch die definiert Unterschiede im Verhältnis Sprache-Nation in Europa <?page no="57"?> 4 Prinzipien, Ideologien, Identität, Nationalismus 57 wird, welche Varietäten der Sprache in offiziellen Funktionen gebraucht werden und als prestigereich gelten. Gleichzeitig gab es eine Vielzahl an Gegenreaktionen gegen die sprachliche Vereinheitlichung bzw. die Entstehung großer sprachlich definierter Nationalstaaten. Die irische Nationalbewegung im 19. Jahrhundert etwa benutzte die irische Sprache als wichtiges Merkmal einer eigenständigen kulturellen Identität in ihrer Forderung nach Autonomie und später staatlicher Unabhängigkeit von England. Auf ähnliche Weise emanzipierten sich Nationalbewegungen in vielen Teilen Österreich-Ungarns oder des Russischen Reiches. In der Habsburger-Monarchie organisierten sich Sprachgruppen wie Tschechen, Slowenen oder Ukrainer in Nationalbewegungen und forderten mehr Eigenständigkeit von der Zentralmacht. Deren Sprachen waren vielerorts nicht aktiv unterdrückt worden, aber sie wurden auch nicht gefördert bzw. waren hinsichtlich ihrer Funktionen Sprachen zweiter Klasse hinter den dominierenden Sprachen Deutsch und Ungarisch. Im Russischen Reich entstanden im 19. Jahrhundert etwa im Kaukasus oder bei Esten und Letten Nationalbewegungen, die sich an der Sprache des Volkes (im Gegensatz zur russisch- und im Baltikum auch deutschsprachigen Oberschicht) orientierten. Diese mündeten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges schließlich in (teilweise erfolgreichen) Unabhängigkeitsbemühungen; die Grenzen der neu entstandenen Staaten orientierten sich dabei zumeist an der territorialen Verbreitung der neuen Nationalsprache. Auch heute noch ist die Existenz einer gemeinsamen Sprache eine kontinuierliche Erinnerung an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation. Dies gilt insbesondere in Ländern wie Deutschland, in denen der Zusammenhalt der Bevölkerung durch eine gemeinsame Sprache als selbstverständlich empfunden wird. Mit umgekehrten Vorzeichen bedeutet dies für die Identität sprachlicher Minderheiten, dass die Empfindung als andersartig sich auch gerade über die Sprache manifestiert. Laponce (1987: 46) bemerkt: „ If one’s own language is dominant, one does not think about it any more than one thinks about one’s health, provided that this is good. “ Dies erklärt auch, warum sprachpolitische Probleme bzw. das Vorherrschen bestimmter sprachlicher Strukturen in der Gesellschaft von der Mehrheitsbevölkerung oft nur wenig nachvollzogen werden können und diese sich oft schwer damit tut, eine Sprachpolitik zu gestalten, die den Bedürfnissen anderer Sprachgruppen gerecht wird. In Anbetracht dieser historischen Verbindung von Nation, ethnischen Gruppen, Identität und Sprache ist es nicht verwunderlich, dass die Grenzen innerhalb Europas heute oft auch als Sprachgrenzen wahrgenommen werden und dies vielerorts auch tatsächlich sind. Im Laufe des 20. Jahrhunderts konnten viele europäische Nationalstaaten durch verbesserte technologische Möglichkeiten, eine Transportinfrastruktur und die Verbreitung der Massenmedien ihre sprachliche Macht bis an die Ränder ihrer Herrschaftsbereiche ausweiten. Dies führte in vielen Fällen zu einem starken Rückgang sprachlicher Minderheiten und einer sprachlichen Assimilierung ihrer Sprecher zugunsten der Nationalsprachen. Dennoch sollte diese Entwicklung nicht darüber hinweg täuschen, dass auch heute in den meisten europäischen Ländern sprachliche Minderheiten existieren, wenngleich diese oftmals demographisch deutlich weniger stark sind als im 19. Jahrhundert. Unabhängigkeitsbestrebungen auf sprachlicher Grundlage Dominanz einer Sprache in einer Gesellschaft Wahrnehmung von politischen Grenzen als Sprachgrenzen <?page no="58"?> 58 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Erst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts nehmen viele Staaten Europas zur Kenntnis, dass ihre Bevölkerung sprachlich nicht so homogen ist, wie sie lange wahrgenommen wurde. Dies schlägt sich heute in zum Teil deutlich geänderten sprachpolitischen Maßnahmen zugunsten von traditionellen Minderheiten nieder. Gleichzeitig dominiert die Verbindung von Nationalstaat und Sprache aber auch heute noch vielerorts, sowohl in Bezug auf die Akzeptanz von Mehrsprachigkeit und die sprachliche Integration von Migranten als auch in modernen Nation Building-Prozessen. Beispiele für letztere sind Maßnahmen zur Wiederherstellung der Nationalsprachen als dominierende Sprachen in vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die Wiederbetonung des (auch sprachlichen) Nationalismus in Russland seit etwa dem Jahr 2000 oder Prozesse der sprachlichen Auseinanderentwicklung der Staaten des ehemaligen Jugoslawien (vgl. etwa Blommaert/ Verschueren 1998). ZUSAMMENFASSUNG: Die Verbindung von Sprache und (individueller oder kollektiver) Identität ist grundlegend für das Verständnis sprachlichen Verhaltens und sprachpolitischer Aktivitäten. Sprache ist eines der wichtigsten Elemente in der Wahrnehmung von Ethnizität und Nationalismus. Im Aufbau von Nationalstaaten spielt Sprache seit dem 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Charakterisieren Sie, welche Rolle Sprache für die Identität einer Person oder einer Gruppe haben kann. Welche sprachlichen Varietäten sind für Ihre eigene Identität wichtig? 2. Welche Gründe gibt es für die nicht seltene Verbindung von Nation und Sprache? Welche politischen Vorteile hat dies? Wo liegen Gefahren? 3. Was ist Ethnizität? Was unterscheidet Ethnizität von Nation und Nationalstaat und wo überschneiden sich diese Konzepte? 4. Kennen Sie Beispiele, in denen die Sprache keine Bedeutung für eine ethnische Gruppe oder eine Nation hat? Was hält diese Gruppe zusammen, wenn es nicht Sprache ist? <?page no="59"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 5.1 Minderheiten Bereits in den vorigen Kapiteln wurde wiederholt angesprochen, dass Minderheitensprachen eines der wichtigsten Themen in der Sprachpolitik sind, insbesondere in Bezug auf die Statusplanung. Auch wenn aus deutschsprachiger Perspektive Minderheitensprachpolitik oft nur als Randthema wahrgenommen wird, so sind Fragen zu gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt zwischen Nationalsprachen, traditionellen Minderheitensprachen, Migrantensprachen und Fremdsprachen in fast allen Gesellschaften die Norm. Das Thema der Minderheitensprachen ist dabei eng verknüpft mit oben diskutierten Themen wie der Ökolinguistik, den Akteuren und Zielen der Sprachpolitik sowie nicht zuletzt Fragen von Identität, Ethnizität und Nationalismus. Mit Minderheitensprachen unmittelbar verbundene Themen sind außerdem Sprachrechte, Gesetze und internationale Abkommen sowie Fragen von Spracherhalt bzw. Sprachtod. Bei der Betrachtung von Minderheitensprachen muss zunächst näher betrachtet werden, was eine Varietät zu einer Minderheitensprache macht. Damit unmittelbar verbunden ist die Frage, was überhaupt eine Minderheit ist. Die Antwort auf diese beiden Fragen ist letztlich stark abhängig von der Betrachtungsperspektive, daher gibt es keine allgemein akzeptierten klaren Definitionen (Firsching 2002: 111-127). Im internationalen Recht wird zumeist deutlich zwischen Personen unterschieden, die die Staatsangehörigkeit des Staates haben, in dem sie sich aufhalten, und Personen, auf die dies nicht zutrifft. Die sprachpolitische Ausprägung dieser Maxime liegt oft darin, dass autochthone, also traditionell in einer Region beheimatete Minderheiten anders behandelt werden als allochthone Minderheiten, also Migranten jüngerer Zeit. Migrantensprachen sind erst in den vergangenen Jahren stärker in das Bewusstsein von Sprachplanern gerückt. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen autochthon und allochthon nicht immer eindeutig; stellt sich damit doch oftmals die Frage, wie lange jemand in einer Region gelebt haben muss, um nicht mehr als Einwanderer bzw. als deren Nachfahre zu gelten. Die Vereinten Nationen haben im Jahr 1991 Minderheiten wie folgt definiert: Danach ist eine Minderheit eine Gruppe von Individuen, die nummerisch kleiner ist als der Rest der Bevölkerung in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit sie haben. Gleichzeitig spielt sie in diesem Land keine dominante Rolle. Eine Minderheit unterscheidet sich von der Mehrheitsbevölkerung anhand bestimmter Charakteristika wie Religion oder Sprache. Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass eine gewisse Solidarität innerhalb der Gruppe, eine Art Wir-Gefühl im Sinne einer ethnischen Eigenständigkeit, vorhanden sein muss, die sich auf ein gemeinsames kulturelles Erbe, Traditionen oder auch eine Sprache beziehen (Capotorti/ United Nations 1991: 26-30). Darquennes (2002: 65-67) fasst Versuche zusammen, sprachliche Minderheiten zu klassifizieren, und identifiziert vier wesentliche Kriterien für die Einordnung einer sozialen Gruppe als sprachliche Minderheit: Neben der eigenen Autochthone und allochthone Minderheiten Definitionen von Minderheiten <?page no="60"?> 60 I Theoretische Grundlagen und Konzepte sprachlichen Varietät sind dies eine gemeinsame Tradition oder Herkunft, die Selbstauffassung als Minderheit, und eigene Strukturen in ihrer sozialen Organisation. In ähnlicher Weise nennt die Universal Declaration of Linguistic Rights (1998: 14) Historizität, Territorialität, Selbstidentifikation als Volksgruppe sowie eine gemeinsame Sprache als die entscheidenden Charakteristika einer Sprachminderheit. Gemeinsam ist allen Definitionsversuchen, dass anerkannt wird, dass ein genaues Verständnis des Minderheitenbegriffes von individuellen Hintergründen und Zwecken der jeweiligen Autoren abhängt. Ein wichtiger Aspekt in dieser Diskussion ist die subjektive Wahrnehmung als Minderheit und der Solidaritätsgedanke. Daraus folgt, dass eine Gruppe als Minderheit bezeichnet wird, wenn sie sich selbst als solche betrachtet. Diese Haltung soll insbesondere davor schützen, dass es von einer womöglich feindlich gesinnten Mehrheitsbevölkerung abhängt, ob eine Gruppe als Minderheit anerkannt wird - wie etwa seitens der türkischen Regierung, die über Jahrzehnte hinweg die Existenz der Kurden als eigenständige ethnische Gruppe schlichtweg geleugnet hat. Ein anderer wichtiger Aspekt dieser Debatte ist, dass die Anerkennung als Minderheit - und in deren Folge einer Minderheitensprache - nicht allein nummerisch erfolgen kann. Die Berücksichtigung von Faktoren wie der Teilhabe an Machtstrukturen und an ökonomischen Ressourcen soll verhindern, dass eine Gruppe von ehemaligen Unterdrückern wie etwa die weiße Bevölkerung in Südafrika sich auf einfache Weise als Minderheit deklarieren kann. Es widerspräche der Intention der internationalen Minderheitenpolitik, wenn die Nutznießer des ehemaligen Apartheid-Regimes, die durchschnittlich nach wie vor ökonomisch deutlich besser gestellt sind als die schwarze Mehrheitsbevölkerung, einen besonderen Schutz genießen würden (vgl. dazu etwa Auburger 1990: 170). Bei einer nummerischen Betrachtung stellt sich letzlich auch immer das Problem des Referenzrahmens: Europäische Nationalsprachen wie zum Beispiel Dänisch oder Litauisch mit 5-6 bzw. 3-4 Millionen Sprechern werden von deutlich weniger Menschen gesprochen als etwa Katalanisch mit seinen etwa 10 Millionen Sprechern. Dennoch können erstere schwerlich als Minderheitensprachen gelten, während Katalanisch aufgrund seiner Verteilung über vier Länder (Spanien, Andorra, Frankreich, Italien), von denen es nur in Andorra den Status einer Nationalsprache hat, sehr viel eher als Minderheitensprache gelten kann. Auf der anderen Seite zeigt gerade das Beispiel des Katalanischen, wie ein und dieselbe Sprache in unterschiedlichen politischen Kontexten einen sehr unterschiedlichen Status haben kann: Während es in Katalonien und Andorra heute stark gefördert wird und einen weitgehend sicheren Platz im öffentlichen Leben hat, ist eine Klassifizierung als Minderheitensprache, die um das Überleben kämpft und deren Sprecher marginalisiert werden, in den katalanischsprachigen Gebieten Frankreichs und Italiens durchaus angemessen. 5.2 Typen von Minderheiten Sprachliche Minderheiten und Minderheitensprachen lassen sich in mehrerlei Hinsicht kategorisieren. Neben der oben angesprochenen Unterscheidung von autochthonen und allochthonen Minderheiten ist von Bedeutung, ob zu der Subjektive Wahrnehmung als Minderheit Nummerische Betrachtung von Minderheiten <?page no="61"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 61 sprachlichen Unterscheidung von der Mehrheitsbevölkerung noch eine weitere Komponente hinzukommt, wie Ethnos, Nationalität oder Religion. Oftmals geht eine Stellung als sprachliche Minderheit - wie in Kapitel 4 ausgeführt - mit einer ethnischen Komponente einher, dies ist jedoch nicht zwangsläufig bzw. es lassen sich nicht immer eindeutige Grenzen ziehen. So weisen etwa traditionelle Sprecher des Gälischen in Schottland Merkmale einer eigenen ethnischen Gruppe auf, durch die Verbreitung des Gälischen in jüngerer Zeit als Merkmal schottischer Identität auch in traditionell nicht gälischsprachigen Gebieten kann aber nicht bei allen Sprechern davon ausgegangen werden, dass sie zu einer von anderen Schotten separaten ethnischen Gruppe gehören. Sprachliche Minderheiten benutzen privat oder in der Öffentlichkeit, in ihrer mündlichen oder schriftlichen Kommunikation, eine andere sprachliche Varietät als die Mehrheitsbevölkerung des politischen, administrativen oder geographischen Gebildes, in dem sie leben. Dies bedeutet in vielen Fällen jedoch nicht, dass diese sprachliche Varietät immer und überall gebraucht wird. Haberland (1991: 188) etwa weist darauf hin, dass das besondere Verhältnis zu einer Sprache wichtiger ist als der ständige Gebrauch - insbesondere bei Minderheiten, die sprachlich weitgehend assimiliert sind. Außerdem ist der Bezugspunkt entscheidend: Eine Gruppe kann auf einen gesamten Staat oder eine größere Region bezogen eine Minderheit sein, in einer kleineren Region, einer Stadt oder einem Dorf jedoch dominieren. Sprache muss jedoch nicht immer das entscheidende Merkmal der Identität einer Minderheit sein. So ist es etwa in Schlesien bis zum Zweiten Weltkrieg nicht unüblich gewesen, dass die Frage nach der eigenen Gruppenzugehörigkeit als „schlesisch“ und somit regional beantwortet wurde. Dabei war es nicht entscheidend, ob Deutsch, Polnisch oder eine regionale Varietät Hauptsprache der jeweiligen Person waren. Gerade in der (individuellen und gesellschaftlichen) Mehrsprachigkeit lag auch ein wichtiges Identitätsmerkmal - eine Wahrnehmung, die sich auch in jüngster Zeit im polnischen Zensus widerspiegelt (vgl. Kapitel 16). Und auch die Identität indigener Völker (vgl. Kapitel 4) muss nicht per se eine sprachliche Komponente einschließen, zumal wenn wie im Falle der Ureinwohner Nordamerikas oder Australiens die traditionelle Sprache verloren gegangen ist. Allerdings zeigen die Wiederbelebungsversuche von Sprachen etwa in Nordamerika, dass Sprache im Prozess der Identitätsstärkung oftmals eine wichtige Rolle einnimmt (vgl. etwa Johnsen/ Hlebowicz/ Schüler 2012). Indigene Bevölkerungsgruppen sind - rein nummerisch betrachtet - in einigen Fällen nicht die Minderheit der Bevölkerung. Allerdings ist es nach wie vor eine große Ausnahme, wenn etwa in Grönland und Bolivien, wo 90% bzw. 70% der Bevölkerung als indigen betrachtet werden können, diese auch strukturell angemessen an (sprach)politischen Entscheidungsprozessen teilhaben. Und selbst in diesen Ausnahmefällen hinterlässt die Tradition der politischen, sozialen und auch sprachlichen Marginalisierung bis heute ihre Spuren. Geographische Bezugsgrößen Nichtsprachliche Faktoren für die ethnische Identifikation <?page no="62"?> 62 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Abbildung 10: Wegweiser auf Helgoland auf Deutsch und Nordfriesisch, das auch heute noch von einer Handvoll alteingesessener Familien gesprochen wird und eine vorsichtige Revitalisierung erlebt. 5.3 Typologien von Minderheitensprachen Eine verbreitete Möglichkeit ist, sprachliche Minderheiten nach geographischen Kriterien zu klassifizieren, d.h. nach der Frage, wo eine Sprache gesprochen wird bzw. wo ein Großteil ihrer Sprecher wohnt. Strubell (2001) macht z.B. folgenden Vorschlag für eine derartige Typologie von Sprachen und ihren Sprechern: • Nationalsprachen souveräner Staaten wie etwa Deutsch in Deutschland oder Französisch in Frankreich, • grenzüberschreitende Sprachgemeinschaften, die als sprachliche Minderheiten in einem Land existieren, in einem anderen aber die Mehrheitsbevölkerung stellen, z.B. die deutschsprachige Minderheit in Dänemark, die dänischsprachige Minderheit in Deutschland oder Sprecher des Ungarischen oder Slowenischen in Österreich, • Nationen ohne eigenen Staat (einschließlich Sprachgemeinschaften, deren Sprachen in mehreren Staaten gesprochen werden), z.B. Sorbisch, Walisisch, Bretonisch, Katalanisch oder Baskisch, • nicht-territoriale Gruppen, die sich durch Migration über große Gebiete verteilt haben, ohne dass es eine enge Verbindung zwischen Sprache, Sprechern und einem bestimmten Territorium gibt, z.B. Sprecher des Romanes oder des Jiddischen. Edwards (1992, 2010) bezieht sich in seiner Diskussion verschiedener Klassifikationen ausschließlich auf Minderheitensprachen und fasst verschiedene typologische Ansätze zusammen, die sich für soziolinguistische und damit auch Vier politische Typen von Sprachen Geographische Kriterien der Typologisierung <?page no="63"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 63 sprachpolitische Analysen nutzen lassen. Eine Typologie, die ebenfalls auf geographischen Kriterien basiert, ist diejenige von White. In diesem Modell wird von drei Dimensionen ausgegangen, die einen Einfluss auf die gesellschaftliche Situation der Sprache und ihrer Gemeinschaft sowie auf sprachpolitische Voraussetzungen haben. Die erste Dimension bezieht sich auf die Anzahl der Staaten, in denen eine Sprache gesprochen wird. Eine einzigartige Minderheitensprache wird nur in einem Staat gesprochen (z.B. Sorbisch), eine nicht-einzigartige in mehreren Staaten, wo sie überall eine Minderheitensprache ist (etwa Baskisch in Frankreich und Spanien), und eine nur lokale Minderheitensprache wird als Mehrheitssprache in einem anderen Staat gesprochen (etwa Deutsch in Südtirol oder Belgien). Die zweite Dimension bezieht sich darauf, ob das Verbreitungsgebiet einer Minderheitensprache, die in mehreren Staaten gesprochen wird, zusammenhängt oder nicht - etwa wie Baskisch, dessen Verbreitungsgebiet auf beiden Seiten der spanisch-französischen Grenze eine territoriale (aber eben nicht politisch-administrative) Einheit bildet. Die dritte Dimension betrifft die Verteilung einer Sprache innerhalb eines Gebietes - d.h. ob die Sprecher dort ein weitgehend einheitliches Siedlungsgebiet ausmachen oder ob sie über große Gebiete verteilt sind (und dort oftmals in keiner der Regionen die Mehrheitsbevölkerung stellen). Der Sinn dieser Typologie besteht darin, Erklärungsmuster für den unterschiedlichen sprachpolitischen Umgang mit Minderheitensprachen zu finden. So lässt sich für Minderheiten, die nicht über größere Regionen verstreut leben, sehr viel leichter eine territoriale Anerkennung einer Sprache erreichen, etwa indem diese für ein bestimmtes Gebiet zu einer zweiten offiziellen Amtssprache erklärt wird, oder wenn sich die Schulbehörden eines Gebietes gezielt einer Sprache annehmen. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass diese Klassifikation in vielerlei Hinsicht idealtypisch ist. Als Ergebnis von Migrationsbewegungen (innerhalb eines Landes oder länderübergreifend), etwa auf der Suche nach einer Arbeitsstelle, zum Studium oder durch Heirat mit einem Partner von außerhalb der traditionellen Sprachgemeinschaft, lebt ein Großteil der Sprecher von Minderheitensprachen gerade in Europa nicht mehr in Gebieten, in denen die Sprache traditionell verbreitet war. So ergab etwa der schottische Zensus von 2001, dass nur noch 55% der gälischsprechenden Bevölkerung in den traditionellen Verbreitungsgebieten in den schottischen Highlands lebt - fast die Hälfte lebt dagegen heute in großen Städten wie Glasgow oder Edinburgh. Außerdem zeigt sich auch hier das Phänomen der „Neuen Sprecher“ von Minderheitensprachen, also von Personen, die als Erwachsene eine Sprache lernen, sei es aufgrund der eigenen Familiengeschichte, sei es aus Verbundenheit mit einer bestimmten Kultur, die als Ausdruck einer regionalen oder nationalen Identität gesehen wird. Die Typologie von Anderson (1990: 121-126) geht ähnliche Wege wie die Typologie von White, allerdings werden hier noch weitere wichtige Einflussfaktoren genannt, die den sprachpolitischen Umgang mit Minderheiten beeinflussen. Dazu gehören Gruppen mit gegenseitigem (reciprocal) Minderheitenstatus: So hat das gegenseitige Vorhandensein von Deutschen und Dänen beiderseits der deutsch-dänischen Grenze maßgeblich dazu beigetragen, dass das deutsch-dänische Minderheitenabkommen von 1955 ein Meilenstein mit Weitere typologische Unterscheidungen <?page no="64"?> 64 I Theoretische Grundlagen und Konzepte großem Vorbildcharakter für den Umgang mit Minderheiten und das Gewähren von sprachlichen Entfaltungsmöglichkeiten war. Miteinander verwandte (interrelated) Minderheiten sind unterschiedliche Gruppen, die kulturell, politsch und/ oder sprachliche Ähnlichkeiten aufweisen und sich dadurch aneinander orientieren können, wodurch oft auch ein Gefühl der gegenseitigen Solidarität entsteht. Dazu gehören etwa die keltischen Sprachgemeinschaften der britischen Inseln. Schließlich ist die ladinischsprachige Gemeinschaft in Südtirol ein Beispiel für den Typus der Minderheiten innerhalb eines Minderheitengebietes: Es ist fraglich, ob die Sprecher des Ladinischen ohne die weitreichende Autonomie der deutschsprachigen Gemeinschaft im italienischen Staat ähnliche Regelungen auch für ihre eigene Bevölkerungsgruppe hätten durchsetzen können. 5.4 Faktoren, die Minderheitensprachpolitik beeinflussen Deutlich komplexer als geographisch orientierte Klassifikationen sind Versuche, ausführlichere Listen der Einflussfaktoren auf Minderheitensprachen und Minderheitensprachpolitik aufzustellen. Hyltenstam/ Stroud/ Svonni (1999: 48) etwa stellen eine Liste auf, deren Elemente in drei Hauptgruppen eingeteilt werden: Zum einen sind dies gesellschaftliche Faktoren, worunter die Autoren etwa die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, ideologische Fragen, das Bildungssystem und wirtschaftliche Bedingungen verstehen. Die zweite Gruppe sind Faktoren, die mit der Sprachgemeinschaft selbst zu tun haben, also demographische Aspekte (wie etwa das Durchschnittsalter der Sprecher oder das Migrationsverhalten) und sprachliche Bedingungen (z.B. offizielle und nicht-offizielle Einstellungen zu Sprache, Dialekte, das Niveau der Standardisierung oder individuelle Mehrsprachigkeit). Schließlich werden auf der Ebene jedes einzelnen Individuums Muster und Motive von Sprachwahl und Sozialisation untersucht. Der praktische Nutzwert in der Arbeit von Hyltenstam, Stroud und Svonni liegt darin, dass ihre Liste ein Ansatzpunkt für Untersuchungen sein kann, die die Situation einer Sprache bzw. Sprachgemeinschaft systematisch bewerten. Mit dieser Hilfe kann leichter entschieden werden, an welchen Stellen sprachpolitische Maßnahmen (von „oben“ oder von „unten“) notwendig bzw. sinnvoll sind. Einen ähnlichen Zweck verfolgen Arbeiten von Edwards. Eine frühe Version seiner ähnlich gearteten Liste (1992: 49) enthält die elf Bereiche Geographie, Demographie, Soziologie, Linguistik, Psychologie, Geschichte, Politik/ Recht/ Regierung, Bildung, Religion, Wirtschaft und Medien. Alle diese Dimensionen werden auf den drei Ebenen der Sprecher, der Sprache und der Gesamtgesellschaft betrachtet. Daraus ergibt sich eine Liste von 33 Variabeln, die die Situation einer Minderheitensprache charakterisieren. In der Demographie ist dies etwa die Anzahl der Sprecher (Kategorie Sprecher), die Verbreitung der Sprache (Sprache) und das Verhältnis von Stadt- und Landbevölkerung unter den Sprechern (gesellschaftliche Bedingungen). In der Kategorie Politik betont Edwards die Anerkennung von Sprechern und Sprache sowie den Status des Gebietes, in dem die Sprache benutzt wird (Edwards 1992: 50). Einflussfaktoren auf die Situation von Minderheitensprachen Zusammenfassende Listen zum Ermitteln des Sprachstatus <?page no="65"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 65 Diese Liste „traditioneller“ Bereiche der Beurteilung von Sprachminderheiten und von Minderheitensprachpolitik ist seit ihrer Entstehung von verschiedenen Autoren erweitert und überarbeitet worden, nicht zuletzt von Edwards (2010) selbst. Grenoble/ Whaley (1998: 31-42) haben die Kategorie der Alphabetisierung und Verbreitung von Schriftlichkeit in der Sprache eingeführt. Außerdem plädieren sie für eine Bewertung der Variabeln in einer Rangfolge, um Unterschiede in der Relevanz für den erfolgreichen Spracherhalt zu berücksichtigen. Ein wichtiger neuer Aspekt sind auch technologische Errungenschaften, die sich auf das Verhältnis von Varietäten zueinander auswirken, wie die Verbreitung von Computern und Handys. Ein gravierender Nachteil von technologischen Neuerungen besteht darin, dass z.B. Software zunächst meistens nur in großen Sprachen verfügbar ist. Dadurch werden - solange es keine sprachpolitischen Gegenmaßnahmen gibt - die Anwendungsmöglichkeiten und das Prestige einer kleinen Sprache eingeschränkt. Nicht ohne Grund haben sich etwa die Regierung Kataloniens oder die samische Autonomieverwaltung in Norwegen darum bemüht, Softwarehersteller davon zu überzeugen, ihre Programme auch im Katalanischen bzw. Samischen anzubieten - was bisweilen auch finanziell vom Staat unterstützt wurde. Auf der anderen Seite bringen technische Errungenschaften aber auch Vorteile für Minderheitensprachen mit sich, etwa eine Vereinfachung der Kommunikation mit Gleichgesinnten auch dort, wo Sprecher weit verstreut leben (vgl. dazu Haarmann 2002b: 34-38). 5.5 Bedrohte Sprachen und ihre Revitalisierung Für die Stellung von Minderheitensprachen in der sprachpolitischen Diskussion ist die Ausgangsüberlegung entscheidend, dass der Verlust einer Sprache und deren mögliches Aussterben bedauernswert sind und durch sprachpolitische Maßnahmen nach Möglichkeit verhindert werden sollen. Dieser Gedanke ist nicht unbedingt selbstverständlich - es sind auch Einstellungen verbreitet, nach denen Sprachen in natürlichen Prozessen eben untergehen und entstehen, oder sogar Meinungen, dass weniger Sprachen etwa die internationale Kommunikation erleichtern. Auch finden sich immer wieder Überlegungen, dass Mehrsprachigkeit in einer Gesellschaft eine Bedrohung ist. Dabei gehen derartige Überlegungen fast immer von Vertretern der Mehrheits bevölkerung aus. Diesen sind Zusammenhänge von Sprache und persönlicher Identität und die Wahrnehmung von Sprache als politischem Schlüssel zur Verteilung von ökonomischen Ressourcen und Machtstrukturen oftmals unklar. In anderen Fällen werden die Auswirkungen dieser Zusammenhänge sogar im Sinne der Ideologie der Mehrheitsbevölkerung bewusst eingesetzt, um eine Minderheit zu marginalisieren. Warum sollten bedrohte Sprachen erhalten werden? - <?page no="66"?> 66 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Somit sollen hier einige Grundüberlegungen dazu angestellt werden, warum Maßnahmen zum Schutz von Minderheitensprachen in wissenschaftlichen sprachpolitischen Diskussionen heute kaum mehr in Frage gestellt werden. Sicherlich ist es richtig, dass der Entstehungs- und Wandelprozess von Sprachen ein grundlegendes Phänomen der Menschheit ist, das es immer gegeben hat. Außerdem ist wichtig, dass es letztlich auf die Sprecher einer Sprache selbst ankommt, ob sie ihre Sprache erhalten wollen oder nicht. Dabei ist etwa die individuelle Entscheidung von Eltern, eine traditionelle Sprache nicht an ihre Kinder weiterzugeben, sondern aus ökonomischen Gründen vor allem darauf zu achten, dass diese eine prestigereiche Lingua Franca lernen, nachvollziehbar und zu respektieren. Abbildung 11: Beispiel für eine aktive Politik von Kleinstsprachen: Viersprachiger (Finnisch und drei samische Varietäten) Wegweiser in Inari im finnischen Teil Lapplands. Dennoch sollte, ähnlich wie in der Debatte über ökologische Schäden und das Aussterben von bestimmten Tier- oder Pflanzenarten, nicht übersehen werden, dass das Sprachensterben heute so schnell wie nie in der Geschichte der Menschheit voranschreitet. Schätzungen gehen davon aus, dass von den aktuell ca. 6.000 noch lebenden Sprachen zum Ende des 21. Jahrhunderts nur noch zwischen 10% und 50% überlebt haben werden. Auch wenn - wie in Kapitel 4 angedeutet - es keine völlige Deckungsgleichheit von Sprache und einer damit verbundenen Kultur gibt, sich kulturelle und sprachliche Identitäten verändern und Kulturen auch ohne ihre ursprüngliche Sprache weiterleben können, so wird der Erhalt einer Sprache in vielen Fällen von den Sprechern als wichtiger Bestandteil ihrer Kultur angesehen. Somit sind Überlegungen, ob eine sprachliche Varietät erhalten bleiben sollte und ob sprachpolitische Anstrengungen dafür sinnvoll sind, ähnlich zu bewerten wie die Bemühungen um den Erhalt der biologischen Artenvielfalt: Jede Verkleinerung der sprachlichen Vielfalt nimmt der Menschheit einen kleinen Teil ihres kulturellen Erbes und trägt dazu bei, dass sich das Wissen über die Facetten und Möglichkeiten der menschlichen Sprachfähigkeit verringert. Erfahrungen aus der Praxis zeigen außerdem, dass die Kinder oder Enkel der Generation, die eine Massensterben von Sprachen <?page no="67"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 67 Sprache aus „ rationalen Gründen “ aufgegeben hat, dies oftmals bedauern und zu einem Zeitpunkt mit Revitalisierungsbemühungen beginnen, wenn es schon zu spät ist oder diese mit großen Anstrengungen verbunden sind. So ist es wohl mit Sprachen letztlich so wie mit dem Großen Panda: Auch wenn die Welt sich weiter drehen würde, wenn dieser aussterben sollte, gibt es doch nur wenige Menschen, die Schutzmaßnahmen für den Panda für völlig überflüssig halten. Außerdem spielen beim Aussterben von Sprachen oft soziale und strukturelle Benachteiligungen der Sprecher eine entscheidende Rolle. Somit ist die individuelle Wahl einer anderen Sprache zwar im Einzelfall verständlich, diese ist aber oft nur ein Symptom anderweitiger sozialer Probleme und Ungleichheiten, ohne die die Entscheidung der Sprachwahl anders ausfallen könnte (vgl. in diesem Zusammenhang Kapitel 6 zu Sprachrechten). 5.5.1 Klassifikationen zur Bewertung der Bedrohung einer Varietät Die wissenschaftliche Beschäftigung mit sprachpolitischen Maßnahmen zum Spracherhalt geht oft vom Grad der Bedrohung einer Sprache aus. Dieser wird oft entsprechend der oben genannten Faktoren beschrieben, die die Stellung einer Sprache beeinflussen, oder anhand von Sprachdomänen analysiert (vgl. Kapitel 7). Eines der heute einflussreichsten Dokumente in der Bewertung von bedrohten Sprachen ist der von einer Unesco-Expertengruppe erarbeitete Report on Language Vitality and Endangerment (Unesco Ad Hoc Expert Group on Endangered Languages 2003). Darin sind neun entscheidende Faktoren herausgearbeitet worden, von denen sechs unmittelbar mit dem Gebrauch der Varietät verbunden sind: die Weitergabe der Sprache an die nächste Generation, die Anzahl der Sprecher in absoluten Zahlen, der Anteil der Sprecher an der Gesamtbevölkerung, Veränderungen in der Benutzung der Sprache in verschiedenen Sprachdomänen, die Anpassung an neue Sprachdomänen und Medien sowie die Verfügbarkeit von Materialien für den Sprachunterricht und, falls notwendig, Alphabetisierungsmaßnahmen. Dazu kommen zwei Faktoren, die sich auf die Einstellungen bzw. Ideologien zu einer Sprache beziehen: zum einen seitens der Regierung und anderer offizieller Stellen (dies schließt den offiziellen Status einer Sprache ein), zum anderen seitens der Sprachgemeinschaft selbst. Der neunte Faktor ist schließlich das Ausmaß und die Qualität der Dokumentation einer Sprache - ein Faktor also, der von besonderem sprachwissenschaftlichen Interesse ist. Dieser zielt auf die Bewahrung von Informationen über eine Varietät ab, falls diese im aktiven Gebrauch aussterben sollte (wobei die Existenz von z.B. Wörterbüchern oder Grammatiken auch unmittelbar zum Erhalt einer Sprache bzw. zu deren Wiedererlernen beitragen kann). Diese Faktoren werden auf einer sechsteiligen Skala klassifiziert, die von 0 (äußerst ungünstig) bis zu 5 (sehr günstig) reicht. Das UNESCO-Modell ergänzt seit dem Jahr 2003 das zuvor einflussreichste Modell der Beschreibung von Sprachbedrohung, die achtstufige Graded Intergenerational Disruption Scale (GIDS, Tab. 1) des amerikanischen Sprachwissenschaftlers Joshua A. Fishman (2001: 466). Der zentrale von Fishman gebrauchte Begriff ist der der Umkehr des Sprachwechsels (Reversing Language Shift, RLS, vgl. Kapitel 4.2). UNESCO-Bericht zur Bedrohung von Sprachen Graded Intergenerational Disruption Scale (Fishman) <?page no="68"?> 68 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Die Tabelle muss von unten nach oben gelesen werden: Die Stufen 8-5 sind zunächst notwendig, um eine Situation herbeizuführen, in der eine Minderheitensprache in einem diglossischen Verhältnis zur jeweiligen dominanten Sprache steht. Das heißt, dass der bedrohten Sprache bestimmte Funktionen zugesprochen werden, in denen sie vorrangig benutzt wird, wobei die prestigereicheren Domänen der Mehrheitssprache überlassen bleiben. Der obere Teil (Stufen 4-1) zeigt, wie diese Diglossie zu einem späteren Zeitpunkt zugunsten einer Gleichberechtigung der bedrohten Sprache überwunden werden kann. Eine Varietät auf Stufe 8 ist praktisch ausgestorben und muss von Grund auf rekonstruiert werden. Stufe 1 als Optimum ist erreicht, wenn die Minderheitensprache in praktisch allen Domänen alleine oder neben der Mehrheitssprache exisitiert. X-isch und X-men beziehen sich in dieser Terminologie auf die Minderheitensprache und ihre Sprecher, Y-isch und Y-men auf die Mehrheitsbevölkerung. Das Erreichen bzw. Erhalten von Stufe 6, der Weitergabe der Sprache in den Familien, wird dabei oft als wichtigster Schritt für den Spracherhalt bzw. die Umkehr des Sprachwechsels angesehen. Stufe Inhalt 1 Bildungssystem, Wirtschaft, Massenmedien, Behörden auf landesweitem Niveau 2 lokale/ regionale Massenmedien und Behörden 3 lokale/ regionale (d.h. nicht auf die unmittelbare Nachbarschaft bezogene) Wirtschaft sowohl innerhalb als außerhalb der ethnolinguistischen Gemeinschaft (mit X-men und Y-men) 4b öffentliche Schulen für X-ische Kinder, die Unterricht mit X-isch als Unterrichtssprache anbieten, die jedoch weitgehend unter Yischer Kontrolle sind 4a Schulen anstelle von Regelschulen, die weitgehend unter X-ischer Kontrolle sind II. RLS um Diglossie zu überwinden, nachdem diese zuvor erreicht wurde 5 Schulen zur Alphabetisierung für junge und alte Sprecher, zusätzlich zu Regelschulen 6 Weitergabe von einer Generation zur nächsten, die auf einer demographischen Konzentration der Sprecher zu Hause, in den Familien, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde beruht 7 Benutzung von X-isch in spezifischen kulturellen Situationen, die in erster Linie von der älteren Generation der Sprachgemeinschaft durchgeführt werden 8 Rekonstruktion von X-isch und Erwerb von X-isch durch Erwachsene zur Umkehr des Sprachwandels I. RLS um Diglossie zu erreichen (nachdem zuvor notwendige ideologische Fragen geklärt wurden) Tabelle 1: GIDS (Fishman). GIDS findet auch heute noch als Anhaltspunkt für die Bewertung der funktionalen Verbreitung einer Sprache Anwendung und ist damit verbunden mit der Kritik an GIDS <?page no="69"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 69 Frage, wo Sprachpolitik ansetzen sollte. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass GIDS bisweilen massiv kritisiert worden ist (vgl. für einen Überblick der Kritik an GIDS Darquennes 2007: 64-68). Zum einen suggeriert es eine lineare Entwicklung, die oft nicht mit der Realität übereinstimmt, zumal sich die zu „ erobernden “ Sprachdomänen nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen. Außerdem verbindet es Sprachen ausschließlich mit einer bestimmten, zumeist ethnisch definierten Gemeinschaft. Dabei übersieht es aber die heute stärker berücksichtigte Tendenz, dass in mehrsprachigen Gesellschaften auch Menschen mit einer ethnisch andersartigen Familiengeschichte eine Minderheitensprache lernen können und viele Menschen auf eine Weise mehrsprachig sind, die eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Sprechergruppe nicht zulassen - sei es von Geburt an oder durch Spracherwerb im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter. Schließlich geht dem Modell mit seiner Betonung von Stufe 6 ein Familienbild voraus, das heute vielerorts nicht mehr der Realität entspricht. Eine Möglichkeit, die Schwächen von GIDS zu überwinden, findet sich in dem wesentlich dynamischeren „Katharinenrad“ („Catherine Wheel“, Strubell 1999). Dieses geht von einer gegenseitigen Beeinflussung mehrerer Faktoren aus, die sich in einer Art perpetuum mobile gegenseitig am Laufen halten und verstärken. Verstärktes Lernen einer Sprache führt danach zu mehr informellem Gebrauch der Sprache, dieser zu einer erhöhten Nachfrage nach Dienstleistungen in der Sprache. Wenn dieser durch ein vergrößertes Angebot entsprochen wird und die Sprache in mehr Situationen gebraucht wird, setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Sprache notwendig ist, was wiederum zu einer erhöhten Lernmotivation und einem stärkeren Lernen führt. Dadurch setzt sich das Rad wieder „neu in Bewegung“. Auch in Bezug auf dieses Modell kann allerdings kritisiert werden, dass es sich um eine idealtypische Darstellung handelt und keinesfalls sicher ist, dass die jeweiligen Faktoren einander so bedingen wie vorgesehen. Nachdem GIDS über fast zwei Jahrzehnte hinweg von vielen Wissenschaftlern in der Bewertung individueller Situationen gebraucht, andererseits aber auch immer wieder kritisiert wurde, wurde 2010 das auf der Grundlage von GIDS entwickelte „erweiterte GIDS“ (Expanded GIDS, EGIDS), vorgestellt (vgl. Lewis/ Simons/ Fennig 2013, siehe auch http: / / www.ethnologue.com/ about/ language-status). Der Ansatz ist ähnlich wie bei GIDS, erweitert den Vorgänger aber auf 13 Abstufungen, darunter nicht nur für unterschiedliche Stufen der Bedrohung, sondern am oberen Ende auch für internationale Funktionen einer Sprache. Außerdem werden - ähnlich wie etwa im Atlas bedrohter Sprachen der UNESCO - Namen für die Stufen hinzugefügt, die die gesellschaftliche Rolle der jeweiligen Varietät sehr viel deutlicher machen. Zusätzlich diskutieren die Autoren, dass viele Sprachen zwar im Rückgang begriffen sind, heute in zunehmendem Maße Sprachen aber auch aktiv revitalisiert werden, was Änderungen in den Benennungen der Kategorien zur Folge haben muss (z.B. in Stufe 7 von „shifting“ zu „revitalized“). Auch für EGIDS gilt, dass es eine idealtypische Darstellung ist; in der Realität gibt es kaum derartig lineare Entwicklungen. „Catherine Wheel“ EGIDS <?page no="70"?> 70 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Stufe Bezeichnung Beschreibung 0 international (international) Die Sprache ist international im Handel, im Wissensaustausch und in der Politik verbreitet. 1 national (national) Die Sprache wird im Bildungsbereich, im Arbeitsleben, in Massenmedien und in der Regierung auf nationaler Ebene gebraucht. 2 regional (provincial) Die Sprache wird im Bildungsbereich, im Arbeitsleben, in Massenmedien und in der Regierung auf der Ebene wichtiger Untereinheiten einer Nation gebraucht. 3 zur Kommunikation zwischen Gruppen unterschiedl. Muttersprache (wider communication) Die Sprache wird im Arbeitsleben und in Massenmedien gebraucht, um sprachliche Unterschiede in einer Region zu überbrücken, ohne dass sie offiziellen Status hat. 4 im Bildungssektor (educational) Die Sprache ist in lebhaftem Gebrauch, sie ist standardisiert und hat eine Literatur, sie wird durch ein breites System an offiziell unterstützten Bildungseinrichtungen gefördert. 5 in der Entwicklung (developing) Die Sprache ist in lebhaftem Gebrauch, es gibt Literatur in einer standardisierten Form, die jedoch nur von wenigen gebraucht wird, so dass keine Nachhaltigkeit erzeugt wird. 6a lebhaft (vigorous) Die Sprache wird in mündlicher Kommunikation in allen Generationen gebraucht und die Situation ist nachhaltig. 6b bedroht (threatened) Die Sprache wird in mündlicher Kommunikation in allen Generationen gebraucht, aber die Zahl der Sprachbenutzer geht zurück. 7 im Wechsel (shifting) Die Elterngeneration gebraucht die Sprache, gibt sie aber nicht an die Kinder weiter. 8a dem Untergang geweiht (moribund) Die einzigen verbleibenden aktiven Benutzer der Sprache gehören zur Großelterngeneration oder sind noch älter. 8b fast ausgestorben (nearly extinct) Die einzigen verbleibenden Benutzer der Sprache gehören zur Großelterngeneration oder sind noch älter und haben kaum Möglichkeiten, die Sprache zu nutzen. 9 schlafend (dormant) Die Sprache dient als Erinnerung an die überlieferte Identität einer Gemeinschaft, aber niemand hat mehr als rudimentäre Kompetenz, die gelegentlich symbolisch gebraucht wird. 10 ausgestorben (extinct) Die Sprache wird nicht mehr gebraucht, niemand verbindet damit eine ethnische Identität. Tabelle 2: EGIDS (http: / / www.ethnologue.com/ about/ language-status). <?page no="71"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 71 5.5.2 Faktoren, die zum Erhalt oder Verlust von Minderheitensprachen beitragen Neben diesen katalogartigen Überlegungen soll in der Folge noch eine Reihe von Faktoren angesprochen werden, die den Sprachtod bzw. -erhalt in unterschiedlichen Situationen beeinflussen können. Dazu gehört etwa die Illoyalität zur eigenen Sprache (vgl. dazu etwa Kramer 1990), also negative Bewertungen, die oft maßgeblich durch eine aktive Unterdrückung seitens der Mehrheitsbevölkerung verursacht und durch wirtschaftliche Gründe verstärkt werden. Insbesondere in Deutschland gibt es jedoch auch Autoren, die eine vermeintliche Illoyalität auch zu einer Mehrheitssprache wie der deutschen Sprache beklagen, etwa im Hinblick auf die Akzeptanz und Verbreitung von Anglizismen. Ähnlich der Illoyalität, aber mehr mit Betonung der sozialen denn der individuellen Komponente, ist das Konzept der dislocation (vgl. z.B. Fishman 1991 oder Johnstone 1994: 6-7). Diese Entfremdung eines Individuums von seiner Sprache kann demographisch oder physisch-geographisch sein (etwa durch Kriege, Naturkatastrophen oder die Urbanisierung einer ländlichen Bevölkerung), sozial (etwa wenn Sprecher einer Minderheitensprache sozial und ökonomisch weniger erfolgreich sind als Sprecher der Mehrheitssprache) oder kulturell (durch Modernisierung oder die Demokratisierung von traditionellen Lebensweisen, die den Zusammenhalt einer Sprachgemeinschaft gefährden). In seiner Einführung zu einer Sammlung von Fallstudien aus dem Jahr 2001, die in vielerlei Hinsicht als Zusammenfassung einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Minderheitensprachen gelesen werden kann, identifiziert Fishman (2001a: 21) fünf Hauptgründe für erfolglose sprachpolitische Maßnahmen zum Spracherhalt: • Ein Kulturverlust beschleunigt den Identitätswechsel - die Sprache wird weniger wichtig für die Sprecher; • die traditionelle Sprache wird als unmodern, rückständig oder „uncool“ angesehen; • die bedrohte Sprache hat keine Funktionen, die nicht auch von der dominanten Sprache erfüllt werden (können); • Maßnahmen zum Spracherhalt werden entweder nur „von oben“ oder nur „von unten“ durchgeführt, ohne dass beide Seiten an einem Strang ziehen; • Spracherhalt wird (von der Mehrheitsund/ oder der Minderheitsbevölkerung) als Gefahr für die Einheit der Nation angesehen und mit (vermeintlichen oder realen) separatistischen Tendenzen verbunden. Außerdem nennt Fishman (2001b: 452-457) fünf häufig vorkommende ideologische Faktoren, die die oben genannten ergänzen: • Spracherhalt oder die Betonung kultureller und ethnischer Besonderheiten werden als Luxus angesehen, die dem wirtschaftlichen Erfolg (von Individuen oder einer ganzen Volkswirtschaft) entgegenstehen; • Sprachtod wird als etwas betrachtet, das „einfach passiert“, als ein normaler Prozess, der nicht aufgehalten werden kann; Sprachilloyalität Dislocation Gründe für Misserfolg im Spracherhalt Ideologische Faktoren <?page no="72"?> 72 I Theoretische Grundlagen und Konzepte • Maßnahmen zum Spracherhalt werden mit zivilem Ungehorsam und Aufruhr verbunden und deshalb abgelehnt, weil sie die eingespielten gesellschaftlichen Regeln bedrohen; • Selbstbestimmung oder Autonomie sub-staatlicher Einheiten wird als Bedrohung wahrgenommen; • es dominiert die Ideologie „ein Land-eine Sprache“. Auf ähnliche Weise hält auch Crystal (2000: 130) sechs Faktoren für entscheidend für die erfolgreiche Revitalisierung bzw. den Spracherhalt: • Die Sprecher der Minderheitensprache sollten in der Mehrheitsbevölkerung ein gewisses Prestige genießen bzw. dieses Prestige muss erhöht werden; • der Wohlstand der Sprecher (auch im Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung) sollte ausreichend hoch sein, damit der ökonomische Druck zum Wechsel zur Mehrheitssprache gering gehalten wird; • in der Mehrheitsbevölkerung muss ein Bewusstsein für das Recht existieren bzw. geschaffen werden, (sprachlich) anders zu sein sowie der Willen, dieser Andersartigkeit einen Platz in der Gesellschaft einzuräumen; • die Minderheitensprache muss im Bildungssystem präsent sein; • die Minderheitensprache sollte das gleiche Niveau an Kodifikation (d.h. Standardisierung und Ausbau) wie die Mehrheitssprache haben; • Zugang zu moderner Technologie sollte in gleichem Maße vorliegen wie für die dominante Sprache. In jüngster Zeit sind schließlich einige Ansätze hinzugekommen, die versuchen, die bisherige Literatur zur Bewertung der Situation einer Minderheitensprache zu ergänzen. Bei Karan (2011) stehen Motivationen und der wahrgenommene bzw. vermutete Nutzen eines Sprachwechsels im Vordergrund. Ehala (2011) dagegen fasst verschiedene Modelle zusammen und postuliert vier Hauptfaktoren, die für den Spracherhalt bzw. -wechsel entscheidend sind: die Stärke einer Gruppe in ihrer Selbstwahrnehmung, das Vertrauen bzw. die Ablehnung der Mehrheitsbevölkerung (interethnic discordance), die Frage, ob eher utilitaristische bzw. praktische oder eher emotionale bzw. traditionalistische Erwägungen dominieren, sowie die kulturelle Distanz zu einer anderen (Mehrheits-)gruppe. Diese Faktoren entscheiden zusammen darüber, ob eine Gruppe eher in einem „ kalten “ oder in einem „ heißen “ Modus operiert, d.h. ob sie sich aktiv gegen eine kulturelle Anpassung wehrt oder diese passiv hinnimmt. Ehala betont dabei ausdrücklich, dass die Faktoren (bzw. ihre Wahrnehmung) sich von gesellschaftlichen und politischen Gruppen beeinflussen lassen. Gemeinsam ist diesen Modellen vor allem, dass sie nicht nur eine Reihe von Faktoren auflisten, die dem Spracherhalt förderlich sein können, sondern dass sie vor allem weitergehende soziale und psychologische bzw. kognitive Prozesse in einer Gesellschaft berücksichtigen. Dies gilt auch für das European Language Vitality Barometer (EuLaViBar), das im Rahmen des ELDIA- Projektes zur Vitalität finno-ugrischer Sprachen in Europa entwickelt wurde (vgl. Spiliopoulou Åkermark et al. 2013). Auch wenn die Autorinnen betonen, Jüngere zusammenfassende Modelle zur Bewertung einer Minderheitensprache Europäisches Sprachvitalitätsbarometer (EuLaViBar) <?page no="73"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 73 dass dieses Tool nur den aktuellen Zustand beschreibt, nicht jedoch Zukunftsprognosen über den Spracherhalt erlaubt, ist es eine gute Möglichkeit zur Darstellung und Bewertung der ethnolinguistischen Vitalität einer Varietät. Auf der Basis von Fragebögen, die durch eine repräsentative Gruppe von Informanten (Sprach- und Sozialwissenschaftler sowie Mitglieder der Sprachgemeinschaft mit ausreichend Verständnis für gesellschaftliche und sprachpolitische Prozesse) ausgefüllt werden, wird die Situation einer Sprache auf einer Skala von 0-4 bewertet. Dabei werden zum einen die Präsenz in verschiedenen Domänen (Medien, Gesetzgebung, Bildung, sonstiger Sprachgebrauch), zum anderen die Fähigkeiten, Gelegenheiten, der Wunsch zum Sprachgebrauch sowie verfügbare Sprachprodukte beurteilt. Als Ergebnis dieser vier mal vier Faktoren, für die jeweils ein Wert zwischen 0 und 4 bestimmt wird, ergibt sich ein graphisches Modell, das vor allem den Vergleich von Varietäten in Hinblick auf Stärken und Schwächen ermöglicht. Letztere können dann Anhaltspunkte für einen sprachpolitischen Eingriff geben (vgl. Abbildung 12 mit der Situation des Karelischen in Finnland als Beispiel). Abbildung 12: Das EuLaViBar-Modell für das Karelische in Finnland. Insgesamt sind diese Modelle so zu verstehen, dass sie sich gegenseitig ergänzen bzw. als unterschiedliche Ansätze zur Lösung derselben Fragestellung betrachtet werden können. Es liegt auf der Hand, dass die genannten Faktoren ineinander übergehen und letztlich in jedem Fall individuelle Gründe dafür <?page no="74"?> 74 I Theoretische Grundlagen und Konzepte entscheidend sind, welche Rolle eine Minderheitensprache in einer Gesellschaft spielt, ob diese erhalten wird und ob sprachpolitische Regelungen und Initiativen existieren, die dies fördern. Dennoch geben die genannten Gründe Anhaltspunkte dafür, warum Sprachen erhalten bzw. revitalisiert werden können oder nicht. Bei der Analyse, aber auch der Ausarbeitung von praktischen sprachpolitischen Maßnahmen können diese somit bei der Entscheidung helfen, an welchen Stellen eine gezielte Sprachpolitik sinnvoll erscheinen kann. Gleichzeitig ist bemerkenswert, dass sich hier auch das sprachpolitische Grundmodell von Spolsky (Kapitel 3) wiederspiegelt: Die Betonung von Einstellungen oder Ideologien zu Sprache(n) ist hier ebenso prominent vertreten wie das eigentliche Sprachverhalten und das sprachpolitische Eingreifen unterschiedlichster Akteursgruppen. Schließlich muss an dieser Stelle betont werden, dass die Analyse von Faktoren, die in der Minderheitensprachpolitik eine Rolle spielen bzw. Voraussetzungen für diese sind, sowohl synchron als auch kontrastiv diachron eingesetzt werden können. Eine Situation kann also entweder zu einem bestimmten Zeitpunkt analysiert werden, oder es kann eine Entwicklung über einen bestimmten Zeitraum hin dargestellt werden, um durch eine Gegenüberstellung auch die Auswirkungen sprachpolitischer Maßnahmen im Sinne eines Vorhernachher-Vergleiches zu veranschaulichen. ZUSAMMENFASSUNG: Minderheitensprachen sind ein Bestandteil der Sprachpolitik, der in fast allen Ländern eine wichtige Rolle spielt. Sprachliche Minderheiten sind nicht nur nummerisch, sondern auch sozioökonomisch definiert und können sich in Bezug auf den Status ihrer Sprache statusstark unterscheiden, etwa in Hinsicht darauf, ob ihre Sprache in einem anderen Land die Nationalsprache ist. Eine Reihe von theoretischen Ansätzen versucht die Gefährdung und die Perspektiven einer Sprache zu bewerten; darunter sind insbesondere das GIDS (Fishman 1991), das zum EGIDS (Lewis et al. 2013) weiterentwickelt wurde, sowie das Modell der Unesco (2003) besonders einflussreich. Zu den zahlreichen Gründen für den Spracherhalt bzw. -verlust gehören politische, ökonomische, psychologische und demographische Faktoren. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Welche Typen von Minderheiten und von Minderheitensprachen können unterschieden werden? 2. Warum sind gerade Minderheitensprachen ein so häufiger Bereich der Sprachpolitik? 3. Nennen Sie Gründe, die für den Erhalt bzw. das Verschwinden einer bedrohten Sprache entscheidend sein können. 4. In der Forschung zur Minderheitensprachpolitik wird zumeist unterstellt, dass der Erhalt einer Minderheitensprache ein wünschenswertes Ziel ist. Welche Gründe sprechen dafür? Sind Sie mit dieser Grundeinstellung einverstanden oder gibt es Situationen, in denen eine Minderheitensprache Ihrer Ansicht nach nicht gefördert werden sollte? <?page no="75"?> 5 Minderheitensprachen und Spracherhalt 75 5. Vergleichen Sie die verschiedenen Ansätze der Bewertung der ethnolinguistischen Vitalität (GIDS, Unesco-Bericht, EGIDS, EuLaViBar). Was sind Vor- und Nachteile? Wenden Sie die Ansätze auf die Bewertung einer Ihnen bekannten Sprache an (dies kann eine Minderheiten- oder eine Mehrheitssprache sein). Finden Sie diese Ansätze praktikabel? <?page no="76"?> 6 Sprachrechte, Sprachgesetzgebung und intertionale Vereinbarungen zu Sprache(n) Während sich das vorherige Kapitel mit Minderheitensprachen und Faktoren, die zu ihrem Erhalt beitragen, beschäftigt hat, soll sich dieses Kapitel mit Sprachgesetzgebung als einem wichtigen Bereich von Sprachpolitik „von oben“ sowie mit Fragen von Sprachrechten und internationalen Abkommen zum Schutz von Minderheitensprachen im Allgemeinen befassen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Gesetzgebung mit Sprache beschäftigt. Etwa 125 Verfassungen der etwa 200 souveränen Staaten auf der Welt nehmen Bezug auf Sprache. Dies kann im Sinne einer minimalen allgemeinen Erwähnung passieren wie im Grundgesetz, in dessen Paragraph 3 (3) als Grundrecht festgeschrieben ist, dass niemand aufgrund seiner Sprache diskriminiert werden darf: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Eine wesentlich stärkere Festschreibung von Sprache findet sich in denjenigen Verfassungen, in denen eine bestimmte Sprache als National- oder Staatssprache verankert ist. Spolsky (2004: 60) zitiert Jones (2001), wonach 30 Staaten in ihrer Verfassung behaupten, einsprachig zu sein, darunter viele arabische Staaten, aber auch so unterschiedliche Länder wie Frankreich, Portugal, Honduras, Liechtenstein oder die Türkei. Dabei entspricht dies auch bei großzügiger Auslegung des Einsprachigkeitsbegriffes fast nie der Realität. 55 Staaten sind laut Spolsky (2004: 144-146) offiziell einsprachig in dem Sinne, dass es eine offiziell festgeschriebene Nationalsprache o.ä. gibt, in denen aber Minderheitensprachen offiziell Erwähnung finden (mit in der Praxis sehr unterschiedlichen Auswirkungen). Der Staat mit der höchsten Zahl der in diesem Sinne offiziell festgeschriebenen Staatssprachen ist Südafrika mit 11 offiziellen Sprachen (Spolsky 2004: 11-14). Im Gegensatz zur Festschreibung von Sprache in der Verfassung eines Staates (oder auch von Regionen eines Staates, wo diese eigene Verfassungen oder verfassungsähnliche Gesetze haben) steht die Sprachgesetzgebung. Diese kann sich auf unterschiedlichste Bereiche des Sprachgebrauchs beziehen und ist auch in Staaten üblich, in denen Sprache nicht in der Verfassung erwähnt wird. Sprachgesetze können z.B. vorschreiben, ob ausländische Filme in den staatlichen Medien synchronisiert oder untertitelt werden müssen, in welchen Sprachen eine Behörde Dokumente annehmen und ausstellen darf bzw. muss, sie bestimmen die Sprachen, die in Schulen gebraucht und gelehrt werden, oder legen die Kennzeichnung von Lebensmitteln in einer bestimmten Sprache fest. Durch derartige Gesetze (oder auch durch Verordnungen unterhalb der Gesetzesebene) erfährt eine offizielle Sprachpolitik ihre amtliche Festschreibung. Erwähnung von Sprache(n) in der Verfassung Sprachgesetzgebung na <?page no="77"?> 6 Sprachrechte, Gesetze und internationale Vereinbarungen 77 6.1 Klassifizierungen von Sprachgesetzgebung Eine Typologie der Sprachgesetzgebung stammt von Turi (1995, 1997). Das erste von drei Klassifizierungsmerkmalen unterscheidet darin zwischen einer Gesetzgebung, die sich nur auf den Sprachgebrauch in offiziellen Kontexten bezieht, und einer Gesetzgebung mit Bezug auch auf nicht-offizielle Bereiche. Eine zweite Kategorie bezieht sich darauf, ob die Gesetzgebung umfassend ist oder nicht, d.h. ob sie alle Bereiche des Sprachgebrauches abdeckt oder nur einzelne wie die Verwaltung. Das wichtigste Merkmal ist jedoch die Frage nach der Funktion, die auch eng mit den Prinzipien bzw. Ideologien von Sprachpolitik verbunden ist. Hier unterscheidet Turi zwischen offizieller, institutioneller, standardisierender und liberaler Gesetzgebung. Offizielle Gesetzgebung bezieht sich auf den Sprachgebrauch in Institutionen des Staates, einschließlich der Verwaltung, Gerichten und staatlichen Bildungseinrichtungen. Sie steht in Turis Terminologie im Gegensatz zur Gesetzgebung, die den Sprachgebrauch in Institutionen regelt, die sich nicht direkt in der Kontrolle des Staates befinden, also in privaten Organisationen, in der Wirtschaft oder in Kultur und Medien. Beispiele für Sprachgesetze im Privatsektor sind das Vorschreiben einer bestimmten Sprache in der Buchhaltung privater Unternehmen oder auf Sicherheitshinweisen. Die standardisierende Gesetzgebung bezeichnet Bereiche der Korpusplanung, wo diese Gesetzesstatus erhält. Dies kann sich auf die Standardisierung einer Sprache insgesamt beziehen, wie die Aufstellung verbindlicher orthographischer und grammatischer Regeln, oder auf die Regelung spezieller Bereiche, etwa bei der Ausarbeitung technischer Begriffe. Schließlich bezeichnet die liberale Sprachgesetzgebung die Festschreibung der freien Sprachwahl, z.B. in Form von Antidiskriminierungsgesetzen. Sie ist damit eng mit individuellen Sprachrechten verbunden. Turis Kategorien bieten insgesamt nicht nur Anhaltspunkte für eine Beschreibung von Sprachgesetzgebung, sondern können auch in der Bewertung sonstiger sprachpolitischer Maßnahmen herangezogen werden. An dieser Stelle soll noch eine grundsätzliche Unterscheidung erwähnt werden, die in der Sprachgesetzgebung, aber auch in der Sprachpolitik allgemein von großer Bedeutung ist: der Unterschied zwischen Territorialitätsprinzip und Personalitätsprinzip (vgl. dazu z.B. Blumenwitz 1996: 164-165). Wo das Territorialitätsprinzip Anwendung findet, gelten bestimmte Gesetze oder andere Regelungen innerhalb eines klar definierten geographischen Gebietes, unabhängig von der Person. Beim Personalitätsprinzip dagegen gelten Regeln für jedes Individuum, das bestimmte Voraussetzungen erfüllt, unabhängig vom Wohnort. Klassische Beispiele für eine konsequente Anwendung des Territorialitätsprinzips sind die Schweiz und Belgien mit ihrer Aufteilung in französisch- und deutschsprachige sowie niederländische bzw. italienische und rätoromanische Gebiete. Mit wenigen Ausnahmen sind Verwaltung, Bildungssystem etc. rein einsprachig; Personen, die aus ihrer Heimatregion in einen anderen Teil des Landes umziehen, verlieren damit die Möglichkeit der Anwendung ihrer Muttersprache in offiziellen Kontexten. Schwierig wird eine Anwendung dieses Prinzips überall dort, wo eine Sprachgruppe kein Kernsiedlungsgebiet hat, sowohl im Fall von über ein Land Typologie der Sprachgesetzgebung von Turi Territorialitäts- und Personalitätsprinzip <?page no="78"?> 78 I Theoretische Grundlagen und Konzepte verstreuten Minderheitengruppen als auch in den meisten Fällen von Migrantensprachen. In derartigen Situationen kann das Personalitätsprinzip greifen - d.h. alle Bewohner können individuell entscheiden, in welcher Sprache sie mit Behörden etc. kommunizieren wollen. Derartige Lösungen sind auf der einen Seite sehr demokratisch, weil sie versuchen, den individuellen Bedürfnissen und Wünschen Einzelner gerecht zu werden. Auf der anderen Seite sind sie aber praktisch oft nur schwer umsetzbar, da die Bereitstellung von sprachlichen Dienstleistungen für nur einige wenige Einwohner hohe Kosten verursacht. Außerdem ist es oft schwierig, überall Mitarbeiter zu finden, die die geforderten Aufgaben sowohl sprachlich als auch inhaltlich bewältigen können. Somit wird das Personalitätsprinzip in der Praxis oft durch die Bereitstellung von Übersetzern oder Dolmetschern umgesetzt - etwa auch hinsichtlich des internationalen Grundrechtes, Gerichtsverhandlungen in einer Sprache durchzuführen, der die Betroffenen folgen können. Ein theoretisches Modell der Sprachgesetzgebung, das sich primär auf Minderheitensprachen und Sprachrechte bezieht, wird von Skutnabb-Kangas/ Phillipson (1995: 80) vorgeschlagen. Auch dieses Modell lässt sich nicht nur auf die Gesetzgebung anwenden, sondern ist allgemein für eine Einordnung der Sprachpolitik eines Staates nützlich. Die horizontale Achse der graphischen Darstellung des Modells beschreibt die Ideologie, die den Sprachgesetzen bzw. dem sprachpolitischen Handeln zu Grunde liegt. Diese reicht vom Verbot einer Sprache über eine Tolerierung, Antidiskriminierungsgebote bis zum expliziten Erlauben einer Varietät und zur aktiven Förderung. Ein Verbot ist dabei die extremste Form der Assimilierungspolitik, etwa in diktatorischen Regimen, in denen bisweilen sogar die Existenz einzelner Sprachen negiert wird. So wurde in der Türkei über viele Jahre die Existenz der kurdischen Sprache schlichtweg geleugnet: Obwohl das Kurdische als indoeuropäische Sprache einer völlig anderen Sprachfamilie angehört als die Turksprache Türkisch, wurde offiziell nur von „bergtürkischen“ Dialekten gesprochen. Am anderen Ende der Skala ist die aktive Förderung einer kleinen Sprache bzw. von Mehrsprachigkeit nur das Ziel von relativ wenigen politischen Maßnahmen, da dazu das gehört, was als „aktives Angebot“ bezeichnet werden kann. Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass es in vielen Fällen für den Spracherhalt nicht ausreicht, mit Hilfe von Gesetzen zu erlauben, dass etwa eine bestimmte Sprache in den Schulen unterrichtet werden darf. Aufgrund teilweise jahrhundertelanger Unterdrückung sind viele Sprechergruppen so verunsichert, dass in politischen Strukturen, die von der Mehrheitsbevölkerung dominiert werden, oft nur besonders aktive und bewusste Sprecher von selbst auf die Idee kommen, den Gebrauch ihrer Sprache einzufordern. Viele Sprecher verfallen dagegen in offizielleren Funktionen automatisch in überlieferte und gängige Sprachgebrauchsmuster und benutzen die Mehrheitssprache. Eine Politik des aktiven Angebots geht dagegen von sich aus auf die Sprecher zu und ermuntert sie zum Gebrauch ihrer Sprache auch in Fällen, wenn die Sprecher selbst noch zögerlich sind. Dies kann etwa in Form von Kampagnen in den Schulen der Fall sein, oder in Behörden, wenn Sprecher bewusst in Minderheits- und Mehrheitssprache angesprochen werden, so dass die psychologische Barriere des Benutzens der kleineren Sprache verringert wird. Ideologie und offene vs. verdeckte Sprachpolitik nach Skutnabb-Kangas/ Phillipson <?page no="79"?> 6 Sprachrechte, Gesetze und internationale Vereinbarungen 79 Auf der vertikalen Achse der Graphik werden die Sichtbarkeit und die offiziellen Kommunikationsstategien der politischen Maßnahmen eingetragen. Diese werden in dem Gegensatzpaar offene vs. verdeckte Sprachgesetzgebung bzw. -politik zum Ausdruck gebracht. Eine offene Politik benennt explizit ihre Ziele und ihre ideologische Grundlage, etwa in Form von Gesetzen oder durch offizielle Statements. Auf der Seite der versteckten Sprachpolitik stehen leisere Politikansätze, in denen Maßnahmen getroffen werden, die eher indirekt sind und unter der Oberfläche stattfinden. Abbildung 13: Schema sprachrechtlicher Regelungen nach Skutnabb-Kangas/ Phillipson 1995. 6.2 Internationale juristische Dokumente zu Sprachen und zu Sprachrechten Nach den theoretischen Klassifizierungen von Sprachgesetzgebung soll nun ein Überblick darüber gegeben werden, welche Rolle Sprachpolitik und rechte in internationalen juristischen Abkommen spielen. Dabei lässt sich feststellen, dass die internationale Politik sich lange relativ wenig mit Sprache befasst hat, nicht zuletzt, weil Sprachrechte bis etwa 1970 als Teil von allgemeinen Menschenrechten gesehen wurden. Die lange vorherrschende Auffassung, wie etwa auch in der Charta der Vereinten Nationen formuliert, war lediglich, dass es keine Diskriminierung aufgrund von Sprache (ebenso wenig wie z.B. aufgrund von Hautfarbe oder Religion) geben dürfe. Dieser universalistische Menschenrechtsansatz berücksichtigte aber nicht den besonderen Wert bestimmter Sprachen und Kulturen - es galt lediglich das Grundprinzip, dass alle Menschen gleich sind und allen eine Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen möglich sein muss. Auf eine mögliche Benachteiligung durch sprachliche Unterschiede in der Realität wurde dabei nicht eingegangen. Ein wichtiges Dokument in diesem Geiste, das aufgrund seiner Antidiskriminierungsvorgaben bedeutsam ist, aber heute in vielen Fällen als nicht ausreichend empfunden wird, ist der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (vgl. dazu Orlin 2015; eine umfassende Auflistung internationaler Dokumente, die Sprach- Sprache als international lange wenig beachtetes Rechtsgut <?page no="80"?> 80 I Theoretische Grundlagen und Konzepte rechte manifestieren, findet sich etwa auf der Web Site von Mercator Legislation, einer Organisation, die sich der Dokumentation und Analyse sprachpolitischer Entwicklungen aus juristischer Sicht widmet). Dokumente, die sich ausdrücklich auf Minderheitensprachen beziehen, entstanden dagegen erst seit Ende des 20. Jahrhunderts. Grundlegend in diesem Sinne ist die UN-Deklaration von 1992 über die Rechte von Personen, die zu nationalen, ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten gehören, in der sich die Mitgliedstaaten der UNO zu einer Reihe von sprachpolitischen Maßnahmen verpflichten. Dazu gehören die Unterstützung von Aktivitäten, die Minderheiten dabei helfen, ihre eigene Identität zu bewahren, und die dazu beitragen, dass sie ihre Kultur, Traditionen, Bräuche, Religion und auch ihre Sprache pflegen können. Allerdings sind Ausnahmen erlaubt „ where specific practices are in violation of national law and contrary to international standards “ (United Nations 1992). Außerdem sollen die Staaten geeignete Maßnahmen ergreifen, damit Angehörige von Minderheiten ihre Muttersprache lernen und Bildung in dieser erhalten können. Das Problem aus der Perspektive der Minderheiten mit dieser Verpflichtung, so wichtig sie als Symbol auch sein mag, liegt darin, dass sie dem Minimalkonsens der UN-Mitgliedsstaaten entspricht und damit ausgesprochen schwach ist. Formulierungen wie „wo immer möglich“ laden dazu ein, diese Bestimmungen zu ignorieren. Es ist somit - wie viele Dokumente der Vereinten Nationen - nicht mehr als eine politische Absichtserklärung ohne rechtlich bindende Wirkung. Staaten, die dagegen verstoßen, können politisch in Verruf geraten - praktische Konsequenzen drohen ihnen nicht (vgl. dazu Blumenwitz 1996: 181-182). Außerdem enthält dieses Dokument keine Aussagen zum Gebrauch unterschiedlicher Sprachen in der Verwaltung oder im Rechtssystem. Die Bedeutung dieser Deklaration liegt somit in seiner globalen Reichweite, die fast alle Staaten der Welt umfasst - darunter auch viele, die eine weiterreichende Verpflichtung nicht unterschreiben würden. Auch die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 1989 (vgl. Kapitel 4), die zum ersten Mal bestimmte Rechte indigener Völker festschreibt, ist wichtig als Abkommen für Sprachrechte. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich dazu, eine besondere Verantwortung für den Erhalt traditioneller Lebensweisen indigener Völker zu übernehmen, wozu auch das Recht auf Bewahrung der eigenen Sprache gehört. Diese Klausel schafft die Möglichkeit, die Verletzung von Sprachrechten international einzuklagen. Allerdings ist die ILO-Konvention 169 bis heute nur von einer Handvoll (überwiegend lateinamerikanischer) Staaten unterzeichnet worden, so dass die Reichweite auch dieses Abkommens begrenzt ist und nicht zuletzt vom Willen jedes einzelnen Staates abhängt. 6.3 Europäische Dokumente zu Sprachpolitik und zu Minderheitenrechten Europäische Dokumente zu Sprachpolitik und zum Schutz von Minderheitensprachen sind im Gegensatz zu den globalen Dokumenten weitreichender und rechtlich verbindlicher, wobei auch hier gilt, dass kein Staat gegen seinen Willen zu etwas verpflichtet werden kann. Das erste fundamentale Dokument zu Umdenken am Ende des 20. Jh. Schwäche der UN-Dokumente Europäische Traditionen seit Ende des Zweiten Weltkrieges <?page no="81"?> 6 Sprachrechte, Gesetze und internationale Vereinbarungen 81 Menschenrechtsfragen in Europa und damit ein Meilenstein auch für sprachliche Minderheiten ist die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates aus dem Jahre 1950, die bis heute zentral für die Frage von Menschenrechten in Europa ist (vgl. Steiner 1993 oder Blumenwitz 1996: 182- 183). Auch wenn die anschließende Rechtssprechung in der Praxis ausdrücklich die Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten negiert hat, eine aktive Sprachpolitik zugunsten von Minderheitensprachen betreiben zu müssen, ist dieses Dokument zumindest eine rechtlich verbindliche Grundlage, die auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeklagt werden kann. Die Konvention bestimmt auch, dass Minderheitenschulen in gleichem Maße unterstützt werden müssen wie Mehrheitsschulen, und legt ein Recht auf Übersetzungen und Dolmetschen vor Gericht fest. Die Frage des Schutzes sprachlicher Minderheiten wurde in den europäischen Institutionen in den späten 1970er Jahren verstärkt aufgegriffen (vgl. European Bureau for Lesser Used Languages/ Carrel 1995: 8-13). Dazu gehörten mehrere Resolutionen im Europäischen Parlament, die in zunehmendem Maße Sprachrechte vor den Behörden, vor Gericht oder im Bildungssektor einforderten. Im Zuge dieser Entwicklungen wurde auch das European Bureau for Lesser Used Languages (Eblul) eingerichtet, das maßgeblich durch europäische Gelder gefördert wurde, dessen Finanzierung allerdings im Jahr 2010 nicht verlängert wurde. Somit wurde nach 25 Jahren erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit zugunsten von Sprachminderheiten in Europa eine der ersten Institutionen dieser Art wieder abgeschafft. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Grund für seine Existenz mehr gäbe, wie nicht zuletzt die Vielzahl der nationalen Büros belegt, die z.T. erst im neuen Jahrtausend gegründet wurden, und für die Eblul als Dachorganisation fungierte. Ein anderes wichtiges Dokument aus der Zeit des politischen Umbruchs in Europa ist die Kopenhagener Erklärung der KSZE von 1990, die im Geist der Demokratisierung in Osteuropa entstand (vgl. Blumenwitz 1996: 185-186). Darin sagen Regierungen aus ganz Europa zu, die Rechte aller Bürger auf Entwicklung einer kulturellen Identität zu schützen, einschließlich des Rechtes auf freie Sprachwahl und Unterstützung für Bildung, Kultur und Religion. Ausdrücklich wird erwähnt, dass Behörden nach Möglichkeit Dienstleistungen in Minderheitensprachen anbieten sollen. Auch hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine Absichtserklärung, die zwar politisch einen großen Schritt nach vorne bedeutete - die Einhaltung der Kopenhagener Erklärung war eine Grundlage für den EU-Beitritt osteuropäischer Staaten - , rechtlich verbindlich war sie dagegen nicht. Die wichtigsten europäischen politischen Dokumente zu Sprachrechten, die bis heute Grundlage für die Überwachung sprachpolitischer Maßnahmen für Minderheiten sind, sind die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen (1992) und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995), beide vom Europarat erarbeitet. Letztere behandelt Minderheitenschutz allgemein und schließt dabei sprachliche Grundrechte ein. Die Staaten, die diese Konvention unterzeichnet und ratifiziert haben, verpflichtet sich dazu, in Minderheitengebieten Straßen- und Ortsschilder in der jeweiligen Minderheitensprache aufzustellen und für eine geeignete Berücksichtigung der Sprachen in den Schulen zu sorgen. Damit garantiert das Rahmenübereinkommen viele Grundrechte, allerdings enthält Kopenhagener Erklärung (1990) Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten <?page no="82"?> 82 I Theoretische Grundlagen und Konzepte auch sie kaum Verpflichtungen zur aktiven Förderung von kleinen Sprachen und bleibt in vielen Punkten recht vage. Ein Beispiel dafür, inwiefern jeder Staat selbst entscheiden kann, welche Sprache er wie unterstützen möchte, ist Artikel 14.2, der sich auf Minderheitensprachen in den Schulen bezieht: In Gebieten, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien, wenn ausreichende Nachfrage besteht, soweit wie möglich und im Rahmen ihres Bildungssystems sicherzustellen, daß Angehörige dieser Minderheiten angemessene Möglichkeiten haben, die Minderheitensprache zu erlernen oder in dieser Sprache unterrichtet zu werden. (Europarat 1995) Auch wenn es wichtig ist, dass Minderheitensprachen in Schulen thematisiert werden, wird hier doch der Mangel an wirklicher Verpflichtung deutlich. Außerdem unterscheidet die Konvention nicht zwischen dem Unterricht der Minderheitensprache als Fremdsprache und Schulunterricht in der Minderheitensprache selbst - wobei zumeist erst letztere eine nachhaltige Förderung der Sprache bedeuten würde, sowohl auf symbolischer als auf praktischer Ebene. Die eingeschränkte Kraft dieser Konvention zeigt sich etwa in Lettland, das das Rahmenübereinkommen zwar ratifiziert hat, jedoch die Artikel 10 und 11 ausdrücklich davon ausnimmt: Damit sind die Artikel, die den Gebrauch von Minderheitensprachen in den Behörden sowie auf Orts- und Straßenschildern vorschreiben, außer Kraft gesetzt. Dies zeigt, dass auch die Existenz dieses Dokumentes letztlich nicht bedeutet, dass gegen den Willen des jeweiligen Staates eine Förderung von Sprachrechten erfolgen kann. Das bis heute am ausdrücklichsten auf Sprachen bezogene internationale Abkommen ist die Charta für Regional- oder Minderheitensprachen, die oftmals als die am weitesten gehende Selbstverpflichtung von Staaten gegenüber ihren Minderheitensprachen angesehen wird (Blumenwitz 1996: 184- 185; zu einer jüngeren Bewertung des Einflusses der Charta siehe Council of Europe 2010). Die Charta legt in ihrer Präambel fest, dass die Unterstützung von Regional- oder Minderheitensprachen „sich nicht nachteilig auf die Amtssprachen und die Notwendigkeit, sie zu erlernen, auswirken“, sondern „einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines Europas darstellen [sollte], das auf den Grundsätzen der Demokratie und der kulturellen Vielfalt im Rahmen der nationalen Souveränität und der territorialen Unversehrtheit beruht“ (Europarat 1992, Präambel). Die Charta nennt keine individuellen Rechte, sondern Verpflichtungen der Staaten, deren Einhaltung international beobachtet wird. Jeder Staat hat die Möglichkeit, individuell aus einem Katalog auszuwählen, welche Maßnahmen für welche Sprache gelten sollen, wobei alle wichtigen Domänen des Sprachgebrauches berücksichtigt werden müssen. Damit können Staaten, die einer bestimmten Sprache ihre Anerkennung versagen, zwar selbst bestimmen, welche Maßnahmen sie anwenden wollen, so dass letzlich keine Garantien für einen wirklichen Schutz gegeben sind. Dennoch gilt - auch gerade aufgrund der alle paar Jahre stattfindenden Begutachtung durch internationale Experten, auf die der Staat reagieren muss - die Charta heute im Rahmen der Möglichkeiten als Erfolg. So hat die kritische Begutachtung Deutschlands im ersten Monitoring Report mit dem Glauben Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen <?page no="83"?> 6 Sprachrechte, Gesetze und internationale Vereinbarungen 83 aufgeräumt, dass mit den Sprachminderheiten in Deutschland alles zum Besten stehe. Damit wird - zumindest bei einem Mindestmaß an Bewusstsein in der Gesellschaft - ein politischer Druck aufgebaut, auch wenn dieser oftmals erst nach zähem Ringen zur Ausarbeitung und Umsetzung neuer sprachpolitischer Maßnahmen führt. Es ist allerdings anzumerken, dass die Charta bis Frühjahr 2014 erst von 25 der 47 Mitglieder des Europarates ratifiziert wurde - unter den Staaten, die dies bisher ablehnen, ist etwa auch Frankreich. Abbildung 14: Ein zentraler Bestandteil der Europäischen Sprachencharta ist die Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssektor: Ein Beispiel aus der Universität Bilbao im Baskenland mit zweisprachiger Politik (Baskisch-Spanisch). 6.4 Die Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte und die Idee der sprachlichen Menschenrechte Ein sprachpolitisches Dokument völlig anderer Art ist die Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte (Universal Declaration on Linguistic Rights), die 1996 in Barcelona von einer Gruppe von Aktivisten unterzeichnet wurde. Diese ist in keiner Weise rechtlich bindend, sondern ausschließlich ein politischer Forderungskatalog von Aktivisten und Sprachrechtlern. In vielerlei Hinsicht liest sich die Erklärung wie ein utopisches Modell der Akzeptanz globaler sprachlicher Vielfalt. Wie viele derartige Erklärungen ist auch die Erklärung zu Sprachrechten im Bewusstsein verfasst, dass ein Großteil der Forderungen an den meisten Orten auf absehbare Zeit wohl Wunschdenken bleiben wird. Dennoch ist dieses Dokument von Bedeutung in Hinblick auf die Frage, wie Sprachrechte, die Vielfalt ernst nehmen, theoretisch aussehen könnten. <?page no="84"?> 84 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Die Erklärung zu Sprachrechten ist eng mit der Idee der sprachlichen Menschenrechte (Linguistic Human Rights) verbunden, die maßgeblich von dem Linguisten-Ehepaar Tove Skutnabb-Kangas und Robert Phillipson geprägt wurde. Dieses Konzept geht wesentlich weiter als Sprachgesetzgebung in den meisten Fällen, ist in seiner Radikalität aber auch umstritten. Die Idee des Rechtes auf freie Wahl und Gebrauch von Sprachen für alle rückt Sprachrechte in die Nähe von traditionellen Grundrechten wie dem Recht auf freie Meinungsäußerung oder auf freie Wahl der Religion. Diese Idee basiert auf der Erkenntnis, dass - im Gegensatz zu weit verbreitenden Ansichten - die Möglichkeit, den Gebrauch einer Sprache frei zu wählen, in vielen Sitationen durchaus erhebliche Einschränkungen erfährt. Dies gilt sowohl für Länder mit niedrigen demokratischen Standards als auch für viele vermeintlich unproblematische Länder in Europa (vgl. dazu etwa Puschmann 1996 für einen beeindruckenden Überblick über sprachliche Unterdrückung in Europa). Für Skutnabb-Kangas/ Phillipson (1995) bzw. Skutnabb-Kangas (2000) bedeuten sprachliche Menschenrechte in Bezug auf die Muttersprache das Recht, sich in jeder beliebigen Situation mit der Muttersprache identifizieren und diese verwenden zu können. Dazu gehört der Gebrauch im Bildungssektor und in der öffentlichen Verwaltung, die entsprechende Dienstleistungen anbieten müsse (Skutnabb-Kangas/ Phillipson 1995: 98-99). Zusätzlich soll jeder Mensch das Recht haben, die offizielle Sprache des Landes in ihrer Standardform zu lernen. Was nicht gemeint ist, ist das Erlernen weiterer Fremdsprachen, das zwar wichtig sein kann, aber nicht in einem Atemzug mit den grundlegenden Menschenrechten genannt werden sollte (Skutnabb-Kangas/ Phillipson 1995: 100-103). Die Entwicklung der Idee sprachlicher Menschenrechte muss im Zusammenhang mit dem steigenden Bewusstsein für Minderheitenrechte insgesamt seit etwa den 1970er Jahren betrachtet werden. Zuvor gab es auch in Europa eine Tradition der Assimilierungspolitik und des Bestrafens des Gebrauches anderer Sprachen, die eng mit dem Entstehen des Nationalgedankens im 19. Jahrhundert verbunden war (vgl. Kapitel 4). In den europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert kam dies besonders drastisch zum Ausdruck - so konnte in Spanien während der Franco-Diktatur sogar der private Gebrauch des Baskischen, wenn öffentlich wahrgenommen, zu erheblichen Repressalien führen. Vom Ansatz her wohlmeinend, aber vom Ergebnis her ebenso verheerend war etwa die dänische Assimilierungspolitik in Grönland. Durch die zeitweise Wahrnehmung von Grönländern als „ Nord-Dänen “ sollte die Bevölkerung Grönlands in den dänischen Wohlfahrtsstaat eingegliedert und dadurch der Lebensstandard erheblich erhöht werden. In der Praxis wurde dadurch jedoch die sprachliche und kulturelle Identität der Grönländer unterdrückt, was neue soziale Probleme mit sich brachte. Erst seit den 1980er Jahren hat die grönländische Regierung im Rahmen der neu gewonnenen Autonomie massiv versucht, die grönländische Sprache zu einer modernen, umfassend zu gebrauchenden Sprache auszubauen. Der wichtigste Grundsatz der Allgemeinen Erklärung der Sprachenrechte ist, dass alle Sprachen in der Lage sein müssen „ to enjoy the conditions required for their development in all functions “ und dass alle Sprachgemeinschaften das gleiche Recht darauf haben „ to organize and manage their own resources so as to ensure the use of their language in all functions within society“. Die Sprachliche Menschenrechte Bewusstsein für Menschenrechte in Europa seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts Forderung nach Recht auf Gebrauch einer Sprache in allen Funktionen <?page no="85"?> 6 Sprachrechte, Gesetze und internationale Vereinbarungen 85 Hauptziele betreffen politische, kulturelle und ökonomische Aspekte der Sprachentwicklung. Artikel 3 fasst die wichtigsten Prinzipien zusammen, zu denen sowohl individuelle als auch kollektive Rechte gehören. Unveräußerliche persönliche Rechte sind danach etwa „ the right to the use of one’s own language both in private and in public, the right to the use of one’s own name “ und „t he right to maintain and develop one’s own culture “ . Kollektivrechte, in Ergänzung zu den Rechten, die die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft individuell besitzen, sind z.B. „t he right for their own language and culture to be taught, the right of access to cultural services, the right to an equitable presence of their language and culture in the communications media “ und „ the right to receive attention in their own language from government bodies and in socio-economic relations “ . Gleichzeitig sollen diese Forderungen „ in no way hinder the interrelation of such persons or groups with the host language community or their integration into that community “. Gegen Ende enthält die Erklärung auch einen Absatz, der Behörden dazu verpflichtet „ to take all appropriate steps to implement the rights proclaimed in this Declaration and to establish adequate sanctions to be applied in cases of violation “ . Und schließlich macht die Erklärung einen interessanten sprachpolitischen Vorschlag: Danach soll ein Sprachrat innerhalb des Systems der UNO eingerichtet werden, der als globale Kommission für Sprachrechte fungiert. Auch wenn das Bewusstsein für den Wert von Mehrsprachigkeit heute deutlich weiter entwickelt ist als vor einigen Jahrzehnten, wird der Ansatz der sprachlichen Menschenrechte auch innerhalb der akademischen Diskussion stark kritisiert - von der Bewertung in allgemeineren gesellschaftlichen Kontexten ganz zu schweigen. Manche der Forderungen - sowohl der Erklärung der Sprachenrechten als auch von Autoren wie Skutnabb-Kangas und Phillipson - gehen sehr weit. Dazu gehören Sprachrechte in privaten Unternehmen, einem Bereich, auf den Sprachpolitik zumeist nur in sehr eingeschränktem Maße Einfluss nimmt, oder die Forderung, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens eine Minderheitensprache benutzen zu können. Insbesondere ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass es praktisch kaum umsetzbar ist, allen Menschen überall die Benutzung ihrer Muttersprache zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn sich dieses Grundprinzip nicht auf Migrantensprachen, sondern nur auf autochthone Minderheiten beziehen sollte, wobei starke Befürworter wie de Varennes (z.B. 2001) argumentieren, dass Sprachrechte als reine Menschenrechte für alle Menschen unabhängig von derartigen Kriterien gelten sollten. Auch wenn derartige Forderungen aus praktischen Gründen oftmals - selbst bei gutem Willen - schwer umzusetzen wären und die Erklärung in ihrem Ausmaß wohl auf absehbare Zeit kaum realistische Chancen auf Durchsetzung hat, zeigen Beispiele wie etwa jüngste sprachliche Regelungen in Skandinavien, dass der Geist dieser Erklärung auch auf die konkrete Ausarbeitung von Sprachpolitik in der Praxis Einfluss nimmt. Insofern ist dieser Ansatz in dem Sinne wertvoll, dass er dazu beigetragen hat, eine Diskussion anzustoßen, die Minderheitensprachen und der Ungleichbehandlung von Personen aufgrund ihrer sprachlichen Herkunft zu mehr Aufmerksamkeit verholfen hat. Zudem zeigt er, welche Rechte für Sprachen und ihre Sprecher theoretisch denkbar wären. Dies ändert allerdings bislang wenig daran, dass auch heute Kritik an der Idee sprachlicher Menschenrechte Praktische Auswirkungen der Sprachrechtsidee <?page no="86"?> 86 I Theoretische Grundlagen und Konzepte noch in vielen Ländern die Auffassung weit verbreitet ist, dass Minderheitensprachen minderwertig sind und dass Einsprachigkeit den Normalfall darstellt. In diesem Sinne verstehen sich die Forderungen nach sprachlichen Menschenrechten als Orientierungspunkt für Forderungen und mögliche Sprachregimes in der Zukunft - vergleichbar anderen politischen Dokumenten, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung avantgardistisch klangen, einige Zeit später jedoch wie selbstverständlich umgesetzt wurden. ZUSAMMENFASSUNG: Fast in allen Staaten der Welt wird Sprache in einem Gesetz oder in der Verfassung erwähnt. Die Regelungen können sehr unterschiedlich sein und von einer liberalen Gesetzgebung, die sprachliche Freiheit garantiert, bis zu konkreten Handlungsanweisungen reichen. Wichtige Unterschiede bestehen zwischen Territorialitäts- und Personalitätsprinzip sowie zwischen offener und versteckter Gesetzgebung. Auf internationaler Ebene gibt es seitens der Vereinten Nationen eine Reihe von Antidiskriminierungsregelungen, die aber nicht besonders weit gehen. Für Minderheitensprachen von großer Bedeutung dagegen sind auf europäischer Ebene das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten und die Europäische Charter zu Regional- oder Minderheitensprachen. Den existierenden Regelungen steht die Idee der sprachlichen Menschenrechte gegenüber, die den Gebrauch der Muttersprache anderen grundsätzlichen Menschenrechten gleichstellen möchte. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Auf welche Bereiche des Sprachgebrauchs kann Gesetzgebung Bezug nehmen? Welche dieser Bereiche kennen Sie aus Ihrem Alltag? 2. Welche Ideologien stecken hinter den verschiedenen Typen der Sprachgesetzgebung? Kennen Sie Beispiele? 3. Skizzieren Sie die Idee der sprachlichen Menschenrechte. Sind Sie damit einverstanden, dass Sprache Teil von Menschenrechten sein sollte? Wo gibt es Ihrer Meinung nach Grenzen? 4. Wo befassen sich internationale Dokumente mit Sprache? Welche praktischen Auswirkungen haben diese? 5. Was sind die wichtigsten europäischen Dokumente zum Schutz von Sprachen? Wie funktioniert ihre Anwendung in der Praxis? 6. Suchen Sie im Internet nach dem aktuellen Stand der Sprachkonventionen des Europarates: Welche Länder sind beigetreten? Analysieren Sie bei einem Land Ihrer Wahl die von den Regierungen vorgelegten Berichte. Vergleichen Sie diese mit den Stellungnahmen von Minderheitenorganisationen. Worin unterscheiden sich die Wahrnehmungen? <?page no="87"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik Ein wichtiger Ansatzpunkt in der Betrachtung von Sprachpolitik ist es, das Verhältnis von Sprechern, Sprachgebrauch und sprachlichen Ideologien anhand von Funktionen in der Gesellschaft zu analysieren, die oft als Sprachdomänen bezeichnet werden - wie auch bereits in den vorigen Kapiteln wiederholt angesprochen. Bei der Analyse von Sprachdomänen wird vorausgesetzt, dass es funktionale und räumliche Aufteilungen des Sprachgebrauchs gibt, in die sich dieser in Hinsicht auf Kommunikationspartner, -funktionen und -typen idealtypisch aufteilen lässt. Obwohl Abgrenzungen nicht immer mit hundertprozentiger Sicherheit getroffen werden können, so ist der Grundgedanke richtig, dass zum Beispiel in der Familie als einer Kerndomäne anders kommuniziert wird als am Arbeitsplatz, in der Kirche oder mit Behörden. Aus sprachpolitischer Sicht ist dabei zum einen von Bedeutung, dass Abgrenzungen auch von der Politik oft nach derartigen Domänen vorgenommen werden - etwa indem eine Sprachpolitik speziell für Schulen oder für die Medien formuliert wird. Zum anderen spielt dieser Bereich auch in der Organisation von Mehrsprachigkeit eine besondere Rolle, da die Vitalität einer Sprache in der Gesellschaft oft anhand einer Präsenz in verschiedenen Domänen beurteilt wird (vgl. dazu auch etwa das GIDS-Modell, Kapitel 5). Die Aufteilung von für die Sprachpolitik wichtigen Sprachdomänen ist bei verschiedenen Autoren unterschiedlich, es gibt jedoch eine Reihe von Kerndomänen, die immer wieder auftreten. Für Spolsky (2004: 39-56) sind etwa die Domänen Familie, Schule, Religion, Arbeitsplatz und supra-nationale Gruppierungen von besonderer Bedeutung. Blumenwitz (1996: 164-180) unterscheidet zunächst grob zwischen privatem Sprachgebrauch (zu dem auch der Gebrauch von Personennamen hinzugefügt werden kann) und offiziellem Gebrauch, den er in die Bereiche Verwaltung und Justiz, Bildung, Medien, Kultur und Brauchtum und internationale Beziehungen unterteilt. Dabei fehlen allerdings Bereiche wie Wirtschaft, Privatunternehmen oder Religion. Die Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte (Kapitel 6) nennt persönliche Rechte, Verwaltung, Justiz, Bildung, Medien, Kultur und sozioökonomische Angelegenheiten. Andere Domänen, die in der Literatur gelegentlich erwähnt werden, sind Polizei und Gefängnisse und der Gesundheitssektor - Bereiche, die auch unter Justiz bzw. Verwaltung eingeordnet werden könnten, aber in mancher Hinsicht Besonderheiten aufweisen. Sprachgesetzgebung allgemein, also legislative Prozesse und deren Auswirkungen sollten in diesem Zusammenhang auch separat erwähnt werden, nicht zuletzt, da es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen Gesetzen und Verordnungen auf der einen und sprachpolitischen Gegebenheiten in der Praxis auf der anderen Seite geben kann. In jüngerer Zeit hat außerdem der Sprachgebrauch auf Schildern und anderen Zeichen im öffentlichen Raum unter dem Namen Linguistic Landscapes verstärkt Beachtung gefunden. Dieser spielt implizit in allen Domänen eine Rolle, da alle genannten Personengruppen und Institutionen auch Schilder und Verlautbarungen gestalten, die zur Wahrnehmung einer Sprache und Sprachdomänen Kerndomänen <?page no="88"?> 88 I Theoretische Grundlagen und Konzepte ihrer Sprecher als zugehörig zu einem geographischen Gebiet beitragen. Außerdem umfasst der Medienbereich, der sich früher auf die klassischen Medien wie Printmedien, Radio und Fernsehen beschränkte, heute natürlich auch neuere Technologien, wobei gerade in den sozialen Medien die Grenzen zwischen Medien, anderen Domänen und privatem Sprachgebrauch fließend sind. Auch wenn eine Analyse von Sprachpolitik anhand von Domänen oftmals eher auf Fragen des Status abzielt, gilt auch hier, dass eine Abgrenzung zur Korpusplanung und zur Untersuchung von Spracheinstellungen und dahinterstehenden Ideologien nicht immer möglich ist. 7.1 Privater Sprachgebrauch Wie kann also privater Sprachgebrauch sprachpolitisch beeinflusst werden, und welche Vorgaben sollte es hinsichtlich sprachlicher Rechte geben? Grundsätzlich gilt, dass sprachpolitische Maßnahmen im Sinne von Regelungen „von oben“ für den Privatgebrauch schwierig umzusetzen sind. Der Einfluss des Staates auf die private Sprachwahl ist zumeist indirekt, so dass sich aus einer Vielfalt an Faktoren das herausbildet, was auch als individuelle oder als Familiensprachpolitik bezeichnet werden kann. Von außerhalb des privaten Rahmens, also vom Staat oder von Aktivisten, kann etwa mit Hilfe von gezielten Informations- und Werbekampagnen versucht werden, individuelles Sprachverhalten zu beeinflussen. So können Prestigekampagnen propagieren, Kinder mehrsprachig aufzuziehen - etwa wenn, wie in der niederländischen Provinz Friesland, die Eltern eines Neugeborenen zur Geburt eine Anleitung zur mehrsprachigen Erziehung erhalten, um zu zeigen, dass es gar nicht schwierig ist, Kindern von klein auf neben dem Niederländischen auch das Friesische beizubringen. Besonders interessant sind oftmals mehrsprachige Familien, bei denen der Sprachgebrauch von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Dazu gehört, ob eine Familie an einem Ort wohnt, an dem eine der Muttersprachen der Eltern auch Hauptsprache der Gesellschaft ist, oder ob noch eine weitere Sprache ins Spiel kommt, die als Sprache der Integration in die Gesellschaft auch in der Erziehung der Kinder wichtig wird. Dabei haben das Prestige und der praktische Nutzwert einer Varietät in der Gesellschaft großen Einfluss darauf, ob sich der Gebrauch bestimmter Sprachformen durchsetzt. Prestige und Nutzwert werden stark durch die Verwendung bestimmter Varietäten etwa im Bildungsbereich, in der Verwaltung oder den Medien beeinflusst. Dies gilt sowohl für die Bevorzugung bestimmter Sprachen als auch von Dialekten einer Sprache bzw. zumeist einer normierten Standardvarietät. Derartige sprachpolitische Aktivitäten führen, wenn überhaupt, zumeist eher langfristig zu Änderungen im Sprachverhalten. Aus sprachrechtlicher Sicht ist die freie private Sprachwahl jedes Einzelnen ein Grundrecht, staatliche Maßnahmen dürfen diese in demokratischen Gesellschaften nicht beeinflussen. Dies gilt auch für die Weitergabe der eigenen Sprache an Kinder. Anders ist dies allerdings in Diktaturen: Verbote, bestimmte Sprachen zu verwenden, wie etwa das Kurdische über lange Zeit in der Türkei oder das Katalanische im Spanien Francos, sind auch in Europa nicht selten gewesen. In dieser Tradition stehen auch Regelungen, nach denen Individuelle und Familiensprachpolitik Private Sprachwahl als Grundrecht und Personennamen <?page no="89"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 89 die Form von Personennamen nur in der Form der offiziellen Sprache statthaft ist. Besonders auffällig ist das z.B. in Litauen und Lettland, wo auch ausländische Namen konsequent entsprechend der einheimischen Orthographie wiedergegeben werden und sogar Deklinationsendungen angefügt werden. In Deutschland betrifft dies diakritische Zeichen, die im Deutschen nicht vorkommen, wobei die Verwendung etwa von Graphemen aus den slawischen Sprachen (z.B. ł oder ž) in Zeiten elektronischer Datenverarbeitung eigentlich kein technisches Problem sein dürfte. Regelungen wie auch in Deutschland, die die Namensgebung bei Kindern beschränken, sind hier als grenzwertig anzusehen: So steht der Argumentation des „ Wohl des Kindes “ , das nur allgemein gebräuchliche Namen zulässt, das - wie in der angelsächsischen Tradition üblich - Recht auf freie Entscheidung der Eltern gegenüber. 7.2 Behörden und Justiz Sprachpolitik in Behörden und anderen Organen des Staates kann sehr viel unmittelbarer ihre Wirkungen hinterlassen als im privaten Bereich, sowohl hinsichtlich des Verhältnisses von Minderheits- und Mehrheitssprachen als auch in Bezug auf Elemente der Korpusplanung. Die Verwendung bestimmter Varietäten in Behörden verschafft Prestige und verlangt eine Anpassung der Bürger durch, wenn nötig, das Lernen bestimmter Sprachen. Umgekehrt ist die mangelnde Verwendung einer Varietät ein deutliches Signal dafür, dass bestimmte Sprachformen nicht öffentlich gefördert werden. Dies gilt sowohl für den schriftsprachlichen Gebrauch, etwa hinsichtlich der Frage, in welchen Sprachen Schriftverkehr mit einer Behörde stattfinden kann oder in welchen Sprachen Formulare zur Verfügung stehen, als auch für den mündlichen Gebrauch: Kann ich meine örtliche Behörde im Dialekt oder in der Minderheitensprache ansprechen, und welche Varietäten werden etwa von Regierungsvertretern oder im Parlament verwendet? In der Minderheitensprachpolitik ist der Gebrauch von Minderheitensprachen in Behörden meistens eine Kernforderung bzw. ein grundlegender Teil der Forderungen nach Gleichbehandlung der Bürger eines Staates. Blumenwitz (1996) klassifiziert drei typische Situationen von Minderheitensprachgebrauch in offiziellen Situationen. Erstens kann die Nationalsprache die einzige offizielle Sprache sein - aufgrund von ideologischen, praktischen oder finanziellen Gründen, die diese bewusst oder unbewusst in den Mittelpunkt stellen und als einzige relevante Sprache des Staates darstellen. Diese können, wo nötig, durch Übersetzungs- und Dolmetscherdienste ergänzt werden. Hierbei sollte zwischen einer Politik des „aktiven Angebotes“ (d.h. es wird zum Gebrauch der Minderheitensprache ermutigt, auch wenn eine Person in der Mehrheitssprache kommunzieren kann) und einer pragmatischen Politik unterschieden werden. Im letzeren Fall werden Übersetzungen oder Dolmetscher dienstleistungen nur angeboten, wenn die Kommunikation in der Mehrheitssprache nicht möglich ist. Zweitens können mehrere Sprachen nebeneinander offiziellen Status haben: Entweder sind alle (oder zumindest mehrere) großen Sprachen gleichberechtigt, wie Finnisch und Schwedisch in Finnland, oder es gibt offizielle Sprachen neben der Nationalsprache auf regionaler Ebene, Minderheitensprachgebrauch in Behörden - <?page no="90"?> 90 I Theoretische Grundlagen und Konzepte wie in Katalonien oder dem Baskenland. Dies sind Varianten, die dem Territorialitätsprinzip folgen. Schließlich kann das Personalitätsprinzip gelten, so dass Sprachrechte individuell geregelt werden. Drittens gibt es die Möglichkeit, dass es ausschließlich regionale offizielle Sprachen gibt, was voraussetzt, dass die Sprecher dieser Sprachen in weitgehend getrennten Siedlungsgebieten leben. Auch dies ist eine Form des Territorialiätsprinzips und findet sich etwa in Belgien oder der Schweiz. Abbildung 15: Vielsprachigkeit als von einer Stadtverwaltung gefördertes Symbol: Willkommensschild in Germersheim am Rhein (Rheinland-Pfalz). Ein anderer Bereich der Sprachplanung in Behörden ist der Umgang mit der bürokratischen Sprache selbst. So sind Bemühungen, diese allgemein verständlich zu halten, Teil von aktiven Programmen der staatlichen Korpusplanung etwa in Norwegen. Auch in Deutschland gibt es derartige Bemühungen wie die Sprachberatung der Gesellschaft für deutsche Sprache. Ziel derartiger Bemühungen ist, dass auch weniger gebildete Bürger sich nicht von der Behördensprache abschrecken lassen. Umgekehrt hat die in vielen Ländern auch heute noch gepflegte Tradition bürokratischer Floskeln und eines Dschungels an Fachterminologie oft den Zweck, dass sich eine bürokratische Elite ihres Status vergewissern kann und dafür sorgt, dass die Reproduktion dieser Elite unter Kontrolle bleibt: Wer die sprachliche Norm erfüllt und die Standardsprache in einer bestimmten Form beherrscht, hat zumeist auch eine bestimmte soziale Herkunft bzw. bestimmte Bildungsinstitutionen mit einer dazugehörigen Ideologie durchlaufen. Damit garantiert die Verwaltungselite, dass sich sprachliche und andere ideologische Veränderungen, wenn überhaupt, nur langsam durchsetzen können. Umgang mit bürokratischer Sprache <?page no="91"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 91 Von der Situation in Behörden unabhängig ist die Frage nach dem Sprachgebrauch in der Justiz. Auch wenn Staaten ihre Gerichtssprachen oftmals nach ähnlichen Prinzipien festlegen wie die Sprachen in ihren Behörden - so ist in Deutschland Deutsch per Gesetz sowohl die Amtsals auch die Gerichtssprache -, erfordert die individuelle Situation vor Gericht weiterreichende Rechte. Es gilt als Menschenrecht, dass Gerichtsverhandlungen in einer Sprache durchgeführt werden, die von allen Beteiligten verstanden wird, was, wenn nötig, zumeist mit Hilfe von Dolmetschern gewährleistet wird. Auch hier hängt es von der herrschenden Ideologie in jedem Staat ab, in welchem Maße die sprachlichen Belange von traditionellen Minderheiten und von Migranten auch aktiv gefördert werden, und außerdem gilt für traditionelle Minderheitensprachen häufig, dass diese nur in regionalen Gerichten, nicht aber etwa vor dem gesamtstaatlichen Verfassungsgericht verwandt werden dürfen. Eine Ausnahme davon ist Belgien, wo neben Niederländisch und Französisch auch Deutsch auf allen Ebenen den Status einer Gerichtssprache hat. Die Bereiche von Polizei und Gefängnissen werden bisweilen als eigene Domäne betrachtet, auch wenn hier grundsätzlich Vergleichbares wie für Gerichte und Behörden gilt: Auch hier ist es eine Frage der Grundrechte, dass alle Personen ihre Belange ohne sprachliche Benachteiligung ausdrücken können. Gleichermaßen gilt, dass ein aktives Angebot wie z.B. das Einstellen von Sprechern der Minderheitensprachen - seien es autochthone oder Migrantensprachen - ein Zeichen der Akzeptanz von Sprachen ist und somit dazu beiträgt, die Distanz von Staatsorganen zur Bevölkerung zu verringern. So haben integrationspolitische Forderungen, mehr Migranten für eine Karriere in der Polizei oder bei Behörden zu gewinnen, auch in Deutschland eine sprachliche Komponente: Zum einen soll gezeigt werden, dass das gute Beherrschen der deutschen Sprache bestimmte Karrierewege ermöglicht, zum anderen kann es in Einzelfällen die Distanz zwischen Migranten und Mehrheitsbevölkerung abbauen, wenn (zumindest mündliche) Kommunikation mit Behörden und der Polizei nicht nur auf Deutsch erfolgt. Im umgekehrten Fall signalisiert die bewusste Ablehnung von Mehrsprachigkeit, dass andere Varietäten als die nationale Standardsprache eben kein Prestige haben und deren Sprecher sich der Mehrheitsbevölkerung anzupassen haben. Ähnliches gilt auch für das Sozial- und Gesundheitswesen, wo die Möglichkeit, sich in privaten Angelegenheiten leichter verständlich zu machen, grundlegend für eine erfolgreiche medizinische Behandlung bzw. eine bessere soziale Integration sein kann. Am Sprachgebrauch bei Behörden lässt sich auch noch einmal deutlich das Zusammenspiel von Status-, Korpus-, Prestige- und Spracherwerbsplanung veranschaulichen. Wenn etwa eine autochthone Minderheitensprache, die über eine lange Zeit hinweg marginalisiert wurde, als Sprache in den Behörden zugelassen wird, macht dies auch die Entwicklung einer entsprechenden Fachterminologie nötig. Ein Beispiel dafür ist etwa das schottische Gälisch, das im 1999 eingerichteten dezentralisierten schottischen Parlament als zweite Sprache neben dem Englischen verwendet werden kann. Hierzu wurde eigens eine Fachkommission eingerichtet, die gälische Begriffe für die parlamentarische Arbeit geprägt hat. Gleichzeitig bedeutet die Verwendung im Parlament auch einen entscheidenden Schub für das Prestige des Gälischen - wird doch nun eine lange als ländlich und hinterwäldlerisch abgetane Sprache in den höchsten Entschei- Justiz Polizei und Gefängnisse Zusammenspiel unterschiedlicher Teile der Sprachplanung <?page no="92"?> 92 I Theoretische Grundlagen und Konzepte dungsgremien verwandt (wenngleich dies auch, aufgrund der geringen Sprecherzahlen, eher selten der Fall ist). Und nicht zuletzt fördert dies den Spracherwerb - zum einen, wenn durch die Erweiterung der Funktionen und des Prestiges die Motivation zum Lernen bzw. Weitergeben der Sprache an Kinder oder Enkel steigt, zum anderen, wenn bewusst Verwaltungspersonal im Gälischen ausgebildet wird, um eine neu entstandene Nachfrage in der Verwaltung zu befriedigen. 7.3 Bildung Eine weitere zentrale Domäne der Sprachpolitik ist der Bereich der Bildung auf allen Stufen - vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung. Während die Frage, welche Sprachen in den Behörden zur Anwendung kommen, für das Selbstverständnis des Staates, seine Wahrnehmung und damit für das Verhältnis des Einzelnen zur Staatsmacht entscheidend ist, ist das Bildungssystem ein Kernbereich dessen, wo bestimmt wird, welche Sprachen in welcher Form an die nächste Generation weitergegeben und weiterentwickelt werden. Auch Lehrpläne in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sind ausgesprochen aufschlussreich in Bezug auf das Selbstbild, das ein Land von sich hat, und hinsichtlich der Ideologien und Mythen, die einen Staat zusammenhalten. Dabei wird dieses Bild durch die Bildungseinrichtungen auch an neue Generationen weitergegeben. Sowohl Sprecher von Mehrheitsals auch von Minderheitsvarietäten, von Dialekten und Lerner von Fremdsprachen werden hier unmittelbar mit dem sprachlichen und kulturellen Erbe eines Landes sowie Visionen für die Zukunft vertraut gemacht. Ab frühester Kindheit wird durch das Bildungssystem beeinflusst, welche Rolle die unterschiedliche Varietäten in einer und für eine Gesellschaft spielen. Kinder und Jugendliche werden in der Schule zu Muttersprachlern in dem Sinne, dass sie den kulturellen Hintergrund kennenlernen, der mit einzelnen Sprachen verbunden ist, und dass sie eine Sprache - vor allem in der Standardvarietät - auch schriftlich und in allen ihren Funktionen beherrschen lernen. Unterricht in den Mehrheitssprachen legt somit die Grundlage für ein erfolgreiches Leben in der Gesellschaft; Unterricht in Minderheitensprachen ist eine Frage von Anerkennung, Demokratie und Prestige und somit eine wichtige Bedingung für den Spracherhalt bzw. die Wiederbelebung einer Sprache. Gleichzeitig ist das Bildungssystem der Ort, an dem korpusplanerische Maßnahmen die stärksten Auswirkungen haben: So schafft eine neue Generation von Kindern, die nach einer Rechtschreibreform nur noch die neuen Regeln lernen, die Grundlage dafür, dass ältere Varianten im Laufe der Zeit verschwinden. Bildungssektor als Kernbereich für die sprachliche Zukunft <?page no="93"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 93 Abbildung 16: Mehrsprachigkeitspolitik in den Schulen: Europaschule mit Unterricht auf Russisch in Berlin. Eine wichtige Unterscheidung muss zwischen Unterricht in einer Sprache als Fremdsprache und Unterricht in anderen Fächern wie Mathematik oder Geschichte mit einer bestimmten Sprache als Unterrichtssprache gemacht werden. Fremdsprachenunterricht ist meist pragmatisch motiviert und orientiert sich an praktischen Bedürfnissen. Diese können von zentralen bildungspolitischen Institutionen eines Landes bestimmt sein, Schulen können aber auch auf die Forderungen von Eltern eingehen bzw. Sprachen anbieten, die ihrer Schule einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten verschaffen. Die heutige Dominanz des Englischen als Fremdsprache fast überall auf der Welt ist derartigen pragmatischen Überlegungen geschuldet; demgegenüber sind Sprachen, die eher aus kulturellen Gründen gelernt werden (z.B. Französisch oder Latein) im Rückgang begriffen. Dies betrifft in vielen Ländern Nord- und Osteuropas auch das Deutsche, das über weite Strecken des 20. Jahrhunderts dort die verbreitetste Fremdsprache war. Auch in der Fremdsprachenpolitik können Bildungsbehörden jedoch deutliche Akzente setzen - etwa, wenn gezielt auch exotische Sprachen wie Chinesisch oder die Sprachen von Nachbarländern wie Niederländisch an der deutschen West- oder Polnisch bzw. Tschechisch an der deutschen Ostgrenze angeboten werden. Umgekehrt ist es ein deutliches Zeichen der Sprachpolitik, wenn derartige Angebote nicht existieren. Nicht zuletzt sagt das Angebot an Fremdsprachen durch Bildungseinrichtungen und die Wahl von Fremdsprachen durch Schüler bzw. ihre Eltern, aber auch an Universitäten oder in der Erwachsenenbildung, somit viel über die Werthaltungen zu bestimmten Sprachen in einer Gesellschaft aus. Fremdsprachenunterricht vs. Unterricht in der Muttersprache <?page no="94"?> 94 I Theoretische Grundlagen und Konzepte In Mehrsprachigkeitssituationen ist Unterricht in einer Sprache als Fremdsprache bzw. mit dem Hauptziel des Spracherwerbs organisatorisch oft sehr viel einfacher, da er in viel geringerem Maße umfassende Sprachkenntnisse der Lehrer voraussetzt. Außerdem tun sich aus ideologischen Gründen viele Staaten leichter damit, Unterricht als Fremdsprache anzubieten, da dieser normalerweise nicht den regulären Unterricht in der Nationalsprache ersetzt und die Fremdsprache somit nicht als „Bedrohung“ wahrgenommen wird. Dies gilt vor allem für Migrantensprachen. Um eine einseitige Beeinflussung der Schüler zu vermeiden, ist in der Ausarbeitung und Überwachung von Lehrplänen eine Berücksichtigung der Perspektiven von Mehrheit und Minderheit wichtig, weshalb es von elementarer Bedeutung ist, dass diese möglichst von Vertretern unterschiedlicher Sprechergruppen gemeinsam erarbeitet werden. Trotz existierender praktischer Probleme ist Unterricht mit einer Minderheitensprache als Unterrichtsmedium oft das Ziel von Minderheitensprachpolitik. Eine Kernforderung betrifft Fächer, die sich explizit auf eine einzelne Region mit einer spezifischen Kultur und Geschichte beziehen. Bei größeren Sprachgemeinschaften wird oft vollwertiger Unterricht in allen Fächern mit Ausnahme der Sprache der Mehrheitsbevölkerung gefordert, die natürlich auch gelehrt und gelernt werden soll. In der Praxis hängt die Durchführung von Unterricht in einer Minderheitensprache von Faktoren wie der Verfügbarkeit von Lehrern und geeignetem Unterrichtsmaterial ab. So ist es insbesondere bei kleinen Sprachen oft ein Problem, ausreichend Lehrer zu finden, die sowohl sprachlich als auch fachlich gut qualifiziert sind Insgesamt ist es im Bereich von Sekundarschulen und in der höheren Bildung aufgrund des höheren Differenzierungsgrades der Bildungsinstitutionen oftmals schwieriger als im Grundschulbereich, Mehrsprachigkeit ausreichend zu fördern. So besteht ein Hindernis für die Wahl von ungewöhnlicheren Sprachen bzw. den Unterricht in einer Minderheitensprache oftmals darin, dass bei einem Schulwechsel keine Kontinuität des Sprachenlernens gewährleistet werden kann. Gleichzeitig zeigt sich in der Praxis, dass Angebote einfacher zu verwirklichen sind, wo die Minderheitensprache eine offizielle Sprache in einem anderen Land ist, etwa wie im Falle des Dänischen Gymnasiums in Flensburg. Dies gilt auch für die Verfügbarkeit von angemessenen Lehrmaterialien und die Lehrerausbildung. Universitäten führen Sprachpolitik zum einen durch ein Angebot an praktischen Sprachkursen durch, für die oft ähnliche Überlegungen gelten wie für Sprachpolitik in den Schulen. Auf der anderen Seite stehen philologische Traditionen, die historisch gewachsen und dadurch weniger abhängig von aktuellen Entwicklungen sind und in denen auch exotischere Sprachen wie etwa Koreanisch oder afrikanische Sprachen ihren Platz haben. Insbesondere in Zeiten von Kürzungen im Bildungsbereich wird jedoch die damit verbundene Verantwortung für die Förderung von Mehrsprachigkeit, die Erforschung von Minderheitskulturen und das Verständnis von Sprachpolitik nicht immer erkannt. Es ist Bildungspolitikern, die den Rotstift regieren lassen, oft nicht bewusst, dass etwa das Streichen einer einzelnen Professur oder das Schließen eines Studienganges - in Deutschland etwa im Falle des Friesischen oder Sorbischen - den Untergang eines ganzen Faches bedeuten kann. Gleichzeitig ist es im Sinne der Verbreitung eines Bewusstseins für sprachpolitische Zusammenhänge nützlich, wenn sprachpolitische Fragen auch in großen Fächern an Grundvs. Sekundarschulen Sprachpolitik an Universitäten <?page no="95"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 95 den Universitäten thematisiert werden - etwa wenn im Germanistikstudium interdisziplinär geprägte Kurse in die Studienordnung integriert werden, die sich mit den sprachökologischen Verhältnissen in Deutschland beschäftigen. Ein deutliches Symbol für die unterschiedliche politische und gesellschaftliche Bewertung von Sprachen auch in der Hochschulpolitik ist die Tatsache, dass zeitgleich zur Schließung vieler kleinerer Philologien häufig die Frage kontrovers diskutiert wird, in welchem Maße auch an staatlichen Universitäten Studiengänge auf Englisch angeboten werden sollen (an privaten Universitäten regieren auch hier zumeist rein pragmatische bzw. ökonomische Erwägungen). Die Befürworter von mehr Präsenz des Englischen argumentieren damit, dass Englisch heute nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch als Wissenschaftssprache unangefochten an erster Stelle steht, und deshalb junge Menschen lernen sollten, das Englische auf höchstem Niveau zu beherrschen. Gleichzeitig hoffen Universitäten, damit für internationale Studierende attraktiver zu werden. Dem stehen Argumente einer nationalsprachlichen Wissenschaftskultur gegenüber, die auch andere Sprachen neben dem Englischen als Wissenschaftssprache bewahren will. In Frankreich etwa führt dies dazu, dass gesetzlich vorgeschrieben ist, dass wissenschaftliche Konferenzen immer auch auf Französisch stattfinden müssen, während dies in Deutschland individuell entschieden werden kann. Insgesamt hängt in der Sprachpolitik gerade im Bildungbereich viel davon ab, ob die Mehrheitsbevölkerung sich auf Realitäten der Mehrsprachigkeit einzulassen bereit ist, ob Sprachen nur nach pragmatischen Gesichtspunkten oder auch nach idealistischen oder kulturellen Kriterien gewählt werden, und nicht zuletzt, wie groß eine nationalstaatliche Tradition ist, die die gesellschaftliche Einsprachigkeit als Norm empfindet. Dabei besteht ein Problem darin, dass in öffentlichen Debatten wenig differenziert wird und Sprachen wie Englisch, Türkisch und Sorbisch in Deutschland etwa aus demselben Blickwinkel betrachtet werden. Während bei Migranten im Vordergrund steht, dass diese die Mehrheitssprache der Gesellschaft lernen, ist dies bei kleinen autochthonen Minderheiten zumeist ohnehin gegeben, so dass der Spracherhalt im Mittelpunkt stehen kann. Gleichzeitig ist es wünschenswert, dass auch die Mehrheitsbevölkerung Kenntnisse der sprachlichen und kulturellen Besonderheiten anderer Sprechergruppen erlangt, um ein gegenseitiges Verständnis zu fördern. Somit kann gezielte Sprachpolitik in den Schulen und Universitäten, die ein Verständnis von Mehrsprachigkeit, von Zusammenhängen von Sprache und Identität auf einer Meta-Ebene fördert, viel zu einem unproblematischen Miteinander von Sprachgruppen beitragen. Dies gilt auch für die Bewertung der Rolle des Englischen, in der oft Vorurteile und Emotionen regieren. 7.4 Wirtschaft Der Bereich von Wirtschaft und Sprachgebrauch am Arbeitsplatz unterscheidet sich von der Sprachpolitik in den Behörden und im Bildungssektor durch die anderen Möglichkeiten der Einflussnahme von außen. Wie in Kapitel 3 zu Akteuren der Sprachpolitik gezeigt wurde, haben auch Privatunternehmen, bewusst oder unbewusst, eine Sprachpolitik - diese lässt sich aber oft schwerer durch staatliche Akteure oder Aktivisten beeinflussen. Englisch als Lehr- und Wissenschaftssprache <?page no="96"?> 96 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Die Bedeutung von Sprache im Wirtschaftsleben liegt aus sprachpolitischer Sicht in den Funktionen von Varietäten und im damit verbundenen Prestige: Varietäten, die von Arbeitnehmern täglich am Arbeitsplatz benutzt werden, sind von ihrer Funktionalität her oftmals wichtiger als der Sprachgebrauch in Behörden, mit denen die meisten Bürger nur gelegentlich zu tun haben. Gleichermaßen haben Varietäten, die in der Kommunikation von Unternehmen untereinander oder im Marketing benutzt werden, ein hohes Prestige - womit Motivationen zum Lernen und Anwenden bestimmter Sprachformen aufgebaut werden. Dies gilt sowohl für die Benutzung von Mehrheits- und Minderheitensprachen als auch für Fremdsprachen und die Wahl standardisierter Formen der Mehrheitssprache. Die Benutzung von Anglizismen in manchen Firmen ist auch in Deutschland eines der sprachpolitischen Themen, die in der Gesellschaft viel Aufmerksamkeit erhalten. Auf der anderen Seite ist der staatliche Einfluss auf die Sprachpolitik von Privatunternehmen auch nicht derart begrenzt, wie es zunächst den Anschein haben mag. So schreibt der Staat in den meisten Fällen vor, in welcher Sprache die Buchhaltung einer Firma geführt werden darf, es gibt sprachliche Regeln zu Sicherheitsbestimmungen, und auch Regelungen zur Kennzeichnung von Produkten - etwa von Bedienungsanleitungen oder von Lebensmitteln - beeinflussen sowohl Produzenten als auch den Vertrieb von Produkten. In einigen Staaten gibt es zudem Regeln, dass zu jeder Zeit eine Person mit Kompetenz in einer bestimmten Sprache in einem Betrieb anwesend sein muss, um der Marginalisierung bestimmter Varietäten entgegenzuwirken - etwa in Katalonien (Katalanisch) oder in Lettland (Lettisch). Und schließlich beeinflussen Regeln zum Sprachgebrauch auf öffentlichen Schildern die Kommunikations- und Werbepraktiken - etwa wenn in Frankreich oder in Quebec auf Plakaten in der Öffentlichkeit das Französische grundsätzlich mindestens so auffällig sein muss wie andere Sprachen. Auch wenn sich die umfassende Einhaltung derartiger Regelungen nur schwer überwachen lässt, sorgen Stichprobenkontrollen etwa durch geschulte Sprachinspektoren dafür, dass zumindest ein gewisser Druck aufgebaut wird - ähnlich wie Verkehrskontrollen nicht jedes Fehlverhalten verhindern können, jedoch für eine gewisse Befolgung der Verkehrsregeln sorgen. Außerdem gibt es, jenseits der staatlichen Kontrolle, auch private Organisationen, die als „Wachhunde“ fungieren - so etwa im Baskenland, wo Firmen, die die offiziellen Sprachvorgaben zugunsten des Baskischen ignorieren, zunächst freundlich auf ihr Fehlverhalten hingewiesen, im Wiederholungsfall aber auch bei den staatlichen Behörden angezeigt werden (vgl. Hartsuaga 2004 und Behatokia 2005). Prestige und Funktionen von Sprachen der Wirtschaft Staatliche Sprachregeln im Wirtschaftsleben <?page no="97"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 97 Abbildung 17: Sprachpolitik einer Bank in Estland: Information auf Englisch, Finnisch, Estnisch und Russisch. Abgesehen von diesen Einflussmöglichkeiten liegt es aber an den Privatunternehmen selbst, zu entscheiden, welche Sprachen aktiv benutzt werden. Dabei lassen sich Unternehmen verständlicherweise oft von rein ökonomischen Interessen leiten. Allerdings reagieren Privatunternehmen meistens sehr viel flexibler als staatliche Institutionen auf sprachliche Notwendigkeiten, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Dies kann sich auf den Gebrauch von Fremdsprachen in der Kommunikation mit Geschäftskunden, in Werbe- und Informationsbroschüren oder auf Internetseiten beziehen. Das extremste Beispiel ist in dieser Hinsicht der Tourismusbereich mit der Vielzahl an Sprachen, die in einem Hotel verwendet werden können oder in denen Stadtführungen angeboten werden. Auch Migrantensprachen werden von Unternehmen dort eingesetzt, wo eine bestimmte Kundengruppe angesprochen werden soll. Gleichzeitig wird das Prestige einer Sprache (Fremdsprache, Migranten- oder sonstige Minderheitensprache) gefördert, wenn für das Besetzen einer Stelle Kompetenz in einer bestimmten Sprache notwendig ist. Umgekehrt kann die bewusste Förderung von kleineren Varietäten auch das Prestige des Unternehmens insgesamt fördern. Somit zeigt sich, dass Entscheidungen von Privatunternehmen durchaus Einfluss auf die sprachlichen Verhältnisse in einer Gesellschaft insgesamt haben können. Dies gilt nicht zuletzt für die Verwendung von verständlicher Sprache in der Unternehmenskommunikation und die Beeinflussung eines Sprachkorpuses durch die Prägung neuer Begriffe etwa in der Werbung, die bisweilen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen können. Sprachpolitisches Verhalten von Unternehmen <?page no="98"?> 98 I Theoretische Grundlagen und Konzepte 7.5 Medien Auch Medien sind eine wichtige Domäne der Sprachpolitik. Die Frage, welche Arten von Medien in welcher Form Unterstützung erfahren und welche Varietäten dabei gefördert, toleriert oder abgelehnt werden, ist ein grundlegender Bestandteil sprachpolitischer Entscheidungen. Dies gilt sowohl für Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Bücher) wie für Audio- (Radio, CDs) und visuelle (Fernsehen, DVDs etc.) Medien. Hinsichtlich gesellschaftlich dominanter Sprachen betrifft dies zum Beispiel die Frage, ob Programme, die sich mit sprachlichen Fragen beschäftigen, explizit gefördert bzw. von staatlichen Medien verbreitet werden sollen, also etwa Kolumnen zur Sprachkritik oder zur Diskussion von (im normativen Sinne) sprachlichen Zweifelsfällen im Radio. Eine überregionale Berühmtheit erlangte vor einigen Jahren der Namensforscher Udolph, der auf einem Kanal des Rundfunks Berlin-Brandenburg mehrmals wöchentlich Fragen von Zuhörern nach der Herkunft und Bedeutung ihrer Nachnamen beantwortete (vgl. dazu Udolph/ Fitzek 2005, ein dazugehöriges populärwissenschaftliches Buch, das lange auf den Bestsellerlisten stand). Nichtstaatliche Medien wie Tages- und Wochenzeitungen haben zumeist interne Richtlinien zu Stil und Bevorzugung bestimmter Ausdrucksweisen und betreiben damit auch Sprachpolitik, etwa im Umgang mit Anglizismen. In Audio- und visuellen Medien ist zudem die Frage der Rolle von Nichtstandardvarietäten von Bedeutung: Wie „rein“ muss das Hochdeutsch sein, damit jemand als Nachrichtensprecher akzeptiert wird? An welchen Stellen wird dagegen Dialektgebrauch toleriert, gewünscht oder sogar bewusst gefördert, und in welchem Maße werden Vulgarismen im Fernsehen oder Radio zugelassen bzw. zensiert? In dieser Hinsicht hat im englischsprachigen Raum früher als in Deutschland ein gewisses Umdenken eingesetzt - so ist es heute normal, dass etwa die BBC Sprecher mit (hörbarem) Migrationshintergrund beschäftigt, während dies in Deutschland nach wie vor kaum akzeptiert ist. Im Minderheitensprachkontext ist eine aktive Förderung von Medien, die die kleineren Sprachen gebrauchen, eine Kernforderung, da sich diese oft finanziell nicht alleine tragen können. Im Idealfall sollte regelmäßig und zur Hauptsendezeit Sendeplatz bereitgestellt werden, in der Praxis werden dagegen oft eher wenig attraktive Sendeplätze am frühen Morgen oder am Nachmittag zugeteilt. Eine andere Frage ist die Art der geförderten bzw. produzierten Sendungen - wird in diesen ein modernes Bild der Sprachgemeinschaft erzeugt, das auch für junge Generationen attraktiv ist, oder dominieren traditionalistische Themen, wodurch die Minderheitensprache einen musealen Charakter bekommt. Bei privaten Sendern oder Printmedien stellt sich die Frage nach Sendefrequenzen und nach finanzieller Förderung. Dies gilt gleichermaßen für autochthone Sprachgruppen wie für die Zulassung bzw. staatliche Einrichtung von Programmen in Migrantensprachen, wie heute in vielen europäischen Großstädten üblich. So ist es für Sprecher des Türkischen in Deutschland oder des Russischen im Baltikum hinsichtlich der Integration in die Gesellschaft und der Akzeptanz durch die Mehrheitsbevölkerung von großer Bedeutung, dass nicht nur Programme aus der Türkei bzw. Russland verfügbar sind, sondern auch lokal produzierte Medien. Diese greifen nicht nur Medien als Verbreitungswege von Varietäten und als Ort der Sprachkritik Medien in Minderheitensprachen <?page no="99"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 99 örtlich geprägte Alltagsbelange der Diasporabevölkerung auf, sondern vermitteln bisweilen auch deutlich andere Sichtweisen auf politische Fragen. Bei all dem steht wiederum nicht nur die Frage nach den praktischen Funktionen bestimmter Varietäten im Mittelpunkt, sondern auch das damit verbundene Prestige. Für die sogenannten „neuen“ Medien, also das Internet, Handys etc. gilt vieles analog zu den traditionellen Medien. Auch hier ist sowohl der Status einer Sprache (also die Häufigkeit und die Funktionen ihres Vorkommens) als auch die Wahl bestimmter Formen ein wichtiger Indikator für sprachpolitische Verhaltensweisen, Regeln und Einstellungen der Sprachbenutzer. Gleichzeitig sind auch die neuen Medien ein wichtiger Ort des sprachpolitischen Austausches - sei es in Diskussionen über sprachpolitische Fragen, sei es, indem sich Werthaltungen zu Sprache indirekt im Diskurs äußern. Der wesentliche Unterschied zu traditionellen Medien liegt dabei in der Schnelligkeit der Verbreitung und der Zugriffsmöglichkeit durch ein viel größeres Spektrum an Personen. Sprachpolitik von oben kann etwa die Digitalisierung von Fernsehkanälen oder Radioprogrammen betreffen, die damit eine deutlich weitere Reichweite erhalten. Bildungsinstitutionen können über das Internet eine viel verbreitetere Spracherwerbspolitik betreiben. Die neuen Medien, insbesondere soziale Medien wie Facebook o.ä., bieten von unten Möglichkeiten der Diskussion, des Informationsaustausches oder des sprachpolitischen Aktivismus (vgl. etwa Facebookseiten zu Aktionen für das Sorbische wie von sorbenland.info). In Bezug auf Minderheitensprachen trägt dies die Chance in sich, einer wenig verbreiteten Sprache unbürokratisch neue Funktionen zu verschaffen und gleichzeitig unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort Menschen miteinander zu vernetzen, die in der Sprache kommunizieren möchten (vgl. zu Minderheitensprachen und neuen Medien insbesondere den Sammelband von Jones und Uribe-Jongbloed (2013) mit Fallstudien zu Minderheitensprachen aus vielen Teilen Europas). Somit gilt für die neuen Medien noch mehr als für traditionelle Medien, dass keine scharfe Trennung der Medien von anderen Domänen mehr möglich ist, so wie sie etwa noch von Fishman angenommen wurde: Die Omnipräsenz von Computern, Handys, Tablets etc. führt zu einer schnellen Umsetzung sprachpolitischer Entwicklungen etwa im Bildungsbereich, im Kulturleben oder im E- Government, gleichzeitig gehen der private und öffentliche Sprachgebrauch direkter ineinander über. 7.6 Weitere Sprachdomänen Im Folgenden sollen noch einige weitere Sprachdomänen angesprochen werden, die häufig nicht als so einflussreich angesehen werden wie die oben diskutierten Bereiche. Im Kulturleben, in der Bewahrung von Traditionen und Brauchtum funktioniert sprachliche Vielfalt oft jedoch am besten. Es ist somit kein Zufall, dass Sprache und damit auch Sprachpolitik in der öffentlichen Wahrnehmung und von politischen Organisationen oft als Teil der Kulturpolitik empfunden werden - auch wenn ganzheitliche Ansätze der Sprachpolitik stets betonen, dass diese in allen Teilen der Gesellschaft wichtig ist. Sowohl „Neue“ Medien Kulturleben, Traditionen, Brauchtum <?page no="100"?> 100 I Theoretische Grundlagen und Konzepte private Kulturträger als auch die staatliche Kulturförderung unterstützen Projekte, in denen auch bewusst Mehrsprachigkeit gefördert wird, wie etwa das Sorbische Theater in Bautzen, das Stücke auf Deutsch wie auch auf Sorbisch zeigt. Dabei besteht vielerorts die Gefahr, dass Mehrsprachigkeit als kultureller Luxus empfunden wird, an dem als erstes der Rotstift angesetzt wird - ohne dass Aspekte wie z.B. das Bildungspotenzial oder Minderheitenrechte in die Entscheidungsfindung einfließen, die bei der Förderung von praktizierter Vielsprachigkeit bedeutsam sind. Gleichermaßen besteht im Kulturbereich die Gefahr, dass andere Sprachen als die Nationalsprache und große, wichtige Fremdsprachen durch die Sprachpolitik der Mehrheitsgesellschaft den Charakter von Museumsstücken erhalten. Dies ist etwa in weiten Teilen der russischen (und früher der sowjetischen) oder auch der chinesischen Sprachpolitik der Fall, aber auch in demokratischeren Gesellschaften nicht unüblich: Offizielle Verlautbarungen zur Förderung von Kulturprojekten gibt es viele, jedoch beschränkt sich diese oftmals auf die Einrichtung eines Museums und die Unterstützung von Folkloregruppen. Diese haben für sich genommen durchaus ihren Wert, sind jedoch kaum geeignet, um den aktiven Gebrauch einer Sprache im Alltag zu fördern. Damit tragen sie dazu bei, die sprachlichen Verhältnisse zugunsten einer Nationalsprache zu zementieren. Auch in Ländern wie Deutschland finden sich häufig Meinungen, nach denen Fremd- und Migrantensprachen in Kulturveranstaltungen geschätzt werden, diese aber im Alltagsleben keine Rolle spielen. Für größere Sprachen ist dies weniger problematisch, da Maßnahmen wie die Förderung von Literatur, Museen, Theatern, aber auch von Übersetzungen von Literatur oder Filmen in die Mehrheitssprache einer Gesellschaft - auch dies ist ein Teil der Sprachpolitik - zumeist weitaus besser in den Alltag der Gesellschaft eingebettet sind. Für die Sprachpolitik im Kulturleben der Mehrheitssprache ist zudem von Interesse, ob Dialekte in Theaterveranstaltungen gefördert werden, ob diese dort nur in traditionellen Funktionen oder auch als moderne Alltagssprachen dargestellt und welche Stereotype damit transportiert werden. Religion ist eine interessante Domäne der Sprachpolitik, da sprachliche Verhältnisse in Religionsgemeinschaften oftmals eigenen Regeln folgen und damit auf eine gänzlich andere Weise als andere Institutionen an der Gestaltung des sprachlichen Ökosystems teilhaben. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Bewahrung von traditionellen Sprachformen in bestimmten Funktionen - etwa dem Lateinischen in der katholischen oder dem Altkirchenslawischen in der russisch-orthodoxen Kirche. Andererseits sind Religionsgemeinschaften auch Orte, in denen der Zusammenhalt von Menschen besonders groß ist. Dadurch bieten sie die Chance, Sprachformen zu erhalten und traditionelle Sprachen aktiv anzuwenden, da Sprecher wissen, dass sie sich unter Gleichgesinnten befinden. Es können aber auch andere Institutionen sprachliche Praktiken in der Religionsausübung beeinflussen, indem bewusst eine bestimmte Sprache in der Priesterausbildung verwendet bzw. deren Kenntnis zur Bedingung für die Ausbildung gemacht wird. Dies gilt insbesondere für Länder mit einer Staatskirche, in denen der Staat auch die Sprache in der Religion auf ähnliche Weise beeinflussen kann wie in den Behörden. So war etwa die lettgallische Regionalsprache in Lettland zu Sowjetzeiten weitgehend verboten - sie konnte aber in Publikationen der katholischen Kirche eine Nische finden Gefahr der Sprachpolitik als ausschließliche Kulturpolitik Religion <?page no="101"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 101 und dadurch bis heute bewahrt werden, so dass es nach 1990 zu einem leichten Revitalisierungsaktivismus gekommen ist und aktuell wieder in Priesterseminaren Kenntnisse im Lettgallischen vermittelt werden. Abbildung 18: Sprachpolitik einer Religionsgemeinschaft: Die estnische evangelischlutherische Kirche leistet sich eine deutschsprachige Gemeinde. Schließlich werden internationale Beziehungen zwischen Sprachgemeinschaften oft als ein letzter Bereich der Sprachdomänen benannt. Diese können direkt oder eher indirekt, staatlich gefördert oder rein privat sein. Letztlich bezieht sich dieser Bereich auf fast alle zuvor genannten Domänen und betrifft die Frage, in wie weit sprachpolitische Maßnahmen international abgesprochen werden und wie es zu einer Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen kommt. Dies gilt sowohl für Mehrheitswie für Minderheitensprachen. So wurde die Rechtschreibreform des Deutschen in den 1990er Jahren von einer Kommission aller deutschsprachigen Staaten geplant, und eine Organisation wie die Francophonie hat (neben kulturellen und ökonomischen Zielen) auch ausdrücklich den Zweck, die internationale Entwicklung der französischen Sprache zu begleiten. Institutionen, die sich um die Korpusplanung von großen offiziell anerkannten Sprachen kümmern, kooperieren in Organisationen wie dem Rat für Normierungsfragen von Nationalsprachen. Die nordischen Staaten betreiben eine gemeinsame Sprachpolitik durch eine Sprachinstitution innerhalb des Nordischen Rates, die zum Ziel hat, dass ausreichend Kenntnisse der jeweils anderen Sprachen verbreitet sind (u.a. damit interskandinavische Kommunikation in den nordischen Sprachen und nicht auf Englisch stattfindet). Außerdem konsultieren sie einander hinsichtlich der Entwicklung von terminologischen Neuerungen. Internationale Beziehungen zwischen Sprachgemeinschaften <?page no="102"?> 102 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Für Minderheitensprachen dagegen ist die internationale Zusammenarbeit dadurch von Bedeutung, dass von Erfahrungen anderer Sprachgemeinschaften profitiert werden kann. So sind Vertreter der keltischen Sprachen in Großbritannien und Irland aufgrund ihrer kulturellen Nähe in engem Kontakt. Ein anderes Beispiel sind Netzwerke finno-ugrischer Sprachgruppen, in denen die unabhängigen Staaten Finnland, Estland und Ungarn ihre kulturellen und sprachlichen Verwandten in Russland (wie z.B. die Udmurten oder die Vepsen) unterstützen. Noch wichtiger ist die Zusammenarbeit aber im Fall von Minderheitensprachen, die in mehr als einem Land und ggf. in einem anderen Land sogar als Mehrheitssprache gesprochen werden, also auch im Fall der meisten Migrantensprachen. Hier erstreckt sich die internationale Zusammenarbeit etwa auf den Zugriff auf Literatur, Schulbücher und andere Medien, in Zeiten der globalen Datenvernetzung unabhängig von geographischer Nähe. Auch kann die Lehrerausbildung davon profitieren. Dies ist innerhalb Europas normalerweise unproblematisch - zu Schwierigkeiten kann eine derartige Zusammenarbeit aber dort führen, wo in verschiedenen Staaten unterschiedliche ideologische Ausrichtungen existieren, so dass Regierungen versucht sein können, den Kontakt der Minderheitengruppen zu unterbinden bzw. der Verbreitung von Publikationen entgegenzuwirken. 7.7 Sprachdomänen im Zusammenhang mit Korpus-, Prestige-, Spracherwerbs- und Diskursplanung Korpusplanung ist keine funktional definierte Domäne des Sprachgebrauchs, in der Praxis der Sprachpolitik erscheint sie jedoch oft als separater Bereich, der in vielen Domänen eine wichtige Rolle spielt. Während etwa in Behörden oder Schulen offizielle korpusplanerische Tätigkeiten wie die Prägung neuer Begriffe durch Androhung von Sanktionen bei Nichtbeachtung den Sprachgebrauch unmittelbar beeinflussen können, ist dies im privaten Sprachgebrauch oder in der Wirtschaft nur sehr viel indirekter der Fall. Die Rechtschreibreform im Deutschland der 1990er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Akzeptanz von staatlich koordinierter Korpusplanung variieren kann, da nicht nur Privatpersonen, sondern auch viele Printmedien wie die FAZ die Reform lange bewusst ignorierten. Zu einem Zeitpunkt, als Schulen und Behörden bereits mit der neuen Rechtschreibung arbeiteten, erzwangen diese eine Reform der Reform, nach der vor allem flexibler mit akzeptierten Parallelformen umgegangen wurde (vgl. zu Positionen und Argumentationen zur Rechtschreibreform die Aufsatzsammlung von Eroms/ Munske (1997), zu Diskursen und dahinterstehenden Ideologien Johnson (2005)). Neben staatlichen Organen haben somit auch Medien und nicht zuletzt Linguisten, Philosophen und andere Wissenschaftler (insbesondere wenn diese in Organen tätig sind, die sich gezielt der Sprachplanung oder Sprachpflege widmen) Einfluss auf den Sprachkorpus. In der Wirtschaft fallen einflussreiche Unternehmen durch die Prägung von Neologismen auf, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen können. Gleichzeitig können derartige Tendenzen scharfe Kritik auch von privaten Vereinen hervorrufen, etwa durch Organisationen, die sich dem Kampf gegen die Verbreitung von Anglizismen verschrieben haben. Letztlich Chancen für Minderheiten sprachen durch Zusammenarbeit mit anderen Gruppen Besondere Rolle von Korpusplanung in der Praxis - <?page no="103"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 103 hängt der Erfolg korpusplanerischer Aktivitäten in erster Linie von der Akzeptanz durch die Sprecher ab. Während sich größere Reformen oft im Laufe der Zeit durch die Weitergabe neuer Regeln an junge Generationen in den Schulen durchsetzen (so wie auch die Diskussionen um die Rechtschreibreform schließlich abebbten und mittlerweile die Verwendung der alten Orthographie als ungewöhnlich auffällt), kann die Einführung einzelner Begriffe auf bestimmte Fachdomänen beschränkt bleiben, so dass im Alltagsgebrauch weiterhin traditionelle Formen dominieren. Ähnlich wie die Korpusplanung sind auch Spracherwerbsplanung und Prestigeplanung domänenübergreifende Bereiche, die als eigene Sektionen sprachpolitischer Tätigkeiten aufgefasst werden können. Auch diese Bereiche sind miteinander verzahnt und sollten im Idealfall auch in der sprachplanerischen Praxis miteinander verbunden werden. Spracherwerbsplanung beschränkt sich dabei nicht auf klassische Bildungsbereiche, sondern kann, ähnlich wie Korpus- und Prestigeplanung, einem umfassenden, holistischen Ansatz folgen. Dazu gehört, dass in allen Sprachdomänen im täglichen Leben Überlegungen dazu angestellt werden, wie Spracherwerb gefördert werden kann. Neben Schulen, Universitäten, Kindergärten oder Abendkursen in der Erwachsenen-bildung gehört zur Spracherwerbsplanung auch die Erstellung von Sprachmaterial, etwa in Form von Wortlisten, Wörterbüchern, Software oder Websites für bestimmte Branchen der Wirtschaft. Für die speziellen Bedürfnisse von Behörden, im Gesundheitssektor oder anderen staatlich beeinflussten Domänen können Sprachkurse angeboten werden, deren Besuch finanziell und zeitlich unterstützt wird; in der Privatwirtschaft können bestimmte Fördermittel an den Besuch derartiger Kurse oder die Erstellung von Informationsmaterialien in bestimmten Sprachen geknüpft sein. Dies gilt sowohl für die Förderung des Lernens von Fremdsprachen, von Minderheitensprachen oder auch für den Erwerb besserer Fähigkeiten in der Muttersprache, etwa spezielle Kommunikationstechniken oder Anleitungen zum verständlichen Schreiben. In der Domäne der Medien können etwa im Fernsehen oder Radio Sprachkurse ausgestrahlt und im Kulturbereich Veranstaltungen gefördert werden, in denen Materialien in einfacher Sprache für Lerner aufbereitet werden. Wichtig sind hier auch Angebote im Internet wie vereinfachte Nachrichtensendungen der Deutschen Welle oder der BBC, die durch Vokabel- oder Grammatikerklärungen ergänzt werden. In den Linguistic Landscapes zählen zur Spracherwerbsplanung auch Kampagnen zur Wahrnehmung einer Varietät, ein „sprachliches Marketing“, das Sprachfragen in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Dies kann z.B. durch Plakate, Broschüren o.ä. erfolgen, in denen einzelne Lerner zeigen, dass sie es geschafft haben, eine Sprache zu lernen. Insgesamt geht es also darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Erwerb und Gebrauch einer bestimmten Varietät einem Nischendasein entkommen und stattdessen konstant präsent sind und als normal angesehen werden. Solche Kampagnen können vom Staat oder von privaten Organisationen angeregt werden - soweit dies finanziell möglich ist und sie Einfluss auf die Gestaltung von Medien und Bildung haben. Ein entscheidender Faktor auch bei diesen Maßnahmen ist die Berücksichtigung von Einstellungen zu Sprache(n) und des Prestiges bestimmter Varietäten. Dies schlägt sich unter anderem in der Wahl der sprachpolitischen Mittel und der (finanziellen und politischen) Stärke der Maßnahmen wieder - Spracherwerbsplanung Einstellungen zu Sprache und Prestigeplanung <?page no="104"?> 104 I Theoretische Grundlagen und Konzepte etwa im Sinne des sprachpolitischen Prinzips, Aufmerksamkeit auch auf Kosten von möglichem sozialen Unfrieden zu erzeugen, oder umgekehrt, diesen gerade zu vermeiden. Ein Beispiel hierfür ist das Gesetz zur Stärkung des Nordfriesischen, das im Jahr 2004 vom Schleswig-Holsteinischen Landtag verabschiedet wurde. Das Gesetz ist deutlich moderater als in anderen minderheitensprachpolitischen Kontexten üblich. So verpflichtet das Gesetz den Staat kaum dazu, den Sprechern konkrete Möglichkeiten des Gebrauches der friesischen Sprache zu gewähren. Stattdessen handelt es sich in erster Linie um eine Auflistung von Maßnahmen, die Behörden nach eigener Entscheidung treffen können. Dennoch haben auch Friesischaktivisten dieses Gesetz unterstützt: Zum einen geschah dies im Bewusstsein, dass ein schärferes Gesetz sehr viel schwieriger durchzusetzen gewesen wäre. Zum anderen sollte so ein Konsens ermöglicht werden, der auf möglichst breite Unterstützung in der Gesellschaft anstatt auf Konfrontation setzt - in der Hoffnung, dass auch der eher symbolische Charakter der getroffenen Maßnahmen Aufmerksamkeit erzeugt, das Prestige des Friesischen erhöht und somit auf möglichst viele Domänen des Sprachgebrauches ausstrahlt. Beispiele für eine eher erfolglose Spracherwerbspolitik, die an den negativen Einstellungen der Bevölkerung oder dem mangelnden Prestige einer Varietät gescheitert sind, sind dagegen Versuche, durch gezielten Schulunterricht aus politischen Gründen Kenntnisse in einer bestimmten Sprache zu vermitteln. Dies gilt etwa für die massiven Versuche in der Republik Irland seit ihrer Unabhängigkeit von Großbritannien in den 1920er Jahren, das Irische als Nationalsprache aufzubauen. Trotz jahrzehntelanger massiver Förderung in Schulen, Behörden und anderen Domänen hat heute zwar ein größerer Teil der irischen Bevölkerung Grundkenntnisse, aber der Anteil der Sprecher mit guter Kompetenz und derjenigen, die das Irische im Alltagsleben regelmäßig anwenden, ist ausgesprochen gering geblieben. Die irische Sprache war als Symbol der Unabhängigkeitsbewegung in dem Moment nicht mehr von großer Bedeutung, in dem das politische Ziel der Unabhängigkeit erreicht war. Dass Sprachgesetzgebung und Spracherwerbspolitik kaum erfolgreich sein können, wenn die Bevölkerung keine Motivation verspürt, eine Sprache zu lernen, hat sich auch am obligatorischen Russischunterricht in der DDR und anderen Ländern des damaligen sozialistischen Blockes gezeigt: Russisch hatte wenig Prestige, es wurde als Pflichtfach empfunden, das aus rein ideologischen Gründen im Lehrplan stand, und Russischkenntnisse hatten für das Gros der Bevölkerung kaum einen praktischen Nutzwert. Das erklärt, dass trotz jahrelangem Russischunterricht für große Teile der Bevölkerung die Russischkenntnisse in den meisten postsozialistischen Ländern heute sehr beschränkt sind. Gerade im Zusammenhang mit dem Prestige einer Sprache ist auch der Bereich der Linguistic Landscapes von besonderer Bedeutung (vgl. Kapitel 9), also der Sichtbarkeit von Sprache im öffentlichen Raum auf Straßenschildern, Reklame, auf T-Shirts o.ä., in Form der „Web-LL“ auch im Internet. Auch die Linguistic Landscapes sind ein domänenübergreifender Bereich, da hiermit zwar per definitionem Schilder im öffentlichen Raum gemeint sind, diese aber von Autoren aller Art (Privatpersonen, staatlichen Institutionen, Bildungseinrichtungen, Privatunternehmen, Medien, Religions-gemeinschaften etc.) gestaltet worden sein können. Neben der reinen Präsenz unterschiedlicher Varietäten sind deren Funktionen von besonderer Bedeutung. Hierin liegt nicht zuletzt Gescheiterte Spracherwerbsplanung Linguistic Landscapes <?page no="105"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 105 auch eine besondere symbolische Kraft - Sprachen, die im öffentlichen Raum an prominenten Orten vertreten sind, markieren, welche Sprechergruppen in der Gesellschaft von Bedeutung sind und am jeweiligen Ort ihren Anspruch auf Präsenz reklamieren. Gleichzeitig zeigen sich gerade durch Sprache im öffentlichen Raum, die von Privatpersonen stammt, Tendenzen im Sprachwandel, die schriftlich weniger Aufmerksamkeit erfahren würden. Schließlich soll noch auf die Diskursplanung im Kontext von Sprachdomänen eingegangen werden. Im Zusammenhang von Sprachpolitik bezieht sich Diskursplanung auf Bereiche, in denen sprachliche Fragen in der Gesellschaft diskutiert werden, nicht aber auf die Beeinflussung von Diskursen in anderen Bereichen der Gesellschaft (auch wenn diese aus diskurslinguistischer Perspektive von großem Interesse sein können). Sprachdiskurse, die aktiv beeinflusst werden können, kann es etwa hinsichtlich der Akzeptanz von Migrantensprachen geben. Sowohl Regierungsvertreter als auch Migrantenorganisationen können durch gezielte Beiträge in Medien (in Printmedien ebenso wie in Talkshows) versuchen, die öffentliche Meinung zur Rolle von Migrantensprachen zu beeinflussen. Die Wirkung von derartigen Äußerungen ist oftmals indirekt, schwer zu bemessen und langfristig, dennoch darf die Bedeutung von Diskursen zu Sprache(n) für die erfolgreiche Durchsetzung sprachpolitischer Maßnahmen nicht unterschätzt werden. Ähnlich gilt für autochthone Minderheitensprachen, dass deren Erhalt und Verbreitung nicht zuletzt davon abhängt, ob ihr Gebrauch im gesellschaftlichen Diskurs in bestimmten Domänen als normal betrachtet wird. In diesem Sinne hängt Diskursplanung eng mit der Prestigeplanung zusammen, wenn etwa durch Akzeptanzkampagnen in den Diskurs eingegriffen wird, sich dadurch das Prestige einer Varietät verbessert und dies möglicherweise einen verstärkten Gebrauch in Schulen, Behörden oder Privatunternehmen zur Folge hat. 7.8 Sprachdomänen: Eine Checkliste Ein Vorteil der Analyse von Sprachpolitik anhand von Sprachdomänen liegt darin, sprachpolitische Aktivitäten systematisch in den Blick zu nehmen. Im Folgenden wird ein Vorschlag für eine „Checkliste“ gemacht, in die die Präsenz bestimmter Varietäten in den in diesem Kapitel diskutierten Domänen eingetragen werden kann. Für diese Varietäten oder auch für ein ökolinguistisches System insgesamt kann damit übersichtlich dargestellt werden, welche Funktionen verschiedene Varietäten einnehmen, welche sprachpolitischen Maßnahmen es in den einzelnen Domänen gibt, wie der Status der Varietäten im Verhältnis zu sprachpolitischen Zielen steht und welche Aktivitäten die Sprachverwendung beeinflussen. Dadurch kann Verständnis erlangt werden, in welchen Bereichen die existierende Situation den politischen Wünschen entspricht bzw. wo Wunsch und Wirklichkeit voneinander abweichen. Dies kann nicht nur in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprachpolitik hilfreich sein, sondern auch in der sprachpolitischen Praxis helfen, zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen. Somit bietet die Domänencheckliste sowohl für staatliche Akteure als auch für private Interessengruppen, Privatunternehmen und Individuen einen Einstieg in die Beurteilung einer sprachlichen Situation. Bewertung der sprachlichen Situation <?page no="106"?> 106 I Theoretische Grundlagen und Konzepte In längerfristiger Beobachtung kann mit Hilfe der Checkliste außerdem überprüft werden, ob bestimmte sprachpolitische Maßnahmen erfolgreich waren. Kategorie Domäne Varietät A Varietät B Varietät C etc. Statusplanung: Privater Privatsphäre vs. öffentlicher Raum Sprachgebrauch Personennamen Statusplanung: Sprachgebrauch Allgemeiner rechtlicher Status; Gesetzgebung in öffentlichen Situationen Verwaltung, Justiz, Polizei/ Gefängnisse, Gesundheitswesen Bildungssektor incl. Wissenschaft Wirtschaft/ Privatunternehmen Medien incl. „neue Medien“ Kunst, Kultur, Brauchtum Religion Internationale Zusammenarbeit Korpusplanung Standardisierung, Terminologieentwicklung etc. Spracherwerbsplanung Spracherwerb jenseits des allgemeinen Bildungssektors Prestigeplanung Symbolischer Sprachgebrauch incl. Linguistic Landscapes, Einstellungen, Ideologien Diskursplanung Anregungen von und Eingriff in Diskussionen zu Sprache(n) Tabelle 3: Domänencheckliste. In der praktischen Anwendung soll für jede Varietät, die von Interesse ist, eine Spalte ausgefüllt werden, in der die Kerncharakteristika der jeweiligen Situation eingetragen werden. Die Erkenntnisse dazu ergeben sich aus eigenen Beobachtungen, Interviews, Literaturrecherche o.ä. So entsteht ein zusammenfassendes Bild des Status einer Varietät, das mit anderen Varietäten kontrastiert werden kann. Gleichzeitig können für andere Zeitpunkte, andere Varietäten oder Regionen weitere Spalten erstellt werden. Durch diese Gegenüberstellung bietet sich ein Überblick, der das Verständnis und die weitere Arbeit in der sprachpolitischen Praxis erleichtert. <?page no="107"?> 7 Sprachdomänen und Sprachpolitik 107 ZUSAMMENFASSUNG: Sprachdomänen sind idealtypische funktionale Situationen des Sprachgebrauches, die in der sprachpolitischen Diskussion eine gute Kategorisierungsmöglichkeit darstellen. Jede Domäne hat eigene sprachpolitische Schwerpunkte. Während in privaten Sprachdomänen (Familie, Freundeskreis) individuelle Einstellungen und Entscheidungen dominieren, zeigen sich in den Domänen der Behörden, des Bildungssystems, der Medien und der Wirtschaft sprachpolitische Maßnahmen des Staates und Reaktionen darauf durch die Gesellschaft. Sprachpolitische Domänen haben oft auch eine Komponente der Korpusplanung, des Prestiges und des Spracherwerbs. Eine Domänencheckliste ist eine Möglichkeit, die Situation einer Sprache oder des Verhältnisses von Sprachen zueinander darzustellen. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Welche Einteilungen von Sprachdomänen gibt es? Wo sind diese nicht eindeutig bzw. wo gibt es Überschneidungen zwischen den Domänen? 2. Warum sind staatliche Stellen (Behörden etc.) sowie das Bildungssystem besonders wichtige Domänen der Sprachpolitik? 3. Welche Möglichkeiten der sprachpolitischen Einflussnahme haben Akteure „von unten“ in den verschiedenen Domänen? 4. Wenden Sie die Domänencheckliste auf eine beliebige Varietät oder ein beliebiges Land an. Nutzen Sie dazu Ihre persönlichen Erfahrungen, den zweiten Teil dieses Buches oder recherchieren Sie in Bibliotheken oder im Internet. <?page no="108"?> 8 International ausgerichtete Sprachpolitik und Globalisierung In den bisherigen Kapiteln ist Sprachpolitik aus der Perspektive einer einzelnen Situation in einem Land, einer Region, einer Stadt oder auch in einer Institution betrachtet worden. Dies geschah oft aus einer Makroperspektive - etwa in Form von allgemeingültigen Maßnahmen durch die Regierung - oder aus einer Mikroperspektive bezüglich einzelner Regelungen innerhalb eines Unternehmens oder Aktivitäten einer Aktivistengruppe. Dies entspricht einem Großteil der Tradition der sprachpolitischen Theoriebildung, die zumeist von Situationen oder Prozessen ausgeht, die miteinander verglichen werden können, sich aber für sich genommen auf einen fest abgegrenzten geographischen Raum beziehen. Im Gegensatz dazu steht die Beschäftigung mit internationalen oder gar globalen sprachpolitischen Prozessen durch Institutionen, die sich aus einer länderunabhängigen Perspektive mit der Organisation von Status und/ oder Korpus von Sprachen beschäftigen. Diese hat in den vergangenen Jahren auch im Kontext der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Globalisierung zugenommen. Entsprechend gibt es heute eine Reihe von Ansätzen, die sprachpolitische Aktivitäten mit internationalem oder globalem Charakter betrachten, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. 8.1 Globale Sprachenhierarchien Die Globalisierung ist auch in der Sprachwissenschaft und der sprachpolitischen Forschung in den letzten Jahren zum omnipräsenten Schlagwort geworden. Dabei wird oft die Rolle von Lingua Francas und globalen Sprachenhierarchien thematisiert, insbesondere in Bezug auf das Englische, aber auch auf andere Sprachen mit überregionaler Verbreitung. Hierbei ist auch Deutsch als „ plurizentrische “ Sprache zu nennen, d.h. als Sprache, die sich nicht nur an einer zentralen Norm orientiert, sondern für die es in Deutschland, Österreich und der Schweiz mindestens drei vollgültige Normen (vgl. dazu die jeweiligen Länderdarstellungen in Kapitel 12) sowie in Gebieten mit Deutsch als Minderheitensprache eine Reihe von „Halbzentren“ gibt (vgl. Ammon 1995 und Marten 2012c). Das Englische steht in der globalen Sprachenhierarchie unangefochten an der Spitze, andere wichtige internationale Sprachen wie Französisch, Spanisch, Russisch oder Chinesisch sind heute eher als zweitrangige Lingua Francas mit starken regionalen Einschränkungen anzusehen (Französisch etwa in ehemaligen Kolonien oder in den romanischsprachigen Gebieten in Südeuropa, Russisch in der postsowjetischen Welt mit zusätzlich einigen touristischen Funktionen in anderen Regionen). Auf der nächsten Ebene einer solchen idealtypischen Einteilung kommen Nationalsprachen mit keiner oder nur wenig internationaler Verbreitung wie etwa Dänisch, Tschechisch, Koreanisch oder Georgisch, die jedoch einen gesicherten Status als offizielle Sprachen eines souveränen Staates und als solche Funktionen in allen oder fast allen Sprachdomänen (vgl. Kapitel 7) haben. Es folgen Sprachen, die nur auf Lingua Francas und andere internationale Sprachen <?page no="109"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 109 regionaler Ebene anerkannt sind und eine sprachpolitische Unterstützung von oben und von unten erfahren (z.B. Walisisch, Baskisch oder Friesisch), und Minderheitensprachen ohne offiziellen Status, die sprachpolitisch zumeist nur für Aktivistengruppen eine Rolle spielen. An unterster Stelle einer solchen sprachpolitischen Sprachenhierarchie stehen so genannte contested languages, also Sprachen, deren Stellung als eigene Sprache unklar ist (wie z.B. Niederdeutsch oder Scots), wodurch diese sprachpolitisch viel mit Dialekten gemein haben. Dabei ist offensichtlich, dass eine derartige Hierarchisierung nur eine grobe Orientierung bieten kann und individuelle Situationen ähnlich klassifizierter Sprachen weit auseinander liegen können - bei Minderheitensprachen etwa in Hinblick auf Sprecherzahl, Aktionen von Aktivisten und ihre Gefährdung bzw. Perspektiven des Spracherhalts. Eine andere Frage ist die Einordnung von Sprachen von Migranten, also von Sprachen, die in der ursprünglichen Herkunftsregion der Migranten bzw. ihrer Vorfahren offiziellen Status haben können, in der Migrationssituation jedoch oft wenig Anerkennung erfahren. Das Aufstellen einer globalen Sprachenhierarchie ist nicht zuletzt für das Verständnis von (internationaler) Sprachverbreitungspolitik von Bedeutung. Auch wenn derartige Sprachverbreitungsbemühungen zumeist von einzelstaatlicher Seite durchgeführt werden, müssen sie sich oftmals explizit auf globale Entwicklungen einstellen. Dazu gehört die Tätigkeit des Goethe-Instituts, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), des Institut Francais oder des British Council, des Dänischen oder Ungarischen Kulturinstituts. Mit diesen Institutionen wird versucht, den internationalen Status einer Nationalsprache, ihr Prestige und damit ihre Verbreitungsmöglichkeiten zu verbessern (vgl. zur auswärtigen Sprachpolitik Kapitel 3). In seltenen Fällen wird eine derartige Sprachpolitik auch von sub-staatlichen Institutionen wie im Falle des Katalanischen oder Baskischen betrieben, für die von den jeweiligen Regionalregierungen in Spanien Sprachkurse und Dozenturen an ausländischen Bildungseinrichtungen finanziert werden. Ziel ist dabei stets eine Beeinflussung der globalen Sprachenhierarchie zum Vorteil der geförderten Sprache und der Länder, in denen diese gesprochen wird. So wird durch die Förderung deutscher Sprachkenntnisse und durch Stipendien versucht, Eliten an Deutschland zu binden, wodurch positive Effekte für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit erzeugt werden sollen. Ähnliches gilt für Organisationen wie die Francophonie, in der mit der Förderung der französischen Sprache das französische Wertesystem vermittelt werden soll, oder für die Zusammenarbeit der niederländisch- oder portugiesischsprachigen Länder, die ihre sprachlichen Gemeinsamkeiten dazu nutzen, ihren politischen Einfluss weltweit zu stärken. Regierungen, Bildungseinrichtungen und Individuen reagieren auf globale und lokale Sprachenhierarchien durch unterschiedliche sprachpolitische Maßnahmen. So ist die deutlichste Entwicklung der letzten Jahrzehnte die Hinwendung zum Englischen, das in den meisten Regionen der Welt heute als erste oder zumindest als zusätzliche Fremdsprache im Bildungssystem gezielt gefördert wird. Eine Spracherwerbspolitik zugunsten des Englischen steht dabei häufig in Konkurrenz zur Stärkung der eigenen Nationalsprache auf internationaler Ebene und der Förderung von regionalen Nachbarsprachen oder Sprachenhierarchien und Sprachverbreitungspolitik Maßnahmen zur Beeinflussung von Sprachenhierarchien <?page no="110"?> 110 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Minderheitensprachen. Schließlich stehen selbst dort, wo ideologisch betrachtet Respekt vor Minderheitensprachen oder den offiziellen Sprachen kleinerer Nachbarländer vorhanden ist, Individuen und Behörden oft vor einer schwierigen Wahl: Die Stundenzahl für Sprachunterricht in Schulen oder finanzielle Mittel für die Förderung von Sprachkursen an Universitäten oder in der Erwachsenenbildung sind begrenzt, und auch auf persönlicher Ebene gibt es zeitliche Grenzen beim Sprachenlernen. Durch die Hinwendung zum Englischen durch die offizielle Sprachpolitik der Bildungsinstitutionen in vielen Ländern, die oft durchaus Bedürfniswahrnehmungen und Forderungen der Bevölkerung entsprechen, werden andere Sprachen verdrängt - nicht zuletzt auch das Deutsche, das in den postsozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas seit 1990 stark im Rückgang befindlich gewesen ist. 8.2 Demokratisierung und Glokalisierung Sprachliche Machtverhältnisse sind vielerorts dafür verantwortlich, dass „kleinere“ Sprachen von „großen“, weit verbreiteten Sprachen verdrängt werden. Sprecher mit dem „richtigen“ sprachlichen Kapital haben bessere Chancen auf Teilhabe an politischem und wirtschaftlichem Erfolg, weshalb das Erlernen einer großen Sprache von vielen Menschen als Schlüssel zum Erfolg gesehen wird. Damit kommt es aus einer Perspektive der sprachlichen Demokratie zu zwei gegensätzlichen Prozessen. Auf der einen Seite werden durch die Abwertung und Verdrängung kleinerer Sprachen die Sprecher dieser Sprachen marginalisiert. Auf der anderen Seite ist das Beherrschen großer Sprachen in jüngerer Zeit demokratisiert worden: Je mehr Menschen Kenntnisse in wichtigen internationalen Sprachen haben, desto größer ist der Anteil der Bevölkerung, der an international ausgerichteten Prozessen teilhaben kann. Dies gilt insbesondere dafür, dass Kenntnisse im Englischen in vielen Ländern der Welt heute bei weitem nicht mehr nur den Eliten vorbehalten sind. Im Sinne einer derartigen Demokratisierung sprachlicher Ressourcen wird dem Phänomen der sprachlichen Globalisierung heute oft das Schlagwort der Glokalisierung gegenübergestellt. Darunter versteht man die Anpassung globaler Entwicklungen an lokale oder regionale Verhältnisse. In Bezug auf Sprache und Sprachpolitik bedeutet dies, dass bspw. das Englische zwar weltweit verbreitet ist, dabei aber oft in lokalen bzw. regionalisierten Formen verwendet wird. Durch Sprachkontakt entstehen Unterschiede in der Phonetik oder Lexik, wodurch regionale Varianten des Englischen eigene Normen erhalten und dadurch eigene sprachliche Identitäten entstehen. Glokalisierung <?page no="111"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 111 Abbildung 19: Englisch als unangefochtene globale Lingua Franca - aber Sprachen der zweiten und dritten globalen Hierarchiestufen sind auch wichtig: Audioguides in der Verbotenen Stadt in Peking. Dies gilt zum einen für Länder, wo Englisch als Zweitsprache traditionell verbreitet ist, wie etwa Singapur mit seinem „Singlish“, wo es mittlerweile Kampagnen seitens der Bildungsbehörden für „richtiges“ Englisch der Schüler und Studenten gibt, damit diese auch international kommunikationsfähig bleiben (vgl. Kapitel 19). Zum anderen gilt dies aber auch für die nicht-englischsprachigen Länder Europas, wo „Euro-Englisch“ zunehmend akzeptiert wird: Abweichungen von einer britischen oder amerikanischen Norm werden hingenommen, die Komplexität des Englischen wird reduziert, und damit sinkt die Hemmschwelle für Nichtmuttersprachler, Englisch in Lingua Franca-Situationen zu gebrauchen. Außerdem entstehen durch neue Wortbildungen lokale Hybridformen, etwa wenn in der Werbung englische und lokale Begriffe verflochten werden (vgl. z.B. Vettorel/ Franceschi 2013 zu Englisch in Italien). Aber auch andere Sprachen als das Englische erhalten durch Begleiterscheinungen der Globalisierung neue regionale oder lokale Funktionen. So hat der Gebrauch des Russischen als Sprache des Tourismus in Europa in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Und auch für Minderheitensprachen ergibt sich bisweilen ein (wenngleich oftmals eher symbolisches) neues Verwendungspotential, wie etwa in der Region Lettgallen in Lettland (Lazdiņa Englisch als Zweitsprache <?page no="112"?> 112 I Theoretische Grundlagen und Konzepte 2013), wo die lettgallische Regionalsprache ein Element ist, um die Region attraktiver für Touristen zu machen. 8.3 Superdiversität In der soziolinguistischen und sprachpolitischen Diskussion hat sich in jüngster Zeit der Begriff der Superdiversität (Vertovec 2007, Blommaert/ Rampton 2011) als Schlagwort etabliert. Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass in vielen Gesellschaften heute traditionelle Wahrnehmungen der sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung auf dem Prüfstand stehen. Dazu gehört nicht nur die Ausbreitung des Englischen, sondern vor allem die sich verstärkenden Migrationsbewegungen, die in vielen Ländern (und insbesondere in den Städten) zu Mehrsprachigkeit in vormals unbeachtetem Maße und damit zu einer größeren Diversität, der Superdiversität, geführt haben. Hierauf reagieren staatliche sprachpolitische Akteure, wenngleich oft recht langsam, z.B. durch Übersetzungen von Dokumenten, anderssprachigen Erläuterungen von Formularen, die Bereitstellung von Dolmetschern oder durch spezielle Unterrichtsangebote. Stadtverwaltungen und Bildungseinrichtungen müssen lernen, mit der Vielsprachigkeit und den unterschiedlichsten Sprachbiographien von Migranten umzugehen, wobei dies oftmals eher als Problem denn als Chance für eine internationalere Ausrichtung einer Gesellschaft angesehen wird. Im Mikrobereich gibt es Initiativen etwa von Nachbarschaftszentren, die Sprache und Kultur von Migranten oder auch dezidiert ein Konzept der Mehrsprachigkeit pflegen, in denen Migranten Hilfe erhalten und gleichzeitig ein Austausch verschiedener Migrantengruppen und der sprachlichen Mehrheitsbevölkerung erfolgen kann. In diesem Zusammenhang ist auch das Schlagwort der Transnationalisierung zu erwähnen. Darunter werden Migrationsbewegungen verstanden, in denen - aufgrund heutiger Medien- und Kommunikationstechnologien - Verbindungen zum Herkunftsland in starkem Maße aufrechterhalten bleiben. Personen leben nur für eine kürzere Zeit in einem neuen Land, kehren nach einigen Jahren wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurück oder werden anschließend an einem dritten Ort sesshaft. Dadurch werden traditionelle Kategorien auch der sprachpolitischen Forschung in Frage gestellt, wie der Gegensatz zwischen einem klaren Herkunfts- und Zielland der Migration. Für sprachpolitische Akteure ist dies von Bedeutung, weil die Sprachbiographien vieler Menschen sich ändern. Es gibt viel häufiger ein Nebeneinander von sprachlichen und kulturellen Bezugspunkten anstelle des früher üblicheren klaren Nacheinander. King/ Rambow (2012) beschreiben derartige Tendenzen mit dem Begriff der (individuellen) Polyzentrizität - den gleichzeitigen Bezug auf mehrere „Zentren“ im Leben eines Menschen. Dazu gehört, dass (auch sprachliche) Normen, Werte und Autoritäten miteinander konkurrieren und sich gegenseitig beeinflussen, es kommt zu einem ständigen Wechsel zwischen sozialen, politischen, kulturellen und sprachlichen Welten. Dies alles führt zum Entstehen von Hybridkulturen, d.h. Systemen von Werten und Verhaltensweisen, die sich aus unterschiedlichsten Elementen zusammensetzen. Dies spiegelt sich im Aneignen und im Gebrauch unterschiedlicher sprachlicher Systeme, die nicht immer deutlich voneinander zu trennen Neue Dimensionen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit Transnationalisierung <?page no="113"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 113 sind. In vielen Fällen steht statt einer klaren Abgrenzung von Sprachen wie „Deutsch“, „Englisch“, „Russisch“ etc. in der Praxis die Funktion von Sprache im Mittelpunkt: Kommuniziert wird pragmatisch, es kommt nicht darauf an, im Sinne einer Sprachnorm „richtig“ zu sprechen, sondern, dass die Sprecher für ihr Gegenüber verständlich sind und Kommunikation erfolgreich verläuft. Dazu gehört das Hinundherspringen zwischen (code switching) und das Vermischen von Sprachen (code mixing). Aus sprachpolitischer Sicht ist für King/ Rambow insbesondere der Umgang mit transnationalen Sprachen im Bildungssystem wichtig: Dazu gehört zum einen, dass Bildungseinrichtungen (staatlicher oder privater Natur) dabei behilflich sind, sich eine neue Sprache anzueignen. Zum anderen kann aber auch der Wert von Migrantensprachen für die neue Gesellschaft erkannt werden - sowohl aufgrund der persönlichen Bedürfnisse der transnationalen Bevölkerung als auch im Hinblick auf das Potential für internationale Wirtschaftskontakte u.ä. In der Praxis kommt das Bewusstsein für derartige Veränderungen der sprachlichen Zusammensetzung der Gesellschaft - wenn überhaupt - oft nur in sprachpolitischen Bewegungen „von unten“ zum Ausdruck. Shohamy (2006: 93-109) betont etwa die Rolle von offiziellen Sprachtests in Bildungseinrichtungen, als Zugangsvoraussetzung für bestimmte Berufe oder für die Einbürgerung in ein Land. Damit wird oft von staatlicher Seite eine Sprachpolitik betrieben, die die sprachlichen Fähigkeiten der alteingesessenen Bevölkerung als Norm beibehält und das Potential transnationaler Sprachkompetenz ignoriert. Dies gilt auch für Privatunternehmen, die - wie auch in Deutschland verbreitet - ihre Produkte nur in der Landessprache anbieten, auch wenn sie dies gesetzlich nicht müssten. Dies steht nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Tradition von Nationalstaat, nationaler Identität und Sprache. Entsprechend ist auch heute noch das (möglichst fehler- und akzentfreie) Erlernen der Standardvarietät einer gesellschaftlich dominanten Sprache vielerorts eine grundlegende Bedingung für ein erfolgreiches Leben; dies gilt sowohl für Migranten als auch für traditionelle Minderheiten und sogar für die Mehrheitsbevölkerung in Hinsicht auf die Vermeidung von Dialekten oder sozial markierten Formen. Dieser Umstand widerspricht der oben diskutierten Propagierung von Hybridvarietäten (Kapitel 2), da diese in der Mehrheitsgesellschaft zumeist nicht akzeptiert werden und nach wie vor hochgradig stigmatisiert sind (wie auch etwa im Falle des „Türkdeutsch“). Langsame Reaktionen „von oben“ und Sprachtests <?page no="114"?> 114 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Abbildung 20: Graphematische Superdiversität: Logo des Integrationsbeauftragten des Senates von Berlin. 8.4 Neue Medien Wie bereits in Kapitel 7 angedeutet, hat die Domäne der so genannten „neuen“ Medien eine Erweiterung der sprachpolitischen Forschung bewirkt, also die Kommunikation über Handy und Skype, durch soziale Netzwerke wie Facebook oder vergleichbare Dienste (vgl. dazu den Überblicksband von Gruffydd Jones/ Uribe-Jongbloed (2013) mit einer Sammlung an Studien und perspektivischen Überlegungen zum Thema). Derartige technische Entwicklungen sind gerade im Kontext der Analyse von Transnationalismus von besonderer Bedeutung. Auf der einen Seite wird die Dominanz großer Sprachen und insbesondere des Englischen gefördert, indem bestimmte Inhalte nur in einigen wenigen Sprachen zur Verfügung stehen. Die Kenntnis dieser Sprachen wird zur Teilnahme an einem bestimmten Diskurs vorausgesetzt, etwa in Wissenschaft und Studium. Auf der anderen Seite bieten neue und insbesondere soziale Medien aber völlig neuartige Chancen für kleine Sprachen. Mit Hilfe von Facebook können sich sprachpolitische Aktivisten gegenseitig ausfindig machen und vernetzen. Sprecher kleiner Sprachen, die ansonsten wenig Gelegenheiten hätten, miteinander zu kommunizieren, finden Anwendungsmöglichkeiten ihrer Sprachen. Es können sich Lernergruppen bilden und insbesondere die Spracherwerbspolitik hat neue Möglichkeiten der Verbreitung von Lehrmaterialien erhalten. Ebenso können Migranten und die Nachfahren früherer Auswanderer mit ihrer traditionellen Sprache in Kontakt bleiben. Auf rezeptivem Niveau gilt dies auch für die Verbreitung von Fernsehsendungen über Satellitenprogramme oder Musik, Filmen und Zeitungen über das Internet. Somit tragen neue Medien auch zu einer Demokratisierung von Sprachgebrauch, -erhalt und -erwerb bei, wobei wiederum das Element der Glokalisierung eine große Rolle spielt: Verbreitete Sprachen wie das Englische können zur Kommunikation von Gleichgesinnten auch in einem begrenzten lokalen Kontext eingesetzt Änderungen durch die digitale Revolution <?page no="115"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 115 werden, an dem möglicherweise keine Muttersprachler des Englischen beteiligt sind, mit lokalen Begriffen, Konzepten und Interferenzen aus anderen Sprachen, die nur in einem speziellen Kontext verständlich sind. 8.5 Sprachpolitik in den Institutionen der EU Ein ganz anderer Bereich der internationalen Sprachpolitik sind Ansätze von Sprachpolitik seitens internationaler Organisationen. Viel diskutiertes Musterbeispiel für eine internationale Sprachpolitik im Sinne umfangreicher Initiativen zur Vielsprachigkeit ist die EU mit ihrer Vielfalt an Strukturen. Dies betrifft sowohl die Sprachbenutzung in den EU-Institutionen selbst als auch sprachpolitische Maßnahmen, die sich auf den Sprachgebrauch und insbesondere den Spracherwerb der Bevölkerung beziehen. Dabei kann eine Institution wie die EU - oder auch die Vereinten Nationen - nur als Akteur im Sinne eines Ansatzes „von oben“ verstanden werden: Es geht hier also nicht darum, was Personen oder Gruppen tun, die in den Mitgliedstaaten der jeweiligen Organisation wohnen. Außerden sind Maßnahmen „von unten“ zumeist in einer bestimmten Region verankert, wenn sie sich nicht explizit mit den sprachlichen Verhältnissen in der jeweiligen internationalen Organisation beschäftigen. Im Folgenden beschäftigen wir uns deshalb mit den unmittelbar von den europäischen Institutionen ausgehenden sprachpolitischen Praktiken. Die Sprachpolitik in der EU ist in dem Sinne einzigartig, dass sie ausdrücklich das Prinzip einer - theoretisch unbegrenzten - institutionellen Mehrsprachigkeit propagiert. Gleichzeitig wird im langjährigen EU-Leitspruch „Einheit in der Vielfalt“ symbolisch der Respekt vor der Vielsprachigkeit der Bevölkerung ausgedrückt. Dieses Prinzip stößt in der Praxis jedoch schnell an seine Grenzen - und es herrscht oft ein Widerspruch zwischen der Idee der Diversität und pragmatischen Alltagserwägungen. An dieser Stelle muss zunächst mit einer in der öffentlichen Diskussion weit verbreiteten Begriffskonfusion aufgeräumt werden: Ganz wesentlich für das Verständnis der EU-Sprachpolitik ist der Unterschied zwischen Amtssprachen und Arbeitssprachen. Amtssprachen sind diejenigen Sprachen, in denen EU-Dokumente erstellt werden, in denen sich die Bürger der EU an die europäischen Institutionen wenden können und in denen auch die Websites der EU erscheinen. Hier herrscht seit dem Entstehen der Keimzellen der europäischen Integration in den 1950er Jahren das Prinzip, dass jede nationale Amtssprache auch Amtssprache der EU ist. War die Situation bei der Verabschiedung der Römischen Verträge 1957 mit lediglich sechs Mitgliedsstaaten (Frankreich, Deutschland, Benelux, Italien) und vier Sprachen (Französisch, Deutsch, Niederländisch, Italienisch) noch sehr übersichtlich, sind in der heutigen aus 28 Staaten bestehenden EU daraus 24 Amtssprachen geworden. Alle Staaten haben bei ihrem EU-Beitritt ihre eigene Amtssprache auch als EU- Amtssprache deklariert, was nicht zuletzt einen immensen Übersetzungsaufwand bedeutet hat. Dennoch kann der symbolische Wert, den der offizielle EU-Status ihrer Sprachen gerade für die kleineren Länder hat, nicht unterschätzt werden. Einzige Ausnahme ist Luxemburg, das das Luxemburgische nicht zur EU-Amtssprache aufgewertet hat. Dass es nur 24 Sprachen bei 28 Einzigartigkeit der EU-Sprachpolitik Amtssprachen <?page no="116"?> 116 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Mitgliedsstaaten sind, liegt daran, dass neben Luxemburg auch Zypern (Griechisch), Österreich (Deutsch) und Belgien (Niederländisch, Französisch und Deutsch) Amtssprachen haben, die auch in anderen Staaten verwendet werden. Die Gleichberechtigung der Amtssprachen gilt auch für die Treffen von Regierungschefs und Ministern im Europäischen Rat und für das Europäische Parlament (in letzterem können sogar einige größere Sprachen, die keine offiziellen Sprachen eines EU-Landes sind, wie Katalanisch, benutzt werden) - wodurch sich die EU einen umfangreichen Apparat an Übersetzern und Dolmetschern leistet. Die Kosten dafür sind regelmäßig Anlass für recht polemisch geäußerte Kritik - jedoch meistens nur so lange, bis Praktiken vorgeschlagen werden, die auf das Ende einer Präsenz der kleineren Amtssprachen hinauslaufen würden. Für die externe Kommunikation der EU-Institutionen mit den Bürgern Europas scheint es somit kaum Alternativen zu geben, die auf Akzeptanz stoßen würden. Eine Situation, in der nur einige große Sprachen zugelassen wären und sich damit viele Bürger nicht mehr in der Amtssprache ihres Landes an die EU wenden könnten, würde von den kleineren Ländern kaum akzeptiert werden und wäre aus demokratischer Sicht auch ausgesprochen fragwürdig. Dagegen hat sich in der internen Kommunikation in den EU-Institutionen ein System der Arbeitssprachen durchgesetzt. Heute dominiert weitgehend Englisch, aufgrund seiner historischen Rolle und wegen des Sitzes vieler Institutionen in französischsprachigen Gebieten ist auch Französisch immer noch wichtig. Deutsch und - mit großen Einschränkungen - Spanisch und Italienisch werden nur gelegentlich benutzt. Die Bedeutung des Englischen hat in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Dies gilt insbesondere seit der Erweiterung zunächst um Österreich, Schweden und Finnland im Jahr 1995 und um viele Staaten Mittel- und Osteuropas 2004. Diese sind in den meisten Fällen sprachlich und kulturell weniger an Frankreich, sondern traditionell eher am Deutschen und heute am Englischen orientiert. Interessant dabei ist, dass das Englische anfänglich nicht Amtssprache der europäischen Institutionen war, da es erst durch den Beitritt Großbritanniens und Irlands zur damaligen Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1973 diesen Status erhielt. Immer wieder gibt es Vorschläge, aus pragmatischen Gründen heute nur Englisch als Arbeitssprache zu gebrauchen, jedoch scheitert dies bislang an der starken Tradition des Französischen. Von Befürwortern eines vereinfachten Sprachregimes wird argumentiert, dass es letztlich nicht nur einfacher, sondern auch demokratischer wäre, wenn es mit dem Englischen eine gemeinsame Sprache für alle gäbe: Englisch zu lernen erscheint heute für die jüngeren Generationen in den meisten Ländern Europas als selbstverständlich, so dass die individuelle Notwendigkeit, für eine Tätigkeit in der EU neben der Muttersprache nur eine weitere Sprache zu können, das Leben für viele EU-Bürger erleichtern könnte (was allerdings übersieht, dass englische Muttersprachler dadurch einen noch größeren Vorteil hätten). Außerdem könnte durch die Entwicklung und eine sich verbreitende Akzeptanz eines „Euro-English“ erreicht werden, dass nicht mehr muttersprachliche britische Normen als Maßstab der Sprachkompetenz angesehen werden, was wiederum die Schwelle zu einer Teilhabe durch Nichtmuttersprachler senken würde. Arbeitssprachen als Kompromiss <?page no="117"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 117 8.6 Sprachpolitische Maßnahmen in Europa außerhalb der EU- Institutionen Auch die aktive Sprachpolitik jenseits der EU-Institutionen ist durch die Förderung von Mehrsprachigkeit gekennzeichnet - sowohl auf symbolischer Ebene als auch durch praktische Maßnahmen, die sich direkt an die Bevölkerung richten. Von der Zahl der Maßnahmen und der geförderten Sprachen ist die EU damit einer der größten sprachpolitischen Akteure weltweit, deren Einfluss auf das Entwickeln einer Akzeptanz von Mehrsprachigkeit nicht unterschätzt werden darf. Maßgebliche Prämisse ist das Schlagwort der „Einheit in der Vielfalt“. Kurzzeitig (2007-2010) gab es sogar einen eigenen europäischen Kommissar für Mehrsprachigkeit, dessen Arbeitsbereich allerdings nach nur wenigen Jahren wieder in die Zuständigkeit des Kommissars für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend reintegriert wurde, wo die Mehrsprachigkeitspolitik auch vor 2007 angesiedelt gewesen war. Seit 2014 ist die Mehrsprachigkeitspolitik gar nicht mehr Teil der Amtsbezeichnung eines EU- Kommissars - ein deutliches Zeichen für den Rückgang der Bedeutung der Sprachpolitik in den EU-Strukturen, auch wenn viele sprachpolitische Programme fortbestehen. Das Ziel der Verbreitung eines europäischen Sprachbewusstseins in der Bevölkerung wird durch die Formel „Muttersprache plus zwei“ ausgedrückt, d.h. dass als Langzeitperspektive alle EU-Bürger dreisprachig sein sollten. Dies bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf den Erwerb des Englischen. Dreisprachig bedeutet hier, dass sich die Bürger in wichtigen Aktivitäten ihres Lebens in drei Sprachen verständigen können, ohne dass ein (quasi-)muttersprachliches Niveau angestrebt wird. In der Realität gibt es einige (kleinere) EU-Länder, in denen dieses Ziel realistisch oder sogar schon erreicht zu sein scheint, wie etwa Luxemburg oder Estland. In vielen größeren Ländern dagegen ist auch heute noch ein Großteil der Bevölkerung einsprachig, so dass das Erreichen der Dreisprachigkeit auf absehbare Zeit unwahrscheinlich bleibt, trotz mehrjährigem obligatorischem Sprachunterricht in den Schulen. Für viele Menschen in den großen EU-Ländern bleibt die eigene Sprache das Maß aller Dinge; in kleineren Ländern wird oft zwar Englisch als notwendig angesehen, das Lernen anderer Sprachen bleibt aber weniger verbreitet. Somit klafft hier eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen dem Ideal der Vielsprachigkeit als Schlüssel zum Erleben kultureller Vielfalt in den EU- Institutionen und dem pragmatischen Ansatz vieler Bürger, die Sprachen hauptsächlich nach ihrem Alltagsnutzwert beurteilen. Daran haben auch europäische Austauschprogramme wie Erasmus für Studenten und Hochschulangehörige sowie vergleichbare Programme für andere Bevölkerungsgruppen nur teilweise etwas geändert. Gefördert wird, neben der sicherlich zu begrüßenden Horizonterweiterung, die das Leben in einer anderen Umgebung und Kultur mit sich bringt, vor allem die Verbreitung des Englischen als Lingua Franca. Zu den anderen Aktivitäten der europäischen Sprachpolitik, die einen Einfluss auf das Leben vieler Bürger haben, gehört die Entwicklung des Europäischen Referenzrahmens für die Einschätzung bzw. Bewertung von Sprachkenntnissen, die heute im Sprachunterricht an Schulen und Universitäten europaweit weit ver- Sprachpolitische Aktivitäten der EU für die Bürger Unterschiede zwischen Wünschen und Realität <?page no="118"?> 118 I Theoretische Grundlagen und Konzepte breitet ist. Weniger hat sich dagegen das Europäische Sprachenportfolio als Dokumentation persönlicher Sprachbiographien durchgesetzt. Außerdem profitieren im Rahmen der europäischen Förderung von Wissenschaft und Forschung auch z.B. sprachwissenschaftliche Netzwerke, die sich mit Mehrsprachigkeit, gesellschaftlichem Umgang mit Sprache oder der Entwicklung von Lernmaterialien beschäftigen. Schließlich darf auch die Förderung von Minderheitensprachen nicht vergessen werden, deren wichtigste Elemente die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sind (vgl. Kapitel 6). Diese Dokumente wurden zwar nicht von EU-Institutionen, sondern vom Europarat erarbeitet, sie werden von der EU allerdings ausdrücklich als Grundlage ihrer Politik anerkannt, die die Entwicklung eigener Prinzipien in diesem Bereich überflüssig macht. Trotz der umfangreichen Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit und der Vielzahl an Fördermaßnahmen hat es auch Kritik an der EU-Sprachpolitik gegeben. Diese nimmt etwa daran Anstoß, dass die Dominanz des Englischen trotz aller Bemühungen der Mehrsprachigkeitsförderung immer weiter zunimmt - sowohl in den Institutionen als auch bei den Bürgern. Kritik wurde auch an der Vernachlässigung von Migrantensprachen geübt - obwohl viele EU- Mitgliedstaaten wie etwa Großbritannien in einzelnen Bereichen schon selbst sehr viel weitergehende Maßnahmen getroffen haben. Insgesamt ist unbestritten, dass viele Maßnahmen auf europäischer Ebene von idealistischen Vorstellungen geprägt sind und ihre Umsetzung oftmals nur teilweise die gewünschten Ziele erreicht. Auch wenn in diesem Sinne die Idee einer weitgehend gleichberechtigten Koexistenz vieler Sprachen eine Utopie zu bleiben scheint, steht aber auch außer Frage, dass die Vielsprachigkeit in der Kommunikation zwischen Bürgern und Institutionen in vielerlei Hinsicht einzigartig ist. Ohne die Programme zum Sprach- und Kulturaustausch so wie die Förderung von Mehrsprachigkeit wäre die Situation vieler kleinerer Sprachen wohl deutlich schlechter und das gegenseitige Erlernen von Sprachen weniger verbreitet - auch wenn nach wie vor nicht alle Bürger davon profitieren. Somit ist die EU insgesamt ein Vorreiter für Mehrsprachigkeit und sprachliche Demokratie. Dies gilt hinsichtlich seiner Menschenrechtsarbeit auch für den Europarat - wenngleich dieser selbst lediglich Englisch und Französisch zu Amtssprachen erklärt hat und Deutsch, Italienisch und Russisch als Arbeitssprachen gebraucht, er also nicht mit demselben Beispiel vorangeht wie die EU. 8.7 Die Vereinten Nationen Im Vergleich mit den europäischen Institutionen haben sich die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen in sehr viel geringerem Maße mit Sprachpolitik beschäftigt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Diversität der Staaten und Sprachen weltweit es schwerer macht als in Europa, verbindliche Normen aufzustellen. Zudem ist der normative Handlungsspielraum der UNO im Gegensatz zur EU deutlich eingeschränkt und es fehlt den Vereinten Nationen - trotz wichtiger Dokumente wie der Menschenrechtscharta - der gemeinsame kulturelle Wertekanon, auf dem die europäischen Institutionen seit 1945 aufgebaut wurden. Kritik an der EU- Sprachpolitik <?page no="119"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 119 Dennoch gibt es auch hinsichtlich der sprachpolitischen Prinzipien bei der UNO durchaus Gemeinsamkeiten zu Europa. Ähnlich wie in Europa gilt auch für die UNO und die ihr untergeordneten Organisationen, dass es sowohl eine interne Sprachpolitik gibt als auch Maßnahmen, mit denen Sprachenlernen und Mehrsprachigkeit gefördert werden. Die sechs Arbeitssprachen der UN versuchen, auf der einen Seite einen möglichst großen Teil der Weltbevölkerung zu repräsentieren (zumindest wenn ihre Verwendung auch als Zweitsprache und Lingua Franca berücksichtigt wird). Auf der anderen Seite stellen sie einen Kompromiss im Interesse der Arbeitsfähigkeit der Organisationen dar. Dies sind Englisch, Französisch, Russisch, Chinesisch, Spanisch und Arabisch. Die ersten vier Sprachen spiegeln die Struktur der UNO zur Zeit ihrer Gründung wider - ähnlich wie etwa der Sicherheitsrat, dessen seit Jahren regelmäßig geforderte Reform bislang ausgeblieben ist. Spanisch und Arabisch zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie in einer großen Zahl an Ländern gebraucht werden. Japanisch oder auch Deutsch gehören trotz ihrer großen Sprecherzahlen und der ökonomischen Stärke von Japan und Deutschland nicht zu den UN-Arbeitssprachen, weil sie sich im Wesentlichen auf eine kleine Region beschränken und nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus politischen Gründen abgelehnt wurden. Für Hindi als eine hinsichtlich der Sprecherzahl größten Sprachen der Welt gilt außerdem, dass Indien zur Zeit der UN-Gründung noch im Unabhängigkeitsprozess stand; die portugiesischsprachigen Länder wurden damals noch nicht als global bedeutend wahrgenommen. Schließlich spiegelt sich in der relativen Dominanz des Französischen gegenüber den anderen Sprachen mit Ausnahme des Englischen auch dessen historische Rolle als erste Lingua Franca vieler internationaler Organisationen aus der Anfangsphase der internationalen Zusammenarbeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert wider. Für viele Unterorganisationen der Vereinten Nationen gilt aber, dass diese weniger Arbeitssprachen haben. In der Praxis dominiert auch in der UNO oft Englisch, manchmal Französisch (oft in Abhängigkeit vom Standort einer UN-Institution in einem französischsprachigen Land), der Gebrauch von Arabisch, Russisch und Chinesisch ist insgesamt selten. Von den Arbeitssprachen zu unterscheiden sind auch in der UNO die Kommunikationssprachen. De Varennes (2012: 163-165) spricht in diesem Zusammenhang von vier Gruppen von Sprachen: Während alle UN-Dokumente in die sechs Arbeitssprachen übersetzt werden, gibt es 29 Sprachen, die in den weltweit 63 Kontakt- und Informationszentren Anwendung finden. Auch dies sind hauptsächlich europäische Sprachen, darunter auch Deutsch und selbst kleine Sprachen wie Isländisch; außereuropäische Sprachen sind selten. Außerdem gibt es eine Reihe von Sprachen, die im Rahmen bestimmter UN-Programme und in Abhängigkeit von deren geographischen Bezügen in der Praxis gebraucht werden sowie eine Vielzahl von Sprachen, in denen zumindest eine Handvoll an elementaren Dokumenten wie die UN-Menschenrechtscharta vorliegen. Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass die Sprachpolitik internationaler Organisationen zumeist vom jeweiligen geographischen Rahmen abhängt. Insgesamt dominieren die ursprünglich aus Europa stammenden ehemaligen Kolonialsprachen, die auch in anderen Teilen der Welt als Lingua Arbeitssprachen der UNO Kommunikationssprachen Globale Unterschiede <?page no="120"?> 120 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Franca bislang weitgehend ohne Alternative geblieben sind. Aus heutiger Perspektive nur historisch zu erklären ist die Rolle des Französischen, das in fast so vielen internationalen Organisationen Verwendung findet wie das Englische. Alle anderen Sprachen liegen deutlich dahinter; innerhalb dieser Gruppe spielt auch das Deutsche eine nicht geringe Rolle. Laut dem Fischer Weltalmanach, der allerdings bereits 1995 eine derartige Aufstellung verfasst hat, ist Englisch in 181 und Französisch in 165 Institutionen Arbeitssprache, es folgen Spanisch (77), Deutsch (58), Russisch (35), Arabisch (30), Italienisch (15), Portugiesisch (14) und Chinesisch (12). Allerdings gibt es auch hier oftmals einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis: So haben in der Afrikanischen Union Englisch, Französisch, Portugiesisch, Arabisch und Swahili Status als Arbeitssprachen, als offizielle Sprachen gelten zudem „alle afrikanischen Sprachen“. Jedoch ist gerade letztere Regelung rein symbolisch und wäre praktisch wohl auch kaum umsetzbar; de facto dominiert auch hier das Englische. Ausnahmen von der Dominanz des Englischen gibt es nur bei dezidiert regional begrenzten Organisationen, zu denen kein englischsprachiges Land gehört, wie dem Nordischen Rat oder der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur (de Varennes 2012: 157-160). 8.8 Internationale Sprachpolitik von unten Schließlich soll noch kurz auf internationale Sprachpolitik „bottom-up“ eingegangen werden. Zum einen sind hier internationale Konventionen zu allgemeinen Menschenrechten sowie speziellen Minderheitenrechten zu nennen, sowie sie bereits in Kapitel 6 dokumentiert wurden. Diese sind oftmals das Ergebnis von politischer Einflussnahme durch NGOs, gleichzeitig bemüht sich etwa der Europarat, durch die Veranstaltung von Tagungen einen regelmäßigen Kontakt zwischen Aktivisten, Politik und Forschung zu ermöglichen. Neben derartiger politischer Einflussnahme sind private Initiativen jedoch auch in Form von informellen Netzwerken von Sprachaktivisten und Sprachwissenschaftlern, die sich mit sprachpolitischen Fragen beschäftigen, von Bedeutung. Diese können in sehr unterschiedliche Richtung tätig sein und sehr verschiedene Motivationen für ihr Handeln haben. Oftmals ist eine Abgrenzung von staatlicher Politik und eine Unterscheidung in top-down- und bottom-up-Aktivitäten auch nicht vollständig möglich, wenn etwa wissenschaftliche Institute vom Staat finanziell unterstützt werden. Wichtige sprachwissenschaftliche Netzwerke, die explizit durch staatliche Stellen oder die EU gefördert werden, waren zum Beispiel die Projekte DYLAN (Dynamik und Handhabung der Sprachenvielfalt, 2006-2011) und LINEE (Languages in a European Network of Excellence, 2006-2010), die sich ausdrücklich mit der Organisation von Mehrsprachigkeit in Europa und dabei auch mit sprachpolitischen Fragen beschäftigten. Ein anderes, ebenfalls EUgefördertes Beispiel ist das ELDIA-Projekt (European Language Diversity for All, 2010-2013), das sich mit gesellschaftlichen Fragen speziell der finno-ugrischen Sprachen in Europa aus interdisziplinärer Perspektive beschäftigt hat. Ein Beispiel für eine längerfristige Beschäftigung mit Sprachpolitik im akademischen Kontext ist die Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) als Teil Europäische Projekte <?page no="121"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 121 der internationalen Vereinigung für angewandte Linguistik (AILA), die bedeutendste deutschsprachige Organisation für Sprachwissenschaftler, die sich mit Themen der angewandten Sprachwissenschaft beschäftigen. Allerdings hat die GAL keine eigene Sektion zur Sprachpolitik - diese findet ihren Platz zumeist im Rahmen einer allgemeiner ausgelegten Soziolinguistik. Wie die Trennung von staatlicher und nichtstaatlicher Sprachpolitik, so ist auch eine Trennung zwischen wissenschaftlicher Forschungstätigkeit und sprachpolitischem Aktivismus nicht immer deutlich. Dies gilt für Organisationen wie die aus europäischen, nationalen und privaten Mitteln finanzierten Mercator-Institute für europäische Minderheitensprachen. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von fünf Forschungsorganisationen in Ljouwert/ Leeuwarden im niederländischen Friesland (Schwerpunkt Bildungsforschung), in Barce lona (Recht), Aberystwyth in Wales (Medien), in Budapest und in Eskil stuna/ Västerås in Schweden, das durch regelmäßige Publikationen, Veranstaltungen und Forschungsprojekte Minderheitensprachen aus unterschiedlichster Perspektive betrachtet. Andere Beispiele sind etwa die Föderalistische Union europäischer Volksgruppen (FUEV bzw. englisch FUEN) oder das European Centre for Minority Issues in Flensburg, das von den Regierungen Dänemarks, Deutschlands und Schleswig-Holsteins gefördert wird und im Rahmen der deutsch-dänischen Minderheitenvereinbarungen entstanden ist. Abbildung 21: Weltkongress der AILA in Peking 2011. Ein Beispiel für einen rein privat organisierten losen Verbund ist das Poga- Netzwerk für das Überleben von Sprachen, das explizit die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Aktivisten in der EU und in Russland fördert. Ein Zusammenschluss, der sich nicht mit Minderheitensprachen beschäftigt, ist schließlich die European Federation of National Institutions for Language. Diese Organisation bietet ein Forum für den Erfahrungsaustausch zwischen Forschungstätigkeit und Aktivismus - - <?page no="122"?> 122 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Institutionen, die sich im Sinne von Sprachakademien mit der Erforschung und Korpusplanung der jeweiligen Nationalsprachen beschäftigen. Zu der Vielzahl der Mitgliedsorganisationen gehören das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, das österreichische Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, das Österreichische Sprachen-Kompetenz-Zentrum in Graz, die französische Délégation générale à la langue française et aux langues de France, der Dänische Sprachrat, der British Council, die Königliche Spanische Akademie oder der slowenische Sprachdienst im slowenischen Ministerium für Kultur. Schließlich sollen hier auch noch Institutionen mit einem anderen Hintergrund erwähnt werden, die sprachpolitische Fragen eher als Nebenprodukt ihrer Tätigkeit behandeln. Dazu gehört das von der Volkswagenstiftung geförderte DOBES-Projekt zur Dokumentation bedrohter Sprachen weltweit. Eine recht bekannte Institution ist auch das religiös ausgerichtete Summer Institute of Linguistics, dessen Ziel christlich-missionarische Tätigkeiten sind, das aber den hoch frequentierten „Ethnologue“ veröffentlicht (Lewis et al. 2013). Gerade durch die online verfügbare Übersicht über Sprachen in allen Regionen der Welt - auch wenn die dort genannten Daten in vielen Fällen nicht sehr präzise oder auch veraltet sind - trägt diese Institution ganz maßgeblich zur Verbreitung von Basisdaten bei, die für Fragen insbesondere der Statusplanung wichtig sein können. ZUSAMMENFASSUNG: In Zeiten der Globalisierung sind auch sprachpolitische Aktivitäten international vernetzt. Diese müssen auf Situationen reagieren, die als superdivers bezeichnet werden, auf Migrations- und transnationale Prozesse, auf globale und regionale Sprachenhierarchien, und auf Elemente der Glokalisierung. Internationale Sprachpolitik findet in geringem Maße auf der Ebene der UNO statt, insbesondere Europa hat jedoch eine Vielzahl an sprachpolitischen Aktivitäten entwickelt. Dabei muss grundsätzlich zwischen der Betrachtung der Sprachpolitik innerhalb einer Institution wie der UNO oder der EU und der auf ihre Bürger ausgerichteten Politik unterschieden werden. Schließlich gibt es eine breite internationale Vernetzung auch seitens der sprachpolitischen Forschung. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Welche Auswirkungen hat die Globalisierung auf die sprachliche Zusammensetzung der Bevölkerung in Ihrem Land? Was ist in diesem Zusammenhang unter Superdiversität zu verstehen? 2. Welche sprachpolitischen Konsequenzen können sich aus der Globalisierung ergeben? Recherchieren Sie, ob und wie Behörden, Bildungseinrichtungen und Privatfirmen in Ihrer Umgebung darauf reagieren. Finden Sie die Maßnahmen angemessen? 3. Erklären Sie den Begriff der „Glokalisierung“. Suchen Sie Beispiele dafür in Ihrer Umgebung. Sprachpolitik als Nebenprodukt anderer wissenschaftlicher Tätigkeiten <?page no="123"?> 8 Internationale Sprachpolitik und Globalisierung 123 4. Was ist der Unterschied zwischen Amts- und Arbeitssprachen in der EU? Welche Sprachen sind dies? Welche Sprachen haben weder den einen noch den anderen Status? 5. Ein gegen die aktuelle Praxis der Vielsprachigkeit in den EU-Institutionen angeführtes Argument ist der Arbeits- und Kostenaufwand, der beim Übersetzen von Dokumenten und beim Dolmetschen für 24 Sprachen entsteht. Was halten Sie davon? 6. Haben Sie selbst Erfahrungen mit europäischen Sprachprogrammen? Waren diese positiv oder negativ? Was würden Sie anders machen? 7. Einheit in der Vielfalt - geht das überhaupt? Sollte sich die EU überhaupt um kleine Sprachen kümmern - ist das nicht eher eine Aufgabe der Mitgliedsstaaten mit ihren unterschiedlichen Traditionen? 8. Recherchieren Sie, welche Länder die Europäische Sprachencharta und das Rahmenübereinkommen für Minderheiten unterzeichnet und ratifiziert haben. Warum haben einige Länder dies getan und andere nicht? Suchen Sie im Internet nach den Monitoring-Berichten und vergleichen Sie diese mit Stellungnahmen von Minderheitenorganisationen! 9. Erklären Sie, nach welchen Kriterien die UNO ihre Arbeitssprachen gewählt hat? Finden Sie die Wahl nachvollziehbar? 10. Warum ist die Trennung zwischen Sprachpolitik von unten und von oben auch im internationalen Kontext nicht immer eindeutig? 11. Welche Interessen verfolgen sprachpolitische Forschungsinstitutionen und -netzwerke? Wo sind Grenzen und Gemeinsamkeiten von Sprachaktivismus und wissenschaftlichen Tätigkeiten? <?page no="124"?> 9 Methoden und Ansätze in der sprachpolitischen Forschung Aus den vorangegangenen Kapiteln wurde ersichtlich, dass das Spektrum der Aktivitäten und Situationen, in denen Sprachpolitik eine Rolle spielt, breit gefächert ist. Außerdem wurde deutlich, wie vielfältig in den meisten Fällen die Faktoren sind, die auf eine sprachpolitische Situation einwirken. Deshalb sind in der Forschung im Allgemeinen interdisziplinäre Ansätze sinnvoll, die Aspekte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und praktischen Perspektiven einschließen. Entsprechend hängt auch die Frage nach geeigneten Forschungsmethoden stark von der individuellen Situation und dem jeweiligen Erkenntnisinteresse ab. Eine der wichtigsten Fragen ist zum Beispiel, ob die Makrosituation der Sprachpolitik in einem ganzen Land oder einer Region im Mittelpunkt steht, oder ob es um das Verständnis kleinerer Einzelsituationen geht. In diesem Kapitel werden einige Methoden und Ansätze vorgestellt, die in der Forschung zur Sprachpolitik Anwendung finden. Auch diese Darstellung ist nicht als allumfassend zu verstehen; die Vielzahl der Methoden kennt gerade aufgrund der interdisziplinären Natur der sprachpolitischen Forschung kaum Grenzen. In praktischen Studien können Ansätze und Methoden auch kombiniert werden oder sich überlappen. Dabei gilt in den meisten Fällen der in Kapitel 3 zitierte Grundsatz von Cooper bzw. das im Language Management-Ansatz nach Neustupný, Jernudd und Nekvapil (vgl. Kapitel 2) im Mittelpunkt stehende Beobachten eines Eingriffes in spezifische Situationen, das auf einer bestimmten ideologischen Grundlage stattfindet. Sprachpolitische Forschung kann an einzelnen dieser Fragen ansetzen oder versuchen, einen Gesamtüberblick über alle Fragen zu erhalten. Dabei werden im Folgenden zum Teil auch die in Kapitel 3 angesprochenen wissenschaftstheoretischen Strömungen wieder aufgegriffen, von denen die Perspektive eines Forschers auf den Begriff Sprache an sich, auf die Sprecher, ihre sozialen Rollen etc. bestimmt wird. Gleichzeitig finden sich hier auch die in den vorherigen Kapiteln diskutierten Ausgangspunkte der Betrachtung von Sprachpolitik wieder, also Fragen zu Identitäten, Minderheiten, Sprachrechten, Nationalismus, Transnationalismus, Sprachdomänen, unterschiedlichen Akteuren etc. In diesem Sinne sollen die folgenden Überlegungen Anregungen für individuelle Beobachtungen im Alltag, zu Studien auf kleinerem Niveau wie in studentischen Seminararbeiten o.ä. bis hin zu größeren Projekten geben. Wie in allen wissenschaftlichen Bereichen gilt, dass ein Blick in einschlägige Monographien, Sammelbände oder Fachzeitschriften bei der Orientierung behilflich sein kann. Dafür eignen sich vor allem die im Verlauf dieses Buches bereits häufiger zitierten englischsprachigen Einführungswerke von Spolsky (2004, 2009), Shohamy (2006), Wright (2004), Kaplan/ Baldauf (1997) und die von Ricento (2006) bzw. Spolsky (2012) herausgegebenen handbuchartigen Überblicke über die Sprachpolitik. Andere wichtige Anhaltspunkte für die Ausarbeitung eigener Vorhaben lassen sich in Veröffentlichungen zu anderen Studien finden. Wichtige Fachzeitschriften sind Language Policy, Language Planning, Current Issues of Language Planning, das European Sprachpolitische Forschung als interdisziplinär <?page no="125"?> 9 Forschungsansätze und Methoden 125 Journal of Language Planning, das International Journal of the Sociology of Language oder das Jahrbuch für europäische Soziolinguistik Sociolinguistica, das aufgrund seiner eigenen Mehrsprachigkeit (Deutsch - Englisch - Französisch) in der Wissenschaftslandschaft ein interessantes sprachpolitisches Objekt darstellt. 9.1 Textorientierte Forschung Eine der verbreitetsten Methoden in der sprachpolitischen Forschung ist die in der geisteswissenschaftlichen Tradition stehende Untersuchung sprachpolitischer Texte durch Quellenanalyse, Textanalyse und ähnliche Methoden. Prädestiniert für derartige Untersuchungen sind z.B. offizielle Dokumente aus der Politik wie vor allem Gesetze, aber auch die Dokumentation dazugehöriger Gesetzgebungsprozesse (etwa in Form von Parlamentsakten) und Maßnahmenkataloge von Ministerien oder anderen Behörden. Ähnlich geeignet sind offizielle Verlautbarungen von Institutionen aller Art, z.B. Presseerklärungen oder Forderungskataloge von Aktivistengruppen, Aussagen in Parteiprogrammen oder Sprachpläne von Behörden, Unternehmen oder anderen Institutionen. Die Tätigkeit der Forscher besteht hier zunächst im Wesentlichen aus dem Lesen von Texten unter einem bestimmten Gesichtspunkt. Die Darstellung sprachpolitischer Verlautbarungen, Argumentationen oder Forderungen kann dann systematisiert und hinsichtlich inhaltlicher Kategorien klassifiziert werden. Die Auswertung derartiger Dokumente erfolgt dabei oft auch im Sinne politikwissenschaftlicher Forschung als Analyse der Voraussetzungen, Entscheidungsprozesse und Ergebnisse von Sprachpolitik. Daraufhin findet normalerweise ein Vergleich mit anderen Texten statt, ein Bezug auf eine bestimmte (sprach)politische Theorie, die Einordnung in einen größeren politischen oder ideologischen Rahmen oder die Bewertung in Hinblick auf ein konkretes sprachpolitisches Ziel. Probleme bei dieser Methode bestehen darin, dass gerade bei staatlichen Dokumenten darauf geachtet werden muss, dass diese nicht nur wiedergeben, wie die Regierung sich selbst darstellt, sondern auch das, was tatsächlich passiert. Insofern bietet sich hier z.B. an, Darstellungen von Behörden o.ä. die Meinungen von Sprachaktivisten oder von „normalen“ Mitgliedern der Sprachgemeinschaft gegenüberzustellen. Bei Gesetzestexten u.ä. ist außerdem wichtig, zu dokumentieren, inwieweit ein Gesetz oder ein politisches Aktionsprogramm Erfolg gehabt haben - d.h. in welchem Maße sich als Folge dieser Maßnahmen das Sprachverhalten der Bevölkerung tatsächlich geändert hat. Dazu gehören auch etwa Dokumente der Bildungspolitik, die hinsichtlich ihrer Umsetzung und der Lernerfolge von Jugendlichen und Studierenden überprüft werden sollten. Somit bietet sich insgesamt ein dreiteiliges Vorgehen an - eine Analyse offizieller Politik, eine Sammlung von Reaktionen darauf sowie die Untersuchung der Konsequenzen. Diese können dann auch in Hinblick auf (offen oder versteckt geäußerte) Ideologien überprüft werden. Bei der Untersuchung aktueller Entwicklungen ist es für die Forschung dabei nicht zuletzt von besonderer Bedeutung, in direkten Kontakt mit den beteiligten Politikern, Analyse von offiziellen Dokumenten Gegenüberstellung von staatlichen und nichtstaatlichen Dokumenten <?page no="126"?> 126 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Verwaltungsangestellten, Aktivisten und Kritikern zu treten und diese hinsichtlich der Hintergründe und Einschätzungen zur Situation zu interviewen oder zumindest um Stellungnahmen zu bitten. Bei dieser Tätigkeit muss grundsätzlich unterschieden werden, ob es sich um die Analyse einer expliziten Sprachpolitik, einer impliziten Sprachpolitik oder des Sprachgebrauches bestimmter Personen oder Personengruppen handelt. Eine Analyse expliziter Sprachpolitik beschäftigt sich mit ausdrücklichen Positionierungen zu Sprachenfragen, oft mit metasprachlichen Begründungen (wenn z.B. ideologische oder praktische Erwägungen im Zusammenhang mit bestimmten Maßnahmen oder Forderungen genannt werden). Diese können im Kontext eines größeren Sprachplans o.ä. stehen, etwa wenn eine Minderheitenorganisation eine offizielle Anerkennung in bestimmten Domänen für eine bestimmte Sprache fordert oder wenn eine Partei Vorschläge zum Spracherwerb im Bildungssystem in ihrem Wahlprogramm verankert. Die Analyse impliziter Sprachpolitik kann beispielsweise untersuchen, wie sich eine bestimmte Sprache in der Gesellschaft verbreitet, ohne dass dies im Kontext eines größeren sprachpolitischen Programmes steht. So kann analysiert werden, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter unterstützen, wenn diese Sprachen lernen wollen, und welche Sprachen für das Unternehmen von Interesse sind. Ein Beispiel für eine sprachpolitische Untersuchung des konkreten sprachlichen Handelns ist dagegen, wenn die Internetseiten eines Unternehmens daraufhin untersucht werden, welche Inhalte in welchen Sprachen zur Verfügung stehen. Die textorientierten Methoden ermöglichen somit interessante Erkenntnisse zu Funktionen von Sprachen, zu Wahrnehmungen und Ideologien oder zu Begründungen für Praktiken und Einstellungen. Ein großer Vorteil ist, dass die Ausgangsdaten zumeist öffentlich zugänglich und somit leicht zu beschaffen sind, insbesondere, seitdem politische Verlautbarungen der Regierung, Parlamentsdebatten, Statements von NGOs, Sprachpläne, Presseer-klärungen oder Aussagen von Aktivisten oder Politikern in unterschiedlichster Form über das Internet verfügbar sind. Nachteil der textorientierten Analyse ist dagegen, dass ohne ein weiteres Nachhaken etwa in Form von Interviews oder dem Zugang zu internen Diskussionen lediglich die für den öffentlichen Gebrauch vorgesehenen Dokumente analysiert werden können, gewissermaßen als Spitze des Eisberges. Aufschlussreicher, um Entscheidungsprozesse und Argumentationen unter der Oberfläche zu verstehen, sind Analysen dazu, wie bestimmte Dokumente entstanden sind, welche Debatten und Lobbyarbeit einem Gesetz vorausgegangen sind, und wie die Entscheidungen intern begründet werden. Dazu ist ein sehr viel näherer Kontakt mit den sprachpolitischen Akteuren vonnöten. Interviews und andere Gespräche mit Akteuren können eine Fülle an Datenmaterial einbringen, sie sind aber sehr viel aufwändiger und nicht immer möglich - etwa falls ein Politiker kein Gespräch wünscht oder eine Aktivistengruppe den Forschern gegenüber ihre wahren Motive zu verbergen versucht. Gleichermaßen kann dies - je nach Ort der Untersuchung - aufwändige und teure Anreisen erforderlich machen. Eine Sonderform der Arbeit mit sprachpolitisch relevanten Texten ist die Auswertung historischer Quellen im Sinne einer historischen angewandten Sprachwissenschaft. Letztlich ist das Vorgehen dabei aber recht ähnlich - Explizite vs. implizite Sprachpolitik vs. Sprachgebrauch Leichte Verfügbarkeit von offiziellen Dokumenten Historische Analyse von Sprachpolitik <?page no="127"?> 9 Forschungsansätze und Methoden 127 auch hier können anhand von schriftlichen Aussagen sprachpolitische Praktiken, ihre Begründungen, Motive und Reaktionen auf diese Maßnahmen untersucht und einander gegenübergestellt werden. Bei Themen der Zeitgeschichte kann eine Befragung von Zeitzeugen stattfinden, bei länger zurückliegenden Ereignissen muss im Sinne einer historischen Quellenexegese das Ziel sein, so viel „Ersatz“ wie möglich dafür in den schriftlichen Quellen ausfindig zu machen. Wie auch bei der Analyse heutiger Prozesse muss bei einer historischen sprachpolitischen Analyse ein Bewusstsein dafür herrschen, dass jede Forschung von einem eigenen Standpunkt zu historischen Entwicklungen und Positionen aus betrachtet wird, Forscher also nie völlig unvoreingenommen sind (vgl. dazu auch Wiley 2006). Die Analyse einer historischen sprachpolitischen Situation kann Thema an sich sein, aber auch dazu dienen, Hintergründe einer aktuellen Situation zu verstehen, da Sprachpolitik ohne ein Verständnis des historischen Werdegangs der sprachlichen und sprachideologischen Verhältnisse oft schwer erklärbar bleibt. Schließlich bietet sich gerade in Gebieten, in denen sich historische Epochen klar voneinander abgrenzen lassen, ein diachroner Vergleich an. In Deutschland sind Sprachpolitik und -gebrauch des Nationalsozialismus Gegenstand wichtiger Untersuchungen gewesen, angefangen mit Klemperers Studie über die Lingua Tertiae Imperii (LTI, Klemperer 1957/ 1975); aus jüngerer Zeit gibt es interessante Studien über die Sprache und die Sprachpolitik der Stasi (Bergmann 1999). Auch in anderen Ländern können Änderungen in der Sprachpolitik nach dem Übergang von einer Diktatur zur Demokratie ein interessantes historisch geprägtes Studienobjekt darstellen, z.B. in den postsozialistischen Ländern oder in Spanien. In postkolonialen Ländern kann ein Vergleich zwischen der Sprachpolitik der Kolonialmacht und heutigen Praktiken aufschlussreich sein. 9.2 Die Untersuchung von Sprachgebrauch und -einstellungen Wenn das Textstudium mit Analyse, Kategorisierung und Interpretation sprachpolitischer Maßnahmen und Verhaltensweisen ein erster wichtiger Schritt für das Verständnis einer sprachpolitischen Situation ist, und die Befragung sprachpolitischer Akteure ein zweiter, so kann eine weitere wichtige Untersuchung darin bestehen, das Sprachverhalten an sich sowie Einstellungen zu Sprachen zu erforschen. Wie oben angedeutet, kann beispielsweise untersucht werden, welche Sprachen in welchen Situationen in der Praxis gebraucht werden - durch Einzelpersonen, aber auch durch Wirtschaftsunternehmen oder andere Organisationen. Eine derartige klassisch soziolinguistische Forschung kann in sprachpolitischer Hinsicht insbesondere Aufschlüsse darüber geben, welche Auswirkungen bestimmte sprachpolitische Maßnahmen haben, etwa ob Gesetze befolgt werden oder ob Prestigekampagnen erfolgreich sind. Neben der Untersuchung des Sprachgebrauchs ist von Interesse, Meinungen zu Sprache auf einer Metaebene zu erfassen, etwa mit Hilfe von Fragebögen und Interviews, in denen explizit die Einstellungen der Sprachgemeinschaft zu bestimmten Varietäten oder zur Sprachpolitik untersucht werden (vgl. dazu auch Baker 2006). Leitfrage in derartigen Fällen kann sein, was die Bevölkerung über die existierende Sprachpolitik denkt, ob diese Untersuchung von Spracheinstellungen <?page no="128"?> 128 I Theoretische Grundlagen und Konzepte im Bewusstsein verankert ist oder ob es Praktiken gibt, die offen als Defizit empfunden werden. Ein anderes Beispiel sind Fragen nach der Bezeichnung von bestimmten Varietäten, was Aufschluss über deren Bedeutung und Wahrnehmung gibt. So ist etwa in einem Projekt zur Regionalsprache Lettgallisch in Lettland die Frage gestellt worden, wie die Bewohner Außenstehenden erklären würden, was Lettgallisch eigentlich ist - um dadurch zu verstehen, ob diese Varietät als Sprache oder als Dialekt wahrgenommen wird und welche Rolle sie für die Identität der Bewohner spielt (Lazdiņa 2013). Eine Möglichkeit zur Datengenerierung zu Einstellungen und Motivationen besteht in der Arbeit mit offenen bzw. semi-strukturierten Interviews. Diese Methode wird auch z.B. in der Erforschung von Sprachbiographien eingesetzt und steht in der geschichtswissenschaftlichen Tradition der Oral History. In den Interviews werden einzelne Stichwörter vorgegeben, Ziel ist es aber, so wenig wie möglich den Gesprächverlauf zu beeinflussen. Stattdessen sollen die Interviewpartner möglichst frei zum Thema assoziieren, damit die Antworten bzw. von den Interviewten angesprochene Themen so wenig wie möglich beeinflusst werden. Typische Impulsfragen beziehen sich auf die Wahrnehmung der offiziellen Sprachpolitik, auf bestimmte Varietäten und Einstellungen dazu, Erfahrungen mit Grassrootbewegungen o.ä. Diese Methode steht auch im Zusammenhang mit dem, was heute als Angewandte Volkslinguistik (Applied Folk Linguistics) bezeichnet wird. Darunter wird die Erforschung von Meinungen und Einstellungen zu Sprache(n) in Teilen der Bevölkerung verstanden, die die Diskurse sprachwissenschaftlicher und -politischer Experten kaum zur Kenntnis nehmen und höchstens indirekt von diesen beeinflusst werden (vgl. dazu auch die „laienlinguistische“ Sprachkritik, Kapitel 2). Wilton und Stegu (2011) bezeichnen solche Interviews zu Einstellungen und Glaubensfragen zu Sprachen als „metakognitiven Ansatz“. Der Interviewmethode steht der von Wilton/ Stegu so bezeichnete „kontextuelle Ansatz“ entgegen, nach dem die Forscher das Sprachverhalten selbst beobachten. Dieser Ansatz ist eng mit ethnographischen Methoden verbunden (vgl. Canagarajah 2006 für eine detaillierte wissenschaftstheoretische Einordnung). Solche Beobachtungen können teilnehmend sein, d.h. die Forscher werden Teil der Gruppe, deren Verhalten sie beobachten. Alternativ stehen sie am Rande und bleiben somit außerhalb der Aktivitäten. Während die teilnehmende Beobachtung den Vorteil hat, dass sich die erforschten Personen weniger unter Beobachtung fühlen und dadurch natürlicher verhalten, besteht auch die Gefahr, dass die Forscher durch ihre Teilnahme selbst das Sprachverhalten beeinflussen können. Eine Domäne, in der häufig Beobachtungen von Sprachverhalten angestellt werden, ist der Sprachunterricht im Zusammenhang mit Bildungsforschung und Didaktik. Auch hier geht es zum einen um bewusste Praktiken, etwa in Hinblick auf Formen und Inhalte des Unterrichts, die in Bezug zum Lernerfolg und zur Sprachkompetenz im Rahmen einer Spracherwerbspolitik gesetzt werden können. Zum anderen werden unbewusste Praktiken und durch bestimmte sprachliche Verhaltensweisen transportierte Werte und Einstellungen analysiert. Aber auch in anderen Domänen kann beobachtende Forschung erfolgen, etwa in Familien. Dabei versuchen Forscher zu erkunden, was eine Familie in der Realität wirklich tut, etwa in Hinsicht auf den Gebrauch von sprachlichen Standards und von Nichtstandardformen (z.B. Dialekten oder Vulgarismen). Interviews Ethnographische Methoden Bildungsforschung <?page no="129"?> 9 Forschungsansätze und Methoden 129 Dabei ist bemerkenswert, was für eine Diskrepanz zwischen den in Interviews vertretenen Meinungen und dem tatsächlichen Verhalten bestehen kann, selbst wenn die Interviewten glauben, dass sie sich entsprechend ihrer Einstellungen verhalten. Schließlich beschreiben Wilton/ Stegu als dritte Methode das, was sie als „normativen Ansatz“ bezeichnen. Diese Methode steht in der Tradition quantitativer sozialwissenschaftlicher Forschung, wenn mit Hilfe von Fragebögen Einstellungen ausfindig gemacht werden - etwa in Bezug darauf, welche Normen oder Mythen in den Köpfen zum Sprachenlernen, zu Regeln der Sprachbenutzung etc. existieren. Auch in derartigen Fällen kann die sprachpolitische Praxis den Einstellungen und dem Verhalten der Sprecher gegenübergestellt werden. Beispiele dafür sind die Wahrnehmung von Anglizismen oder die Motivationen beim Erlernen bestimmter Fremdsprachen. So kann eine korpusgestützte Analyse des Sprachverhaltens zwar Aussagen zur Durchsetzung bestimmter Formen machen oder die Analyse von Lernerstatistiken Erkenntnisse über Entwicklungen in der Sprachwahl an Schulen und Universitäten geben, jedoch ist es mit den letztgenannten Ansätzen schwierig, Gründe für das Sprachverhalten zu verstehen. Ein Nachteil von quantitativen Forschungen mit Hilfe von Fragebögen, die zumeist ausgiebige Vorstudien erfordern, ist jedoch der relativ große Aufwand einer Umfrage im größeren Stil sowie die - für die meisten sprachwissenschaftlich oder philologisch geschulten Forscher - eher ungewohnte Methodik, bei denen die Befragten nach strengen Gesichtspunkten ausgewählt werden müssen. Im Idealfall sollten somit mehrere Methoden kombiniert werden: Eine Analyse von Texten kann die Rahmenbedingungen erforschen, Fragebögen können explizite Meinungen kenntlich machen, während Interviews und Beobachtungen weiter unter die Oberfläche eindringen und unbewusste Meinungen und Verhaltensweisen zum Vorschein bringen. 9.3 Text- und Diskursanalyse Während die in Kapitel 9.1 vorgestellten Möglichkeiten der sprachpolitischen Forschung eher traditionelle textorientierte Methoden in den Vordergrund stellten, in denen Texte in erster Linie inhaltlich analysiert wurden, kann die Analyse sprachpolitischer Situationen auch durch linguistische Methoden im engeren Sinne erfolgen. Dazu gehören insbesondere diskursanalytische bzw. -linguistische Ansätze, aber auch Beispiele aus der Gesprächs- oder Konversationsanalyse oder anderer Methoden (vgl. Wodak 2006: 172 für eine Übersicht über linguistische Methoden). Mit Hilfe der Konversationsanalyse können Mikrosituationen untersucht werden, wie im Language Management Framework (Kapitel 2) vorgeschlagen: Individuelle Eingriffe in den Sprachgebrauch regulieren und verändern diesen, etwa wenn die Verwendung grammatisch markierter Formen kritisiert wird und die Angesprochenen daraufhin eine andere Form wählen. Dies kann in klassischen sprachlichen Erziehungssituationen wie in Familien, zwischen Freunden oder in der Schule geschehen, aber auch, wenn in einer Firma eine angemessene Sprachform diskutiert wird. Mit Hilfe der Gesprächsanalyse kann dann verstanden werden, wer in einem Gespräch dominiert und dieses in eine bestimmte Richtung lenkt. „Normativer“ Ansatz Gesprächsanalyse <?page no="130"?> 130 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Im weitesten Sinne lassen sich viele der traditionellen linguistischen Methoden unter dem Begriff der Diskursanalyse bzw. -linguistik subsumieren. In der Tradition von Foucault, in der diese heute zumeist betrieben wird, wird dadurch der Versuch unternommen, in einer Gesellschaft vorhandende Wissens- und Argumentationsstrukturen aufzuzeigen, die Diskussionen dominieren und damit auch Grundlage für Entscheidungen und Handlungen jeder Art sind. Damit sind alle zu einer Debatte gehörenden Beiträge gemeint, in denen von den Beteiligten „ausgehandelt“ wird, welche Meinungen akzeptiert werden, welche Normen gelten und welche Konnotationen mit einzelnen Begriffen, Symbolen und Handlungen verbunden werden. Der Vorteil dieser Methode besteht in erster Linie darin, dass damit auch Erkenntnisse gewonnen werden können, die sich erst bei einer Analyse von Strukturen unter der sprachlichen Oberfläche erkennen lassen. Bahnbrechend für die sprachwissenschaftliche Diskursanalyse im deutschsprachigen Raum sind u.a. die Arbeiten von Spitzmüller und Warnke. Ohne dass hier Platz für eine detailliertere Darstellung wäre, kann zumindest auf die Zusammenfassung diskurslinguistischer Ansätze hingewiesen werden, die in der diskursanalytischen Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN, vgl. etwa Spitzmüller/ Warnke 2011: 201) kulminiert. Dieses Modell berücksichtigt eine intratextuelle Ebene, eine transtextuelle Ebene und die Akteure: Innerhalb eines Textes werden u.a. die Wahl bestimmter Wörter, die Struktur von Texten, rhetorische Figuren wie Metaphern oder multimodale Elemente, also das Verhältnis von Text, Bildern, Symbolen etc. untersucht. Die Ebene der Akteure analysiert Rollen und Positionen der Handelnden, die transtextuelle Ebene z.B. den Bezug von Texten zu Ideologien oder dem historischen Kontext. Wodak (2006: 182) gibt außerdem ein Beispiel dafür, wie die Aufstellung eines semantischen Netzwerkes dabei behilflich sein kann, logische Verknüpfungen und Argumentationsstrukturen zu verstehen. In der sprachpolitischen Forschung sind diskursanalytische Methoden oftmals angewandt worden, um Ideologien zu identifizieren, die sprachpolitischem Handeln zu Grunde liegen. Dabei geht es zumeist um Machtstrukturen, um Fragen, welche Akteure in einem Diskurs Definitionshoheit darüber haben, welche sprachlichen Praktiken und sprachpolitischen Maßnahmen als normal gelten. Wichtige Schlagwörter, die als Ausgangspunkt für die Analyse sprachpolitischer Diskurse dienen können, sind etwa Voice und Agency. Eine Untersuchung von Voice beschäftigt sich mit der Frage, wer sich in einem Diskurs Gehör verschaffen kann - welche Gruppen, welche sprachpolitischen Akteure können ihre Positionen vorstellen, wer ist z.B. in der Lage, die mediale Berichterstattung über ein Ereignis zu beeinflussen. Ähnlich wird mit Agency die Frage bezeichnet, welche sprachpolitischen Akteure welchen Handlungsspielraum haben, welche Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten. Wichtig ist für das Verständnis von Diskursen auch, dass sich diese innerhalb unterschiedlicher Gruppen einer Gesellschaft deutlich unterscheiden können - etwa wenn staatliche Stellen ein völlig anderes Verständnis sprachlicher Situationen haben als eine sprachliche Minderheit. Somit lassen sich mit dieser Methode auch Missverständnisse aufdecken, die aufgrund eines unterschiedlichen Grundverständnisses bestimmter wichtiger Begriffe auftreten. Außerdem können Diskursstrategien analysiert werden, in denen mit der Besetzung bestimmter Wörter und Symbole mit bestimmten Werten Politik gemacht wird. Hervorhebung versteckter Argumentationsstrukturen Voice und Agency <?page no="131"?> 9 Forschungsansätze und Methoden 131 Derartige Praktiken können bewusst oder unbewusst von Akteuren auf allen Ebenen eingesetzt werden. 9.4 Domänenanalyse und Linguistic Landscapes Wie bereits in Kapitel 7 diskutiert wurde, sind Sprachdomänen eine wichtige Einheit in der sprachpolitischen Praxis und Forschung. Insbesondere in der Analyse von Minderheitensprachpolitik findet dieser Ansatz häufig Anwendung (vgl. Kapitel 5). Ziel ist dabei zumeist eine Bestandsaufnahme der Präsenz einer Varietät, die zum Verständnis ihrer ethnolinguistischen Vitalität beitragen soll bzw. das Zusammenspiel vieler Varietäten in einem ökolinguistischen System untersucht. Wichtig ist hierbei, dass nicht untersucht wird, was politische Dokumente über die Präsenz bestimmter Sprachen in verschiedenen Domänen behaupten, sondern dass betrachtet wird, was in der Realität passiert und welchen Anteil verschiedene Varietäten in den Domänen einer bestimmten Region haben. Auch in der sprachpolitischen Analyse größerer Sprachen können mit Hilfe einer Domänenanalyse die Funktionen von Sprachen festgestellt und in Bezug zu Ideologien oder sprachpolitischen Zielen gesetzt werden. So kann z.B. überprüft werden, ob tatsächlich ein Fall von Domänenverlust vorliegt, wie er für kleinere Nationalsprachen gegenüber dem Englischen häufig postuliert wird. Hilfsmittel in dieser Arbeit sind sprachpolitische Fragenkataloge, wie die in Kapitel 5 dargestellten Arbeiten von Edwards, oder die in Kapitel 7 vorgeschlagene Domänencheckliste. Abbildung 22: Linguistic Landscapes als Methode zur Analyse der Sprachpolitik im Tourismus: Restaurant in Dubrovnik (Kroatien). Ein sprachwissenschaftlicher Forschungsansatz, der in jüngster Zeit stark an Popularität gewonnen hat und der in vielerlei Hinsicht ein besonderer Fall der Linguistic Landscapes <?page no="132"?> 132 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Domänenanalyse ist, ist die Methode der Linguistic Landscapes, also die Untersuchung von sprachlichen Zeichen im öffentlichen Raum (vgl. auch Kapitel 7). Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er sehr leicht umzusetzen ist und wenig Vorarbeiten und -kenntnisse erfordert. In sprachpolitischer Hinsicht können quantitative Forschungsprojekte in erster Linie darauf ausgerichtet sein zu überprüfen, ob Gesetze befolgt werden (vgl. etwa Marten 2010 zur „juristischen Hyperkorrektur“, wenn Gesetze zum Sprachgebrauch im öffentlichen Raum von den Benutzern schärfer befolgt werden als das Gesetz vorschreibt) oder welche Auswirkungen Wiederbelebungsmaßnahmen für Minderheitensprachen haben (vgl. z.B. Gorter et al. 2012 zu einer Sammlung von Studien zu Linguistic Landscapes und Minderheitensprachen). In qualitativer Hinsicht kann zusätzlich untersucht werden, welche Funktionen einzelne Sprachen haben, welche Symbolik mit diesen verbunden ist oder - mit Hilfe von Interviews - wie Beteiligte (Passanten, Firmenangestellte) auf die Sprachen im öffentlichen Raum reagieren - was wiederum Rückschlüsse auf Wahrnehmungen und Einstellungen ermöglicht. 9.5 Sprachpolitik im Bildungssektor Bereits oben wurde auf die Generierung von Daten durch Unterrichtsbeobachtungen eingegangen. Sprachpolitik im Bildungssektor soll jedoch noch einmal explizit angesprochen werden, da es sich hierbei um einen Bereich handelt, der nicht nur für die ausdrückliche sprachpolitische Forschung, sondern auch im Kontext von Sprachdidaktik oder Erziehungswissenschaft von Interesse sein kann. Hierbei gilt wie für die meisten Sprachdomänen, dass mehrere der bisher angesprochenen Forschungsansätze zu interessanten Erkenntnissen führen können und im Idealfall sinnvoll kombiniert werden sollten. Vergleichbar anwendbar sind diese Überlegungen auch auf andere Institutionen, Firmen, Behörden, aber auch Familien. Neben der Unterrichtsbeobachtung lassen sich Einstellungen zu Sprache und die Umsetzung von sprachpolitischen Vorgaben im Bildungssektor durch die Analyse von Diskursen zu Sprachen und Sprachgebrauch überprüfen. Eine im klassischen Sinne textorientierte Analyse kann dagegen Schulcurricula, Sprachpläne, Verlautbarungen von Bildungsbehörden o.ä. einbeziehen. Dadurch kann die Spracherwerbspolitik einer Region untersucht werden. Werden Verlautbarungen von Lehrervereinigungen, Eltern o.ä. berücksichtigt, kann so die Genese einer Spracherwerbspolitik nachvollzogen werden. Diese Textuntersuchungen können durch Interviews mit Politikern, Aktivisten, Lehrern, Schuldirektoren, Eltern oder Schülern ergänzt werden. Hierbei geht es oft um den Fremdsprachenerwerb, außerdem können Minderheiten- und Migrantensprachen sowie Dialekte diskutiert werden. Ein besonderes Augenmerk, das insbesondere im Bildungsbereich wichtig ist, wird von Shohamy (2006) auf Sprachtests und deren Auswirkungen gerichtet. Grundüberlegung ist, dass durch die Ausarbeitung von Sprachtests Normen aufgestellt werden, die ihre Wirkung dadurch entfalten, dass von ihrer Einhaltung der schulische Erfolg abhängt, und damit oftmals der wirtschaftliche Erfolg im ganzen Leben. Somit haben Schulbehörden, die den Erwerb bestimmter Varietäten zur Norm machen, einen fundamentalen Einfluss Verschiedene Methoden in der Analyse von Sprachpolitik im Bildungssystem Die normative Wirkung von Tests <?page no="133"?> 9 Forschungsansätze und Methoden 133 auf die Sprachen, die in einer Gesellschaft gesprochen werden. Dies bezieht sich sowohl auf die Durchsetzung eines Standards innerhalb einer Sprache als auch auf Fremdsprachen und die Akzeptanz von Migrantensprachen bzw. Varietäten der Mehrheitssprache, die von Migranten gesprochen werden. Der Einfluss von Sprachtests beschränkt sich somit nicht nur auf Prüfungen im Spracherwerb, sondern auch etwa auf Abiturprüfungen, in denen bestimmte Standards gefordert sind. Dies setzt sich in der höheren Bildung an Universitäten oder in anderen Bildungseinrichtungen fort. Sprachpolitische Forschung im Bereich der Sprachtests beschäftigt sich somit vor allem damit, durch die Analyse existierender Tests Ziele und Ideologien darzustellen. Abbildung 23: Schulsprachpolitik: Lettische, polnische und englische Aushänge in einer Schule mit polnischem Schwerpunkt in Lettland. 9.6 Weitere Bemerkungen zu Forschungsansätzen Abschließend sollen noch einige allgemeinere Bemerkungen folgen, die sich auf verschiedene der vorgestellten Forschungsansätze beziehen. Durch jüngere Entwicklungen in den Medien haben sich in vielen Bereichen immer schnellere Möglichkeiten der Sammlung von Daten ergeben, wodurch Material in zuvor unbekanntem Maße existiert und die Forschung deutlich erleichtert worden ist. Es bleibt abzuwarten, ob dies zu einer Flut an neuen Studien führen wird, jedoch ergibt sich damit auch für Laien neues Terrain. Dies gilt etwa für die Analyse von Facebook-Diskussionen o.ä. als leicht zugängliche Quellen zu sprachpolitischen Kampagnen und Meinungen dazu, die Erkenntnisse Erreichbarkeit von relevanten Daten <?page no="134"?> 134 I Theoretische Grundlagen und Konzepte über Diskurse und Argumentationsstrategien zulassen. Wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hierfür die Unterscheidung zwischen offener und verdeckter Sprachpolitik, zwischen Mikro- und Makroebene und zwischen direkter Sprachplanung, Einstellungen und Werthaltungen und sprachlichem Handeln, in dem sich Sprachpolitik manifestiert. Ein weiterer anzusprechender Aspekt ist, dass die meisten oben genannten Bereiche sich für die Erforschung sowohl von Statusals auch von Korpusplanung eignen. Ein klassischer korpusplanerischer Forschungsansatz, der ohne große Vorarbeiten durchgeführt werden kann, ist etwa die Analyse des Gebrauches bestimmter Formen durch verschiedene Sprechergruppen. So können etwa die Akzeptanz einer Rechtschreibreform, die Einführung von neu geprägter Terminologie, oder auch bestimmte Formulierungen der geschlechtergerechten Sprache bei Sprachplanungsinstitutionen, Politikern, Medien, anderen Institutionen oder Individuen überprüft werden. Änderungen im Sprachkorpus sind auch aus der Perspektive einer theoretischeren Sprachwissenschaft von besonderer Bedeutung. Hier bietet sich eine Verknüpfungsmöglichkeit der sprachpolitischen Forschung mit anderen Bereichen der Sprachwissenschaft an, etwa bei der Untersuchung von grammatischem oder lexikalischem Sprachwandel. Dieser kann hinsichtlich Ursache und Wirkung in Bezug zu politischen Maßnahmen gesetzt werden. So kann z.B. die Akzeptanz von vom Staat, Bildungsträgern oder Aktivisten vorgegebenen Normen untersucht werden. Gleichzeitig ist eine Erforschung von sprachpolitischen Aktivitäten von Interesse, die als Gegenbewegung zum Sprachwandel entstehen, z.B. Kampagnen gegen Anglizismen. Ein besonders wichtiger Teil jeglicher sprachpolitischer Forschung ist schließlich deren Ergebnisorientierung - also die Frage, welche Auswirkungen sprachpolitische Aktivitäten haben. Da sich Sprachgebrauch zumeist nicht kurzfristig ändert, sind dafür Untersuchungen aus einer Langzeitperspektive von besonderer Bedeutung. Dazu gehört, wie Sprachpolitik und Sprachverhalten im Wechselspiel zueinander stehen. Dabei ist bei konkreten sprachpolitischen Maßnahmen von oben, etwa einer Bildungsreform, ein Vorher-Nachher-Vergleich besonders aussagekräftig, etwa in Bezug auf die in der Bevölkerung verbreitete (mündliche und/ oder schriftliche) Kompetenz in einer Varietät. Hierbei zeigt sich nicht zuletzt auch der Charakter der sprachpolitischen Forschung als angewandter Sprachwissenschaft besonders deutlich. Auch wenn viele sprachpolitische Untersuchungen in der Praxis zunächst rein akademischer Natur sind, lassen sich diese doch mehr als in vielen anderen sprachwissenschaftlichen Bereichen als Ausgangspunkt für konkrete politische Maßnahmen benutzen. Dies kann sich sowohl auf die Korpusplanung, auf die Durchsetzung einer bestimmten Staatssprache, auf die Förderung von Minderheitensprachen oder auf die Bildungspolitik beziehen. Letztlich beginnen sprachpolitische Maßnahmen stets mit einer Einschätzung der Lage und dem Bedarf an Veränderungen - wobei die Bandbreite der möglichen Fragestellungen, Konsequenzen und Maßnahmen von den ideologischen Prinzipien und Zielen einer Regierung, einer Partei oder einer Behörde abhängt. Dabei werden diese gelegentlich sogar gezielt durch die sprachpolitische Forschung gesteuert, wenn Wissenschaftler Sprachpolitik nicht nur analysieren, sondern Verknüpfung mit anderen Teilen der Sprachwissenschaft Praktische Auswirkungen von Sprachpolitikforschung <?page no="135"?> 9 Forschungsansätze und Methoden 135 konkrete Vorschläge erarbeiten. Auch hier zeigt sich der immer wieder aufgegriffene Dreiklang Spolskys in der Forschung zur Sprachpolitik - das Zusammenspiel von Sprachgebrauch, Einstellungen und aktivem Management. ZUSAMMENFASSUNG: Sprachpolitische Forschung ist interdisziplinär und speist sich aus einer Vielzahl von Methoden und Ansätzen. Grundlegende Unterscheidungen lassen sich zwischen eher geistes- und eher sozialwissenschaftlichen Ansätzen machen, wobei sich diese in der praktischen Anwendung oft ergänzen. Textanalytische Auswertungen von Gesetzen o.ä. und historisch-interpretative Untersuchungen stehen ethnographischen Methoden mit Beobachtungen oder Interviews zu Spracheinstellungen zur Seite. In jüngerer Zeit erfreuen sich diskursanalytische Untersuchungen auch in der sprachpolitischen Forschung großer Popularität. Außerdem ist der Linguistic Landscape-Ansatz heute stark verbreitet. Eine etwas außenstehende Kategorie sind Forschungen im Bildungssektor. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Analysieren Sie das Vorkommen bestimmter Sprachen in verschiedenen Situationen: Wo finden Sie in ihrem Alltag Dialektgebrauch, wo Englisch, Französisch, Spanisch, Türkisch, Russisch, Arabisch? Warum? Denken Sie dabei an private Äußerungen, Medien, international tätige Unternehmen oder Kleinunternehmen. Welche Werthaltungen und welche individuellen sprachpolitischen Haltungen stecken dahinter? 2. Wo fallen Ihnen in Ihrem Umfeld Anglizismen auf, wo finden Sie Meinungsäußerungen dazu? Beobachten Sie dazu nicht nur die Medien, sondern auch private Diskussionen und individuelle Reaktionen auf bestimmte Wörter oder Situationen. Stimmt die Sprechpraxis der Beteiligten dabei mit den geäußerten Ansichten überein? 3. Welche Fremdsprachen werden an Ihnen bekannten Schulen, Universitäten, Volkshochschulen und anderen Bildungseinrichtungen gelehrt und welche denkbaren Sprachen fehlen? Wie ist die Resonanz darauf? 4. Suchen Sie die Website der Regierung eines Landes Ihrer Wahl und finden Sie heraus, welche Sprachen dort verwendet werden, ob die Regierung sich zu Sprachpolitik äußert und wenn ja, in welchen Kontexten und mit welchen Begründungen. Vergleichen Sie dies mit Organisationen, die sich für Minderheitensprachen, Migranten o.ä. einsetzen. 5. Lesen Sie Forumsdiskussionen zu einem sprachpolitischen Thema. Wie lassen sich die geäußerten Meinungen klassifizieren und in die in diesem Buch vorgestellten ideologischen Prinzipien einordnen? 6. Recherchieren Sie in einer einschlägigen Fachzeitschrift (z.B. Language Policy) und analysieren Sie, welche Methoden in den dort veröffentlichten Aufsätzen benutzt werden. <?page no="136"?> 10 Zusammenfassung des theoretischen Teils: Ein ganzheitliches Modell von Sprachpolitik Aufgrund der Vielzahl an Faktoren, die bei der Betrachtung und Analyse von sprachpolitischen Situationen eine Rolle spielen, ist es in der Praxis nicht einfach, alle Perspektiven angemessen zu berücksichtigen. Entsprechend hat sich die sprachpolitische Forschung bisher damit schwer getan, ein ganzheitliches Modell zu entwerfen, das möglichst viele Ansatzpunkte vereint. Ein gangbarer Weg dahin, zu einer holistischen Betrachtung einer sprachpolitischen Situation zu gelangen, liegt in der Arbeit mit Fragekatalogen, so wie von Edwards für die Minderheitensprachpolitik entwickelt (vgl. Kapitel 5). Edwards’ Liste lässt sich auf ähnliche Weise auch auf andere Varietäten und deren Status in einem bestimmten Gebiet anwenden. Insbesondere wenn die darin analysierten Faktoren hinsichtlich individueller Prioritäten kategorisiert werden, kann eine aussagekräftige Übersicht über die sprachpolitische Situation einer Varietät oder in einer Region entstehen. Ein anderes - trotz seines Alters - nach wie vor wichtiges Modell ist das in Kapitel 3 vorgestellte von Kaplan/ Baldauf. Der Vorteil dieses Modells liegt vor allem darin, dass die sprachpolitischen Faktoren graphisch dargestellt werden. Jedoch dürfte in den theoretischen Kapiteln dieses Buches deutlich geworden sein, dass sowohl der Ansatz von Edwards als auch das Modell von Kaplan/ Baldauf wichtige Bereiche außer Acht lassen. Die Beschäftigung mit einer sprachpolitischen Situation hängt letztlich von individuellen Schwerpunkten ab, von den eigenen Anschauungen und Zielen, und auch von der Motivation, ob jemand selbst sprachpolitisch tätig ist oder ob es eher um das theoretische Verständnis einer Situation geht. Im Folgenden soll nun versucht werden, ein Modell zu skizzieren, das die wichtigsten der in den vorherigen Kapiteln geschilderten Aspekte und Betrachtungsweisen von Sprachpolitik zusammenfasst, um dadurch für möglichst viele sprachpolitisch Interessierte eine Orientierung zu bieten. Der folgende graphische Ansatz ist in diesem Sinne als ein Modell unterschiedlichster Faktoren zu verstehen, die bei der Analyse von Sprachpolitik berücksichtigt werden können, die in einer konkreten Untersuchung aber nicht immer alle von Bedeutung sein müssen. Individuelle Interessen sorgen in der Anwendung für unterschiedliche Schwerpunkte der Darstellung, da eine Betrachtung aller Bereiche der Sprachpolitik in einer Region fast immer zu unübersichtlich werden dürfte. Dieses Ganzheitliche ökolinguistische Modell zur Analyse von Sprachpolitik (GÖMAS) baut hinsichtlich seiner Darstellungsweise auf dem graphischen Ansatz von Kaplan/ Baldauf auf, verändert und erweitert diesen aber, um eine größere Zahl an Faktoren zu berücksichtigen. Die Gesamtdarstellung sprachpolitischer Maßnahmen orientiert sich also an den geographischen Grenzen des Betrachtungsgebietes. Die politisch-geographische Einheit, die untersucht wird, wird in vielen Fällen ein Staat sein, es kann sich dabei aber auch um eine Region, eine Stadt oder ein anders definiertes Gebiet handeln. Dabei bietet die graphische Darstellung die Möglichkeit, ein breites Spektrum Holistische Ansätze der sprachpolitischen Analyse Ein ganzheitliches Modell: GÖMAS <?page no="137"?> 10 GÖMAS: Ein ganzheitliches Modell 137 an sprachpolitischen Aktivitäten Akteuren, Zielen und Ideologien abzudecken. Außerdem können Aspekte von Identität, Ethnizität und Nationalismus, Sprachrechten, Sprachdomänen, internationale Einflüsse wie die Globalisierung und nicht zuletzt der Austausch mit Wissenschaft und Forschung berücksichtigt werden. Die Fülle an möglichen Faktoren verlangt allerdings eine Schwerpunktsetzung auf in einer Situation besonders wichtige Aspekte. GÖMAS versucht somit, aus einer Makroperspektive einen Beitrag zum Verständnis der Gesamtsituation in einer Region zu leisten und damit die Vergleichbarkeit mit anderen Situationen zu erleichtern. Das Modell (siehe Abb. 24 auf der folgenden Seite) ersetzt nicht die Untersuchung individueller Situationen auf der Mikroebene. Gleichzeitig soll hier noch einmal ein Rückgriff auf die Zusammenfassung von Cooper (Kapitel 3) erfolgen, die als Leitgedanke für die Arbeit mit GÖMAS nützlich sein kann: Which actors influence what behaviours of which people for what ends under which conditions by what means through what decision making processes to achieve what effects? Die im GÖMAS gebrauchten Symbole sind folgendermaßen zu verstehen: Der große Kreis im Zentrum des Modells repräsentiert, ähnlich wie bei Kaplan/ Baldauf, die gewählte Untersuchungsregion, also z.B ein Land. Diese Betrachtung des gesamten sprachlichen Ökosystems kann durch die Untersuchung kleinerer Subsysteme ergänzt werden (z.B. einzelne Regionen); diese sind in der Graphik innerhalb des großen Kreises farblich anders markiert. Die kleinen Kreise, die sich im großen Kreis befinden, stellen die vorkommenden Varietäten dar. Deren Größe und Position weisen auf die (nummerische oder politische) Größe der Varietäten sowie auf die Nähe von Varietäten zueinander hin. Im Falle von Ländern oder Regionen, in denen eine Nationalsprache dominiert, wird diese somit durch einen dominanten Kreis dargestellt, andere Sprachen sind kleiner dargestellt. Die gemeinsame Position von mehreren Kreisen in einem Teil des Ökosystems kann eine geneaologische Nähe dieser Varietäten ausdrücken, also die Zugehörigkeit zur selben oder zu verwandten Sprachgruppen, oder den soziolinguistischen Typ der Sprache (Migrantensprachen, autochthone Minderheitensprachen, Fremdsprachen etc.), die jeweils Gemeinsamkeiten hinsichtlich der sprachpolitischen Bedingungen aufweisen. Innerhalb einzelner Sprachen können zusätzlich verschiedene Varietäten voneinander abgegrenzt werden, z.B. wichtige Dialekte Außerhalb des Kreises, der für das Ökosystem steht, sind die sprachlichen Einflussfaktoren, Akteure, Prinzipien etc. dargestellt, die die sprachpolitischen Aktivitäten im linguistischen Ökosystem bestimmen. Dabei können die in der Literatur diskutierten und in diesem Buch vorgestellten Akteure, Ziele und andere Faktoren bei Bedarf durch andere wichtige Aspekte ergänzt werden. Schließlich können verschiedene Domänen des Sprachgebrauches hinsichtlich ihrer Bedeutung für sprachpolitische Aktivitäten und Diskurse betont werden. Wie die verschiedenen Faktoren aufeinander einwirken, ist im GÖMAS durch Pfeile dargestellt. Diese Pfeile können in unterschiedlicher Stärke dargestellt werden, wodurch angedeutet werden kann, wie wichtig ein Faktor für das Ökosystem ist. Dies gilt insbesondere für die sprachpolitischen Akteure und die Arten von Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen. Symbole im GÖMAS Sprachverhalten in abhängigkeit von Zielen, Ideologien, politischen Verhältnissen etc. <?page no="138"?> 138 I Theoretische Grundlagen und Konzepte Abbildung 24: Ganzheitliches ökolinguistisches Modell zur Analyse von Sprachpolitik (GÖMAS). <?page no="139"?> 10 GÖMAS: Ein ganzheitliches Modell 139 Das sprachliche Ökosystem steht zudem im Austausch mit anderen Ökosystemen; sprachpolitische Einflüsse durch bspw. Migration, Globalisierung oder internationale Abkommen wirken über Staatsgrenzen hinweg. Dieser Einfluss von außen wird im GÖMAS durch zwei Kategorien außerhalb des Hauptökosystems dargestellt. Durch die gestrichelte Linie wird angedeutet, dass in der Analyse und Darstellung eines Ökosystems nicht der Eindruck erweckt werden darf, dass dieses statisch und nach außen geschlossen wäre. Mit Hilfe einer weiteren Außenkategorie wird schließlich angedeutet, dass alle sprachpolitischen Faktoren auf einer Metaebene von Wissenschaftlern und anderen Kommentatoren analysiert werden können, die bisweilen ihrerseits in sprachpolitische Prozesse eingreifen. Im Sinne des Verständnisses von Sprachpolitik in diesem Buch ist wichtig, dass die im GÖMAS dargestellten Varietäten nicht so zu verstehen sind, dass sie unabhängig von ihren Sprechern existieren würden. Die Varietäten stehen letztlich für das Sprachverhalten der Sprecher, durch das alleine sie ihre Position erhalten. Dieser Sprachgebrauch wird von den sprachpolitischen Akteuren beeinflusst. Diese explizite Sprachpolitik basiert, ebenso wie das Sprachverhalten selbst, auf (bewussten oder unbewussten) Zielen und Ideologien. Somit berücksichtigt GÖMAS auch den wichtigen „Dreiklang“ der von Spolsky benannten Grundfaktoren Sprachverhalten, Spracheinstellungen und Sprachmanagement (vgl. Kapitel 3). Nicht zuletzt soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass gerade die Fülle der Einflussfaktoren in einem sprachlichen Ökosystem dazu führt, dass Sprachpolitik keineswegs erfolgreich sein muss. Letztlich sind sprachpolitische Aktivitäten - wie andere politische Maßnahmen - abhängig von der Durchsetzung getroffener Entscheidungen im Zusammenspiel von Regierung, Verwaltung, privaten Organisationen und Einzelpersonen. Auch wenn Institutionen aller Art für ihre Ziele werben, Anreize bereitstellen und im Extremfall mit Verboten oder anderen Vorschriften operieren, so liegt es doch an den einzelnen Sprachbenutzern, inwiefern diese Ziele umgesetzt werden. Dabei haben rechtlich bindende Vorschriften einer Regierungsbehörde, nicht zuletzt im Bildungssystem oder hinsichtlich der zulässigen Sprachformen in der Kommunikation mit Behörden, oftmals bessere Chancen auf Umsetzung als reine Motivationskampagnen von NGOs oder anderen Institutionen. Dennoch hängt es auch hier von einer Vielzahl von Faktoren ab, ob diese die gewünschten Effekte erzeugen oder ob die Sprechergruppen diese Maßgaben kaum oder lediglich oberflächlich umsetzen. Insgesamt kann GÖMAS dazu beitragen, alle diejenigen Elemente, Akteure und Einflüsse zusammenzutragen, die auf die Varietäten und ihre Sprecher in einem sprachlichen Ökosystem einwirken - auch, um damit den Erfolg sprachpolitischer Maßnahmen zu messen. Dabei können Besonderheiten betont werden, gerade auch im Gegensatz zu anderen Regionen oder im diachronen Vergleich. Dadurch wird nicht zuletzt Sprachplanern ein Tool an die Hand gegeben, mit dem sich einfacher feststellen lässt, an welcher Stelle sprachpolitische Defizite festgestellt werden und ggf. eingegriffen werden soll. <?page no="140"?> 140 I Theoretische Grundlagen und Konzepte ZUSAMMENFASSUNG: Der dargestellte Ansatz versucht, Sprachpolitik in einer Region ganzheitlich zu analysieren, d.h. mit so vielen Einflussfaktoren wie möglich und bezogen auf möglichst viele Varietäten. Dieses Ganzheitliche ökolinguistische Modell zur Analyse von Sprachpolitik (GÖMAS) kann dazu beitragen, sprachpolitische Situationen mit Hilfe eigener Schwerpunktsetzungen zu verstehen und Anhaltspunkte für ein Eingreifen durch Akteure aller Art geben. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Suchen Sie sich ein Land (oder eine Region) Ihrer Wahl - ggf. nach Lektüre des entsprechenden Länderkapitels aus Teil II dieses Buches - und stellen Sie dafür ein Diagramm nach GÖMAS auf. Wo stoßen Sie bei dieser Darstellung an Grenzen? Vergleichen Sie das Ergebnis mit anderen Darstellungen zur selben Region, die Sie in der Literatur finden. Wie hilft Ihnen die Graphik, die Situation in der gewählten Region zu verstehen? 2. Gibt es Faktoren der Sprachpolitik, die Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung kennen und die Sie in dem Modell nicht berücksichtigt finden? <?page no="141"?> II Länderbeispiele <?page no="143"?> 11 Einführende Bemerkungen zu den ausgewählten Länderdarstellungen Der zweite Teil dieses Einführungswerkes widmet sich einer Reihe von Länderbeispielen. Hierbei kann der Umfang dieses Buches, ebenso wie im ersten Teil, keine Vollständigkeit erlauben. Somit sind die Länder zum einen nach Gesichtspunkten der Repräsentativität für bestimmte sprachpolitische Ansätze in der Praxis gewählt. Zum anderen wurde versucht, alle großen Regionen der Welt zu berücksichtigen. Insgesamt ist das Hauptaugenmerk darauf gerichtet, diejenigen Länder zu behandeln, die für ein deutschsprachiges Publikum im Allgemeinen von besonderem Interesse sein dürften. Ähnlich wie bei der Wahl der Länder musste auch innerhalb der Länderbzw. Regionalkapitel eine Auswahl getroffen werden: So wäre z.B. jede Minderheitensprache in Spanien ein eigenes Kapitel wert, jedoch sind die Beispiele des Katalanischen und des Baskischen nicht nur die in sprachpolitischen Kreisen am stärksten diskutierten, sie sind auch in ihrer internationalen Ausstrahlung die bedeutendsten. Selbstredend gibt es in vielen Ländern auf allen Ebenen sprachpolitische Aktivitäten, in den folgenden Darstellungen steht aber zumeist die Perspektive der staatlichen Sprachpolitik im Vordergrund - allerdings nicht ohne auf Reaktionen durch Akteure der Zivilgesellschaft oder auf regionaler Ebene hinzuweisen, wo diese von Bedeutung sind. Gleichzeitig sind einige zentrale Länderdarstellungen (wie z.B. Kapitel 12.1 zu Deutschland) umfangreicher gehalten als andere Kapitel, in denen nur die aus deutschsprachiger Perspektive wichtigsten Aspekte vorgestellt werden. Sprachpolitik in den allermeisten Ländern der Welt ist von der Forschung heute auf die eine oder andere Weise analysiert worden. Die folgenden Kapitel basieren auf Ländergesamtdarstellungen aus einer Makroperspektive und auf Einzelstudien von Mikrosituationen und -praktiken. Außerdem wurden Überblicksdarstellungen herangezogen, die sich - ähnlich wie die folgenden Ausführungen - enzyklopädisch verstehen. Dazu gehört aus dem deutschsprachigen Raum vor allem das verdienstvolle Buch „Sprachkulturen in Europa“ (Janich/ Greule 2002), das allerdings nicht von Ländern, sondern in der Tradition der Sprachkulturen (im Gegensatz zur Sprachpolitik) von Einzelsprachen ausgeht. Entsprechend liegt der Schwerpunkt eher auf der Korpusals auf der Statusplanung. Außerdem beschränken sich Janich/ Greule auf Europa. Für Leser, die des Französischen mächtig sind, ist die an der Universität Laval in Quebec betriebene Internetseite zur Sprachpolitik eine wahre Fundgrube (Leclerc). Hier wird Sprachpolitik primär aus der staatlichen Perspektive dargestellt, hinzu kommen Links zu wichtigen Gesetzen o.ä. Der Anspruch der Autoren ist es, alle (! ) Länder und Territorien der Welt zu erfassen und durch regelmäßige Updates auch auf wichtige Änderungen zu reagieren. Auf europäischer Ebene bieten zudem englischsprachige Internetseiten wie die der Mercator-Organisationen, des Netzwerkes Language Rich Europe oder die Seite Minority Electronic Resources einen guten Überblick zu unterschiedlichen Schwerpunkten der Sprachpolitik und Hinweise zu weiterführenden Materialien. Schließlich ist hinsichtlich von Einzelstudien erneut vor allem auf die einschlägigen Zeitschriften zu verweisen. Exemplarische Auswahl einiger wichtiger Länder und sprachpolitischer Maßnahmen Wichtige andere Übersichtswerke <?page no="145"?> 12 Das deutschsprachige Kerngebiet 12.1 Deutschland: Laisser-faire-Einstellungen im Wandel 12.1.1 Offizielle Regelungen Was wären wohl spontane Assoziationen, wenn es in Deutschland eine Umfrage zu Thema Sprachpolitik gäbe - für den Fall, dass die Befragten überhaupt etwas mit dem Begriff anfangen können? Vermutlich fänden die Diskussionen um Anglizismen im Deutschen Erwähnung, möglicherweise auch die Frage von Deutschkenntnissen von Migranten im Zusammenhang mit der Integrationsdebatte, oder auch die Rechtschreibreform, die um das Jahr 2000 intensiv diskutiert wurde. Wahrscheinlich aber gäbe es nur wenige Antworten, die ein konkretes Bild dessen ergeben würden, was in sprachpolitischer Hinsicht in Deutschland passiert und wer dafür verantwortlich ist. Dies liegt nicht zuletzt an der Tradition des Laisser-faire, die in Deutschland gegenüber der Verwendung von Sprachen an den Tag gelegt wird, und für die Deutschland hier als typisches Beispiel gelten soll. Deutsch (in der Form des Standards, der in der Umgangssprache oft als Hochdeutsch bezeichnet wird, oder als Dialekt) ist die erste Sprache der meisten Einwohner Deutschlands. Deshalb wird die dominante Stellung des Deutschen als natürlich und nicht weiter erwähnenswert empfunden. Nicht zuletzt liegt dies an der Entstehung des deutschen Nationalstaates als Sprach- und Kulturnation im 19. Jahrhunderts. Deutsch ist Amtssprache, aber anders als in vielen anderen Ländern ist sie als solche nicht im Grundgesetz festgeschrieben. Andere Sprachen werden entsprechend eigener Regelungen oder aufgrund individueller Entscheidungen benutzt. Gleichzeitig hat es für die deutsche Sprache eine starke Tendenz der Standardisierung gegeben. Dialekte spielen heute eine immer geringere Rolle, auch wenn regionale Unterschiede in den Umgangssprachen nach wie vor wichtig sind (Spiekermann 2005, 2007). Ein wesentlicher Grund für den heutigen offiziellen Umgang mit Sprache sind die Nachwirkungen des ideologisch motivierten Missbrauches der Sprachpolitik in der Zeit des Nationalsozialismus und in der DDR, die den Versuch der Lenkung von Sprache für viele Menschen diskreditiert hat. Insbesondere die Propaganda der Nationalsozialisten, deren Veränderung der Sprache zur Beeinflussung der Bevölkerung und zur Verschleierung ihrer Gräueltaten in Klemperers klassischer Studie zur „LTI“ (Lingua Tertiae Imperii) eine erschütternde Dokumentation erfahren hat, hat die Verantwortlichen der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik vor einer staatlichen Sprachlenkung zurückschrecken lassen. Auf DDR-Seite wurden dagegen viele der nationalsozialistischen Methoden unter verändertem Vorzeichen weitergeführt, etwa im Gebrauch von Euphemismen (vgl. Bergmann 1999: 83-85). Insbesondere der konsequente Gebrauch der Begriffe DDR und BRD in der DDR sollte außerdem von der gemeinsamen Tradition ablenken, indem das Wort „deutsch“ in der Bezeichnung der beiden deutschen Staaten vermieden wurde. Aber auch in Westdeutschland wurde dieser Frage sehr viel Bedeutung beigemessen: So be- Tradition des Laisser-faire Missbrauch von Sprache im „Dritten Reich“ und in der DDR <?page no="146"?> 146 II Länderbeispiele nutzten Medien des Springer-Konzerns bis 1989 das Wort „DDR“ nur mit Anführungszeichen, um damit deutlich zu machen, dass sie die Bundesrepublik als einzigen rechtmäßigen deutschen Staat betrachteten (vgl. dazu auch Stevenson 2002: 49-52). Obwohl es auch im Westteil Deutschlands Sprachpolitik auf allen Ebenen gegeben hat und gibt, ist insgesamt für das Deutsche keine kohärente Sprachpolitik im allgemeinen Bewusstsein von Bevölkerung und Politik verankert. Földes (2000) fordert - interessanterweise aus einer ungarischen Perspektive - in diesem Zusammenhang ein sprachpolitisches Entgegenwirken. Die von Földes postulierte deutsche „Sprachilloyalität“ stehe im Gegensatz zu gängigen Praktiken in „stolzen“ Sprachnationen wie Frankreich oder Norwegen. Trotz der sprachpolitischen Zurückhaltung des Staates gibt es aber durchaus eine Reihe sprachpolitischer Regelungen von amtlicher Seite. Die Behauptung, die Verwendung des Deutschen sei nicht gesetzlich festgelegt, weil es nicht im Grundgesetz festgeschrieben ist, ist falsch. Deutsch ist per Gesetz als Amts- und Gerichtssprache vorgeschrieben, außerdem ist Deutsch in der Kennzeichnung von Lebens- oder Arzneimitteln Pflichtsprache. Der aus Mitgliedern Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins, Südtirols und der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens bestehende Rat für deutsche Rechtschreibung hat die offizielle Kompetenz für die Festschreibung einer amtlich gültigen Orthographie. Diese ist für Schulen und Behörden wirklich vorgeschrieben; Individuen, Unternehmen und auch Verlage und andere Medien können Sprache nach ihren eigenen Vorstellungen verwenden. Die wichtigste sprachpolitische Kontroverse der jüngeren Geschichte, die von einem Beschluss staatlicher Stellen ausging, war die nach jahrelangen Diskussionen verabschiedete Rechtschreibreform. Um diese wurde mit z.T. erbittertem Engagement seitens privater Organisationen, Medien und unterschiedlicher staatlicher Stellen gerungen. Johnson (2005: 150) fasst die Debatte rückblicksartig so zusammen, dass es sich um einen klassischen Disput darum gehandelt habe, wer die deutsche Sprache kontrolliert (vgl. dazu auch die zu einem recht frühen Zeitpunkt zusammengestellte Sammlung von Diskussionsbeiträgen zum Thema in Eroms/ Munske 1997). Deutsch als Gerichtssprache wird durch das Gerichtsverfassungsgesetz festgeschrieben, wobei es in jüngster Zeit zu Diskussionen gekommen ist, ob nicht Ausnahmen zulässig sein sollen. Wenn etwa in einem Prozess eine Partei aus dem Ausland kommt und alle Beteiligten einer Durchführung eines Prozesses auf Englisch zustimmen, könnten so zeitliche Verzögerungen und Kosten für Übersetzer und Dolmetscher vermieden werden. Auch mit der Begründung, dass internationale Handelsprozesse so nicht ins Ausland verlagert würden, hat Hamburg im Februar 2014 eine Bundesratsinitiative gestartet, um das Gesetz entsprechend zu ändern, nachdem eine erste Initiative 2010/ 11 zwar im Bundesrat auf Zustimmung stieß, im Bundestag dann aber im Sande verlief (www.hamburg.de). Den Sprachgebrauch in Ämtern regeln das Verwaltungsverfahrensgesetz und das Sozialgesetzbuch, wobei letzteres ausdrücklich Ausnahmen erlaubt. Die liegen allerdings im Ermessen des jeweiligen Amtes: Werden bei einer Behörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Schriftstücke vorgelegt, soll die Behörde unverzüglich die Vorlage einer Übersetzung innerhalb einer von Amtliche Regelungen <?page no="147"?> 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 147 ihr zu setzenden angemessenen Frist verlangen, sofern sie nicht in der Lage ist, die Anträge oder Schriftstücke zu verstehen. (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, Paragraph 19 Absatz 2) Durch vergleichbare Regelungen wird auch die Verwendung von Gebärdensprache durch Gehörlose ermöglicht. Diese Regelungen sorgen in ihrer Gesamtheit dafür, dass Deutsch (und damit ist Hochdeutsch in seiner Standardform gemeint) einen vorherrschenden Status einnimmt. Wichtig ist hierbei, dass die bestehenden Regelungen keinerlei Auswirkung auf den privaten Gebrauch anderer Sprachen (und dies gilt auch z.B. für Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen) haben. Auch in öffentlichen Ämtern ist der zusätzliche Gebrauch anderer Sprachen möglich. Lediglich schriftliche Dokumente müssen in den meisten staatlichen Zusammenhängen zwingend auf Deutsch sein. Andere Sprachen werden oftmals ad hoc benutzt, so hängt es nicht nur in Unternehmen, sondern auch bei Ämtern oftmals vom Einzelfall (und der Sprachkompetenz der Beteiligten) ab, ob die Kommunikation in anderen Sprachen möglich ist. Nicht zuletzt bieten Behörden in Gebieten mit einem hohen Migrantenanteil auch Informationen und Dienstleistungen in anderen Sprachen an. So bietet etwa die offizielle Website Berlins Teile ihres Angebots in sieben weiteren Sprachen an, die theoretische Fahrerlaubnisprüfung kann sogar in zwölf Sprachen abgelegt werden (www.berlin.de). Derartige Regelungen liegen jedoch im Ermessen des jeweiligen Bundeslandes bzw. der lokalen Behörden und sind somit typisch für den Ansatz in Deutschland: Deutsch muss, alles andere kann. 12.1.2 Halbstaatliche und private Sprachpolitik mit der deutschen Sprache im Mittelpunkt Rein staatliche Organisationen der Sprachplanung, wie sie in anderen Ländern wichtig sind, spielen in Deutschland eine eher geringe Rolle. Sprachpolitik wird etwa von Institutionen wie dem Goethe-Institut, der Gesellschaft für Deutsche Sprache und anderen Sprachpflegeinstitutionen betrieben, beispielsweise durch Aktionen wie das „Wort des Jahres“ und das „Unwort des Jahres“, „Die schönsten Wörter“, oder die „Wörter mit Migrationshintergrund“, die durchaus lebhafte Resonanz in der Bevölkerung erfahren. Der Deutsche Sprachrat als koordinierende Dachorganisation wurde erst 2003 als Zusammenschluss bestehender Organisationen gegründet. Er nennt „Aufklärung, Sprachkritik, Diskussion“ als seine Ziele, und arbeitet mit unterschiedlichsten Institutionen zusammen. Er kümmert sich u.a. um Sprachen im Bildungsbereich und die internationale Stellung des Deutschen und ist politisch beratend tätig. Der Sprachrat wird vom wissenschaftlichen Institut für Deutsche Sprache (IDS), dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der sprachpflegerischen und -beratenden Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) und dem Goethe-Institut getragen. Alle diese Organisationen werden staatlich unterstützt, widmen sich der Sprachpflege und -kultivierung und greifen damit auch in korpus- und statusplanerische Diskussionen ein. Keine dieser Institutionen hat jedoch politische Kompetenzen im Sinne einer vorschreibenden oder entscheidungsbefugten Institution. De-facto-Dominanz des Standarddeutschen Sprachpflege 1 <?page no="148"?> 148 II Länderbeispiele Ein zunehmend diskutiertes Thema ist der vermeintliche „Sprachverfall“ des Deutschen, insbesondere durch als überflüssig angesehene Anglizismen. Dabei ist festzuhalten, dass diese Debatte überwiegend von privaten Organisationen in die Öffentlichkeit getragen wird. Prominentestes Beispiel ist der Verein Deutsche Sprache (VDS), der sich der Reinhaltung der deutschen Sprache verschrieben hat und dabei bisweilen auch Ansichten vertritt, die als nationalistisch verstanden werden können (wenngleich sich der VDS wiederholt ausdrücklich von rechtsextremistischen Positionen und Organisationen distanziert hat). Von medialer Aufmerksamkeit sind die in regelmäßigen Abständen auftretenden Versuche, Deutsch im Grundgesetz zu verankern. Zuletzt wurde dies im November 2011 im Petitionsausschuss des Bundestages debattiert. Ziel dieser Bestrebungen ist es, eine rechtliche Grundlage gegen den Gebrauch anderer Sprachen und gegen Veränderungen im Deutschen zu schaffen, wo diese nicht erwünscht sind. Diskussionen zu diesem Thema etwa in Online-Foren von Tageszeitungen zeigen deutlich, dass sich diese Bestrebungen oft nicht nur gegen Anglizismen richten, sondern auch einen latent ausländerfeindlichen Unterton haben (vgl. Marten 2012b). Bis heute haben diese Bemühungen - trotz z.T. prominenter Unterstützung etwa durch Bundestagspräsident Norbert Lammert - zu keinem Erfolg geführt. Eine Grundgesetzänderung ist unwahrscheinlich, als dass die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit bis auf weiteres kaum erreichbar scheint. Außerdem zeigen Forschungsergebnisse zu Spracheinstellungen, dass es zwar für eine Mehrheit der Bevölkerung wichtig ist, die deutsche Sprache zu pflegen, aber nur eine Minderheit einen Schutz in Form eines Gesetzes wünscht (Projektgruppe Spracheinstellungen 2009: 46-47). 12.1.3 Autochthone Minderheitensprachen Neben den oben genannten Diskussionen um das Deutsche wird von Teilen der Allgemeinheit oft übersehen, dass in Deutschland auch zahlreiche weitere Sprachen gesprochen werden. Auch hierfür gilt, dass es kaum einheitliche Ansätze zum Sprachmanagement gibt und sprachplanerische Aktivitäten oft nur im Zusammenhang mit einem bestimmten gesellschaftlichen Problem oder in einer bestimmten Region durchgeführt werden. Dabei ist Deutschland heute ein hochgradig vielsprachiges Land - und ist es immer gewesen. Besondere staatliche Aufmerksamkeit verdienen die autochthonen Minderheitensprachen Sorbisch (Niedersorbisch in Brandenburg, Obersorbisch in Sachsen), Dänisch (in Schleswig-Holstein), Friesisch (Nordfriesisch in Schleswig-Holstein und Saterfriesisch in Niedersachsen) sowie die Sprachen der Sinti und Roma und anderer traditionell fahrender Völker (zu den autochthonen Minderheitensprachen in Deutschland siehe Oeter/ Walker 2006). Diese Sprachen hat Deutschland nach Teil III der Europäischen Sprachencharta als schützenswert anerkannt; zusätzlich wird das Niederdeutsche teils nach Teil III und teils nach Teil II der Charta geschützt. Auch wenn Deutschland diese bereits seit dem Inkrafttreten 1999 anwendet und der Überwachungsprozess 2010 bereits in die vierte Runde gegangen ist, gibt es nach wie vor viele Defizite. Niederdeutsch ist in vielerlei Hinsicht eine eigene Sprache mit eigenen Dialekten. Allerdings wird diese durch das Hochdeutsche überdacht, d.h. Hochdeutsch ist (heute) die gebräuchlichste Schriftsprache von Niederdeutschsprechern. Dennoch gibt es eine lange Tradition der niederdeutschen Schrift- Diskussion zu Anglizismen Deutschland als vielsprachiges Land Niederdeutsch <?page no="149"?> 149 sprache mit einer eigenen Literatur, insbesondere im Mittelalter als Sprache der Hanse. Die Sprecher des Niederdeutschen unterscheiden sich von den autochthonen Minderheiten, da diese sich im Allgemeinen ethnisch als deutsch empfinden und lediglich eine regional geprägte andersartige linguistische Identität haben. Von sprachpolitischer Seite wird das Niederdeutsche durch Institutionen wie das Institut für Niederdeutsche Sprache in Bremen gefördert. Vereinzelt hat es auch Bundestags- oder Landtagsreden auf Niederdeutsch gegeben. Dies war insofern kein Problem, da Niederdeutsch auch in diesem Zusammenhang als Teil des Deutschen angesehen wurde. Trotz eines in den vergangenen Jahren verstärkten Bewusstseins und einiger Aktivitäten durch Politik, Bildungseinrichtungen, Aktivisten und Wissenschaft nimmt die Zahl der Sprecher aber nach wie vor ab. Die junge Generation hat oftmals nur noch passive Kenntnisse oder betrachtet Niederdeutsch als Teil von Heimatkunde oder Folklore, nicht jedoch als moderne Ausdrucksmöglichkeit. Diese Haltung wird auch durch die Schulen, in denen Niederdeutsch unterrichtet wird, gefördert. So findet der Unterricht oft auf freiwilliger Basis oder als kleiner Teil anderer Fächer statt, wodurch eine Förderung der Sprachkompetenz im Sinne einer modernen Alltagssprache nur wenig intensiv ist. Um den Rückgang zu erklären, vergleicht Arendt (2010) vorherrschende Diskurse unter Laien, in der Politik und in Printmedien zum Niederdeutschen. Danach zeigt sich, dass Einstellungen oft negativ oder zumindest indifferent sind, insgesamt also keine Atmosphäre herrscht, die den Gebrauch des Niederdeutschen stärken würde (Arendt 2010: 284). Auch hinsichtlich der autochthonen Minderheitensprachen lässt sich feststellen, dass das allgemeine Bewusstsein - zumindest außerhalb der unmittelbaren Herkunftsregionen - sowie sprachpolitische Maßnahmen eher gering sind. Zwar gibt es seitens der betroffenen Bundesländer einige Aktivitäten. Diese Minderheitensprachpolitik spielt sich aber primär auf dem Niveau einer Nichtdiskriminierungspolitik auf Verlangen der Sprachminderheiten ab, die nur wenig mit einer Politik der Sprachrechte oder einer aktiven Förderung zu tun hat. Dadurch bleiben die Minderheitensprachen weitgehend in einer Nische, die nur wenig auf die Gesamtgesellschaft ausstrahlt. Das Dänische steht unter den autochthonen Minderheitensprachen Deutschlands vermutlich am besten da. Die Situation der dänischen Minderheit in Südschleswig und der deutschen Minderheit auf der dänischen Seite wurde 1955 grundlegend durch die Bonn-Kopenhagener Erklärung geregelt. Hierin verpflichten sich Deutschland und Dänemark, ein freies Bekenntnis zur anderen Volksgruppe, den Gebrauch der Sprache sowie eine gegenseitige Achtung von Minderheitenrechten zu gewährleisten. Dazu gehört die Einrichtung von Schulen, die Unterstützung von Medien, Vereinen und Interessenvertretungen und Sonderregelungen bei Wahlen. Letzteres ermöglicht dem Südschleswigschen Wählerverband, bei den Wahlen zum Schleswig-Holsteinischen Landtag von der 5%-Hürde ausgenommen zu sein, wodurch er auch bundesweit eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Hierin zeigt sich, wie wichtig die Gegenseitigkeit in der Unterstützung durch das jeweilige Nachbarland ist. Heute gibt es etwa 50.000 „dänisch Gesinnte“ in Deutschland - wobei das Bekenntnis zum Dänentum frei ist und nicht staatlich überprüft oder offiziell registriert wird. Autochthone Minderheitensprachen Dänisch in Schleswig-Holstein 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="150"?> 150 II Länderbeispiele Abbildung 25: Minderheitensprachpolitik in Budyšin/ Bautzen: Schild am mit öffentlichen Mitteln geförderten Serbski institut, das die sorbische Sprache wissenschaftlich erforscht. Sorbisch ist eine slawische Sprache, deren traditionelles Verbreitungsgebiet heute nicht mehr zusammenhängend ist. Von ca. 60.000 Menschen mit sorbischer Identität beherrschen nach Schätzungen weniger als die Hälfte noch das Ober- oder Niedersorbische, viele Sorben leben heute außerhalb der Lausitz. Sorbisch wird durch die Landesregierungen Sachsens und Brandenburgs unterstützt - allerdings nur als Reaktion auf entsprechende Forderungen. Es gibt keine automatische positive Diskriminierung. An staatlich geförderten Institutionen sind etwa das wissenschaftliche Sorbische Institut sowie die Domowina als kultureller Dachverband zu nennen. Außerdem gibt es - bei einem gesetzlich festgelegten Mindestbedarf - sorbischen Unterricht auf allen Ebenen und Beauftragte für das Sorbische in den Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen. Obwohl es einige hoffnungsvolle Projekte wie etwa die Witaj-Kindergärten und Medien und Bücher in geringem Umfang gibt, bleibt die Situation insgesamt angespannt. Dies liegt nicht nur an der finanziellen Förderung, sondern auch an der Grundeinstellung der Bevölkerung, in der der Wert der Sprache und die Möglichkeiten des Gebrauchs nicht genug geschätzt werden. Wirtschaftliche Probleme der Region und Abwanderung tragen ihr Übriges zur Auflösung der sorbischen Sprachgemeinschaft bei. Eine interessante sprachpolitische Entwicklung von unten ist die Kampagne „A Serbsce? “ („Und Sorbisch? “), in der seit dem Jahr 2012 Aktivisten Aufkleber auf einsprachig deutsche Schilder geklebt haben, um auf den Mangel an sorbischen Schildern im öffentlichen Raum hinzuweisen. Auch das Friesische ist heute stark in seiner Existenz bedroht. Das Saterfriesische hat heute ca. 2.000 Sprecher in vier Gemeinden im Osten Niedersachsens, wobei dies nicht mit Ostfriesland und dem ostfriesischen Dialekt des Niederdeutschen verwechselt werden darf. Ein saterfriesischer Kulturverein erhält staatliche Förderung in geringem Umfang, ein wenig Präsenz gibt es in Sorbisch in Sachsen und Brandenburg Friesisch <?page no="151"?> 151 den örtlichen Behörden und Schulen. Unterricht findet allerdings nur am Nachmittag und außerhalb der Pflichtstunden statt, so dass auch hier der Stellenwert des Saterfriesischen als optional und heimatkundlich gebrandmarkt wird. Psychologische Unterstützung ist durch die Europäische Sprachencharta gegeben, allerdings sind die Forderungen der saterfriesischen Sprachminderheit stets moderat geblieben, so dass es zweifelhaft ist, inwieweit diese Sprache dauerhaft überleben kann. Ähnliches gilt auch für das Nordfriesische, deren ca. 6-10.000 Sprecher sich auf die Inseln Sylt, Amrum, Föhr und Helgoland sowie das nordfriesische Festland verteilen. Die zehn Hauptdialekte sind nicht immer gegenseitig verständlich, so dass es keine einheitliche standardisierte Orthographie, sondern Schriftstandards für die einzelnen Dialekte gibt. Dies erschwert die Fördermaßnahmen zwar massiv, liegt jedoch in der mangelnden Akzeptanz einer Standardisierung begründet, die als Kompromiss einen zu großen Abstand zu den lokalen Dialekten hätte. Auch für das Nordfriesische ist der Sprachwechsel, früher zum Nieder- und heute primär zum Hochdeutschen, in der Weitergabe von Generation zu Generation weitgehend abgeschlossen - mit Ausnahme der Insel Föhr und einiger sprachbewusster Familien anderswo. Friesisch ist heute nur noch Sprache im familiären Bereich und in einigen Dorfgemeinschaften. Die letzten offizielleren Sprachdomänen, wie etwa in einzelnen Dorfräten, gingen am Ende des 20. Jh. verloren, als zugereiste Mitglieder des Friesischen nicht mächtig waren. Dennoch hat das Nordfriesische in den letzten Jahren einen gewissen Aufwind erfahren. Neben einigen Institutionen, die die Sprache unterstützen, wie etwa dem Nordfriisk Instituut oder der (unter finanziellen Problemen leidenden) Friesistik an der Universität Kiel, gibt es einige Versuche der Sprachgemeinschaften, das Nordfriesische zu erhalten, etwa in Form von Initiativen für Kindergärten oder in der Erwachsenenbildung. Auch ist eine begrenzte Präsenz in den Schulen vorhanden. Insgesamt lässt sich der gesamtgesellschaftliche Status dadurch veranschaulichen, dass sich z.B. die Deutsche Post geweigert hat, friesische Ortsnamen in ihre Listen aufzunehmen - selbst nach Protesten von Vertretern der friesischen Minderheit. Somit wird auch hier das Friesische als folkloristischer Luxus abgetan, dem kein Platz in der modernen Gesellschaft einzuräumen ist. Um diesem Trend entgegenzusteuern, wurde im Jahr 2004 vom Schleswig- Holsteinischen Landtag das vom Südschleswigschen Wählerverband eingebrachte Gesetz zum Nordfriesischen mit Unterstützung aller Parteien beschlossen. Dadurch bekommen Gemeindebehörden eine gesetzliche Grundlage dafür, Friesisch zu gebrauchen - allerdings ohne jegliche Verpflichtung. Das Land Schleswig-Holstein akzeptiert einige Pflichten wie etwa die zweisprachige Beschriftung seiner Gebäude in Nordfriesland und Übersetzungen. Behörden in Nordfriesland gebrauchen Friesisch auf offiziellen Dokumenten und Formularen, Briefköpfen, Ortsschildern und Schildern an öffentlichen Gebäuden und die Kenntnis des Friesischen wird als Vorteil bei der Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst angesehen. Schließlich wird die Benutzung der friesischen Flagge in offiziellen Situationen erlaubt. Auch wenn die Aufmerksamkeit, die das Nordfriesische somit erhalten hat, sicher begrüßenswert und besonders auf der symbolischen Ebene wichtig ist, muss das Gesetz insgesamt jedoch als schwach bewertet werden. Es stellt sicher, dass anti-friesische Teile Nordfriesisch in Schleswig-Holstein Gesetz zum Nordfriesischen (2004) 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="152"?> 152 II Länderbeispiele der Gesellschaft freiwillige Maßnahmen nicht in Frage stellen können. Aber es ist kaum die Grundlage für eine langfristige, nachhaltige Sprachplanung - geschweige denn die Einführung von gesetzlich einklagbaren Rechten auf Gebrauch der Sprache. In den Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes sind einige der vorgesehenen Maßnahmen umgesetzt worden. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich in Politik und Gesellschaft der Eindruck durchsetzt, mit der Verabschiedung des Gesetzes seien weitergehende Maßnahmen für das Friesische nicht nötig. Schließlich sind die Sprachen der ca. 70.000 Sinti und Roma auch Teil der autochthonen Sprachen in Deutschland. Allerdings wird eine Sprachpolitik hier dadurch erschwert, dass sich Organisationen wie etwa die Sinti Allianz eine staatliche Einmischung in ihre Belange verbitten. Dennoch gibt es einige staatliche Programme zum Unterricht in Romanes, etwa in Hamburg. Insgesamt ist die Sprachpolitik in Deutschland für die autochthonen Minderheitensprachen durch ein großes Maß an Dezentralität gekennzeichnet, das vor allem durch die föderalistische Struktur und die Zuständigkeit der Länder für Kultur und Bildung bedingt wird. Tendenzen zur Absprache von politischen Maßnahmen gibt es erst seit einigen Jahren, ausgelöst auch durch die Sprachencharta. So gibt es heute einen Beauftragten des Bundes für autochthone Minderheiten, der im Innenministerium angesiedelt, aber nur mit wenig Ressourcen ausgestattet ist. Gleichzeitig existiert seit einigen Jahren mit dem Minderheitenrat ein gemeinsames Sprachrohr der autochthonen Minderheiten gegenüber der Bundesregierung, das allerdings ebenfalls nur wenige Mittel zur Verfügung hat. So bleibt auf gesamtstaatlicher Seite die Reaktion auf die Berichte der Kommissionen des Europarates das stärkste politische Element. Der 3. Bericht des Expertenteams des Europarates zur Erfüllung der Charta (2008) spricht dabei von einigen Erfolgen, etwa in Hinblick auf das Nordfriesisch-Gesetz und das Niederdeutsche. Er bewertet die Situation aber nur für das Dänische als gut bzw. für das Obersorbische als akzeptabel und klassifiziert die anderen Sprachen nach wie vor als sehr gefährdet, insbesondere weil eine geeignete Gesetzgebung fehle. Zudem wird eine stärkere und besser gesicherte finanzielle Unterstützung angemahnt. 12.1.4 Migrantensprachen, Fremdsprachen und Auswärtige Sprachpolitik Die Migrantensprachen in Deutschland sind im Bewusstsein vieler Gruppen der Bevölkerung sehr viel präsenter als die autochthonen Minderheitensprachen. Oftmals werden diese hauptsächlich als Problem wahrgenommen. Auch hier ist erst in den letzten Jahren im Rahmen der Integrationsdebatte verstärkt politisch reagiert worden. Der Schwerpunkt der Politik liegt auf dem Erwerb des Deutschen etwa durch Sprach- und Integrationskurse. Dabei gibt es innerhalb von Migrantengruppen einen sehr unterschiedlichen Umgang mit der deutschen Sprache. Von staatlicher Seite erfolgt eine Unterstützung auf Ämtern oder in Schulen eher durch ad hoc-Maßnahmen, wobei auch die Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund, die als Dolmetscher dienen können, erst in den letzten Jahren zugenommen hat. Migrantenorganisationen, Bildungseinrichtungen und staatliche Behörden ziehen dabei - bei allen existierenden Meinungsverschiedenheiten - zunehmend an einem Strang, so dass hier eher als bei den autochthonen Minderheiten von einer einheitlichen Dezentrale Struktur sprachpolitischer Maßnahmen Migrantensprachen <?page no="153"?> 153 Diskussion gesprochen werden kann. Letztlich hängt aber in der Umsetzung wiederum viel von einzelnen Personen und Situationen ab und es bleibt die Gemeinsamkeit mit den autochthonen Minderheitensprachen, dass eine Anerkennung des Wertes anderer Sprachen und ein Bewusstsein für Mehrsprachigkeit bei der Mehrheitsgesellschaft nur wenig ausgeprägt sind. Dies äußert sich auch in der Fremdsprachenpolitik an Schulen und Hochschulen. Der Schwerpunkt liegt auf global wichtigen Sprachen - Migrantensprachen und Minderheitensprachen werden nur vereinzelt angeboten. Das Englische ist heute konkurrenzlos die wichtigste Fremdsprache in Deutschland mit nahezu 100% Lernern in den Oberschulen und zunehmend auch in den Grundschulen. Von allen Schülern in Deutschland im Schuljahr 2010/ 11 lernten 87% Englisch, 19% Französisch, 9% Latein und 4% Spanisch (Statistisches Bundesamt 2012: 20-21). Insbesondere von Kritikern des Einflusses des Englischen auf das Deutsche wird oft vergessen, dass zwar viele Menschen etwas Englisch können, aber nicht allzu viele wirklich gut Englisch sprechen. Andere Fremdsprachen, die an staatlichen Schulen in Deutschland gelehrt werden, sind heute Chinesisch, Dänisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch, Polnisch, Russisch, Schwedisch, Spanisch, Tschechisch und Türkisch sowie Altgriechisch, Althebräisch und Latein. Dabei erreicht Französisch immerhin noch 43,3% der Gymnasiasten, 19,4% der Gesamtschüler und 22,7% der Realschüler, Latein 29,2% der Gymnasiasten und 5,3% der Gesamtschüler, Spanisch 6,8% bzw. 7,0% und Russisch 2,7% bzw. 2,6% (Zahlen allerdings schon von 2004/ 05, vgl. Schöpper-Grabe 2006). Alle anderen Sprachen erreichen nur einen sehr kleinen Teil der Schüler, wobei die Sprachen der Nachbarländer nur nahe der jeweiligen Grenze und auch dort oft nur sporadisch angeboten werden. Somit zeigt sich, dass das Fremdsprachenangebot an Schulen nach wie vor recht einseitig und das Bewusstsein für die Bedeutung anderer Sprachen nur gering ausgeprägt ist (vgl. auch Quetz 2010). An Hochschulen und Universitäten in Deutschland als studienbegleitende Fremdsprachenkurse (d.h. ohne Regionalstudien und Kurse in den entsprechenden Philologien) werden Spanisch, Englisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Portugiesisch, Chinesisch, Polnisch, Japanisch, Niederländisch, Schwedisch, Arabisch, Türkisch, Tschechisch, Finnisch, Dänisch, Ungarisch und Norwegisch angeboten. Auch dies ist angesichts der Fülle der Hochschulen kein besonders umfassendes Angebot, wenn man bedenkt, dass somit etwa die Hälfte der offiziellen EU-Sprachen an keiner deutschen Hochschule studienbegleitend gelernt werden kann. Schließlich ist auch die auswärtige Sprach- und Kulturpolitik ein wichtiger Teil der Sprachpolitik Deutschlands. Hier wird - entgegen den meisten anderen sprachpolitischen Bereichen - systematisch versucht, dem Prinzip des Laisser-faire und der Illoyalität zum Deutschen entgegenzuwirken. Motivationskampagnen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, des Goethe- Instituts oder der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen wie „Deutsch hat Zukunft“ versuchen zum einen, die Nützlichkeit des Deutschlernens zu betonen. Zum anderen hat das Image von Deutsch als Sprache viel mit dem Image Deutschlands zu tun. So diente die Fußball-WM 2006 dazu, sowohl Land als auch Sprache in ein besseres Licht zu rücken und von alten Stereotypen zu befreien. Trotz der Bemühungen von Goethe-Institut, DAAD etc. wird das Fremdsprachen Auswärtige Sprachpolitik 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="154"?> 154 II Länderbeispiele Deutschlernen in vielen Regionen aber primär durch spezielle Situationen motiviert - im Gegensatz zum Englischlernen, das häufiger auch ohne konkreten Anlass als sinnvoll empfunden wird. Während sich die Deutschlernerzahlen etwa in Osteuropa seit 1990 stark verringert haben, bleibt Deutsch auf niedrigem Niveau auf der ganzen Welt präsent und als zusätzliche Sprache attraktiv. Auf der Ebene internationaler Organisationen versucht die Bundesregierung seit längerem, mit Unterstützung des Deutschen Sprachrates eine Stärkung des Deutschen etwa als EU-Arbeitssprache zu erreichen und auch ansonsten Kommunikation auf Deutsch in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern - sowohl im Kontakt von deutschen und nichtdeutschen Muttersprachlern als auch im Sinne einer Lingua Franca. Somit lässt sich zusammenfassen, dass in der Sprachpolitik in Deutschland Einzelregelungen in den unterschiedlichen Bereichen vorherrschen, es keine ganzheitlich koordinierte Sprachpolitik und auch nur eine gering ausgeprägte Tradition gesamtgesellschaftlicher Debatten zu Sprachen und zu Mehrsprachigkeit gibt. Neben einzelnen Diskussionen zum Schutz des Deutschen wird Mehrsprachigkeit in Prestigesprachen als Ziel, Migrantensprachen aber als Problem oder sogar als Bedrohung wahrgenommen, autochthone Sprachen werden kaum berücksichtigt. In jüngster Zeit hat es einige Vorschläge für eine Sprachpolitik für Deutschland in der Sprachwissenschaft gegeben, die Mehrsprachigkeit als Potential für Diversität, politischen Einfluss und ökonomische Entwicklung sehen. Diese Diskussionen werden stark aus dem englischsprachigen Raum beeinflusst (vgl. dazu die Zusammenfassung einer Diskussion mit dem australischen Germanisten Michael Clyne in Leitner 2006). In der Tat scheint es so, dass eine gezielte Lancierung von Sprachdebatten und -förderung in der Mainstreampolitik und -gesellschaft helfen könnte, um zu bewirken, dass Sprachdebatten als normal empfunden werden. Dazu würde auch die Erhebung einer besseren Datengrundlage zu Sprecherzahlen gehören: Auch im jüngsten Zensus (2011) wurden Muttersprache(n), zu Hause verwendete Sprachen oder andere Sprachkompetenzen der Bevölkerung nicht erfasst - im Gegensatz zur gängigen Praxis in anderen Ländern. ZUSAMMENFASSUNG: Deutschland ist durch eine Laisser-faire-Haltung in der Sprachpolitik gekennzeichnet und kennt keinen ganzheitlichen Ansatz. Sprachpolitische Aktvititäten sind allerdings nicht selten - auf staatlicher Ebene durch eine Gesetzgebung für das Deutsche als Amtssprache oder durch die Rechtschreibreform, auf privater Ebene etwa durch Vereine zum Sprachpurismus. Weniger präsent im Diskurs sind die autochthonen Minderheitensprachen Dänisch, Friesisch, Sorbisch, die Sprachen der Sinti und Roma sowie Niederdeutsch. Oft als Problem wahrgenommen werden dagegen Migrantensprachen. Schließlich betreibt Deutschland eine umfangreiche Auswärtige Sprachpolitik. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Finden Sie es gerechtfertigt, dass der deutsche Staat jedes Jahr größere Summen für ein umfangreiches Netz an Goethe-Instituten und deutschen <?page no="155"?> 155 Schulen sowie für Dozenten- und Studentenaustauschprogramme ausgibt? Warum? 2. Welche Fremdsprachen würden Sie in Deutschland heute in den Schulen lernen lassen? Wie viele? Und warum? Stimmen Ihre Vorstellungen mit der Realität überein? 3. Wie stehen Sie zu dem Ansatz, Deutsch als Nationalsprache im Grundgesetz festzuschreiben? Was für praktische Konsequenzen hätte dies? Wogegen wäre eine solche Maßnahme Ihrer Meinung nach gerichtet? 4. Was sind Ihre eigenen Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit in Deutschland? Wo und wie nehmen Sie Migrantensprachen und autochthone Minderheitensprachen wahr? Wie sollten diese gefördert werden? 5. Warum ist Sprachpolitik in Deutschland ein relativ wenig beachtetes Feld? Was für Vor- und Nachteile hätte eine staatlich koordinierte Sprachpolitik? 6. Versetzen Sie sich in die Lage der folgenden Personen mit wenig oder keinen Deutschkenntnissen, die sich in Deutschland aufhalten. Wo treffen diese Personen auf Probleme? Wer sollte daran etwas ändern? a. eine russische Wissenschaftlerin, die für ein Jahr an einer deutschen Universität forscht und ein Bankkonto eröffnen möchte; b. ein französisches Touristenehepaar, das mit dem Zug von Berlin nach München fahren möchte; . ein japanischer Geschäftsmann, der Geschäftspartner in Deutschland sucht; . ein afrikanischer Student, der eine Wohnung sucht; . eine amerikanische Musikerin, die ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern möchte. 12.2 Schweiz: Territorialitätsprinzip mit Minderheitenschutz 12.2.1 Der Umgang mit den vier Landessprachen Die Schweiz gilt seit langem als Vorzeigeland für den staatlichen Umgang mit gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit, in der mehrere Sprachgruppen in einem Staat ohne große Probleme miteinander auskommen. Grundlage dafür ist ein „differenziertes“ Territorialitätsprinzip (Altermatt 2008: 313), das auf kantonaler Ebene größtenteils für offizielle Einsprachigkeit sorgt - nur vier von 26 Kantonen sind mehrsprachig. Auf föderaler Ebene herrscht Gleichberechtigung der Sprachen. Ein hohes Maß an institutionalisierter Mehrsprachigkeit geht nicht mit einem gleichermaßen hohen Grad an individueller Mehrsprachigkeit der Bevölkerung einher; letztere hängt vor allem vom Bildungsgrad der einzelnen Bürger ab. Neben den Landessprachen ist heute auch in der Schweiz die Konkurrenz durch das Englische spürbar, das vielen Schweizern als Lernziel attraktiver erscheint. Das Ziel, in den Schulen zunächst eine oder zwei andere Landessprachen zu lernen und erst dann Englisch, stößt heute zunehmend auf Kritik und wird nicht mehr von allen Kantonen befolgt (vgl. Stotz 2006). Mehrsprachiges Land - weitgehend einsprachige Regionen 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 c d e <?page no="156"?> 156 II Länderbeispiele Die vier Nationalsprachen der Schweiz sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch (grundlegend: Berthele 2001). Letzteres nimmt in mehrerlei Hinsicht eine Sonderstellung ein: Es ist eine romanische Sprache, die sich in abgelegenen Alpentälern erhalten konnte und die strukturell zusammen mit dem Ladinischen und dem Friaulischen in Südtirol und im Friaul in Italien als eine gemeinsame Sprache bezeichnet werden kann. Der Anteil der Sprecher der vier Landessprachen an der Gesamtbevölkerung ist in den vergangenen Jahrzehnten etwa gleich geblieben, allerdings ist der Anteil der Sprecher anderer Sprachen stark gestiegen. 2012 gaben als Hauptsprache 64,9% Deutsch/ Schweizerdeutsch, 22,6% Französisch, 8,3% Italienisch, 0,5% Rätoromanisch und 21,0% eine andere Sprache an (Mehrfachnennungen waren möglich; Bundesamt für Statistik Schweiz 2014). Lediglich etwa ein Drittel der deutschen Muttersprachler beherrscht eine der andere Landessprachen auf gutem Niveau, bei den französischen Muttersprachlern ist dies mehr als die Hälfte, und bei den italienischen und rätoromanischen Muttersprachlern der größte Teil der Bevölkerung. Abbildung 26: Sprachregionen der Schweiz. Die Verteilung der offiziellen Sprachen auf die Kantone spiegelt die Gesamtzahl der Sprecher wider: 17 der 26 Kantone sind offiziell einsprachig Deutsch, vier sind einsprachig Französisch, der Tessin/ Ticino ist einsprachig Italienisch. Hinzu kommen vier offiziell mehrsprachige Kantone (drei Kantone mit Deutsch und Französisch sowie Graubünden/ Grischun als dreisprachiger Kanton mit Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch). Werlen (2009) weist darauf hin, dass nur in 14 der 22 einsprachigen Kantone die offizielle Sprache auch in der Verfassung festgeschrieben ist, in den anderen „reicht offenbar die Sprache der Verfassung selbst aus“ (Werlen 2009: 107). Die strikte Anwendung des Territorialitätsprinzipes bedeutet, dass innerhalb eines Kantons alle offiziellen Einrichtungen wie Behörden und Bil- Vier Nationalsprachen Territorialitätsprinzip <?page no="157"?> 157 dungseinrichtungen ausschließlich in der einen offiziellen Sprache agieren. Auf der anderen Seite stehen die relativ schwachen zentralstaatlichen Einrichtungen wie die Regierung und ihre Ministerien. Hier sind alle vier Sprachen formal gleichberechtigt, auch wenn in der Praxis auch hier Deutsch und Französisch dominieren. Die Mehrsprachigkeit für Deutsch, Französisch und Italienisch ist seit 1848 in der Verfassung festgeschrieben. Rätoromanisch kam erst 1938 als Landessprache hinzu und besaß lange weniger Rechte als die anderen Sprachen; erst seit 1996 ist es vollkommen gleichberechtigt. Das aktuell gültige Sprachgesetz wurde 2007 verabschiedet, trat 2010 in Kraft und schreibt die bestehenden Regelungen noch einmal fest. Außerdem soll der Bund die mehrsprachigen Kantone und die Maßnahmen zur Förderung des Rätoromanischen und Italienischen ausdrücklich unterstützen, wodurch auch der Minderheitensprachschutz auf höchster gesetzlicher Ebene festgeschrieben ist. Bemerkenswert ist hinsichtlich der Stellung der vier Sprachen auf Bundesebene die Regelung, dass allumfassende Amtssprachen des Bundes lediglich Deutsch, Französisch und Italienisch sind. Rätoromanisch ist nur im Verkehr mit rätoromanischsprachigen Personen Amtssprache des Bundes - eine Regelung, die nach dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Praktikabilität“ (Hauck 2008: 162) pragmatischer Natur ist und verhindert, dass alle staatlichen Dokumente für eine Bevölkerungsgruppe, die weniger als 1% der Bevölkerung ausmacht, ins Rätoromanische übersetzt werden müssen. Somit versucht der Status des Rätoromanischen, dessen symbolische Bedeutung für die Schweiz zu betonen, indem es auch etwa in Schweizer Reisepässen oder auf Banknoten erscheint. Im Alltag herrscht dagegen ein pragmatischer Ansatz vor. Eine Begleiterscheinung des Territorialitätsprinzips ist, dass es eher ein Nebeneinander als ein Miteinander der Sprachgruppen gibt. Dies gilt vor allem für die einsprachigen Kantone, aber auch in den offiziell mehrsprachigen Kantonen herrscht auf lokaler Ebene an vielen Orten erneut das Territorialitätsprinzip. Der nach wie vor existierende so genannten „Röstigraben“ zwischen deutschsprachigen und französischsprachigen Schweizern führt zwar kaum zu ernsthaften Konflikten. Der Preis der sprachlichen Dezentralisierung ist aber, dass die Gemeinsamkeiten der Sprachgemeinschaften oftmals als gering empfunden werden. Auch deshalb wurde von Seiten der zentralen Politik das neue „Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften“ verabschiedet, das 2010 in Kraft trat. Dieses Gesetz soll auch neue Impulse für das gegenseitige Lernen der Landessprachen und den Austausch zwischen den Sprachgruppen geben, etwa durch Schüleraustauschprogramme. 12.2.2 Deutsch in der Schweiz Neben den statusplanerischen Regelungen auf gesamtstaatlicher Ebene ist auch die sprachpolitische Situation der deutschen Sprachgemeinschaft bemerkenswert. Während das Schweizer Französisch und Italienisch eher kleinere Differenzen vom Standardfranzösischen bzw. -italienischen aufweist, ist die Situation der ca. 4,1 Millionen Sprecher des Deutschen als Erstsprache in der Schweiz durch ein hohes Maß an Diglossie gekennzeichnet. Schweizer Standarddeutsch, das sich in relativ geringem Maße vom Standard in Deutschland Diglossie: Schweizerisches Hochdeutsch vs. Dialekte 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="158"?> 158 II Länderbeispiele oder Österreich unterscheidet, enthält einige eigenständige Merkmale auf phonetischer und lexikalischer Ebene. Es wird aber primär in schriftlicher Form verwendet und deshalb auch als Schweizerisches Schriftdeutsch bezeichnet. Schweizerdeutsch (Schwyzertüütsch) ist dagegen das vorherrschende mündliche Kommunikationsmittel innerhalb der Deutschschweizer Sprachgemeinschaft. Dabei handelt es sich um eine alemannische Varietät des Deutschen, die die Form einer überregionalen Sprache angenommen hat. Dazu hat Schweizerdeutsch noch einmal eine große regionale Bandbreite. Oft werden lokale Dialekte gesprochen; Tendenzen zu einer Standardisierung des mündlichen Sprachgebrauches im Schweizerdeutsch sind eher gering und betreffen primär die Anpassung sprachlich entfernter Varietäten. Mündliches Schweizer Standarddeutsch dient in erster Linie zur Kommunikation mit anderen Sprachgemeinschaften, d.h. mit Deutschsprachigen von außerhalb der Schweiz, oder mit den anderen Sprachgruppen innerhalb der Schweiz. In der Schweiz selbst hat in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Domänen, in denen Schweizerdeutsch gesprochen wird, stetig zugenommen. Dabei ist die Aufteilung in eine prestigeträchtige und eine weniger angesehene Varietät nicht immer so eindeutig wie in der Theorie angenommen (vgl. Barbour/ Stevenson 1998: 242). Es besteht allerdings ein starker Zusammenhang zwischen der Offizialität einer Situation und dem Gebrauch des (schweizerisch gefärbten) Standarddeutschen. Letzterer ist aber rückläufig, so dass es heute nur noch sehr wenige Bereiche gibt, in denen im mündlichen Gebrauch Standarddeutsch vorherrscht (etwa im Parlament). Auch in den audiovisuellen Medien wird oft Schweizerdeutsch gebraucht, in informellen schriftsprachlichen Situationen zunehmend eine (nicht standardisierte) Form des Schweizerdeutschen. Dennoch ist das Standarddeutsche insbesondere im Bildungsbereich nach wie vor von großer Bedeutung. Kinder kommen oftmals mit nur geringen Kenntnissen in die Schule, werden hier aber systematisch damit konfrontiert, um Teil der deutschsprachigen Gesamtgemeinde zu bleiben. Allerdings gilt auch hier wieder, dass die Schweiz durch ein hohes Maß an Dezentralisierung gekennzeichnet ist. So wird die Sprachpolitik oftmals von den Kantonen geprägt, etwa im Bildungsbereich, in denen durch puristische Tendenzen auch eine Abgrenzung des Schweizerdeutschen zum deutschen Standarddeutsch gefördert wird. Diese Aktivitäten richten sich unter anderem dagegen, dass deutsch geprägtes Deutsch das Schweizerdeutsche als Identitätsmerkmal verdrängt, eine Tendenz, die durch den verstärkten Zuzug von Deutschen in die Schweiz in jüngster Zeit verstärkt wurde. Dessen Folgen - etwa wenn deutsche Sprecher Ansagen in der Bahn machen - verstärken den Hang zur Abgrenzung. Dennoch wird auch hier Deutsch als Lingua Franca in den Schulen nicht grundsätzlich in Frage gestellt und es gibt keine ernstzunehmenden Bestrebungen, Schweizerdeutsch als eigene Sprache auch schriftsprachlich zu standardisieren. Die Situation ist für die Deutschschweizer insofern angenehm, als dass sie ihre eigene identitätsstiftende Varietät pflegen können, die gleichzeitig die Kommunikation mit der deutschsprachigen Welt und damit die Teilhabe an einer international recht verbreiteten Sprache zulässt. Zudem brächte eine weitergehende Standardisierung auch Probleme mit den nicht deutschsprachigen Schweizern mit sich. Reaktion auf Zuzug von Deutschen <?page no="159"?> 159 12.2.3 Rätoromanisch Das Rätoromanische ist schließlich als Beispiel für einen starken gesetzlichen Minderheitenschutz von Interesse, das gleichzeitig als „exotische“ Besonderheit ein identitätsstiftendes sprachliches Merkmal für alle Schweizer in Abgrenzung zu den großen Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien darstellt. Allerdings darf diese Rolle auch nicht überschätzt werden, da insbesondere die Deutschschweizer mit dem Schweizerdeutschen ein eigenes starkes sprachliches Identitätsmerkmal haben. Der Kanton Graubünden, in dem traditionell Rätoromanisch gesprochen wird, ist offiziell dreisprachig Rätoromanisch-Italienisch-Deutsch. Einzelne Gemeinden können selbst entscheiden, in welcher Sprache sie ihre Dienste anbieten, wobei das Rätoromanische aus symbolischen Gründen auf den Ämtern stärker präsent ist als im Alltagsgebrauch. Ein weiteres Beispiel für die ausgesprochen dezentralisierte staatliche Sprachpolitik ist, dass die Gemeinden selbst entscheiden können, in welchen Anteilen auf Deutsch und Rätoromanisch in den Schulen unterrichtet werden soll. Allerdings gilt auch hier, wie für viele andere kleine Sprachgemeinschaften, dass der praktische Nutzwert des Rätoromanischen gering ist und deshalb von vielen Sprechern die Möglichkeiten, die deutschsprachige Medien, Bildungsinstitutionen etc. bieten, höher eingestuft werden. So sind heute so gut wie alle Rätoromanischsprecher mehrsprachig, und für viele ist das Rätoromanische mehr und mehr zu einer Sprache des privaten Bereiches geworden, trotz der staatlichen Bemühungen um Verbreitung in offiziellen Funktionen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die Zahl der Gemeinden, in denen Rätoromanisch im Alltag Hauptverkehrssprache ist, deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig ist das Rätoromanische ein interessantes Beispiel für einen erst in jüngerer Zeit durchgeführten Standardisierungsprozess, der unter Berücksichtigung der Meinungen der Sprecher bewusst gesteuert wurde. Lange Zeit bestand das Problem, dass Versuche, schriftliche Domänen für das Rätoromanische zu erobern, daran scheiterten, dass es keine einheitliche Schriftsprache gab. Die gesprochenen Dialekte lagen zu weit auseinander für eine Einigung. Erst nach langen Diskussionen entstand in den 1980er Jahren das so genannte Romansch Grischun als standardisierter Kompromiss aus fünf Dialekten. Für den sprachlichen Zusammenhalt, für die Ausbildung einer einheitlichen Literatur etc. ist dieser von großer Bedeutung. Jedoch hat es Probleme der Akzeptanz bei Sprechern gegeben, die den Standard als zu weit entfernt von ihrer mündlichen Sprache empfinden und in Einzelfällen sogar einen Sprachwechsel zum Deutschen dem Standardrätoromanischen vorziehen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen Vertreter, die im Angesicht einer sich weiter zersplitternden Sprachgemeinschaft von 40.000 Sprechern argumentieren, dass die Wahl lediglich darin bestünde, ein gemeinsames Rätoromanisch zu sprechen - oder eben gar keines mehr. Videsott (2011) argumentiert, dass eine Minderheitenbevölkerung die Standardisierung einer Sprache aufgrund der praktischen Vorteile langfristig zumeist akzeptiert. Auch wenn es einige positive Entwicklungen zum Status und den Anwendungsmöglichkeiten des Rätoromanischen und mit der Lia Rumantscha auch eine Aktivistenorganisation gibt, die in den unterschiedlichsten Bereichen der Sprachförderung tätig ist, bleibt insgesamt jedoch fraglich, ob der fortschreitende Rückgang der Sprecherzahlen aufgehalten werden kann. Rätoromanisch als Identitätsmerkmal Standardisierung des Rätoromanischen 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="160"?> 160 II Länderbeispiele ZUSAMMENFASSUNG: Die Schweiz mit ihren vier Nationalsprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch gilt als Vorzeigemodell für den Umgang mit Mehrsprachigkeit: Die Bundesebene ist viersprachig, die einzelnen Kantone und Gemeinden dagegen überwiegend einsprachig. Heute sind auch Diskussionen über das Verhältnis von Hochdeutsch und Schweizerdeutsch bedeutend. Das Rätoromanische ist ein Beispiel für eine Minderheitensprache, die erst vor kurzer Zeit standardisiert wurde. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Beschreiben Sie die Grundlagen der Schweizer Sprachpolitik. In welchem Maße lässt sich behaupten, dass auch in der Schweiz Sprache ein wichtiger Bestandteil der nationalen Identität ist? 2. Halten Sie die Standardisierung der rätoromanischen Schriftsprache für sinnvoll? Welche positiven und negativen Folgen kann das für die Sprachgemeinschaft und den Spracherhalt haben? 3. Wäre es Ihrer Ansicht nach sinnvoll, eine eigene Schriftsprache für das Schweizerdeutsche zu schaffen? Warum ist das bislang nicht passiert? 4. Sollten Kinder in Schweizer Schulen eher Englisch lernen oder eher die anderen Landessprachen? Hängt dies von der jeweiligen Muttersprache der Schüler ab? 12.3 Österreich: Das schwierige Erbe der Habsburger Ähnlich wie die Schweiz versteht sich auch Österreich als zweitgrößtes deutschsprachiges Land als Teil der deutschen Sprachgemeinschaft. Entsprechend nimmt es an gemeinsamen sprachpolitischen Aktivitäten teil, etwa an der Ausarbeitung der Rechtschreibreform in Abstimmung aller Länder des deutschsprachigen Kerngebietes. Andererseits betont auch Österreich seine sprachliche Eigenständigkeit, wenngleich auf andere Weise als die Schweiz. Im Gegensatz zu Deutschland hat Österreich - bedingt durch das Erbe der Habsburger Monarchie - eine längere Tradition im Umgang mit sprachlichen Minderheiten, die allerdings nicht immer konfliktfrei verlaufen ist. In Österreich gibt es etwa 7,6 Millionen Sprecher des Deutschen mit Deutsch als Erstsprache. Im Gegensatz zu Deutschland hat die deutsche Sprache in Österreich nicht nur de facto, sondern auch offiziell Status als Staatssprache. Artikel 8 (1) der Verfassung lautet: „Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.“ Gleichermaßen im Unterschied zu Deutschland hat auch der Schutz der autochthonen sprachlichen Minderheiten Verfassungsrang. Artikel 8 (2) definiert seit dem Jahr 2000, dass sich „die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) (...) zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen Offizieller Status des Deutschen, Schutz von Minderheiten und Gebärdensprache <?page no="161"?> 161 zum Ausdruck kommt“, bekennt. „Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.“ Und schließlich wird - und dies ist international eine große Ausnahme - in Artikel 8 (3) sogar die Österreichische Gebärdensprache „als eigenständige Sprache anerkannt“ und damit offiziell geschützt (zu umfangreicheren Überblicksdarstellungen zur Sprachpolitik Österreichs vgl. z.B. Dorotskar 2014, de Cillia/ Vetter 2013 oder Busch/ de Cillia 2003). 12.3.1 Deutsch in Österreich Insgesamt spielt Sprachpolitik für das Deutsche, ähnlich wie in Deutschland, auch in Österreich in der gesellschaftlichen Diskussion eine eher geringe Rolle. Zu deutlich ist die Dominanz des Deutschen im Alltag in allen gesellschaftlichen Funktionen, so dass die Stellung des Deutschen nicht näher zu diskutiert werden braucht. Das entscheidende Schlagwort im Zusammenhang mit der deutschen Sprache in Österreich ist das des Österreichischen Standarddeutsch. In diesem Begriff kommt zum Ausdruck, dass Deutsch - ähnlich wie das Englische und andere international verbreitete Sprachen - heute als plurizentrische Sprache gilt. Es gibt nicht einen Standard, der auf lexikalischer oder phonologischer Ebene angestrebt wird, sondern mehrere, die in den verschiedenen Zentren des Sprachgebrauchs, der Sprachentwicklung und -pflege unterschiedlich definiert werden können. Dieser eigene Standard wird auch zum Orientierungspunkt im Schulunterricht (insbesondere hinsichtlich der Aussprache) und in Publikationen - was sich etwa im Begriff „Jänner“ anstelle des deutschen „Januar“ bemerkbar macht. Der österreichische Standard ist auch mit Hilfe von speziellen Wörterbüchern des österreichischen Deutsch definiert worden, insbesondere durch das im staatlichen Auftrag herausgegebene Österreichische Wörterbuch, das 2012 in der 42. Auflage erschien und damit sein 60jähriges Jubiläum feierte. Dennoch sind die Unterschiede zum in Deutschland gebrauchten Deutsch gering. Dies gilt insbesondere für die Grammatik, aber auch auf der lexikalischen Ebene ist die Zahl der Austriazismen in Bezug auf die Gesamtzahl der Lexeme recht klein. Muhr (2011) beklagt in diesem Zusammenhang, dass das österreichische Deutsch viel zu wenig durch sprachpolitische Maßnahmen gestützt würde, dass deutsches Deutsch zunehmend als übernationaler Standard und „neutrale“ Varietät gesehen werde (so etwa auch in Lehrwerken und von vielen Lehrern in Österreich) und es eine einseitige Annäherung der österreichischen Norm an die deutsche gebe. Gerade die überblicksartige Liste Muhrs, in der mögliche sprachpolitische Maßnahmen für eine Aufwertung des österreichischen Deutsch aufgezeigt werden (etwa Hörspiele für Kinder oder Filme explizit österreichisch zu synchronisieren), zeigt, dass de facto die Gemeinsamkeiten der österreichischen und deutschen Standardvarietäten in Wahrnehmung und Sprachpraxis dominieren. Neben dem Standard spielen in Österreich auch heute noch Dialekte als Teil der nationalen wie auch regionaler und lokaler Identitäten - in informellen Sprachdomänen - eine wichtige Rolle und sind bei weitem akzeptierter als in Deutschland. Es gibt jedoch - anders als in der Schweiz - kaum Tendenzen zum Gebrauch dieser auch in offizielleren Funktionen. Nichtstaatliche Sprachplanung schließlich erfolgt auch in Österreich - ähnlich wie in Deutschland - Österreichisches Standarddeutsch 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="162"?> 162 II Länderbeispiele mit sprachpuristischer Zielrichtung, die in erster Linie gegen das Englische gerichtet ist. Auf internationaler Ebene hat die Liste mit Austriazismen, die die österreichische Regierung vor ihrem EU-Beitritt ausgehandelte, eine gewisse Berühmtheit erlangt. Auf dieser sind 23 österreichische Begriffe definiert, die im EU-Kontext gleichberechtigt mit den entsprechenden deutschen Bezeichnungen gebraucht werden können, wie etwa „Erdapfel“ für „Kartoffel“ oder „Marille“ für „Aprikose“. Abgesehen von der praktischen Verwendung im Sprachalltag ist hiermit ein starker symbolischer Akt verbunden gewesen - die österreichische Regierung wollte ein Zeichen setzen, auch in sprachlicher Hinsicht nicht nur der „kleine Bruder Deutschlands“ zu sein (Ammon 1995). Gelegentlich hat dies auch zu symbolgeladenen Diskussionen in der breiteren Gesellschaft geführt, etwa 2006 im sogenannten „Marmeladenstreit“, als die EU den Gebrauch des als spezifisch österreichisch empfundenen Begriffes „Marmelade“ einschränken und durch „Konfitüre“ ersetzen wollte (an diesem Fall ist außerdem bemerkenswert, dass „Marmelade“ ja auch in Deutschland nicht unüblich ist). Die österreichische Haltung ist auch etwa im Vergleich mit Irland interessant, da sich auch die irische Regierung in sprachlicher Hinsicht bewusst von der britischen absetzt. Im Falle Österreichs geschieht dies aber eben nicht durch eine eigene, sondern durch die offizielle Anerkennung von Besonderheiten einer gemeinsamen Sprache. Da sich Österreich traditionell als Teil des deutschsprachigen Kulturraumes sieht, ist die Entwicklung einer eigenen österreichischen Sprache außerhalb der Überdachung durch das Deutsche nie ernsthaft im Gespräch gewesen - weshalb derartige Besonderheiten im Umgang mit sprachlichen Standards von besonderer Bedeutung sind. Österreich führt, ähnlich wie Deutschland, außerdem eine auswärtige Sprachpolitik für das Deutsche aus. Dies gilt insbesondere für die Österreichischen Austauschdienst-Gesellschaft (OeAD-GmbH), die - vergleichbar zum Deutschen Akademischen Austauschdienst - durch Sprachpraktikanten, Lektoren, Stipendien u.a. zur Verbreitung und Aufmerksamkeit für österreichische Kultur und die deutsche Sprache aus einer österreichischen Perspektive beiträgt. Dabei ist die OeAD-GmbH vom Umfang her deutlich kleiner als der DAAD und hauptsächlich auf Europa fokussiert. 12.3.2 Autochthone Minderheiten Deutlich größere Aufmerksamkeit in der internationalen sprachpolitischen Debatte als die Rolle des Deutschen in Österreich hat die österreichische Minderheitensprachpolitik erhalten. Die oben angesprochene Festschreibung in der Verfassung ist eine Fortschreibung der vertraglichen Regelungen, die Österreich nach dem Ende des Habsburger Reiches eingegangen ist. Dabei war Österreich-Ungarn - und dies galt für beide Teile der Doppelmonarchie - ein ausgesprochen multiethnischer und vielsprachiger Staat. Auch wenn Deutsch (und Ungarisch) hinsichtlich Prestige und offiziellen Funktionen dominierten, war der Umgang mit Mehrsprachigkeit nach 1918 im Prinzip nichts Neues. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges musste nun auch die österreichische Republik, obwohl sie im Wesentlichen auf das deutschsprachige Kerngebiet reduziert worden war, mit der fortwährenden Existenz einiger Minderheiten „Legendäre“ Durchsetzung österreichischer Terminologie in der EU Auswärtige Sprachpolitik Minderheiten als Erbe der Habsburger- Monarchie <?page no="163"?> 163 auf ihrem Gebiet umgehen. Somit wurde 1919 im Vertrag von Saint-Germaine-en-Lay (dem für Deutschland der Versailler Vertrag entsprach) nicht nur festgelegt, dass der Gebrauch aller Sprachen allgemein erlaubt ist, er sieht auch ausdrücklich das Recht der Minderheiten auf eigene Schulen und andere Institutionen vor. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass diese Artikel zusätzlich zur eigenen Verfassung auch heute noch Verfassungsrang haben. Sie wurden 1955 im sich erneuernden unabhängigen Österreich bekräftigt. Allerdings dauerte es bis 1976, dass diese Rechte im Volksgruppengesetz näher definiert wurden und eine systematische Förderung und Institutionalisierung der nun mit dem Begriff „Volksgruppen“ bezeichneten autochthonen Minderheiten einsetzte. Schließlich gehörte Österreich zu den Erstunterzeichnern des Rahmenübereinkommens zum Schutz Nationaler Minderheiten und der Europäischen Sprachencharta. Auf der Grundlage der Charta sind heute das Slowenische, Kroatische, Ungarische, Tschechische, Slowakische und die Sprache der Roma geschützt. Im Burgenland sind dies Romanes, Ungarisch und Burgenlandkroatisch, in Kärnten und der Steiermark Slowenisch, in Wien Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch. Die Sprecherzahlen dieser Sprachen sind jedoch gering - laut Volkszählung 2001 sprechen knapp 25.000 österreichische Staatsbürger Ungarisch als Umgangssprache zu Hause, 19.000 Burgenlandkroatisch, 18.000 Slowenisch, 11.000 Tschechisch, und nur 3-4.000 Romanes und Slowakisch - insgesamt sind dies etwa 1% der Einwohner Österreichs (Bundeskanzleramt Österreich 2011). Dabei ist durchaus beachtenswert, dass die Charta nicht nur in den traditionell mehrsprachigen Gebieten an der slowenischen und ungarischen Grenze Anwendung findet, sondern aufgrund des Erbes der Habsburger-Monarchie auch in Wien, das als Mittelpunkt des Reiches Bewohner aus vielen anderen Teilen anzog. Somit wird der Gebrauch der Minderheitensprachen im Bildungssystem, vor Behörden, in den Medien und auch die Förderung von Minderheitenorganisationen heute garantiert. Diese Anerkennung bezieht sich allerdings nicht auf die Sprachen von Migranten, die erst in jüngerer Zeit nach Österreich gekommen sind. Dies ist von der Charta auch nicht vorgesehen - allerdings zeigt sich für die genannten Sprachen besonders deutlich, dass Grenzen zwischen den Sprachgemeinschaften nicht immer klar gezogen werden können. Wie in vielen anderen Ländern gibt es allerdings bei der Umsetzung der Charta Probleme. So gibt es zum Beispiel Kontroversen darüber, welche Form des Ungarischen geschützt werden soll: Während in Wien und insbesondere durch in den letzten Jahren zugezogene Personen Standardungarisch im Mittelpunkt steht, wünschen traditionelle Ungarischsprecher im Burgenland die Berücksichtigung ihrer lokalen Varietät. Dies wird etwa im Bildungssystem jedoch auch durch den Mangel an geeignetem Unterrichtsmaterial erschwert (vgl. Csire/ Laakso 2011). Im jüngsten Bericht zur Umsetzung der Sprachencharta beschreiben die Minderheitenorganisationen die auch heute noch bestehenden Defizite. So wird für die ungarische Volksgruppe etwa beklagt, dass viele der Maßnahmen „keine Tiefenwirkung“ erzeugen (S. 227) und somit das langfristige Überleben der Sprache in keiner Weise sichergestellt ist. Die Vertreter der slowenischen Minderheit berichten, dass es trotz der Verabschiedung eines neuen Volksgruppengesetzes im Jahr 2011 keine Umsetzungen der Empfehlungen des Europarates Schutz der Minderheiten heute Probleme der Umsetzung und Konflikte 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="164"?> 164 II Länderbeispiele und deshalb nach wie vor viele praktische Einschränkungen in der tatsächlichen Verwendungsmöglichkeit des Slowenischen, etwa vor Gericht, gebe. In einigen Punkten wie dem Geltungsbereich für Ortsnamen habe sich die Situation sogar verschlechtert (S. 229-230). Außerdem sei es nach wie vor nicht möglich, Namen mit den slowenischen diakritischen Zeichen ž, š oder č zu gebrauchen (Bundeskanzleramt Österreich 2011: 233). Abbildung 27: Hinweisschild am Kulturhaus der slowenischen Minderheit in der Steiermark in Potrna/ Laafeld unweit der slowenischen Grenze. Besondere Aufmerksamkeit als Beispiel für einen jahrzehntelangen Kampf einer Minderheit hat die Durchsetzung der Minderheitenrechte der Slowenen in Kärnten und hier vor allem die Aufstellung zweisprachiger Ortsschilder erlangt. In diesem so genannten „Ortstafelstreit“ zeigt sich, wie wichtig es ist, zwischen einer gesetzlich festgeschriebenen Sprachpolitik und der tatsächlichen Umsetzung zu unterscheiden. Im Falle von Kärnten ist die minderheitenfreundliche Regelung seitens der Bundesregierung auf wenig Gegenliebe bei größeren Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung gestoßen, wobei insbesondere der langjährige Kärntner Landeshauptmann (Ministerpräsident) Jörg Haider ein ums andere Mal durch populistische Positionen auffiel. Das Aufstellen von Ortsschildern hat zwar kaum praktische Auswirkungen auf die Verwendung einer Sprache und den Spracherhalt, ist aber eine symbolträchtige Maßnahme, die noch dazu wenig kostet. Trotz gegenteiliger gesetzlicher Regelungen und Gerichtsurteile zieht sich der Streit seit mehreren Jahrzehnten hin. Nachdem die entsprechenden Regelungen aus den 1950er Jahren lange ignoriert worden waren, kam es in den 1970er Jahren zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen und einer emotionalen Aufheizung des Konfliktes, der im wiederholten Aufstellen und Abreißen von Ortstafeln mündete. Auch wenn das Gesetz von 2011 das Problem zu lösen versucht, wird weiterhin von slowenischer Seite kritisiert, dass die Regelungen nicht weit genug „Ortstafelstreit“ <?page no="165"?> 165 gehen. Dorostkar (2014: 139-142) zeigt mit einer Analyse der Diskurse zu den Ortstafeln durch die Jahrzehnte, unter welchen vorurteilsbeladenen Bedingungen Sprachpolitik in Österreich oftmals stattgefunden hat und dass Ressentiments gegenüber Minderheiten auch heute noch aktuell sind. Insgesamt fasst auch der Band von de Cillia und Vetter (2013), der eine Reihe von Studien zur Sprachpolitik in Österreich in unterschiedlichen Kontexten (allerdings mit Schwerpunkt auf der Bildungs- und Fremdsprachenpolitik) vereinigt, zusammen, dass in der Wahrnehmung großer Teile der österreichischen Gesellschaft Monolingualismus nach wie vor die Norm ist und die Situation insgesamt recht unbefriedigend erscheint. Aus dieser Wahrnehmung resultierte auch die Klagenfurter Erklärung zur österreichischen Sprachenpolitik von 2011, die an eine ähnliche Erklärung aus dem Jahr 2001 anschließt. Darin wird vom österreichischen Verband für Angewandte Linguistik (VERBAL) eine koordinierte Sprachpolitik für Österreich gefordert, die vor allem die Akzeptanz von Mehrsprachigkeit in allen Bereichen der Gesellschaft fördern sowie Maßnahmen zum einfacheren Leben mit der Muttersprache einleiten solle (Verband für Angewandte Linguistik 2011). Dies bezieht sich auf alle Formen der Mehrsprachigkeit, darunter insbesondere den Umgang mit Migrantensprachen. ZUSAMMENFASSUNG: Österreich hat - im Gegensatz zu Deutschland - Deutsch als offizielle Sprache, wobei auch österreichische Besonderheiten in Abgrenzung zu Deutschland betont werden. Österreich hat seit der Monarchie eine Tradition im Umgang mit Sprachminderheiten, die allerdings nicht immer konfliktfrei verläuft, insbesondere in Kärnten. Forderungen nach einer ganzheitlichen Sprachpolitik sind sehr viel deutlicher als in Deutschland. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Was wird unter dem Konzept des Deutschen als plurizentrischer Sprache verstanden? Welche Auswirkungen hat dies auf die österreichische Sprachpolitik? 2. Worin unterscheidet sich die Sprachpolitik in Österreich von der Sprachpolitik in Deutschland? 3. Welche Minderheitensprachen gibt es in Österreich? Suchen Sie im Internet nach Organisationen, die diese Minderheiten vertreten. Welche Themen beschäftigen diese Organisationen und wie stellen sie die Lage der jeweiligen Minderheit dar? 4. Worum ging es im „Ortstafelstreit“ eigentlich? Warum konnte sich dieser Streit so aufheizen, dass er über Jahrzehnte andauerte? Unterschiede Regelungen - Wahrnehmung 2 Deutschland, Schweiz, Österreich 1 <?page no="166"?> 13 Organisierte Mehrsprachigkeit in Westeuropa: Luxemburg und Belgien 13.1 Luxemburg: Ein Dialekt wird zur Nationalsprache Luxemburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie die politische Eigenständigkeit eines Landes den Status einer Sprache beeinflussen kann (für eine umfangreiche Darstellung der sprachlichen Verhältnisse in Luxemburg vgl. Horner/ Weber 2008). 13.1.1 Gesellschaftliche Vielsprachigkeit mit klar verteilten Rollen Luxemburg ist heute de facto durch eine offiziell dreisprachige Situation gekennzeichnet: Französisch, Deutsch und Luxemburgisch, das auch unter der einheimischen Bezeichnung Lëtzebuergesch firmiert, existieren nebeneinander mit weitgehend klar definierten Rollen. Daneben hat Luxemburg einen hohen Anteil an ausländischen Arbeitskräften - so haben etwa 39% der ca. 460.000 Einwohner keine luxemburgische Staatsbürgerschaft. Unter diesen sind traditionell die Portugiesen die stärkste Gruppe, gefolgt von den Italienern (Horner/ Weber 2008: 69). Diese romanischsprachigen Einwanderergruppen benutzen aufgrund der sprachlichen Nähe traditionell eher das Französische als Kommunikationsmittel als das Luxemburgische oder Deutsche. Dazu müssen im mehrsprachigen Alltag Luxemburgs auch die Arbeitspendler berücksichtigt werden, die aus Belgien, Frankreich und Deutschland nach Luxemburg pendeln und dabei etwa 40% der arbeitenden Bevölkerung ausmachen (wobei die französischsprachigen Pendler deutlich in der Mehrheit sind). Schließlich existiert durch die in Luxemburg ansässigen Institutionen der EU und internationale Banken auch ein englischsprachiges Element in der Gesellschaft. Etwa 70% der Luxemburger geben eine germanische Varietät - zumeist Luxemburgisch oder Deutsch - als Erstsprache an. Dies ist insofern interessant, als dass das Französische traditionell die Sprache von Verwaltung und anderen prestigereichen Sprachdomänen gewesen ist. Nur als Ausnahme gibt es eine kleine Gruppe von genuin französischsprachigen Luxemburgern. Somit ist die Wahrnehmung, Luxemburg sei in erster Linie ein französischsprachiges Land, wie es durch die Dominanz des Französischen in offiziellen Kontexten suggeriert wird, ebenso falsch wie die Wahrnehmung als primär deutschsprachig - auch wenn beide großen Nachbarn Luxemburg lange gerne zu ihrem Sprachgebiet dazurechneten. Das Luxemburgische ist in offiziellen Kontexten eher wenig verbreitet, es ist aber die Hauptsprache der informelleren Domänen und die erste Sprache in den meisten Familien. Horner/ Weber (2008) weisen allerdings darauf hin, dass eine derartige Wahrnehmung der gesellschaftlichen Rollen der drei Hauptsprachen als Ausgangspunkt sinnvoll sein mag, die Realität der polyglossischen Situation der luxemburgischen Gesellschaft aber sehr viel komplexer ist. Zum einen haben auch andere Sprachen ihre - sich Offizielle Dreisprachigkeit <?page no="167"?> Luxemburg und Belgien 167 wandelnden - Positionen, zum anderen ist eine klare Abgrenzung der Funktionsbereiche nicht möglich und in der Praxis kommt es zu häufigem Code Switching. Weber (2001: 185) fasst die Rolle der drei Hauptsprachen Luxemburgs zusammen, indem er das Französische als Sprache des Arbeitslebens (neben der Funktion als erster Sprache in Gesetzgebung und Rechtswesen) und gleichzeitig als Symbol für Bildung und gesellschaftliche Oberschicht beschreibt. Das Deutsche dagegen wird kaum als Erstsprache gesprochen, ist jedoch als Zweitsprache weit verbreitet, und insbesondere passive Kenntnisse werden häufig genutzt. So sind etwa deutschsprachige Medien die Hauptmedien für viele Luxemburger. Das Deutsche war außerdem lange die Schriftsprache für Sprecher des Luxemburgischen, die somit - wie heute noch in der Schweiz - mit großen Diskrepanzen zwischen der gesprochenen und geschriebenen Sprache fertig werden mussten. Diese weitgehend diglossische Situation (Luxemburgisch als in informelleren Domänen, Französisch und Deutsch als in offizielleren Domänen gebrauchte Varietäten) wirkt auch heute in vielen Bereichen nach, hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts aber gewandelt, da das Luxemburgische in dieser Zeit zu einer vollständig funktionstüchtigen Sprache ausgebaut wurde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine von Stevenson angeführte Übersicht über den üblichen Sprachgebrauch in einem Gericht in Luxemburg. Auch wenn diese Studie schon etwas veraltet ist, gibt sie doch Aufschluss über die Rollen, die Französisch, Luxemburgisch und Deutsch in der luxemburgischen Gesellschaft einnehmen (Stevenson 1997: 36-37). Alle offizielleren Teile der Kommunikation wie etwa die Plädoyers oder die Gespräche zwischen den Anwälten und dem Richter finden auf Französisch statt. Die Kommunikation mit den Angeklagten und die informellere Kommunikation, etwa wenn ein Polizist einen Zeugen in den Saal bittet, ist auf Luxemburgisch. Die Urteilsverkündung findet schließlich auf Deutsch statt, und es erfolgt auch eine Transkription des Protokolls auf Deutsch. Insgesamt ist die Verwendung der drei offiziellen Sprachen in verschiedenen Domänen aber sehr unübersichtlich. In den Schulen steht nach wie vor die Beherrschung des Französischen und des Deutschen im Vordergrund. Während davon ausgegangen werden kann, dass die überwiegende Zahl der Kinder ohne Migrationshintergrund Luxemburgisch als Muttersprache hat, so wird im Kindergarten zumeist auf Luxemburgisch, in der Schule zunächst auf Luxemburgisch und Deutsch, später auf Deutsch und Französisch unterrichtet. In den höchsten Klassen dominiert Französisch, mündliches Luxemburgisch wird allerdings auch in der Schule für Erklärungen u.ä. herangezogen (Horner/ Weber 2008: 89). Ähnlich gilt in der Verwaltung, dass alle drei Sprachen benutzt werden können. Im Parlament hingegen ist in offiziellen Situationen einschließlich der Gesetzgebung Französisch und in inoffiziellen auch Luxemburgisch üblich. Luxemburgisch wird ebenso vom Großherzog und von Ministern in offiziellen Reden an die Bevölkerung gebraucht, und die Sitzungen etwa von Gemeindeverwaltungen sind auf Luxemburgisch, werden allerdings auf Deutsch oder Französisch protokolliert. Viele offizielle Dokumente wie Formulare für Steuererklärungen sind auf Französisch und Deutsch, andere dagegen nur auf Französisch. Luxemburger Personalausweise sind Französisch, Funktionen von Luxemburgisch, Französisch und Deutsch Bildungssystem, Verwaltung, Parlament, Medien 13 <?page no="168"?> 168 II Länderbeispiele Englisch und Deutsch, Einträge und das Cover von Pässen allerdings nur Französisch. Die 2003 gegründete Universität Luxemburgs ist zwar dreisprachig, sie arbeitet allerdings auf Französisch, Deutsch und Englisch. Luxemburgisch ist - außer in informellen Situationen - nicht vorgesehen. In den Printmedien herrscht dagegen Deutsch vor, wobei in den letzten Jahren die französischsprachigen Veröffentlichungen zugenommen haben, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Zahl der Einwanderer mit Französisch oder einer anderen romanischen Sprache als Muttersprache. In Radio und Fernsehen dagegen ist das Luxemburgische stark vertreten. 13.1.2 Der historische Ausbau des Luxemburgischen zur Nationalsprache Das Luxemburgische hat somit heute folgende Funktionen: Es ist zunächst das hauptsächliche mündliche Kommunikationsmedium der meisten „traditionellen“ Luxemburger in vielen informellen Situationen. Als solches ist es die Sprache sozialer Integration der luxemburgischen Gesellschaft (Weber 2001: 185), ohne die eine vollständige Akzeptanz schwierig ist. Somit ist das Luxemburgische auch ein starkes Nationalsymbol - in Abgrenzung sowohl nach Frankreich als auch nach Deutschland. Andererseits nimmt der Gebrauch des Luxemburgischen im schriftsprachlichen Bereich zu - als Folge gezielter sprachpolitischer Maßnahmen, die mit einem sich wandelnden Prestige einhergehen. In sprachpolitischer Hinsicht ist Luxemburg somit auch ein interessantes Beispiel dafür, wie sich die Rolle einer kleinen Varietät im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat - bis zu seiner heutigen Aufwertung als voll funktionstüchtige Nationalsprache. Die einschneidendste sprachpolitische Maßnahme in Luxemburg fand im Jahr 1984 statt - mit der Verabschiedung des Sprachengesetzes, durch das das Luxemburgische den symbolischen Rang einer Nationalsprache erhielt. Französisch und Deutsch werden hingegen lediglich als offizielle Sprachen bezeichnet. Der Weg bis zu diesem Schritt war allerdings lang. Auch wenn es seit dem 19. Jahrhundert erste schriftsprachliche Texte auf Luxemburgisch und auch Bestrebungen gab, das Luxemburgische zu standardisieren und somit die Grundlage für seine Funktion als Nationalsprache zu schaffen, wurde es lange in erster Linie als Dialekt des Deutschen, als „Luxemburger Deutsch“ oder „Letzeburger Platt“ ohne eigenen Standard betrachtet. Bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde es - in Abgrenzung vom Deutschen - auch oft als Dialektmischung zwischen dem Deutschen und Französischen wahrgenommen und als „(Luxemburger) Platt“ bezeichnet, ähnlich wie in den germanischsprachigen Gebieten in Lothringen. Letztlich spielte und spielt bei der Abgrenzung der Varietäten zum Deutschen nicht zuletzt die nach den beiden Weltkriegen stark antideutsch geprägte Identität eine maßgebliche Rolle, ähnlich wie im Elsass. Im kollektiven Bewusstsein Luxemburgs ist etwa der nach der Annexion Luxemburgs durch die Nazis durchgeführte Zensus von Bedeutung, in dem die Luxemburger auf die Fragen nach Staatsbürgerschaft, Volkszugehörigkeit und Muttersprache drei Mal mit „Luxemburgisch“ antworteten. Dadurch wurde die Wahrnehmung des Luxemburgischen als eigener Sprache maßgeblich befördert, im Gegensatz zur damaligen deutschen Wahrnehmung, nach der Luxemburger sprachlich und ethnisch Deutsche waren. Heutige Funktionen des Luxemburgischen Sprachengesetz von 1984 <?page no="169"?> Luxemburg und Belgien 169 Seit dem Sprachgesetz von 1984 wird auch verstärkt Korpuspflege für das Luxemburgische betrieben, etwa in Form der Erarbeitung von Wörterbüchern (vgl. Barbour/ Stevenson 1998: 262-265). In den 1990er Jahren entstanden auch staatlich geförderte Sprachlehrwerke in systematischerem Stil, 1998 wurde ein Rat für die Luxemburgische Sprache gegründet. Dennoch hat sich die 1946 zum ersten Mal und seitdem mehrmals neu kodifizierte Rechtschreibung noch nicht in einem Maße durchgesetzt, dass wirklich große Teile der Luxemburger Luxemburgisch schreiben würden, auch wenn sie es alle lesen können. Die Entwicklung des Luxemburgischen zu einer vollständigen Nationalsprache ist somit ein Beispiel für eine klassische Ausbausprache, deren Status in erster Linie durch sprachpolitische Maßnahmen (und deren Akzeptanz durch die Sprecher) erreicht wurde. Heute kommt es dadurch zu der bizarren Situation, dass dieselbe Varietät in den drei Ländern, in denen sie gesprochen wird, drei vollkommen unterschiedliche gesellschaftliche Rollen einnimmt. Als eigene luxemburgische Sprache wird sie in Luxemburg (und einer kleinen Region in der belgischen Provinz Luxemburg nahe der luxemburgischen Grenze, siehe dazu Darquennes 2005) betrachtet - hier wird auch allein der Schriftstandard benutzt. Auf der deutschen Seite in der Gegend um Trier gilt die Varietät dagegen als ein moselfränkischer Dialekt mit Standarddeutsch als Dachsprache und somit als Teil des Deutschen. Im französischen Lothringen schließlich wird sie von der Bevölkerung als moselfränkischer Dialekt, der „Platt“ genannt wird, betrachtet. Dabei legen die Sprecher dort darauf Wert, dass dieser keiner standardisierten Schriftsprache zugeordnet und auch nicht als Dialekt des Deutschen aufgefasst wird - im Gegensatz zur Position der französischen Regierung. Somit zeigt das Beispiel Luxemburgs idealtypisch, wie durch Identitätsfragen und damit verbundene sprachpolitische Entscheidungen eine Sprache „geboren“ werden kann - was aber diese Sprache natürlich nicht weniger vollwertig macht. Insgesamt wird durch die Sprachpolitik Luxemburgs sichergestellt, dass das Luxemburgische als identitätsbestimmendes Idiom verbreitet bleibt. Gleichzeitig wird der Nutzen, den die Teilhabe an zwei großen Sprachgemeinschaften für die Bevölkerung hat, aufrecht erhalten. Diese Dreisprachigkeit ist zudem ein wichtiges Nationalsymbol, auch wenn Horner/ Weber (2008) darauf hinweisen, dass die individuelle Dreisprachigkeit ein Mythos ist und es keineswegs so sei, dass alle Luxemburger dreisprachig sind. Durch das Nebeneinander von Deutsch und Französisch wird auch verhindert, dass sich die Sprecher einseitig in eine der beiden Richtungen orientieren und somit ihre Sonderrolle zwischen den großen Sprachen (und Ländern) verlieren könnten (vgl. Barbour/ Stevenson 1998: 262-263). Trotz aller sprachpolitischer Entwicklungen bleibt die Rolle des Luxemburgischen als Sprache der eher inoffiziellen Domänen aber bestehen. Interessant ist schließlich auch der Umgang mit der luxemburgischen Sprache auf EU-Ebene. Trotz seiner Stellung als Nationalsprache wurde Luxemburgisch von der luxemburgischen Regierung nicht als EU-Amtssprache registriert. Dies hat zum einen pragmatische Gesichtspunkte: Die Frage nach der Notwendigkeit stellt sich nicht, da davon ausgegangen wird, dass die Luxemburger alle EU-Dokumente auch auf Französisch oder Deutsch verstehen. Au- Korpuspflege Unterschiedliche Wahrnehmung des Luxemburgischen Identitätsbestimmende Rolle des Luxemburgischen Luxemburgisch in der EU 13 <?page no="170"?> 170 II Länderbeispiele ßerdem spiegelt sich hierin die Tradition des Französischen als Gesetzessprache - es wäre nicht logisch, auf EU-Ebene Regelungen einzuführen, die es noch nicht einmal in Luxemburg selbst gibt. Dazu käme die Notwendigkeit, einen luxemburgischsprachigen Stab an Mitarbeitern für Übersetzungen der EU-Dokumente auszubilden - eine Maßnahme, die einen hohen Aufwand bedeuten würde und wohl hauptsächlich symbolischer Natur wäre. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass etwa Irland mit der Anerkennung des Irischen als EU- Amtssprache - auch eher aus symbolischen als aus praktischen Erwägungen - eine derartige Politik verfolgt hat und Luxemburgisch noch nicht einmal die EU-Amtssprache mit der geringsten Zahl an regelmäßigen Sprechern wäre, da Maltesisch und Irisch jeweils weniger aktive Sprecher haben. ZUSAMMENFASSUNG: Luxemburg ist ein Beispiel für die Aufwertung einer Varietät und den Ausbau zu einer Nationalsprache. In der Praxis herrscht eine Aufteilung der Domänen zwischen dem informelleren Luxemburgischen und dem offizielleren Französischen und Deutschen, die aber nicht immer eindeutig ist. Sowohl das Luxemburgische als auch die Mehrsprachigkeitssituation sind identitätsstiftend in der europäisierten luxemburgischen Gesellschaft. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Charakterisieren Sie die Rolle des Französischen, Deutschen und Luxemburgischen in der luxemburgischen Gesellschaft. 2. Welche Gründe sprechen dafür und dagegen, das Luxemburgische als Dialekt des Deutschen zu bezeichnen? Warum hat sich die Wahrnehmung dieser Frage im Laufe der Geschichte verändert? 3. Welche Rolle spielt Ihrer Vermutung nach die internationale Funktion Luxemburgs als Standort einer Reihe von europäischen Organisationen bei der Sprachwahl der Bevölkerung? 4. Suchen Sie luxemburgische Internetseiten auf, z.B. von Behörden oder Medien. Welche Sprachen finden Sie dort? 13.2 Belgien: Sprachliche Differenzen als grundlegendes Problem des Staatszusammenhalts Belgien ist ein klassisches Beispiel für die Anwendung des Territorialitätsprinzips. Dabei ist das Bonmot weitestgehend scherzhaft gemeint, dass nur der König, die Fußballnationalmannschaft und die Frage, was mit der Hauptstadt Brüssel im Fall einer Trennung der Landesteile geschehen solle, das Land zusammenhielten - und der Mangel an einer realistischen Alternative. Weder eine Anbindung der französischsprachigen Wallonie an Frankreich bzw. des niederländischsprachigen Flandern an die Niederlande noch eine jeweilige völlige staatliche Unabhängigkeit sind für die Mehrheit der Bevölkerung wirklich vorstellbar. Die Lösung des Problems, dass Flamen und Wallonen sich nur Französisch, Niederländisch und Deutsch in losem Zusammenhalt <?page no="171"?> Luxemburg und Belgien 171 noch wenig miteinander verbunden fühlen, hat seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer kontinuierlichen Verlagerung der Macht von der Zentrale in die Regionen geführt, die weitgehend sprachlich definiert sind. In sprachpolitischer Hinsicht heißt das, dass in der Wallonie in allen öffentlichen Funktionen ausschließlich Französisch gebraucht wird, während in Flandern das gesamte öffentliche Leben ausschließlich auf Niederländisch stattfindet. Dies führt dazu, dass es eine Frage des Bildungsgrades ist, inwieweit die jeweils andere große Landessprache überhaupt beherrscht wird, wobei heute auch Englisch in Konkurrenz zum Lernen des Französischen bzw. Niederländischen tritt. Die Bezeichnung „Flämisch“ für die niederländischen Varietäten auf dem Gebiet Belgiens ist dabei heute eher unüblich, auch wenn die Region Flandern heißt: Trotz zum Teil erheblicher dialektaler Differenzen wird die Verbindung mit dem Niederländischen betont, nicht zuletzt aufgrund des schriftlichen Standards. Abgesehen von den beiden großen Sprachgruppen gibt es außerdem als weitere traditionelle Sprechergruppe die deutschsprachige Bevölkerungsgruppe mit etwa 70.000 Sprechern im Osten des Landes. 13.2.1 Die historische Entwicklung des Territorialitätsprinzips Die Geschichte der Sprachpolitik in Belgien ist lange in vielerlei Hinsicht eine Geschichte der Gleichstellung der nichtfranzösischsprachigen Bevölkerungsteile gewesen (vgl. für eine aktuelle Darstellung, die auch die Regierungskrisen 2007 und 2010/ 11 einschließt, Drab (2012)). Während vor Gründung des unabhängigen Königreichs Belgien 1830 sowohl Frankreich als auch die Niederlande versuchten, der Region ihren sprachlichen Stempel aufzudrücken, kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Vormachtstellung des Französischen. Dies lag sowohl im Prestige des Französischen als Sprache der Eliten und internationale Lingua Franca begründet als auch im Wohlstand der Wallonie, der insbesondere mit der Industrialisierung einsetzte. Diese wurde maßgeblich auch durch die flämische Elite gefördert. Niederländisch blieb zwar über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg in einigen offiziellen Funktionen in Flandern in Gebrauch, insgesamt setzte sich in den meisten offiziellen Bereichen aber eine staatliche Politik durch, die das Französische in prestigereichen Funktionen verlangte - in den gesamtstaatlichen Institutionen ohnehin, aber oftmals auch in Flandern. Am Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr das Niederländische eine erste Aufwertung durch die Arbeiterbewegung. Damit begann ein das 20. Jahrhundert charakterisierender Prozess, im Laufe dessen die flämische Bevölkerung nach und nach durchsetzen konnte, dass sich Prestige und Sprachrechte der verschiedensprachigen Bevölkerungsteile einander annäherten. Auch dies hatte nicht zuletzt mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun - so ist seit dem Niedergang der traditionellen Industrie- und Bergbaugebiete in der Wallonie seit Mitte des 20. Jahrhunderts Flandern die wirtschaftlich stärkere der beiden Regionen. Nach ersten Gesetzen seit den 1870er Jahren, die Niederländisch in bestimmten Bereichen der Verwaltung und des Bildungswesens stärkten, sind beide Sprachen seit dem Gesetz von 1898 offiziell gleichberechtigt. Es folgten in den darauffolgenden Jahrzehnten verschiedene Regelungen, etwa zur Einführung niederländischsprachiger Universitäten. Diese Maßnahmen basierten aber zunächst weiter darauf, dass die Hauptsprache Französisch Historische Dominanz der Französischen 13 <?page no="172"?> 172 II Länderbeispiele war und den Sprechern des Niederländischen bestimmte Rechte gewährt wurden. Dadurch blieb die Situation bestehen, dass französische Muttersprachler nur selten Niederländisch konnten, es aber weiterhin einen starken Druck für Flamen gab, Französisch zu lernen. Die administrative Lösung für die Mehrsprachigkeit, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelte, war die Einführung einer immer dezentraleren Struktur Belgiens bis hin zu einer regelmäßig wiederkehrenden Debatte über die Auflösung des Gesamtstaates. Allerdings hat es kaum jemals einen ernsthaften Vorschlag für die Lösung der sich dadurch ergebenen Probleme gegeben. Das erste derartige Sprachgesetz von 1921 führte das Territorialitätsprinzip ein. Dieses hat jedoch bis heute zu Konflikten an den Grenzen der Sprachgebiete und im Raum Brüssel geführt, wo die Bevölkerung recht gemischt ist, und wo sich die Zugehörigkeit zu einer Sprachregion nach Zensusergebnissen ändern kann. Seit den 1960er Jahren kam es daher zu einem langsamen Umbau des belgischen Staates zu einem Bundesstaat, in dem die Zentralregierung nur noch ein geringes Maß an Einfluss hat und als dessen Ergebnis die heutige administrative Aufteilung besteht. 13.2.2 Die heutige administrative Aufteilung: Regionen und Gemeinschaften In dem etwas unübersichtlichen Nebeneinander einer Vielzahl administrativer Strukturen stehen sich heute insbesondere die Regionen und die Gemeinschaften gegenüber (vgl. z.B. Lejeune 2010). Während die drei Regionen Wallonie, Flandern und Brüssel eher ökonomische Kompetenzen haben, sind die Gemeinschaften kulturell und damit auch sprachlich definiert. Die konsequente Anwendung des Territorialitätsprinzips bedeutet, dass auf dem Territorium einer Gemeinschaft die Sprache der Mehrheitsbevölkerung Sprache in allen offiziellen Belangen ist. Das Gebiet der flämischen Gemeinschaft stimmt mit der Region Flandern überein, die Wallonie dagegen ist in die große französische Gemeinschaft und die kleine deutschsprachige Gemeinschaft (DG) aufgeteilt. Brüssel ist offiziell zweisprachig und nicht nur Hauptstadt des Gesamtstaates, sondern gehört auch als jeweilige Hauptstadt zur niederländischsprachigen und zur französischsprachigen Gemeinschaft. Es ist aber nicht Hauptstadt der Regionen Flandern und Wallonie, da Brüssel ja eine eigene Region ist. Sowohl die Regionen als auch die Gemeinschaften haben jeweils ein Parlament und eine Regierung. Zusätzlich gibt es innerhalb der Regionen Provinzen mit administrativen Funktionen. Innerhalb der wallonischen und flämischen Regionen und Sprachgemeinschaft gilt mit wenigen Ausnahmen, dass in allen öffentlichen Funktionen jeweils nur die einheimische Sprache gebraucht wird. Brüssel ist dagegen zweisprachig Niederländisch-Französisch. Sprachgesetze seit Ende des 19. Jahrhunderts Kulturelle Gemeinschaften vs. ökonomische Regionen <?page no="173"?> Luxemburg und Belgien 173 Abbildung 28: Sprachgemeinschaften in Belgien und Gemeinden mit Minderheiten- „Fazilitäten“. Nur für diejenigen Institutionen, die nach wie vor dem Zentralstaat unterstehen, gilt die durch die belgische Verfassung festgeschriebene Dreisprachigkeit. Hier ist die Sprache frei wählbar bzw. richtet sich bei Behörden danach, in welcher Sprache sich eine Person an die Behörde richtet. Ein interessantes Beispiel dafür, was das in der Praxis bedeutet, ist etwa, dass die Verkehrspolizei an Verkehrssünder auf dem Zentralstaat unterstehenden Autobahnen zunächst ein Schreiben verschickt, ob die Bestrafung auf Französisch, Niederländisch oder Deutsch erfolgen soll, bevor der eigentliche Bußbescheid in der gewünschten Sprache ausgestellt wird. Der belgische Sprachalltag verläuft in der Praxis heutzutage größtenteils problemlos, aber es zeigt sich immer wieder an einzelnen Situationen, dass Land und Gesellschaft nur aufgrund der starken Trennung der Sprachgemeinschaften funktionieren. Nach wie vor kommt es zu Gebietszugehörigkeitskonflikten an der Sprachgrenze, und nicht zuletzt lag auch die Situation, dass es nach den Wahlen von 2010 über ein Jahr gedauert hat, bis eine gesamtstaatliche Regierung gebildet wurde, darin begründet, dass die Sprachgruppen sich nach wie vor stark misstrauen und vielen Interessen Genüge getan werden musste. Als Erweiterung des Territorialitätsprinzips gibt es in Gebieten mit starken Minderheiten Regelungen für so genannte „Fazilitäten“, d.h. die Bereitstellung von Möglichkeiten, auch die jeweilige Minderheitensprache in offiziellen Situationen zu verwenden. Diese Gebiete sind gesetzlich festgelegt und liegen Geringe Bedeutung des dreisprachigen Zentralstaates „Fazilitäten“ für die Minderheiten 13 <?page no="174"?> 174 II Länderbeispiele an der flämisch-wallonischen Grenze ebenso wie in der (mehrheitlich niederländischsprachigen) Peripherie der (mehrheitlich französischsprachigen) Hauptstadt Brüssel (vgl. zu aktuellen Reaktionen auf diese Regelungen im öffentlichen Erscheinungsbild Janssens 2012). Die Regelung der Fazilitäten gilt auch für das Gebiet der deutschsprachigen Belgier, deren Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) kulturell autonom ist, regional jedoch zur Wallonie gehört. Bei den deutschsprachigen Gebieten ist zwischen Altbelgien und Neubelgien zu unterscheiden. Während Altbelgien drei nicht zusammenhängende Gebiete umfasst, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu Belgien gehörten, wird Neubelgien gewöhnlich in ebenfalls drei Teile geteilt, die erst 1920 an Belgien angeschlossen wurden. Der größte Teil Neubelgiens macht heute die DG aus, die anderen Teile gehören zur französischsprachigen Gemeinschaft. In der DG existieren überall Fazilitäten für das Französische, und auch in den zur französischen Gemeinschaft gehörenden Gebieten Neubelgiens (nicht allerdings Altbelgiens) ist Deutsch als Minderheitensprache anerkannt. Insgesamt gibt es heute 27 Landkreise mit Fazilitäten: 12 mit französischen Fazilitäten in der flämischen Gemeinschaft, 4 niederländische in der französischen Gemeinschaft, alle 9 Kreise der Deutschsprachigen Gemeinschaft mit französischen und 2 Kreise mit deutschsprachigen Angeboten in der französischen Gemeinschaft. Hinsichtlich der deutschsprachigen Bevölkerung wird bisweilen die Frage gestellt, inwieweit sich diese als Belgier fühlen, oder ob sie nach fast einem Jahrhundert Zugehörigkeit noch eine deutsche Identität bewahrt haben, die nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine staatlich-politische Komponente hat. Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Die Nähe des großen Nachbarn Deutschland wird weitgehend als Bereicherung empfunden und die Möglichkeiten - insbesondere seit dem europäischen Zusammenwachsen -, deutschsprachige Medien zu empfangen, in Deutschland einzukaufen oder Universitäten in Deutschland zu besuchen, werden geschätzt. Dennoch herrscht eine eindeutig belgische Identität vor. Dabei wird die Abgrenzung zu Deutschland durch das Empfinden einer Sonderstellung innerhalb des belgischen Staates ergänzt. Diese hat im Laufe des 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass ein Teil der deutschsprachigen Bevölkerung besonders frankophil und die Sprachgrenze dadurch langsam nach Osten verrückt wurde. Dies gilt insbesondere für Altbelgien, wo an vielen Orten Deutsch nur noch rudimentär verbreitet ist und kaum noch offizielle Funktionen hat. Auf der anderen Seite hat die Sonderstellung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Abgrenzung zu zwei großen Nachbarn - ähnlich wie in Luxemburg - eine starke lokale Identität bewirkt. Im Gegensatz zum immer wieder aufflackernden französischniederländischen Sprachkonflikt wird die Situation der deutschsprachigen Belgier aber weitgehend als unproblematisch wahrgenommen (zum Deutschen in Belgien vgl. Darquennes/ Van Mensel 2012). Deutschsprachige Gemeinschaft Identität deutschsprachiger Belgier <?page no="175"?> Luxemburg und Belgien 175 Abbildung 29: Offizielle deutschsprachige Beschilderung in Eupen, der Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Neben Standarddeutsch und Standardfranzösisch werden schließlich insbesondere von der älteren Generation auch noch regionale Varietäten gesprochen, was etwa dazu führt, dass sich im an Luxemburg angrenzenden Teil Altbelgiens die sprachliche Regionalidentität eher am Luxemburgischen ausrichtet (siehe für die Herausbildung einer luxemburgischen Sprachnorm Kapitel 13.1). In der Wallonie dagegen hat in den letzten Jahren die Tendenz einer Anerkennung der regionalen Varietäten zugenommen. Somit wird Wallonisch von einigen Sprechern heute als eigenständige Varietät bezeichnet, die auch mit Tendenzen einer schriftsprachlichen Standardisierung einhergehen. Allerdings sind diese sprachpolitischen Initiativen auf einige Aktivisten beschränkt, sie erfahren staatliche Unterstützung allenfalls in Form von Kulturfördermaßnahmen. Neben den drei offiziellen Sprachen spielt in Belgien heute auch das Englische eine zunehmende Rolle - zum einen als erste Fremdsprache in den meisten Teilen des Bildungssystems, zum anderen aufgrund des internationalen Charakters Brüssels als Sitz vieler Institutionen von NATO und EU. Obwohl dadurch gerade Brüssel ein internationales Flair hat und der Gebrauch des Englischen dort an der Tagesordnung ist, ist insgesamt bemerkenswert, wie gering die sprachliche Ausstrahlung auf die belgische Bevölkerung und insbesondere den Rest des Landes ist. So sind Englischkenntnisse nach wie vor bei weiten Teilen der Bevölkerung keine Selbstverständlichkeit - mit allerdings deutlichen regionalen Unterschieden: So geben über die Hälfte der Bevölkerung Flanderns und Brüssels an, Englisch zu beherrschen, jedoch unter 20% der Bevölkerung der Wallonie. Ähnlich verhält es sich auch mit Kenntnissen in der jeweils anderen großen Landessprache - auch hier liegt der Wert bei über 50% der Flamen mit Französischkenntnissen und unter 20% der Wallonen mit Niederländischkenntnissen (vgl. van Parijs). Englisch in Brüssel 13 <?page no="176"?> 176 II Länderbeispiele ZUSAMMENFASSUNG: Belgien ist ein Musterbeispiel für eine strenge Anwendung des Territorialitätsprinzips. Nachdem bis ins 20. Jahrhundert hinein niederländischsprachige Belgier strukturell diskriminiert waren, wurde durch die Aufspaltung Belgiens in einen Föderalstaat eine Gleichberechtigung von Französisch und Niederländisch erreicht. Allerdings geschah dies um den Preis, dass es zwischen den Landesteilen kaum noch Gemeinsamkeiten gibt; Sprachkonflikte kommen außerdem nach wie vor an der Sprachgrenze vor. Unproblematisch ist dagegen die Rolle des Deutschen als dritte Nationalsprache mit einer funktionierenden kulturellen Selbstverwaltung im Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft an der deutschen Grenze. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Skizzieren Sie die Entwicklung der Sprachpolitik in Belgien im 19. und 20. Jahrhundert. Was für ein Staatsverständnis steht jeweils dahinter? Welche Konflikte hat es gegeben, welche Lösungen wurden gefunden? 2. Was würde passieren, wenn sich ein Teil Belgiens, z.B. Flandern, unabhängig erklären würde? Was hätte das für Folgen in Hinsicht auf Sprachpolitik und Identität? Was würde mit den verbleibenden Teilen geschehen? 3. Versuchen Sie nachzuvollziehen, warum sich deutschsprachige Belgier nicht als Deutsche fühlen und es trotz sprachlicher und kultureller Gemeinsamkeiten mit den angrenzenden Gebieten in Deutschland in jüngerer Zeit nie ernsthafte politische Bewegungen zu einer Vereinigung mit diesen gegeben hat. 4. Was für sprachliche Auswirkungen hat Ihrer Meinung nach die Fülle der internationalen Organisationen in Brüssel? <?page no="177"?> 14 Traditionen und Mehrsprachigkeit in der Romania 14.1 Frankreich: Sprachpurismus, Ignorieren existierender Mehrsprachigkeit und Abschottung nach außen 14.1.1 Die historisch bedingte Ideologie des Purismus Frankreich ist ein Musterbeispiel für Sprachpflege und Korpusplanung einer großen nationalen Varietät. Gleichzeitig ist Frankreich das beste Beispiel für eine puristisch ausgerichtete zentralistische Sprachpolitik, die zwischen einer prestigereichen Standardvarietät und allen anderen Sprachformen unterscheidet - sehr zum Leidwesen anderer in Frankreich gebräuchlicher Varietäten (für einen Überblick vgl. etwa Braselmann 1999, 2008 oder Ager 2008). Frankreich war in der Geschichte der erste Nationalstaat, der sich der Pflege seiner Standardvarietät verschrieben hat. Daraus resultierte im Jahr 1635 die Gründung der Académie Française. Gründe dafür gab es mehrere, von entscheidender Bedeutung war jedoch der zentralstaatliche Wille der Machtausübung im ganzen Land zu einer Zeit, lange bevor die Idee eines Nationalstaates und der Nation im Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts auf der historischen Bildfläche erschien. Mit der Zentralisierung der Macht am Hofe im absolutistischen System wurde auch auf kultureller und sprachlicher Ebene die Idee eines im ganzen Land verbindlichen Standards attraktiver. Somit ist es kein Wunder, dass das heutige Standardfranzösische im Wesentlichen auf der Sprache der Region um Paris basiert. Dabei ist aus heutiger Perspektive durchaus bemerkenswert, dass der Respekt vor Minderheitensprachen in Frankreich politisch nicht etwa durch die demokratischen Ideale der Französischen Revolution gestärkt wurde. Ganz im Gegenteil: Die Verbreitung der französischen Einheitssprache folgte der Revolution, im ganzen Land sollten Strukturen geschaffen werden, die dem einfachen Volk eine Teilhabe an der Macht ermöglichten. Als Voraussetzung dafür wurde die Verbreitung des Standardfranzösischen angesehen. Dies ist durchaus mit heutigen Bestrebungen z.B. beim Aufbau von Nationalstaaten in Afrika vergleichbar, wo ebenfalls oft eine gemeinsame Staatssprache als verbindendes gesellschaftliches Element angesehen wird, dem Ideen des Schutzes regionaler Sprachen und Kulturen entgegenstehen. In Frankreich ist der Widerstand gegen die Revolution in den peripheren Regionen auch besonders stark gewesen - allerdings war dies kaum eine Reaktion auf die Sprachpolitik als vielmehr Ausdruck dessen, dass in den ländlichen Regionen die weitgehend in den Städten geprägten revolutionären Ideen auf weniger fruchtbaren Boden fielen. In diesem Zusammenhang ist eine Debatte von 1794 um die Einführung von landesweitem Französischunterricht zu sehen. Sie wurde vor allem durch einen Ausspruch berühmt, der viel drastischer war als die gesetzlichen Maßnahmen an sich, aber maßgeblich zur französischen Sprachideologie seit dieser Zeit beigetragen hat: „Föderalismus und Aberglaube sprechen Bretonisch, Emigration und Hass auf die Republik sprechen Deutsch, die Gegenrevolution Zentralismus Académie Française Französische Revolution <?page no="178"?> 178 II Länderbeispiele spricht Italienisch und Fanatismus spricht Baskisch“ (zitiert nach Schiffman 2006: 118). An der zentralistischen Ausrichtung der Sprachpolitik in Frankreich hat sich bis heute wenig geändert. Bis in die frühe Neuzeit hinein basierte das Zusammenhalten des Staates kaum auf der Idee des Nationalstaates und entsprechend spielte es für die Landbevölkerung in den Regionen zumeist keine Rolle, welchem Herrscher sie untertan waren. Dieser nahm seinerseits auf lokale Traditionen und Kulturen kaum Einfluss, solange sie nicht die Loyalität zum Herrscher (und oftmals zu seiner Religion) in Frage stellten. Allerdings leisteten auch zu dieser Zeit bereits die, wenngleich auch nur geringfügig ausgeprägten, zentralstaatlichen Elemente, wie etwa das Steuerwesen, der Verbreitung des Französischen Vorschub. Mit der Revolution kam zur Zentralisierung durch das Französische nun die Ablehnung der regionalen Sprachen hinzu, die durch den langsamen Aufbau einer umfassenderen Verwaltungsstruktur und, nicht zuletzt, den Ausbau des Bildungssystems verstärkt wurde. Dies erklärt, warum in den letzten 200 Jahren die regionalen Sprachen in Frankreich kontinuierlich an Bedeutung verloren und die lange Tradition der aktiven staatlichen Sprachpolitik sich fast ausschließlich auf das Französische bezog. Die Beschäftigung mit der „richtigen“ Sprachform setzte sich nach der Revolution fort, wodurch sich eine traditionalistische Sicht auf Rechtschreibung und Grammatik erhalten konnte. Die Académie gab ihre seit Beginn angestrebte offizielle Grammatik allerdings erst nach mehreren Jahrhunderten Arbeit im Jahr 1932 heraus. Dennoch sind seit dem 19. Jahrhundert eine Reihe anderer standardisierender Werke entstanden, die den bis heute geltenden Hang zum Purismus und die vielerorts negative Bewertung von Nichtstandardsprache bedingen. Auf der Ebene des Bildungssystems findet dies im starken Bewusstsein für ein elitäres, normgebendes Sprachverhalten seinen Ausdruck. Dies äußert sich nicht zuletzt auch in der konsequenten Aufrechterhaltung einer historischen Orthographie, die sich an traditionellen Schreibkonventionen orientiert und damit eine große Diskrepanz zur heutigen Aussprache bewirkt. Gleichzeitig werden für prestigehaltige Sprachdomänen, insbesondere für die Literatur, alte grammatische Formen wie etwa eine spezielle Vergangenheitsform des Verbes aufrechterhalten, die im mündlichen Gebrauch quasi ausgestorben sind und deren Gebrauch auch von muttersprachlichen Schreibern bisweilen ausführlich gelernt werden muss. Dass dieses Bewusstsein für eine offiziell sanktionierte Norm in weite Teile der Bevölkerung hineinreicht, wird etwa durch Fragen an sprachplanerische Institutionen und Beratungsstellen verdeutlicht, ob es etwa „korrekt“ sei, bestimmte Begriffe zu gebrauchen. Somit zeigt sich ein auf eine Zentralmacht ausgerichtetes Obrigkeitsdenken, das über die Jahrhunderte hinweg in sprachpolitischer Hinsicht ganze Arbeit geleistet hat und ein Bewusstsein der Bürger für die Normalität von Variation erschwert. Ager (2008) fasst die französische Sprachideologie entsprechend dieser historischen Entwicklungen zusammen, indem er drei Grundelemente identifiziert: Sprache ist erstens ein wesentliches Merkmal der französischen Identität. Anders als in Deutschland basiert der Zusammenhang von Sprache und Identität aber nicht auf romantischen Vorstellungen von einer mythologischen gemeinsamen Abstammung im Sinne einer Kulturnation, vielmehr verkörpert die Sprache die Freiheits- und Gleichheitswerte der Revolution und ist somit Nationalstaat vs. Herrschaftsstaat Auswirkungen der Traditionen auf heute Drei Grundelemente <?page no="179"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 179 zentrales Merkmal des demokratischen Staates. Zweitens gibt es eine lange Tradition der Unsicherheit: In der Wahrnehmung französischer Sprachbewahrer ist die französische Sprache (und damit die Nation insgesamt) traditionell durch die Regionalsprachen oder durch Bevölkerungsgruppen, die ein „anderes“ Französisch sprechen, bedroht. Heute kommt auch die Angst vor dem Einfluss des Englischen hinzu. Und drittens verkörpert das Französische als Sprache von Demokratie und Freiheit Frankreichs Größe und Stärke. 14.1.2 Heutige Sprachgesetzgebung Auch die heutige Sprachgesetzgebung in Frankreich ist durch diese Grundhaltung geprägt. Insbesondere gilt dies für die Gesetze der 1990er Jahre. Zunächst wurde 1992 der Satz „Die Sprache der Republik ist das Französische“ in die Verfassung eingefügt - und zwar als Artikel 2 und somit an prominenter Stelle. In dessen Folge wurde 1994 das Toubon-Gesetz verabschiedet, das detailliert das Französische als Sprache aller gesellschaftlicher Domänen in Frankreich festschreibt. Dazu gehören das Arbeitsleben, Bildung und Wissenschaft, die Medien und Werbung und die schriftliche Sprache in der Öffentlichkeit. Für als überflüssig empfundene Anglizismen müssen in offiziellen Kontexten französische Äquivalente gebraucht werden, anderssprachige Werbeplakate müssen eine Übersetzung auf Französisch enthalten und im Radio existiert eine Quote für französischsprachige Musik. Für technische Neuerungen entwickelt eine offizielle Kommission eine verbindliche Terminologie. Interessant ist diese Gesetzgebung auch deshalb, weil das überlieferte ideologische Fundament des französischen Staates schon seit der Revolution so tat, als gäbe es bereits ein solches Gesetz. Dabei war die offizielle Festschreibung der Rolle des Französischen, wie Schiffman (2006: 117-120) zeigt, aber gar nicht notwendig, um den gewünschten Glauben an die Dominanz und kulturelle Überlegenheit des Französischen in der Gesellschaft durchzusetzen. Dies änderte sich erst in jüngerer Zeit durch den als Bedrohung wahrgenommenen Einfluss des Englischen. Die heutigen Regeln führen dazu, dass es nicht nur zu regelmäßigen Anzeigen durch die staatliche Sprachaufsichtsbehörde kommt, sondern auch dazu, dass sich die Diskrepanz zwischen mündlicher Sprache und Schriftsprache erhalten hat und ausgefeiltes offizielles Französisch nach wie vor ein Element von Elitenbildung ist. Die ursprünglich Generaldelegation für die französische Sprache genannte staatliche Behörde ist auch für die Propagierung des Französischen etwa als Wissenschaftssprache zuständig. Sie zeigt heute aber auch Ansätze einer Statusplanungspolitik für andere Sprachen und wurde mittlerweile in Generaldelegation für die französische Sprache und die Sprachen Frankreichs umbenannt. Zudem sind die Regeln in vielen Bereichen auch nicht ausschließlich auf das Französische fixiert. So wird, wie Ager (2008: 107) anmerkt, durchaus toleriert, wenn etwa Wissenschaftler (auch) auf Englisch Vorträge halten, wohl wissend, dass sie ansonsten international kaum Aufmerksamkeit erführen. Dies ist zwar gegen den Geist des Sprachgesetzes, aber nicht im strengen Sinne illegal. Insgesamt zeigt sich hier besonders deutlich, dass die französische Sprachpolitik hinsichtlich der internationalen Stellung des Französischen von Prämissen ausgeht, die heute kaum noch haltbar sind. Braselmann (2008) fasst zusammen, dass die strengen Ansätze der 1990er Jahre Heutige Gesetzgebung <?page no="180"?> 180 II Länderbeispiele heute durch eine viel umfangreichere Politik ersetzt wurden, die wieder den Wert der Gebrauchsnorm in den Mittelpunkt rückt. Die internationale Stellung des Französischen wird vom französischen Staat durch die Organisation der Francophonie gefestigt. Französisch ist nach wie vor die nach Englisch international am zweithäufigsten gebrauchte Sprache. Dies gilt nicht nur auf EU-Ebene, wo die Ansiedlung der wichtigsten Institutionen auf französischsprachigem Gebiet (Brüssel, Strasbourg, Luxemburg) zur Stellung des Französischen im Arbeitsalltag beiträgt, sondern auch etwa in Organisationen der Vereinten Nationen. Der Francophonie gehören - ganz im Sinne des ideologischen Elementes der Verbreitung nicht nur der französischen Sprache, sondern auch von französischer „Zivilisation“ - 57 Staaten und Territorien an (so sind etwa nicht nur Kanada als Gesamtstaat, sondern auch Quebec und New Brunswick als Provinzen vertreten), in denen Französisch entweder Mutter- oder Amtssprache ist, oder die sich der französischen Kultur verbunden fühlen. Weitere 20 Staaten haben Beobachterstatus, darunter auch solche, bei denen der Bezug zur französischen Sprache zunächst nicht offensichtlich ist, wie etwa Österreich, die Ukraine, Uruguay oder die drei baltischen Staaten. Hierdurch - und etwa auch durch internationale Kulturinstitutionen wie das Institut Français mit 96 Kulturzentren in aller Welt - werden nicht nur die Sprache, sondern auch die traditionellen Werte Frankreichs verbreitet. 14.1.3 Minderheitensprachen in Frankreich Durch die traditionelle Konzentration auf die Bewahrung des Französischen sowie die Skepsis gegenüber anderen Sprachen sind die vielen autochthonen Minderheitensprachen Frankreichs immer wieder auf der Strecke geblieben. Deren Sprecherzahl ist in allen Regionen spätestens seit der Französischen Revolution stark rückläufig. Somit ist auch vielen Franzosen nur wenig geläufig, dass eine Vielzahl anderer Sprachen in Frankreich gesprochen wird - und dies nicht erst in Form der seit dem 20. Jahrhundert ins Land gekommenen Sprachen von Migranten. Die autochthonen Minderheitensprachen werden auch heute oftmals noch als „Patois“ bezeichnet - womit ausdrücklich ein Gegensatz zu „vollwertigen Kultursprachen“ wie dem Französischen aufgebaut wird (zu einem Überblick über die Sprachen Frankreichs aus historischer und aktueller Perspektive siehe Kremnitz/ Broudic 2013). Internationale Stellung des Französischen <?page no="181"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 181 Abbildung 30: Straßenschilder in der Innenstadt von Strasbourg. Man beachte die Hierarchie der Sprachen: Französisch ist wichtiger und somit weiter oben angebracht als Elsässisch, außerdem kommt Elsässisch nur auf einem Schild vor, die Informationen jenseits des Straßennamens sind ausschließlich auf Französisch. Trotz der staatlichen Politik haben die regionalen Sprachen in den meisten Regionen bis heute zumindest in Nischen überdauert. In den letzten Jahrzehnten hat es, ähnlich wie in vielen anderen Ländern, auch verstärkt Bemühungen seitens der Bevölkerung gegeben, diesen Regional- und Minderheitensprachen wieder einen größeren Stellenwert einzuräumen. Dabei gibt es derartige Sprachen an allen Rändern Frankreichs: Im Südwesten schließen sich an die entsprechenden Sprachgebiete auf spanischem Staatsgebiet baskisch- und katalanischsprachige Regionen an. Im Nordwesten ist in der Bretagne auch heute noch das Bretonische - als keltische Sprache mit dem Walisischen verwandt - die zahlenmäßig stärkste Minderheitensprache in Frankreich. Im Norden und Nordosten gibt es mehrere Regionen mit germanischen Minderheitensprachen: Während an der Grenze zu Belgien nur noch wenige Sprecher des Niederländischen übrig sind, gibt es durchaus noch eine größere Anzahl an Sprechern von Varietäten, die früher als Dialekte des Deutschen betrachtet wurden. Heute werden diese von ihren Sprechern zumeist als eigene Varietäten angesehen: Es handelt sich dabei um das moselfränkische Platt, das dem Luxemburgischen nahe ist, und das Elsässische, das den alemannischen Dialekten in der Schweiz und in Baden ähnelt (Broadbrigde 2000). Auf Korsika haben Sprecher des Korsischen, das sprachlich eng mit dem Italienischen verwandt ist, bisweilen durch politischen Separatismus auf sich aufmerksam gemacht, auch wenn dieser nur eine extreme Spielart der politischen Forderungen darstellt. Schließlich sind das Frankoprovenzalische und das Okzitanische als Regionalsprachen in der Südhälfte Frankreichs präsent. Für das Okzitanische gilt, dass es - ähnlich wie Niedermit Hochdeutsch - eng Hoffnungen auf größere Anerkennung der Minderheitensprachen <?page no="182"?> 182 II Länderbeispiele mit dem Französischen verwandt ist, jedoch von seinen Sprechern verstärkt auch als eigene Sprache wahrgenommen wird, u.a. weil es auf eine eigene mittelalterliche Schriftkultur zurückblicken kann. Aufgrund der Ähnlichkeit fallen Abgrenzungsbestrebungen vom Französischen als Hauptsprache der Gesellschaft auch sehr viel moderater aus als bei den meisten anderen Sprachgruppen (Priest 2008). Gewisse Hoffnungen auf Seiten der Sprecher der Minderheitensprachen wurden nach dem Jahr 1999 durch den von der Regierung in Auftrag gegebenen, nach dem Leiter der Arbeitsgruppe benannten Cerquiligni-Bericht zur Mehrsprachigkeit in Frankreich geweckt. Dieser ist allerdings bisher ohne größere Auswirkungen geblieben. Dabei zeigt sich, dass die Frage der Unterstützung von Minderheitensprachen nicht zuletzt von der politischen Ausrichtung der aktuellen Machthaber abhängt: Im Präsidentschaftswahlkampf 2007 etwa wurden Forderungen nach einer größeren Anerkennung bis hin zu einer Implementierung der Europäischen Sprachencharta von der sozialistischen Opposition unterstützt, vom späteren Gewinner und Präsidenten Sarkozy aber abgelehnt. Auf der anderen Seite wurde bei einer Verfassungsänderung 2008 ein Artikel eingefügt, der die Regionalsprachen (damit sind die autochthonen Minderheitensprachen gemeint) zum Kulturerbe erklärt. Was für konkrete Auswirkungen dies haben wird, ist allerdings nach wie vor unklar, zumal die Rolle des Französischen als Staatssprache dadurch nicht in Frage gestellt wird. Aufgrund der Tradition des Zentralstaates, der Frankreich als Kulturnation mit einer einzigen Sprache begreift, ist eine offizielle Anerkennung der Minderheitensprachen jedoch bisher ausgeblieben. Alle offiziellen Funktionen werden ausschließlich in Französisch wahrgenommen - wobei diese Regelung aufgrund des traditionellen Prestiges des Französischen in der Bevölkerung oft leichtes Spiel hat. Auch im Bildungssystem gibt es allenfalls halbherzige Unterstützung für Unterricht in den Minderheitensprachen als Zweitsprache durch die regionalen Behörden. So ist es heute möglich, Bretonisch als Wahlfach in den Schulabschlussprüfungen zu wählen, Unterricht in anderen Fächern findet aber ausschließlich auf Französisch statt. Nachdem 1951 das Deixonne-Gesetz zwar grundsätzlich den Unterricht in Minderheitensprachen erlaubt, sich aber in der Praxis wenig geändert hatte, wurde als Reaktion darauf in den 1970er Jahren von Sprachaktivisten das Diwan-System von privaten Bretonisch-Klassen geschaffen. Trotz derartiger Bemühungen nimmt die Sprecherzahl des Bretonischen aber nach wie vor ab, da zu wenige junge Sprecher nachwachsen. In den Medien werden Regionalsprachen geduldet, Sender und Zeitungen erhalten aber nur begrenzt staatliche Unterstützung. Bereiche, in denen Minderheitensprachen durchaus vorkommen, sind Orts- und Straßenschilder sowie der symbolische Gebrauch in touristischen Einrichtungen - wenngleich auch nicht flächendeckend und bisweilen nicht unter allgemeiner Akzeptanz. So wichtig diese Präsenz auf der symbolischen Ebene auch ist, darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch in Frankreich durch derartige Maßnahmen keine konkreten Möglichkeiten eines erweiterten Sprachgebrauchs geschaffen werden und somit die Gefahr besteht, dass Forderungen nach mehr Unterstützung auf einer rein oberflächlichen Ebene als erfüllt angesehen werden, ohne dass ein stärkeres staatliches Engagement folgen würde (vgl. Määttä 2005). Ähnliches wie für die Minderheitensprachen gilt auch in denjenigen Regionen, in denen eine Varietät gesprochen wird, die Situation der Minderheitensprachen heute <?page no="183"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 183 traditionell als Dialekt des Französischen gesehen wird, etwa in der Picardie im Norden des Landes. Gleichzeitig zeigen etwa juristische Auseinandersetzungen wie die Geldstrafe für einen bretonischen Aktivisten im Dezember 2013, der einen Aufkleber in Bretonisch auf ein Straßenschild geklebt hatte (Ouest France 2014), dass Minderheitensprachen in Frankreich auch heute noch ein großes Konfliktpotential in sich tragen. ZUSAMMENFASSUNG: Frankreich hat mit der Académie Française eine der ältesten Sprachpflegeorganisationen und damit eine der ältesten sprachpolitischen Traditionen überhaupt. Daher rührt auch die puristische Haltung gegenüber der französischen Sprache in Korpus- und Statusplanung. Darüberhinaus gibt es in Frankreich eine Vielzahl an Minderheitensprachen wie Korsisch, Bretonisch, Okzitanisch oder Elsässisch. Sprachpolitische Maßnahmen für diese Sprachen werden jedoch zumeist von Aktivisten initiiert und stellen die Dominanz des Französischen nicht in Frage. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Worin unterscheiden sich die Tradition der Sprachpolitik und die Verbindung von Sprache und Nation in Frankreich von der in Deutschland und anderen Staaten? 2. In der Bevölkerung Frankreichs sind Ansichten verbreitet, der Gebrauch mancher Wörter sei „korrekt“ und der anderer nicht. Was halten Sie davon? Kennen Sie derartige Haltungen in Ihrem Umfeld oder sonst im deutschsprachigen Raum? 3. Das gegen das Englische gerichtete Toubon-Gesetz, das untersagt, etwa in der Werbung ausschließlich eine Fremdsprache zu benutzen, ist eine der umstrittensten Entscheidungen der französischen Sprachpolitik in den letzten Jahrzehnten gewesen. Meinen Sie, dass eine solche Maßnahme erfolgreich sein kann? Welchen politischen und ideologischen Werten steht das Gesetz entgegen? 4. Warum stehen die Minderheitensprachen in Frankreich wie das Bretonische heute deutlich schlechter da als vergleichbare Minderheitensprachen in anderen Ländern, z.B. in Spanien? 5. Wie erklären Sie, dass das Elsässische heute von seinen Sprechern in der überwiegenden Mehrheit als eigenständige Sprache angesehen wird, während es früher oft auch als Dialekt des Deutschen bezeichnet wurde? Was halten Sie davon, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf der deutschen Seite der Grenze und in der Schweiz Mundarten gesprochen werden, die dem Elsässischen sehr ähnlich sind? <?page no="184"?> 184 II Länderbeispiele 14.2 Spanien: Musterbeispiel regionaler sprachlicher Autonomie Spanien ist ein Beispiel für ein Land, das von einer komplexen Mehrsprachigkeitssituation gekennzeichnet ist, und dabei gleichzeitig gezeigt hat, was sprachpolitische Maßnahmen innerhalb relativ weniger Jahre in Hinblick auf Akzeptanz von Sprachen in der Gesellschaft und Veränderung sprachsoziologischer Verhältnisse bewirken können. Insbesondere gilt dies für die drei großen unter den regionalen Sprachen, Baskisch, Galizisch und Katalanisch, jedoch sind in den letzten Jahren auch für eine Reihe weiterer Varietäten interessante Entwicklungen festzustellen. 14.2.1 Sprachpolitik für das Spanische Zunächst soll die Sprachpolitik hinsichtlich des Spanischen selbst betrachtet werden, die in der internationalen Diskussion spanischer Sprachpolitik weniger prominent ist (vgl. zu einem Überblick Gstrein 2008). Dabei wird oft nicht vom Spanischen, sondern vom Kastilischen gesprochen. Die Varietät, die heute allgemein als Spanisch bezeichnet wird und durch das ehemalige spanische Kolonialreich auch weltweit Verbreitung erfahren hat, geht auf die zentralspanische Region Kastilien zurück, in deren Mittelpunkt die Hauptstadt Madrid liegt, und auf das spanische Königshaus. Neben der sprachlichen Diversität innerhalb seiner Landesgrenzen ist Spanien somit sprachpolitisch auch als Zentrum und Ausgangspunkt der Verbreitung des Spanischen als Weltsprache bedeutsam. Zur Sprachpolitik gegenüber dem Spanischen gehört eine Reihe alter Institutionen, die - ähnlich wie in Frankreich - seit der Frühen Neuzeit die spanische Sprache beeinflusst und pflegt. Wichtigste dieser Institutionen ist die Königliche Spanische Akademie, die 1713 gegründet wurde und seitdem maßgeblich die Korpuspflege des Kastilischen betreibt. Die noch im 18. Jahrhundert entstandene Rechtschreibung, eine Grammatik sowie ein Wörterbuch bilden auch heute noch die Grundlage des Spanischen. Allerdings sind diese Werke regelmäßig modernisiert worden, so dass es nicht zu einer derartigen Traditionalisierung gekommen ist wie in Frankreich. Zuletzt wurde 1999 eine neue Rechtschreibung vorgelegt, an der auch Sprachpflegeinstitutionen aus anderen spanischsprachigen Ländern mitgearbeitet haben. Heute bietet die Akademie auch Sprachberatungsdienste an und versucht, moderne Sprachentwicklungen aufzunehmen. Sie ist also nicht nur präskriptiv tätig, indem sie eine Norm festlegt, sondern beschreibt auch den tatsächlichen Sprachgebrauch, arbeitet also auch deskriptiv. Ziel ist, die Diskrepanz zwischen schriftlicher und mündlicher Sprache nicht zu groß werden zu lassen. Auch hierin unterscheidet sich der Ansatz von Frankreich, so dass Lebsanft (2002: 298) konstatiert, die Akademie sei „modernisierungsfähiger, als manche Kritiker wahrhaben mögen“. Gstrein (2008) zeigt außerdem, dass - wie in vielen anderen Ländern - Anglizismen ein Schwerpunkt der sprachpolitischen Debatte sind. Mit diesen herrscht in der Gesellschaft und seitens einflussreicher Sprachinstitutionen aber ein recht entspannter Umgang. Schließlich betreibt - ebenso als Parallele zu Frankreich - auch Spanien eine auswärtige Sprachpolitik (vgl. Kapitel 3.4). Dazu gehört das Instituto Cervantes, das ähnlich wie das Goethe-Institut mit Kastilisch Traditionen der Korpusplanung <?page no="185"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 185 einem Netz von mehr als 70 Filialen Sprachkurse sowie ein Kulturprogramm organisiert und Biblitoheken unterhält. 14.2.2 Die historische Entwicklung der Regionen Der Grund, warum Spanien in vielen sprachpolitischen Debatten einen herausragenden Platz einnimmt, ist allerdings in den statuspolitischen Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten zu sehen. Dies gilt insbesondere für die Sprachen an den Rändern des spanischen Staates. Dabei schreibt die spanische Verfassung, die 1978 in der Übergangszeit vom Franco-Regime zur Demokratie entstand, zunächst die Rolle der spanischen Sprache fest. Kastilisch ist die offizielle Sprache des spanischen Staates, und alle Spanier haben nicht nur das Recht, sie zu benutzen, sondern sogar die Pflicht, sie zu kennen. Dies ist insofern interessant, als dass die Pflicht, eine Sprache zu kennen, eine für Verfassungen ausgesprochen ungewöhliche Formulierung ist. Dies geht deutlich über die Festschreibung als Amtssprache hinaus - wird dadurch doch impliziert, dass jemand ohne derartige Kenntnisse gegen die Verfassung verstößt. Der darauf folgende Absatz der Verfassung schafft dann aber die Grundlage für die heutige offizielle Vielsprachigkeit, wobei diese historisch nichts Neues ist. Sie spielte - ähnlich wie in Frankreich - lange nur eine untergeordnete Rolle: Wichtig war die Sprache des Hofes, wobei es für die Herrschenden weitgehend unerheblich war, welcher Sprache sich ihre Untertanen bedienten. Die historische Entstehung des spanischen Staates geht auf die Reconquista zurück, die Wiedereroberung der iberischen Halbinsel von den islamischen Mauren durch christliche Fürstentümer. Diese war 1492 abgeschlossen und führte zunächst zum Entstehen einer Reihe kleinerer Herrschaftsbereiche. Die drei wichtigsten waren Kastilien, Aragón (Katalonien) und Portugal. Diese Gebiete bildeten die Grenzen für die Entwicklung voneinander unabhängiger romanischer Varietäten und ihrer auch schriftsprachlichen Verwendung in offiziellen Kontexten, d.h. primär am Hof und in der Verwaltung. Während Portugal nur für kurze Zeit mit dem Rest der Halbinsel vereint war, bedeutete die Vereinigung der Kronen von Kastilien und Aragón den Beginn dessen, was wir heute als Spanien kennen. Damit war zugleich ein Gegensatz geschaffen, der bis heute zentral für die spanische Gesellschaft ist. Die Konkurrenz zwischen Kastilien und Katalonien, zwischen Madrid und Barcelona sowie der kastilischen und katalanischen Sprache führt nicht nur zu immer stärkeren Forderungen nach einer staatlichen Unabhängigkeit Kataloniens, sondern zeigt sich auch in der Populärkultur wie dem Gegensatz zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid im Fußball. In politischer Hinsicht hatte diese Situation oft jedoch sehr viel bitterere Konsequenzen, insbesondere für die katalanische Seite. Im Laufe der Jahrhunderte wurde immer mehr Macht von der Zentrale in Madrid absorbiert, was jedoch nicht verhinderte, dass im 19. Jahrhundert eine katalanische Nationalkultur entstand. Eine kurzzeitige katalanische Autonomie wurde durch den Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg abrupt beendet - zumal der Bürgerkrieg zwischen Demokraten und Faschisten auch ein Krieg zwischen Zentralismus und Regionalismus war. Sprachen wie das Katalanische und das Baskische wurden Verfassung von 1978 Historischer Gegensatz der Landesteile Spaniens Franco-Diktatur <?page no="186"?> 186 II Länderbeispiele weitgehend verboten, viele katalanische Intellektuelle emigrierten. Das Sprachverbot bezog sich nicht nur auf den Gebrauch bei offiziellen Anlässen - selbst privat waren andere Sprachen als Kastilisch nicht statthaft. Daraus entstand das, was heute als „verlorene Generation“ bezeichnet wird - eine Generation, die während der Diktatur aufwuchs und dadurch die Sprache ihrer Eltern nicht lernen konnte, nach der Demokratisierung jedoch oftmals Wert darauf legte, dass ihre Kinder wieder die Sprache der Großeltern lernten. Abbildung 31: Sprachen Spaniens. https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Sprachen_ auf_der_Iberischen_Halbinsel.jpg. Somit ist die Politik der Regionen seit der Demokratisierung in den 1970er Jahren in erster Linie darauf ausgerichtet gewesen, politische Autonomie und Förderung der regionalen Sprachen zu verbinden. Die neue Verfassung erlaubte die Ausrufung von autonomen Gebieten. Diese nehmen allerdings nicht die Form von Bundesländern innerhalb eines Bundesstaates an, sondern sind lediglich Provinzen mit einem starken Grad an Eigenverantwortung (vgl. Arzoz 2009). Die spanische Verfassung trägt dem Dualismus von Zentralstaat und Regionalismen in sprachlicher Hinsicht Rechnung, indem sie explizit gestattet, dass in den Regionen weitere Sprachen zu zusätzlichen Amtssprachen erklärt werden dürfen. Letzteres geht einher mit der Regelung der so genannten Autonomiestatuten für die Regionen. Autonome Regionen <?page no="187"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 187 Heute werden folgende Gebiete und Sprachen unterschieden: Katalanisch (mit Valencianisch und Balearisch) hat je nach Quelle zwischen 6 und 10 Millionen Sprecher. Baskisch wird im Baskenland und in Navarra von 600- 700.000 Menschen gesprochen, Galizisch in Galizien von etwa 2,5 Millionen. Von den unbekannteren Sprachen ist Asturisch/ Leonesisch die größte mit etwa 400.000 Sprechern, Aragonesisch hat etwa 30.000 und Aranesisch etwa 5.000 Sprecher (vgl. Mercator Education und Mercator Rights and Legislation). 14.2.3 Katalonien Katalonien hat seit der Demokratisierung die vermutlich stärkste Sprachpolitik aller Regionen Spaniens betrieben (grundlegend zur katalanischen Sprachpolitik der letzten Jahrzehnte: Hall 2001, Strubell/ Boix-Fuster 2011). Das demographische Verhältnis von ursprünglichen Katalanen und Zugezogenen ist dafür günstiger gewesen als im Baskenland oder in Galicien, so dass seit der Demokratisierung bis 2003 stets das moderat nationalistische Parteienbündnis CiU die Regionalregierung stellen und die Autonomie gestalten konnte. Außerdem ist die Tradition des katalanischen Regionalismus stark mit der Sprache verbunden gewesen: Da die Region erst im 18. Jahrhundert endgültig vom spanischen Zentralstaat einverleibt wurde, konnte sich über mehrere Jahrhunderte eine katalanische Sprachkultur entwickeln, die im 19. Jahrhundert wieder aufgegriffen wurde. Zur Zeit der spanischen Republik, bevor diese durch Franco besiegt wurde, wurde dem Katalanischen volle Gleichberechtigung in offiziellen Funktionen zugesprochen. Aus dieser Zeit stammen auch Standardisierungsmaßnahmen und die Gründung des Instituts für Katalanische Studien, das heute quasi-offiziellen Status hat. Gleichzeitig hat dem Katalanischen geholfen, dass es - insbesondere im Schriftbild - dem Kastilischen sehr ähnlich ist und somit das Erlernen für Kastilischsprachige viel weniger Mühe erfordert als etwa das Lernen des Baskischen. Schließlich hat auch der wirtschaftliche Erfolg der Region und die damit verbundene Anziehungskraft der Metropole Barcelona ihren Teil dazu beigetragen, dass sich ein ausgeprägtes katalanisches Regionalbewusstsein entwickeln konnte. Auf der sprachlichen Ebene ist das Schlagwort, das von der Generalitat, der Regionalregierung, verwendet wird, das der „Normalisierung“: Das Sprachgesetz von 1998 regelt, dass der Gebrauch des Katalanischen in allen Bereichen der Gesellschaft als normal empfunden werden soll. Katalanisch und Kastilisch sind Amtssprachen, aber nur Katalanisch hat die symbolische Bedeutung als Heimatsprache der Region. Die Normalisierung wird durch eine starke Gesetzgebung vorangetrieben, die dem Katalanischen in allen Bereichen Priorität einräumt, einschließlich der Privatwirtschaft. Dies ist ein klassischer Fall von positiver Diskriminierung: Es werden Regelungen eingeführt, die einer gefährderten Varietät Sonderrechte einräumen, in diesem Falle mit Hilfe einer Politik des „aktiven Angebots“. In Bezug auf die wichtigsten Domänen bedeutet dies, dass die Verwaltung konsequent Katalanisch verwendet und - bedingt durch die Vorgaben des Zentralstaates - Kastilisch nur als zweite Option anbietet. Die Schulpolitik setzt auf vollen Unterricht auf Katalanisch, Kastilisch wird als Unterrichtsfach Sprachliche „Normalisierung“ in Katalonien <?page no="188"?> 188 II Länderbeispiele gelehrt. Die Regionalregierung hat außerdem Medien auf Katalanisch ins Leben gerufen bzw. unterstützt katalanischsprachige Privatmedien, so dass es heute eine Bandbreite von Fernsehsendern, Radio und Printmedien auf Katalanisch gibt. Neben diesen bleiben aber auch die spanischsprachigen Medien wichtig. Für Geschäfte gilt, dass die Möglichkeit gegeben sein muss, Katalanisch zu benutzen, und dass etwa Schaufensteraushänge „mindestens auf Katalanisch“ sein müssen: Es dürfen auch andere Sprachen gebraucht werden, diese dürfen jedoch nicht auffälliger sein als eine entsprechende Version auf Katalanisch. Außerdem ist Katalonien neben Quebec eine der wenigen Regionen in der Welt, die ohne staatliche Souveränität eine eigene Außenpolitik betreiben. So gibt es katalanische Handelsbüros und Kulturinstitute, und die Generalitat finanziert Katalanischlektoren an ausländischen Universitäten. Diese Politik scheint Früchte zu tragen: Die Kompetenz im Katalanischen ist heute so hoch, dass bisweilen schon von der Gefahr gesprochen wird, dass Kinder das Kastilische nicht mehr in ausreichendem Maße lernen und Kastilischsprecher eine neue Art von Minderheit darstellen. Dennoch weist etwa Vila i Moreno (2008) darauf hin, dass Katalanisch insgesamt trotz der erfolgreichen Spracherwerbspolitik gegenüber dem Kastilischen auch heute noch unter Druck stehe: Zum einen sind alle Belange, die den spanischen Zentralstaat betreffen, ausschließlich auf Kastilisch, zum anderen stirbt die Generation der Katalanischsprecher aus den Zeiten vor Franco langsam aus, und schließlich ist aus Sicht der katalanischen Sprachpolitik die verstärkte Migration seit den 1990er Jahren ein Grund zur Sorge, da Migranten zumeist eher Kastilisch als Katalanisch sprechen. Ein interessantes Beispiel dafür, zu welch verschiedenen Resultaten unterschiedliche sprachpolitische Bedingungen führen können, sind die anderen katalanischsprachigen Regionen in Spanien (Valencia, die Balearen und kleine Teile von Aragón). Diese zeigen auch, wie die Abgrenzung von Sprachen und Dialekten rein politisch motiviert sein kann. Die Region Valencia wird allgemein als Teil der „katalanischen Länder“ bezeichnet, allerdings ist die Stellung des Valencianischen, besonders in der Stadt Valencia selbst, deutlich weniger stark als in Katalonien, zumal die städtischen Eliten heute eher Kastilisch sprechen. Dabei muss sich Valencia in seiner Identität in zwei Richtungen abgrenzen - gegen den spanischen Zentralstaat, aber auch gegen das größere Katalonien und Barcelona. Die Sprachpolitik in Valencia ist deutlich moderater als in Katalonien - auch hier wird die Regionalsprache unterstützt, allerdings mit weniger gesetzlicher Unterstützung und deutlich weniger aktivem Impetus. Hier zeigt sich auch unmittelbar, welchen Einfluss politische Präferenzen haben können: So ist die konservative pro-spanische Volkspartei in Valencia deutlich stärker als in Katalonien. Aus politischen Gründen wird außerdem stets vom Valencianischen gesprochen - auch wenn die Unterschiede zum Katalanischen ausgesprochen gering sind und die Schriftsprache quasi identisch ist. Andere Katalanischsprachige Regionen <?page no="189"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 189 Abbildung 32: Diskussionsprozesse zu Sprache und Identität im öffentlichen Raum in Valencia: Aufkleber „Die Valencianer sind keine Spanier“ mit ausradiertem no. 14.2.4 Baskisch und kleinere Regionalsprachen Ähnlich wie in Katalonien ist auch die historische Entwicklung im Baskenland verlaufen, wobei sich die Verhältnisse sprachlich in zweierlei Hinsicht deutlich unterscheiden: Zum einen ist der sprachliche Abstand zwischen dem Baskischen und den romanischen Sprachen eklatant, was das Erlernen ungleich schwieriger macht. Das Baskische ist hinsichtlich seiner Verwandtschaft mit anderen Sprachen isoliert und kann keiner Sprachfamilie zugerechnet werden. Zum anderen ist die sprachliche Zusammensetzung der Bevölkerung eine andere, weil das Baskenland seit dem frühen Mittelalter viel enger mit Spanien verwoben war als Katalonien, und somit auch das sprachliche Nebeneinander stets ausgeprägter. Die Stadtbevölkerung und die Eliten sind eher spanischsprachig, die Landbevölkerung spricht eher Baskisch. Die Verknüpfung von Sprache und Nationalismus ist demzufolge nicht so eindeutig wie in Katalonien: Auch spanischsprachige Basken können sich aufgrund eines eher ethnisch als sprachlich bedingten Nationalismus als Basken empfinden, während in Katalonien häufig betont wird, dass jeder Katalane werden kann, der Katalanisch spricht und sich dazu bekennt. Das baskischsprachige Gebiet ist heute in drei Teile geteilt: In der autonomen spanischen Region des Baskenlandes sind Baskisch und Spanisch gleichberechtigte Amtssprachen, in der benachbarten Region Navarra ist Baskisch in einem Teil zweite Amtssprache. In den französischen Teilen des Baskenlandes hat das Baskische dagegen keinen offiziellen Status (vgl. dazu Kapitel 14.1 zu Frankreich). In keiner dieser Regionen sind Baskischsprecher in der Mehrheit - wobei das Baskische als Symbol auch von spanischsprachigen Basken akzeptiert wird und die Frage der politischen Orientierung zu mehr Autonomie bzw. mehr Integration in den spanischen Staat nicht unbedingt eine Frage der Sprachbeherrschung ist. Aufteilung des baskischsprachigen Gebietes <?page no="190"?> 190 II Länderbeispiele In der internationalen Presse wurde das Baskenland in den vergangenen Jahrzehnten zumeist in Verbindung mit den terroristischen Aktivitäten der ETA erwähnt. Während die ETA ihren Ursprung im Widerstand gegen die Franco-Diktatur hatte und sich zu dieser Zeit relativ großer Beliebtheit erfreute, ist ihre Akzeptanz heute durchwachsen. Während die überwiegende Mehrheit auch der nationalistischen Basken die Methoden der ETA ablehnt, so wird doch die Behandlung der Region durch den spanischen Staat oftmals als Gängelung empfunden. Maßnahmen wie etwa die Schließung von Zeitungen wurden als ausgesprochene Provokation des Zentralstaates angesehen, und auch das Verbot ETA-naher politischer Parteien wird negativ bewertet. Dies war insbesondere der Fall, als bei den Regionalwahlen 2009 die pro-spanischen Parteien zum ersten Mal seit der Demokratisierung Spaniens eine Mehrheit im baskischen Regionalparlament erreichen konnten. Bei politischen Veranstaltungen für Autonomie oder sogar eine staatliche Unabhängigkeit treten oftmals moderate und radikale Nationalisten nebeneinander auf. So herrscht insgesamt eine Atmosphäre, in der klare Aussagen vermieden werden und entsprechend Vorsicht herrscht. Die Sprachpolitik im Baskenland fördert heute, ähnlich wie in Katalonien, das Baskische in allen gesellschaftlichen Domänen. In den Schulen herrscht das so genannte ABD-Modell, in dem Schüler Unterricht nach einem von drei sprachlichen Modellen wählen können. Baskische Schulen führen Unterricht - grob betrachtet - nur auf Baskisch, nur auf Spanisch oder in beiden Sprachen durch. Dabei ist zu bemerken, dass die Zahl der Schüler im baskischen Zweig seit der Einführung des Modells kontinuierlich zugenommen hat. Von der Bevölkerung werden die sprachpolitischen Maßnahmen durch eigene Aktionen unterstützt. So sind Sprachschulen stark verbreitet, in denen auch Erwachsene Baskisch lernen können (zum baskischen Bildungssystem vgl. Cenoz 2008, 2009). Die anderen Regionalsprachen in Spanien stehen im Gegensatz zum Katalanischen und Baskischen deutlich weniger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die dritte große neben diesen Sprachen ist das Galizische, das dem Portugiesischen ähnelt und in der sprachwissenschaftlichen und sprachpolitischen Debatte manchmal als dessen Varietät bezeichnet wird. Aus politischen Gründen ist es heute jedoch zutreffend, das Galizische als eigene Sprache zu bezeichnen. Maßnahmen zu dessen Förderung fallen geringer aus und sind - wie in Valencia - eher auf eine Koexistenz ausgerichtet, die eine Beibehaltung des Status quo der unterschiedlichen Funktionen anstrebt: Spanisch als prestigereiche Sprache der Städte, Galizisch als ländliche Sprache. Galizisch wird auch in den Schulen gelehrt und in offiziellen Kontexten gebraucht, jedoch ohne anzustreben, dass diese das Kastilische ersetzt. Ähnlich wie in Valencia geht dies politisch damit einher, dass zumeist die pro-spanische Volkspartei die Regionalregierung stellt. Schließlich sollen noch einige kleinere regionale Varietäten Erwähnung finden, die sich von den drei großen Regionalsprachen in erster Linie durch ihre heute deutlich geringere Verbreitung unterscheiden. So haben das Aragonesische und das Asturische erst in den vergangenen Jahren wieder ein geringes Maß an Unterstützung erfahren. Diese spielt sich in den meisten Fällen auf der Ebene lokaler Aktivitäten einzelner Aktivistengruppen ab, die von Sprachpolitik im Baskenland Galizien Kleinere Minderheitensprachen <?page no="191"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 191 den Provinzregierungen eine gewisse finanzielle Unterstützung erhalten. Außerdem soll in diesem Zusammenhang auch noch das Aranesische erwähnt werden: Als Varietät des Okzitanischen genießt das Aranesische im katalanischen Val d’Aran lokalen offiziellen Status. Dies macht diese kleine Region zum einzigen offiziell dreisprachigen Gebiet Spaniens, in dem Aranesisch, Katalanisch und Kastilisch Amtssprachen sind. Aufgrund der geringen Sprecherzahlen ist jedoch ungewiss, welche Erfolgsaussichten die Maßnahmen zur Förderung des Aranesischen haben. Interessant ist daran auch, dass das Val d’Aran damit die einzige Region ist, in der das Okzitanische überhaupt offiziellen Status genießt - obwohl seine Verbreitung in Frankreich um ein Vielfaches über die in Spanien hinausgeht. ZUSAMMENFASSUNG: Spanien ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Regionalisierung von Sprachpolitik. Es hat eine lange Tradition der Sprachpolitik für das Kastilische, ist heute aber insbesondere für die Aufwertung der Regionalsprachen seit dem Ende der Franco-Diktatur bekannt. Insbesondere für das Katalanische, in geringerem Maße auch für das Baskische und Galizische und andere Sprachen, hat durch die Regionalregierung eine „Normalisierungspolitik“ stattgefunden, nach der ein Leben in der Regionalsprache auch im öffentlichen Bereich heute weitgehend möglich ist. Damit sind die spanischen Regionen ein Musterbeispiel für die staatlich gelenkte Umkehr der Konsequenzen eines früheren Sprachverbots. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Empfinden Sie die spanische Sprachpolitik als gelungen? Könnte diese ein Vorbild für andere mehrsprachige Länder sein? 2. Worin unterscheiden sich das Zusammenspiel von Sprache und Nationalismus im Baskenland und in Katalonien? 3. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es in der Sprachpolitik für das Spanische in Spanien im Vergleich mit der Sprachpolitik für das Französische in Frankreich? 4. Wie beurteilen Sie vor dem historischen und sprachpolitischen Hintergrund die anhaltenden Separationsbzw. Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Regionen, die insbesondere im Baskenland nach wie vor gelegentlich terroristische Züge annehmen? 5. Was halten Sie vom Konzept der „Normalisierung“ in Katalonien und wie finden Sie die Regelung, dass sprachliche Zeichen im öffentlichen Raum „mindestens auf Katalanisch“ sein müssen? Was bedeutet dies für Sprecher des Kastilischen und für Migranten? 6. Recherchieren Sie im Internet, wie der aktuelle Stand der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens oder des Baskenlandes ist. Welche Parteien haben die Macht in den Regionalregierungen? Wie wirkt sich dies auf aktuelle sprachpolitische Maßnahmen aus? 7. Welche sprachpolitischen Maßnahmen führt der spanische Staat für das Kastilische aus? Warum, meinen Sie, werden diese in der Öffentlichkeit oftmals weniger wahrgenommen? <?page no="192"?> 192 II Länderbeispiele 8. Große Teile der katalanischsprachigen Gebiete, darunter die Balearen incl. Mallorca, sind wichtige Touristenziele, auch für deutsche Touristen. Recherchieren Sie, wie Reiseveranstalter die sprachliche Situation in diesen Gebieten darstellen. Wird Katalanisch erwähnt? Welche Auswirkungen hat dies auf die Wahrnehmung der Region? 14.3 Italien: Sprachminderheiten im Aufwind Italien gehört deshalb in die exemplarische Liste von Erscheinungen der Sprachpolitik, weil sich hier verschiedene sprachpolitische Elemente verbinden: Eine lange Tradition der Korpusplanung, die dennoch erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit zu einer weitgehenden Vereinheitlichung der Sprachformen im ganzen Land geführt hat, tritt in Kombination mit einer Vielzahl von Minderheitensprachsituationen, in denen in sehr unterschiedlichem Maße auf die Belange der kleineren Sprachgruppen eingegangen wird. Aus deutschsprachiger Perspektive ist dabei insbesondere die sprachliche Situation in Südtirol von Interesse (für einen umfangreicheren Überblick über Sprachpolitik in Italien siehe Tosi 2004). 14.3.1 Die romanischsprachigen Varietäten Italiens Die Tradition der Korpusplanung geht - ähnlich wie in Frankreich - bis in die Frühe Neuzeit zurück. Elemente einer vereinheitlichenden Sprach- und Schriftkultur wurden durch die politische, ökonomische und kulturelle Vormachtstellung der Städte der Toskana bedingt - allen voran von Florenz. Seit den Humanisten des 16. Jahrhunderts bildete sich somit eine sprachliche Prestigeform heraus, die das vormals als Bildungs- und Literatursprache dominierende Latein ersetzte und die Grundlage für die vereinheitlichte italienische Sprache bilden sollte. Dazu trug nicht zuletzt die bereits 1583 gegründete Academia della Crusca in Florenz bei, die damit noch älter ist als die Académie Française, aber aufgrund des fehlenden Zentralstaates nicht wie letztere in Frankreich eine umfassende Wirkung entfalten konnte. Ähnlich wie in Frankreich oder Spanien begann aber auch die Academia durch die Herausgabe eines Wörterbuches sehr früh mit der Standardisierung der Schriftsprache. Dieses sprachliche Idealbild blieb - wie in anderen Ländern auch - weitgehend auf die Eliten beschränkt, und auch die überregionale Akzeptanz dieser Sprachform blieb begrenzt. Dazu trug bei, dass sich - im Gegensatz zu Frankreich, wo Paris als Hauptstadt nie in Frage stand - nach dem Niedergang der Stadtstaaten Venedig als neue italienische Macht etablierte, somit eine neue regionale Varietät an Prestige gewann, die sich aufgrund der Wirtschafts- und Militärmacht Venedigs weit verbreitete. Dennoch bildete das Toskanische aus der Gegend von Florenz die Grundlage für die Vereinheitlichung der italienischen Sprache, als diese im 19. Jahrhundert an Fahrt aufnahm. Es dauerte bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bis diese eine Verbreitung erfuhr, die zur Zurückdrängung der anderen Varietäten der italienischen Halbinsel führte. Somit war bis in die Sprachpflege seit der Renaissance Italienischer Standard vs. Traditionen der Regionalsprachen <?page no="193"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 193 Nachkriegszeit die Mehrzahl der Bewohner Italiens derjenigen Sprachform, die wir heute als Italienisch bezeichnen, nicht mächtig. Erst in den letzten Jahrzehnten änderte sich dies durch eine Mischung aus Nationalismus, verstärkten Migrationsbewegungen innerhalb Italiens, besseren Transportwegen und nicht zuletzt durch die Verbreitung von nationalen Medien, insbesondere des Fernsehens, und durch eine gezielte Politik in den Schulen. Heute ist - ähnlich wie in Deutschland - an der italienischen Sprachpolitik vor allem bemerkenswert, dass sie von staatlicher Seite aus kaum eine Rolle spielt. Die staatlich geförderte Academia della Crusca erforscht das Italienische aus sprachwissenschaftlicher Sicht und unterstützt seine Verbreitung. Ansonsten gibt es vom Staat lediglich eine Terminologiekommission zur Normierung von technischen und anderen Begriffen sowie einen von der Regierung herausgegebenen Stilkodex für die Verständlichkeit von Behördensprache. Wie Ernst (2002: 112) anmerkt, heißt dies jedoch nicht, dass die italienische Öffentlichkeit nicht an Sprache interessiert wäre - es existiert sogar ein großes Bewusstsein für Sprachfragen und insbesondere den „korrekten“ Sprachgebrauch. Zur großen Varietätenvielfalt in Italien tragen aber auch heute noch etliche Regionalsprachen bei, die nicht im eigentlichen Sinne als Dialekte des Standards bezeichnet werden können, da sie in ihrem Hervorgehen aus dem Lateinischen weitgehend eigene Entwicklungen durchlaufen haben. Dabei verläuft die von der romanistischen Sprachwissenschaft traditionell gezogene Sprachgrenze zwischen den westromanischen und den ostromanischen Sprachen entlang der La Spezia-Rimini-Linie mitten durch die Regionen Toskana und Emilia-Romagna. Tatsächlich sind die norditalienischen Regionalsprachen in vielen Aspekten dem Französischen ähnlicher als den Varietäten Süditaliens. Die Frage, welche dieser Varietäten als Dialekt des Italienischen bezeichnet werden, und welches eigenständige Sprachen sind, ist - wie oft in derartigen Fällen - gleichermaßen eine linguistische wie politische Frage. So wird insbesondere das Sardische heute als eigene Sprache anerkannt. Seit 1985 ist sein Gebrauch in den Schulen gestattet und es hat mittlerweile auch eine Standardisierung stattgefunden (vgl. Mensching 2004). Vergleichbares gilt auch für das Korsische - wobei der Wunsch nach Anerkennung als eigene Sprache im politischen Sinne aufgrund der Zugehörigkeit der Insel zu Frankreich stets deutlicher war, zumal es in den korsischen Separatismusbewegungen um eine Abgrenzung von Frankreich, nicht jedoch um eine Verbindung mit Italien geht. Varietätenvielfalt Sardisch <?page no="194"?> 194 II Länderbeispiele Abbildung 33: Minderheitensprachen und Subvarietäten des Italienischen in Italien. Die neben dem Sardischen zweite Varietät, die aus politischer und linguistischer Sicht oftmals (allerdings in geringerem Maße als das Sardische) als eigene Sprache betrachtet wird, ist das Sizilianische. Bei den meisten anderen Varietäten hat dagegen erst in den vergangenen Jahren eine verstärkte Rückbesinnung auf die verloren gehenden Sprachformen stattgefunden. Als dessen Ausdruck benutzen auch in Städten wie Mailand regionale Bewegungen vereinzelt ihre Schriftsprache in der Öffentlichkeit (vgl. Blackwood/ Tufi 2012). So gibt es heute auch für das Lombardische einige Kodifizierungsbestrebungen und Versuche der Verbreitung, was hinsichtlich der Ausstrahlung und Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit allerdings eher mit einem verstärkten Dialektbewusstsein in anderen Ländern zu vergleichen ist. So bleibt abzuwarten, in welchem Maße sich eine Wahrnehmung dieser Varietäten als vom Italieni- Sizilianisch <?page no="195"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 195 schen unabhängige Sprachen wird etablieren können, wie es von einer Vielzahl von Aktivisten und Sprachpflegeorganisationen angestrebt wird (vgl. Puzey 2012). Abbildung 34: Konzessionen an Sprachminderheiten und Grenznähe auf einem viersprachigen Straßenschild im Nordosten Italiens (Italienisch, Friaulisch, Deutsch, Slowenisch). Neben den romanischen Varietäten, die sehr eng mit dem Italienischen verwandt sind bzw. auch als dessen Teil betrachtet werden, gibt es in Italien auch eine Reihe von Minderheitensprachen, deren Stellung als eigene Sprachen weitgehend unangefochten ist. Dies sind zum einen die Sprachen von Gemeinschaften, die als Siedler schon vor Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden nach Italien gekommen sind. Dazu gehören griechische, albanische und kroatische Enklaven, zumeist in Küstennähe im Südosten Italiens gelegen. Zum anderen sind dies Sprachen an den Rändern Italiens, deren Gebiete durch unterschiedliche historische Entwicklungen dem italienischen Staatsgebiet angeschlossen wurden. Das sind insbesondere das Aostatal, in dem traditionell Frankoprovenzalisch gesprochen und Französisch als regionale Amtssprache verwendet wird, slowenischsprachige Gebiete an der slowenischen Grenze, Varietäten, die zur Gruppe des Ladinischen gehören und damit sprachlich eng mit dem Rätoromanischen in der Schweiz verbunden sind, und schließlich mehrere Gebiete mit Deutsch bzw. anderen germanischen Varietäten als traditioneller Sprache - zuvorderst, aber nicht nur in Südtirol. Andere Minderheiten <?page no="196"?> 196 II Länderbeispiele Die Situation bezüglich dieser Minderheitensprachen ist - seit dem Ende der Italianisierungspolitik während der Herrschaft Mussolinis - traditionell durch eine weitgehende Ignoranz dieser Sprachen gekennzeichnet gewesen. Tosi (2004) unterscheidet zwischen Deutsch, Französisch, Ladinisch und Slowenisch auf der einen Seite, die von Antidiskriminierungsregeln in der Verfassung von 1948 profitierten, und allen anderen Minderheitensprachen auf der anderen: Nicht zufällig gab es positive Ausnahmen gerade in Situationen, wo politischer Druck - auch von außerhalb Italiens - einen Umgang mit Sprache von offizieller Seite notwendig machte. Insgesamt war Sprachpolitik über lange Zeit aber ein eher vernachlässigter Teil der Politik - wie in Deutschland nicht zuletzt aufgrund der späten Gründung eines einheitlichen italienischen Staates, der auf einem Zusammenschluss von Gebieten mit einer gemeinsamen Sprache und Kultur basiert und zu dessen Selbstverständnis die italienische Sprache gehört. Italienisch wird - auch dies eine Parallele zu Deutschland - nicht in der Verfassung erwähnt, allerdings verpflichtet deren Paragraph 6 zum Schutz der sprachlichen Minderheiten. Seit 1999 gibt es ein Gesetz zum Schutz „historischer Minderheiten“, das den Minderheitensprachen und -kulturen mehr Rechte zubilligt und auf dessen Grundlage verstärkt Schulunterricht in den Minderheitensprachen erteilt wird. Gleichzeitig schreibt dieses Gesetz aber auch Italienisch auf Gesetzes- (jedoch nicht auf Verfassungsebene) als offizielle Sprache fest. Außerdem sollen regionale staatliche Medien sowie Behörden Angebote in den darin erwähnten Sprachen machen. Die genannten Sprachen sind Albanisch, Katalanisch, Deutsch, Griechisch, Slowenisch, Kroatisch, Französisch, Friaulisch, Ladinisch, Okzitanisch und Sardisch (vgl. Abbildung 33). Die europäische Sprachencharta wurde von Italien zwar im Jahr 2000 unterzeichnet, sie ist aber noch nicht ratifiziert worden: Beides hat maßgeblich mit der jeweiligen Regierung zu tun, so war die von 1996-2001 regierende Mitte-Links-Regierung sehr viel minderheitenfreundlicher als die nachfolgende Berlusconi-Regierung. 14.3.2 Südtirol Um abschließend auf die germanischsprachigen Gebiete in Italien einzugehen, muss zunächst betont werden, dass es sich dabei - anders als in der deutschsprachigen Öffentlichkeit oftmals wahrgenommen - um politisch und sprachlich zwei sehr unterschiedliche Arten von Gebieten handelt. So gibt es in Norditalien eine Reihe von kleinen Gebieten, in denen dem Deutschen ähnliche germanische Varietäten gesprochen werden. In diesen versprengten Sprachinseln werden Varietäten wie das Zimbrische auf kleinem, zumeist relativ abgeschotteten Raum in einzelnen Dörfern in den Bergen innerhalb einer kleiner werdenden Sprachgemeinschaft gesprochen. Die Gesamtsprecherzahl dieser Varietäten liegt bei wenigen 1.000 Sprechern (vgl. Rowley 2007 oder Zürrer 2007). Diese Varietäten haben von Seiten der offiziellen Politik eine gewisse auf den engsten Raum beschränkte Anerkennung erfahren, indem in den Dörfern Unterstützungsmaßnahmen getroffen wurden und die Sprachen auch in den lokalen Behörden gebraucht werden. Außerdem gibt es durch die Aktivitäten einiger Enthusiasten einige literarische Werke sowie Materialien Heutige Gesetzgebung: Antidiskriminierungsregeln und Schutz der Minderheiten Kleinere germanischsprachige Gebiete <?page no="197"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 197 für die Schulen, in denen die sprachlichen Traditionen thematisiert werden (vgl. Berber 2013). Dabei ist die Frage der Zugehörigkeit zum Deutschen als ambivalent zu bezeichnen: Die Sprecher bezeichnen ihre Varietät zumeist mit ihrem eigenen Terminus, sind sich der historischen Verbindung zum Deutschen jedoch bewusst. Maßnahmen zum Erhalt der Sprache, die dem Verdrängungsprozess durch das Italienische entgegenwirken, hängen zumeist davon ab, wie intakt die Dorfgemeinschaft heute noch ist - und wie stark das Bewusstsein für die Tradition. Dabei ist die Öffnung der Gemeinschaften durch heutige Verkehrs- und Kommunikationswege aus Perspektive des Spracherhalts zweischneidig. Zum einen drohen die traditionellen Strukturen, die die Sprache am Leben gehalten haben, zu zerbrechen. Zum anderen aber schafft etwa die Erschließung des Sprachgebietes des Zymbrischen durch den Tourismus Arbeitsplätze, wobei nicht zuletzt auch der touristische Wert dieser Varietäten als „exotisches“ Kulturgut genutzt wird. Dadurch kann die Abwanderung der Sprecher und die Auflösung der geschlossenen Sprachgemeinschaft verlangsamt werden und die Sprache gewinnt insgesamt an Prestige. Abbildung 35: Sprachmehrheiten in den Gemeinden Südtirols. Eine völlig andere Situation herrscht dagegen in Südtirol, wo in fast allen Bereichen eine offizielle Mehrsprachigkeit herrscht (zu Südtirol vgl. z.B. Eichinger 2007 oder Schweigkofler 2000). Diese betrifft nicht nur das Deutsche und Italienische, sondern auch das Ladinische, für das insbesondere in einigen Dorfgemeinschaften Sonderregelungen getroffen wurden. Südtirol insgesamt ist eine auch heute noch dominant deutschsprachige Provinz, die nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugesprochen wurde. Diese bildet mit der Autonomiestatut Südtirol <?page no="198"?> 198 II Länderbeispiele Provinz Trentino die Region Trentino-Alto Adige (Alto Adige ist die italienische Bezeichnung für Südtirol); in Trentino ist die italienische Bevölkerung klar in der Mehrheit. Unter der faschistischen Herrschaft Mussolinis fand ein starker Italianisierungsprozess statt, in der Nachkriegszeit konnte sich die Bevölkerung aber durch heftige, bisweilen gewaltsame Proteste eine offizielle Anerkennung erstreiten. Die Anerkennung der Minderheitenrechte gipfelte 1972 im so genannten Statut für Südtirol, in dem der italienische Staat der Provinz Bozen-Südtirol sprachliche und kulturelle Autonomie zusicherte. Die Statistik der Bevölkerung nach Sprachgruppen zeigt, dass nach einer verstärkten Zunahme der italienischsprachigen Bevölkerung zwischen 1900 und 1961 das Verhältnis von knapp zwei Dritteln deutschsprachiger Bevölkerung zu einem Viertel bis einem Drittel Italophonen und etwa 4% Ladinern relativ konstant geblieben ist. Dies gilt auch für das politisch wichtige Konzept der Sprachgruppenzugehörigkeit, nach dem sich alle Einwohner Südtirols, also auch Migranten mit einem anderen sprachlichen Hintergrund, zu einer der drei Sprachgruppen bekennen müssen. Eine genauere Betrachtung der soziologischen Struktur Südtirols bringt zutage, dass die Hauptstadt Bozen bzw. Bolzano einen Anteil von 70% Italienischsprechern hat, fast alle Kleinstädte und Landgemeinden jedoch überwiegend deutschsprachig sind, oftmals mit einem deutschsprachigen Bevölkerungsanteil von über 90%. Die Ladinischsprecher ihrerseits sind in neun Gemeinden im Südosten Südtirols konzentriert, wobei sie in sechs von diesen einen Anteil von über 90% stellen. Die Behörden agieren zweibzw dreisprachig, wobei es ein striktes Proporzsystem bei der Besetzung öffentlicher Stellen gibt, das sich an den Statistiken der Sprachzugehörigkeit orientiert. Außerdem gibt es für alle drei Sprachgruppen separate Schulen, und die Südtiroler Landesregierung kann ihre Schulpolitik - im Gegensatz zu anderen italienischen Regionen - weitgehend selbst bestimmen. Schließlich profitiert die deutschsprachige Bevölkerung nicht zuletzt von einer starken kulturellen Anlehnung und einer Kooperation mit Österreich, das sich auch immer wieder als Fürsprecher für die Belange Südtirols eingesetzt hat. Sprachgruppe 1880 1900 1921 1961 1981 2001 Deutsch 90,6% 88,8% 75,9% 62,2% 64,9% 64,0% Italienisch 3,4% 4,0% 10,6% 34,3% 28,7% 24,5% Ladinisch 4,3% 4,0% 3,9% 3,4% 4,1% 4,0% Andere 1,7% 3,2% 9,6% 0,1% 2,2% 7,4% Tabelle 4: Wohnbevölkerung nach Sprachgruppen laut Volkszählungen von 1880 bis 2001 (Autonome Provinz Bozen - Südtirol 2011: 20). Somit kann aus sprachpolitischer Sicht davon gesprochen werden, dass das Modell des Spracherhalts für die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol geglückt ist. Dies veranschaulichen nicht nur die konstanten Sprecherzahlen, sondern auch die Tatsache, dass politische Gewalt der Vergangenheit angehört. Dazu gehört, dass die Südtiroler Volkspartei als Hauptvertreterin Sprachgruppenproporz Südtirol als Vorbildmodell <?page no="199"?> 14 Frankreich, Spanien, Italien 199 der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung seit Jahrzehnten die Landesregierung stellt. Sie achtet auf die Einhaltung der Sprachautonomie, fordert aber im Gegensatz zu einigen kleineren, radikaleren Parteien keine Vereinigung des Gebietes mit Österreich. Allerdings hat sich erst 2002 gezeigt, wie sensibel das Sprachthema unter der Oberfläche doch noch ist: Die Umbenennung des zentralen „Siegesplatzes“ in Bozen in „Friedensplatz“, auf dem ein monumentales in der Mussolini-Zeit errichtetes Denkmal für die Eingliederungs Südtirols in Italien steht, führte zu Protesten der italienischsprachigen Bevölkerung, so dass nach einem Referendum der Platz wieder zurückbenannt wurde. Dieses Beispiel zeigt, dass die historischen Ereignisse nach wie vor unterschiedlich beurteilt werden und die Frage, wessen Geschichtsbild offizielle Anerkennung erfährt, nach wie vor zu Kontroversen führen kann. ZUSAMMENFASSUNG: Wie Spanien und Frankreich hat auch Italien eine lange Tradition der Sprachpflege. Allerdings fand die staatliche Einigung auf sprachlich-kultureller Grundlage - wie in Deutschland - erst im 19. Jahrhundert statt, Standarditalienisch im heutigen Sinne setzte sich erst im 20. Jahrhundert durch. Minderheitensprachen in Italien sind heute gesetzlich geschützt. Insbesondere Südtirol ist ein Vorbild für eine Mehrsprachigkeitspolitik in einer Minderheitenregion: Das Verhältnis von Deutsch, Italienisch und Ladinisch ist durch das Autonomiestatut und das Proporzsystem in der Verwaltung geregelt und weitgehend konfliktfrei. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Warum ist es in vielerlei Hinsicht ungenau, von der italienischen Sprache zu sprechen? Welche historischen Entwicklungen liegen dem zugrunde? 2. Was halten Sie davon, dass an vielen Orten Italiens Regionalbewegungen für eine Wiederbelebung regionaler Varietäten und z.T. deren Standardisierung eintreten? 3. Welche Sprachminderheiten gibt es in Italien, die nicht dem Italienischen nahestehen? Wie unterscheiden sich diese hinsichtlich ihrer Anerkennung? 4. Warum ist die deutsche Sprache in Südtirol so stabil? Wird dies Ihrer Meinung nach auch dauerhaft der Fall sein? Wie bewerten Sie den Umbenennungsversuch des Siegesplatzes in Bozen und die Proteste dagegen? 5. Suchen Sie nach Internetseiten aus Südtirol, etwa der Landesregierung, von politischen Parteien, Behörden, Schulen, oder auch aus dem Tourismussektor. In welchen Sprachen sind diese verfasst? Finden Sie Internetseiten, die sich gegen den sprachlichen Status quo aussprechen? <?page no="200"?> 15 Großbritannien und Irland: Mehr als nur Englisch 15.1 Großbritannien: Englisch, Migranten und keltische Sprachen 15.1.1 Die Tradition des Englischen und der Umgang mit Migrantensprachen Großbritannien ist - ähnlich wie Deutschland und Italien - ein Beispiel dafür, wie Sprachpolitik durch eine weitgehende Laisser-faire-Einstellung gekennzeichnet sein kann. Das Vereinigte Königreich hat kaum Traditionen der offiziell gesteuerten Sprachpolitik; sie wird im englischen Diskurs oft vor allem auf Fremdsprachenpolitik im Bildungssektor bezogen (z.B. Payne 2007). Entsprechend der britischen Tradition des politischen Liberalismus ist die Grundhaltung lange gewesen, dass Sprache sich selbstständig entwickeln solle. Das Englische ist keine offizielle National- oder Amtssprache Großbritanniens und auch Sprachpflege und Korpusplanung werden eher privat als staatlich organisiert (grundlegend zu Sprachpolitik und Sprachen in Großbritannien siehe Ager 1995, 2001, Thompson/ Fleming/ Byram 1996 oder Price 2000). Auch wenn Englisch nie die offizielle Sprache gewesen ist, wurde es 1726 in England, Schottland und Wales zur Gerichtssprache erklärt. Die nichtstaatliche Sprachpflege hat allerdings eine lange Tradition, und Wahrnehmungen von Sprache sind in der Gesellschaft durchaus von Bedeutung gewesen. Zu einer verstärkten Standardisierung des Englischen kam es seit der von König James I. beauftragten Bibelübersetzung 1611, der berühmten King James Bible. Im 18. Jahrhundert begann eine Tradition, die sich mit der Veröffentlichung von Wörterbüchern, Grammatiken und Ausspracheregeln beschäftigte. Diese setzte sich auch im 19. und 20. Jahrhundert in zahlreichen Sprachvereinen fort, und auch die Medien, vor allem die BBC, trugen merklich dazu bei, dass sich die so genannte Received Pronounciation (RP, „Angenommene Aussprache“), die oft auch schlicht BBC-Englisch genannt wird, als prestigebildende Variante durchsetzen konnte. Dennoch haben diese Entwicklungen nie die Form gesetzlicher oder anderer offizieller Vorschriften angenommen und die Benutzung des Standards blieb eine Frage von Bildung und sozialer Zugehörigkeit und ist nur für bestimmte Berufe absolut notwendig. Somit verwundert es nicht, dass auch heute noch Dialekte stark verbreitet sind und strenges RP nur von einem kleinen Anteil der Bevölkerung im Alltag verwendet wird. Die Grundhaltung, von staatlicher Seite aus kaum in sprachliche Prozesse einzugreifen, hat erst in den vergangenen Jahrzehnten eine gewisse Veränderung erfahren. Dies bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte: den Umgang mit der Mehrsprachigkeit der Migranten und ein verändertes Bewusstsein gegenüber den autochthonen Sprachen in Wales (Walisisch), Schottland (Schottisches Gälisch und Scots), Cornwall im Südosten Englands (Kornisch), Nordirland (Irisches Gälisch und Ulster Scots - siehe Kapitel 15.2 zu Irland) sowie auf der im staatsrechtlichen Sinne nicht zum Vereinigten Königreich gehörenden Insel Man (Manx-Gälisch). Seit Ende des 20. Jahrhunderts wurde außerdem die RP-Vorgabe in öffentlichen Kontexten aufgeweicht, so dass heute z.B. auch Moderatoren im Fernsehen eine mündliche Sprache benutzen Sprachpflege des Englischen Änderungen in jüngerer Zeit <?page no="201"?> 15 Großbritannien und Irland 201 können, die eine leichte Färbung durch einen Dialekt oder eine Migrantensprache erkennen lässt. Gerade hinsichtlich der Migrantensprachen fällt aus deutschsprachiger Perspektive auf, dass Großbritannien einen ausgesprochen flexiblen Umgang an den Tag legt, sowohl im Hinblick auf höchste staatliche Stellen als auch auf deren konkrete Umsetzung, etwa in einzelnen Behörden. Da es keine offizielle Amtssprache gibt, ist diesen Maßnahmen kein gesetzlicher Riegel vorgeschoben. Aufgrund der Tradition des Commonwealth sowie der deutlich geringeren Rolle, die Sprache für die Bildung des Nationalstaates in England gespielt hat, gibt es weniger ideologische und politische Bedenken gegenüber öffentlichen Angeboten in anderen Sprachen als in Deutschland. Die Stärke der englischen Sprache und die Selbstverständlichkeit als Hauptkommunikationsmittel werden schlichtweg nicht angezweifelt. So bieten Behörden in vielen Gemeinden wichtige Formulare und Hinweise in einer Vielzahl der am meisten verbreiteten Sprachen an, wie etwa auf Urdu (Herkunft der meisten Sprecher ist Pakistan), Hindi (Indien), Punjabi (Indien) oder Arabisch. Gleichzeitig ist es Teil der britischen Sprachpolitik, sicherzustellen, dass die Migranten Englisch lernen. Während dieses Ziel bei Kindern und Jugendlichen in den Schulen in der Regel erreicht wird, ist bei Erwachsenen, ähnlich wie in Deutschland, der Erfolg derartiger Maßnahmen manchmal zweifelhaft, da es keine gesetzliche Notwendigkeit gibt, das Englische zu erlernen. Der Lernerfolg hängt letztlich vom individuellen Willen zur Integration und zum Erfolg in der Mehrheitsgesellschaft ab. Seit Beginn des Jahrtausends wurden einige stärker vertretene Migrantensprachen auch in die Unterrichtspläne integriert, nachdem dies in den 1980er Jahren noch von staatlichen Stellen abgelehnt wurde und Unterricht in Migrantensprachen als Aufgabe der jeweiligen Sprachgemeinschaften angesehen wurde (vgl. Edwards 2008). Für den Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit allerdings ist der Nachweis von Englischkenntnissen Voraussetzung. Dieser kann lediglich von Nachfahren ehemaliger walisisch- oder schottischstämmiger Auswanderer durch den Nachweis von Kenntnissen in der jeweiligen keltischen Sprache ersetzt werden, was in der Praxis jedoch so gut wie nie vorkommt. Insgesamt spielen Sprachen in Großbritannien heute - auch durch die fortschreitende Akzeptanz von Migrantensprachen in bestimmten öffentlichen Situationen - eine größere Rolle als noch vor 20 Jahren, allerdings ist insgesamt insbesondere in England der Umgang mit Sprache weiterhin recht entspannt und folgt dem Laisser-faire-Gedanken. Letzterer gilt allerdings weniger für die auswärtige Sprachpolitik - staatlich geförderte Organisationen wie der British Council sind fest etabliert und versuchen nicht nur, dem Bedarf an Englischunterricht gerecht zu werden, sondern auch die britische Kultur weltweit zu verbreiten, wodurch derartige Aktivitäten heute einen wichtigen Faktor der britischen Exportwirtschaft darstellen. 15.1.2 Autochthone Minderheitensprachen Neben dem anderen Umgang mit Migrantensprachen, denen im öffentlichen Leben schon seit längerem ein Platz eingeräumt wird, zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Sprachpolitik in Deutschland auch in den Teilen Großbritanniens, die nicht zu England gehören. In Schottland und Wales spielen Migrantensprachen Autochthone Sprachgruppen <?page no="202"?> 202 II Länderbeispiele die autochthonen keltischen Sprachen - im Gegensatz zu England oder auch zu den deutschen autochthonen Minderheitensprachen - eine zentrale Rolle für die Identität der jeweiligen Region. Das oben genannte Einbürgerungsgesetz ist eine der gesetzlichen Maßnahmen zur Umkehrung des Sprachwechsels insbesondere des Walisischen und des Schottischen Gälisch. Das Walisische hat dabei eine längere Tradition der Sprachpolitik, die bis heute eine Reihe von nennenswerten Erfolgen vorzuweisen hat, während für das Schottische Gälisch erst etwa seit der Jahrtausendwende verstärkte Maßnahmen ergriffen wurden und seine Situation nach wie vor deutlich weniger günstig ist als die des Walisischen. Die Situation aller keltischen Sprachen in Großbritannien ist - wie auch in Irland - durch einen jahrhundertelangen langsamen Verdrängungsprozess durch das Englische gekennzeichnet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich dabei zwei Trends, die einander gegenläufig waren. Einerseits nahm aufgrund der größeren Verbreitung von Medien, besserer Verkehrsverbindungen und anderer moderner Errungenschaften der Einfluss des Englischen schneller zu als vormals. Andererseits formierte sich, ähnlich wie die Nationalbewegungen in vielen anderen Teilen Europas, ein nationalistisch geprägtes Sprachbewusstsein. Es wurden erste Vereinigungen gegründet, die die Sprachen analysierten und sich um ihren Erhalt kümmerten. Die traditionelle Ablehnung der keltischen Sprachen war dabei durch ähnliche Faktoren wie in vielen anderen Ländern gekennzeichnet: Neben dem aufkommenden Nationalismus, der Angst vor Separatismus durch die Zentralmacht und einsetzendem Sozialdarwinismus, der die keltischen Kulturen als niedriger stehend deklarierte, erleichterten die neuen Kommunikations- und Transportwege auch den sozialen Aufstieg, für den die traditionellen Sprachen als hinderlich angesehen wurden. Außerdem wurde durch eine bewusstere zentrale Schulpolitik vorgeschrieben, dass alle Kinder in Großbritannien auf Englisch zu unterrichten seien. Dadurch hat die Zahl der Sprecher des Walisischen und des Schottischen Gälisch seit den ersten Statistiken im 19. Jahrhundert kontinuierlich abgenommen. Für das Kornische und das Gälische der Insel Man war dieser Prozess auch zu diesem Zeitpunkt bereits sehr viel weiter fortgeschritten: Der letzte Muttersprachler des Kornischen war bereits Ende des 18. Jahrhunderts gestorben, und auf der Insel Man waren nur noch einige wenige Sprecher übrig, so dass um 1900 fast keine Kinder mehr mit dem Manx-Gälischen als Muttersprache aufwuchsen. 15.1.3 Wales: Ein Beispiel für erfolgreiche Sprachrevitalisierung Dem Rückgang der keltischen Sprachen widersetzten sich in allen betroffenen Regionen Großbritanniens zunehmend Aktivistengruppen. Die ersten Erfolge verbuchte dabei Wales, das mit seinen Maßnahmen für das Walisische (Kymrische) heute oft als Musterbeispiel für eine gelungene Sprachrevitalisierungspolitik angesehen wird. Maßgeblich dafür waren zunächst ein erstes Walisischgesetz, auf dessen Grundlage seit 1967 einige Maßnahmen zur Sprachförderung durchgeführt wurden, und die Etablierung der ersten walisischsprachigen Radiosender in den 1970er Jahren. Später erlangte die Arbeit der Walisischen Sprachenbehörde (Welsh Language Board, auf Walisisch Keltische Sprachen Walisisch: Traditionen und holistische Sprachpolitik <?page no="203"?> 15 Großbritannien und Irland 203 Bwrdd yr Iaith Gymraeg) zentrale Bedeutung, eine durch ein neues Sprachgesetz im Jahr 1993 geschaffene staatlich geförderte Einrichtung, die die Sprachplanung koordinierte, bis diese 2012 durch einen Language Commissioner abgelöst wurde. Zentrales Element in der Arbeit war der Grundsatz der holistischen Sprachplanung. Dazu gehörte, dass sprachplanerische Maßnahmen nicht - wie in vielen anderen Ländern - auf die Aktivitäten einer einzigen Behörde beschränkt blieben, sondern dass Sprachfragen in allen Teilen der Gesellschaft wichtig sein sollten. Dadurch wurde verhindert, dass Sprache als Teil z.B. des Kulturetats von vermeintlich bedeutenderen Feldern wie der Sozial- oder Wirtschaftspolitik nur am Rande wahrgenommen wurde. Stattdessen wurde darauf hingearbeitet, dass alle Institutionen ihrer Arbeit im Alltag eine sprachpolitische Komponente hinzufügten. Ein wichtiger Meilenstein der Entwicklung ist, dass seit 1999 alle Kinder in Wales zumindest Unterricht im Walisischen als Fremdsprache erhalten. Das Welsh Language Board als Institution mit einem Top-down-Ansatz kooperierte eng mit lokalen Aktivistengruppen. Dabei wurden vier Hauptziele gesetzt: die Erhöhung der Anzahl der Personen, die Walisisch sprechen können, die Schaffung von Möglichkeiten, die Sprache auch im Alltag anzuwenden, die Thematisierung und Änderung von Sprachgewohnheiten und die Stärkung des Walisischen innerhalb lokaler Strukturen. Um diese Ziele zu erreichen, wurde eine große Bandbreite an sprachpolitischen Maßnahmen angewandt, die zur Spracherwerbs-, -gebrauch-, Korpus- und Statusplanung gehören. Maßnahmen waren etwa die Förderung von walisischsprachigen Kindergärten und Motivations- und Prestigekampagnen. Damit sollten Eltern davon überzeugt werden, ihre Kinder auf Walisisch (oder zumindest zweisprachig) aufzuziehen und die vorhandenen Angebote wie zweisprachige Kindergärten und Schulen auch zu nutzen. Die Kampagnen richteten sich aber auch an Privatunternehmen, bei der Arbeit Walisisch zu gebrauchen und z.B. Informationen und Dienstleistungen auf Walisisch anzubieten. Gleichzeitig wurden lokale Initiativen finanziell und organisatorisch unterstützt, die das Ziel haben, Walisischsprecher zueinander zu bringen. Schließlich gehörten auch konkrete Verhandlungen mit und die finanzielle Unterstützung von Firmen dazu, Walisisch stärker verfügbar zu machen, etwa indem Software auf Walisisch angeboten oder Übersetzungen gefördert wurden. Die Arbeit des Welsh Language Board gilt auch deshalb als Musterbeispiel für eine erfolgreiche Sprachpolitik, weil der britische Zensus von 2001 zum ersten Mal gezeigt hat, dass es möglich ist, die Sprecherzahl einer kleinen Sprache durch eine aktive Sprachpolitik zu erhöhen, nachdem sie das gesamte 20. Jahrhundert hindurch kontinuierlich abgenommen hatte. Im Jahrzehnt zwischen 1991 und 2001 stieg die Anzahl der Walisischsprecher in Wales von 18,7% auf 20,5%, in absoluten Zahlen von 508.000 auf 582.000 Sprecher, bis 2011 sank diese Zahl allerdings wieder auf 19%. Noch wichtiger als diese Daten ist jedoch, dass der Anteil der Sprecher in der jungen Generation gestiegen ist, so dass im Jahr 2001 40,8% der 5-15jährigen Walisischkenntnisse hatten. Somit zeigt sich, dass die gemeinsame Arbeit von staatlichen Stellen, Bildungseinrichtungen, lokalen Initiativen und Individuen tatsächlich zu Erfolg führen kann. Als Schlusspunkt der Arbeit des Boards war die Verabschiedung der Welsh Language Measure von 2011 zu sehen, mit der Walisisch offiziellen Status erhielt, nachdem das walisische Parlament von Ziele des Welsh Language Board Auswirkungen der Arbeit des Welsh Language Board <?page no="204"?> 204 II Länderbeispiele London die Kompetenz für die Sprachpolitik übertragen bekommen hatte. Seit 2012 wird die Spracharbeit durch den Language Commissioner fortgesetzt; andere Teile der Arbeit werden direkt durch die Welsh Assembly ausgeführt (Llywodraeth Cymru - Welsh Government 2012). 15.1.4 Schottisches Gälisch und andere keltische Sprachen Während eine verstärkte Walisischpolitik schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts betrieben wurde, hat die schottische Bewegung für das Gälische erst seit den 1980er Jahren Fahrt aufgenommen. Dazu kam, dass sich aufgrund der schottischen Geschichte nicht alle Schotten mit dem Gälischen identifizieren: Obwohl es im Mittelalter auch Sprache des schottischen Hofes war, wird es oft als Sprache der Highlandkultur angesehen, die traditionell gegen England gerichtet war - eine Position, die nicht alle Schotten teilen. Durch eine z.T. gezielte Assimilierungspolitik ging die Zahl der Gälischsprecher in Schottland deutlich stärker zurück als in Wales und betrug im Zensus von 2001 nur noch 1,2% (MacKinnon 2004). Obwohl es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Reihe privater Kultur- und Spracheinrichtungen gab, wurde insbesondere durch die Einführung des dezentralen Schottischen Parlamentes im Jahr 1999 die Hoffnung genährt, dass auch in Schottland eine aktivere Sprachpolitik durchgeführt würde. Nach anfänglichem Zögern mündete die Sprachpolitik der schottischen Regierung im Jahr 2005 in einem Gesetz zum Gälischen (vgl. Marten 2009). In diesem wurde versucht, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Gälische mittlerweile keine Sprache der Highlands mehr ist, sondern fast die Hälfte der Gälischsprecher in den großen Städten wie Glasgow oder Edinburgh ansässig ist. Somit wurde auch hier ein ganzheitlicher Ansatz gewählt, der unter anderem dem in Anlehnung an das walisische Vorbild geschaffenen Gaelic Language Board offizielle Befugnisse verleiht. Insgesamt wurde das Gesetz jedoch als schwach kritisiert: Im Gegensatz zu den Forderungen vieler Aktivisten wählt das Gesetz keinen Sprachrechteansatz, der den Gebrauch des Gälischen in offiziellen Domänen auf Verlangen jedes Einzelnen ermöglichen würde, sondern lediglich einen Sprachplanungsansatz. Danach muss das Gaelic Language Board einen schottlandweiten Sprachplan ausarbeiten, in dem es Vorschläge zur Verbreitung des Gälischen macht. Es kann außerdem in Fragen der gälischen Schulpolitik beratend tätig werden und verlangen, dass staatliche Stelle ebenfalls eine offizielle Gälischpolitik entwickeln, deren Umsetzung dann allerdings von der schottischen Regierung überprüft wird. Somit wird deutlich, dass es keine rechtlichen Garantien für das Gälische gibt, sondern alle Aktivitäten letztlich vom Wohlwollen der schottischen Regierung und einer geschickten Überzeugungsarbeit des Board abhängen. Außerdem fehlen einige wichtige Bereiche wie etwa die Medienpolitik - so gibt es zwar von staatlicher Seite Zuschüsse für gälische Medien und auch die BBC hat ein gälisches Angebot in geringem Umfang, jedoch sind diese nicht rechtlich garantiert, und es gibt auch keinen Rechtsanspruch etwa auf gälischen Schulunterricht, selbst wo eine deutliche Nachfrage durch die Bevölkerung auftritt. Schottisches Gälisch Gälisch-Gesetz 2005 <?page no="205"?> 15 Großbritannien und Irland 205 Abbildung 36: Eingang zum Schottischen Parlament in Edinburgh mit Willkommensgruß auf Schottischem Gälisch, alle weiteren Hinweise sind dagegen nur auf Englisch. In den vom Board entwickelten Sprachplänen werden ähnliche Strategien verfolgt wie in Wales - durch Überzeugungsarbeit, Motivationskampagnen und gezielte finanzielle Förderung wird versucht, auf allen Ebenen politischen Druck auszuüben und geeignete Maßnahmen zu unterstützen. Dies gilt auch für die Erstellung von Gälischplänen für den Bildungsbereich. Gleichzeitig werden Maßnahmen ergriffen, kleine Sprachinitiativen oder Medien zu fördern, Übersetzungen oder die Erstellung von Software zu finanzieren oder Preise für die gelungene Einführung des Gälischen in Unternehmen oder anderen Organisationen zu verleihen. Da das politische Klima in Schottland generell die Befüwortung des Gälischen als identitätsstiftendes Merkmal begünstigt, können auf einzelnen Ebenen durchaus Erfolge verbucht werden, und auch auf symbolischer Ebene ist etwa die Zweisprachigkeit des Schottischen Parlamentes von großer Bedeutung. Dennoch bleibt unklar, ob die Maßnahmen geeignet sind, um den Rückgang der Gälischsprecher aufzuhalten und ähnlich wie in Wales eine Trendwende zu schaffen (vgl. Glaser 2007, Walsh/ McLeod 2008, Marten 2009). Die Situation des Kornischen und des Manx-Gälischen ist schließlich sehr viel schwieriger als die des Schottischen Gälisch und des Walisischen. Dies liegt hauptsächlich an den geringen Sprecherzahlen. Fast alle Sprecher haben die Sprachen erst als Erwachsene gelernt, auch wenn heute wieder vereinzelt Kinder die keltischen Sprachen als Erstsprachen erwerben und insbesondere die Regierung der Insel Man das Manx-Gälisch auch in den Schulen unterstützt. Für das Kornische spielt dabei eine Rolle, dass Cornwell als Teil Englands keine politische Autonomie besitzt. Insgesamt zeigt das Beispiel der keltischen Sprachen Großbritanniens jedoch, dass bei ausreichendem Willen Erfolge auf niedrigem Niveau Kornisch und Manx-Gälisch <?page no="206"?> 206 II Länderbeispiele von Politik und Individuen eine Sprachpolitik völlig neu entwickelt werden kann, die erfolgreich in die Entwicklung des Status der Sprachen eingreift. Dafür ist die politische Dezentralisierung der 1990er Jahre, als in Schottland und Wales eigene Volksversammlungen und Regierungen geschaffen wurden, von großer Bedeutung gewesen. Nicht zuletzt hat die britische Regierung unter Druck der Regionalregierungen die Europäische Sprachencharta unterzeichnet. Dennoch bleiben Maßnahmen zum Erhalt weiterhin weitgehend auf die Regionen beschränkt, in denen lokale Behörden und Aktivisten an einem Strang ziehen. ZUSAMMENFASSUNG: Großbritannien kennt keine staatlich zentralisierte Sprachpolitik, pflegt aber pragmatische Ansätze im Umgang mit Migrantensprachen. Wales und - in eingeschränktem Maße - Schottland sind Beispiele für eine gelungene Aufwertung der gesellschaftlichen Rolle und staatliche Unterstützung von Minderheitensprachen. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Großbritannien kann wie Deutschland als Land mit einer Laisser-faire- Tradition in der Sprachpolitik bezeichnet werden. Wo liegen dennoch gravierende Unterschiede zwischen beiden Ländern? 2. Warum gilt die Revitalisierungsarbeit in Wales als Vorbild? Welchen Weg hat das Welsh Language Board für seine Sprachpolitik gewählt? 3. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen des Schottischen Gälisch und des Walisischen? Was spricht für und was gegen einen dauerhaften Erhalt dieser beiden Sprachen, und worin unterscheiden sich beide Regionen? 4. Suchen Sie im Internet nach den Websites der britischen Zentralregierung, regionalen Verwaltungen wie denen von Schottland, Wales, Nordirland oder London oder den Auftritten der BBC und großer Zeitungen wie „The Times“, „The Independent“ oder „The Guardian“. Welche Sprachen finden Sie dort? Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür? 5. Was halten Sie davon, dass viele britische Behörden heute Dokumente auch in Migrantensprachen wie Urdu oder Arabisch bereitstellen? Vergleichen Sie dieses Angebot mit Ihren Erfahrungen mit Behörden. 6. Vergleichen Sie im Internet die Angebote vom British Council und des Goethe-Instituts. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede finden Sie? Was für Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die jeweilige auswärtige Sprachpolitik Großbritanniens und Deutschlands ziehen? 15.2 Irland: Sprache und Identität auf der geteilten Insel Irland ist ein Musterbeispiel für eine bereits frühzeitig begonnene systematische Sprachpolitik, die mittlerweile auf mehr als ein Jahrhundert Tradition zurückblicken kann. In erster Linie zeigt sich am irischen Beispiel die Verknüpfung von nationaler Identität mit der Sprache, in diesem Fall dem zur Die irische Sprache als Nationalsymbol <?page no="207"?> 15 Großbritannien und Irland 207 keltischen Familie gehörenden Irischen, das oft auch als Gälisch oder (in Abgrenzung zum Gälischen in Schottland und auf der Insel Man) als Irisch-Gälisch bezeichnet wird. Zudem ist auffällig, welche Auswirkungen die politische Teilung in die Republik Irland und Nordirland nicht nur auf die sprachpolitische Entwicklung, sondern auch auf deren Akzeptanz durch die Bevölkerung hat (grundlegend zur Sprachpolitik in Irland: Ó Laoire 2005). 15.2.1 Historische Entwicklung Ähnlich wie in den keltischsprachigen Teilen Großbritanniens (Schottland, Wales) ist die irische Sprachpolitik durch den Gegensatz des Englischen zur einheimischen keltischen Sprache gekennzeichnet. Mit den englischen Eroberern im Mittelalter kam auch die englische Sprache ins Land, die zunächst weitgehend Sprache der aristokratischen Oberschicht blieb. Über die Jahrhunderte hinweg assimilierte sich die einheimische Bevölkerung sprachlich, so dass bis zum 19. Jahrhundert der Anteil der Sprecher des Irischen an der Bevölkerung stark zurückgegangen war. Die Sprache war aber noch stark genug verankert, damit die Nationalbewegung, die die Unabhängigkeit Irlands anstrebte, auf das irische Kultur- und Sprachelement als einen wichtigen Faktor für das Gemeinschaftsgefühl im Kampf gegen die Engländer setzen konnte. Sprachpolitisches Resultat dieser Nationalbewegung war, dass nach der Unabhängigkeit des Südens der Insel 1922 eine nationale Sprachpolitik einsetzte, die versucht, das Irische als Nationalsprache zu stärken - zu einem Zeitpunkt, als noch etwa 22% der Bevölkerung angaben, Irischkenntnisse zu haben (Zensus von 1926). Teil dieses Unterfangens war, das Irische 1937 zur ersten Nationalsprache zu erklären. Englisch dagegen wurde - angesichts der sprachlichen Realitäten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung kein Irisch sprach - zur offiziellen Sprache erklärt. In der Praxis hatten Irisch und Englisch damit in offiziellen Kontexten ähnliche Funktionen. Aufgrund der Stärke der Sprechergemeinschaften dominierte aber das Englische, wohingegen das Irische vor allem auf der symbolischen Ebene wichtig war. Die sprachpolitischen Maßnahmen betrafen im Wesentlichen drei Bereiche: Zum einen wurde als Grundlage der neuen Politik das Konzept des „Gaeltacht“ geschaffen. Unter diesem Namen wurden eine Reihe von ländlichen, zumeist abgelegenen Gegenden zusammengefasst, die mit einer Ausnahme an der Westküste Irlands gelegen waren, und in denen zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit der Anteil der Irischsprecher noch so hoch war, dass diese als funktionierende irische Sprachgemeinschaften betrachtet werden konnten. Seit 1956 gibt es ein eigenes Ministerium, das für den Gaeltacht zuständig ist. Englisch vs. Irisch Offizielle Zweisprachigkeit seit der Unabhängigkeit <?page no="208"?> 208 II Länderbeispiele Abbildung 37: Zum Gaeltacht zugehörige Gebiete in Irland. Zweitens wurde flächendeckender Irischunterricht in den Schulen eingeführt, mit dem langfristigen Ziel, den Schulunterricht überwiegend auf Irisch durchzuführen. Problem war jedoch, dass dieser nicht auf die erhoffte Resonanz stieß: Das Irische war für einen großen Teil der Bevölkerung geographisch und psychologisch schlichtweg zu weit entfernt, eigene Traditionen des Irischsprechens waren in vielen Familien schon vor Generationen aufgegeben worden. Wichtig war aber auch, dass in dem Moment, als Irland seine Unabhängigkeit erreicht hatte, für viele Iren die symbolische Notwendigkeit nicht mehr offensichtlich war, die von vielen als sehr schwer wahrgenommene Sprache zu lernen. Die dritte Säule der Irischpolitik bestand aus einer aktiven Förderung des Irischen im öffentlichen Dienst und anderen Domänen. Dies schloss Fragen der Standardisierung der Sprache mit ein: Die Schriftsprache war in erster Linie durch die jahrhundertealte Tradition als Literatur- und Kirchensprache geprägt. Als eine der ältesten christlichen Sprachtraditionen Europas war das Irische als Kulturgut im Bewusstsein der Nation fest verankert, erwies sich aber als für Belange der modernen Welt als ungeeignet. Dazu kam auch eine dialektale Gemengelage, die eine neue Standardisierung sowohl des Wortschatzes als auch der Grammatik zur Folge hatte. Dieses Beispiel zeigt, dass in der Praxis in vielen Fällen die Trennung zwischen Status- und Korpusplanung nicht deutlich ist: Ohne die Aufwertung zur offiziellen Sprache hätte kaum Schulpolitik Korpusplanung und Domänenpolitik <?page no="209"?> 15 Großbritannien und Irland 209 eine Standardisierung des Korpus in einem derartig umfangreichen Maße stattgefunden. Als staatliche Koordinationsstelle zur Förderung des Irischen wurde 1975 das Bord na Gaeilge, der Irische Sprachrat, eingerichtet, der die Verwendung des Irischen auf allen Ebenen fördert. Schließlich gibt es auch eine gezielte Medienpolitik mit fest etablierten staatlichen Radio- und Fernsehsendern auf Irisch. Nicht zuletzt hat die irische Regierung das Irische auch dadurch aufgewertet, dass es auf europäischer Ebene als offizielle Sprache der EU eingeführt wurde. Dies geschah jedoch erst in dem Moment, als die anfänglich überschaubare Zahl der EU-Amtssprachen durch die EU-Erweiterungen im neuen Jahrtausend so hoch wurde, dass das Gefühl enstand, dass es auf eine Sprache mehr oder weniger kaum noch ankäme. 15.2.2 Die heutige Situation Die heutige Sprachpolitik in Irland wird durch das Sprachgesetz von 2003 bestimmt. Es regelt, welche Institutionen ihre Dienste auf Irisch anbieten und auf Verlangen der Regierung einen Sprachplan erarbeiten müssen. Die konsequente Schulpolitik zugunsten des Irischen als Unterrichtssprache wurde dagegen aufgrund der mangelnden Akzeptanz bereits in den 1950er Jahren aufgegeben. Allerdings durchlaufen auch heute noch alle irischen Schulkinder viele Jahre Irischunterricht als Zweitsprache - mit bescheidenem Erfolg. Insgesamt ist das Irische als symbolische Sprache fest in der irischen Gesellschaft verankert, und die Schulpolitik hat dazu geführt, dass im Zensus von 2006 42% der Bevölkerung angaben, Kenntnisse im Irischen zu haben (in der Generation der 11-14jährigen allerdings 72,5%). Als Alltagssprache oder sogar als erste Muttersprache jedoch wird das Irische nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung gebraucht. Statistiken sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Wenn Irischkenntnisse abgefragt werden, wird oft nicht genug hinsichtlich des Niveaus der Sprachkompetenz differenziert und nur wenig über die tatsächliche Verwendung im Alltag ausgesagt. Der Zensus von 2006 zeigt, dass nur 2,1% der Bewohner Irlands, die angegeben haben, Irisch zu können, dies auch täglich außerhalb einer Bildungseinrichtung benutzen (Walsh/ McLeod 2008: 25). Viele Iren haben somit heute Grundkenntnisse im Irischen, aber der Großteil benutzt diese nur selten. Die Zahl der Muttersprachler bleibt niedrig und auch die irischsprachige Bevölkerung im Gaeltacht ist gesunken. Heute entspricht nur noch ein kleiner Teil des in den 1920er Jahren als Gaeltacht bezeichneten Gebietes den Maximalkriterien. Dabei hat die finanzielle Unterstützung dieser ländlichen Gebiete auch starke Züge einer ökonomischen Regionalförderung angenommen, die jedoch nicht verhindern konnte, dass die Bevölkerungszahl weiter zurückgegangen ist. Gleichzeitig ist durch den Ausbau einer touristischen Infrastruktur auch die Zahl der in diese - gerade an der Westküste landschaftlich oft sehr reizvollen - Regionen Zugezogenen gestiegen, die wiederum nur selten Irischkenntnisse besaßen bzw. bereit waren, sich diese anzueignen. Auch deshalb hatte die Gaeltacht-Politik für den Erhalt intakter Sprachgemeinschaften nicht nur positive Folgen. Innerhalb der Minderheit der Iren, die das Irische häufig verwenden, gibt es nach wie vor viele Enthusiasten, die Irisch als Hauptsprache gebrauchen, Heutige Situation Wenig Gebrauch des Irischen im Alltag Minderheit von Enthusiasten <?page no="210"?> 210 II Länderbeispiele auch wenn es nicht ihre Muttersprache ist. Dadurch steigt auch die Zahl derjenigen Kinder, die mit Irisch als zusätzlicher Muttersprache neben dem Englischen aufwachsen. Diese Minderheit zeichnet sich oft durch ein hohes Bildungsniveau aus - Gruppen der Bevölkerung, in denen ein Bewusstsein für das Sprachenlernen im Allgemeinen ausgeprägt ist, sind heute mit einer besonders großen Wahrscheinlichkeit irischsprachig. Dies hängt auch damit zusammen, dass gerade für Angestellte im öffentlichen Sektor oft Kompetenz im Irischen nötig ist, auch wenn gehobene Kenntnisse seit den 1970er Jahren keine allgemeine Voraussetzung mehr für eine Anstellung im öffentlichen Dienst sind. Somit hat sich das Irische im Laufe eines Jahrhunderts von einem Zeichen der ländlichen, wenig gebildeten Bevölkerung zu einem Symbol einer tendenziell akademisch geprägten Bevölkerungsgruppe gewandelt. In dieser herrscht ein Bewusstsein für die Auseinandersetzung mit Sprache, Kultur und Traditionen vor. Heute werden somit auch viele Kinder in diesem Geiste erzogen, um ein nach wie vor als nationales Symbol empfundenes Kulturgut zu bewahren. Abbildung 38: Beschilderung an der National University of Ireland in Galway, die als staatliche Institution zu Zweisprachigkeit verpflichtet ist. <?page no="211"?> 15 Großbritannien und Irland 211 Insgesamt bleibt das Irische somit nur für einen Teil der Bevölkerung ein Kommunikationsmittel. In Anbetracht des Aufwandes, der über mittlerweile fast ein Jahrhundert betrieben wurde, könnte die irische Sprachpolitik also als Misserfolg empfunden werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass das Irische aufgrund der Sprachpolitik der irischen Regierung heute überhaupt noch am Leben ist. Dies war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht vorauszusehen: Ohne die staatlichen Maßnahmen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Zahl der Irischsprecher weiter zügig gesunken wäre und heute eine Situation wie etwa in Schottland erreicht wäre, wo erst am Ende des 20. Jahrhunderts Maßnahmen für den Erhalt des Gälischen getroffen wurden, als die Zahl der Sprecher auf unter 2% der Bevölkerung gesunken war (vgl. Kapitel 15.1). Die Errungenschaft der offiziellen irischen Sprachpolitik und -gesetzgebung liegt somit darin, dass Irischsprechern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Sprache in vielen öffentlichen Kontexten zu gebrauchen, während in Schottland und Wales diese Rechte erst in jüngerer Zeit wieder mühevoll erkämpft werden mussten (Walsh/ McLeod 2008). Eine wirklich erfolgreiche Revitalisierungspolitik scheint jedoch nur durch beherzte Aktivitäten auf der Mikroebene möglich zu sein (Ó Laoire 2005, MacGiolla Chríost 2006). 15.2.3 Nordirland Eine ganz andere Situation als in der Republik Irland herrscht im zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland. Ähnlich wie in Schottland und Wales hat hier ein Bewusstsein für Sprachpolitik von offizieller Seite erst sehr viel später eingesetzt. Dabei sind die prozentualen Sprecherzahlen auch in Nordirland niedrig - nur etwa 10% der Bevölkerung gaben im Zensus von 2001 an, Irischkenntnisse - ohne nähere Angabe des Niveaus - zu besitzen. Anders als in den anderen Regionen Großbritanniens und Irlands spielt hier der langjährige religiöse Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten auch für die Sprachpolitik eine entscheidende Rolle. Dabei gibt es eine traditionelle Zuordnung, die sich erst in jüngerer Zeit etwas aufweicht: Die irische Sprache ist ein Symbol der katholischen Bevölkerung. Die Frage, Irisch sprechen, lesen, schreiben und verstehen zu können, bejahten ca. 10% der Katholiken, aber nur 0,4% der Protestanten (Mac Giolla Chríost 2011: 117-118). Im Gegensatz zur Republik Irland wird in Nordirland auch heute noch auf Seiten der katholischen Bevölkerung das Irische aufgrund seiner symbolischen Bedeutung gelernt. Diese Lerner sind hinsichtlich ihrer Motivation mit denjenigen Lernern in der Republik zu vergleichen, die das Irische als nationales Symbol sehen, wobei dies in Nordirland mit einer deutlich klareren politischen Aussage verbunden ist. Anders als in der Republik ist in Nordirland der instrumentelle Nutzen des Irischlernens, etwa um bessere Chancen auf eine Arbeit im öffentlichen Dienst zu haben, kaum vorhanden. Alle Irischsprecher in Nordirland haben die irische Sprache aktiv erlernt; die traditionellen Sprechergemeinschaften sind seit den 1970er Jahren ausgestorben. In weiten Teilen des 20. Jahrhunderts war die protestantische nordirische Regierung bzw. die von London aus gesteuerte Verwaltung dem Irischen gegenüber feindlich eingestellt. Dieses wurde als Symbol der Abspaltung von Großbritannien gesehen und damit unmittelbar auch mit einer Unterstützung der terroristischen Aktivitäten der IRA verbunden. Erst in den 1980er Jahren Erfolg oder Misserfolg der Sprachpolitik? Sprache und Identität in Nordirland Verbindung von Sprache und politischer Haltung <?page no="212"?> 212 II Länderbeispiele entstanden die ersten irischsprachigen Schulen, und erst seit der Zeit, in der die Politik in Nordirland durch das Streben nach einer Gleichbehandlung von Protestanten und Katholiken gekennzeichnet ist, hat sich die offizielle Politik gegenüber dem Irischen verändert. Ein Meilenstein dafür war das Karfreitagsabkommen aus dem Jahr 1998, in dem sich die britische Regierung verpflichtete, das Irische - in institutioneller Zusammenarbeit mit der Regierung der Republik Irland - zu fördern. Gleichzeitig wird neben dem Irischen seit dieser Zeit mit dem protestantisch konnotierten Ulster Scots eine zweite Sprache als Minderheitensprache in Nordirland gefördert. Dabei ist das Ulster Scots eine Varietät, deren Status als eigene Sprache nach rein sprachlichen Kriterien durchaus fragwürdig ist. Es unterscheidet sich nur geringfügig vom nordirischen Englisch, die Grenzen zwischen beiden Varietäten sind fließend. Die Anerkennung hat somit in erster Linie politische Gründe - wurde damit doch auf symbolischer Ebene eine Gleichberechtigung von zwei Varietäten erreicht, die mit jeweils einer der Konfessionen verbunden sind. Die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen wurde von der Regierung der Republik Irland nicht unterzeichnet, da Irisch in der Republik Nationalsprache ist und somit nicht als Minderheitensprache gilt. In Nordirland wurden Irisch und Ulster Scots hingegen bei der Ratifizierung der Charta durch die britische Regierung als zu schützende Sprachen aufgenommen - Irisch unter dem strengeren Teil III, Ulster Scots nur unter Teil II. Die konfessionell gemischten Regierungen Nordirlands haben außerdem eine Sprachpolitik eingeleitet, mit der der Gebrauch des Irischen im Bildungssystem gefördert wird. So gibt es über Nordirland verteilt mittlerweile eine Reihe von irischsprachigen Schulen auf allen Bildungsniveaus, auch wenn die Anzahl der Schüler in diesen Schulen gering bleibt. Bemühungen, ein Irischgesetz für Nordirland zu verabschieden oder auf andere Weise eine koordinierte Sprachpolitik für das Irische einzuleiten, sind hingegen bislang gescheitert. Insgesamt wird nicht nur von Aktivistengruppen für das Irische in Nordirland, sondern mit Bezug auf die Sprachencharta auch von den Gutachtern des Europarates kritisiert, dass eine kohärente Irischpolitik fehle und die Unterstützung für das Irische bei weitem nicht ausreichend sei. Außerdem verhindere die politische Verbindung von Irisch und Ulster Scots, dass weiterreichende Maßnahmen ergriffen werden, wodurch die britische Tradition der Marginalisierung des Irischen in Nordirland im Wesentlichen fortgesetzt werde (vgl. Muller 2010). ZUSAMMENFASSUNG: Die Republik Irland ist ein Beispiel für eine langjährige Aufwertungspolitik zugunsten einer Nationalsprache: Seit der Unabhängigkeit versucht die Regierung, das Irische als Nationalsymbol zu stützen. Nach fast 100 Jahren aktiver Sprachpolitik ist das Englische aber nach wie vor die dominante Sprache der Gesellschaft, die Zahlen der Irischsprecher sind gering. Im Gegensatz dazu ist in Nordirland Irisch auch heute noch ein identitätsstiftendes Symbol für die katholische Bevölkerung, die sich aber auch nur begrenzt in aktivem Sprachgebrauch spiegelt. Irisch und Ulster Scots in der Sprachencharta <?page no="213"?> 15 Großbritannien und Irland 213 Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Wofür ist die irische Sprachpolitik repräsentativ? Warum hat diese, nach etwa einem Jahrhundert der staatlichen Unabhängigkeit, nicht die gewünschten Erfolge gezeigt? 2. Wie sehen Sie die Rolle der „Gaeltacht“-Gebiete? Wie wird sich die sprachliche Situation in diesen Ihrer Meinung nach entwickeln? 3. Worin unterscheidet sich maßgeblich der Status des Irischen in Nordirland und in der Republik? Welche Konsequenzen hat dies für die Einstellung der Bevölkerung zum Irischen und die Bereitschaft, die Sprache zu benutzen bzw. zu erlernen? <?page no="214"?> 16 Demokratisierung und Nationalismus im postsozialistischen Raum 16.1 Estland, Lettland, Litauen: Das Zurückdrängen der Sprache der ehemaligen Besatzungsmacht Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind ein interessanter Fall in der sprachpolitischen Diskussion, weil sich an ihnen deutlich erkennen lässt, wie innerhalb weniger Jahre das Verhältnis von Sprachen innerhalb einer Gesellschaft weitgehend umgedreht werden kann. Während bis Ende der 1980er Jahre Russisch als Sprache der Sowjetunion die mächtigste Sprache war, haben die Regierungen der drei Länder seitdem erfolgreich verstanden, die so genannten Titularsprachen Estnisch, Lettisch und Litauisch zu vollwertigen Sprachen zu entwickeln. In diesem Prozess weist das Baltikum vom Ansatz her viele Parallelen zu postkolonialen Staaten in der so genannten Dritten Welt auf. 16.1.1 Politische und sprachliche Entwicklungen im 20. Jahrhundert Die heutige Situation der drei Staaten des Baltikums ist in erster Linie durch die etwa 50 Jahre währende Annexion durch die Sowjetunion als Folge des Hitler-Stalin-Paktes gekennzeichnet, in dem das Baltikum der sowjetischen Einflusssphäre zugesprochen wurde (für einen Überblick über Sprachpolitik im Baltikum: Hogan-Brun et al. 2008 oder Kessler 2009). Es wird dabei von drei Besatzungen gesprochen: Die kurze Unabhängigkeit der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Staaten wurde zunächst durch den ersten Einmarsch der Sowjetarmee 1940 nach einem Ultimatum, „freiwillig“ eine sowjetische Truppenstationierung zuzulassen, zunichte gemacht. Dieser folgte nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion eine dreijährige Besatzung durch das nationalsozialistische Deutschland (1941-44). Nach dem Krieg zerschlug sich die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Unabhängigkeit schnell: Die Eingliederung in das Sowjetsystem zerstörte nicht nur einen Teil der Infrastruktur, es wurde auch ein größerer Teil der Bevölkerung nach Sibirien deportiert, vielen anderen Menschen gelang zuvor die Flucht ins westliche Ausland (oft nach Deutschland und Schweden, von dort aus häufig in klassische Auswanderungsländer wie die USA, Kanada und Australien). Die dritte Besatzung des Baltikums war aufgrund ihrer Dauer in sprachlicher Hinsicht für das Estnische, Lettische und Litauische am verheerendsten. Das Russische wurde nicht nur zur Lingua Franca in der Kommunikation mit anderen Sowjetrepubliken, es übernahm auch die bedeutendsten Funktionen im Baltikum selbst. Dies wurde durch einen massiven Zuzug zumeist russischsprachiger Menschen aus anderen Teilen der Sowjetunion unterstützt und hatte nicht nur zur Folge, dass die meisten offiziellen Aktivitäten auf Russisch stattfanden und die drei Titularsprachen wichtige Domänen verloren. Es äußerte sich auch etwa in einem dualen Schulsystem: Während russische Schulen nur geringfügig auf die Besonderheiten der jeweiligen Sprachpolitik zur Umkehr der Auswirkungen der Sowjetzeit Die drei Besatzungen des Baltikums <?page no="215"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 215 Landeskultur und -sprache eingingen und damit weite Teile der neu ins Land gekommenen Bevölkerung auch in den jüngeren Generationen einsprachig Russisch blieben, dauerte die Schulbildung in den nichtrussischen Schulen ein Jahr länger und bot sowohl eine russische als auch eine lettische, litauische bzw. estnische Kultur- und Sprachausbildung. Dabei wurden von Seiten der Schulverwaltung dezidierte Symbole der eigenständigen Kulturen wie etwa das traditionelle Mittsommerfest ignoriert. 16.1.2 Das heutige Miteinander der Titularsprachen mit dem Russischen Nach der Wiederherstellung der staatlichen Souveränität der baltischen Staaten 1990/ 91 bestand somit eine Situation, in der sich die drei Titularnationen einer massiven Marginalisierung ihrer Sprachen entgegenstellen mussten. Die Sprachpolitik seit den letzten Jahren der Sowjetunion um 1990 ist somit darauf ausgerichtet gewesen, die Bevorzugung des Russischen durch eine Umkehr des gesellschaftlichen Sprachwechsels zugunsten des Estnischen, Lettischen und Litauischen zurückzudrängen. Der wesentliche Unterschied zu anderen europäischen Sprachpolitiken ist dabei gewesen, dass von einem großen Teil der Bevölkerung, vielen (wenn auch nicht allen) der während der Sowjetzeit ins Land gekommenen Migranten, nicht davon ausgegangen werden konnte, dass sie das Lettische, Litauische oder Estnische beherrschten. Diese Situation wird als asymmetrische Mehrsprachigkeit bezeichnet - Russen waren tendenziell einsprachig, Balten zumeist mehrsprachig, und die Funktionen der Sprachen waren hinsichtlich ihres Prestiges eindeutig verteilt. Die Situation war in allen drei baltischen Länder ähnlich - wobei Litauen einen deutlich geringeren Anteil an russophoner Bevölkerung aufwies als Lettland und Estland. Tabelle 5 zeigt, wie sich in Lettland als am stärksten betroffenem Land die Bevölkerungszahl im Laufe der Sowjetzeit veränderte, bis die Letten zum Zeitpunkt der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit 1991 ihre nummerische Mehrheit im eigenen Land fast verloren hatten: Ethnische Zugehörigkeit 1935 1989 2007 Lettisch 77,0 52,0 59,0 Russisch 9,0 34,0 28,3 Weißrussisch 1,4 4,5 3,7 Ukrainisch 0,1 3,5 2,5 Polnisch 2,6 2,3 2,4 Litauisch 1,2 1,3 1,4 Jüdisch 4,9 0,4 * Deutsch 3,3 * * Andere 0,6 1,7 2,7 * unter 0,1; in „andere ethnische Zugehörigkeit” enthalten Tabelle 5: Ethnien in Lettland (Angaben in Prozent, Latvijas statistika). Die Tabelle veranschaulicht nicht nur, in welchem Maße der Anteil von Personen mit russischer ethnischer Zugehörigkeit (und mit ihnen die russische Sprache) zugenommen hat. Sie zeigt auch, dass Lettland immer schon eine Asymmetrische Mehrsprachigkeit Lettland als Land mit dem größten russophonen Anteil <?page no="216"?> 216 II Länderbeispiele multikulturelle und vielsprachige Region gewesen ist, in der sich die Verhältnisse im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verschoben haben. Als Folge der vollständigen Wende in der Sprachpolitik haben alle drei baltischen Republiken heute ihre jeweilige Nationalsprache als einzige Staatssprache gesetzlich festgeschrieben. Dies äußert sich in erster Linie darin, dass die Staatssprache die jeweils alleinige Sprache für die Belange des Staates und der Behörden ist. Grundidee ist, dass sich Esten, Letten und Litauer in ihrem Land überall in ihrer eigenen Sprache verständigen können. So sind auch in der Privatwirtschaft gewisse Kenntnisse der Nationalsprache notwendig: Nicht nur ist z.B. Buchhaltung in den Staatssprachen gesetzlich vorgeschrieben, jedes Privatunternehmen muss auch eine Person mit ausreichenden Sprachkenntnissen beschäftigen. Für viele Berufe ist das Bestehen eines Sprachtests obligatorisch. Selbiges gilt - zumindest in Lettland und Estland - auch für die Staatsbürgerschaft: Nach 1991 konnte nur diejenige Bevölkerung die Staatsbürgerschaft erwerben, die bzw. deren Vorfahren bereits 1940 im Land gelebt hatten. Andere Personen mussten sich einem Einbürgerungstest unterziehen, der neben Fragen zur Geschichte auch einen - allerdings nicht allzu schweren - Sprachtest enthielt. Für staatliche Institutionen gilt, dass eine Beschilderung im öffentlichen Raum (mit wenigen Ausnahmen) nur in der Staatssprache erfolgen darf. Privatunternehmen hingegen dürfen - ähnlich wie etwa in Quebec - auch in der Beschilderung andere Sprachen zusätzlich verwenden. Medien in anderen Sprachen existieren hingegen in allen drei baltischen Staaten und diese publizieren auch auf staatlichen Kanälen. Im Bildungssystem gibt es bis heute den Dualismus zwischen Schulen, die in den Staatssprachen operieren, und so genannten Minderheitenschulen. Diese sind zumeist russischsprachig (in Litauen auch polnischsprachig), außerdem gibt es einige wenige Schulen, die explizit kleinere Minderheitensprachen wie Ukrainisch anbieten. Das offizielle Ziel ist, insbesondere für die russischsprachigen Schulen, im Laufe der Schulausbildung auch ausreichend Kenntnisse in der Staatssprache zu vermitteln. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu vielen anderen Minderheitensituationen, wo das Beherrschen der Hauptsprache des Landes vorausgesetzt werden kann und der Schutz der Minderheitensprache im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig werden systematisch die russische Sprache und Kultur gelehrt. Während in Lettland etwa die Grundschulen weitgehend selbst entscheiden können, wie sie den Übergang vom Russischen zum Lettischen gestalten, gibt es für die Sekundarschulen seit 2004 eine 60-40-Regelung, nach der die Mehrheit des Unterrichts auf Lettisch stattzufinden hat. Das Ziel derartiger Reformen ist die Integration der russischsprachigen Bevölkerung in die lettische (bzw. durch vergleichbare Maßnahmen estnische) Gesellschaft, auch wenn von russischsprachigen Aktivisten diese bisweilen so wahrgenommen werden, als solle damit einer kulturellen und sprachlichen Assimilierung Vorschub geleistet werden. Ethnische Spannungen spielen unterschwellig jedoch immer noch eine große Rolle. Diese können sich in bestimmten Situationen auch gewaltsam entladen - wie etwa 2007 in Estland, als die Regierung ein sowjetisches Kriegsdenkmal aus der Tallinner Innenstadt an einen weniger prominenten Ort auf einem Friedhof umsiedelte. Dabei geht es in erster Linie um die Interpretation der Geschichte. Estnisch, Lettisch, Litauisch als alleinige Staatssprachen Sprachen auf öffentlichen Schildern Duales Bildungssystem Fortbestehende Konflikte <?page no="217"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 217 Für das friedliche Zusammenleben der ethnischen Gruppen ist es z.B. problematisch, dass die russische Regierung eine Diskurspolitik betreibt, die verbreitet, die baltischen Staaten hätten sich freiwillig der Sowjetunion angeschlossen. Insbesondere die militärische Einmischung Russlands in der Ukraine seit 2014 und die Annexion der Krim - deren Wahrnehmung ja auch in westeuropäischen Medien gezielt durch russische „Medientrolle“ beeinflusst wird - haben bei vielen Esten, Letten und Litauern traumatisierende Erfahrungen der Vergangenheit an die Oberfläche gebracht. Entsprechend gering ist das Verständnis vieler Balten für diejenigen Russen, die auch nach Jahrzehnten im Land ausschließlich Russisch sprechen. Angesichts dieser unterschiedlichen Wahrnehmungen ist es umso bemerkenswerter, dass der mehrsprachige Alltag im Baltikum aber letztlich weitgehend unproblematisch verläuft. Hinzu kommt, dass sich in der jungen Generation viele Russophone im Baltikum heute weder Russland noch Estland, Lettland bzw. Litauen richtig zugehörig fühlen sondern bei vielen eine lokale Identität dominiert. Auf politischer Ebene werden derartige Positionen insbesondere in Lettland durch Parteien vertreten, die eine offizielle Zweisprachigkeit anstreben - jedoch damit in absehbarer Zeit kaum Erfolg haben dürften. So wurde für ein Referendum in Lettland, das zum Ziel hatte, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen, 2011 die notwendige Zahl der Unterschriften innerhalb kürzester Zeit zusammengetragen, beim Referendum selbst wurde 2012 jedoch die vorgeschlagene Verfassungsänderung mit einer Mehrheit von 75% abgelehnt. Viele Russophone im Baltikum fühlen sich in ihrer Wahrnehmung als diskriminierte Gruppe dadurch bestärkt, dass Statistiken einen klaren Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit und ökonomischem Erfolg sehen. Interessanterweise könnte sich jedoch gerade die ökonomische Seite der Mehrsprachigkeit langfristig zugunsten der russischsprachigen Bevölkerung auswirken: In der jungen Generation der Balten sind Russischkenntnisse heute nicht mehr selbstverständlich, während durch die Schulreform die Anzahl der jungen Menschen mit russischsprachigem Hintergrund, die keine Lettisch-, bzw. Estnisch- oder Litauischkenntnisse haben, stark zurückgegangen ist. So fordern etwa viele Unternehmen von ihren Mitarbeitern heute auch gute Russisch- und Englischkenntnisse. Die durch die postkoloniale Ausgangssituation begründete Sprachpolitik führt zu einigen Praktiken, die im internationalen Vergleich ungewöhnlich sind. So gibt es eine Sprachpolizei, die etwa in Geschäften die Beschilderung entsprechend der Gesetze überprüft und ggf. Geldbußen verhängt. Ein weiterer Aspekt sind Personennamen, die in Litauen und Lettland in allen offiziellen Kontexten in einer litauischen bzw. lettischen Version gebraucht werden müssen. Diese Vorgabe steht im Gegensatz etwa zu Forderungen nach dem Recht auf Selbstbestimmung der Form des eigenen Namens. Sie führt auch dazu, dass ausländische Namen in den Medien transkribiert werden - so wird Goethe in Lettland zu Gēte, Molière zu Moljērs. Dies ist durch eine puristische Grundhaltung in der Sprachpflege zu erklären und führt bis heute auch dazu, dass Dialekte und Nicht-Standardsprache nur wenig akzeptiert werden (zur normativen Sprachpflege im Baltikum vgl. mehrere Beiträge in Kessler/ Pantermöller 2011). Sprachpolizei und Personennamen <?page no="218"?> 218 II Länderbeispiele Abbildung 39: Zweisprachige Politik eines Spielwarengeschäftes (Estnisch und Russisch) in der hauptsächlich von Personen mit Russisch als Erstsprache bewohnten Stadt Narva im Nordosten Estlands. 16.1.3 Andere Sprachen im Baltikum Bei aller sprachpolitischen Konzentration auf das Wiedererlangen der vollständigen Funktionstüchtigkeit der Titularsprachen im Verhältnis zum Russischen finden sprachpolitische Maßnahmen zu anderen Minderheitensprachen im Baltikum oft weniger Beachtung. Dies gilt auch für das Lettgallische, eine Regionalsprache in der Region Lettgallen im Osten Lettlands, deren Verhältnis zum Lettischen in etwa mit dem von Hoch- und Niederdeutsch verglichen werden kann. In der lettischen Verfassung wird sie als „historische Varietät des Lettischen“ bezeichnet. Während Lettgallisch in der minderheitenfreundlichen Politik der Zwischenkriegszeit, zumindest bis 1934, eine regionale Präsenz in den Schulen mit eigenen Schulbüchern hatte und es auch Zeitungen in Lettgallisch gab, war der Gebrauch zu Sowjetzeiten verboten. Heute wird es von der Öffentlichkeit nur wenig beachtet und wurde von der staatlichen Sprachpolitik lange weitgehend ignoriert (Lazdiņa/ Marten 2012, Marten 2012a). Allerdings ist es, bedingt durch Aktionismus durch die Sprecher, in den letzten Jahren wieder verstärkt zu einem Gebrauch und einem gewissen Maß an Anerkennung gekommen, so dass etwa 2008 eine neue standardisierte Orthographie beschlossen wurde und seit jüngster Zeit ein gewisses Aufblühen im Bildungsbereich und in den Medien zu erkennen ist (vgl. Lazdiņa 2013). Im Südosten Estlands gibt es dazu vergleichbar die Regionalsprache Võro, deren Erforschung durch ein eigenes sprach- und bildungswissenschaftliches Institut vom estnischen Staat gefördert wird (Koreinik/ Saar 2012). Außerdem sollen noch die Kleinstsprachen Livisch an der lettischen Küste und Karäisch in Litauen erwähnt werden. Das finno-ugrische Livisch wird heute von einer Handvoll Enthusiasten gesprochen, die es, ähnlich wie etwa das Kornische und Gälische der Insel Man, als Erwachsene gelernt haben, und Wiederbelebungs- Lettgallisch Andere kleine Sprachen <?page no="219"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 219 maßnahmen betreiben. Diese sind bisher nur von geringem Erfolg gekrönt gewesen, auch wenn Livisch sogar durch das lettische Sprachgesetz geschützt wird. Das Karäische steht noch etwas besser da - jedoch ist auch hier der kulturelle und sprachliche Druck deutlich zu spüren, so dass ein längerfristiges Überleben der Sprache unsicher ist. Schließlich soll noch kurz auf die Rolle des Deutschen in der Region eingegangen werden, das als Sprache der Deutsch-Balten in Estland und Lettland lange als Sprache der kulturellen und wirtschaftlichen Oberschicht präsent war. Nach der Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg gab es zunächst großzügige Regelungen, die sogar den Gebrauch des Deutschen in den Parlamenten zuließen. Während ein Teil der deutschsprachigen Bevölkerung bereits in den Anfangsjahren seine Heimat verlassen hatte, wurde der Großteil der verbliebenen Bevölkerung 1939 „heim ins Reich“ beordert. Dies geschah in Voraussicht des Hitler-Stalin-Paktes, nach dem sich in der sowjetischen Einflusssphäre keine deutsche Bevölkerung mehr befinden sollte; die Deutsch-Balten wurden dabei von der NS-Führung als „zu schwach“ angesehen, um dauerhaft bestehen zu können. Heute hat Deutsch als Minderheitensprache keine Bedeutung mehr, war jedoch lange erste westliche Fremdsprache, bis diese Rolle seit den 1990er Jahren vom Englischen eingenommen wurde. Deutsch-Baltische Aktivitäten beschränken sich heute weitgehend darauf, Kulturaustausch und Traditionen im gegenseitigen Einvernehmen zu fördern. ZUSAMMENFASSUNG: Estland, Lettland und Litauen haben seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit eine Politik der Umkehr des Sprachwechsels verfolgt, nachdem Russisch während der Sowjetzeit die dominierende Sprache war. Trotz großer russischsprachiger Minderheiten sind nur Estnisch, Lettisch und Litauisch offizielle Sprachen. Diese Politik ist weitgehend erfolgreich gewesen, so dass Kenntnisse der Staatssprache in der russischsprachigen Bevölkerung und deren Integration in die heutigen Gesellschaften zugenommen haben. Trotzdem bleiben Sprachenfragen ein schwieriges Thema; es kommt unter der Oberfläche nach wie vor gelegentlich zu ethnischen Spannungen. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Empfinden Sie die baltische Sprachpolitik gegenüber dem Russischen als gerechtfertigt? Vergleichen Sie die Stellung des Russischen und der russischsprachigen Bevölkerung z.B. mit der türkischsprachigen oder der sorbischsprachigen Bevölkerung in Deutschland. 2. Was hätten die baltischen Staaten Ihrer Ansicht nach hinsichtlich der Staatsangehörigkeit mit der zur Sowjetzeit ins Land gekommenen Bevölkerung tun sollen? Was halten Sie davon, dass eine 30jährige Lettin, deren Eltern 1944 aus Lettland in die USA geflohen sind, um einer Deportation nach Sibirien zu entgehen, und die in den USA aufgewachsen ist, 1991 problemlos einen lettischen Pass bekommen konnte - eine 30jährige Russin, deren Eltern 1952 nach Lettland gezogen sind und die in Deutsch im Baltikum <?page no="220"?> 220 II Länderbeispiele Lettland aufgewachsen ist, jedoch nicht? Welche Rolle spielt die Sprachkompetenz im Lettischen dabei? 3. Mit welchen anderen Ihnen bekannten Ländern lassen sich die baltischen Staaten vergleichen? 4. Was steht hinter der Praxis der Verwendung von litauisierten bzw. lettisierten Personennamen? Welche praktischen Probleme können dadurch entstehen? Wie würden Sie es persönlich empfinden, wenn Ihr Name in schriftlichen Dokumenten entsprechend angepasst würde? 16.2 Polen: Purismus und die langsame Anerkennung der Mehrsprachigkeit Polen ist ein Land mit einer relativ großen sprachlichen Homogenität, in dem über lange Jahre hinweg traditionell wenig Bewusstsein für Sprachpolitik herrschte. Während der kommunistischen Zeit war Polnisch die einzige Sprache von Relevanz. Ein Großteil des Sprachbewusstseins in der Bevölkerung beschränkte sich auf die Ablehnung des Russischen als Sprache der Sowjetmacht und erste Fremdsprache im Bildungssystem. Die in Polen gesprochenen Minderheitensprachen spielten in der offiziellen Politik keine Rolle - nach staatlicher Lesart war Polen ein einsprachiges Land. Dies lag nicht zuletzt an der Rolle des Deutschen in den ehemals deutschen Gebieten, die nach dem Zweiten Weltkrieg Polen zugesprochen worden waren. Hier sollte um jeden Preis vermieden werden, dass die im Land verbliebene deutsche Minderheit sich ihrer Sprache und Kultur hätte besinnen können. Dennoch gibt es in der Realität eine recht große Zahl an Sprachminderheiten - und der polnische Staat hat in den Jahren seit dem Ende des Sozialismus, nicht zuletzt aufgrund der Aktivitäten einer Reihe von Enthusiasten in den verschiedenen Regionen, deutlich an deren Aufwertung gearbeitet. Somit ist - ähnlich wie Deutschland - Polen zwar ein sprachlich relativ homogenes Land mit einer die Gesellschaft dominierenden Sprache: 97% der Bevölkerung gibt Polnisch als Muttersprache an. Gleichzeitig gibt es aber eine illustre Vielzahl an anderen Sprachen. Diese werden oft in drei Gruppen eingeteilt (vgl. etwa Moskal 2004): Minderheitensprachen in dem Sinne, dass sie von Angehörigen von Volksgruppen gesprochen werden, die außerhalb Polens ihren eigenen Staat haben, sind Weißrussisch, Tschechisch, Deutsch, Litauisch, Russisch, Slowakisch und Ukrainisch - also die Sprachen der Nachbarstaaten Polens. So genannte Diasporasprachen von weit verstreuten Bevölkerungsgruppen sind die Romani-Varietäten der Roma, Hebräisch und Jiddisch, Karäisch und Armenisch. Schließlich gibt es die Regionalsprachen Kaschubisch, das dem Polnischen nahe steht, Ruthenisch, das dem Ukranischen ähnlich ist, Schlesisch und Wymysiöeryś/ Wilmesaurisch als aus mittelhochdeutschen Dialekten hervorgegangene germanische Varietät in einer kleinen Sprachinsel im Dorf Wilamowice/ Wynysoü/ Wilmesau in Schlesien. Die nach dem Zensus von 2002 hinsichtlich der Sprecherzahl größte Minderheitensprache ist Deutsch mit fast 200.000 Sprechern, gefolgt von Schlesisch, Kaschubisch und Weißrussisch mit jeweils mehreren zehntausend Sprechern. Wilmesaurisch und Karäisch werden dagegen Relative sprachliche Homogenität Minderheiten <?page no="221"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 221 nur noch von sehr wenigen Menschen gesprochen; allerdings gibt es in jüngerer Zeit einige Revitalisierungs- und Dokumentationsbemühungen, die 2013 sogar in der Einrichtung einer Sprachakademie für das Wilmesaurische mündeten. Sprachpolitik in Polen hat heute zwei Schwerpunkte: Einer relativ neuen Entwicklung hin zu einem bewussten sprachpolitischen Umgang mit der polnischen Sprache steht ein in den letzten Jahren aktiver Umgang mit den sprachlichen Minderheiten gegenüber. Dies äußert sich in der polnischen Verfassung von 1997, deren Artikel 27 das Polnische als offizielle Sprache Polens festschreibt, aber im zweiten Absatz erklärt, dass dies nicht die Rechte der nationalen Minderheiten beeinträchtigen dürfe. Auf einer Ebene unterhalb der Verfassung ist das Bewusstsein für das Polnische seit dem Ende des Kommunismus verstärkt durch eine aktive Sprachpolitik unterstützt worden - das Sprachgesetz von 1999 legt fest, dass sowohl die Entwicklung des Polnischen in Polen als auch die Verbreitung des Polnischen im Ausland unterstützt werden sollen. 16.2.1 Historische Entwicklung der polnischen Sprachpolitik Das Polnische hat eine interessante sprachpolitische Geschichte, in der sich Elemente nationalstaatlicher Traditionen wie in Frankreich mit einer Tradition der Unterdrückung und des Widerstandes vereinen. Eine erste Blüte erlebte das Polnische zur Zeit des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staates, als es insbesondere seit dem 15. und 16. Jahrhundert immer mehr Funktionen als Verkehrssprache der verschiedenen Regionen und als Verwaltungs- und Unterrichtssprache annahm. Wesentlichen Anteil daran hatte die bereits 1364 gegründete Krakauer Akademie, aus der später die heute noch renommierte Jagiellonen-Universität hervorging. Nach den Teilungen des polnischen Staates, mit denen die polnischen Gebiete von Russland, Österreich und Preußen einverleibt wurden und mit denen Polen von 1795 bis 1918 als eigenständiger Staat von der Bildfläche verschwand, wurde in vielen polnischsprachigen Gebieten dagegen eine Sprachpolitik von unten betrieben, um einem vollständigen Verschwinden des Polnischen entgegenzuwirken. Dies geschah insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen eine Politik der Russifizierung durch das Zarenreich. Mit der polnischen Sprache und dem Festhalten am Katholizismus gegenüber der orthodoxen Kirche waren somit häufig auch separatistische Bestrebungen verbunden. Eine bekannte Anekdote erzählt etwa, dass die in Polen aufgewachsene Marie Curie in ihrer Schulzeit von russischen Inspektoren aufgefordert wurde, das Unterrichtsgeschehen auf Russisch nachzuerzählen, um zu überprüfen, ob der Unterricht nicht auf Polnisch abgehalten wurde. Sobald die Inspektoren die Schule wieder verlassen hatten, wurde sofort wieder auf Polnisch umgeschaltet (vgl. Schiffman 2006: 116). Und auch in den preußischen Teilen Polens war Polnisch über längere Zeit verboten - wohingegen der österreichische Vielvölkerstaat eine sehr viel tolerantere Politik an den Tag legte. Insgesamt hatte die polnische Nationalbewegung - wie in vielen anderen Teilen Europas - für die Aufrechterhaltung der polnischen Sprache und die Verbindung von Sprache und Nation so weit vorgearbeitet, dass nach dem Entstehen des modernen polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg Polnisch in allen Funktionen der Gesellschaft zur Hauptsprache werden Heutige Sprachgesetze und neues Bewusstsein für Sprachen Sprachpolitische Geschichte Polnische Nationalbewegung und 20. Jahrhundert <?page no="222"?> 222 II Länderbeispiele konnte. Nach der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, während der auch das Polnische erneut verboten oder zu einer Sprache zweiter Klasse degradiert wurde, setzte sich das Polnische zu kommunistischer Zeit wieder voll durch. Auch wenn der sowjetische Einfluss stark war, gelang es kaum, das Russische als zweite Sprache zu etablieren. Stattdessen war die Abneigung gegen das Russische so groß, dass die Reaktionen „von unten“ keinerlei Zweifel daran ließen, dass das Polnische als Nationalsprache alleinherrschend blieb. Gleichzeitig wurde durch die politische und soziale Homogenisierung des öffentlichen Lebens Einsprachigkeit als normal angesehenen, wodurch nicht nur das Russische und Deutsche als Sprachen der (ehemaligen) Besatzer abgelehnt wurden, sondern worunter die Akzeptanz anderer Sprachen allgemein litt. Minderheitensprachen wurden offiziell nicht nur in ihrer Existenz in Frage gestellt, sondern auf politischer Ebene sogar als Bedrohung für das kommunistische System angesehen. Die Einstellungen zu Mehrsprachigkeit während des Kommunismus haben auch heute noch zur Folge, dass das Russische von weiten Teilen der Bevölkerung kaum beherrscht wird, obwohl es über Jahrzehnte hinweg Pflichtfach in der Schule war. Zum Teil wird es sogar in dem Maße abgelehnt, dass auch Personen mit Russischkenntnissen sich weigern, dieses zu gebrauchen. Dies steht im starkem Kontrast zu dem Eifer, mit dem sich die polnische Gesellschaft seit 1990 dem Englischen gewidmet hat. In weniger als zwei Jahrzehnten wurde somit eine weiter verbreitete Kompetenz im Englischen aufgebaut als vier Jahrzehnte russischer Beeinflussung Russischkenntnisse verbreiten konnten - und das, obwohl das Polnische dem Russischen sprachlich deutlich näher ist als dem Englischen. Ähnlich wie in Deutschland wird auch in Polen der Einfluss von Fremdsprachen auf die Nationalsprache intensiv diskutiert - heute insbesondere die Rolle des Englischen, in historischer Erinnerung aber auch die Einflussnahme durch das Deutsche und Russische. Ein Ergebnis dieser Debatte ist das Sprachgesetz von 1999 (mit z.T. abschwächenden Änderungen 2003 und 2004), das die polnische Sprache nicht nur vor Anglizismen, sondern auch vor „Vulgarismen“ schützen soll. Letzteres ist eine besonders bemerkenswerte Regelung, da es notwendigerweise dem individuellen Sprachempfinden überlassen und damit völlig unklar bleiben muss, was darunter zu verstehen ist. Gleichermaßen leitet das Gesetz eine Sprachverbreitungspolitik ein, die die polnische Sprache und z.B. Unterricht in dieser in der ganzen Welt unterstützen soll. Der Sprachrat, der durch das Gesetz offiziell verankert wurde (Rada Języka Polskiego), ist sowohl Normierungsinstanz als auch Element der Sprachpflege und kann zur Beratung in Sprachfragen konsultiert werden. Die offizielle Funktion der polnischen Sprache gilt dabei nicht nur in allen Bereichen der Verwaltung, sondern auch für die offizielle Kommunikation von Privatunternehmen. Diese muss stets auch auf Polnisch erfolgen, wenngleich zusätzlich auch andere Sprachen gebraucht werden dürfen. Schließlich nimmt das Sprachgesetz auch auf die Medien Einfluss: Danach muss mindestens ein Drittel der Zeit in Radio und Fernsehen mit Produktionen in polnischer Sprache gefüllt werden (vgl. Ohnheiser 2008 und Leśniewska/ Mazur 2008). Sprachpurismus <?page no="223"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 223 16.2.2 Minderheitensprachen Nachdem die polnische Gesetzgebung die Position der polnischen Sprache festgeschrieben hatte, beschäftigte sich die offizielle Politik mit der Situation der Minderheitensprachen (zu Minderheitensprachen in Polen vgl. Janusz 2006). Die teilweise rigide anmutenden Bestimmungen des Sprachgesetzes, die in ichrem Geist an den Purismus und die kulturelle Sonderstellung der Sprache etwa in Frankreich erinnern, erscheinen dadurch in deutlich weniger restriktivem Licht. Hier kommt zum Ausdruck, was bisweilen als typisch polnische Sprachgesetzgebung bezeichnet wird: Relativ kategorische Regeln werden durch die Zulassung von Ausnahmen so modifiziert, dass letztlich pragmatische Lösungen dominieren. Gesellschaftlich gesehen ist aber - wie in vielen anderen sich über die Sprache definierenden Nationalstaaten wie auch Deutschland - nach wie vor zu bemerken, dass Einsprachigkeit als Normalität angesehen wird. Das Gesetz zu den Nationalen und Ethnischen Minderheiten und Regionalsprachen aus dem Jahr 2005 stellt die Sprachpolitik gegenüber den Minderheiten auf eine gesetzliche Grundlage. Es ergänzt damit Artikel 35 der polnischen Verfassung, der das Recht der Minderheiten betont, ihre Kultur und Sprache auszuleben. Durch dieses Gesetz ist die Tradition der Leugnung von Minderheiten beseitigt, jedoch hat es auch Kritik auf sich gezogen. So wurde relativ willkürlich eine Grenze von 100 Jahren für die Unterscheidung von traditionellen und neuen Minderheiten gezogen. Das Gesetz schützt diejenigen Sprachen und Gruppen, die seit mindestens 100 Jahren auf heutigem polnischem Territorium gelebt haben, nicht aber etwaige neue Minderheiten, wie sie auch durch Migration entstehen können. Bei aller Kritik an der Willkür dieser Frist ist jedoch zu bemerken, dass diese Regelung letztlich nur eine Praxis festschreibt, die auch in vielen anderen Ländern gängig ist: die politische Unterscheidung zwischen Migranten und autochthonen Minderheiten. Abbildung 40: Zweisprachiges Ortsschild (Polnisch und Kaschubisch) in der Nähe von Danzig. Minderheitengesetz von 2005 <?page no="224"?> 224 II Länderbeispiele In vielen wichtigen Sprachdomänen gibt es für Minderheitensprachen heute Entwicklungen, die zu vorsichtigem Optimismus Anlass geben. So wird Schulunterricht für die meisten sprachlichen Minderheiten angeboten und der Staat unterstützt in begrenztem Umfang Medien und Kulturveranstaltungen. In einigen Lokalverwaltungen werden - auch auf Druck von außerhalb Polens - Minderheitensprachen als Hilfssprachen akzeptiert, etwa Deutsch und Litauisch. Daran wird ersichtlich, wie wichtig die Unterstützung durch einen anderen Staat sein kann, insbesondere in Fällen, wo - wie in Litauen - auch eine polnische Minderheit existiert. Außerdem gibt es mittlerweile einige zweisprachige Ortsschilder. Diese führten aufgrund ihrer Symbolhaftigkeit und dadurch, dass sie Erinnerungen an die Vergangenheit auslösten, zunächst zu heftigen Kontroversen, sind heute aber weitgehend akzeptiert. Eine Besonderheit der deutschen Minderheit ist zudem, dass diese eigene Vertreter im polnischen Parlament, dem Sejm, hat. Diese Entwicklungen führten dazu, dass Polen 2008 auch die Europäische Sprachencharta ratifiziert hat. 16.2.3 Die deutsche Minderheit und die Abgrenzung von sprachlicher und ethnischer Identität Insgesamt gilt die deutsche Minderheit heute - nicht nur aufgrund ihrer Größe - als am besten geschützte Minderheit Polens. Dabei ist diese hauptsächlich noch in Schlesien im Gebiet um Oppeln/ Opole präsent, während in den anderen ehemaligen deutschen Gebieten nur noch vereinzelt Deutschsprachige leben. Viele Teile der Bevölkerung, die nach den Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Heimat blieben, wurden im Rahmen der nationalkommunistischen Ideologie polonisiert bzw. trauten sich über Jahrzehnte nicht, sich zur deutschen Sprache zu bekennen und diese an ihre Kinder weiterzugeben. Viele zunächst in Polen verbliebene Deutsche zogen somit als Aussiedler in den 1950er-80er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland. Erst in den 1990er Jahren kam es wieder zu einer Rückbesinnung auf die deutschen Wurzeln, nachdem erst 1989 eine offizielle Anerkennung durch die polnische Regierung erfolgt war (vgl. Wicherkiewicz 1996, Cordell 2000). Von vielen Personen wurde traditionell eher eine regionale als eine nationale Identität betont, eine Verbindung von Sprache und Kultur, die deutsche und polnische Elemente vereinte. Zur Erklärung dieses Phänomens sollte in Erinnerung gerufen werden, dass die Zuordnung zu einer Nationalität weitgehend eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein größere Gruppen der Bevölkerung nicht erfasst hatte. So waren vor dem Zweiten Weltkrieg in Schlesien oft religiöse und regionale Identitäten wichtiger als sprachliche. Deutsch und Polnisch wurden von vielen Teilen der Bevölkerung gar nicht oder nur zu bestimmten Anlässen gesprochen, dagegen dominierten lokale Varietäten des Polnischen und Deutschen. Individuell konnte eine deutsche oder eine polnische Identität dominieren, andere Personen betonten dagegen ihre schlesische Identität und es gab auch einen Teil der Bevölkerung, für den die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wichtiger war und der seine Identität als „katholisch“ angegeben hätte. Diese Tendenz setzt sich heute in geringem Maße fort. Im Zensus von 2002 rückte die schlesische Sprache nach mehr als einem halben Jahrhundert urplötzlich wieder in das Licht der Aufmerksamkeit. Dieser Zensus war der Positive Entwicklungen im Minderheitenschutz Deutsche Minderheit Identitätsfragen heute <?page no="225"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 225 erste, der Nationalitäten- und Sprachfragen enthielt. Insbesondere in Schlesien ergaben sich einige interessante Ergebnisse in Hinblick auf die ethnische und sprachliche Selbstzuordnung der Befragten. So gaben 197.000 Personen Deutsch als ihre Muttersprache an, aber nur 147.000 Menschen bezeichneten sich auch als Deutsche. Umgekehrt bezeichneten sich 172.000 Personen als Schlesier, wohingegen Schlesisch (d.h. die slawische Regionalvariante) nur von 56.000 Personen als Erstsprache angegeben wurde. Somit zeigt der Zensus, wie schwierig das Verhältnis von Sprache und Identität sein kann, und dass regionale Identitäten bisweilen stärker wiegen als nationale (Wódz 2007). Sprachpolitisch gesehen herrscht in Schlesien heute somit wieder eine Vielfalt: Auch wenn Polnisch unangefochten die dominante Sprache ist, sind sowohl Vertreter der deutschen Minderheit als auch Sprecher des Schlesischen als Sprachaktivisten tätig. Sie konnten zumindest teilweise eine regionale Anerkennung ihrer Varietäten sowie eine Aufwertung des Prestiges bewirken und sich mit Maßnahmen zur Sprachverbreitung und -pflege beschäftigen. Auch deutschsprachige Medien und Schulen gibt es heute wieder in größerem Umfang. Die deutschsprachige Minderheit ist außerdem politisch gut organisiert und aufgrund einer Befreiung von der auch in Polen geltenden 5-Prozent- Hürde seit 1993 regelmäßig im Sejm vertreten (Lasatowicz/ Weger 2008). Abschließend soll auch noch das Kaschubische exemplarisch etwas genauer betrachtet werden. Als Regionalsprache hat es einen Sonderstatus gegenüber den anderen Minderheitensprachen. Hintergrund ist, dass die polnische Gesetzgebung sich konzeptuell nicht einig wurde, wie sie Kaschubisch einordnen sollte: Die Kategorie der nationalen Minderheit trifft in Ermangelung eines kaschubischen Staates nicht zu, aber auch als ethnische Minderheit können die Kaschuben nicht bezeichnet werden. Am ehesten ist ein Vergleich etwa mit dem Niederdeutschen angebracht - als Bevölkerung mit einer dem Polnischen ähnlichen Sprachform, die sich ethnisch als Teil der polnischen Bevölkerung betrachtet (vgl. Obracht-Prondzynski/ Wicherkiewicz 2011). Das Kaschubische hat erst in den letzten Jahren ein größeres Maß an Aufmerksamkeit erhalten. Die Kaschuben sind eine Bevölkerungsgruppe, deren Kerngebiet im Landesinneren unweit Danzigs liegt, die auch aus den Werken von Günter Grass bekannt ist. Während der Zugehörigkeit des Gebietes zum Deutschen Reich gab es Bemühungen, die Kaschuben als eigene, von den Polen verschiedene Gruppe zu definieren - eine klare Form einer Politik des divide et impera. Damit wurden den Kaschuben, solange sie sich kaisertreu zeigten, Möglichkeiten gegeben, ihre eigene Kultur zu gestalten und auch ihre Sprache in den Schulen zu gebrauchen. Diese Eigenständigkeit ging jedoch mit der Machtübernahme der Sozialisten unter. Wie auch ansonsten die Existenz von Minderheiten negiert wurde, galt auch das Kaschubische nun als polnischer Dialekt. Die Frage nach der Unterscheidung von Dialekt und Sprache ist in diesem Zusammenhang - ähnlich wie etwa in Lettland beim Verhältnis von Lettisch und Lettgallisch - eine sprachpolitische Entscheidung. Sicherlich weist das Kaschubische viele Unterschiede zum Polnischen auf allen sprachlichen Ebenen auf, so dass seine schriftsprachliche Standardisierung und Anerkennung als eigene Sprache aus sprachwissenschaftlicher Sicht sinnvoll sein kann. Andererseits gibt es jedoch in vielen Sprachen - insbesondere auch im Deutschen - Dialekte, auf die dies zutrifft, und die keine Aufwertung durch eine Kaschubisch <?page no="226"?> 226 II Länderbeispiele eigene Standardisierung anstreben. Somit ist die Frage nach dem Status in erster Linie von den Wünschen der betreffenden Bevölkerung und der Bedingungen der politischen Umsetzung abhängig. Eine derartige Möglichkeit besteht für das Kaschubische seit den 1990er Jahren, mit dem Resultat, dass es nach zähen Verhandlungen heute zunehmend Schulunterricht im Kaschubischen gibt. Es werden Lehrbücher herausgegeben und mittlerweile sind einige zweisprachige Ortsschilder aufgestellt worden. Entscheidender als die Frage, ob es sich beim Kaschubischen um eine eigene Sprache oder um einen Dialekt mit eigenem Schriftstandard handelt, ist jedoch, dass die Sprachgemeinschaft ihre Sprache heute gebrauchen und weitergeben kann. Dies ist heute in deutlich höherem Maße der Fall als vor 1990. Dabei hat auch geholfen, dass sich der von 2007 bis 2014 amtierende polnische Ministerpräsident und heutige Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk offen zu seiner kaschubischen Herkunft bekennt. ZUSAMMENFASSUNG: Polen ist sprachlich recht homogen und hat deshalb lange die Existenz von Minderheitensprachen geleugnet. Erst seit den 1990er Jahren gibt es Sprachgesetze und andere Maßnahmen zum Schutz des Polnischen und zur Anerkennung von Minderheitensprachen. Davon hat z.B. Kaschubisch als Regionalsprache, aber auch die deutsche Minderheit profitiert, die heute insbesondere im Gebiet um Oppeln/ Opole präsent ist. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Warum kann davon gesprochen werden, dass die polnische Sprachpolitik lange klassische Elemente einer Nationalstaats- und einer Unterdrückungspolitik vereint hat? 2. Welche sprachlichen Minderheiten gibt es heute in Polen? Wie werden diese kategorisiert? Finden Sie diese Einteilung gerechtfertigt? 3. Erklären Sie das schwierige Verhältnis von sprachlicher und ethnischer/ nationaler Identität. Kennen Sie andere Beispiele, wo die Gleichsetzung Sprache = Ethnizität nicht funktioniert? 4. Was halten Sie von der Stellung des Kaschubischen? Mit welchen anderen Sprachen lässt sich diese vergleichen? 5. Recherchieren Sie im Internet zu Organisationen der deutschen Minderheit in Polen. Was für Probleme werden dort angesprochen? Haben Sie den Eindruck, dass sich die deutsche Minderheit durch die Minderheitenpolitik in Polen akzeptiert fühlt? <?page no="227"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 227 16.3 Russland: Nationalismus und Vielfalt im Widerspruch 16.3.1 Historische Entwicklung in Zarenreich und Sowjetunion Russland ist in sprachpolitischer Hinsicht ein Beispiel für einen sehr vielschichtigen Umgang mit einer äußerst ausgeprägten Mehrsprachigkeit. Dabei stehen sich - historisch wie heute - zwei Richtungen gegenüber, die nur schwer miteinander in Einklang zu bringen sind: eine Stärkung des Zentralstaates und des Russischen mit starken nationalistischen Untertönen sowie eine Minderheitenpolitik, die Respekt vor der Vielfalt zeigt (für einen Überblick zur Vielfalt der Sprachen in Russland vgl. Marten et al. 2015). Historisch begann die Aufwertung des Russischen erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, nachdem lange Zeit Altkirchenslawisch die Sprache mit dem höchsten Prestige war (vergleichbar mit der Rolle von Latein in Westeuropa) und die Eliten des Landes - wie in vielen anderen Teilen Europas - hauptsächlich Französisch sprachen (zur russischen Geschichte aus der Perspektive von Sprachen und Ethnien vgl. Kappeler 2008). Unter Peter dem Großen kam es zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu einer systematischen Korpusplanung für das Russische und zur Gründung der russischen Akademie der Wissenschaften nach westeuropäischem Vorbild. Dennoch galt es noch als Sensation, als Puschkin in den 1830er Jahren anfing, auch auf Russisch zu dichten; Puschkin gilt deshalb heute als Vater der modernen russischen Literatur. Der russische Machtbereich hatte sich über mehrere Jahrhunderte hinweg durch Eroberungen in Europa, im Kaukasus, in Zentralasien und Sibirien immer weiter vergrößert. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden die Völker und Sprachen dieses riesigen Gebietes jedoch weitgehend in Ruhe gelassen, solange sie die Vormachtstellung des russischen Staates und ihre zumeist niedrigere soziale Stellung akzeptierten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte eine starke Nationalisierungspolitik ein. Diese erfolgte analog zu Entwicklungen etwa in Frankreich und in Wechselwirkung mit aufkommenden Nationalbewegungen in ganz Europa, die auch Teile des Russischen Reiches wie etwa Polen erfassten. Russisch wurde als offizielle Sprache vorgeschrieben, Schulunterricht in anderen Sprachen war in vielen Teilen des Reiches verboten. Selbst die Verwendung von nichtkyrillischen Schriften stand bisweilen unter Strafe, wenngleich sich diese Politik in erster Linie an nichtrussische Eliten wie Polen oder Deutsch-Balten richtete, weniger an einfache Bauern (Pavlenko 2011). Daran änderte erst die - in Westeuropa nur bedingt im kollektiven Bewusstsein verankerte - Revolution von 1905 etwas. Danach wurden viele Verbote wieder aufgehoben und als Folge wurden etwa in Polen und im Baltikum Nationalbewegungen immer stärker, die nach dem Ersten Weltkrieg die historische Chance zur Unabhängigkeit einiger neuer Nationalstaaten ergreifen sollten. Nach dem Entstehen der Sowjetunion fanden die neuen Machthaber nicht nur einen Vielvölkerstaat vor, sondern hatten auch mit der starken Rückständigkeit vieler Landesteile zu kämpfen. Somit kam es zu einer intensiven Alphabetisierungswelle, die zunächst von einem Miteinander von Sprachen und Kulturen geprägt war. So wurden in den 1920er und 1930er Jahren viele Standardisierung des Russischen im 18. Jahrhundert Frühe Sowjetzeit: Mehrsprachigkeit im Dienst der Ideologie <?page no="228"?> 228 II Länderbeispiele Sprachen Russlands - wie etwa die Sprachen vieler Völker Sibiriens - systematisch verschriftlicht bzw. standardisiert und als Unterrichtssprachen in örtlichen Schulen gebraucht (zur historischen Entwicklung der Sprachpolitik in der Sowjetzeit vgl. Grenoble 2003 oder Ulasiuk 2011, insbesondere in Bezug auf die Sprachen Sibiriens Siegl/ Rießler 2015). Dies lag nicht zuletzt auch im Willen zur Verbreitung der neuen Ideologie begründet. Dabei kam es in vielen Fällen zu einem Wechsel von unterschiedlichen Standards innerhalb kurzer Zeit, da ab Mitte der 1930er Jahre - mit wenigen Ausnahmen - nur noch die kyrillische Schrift verwendet werden durfte. Gleichzeitig bedeutete die Hochphase des Stalinismus ein Ende der toleranten Politik gegenüber kleineren Sprachen - Ziel offizieller Politik war nun die kulturelle und sprachliche Assimilierung der nichtrussischen Bevölkerungsgruppen. Auch wenn die staatliche Unterdrückung nach Stalins Tod zurückging, bewirkte das soziale Prestige des Russischen, dass viele kleinere Völker der Sowjetunion ihre Sprache aufgaben bzw. ihre Funktionen auf den privaten Bereich beschränkt blieben. Die Betonung von Sprachrechten in den zumeist sehr ähnlich lautenden Verfassungen der einzelnen Sowjetrepubliken wurde in erster Linie zur Durchsetzung der Rechte des Russischen gebraucht. Unter dem Schlagwort der „harmonischen Entwicklung“ wurde die Benutzung anderer Sprachen dagegen banalisiert. Dies galt auch für den Bildungsbereich, wo die anfängliche Politik des muttersprachlichen Unterrichts 1958 durch die Postulierung einer Wahlfreiheit der Eltern ersetzt wurde - mit dem Ergebnis, dass aufgrund des sozialen Drucks des Russischen die Zahl der Schüler, die in anderen Sprachen unterrichtet wurden, stark zurückging. Somit war am Ende der Sowjetunion in vielen Teilen des Reiches eine Situation asymmetrischer Mehrsprachigkeit entstanden (vgl. Kapitel 16.1 zum Baltikum), nach der sich viele Eltern auch in nicht-russischsprachigen Umgebungen dazu ermutigt fühlten, ihren Kindern das Russische als erste Sprache beizubringen. Außerdem war das Russische stets als Sprache für die Kommunikation zwischen den Ethnien vorgesehen. So fand selbst in den autonomen Teilrepubliken der russischen Sowjetrepublik nur für eine Minderheit der Schüler Unterricht in ihrer Muttersprache statt. Dem standen einige Entwicklungen seit den 1970er Jahren gegenüber, neue Standardisierungen einzuführen, verbunden mit einer Bewegung „von unten“, die traditionelle Kulturen zu bewahren versuchte. Somit entstand schon zu Sowjetzeiten eine Situation, in der die Dominanz des Russischen (in den Teilrepubliken der russischen Sowjetrepublik, aber auch in den anderen Sowjetrepubliken) die anderen Sprachen in ihren Funktionen und Sprecherzahlen zurückdrängte. Dem stand eine Nationalitätenpolitik gegenüber, die die Minderheiten offiziell anerkannte (etwa durch den Eintrag der ethnischen Zugehörigkeit im Pass und anderen Dokumenten), auf der unteren Ebene des Schulsystems und in Kulturveranstaltungen Minderheitenkulturen und -sprachen förderte und am Bild eines glücklichen Vielvölkerstaates arbeitete. Dies darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass alle wichtigen Funktionen in Staat und Gesellschaft wie etwa Behörden und höhere Schulen ausschließlich auf Russisch funktionierten, so dass bei großen Teilen der Bevölkerung ein starker sprachlicher Assimilierungsdruck einsetzte. Dominanz des Russischen <?page no="229"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 229 16.3.2 Formale Rechte der Minderheiten und tatsächliche Mehrsprachigkeitspolitik heute Diese Diskrepanz zwischen formalen Rechten und der De-facto-Politik setzte sich nach dem Ende der Sowjetunion fort. Die sich gegenüberstehenden Strömungen sind auch heute noch stark zu spüren und tendieren - je nach politischer Großwetterlage - in die eine oder andere Richtung. War nach der Auflösung der Sowjetunion die Politik zunächst deutlich liberaler und durch ein ausdrückliches Bekenntnis zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt geprägt, kam es seit der Jahrtausendwende - in Verbindung mit der Politik eines neuen Nationalismus seit dem Regierungsantritt Putins - wieder zu einer Stärkung des Russischen. Dazu gehört auch die rechtliche Schwächung der 21 Teilrepubliken und 62 anderen Verwaltungseinheiten der Russischen Föderation. So werden die regionalen Regierungschefs heute durch die Zentralregierung eingesetzt. Diese hatten in den 1990er Jahren zum Teil eine recht erfolgreiche Sprachpolitik zugunsten der regionalen Sprachen eingeleitet - diese dezentralisierte Sprachpolitik stellte allerdings, im Gegensatz zu den heute unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, nie die Rolle des Russischen als weitere wichtige Sprache in Frage. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es neben den offiziellen Sprachen der Teilrepubliken zahlreiche weitere Sprachen ohne offiziellen Status gibt - insgesamt werden vom Ethnologue (Lewis/ Simons/ Fennig 2013) 103 lebende Sprachen angegeben, von denen viele als gefährdet gelten oder bereits an der Grenze zum Aussterben sind; Haarmann (2002) nennt 123 Sprachen. Abbildung 41: Kulturhistorisches Museum des kleinen finno-ugrischen Volkes der Wepsen in der russischen Republik Karelien. Formale Rechte und reale Situation <?page no="230"?> 230 II Länderbeispiele Aus juristischer Perspektive gibt es in Russland heute ein Miteinander einer Vielzahl von Verordnungen, Gesetzen und politischen Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen der Staatsstruktur. Die Verfassung von 1993 besagt (Artikel 68), dass die offizielle Sprache der Russischen Föderation auf ihrem gesamten Territorium das Russische ist. Gleichermaßen haben die Teilrepubliken das Recht, weitere offizielle Sprachen festzulegen. Diese Möglichkeit wurde von fast allen Republiken wahrgenommen, so dass heute 32 Sprachen offizielle Sprachen von Teilen Russlands sind. Dieses Recht steht in der Tradition des Gesetzes über die Sprachen Russlands von 1991. In den Organen der Staatsmacht, der Kommunen und der jeweiligen Teilrepublik werden diese gemeinsam mit dem Russischen gebraucht. Dennoch hat sich in den letzten Jahren beim Versuch, einen Ausgleich zwischen dem Ziel einer gemeinsamen russischen Identität und der sprachlichen Vielfalt zu schaffen, in sich widersprechenden Gesetzesnormen zumeist die Sicht der Zentralmacht durchsetzen können. So ist es auch kein Zufall, dass das Sprachgesetz von 1991 im Jahr 2002 dahingehend verändert wurde, dass nur noch Sprachen mit kyrillischer Schrift als offizielle Sprachen erlaubt sind. Als Ergebnis hat etwa das dem Finnischen ähnliche Karelisch in der Karelischen Republik nicht den Status als offizielle Sprache (vgl. Prina 2011). Zusätzlich zur Verfassung schreibt auch das Gesetz über die offizielle Sprache der Russischen Föderation (2004) das Russische als offizielle Sprache fest und präzisiert, was darunter zu verstehen ist. Damit wird das Russische als dominierende Sprache im interethnischen Kontakt vorgeschrieben, und das Gesetz hat auch einen Purismusparagraphen, der den Gebrauch ausländischer Begriffe im offiziellen Kontext untersagt, sofern äquivalente russische Begriffe existieren. Gleichermaßen schreibt das Gesetz den Gebrauch des Russischen z.B. in den Medien und in der Werbung vor. In den Unionsrepubliken mit einer weiteren offiziellen Sprache müssen Texte in offiziellen Kontexten und den Medien in diesen Sprachen mit einer identischen Übersetzung in das Russische versehen sein. Hier gelten also für das Russische Regelungen, die in anderen Teilen der Welt - wie etwa Katalonien oder Quebec - für Sprachen gelten, die auf eine Tradition der Marginalisierung zurückblicken. Intention dieser Regelungen ist, dass viele Institutionen aus pragmatischen Gründen nur noch Russisch verwenden - da davon ausgegangen werden kann, dass der Anteil der Personen, die des Russischen nicht mächtig sind, äußerst gering ist. Zudem regelt das Gesetz die Entwicklung des Korpus des Russischen durch die Unterstützung von Wörterbüchern etc., ebenso wie die Förderung des Russischen im Ausland. Jenseits der Gesetzesebene gibt es eine Vielzahl von staatlichen und halb-staatlichen Institutionen zur Sprachpflege, die sich auch mit der Förderung des Russischen außerhalb Russlands (und hier insbesondere in den ehemaligen Sowjetrepubliken mit großen russischsprachigen Minderheiten) beschäftigen. Eine besonders aggressive Ausprägung erlebt die Politik zugunsten der russischen Sprache in der Ukraine-Krise seit dem Winter 2013/ 14, als die Annexion der Krim sowie die Politik der Destabilisierung der Ukraine nicht zuletzt mit dem Schutz von Russen und der russischen Sprache und Kultur begründet wurden. Politische Grundlage dafür ist ein Gesetz, das russischsprachige Menschen in einer für heutige Zeiten ungewöhnlich rigorosen Verbindung von Stärkung des Russischen in der Verfassung von 1993 Jüngste Entwicklungen <?page no="231"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 231 Nationalismus und Sprachpolitik grundsätzlich ethnisch als Russen betrachtet - unabhängig von der Selbstwahrnehmung der russophonen Personen in anderen Ländern. Dazu gehört auch eine aktive Diskursplanung seitens der russischen Regierung, die nicht nur in Russland selbst eine Deutungshoheit über die Bewertung ihrer Politik erzeugt, sondern auch versucht, auf den Diskurs zur Verbindung von Sprache, ethnischer Zugehörigkeit und Rechtmäßigkeit der russischen Expansionspolitik in westeuropäischen Gesellschaften einzuwirken. Im Bildungswesen ist die gesetzliche Situation seit dem Bildungsgesetz von 1992 sehr viel minderheitenfreundlicher, indem Bildung weitgehend zu einer Frage regionaler Entscheidungsträger erklärt wurde. Dadurch hat jeder Einwohner theoretisch das Recht auf Bildung in der Muttersprache; gleichzeitig soll die Beherrschung des Russischen sichergestellt werden. In der Praxis hängt die Umsetzung dieses Rechtes - auf eklatante Weise bei den kleinsten Sprachen, aber selbst bei den co-offiziellen Republikssprachen - jedoch stark davon ab, ob geeignete Lehrer und Schulmaterialien vorhanden sind. Gleichermaßen wird - und auch dies ist eine Fortsetzung der Sowjetpolitik - nicht gefordert, auch der russischsprachigen Bevölkerung systematisch Kenntnisse in anderen Sprachen der Russischen Föderation zu vermitteln - mit der Folge, dass das Russische weiterhin als Sprache mit dem höchsten Prestige und als Hauptsprache der höheren Domänen wahrgenommen wird. Außerdem sind die Beherrschung des Russischen und damit auch intensiver Unterricht im Russischen - trotz der minderheitenfreundlichen Gesetzgebung - für alle Bürger Russlands verpflichtend. Durch Gesetzesänderungen seit dem Jahr 2000 wurden zudem neue Regelungen eingeführt, die die Dominanz des Russischen auch im Bildungswesen wieder erhöhen. Dazu gehören etwa die Rezentralisierung der Lehrpläne und die Regelung, dass Schulprüfungen nicht mehr in den Sprachen der Republiken durchgeführt werden dürfen. Die obersten Gerichte haben zudem entschieden, dass bei widersprüchlichen Regelungen das gesamtrussische Recht Vorrang vor dem Recht der Teilrepubliken hat. In der Praxis hängt es sehr stark von den jeweiligen Regierungen der Teilrepubliken ab, wie sehr die lokalen Sprachen gefördert werden (vgl. Zamyatin 2015). Tatarstan ist ein Beispiel dafür, dass die gezielte Förderung der Sprache und Kultur einer Teilrepublik durchaus erfolgreich sein kann. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Tatarstan mit knapp vier Millionen Einwohnern (wovon gut die Hälfte ethnische Tataren sind) die Größe westeuropäischer Staaten wie Dänemark oder Irland hat. Tatarstan ist eine der wenigen Regionen, in denen von einer weitgehenden Zweisprachigkeit auch im öffentlichen Leben gesprochen werden kann. Unterricht auch auf Tatarisch, einer Turksprache, ist weit verbreitet. Bemerkenswerterweise profitieren davon auch die Sprecher der finno-ugrischen Sprachen Udmurtisch und Mari, die in Tatarstan leben: Aufgrund der minderheitenfreundlichen Schulpolitik haben diese in viel höherem Maße Zugang zu Unterricht in ihren Sprachen als in den Republiken Udmurtien oder Mari El, die den Namen ihrer Volksgruppen tragen (Zamyatin 2012). Andererseits gibt es viele Gebiete in Russland, in denen trotz der offiziellen Bezeichnung die regionale Sprache und ihre Sprecher weiterhin marginalisiert werden. Ein solches Gegenbeispiel sind die Chanten und Mansen, die in dem nach ihnen benannten autonomen Kreis nur 2% der Bevölkerung ausmachen Bildungswesen Unterschiede zwischen den Teilrepubliken <?page no="232"?> 232 II Länderbeispiele und ökonomisch marginalisiert sind (Saarikivi/ Marten 2012). Somit kommt es de facto häufig zu einem Widerstreit der Ebene des Zentralstaates und der Republiken mit widersprüchlichen Rechtsnormen, wobei die Rechtsauslegung das Recht des Zentralstaates zumeist als höherstehend betrachtet. Dazu kommt der soziale Druck, der weitere Russifizierungstendenzen bewirkt hat und dazu führt, dass auch in den autonomen Republiken die Titularsprachen bisweilen eher durch symbolische als durch praktische Maßnahmen unterstützt werden. Und schließlich kommt es auch immer wieder zu politischen Behinderungen von Gruppen, die ihre (im Gesetz festgeschriebenen) Rechte einfordern, wenn deren Aktionismus zu intensiv wird. Charakteristisch ist für die Sprachpolitik in Russland somit insgesamt, dass die Situation in den verschiedenen Teilen des Landes und hinsichtlich der verschiedenen Sprachgruppen ausgesprochen unterschiedlich ist. Dies hängt oftmals - insbesondere im Fall der kleinsten Sprachen - von engagierten Einzelinitiativen ab, andererseits aber auch von der Regionalverwaltung. Als Tendenz lässt sich feststellen, dass dort, wo Politik zum Erhalt kleiner Sprachen erfolgreich ist, Fortschritte oftmals eher trotz als aufgrund der Regelungen der Behörden erreicht werden. In vielen Fällen, in denen insbesondere größere Sprachgruppen zu offensiv Sprachrechte und die Einhaltung von Standards einfordern, wird dies von Seiten der Obrigkeit erschwert. Gleichzeitig ist die Vormachtstellung des Russischen unangefochten, bedingt nicht nur durch das soziale Prestige, sondern auch durch klare Sprachgesetze. Somit wird der Dualismus von einer starken Nationalsprache mit einer Vielzahl von regionalen Sprachen auch in Zukunft fortbestehen - wobei die Entwicklung in den meisten Fällen zu einem weiteren Sprachverlust der regionalen Sprachen, und hier insbesondere der Kleinstsprachen, tendieren dürfte (zum Zustand der Sprachen Sibiriens siehe Sillanpää 2008). Dies wird nicht zuletzt durch die seit dem Jahr 2000 eingeführten Gesetzesänderungen bewirkt, die die Rolle des Russischen erneut deutlich gestärkt haben. ZUSAMMENFASSUNG: Russland hat als Vielvölkerreich in seiner Geschichte oft zwischen Akzeptanz der Diversität und nationalistischer Betonung des Russischen geschwankt. Republiken wie Tatarstan haben zwar eine zweite offizielle Sprache, allerdings wird dadurch die Dominanz des Russischen nicht in Frage gestellt. Viele engagierte Aktivisten kleinerer Minderheitensprachen ohne eigene Republik genießen dagegen nur wenig offizielle Unterstützung. Die Sprachgesetzgebung für das Russische selbst hat als Ziel, dessen dominante Stellung in Russland sowie eine zunehmend aggressive Verbreitungspolitik im Ausland zu rechtfertigen, zudem propagiert sie puristische Prinzipien. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Skizzieren Sie die historische Entwicklung der Sprachpolitik in Russland. In welchen Epochen finden Sie Beispiele dafür, dass die russische Sprachpolitik in die eine oder andere Richtung der zwei entgegengesetzten Tendenzen arbeitete? Regionale Unterschiede <?page no="233"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 233 2. Wie beurteilen Sie die Rolle des Russischen heute? In Russland, in den Teilrepubliken der russischen Föderation und global? Finden Sie vor diesem Hintergrund die Sprachpolitik, die das Russische in den Mittelpunkt stellt, gerechtfertigt? 3. Warum ist Russland ein Beispiel dafür, dass offizielle Gesetzgebung und real existierende Sprachsituationen fundamental voneinander abweichen können? 4. Was halten Sie von der Vorschrift, dass (mit gewissen Ausnahmen) nur das Kyrillische als Schrift für Sprachen in der Russischen Föderation zulässig ist? Vergleichen Sie dies damit, wie es wäre, wenn in einem westeuropäischen Land nur lateinische Buchstaben verwendet werden dürften. Welche praktischen Vor- und Nachteile hat dies, und wie beurteilen Sie dies aus sprachrechtlicher Perspektive? 16.4 Das ehemalige Jugoslawien: Zerfall von Staat und Sprache Das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens ist ein Beispiel dafür, wie politische Machthaber mit sprachlichen Varietäten jonglieren, um gewünschte ideologische Tendenzen zu untermauern. Dies betrifft nicht nur die jeweilige Staatsmacht, sondern auch - in verschiedenem Maße zu unterschiedlichen Zeit punkten - andere sprachpolitische Akteure. Gleichermaßen ist die Region ein besonderes Beispiel dafür, dass die Frage, welche Varietäten Teil einer Sprache sind und wo die Abgrenzung zu einer anderen Sprache beginnt, oft politisch motiviert ist. Dabei ist wichtig zu betonen, dass dieser Widerstreit von Vereinheitlichung und Abgrenzung durch den politischen Zerfall Jugoslawiens seit 1990 zwar eine neue Dimension bekommen hat, aber bereits vorher eine lange Tradition hatte (grundlegend zum Thema: Busch/ Kelly Holmes 2004, Greenberg 2004). Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens haben heute alle ihre eigene Nationalsprache aufgebaut. Dabei haben Kroatisch, Serbisch, Bosnisch und Montenegrinisch derart geringe sprachliche Unterschiede aufzuweisen, dass es allein auf linguistischer Grundlage kaum gerechtfertigt ist, von eigenständigen Sprachen zu sprechen. Die Abgrenzung beruht also auf der bewussten Betonung der wenigen existierenden Unterschiede und einer darauf basierenden Standardisierung aus politischen Gründen. Slowenisch und Mazedonisch gehören zwar gleichermaßen zur südslawischen Sprachfamilie, sind jedoch deutlich weiter von den anderen Varietäten entfernt, so dass hier die Eigenständigkeit kaum anzuzweifeln ist: Slowenisch als Übergangsvarietät zu nördlicheren slawischen Sprachen ist stark durch den Kontakt mit nichtslawischen Sprachen an der slawisch-romanisch-germanischen Sprachgrenze beeinflusst, während Mazedonisch dem Bulgarischen ähnelt und bisweilen mit diesem als eine Sprache zusammengefasst wird (zum Mazedonischen und aktuellen Identitätsfragen: Voss 2006). Zudem werden auf dem ehemaligen jugoslawischen Territorium eine Reihe von kleineren Sprachen der Nachbarländer als Minderheitensprachen ge- Ausbau eigener Nationalsprachen nach dem Zerfall Jugoslawiens - <?page no="234"?> 234 II Länderbeispiele sprochen. Dazu gehören das Ungarische oder Italienische und auch das Albanische, das durch den Kosovo-Konflikt auch international viel Aufmerksamkeit erlangen konnte, seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo aber in den slawischen Nachfolgestaaten Jugoslawiens nur noch eine geringe Rolle spielt. Da auch Slowenien seit den 1990er Jahren eine weitgehend unproblematische Sprachpolitik entwickelt hat, die zum einen das Slowenische als Staatssprache betont und dabei auch korpusplanerisch aktiv ist, zum anderen die Tradition gewisser Minderheitenrechte für das Italienische und Ungarische aufrechterhalten hat (vgl. Stabej/ Pfandl 2008), wird im Folgenden in erster Linie die Entwicklung in Kroatien, Bosnien und Serbien betrachtet. 16.4.1 Historischer Rückblick Bei der Betrachtung der Entwicklung der südslawischen Standardvarietäten ist noch mehr als in anderen Fällen ein Rückblick auf die Geschichte notwendig. Die Region des späteren Jugoslawien war über Jahrhunderte hinweg durch äußerst unterschiedliche historische Entwicklungen gekennzeichnet. Aus kultureller Sicht betraf dies in erster Linie die Abgrenzung zwischen dem katholischen Kroatien, dem orthodoxen Serbien und Bosnien-Herzegowina, das am stärksten von der jahrhundertelangen türkischen Herrschaft geprägt war. Doch auch die unterschiedliche politische Zugehörigkeit verhinderte zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht die Bemühungen um eine sprachliche Einheit. Auf der anderen Seite gab es auch aus sprachlicher Sicht seit dem 19. Jahrhundert stets den Dualismus von Vereinheitlichungs- und Abgrenzungstendenzen. Dieser war in erster Linie durch die Frage gekennzeichnet, auf welchen Dialekt sich die jeweiligen Sprachenthusiasten bezogen. So gab (und gibt) es den štokawischen Dialekt, der sowohl in Kroatien als auch in Serbien gesprochen wird und der als Grundlage für eine gemeinsame Sprachform herangezogen wurde. Daneben existieren jedoch bereits seit dem 17. Jahrhundert eine Sprachnorm, die auf der Zagreber kajkawischen Varietät beruhte, und starke Anhänger des ekawischen Dialektes in Serbien. Trotz dieser verschiedenen Traditionen wurden von den Befürwortern der gemeinsamen südslawischen Sprache - als Teil der slawischen Nationalbewegung - gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten standardisierenden Wörterbücher und andere sprachvereinheitlichende Werke herausgegeben. Daneben verliefen Bemühungen, den gesamten südslawischen Sprachraum einschließlich des Slowenischen und Bulgarischen mit in diese Standardisierung einzubeziehen, aufgrund des zu großen Abstandes dieser Sprachen im Sande. Nach der Entstehung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen nach dem Ersten Weltkrieg, das 1929 in Königreich Jugoslawien (Jugo = Süd) umbenannt wurde, gingen die Vereinheitlichungstendenzen weiter. Die Opposition dazu zeigte sich allerdings bereits während der Besatzung durch das nationalsozialistische Deutschland, als die in Kroatien eingesetzte faschistische Regierung Bemühungen unternahm, eine puristische Eigenständigkeit des Kroatischen durchzusetzen. Auf dieser Grundlage betrieb auch seit den 1990er Jahren der kroatische Staat Sprachpolitik. In der Zeit des Sozialismus existierten - nach der Verfassung von 1974 - drei Ebenen der Anerkennung ethnischer und sprachlicher Rechte: Die erste Ebene waren die sechs Teilrepubliken Jugoslawiens. Als zweite Ebene gab Separate historische Entwicklung Entstehung Jugoslawiens Sprachpolitik im Sozialismus <?page no="235"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 235 es relativ weitgehende Minderheitenrechte nicht nur für Albaner und Ungarn in den zu Serbien gehörenden Gebieten Kosovo bzw. Vojvodina, sondern auch für einige kleinere Minderheiten wie Ruthenen, Italiener, Slowaken oder Roma. Dazu kamen als dritte Ebene kleine Minderheiten wie Deutsche, Griechen und Ukrainer mit einer Anerkennung von Grundrechten, aber ohne größere Unterstützung. Auch wenn der Zerfall des Landes nicht zuletzt dadurch begünstigt wurde, dass die anderen ethnischen Gruppen die Rolle Serbiens als zu dominant empfanden, waren die Minderheitenrechte - auch im Vergleich mit Westeuropa zum gleichen Zeitpunkt - stark entwickelt. In der Vojvodina etwa waren fünf Sprachen offiziell: Neben dem Serbokroatischen, das auch hier Mehrheitssprache war, waren dies Ungarisch, Ruthenisch, Rumänisch und Slowakisch. Auf der anderen Seite war auch im Sozialismus Ziel der staatlichen Politik, eine Vereinheitlichung der wichtigsten slawischen Varietäten Serbisch und Kroatisch zu erreichen. Beibehalten wurde allerdings das Nebeneinander von kyrillischer und lateinischer Schrift. Bereits 1954 kam es im berühmten Abkommen von Novi Sad zu einer offiziellen Regelung, nach der das Serbokroatische als gemeinsame Sprache für Serbien, Kroatien, Bosnien und Montenegro festgesetzt wurde. Dieses bestand allerdings aus zwei Hauptvarietäten - einer serbischen und einer kroatischen. Diese gemeinsame Sprache wurde als plurizentrisch definiert, um den existierenden Unterschieden gerecht zu werden - so wie es heute etwa für das Englische oder Deutsche mit ihren unterschiedlichen Standards geschieht. Dadurch wurde nicht zuletzt auch das Nebeneinander von kyrillischer und lateinischer Schrift legitimiert. 16.4.2 Die Entwicklung eigener nationaler Standards Trotz dieser offiziellen Politik gab es auch während des Bestehens des jugoslawischen Gesamtstaates gerade in Kroatien Tendenzen, diesen Gemeinsamkeiten entgegenzuwirken. Von Teilen der Bevölkerung und auch der Philologen wurde die gemeinsame Sprache als serbisch dominiert angesehen. Ein wichtiger sprachpolitischer Schritt war eine Erklärung von 1967, die sich für einen eigenständigen Namen und Status der kroatischen Standardsprache aussprach. Nach dem Auseinanderfallen Jugoslawiens versuchten alle Nachfolgestaaten aus politischen Gründen eine eigene Standardvarietät zu entwickeln, indem nunmehr die Unterschiede zu den Sprachformen der anderen Republiken besonders betont wurden (vgl. Tošović 2008). Insbesondere die kroatische Sprachpolitik ist seit der Unabhängigkeit darauf ausgerichtet gewesen, eine sprachliche Eigenständigkeit zu demonstrieren und dabei auch auf sprachliche Traditionen aus dem Mittelalter sowie dem 19. Jahrhundert zurückzugreifen (Langston/ Peti-Stantić 2011). Politik der Vereinheitlichung Kroatische Eigenständigkeitspolitik <?page no="236"?> 236 II Länderbeispiele Abbildung 42: Betonung sprachlicher Eigenständigkeit Kroatiens mit Hilfe alter Traditionen: das mittelalterliche glagolitische Alphabet auf einem Touristensouvenir. Aufgrund der jahrelangen engen Verbindung mit Serbien ist der gegenseitige sprachliche Einfluss allerdings nach wie vor groß. Im linguistischen Sinne kann deshalb von einem Sprachkontinuum gesprochen werden, innerhalb dessen alle Varietäten gegenseitig verständlich sind, und das die Bezeichnung als eine gemeinsame Sprache rechtfertigen würde. Dennoch ist aus soziolinguistisch-politischer Perspektive heute eine Bezeichnung als unterschiedliche Sprachen angemessen, auch wenn es sowohl auf kroatischer als auch auf serbischer Seite als oftmals willkürlich erscheint, eigene Formen in Lexik und Grammatik den gemeinsamen serbokroatischen Varianten vorzuziehen. Diese Tendenzen sind häufig von Politikern auf beiden Seiten bewusst betont und von der Bevölkerung aktiv aufgenommen worden - in beiden Ländern ist eine Vielzahl an Publikationen erschienen, die sich diesem Thema widmen. Dabei ist die Verwendung der lateinischen Schrift als Symbol der sprachlichen Eigenständigkeit in Kroatien heute sehr viel konsequenter als die der kyrillischen in Serbien, wo sowohl kyrillische als auch lateinische Schrift üblich bleiben. Insgesamt gibt es sowohl in Serbien als auch in Kroatien Normierungsinstanzen und Sprachpflegeinstitutionen, die sich aktiv mit diesem Thema auseinandersetzen, und die offizielle Sprachgesetzgebung hat die jeweilige Varietät zur einzigen offiziellen Sprache erklärt - mit dem ungewöhnlichen Zusatz, dass auch die Schriftform explizit erwähnt wird. Neben Serbien und Kroatien bezeichnen auch Bosnien und Montenegro heute ihre offiziellen Standardvarietäten als eigene Sprachen. Auch dies geschieht in erster Linie aus politischen Gründen, da weder die zu starke Orientierung an Kroatien noch an Serbien gewünscht ist. Als Geburtsstunde des heutigen Bosnischen gilt das Abkommen von Dayton, das 1995 den Krieg zwischen Serbien und Kroatien beendete und die politischen Grenzen festlegte. In Bosnien-Herzegowina sind heute Serbisch, Kroatisch und Bosnisch offizielle Bosnisch und Montenegrinisch als neue Varietäten <?page no="237"?> 16 Baltikum, Polen, Russland, Ex-Jugoslawien 237 Sprachen, wobei deren Verbreitung und Anwendung in offiziellen Funktionen wie auch im Unterricht in staatlichen Schulen durch die Einteilung in Kantone bestimmt wird. Im serbischen Teil nimmt ausschließlich Serbisch offizielle Funktionen ein, in der bosnisch-kroatischen Föderation gibt es Kantone, in denen nur Bosnisch bzw. nur Kroatisch gebraucht wird, und nur in sehr kleinen Teilen des Landes existiert in offiziellen Kontexten ein Nebeneinander der Varietäten. Für das (lateinisch geschriebene) Bosnisch gilt dabei, dass es in erster Linie durch stärkere Elemente eines Sprachkontakts mit dem Türkischen gekennzeichnet ist: Dies betrifft insbesondere die lexikalische Ebene mit Begriffen aus dem kulturellen Bereich - hier treten durch die lange muslimische Tradition die größten Spezifika auf. Damit ist die Sprachpolitik ein Indiz für die Probleme des multiethnischen Bosnien: Da aufgrund des Vielvölkercharakters die Frage der ethnischen Zugehörigkeit bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein lange kaum relevant war, war die Betonung einer eigenen Sprache für die Identität auch weniger wichtig. Dies hat den Effekt, dass Bosnien-Herzegowina als Staat heute nicht nur nach wie vor Probleme mit einer einheitlichen Identität hat, sondern auch die bosnische Sprache die am meisten in Frage gestellte Varietät ist. Auf der anderen Seite ist sie lange eine ideologisch eher unbelastete Sprache gewesen. In der heutigen Betonung der Eigenständigkeit wird jedoch auch an Traditionen aus dem 19. Jahrhundert angeknüpft - was bedeutet, dass nach sprachlichen Gesichtspunkten das heutige Bosnisch eher dem Kroatischen ähnelt und die lateinische Schrift verwendet. In Montenegro schließlich ist die Abgrenzung vom Serbischen noch stärker umstritten: Auch wenn 2007 nach dem Auflösen der Staatenunion mit Serbien die Bezeichnung der Staatssprache als Montenegrinisch Aufnahme in die Verfassung gefunden hat und auch in den Schulen eine leicht veränderte Standardvarietät gelehrt wird, gibt es immer noch starke Teile der Bevölkerung, die die Gemeinsamkeiten mit dem Serbischen betonen. Bemerkenswert ist schließlich, dass trotz der Fokussierung der Sprachpolitik auf die Abgrenzung der Varietäten des ehemaligen Serbokroatischen auch die Minderheitenrechte im ehemaligen Jugoslawien relativ weite Beachtung finden. So garantiert Kroatien den Schutz der Minderheiten und die Unterstützung der Sprachen und Kulturen auch durch die relativ frühe und zügige Ratifizierung der Europäischen Sprachencharta. Diese wird auf das Italienische, Serbische, Ungarische, Tschechische, Slowakische, Ruthenische und Ukranische angewandt. Dies sind heute allerdings allesamt kleine Minderheiten; die Region Istrien hat das Italienische trotz der geringen Sprecherzahlen sogar zur zweiten offiziellen Sprache auf regionaler Ebene erklärt. Serbien hat eine deutlich höhere Minderheitenbevölkerung. Nach den nationalistischen Jahren der Milošević-Ära begann die demokratische Regierung ab dem Jahr 2001, Minderheitenrechte wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Auch der Vojvodina wurde erneut ein (wenn auch eingeschränktes und nicht unkontroverses) Maß an Autonomie gewährt, in der gesetzliche Regelungen für die Anerkennung der dort vorherrschenden Sprachen (neben Serbisch sind dies Slowakisch, Ruthenisch, Rumänisch, Ungarisch und Kroatisch) getroffen wurden. Im Kernland Serbiens ist heute in Gemeinden mit mindestens 15% Minderheitenanteil die jeweilige Minderheitensprache zweite Amts- Heutige Minderheitenrechte <?page no="238"?> 238 II Länderbeispiele sprache. Medien in den Minderheitensprachen werden unterstützt, etwa in einigen bulgarischsprachigen Gemeinden nahe der Grenze zu Bulgarien. Jedoch gibt es bei der Umsetzung dieser Regelungen starke Defizite - unter anderem gilt dies für die Sprachgemeinschaft der Wlachen, für die als erste sprachpolitische Maßnahme zunächst die Frage der Standardisierung geregelt werden müsste. ZUSAMMENFASSUNG: Nach dem staatlichen Verfall Jugoslawiens zerfiel auch das Postulat einer gemeinsamen serbokroatischen Sprache. Insbesondere in Kroatien, weniger auch in Bosnien und Montenegro, werden eigene sprachliche Traditionen verfolgt, die darauf abzielen, die Unterschiede zum Serbischen zu betonen. Außerdem gibt es in allen Nachfolgestaaten Regelungen für die sprachlichen Minderheiten mit unterschiedlichen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Status der Sprachen. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Skizzieren Sie die Entwicklung der Sprachpolitik hin zu einer gemeinsamen serbokroatischen Sprache und zu einem Aufbrechen dieser in mehrere Nationalsprachen. Welche Faktoren haben diese begünstigt? 2. Recherchieren Sie im Internet Beispiele, die Ähnlichkeiten und Unterschiede des Serbischen, Kroatischen, Bosnischen und Montenegrinischen zeigen. Ist es Ihrer Meinung nach gerechtfertigt, von unterschiedlichen Sprachen zu sprechen? Warum oder warum nicht? 3. Zeigen Sie anhand der Sprachen im ehemaligen Jugoslawien, welche Symbolik Sprache für eine Nation hat. 4. Warum ist Ihrer Meinung nach der Status des Slowenischen - im Verhältnis zu den anderen Sprachen - so wenig kontrovers? 5. In weiten Teilen des ehemaligen Jugoslawien gab es über lange Zeit hinweg auch deutschsprachige Minderheiten. Recherchieren Sie, warum in dieser Region Deutsch gesprochen wurde und welche Rolle das Deutsche heute spielt. <?page no="239"?> 17 Nordeuropa: Verschiedene Formen der sprachlichen Demokratie 17.1 Norwegen: Demokratische Prinzipien auf höchstem Niveau Norwegen steht in dieser Sammlung von Fallstudien als Beispiel für eine konsequente Anwendung demokratischer Prinzipien in der Sprachpolitik. Diese Grundhaltung liegt in der sprachhistorischen Entwicklung begründet und erfährt durch das Selbstverständnis Norwegens als Sozialstaat weitgehende gesellschaftliche Unterstützung. Im Folgenden soll auf vier Bereiche der norwegischen Sprachpolitik eingegangen werden: das für viele Ausländer als Kuriosum wahrgenommene Nebeneinander zweier schriftsprachlicher Normen, die gezielte Förderung von Dialekten, die regelmäßige Anpassung der Rechtschreibnorm an sprachliche Entwicklungen und den Umgang mit der samischen Minderheit, die - zumindest seit den 1990er Jahren - als vorbildlich für die Akzeptanz von Minderheitenrechten gelten kann (grundlegend zur Sprachpolitik in Norwegen: Wiggen 1995, Jahr 2008, Hesse 2009, Linn 2010). 17.1.1 Die Entstehung und Praxis zweier konkurrierender Sprachnormen Um die norwegische Sprachpolitik zu verstehen, ist ein Rückgriff auf die historische Entstehung des modernen norwegischen Staates notwendig. Norwegen hat zwar eine lange staatliche Tradition seit der Wikingerzeit, diese war aber vom 16. bis zum 19. Jahrhundert unterbrochen, als Norwegen im Wesentlichen einen Status als dänische Provinz hatte. Erst nach den napoleonischen Kriegen, als Dänemark auf der Verliererseite stand, kam es 1814 zur norwegischen Unabhängigkeitserklärung. Die Selbstständigkeit währte allerdings nur kurz, da Norwegen nun - allerdings mit wesentlich verbessertem Status und einem gewissen Grad an Eigenständigkeit - Schweden zugesprochen wurde. Zu dieser Zeit wurde - wie in vielen anderen Teilen Europas - das norwegische Nationalbewusstsein stärker, was seine Ausprägung auch in der Einstellung zur Sprache fand. Dabei standen sich zwei kulturelle und sprachliche Traditionen gegenüber: Die weitgehend dänisch geprägte südostnorwegische städtische Bevölkerung um Oslo sprach eine Varietät, die als Dänisch mit norwegisierter Aussprache bezeichnet werden kann. Die ländliche Bevölkerung, insbesondere Westnorwegens, hatte dagegen traditionellere Sprachformen bewahrt, die sich in vielen Gegenden direkt auf die mittelalterlichen (und mit dem Isländischen verwandten) Varietäten zurückführen ließen. Aufgrund der dänischen und damit elitären Prägung der urbanen Schicht galt das ländliche Norwegen vielen als das „echte“ Norwegen, auf das sich die Nationalbewegung gerne berief. In dieser Situation kam es zu zwei parallelen Entwicklungen zu jeweils eigenständigen Schriftsprachen: Zum einen wurde das städtische Dänisch durch Anpassungen der Schreibweise an die norwegische Aussprache sowie die Verwendung einzelner norwegischer Le- Bokmål und Nynorsk: Historische Entwicklung zweier Schriftnormen <?page no="240"?> 240 II Länderbeispiele xeme behutsam norwegisiert - eine Schriftsprache, die als Riksmål (Reichssprache) bezeichnet wurde. Dies ging, zum anderen, vielen Norwegern jedoch nicht schnell genug - und insbesondere der Sprachwissenschaftler Ivar Aasen sammelte Mitte des 19. Jahrhunderts über Jahrhunderte unbeachtete norwegische Dialekte und kreierte daraus eine eigene Schriftsprache, das Landsmål (Landsprache), die sich in vielerlei Hinsicht an den mittelalterlichen schriftsprachlichen Traditionen und dem Isländischen orientierte. Somit wurde im 19. Jahrhundert die Grundlage für die offizielle Zweisprachigkeit geschaffen, die bis heute anhält. Trotz einiger Bemühungen und regelmäßiger Anpassungen sind Bokmål (Buchsprache, das ehemalige Riksmål) und Nynorsk (Neunorwegisch, das ehemalige Landsmål) heute unumstrittene Größen in Norwegen. Dabei muss jedoch betont werden, dass zwar durchaus einige Unterschiede auf phonetischer, lexikalischer und auch grammatischer Ebene bestehen, sich die beiden Sprachformen jedoch nah genug sind, dass das Verständnis keine größeren Schwierigkeiten macht. Abbildung 43: Verteilung von Bokmål und Nynorsk in den norwegischen Kommunen; dunkelgrau: Bokmål, hellgrau: Nynorsk: mittelgrau: neutral. Beide schriftsprachlichen Varianten sind gleichberechtigte Amtssprachen und werden in allen offiziellen Kontexten gebraucht. So sind Formulare von Behörden in beiden Sprachen verfügbar, Internetseiten der Regierung gibt es in beiden Versionen. Im persönlichen Schriftverkehr mit den Behörden besteht das Recht, eine Antwort in der Sprachform zu erhalten, in der sich jemand an die Behörde gewandt hat. Dabei wird ein Unterschied zwischen der Landesebene und den Kommunen gemacht: Letztere können entscheiden, welche der Offizielle Zweisprachigkeit <?page no="241"?> 17 Norwegen, Finnland, Island 241 Sprachen sie benutzen wollen oder ob sie sich als sprachlich „neutral“ erklären. In der Verteilung gibt es dabei ein Ungleichgewicht, das nach wie vor die historische Entstehung widerspiegelt: Bokmål wird deutlich häufiger verwendet und ist nach wie vor die dominierende Sprache des am dichtesten besiedelten Gebietes im Südosten Norwegens einschließlich der Hauptstadtregion und dominiert auch in anderen Städten. Nynorsk dagegen ist weiterhin in erster Linie eine Sprache der dünn besiedelten ländlichen Gebiete an der Süd- und Westküste, wodurch zwar die geographische Verbreitung groß ist, sich dies allerdings nicht in den Benutzerzahlen widerspiegelt. Ähnliches gilt auch für das Nebeneinander beider Sprachformen in den Schulen. Das Erlernen beider Standards ist Pflichtbestandteil des Schulunterrichts, wobei eine der Varietäten als Haupt- und die andere als Nebensprache gewählt wird. Auch hierfür gilt, dass die Verwendung von Nynorsk als Hauptsprache in erster Linie im Westen Norwegens verbreitet ist; das Verhältnis von Bokmål und Nynorsk in der Schülerzahl liegt landesweit bei 80-85% gegenüber nur 15-20%. 17.1.2 Dialekte Wie die Ablehung der von Teilen der Bevölkerung als dänisch empfundenen städtischen Traditionen im Zusammenhang mit der Schaffung von Nynorsk gezeigt hat, ist die Entstehung des modernen norwegischen Staates eng mit einer bäuerlich-ländlichen Identität verbunden gewesen. Dadurch haben die ländlichen Dialekte einen größeren Stellenwert als in vielen anderen Ländern. Somit existiert auch heute noch die Situation, dass Bokmål und Nynorsk als Schriftstandards auch fast ausschließlich schriftlich gebraucht werden. Im mündlichen Gebrauch dagegen wird von fast allen Norwegern ein Dialekt gesprochen, der näher oder weiter vom Bokmål oder Nynorsk entfernt sein kann. Die Förderung der Dialekte wird - anders als in Deutschland oder vielen anderen Ländern - als elementarer Bestandteil der Kulturtradition wahrgenommen. Dialekte sind seit Ivar Aasen nicht nur systematisch erforscht worden, auch im Schulunterricht werden diese nicht etwa „aberzogen“ oder anderweitig stigmatisiert, sondern - neben dem Erwerb der Schreibkompetenz in Bokmål und Nynorsk - ausdrücklich gefördert. Dies setzt sich auch in klassischen Hochprestigefunktionen fort - so wird (moderater) Dialektgebrauch auch von Radio- oder Fernsehmoderatoren oder von Politikern in Parlamentsdebatten als normal empfunden. Gleichzeitig wird auch innerhalb der Schriftsprachen oftmals mehr als eine Schreibweise akzeptiert - eine Regelung, die dem Bedürfnis nach Nähe der Schriftsprache zur individuellen mündlichen Sprache Ausdruck verleihen soll. Entsprechend dieser Tradition und dem starken demokratischen Verständnis von Sprache in der Gesellschaft waren Bestrebungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die exisitierenden Standards in einer einheitlichen Samnorsk (Gemeinnorwegisch) genannten Varietät zusammenzuführen, zum Scheitern verurteilt (zur soziolinguistischen Situation von Dialekten in Norwegen allgemein vgl. Jahr 2008). Akzeptanz und Förderung von Dialekten <?page no="242"?> 242 II Länderbeispiele 17.1.3 Korpusplanung Der sprachpolitischen Entwicklung entsprechend blickt die Korpusplanung in Norwegen auf eine lange Tradition zurück. Dabei wurde die Entwicklung von Bokmål und Nynorsk im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Stück für Stück vorangetrieben, um die sprachpolitischen Ziele - insbesondere nach der vollständigen staatlichen Unabhängigkeit Norwegens 1905 - zu erreichen, sich aber gleichzeitig der Akzeptanz der Bevölkerung für diese Maßnahmen zu vergewissern. Entsprechend kam es zwischen 1907 und 1959 zu fünf Rechtschreibreformen und auch heute noch sind staatliche Eingriffe in die Orthographie, in die Norwegisierung von Lehnwörtern oder in die offizielle Anerkennung von Nebenformen innerhalb der beiden Schriftsprachnormen gängige Praxis. Zentrales Organ der Sprachplanung ist der Norwegische Sprachrat (Språkrådet), der sich zu gleichen Teilen aus Vertretern des Nynorsk und des Bokmål zusammensetzt. Die Aufgabe des Sprachrates, die Entwicklung der norwegischen Sprache nicht nur zu dokumentieren, sondern auch aktiv zu beeinflussen und gleichzeitig der Bevölkerung als Ratgeber zur Verfügung zu stehen, spiegelt sich in seinen Hauptaktivitäten. Dazu gehört nicht nur die regelmäßige Herausgabe neuer Listen mit norwegisierten Lehnwörtern, die den geltenden Rechtschreibregeln hinzugefügt werden, sondern auch die Diskussion von so genannten Haupt- und Nebenformen, in denen insbesondere im Bokmål heute auch wieder konservativere (also dem Dänischen ähnlichere) Formen zulässig sind. Gleichzeitig wird in der Arbeit des Sprachrates durch Konsultationen mit der Öffentlichkeit sichergestellt, dass die Ansichten der Bevölkerung Grundlage für die Entwicklung der Sprache bleiben, ebenso wie auf Anstoß des Sprachrates Sprachfragen regelmäßig in den Medien diskutiert werden. Schließlich zeigt sich der demokratische Ansatz auch darin, dass die Behördensprache klaren Regeln folgt, die darauf ausgerichtet sind, die Distanz zwischen Staat und Bevölkerung zu verringern. Somit ist in Norwegen die Sprache offizieller Verlautbarungen wesentlich näher an der Alltagssprache als in vielen anderen Ländern. 17.1.4 Samisch Schließlich soll noch auf die Rolle des Samischen als Minderheitensprache in Norwegen eingegangen werden. Auch hier zeigt sich heute die sprachdemokratische Kultur des Landes, da die gesetzlichen Regelungen und sprachlichen Maßnahmen zum Samischen als Beispiel für eine ausgesprochen minderheitenfreundliche Sprachpolitik gelten (vgl. Marten 2009). Es muss allerdings eingeschränkt werden, dass diese Errungenschaften erst auf Entwicklungen seit den 1970er Jahren zurückgehen, und die samische Urbevölkerung stark für ihre Rechte kämpfen musste. Seit etwa 1990 gibt es mit dem Sameting ein eigenes samisches Parlament, das als demokratisch gewählte Volksvertretung sowohl Lobbyorganisation der Samen gegenüber der Zentralregierung als auch Verwaltungsorgan für viele samische Belange ist und als solches aus seinem Budget auch sprachpolitische Maßnahmen finanziert. Dazu gehört nicht nur die Unterstützung von Maßnahmen zum Lernen der (verschiedenen und nicht grundsätzlich untereinander verständlichen) samischen Sprachen auf allen Tradition des Eingriffes in den Korpus: Rechtschreibreformen und Nebenformen Sprachrat Samischpolitik als vorbildliche Minderheitenpolitik <?page no="243"?> 17 Norwegen, Finnland, Island 243 Ebenen des Bildungssystems einschließlich einer eigenständigen samischen Hochschule, sondern auch die Förderung samischsprachiger Medien, die Entwicklung von Computerprogrammen auf Samisch sowie sprachaktivistische Kampagnen aller Art. Durch das samische Sprachgesetz wurde bereits Anfang der 1990er Jahre die Grundlage für ein samischsprachiges Verwaltungsgebiet im Norden Norwegens geschaffen, in dem Samisch als regionale Amtssprache mit dem Norwegischen gleichberechtigt ist. Außerdem gibt es heute Regelungen zum Recht auf samischen Schulunterricht - und zwar unabhängig vom Wohnort eines Kindes. Durch diese Kombination aus Territorialitäts- und Personalitätsprinzip wird der Tatsache Rechnung getragen, dass ein größerer Teil der samischen Bevölkerung heute außerhalb der traditionellen samischen Gebiete lebt. Somit zeigt Norwegen eine konsequente Anwendung einer Sprachpolitik, die auf einklagbaren Rechten basiert. Durch diesen Respekt vor der Sprache als wichtiger Grundlage samischer Identität ist das Zusammenleben von Samen und Norwegern nunmehr weitgehend durch Gleichberechtigung gekennzeichnet, auch wenn diskriminierende Haltungen in der norwegischen Bevölkerung noch nicht völlig verschwunden sind (Rasmussen/ Nolan 2011). ZUSAMMENFASSUNG: Norwegen ist Musterbeispiel für eine demokratische Sprachpolitik. Dazu gehört die - historisch bedingte - gesetzliche Gleichbehandlung der beiden Schriftstandards Bokmål und Nynorsk sowie die Förderung der Dialekte. Außerdem führt der Staat eine durchdachte Korpusplanung durch, deren Ziel es ist, im Sprachgebrauch möglichst nah am Volk zu sein und dabei viele Wahlmöglichkeiten zu lassen. Schließlich ist die Politik für das Samische eine der frühesten und heute weitgehendsten sprachpolitischen Lösungen im Interesse einer Minderheit. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Welche praktischen Auswirkungen hat es, wenn die Nationalsprache zwei Standardschriftvarietäten hat? Finden Sie dies gerechtfertigt? Denken Sie an die Situation etwa in Behörden oder im Schulunterricht. 2. Wie beurteilen Sie die Betonung der Dialekte in Norwegen? Welche Gründe gibt es dafür? Vergleichen Sie diese Situation mit Deutschland oder anderen Ländern: Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie und wie würde die Bevölkerung dort auf eine derartige Dialektpolitik reagieren? 3. Kritiker der Sprachpolitik in Norwegen argumentieren, dass Sprache sich selbstständig entwickeln und der Staat weniger Einfluss darauf nehmen solle. Außerdem würden Traditionen und die Etymologie von Wörtern nicht mehr sichtbar. Was meinen Sie dazu? 4. Wie beurteilen Sie die Entwicklung einer an der Alltagssprache orientierten Sprache von Behörden? 5. Das Samische gilt als eine der am besten geschützten und geförderten Minderheitensprachen der Welt. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das anhaltende Klagen der samischen Bevölkerung über eine Benachteiligung etwa in Hinblick auf historische Landrechte? <?page no="244"?> 244 II Länderbeispiele 17.2 Finnland: Offizielle Mehrsprachigkeit vor historischem Hintergrund Finnland ist ein weiteres Beispiel für eine Mehrsprachigkeitssituation, in der durch geeignete sprachpolitische Maßnahmen ein weitgehend unproblematisches Miteinander der Sprachgruppen ermöglicht wurde. In der Sprachpolitik in Finnland ist in erster Linie die Statusplanung von Interesse: Zwar existiert in Finnland eine staatliche Akademie für die Korpusplanung des Finnischen und auch an anderen Stellen wird im offiziellen Auftrag Sprachplanung, -forschung und -beratung betrieben, doch wird von der finnischen Sprachpolitik zumeist das Nebeneinander des Finnischen mit dem Schwedischen als gleichberechtigte Nationalsprachen wahrgenommen. Diese rechtliche Gleichberechtigung hat auch heute Bestand, obwohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Finnisch als Muttersprache hat und die Zahl der schwedischen Muttersprachler heute nur noch bei gut 5% liegt (überblicksartig zu Sprachpolitik in Finnland einschließlich der historischen Perspektive: Latomaa/ Nuolijärvi 2002, Myntti/ Nuolijärvi 2006, Tarnanen/ Huhta 2008). 17.2.1 Die historische Stellung des Schwedischen in Finnland Die schwedischsprachige Bevölkerung Finnlands kam zu einer Zeit ins Land, als Finnland Teil des schwedischen Reiches war. Die Neuankömmlinge siedelten in erster Linie an der Küste und auf den vorgelagerten Inseln, während das Hinterland weitgehend finnischsprachig blieb. Gleichzeitig führte die Besiedlung zu einer sozialen Abgrenzung von Finnisch- und Schwedischsprechern: Letztere gehörten zumeist der Oberschicht an, waren Gutsbesitzer und bildeten, ähnlich wie die Deutsch-Balten im Baltikum, die wirtschaftliche und kulturelle Elite. Dieses Verhältnis änderte sich auch nicht maßgeblich, als Finnland nach 1814 dem Russischen Reich zugesprochen wurde. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand - wie in Norwegen, im Baltikum und in vielen anderen Teilen Europas - eine Nationalbewegung, die die kulturelle Eigenständigkeit betonte und mehr politische Macht verlangte. Diese wurde sowohl von schwedischals auch von finnischsprachigen Finnen getragen, allerdings brauchte das Schwedische keine gesellschaftliche und funktionale Aufwertung, so dass sich auf sprachpolitischer Ebene in erster Linie die Bedeutung des Finnischen wandelte. Die Dialekte des Finnischen wurden in einer schriftlichen Standardvarietät zusammengefasst, es entstanden Wörterbücher, Grammatiken und eine finnischsprachige Literatur. Mit dem Einzug in Verwaltung und Bildung und andere prestigereichere Domänen wurde Finnisch zunehmend auch zu einer Sprache gebildeter Klassen. So gab es 1863 und 1883 zwei Verordnungen, die Schwedisch und Finnisch zu gleichberechtigten Verwaltungssprachen erklärten, und seit den 1850er Jahren Schulunterricht auf Finnisch. Historisches Miteinander von Finnen und Schweden <?page no="245"?> 17 Norwegen, Finnland, Island 245 Abbildung 44: Zweisprachigkeit in Finnland: Finnisch, Schwedisch und Tiersymbolik zur besseren Orientierung im Zentrum von Helsinki. Da es - im Gegensatz etwa zum Verhältnis von Deutsch-Balten und Esten bzw. Letten im Baltikum - wenig Differenzen zwischen der finnisch- und schwedischsprachigen Bevölkerung gegeben hatte und ein Großteil letzterer sich von ihrer Identität her als finnisch betrachtete, traten nach der finnischen Unabhängigkeit 1917 nur geringe politische Probleme zwischen diesen Bevölkerungsgruppen auf. Allerdings bestehen ökonomische Unterschiede zum Teil bis heute, die dazu führen, dass schwedischsprachige Finnen tendenziell mehr Einfluss in Gesellschaft und Wirtschaft haben. Die sprachpolitische Gesetzgebung Finnlands trägt dieser historischen Entwicklung Rechenschaft. Finnisch ist ein wichtiges Merkmal der nationalen Identität, aber auch das so genannte Finnlandschwedische ist Teil der Nationalkultur, zumal es sich vom so genannten Reichsschwedischen in Schweden in Lexik und Phonetik hörbar unterscheidet. Gleichzeitig sichert die Stellung des Schwedischen die kulturelle und sprachliche Zugehörigkeit zu den anderen nordischen Ländern, die Finnland wichtig ist. Dieses verhältnismäßig entspannte Miteinander wurde nach der Unabhängigkeit festgeschrieben - zunächst 1919 in der Verfassung, dann 1922 in einem Sprachgesetz. Dieses wurde 2004 durch ein neues Sprachgesetz abgelöst, das die wesentlichen Regelungen der Zweisprachigkeit aber nicht verändert hat. 17.2.2 Die heutige offizielle Zweisprachigkeit Somit sind auch heute noch sowohl Finnisch als auch Schwedisch gleichberechtigte Amtssprachen. Alle zentralstaatlichen Behörden sind zweisprachig und alle Bürger haben das Recht, in der von ihnen gewünschten Sprache bedient zu werden. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Staat ausdrücklich von Unabhängigkeit Finnlands 1917 Gleichberechtigung von Finnisch und Schwedisch <?page no="246"?> 246 II Länderbeispiele sich aus die Einhaltung der Zweisprachigkeit sicherstellen und dies nicht etwa nur auf Nachfrage bzw. Beschwerden aus der Bevölkerung tun muss. Somit herrscht - zumindest in der Theorie - ein Sprachgesetz, das Elemente eines Rechtsanspruches mit dem Ansatz einer aktiven Sprachplanung kombiniert. Wie in anderen zweisprachigen Staaten heißt dies jedoch nicht, dass alle Staatsbediensteten zweisprachig sind, auch wenn Kenntnisse in beiden Landessprachen Voraussetzung für die Anstellung im öffentlichen Dienst sind. Auf kommunaler Ebene herrscht dagegen ein klares Territorialitätsprinzip, das durch die Einwohner in einer Gemeinde bestimmt wird: Alle Gemeinden, in denen mindestens 8% oder 3.000 Personen die jeweilige Minderheitensprache als Erstsprache angeben, haben beide Amtssprachen. Bis heute gibt es einige wenige Gemeinden an der Süd- und Südwestküste Finnlands, die einsprachig Schwedisch sind (zum Sonderfall der Åland-Inseln siehe unten). Dagegen sind die überwiegenden Teile des Hinterlandes einsprachig Finnisch. Ein großer Teil der Küstenregion ist zweisprachig; dies schließt aufgrund der 3.000-Einwohner-Regelung auch die Hauptstadt Helsinki ein. Somit sind nicht nur Straßenschilder und öffentliche Bekanntmachungen in Helsinki (schwedisch: Helsingfors) zweisprachig; auch alle Ämter müssen zweisprachig operieren - und das, obwohl Schwedisch in der Öffentlichkeit Helsinkis kaum präsent ist. Insgesamt sind heute drei Gemeinden auf dem finnischen Festland offiziell schwedischsprachig, 43 Gemeinden zweisprachig und 354 Gemeinden einsprachig Finnisch. Einwohner nach angegebener Muttersprache 1991 2001 2011 Finnisch 4 694 928 4 793 199 4 863 351 Schwedisch 296 842 290 771 291 219 Samisch 1 734 1 734 1 870 Fremdsprachen 35 498 109 197 244 827 Tabelle 6: Entwicklung der Bevölkerung Finnlands nach Sprache 1991-2011 (Statistikcentralen). Schulen und Universitäten sind bis heute weitgehend sprachlich getrennt, wobei den schwedischsprachigen Institutionen nach wie vor ein gewisser elitärer Ruf vorauseilt. Von finnischsprachiger Seite wird deshalb gelegentlich über eine Selbstabschottung der Finnlandschweden geklagt, die keinen Zugang zu geschlossenen Kreisen lasse. Die meisten Universitäten in Finnland sind heute hauptsächlich finnischsprachig, nur in der Stadt Turku (finnisch)/ Åbo (schwedisch) gibt es die schwedischsprachige Åbo Akademi. Schulen in ganz Finnland haben die Maßgabe, beide offiziellen Sprachen zu lehren. Während die meisten Finnlandschweden heute gut Finnisch sprechen, ist die Attraktivität des Schwedischen dagegen, insbesondere in den von der Küste entfernteren Gebieten, oftmals gering - hier wird heute Englisch als deutlich wichtiger angesehen. Dies ist einer der strittigsten Fälle in der insgesamt recht unproblematischen Sprachpolitik Finnlands: So gibt es heute verstärkt Forderungen, Bildungssystem <?page no="247"?> 17 Norwegen, Finnland, Island 247 Schwedisch als Pflichtfach in den Schulen etwa im Osten des Landes aufzugeben, da in vielen Gegenden dieser Region Schwedisch traditionell nie eine Rolle gespielt hat und heute die Nähe zu Russland das Lernen des Russischen sinnvoller erscheinen ließe. Außerdem gibt es bisweilen Kritik daran, dass vom Gesetz her sowohl die schwedischals auch die finnischsprachige Infrastruktur gefördert werden müssen, wodurch es etwa zu Quotenplätzen für schwedischsprachige Studenten in bestimmten Studiengängen kommt. Andere Maßnahmen wie etwa die schwedischsprachigen Sender des staatlichen Radios und Fernsehens werden dagegen nicht in Frage gestellt. Auf politischer Seite wird die schwedischsprachige Bevölkerung durch die Schwedische Volkspartei repräsentiert, die regelmäßig an den in Finnland traditionellen Koalitionsregierungen aus drei oder mehr Parteien beteiligt ist. Dies ist auch als ein Zeichen der nordischen Konsensorientierung zu werten, in der Minderheiten mit eingebunden werden sollen, um ihre Partizipation in politischen Fragen zu gewährleisten. Somit ist trotz bestehender Unterschiede alles in allem ein weitgehend konfliktfreier Umgang mit beiden Sprachen etabliert worden, der zu Recht als Vorbild gelten kann. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass dies auf den historischen Traditionen beruht: Die Finnlandschweden waren zum einen ökonomisch stark genug, um nicht übergangen werden zu können, und haben sich zum anderen in ausreichendem Maße um das Wohl des Landes bemüht, so dass die Gewährung von starken Minderheitenrechten nicht den Beigeschmack hatte, den ehemaligen Besatzern großzügige Rechte zu gewähren. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von separaten Organisationen der Finnlandschweden, die Lobbyfunktionen einnehmen. Trotz aller dieser Bemühungen und der vorbildlichen Gleichstellung der Sprachen darf jedoch auch nicht übersehen werden, dass es seit der Unabhängigkeit Finnlands einen kontinuierlichen Rückgang der Schwedischsprecher von 11% der Bevölkerung auf 5-6% gegeben hat, und auch in absoluten Zahlen heute mit ca. 290.000 deutlich weniger Personen Schwedisch als Muttersprache angeben als zur Zeit der Unabhängigkeit, als dies ca. 340.000 Menschen waren. Als Sonderfall sind im Kontext Finnlands die auf etwa halbem Weg zwischen Finnland und Schweden in der Ostsee gelegenen Åland-Inseln zu nennen, für die in weiten Bereichen eine völlig andere Sprachpolitik gilt. Nach langen Kontroversen zwischen Finnland und Schweden wurden diese traditionell schwedischsprachigen Gebiete in den 1920er Jahren Finnland zugesprochen. Gleichzeitig wurde aber eine politische Autonomie etabliert, mit Hilfe derer die Regionalregierung auch die Sprachpolitik bestimmt. Somit sind die Inseln heute das einzige einsprachige Gebiet Finnlands, die Beherrschung des Schwedischen ist rechtliche Voraussetzung für eine dauerhafte Ansiedlung auf den Inseln. Im Gegensatz zum Finnlandschwedischen hat die samische Bevölkerung in Finnland sehr viel länger auf sprachliche Rechte warten müssen. Ähnlich wie in Norwegen und Schweden hat es auch in Finnland erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Maßnahmen zum Erhalt des Samischen gegeben, die in den letzten Jahrzehnten zu einer stärkeren Gleichberechtigung dieser Urbevölkerung geführt haben. Heute gibt es - wie in Norwegen - im Norden Finnlands offiziell samischsprachige Gemeinden sowie samischen Unterricht (zu aktuellen Diskursen zum Samischen in Finnland siehe Pietikäinen 2010). Politische Vertretung des Schwedischen Sonderfall Åland-Inseln <?page no="248"?> 248 II Länderbeispiele Schließlich wird die heutige Sprachpolitik auch durch die Zunahme des Englischen als Lingua Franca und durch Migrantensprachen geprägt. Bei letzteren spielt insbesondere die Nähe zu Russland eine Rolle. Die zunehmenden Englischkenntnisse im gesamten nordischen Raum haben dabei auch einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Rolle des Schwedischen, da heute nicht nur die Kommunikation mit den Nachbarländern oft auf Englisch stattfindet, sondern theoretisch auch Schwedisch- und Finnischsprecher innerhalb Finnlands Englisch benutzen könnten. Dabei gilt allerdings nicht nur, dass die überwiegende Zahl der Finnlandschweden auch gut Finnisch beherrscht, sondern es geht letztlich - zumindest in der Kommunikation mit Behörden - in erster Linie um die Wahrnehmung von Sprachrechten, wobei sich in der Praxis ein Einfordern dieser Rechte und pragmatische Ansätze die Waage halten. ZUSAMMENFASSUNG: Finnland charakterisiert seit seiner Unabhängigkeit eine Politik der Gleichberechtigung der beiden Nationalsprachen Finnisch und Schwedisch, obwohl schwedischsprachige Finnen nur wenige Prozent der Bevölkerung ausmachen. Der Staat ist zweisprachig, Kommunen sind dies in Abhängigkeit von der jeweiligen Bevölkerungszusammensetzung. Ein Sonderfall sind die Åland-Inseln als einsprachig schwedisch autonomes Gebiet. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Wie sieht die offizielle Zweisprachigkeit in Finnland heute aus? Recherchieren Sie, wie sich der Zuschnitt der Gemeinden in Bezug auf die Sprachzugehörigkeit verändert hat. 2. Warum funktioniert die Zweisprachigkeit in Finnland? Worin liegen Unterschiede zu anderen Ländern, in denen es mehr Konflikte gibt? Warum nimmt Ihrer Ansicht nach die Zahl der Schwedischsprecher dennoch ab? 3. Was halten Sie davon, dass alle Schüler in Finnland Schwedisch lernen müssen, auch wenn es in einigen Gebieten traditionell nie Schwedischsprecher gegeben hat? 4. Was ist das Besondere an den Åland-Inseln? Recherchieren Sie, wie etwa das Friedensinstitut der Åland-Inseln mit dem Sonderstatus umgeht und was es darüber hinaus tut. 17.3 Island: Sprachpurismus in einer isolierten Gesellschaft Wenn Island hier als drittes nordisches Land vorgestellt wird, so geschieht dies vor dem Hintergrund, dass die nordischen Länder, trotz ihrer historischen und kulturellen Verbundenheit, für sehr unterschiedliche Modelle der Sprachpolitik stehen. Island wird oft als besonders interessantes Beispiel betrachtet, da es sich um eines der wenigen Länder weltweit handelt, bei denen traditionell von einer weitgehend einsprachigen und kulturell homogenen Gesellschaft gesprochen werden kann (Hilmarsson-Dunn/ Kristinsson 2010). Andere Sprachen: Heutige Entwicklungen <?page no="249"?> 17 Norwegen, Finnland, Island 249 17.3.1 Eine sprachlich weitgehend homogene Gesellschaft Das Isländische als westlichster und archaischster Vertreter der germanischen Sprachen ist die einzige in Island in nennenswertem Umfang als Muttersprache gebrauchte Sprache und hat in sich auch nur geringe Dialektunterschiede aufzuweisen. Dieses Bild der sprachlichen Homogenität Islands hat sich erst in den letzten Jahren ein wenig relativiert. Heute können viele Isländer gut Englisch, während bis vor wenigen Jahrzehnten eher Dänisch verbreitet war, da Island bis 1918 dänische Provinz und bis 1944 als autonomes Gebiet, ähnlich wie heute noch Grönland und die Färöer-Inseln, staatlich mit Dänemark verbunden war. Dänisch wird bis heute in Island als Mittel zur internordischen Kommunikation gelernt. Zudem gibt es auch nach Island seit wenigen Jahrzehnten Migrationsbewegungen, die anderssprachige Menschen in das Land gebracht haben. Die traditionelle Einsprachigkeit Islands beruht im Wesentlichen auf zwei Faktoren: der Abgeschiedenheit der Insel sowie einem sehr bewussten Umgang mit sprachlichen Traditionen in der Gesellschaft. Historisch gesehen waren Island und die isländische Sprache im Mittelalter lange in Vergessenheit geraten. Nach der Besiedlung aus Norwegen und dem Entstehen einer ersten politischen und kulturellen Blütezeit, die u.a. zur Folge hatte, dass ein Großteil der isländischen Sagas im 13. Jahrhundert aufgezeichnet wurden und bis heute erhalten sind, verlor das Isländische mit dem Verlust der Unabhängigkeit Islands auch seine Funktionen. Somit war - ähnlich wie in Norwegen - Dänisch lange die Sprache von Oberschicht und Verwaltung. Gleichzeitig bedeutete dies aufgrund der Abgeschiedenheit der Insel, dass sich das Isländische als „stille“ Sprache weitgehend ungestört erhalten konnte. Erst im 18. Jahrhundert entstand ein Bewusstsein für die Beeinflussung der Sprache durch das Dänische, die sich allerdings weitgehend auf die Region um Reykjavik beschränkte. Somit folgte im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ein Wiederbeleben des isländischen Nationalbewusstseins, das schließlich die staatliche Unabhängigkeit (1918 bzw. 1944) zur Folge hatte. Der unabhängige Staat griff auf die isländische Sprache zurück, die sich soweit erhalten hatte, dass sie als staatstragendes Element eine direkte Brücke zur mittelalterlichen Staatstradition darstellen konnte. Somit war es, anders als in Norwegen, nicht notwendig, eine eigene Sprache neu zu entwickeln. Es reichte, die alte isländische Schriftsprache wiederzubeleben und einige grammatische Anpassungen vorzunehmen. Der sprachpolitische Purismus, der bis heute vorherrscht, ist somit sowohl als Rückgriff auf alte Traditionen als auch als Maßnahme zur Bewahrung in der heutigen Zeit zu verstehen. Ersteres wird dadurch deutlich, dass das Isländische als Sprache des Volkes über Jahrhunderte in einem Maße bewahrt worden ist, dass Isländer mittelalterliche Texte wie die Sagas ohne größere Probleme im Original lesen können. 17.3.2 Schutz der isländischen Sprache heute Im Sinne des Sprachschutzes wird die Tradition des Purismus heute dadurch fortgesetzt, dass Fremdwörter zumeist ins Isländische übertragen werden, wobei auch hier eine recht liberale Grundhaltung erkennbar ist. So werden Archaische Sprachformen Ungebrochene Tradition seit dem Mittelalter Sprachpurismus Umgang mit Fremdwörtern <?page no="250"?> 250 II Länderbeispiele Lehnwörter dann zugelassen (und von den Sprechern akzeptiert), wenn sie in ihrer Grammatik und Orthographie an das Isländische angepasst werden. Außerdem handelt es sich hierbei nicht um Vorschriften, sondern um Empfehlungen im Sinne einer Sprachberatung. Diese werden in der Gesellschaft und auch in den Medien diskutiert, so dass sich viele dieser Lehnwörter durchsetzen, andere aber auch nicht. Gerade in der jüngeren Generation und auch bei heutigen Schriftstellern ist zu beobachten, dass diese häufig von den vorgeschlagenen Standards abweichen (Mittelstädt 2010). Gleichermaßen zeigt sich das breite Interesse an Sprachfragen auch in der für eine kleine Sprache mit nur etwa 300.000 Sprechern erstaunlichen Zahl an Buchpublikationen. In einem berühmten Beispiel für staatlichen Einfluss auf die Politik von Großunternehmen in den 1990er Jahren konnte die isländische Regierung zudem den Microsoft-Konzern davon überzeugen, einen Teil seiner Produkte auch in einer isländischen Version anzubieten. Die Tradition Sprachtradition wird seit 1964 auch vom staatlichen Sprachrat bewahrt. Hierbei handelt es sich um eine Kommission, die allerdings erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine wirklich systematische Sprachpolitik zum Ziel hat und sich heute in staatlichem Auftrag auch offiziell dem Spracherhalt widmet. Zu ihren Aufgaben gehören Terminologiearbeit, aber auch die Bewahrung von Sprachdomänen für das Isländische. Letzteres wird durch Überzeugungsarbeit, nicht jedoch durch staatliche Vorschriften angestrebt. Ein wichtiges Ziel ist dabei, Aufmerksamkeit dafür zu erzeugen, dass Isländisch in einigen Funktionen auch innerhalb Islands zurückgedrängt wird, vor allem in Wirtschaft und Wissenschaft, in denen heute oft Englisch dominiert. Das Englische kam zuerst während des Zweiten Weltkrieges nach Island, als das Land von britischen und amerikanischen Truppen besetzt war, und auch heute noch gibt es auf der Insel amerikanische Truppenstützpunkte. Diese wurden auch als Boten einer modernen Lebenswelt angesehen und somit oft ambivalent bewertet - zum einen hatten sie Einfluss auf die traditionelle Lebenswelt, zum anderen ermöglichten sie aber eine stärkere Verbindung nach außen. Englisch war prestigeträchtig - seine Rolle beschränkte sich lange aber auf die Beeinflussung des Isländischen, zur Zweitsprache wurde es zunächst nicht. Heute dagegen ist Englisch durch die Medien und die Zunahme an Mobilität, aber auch durch den Tourismus so weit verbreitet wie in anderen europäischen Ländern. Dies wird als Bedrohung angesehen, so dass es Versuche gibt, seinen Einfluss auf den Korpus des Isländischen zu reduzieren. Andererseits wird auch anerkannt, dass Englisch für die internationale Kommunikation und damit für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes unumgänglich ist. Somit ist Island auch für die Spracherwerbsplanung ein interessantes Beispiel, da an ihr deutlich sichtbar wird, wie globale Entwicklungen einen Einfluss auf lokale Sprachentscheidungen haben können. Während früher Dänisch als erste Fremdsprache unumstritten war, ist seit einer Unterrichtsreform in den 1990er Jahren Englisch an dessen Stelle getreten. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, dass Kenntnisse des Dänischen abnehmen, da es heute außer der Tradition nur noch wenig Beweggründe für das Erlernen einer Sprache gibt, die zwar im Vergleich zum Isländischen mehr Möglichkeiten eröffnet, international jedoch auch eine wenig verbreitete Sprache ist. Dies gilt Arbeit des Sprachrates als Reaktion auf das Englische Rückgang des Dänischen <?page no="251"?> 17 Norwegen, Finnland, Island 251 umso mehr, da traditionelle Domänen des Dänischen weitgehend durch isländische Institutionen ersetzt worden sind, etwa im akademischen Bereich. Zudem sind durch die weite Verbreitung des Englischen auch für die Kommunikation der nordischen Länder untereinander Dänischkenntnisse heute deutlich weniger wichtig als noch vor einigen Jahrzehnten. Eine Besonderheit Islands als Konsequenz der traditionsorientierten Politik ist schließlich die nach europäischen Maßstäben ungewöhnliche Praxis der Personennamen: Der gebräuchliche Name, nach dem auch in offiziellen Kontexten alphabetisch sortiert wird, ist der Vorname. Einen Familiennamen gibt es nur als Ausnahme, die überwiegende Mehrheit der Isländer gebraucht den Vatersnamen als Zweitnamen. Diesem werden je nach Geschlecht die Suffixe -són bzw. -dóttir angefügt, so ist etwa der seit 1996 amtierende Präsident Islands, Ólafur Ragnar Grímsson, der Sohn von Grimur Kristgeirsson. Lange galten diese Regeln auch für Ausländer, die zusätzlich zu ihrem Namen einen isländischen Namen annehmen mussten. Diese sind heutzutage aber gelockert worden. Die wenigen Nachnamen, die von dieser Regel abweichen (wie etwa der Name des Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness), sind oftmals der Europaorientierung einer gesellschaftlichen Oberschicht geschuldet, die bspw. den Namen ihres Hofes als Nachnamen gebrauchten. Hilmarsson-Dunn/ Kristinsson (2010: 167-168) sind der Meinung, dass die Rolle des Englischen in Island in Zukunft noch weiter zunehmen, die Übereinstimmung von Gebrauch, Einstellungen und Sprachpolitik im Sinne von Spolsky (siehe Kapitel 3) also zurückgehen wird. In diesem Kontext ist auch zu sehen, dass im Jahr 2011 zum ersten Mal ein Gesetz verabschiedet wurde, das Isländisch zur offiziellen Sprache erklärt, seine dominante Stellung in allen Bereichen der Gesellschaft vorschreibt und den Staat nunmehr in Gesetzesform dazu verpflichtet, sprachpolitische Maßnahmen zu tätigen (Kristinsson 2012). Außerdem stellt das Gesetz die Förderung der isländischen Gebärdensprache auf eine gesetzliche Grundlage. Grundsätzlich gilt aber auch heute noch, dass in Island eine Gesellschaft entstanden ist, in der das Bewusstsein für Sprache und sprachliche Traditionen stark ausgeprägt ist, in der Sprache aber auch Freiraum gelassen wird, um sich an sich verändernde Lebensgewohnheiten anzupassen. Aufgrund der günstigen Ausgangsbedingungen und durch die behutsame Sprachpolitik werden größere Sprachkonflikte vermieden. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass Isländisch als Sprache mit nur wenigen Sprechern dauerhaft als vollwertige, ausgebaute Sprache fungieren kann, die in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens präsent ist. ZUSAMMENFASSUNG: Island hat aufgrund seiner isolierten Lage seine mittelalterliche Sprache bis heute weitgehend bewahren können, gefördert auch durch eine puristische Sprachpolitik, zu der eine konsequente Gestaltung von isländischen Entsprechungen für Fremdwörter gehört. Dadurch hat Island eine weltweit einzigartige sprachliche Homogenität bewahrt, die erst in jüngster Zeit durch den Einfluss des Englischen und Migrationsbewegungen eingeschränkt wurde, worauf die isländische Politik mit neuen Sprachregelungen reagiert hat. Personennamen Aktuelle und mögliche künftige Entwicklungen <?page no="252"?> 252 II Länderbeispiele Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Was halten Sie von der Aussage, dass Island das möglicherweise einzige einsprachige Land der Welt ist? Welche Kriterien der Einsprachigkeit werden bei dieser Behauptung unterstellt? 2. Auf welchen Grundlagen basiert der Sprachpurismus in Island? Halten Sie diesen für gerechtfertigt? 3. Wie bewerten Sie, dass die isländische Gesellschaft die Sprachmaßnahmen weitgehend akzeptiert? Meinen Sie, dass sich das in Zukunft ändern wird? 4. Was halten Sie von der isländischen Namenstradition? Welche Vor- und Nachteile hat diese Praxis? <?page no="253"?> 18 Traditionelle Auswandererländer in Übersee: Englisch im Gegensatz zu anderen Sprachen 18.1 USA: Kaum Einmischung von oben und dennoch Konflikte: Englisch im Verhältnis zur Mehrsprachigkeit Die USA sind ein weiteres klassisches Beispiel für eine Sprachpolitik, in der traditionell wenig in die Sprachwahl der Bevölkerung eingegriffen wurde. So gibt es nach wie vor keinerlei zentralisierte Sprachplanung oder gar eine Sprachenakademie wie in anderen Ländern. Allerdings heißt das nicht, dass es nicht auch heftige gesellschaftliche Debatten zu Sprachen und Ideologien, die das ökolinguistische Klima beeinflussen, und politische Bewegungen mit sehr unterschiedlichen sprachpolitischen Zielen gäbe. Neben einer historisch bedingten Tradition der Toleranz gegenüber den Sprachen von neuen Einwanderergenerationen wird in den USA weitgehend unterstellt, dass Englisch die Sprache der Gesellschaft ist, die auch Einwanderer in offizielleren Funktionen gebrauchen sollen. Ein baldiger Sprachwechsel zum Englischen durch die nachfolgenden Generationen gilt als selbstverständlich. Auch die sprachliche Toleranz gegenüber der indigenen Bevölkerung existierte lange nur in sehr eingeschränktem Maße. Dabei ist der Gegensatz einer strikten Ablehnung anderer Sprachen durch manche Teile der Gesellschaft und einer weit ausgeprägten Toleranz in anderen Bereichen ein Phänomen, das nicht erst seit jüngerer Zeit existiert, sondern das sich über Jahrhunderte hinweg als ein Nebeneinander von Sprachen und Einstellungen durch die amerikanische Geschichte zieht. 18.1.1 Die Rolle des Englischen im „Schmelztiegel“ Amerika Mit seiner zurückhaltenden staatlichen Sprachpolitik stehen die USA in einem elementaren Gegensatz gerade auch zu Kanada. Das heißt jedoch nicht, dass es in den USA generell keine sprachpolitischen Aktivitäten geben würde. Wie in anderen Ländern mit keiner einheitlichen staatlichen Sprachpolitik wie auch Deutschland werden unterhalb der Ebene der offiziellen Sprachplanung praktische sprachpolitische Entscheidungen getroffen. Aus historischer Perspektive gehört dazu die Frage, wie sich das Englische als wichtigste Sprache und de facto als offizielle Sprache der Gesellschaft durchgesetzt hat (grundlegend zur historischen Entwicklung der Sprachpolitik in den USA: Ricento 1996). Dies geschah im übrigen nicht, wie als hartnäckiges Gerücht im deutschsprachigen Raum verbreitet ist, nur knapp im Wettstreit mit dem Deutschen: Es gab nie eine Abstimmung darüber, welche Sprache offizielle Sprache der USA werden solle, und die oft zitierte Entscheidung, in der 1794 mit einer Stimme Mehrheit gegen das Deutsche gestimmt wurde, bezog sich lediglich auf die Übersetzung von Gesetzen ins Deutsche (Wersich 2013). Nicht zuletzt wegen des Mangels an einer derartigen Regelung zur offiziellen Sprache konnten anderssprachige Einwanderergemeinschaften oft längerfristig ihre Sprache bewahren. Mehrsprachigkeit und Dominanz des Englischen Sprachpolitik unterhalb höchster Regierungsebenen <?page no="254"?> 254 II Länderbeispiele Wie lange es dauerte, dass ein Sprachwechsel zum Englischen stattfand, hing von vielen Faktoren ab, wie etwa der sprachlichen Homogenität des Siedlungsgebietes und der ökolinguistischen Stärke anderer Sprachen. In Staaten wie Wisconsin im Mittleren Westen konnte sich Deutsch als Sprache kleinerer Ortschaften und auf dem Land über Generationen hinweg bewahren. Auch in größeren Städten waren Medien deutschsprachig, bisweilen fanden sogar die Sitzungen der örtlichen Behörden auf Deutsch statt - mit dem Effekt, dass auch skandinavische oder osteuropäische Einwanderer im 19. Jahrhundert oft eher Deutsch als Englisch in der Kommunikation mit anderen ethnischen Gruppen gebrauchten. Nur für die überregionale Kommunikation wurde Englisch benutzt - weshalb oft nur kleine Teile der Bevölkerung dessen mächtig waren. In Pennsylvania wurde Deutsch so stark, dass sich etwa Benjamin Franklin offen gegen eine „Überfremdung“ durch das Deutsche wehrte. Im Großen und Ganzen gilt jedoch, dass sich die ausgeprägte Toleranz im Umgang mit regional dominanten Einwanderersprachen erst mit dem Ersten Weltkrieg änderte. Auch wenn die vielfach zitierte Meinung, der Erste Weltkrieg habe auf einen Schlag mit dem Deutschen als wichtiger Sprache in Teilen der USA aufgeräumt, nicht ganz richtig ist, so trugen durch den Krieg bedingte Einstellungen gegenüber Deutschland doch ihren Teil dazu bei, dass bis 1930 ein Großteil der deutschsprachigen Medien verschwand. Viele deutschstämmige Familien gaben - im Gegensatz etwa zu Griechen oder Italienern - ihre Sprache weitgehend auf und leben heute ihre Deutschstämmigkeit nur noch auf folkloristische Weise aus (Ludanyi 2010). Trotz der Tradition der Mehrsprachigkeit wurde Englisch als Hauptsprache der Zentralregierung und der damit verbundenen Funktionen in der Gesellschaft bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts implizit zur Grundlage der Politik. Offizielle Vorschriften gab es allerdings erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, nach denen Verwaltung und Bildung auf Englisch zu funktionieren hatten; in den 1930er Jahren hatte sich das Englische in allen offizielleren Funktionen weitgehend durchgesetzt. Fälle wie Louisiana, in denen Französisch bis ins 20. Jahrhundert hinein als zusätzliche Verwaltungs- und Bildungssprache benutzt wurde, waren die Ausnahme. Heute sind die USA ein vielsprachiges Land, in dem Englisch in allen Bereichen der Gesellschaft dominiert. Die Grundhaltung ist in vielen Teilen der amerikanischen Gesellschaft, dass Einwanderer ihre Sprachen in ihren Gemeinschaften benutzen sollen, solange sie „nebenbei“ Englisch lernen. Dabei haben sich im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts die wichtigsten Herkunftsregionen der Einwanderung gewandelt, Europa ist heute deutlich weniger wichtig als Asien und insbesondere Lateinamerika. Die mit dieser Haltung verbundene Idee des „Schmelztiegels“, in der im Laufe von wenigen Generationen alle Einwanderer zu Amerikanern mit einer weitgehend einheitlichen Sprache werden sollen, entspricht teilweise der Realität. Allerdings übersieht sie, dass trotz der einheitlichen Anerkennung als Amerikaner eine ausgeprägte Mehrsprachigkeit immer Realität war und auch heute noch ist. Etwa 20% der Bevölkerung sprechen zu Hause eine andere Sprache, davon nimmt Spanisch heute mit Abstand den größten Anteil ein, der weiterhin wächst. Andere traditionelle europäische Einwanderersprachen wie auch Deutsch verlieren dagegen an Verbreitung und werden zum Teil durch asiatische Sprachen verdrängt. Somit ist wohl Meinungen zuzustimmen, nach denen Deutsch in den USA Mehrsprachigkeit heute <?page no="255"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 255 trotz der offiziellen Neutralität des Staates in Sprachenfragen Englisch de facto als offizielle Sprache betrachtet werden muss. Auf der anderen Seite gibt es heute einige Regeln, durch die die Mehrsprachigkeit in offiziellen Domänen geregelt ist. Dazu gehört, dass der Staat vor Gericht, in der medizinischen Versorgung und in den Schulen mehrsprachige Dokumente ausgeben oder mit Dolmetschern arbeiten darf. Ziel der Veröffentlichung wichtiger Informationen in mehreren Sprachen durch staatliche Stellen ist, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten oder allgemeine Informationen zu Gesetzen, der Teilnahme an Wahlen o.ä. einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings wird nur ein im Promillebereich liegender Anteil der staatlichen Dokumente in andere Sprachen übersetzt. Jenseits dieser offiziellen Regeln kommt es jedoch nicht selten zu sprachpolitischen Diskussionen in der Gesellschaft. Die häufigste und emotionalste Debatte betrifft heute die Frage, welche Rolle andere Sprachen - und dabei insbesondere das Spanische - in der Gesellschaft spielen bzw. wo im öffentlichen Raum sie erlaubt oder sogar gefördert werden sollten. Dem stehen zunehmend Anhänger von Einstellungen gegenüber, die - dem Schmelztiegelbild entsprechend - verlangen, dass Kenntnisse im Englischen in allen öffentlichen Domänen eingefordert werden dürfen. Diese Diskussion hat in den letzten Jahrzehnten vor allem durch das Ansteigen des Anteils der Hispanics an der Bevölkerung an Fahrt aufgenommen. Dabei haben derartige Diskussionen durchaus eine lange Tradition. Oftmals wurden - aufgrund der nur geringen zentralstaatlichen Regulierung von Sprachenfragen durch die Gesetzgebung - wichtige Fragen durch Gerichtsurteile entschieden, die sich zumeist auf die Rolle der Sprachen im Bildungssystem oder in der öffentlichen Verwaltung bezogen. Ein wichtiger Fall war etwa der Entscheid von 1965, dass das Wahlrecht nicht an die Fähigkeit, (auf Englisch) Lesen und Schreiben zu können, gebunden sein durfte. In den folgenden Jahrzehnten wurden auf dieser Grundlage Regelungen getroffen, nach denen Wahldokumente ab einer Mindestzahl von Sprechern pro Wahlkreis auch in anderen Sprachen ausgefertigt werden durften. 18.1.2 Sprachpolitik durch Gerichtsurteile Eine Vielzahl bedeutender Gerichtsurteile, die in der Literatur zur Sprachpolitik in den USA immer wieder zitiert werden, handeln von dem Recht auf mehrsprachigen Unterricht. Dazu gehört der berühmte Fall Meyer vs. Nebraska aus dem Jahr 1924, in dem der Oberste Gerichtshof der USA entschied, dass Kinder auch in anderen Sprachen unterrichtet werden dürfen. Nicht zuletzt durch die anti-deutsche Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg beeinflusst, hatte ein Gericht im Staat Nebraska einen Lehrer für Unterricht auf Deutsch bestrafen wollen. Hierbei zeigt sich der grundsätzliche Ansatz in der Wahrnehmung von Sprach- und anderen Minderheitenrechten: Während etwa in Kanada auch Gruppenrechte für bestimmte Minderheiten durchgesetzt werden konnten, geht es in den USA stets um die Rechte Einzelner. 1964 wurde die Frage der Rechte von Schülern mit einem nichtenglischsprachigen Hintergrund erneut im Fall Lau vs. Nichols behandelt, der heute ebenfalls als Meilenstein der US-Sprachpolitik angesehen wird. Danach sollten Kinder mit Minderheitenhintergrund die Möglichkeit bekommen, Unterricht Emotionale Diskussionen zum Spanischen Wegweisende Gerichtsurteile im 20. Jahrhundert <?page no="256"?> 256 II Länderbeispiele nicht nur auf Englisch zu erhalten. Allerdings ging es dem Gericht nicht um eine Anerkennung der Rolle anderer Sprachen (in diesem Fall des Chinesischen) im Sinne einer Erziehung in der Minderheitenkultur. Grundlage für das Urteil war die Chancengleichheit, die nach Ansicht des Gerichtes nicht gegeben war, wenn Kinder nicht ausreichend genug Englisch verstehen, um dem Unterricht zu folgen. Nach dieser Logik sollten andere Sprachen also nur als Hilfssprache benutzt werden, bis die Kinder ausreichend Englisch beherrschten. Gleichzeitig ebnete das Urteil aber auch den Weg weg von Entweder-oder- Lösungen hin zu Zwischenmodellen, in denen auf flexible Weise mit Mehrsprachigkeit umgegangen wird. Auch heute sind staatliche Regulierungen „von oben“ eher die Ausnahme. Dagegen gibt es in der amerikanischen Gesellschaft starke, sich oftmals unversöhnlich gegenüberstehende Gruppierungen mit sprachpolitischen Zielen. Dabei ist interessant zu beobachten, dass sich ähnliche Prozesse abspielen, wie sie am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegenüber dem Deutschen stattfanden. Seit den 1980er und 1990er Jahren sind sowohl die Befürworter des Englischen als offizieller Amtssprache - die damit ein Zurückdrängen anderer Sprachen aus offiziellen Kontexten erreichen wollen - wie auch deren Gegner in zahlreichen aktiven Vereinigungen organisiert. Zu den bekanntesten gehören U.S. English auf Seiten der Mehrsprachigkeitsgegner und English Plus auf Seiten der Befürworter. Auslöser für diese gesellschaftlichen Debatten ist die zunehmende Zahl spanischsprachiger Einwanderer aus Lateinamerika, durch die sich viele traditionelle Amerikaner in ihrer kulturellen Identität bedroht sehen - interessanterweise auch in Bundesstaaten, die weit entfernt von der mexikanischen Grenze liegen und in denen der Anteil der Hispanics nach wie vor gering ist (vgl. Crawford 2000). 18.1.3 Heutige ideologische Grabenkämpfe Durch die zunehmende Einwanderung aus Lateinamerika ist zum ersten Mal intensiver die Frage auf die Tagesordnung gerückt, ob das Englische als offizielle Sprache der USA festgeschrieben werden sollte - wie es bisher, entsprechend der Nichteinmischungspolitik, nie der Fall war. Von der Ebene des Gesamtstaates deutlich zu trennen ist hier die Rolle einzelner Bundesstaaten. Auch wenn Englisch auf Bundesebene der USA nach wie vor nicht offizielle Sprache ist, ist dies heute in der Mehrheit der 50 Bundesstaaten der Fall, nämlich in 31. Darunter ist auch Hawaii, wo neben Englisch Hawaiianisch offiziell ist; damit ist dieser Bundesstaat der einzige offiziell zweisprachige Teil der USA, auch wenn nur noch ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung die traditionelle Sprache der Urbevölkerung Hawaiis spricht. In Nebraska ist Englisch seit 1920 offiziell, die meisten Staaten haben dagegen ihr entsprechendes Gesetz erst in den 1980er Jahren verabschiedet, und auch seit dem Jahr 2000 sind noch Staaten hinzugekommen. Hinter dieser Entwicklung steht zumeist der auch in Europa verbreitete ideologische Gegensatz zwischen einer Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Sprachen und einem Abschotten und Bewahren von traditionellen Gegebenheiten, das oft nationalistisch gefärbt ist und in dessen Kern häufig die Angst vor einer „Überfremdung“ steht. Debatten um Englisch als offizielle Sprache Englisch als offizielle Sprache auf Ebene der Bundesstaaten <?page no="257"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 257 Die ideologischen Gründe, warum Gesetzesinitiativen zum English Only, der offiziellen Einsprachigkeit der USA, gestartet wurden, lassen sich in vielen Fällen leicht anhand der Maßnahmen veranschaulichen, die auf Grundlage derartiger Gesetze ergriffen wurden. Diese hängen oft mit einer bewussten Ausgrenzung von Einwanderern zusammen. Dazu gehört, dass staatliche Mittel für mehrsprachigen Unterricht gekürzt werden, Medien in anderen Sprachen keine Förderung erhalten, Übersetzungsdienste oder eine andersartige Verbreitung staatlicher Informationen in anderen Sprachen eingestellt oder andere Sprachen ganz aus dem öffentlichen Raum verbannt werden. In der Praxis richten sich derartige Maßnahmen vor allem gegen das Spanische. Dabei gelten sprachpolitische Gesetze lediglich für staatliche Institutionen. Private Unternehmen und Einrichtungen betreffen diese nicht, allerdings können diese Probleme bekommen, z.B. sobald sie staatliche Fördermittel erhalten wollen. Nicht zuletzt ist auch die symbolische Seite dieser Gesetzgebung wichtig, die ein gesellschaftliches Klima fördert, in dem Mehrsprachigkeit als suspekt wahrgenommen wird. Dazu gehört, dass Fremdsprachenunterricht in den USA nach wie vor relativ selten und der Anteil der Bevölkerung hoch ist, der im strengen Sinne einsprachig ist, also noch nicht einmal Grundkenntnisse in wenigstens einer anderen Sprache beherrscht. Von besonderer Bedeutung in diesem Kontext ist vor allem die Frage der mehrsprachigen Bildung. Im Wesentlichen geht es hierbei nach wie vor um die Fragen, die schon den Lau-vs.- Nichols-Fall bestimmten hatten: Dürfen Schüler auf Spanisch unterrichtet werden - und wenn ja, soll Spanisch nur als Hilfssprache eingesetzt werden, solange, bis die Schüler gut genug Englisch beherrschen, oder auch darüber hinaus? Oder ist der Integration nicht vielmehr gedient, wenn alle Schüler von Beginn an auf Englisch unterrichtet werden? Hintergrund derartiger Debatten ist oft die Wahrnehmung einsprachig englischsprachiger Menschen, dass eine neu ins Land gekommene mehrsprachige Bevölkerung Kompetenzen mitbringt, die traditionelle Werte in Frage stellt und die soziale Stellung der alten Bevölkerung gefährden könnte. An einem besonders absurden Beispiel lassen sich die Auswirkungen von sogenannten Official-English-Gesetzen gut veranschaulichen. Nachdem der Bundesstaat Alabama 1990 Englisch zur offiziellen Sprache erklärt hatte, kam es in den 1990er Jahren zu einem Disput darüber, ob die schriftliche Führerscheinprüfung in anderen Sprachen abgelegt werden dürfe (Schiffman/ Weiner 2012). Dies war bis dato - wie auch in Deutschland - in vielen Sprachen möglich. Die Abschaffung anderer Sprachen führte zu einem Gerichtsverfahren, das letztlich sogar das Oberste Gericht der USA beschäftigte. Dieses bestätigte das Recht eines Bundesstaates auf Festlegung der Sprache in derartigen Fällen. Schiffman/ Weiner (2012) argumentieren, dass gerade dieses Urteil eine Initialzündung für weitere Gesetze und Maßnahmen gegen Einwanderer gewesen ist und hieran also gut erkennbar ist, warum es in der Sprachpolitik oft eben nicht nur um Sprache geht. Vorherrschende Ideologien in der Debatte Official English in Alabama <?page no="258"?> 258 II Länderbeispiele 18.1.4 Weitere sprachpolitische Themen in den USA Ein weiterer - oftmals weniger beachteter - Aspekt der Sprachpolitik in den USA ist der Umgang mit den Sprachen der Ureinwohner - der Native Americans. Ähnlich wie in vielen anderen kolonialisierten Gebieten (z.B. Australien, Brasilien, Sibirien, Afrika) sind auch die Sprachen der nordamerikanischen Ureinwohner in den meisten Fällen heute stark vom Aussterben bedroht - sofern sie nicht aufgrund der Vertreibungspolitik der europäischen Siedler längst verschwunden sind. Wie etwa auch die Inuit in Grönland oder die Samen in Nordeuropa wurden die Native Americans hinsichtlich ihrer sprachlichen und kulturellen Entwicklung nach der Eroberung ihrer Gebiete zunächst über eine längere Zeit hinweg relativ unbehelligt gelassen. Kontakt mit Europäern erfolgte in erster Linie durch Missionare. Dieser hatte zwar bisweilen weitreichende kulturelle Folgen, blieb oft aber ohne direkten Einfluss auf die Sprache. Im Gegenteil - viele der ersten Aufzeichnungen von nordamerikanischen Sprachen und oft auch eine Alphabetisierung bis hin zur Entwicklung eigener Schriftsysteme etwa für das Inuktitut in Kanada erfolgten durch Missionare. Diese taten damit einiges für die Sprachentwicklung und -dokumentation, auch wenn dies nicht der Kern ihrer Absicht war. Solange die Strukturen der traditionellen Gemeinschaften intakt waren, erlangten diese somit oft eine recht hohe Alphabetisierungrate - sowohl in ihrer Muttersprache als auch im Englischen. Diese Politik änderte sich erst um das Jahr 1900, als - durch sozialdarwinistische Theorien beflügelt - die einheimischen Völker als hierarchisch niedriger stehend empfunden wurden. Viele Kinder und Jugendliche der traditionellen Bevölkerung sollten in Internaten zu „guten Amerikanern“ im eurozentrischen Sinne erzogen werden - wodurch diese oftmals nicht nur von ihrer Kultur entwurzelt wurden, sondern auch ihre Sprache verlernten. Ähnlich wie etwa in Wales, wo die „Welsh Knot“ genannte Schleife, die Schüler zu tragen hatten, wenn sie beim Walisischsprechen ertappt wurden, ein die Zeiten überdauerndes Symbol für die sprachliche Unterdrückung wurde, waren auch die einheimischen Sprachen Nordamerikas in den Bildungsanstalten verboten. Deshalb sind deren Sprecherzahlen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts drastisch zurückgegangen. Heutige Rettungsversuche durch sprachbewahrende Maßnahmen sind im Wesentlichen ein Produkt der sich verändernden Geisteshaltung in den 1960er Jahren, die auch zur offiziellen Gleichstellung der schwarzen Bevölkerung in den USA führte. Inzwischen gibt es für viele indigene Sprachen der USA Programme, die oft auf privaten Initiativen beruhen. Die Ausgangslage der verschiedenen Sprachgemeinschaften ist dabei ausgesprochen unterschiedlich - in Bezug auf die Sprecherzahl, aber auch hinsichtlich anderer ethnolinguistischer Faktoren. Diese Maßnahmen werden von staatlicher Seite unterstützt und koordiniert und wurden 1990 und 2006 durch zwei Gesetze festgeschrieben. Es handelt sich bei den Maßnahmen für die Ureinwohnersprachen also um einen der wenigen Bereiche, in denen auch in den USA eine vom Staat zentral organisierte Sprachpolitik existiert. Schließlich sollen im Kontext von sprachpolitischen Debatten in den USA Entwicklungen wie diejenige zu politisch korrektem Sprachgebrauch nicht Sprachen der Ureinwohner Historische Assimilierungspolitik Initiativen und Gesetzgebung der vergangenen Jahrzehnte Politisch korrekte Sprache <?page no="259"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 259 unerwähnt bleiben, die für viele Teile der Bevölkerung wohl die größte Ausstrahlung auf den alltäglichen Sprachgebrauch gehabt haben. Bereits Veränderungen hinsichtlich gesellschaftlich akzeptierter Bezeichnungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sind ein sprachpolitischer Eingriff in den Korpus, insbesondere, wenn sich diese Änderungen auch im Sprachgebrauch von Behörden o.ä. durchsetzen. Hinter diesen steht eine bestimmte Ideologie, die im Kontext von Minderheiten mit ihrer gesellschaftlichen Aufwertung einhergeht: Die Urbevölkerung der USA, die früher als Indianer bezeichnet wurde, heißt heute politisch korrekt Native Americans. Ähnlich ist auch die heute extrem negative Wahrnehmung des Begriffes Nigger zu bewerten, der im 19. Jahrhundert wertneutral war und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Negroes ersetzt wurde. Auch die in den 1960er Jahren normale Betitelung Black Americans gilt heute als unangemessen und wurde durch das politisch korrekte und als solches von der Politik als wertneutral postulierte African Americans ersetzt. Im Sinne der sprachlichen Aufwertung von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen seit den 1980er Jahren sind auch die im Zuge der Geschlechtergleichberechtigungsdebatte entwickelten Begriffe zu nennen. So wurden Begriffe wie chairman für Vorsitzende/ r durch das neutralere chairperson ersetzt. In offiziellen Texten wird - wie in Deutschland - he/ she oder his/ her verwendet, wenn das Geschlecht der betreffenden Person nicht bekannt ist. Diese Maßnahmen sind gesellschaftlich heute weitgehend akzeptiert und Organisationen aller Art haben Richtlinien für den geschlechterneutralen Sprachgebrauch. ZUSAMMENFASSUNG: Die USA verstehen sich als „Schmelztiegel“, in dem anderssprachige Einwanderer innerhalb weniger Generationen zum Englischen übergehen, zu Hause aber ihre traditionellen Sprachen weiter benutzen können. Eine zentrale Sprachpolitik gibt es kaum, Sprachpolitik fand lange oft in Form von Gerichtsurteilen statt, etwa zum Recht auf muttersprachlichen Unterricht. Seit den 1990er Jahren ist die Gesellschaft jedoch sprachpolitisch gespalten in der Frage, ob Englisch offizielle Sprache der USA sein sollte. In vielen Bundesstaaten ist dies bereits der Fall, dort werden derartige Regelungen vielerorts dazu genutzt, um andere Sprachen wie Spanisch gesellschaftlich zurückzudrängen, wodurch Sprachpolitik zu einem Spielfeld der Antieinwanderungspolitik geworden ist. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Was sind die Argumente der Befürworter und Gegner, Englisch zur offiziellen Sprache der USA zu erklären? Was für Auswirkungen kann eine solche Maßnahme haben? Was für Ideologien stehen dahinter? 2. Vergleichen Sie die Debatte zum Spanischen im Bildungssystem der USA mit der Diskussion zu Migrantensprachen im Bildungssystem in Deutschland. Wo gibt es Ähnlichkeiten? Was trägt Ihrer Meinung nach mehr zur Integration und zur Gleichberechtigung der Bürger bei - sollten Migranten Unterricht in ihrer Sprache erhalten oder nicht und wenn ja, sollte <?page no="260"?> 260 II Länderbeispiele der ganze Schulunterricht in der Sprache stattfinden oder nur in bestimmten Bereichen? 3. Vergleichen Sie die Praxis geschlechterneutraler Sprachverwendung im Englischen und im Deutschen. Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Was für Ziele stecken dahinter und werden diese Ihrer Meinung nach erreicht? 4. Informieren Sie sich über die Zahl der Sprachen der amerikanischen Ureinwohner. Wie hat sich diese im Laufe der Zeit verändert? Warum? Was für eine Prognose können Sie hinsichtlich der Rolle dieser Sprachen in der Zukunft aufstellen? 18.2 Kanada: Föderale Zweisprachigkeit und ein komplexes System regionaler Regelungen Kanada ist ein Land mit einer langen sprachpolitischen Tradition und einem differenzierten Umgang mit gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. Trotz einer ähnlichen Besiedlungsgeschichte unterscheidet sich das Land sprachpolitisch elementar vom mächtigen Nachbarn USA. Zum einen geht es in Kanada in der öffentlichen Debatte hauptsächlich um den Gegensatz zwischen Englisch und Französisch sprechenden Kanadiern, die in der politischen Kultur Kanadas eine Sonderstellung einnehmen, da diese als Gründungsgemeinschaften des modernen Staates gesehen werden. Zum anderen zeigt der Umgang mit allen anderen Sprachen, dass ein Weg der aktiven Integration eingeschlagen wurde. Dieser soll andere Sprachgruppen an die kanadische Gesellschaft heranführen, zollt dabei jedoch der sprachlichen Vielfalt Respekt. Schließlich sind - allerdings verstärkt erst in jüngerer Zeit - die Rechte der Urbevölkerung stärker in den Mittelpunkt gerückt. Mit dieser Grundausrichtung wird die offizielle kanadische Sprachpolitik manchmal mit dem Schlagwort der „Salatschüssel“ beschrieben, in der die einzelnen Bestandteile gemeinsam ein Ganzes bilden, dabei aber in ihrer ursprünglichen Form weitgehend erkennbar bleiben - im Gegensatz zur Metapher des vermeintlich alle Unterschiede einebenden „Schmelztiegel“ in den USA (grundlegend zur Sprachpolitik in Kanada in historischer Perspektive: Burnaby 1996; aus einer Perspektive der Sprachrechte: MacMillan 1998; mit Schwerpunkt auf ideologischen Auseinandersetzungen: Heller 1999). Die sprachliche Situation in Kanada sieht heute so aus, dass - ähnlich wie in den USA - die traditionell dominierenden Bevölkerungsgruppen in ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung abnehmen. Heute sprechen etwa 20% der Bevölkerung zu Hause eine andere Sprache als Englisch und Französisch. Der Anteil der englischsprachigen Bevölkerung liegt bei knapp 60%, gut 20% sprechen Französisch. Die Zahl der Sprecher der traditionellen amerikanischen Sprachen - in Kanada First Nations genannt - ist gering und wie in den USA haben viele dieser Sprachen nur noch wenige Sprecher. Von der regionalen Verteilung her ist Quebec die einzige mehrheitlich französischsprachige Provinz. New Brunswick hat ein Verhältnis von ca. zwei Dritteln Anglophonen zu ca. einem Drittel Frankophonen, in allen anderen Provinzen dominieren die Tradition der Sprachpolitik im Gegensatz zu den USA Englisch, Französisch und der Rest <?page no="261"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 261 englischsprachigen Einwohner (zu den von den First Nations geprägten Territorien im Norden Kanadas siehe unten). Historisch betrachtet wurde Kanada allerdings nicht nur von großen Gruppen anglo- und frankophoner Einwanderer besiedelt, sondern es gab auch viele Einwanderer aus anderen europäischen Ländern. Wie in den USA ist der Anteil der nicht-europäischen Einwanderer erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stärker angestiegen (zu aktuellen Statistiken zu den Erstsprachen der Bevölkerung, aufgeteilt nach Provinzen, siehe Statistics Canada/ Statistique Canada 2012). Französisch Englisch Andere Gesamt-Kanada 21,7 57,8 20,6 Quebec 78,9 8,3 12,8 Kanada ohne Quebec 4,0 73,1 23,0 Tabelle 7: Muttersprachen der Bevölkerung Kanadas (in %, Zensus von 2011, Statistics Canada). 18.2.1 Französisch: Der Weg zur offiziellen Zweisprachigkeit Auch wenn europäische Siedlungen sowohl von englischals auch von französischsprachigen Kolonisten im ganzen heutigen Gebiet Kanadas gegründet wurden, hat die lange Anbindung an Großbritannien einen entscheidenden Anteil daran gehabt, dass Englisch zur deutlich dominanteren Sprache wurde. Dies wurde nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass Kanada als ehemalige britische Kolonie und noch heutiges Mitglied des Commonwealth mit der Queen als Staatsoberhaupt ein politisches System hat, das primär britisch geprägt ist. Der kulturelle Einfluss und die demographische und ökonomische Stärke der USA trugen außerdem dazu bei, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts Frankophone aufgrund ihrer sprachlichen Herkunft sozial durchschnittlich deutlich schlechter gestellt waren als Anglophone. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein Bewusstsein für diese Ungleichheit ein, allerdings brauchte es starken politischen Druck bis hin zu einigen gewalttätigen Aktionen in Quebec, um die Politik auf diese Umstände aufmerksam zu machen. In Anlehnung an die zeitgleich an Fahrt aufnehmende Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Bevölkerung in den USA wurden die Frankokanadier - in der Terminologie der 1960er Jahre - provokativ als „weiße Neger Amerikas“ bezeichnet. Die sprachpolitischen Regelungen Kanadas sind als Resultat der Entwicklungen seit den 1960er Jahren sehr komplex. Die Bürgerrechtsbewegungen des 20. Jahrhunderts führten zu einer rigorosen Ummodelierung der kanadischen Sprachpolitik, so dass ihre Grundprinzipien heute die Gleichberechtigung von Englisch und Französisch und eine aktive Ausgestaltung des Multikulturalismus sind. Auf Seiten der öffentlichen Hand gilt, ähnlich wie in Deutschland, der Unterschied zwischen Einrichtungen des Bundes und denjenigen der Provinzen, die in klar definierten Bereichen weitgehende Entscheidungsfreiheit haben. Somit ist Kanada stark durch das Territorialitätsprinzip Entstehen eines Bewusstseins für Sprachrechte nach dem Zweiten Weltkrieg Territorialitätsprinzip: Bundesstaat vs. Provinzen <?page no="262"?> 262 II Länderbeispiele gekennzeichnet. Die weitreichenden Entscheidungsbefugnisse und eigenständigen Regelungen der Provinzen konnten bis heute auch eine Aufspaltung Kanadas verhindern: Ähnlich wie in Europa in Katalonien, dem Baskenland oder Schottland, gab es auch in Quebec starke Bestrebungen, sich vom Gesamtstaat loszusagen. War eine erste Volksabstimmung im Jahr 1980 mit fast 60% Unabhängigkeitsgegnern noch recht eindeutig ausgefallen, so war das Ergebnis des zweiten entsprechenden Referendums 1995 mit einem Verhältnis von 50,6% zu 49,4% zugunsten des Verbleibs im Gesamtstaat äußerst knapp. Das Umdenken in der kanadischen Politik zeigte sich auf Gesetzesebene zunächst durch das Sprachgesetz von 1969, das die Grundlagen für die heutigen Regelungen legte. Dieses Gesetz schreibt die englisch-französische Zweisprachigkeit auf der Ebene des Gesamtstaates in allen offiziellen Bereichen vor. Dazu gehörte der Aufbau einer konsequent zweisprachigen Verwaltung, die Bereitstellung von Übersetzungsdiensten oder die zweisprachige Veröffentlichung von Gerichtsurteilen. 1971 erklärte sich die kanadische Regierung offiziell als multikulturell, wodurch der symbolische Wert auch anderer Sprachen und Kulturen für die kanadische Gesellschaft betont wird. Gerade im Gegensatz zur gesellschaftlichen Tendenz zum English Only in den USA wurde somit von offizieller Seite auch anderen Sprachen ihr Platz in der Gesellschaft gewährt. Schließlich wurde die offizielle Zweisprachigkeit 1982 in der Kanadischen Charta für Rechte und Freiheiten, einer konstitutionellen Neuordnung, die nicht zuletzt die Souveränität Kanadas von Großbritannien auch juristisch vollendete, festgeschrieben. Trotz dieser politischen Maßnahmen dauerte es aber lange, bis sich die sprachliche Situation im Alltag der Bevölkerung tatsächlich änderte, und auch das Gefühl der Benachteiligung auf Seiten der Frankokanadier ging nur langsam zurück. Nicht zuletzt als Reaktion auf die Unabhängigkeitsbestrebungen Quebecs wurde das Sprachgesetz noch einmal überarbeitet und 1988 ein neues Sprachgesetz erlassen. Dieses erweitert das Gesetz von 1969 und schreibt nun vor, dass die Regierung sich aktiv um Zweisprachigkeit bemühen muss und dass für bestimmte Berufsgruppen persönliche Zweisprachigkeit notwendig ist (d.h. etwa dass Richter beide Sprachen verstehen müssen und eine Arbeit mit Übersetzern nicht mehr ausreicht). In der Praxis sind daraus einige Konflikte entstanden, etwa bei der Ernennung von (zumeist englisch) einsprachigen Richtern, die ihren Verpflichtungen zum Erlernen der anderen Sprache (d.h. zumeist des Französischen) nicht nachgekommen sind. Gleichfalls im Jahr 1988 wurde die Wertschätzung anderer Sprachen und Kulturen in einem offiziellen Gesetz zur Multikulturalität erneut festgeschrieben. Diese Regelungen beziehen sich grundsätzlich auch auf das Bildungssystem, allerdings sind die praktischen Konsequenzen dieses Gesetzes eher gering. Interessant ist hierbei aber, dass seit einigen Jahrzehnten Sprachpolitik in Kanada immer in zwei Dimensionen gedacht wird: dem Dualismus von Französisch und Englisch und dem Raum für weitere Sprachen in der Gesellschaft. Sprachgesetze seit den 1960er Jahren Gesetze als Reaktion auf den Separatismus in Quebec <?page no="263"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 263 18.2.2 Regelungen auf Bundes- und Provinzebene Auf der Bundesebene ist Kanada somit offiziell zweisprachig mit Englisch und Französisch als gleichberechtigten Sprachen. Das hat zur Folge, dass alle gesamtstaatlichen Institutionen überall im Land zweisprachig operieren. So haben frankophone Kanadier beispielsweise in den Atlantikprovinzen wie Nova Scotia, in denen nur sehr wenige Frankokanadier leben, ein Recht darauf, im Umgang mit der Zentralregierung Französisch zu gebrauchen - wodurch die besondere Stellung dieser beiden Bevölkerungsgruppen in Geschichte und Identität Kanadas herausgestellt wird. Umgekehrt gilt die oftmals postulierte französische Einsprachigkeit Quebecs nicht für Organe und Funktionen der Zentralregierung auf Quebecer Territorium. Dabei besteht in der Praxis bisweilen die absurde Situation, dass Bundesbehörden auch in Gegenden, in denen die jeweils andere Sprache fast nie nachgefragt wird, diese theoretisch jederzeit anbieten müssen. Bei öffentlichen Anlässen wird die Zweisprachigkeit oft so gelöst, dass in Reden etwa des Ministerpräsidenten einige Abschnitte auf Englisch und andere auf Französisch vorgetragen werden. Bei der Besetzung offizieller Ämter wird heute auf einen Proporz geachtet, der beiden „Gründungsnationen“ Kanadas gerecht wird. Und auch in der Medienpolitik ist die Gleichberechtigung von Englisch und Französisch Grundsatz, zudem sollen andere Sprachen berücksichtigt werden. Abbildung 45: Offizielle Zweisprachigkeit in einem Briefkopf einer Botschaft Kanadas. In den Provinzen ist die Sprachpolitik dagegen sehr viel weniger einheitlich. Dies beginnt mit der Frage, welche Regelungen eigentlich von der offiziellen Sprachpolitik betroffen sind. Vor dem Hintergrund der dominierenden Debatte um Quebec wird oft vergessen, dass auch in anderen Teilen Kanadas spezielle Regelungen für Frankokanadier existieren. Die Provinz New Brunswick ist dabei sogar die einzige, in der von einer nennenswerten gesellschaftlichen Zweisprachigkeit gesprochen werden kann - hier steht etwa zwei Dritteln anglophoner Bevölkerung etwa ein Drittel Frankokanadier gegenüber. Die Regelungen sind dabei auf vollständige Zweisprachigkeit ausgelegt - ein Modell, das weitgehend unproblematisch verläuft und mit dem die Bevölkerung zufrieden zu sein scheint. Schließlich gibt es aber auch traditionelle französischsprachige Bevölkerungsgruppen in anderen Teilen Kanadas. Auch wenn diese bisweilen nur aus einigen hundert Sprechern bestehen, genießen sie besondere Sprachrechte aufgrund ihrer Rolle als erste Siedler. So ist der Gebrauch sowohl des Französischen als auch des Englischen in mehreren Provinzparlamenten gestattet; auch die Gesetzgebung ist in vielen Provinzen Gleichstellung Englisch- Französisch auf Bundesebene Eigenständige Regelungen der Provinzen <?page no="264"?> 264 II Länderbeispiele zweisprachig. In der Schulpolitik ist von Bundesseite geregelt, dass ab einer Mindestzahl von Eltern, die dies verlangen, Schulklassen in der jeweils anderen offiziellen Sprache (d.h. zumeist im Französischen) eingerichtet werden müssen. Nicht zuletzt ist aus den offiziellen Zweisprachigkeitsregelungen auch das umfassende Unterrichtsangebot nach dem Immersionsprinzip entstanden. Danach erhalten Schulkinder weitgehend Unterricht in der jeweils anderen Landessprache, um dadurch von klein an eine aktiv gelebte Zweisprachigkeit zu ermöglichen (Burnaby 1996, Heller 1999). Trotz der komplexen Gesamtlage in Kanada ist es aber richtig, dass gerade Quebec eine Sonderstellung einnimmt, der zum klassischen Fall in der sprachpolitischen Literatur geworden ist. Die mehrsprachigkeitsfreundliche Gesetzgebung seit den 1960er Jahren ging der Regierung und vielen Einwohnern Quebecs nicht schnell genug. Dies hing nicht zuletzt mit der zunehmenden Zahl an nicht-französischsprachigen Einwanderern zusammen, die oftmals eher Englisch als Französisch lernten. Deshalb spricht beispielsweise in Montreal, der größten Stadt Quebecs, heute nur noch etwa die Hälfte der Einwohner zu Hause Französisch. Als Reaktion wurden in Quebec eine Reihe eigener Sprachgesetze verabschiedet, durch die das Französische explizit geschützt werden sollte. Berühmtheit erlangt hat das Gesetz 101 aus dem Jahr 1977, das die Sprachpolitik auf völlig neue Grundlagen stellte. Dadurch wurde das Französische zur einzigen Sprache in allen öffentlichen Bereichen in Quebec. Dies ging - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern - so weit, nicht nur den Sprachgebrauch in der staatlichen Verwaltung zu regulieren, sondern auch in die Privatwirtschaft einzugreifen, indem die Beschilderung in der Öffentlichkeit ausschließlich auf Französisch sein sollte. Das Gesetz 101 wurde allerdings vom Obersten Gerichtshof Kanadas als nicht vereinbar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung erklärt und musste mehrmals nachgebessert werden. Somit bestehen heute weiterhin Minderheitenrechte für die anglophone Bevölkerung in Quebec. Es existieren englischsprachige Schulen, in den wenigen Gebieten mit einer anglophonen Mehrheit gibt es auch eine zweisprachige Verwaltung und die Regelung zur Sprache auf Schildern im öffentlichen Raum erlaubt die Verwendung anderer Sprachen, solange das Französische dominant bleibt. Außerdem gibt es in Quebec - als einzigartige Einrichtung in Nordamerika - offizielle staatliche Sprachplanungsinstitutionen. Diese beraten die Regierung, betreiben Korpusplanung, überwachen aber nicht zuletzt auch die Einhaltung der Sprachgesetze. Heute gilt Quebec außerdem als eigene „Nation“ innerhalb Kanadas, deren Kultur und Sprache schützenswert sind. Somit hat die Sprachpolitik der letzten Jahrzehnte das Französische deutlich aufgewertet, so dass dessen Zugehörigkeit zu Kanada momentan auch weniger stark in Frage gestellt ist als im ausgehenden 20. Jahrhundert. Schließlich soll noch auf die sprachliche Situation der First Nations, der Ureinwohner, eingegangen werden. Auch hierfür gibt es Programme der Regierung, die den Wert dieser Sprachen betonen. Eine entscheidende Neuerung war vor allem die Schaffung des Nunavut-Territoriums im Jahr 1999 durch Abspaltung von den Nordwest-Territorien. Auch in letzteren gibt es eine offizielle Mehrsprachigkeitspolitik, d.h. Bürger dürfen sich in verschiedenen Ureinwohnersprachen an die Verwaltung wenden und auch das Bildungssystem sieht Unterricht in diesen vor, auch wenn die Zahl der Muttersprachler Quebec als Sonderfall First Nations und Nunavut <?page no="265"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 265 nur zwischen 90 (Inuinnaqtun) und 1965 (Tłįchǫ (Dogrib)) liegt, bei einer Gesamteinwohnerzahl von ca. 40.000 (Newstats Bureau of Statistics 2012). Dabei ist die Zahl der anerkannten Sprachen mit 11 (d.h. Englisch, Französisch und 9 Ureinwohnersprachen) so hoch, dass die Nordwest-Territorien zu den Gebieten mit der höchsten Zahl an offiziellen Sprachen weltweit gehören. In Nunavut dagegen ermöglicht die ethnische Situation eine völlig andersartige Sprachpolitik, da eine einzige Bevölkerungsgruppe dominiert: Die Inuit machen etwa 85% der ca. 30.000 Einwohner aus (auf einer Fläche, die sechs Mal so groß ist wie Deutschland), wodurch in erster Linie die Inuitsprache Inuktitut, die zusammen mit dem Englischen, Französischen und dem Innuinaqtun offiziell sind, als Sprache von Verwaltung und Öffentlichkeit fungieren kann. Die Regierung Nunavuts hat bald nach ihrer Einsetzung eine aktive Revitalisierungspolitik für die indigenen Sprachen eingeleitet. Somit ist Nunavut ein Beispiel dafür, wie eine Regierung durch bewusste Status- und Korpusplanung eine zuvor marginalisierte Sprache unterstützen kann. Allerdings ist deren Umsetzung mühsam, etwa hinsichtlich der Entwicklung einer geeigneten Verwaltungsterminologie oder bei der Ausbildung von Lehrern, die auf Inuktitut unterrichten können. Eine interessante Randnotiz ist, dass Inuktitut als eine der wenigen Ureinwohnersprachen Nordamerikas auch heute noch mit einer eigenen Silbenschrift geschrieben wird, die im 19. Jahrhundert von Missionaren entwickelt wurde, um den besonderen Bedürfnissen der Sprache gerecht zu werden. Insgesamt lässt sich die kanadische Politik des Ausgleiches und der Berücksichtung der Interessen vieler als ein Beispiel für eine erfolgreiche Sprachpolitik bezeichnen. Mit der Anerkennung der Rechte der französischsprachigen Gruppe konnte das Auseinanderfallen des Staates verhindert werden. Auch wenn sich die Benachteiligung der frankophonen Bevölkerung deutlich verringert hat, bleibt Englisch jedoch die wesentlich stärkere Sprache im nordamerikanischen Ökosystem. Gute Sprachkenntnisse in beiden offiziellen Sprachen sind nach wie vor nicht weit verbreitet. Und nicht zuletzt darf nicht vergessen werden, dass die Politik Englisch und Französisch bevorzugt und - trotz der Toleranz gegenüber Migrantensprachen und indigenen Sprachen - der Erhalt anderer Sprachen unsicher ist. ZUSAMMENFASSUNG: Im Gegensatz zu den USA hat sich Kanada immer als mehrsprachiges Land verstanden und führt seit langem eine aktive Sprachpolitik durch. Als Sprachen der Gründernationen sind Englisch und Französisch privilegiert, außerdem gibt es Regelungen für die Sprachen der Ureinwohner und Maßnahmen für Einwanderersprachen. Quebec als einzige überwiegend frankophone Provinz hat durch eine Sprachpolitik zum Schutz und zur Aufwertung des Französischen auf sich aufmerksam gemacht. Dagegen gehören im Norden Kanadas die Nordwest- Territorien und Nunavut zu den wenigen Gebieten mit indigenen als offiziellen Sprachen. Aktive Revitalisierungspolitik <?page no="266"?> 266 II Länderbeispiele Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Zeichnen Sie den historischen Weg der kanadischen Sprachpolitik nach. Was waren Meilensteine und wodurch wurden sie ausgelöst? 2. Vergleichen Sie die sprachpolitischen Grundhaltungen der USA und Kanadas. Was sind die Prinzipien und welche Konsequenzen haben diese für den Umgang mit Mehrsprachigkeit? 3. Was halten Sie von der Regelung, dass in Quebec alle öffentlichen Beschriftungen (auch) auf Französisch sein müssen? Warum wurden die verschärften Regelungen des Gesetzes Nr. 101 zurückgenommen? Würde dieses Gesetz Ihrer Meinung nach einen Unterschied machen? 4. Suchen Sie im Internet die Seiten von kanadischen Regierungsorganisationen wie der Zentralregierung, einzelner Provinzregierungen (etwa von Nunavut, Quebec oder New Brunswick) oder die Seiten der Botschaft von Kanada z.B. in Deutschland. Welche Sprachen finden sich dort? Was für Funktionen haben die verschiedenen Sprachen und welche Symbolik gibt es dabei? 5. Finden Sie das Programm eines offiziell deklarierten Multikulturalismus überzeugend? 6. Wie ist Ihre Prognose für den Spracherhalt des Inuktitut und anderer Ureinwohnersprachen? 18.3 Australien und Neuseeland: Verschiedenartiger Umgang mit Mehrsprachigkeit in Abhängigkeit von Geschichte und Regierungswechseln In der öffentlichen Wahrnehmung Australiens und Neuseelands überwiegen oftmals die Gemeinsamkeiten beider Länder, in denen die Vergangenheit als ehemalige britische Kolonien dafür gesorgt hat, dass beide Länder sprachlich, kulturell und politisch auch heute noch von England geprägt sind. Sprachpolitisch gesehen ist dies allerdings falsch: Zwar ist in beiden Staaten Englisch mit einer jeweils eigenen nationalen Norm die wichtigste Sprache der Gesellschaft - die Schwerpunkte sprachpolitischer Aktivitäten unterscheiden sich aber grundsätzlich. 18.3.1 Mehrsprachigkeit in Australien Australien ist ein interessantes Beispiel dafür, wie sprachpolitische Maßnahmen maßgeblich davon abhängen können, welche Partei die Regierung stellt. Dabei konzentriert sich Sprachpolitik in Australien auf verschiedene Ebenen: Zum einen geht es um die Organisation der Mehrsprachigkeit der Einwanderer-Bevölkerung, d.h. derjenigen zumeist europäisch-, in jüngerer Zeit auch vermehrt asiatischstämmigen Australier, für die Englisch nicht Muttersprache ist. Für diese Sprachen ist in Australien der Begriff LOTE (Languages other than English) geprägt worden. Zum anderen, und in der australischen Öffentlichkeit Australien: Englisch vs. LOTE <?page no="267"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 267 eher marginalisiert, beschäftigt sich australische Sprachpolitik mit der Vielzahl der Sprachen der australischen Ureinwohner, die im australischen Diskurs zumeist unter den Begriffen Aborigines and Torres Strait Islanders zusammengefasst werden. Während der Name Aborigines für die Ureinwohner des australischen Festlandes verwendet wird, sind die Torres Strait Islanders die Bewohner kleinerer Inseln in der Torres-Straße, der Mehrenge zwischen Australien und Neuguinea, die sich von den Aborigines kulturell deutlich unterscheiden. Insgesamt ist Australien ein Kontinent, in dem ein hoher Grad an gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit herrscht. Ähnlich wie in den USA ist eine individuelle Mehrsprachigkeit jedoch nicht stark verbreitet: Viele Nachfahren englischsprachiger Siedler sind einsprachig und betrachten Mehrsprachigkeit als exotisch. Dem stehen jedoch die laut Zensus von 2011 ca. 26% nicht im Land geborenen Australier gegenüber. Dabei sind das Niveau des Spracherhalts und die Häufigkeit der Weitergabe der Einwanderersprachen an die nächsten Generationen - ebenfalls wie in den USA - in den verschiedenen ethnischen Gruppen sehr unterschiedlich. Als Tragödie zu bezeichnen ist dagegen das Schicksal der Urbevölkerung, die heute etwa 2% der Bevölkerung ausmachen. In vielen Fällen ist die Urbevölkerung auch heute noch sozial und ökonomisch deutlich schlechter gestellt, kulturell und sprachlich ist die Geschichte der Aborigines eine Geschichte der Marginalisierung und Entwertung. Von den ca. 300 Sprachen, die zur Zeit der Ankunft der ersten europäischen Siedler auf dem Kontinent gesprochen wurden, haben heute nur eine Handvoll eine einigermaßen stabile Sprachgemeinschaft. Die überwiegende Mehrheit der Sprachen ist dagegen entweder bereits ausgestorben oder mit heute nur noch einer kleinen Menge an Sprechern stark vom Aussterben bedroht. Haarmann (2002: 348- 350) nennt 273 Sprachen für Australien (einschließlich Einwanderersprachen), davon haben jedoch nur 5 Sprachen der Ureinwohner mehr als 1000 Sprecher; die überwiegende Mehrheit hat weniger als 100 Sprecher oder gilt als ausgestorben. Die australische Urbevölkerung verteilt sich über den gesamten Kontinent, wobei ihr Anteil im dünn besiedelten Northern Territory am höchsten ist. Insgesamt liegt der Anteil der Urbevölkerung, der Kompetenz in der traditionellen Sprache ihrer Gemeinschaft hat, bei kaum mehr als 10%, wobei die Sprecher der ältesten Generation nach wie vor dominieren. Wie in anderen kolonialisierten Gebieten werden die Sprachen der Urbevölkerung zumeist nicht mehr als Muttersprache erlernt und jüngere Sprecher, die ein verstärktes Interesse an ihrer Ursprungskultur haben, kompensieren nur sehr langsam den Rückgang der Sprecherzahlen. Ausnahme sind lediglich einige Kreolsprachen, die aus dem Kontakt von ursprünglichen Sprachen Australiens mit dem Englischen entstanden sind, insbesondere auf den Inseln in der Torres Strait. Englisch als Hauptsprache der Gesellschaft Schicksal der Urbevölkerung <?page no="268"?> 268 II Länderbeispiele 18.3.2 Die australische Sprachpolitik der 1980er Jahre als Blaupause eines ganzheitlichen staatlichen Ansatzes Was kennzeichnet also die Sprachpolitik Australiens? Nach Jahrzehnten der Assimilierungsspolitik - die, wie in den USA, nicht nur die Ureinwohner betraf, sondern auch auf die Einwanderer aus nicht-englischsprachigen Ländern ausgerichtet war - wurde das Thema der Mehrsprachigkeit zum ersten Mal in den 1980er Jahren von der Regierung aufgegriffen, die damals von der Labor Party geführt wurde (für einen Überblick über die Entstehungszeit der australischen Sprachpolitik vgl. Moore 1996). Zuvor hatte es nur vereinzelt Bildungs- und Medienangebote in anderen Sprachen gegeben, die oftmals auf den Initiativen einzelner Sprachgemeinschaften beruhten. Die 1987 eingeleitete, zunächst noch recht allgemein gehaltene National Policy on Language, der eine Reihe weiterer, präzisierender Dokumente folgten, kann als Vorbild für die Ausgestaltung gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit von Seiten einer Regierungsorganisation gelten (Lo Bianco 1987). Einflussreichster Urheber dieser staatlichen Maßnahmen war der italienischstämmige Australier Joseph Lo Bianco, dessen Plan als Lo Bianco Report Vorbild für vergleichbare Sprachpläne in vielen anderen Ländern werden sollte. Damit war Australien eines der ersten Länder, das sich eine bewusste umfassende Sprachpolitik gegeben hat, die versucht hat, den Status aller im Land existierenden Sprachen zu erfassen und zu steuern. Dabei wurde sowohl die Rolle des Englischen als gesellschaftlicher Hauptsprache anerkannt und die Notwendigkeit formuliert, Englisch zu beherrschen, als auch der Wert der Migranten- und Ureinwohnersprachen festgeschrieben. Explizit sollten auch öffentliche Dienstleistungen in vielen Sprachen angeboten und Maßnahmen zum Erhalt anderer Sprachen ergriffen, englischsprachige Australier dagegen zum Fremdsprachenlernen ermutigt werden. Eine offizielle Behörde, die sich mit der Umsetzung dieser Politik befasst hätte, wurde allerdings nicht eingerichtet - die Implementierung der Sprachpolitik sollte durch die existierenden Institutionen wie die Bildungsbehörden erfolgen. 1987 wurde von der Regierung das Office of Multicultural Affairs gegründet. Dies war ein deutliches Zeichen für die Eigenwahrnehmung Australiens als eine nicht nur an Großbritannien orientierte Gesellschaft. Allerdings dauerte es weitere 20 Jahre, bis sich im Jahr 2008 die australische Regierung offiziell bei den Aborigines-Gemeinschaften für das über Jahrhunderte hinweg begangene Unrecht entschuldigte. Als Teil dieser Politik fand im Bildungssystem eine Abkehr von der sprachlichen Orientierung nach Europa statt, indem neben den traditionellen Fremdsprachen in den Schulen wie Französisch oder Deutsch nun auch Sprachen der asiatischen Nachbarn wie Bahasa Indonesia oder Japanisch angeboten wurden. Diese Neuausrichtung auf den pazifischen Raum stand im Einklang mit einem generellen politischen Perspektivenwandel, der nach der Auflösung des britischen Weltreiches und dem britischen EG-Beitritt in den 1960er und 1970er Jahren begonnen hatte. Mittlerweile hat dieser in einer Vielzahl von politischen und ökonomischen Allianzen im Pazifikraum gemündet - allerdings ohne das traditionelle Selbstverständnis als Nachfahren britischer Einwanderer völlig abzulegen: So sind Versuche, die britische Königin als Staatsoberhaupt durch einen in Australien gewählten Präsidenten zu ersetzen, oder Musterbeispiel einer umfassenden staatlichen Sprachplanung in den 1980ern Geopolitische und sprachliche Neuorientierung <?page no="269"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 269 eine neue australische Flagge ohne den Union Jack im linken oberen Viertel zu schaffen, bisher stets gescheitert, zuletzt durch ein Referendum über die Staatsform im Jahr 1999, das mit einer Zustimmung von 55% für die Beibehaltung des Status quo endete. Die Sprach(erwerbs)politik wurde zu einem wichtigen Faktor in der Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik und maßgeblich von ökonomischen Interessen beeinflusst. Somit ist der gezielte australische nationale Sprachplan ein Beispiel dafür, wie ein verändertes Bewusstsein für Multikulturalismus und die Bedürfnisse der Einwanderer eine neue Sprachpolitik „von oben“ auslösen können, diese in ihrer Umsetzung jedoch von ökonomischen Faktoren bestimmt wird. Neben diesem pragmatischen Teil erhielt auch die Urbevölkerung als Ergebnis des gestiegenen Bewusstseins für kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit das grundsätzliche Recht auf schulische Förderung ihrer Sprachen und die Möglichkeit, ihre Sprachen in der Verwaltung zu verwenden. Dies gab den bis dato vereinzelt existierenden Schulen, in denen seit den 1970er Jahren Unterricht auf Aborigines-Sprachen stattfand, eine größere juristische Sicherheit. Es hat allerdings nichts daran geändert, dass de facto auch heute noch der Großteil der Aborigines-Kinder rein englischsprachige Mainstream-Schulen besucht. 18.3.3 Entwicklungen in Australien seit den 1990er Jahren In den 1990er Jahren zeigte sich, dass ökonomische Aspekte auch in der Folge die dominierende Größe in der Sprachpolitik bleiben sollten. Noch unter der Labor-Regierung wurde die mit dem Respekt vor der Viefalt begründete Mehrsprachigkeitspolitik zugunsten einer wirtschaftsorientierteren Sprachpolitik nuanciert. Hinsichtlich der Ureinwohner war z.T. sogar wieder mehr von der Notwendigkeit die Rede, dass diese gut Englisch lernen, als vom Erhalt ihrer eigenen Sprachen. Nach der Regierungsübernahme durch die Koalition aus der konservativen National Party mit der Liberal Party im Jahr 1996 wurden die Pläne in Hinblick auf die Akzeptanz des Multikulturalismus völlig ad acta gelegt. Somit wurde einer der bis dahin weltweit umfassendsten und hoffnungsvollsten Ansätze einer ganzheitlichen Sprachpolitik im Sinne einer Würdigung des sprachlichen Potentials der Gesellschaft und den dahinter stehenden kulturellen Identitäten, die zum Wohl der gesamten Gesellschaft ausgestaltet werden sollten, im Keim erstickt. Als Folge dieser Politikänderungen wurden ein Mangel an Toleranz gegenüber Mehrsprachigkeit und eine latente Ausländerfeindlichkeit zur Normaliät; auch das Fremdsprachenlernen nahm deutlich ab (Liddicoat/ Scarino 2010, Scarino 2014). Ähnlich wie das Verhältnis zu den Migrantensprachen änderte sich auch die Praxis gegenüber den Aborigines-Sprachen: Trotz der ohnehin nur sehr geringen Verwendung dieser in Schulen wurden auch diese Maßnahmen teilweise wieder in Frage gestellt. Berichte über einen mangelnden Respekt vor Sprachen und Kultur der Aborigines in Behörden und vor Gericht sind somit auch heute noch an der Tagesordnung. Auf der anderen Seite werden durch staatliche Zentren die Kultur und Sprachen der Aborigines erforscht und gefördert. Neben den offiziellen Bemühungen gibt es einzelne sprachfördernde Initiativen. Dazu gehören kleine Radiosender, die in Aborgines-Sprachen senden, oder Wiederbelebungsinitiativen, Schulpolitik Abkehr vom Respekt vor der Vielfalt nach dem Regierungswechsel Förderung der Aborigines- Kulturen <?page no="270"?> 270 II Länderbeispiele die sich an die nachwachsenden Generationen richten. Sowohl auf der australischen Bundesebene (seit dem erneuten Regierungswechsel zur Labor Party 2007) als auch auf der Ebene einzelner Bundesstaaten gibt es einzelne Revitalisierungsinitiativen sowie einen neuen Versuch einer koordinierten Politik zugunsten der indigenen Sprachen mit dem Ziel, ein Bewusstsein für den kulturellen Wert der Aborigines-Kulturen zu schaffen und das Aussterben dieser Sprachen zu verhindern. Auf Bundesebene gibt es eine breite Förderung von Medien und Kulturveranstaltungen und Maßnahmen zur Ausweitung und Verbesserung des Bildungssystems im Rahmen des MILR (Maintenance of Indigenous Languages and Records)-Programmes. Auch einige Teilstaatsregierungen haben entsprechende Programme aufgelegt, wobei diese nicht zuletzt von der Frage abhängen, welche Partei die Regierung stellt (McKay 2011). Insgesamt jedoch ist der Trend, dass Aborigines-Sprachen größtenteils am Aussterben sind, kaum gestoppt worden, und viele Maßnahmen werden als ineffizient wahrgenommen. Somit kennzeichnet die Sprachpolitik in Australien heute eine Förderung des Sprachenlernens mit klarer ökonomischer Zielsetzung bei gleichzeitiger Dominanz des Englischen in allen Bereichen. Sowohl Migrantenals auch Aborigines-Sprachen werden in geringem Maße gefördert - allerdings mit einer klaren Verortung als Sprachen einzelner Gemeinschaften ohne größere Bedeutung für die Gesamtgesellschaft und mit nur geringem Erfolg hinsichtlich des Spracherhalts. Dabei forderte etwa die Organisation Community Languages Australia zuletzt im Jahr 2012 unter ausdrücklicher Berufung auf die National Language Policy von 1987, dass Australien wieder eine solche Strategie benötige. Gleichzeitig gibt es weite Teile der Bevölkerung, die Mehrsprachigkeit nach wie vor skeptisch gegenüberstehen. Der Diskurs über Sprachen betont die wirtschaftliche Seite des Sprachenlernens, zuletzt 2012, als die Opposition einen Vorschlag machte, dass 40% aller High School-Schüler eine asiatische Sprache lernen sollten, um die Verbindungen Australiens in diese Region zu verbessern. Dies wurde aber von der Regierung und vielen Teilen der Bevölkerung als viel zu teuer eingestuft. Die auch international wegweisenden ganzheitlichen Ausführungen zur nationalen Sprachpolitik der 1980er Jahre, die von einem Geist des Respektes vor der Vielfalt geprägt waren, sind somit einem pragmatischen, bisweilen widersprüchlichen Nebeneinander verschiedener Ansätze gewichen. Sprachpolitik wird von offizieller Seite fast ausschließlich als Spracherwerbspolitik für Fremdsprachen gesehen, um die Wirtschaftsleistung Australiens zu erhöhen. Insgesamt gilt somit, dass es eine mehr oder weniger offen durchgeführte Politik zugunsten des australischen Standardenglisch gibt - dort, wo diese nicht offen formuliert wird, existiert sie als „unsichtbare“ Politik durch die gängigen gesellschaftlichen Praktiken (Truscott/ Malcolm 2010). Dennoch kann durchaus davon gesprochen werden, dass die Ansätze der 1980er Jahre zumindest einige langfristige Konsequenzen gehabt haben: Heute wird verstärkt darauf geachtet, dass Einwanderern die Möglichkeit gegeben wird, Englisch zu lernen, und die Zahl der Schüler, die überhaupt eine Fremdsprache lernen, ist stark gestiegen. Dabei hat es einen deutlichen Wandel von europäischen zu asiatischen Sprachen gegeben. Das Bewusstsein für Sprachen im traditionell sich einsprachig verstehenden Australien ist somit Heutiger Diskurs zu Sprachen Betonung des wirtschaftlichen Nutzwertes von Sprachen <?page no="271"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 271 durchaus gestiegen (Lo Bianco 2003). Nicht zuletzt durch den erneuten Regierungswechsel 2007 wurde jedoch gezeigt, wie stark derartige Maßnahmen von den jeweiligen politischen Gegebenheiten abhängen. Schließlich soll noch die Frage einer Sprachpolitik für das australische Englisch als eigenständiger Varietät mit eigenen Normen angesprochen werden. Diese tritt im Sinne einer bewussten Korpusplanung eher am Rande auf: Auch wenn das reine „Queen’s English“ heute weitgehend nicht mehr als Modell angesehen wird, an dem sich Australier orientieren, so dominiert nach wie vor die Anlehnung an verschiedenen Spielarten des britischen Englisch. Diesem werden Australismen primär im Wortschatz beigefügt. Außerdem sind verschieden stark ausgeprägte australische Aussprachen akzeptiert, wobei das Cultivated Australian English als Standard in offiziellen Kontexten der britischen Norm sehr viel näher ist als das als neutral empfundene General Australian English oder das umgangssprachliche Broad Australian English. Australien sieht sich als ein Zentrum innerhalb der polyzentrischen englischen Sprache - einige australische Eigenheiten in Lexik und Phonetik werden akzeptiert, die Teilhabe an der globalisierten anglophonen Gemeinschaft soll durch zu ausgeprägte Eigenheiten aber nicht in Frage gestellt werden. 18.3.4 Der Gegensatz Englisch-Māori in Neuseeland Der Unterschied in der Sprachpolitik Neuseelands und Australiens liegt vor allem darin, dass Neuseeland seit Übernahme der Macht durch die Briten einen elementar anderen Umgang mit der Urbevölkerung gepflegt hat. Voraussetzung dafür war, dass die Siedlerbevölkerung in Neuseeland zur Zeit der europäischen Landnahme nicht auf eine Vielzahl von Sprachen und Kulturen stieß wie in Australien, sondern auf die weitgehend einheitliche Māorikultur und -sprache. So hat in der Sprachpolitik das Hauptaugenmerk auf der Zweisprachigkeit Englisch-Māori gelegen (überblicksartig: Benton 1996, Peddie 1997). Außerdem ist die Anerkennung der Neuseeländischen Gebärdensprache als weiterer offizieller Sprache neben dem Māori eine globale Rarität. Hinsichtlich der Symbolkraft ist bemerkenswert, dass Englisch zwar de facto alle offiziellen Funktionen einnimmt, juristisch aber keinen derartigen Status hat. Maßnahmen zum Umgang mit der Vielfalt der Einwanderersprachen sind hingegen mit Australien durchaus vergleichbar: Hier steht eine gewisse Service-Orientierung im Mittelpunkt, etwa in Form von staatlichen Informationsbroschüren in sowohl europäischen als auch polynesischen Sprachen, letztere für Einwanderer aus den kleineren Inselstaaten des Pazifik. Außerdem ist die Spracherwerbspolitik wie in Australien heute deutlich auf den ökonomischen Nutzen für das Land ausgerichtet, wobei europäische Sprachen durch Sprachen Asiens und der Pazifikregion ergänzt werden. Das Verhältnis zwischen Briten und Māori wurde 1840 durch den Vertrag von Waitangi geregelt, der im Wesentlichen eine Gleichberechtigung der Kulturen vorsah - wenn auch unter britischer Regierungsführung. In den folgenden über 100 Jahren kam es dennoch zu einem starken Rückgang der Māoriprache: Zum einen wählten viele Māori im Interesse eines sozialen Aufstieges selbst das Englische, zum anderen durch sozialen Druck, Assimilierungsbemühungen und unterschiedliche Interpretationen des Waitangi-Vertrages. Den- Englisch in Australien Historischer und heutiger Umgang mit der Māori-Bevölkerung Rückbesinnung auf die Sprache der Māori s <?page no="272"?> 272 II Länderbeispiele noch hatten die Māori lange ihre eigenen Schulen und genossen - im Verhältnis zu den Ureinwohnersprachen Australiens, aber auch zu Minderheitensprachen in Nordamerika und Europa - ein gewisses Maß an Akzeptanz. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine intensivere Rückbesinnung auf Sprache und Kultur, und ähnlich wie bei vielen Minderheitensprachen in Europa galt es nun, eine „verlorene Generation“ zu überwinden (Spolsky 2009: 200 vergleicht die Situation des Māori passenderweise mit der des Friesischen in den Niederlanden). Kindergarten- und Schulinitiativen auf Grassroot-Basis führten zu einem steigenden Bewusstsein seitens der Regierung, das 1987 in ein Sprachgesetz mündete, das Māori zur offiziellen Sprache erklärt. Die Einrichtung einer Regierungsbehörde für das Māori folgte ebenso wie eine (vom Sprachplan in Australien und namentlich dessen Autor Lo Bianco beeinflusste) Diskussion über Mehrsprachigkeit. Somit kann Māori heute auch in einer Reihe von offiziellen Domänen wie vor Gericht gebraucht werden und es gibt zumindest in den unteren Klassen ein recht breites Angebot an Māori-Unterricht. Auf der symbolischen Ebene haben offizielle Institutionen auch einen Namen auf Māori und es ist möglich, im Parlament Māori zu sprechen (dies wird übersetzt, allerdings gibt es, ähnlich wie etwa im Schottischen Parlament für das Gälische, keine Übersetzung aus dem Englischen). Es gibt eine offizielle Māori-Kommission und die Regierung verfolgt eine in Zusammenarbeit mit Māori-Organisationen entwickelte Māori-Strategie. Auch wenn die Stellung des Māori somit deutlich besser ist als die Situation der Ureinwohnersprachen in Australien, ist das oft gemalte Bild von einem vorbildlichen Umgang mit der Māori-Bevölkerung und ihrer Sprache aber unzutreffend. Die Einstellungen der europäischen Einwanderer und die herrschenden Machtstrukturen führten zu immensen sozialen Problemen vieler Māori, die auch heute noch unter deutlich schlechteren Bildungschancen, höheren Alkoholimus- und Kriminalitätsraten und einer Stigmatisierung ihrer Sprache und Kultur, die erst langsam überwunden wird, zu leiden haben. Trotz des offiziellen Status und der umfangreichen Förderung der Pflege der Māori- Kultur, in der Sprachpolitik zum Erhalt des Māori ein ausdrücklicher Bestandteil ist, bleibt Englisch die dominierende Sprache in Neuseeland. Die praktischen Anwendungsmöglichkeiten des Māori sind begrenzt - sogar in den offiziell zweisprachigen Behörden, wo viele Dokumente nur auf Englisch ausgefüllt werden dürfen. Nach wie vor beherrscht nur etwa ein Fünftel der Māori-Bevölkerung, die ihrerseits etwa ein Siebtel der neuseeländischen Bevölkerung ausmacht, das Māori auf einem Niveau, das dafür ausreicht, ein normales Alltagsgespräch zu führen. Auch wenn die Zahl der jungen Menschen mit Sprachkompetenz in den letzten Jahren gestiegen ist, bleibt die aktive tägliche Benutzung hinter den passiven Kenntnissen deutlich zurück (Statistics New Zealand 2013). Allerdings zeigen etwa die Debatten zur Einführung von Software auf Māori (vgl. Mato et al. 2012), dass die Revitalisierungspolitik zugunsten des Māori heute auf einem deutlich höheren Niveau geführt wird als vor einigen Jahrzehnten. Zudem zeigen Statistiken, dass sowohl die Māorials auch die Nicht-Māori-Bevölkerung Neuseelands der Sprache einen hohen Stellenwert beimessen und Maßnahmen - etwa zur Einrichtung eines Fernsehsenders auf Māori - befürwortet werden. Soziale Probleme und Maßnahmen zur Revitalisierung des Māori <?page no="273"?> 18 USA, Kanada, Australien/ Neuseeland 273 ZUSAMMENFASSUNG: An Australien zeigt sich deutlich, wie stark die Sprachpolitik eines Staates parteipolitisch beeinflusst werden kann. Australien war in den 1980er Jahren eines der ersten Länder mit einer ganzheitlichen Sprachpolitik, die Englisch, Ureinwohnersprachen, Migranten und eine gezielte Fremdsprachenpolitik kombiniert hat. Nach dem Regierungswechsel in den 1990er Jahren wurde diese jedoch stark modifiziert, bei Regierungswechseln 2006 und 2013 ist dies erneut der Fall gewesen. In Neuseeland sind Māori und neuseeländische Gebärdensprache zu offiziellen Sprachen erklärt worden; für das Māori gibt es ein umfangreiches sprachpolitisches Programm. Die Situation des Māori stellt sich heute somit - bei allen Defiziten - im Vergleich zu vielen Minderheitensprachen weltweit und erst recht zur prekären Situation der Ureinwohnersprachen Australiens recht günstig dar. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Wie beurteilen Sie, dass mehr als 100 Jahre nach der staatlichen Unabhängigkeit von Großbritannien einige Teile der australischen Bevölkerung heute noch „Queen’s English“ als Vorbild haben, der Großteil der Bevölkerung sich von diesem Vorbild jedoch verabschiedet hat? Welche Gründe hat dies und wie sehen Sie dies vor dem Hintergrund der Rolle Australiens in der Welt? 2. Zeigen Sie am Beispiel Australiens, wie ein Regierungswechsel fundamentale Unterschiede in der Sprachpolitik begründen kann. Recherchieren Sie dazu im Internet neueste sprachpolitische Äußerungen und Maßnahmen der australischen Regierung. 3. Bis vor einigen Jahrzehnten war die Fremdsprachenpolitik Australiens auf den Erwerb europäischer Sprachen wie Französisch, Italienisch oder Deutsch ausgerichtet. Mittlerweile ist es normal, dass australische Schüler z.B. Japanisch lernen. Warum hat sich dies geändert und was halten Sie davon? 4. Worin unterscheidet sich der Umgang mit den Sprachen der Ureinwohner in Australien und Neuseeland? Was für Gründe gibt es dafür? <?page no="274"?> 19 Asien: Sprachpolitik zwischen Traditionen, Kolonialismus und Nation Building 19.1 Indien: Föderalismus als Grundprinzip mit Englisch als Lingua Franca Indien steht in der Reihe der Fallstudien in diesem Buch als Beispiel für den Umgang mit einer enormen sprachlichen Diversität in einem Land, in dem der Sprachpolitik zumindest in der Theorie demokratische Prinzipien zugrunde liegen. Die genaue Zahl der in Indien als Muttersprache gesprochenen Sprachen ist schwer zu ermitteln; Haarmann (2002) geht von 418 Sprachen aus, der Ethnologue (Lewis et al. 2013) von 461. Der indische Zensus selbst unterscheidet zwischen Selbstbezeichnungen der Sprecher für ihre Muttersprache - derer es mehr als 10.000 gibt - und einer bereinigten Version, die berücksichtigt, dass für dieselbe Varietät oft viele unterschiedliche Namen existieren. Anhand dieser Liste werden Sprachen von der indischen Regierung danach klassifiziert, ob sie als bedeutend genug angesehen werden, um von der offiziellen Sprachpolitik berücksichtigt zu werden. 19.1.1 Hindi und Englisch als überregionale Sprachen Indiens Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien stand Indien, wie die meisten postkolonialen Staaten, vor der Entscheidung, welche Sprache offizielle Sprache des Landes würde, und wie mit der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht umgegangen werden sollte. Dabei war offensichtlich, dass an Hindi als der am meisten verbreiteten Sprache kein Weg vorbei führte. Damit war aber nicht die Frage beantwortet, wie mit den anderen Sprachen verfahren werden sollte (zum Status von Sprachen in Indien und Sprachpolitik allgemein siehe Benedikter 2009, Vanishree 2011). Hindi ist die Muttersprache von über 400 Millionen Menschen und damit von etwa 40% der Bevölkerung Indiens. Dabei ist die Abgrenzung zum Urdu eine eher politisch-kulturelle als linguistische. Vor der Unabhängigkeit 1948 war es üblich, von beiden Sprachen gemeinsam als Hindustani zu sprechen, und auch Gandhi gebrauchte diesen Namen. Beide Sprachen sind gegenseitig problemlos verständlich - aber Urdu wird als Sprache der Muslime mit arabischen Schriftzeichen geschrieben, während Hindi als Symbol der hinduistischen Bevölkerung eine eigene traditionelle Schrift gebraucht. Dazu kommen gewisse lexikalische Unterschiede, insbesondere im kulturellen und religiösen Vokabular, die jedoch insgesamt nicht so groß sind, dass eine Verständigung schwierig wäre. Dennoch wurden beide Varietäten getrennt voneinander zu den sprachlichen Symbolen der unabhängigen Staaten Indien und Pakistan. Der erste Entwurf einer Sprachpolitik für das unabhängige Indien sah vor, Hindi und Urdu gemeinsam als offizielle Sprache zu etablieren. Diese Pläne wurden nach der Teilung Indiens in Indien und Pakistan und der blutigen Vertreibung von Muslimen und Hindus aus den jeweils anderen Landesteilen dahingehend umgeformt, als dass nun Hindi alleinige offizielle Sprache in Indien Indien als demokratischer Vielvölkerstaat Hindi vs. Urdu Offizielle Sprachen <?page no="275"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 275 werden sollte. Darüber hinaus sollte Englisch für eine Übergangszeit von 15 Jahren - ähnlich wie später in Malaysia - offizielle Funktionen beibehalten, in der Annahme, dass es mehrere Jahre brauchen würde, um die Verwaltung auf Hindi umzustellen und geeignete Arbeitskräfte auszubilden (zur Rolle des Englischen in Indien und zu Gründen für seine weiterhin bedeutende Rolle vgl. Nault 2012). Zudem wurde mit dem berühmten 8th Schedule eine Liste von 18 Sprachen aufgestellt, die aufgrund ihrer Größe als nationale Sprachen galten. Hindi hat jedoch als einzige dieser Sprachen offiziellen Status im Sinne eines umfassenden Gebrauches seitens der Bundesregierung. Die anderen offiziellen Sprachen sind Assamesisch, Bengalisch, Gujarati, Kanada, Kaschmirisch, Konkani, Malayalam, Manipuri, Marathi, Nepalesisch, Oriya, Punjabi, Sanskrit, Sindhi, Tamilisch, Telugu und auch Urdu. Interessant an dieser Liste ist zum einen, dass sie auch nach der Spaltung Indiens Urdu enthält und sich viele Sprachen darauf finden, die etliche Millionen Sprecher haben, in Europa aber sogar dem Namen nach weitgehend unbekannt sind. Zum anderen ist die Auflistung des Sanskrit als historische Sprache bemerkenswert - dies wäre in etwa damit zu vergleichen, dass in der EU auch Latein als offizielle Sprache anerkannt wäre. Die praktische Bedeutung dieser Liste liegt vor allem darin, dass die genannten Sprachen offizielle Förderung durch die indische Bundesregierung erfahren und diese in offiziellen Kontexten auch auf Bundesebene - zumindest in eingeschränktem Maße - gebraucht werden können. 2003 wurde die Liste um die Sprachen Bodo, Santali, Dogri und Maithili ergänzt, wobei letzteres dem Hindi sehr nahe ist und das Problem illustriert, dass es oft eine politische Entscheidung ist, ob eine Varietät als eigenständige Sprache anerkannt wird oder nicht. Nach 15 Jahren Unabhängigkeit versuchte die Zentralregierung dann, ihren Beschluss durchzusetzen, Englisch zugunsten von Hindi in der Verwaltung abzuschaffen. Obwohl in dieser Zeit die Verbreitung des Hindi durch eine gezielte Schulpolitik im ganzen Land zugenommen hatte, scheiterte dies jedoch an umfangreichen Protesten. Diese fanden vor allem im Süden Indiens statt, wo dravidische Sprachen wie Tamilisch oder Malayalam vorherrschen, deren Abstand zum Hindi groß ist. Diese Landesteile befürchteten eine Benachteiligung durch die Abschaffung des Englischen in offiziellen Kontexten und die staatliche Bevorzugung des indoeuropäischen Hindi. Dies hatte zur Folge, dass Englisch als Sprache der interethnischen Kommunikation beibehalten wurde. Somit funktionierte der Plan, Hindi als identitätsstiftende Nationalsprache zu etablieren, nur in denjenigen Regionen, in denen Hindi auch traditionell von Bedeutung war (zu heutigen Ideologien zum Hindi als Sprache, die die Nation vereint, siehe Chand 2011). Ähnlich wie in vielen Ländern Afrikas war die ehemalige Kolonialsprache für Sprecher kleinerer Sprachen neutraler als die größte einheimische Sprache und damit für die interethnische Kommunikation in Indien eher akzeptabel. Ein Sprachgesetz von 1963 regelte, dass Englisch seine Rolle als offizielle Sprache neben Hindi auf Bundesebene behielt, und auch heute noch ist Englisch aus dem öffentlichen Leben in prestigeträchtigen Domänen nicht wegzudenken. Dabei wird Englisch ganz überwiegend als Zweitsprache gebraucht, der Anteil der englischen Muttersprachler liegt bei unter einem Prozent der Bevölkerung. Die Meinungen 18 nationale Sprachen Rolle von Englisch und Hindi <?page no="276"?> 276 II Länderbeispiele hinsichtlich der Rolle des Englischen in Indien gehen im übrigen weit auseinander: So wird Englisch von einigen Sprachwissenschaftlern als Mittel zur Unterdrückung der einheimischen Sprachen und der allgemeinen Bevölkerung durch eine englischsprachige Oberschicht angesehen, die das britische Denken verinnerlicht hat und für die der Fortbestand der kolonialen Sprachverhältnisse im Interesse des eigenen Machterhaltes war. Dem stehen Meinungen gegenüber, nach denen das Englische als innerindisch gesehen neutrale Sprache durchaus seine Funktion hat, und in denen die Gleichsetzung des Englischen mit der Übernahme europäischen Denkens und europäischer Strukturen differenzierter gesehen wird. Somit sind Hindi und Englisch heute beides Sprachen der Bundesebene. Außerdem hat Englisch nach wie vor eine dominante Stellung am obersten Gericht und als Sprache der Gesetzgebung. Im Bundesparlament werden hauptsächlich Hindi und Englisch gebraucht, andere Sprachen dürfen aber auch verwendet werden. Die Kommunikation zwischen der Bundesregierung und den Behörden der Bundesstaaten oder zwischen mehreren Staaten untereinander ist explizit geregelt: Mit den primär hindisprachigen Staaten wird Hindi benutzt, in der Kommunikation, die andere Bundesstaaten involviert, Englisch. Gleichzeitig gibt es Maßnahmen seitens der Bundesregierung, Anreize für einen verstärkten Gebrauch des Hindi zu schaffen. Wenn sich Bürger an die Bundesbehörden wenden, haben diese - zumindest in der Theorie - jedoch das Recht, jede in Indien gebräuchliche Sprache zu verwenden. 19.1.2 Regelungen zur Mehrsprachigkeit Beim Konflikt zwischen Englisch, Hindi und anderen Sprachen darf nicht übersehen werden, dass die Sprachpolitik in Indien neben der Betonung des Hindi zur nationalen Einigung auch von Anfang an Respekt für die Vielfalt der Sprachen zeigte. So sind die Territorien der indischen Bundesstaaten in vielen Fällen durch ethnische und linguistische Grenzen gekennzeichnet, wodurch es für viele Bundesstaaten leichter ist, eine eigene zielgerichtete Sprachpolitik zu bestimmen. Hinzu kommt, dass die Muttersprachen Indiens nicht nur unterschiedlichen Sprachgruppen angehören, sondern damit auch bisweilen sehr unterschiedliche kulturelle Traditionen verbunden sind, die auf diese Weise recht problemlos gepflegt werden können. Zumindest gilt dies für die größeren Sprachen. Dabei ist die Möglichkeit, eine Sprache zur offiziellen Sprache zu erklären, nicht auf die Sprachen des 8th Schedule beschränkt - die Bundesstaaten sind frei in ihrer Wahl auch anderer Sprachen. Heute gibt es neben den 22 von der Bundesebene anerkannten Nationalsprachen vier offizielle Sprachen auf regionaler Ebene. Insgesamt haben somit 26 Sprachen in Indien offiziellen Status. 13 der 35 Bundesstaaten und Territorien haben Hindi als zumindest eine offizielle Sprache, darunter sind einige der größten und bevölkerungsreichsten Gebiete. Die Bundesstaaten sind außerdem dazu angehalten, für den Erhalt von Minderheitensprachen zu sorgen und - ab einem bestimmten Anteil an der Bevölkerung - auch den Gebrauch nicht offizieller Sprachen in offiziellen Kontexten zu ermöglichen. Schließlich ist auch die Medienlandschaft ausgesprochen komplex - Zeitungen etwa erscheinen in einer Vielzahl von Sprachen, wobei auch hier Hindi mit Abstand die höchste Verbreitung aufweist. Sonderrolle des Englischen Regionale offizielle Sprachen <?page no="277"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 277 Im Bildungswesen gilt der Grundsatz, dass zunächst überall in der lokalen Muttersprache unterrichtet werden sollte. Damit sind explizit nicht nur die immerhin 26 offiziellen Sprachen der Bundesstaaten gemeint, sondern etwa 200 Muttersprachen, die von der indischen Regierung für diesen Zweck anerkannt wurden. Dabei handelt es sich um ein geradezu revolutionäres sprachpolitisches Prinzip im Geist des Respektes vor den individuellen Sprachen und Kulturen, der zur Zeit der Unabhängigkeit herrschte und der in starkem Kontrast zu vielen anderen postkolonialen Ländern steht. Neben dem Unterricht in den Muttersprachen sollte in den ersten Schuljahren Hindi in dem Maße unterrichtet werden, dass ab der niedrigen Sekundarstufe Hindi als Unterrichtssprache verwendet werden kann. Schließlich sollte Englisch hinzukommen; außerdem sollte die Hauptsprache des jeweiligen Bundesstaates - insofern dies weder Hindi noch die lokale Erstsprache ist - gelehrt werden. Diese als „3-Sprachen-Formel“ bezeichnete Politik konnte sich zum Teil auch durchsetzen - allerdings nicht in dem Maße, wie es in der Theorie vorgesehen ist. So wird nur etwa die Hälfte der von der Regierung anerkannten ca. 200 Sprachen auch tatsächlich im Unterricht gebraucht. In der Praxis gibt es dabei einen Unterschied zwischen den großen Städten, in denen Englisch dominiert, und den ländlichen Regionen. Außerdem ist Englisch als Sprache elitärer schulischer Bildungseinrichtungen sowie von Universitäten de facto unangetastet geblieben. Da die Bevölkerung, die des Englischen mächtig ist, nach wie vor in der Minderheit ist, hat Englisch seine Rolle als Sprache der Elite auch nur wenig eingebüßt. Dies gilt sowohl für eine Teilhabe an Wohlstand und Macht innerhalb Indiens als auch in internationalen Kontexten. Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass Indien für viele Aspekte seiner sprachlichen Vielfalt konstruktive Lösungen gefunden hat und offen ausgetragene Sprachkonflikte heute Ausnahmen sind. Mehrsprachigkeit ist Normalität - wobei diese zumeist von ausgesprochen pragmatischen Gesichtspunkten geleitet wird. Eine solche pragmatische Mehrsprachigkeit gilt nicht zuletzt auch für die ärmsten Gruppen der Gesellschaft, die sich aufgrund ihrer Muttersprache und des mangelnden Zugangs zum Englischen sprachlich benachteiligt fühlen könnten, für die jedoch in der Realität Fragen des täglichen Überlebens oft deutlich im Vordergrund stehen. Gleichzeitig zeigt das indische Beispiel, dass Ziele der staatlichen Sprachpolitik gegen den Widerstand weiter Landesteile nicht durchzusetzen sind bzw. waren. Der Ausbau des Hindi zur Nationalsprache hat zwar stattgefunden - aber lediglich als Ergänzung zum Englischen als Elitensprache und zu den regionalen Sprachen. Trotz aller demokratischen Prinzipien muss außerdem betont werden, dass zwar eine große Anzahl von Sprachen in den Behörden und im Schulwesen eine Rolle spielt, viele kleine Sprachen aber auch heute noch marginalisiert sind. Somit zeigt sich, dass auch eine föderale Struktur und eine auf Pluralismus ausgerichtete Sprachpolitik - nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen - Grenzen hat. Bildungswesen mit „3-Sprachen- Formel“ Konstruktive Lösungen statt Durchsetzung einer Politik gegen den Willen der Bevölkerung <?page no="278"?> 278 II Länderbeispiele ZUSAMMENFASSUNG: Indien ist ein Land mit einer komplexen Struktur der offiziellen Anerkennung von Sprachen. Englisch sollte nach der Unabhängigkeit mittelfristig durch Hindi als Nationalsprache ersetzt werden, was aber am Widerstand der nichthindisprachigen Teile Indiens scheiterte. Heute gibt es 22 offizielle Nationalsprachen, jeder Bundesstaat entscheidet zudem frei über seine eigenen offiziellen Sprachen. Zusätzlich wird im Bildungssystem Muttersprachunterricht in etwa 200 Sprachen erteilt, es gilt die „Drei- Sprachen-Formel“: Alle Bürger sollen ihre Muttersprache, die Hauptsprache ihres Bundesstaates sowie Hindi beherrschen, wobei die Lücke zwischen Theorie und Praxis bisweilen bedeutend ist. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Im Zusammenhang mit den Sprachen und der Sprachpolitik Indiens wird oftmals von einer speziellen Sprachenhierarchie gesprochen. Wie sieht diese Ihrer Meinung nach aus? 2. Erklären Sie, warum das Ziel, das Englische in Indien zu ersetzen, aufgegeben wurde. Welche Gründe sprachen bzw. sprechen dafür, welche dagegen? 3. Indien gilt als - von der Bevölkerungszahl her - größte Demokratie der Welt. Wie spiegelt sich diese Einstellung im Umgang mit der ausgeprägten Mehrsprachigkeit? Vergleichen Sie die indische Sprachpolitik mit anderen vielsprachigen Ländern. 4. Recherchieren Sie, in welchen Teilen Indiens welche Sprachen offiziell sind. Welches Bild ergibt sich im Verhältnis von Hindi zu den anderen Sprachen? 19.2 Korea: Sprachpolitik in ideologischen Gegensätzen Die Sprachpolitik in Korea ist in mehrerlei Hinsicht ein interessanter Fall - und zwar sowohl im Hinblick auf seine historische wie auch seine heutige Entwicklung. Auch wenn Korea über die Jahrhunderte hinweg dem Einfluss seiner großen Nachbarländer ausgesetzt war, so haben sich im Wechselspiel mit dem Chinesischen, Japanischen oder heute dem Englischen einige bemerkenswerte eigenständige Traditionen aufgebaut. Trotz des auch hier zunehmenden Einflusses der Globalisierung ist Korea jedoch noch heute eines der sprachlich homogensten Länder der Welt. Sprachpolitik hat sich traditionell somit weitgehend auf Korpusplanung in Bezug auf das Koreanische bezogen; Statusplanung beschäftigt sich in Ermangelung nennenswerter (traditioneller) sprachlicher Minderheiten mit der Frage, welche Varietät des Koreanischen offiziell gefördert wird. Während Korea und das Koreanische zwischen seinen großen Nachbarn China, Japan und Russland oftmals als kleines Land und als Sprache mit eher wenigen Sprechern wahrgenommen werden, darf dabei nicht Korea als sprachlich homogene Nation <?page no="279"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 279 übersehen werden, dass beide koreanische Staaten zusammen etwa 70 Millionen Einwohner haben und das Koreanische der Zahl seiner Sprecher nach zu den 20 größten Sprachen der Welt gehört (grundlegend zur Sprachpolitik in Korea: Song 2001, 2012). 19.2.1 Zwischen Eigenständigkeit und Einflüssen von außen Aus historischer Perspektive ist Korea mit seiner vom Staat systematisch geplanten Entwicklung und Einführung einer eigenen Schrift ein bemerkenswertes Beispiel für eine erfolgreiche Sprachpolitik von oben. Im 15. Jahrhundert wurde durch ein Dekret des Königs die bis heute im Wesentlichen gültige Schrift Hangul entwickelt. Dabei handelt es sich um eines der frühesten Beispiele einer systematischen Kodifizierung einer Sprache durch linguistische Experten. Aus diesem Grund dominiert im Koreanischen heute, im Gegensatz zum Japanischen und Chinesischen, eine phonetisch motivierte Buchstabenschrift, die den Ruf hat, weltweit eine der Verschriftlichungen zu sein, die der Phonetik am nähesten kommt. Die Entwicklung des Hangul wird heute noch als entscheidender Beitrag zur kulturellen Eigenständigkeit angesehen; zu ihrer Entstehungszeit richtete sie sich auch im Sinne einer puristischen Sprachpolitik gegen Einflüsse von außen, insbesondere gegen die Vorherrschaft der chinesischen Schriftkultur. Dieser Gegensatz zwischen Koreanismen und Einflüssen von außen ist auch heute noch ständiges Motiv in der oft auf nationalistischen Prinzipien basierenden Top-down-Sprachpolitik. Dabei ist der zweite Aspekt, in dem Korea als exemplarisch für ein bestimmtes sprachpolitisches Modell gelten kann, auch im Vergleich zur deutschen Geschichte interessant: die Entwicklung der koreanischen Sprache in den beiden koreanischen Staaten in den etwa 70 Jahren seit dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Sprachpolitik in beiden Teilen Koreas folgt dabei durchaus ähnlichen Zielen: In beiden Fällen stand zunächst die Aufwertung des Status des Koreanischen in der Gesellschaft gegenüber anderen Sprachen nach jahrzehntelanger Zweitrangigkeit im Vordergrund. Hinzu kamen zunächst grundlegende Fragen einer allgemeinen Alphabetisierung der Bevölkerung. Gleichzeitig stellte sich die Frage, wie hinsichtlich des Korpus des Koreanischen mit existierenden Einflüssen aus anderen Sprachen umgegangen werden sollte. Beide Staaten Koreas haben in den vergangenen Jahrzehnten - unter dem Einfluss und als Reaktion auf die vorherige Kolonialisierung durch Japan - eine ausgesprochen nationalistische Politik verfolgt, die sich in ihrer Gestaltung allerdings stark unterschieden hat. Dazu gehörte die parallele Entwicklung und Durchsetzung zweier Standards. Wie in vielen vergleichbaren Fällen auch in Europa, basieren diese auf den jeweiligen Hauptstadtvarietäten. Vor der Teilung des Landes entsprach der Standard in weiten Teilen der in Seoul vorherrschenden Varietät, heute stehen sich dagegen zwei Standards, die den Varietäten Seouls und Pjöngjangs entsprechen, gegenüber. Auch wenn - ähnlich wie in Deutschland nach 40 Jahren staatlicher Trennung - die Kommunikation zwischen beiden Teilen des Landes in sprachlicher Hinsicht weitgehend problemlos möglich ist, haben die beiden Staaten doch in einigen Punkten recht unterschiedliche Wege beschritten. Systematische Entwicklung einer eigenen Schrift im 15. Jahrhundert Ähnlichkeiten in der Sprachpolitik Nord- und Südkoreas <?page no="280"?> 280 II Länderbeispiele 19.2.2 Unterschiede in der Sprachentwicklung aufgrund verschiedener politischer Systeme Im Mittelpunkt der sprachpolitischen Differenzen in Korea steht der Umgang mit der chinesischen Schrifttradition. Diese hat sich hauptsächlich in dem Sinne bewahrt, dass einzelne aus dem Chinesischen stammende Begriffe mit chinesischen Zeichen geschrieben werden, auch als Einsprengsel in hauptsächlich in der Hangul-Schrift geschriebenen Texten. Die nordkoreanische Politik ist dadurch gekennzeichnet, dass das Prinzip der Autarkie auch in der Sprachpolitik konsequent angewandt wird. Dies zeigt sich in der Ablehnung der chinesischen Schrift, die als Überrest einer Vergangenheit angesehen wird, mit der vollständig gebrochen wurde. Die chinesische Schrift wird als elitäres Zeichen früherer Herrschaftsstrukturen betrachtet, wobei Song (2001: 142) vermutet, dass auch der Wunsch nach einer schnellen vollständigen Alphabetisierung der Bevölkerung wichtig für das Bestreben war, die Komplexität der Schriftsprache zu reduzieren. In Südkorea dagegen ist es zu Schwankungen in der Rolle der chinesischen Schrift gekommen. Diese wurde von den Regierungen seit dem Zweiten Weltkrieg unterschiedlich bewertet: Ursprünglich war geplant, chinesische Schriftzeichen nur noch während einer Übergangszeit in (offiziellen) Situationen zu gebrauchen, jedoch ist diese Tradition auch heute nicht völlig ausgestorben. In Nordkorea werden zusammen mit der chinesischen Schrift auch Lehnwörter jeglicher Art abgelehnt - es handelt sich um einen extremen Fall des Sprachpurismus, der auf der Ideologie der Eigenständigkeit und dem politischen Willen zur Unabhängigkeit von den Einflüssen der Nachbarn beruht. Dies ist politisch insofern bemerkenswert, als dass China in der internationalen Staatengemeinschaft oft als Schutzmacht des kommunistischen Nordkoreas angesehen wird, auf deren Wohlwollen das nordkoreanische Regime angewiesen ist. Dennoch gab es seitens der Staatsführung bereits in den 1960er Jahren klare Anweisungen dafür, wie mit chinesischstämmigen Lexemen umzugehen sei: Diese sollten im Wesentlichen durch koreanische Lexeme ersetzt werden, entweder durch bereits existierende Parallelformen, oder, wo diese nicht existierten, durch Neuschöpfungen. In Südkorea dagegen richtete sich die puristische Politik mehr gegen den Gebrauch des Japanischen, dessen Verwendung in öffentlichen Bereichen zeitweise weitgehend verboten wurde. Das Nebeneinander von chinesischer und koreanischer Schrift dagegen ist in Südkorea bis heute üblich, und Schulkinder erwerben nach wie vor auch Kenntnisse in der chinesischen Schrift. In der schriftlichen Kommunikation kann es somit zwischen Nord- und Südkorea heute vor allem dort zu Verständigungsschwierigkeiten kommen, wo die chinesische Schrift gebraucht wird. Aufgrund der Ausbildung eigenständiger Lexeme haben sich insbesondere im Bereich der politischen Sprache Divergenzen gebildet. Dabei handelt es sich - ähnlich wie im Fall von DDR und Bundesrepublik - oftmals um Begriffe, die unmittelbar das politische System widerspiegeln. Dies kann die Bezeichnung von Institutionen, Bildungseinrichtungen u.ä. betreffen, aber auch Lexeme, die mit der politischen oder ökonomischen Ideologie in Verbindung stehen, bei denen sich also die Denotate auch konzeptuell unterscheiden. Gleichzeitig haben sich - trotz aller puristischen Tendenzen - aufgrund der politischen Zusammenarbeit Südkoreas mit Umgang mit der chinesischen Schrifttradition Divergenzen zwischen Nord- und Südkorea <?page no="281"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 281 den USA und der Präsenz amerikanischer Soldaten in Südkorea eine Reihe von Anglizismen verbreitet, während in Nordkorea zu Zeiten der Sowjetunion in geringerem Maße auch russische Lehnwörter übernommen wurden. Diese Entwicklungen betreffen insgesamt nur einen sehr geringen Anteil des Lexikons. Da jedoch Kommunikationswege zwischen Nord- und Südkorea kaum existieren und der persönliche Kontakt zwischen den Bevölkerungen kaum möglich ist, kann auch die Gewöhnung an sprachliche Besonderheiten des anderen Landesteiles nur in sehr viel geringerem Maße erfolgen an dies in Ost- und Westdeutschland vor 1989 der Fall war. Schließlich soll noch darauf hingewiesen werden, dass Südkorea heute eine bewusste Spracherwerbspolitik zugunsten des Englischen betreibt. Dies ist zum einen durch die politische Bedeutung der USA für Südkorea bedingt. Zum anderen ist dies der Einsicht geschuldet, dass das Land in seinem ökonomischen Aufstieg seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stärker als je zuvor auf internationale Kontakte angewiesen ist, was durch allgemeine Tendenzen der Globalisierung in der jüngsten Zeit noch verstärkt wurde. Somit wird dem Unterricht im Englischen heute ein großer Stellenwert beigemessen, junge Südkoreaner sprechen oft gut Englisch. Allerdings sind - durchaus ernstgemeinte - Vorschläge, Englisch zur zweiten offiziellen Sprache zu erklären, bislang im Sande verlaufen (Kim 2001). Piller/ Cho (2013) machen dabei an der Einführung englischsprachiger Studiengänge an südkoreanischen Hochschulen deutlich, dass die Verbreitung einer Globalisierungsideologie unter neoliberalem Vorzeichen entscheidend für die Verbreitung des Englischen ist: Für ein hohes Prestige einer Institution ist deren internationale Ausrichtung von entscheidender Bedeutung, was dem Englischen einen massiven Statusschub verliehen hat. Andere Fremdsprachen erfreuen sich dagegen deutlich weniger Beliebtheit; dies betrifft heute auch das Deutsche. So hat das Englische das Deutsche als lange Zeit dominante erste Fremdsprache abgelöst - bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war Deutsch in Korea die wichtigste internationale Bildungssprache. Dies äußert sich auch heute noch in einer überdurchschnittlichen Zahl von wissenschaftlichen Kontakten mit Deutschland und in Deutschkenntnissen der wissenschaftlichen Elite, die deutlich höher liegen als in anderen Ländern Asiens. Deutsch ist - nach dem Englischen - nach wie vor die am stärksten verbreitete europäische Fremdsprache in Südkorea. Insgesamt allerdings haben die Bedeutung des Deutschen und die Verbreitung von Deutschkenntnissen in den vergangenen Jahrzehnten rapide abgenommen und es ist nicht davon auszugehen, dass Deutsch auch in Zukunft noch eine wichtigere Rolle in Korea spielen wird (vgl. dazu den Sammelband von Ammon/ Chong (2003) mit einer Reihe aufschlussreicher Aufsätze zum Deutschen in Korea). Englisch vs. Deutsch in Südkorea <?page no="282"?> 282 II Länderbeispiele ZUSAMMENFASSUNG: Korea ist ein ungewöhnliches Beispiel für eine historische Sprachplanung, bei der im 15. Jh. mit dem Hangul eine eigene Schrift geschaffen wurde, die bis heute Bestand hat. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben beide koreanische Staaten eine Rekoreanisierungspolitik der Sprache durchgeführt, wobei Nordkorea seine Autarkie auch durch Ablehnung chinesischer Schriftzeichen betont, die in Südkorea nach langen Diskussionen auch heute noch in Gebrauch sind. In der Fremdsprachenpolitik dominierte lange Deutsch, heute ist jedoch auch in Korea Englisch unangefochten die wichtigste internationale Sprache. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Warum ist die gezielte Schaffung einer eigenen Schrift im 15. Jahrhundert so bemerkenswert? Vergleichen Sie dies mit entsprechenden Entwicklungen in Europa. 2. Erklären Sie, warum beide Staaten Koreas eine ausgesprochen nationalistische Sprachpolitik ausführen. 3. In welchen Bereichen haben sich die Sprachen Nord- und Südkoreas seit den 1950er Jahren auseinanderentwickelt? Warum? Welche Probleme könnte es geben, falls es jemals zu einer Wiedervereinigung der beiden Teile Koreas kommen sollte? 4. Überlegen Sie, warum in Korea lange Zeit das Deutsche die wichtigste internationale Wissenschaftssprache war und warum dies heute nicht mehr der Fall ist. 19.3 Malaysia und Singapur als Beispiele für sprachliches Nation Building mit kolonialem Erbe Malaysia ist ein weiteres Beispiel für den sprachpolitischen Umgang mit einem kolonialen Erbe. Dies betrifft auch heute noch - ähnlich wie in vielen Staaten Afrikas oder in Indien - die Frage, wie mit dem Englischen umgegangen werden soll. Gleichzeitig ist die Betonung einer einheimischen Varietät wichtiges Mittel beim Aufbau der Nation. Die Bevorzugung einer Sprache steht dabei im Widerspruch zur ausgeprägten Mehrspachigkeit im Land. Allerdings werden in Malaysia - im Gegensatz zu vielen Ländern Afrikas - andere Sprachen in gewissem Maße auch in die Sprachpolitik mit einbezogen. Das Englische wurde und wird dabei in einer Doppelrolle wahrgenommen: Zum einen ist es die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht und als solche ein Symbol für alte Zeiten, die mit dem Aufbau des unabhängigen Malaysia überwunden werden sollten. Zum anderen wird die globale Bedeutung des Englischen anerkannt. Dies geschieht in Malaysia nicht nur, wie in wohl den meisten Regionen der Welt, aufgrund seiner Rolle als Handelssprache, sondern auch ausdrücklich zur Bewahrung der traditionellen Bindung an Großbritannien und den Commonwealth. Diese anhaltende Verflechtung äußert sich Umgang mit dem britischen Erbe <?page no="283"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 283 nicht nur auf staatlicher Ebene, etwa durch ein Bildungssystem, das auf britischen Traditionen aufbaut. Auch in der Wahrnehmung vieler Einwohner ist das Englische nach wie vor wichtig, etwa in Hinblick auf bessere Arbeits- und Aufstiegsbedingungen, die mit dem Englischen verbunden sind (zu Malaysias Sprachpolitik allgemein: Gill 2005, Hashim 2009). 19.3.1 Der Ausbau des Malaiischen zur Sprache der malaysischen Nation nach der Unabhängigkeit Auf der Grundlage dieser Einstellungen zum Englischen und zu einheimischen Sprachen hat Malaysia nach seiner Unabhängigkeit und der Gründung des Staates 1957 eine konsequente Sprachpolitik umgesetzt. Diese räumt dem Englischen als Zweitsprache einen wichtigen Stellenwert ein, fördert als erste Sprache aber konsequent das Malaiische. Erklärtes Ziel ist, mit Hilfe der Vorherrschaft einer einheitlichen Sprache als Nationalsprache eine einige Nation zu schaffen. Die heutige Standardsprache des Malaiischen ist erst durch eine gezielte Standardisierung der vorherrschenden Varietäten entstanden. Dabei ist schon der Name Teil eines sprachpolitischen Programmes: Die Standardisierung der aus sprachwissenschaftlicher Sicht als Malaiisch bezeichneten Varietäten erfolgte unter den Namen Bahasa Melayu in Malaysia und Bahasa Indonesia in Indonesien unter Betonung der jeweiligen Nation. Beide Standards basieren auf derselben Grundlage und bleiben auch heute noch weitgehend gegenseitig verständlich. Der Name Bahasa Melayu steht in Malaysia heute wiederum in Konkurrenz zum Namen Bahasa Malaysia. Während Bahasa Melayu das ethnisch malaiische Element betont, unterstreicht Bahasa Malaysia die Rolle als vereinende Sprache für alle ethnischen Gruppen. Dabei wurde die offizielle Bezeichnung mehrmals geändert; aktuell wird seit 2007 in offiziellen Kontexten wieder die Bezeichnung Bahasa Malaysia bevorzugt. Seit 1959 existiert eine zentrale Behörde für Sprachplanung, die sich sowohl der gesellschaftlichen Stärkung des Bahasa Melayu als auch seines Ausbaus zu einer modernen und in allen Bereichen funktionsfähigen Sprache widmet. Dabei wurde konsequent die Tradition der lateinischen Schriftsprache ausgebaut. Die Verwendung einer am Arabischen orientierten Schrift namens Jawi ist hingegen nur noch historisch und in einigen religiösen und kulturellen Zusammenhängen von Bedeutung. Auch die Gründung der Universität Malaysias im Jahr 1970 hat stark zur Aufwertung und Verbreitung des Bahasa Melayu beigetragen - nicht nur im Verhältnis zum Englischen, sondern auch gegenüber dem Chinesischen als ebenfalls weit verbreiteter Sprache der Region. Grundlage für diese sprachpolitische Entscheidung war der ideologische Aufbau des neuen Staates auf ethnischer Grundlage mit den Malaien als Staatsvolk - obwohl nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung Malaien sind. Gemeinsam mit anderen Ureinwohnern (insbesondere aus dem Teil Malaysias, der auf Borneo liegt) werden die Malaien gerne als „Bumiputra“ bezeichnet. Alle Bumiputra machen zusammen etwa zwei Drittel der Bevölkerung aus, die anderen Bevölkerungsgruppen (d.h. vor allem Chinesen und Inder) werden hingegen oft „Einwanderer“ genannt, obwohl ihre Vorfahren zumeist schon vor mehreren Generationen ins Land kamen und bisweilen seit weit über 100 Jahren im Gebiet des heutigen Malaysia leben. Während der Kolonialzeit war Standardisierung des Malaiischen als Grundlage des Nation Buildung Umgang mit ethnischer Diversität seit der Unabhängigkeit Malaien als Staatsvolk vs. Ureinwohner und „Einwanderer“ <?page no="284"?> 284 II Länderbeispiele Englisch die unangefochtene Hauptsprache des Staates und der wichtigen Funktionen der Gesellschaft - allerdings wurden Verwaltungsangelegenheiten zusätzlich in Malaiisch, Chinesisch (Mandarin) und in dem ursprünglich aus dem Süden Indiens und aus Sri Lanka stammenden Tamilisch geregelt. Damit versuchte die Kolonialverwaltung, den Bedürfnissen der größten Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden. Das Bildungssystem war auf ähnliche Weise unterteilt: Englischsprachige Schulen für die malaiischen Eliten sowie einige andere wohlhabende Einheimische, oftmals chinesischer Herkunft, standen im Gegensatz zu chinesischsprachigen Schulen im Primar- und Sekundarbereich, sowie Schulen, die nur in der Primarstufe auf Tamilisch und Malaiisch unterrichteten. Durch diese Unterschiede im Umgang mit den einheimischen Sprachen waren die Chinesen in Malaysia bis zur Unabhängigkeit strukturell bevorteilt, was sich in ihrer ökonomischen Stärke widerspiegelte und bis heute in einer Dominanz der Chinesen in vielen Bereichen der Wirtschaft resultiert. Auch dies ist ein Grund dafür, warum seit der Unabhängigkeit eine starke Nationalisierungspolitik zugunsten der malaiischen Bevölkerung verfolgt wird. 19.3.2 Singapur im Gegensatz zu Malaysia Das Bahasa Melayu ist - neben der sehr ähnlichen Varietät des Bahasa Indonesia in Indonesien und Osttimor - auch in Singapur und Brunei verbreitet, in Brunei dabei auch noch unter häufigerer Verwendung der Jawi-Schrift. Die Betonung des malaiischen Elementes in Malaysia steht dabei in explizitem ideologischen und praktischen Gegensatz zur Sprachpolitik Singapurs, das als kleiner Stadtstaat auf einigen Inseln in der Malakkastraße liegt, an der Südspitze des asiatischen Festlandes zwischen dem kontinentalen Teil Malaysias und der (indonesischen) Insel Sumatra bzw. der Insel Borneo, zu der der zweite große Teil Malaysias gehört. Singapur wurde 1965, nur wenige Jahre nach der Unabhängigkeit von Großbritannien, gedrängt, den gemeinsamen Föderalstaat mit Malaysia zu verlassen. Grund dafür war, dass die Regierung des ethnisch und sprachlich von Chinesen dominierten Singapur ausdrücklich eine Politik der Überwindung der ethnischen Gegensätze verfolgte. Diese äußert sich in Singapur auch heute noch darin, dass - trotz der anhaltenden ethnischen Dominanz der Chinesen - Mandarin, Englisch, Bahasa Melayu und Tamilisch gleichberechtigte offizielle Sprachen sind. Allerdings dominieren auch heute noch de facto in vielen Bereichen der Gesellschaft Singapurs Chinesisch und Englisch. Chinesisch ist Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung, Englisch gilt als „neutrale“ Sprache der interethnischen Kommunikation, die auch z.B. im Bildungssystem vorherrscht; die Universitäten arbeiten sogar fast ausschließlich auf Englisch. Beim Chinesischen muss zudem zwischen dem heute dominierenden, von der Regierung geförderten Mandarin, das als chinesische Lingua Franca in Asien weit verbreitet ist, und anderen chinesischen Varietäten unterschieden werden. Tamilisch dagegen ist heute auch als Familiensprache rückläufig und wird vom Englischen verdrängt. Dennoch bemüht sich die Regierung nach wie vor, der offiziellen Viersprachigkeit gerecht zu werden - so sind offizielle Verlautbarungen, aber auch z.B. Beschriftungen in der U-Bahn, in allen vier Sprachen. Hinsichtlich des Englischen ist außerdem zu bemerken, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte Singlish als Singapur: vier offizielle Sprachen <?page no="285"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 285 eigene identitätsstiftende Singapurer Varietät Verbreitung erfahren hat. Gleichzeitig ist die Regierung jedoch bemüht, weiterhin Kenntnisse im Standardenglischen zu fördern, um die Zugehörigkeit zur globalen englischsprachigen Gemeinschaft nicht zu gefährden (zu Sprachpolitik in Singapur überblicksartig: Chua 2010; zusätzlich zum Singlish: Chua 2011). Abbildung 46: Viersprachigkeit in der U-Bahn von Singapur. 19.3.3 Die heutige Situation Malaysias In Malaysia ist Bahasa Malaysia heute die unumstrittene Sprache in den meisten wichtigen Domänen, auch wenn Englisch immer noch recht verbreitet ist. Nach einer Übergangszeit von zehn Jahren, innerhalb derer das Englische parallel benutzt wurde, konnte die staatliche Sprachpolitik der neu geschaffenen Standardvarietät ein umfangreiches Aktionsfeld aufbauen. Damit stieg das Prestige des Bahasa Melayu bzw. Bahasa Malaysia deutlich. Bahasa Malaysia hat heute Status als National- und offizielle Sprache, und es ist Voraussetzung für die Einbürgerung. Behörden arbeiten in dieser Sprache ebenso wie die staatlichen Sekundarschulen und die höhere Bildung (es gibt allerdings nach wie vor private Bildungsinstitutionen, deren Unterrichtssprache Englisch ist). Lediglich in der Primarstufe sind die Sprachen der „Einwanderer“ als Unterrichtssprachen präsent. Englisch wird auf allen Niveaus als Zweitsprache unterrichtet - und dies Heutige Diskussionen über die Rolle des Englischen <?page no="286"?> 286 II Länderbeispiele durchaus im Bewusstsein dessen, dass die traditionellen Vorteile der Einbindung in die englischsprachige Welt nicht verloren gehen sollen. Englisch ist allerdings nach wie vor die Sprache einiger Schlüsselinstitutionen wie in Teilen des Gerichtswesens, gerade auch am Obersten Gericht. Hinsichtlich der „Einwanderer“ ebenso wie kleiner autochthoner Minderheiten tritt Bahasa Malaysia nun als Element der nationalen Einheit auf, das die Gesellschaft zusammenhalten soll. Die Kehrseite der offiziellen Sprachpolitik ist, dass recht wenig zum Erhalt anderer Sprachen beigetragen wird, auch wenn es durchaus Medien auf Englisch, Chinesisch und Tamilisch gibt. Die Vielzahl der übrigen mehr als 100 Sprachen in Malaysia - zumeist Sprachen der indigenen Bevölkerung - wird heute nur von einigen hundert bis wenigen tausend Menschen gesprochen. Eine der wenigen Ausnahmen ist das im Bundesstaat Sarawak auf der Insel Borneo von mehreren 100.000 Personen gesprochene Iban, für das es neben dem Bereich der lokalen Medien auch eine gewisse Präsenz in den Grundschulen gibt. Insgesamt leiden alle kleineren Sprachen aber darunter, dass sich die offizielle Sprachpolitik hauptsächlich dem Management des Verhältnisses von Englisch und Bahasa Malaysia widmet. Andererseits gibt es in der Verfassung eine Anti-Diskriminierungs-Bestimmung, die den freien Gebrauch anderer Sprachen in anderen Kontexten als den offiziellen explizit gestattet. Somit ist es durchaus bemerkenswert, dass in den letzten Jahren wieder eine verstärkte Diskussion darüber eingesetzt hat, dass ausreichende Englischkenntnisse in der Bevölkerung in der heutigen Zeit nicht mehr vorausgesetzt werden können - abgesehen von einer kleinen englischsprachigen Elite, die immer noch existiert. Es handelt sich also um die interessante Situation, dass die nationalisierende Sprachpolitik erfolgreicher war als geplant - eine Entwicklung, die vor 50 Jahren, als diese Politik entwickelt wurde, kaum vorauszuahnen war. Ein weiterer Rückgang der Englischkenntnisse in der Gesellschaft würde die Möglichkeiten der Teilhabe Malaysias an internationalen Prozessen in Bildung und Wirtschaft schmälern und gleichzeitig innerhalb des Landes die Stellung der Elite zementieren. Diese Entwicklung veranlasste die malaysische Regierung in einem spontanen Schritt im Jahr 2003, Englisch als Unterrichtssprache für die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften auf allen Bildungsniveaus einzuführen - nachdem ein vergleichbarer Schritt 1993 noch durch Proteste der Bevölkerung gestoppt werden konnte (vgl. Ali 2013). Ziel dieser Maßnahme war es, in diesen für die wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklung als besonders bedeutend erachteten Zweigen für genügend Englischkenntnisse zu sorgen. Da diese Anordnung innerhalb weniger Monate umgesetzt werden sollte, verwundert es jedoch wenig, dass Schulen und Lehrer darauf kaum vorbereitet waren. Dennoch setzte die Regierung die Maßnahme konsequent um und behalf sich dabei moderner Unterrichtssoftware, wo Sprachkompetenzen der Lehrer nicht ausreichten. Als Folge dieses Schrittes zeigte sich jedoch, dass die Leistungen vieler Schüler in den genannten Fächern unter den Erwartungen blieben, weshalb die Regelung 2009 wieder zugunsten von Unterricht auf Bahasa Malaysia zurückgenommen wurde. Insgesamt veranschaulicht diese Situation, dass das Thema Englisch vs. Bahasa Malaysia in einer in dieser Frage gespaltenen Gesellschaft brisant bleibt - so dass unklar ist, in welche Richtung der Trend in den Jüngste Änderungen pro und contra Englisch Englisch im Bildungssystem <?page no="287"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 287 nächsten Jahren wieder ausschlagen wird. Am Beispiel Malaysias lässt sich somit gut studieren, wie Sprachpolitik nur ein Ausdruck tieferer gesellschaftlicher Fragen von Ideologie, Nationalismus, und damit nicht zuletzt auch der Verteilung von Macht und ökonomischen Ressourcen ist. ZUSAMMENFASSUNG: Malaysia hat nach der Unabhängigkeit seine Politik des Nation Building auch auf sprachpolitischem Wege untermauert. Bahasa Malaysia wurde zur Nationalsprache ausgebaut, während die großen chinesischen und indischen Minderheiten nur zum Teil im Bildungssystem berücksichtigt sind. Dennoch ist auch heute noch Englisch eine wichtige Sprache, wobei der Versuch, wichtige Fächer in den Schulen auf Englisch zu unterrichten, nach einigen Jahren wieder abgebrochen wurde. Singapur ist dagegen dezidiert mehrsprachig und hat mit Englisch, Mandarin, Bahasa Melayu und Tamil vier offizielle Sprachen; de facto dominieren allerdings Mandarin und Englisch in der eigenen Variante Singlish. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Beschreiben Sie die Rolle des Bahasa Melayu bzw. Bahasa Malaysia im nationalen Selbstfindungsprozess nach der Unabhängigkeit Malaysias. Finden Sie die Sprachpolitik gerechtfertigt? 2. Was steht hinter den beiden Bezeichnungen für die standardisierte malaiische Sprache? Welchen Namen würden Sie bevorzugen - und würden Sie einen Unterschied in der Bezeichnung der Varietät in Malaysia und Singapur machen? 3. Welche Gründe sprechen heute noch dafür, auch dem Englischen eine bedeutende Rolle in der malaysischen Gesellschaft einzuräumen? 4. Wer sind die Verlierer der Sprachpolitik in Malaysia? Was sollte der Staat Ihrer Meinung nach tun, um allen Bevölkerungsgruppen eine faire Möglichkeit zur demokratischen Teilhabe und zum sozialen Erfolg zu ermöglichen? 5. Inwiefern unterscheidet sich die Sprachpolitik Malaysias von der Singapurs? Warum? 19.4 Israel: Historische Wiedergeburt einer Sprache und heutige Vielsprachigkeit Israel ist ein Beispiel für ein Land, in dem sprachliche Aspekte in die Alltagspolitik und in andauernde Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Land hineinspielen. Gleichzeitig ist die Sprachpolitik in Israel von einer Toleranz gegenüber Mehrsprachigkeit geprägt, basierend auf der Zusammensetzung der Bevölkerung. Das moderne Hebräisch, das auch als Ivrit bezeichnet wird, ist Lingua Franca und spielt eine wichtige symbolische Rolle für den kulturellen, religiösen und staatlichen Zusammenhalt. Gleichzeitig wird von der jüdischen Bevölkerung, die etwa 75% der 8 Millionen Einwohner <?page no="288"?> 288 II Länderbeispiele Israels ausmacht, auch eine Vielzahl anderer Sprachen als Erstsprache gesprochen. Die arabische Bevölkerung Israels (ca. 20% der Bevölkerung) spricht dagegen zumeist Arabisch als Muttersprache. Die israelische Sprachpolitik ist in Bezug auf das Hebräische zum einen voller Symbolik. Ivrit wird als Mittel zur ideologischen Festigung des Staates und zum Erhalt der Machtverhältnisse im Interesse der jüdischen Bevölkerung eingesetzt. Zum anderen hat es die praktische Funktion, das Zusammenleben von Menschen mit sehr unterschiedlichen Muttersprachen zu organisieren. Anders als oftmals angenommen, ist das Hebräische keineswegs die einzige offizielle Sprache Israels - Arabisch ist gleichberechtigte Amtssprache. Zudem wird die Rolle des Englischen als Lingua Franca für den Kontakt mit dem Ausland betont - was sich etwa darin äußert, dass Straßenschilder oftmals dreisprachig auf Hebräisch, Arabisch und Englisch sind. Im Folgenden soll zunächst auf das Hebräische selbst eingegangen werden, da dessen jüngere Geschichte eine klassische Erfolgsgeschichte der Sprachpolitik ist. Der heutige Status des Ivrit ist das Resultat einer Vielzahl von Aktivitäten unterschiedlichster Akteure, die unter günstigen Umständen gemeinsam zum Erfolg führen konnten (überblicksartig zu Sprachen und Sprachpolitik in Israel: Spolsky/ Shohamy 1999). 19.4.1 Ivrit: Die Wiederbelebung einer historischen Sprache Das heute in Israel gesprochene Ivrit ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Es ist der vermutlich einzige Fall weltweit, in dem sich eine künstlich geschaffene bzw. auf der Basis einer historischen Vorlage reanimierte Sprache als Kommunikationsmittel breiter Bevölkerungsgruppen und schließlich als Hauptsprache eines ganzen Staates durchsetzen konnte. Auch wenn Hebräisch in religiösen Kontexten zu keinem Zeitpunkt völlig ausgestorben war, so spielte es doch als alltägliches Kommunikationsmittel in der Neuzeit in keiner jüdischen Gemeinde mehr eine Rolle. Dies änderte sich, als in den 1880er Jahren von zionistischen Siedlern in Palästina erste Vereine gegründet wurden, die zum Ziel hatten, das Hebräische als zeitgenössische Sprache wiederzubeleben (zu den Bedingungen der Sprachwiederbelebung vgl. Spolsky 1996). Dabei spielten sowohl der Enthusiasmus der Siedler als auch ihre Rigorosität eine Rolle - so wurde in diesen Vereinen der Gebrauch anderer Sprachen vollständig untersagt. Es folgten bald erste Schulen und Kindergärten, die den Grundstein für eine Generation echter Muttersprachler legten. Gleichzeitig zeigte sich, dass das gesprochene Hebräisch vom klassischen Vorbild stark abwich und starke Interferenzen seitens der Muttersprachen der Aktivisten aufwies. Sprachplanerische Aktivitäten sorgten für den Aufbau einer modernen Terminologie. Das Aufkommen der Kibbuzbewegung und die soziale Kontrolle in den Kibbuzim, in denen fast alle Bereiche des Lebens öffentlich waren und wo Hebräisch häufig als einzige Sprache in der Öffentlichkeit erlaubt war, begünstigten seine schnelle Verbreitung. Palästina war bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Teil des Osmanischen Reiches. Die entstehende jüdische Gemeinschaft profitierte von einer in diesem Teil des Reiches toleranten Politik, die den Sprachgebrauch in Schulen nicht reglementierte. Innerhalb weniger Jahrzehnte konnte sich Hebräisch so Offizielle Zweisprachigkeit Hebräisch-Arabisch Wiederbelebung des Hebräischen um 1900 Durchsetzen des Hebräischen und Sprachtoleranz <?page no="289"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 289 zu einer florierenden Sprache entwickeln. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der Übernahme des Völkerbundsmandates für Abbildung 47: Mehrsprachigkeitspolitik am Strand von Tel Aviv - Schild nicht nur in den offiziellen Sprachen Hebräisch und Arabisch, sondern auch auf Englisch und Russisch. Palästina durch die Briten 1922 wurde Hebräisch somit neben Arabisch und Englisch zur offiziellen Sprache - wenngleich die jüdische Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt noch in der Minderheit war. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 verlor Englisch seine offizielle Stellung, so dass heute de jure Hebräisch und Arabisch gleichberechtigte Amtssprachen sind. 19.4.2 Dominanz des Hebräischen und Mehrsprachigkeit heute De facto dominiert Hebräisch heute in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Der israelische Staat mischt sich insgesamt recht wenig in sprachliche Belange ein, allerdings gibt es eine Sprachakademie, die sich um Korpusfragen kümmert. Dabei wird von israelischen Politikern oft die staatstragende Rolle des Hebräischen betont - zusammen mit der jüdischen Religion. Es kann also zurecht von dem Aufbau der israelischen Nation auf der Grundlage von Religion und Sprache gesprochen werden. Dies ist in Anbetracht des zionistischen Grundgedankens im 19. Jahrhundert auch nicht verwunderlich, wurde durch die äußere Bedrohung Israels im Laufe des 20. Jahrhunderts aber kontinuierlich verstärkt. Sprecher des Arabischen in Israel dagegen, obwohl sie theoretisch gleichberechtigte israelische Staatsbürger sind, empfinden sich aufgrund der identitätsstiftenden Rolle des Hebräischen in der Gesellschaft häufig als (auch sprachlich) Dominanz des Hebräischen <?page no="290"?> 290 II Länderbeispiele diskriminiert. De facto finden Tätigkeiten von Regierung und Behörden zumeist auf Hebräisch statt, nur in dominant arabischsprachigen Ortschaften findet sich Arabisch an prominenten Stellen im öffentlichen Leben. Es gibt ein paralleles Schulsystem mit Schulen auf Arabisch und auf Hebräisch, allerdings lernen arabische Schüler viel häufiger Hebräisch als hebräische Schüler Arabisch; hebräische Schulen haben deutlich mehr Prestige. Auf Universitätsniveau herrschen Hebräisch und Englisch vor. Somit urteilt Shohamy (2006), dass de facto Englisch die zweitbedeutendste Sprache in Israel ist. Dies hat heute weniger mit der britischen Vergangenheit als mit den engen Verbindungen Israels zur jüdischen Diaspora zun tun, für die Englisch als Lingua Franca unersetzlich ist. Zudem dominiert Englisch als Sprache der Wirtschaft. Außerdem gibt es oft sogar zweisprachige hebräisch-englische Straßenschilder, wobei die Beschriftung von Straßennamen u.ä. in Abhängigkeit von Stadt und Stadtteil stark variieren kann. Arabische Straßenschilder sind die Ausnahme, so dass ebenso wie in Hinblick auf den seltenen Gebrauch des Arabischen bei Gericht oder im Parlament von tatsächlicher Gleichberechtigung der beiden offiziellen Amtssprachen keine Rede sein kann (Yitshaki 2011). Dies wird auf der symbolischen Ebene daran besonders deutlich, dass Gesetze auch dann gelten, wenn sie nur in einer hebräischen Fassung vorliegen. Bemerkenswert ist in Israel auch der Umgang mit Migrantensprachen. Im Sinne der Ideologie einer Nationalsprache wird von den jüdischen Migranten aus aller Welt, die sich in Israel ansiedeln, traditionell erwartet, dass sie Hebräisch lernen. Der Staat unterstützt dies durch massive Sprachkurse. Wie etwa in den USA gebraucht die erste Einwanderergeneration zu Hause oftmals noch ihre Muttersprache, es wird als ausreichend angesehen, wenn im öffentlichen Leben Hebräisch gesprochen wird. Die folgenden Generationen sind jedoch sprachlich oft schon weitgehend assimiliert. Diese Ideologie hatte lange zur Folge, dass die Vielzahl von Sprachen jüdischer Gemeinschaften weltweit nicht gefördert wurde und heute viele dieser Sprachen im Aussterben begriffen sind: Dies gilt für Sprachen wie etwa für das Ladino (auch Judeo-Spanisch) der spanischen Juden, insbesondere aber für das Jiddische. Jiddisch als alte Sprache der jüdischen Bevölkerung weiter Teile Europas verlor durch die Shoa einen Großteil ihrer Sprecher - nachdem es auch in Europa bereits lange zuvor bei der nichtjüdischen Bevölkerung wenig Prestige besaß. So hatte das Jiddische in Westeuropa im Rahmen der Emanzipierung der jüdischen Bevölkerung bereits stark an Bedeutung verloren. Das westeuropäische Jiddisch, das sich in vielen Bereichen vom osteuropäischen Jiddisch unterscheidet, wird heute zum einen noch von einer (kleiner werdenden) Gruppe von Juden in den USA gesprochen. Unter anderem ist der berühmte Soziolinguist Joshua A. Fishman durch das Jiddische stark beeinflusst worden und hat sich in seiner Forschung zu Minderheitensprachen auch intensiv damit beschäftigt (z.B. Fishman 1965, 1981, 1991). Zum anderen ist ein interessantes Phänomen, dass das Jiddische in klar abgegrenzten Teilen der Bevölkerung auch in Israel noch verbreitet ist. Dabei handelt es sich um streng gläubige jüdische Bevölkerungsgruppen, die die Verwendung des Hebräischen - auch in seiner modernen Form - für Alltagssituationen als blasphemisch empfinden und dieses nur für religiöse Zwecke benutzen. In diesen Gruppen wird das Jiddische nach wie vor als Kommunikationsmittel auch an nachfolgende Generationen weitergegeben. Jiddisch und andere jüdische Sprachen <?page no="291"?> 19 Indien, Korea, Malaysia/ Singapur, Israel 291 Die Erwartungshaltung der israelischen Gesellschaft, dass Sprecher anderer Sprachen - von besonderen Gruppen wie den Jiddischsprechern abgesehen - über kurz oder lang Ivrit zu ihrer Hauptsprache machen würden, änderte sich erst mit dem verstärkten Zuzug russischsprachiger jüdischer Siedler nach dem Ende der Sowjetunion. Heute gibt es etwa eine Million ursprünglich russischsprachige Bewohner Israels, die sich einer sprachlichen Assimilierung in weit stärkerem Maße widersetzen, als andere, kleinere Einwanderergruppen dies zumeist getan hatten. Somit ist heute in der israelischen Gesellschaft auch Russisch stark präsent, etwa in Form von russischsprachigen Schulen und Medien. Russisch ist jedoch keine offizielle Sprache, die Bedeutung des Hebräischen und Englischen als wichtigste Sprachen in offiziellen Kontexten wird nicht in Frage gestellt. Viele Sprecher des Russischen fühlen sich somit gegenüber den Israelis älterer Einwanderergenerationen als Bürger zweiter Klasse. Dennoch hat sich in diesem Kontext die Politik des Staates gegenüber Minderheitensprachen durchaus geändert. Diese werden insgesamt wieder eher gefördert - nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Stellung des Hebräischen in der israelischen Gesellschaft heute ungefährdet ist. Somit ist das heutige Israel ein ausgesprochen vielsprachiger Staat - Hebräisch dominiert, Englisch ist verbreitete Zweitsprache und Arabisch ist co-offiziell, auch wenn eine Gleichberechtigung de facto nur eingeschränkt existiert. Zusätzlich ist Russisch vielseitig präsent und es gibt eine Reihe von Gemeinschaften, die ihre Sprachen pflegen und eigene Medien unterhalten. ZUSAMMENFASSUNG: Die Wiederbelebung des Hebräischen als Alltagssprache durch zionistische Siedler im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist sprachhistorisch einzigartig. Beim Aufbau des israelischen Staates wurden Hebräisch und Arabisch offizielle Sprachen, de facto dominieren jedoch Hebräisch und Englisch, so dass sich arabischsprachige Israelis sprachlich diskriminiert fühlen. Heute gibt es mit russischsprachigen Einwanderern zudem eine weitere große Sprachgruppe. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Erklären Sie die außergewöhnliche Wiederbelebung des Hebräischen. Warum konnte diese Erfolg haben? 2. Stellen Sie eine Sprachenhierarchie Israels auf. Welche Rolle spielen dabei das Arabische und das Englische? 3. Viele arabischsprachige Israelis fühlen sich - völlig unabhängig von anderen Konflikten im Nahen Osten - trotz der offiziellen Zweisprachigkeit sprachlich diskriminiert. Recherchieren Sie, welche israelischen Regierungs- oder Bildungsinstitutionen (Parlament, Ministerien, Universitäten etc.) auf ihren Internetseiten neben Hebräisch auch Englisch, Arabisch oder andere Sprachen anbieten. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? 4. Erklären Sie die Sonderrolle des Jiddischen in Israel. Kann das Jiddische Ihrer Meinung nach dauerhaft überleben? 5. Welche Faktoren haben zur starken heutigen Präsenz des Russischen in Israel beigetragen? Russisch in Israel <?page no="292"?> 20 Mehrsprachigkeit in Afrika und Lateinamerika 20.1 Afrika: Der schwierige Umgang mit dem kolonialen Erbe Afrika hat als äußerst vielsprachiger Kontinent viele unterschiedliche Ansätze in der Sprachpolitik aufzuweisen. Gemein ist der Sprachpolitik in fast allen afrikanischen Staaten jedoch, dass nach dem Ende der Kolonialzeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das sprachliche Miteinander im Kontext von Unabhängigkeit und Aufbau einer Nation neu organisiert wurde. Dabei hatte die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht (zumeist Englisch oder Französisch) in den meisten Fällen eine derart dominante Stellung in allen höheren Domänen des Sprachgebrauches (Verwaltung, Bildung), dass auch die unabhängigen afrikanischen Staaten die Bedeutung der ehemaligen Kolonialsprachen für das Funktionieren des Staates nicht ignorieren konnten. Zusätzlich erhielten in vielen Fällen - auf sehr unterschiedliche Weise - die einheimischen Sprachen eine neue Rolle, wobei in den meisten Staaten ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen großer und kleiner Sprachgruppen gefunden werden musste, der in vielen Fällen nicht ohne Konflikte ablief. Insgesamt ist der afrikanische Kontinent sprachpolitisch so vielschichtig, dass für dieses Kapitel - noch mehr als für die anderen Teile dieses Buches - gilt, dass die folgenden Ausführungen nur einen kleinen Ausschnitt aller sprachpolitischer Aktivitäten beleuchten können (überblicksartig zu Afrika: Makoni et al. 2012). 20.1.1 Südafrika Die Entwicklungen in Südafrika seit dem Ende der Apartheid sind ein Beispiel dafür, wie Sprachpolitik sowohl ursprünglichen afrikanischen als auch von außen in das Land gebrachten Sprachen einen Stellenwert in offiziellen Kontexten einräumen kann. Allerdings wirkt sich begünstigend aus, dass in Südafrika keine extreme sprachliche Zersplitterung herrscht wie etwa in Nigeria oder Kamerun, wo jeweils mehrere hundert Sprachen gesprochen werden. Außerdem ist die ökonomische Grundlage für aufwändigere Maßnahmen in Südafrika besser als in anderen Teilen Afrikas. Und nicht zuletzt ist auch in Südafrika die Diskrepanz zwischen den Zielen der Sprachpolitik und ihren tatsächlichen Resultaten zum Teil beträchtlich. Der seit dem Ende der Apartheid eingeschlagene, wenngleich oftmals steinige, politische Weg eines Versuches der Versöhnung der Bevölkerungsgruppen schlägt sich auch in der Sprachpolitik nieder. Während der Vorherrschaft der Weißen waren die zwei Sprachen der großen weißen Bevölkerungsgruppen offizielle Sprachen: Englisch als Sprache der ehemaligen britischen Kolonialmacht und Afrikaans als Sprache der niederländischstämmigen Buren. Letzteres wurde als eigenständige Sprache erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anerkannt: Dabei handelte es sich um eine interessante Entscheidung einer Normauswahl, die mit der eigenständigen Entwicklung der Sprache der Buren sowohl in der Lexik als auch in der Grammatik begründet wurde. Als politische Komponente kam zudem der Wunsch nach einer größeren Abgrenzung von europäischen Sprechern des Niederländischen hinzu. Vielsprachiges Afrika - geprägt vom kolonialen Erbe Englisch und Afrikaans <?page no="293"?> 20 Afrika und Lateinamerika 293 Nach dem Ende der Apartheid wurden Englisch und Afrikaans als offizielle Sprachen beibehalten. Die wichtigsten ursprünglichen afrikanischen Sprachen erhielten aber denselben Status, so dass Südafrika heute elf offiziell gleichberechtigte Amtssprachen hat. Damit ist Südafrika das Land mit der größten Zahl offizieller Sprachen auf Gesamtstaatsebene. Deren Zahl und die damit verbundene Komplexität wird nur etwa von der EU als supranationaler Organisation und von Ländern wie Indien übertroffen, in denen mehr Sprachen auf subnationaler Ebene offiziellen Status haben. Die elf offiziellen Sprachen Südafrikas sind Sepedi, Sesotho, Setswana, siSwati, Tshivenda, Xitsonga, Afrikaans, Englisch, isiNdebele, isiXhosa und isiZulu. Die weiße Bevölkerung spricht fast ausschließlich Englisch oder Afrikaans als Erstsprache, die schwarze Bevölkerung fast ausschließlich eine der ursprünglichen afrikanischen Sprachen. Asiatischstämmige Südafrikaner sprechen hauptsächlich Englisch, lediglich bei den in der südafrikanischen Terminologie sogenannten „Coloureds“ (also Menschen, die sowohl afrikanische als auch europäische Vorfahren haben) ist das Bild sehr viel uneinheitlicher. Als Erstsprache sind isiZulu und isiXhosa mit jeweils rund 20% der Gesamtbevölkerung die demographisch größten Sprachen, gefolgt von Afrikaans mit etwa 13%, während die anderen Sprachen (einschließlich Englisch) von weniger als 10% der Bevölkerung als Muttersprache gesprochen werden. Auf der Ebene der Bundesstaaten sind jeweils drei oder vier Sprachen offiziell, darunter immer Englisch oder Afrikaans (oder auch beide) sowie immer eine bis drei der anderen Sprachen (zu Sprachpolitik in Südafrika seit dem Ende der Apartheid aus unterschiedlichen zeitlichen Perspektiven: Webb 1996, 2002, Orman 2008). In der Realität ist die offizielle Mehrsprachigkeit jedoch oft auf Englisch und Afrikaans beschränkt. Die beiden Sprachen der ehemaligen weißen Siedler fungieren somit nach wie vor als Lingua Francas. Englisch hat dabei einen deutlich höheren Stellenwert, nicht nur aufgrund seiner internationalen Bedeutung, sondern auch, weil Afrikaans z.T. auch heute noch als Sprache der Apartheidvergangenheit gilt. In der Praxis bedeutet dies, dass z.B. in Parlamentsdebatten alle elf Sprachen verwendet werden können, Übersetzungen aber lediglich ins Englische und ins Afrikaans vorgenommen werden. Im Bildungssystem sind offiziell alle Sprachen gleichberechtigt und es herrscht freie Wahl der Bildungssprache; eine zweite Sprache (zumeist Englisch oder Afrikaans) wird frühzeitig gelehrt. Auch hier sieht die Praxis aber anders aus: Für viele Sprachen gibt es schon für die Grundschule nur in begrenztem Umfang geeignete Lehrmaterialien; in der höheren Bildung dominiert Englisch. Die staatlichen Medien versuchen, alle offiziellen Sprachen (und auch weitere Sprachen) abzudecken, allerdings gibt es auch hier Ungleichgewichte, insbesondere in Hinblick auf die kleineren der offiziellen Sprachen. Du Plessis (vgl. Yitzhaki 2012) argumentiert in diesem Zusammenhang, dass für große Teile der heutigen südafrikanischen Elite und Regierung die afrikanischen Sprachen zwar als Symbol von Bedeutung sind, aber auch heute noch die Ansicht verbreitet ist, dass diese auf häusliche Funktionen beschränkt bleiben sollen und in offiziellen Kontexten Englisch ausreicht. Damit würde die optimistische Sprachgesetzgebung der Umbruchszeit in den 1990er Jahren konterkariert. Um Korpusplanung und die Entwicklung von Lehrmaterialien für die afrikanischen Sprachen kümmert sich das Pan South African Language Board, das Elf offizielle Sprachen Praktische Probleme und Defacto-Dominanz des Englischen Südafrikanischer Sprachrat <?page no="294"?> 294 II Länderbeispiele ebenfalls in der Verfassung festgeschrieben ist. Sein Auftrag ist, die Verwendung der elf offiziellen Sprachen zu garantieren, gleichzeitig aber auch anderen Sprachen in Südafrika (darunter auch dem Deutschen) Respekt zu zollen. Jedoch steht der Sprachrat auch in der Kritik, weil er der Komplexität seiner Aufgaben oftmals nicht gewachsen zu sein scheint und gleichzeitig Probleme wie Korruption immer wieder ein effizienteres Arbeiten verhindern (Beukes 2009). Schließlich soll noch erwähnt werden, dass es auch in Südafrika mit den Khoi-San-Sprachen eine Gruppe von Sprachen indigener Völker gibt, die gesellschaftlich marginalisiert und als kleine Minderheitensprachen vom Aussterben bedroht sind - auch wenn diese offiziell als schützenswert und förderungswürdig anerkannt werden. 20.1.2 Namibia Einen ganz anderen Weg als Südafrika, trotz in vielerlei Hinsicht vergleichbarer Ausgangslage, hat Namibia mit seiner offiziellen Sprachpolitik nach dem Ende der Apartheid und seiner Unabhängigkeit im Jahr 1990 gewählt. Ähnlich wie in Südafrika ist auch Namibia vom Nebeneinander einheimischer Sprachen und Sprachen, die mit dem Kolonialismus ins Land kamen, geprägt. Gleichermaßen ist ähnlich, dass keine der einheimischen Sprachen derart dominant ist, dass sie sich am Ende der Apartheid als alleinige oder zumindest als dominante offizielle Sprache aufgedrängt hätte. Im Gegensatz zu Südafrika hat die namibische Regierung keine ausgeprägte offizielle Mehrsprachigkeitspolitik gewählt. Von den Kolonialsprachen hatte Afrikaans die weiteste Verbreitung, war jedoch als Sprache des Apartheid-Regimes während der südafrikanischen Besatzungszeit diskreditiert und kam somit nicht als offizielle Sprache in Frage. Aus deutscher Perspektive ist interessant, dass in Namibia die heute wohl am besten funktionierende deutschsprachige Gemeinschaft außerhalb Europas existiert. Während die politische Macht zu Apartheid-Zeiten afrikaanssprachig war, blieb die wirtschaftliche Macht weitgehend in den Händen der Nachfahren der deutschen Siedler, die zur Zeit der deutschen Kolonie Südwestafrika ins Land gekommen waren und denen bis heute weite Teile des Landes gehören. Auch Deutsch war mit dem kolonialen Stigma behaftet, das jedoch weniger stark ausgeprägt ist als im Falle des Afrikaans: Da die deutschsprachigen Siedler seit Ende des Ersten Weltkrieges nicht mehr die politische Herrschaft innehatten, hat die namibische Regierung bis heute - mit einigen Ausnahmen - nicht den Weg der Konfrontation gegenüber der weißen Bevölkerung gewählt. Deren Expertise wird in diesem schwer zu bewirtschaftenden Land als wichtig erachtet, außerdem ist die Zahl der deutschstämmigen Namibier mit etwa 20.000 zu klein, um sprachlich maßgeblich auf den Rest der Bevölkerung abgefärbt zu haben. Somit hat die namibische Regierung allein Englisch zur offiziellen Sprache erklärt. Diese exogene Lösung gilt, ähnlich wie in vielen anderen afrikapostkolonialen Gesellschaften Afrikas, als in vielerlei Hinsicht neutral - sowohl hinsichtlich der Konkurrenz unter den endogenen Sprachen, als auch in Bezug auf die Alternativen unter den europäischen Sprachen. Bemerkenswert dabei ist jedoch, dass das Englische nur von einem marginalen Prozentsatz von etwa Namibia: Ablehnung der Apartheidsprache Englisch als exogene Lösung <?page no="295"?> 20 Afrika und Lateinamerika 295 1% als Muttersprache gesprochen wird. Man trifft sich somit auf dem neutralen Feld einer Sprache, in der fast niemand von seiner Herkunft aus bevorteilt ist. Die Spracherwerbspolitik der Regierung ist somit in erster Linie darauf ausgerichtet, Kompetenz im Englischen zu entwickeln. Gleichermaßen wird den einheimischen Sprachen Anerkennung zuteil, indem diese in den Schulen unterrichtet, Alphabetisierungsprogramme durchgeführt und sie als gleichberechtigte Teile des kulturellen Miteinanders betrachtet werden. Ähnlich wie in Südafrika besteht jedoch auch in Namibia die Gefahr einer Marginalisierung der Bevölkerung, die kein Englisch kann (zu Namibia in bzw. seit der Umbruchszeit: Harlech-Jones 1997, Frydman 2011). 20.1.3 Ideologische Gegensätze in anderen Staaten des anglophonen Afrika Südafrika und Namibia sind zwei der bemerkenswertesten Beispiele von Sprachpolitik im englisch beeinflussten Afrika. Es gibt im anglophonen Afrika aber eine Reihe anderer Länder, die ebenso exemplarisch für bestimmte Richtungen der postkolonialen Sprachpolitik stehen. Tansania und Kenia sind zwei Länder, an denen gezeigt werden kann, wie die Stellvertreterkriege des Kalten Krieges auch Auswirkungen auf die Sprachpolitik hatten. Nach der Unabhängigkeit waren beide Länder in einer vergleichbaren Situation: Englisch war die Kolonialsprache, daneben existierte Swahili als regionale afrikanische Lingua Franca. Zusätzlich werden in beiden Ländern eine Vielzahl kleinerer Sprachen gesprochen. Das westlich orientierte Kenia hielt weitgehend am Englischen als offizieller Sprache fest. Swahili nahm die Funktion einer Verkehrssprache ein, die übrigen Sprachen spielten in der offiziellen Sprachpolitik kaum eine Rolle. Im am sozialistischen Block orientierten Tansania wurde dagegen der Versuch unternommen, das Englische zugunsten einer explizit afrikanischen Sprachpolitik zu verdrängen. Swahili erhielt den Status einer offiziellen Sprache, und der Staat begann mit einer massiven Kampagne zur Verbreitung bei denjenigen Teilen der Bevölkerung, die eine andere Sprache als Muttersprache hatten. Blommaert (2005) weist darauf hin, dass in Tansania damit die Ideologie eines Nation Building durch Sprachvereinheitlichung übernommen wurde, die auch in den europäischen Nationalbewegungen vorherrschte. Gleichzeitig zeigt der Fall Tansania, dass Sprache und Nation auch in Afrika nicht gleichzusetzen sind: Die tansanische Sprachpolitik kann nach mehr als einer Generation nur zum Teil als erfolgreich angesehen werden. Dies liegt zum einen an einem gewissen Widerstand der nichtswahilisprachigen Bevölkerung. Für diese Gruppen hat Swahili kaum eine identitätsstiftende Bedeutung, aus ihrer Perspektive wurde lediglich eine dominante Sprache durch eine andere ersetzt - ähnlich wie es in Namibia oder Südafrika der Fall wäre, wenn eine der afrikanischen Sprachen zur alleinigen Nationalsprache erklärt worden wäre. Zum anderen hat Englisch auch heute noch einen wichtigen Stellenwert für die internationale Einbindung des Landes (zu Tansania: Legère 2010, Petzell 2012, zu Kenia: Nabea 2009). Das dritte ostafrikanische Land, das oftmals - und so auch in sprachpolitischer Hinsicht - in einem Atemzug mit Kenia und Tansania erwähnt wird, ist Kenia und Tansania: Sprachpolitischer „Stellvertreterkrieg“ Uganda <?page no="296"?> 296 II Länderbeispiele Uganda. Hier hat die Regierung die Variante gewählt, dem Englischen als internationaler Sprache weiterhin eine große Rolle zuzusprechen, aber für die landesinterne Kommunikation auch andere Sprachen zu fördern. Fisher (2000) charakterisiert die Rolle der verschiedenen Sprachen in der Sprachpolitik Ugandas dahingehend, dass Englisch als Sprache für die internationale Kommunikation und zur wirtschaftlichen Entwicklung als unabdingbar empfunden wird und seine Rolle für offizielle Belange nicht in Frage steht. Gleichzeitig soll es niemandem aufgezwungen werden. Nur eine Minderheit ist des Englischen mächtig, allerdings bleibt Englisch aufgrund seiner Funktionen für einen sozialen Aufstieg nötig. Swahili gilt als Sprache der nationalen Einheit, während das Prestige der kleineren Sprachen in lokalen Kontexten aufgewertet werden soll - ähnlich dem in der EU propagierten Gedanken der „Einheit in der Vielfalt“. Andere ehemals britische Kolonien des südlichen Afrika sind gleichermaßen sehr unterschiedliche Wege gegangen. So ist etwa in Zimbabwe und Sambia das Englische unangefochten Amtssprache geblieben. Maßnahmen zugunsten anderer Sprachen, wie sie in den Verfassungen vorgesehen sind, sind weitgehend Lippenbekenntnisse, die außer einer symbolischen Aufwertung wenig für den Status der betreffenden Sprachen getan haben. Ein Gegenbeispiel dazu ist das kleine südostafrikanische Malawi. Hier wurde Chewa als größte einheimische Sprache mit einem Anteil von 30-40% Muttersprachlern an der Bevölkerung auf Kosten aller anderen Sprachen gefördert. Es erhielt neben dem Englischen offiziellen Status, zudem wurde ein - an europäischen Sprachakademien angelehnter - Sprachrat für das Chewa etabliert. Somit wurde Chewa zum Symbol einer Afrikanisierung der Sprachpolitik, gleichzeitig aber auch zum Ausdruck eines autoritären Regimes. Der Gebrauch anderer Sprachen in offiziellen Situationen war verboten, was nicht zuletzt an der damit gewünschten Stärkung der ethnischen Gruppe des langjährigen Präsidenten lag. Hieran lässt sich exemplarisch zeigen, wie postkoloniale Sprachpolitik eine einheimische Varietät neben der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht fördern kann, dies aber nicht unbedingt etwas mit der Durchsetzung demokratischer Prinzipien zu tun haben muss, sondern von den Präferenzen der jeweiligen Führungsschicht abhängen kann. Erst seit den 1990er Jahren ist es in Malawi zu einer Demokratisierung gekommen, die auch andere Sprachen akzeptiert - de facto bleibt Englisch jedoch die dominierende Sprache in allen prestigeträchtigen Domänen (Kamwendo/ Mooko 2006, Kamwendo 2008). In Zusammenhang mit dem anglophonen Afrika darf nicht unerwähnt bleiben, dass es von politischer und sprachwissenschaftlicher Seite vielerorts Bestrebungen gibt, eigene Standards für die nationalen bzw. regionalen Formen des Englischen zu entwickeln, insbesondere in den größeren afrikanischen Ländern wie Nigeria. Dies ist der Erkenntnis geschuldet, dass sich viele afrikanische Varietäten des Englischen deutlich vom britischen Standardenglisch wie auch von anderen standardisierten Formen des Englischen unterscheiden. Dies bezieht sich auf alle sprachlichen Ebenen - am deutlichsten ist dies in der Phonetik, die das Verständnis afrikanischer Varietäten des Englischen für Englischsprecher aus anderen Teilen der Welt oft schwierig macht. Aber auch in der Lexik gibt es viele Afrikanismen und es existieren auch grammatische Eigenheiten. Die Standardisierungsmaßnahmen in Afrika sind im Zu- Sprachpolitik als Lippenbekenntnis oder als Element des Machterhalts Regionale Standards des Englischen <?page no="297"?> 20 Afrika und Lateinamerika 297 sammenhang der Tendenz zu sehen, Englisch als plurizentrische Sprache aufzufassen, nach der eine Vielzahl von Varietäten als gleichberechtigt akzeptiert wird. Innerhalb Afrikas sind die jeweiligen Regionalformen an vielen Orten heute anerkannt und weder Britisch noch Amerikanisch gelten als Orientierungspunkt. Dies zeigt, dass es durchaus möglich ist, durch eine „Nationalisierung“ der englischen Sprache eine identitätsstiftende Sprachpolitik für ein Land zu betreiben. Trotz einiger derartiger Erfolge bleibt das Prestige der international mit wirtschaftlicher Macht verbundenen Formen des Englischen außerhalb des lokalen Kontextes jedoch bestehen (zu Nigeria: Adegbija 2004, zur Entwicklung eines eigenen englischen Standards mit Schwerpunkt auf Kamerun siehe Wolf 2001). 20.1.4 Nichtanglophone Länder Afrikas Die Vielzahl der sprachpolitischen Ansätze, die innerhalb der ehemaligen britischen Kolonien Afrikas zu finden ist, zeigt sich auch in den nichtenglischsprachigen Staaten Afrikas. Dies gilt zum einen für das französische Erbe, dessen Erhalt nicht zuletzt durch die Organisation der Francophonie gefördert wird. Zum anderen weisen auch die Staaten, die keine britische oder französische Kolonialvergangenheit haben, oftmals interessante Beispiele für eine eigene Sprachpolitik auf - etwa Mocambique mit seinem portugiesischen Erbe oder Äthiopien, das über Jahrhunderte hinweg seine Eigenständigkeit bewahren konnte und heute durch eine Konkurrenz vieler kleinerer und größerer afrikanischer Sprachen gekennzeichnet ist. Dabei respektiert z.B. die äthiopische Verfassung offiziell alle Sprachen, de facto ist das von etwa einem Drittel der Bevölkerung als Erstsprache gesprochene Amharische als Sprache der wirtschaftlich dominanten Bevölkerungsschicht die prestigereichste Sprache, die auch in den Medien am stärksten verbreitet ist und den Status der Arbeitssprache in nationalen Institutionen hat. Auch wenn in einigen Teilen des Landes andere Sprachen regionale Amtssprachen sind, haben es alle anderen Sprachen schwierig, sich gegen das Amharische zu behaupten. Im Vergleich der afrikanischen Staaten ist der unterschiedliche historische Umgang der Kolonialmächte mit den einheimischen Sprachen von Interesse: In den britischen Kolonien herrschte weitgehend ein pragmatischer Ansatz, der einzelne größere afrikanische Sprachen förderte. Diese wurden auch im Bildungs- und Verwaltungssystem berücksichtigt, zumindest auf den unteren Ebenen. Außerdem wurden regionale Besonderheiten im Englischen toleriert - wodurch die Grundlage für heutige Debatten um eigene nationale afrikanische Standards des Englischen geschaffen wurde. Die französischen Kolonialherren dagegen versuchten, aus ihren Untertanen möglichst „gute Franzosen“ zu machen, und legten auf eine möglichst gute Beherrschung des Standardfranzösischen wert. Aus diesem Grund wurden die einheimischen Sprachen in den französischen Kolonien kaum anerkannt. Franzosen in Afrika lernten selten afrikanische Sprachen und die Stellung dieser Sprachen als minderwertig wurde zementiert (hier drängt sich der Vergleich auf, dass die offizielle Haltung Frankreichs gegenüber den Sprechern der traditionellen Minderheitensprachen auf seinem eigenen Territorium bis heute ähnlich ist). Ein Symbol dieser Einstellung ist die Organisation der Francophonie, die als Mittel der Sprachverbreitungspolitik eine starke kulturelle Komponente im Sinne Auswirkungen der Sprachpolitik durch die Kolonialmächte <?page no="298"?> 298 II Länderbeispiele universeller Werte, die mit der französischen Sprache verbunden werden, aufweist - im Gegensatz zum britisch geprägten Commonwealth, der eher die politische Zusammenarbeit betont. Die deutschen Kolonialherren hatten eine vergleichbar überhebliche Haltung gegenüber den einheimischen Sprachen - allerdings zogen sie daraus andere Schlüsse als die Franzosen: Die sozialdarwinistische Meinung zu Völkern und Sprachen wurde zu einem Hindernis für Afrikaner, Deutsch zu lernen, da dies den Europäern vorbehalten bleiben sollte. Dies führte dazu, dass deutsche Kolonialisten häufiger einheimische Sprachen lernten als französische, und auch dazu, dass - für Missions- oder Bildungszwecke - auch die afrikanischen Sprachen Förderung erfuhren. Nicht zuletzt war etwa die Aufwertung des Swahili in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, durch das Ziel der Durchsetzung einer Lingua Franca für die einheimische Bevölkerung begründet. Heute gehen die französischsprachigen Staaten, ähnlich wie die anglophonen, sehr unterschiedlich mit dem kolonialen Spracherbe um. Insgesamt dominiert das Französische, die Sprachpolitik gegenüber anderen Sprachen allerdings ist recht unterschiedlich ausgeprägt. So ist etwa im Senegal das Französische die einzige offizielle Sprache, die in Politik und Medien vorherrscht. Sechs andere Sprachen sind aber als Nationalsprachen anerkannt, von denen das Wolof die bedeutendste ist. Zu den sprachpolitischen Maßnahmen der senegalesischen Regierung gehört, dass nach der Unabhängigkeit einige der einheimischen Sprachen standardisiert wurden. Im Bildungssystem herrscht offiziell eine Politik der Dreisprachigkeit: In den unteren Ebenen wird in der Muttersprache gelehrt, später kommen Wolof und Französisch als Zweitsprachen hinzu. In der höheren Bildung dominiert Französisch. Trotz der Rolle, die das Wolof für die senegalesische Identität hat, ist die Bedeutung des Französischen für alle offiziellen Ebenen aber unangetastet geblieben (Sall 2009). Ein anderer interessanter Fall ist Ruanda, das in Europa vor allem durch Bürgerkrieg und Genozid in den 1990er Jahren in Erinnerung geblieben ist. Traditionell Teil des französischsprachigen Afrika, hat beim Neuaufbau des Landes nach dem Bürgerkrieg eine rigorose Kehrtwende stattgefunden, in der Französisch als offizielle Sprache durch das Englische ersetzt wurde (vgl. Muhirwe 2012). Gründe dafür sind der gewünschte Bruch mit der Vergangenheit, die Rückkehr vieler (gut ausgebildeter) Flüchtlinge aus dem englischsprachigen Exil, die in die Gesellschaft eingebunden werden sollen, sowie die vermeintlich besseren internationalen Chancen als englischsprachiges Land. Nach einer Übergangszeit soll Englisch einzige offizielle Sprache werden - was z.T. zu großen Problemen geführt hat, da Englisch als Muttersprache in der Bevölkerung kaum verbreitet ist und auch z.B. Lehrer und Universitätsdozenten gewohnt waren, auf Französisch zu unterrichten. Bemerkenswert in Ruanda ist außerdem, dass das Land hinsichtlich der ursprünglich einheimischen Sprache zu den homogensten Ländern Afrikas gehört - fast alle Menschen haben Kinyarwanda als Muttersprache, das auch im Alltag die am häufigsten gebrauchte Verkehrssprache ist. Dennoch ist das Prestige der ehemaligen Kolonialsprachen so hoch, dass eine Aufwertung des Kinyarwanda zur offiziellen Sprache nicht in Erwägung gezogen wurde: Wenn in der offiziellen Diktion von Bilingualismus die Rede ist, bezieht sich dies auf Englisch und Französisch. Senegal Ruanda <?page no="299"?> 20 Afrika und Lateinamerika 299 ZUSAMMENFASSUNG: In fast allen Ländern Afrikas steht das Verhältnis von einheimischen Sprachen und ehemaliger Kolonialsprache im Mittelpunkt sprachpolitischer Überlegungen. Südafrika hat seit Ende der Apartheid elf offizielle Sprachen, allerdings dominieren nach wie vor Englisch und - trotz eines geringen Prestiges - Afrikaans. In Namibia ist dagegen nur Englisch offiziell. In Ostafrika stehen Tansania und Kenia für einen großen Unterschied im Umgang mit dem Swahili als Nationalsprache unter Zurückdrängung des Englischen. Im frankophonen Afrika ist Französisch als offizielle Sprache weitgehend unangetastet geblieben, allerdings gibt es in einigen Ländern wie im Senegal Bemühungen zur Aufwertung weiterer Sprachen als Zusatzsprachen. Ruanda ist ein Beispiel für einen Wechsel vom Französischen zum Englischen. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Welche Möglichkeiten des Umgangs mit dem kolonialen Spracherbe in Afrika wird in den Beispielen vorgestellt? Was sind Vor- und Nachteile der verschiedenen Ansätze? Wer profitiert jeweils davon? 2. Recherchieren Sie Internetseiten von südafrikanischen Regierungsstellen. Welche Sprachen finden Sie dort? Welche Funktionen nehmen diese Sprachen ein? 3. Welche unterschiedlichen Ansätze hatten die Kolonialherren in Afrika zur Sprachpolitik? Wie spiegelt sich dies in der heutigen Sprachpolitik Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands wider? 4. Diskutieren Sie: Wenn Sie selber in einem afrikanischen Land leben würden, welche Sprachen würden Sie lernen (wollen)? Wenn Sie Kinder hätten, welche Sprachen sollten diese lernen? 5. Was meinen Sie - kann die vollständige Umkehr vom Französischen zum Englischen in Ruanda funktionieren? Warum? 20.2 Lateinamerika: Sprachen der indigenen Bevölkerung und der Kolonialmächte im Gegensatz Sprachpolitik in Lateinamerika ist in fast allen Staaten durch den Gegensatz zwischen dem Spanischen (bzw. in Brasilien dem Portugiesischen) als beherrschender Sprache aus Kolonialzeiten und einer Vielzahl ursprünglicher Sprachen gekennzeichnet, die aus den Zeiten vor der europäischen Kolonisierung überdauert haben. Die konkrete Ausprägung dieser Vielsprachigkeit kann dabei sehr unterschiedlich sein: Während etwa in Uruguay fast gar keine indigenen Sprecher(gruppen) überdauert haben, sind in Mexiko oder Brasilien jeweils deutlich mehr als 200 einheimische Sprachen (Haarmann 2002) bewahrt worden. Dazu kommen in den meisten Fällen noch die Sprachen anderer europäischer Siedler wie Deutsch oder Italienisch sowie Kreol-Sprachen, die aus <?page no="300"?> 300 II Länderbeispiele dem Kontakt von einheimischen Sprachen mit dem Spanischen, Englischen oder Französischen entstanden sind. Die Verhältnisse von Sprachprestige und Funktionen sind jedoch in den meisten Ländern des Kontinentes vergleichbar: Das Spanische (bzw. Portugiesische) ist die Sprache, die in allen offiziellen Funktionen vorherrscht. Dies geht einher mit der sozioökonomischen Verteilung der Sprachen: Während die Oberschicht und häufig auch die Mittelschicht Spanisch spricht, sind die einheimischen Sprachen zumeist auf die indigene Bevölkerung beschränkt, die in unterschiedlichem Maße zusätzlich Spanisch gebraucht. Aufgrund dieser politischen und sozialen Sprachökologie ist es nicht verwunderlich, dass die überwiegende Zahl der einheimischen Sprachen mehr oder weniger stark vom Aussterben bedroht ist. Ein Bewusstsein für den Wert der traditionellen Varietäten ist in vielen Fällen nur im Ansatz vorhanden - auch wenn sich dies in den vergangenen Jahrzehnten etwas verbessert hat. 20.2.1 Guatemala, Mexiko und Brasilien: Dominanz des Spanischen bzw. Portugiesischen bei verbreiteter Mehrsprachigkeit Ein Beispiel für eine besonders ausgeprägte Mehrsprachigkeit - insbesondere im Verhältnis der Zahl der Sprachen zur Gesamtbevölkerung - ist Guatemala. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung zählt zur indigenen Bevölkerung. Auf einem Staatsgebiet, das etwa die Größe der ehemaligen DDR hat, werden mehr als 50 einheimische Sprachen gesprochen, die größtenteils zur Familie der Maya-Sprachen gehören. Dies bedeutet, dass Spanisch nur für weniger als die Hälfte der Bevölkerung Erstsprache ist. Seit den 1980er Jahren gibt es an vielen Orten Schulen, in denen auf der Primarstufe in Sprachen wie Cakchiquel, Quiché, Mam oder Kekchí unterrichtet wird - alles Sprachen der Nachfahren der präkolumbianischen Mayakultur mit heute jeweils mehreren 100.000 Sprechern. Einzige offizielle Sprache ist jedoch Spanisch - die indigenen Sprachen werden in der Verfassung lediglich als Teil des kulturellen Erbes erwähnt. Zwar gibt es seit den 1990er Jahren eine Maya-Akademie und seit 2003 ein Sprachgesetz, das die freie Benutzung der indigenen Sprachen erlaubt und z.B. Übersetzungen von Gesetzen fordert, de facto hat dies jedoch kaum Auswirkungen auf Prestige und Funktionen. Auf Seiten der spanischsprachigen Bevölkerung bleibt eine abwertende Haltung gegenüber den indigenen „Dialekten“, wie die Maya-Sprachen oft genannt werden, weit verbreitet. Im deutlich wohlhabenderen Mexiko ist der prozentuale Anteil der Sprecher indigener Sprachen an der Gesamtbevölkerung sehr viel niedriger als in Guatemala. Auch hier hat nur langsam in Teilen der Bevölkerung ein Bewusstsein für die traditionellen Kulturen und Sprachen eingesetzt. Diese Änderungen im gesellschaftlichen Klima haben im Jahr 2003 zu einem Gesetz zum Schutz der indigenen Sprachen und damit zu einer gewissen sozialen Aufwertung dieser Sprachen geführt. Jedoch äußert sich dieser Schutz in der Praxis zumeist nur in symbolischer Anerkennung oder akademischen Dokumentationstätigkeiten. Die sind zwar für sich genommen positiv, generieren aber kaum neue Sprecher und ändern auch nichts Grundsätzliches daran, dass das Spanische die einzige Sprache von Verwaltung, höherer Bildung und sozialem Aufstieg bleibt. Ähnlichkeiten auf dem gesamten Kontinent Guatemala: Hoher indigener Bevölkerungsanteil mit geringer Anerkennung Mexiko: Dominanz des Spanischen mit Änderungen in jüngerer Zeit <?page no="301"?> 20 Afrika und Lateinamerika 301 Dagegen ist die Situation in Brasilien allein schon deshalb deutlich anders, weil die Vielzahl der indigenen Sprachen Brasiliens von nur kleinen Gruppen im Amazonasgebiet gesprochen wird. Die Sprecherzahlen dieser Sprachen liegen heute oft nur zwischen einer Handvoll und einigen hundert Sprechern. Obwohl es auch in Brasilien gesetzliche Grundlagen für Förderprogramme für diese Sprachen in den Schulen gibt, wird de facto sehr wenig für den Spracherhalt getan, so dass in vielen Fällen innerhalb der nächsten Jahrzehnte mit dem Aussterben dieser Sprachen gerechnet werden muss. Dagegen weist die Küste Brasiliens mit ihren Zentren der europäischen Besiedlung heute nur noch eine geringe Verbreitung ursprünglicher einheimischer Sprachen auf. Somit ist das Management der Mehrsprachigkeit dort eher durch das Miteinander von europäischen Sprachgemeinschaften gekennzeichnet. Diese haben z.T. über etliche Generationen erfolgreich ihre Sprachen bewahrt - durch einen aktiven Zusammenhalt innerhalb der Sprachgruppen, obwohl Portugiesisch alleinige Amtssprache ist. Dies gilt insbesondere für diejenigen Gebiete, in denen nichtportugiesischsprachige Gemeinschaften ein relativ homogenes Siedlungsgebiet hatten - etwa im Süden des Landes mit seinem hohen Anteil italienischer und deutscher Siedler. Insgesamt beschäftigen sich sprachpolitische Debatten in Brasilien - wenn sie denn überhaupt stattfinden - jedoch zumeist mit dem Portugiesischen, etwa in Bezug auf den Schutz vor einer vermeintlichen „Gefahr“ durch das Englische. Dies gilt entsprechend für das Spanische auch in Mexiko und anderen Ländern Lateinamerikas. Andere sprachpolitische Themen in der brasilianischen Gesellschaft sind die internationale Rolle des Portugiesischen oder das Verhältnis des brasilianischen Portugiesisch zur Sprache in Portugal und in anderen ehemaligen portugiesischen Kolonien im Rahmen der Vereinigung portugiesischsprachiger Staaten, die nach dem Modell der Francophonie gegründet wurde (zu Guatemala und Mexiko: Terborg/ Landa/ Moore 2006, Grinevald 2007, García/ López/ Makar 2010, McCarty 2012, zu Brasilien: Rajagopalan 2005, 2008). 20.2.2 Peru, Bolivien und Paraguay: Aktiver Umgang mit demographisch starken indigenen Sprachen Neben grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der Länder Lateinamerikas gibt es allerdings auch einige wichtige Unterschiede. Dies betrifft vor allem Länder, in denen indigene Sprachen auch heute noch eine größere Rolle spielen und in denen - nicht nur von Aktivisten, sondern auch von staatlicher Seite - verstärkt versucht wird, der ökolinguistischen Situation gerecht zu werden. Dies gilt in Hinblick auf eine Tradition der offiziell gelebten Zweisprachigkeit insbesondere für Paraguay, wohingegen in Bolivien und Peru der Aufwertungsprozess der indigenen Sprachen erst begonnen hat. Allen drei Staaten ist gemein, dass der Anteil der indigenen Bevölkerung sehr groß ist, und dass es innerhalb dieser Bevölkerung einheimische Sprachen gibt, die im Verhältnis zu den anderen indigenen Sprachen dominieren. Brasilien: Dominanz des Portugiesischen <?page no="302"?> 302 II Länderbeispiele In Peru und Bolivien, wie auch in Ecuador, sind dies das Quechua, das sich als Sprache der Kultur und des Reiches des Inka über große Teile des Andenraumes verbreitete, und das heute in einer Vielzahl regionaler Varianten überdauert hat, und in geringerem Maße das Aymará. In Peru und Bolivien sind Quechua und Aymará als Nationalsprachen anerkannt, jedoch hat dies lange eher symbolischen Charakter gehabt. Die Rolle des Spanischen ist de facto unangefochten, im Bildungssystem gibt es nur auf der Primarebene einige Entwicklungen, auch auf Quechua und Aymará zu unterrichten. Auch in den Medien herrscht mit einigen lokalen Ausnahmen weiterhin das Spanische vor. Dennoch sind diese Maßnahmen insgesamt als Fortschritt für den Spracherhalt und damit vor allem auch für die soziale Gleichstellung der indigenen Bevölkerung zu bewerten. Insbesondere ist dies im Zusammenhang mit der Wahl von Staatspräsidenten mit Indio-Hintergrund in Bolivien und Ecuador zu sehen: In Bolivien wurde 2009 eine neue Verfassung per Referendum angenommen, 2012 ein Sprachgesetz verabschiedet, das 36 (! ) Sprachen offiziellen Status auf nationaler Ebene gibt - wenngleich davon auszugehen ist, dass dies hinsichtlich der Anwendung in den Behörden geographisch begrenzt verstanden werden wird. In der Theorie bedeutet dies, dass etwa Gerichtsverhandlungen in jeder dieser Sprachen möglich sein müssen bzw. der Staat für Übersetzungsmöglichkeiten zu sorgen hat. Im Bildungssystem gilt das Prinzip der Mehrsprachigkeit: Indigene Kinder sollen in ihrer Muttersprache unterrichtet werden (aber natürlich auch Spanisch lernen), Spanischsprachige sollen zumindest eine indigene Sprache erwerben. Schließlich sollen Aymará, Quechua und Guaraní sogar auf Universitätsniveau eingesetzt werden. Wie sehr sich diese gesetzlichen Änderungen in die Realität umsetzen lassen und welche Auswirkungen sie auf sprachliche Praktiken im Land haben werden, wird sich jedoch erst in den kommenden Jahren zeigen (zu Sprachpolitik in den Anden mit verschiedenen Schwerpunkten: Hornberger/ Coronel-Molina 2004, Valdiviezo 2013, Coronel- Molina 2011, Zavala 2014; aus historischer Sicht: Cerrón-Palomino 1989). Paraguay ist hingegen eine Ausnahme. Es ist das einzige Land Lateinamerikas, in dem mit dem Guaraní zusätzlich zum Spanischen eine einheimische Sprache existiert, die weit verbreitet ist und zahlreiche gesellschaftliche Funktionen hat. Trotz gewisser Tendenzen des Sprachwechsels zum Spanischen (Gynan 1998) hat das Guaraní insgesamt gute Chancen auf eine Bewahrung in der Zukunft. Gleichzeitig wird der Stellenwert des Spanischen als internationale Lingua Franca auch in Paraguay nicht in Frage gestellt. Wichtiger Grund für den Erhalt des Guaraní ist die relative Homogenität der Bevölkerung. Zudem gab es in diesem recht abgelegenen Land ohne Zugang zur Küste eine geringere europäische Besiedlung, wodurch ein anderer Umgang mit der einheimischen Bevölkerung herrschte, der in einer Vermischung der Kulturen und Sprachen resultierte. Heute benutzen etwa 40% der 5-6 Millionen Einwohner des Landes Guaraní als Hauptsprache, rund die Hälfte der Bevölkerung ist zweisprachig Spanisch-Guaraní, und nur etwa 5% der Bevölkerung sprechen ausschließlich Spanisch (hinzu kommen noch etwa 5% Sprecher mit einer anderen indigenen Sprache oder mit Portugiesisch als Erstsprache). Dabei gibt es einen starken Stadt-Land-Unterschied: Spanisch als Sprache der Stadtbevölkerung hat traditionell alle wichtigen Funktionen eingenommen, aber im Laufe der Geschichte haben die paraguayischen Machthaber immer wieder auf Anerkennung von Quechua und Aymará bei de facto unangefochtener Stellung des Spanischen Bolivien: neue Verfassung und Sprachgesetz Paraguay als Ausnahme: Diglossie Spanisch-Guaraní <?page no="303"?> 20 Afrika und Lateinamerika 303 die Guaraní sprechende ländliche Bevölkerung als Machtbasis zurückgegriffen. Zuletzt tat dies der langjährige Diktator Stroesser, der 1989 nach 35 Jahren an der Macht gestürzt wurde. Zum Zeitpunkt der Demokratisierung ermöglichte es die sprachliche Situation im Land somit, Guaraní offiziellen Status als gleichberechtigte Nationalsprache zu gewähren. Dies wurde in der Verfassung von 1992 festgeschrieben, nachdem Guaraní seit 1967 bereits offizielle Nationalsprache, Spanisch allerdings einzige Amtssprache gewesen war. Allerdings wird diese Rolle de facto dadurch geschmälert, dass in der Realität eine Situation herrscht, die oftmals als diglossisch bezeichnet wird. Ähnlich wie etwa in der Schweiz das Verhältnis des Schweizerdeutschen zum Hochdeutschen durch eine klare funktionale Aufteilung gekennzeichnet ist, ist auch in Paraguay Spanisch nach wie vor die Sprache aller höheren Funktionen. Spanisch wird überwiegend in den Behörden, in der Bildung und in den Medien verwendet. Guaraní ist dagegen die Sprache der privaten Domänen und kommt im Bildungssektor nur in der Grundschule zum Einsatz. Nach wie vor ist es gerade die oftmals sehr arme Landbevölkerung, die keine Spanischkenntnisse hat. Aufgrund der weit verbreiteten Zweisprachigkeit ist jedoch die Stigmatisierung des Guaraní als einheimischer Sprache deutlich weniger ausgeprägt als in den Nachbarstaaten - im Gegenteil, die verbreitete Zweisprachigkeit auch von Personen der Führungsschicht hat wichtige Auswirkungen auf die nationale Identität Paraguays. Aus diesem Grund gibt es - und auch dies ist im Umfang Paraguays eine Ausnahme in Lateinamerika - eine Tradition der wissenschaftlichen und korpusplanerischen Beschäftigungen mit dem Guaraní. Die Erstellung einer Schriftnorm ist nicht nur für Alphabetisierungsmaßnahmen der Landbevölkerung von großer Bedeutung, sondern auch für die Ausweitung der schriftlichen Funktionen des Guaraní. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Stimmen, für die die Schriftnorm zu weit entfernt von einigen gesprochenen Varietäten ist, insbesondere im Hinblick auf die Akzeptanz spanischer Lehnwörter. Diese lange vorherrschende funktionale Aufteilung soll durch die jüngsten sprachpolitischen Entwicklungen aufgeweicht werden: Seit 2010 gibt es ein Sprachgesetz, das die Zweisprachigkeit genauer definiert und damit dem Guaraní zu mehr Einfluss auch in höheren Funktionen verhelfen soll. Danach dürfen beide Sprachen in allen Bereichen des Lebens gleichberechtigt benutzt werden, offizielle Dokumente sollen grundsätzlich auf Kastilisch (Spanisch) und auf Guaraní sein, für Posten in der Verwaltung werden zweisprachige Kandidaten bevorzugt. Durch das Gesetz wurde eine offizielle Akademie für das Guaraní geschaffen, außerdem gibt es nun staatliche Sprachplanungsbehörden. Welche sprachlichen Auswirkungen dies in der Realität haben wird, bleibt jedoch abzuwarten. Eher wenig beachtet werden in der sprachpolitischen Debatte Paraguays dagegen die anderen Sprachen. Auch für diese gilt, dass das Sprachgesetz von 2010 das zuvor in der Verfassung verankerte Bekenntnis zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt noch einmal unterstreicht, die Bedeutung der kleinen Sprachen betont und ein Recht auf Unterricht in der Muttersprache verankert. Trotz dieser offiziellen Unterstützung sind die Perspektiven der kleinen indigenen Sprachen aber eher als schlecht einzuschätzen (zu Paraguay: Gynan 1998, 2001, Ito 2012). Entwicklung einer Politik für das Guaraní Offizielles Sprachgesetz von 2010 <?page no="304"?> 304 II Länderbeispiele ZUSAMMENFASSUNG: Fast überall in Lateinamerika ist Spanisch (bzw. in Brasilien Portugiesisch) unangefochtene Hauptsprache der Gesellschaft, trotz einer bisweilen komplexen Mehrsprachigkeitssituation mit unzähligen Sprachen von indigenen Völkern und Einwanderern. In Guatemala, Mexiko und Brasilien haben Minderheitensprachen keinen offiziellen Status, werden aber durch unterschiedliche Projekte und auf privater Ebene gefördert. Dagegen haben in Peru und Bolivien mit dem Quechua und dem Aymará auch einige indigene Sprachen, die von einem größeren Teil der Bevölkerung gesprochen werden, eingeschränkte offizielle Funktionen. Paraguay ist eine Ausnahme, da hier eine einzigartige diglossische Situation zwischen dem Spanischen und dem Guaraní existiert; letzteres besitzt dadurch auch identitätsstiftenden Charakter. Verständnis- und Diskussionsfragen: 1. Beschreiben Sie die ökolinguistischen Unterschiede der hier erwähnten lateinamerikanischen Staaten. Welche Auswirkungen haben diese auf die jeweilige sprachpolitische Ausgangslage? 2. Welche charakteristischen Gemeinsamkeiten hat die Sprachpolitik in fast allen lateinamerikanischen Ländern? An welchen historischen und politischen Faktoren liegt das? 3. Suchen Sie im Internet Informationen zur aktuellen Sprachpolitik in Bolivien - einem Land im politischen Umbruch. Deuten die Nachrichten, die Sie finden, darauf hin, dass der neue Ansatz der Mehrsprachigkeit Erfolg hat? 4. Worin unterscheidet sich die sprachpolitische Situation Paraguays so deutlich von den anderen Ländern der Region? Warum? 5. Diskutieren Sie: Was für eine Sprachpolitik würden Sie in einem Land wie Brasilien durchführen, wenn Sie den Interessen von portugiesischsprachigen, anderen europäischstämmigen und indigenen Brasilianern gerecht werden wollen? Wie würde Ihre Sprachpolitik in den Schulen aussehen? Welche Sprachen sollen in der Verwaltung verwendet werden? <?page no="305"?> III Anhang <?page no="307"?> Bibliographie Alle angegebenen Internetseiten wurden zuletzt am 09.01.2015 aufgerufen. A serbsce? . https: / / www.facebook.com/ pages/ A-serbsce/ 487242624638647. 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Abbildung 3: Übersicht über sprachpolitische Kernbegriffe nach Haugen, Haarmann, Hornberger und Lo Bianco unter Einbeziehung von Konzepten der deutschsprachigen Tradition. Abbildung 4: Das Modell von Kaplan/ Baldauf zu Einflüssen in einem sprachlichen Ökosystem (Kaplan, Robert B. / Baldauf Jr., Richard B. (1997): Language Planning. From Practice to Theory, Clevedon et al.: Multilingual Matters. S. 311). Abbildung 5: Sprachpolitik einer touristischen Organisation: Zweisprachige Information und zehnsprachiger Willkommensgruß am Schloss Chambord (Tal der Loire, Frankreich). Abbildung 6: Auswärtige Sprach- und Kulturpolitik Chinas: Das Konfuzius-Institut an der Universität Tallinn, Estland. Abbildung 7: Deutschland als einsprachiges oder als mehrsprachiges Land mit Deutsch als Hauptsprache? Schild am Centrum Judaicum in Berlin. Abbildung 8: Reihenfolge und Größe von Sprachen als Ausdruck von Machtverhältnissen und Normalität im Diskurs einer Gesellschaft: Deutsch-niedersorbisches Ortsschild im Spreewald. Abbildung 9: Verbindung von deutscher Sprache, Deutschtum, Heimat und Volk: Gedenktafel im österreichischen (! ) Villach (Kärnten). Abbildung 10: Wegweiser auf Helgoland auf Deutsch und Nordfriesisch, das auch heute noch von einer Handvoll alteingesessener Familien gesprochen wird und eine vorsichtige Revitalisierung erlebt. Abbildung 11: Beispiel für eine aktive Politik von Kleinstsprachen: Viersprachiger (Finnisch und drei samische Varietäten) Wegweiser in Inari im finnischen Teil Lapplands. Abbildung 12: Das EuLaViBar-Modell für das Karelische in Finnland (http: / / www.unimainz.de/ presse/ bilder_presse/ 05_english_sneb_eldia_finnland_karelisch.jpg). Abbildung 13: Schema sprachrechtlicher Regelungen nach Skutnabb-Kangas/ Phillipson 1995 (Skutnabb-Kangas, Tove / Phillipson, Robert (1995): Linguistic Human Rights, Past and Present, in: Skutnabb-Kangas, Tove / Phillipson, Robert (Hgs.): Linguistic Human Rights. Overcoming Linguistic Discrimination, Berlin / New York: Mouton de Gruyter, 71-110, S. 80). Abbildung 14: Ein zentraler Bestandteil der Europäischen Sprachencharta ist die Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssektor: Ein Beispiel aus der Universität Bilbao im Baskenland mit zweisprachiger Politik (Baskisch-Spanisch). <?page no="325"?> Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 325 Abbildung 15: Vielsprachigkeit als von einer Stadtverwaltung gefördertes Symbol: Willkommensschild in Germersheim am Rhein (Rheinland-Pfalz). Abbildung 16: Mehrsprachigkeitspolitik in den Schulen: Europaschule mit Unterricht auf Russisch in Berlin. Abbildung 17: Sprachpolitik einer Bank in Estland: Information auf Englisch, Finnisch, Estnisch und Russisch. Abbildung 18: Sprachpolitik einer Religionsgemeinschaft: Die estnische evangelischlutherische Kirche leistet sich eine deutschsprachige Gemeinde. Abbildung 19: Englisch als unangefochtene globale Lingua Franca - aber Sprachen der zweiten und dritten globalen Hierarchiestufen sind auch wichtig: Audioguides in der Verbotenen Stadt in Peking. Abbildung 20: Graphematische Superdiversität: Logo des Integrationsbeauftragten des Senates von Berlin. Abbildung 21: Weltkongress der AILA in Peking 2011. Abbildung 22: Linguistic Landscapes als Methode zur Analyse der Sprachpolitik im Tourismus: Restaurant in Dubrovnik (Kroatien). Abbildung 23: Schulsprachpolitik: Lettische, polnische und englische Aushänge in einer Schule mit polnischem Schwerpunkt in Lettland. Abbildung 24: Ganzheitliches ökolinguistisches Modell zur Analyse von Sprachpolitik (GÖMAS). Abbildung 25: Minderheitensprachpolitik in Budyšin/ Bautzen: Schild am mit öffentlichen Mitteln geförderten Serbski institut, das die sorbische Sprache wissenschaftlich erforscht. Abbildung 26: Sprachregionen der Schweiz (File: Map Languages CH.png. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Map_Languages_CH.png. Quelle: Swiss Federal Statistical Office; census of 2000, Urheber: Marco Zanoli (sidonius 13: 20, 18 June 2006 (UTC)). Letzter Zugriff am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 27: Hinweisschild am Kulturhaus der slowenischen Minderheit in der Steiermark in Potrna/ Laafeld unweit der slowenischen Grenze. Abbildung 28: Sprachgemeinschaften in Belgien und Gemeinden mit Minderheiten- „Fazilitäten“ (File: Fazilitäten-Gemeinden.png. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Fazilit%C3%A4ten-Gemeinden.png? uselang=de. Quelle: Faciliteitengemeenten.png, Urheber: Faciliteitengemeenten.png: enciclopedia.us.es: Usuario: Willy, enciclopedia.us.es: Usuario: Pastranec, User: gpvos. Letzter Zugriff am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 29: Offizielle deutschsprachige Beschilderung in Eupen, der Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Abbildung 30: Straßenschilder in der Innenstadt von Strasbourg. Man beachte die Hierarchie der Sprachen: Französisch ist wichtiger und somit weiter oben angebracht als Elsässisch, außerdem kommt Elsässisch nur auf einem Schild vor, die Informationen jenseits des Straßennamens sind ausschließlich auf Französisch. Abbildung 31: Sprachen Spaniens (File: Sprachen auf der Iberischen Halbinsel.jpg. https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Sprachen_ auf_der_Iberischen_Halbin- <?page no="326"?> 326 III Anhang sel.jpg. Karte der Sprachen auf der Iberischen Halbinsel, Autor: Mukus, Karte angefertigt am 29.02.2007, Karte basiert auf http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ de/ c/ cb/ Spanien-Autonome_Regionen.png. Letzter Zugriff am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 32: Diskussionsprozesse zu Sprache und Identität im öffentlichen Raum in Valencia: Aufkleber „Die Valencianer sind keine Spanier“ mit ausradiertem no. Abbildung 33: Minderheitensprachen und Subvarietäten des Italienischen in Italien (File: Languages spoken in Italy2.jpg. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Languages_spoken_in_Italy2.jpg. Quelle: Languages_spoken_in_Italy2.jpg, Urheber: Languages_spoken_in_Italy2.jpg: Languages_spoken_in_Italy.svg: F l a n k e r; Wento, derivative work: Albertopelis (talk). Zuletzt aufgerufen am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 34: Konzessionen an Sprachminderheiten und Grenznähe auf einem viersprachigen Straßenschild im Nordosten Italiens (Italienisch, Friaulisch, Deutsch, Slowenisch). Abbildung 35: Sprachmehrheiten in den Gemeinden Südtirols (Language Groups in South Tyrol - Census 2001. http: / / images.google.de/ imgres? imgurl=https: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ thumb/ 9/ 99/ Sprachenkarte_Suedtirol_2011.svg/ 2000px-Sprachenkarte_Suedtirol_2011.svg.png&imgrefurl=https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Ethnischer_Proporz_%28S%25C3%25BCdtirol %29&h=1335&w=2000&tbnid =7FjAh9xUsxhCkM: &tbnh=90&tbnw=135&docid=kR0zeXiaF5_MYM&usg=__yCzXAGMH2ckDwBRy2WT87hqN1DU=&sa=X&ved=0ahUKEwirhY62rMrLAhWFCw8KHXsWC1YQ9QEIITAA. Letzter Zugriff am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 36: Eingang zum Schottischen Parlament in Edinburgh mit Willkommensgruß auf Schottischem Gälisch, alle weiteren Hinweise sind dagegen nur auf Englisch. Abbildung 37: Zum Gaeltacht zugehörige Gebiete in Irland (File: Gaeltachtai le hainmneacha2.svg. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Gaeltachtai_le_hainmneacha2.svg. Quelle: Transferred from en.wikipedia, Urheber: Original uploader was Angr at en.wikipedia. Letzter Zugriff am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 38: Beschilderung an der National University of Ireland in Galway, die als staatliche Institution zu Zweisprachigkeit verpflichtet ist. Abbildung 39: Zweisprachige Politik eines Spielwarengeschäftes (Estnisch und Russisch) in der hauptsächlich von Personen mit Russisch als Erstsprache bewohnten Stadt Narva im Nordosten Estlands. Abbildung 40: Zweisprachiges Ortsschild (Polnisch und Kaschubisch) in der Nähe von Danzig. Abbildung 41: Kulturhistorisches Museum des kleinen finno-ugrischen Volkes der Wepsen in der russischen Republik Karelien. Abbildung 42: Betonung sprachlicher Eigenständigkeit Kroatiens mit Hilfe alter Traditionen: das mittelalterliche glagolitische Alphabet auf einem Touristensouvenir. Abbildung 43: Verteilung von Bokmål und Nynorsk in den norwegischen Kommunen; dunkelgrau: Bokmål, hellgrau: Nynorsk: mittelgrau: neutral (File: Målformer i <?page no="327"?> Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 327 Norge.svg. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: M%C3%A5lformer_i_Norge.svg? uselang=de. Quelle: Map from Norway_municipalities_2010_blank.svg and data from lovdata, Urheber: Norway_municipalities_2010_blank.svg: Kåre-Olav, derivative work: Røed (Diskussion). Letzter Zugriff am 18.03.2016. Farbgebung und Beschriftung geändert). Abbildung 44: Zweisprachigkeit in Finnland: Finnisch, Schwedisch und Tiersymbolik zur besseren Orientierung im Zentrum von Helsinki. Abbildung 45: Offizielle Zweisprachigkeit in einem Briefkopf einer Botschaft Kanadas. Abbildung 46: Viersprachigkeit in der U-Bahn von Singapur. Abbildung 47: Mehrsprachigkeitspolitik am Strand von Tel Aviv - Schild nicht nur in den offiziellen Sprachen Hebräisch und Arabisch, sondern auch auf Englisch und Russisch. Tabelle 1: GIDS (Fishman). Tabelle 2: EGIDS (http: / / www.ethnologue.com/ about/ language-status). Tabelle 3: Domänencheckliste. Tabelle 4: Wohnbevölkerung nach Sprachgruppen laut Volkszählungen von 1880 bis 2001 (Autonome Provinz Bozen - Südtirol 2011: 20). Tabelle 5: Ethnien in Lettland (Angaben in Prozent, Latvijas statistika). http: / / data.csb.gov.lv/ pxweb/ en/ Sociala/ Sociala__ikgad__iedz__iedzskaits/ IS0070.px/ ? rxid=562c2205-ba57-4130-b63a-6991f49ab6fe. Letzter Zugriff am 18.03.2016. Tabelle 6: Entwicklung der Bevölkerung Finnlands nach Sprache 1991-2011 (Statistikcentralen). http: / / 193.166.171.75/ Dialog/ varval.asp? ma=030_vaerak_tau_102_sv&ti=Spr%E5k+efter+%E5lder+och+k%F6n+enligt+landskap+1990+%2D+2013&path=../ Database/ StatFin/ vrm/ vaerak/ &lang=2&multilang=sv. Letzter Zugriff am 11.04.2014. 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Letzter Zugriff am 18.03.2016. <?page no="328"?> Index Aborigines 267-270 Academia della Crusca 192-193 Académie Française 18, 177, 183, 192 Afrika 39, 177, 258, 275, 282, 292, 295-299 Afrikaans 292-294, 299 afrikanisch 94, 120, 292-298 Akademie 122, 184, 221, 227, 244, 300, 303 Akteure 23, 28, 30, 33, 35, 36, 38, 40, 42, 46, 107, 112, 117, 127, 130, 137, 139-140, 143, 233, 288 Aktivisten 36, 38, 40-41, 83, 88, 104, 108-109, 114, 120-121, 125-126, 132, 134, 149-150, 159, 175, 182-183, 190, 195, 202-204, 206, 212, 216, 225, 232, 288, 301 Alabama 257 Åland 246-248 Albanisch 196, 234 allochthon 59-60 Alphabetisierung 33, 65, 67-68, 227, 258, 279, 280, 295, 303 Amtssprache 16, 24, 63, 115-116, 145, 154, 157, 169, 180, 185- 187, 189, 191, 195, 200-201, 217, 238, 240, 245, 256, 288- 290, 293, 296-297, 301, 303 Anarchismus 51 Andorra 60 Anglizismen 11, 19, 48, 50, 71, 96, 98, 102, 129, 134-135, 145, 148, 179, 184, 222, 281 Aostatal 195, 323 Apartheid 60, 292-294, 299 Arabisch 29, 44, 119-120, 135, 153, 201, 206, 274, 283, 288- 291 Aragón 185, 188 Aragonesisch 187, 190 Aranesisch 187, 191 Armenisch 220 Assamesisch 275 Assimilierung 57, 78, 84, 204, 216, 228, 268, 271, 291 Asturisch 187, 190 Äthiopien 297 Australien 61, 214, 258, 266-273 Auswärtige Sprachpolitik 38-40, 109, 152-154, 162, 184, 201, 206 Autarkie 280, 282 autochthon 59-60, 85, 91, 98, 105, 135, 137, 148-149, 152-155, 160, 162-163, 180, 182, 200- 201, 223, 286 autonom 174, 186, 189, 198, 228, 232, 248-249 Autonomie 46, 57, 64-65, 72, 84, 184-187, 189, 190, 198-199, 205, 237, 247 Aymará 302, 304 Bahasa Indonesia 268, 283-284 Bahasa Malaysia 283, 285-287 Bahasa Melayu 283-285, 287 Baltikum 57, 98, 214, 217-219, 227, 244-245 Baskenland 83, 90, 96, 187, 189- 191, 262 Baskisch 56, 62, 63, 83-84, 96, 109, 143, 178, 181, 184-185, 187, 189-191 Behörden 23, 26, 35, 40-42, 49, 68, 76, 78, 81-82, 85, 87, 89-92, 96, 100, 102-105, 107, 110, 122, 125, 132, 134, 139, 146-147, 151-152, 156, 163, 170, 173, 179, 182, 196, 198-199, 201, 203, 206, 216, 228, 232, 240, 243, 245, 248, 254, 259, 268- 269, 272, 276-277, 285, 290, 302-303 Belgien 43, 63, 77, 90, 91, 116, 146, 166, 170-171, 173-176, 181 Bengalisch 275 <?page no="329"?> Index 329 Bildungssektor 35, 70, 81, 83-84, 92, 106, 132, 135, 200, 303 Bildungssystem 42, 64, 68, 72, 77, 92, 107, 109, 113, 126, 132, 139, 163, 167, 175, 178, 182, 190, 212, 216, 220, 243, 246, 255, 259, 262, 264, 268, 270, 278, 283-284, 286-287, 293, 298, 302 Bilingualismus 298 Bodo 275 Bokmål 239-243 Bolivien 61, 301-302, 304 Borneo 283-284, 286 Bosnien 234-238 Bosnisch 233, 236-238 Brandenburg 98, 148, 150 Brasilien 258, 299-301, 304 Bretagne 181 Bretonisch 56, 62, 177, 181-183 Burgenland 163 Burgenlandkroatisch 163 Cakchiquel 300 Charta 79, 81, 82, 118-119, 123, 148, 151-152, 163, 182, 196, 206, 224, 237, 262 Chewa 296 China 39, 278, 280 Chinesisch 15, 29, 93, 108, 119- 120, 153, 256, 278-280, 282- 284, 286 christlich 122, 185, 208 Code Mixing 16, 17, 113 Code Switching 16, 113, 167 Commonwealth 201, 261, 282, 298 Dänemark 62, 121, 149, 231, 239, 249 Dänisch 60, 62, 94, 108-109, 148- 149, 152-154, 239, 242, 249-251 DDR 104, 145, 280, 300 Demokratie 46, 92, 118, 127, 179, 185, 239, 278 Deutsch 11, 12, 15, 17, 19, 20, 24- 25, 29, 32, 43, 47-48, 50, 55, 57, 61-63, 91, 93, 100, 108, 110, 113, 115-116, 118-120, 125, 145-148, 153-162, 165-170, 174, 177, 183, 195-199, 215, 219- 220, 224-225, 227, 238, 253- 255, 268, 273, 281-282, 294, 298-299 Deutschland 11, 12, 20, 23, 26, 40, 42-43, 57, 62, 71, 82, 83, 89-91, 94-96, 98, 100, 102, 108-109, 113, 115, 119, 121, 127, 143, 145-149, 152-155, 157, 159-163, 165-166, 168, 174, 176, 178, 183, 193, 196, 199-201, 206, 214, 219-220, 222-224, 234, 241, 243, 253-254, 257, 259, 261, 265-266, 279, 281, 299 Dialekt 15, 25, 29, 42, 48-50, 64, 78, 88-89, 92, 100, 109, 113, 128, 132, 137, 145, 148, 150- 151, 157-159, 161, 166, 168- 170, 181, 183, 188, 193, 200- 201, 217, 220, 225, 234, 239- 241, 243-244, 300 Diskurs 27-28, 35, 38, 47, 99, 105, 106, 114, 128, 130, 132, 134, 149, 154, 165, 200, 231, 267, 270 Diskursanalyse 24, 44, 129-130 Diversität 32, 46, 115, 118, 154, 184, 232, 274, 283 Dogri 275 Dolmetscher 78, 89, 112, 116, 146, 152, 255 Domäne 27, 68, 73, 82, 87-88, 91- 92, 98-107, 114, 126, 128, 131, 137, 158-159, 166-167, 169, 179, 187, 190, 204, 208, 214, 231, 244, 251, 255, 272, 275, 285, 292, 296, 303 Domänencheckliste 106, 107, 131 Einwanderer 59, 168, 253-254, 256-257, 259, 261, 264, 266, 268, 271-272, 283, 285, 291 Elsässisch 15, 181, 183 Englisch 15, 16, 17, 22, 26, 27, 29, 49, 95, 97, 101, 108, 110-111, 113-114, 116-120, 125, 135, 146, 153, 155, 160-162, 168, 171, 175, 179-180, 183, 200- 201, 202-203, 205, 207, 212, 235, 246, 248-250, 253-257, 259-278, 281-299 <?page no="330"?> 330 III Anhang Erstsprache 42, 43, 157, 160, 166- 167, 218, 225, 246, 277, 293, 297, 300, 302 Estland 39, 97, 102, 117, 214-216, 219 Estnisch 97, 214, 216-219 ethnisch 52-59, 60-61, 69-71, 80, 113, 137, 168, 189, 215, 217, 219, 224-226, 228, 231, 234- 235, 237, 254, 265, 267, 276, 283-284, 296 Ethnizität 52-55, 58-59, 226 Ethnographie des Sprechens 30 ethnographisch 44, 128, 135 Ethnos 56, 61 EU 23, 81, 115-118, 120-123, 153- 154, 162, 166, 169, 175, 180, 209, 275, 293, 296 Europa 55-58, 63, 72, 81, 84, 88, 99, 102, 111, 116-120, 122, 143, 162, 202, 208, 221, 227, 239, 244, 254, 256, 262, 268, 272, 275, 279, 282, 290, 294, 298 Europarat 81, 82-83, 86, 118, 120, 152, 163, 212 Facebook 99, 114, 133 Familie 23, 32, 37, 40, 45, 62, 68, 87-88, 107, 128-129, 151, 166, 207-208, 254, 300 Familiensprachpolitik 37, 88, 132 Finnisch 66, 89, 97, 153, 230, 244- 246, 248 Finnland 73, 89, 102, 116, 244-248 First Nations 260, 264 Flandern 170-172, 175-176 Forschung 15, 18, 19, 23, 29, 35, 42, 44, 47, 74, 108, 112, 114, 118, 120, 122, 124-125, 127- 137, 143, 290 Francophonie 38-39, 49, 101, 109, 180, 297, 301 Frankoprovenzalisch 181, 195 Frankreich 27, 37, 39, 42-43, 50, 56, 60, 62-63, 76, 83, 95, 96, 115-116, 146, 159, 166, 168, 170-171, 177-185, 189, 191-193, 199, 221, 223, 227 Französisch 27, 29, 39, 44, 62, 91, 93, 95-96, 108, 115-116, 118- 119, 120, 125, 135, 153, 156- 157, 160, 166-174, 176-182, 191, 195-196, 227, 254, 260- 265, 266, 268, 273, 292, 298- 299 Fremdsprache 24, 35, 37, 39, 43, 59, 82, 84, 92-94, 96-97, 100, 103, 109, 129, 133, 137, 152- 153, 155, 175, 183, 203, 219- 220, 222, 246, 250, 268, 270, 281 Friaulisch 156, 195-196 Friesisch 88, 109, 148, 150-151, 154 Friesland 88, 121 Gälisch 56, 61, 91-92, 200, 202, 204-207, 211 Galizien 90, 187, 190 Galizisch 184, 187, 190 Gebärdensprache 45, 147, 160- 161, 251, 271, 273 Georgisch 22, 108 Gerichtssprache 91, 146, 200 Globalisierung 44, 108, 110-111, 122, 137, 278, 281 Glokalisierung 110, 114, 122 Goethe-Institut 38-39, 41, 49, 109, 147, 153-154, 184, 206 GÖMAS 136-140 Graubünden 156, 159 Griechisch 116, 153, 196 Grönland 61, 84, 249, 258 Grönländisch 84 Großbritannien 26, 40, 42, 56, 102, 104, 116, 118, 200-202, 205-207, 211, 261-262, 268, 273-274, 282, 284, 299 Grundgesetz 76, 145-146, 148, 155 Guaraní 302-304 Guatemala 300, 301, 304 Gujarati 275 Hangul 279, 280, 282 Hawaii 256 Hawaiianisch 256 Hebräisch 153, 220, 287-291 Hindi 119, 201, 274-278 Hindustani 274 homogen 43, 58, 220, 226, 249, 251, 254, 301-302 <?page no="331"?> Index 331 Honduras 76 Hyperkorrektur 132 Iban 286 Identität 43-44, 46, 52-55, 57-59, 61, 63, 65-66, 70, 80, 81, 84, 95, 110, 113, 124, 128, 137, 150, 160-161, 168, 174, 176, 178, 188-189, 202, 206, 211, 224- 226, 230, 237, 241, 243, 245, 256, 263, 269, 298, 303 Ideologie 20, 23, 24, 28, 31, 37-38, 42-44, 46-47, 51-52, 55, 65, 67, 72, 74, 77-78, 86-88, 90-92, 102, 106, 125-126, 130-131, 133, 137, 177, 219, 224, 227-228, 253, 257, 259, 275, 280, 287, 290, 295 ideologisch 11, 26, 28, 31, 48, 51, 64, 68, 71, 79, 89-90, 94, 102, 104, 110, 124-126, 134-135, 145, 179, 180, 183, 201, 233, 237, 256-257, 260, 278, 283- 284, 288 Illoyalität 71, 146, 153 ILO 54, 80, 313 Imperialismus 45 Indien 119, 201, 274-278, 282, 293 indigen 54, 55, 61, 80, 253, 265, 270, 286, 294, 299-304 Indonesien 283-284 internationale Beziehungen 87, 101 Internationalisierung 25 Inuinnaqtun 265 Inuit 258, 265 Inuktitut 258, 265-266 Irisch 104, 170, 207-213 Irland 102, 104, 116, 162, 170, 200, 202, 206-209, 211-212, 231 isiNdebele 293 isiXhosa 293 isiZulu 293 Island 248-252 Isländisch 119, 239-240, 249-250, 251 Israel 287-291 Italien 60, 111, 115, 156, 159, 192-197, 199-200 Italienisch 115-116, 118, 120, 153, 156-157, 159-160, 178, 181, 193, 195-199, 234, 237, 273, 299 Ivrit 287-288 Japan 119, 278-279 Japanisch 119, 153, 268, 273, 278- 279 Jawi 283-284 Jiddisch 62, 220, 290-291 Juden 290 jüdisch 287-291 Jugoslawien 58, 233-235, 237-238 Justiz 36, 87, 89, 91 Kamerun 292, 297 Kanada 39, 180, 214, 253, 255, 258, 260-266 275 Karäisch 218, 220 Karelien 229 Karelisch 73, 230 Kärnten 56, 163-165 Kaschmirisch 275 Kaschubisch 220, 223, 225-226 Kastilien 184-185 Kastilisch 184-188, 191, 303 Katalanisch 60, 62, 65, 88, 96, 109, 116, 143, 184-185, 187- 192, 196 Katalonien 60, 65, 90, 96, 185, 187-191, 230, 262 Kekchí 300 Kenia 295, 299 Kinyarwanda 298-299 Kirche 36, 87, 100, 101, 208, 221 kolonial 127, 258, 267, 276, 282, 292, 294, 298 Kolonialherrschaft 279 Kolonialisierung 279 Kolonialmacht 274, 282, 292, 296- 297, 299 Kolonialsprache 119, 275, 292, 294-295, 298-299 Kolonialzeit 283, 292, 299 Kolonie 39, 108, 261, 266, 294, 297, 301 Konkani 275 Konvention 54, 80-82, 86, 118, 120, 123, 163, 178 , <?page no="332"?> 332 III Anhang Korea 278-282 Koreanisch 94, 108, 278-280 Kornisch 200, 202, 205 Korpusplanung 20, 24-29, 42-43, 56, 77, 88-90, 101-103, 106-107, 122, 134, 177, 184, 192, 200, 208, 227, 242-244, 264-265, 271, 278, 293 Korsika 181 Korsisch 181, 183, 193 Kosovo 234-235 Kreol 267, 299 Kroatien 131, 234-238 Kroatisch 163, 196, 233-237 kyrillisch 227-228, 230, 233, 235- 236 Ladinisch 64, 156, 196-199 Laisser-faire 145, 153-154, 200, 201, 206 Latein 56, 93, 100, 153, 192, 193, 227, 275 Lateinamerika 42, 254, 256, 292, 299, 303-304 lateinisch 233, 235-237, 283 Leonesisch 187 Lettgallen 111, 218 Lettgallisch 100, 112, 128, 218, 225 Lettisch 96, 133, 214-219, 225 Lettland 82, 89, 96, 100, 111, 128, 133, 214-219, 225 liberal 51, 77, 86, 229, 249, 269, 281 Liechtenstein 76, 146 Lingua Franca 49, 66, 108, 111, 117, 119, 120, 154, 158, 171, 214, 248, 274, 284, 287-288, 290, 293, 295, 298, 302 Linguistic Landscapes 87, 103-104, 131-132 Litauen 89, 214-219, 224 Litauisch 60, 214-215, 216, 219- 220, 224 Livisch 218 LOTE 266 Lothringen 168-169 Luxemburg 115, 117, 166-170, 174-175, 180 Luxemburgisch 15, 115, 166-170 Maithili 275 makro 32, 37, 41-42, 45-46, 108, 124, 137, 143 Malaiisch 283-284, 287 Malawi 296 Malayalam 275 Malaysia 275, 282-287 Maltesisch 170 Mam 300 Mandarin 284, 287 Manipuri 275 M ori 271, 272 Marathi 275 marginalisiert 60, 91, 231, 265, 267, 277, 294 Marginalisierung 28, 61, 96, 110, 212, 215, 230, 267, 295 Mari 231 Mari El 231 Maya 300 Mazedonisch 233 Medien 40, 57, 64, 67-68, 70, 73, 76-77, 87-88, 98-99, 102-107, 112, 114, 121, 133-135, 146, 149-150, 158-159, 163, 167, 170, 174, 179, 182, 188, 193, 196, 200, 202, 204-205, 209, 216-218, 222, 224-225, 230, 238, 242-243, 250, 254, 257, 268, 270, 286, 291, 293, 297- 298, 302-303 Mehrsprachigkeit 11, 20, 32, 42- 45, 58-59, 61, 64-65, 78, 85, 87, 91, 93-95, 100, 112, 115, 117- 120, 125, 153-155, 157, 162, 165-166, 170, 172, 177, 182, 184, 197, 199, 200, 215, 217, 220, 222, 227-229, 244, 253- 254, 260, 264, 266-270, 272, 276-278, 287, 289, 292-294, 300-302, 304 Menschenrechte 32, 44, 55, 79, 81, 83-86, 91, 120 Methoden 31, 44-45, 124-126, 128-129, 130, 132, 135, 145, 190 Mexiko 299, 300-301, 304 Migranten 11, 43, 53, 58-59, 91, 95, 97, 109, 112-114, 135, 145, ā <?page no="333"?> Index 333 163, 180, 188, 191, 198, 200- 201, 215, 223, 259, 268, 270, 273, 290 Migrantensprachen 59, 78, 85, 91, 94, 97-98, 100, 102, 105, 113, 118, 132-133, 137, 152-155, 165, 200-201, 206, 248, 259, 265, 269, 290 Migration 44, 62-64, 98, 109, 112, 122, 147, 152, 188, 193, 223, 249, 251 mikro 32, 41-42, 45-46, 108, 112, 129, 143, 211 Minderheit 44, 53, 57, 59-64, 72, 74, 80-82, 85-86, 89, 91, 94-95, 98, 102, 113, 118, 123-124, 130, 149, 151-152, 160, 162-165, 173, 181-182, 188, 190, 195- 196, 209, 219-221, 223-226, 228-229, 230, 235, 237-239, 242-243, 247, 255, 277-278, 286-287, 289, 296 Minderheitensprache 20, 26, 28, 36, 43-44, 48, 50, 54, 59-60, 62- 66, 68-69, 71-72, 74-76, 78, 80- 83, 85-86, 89, 91-92, 94, 96-99, 102-103, 105, 108-111, 118, 121, 132, 134-135, 137, 143, 148,-149, 152-155, 160, 163, 165, 173-174, 177, 180-183, 187, 189, 195-196, 201-202, 206, 212, 216, 218-219, 220, 222-225, 226, 232, 233, 237- 238, 242-243, 246, 272-273, 276, 290-291, 294, 297, 304 Minderheitensprachpolitik 33, 40, 48, 59, 64-65, 74, 89, 94, 131, 136, 149-150, 162 Mocambique 297 Montenegrinisch 233, 236-238 Montenegro 235-236, 238 Motivation 46-48, 50-51, 72, 92, 96, 104, 120, 128-129, 211 Motivationskampagnen 139, 153, 205 Muslime 274 muslimisch 237 Muttersprache 37, 40, 49, 70, 77, 80, 84-86, 88, 93, 103, 116, 117, 154, 160, 165, 167-168, 202, 209-210, 220, 225, 228, 231, 244, 246-247, 249, 258, 261, 266-267, 274, 276-278, 284, 288, 290, 295, 298, 302-303 Namibia 294-295, 299 Nation 20, 42-43, 46, 55-58, 70-71, 177, 179, 183, 208, 221, 238, 264, 274-275, 278, 282-283, 287, 289, 292, 295 Nation building 58 Nationalismus 46, 50-53, 55, 58- 59, 124, 189, 191, 193, 202, 214, 227, 229, 231, 287 Nationalsprache 17, 28, 33, 39, 43, 48, 51, 57, 60, 74, 76, 89, 94, 100, 104, 109, 137, 155, 166, 168-170, 176, 207, 216, 222, 232-233, 243, 275, 277-278, 287, 290, 295, 299, 303 Nationalstaat 42, 55-58, 113, 145, 177-178, 201, 223, 227 Native Americans 258-259 Navarra 187, 189 Nepalesisch 275 Neuguinea 267 New Brunswick 180, 260, 263, 266 Niederdeutsch 11, 15, 109, 148- 149, 154, 218, 225 Niederländisch 88, 91, 93, 115, 153, 170-173, 175-176, 181, 292 Niedersachsen 148, 150 Niedersorbisch 47, 148, 150 Nigeria 292, 296-297 Nordamerika 61, 258, 264-265, 272 Nordfriesisch 62, 104, 148, 151- 152 Nordirland 200, 206-207, 211-213 Nordwest-Territorien 264-265 Normen 23-25, 28, 42, 51, 108, 110, 112, 116, 118, 129, 130, 132, 134, 230, 232, 239, 241- 242, 271 Northern Territory 267 Norwegen 65, 90, 146, 239-244, 247, 249 Norwegisch 17, 153, 239, 241-243 Nunavut 264-265 <?page no="334"?> 334 III Anhang Nynorsk 239-243 Obersorbisch 148, 150, 152 offene Sprachpolitik 22-23, 29, 31, 78-79, 134 offizielle Sprache 24, 43, 50, 76, 84, 89, 94, 108, 110, 116, 165, 168, 175, 185, 196, 200, 207- 209, 219, 221, 227, 230, 232, 236-237, 243, 246, 251, 253, 255-257, 259, 264-265, 271-272, 274-276, 281, 284-285, 288-289, 292-295, 298-300 Ökolinguistik 32-33, 59 ökolinguistisch 32-34, 105, 131, 136, 138, 140, 253-254, 301, 304 ökonomisch 44, 49, 54, 60, 65, 71- 72, 74, 95, 97, 101, 119, 154, 172, 192, 209, 232, 245, 247, 261, 267-271, 280-281, 284, 287, 292, 300 Ökosystem 32-35, 100, 137, 139, 265 Okzitanisch 181, 183, 191, 196 Oriya 275 Orthographie 25, 48, 50, 89, 103, 146, 151, 178, 218, 242, 250 orthographisch 21, 77 Ortsnamen 151, 164 Ortsschild 47, 81, 151, 164, 223 Österreich 57, 62, 108, 116, 158, 160-165, 180, 198-199, 221 Österreich-Ungarn 162 Ostfriesland 150 Pakistan 201, 274 Palästina 288-289 Paraguay 301-304 Parlament 81, 89, 91, 116, 125- 126, 158, 167, 172, 190, 203- 205, 219, 224, 241-242, 263, 272, 276, 290-291, 293 Pazifik 268, 271 Personalitätsprinzip 77, 86, 90, 243 Personennamen 87, 89, 217, 220, 251 Peru 301, 302, 304 plurizentrisch 108, 161, 165, 235, 297 Polen 42, 220-227 politisch korrekt 258-259 Polizei 87, 91, 106, 173, 217 Polnisch 17, 61, 93, 133, 153, 215, 220-225 Portugal 76, 185, 301 Portugiesisch 109, 119-120, 153, 190, 299, 301-302, 304 postkolonial 127, 214, 217, 274, 277, 294-296 postsozialistisch 104, 110, 127, 214 Prestige 24, 26, 29, 35, 50, 65-66, 68, 72, 88-89, 91-92, 96-97, 99, 102, 104-106, 109, 158, 162, 166, 168, 171, 177, 182, 190, 192, 197, 200, 215, 225, 227- 228, 231-232, 241, 244, 250, 275, 281, 285, 290, 296-298, 300 Prestigekampagne 127, 203 Prestigeplanung 25, 26, 103, 105 privat 36, 38, 40, 77, 84-85, 87-89, 91, 95-96, 98-100, 102-103, 105, 107, 113, 120-121, 135, 139, 146-148, 154, 159, 182, 204, 216, 228, 258, 285, 303-304 Punjabi 201, 275 Quebec 96, 143, 180, 216, 230, 260-266 Quechua 302, 304 Quiché 300 Rätoromanisch 25, 156-157, 159- 160 Received Pronounciation 200 Rechtschreibreform 11, 49, 50, 92, 101-103, 134, 145-146, 154, 160, 242 Rechtschreibung 18, 102, 146, 169, 178, 184 Reform 48-49, 102, 119, 134, 216, 217, 250 Regierung 35, 38, 40-42, 55, 60, 64-65, 67, 70, 81, 84, 86, 89, 102, 105, 108-109, 116, 121, 125-126, 134-135, 139, 157, 162, 169, 171-173, 182, 193, 196, 203-205, 209, 211-212, 214, 216, 217, 224, 229, 231, <?page no="335"?> Index 335 234, 237, 240, 250, 253, 262, 264-266, 268-274, 277, 280, 284, 286, 290-291, 293-294, 296, 298-299 Region 12, 30, 32, 33, 40, 42-43, 52, 55, 59, 61, 63, 70, 76, 90, 94, 108-109, 111, 115, 119, 122, 124, 127, 131-132, 137, 139, 140, 143, 148, 150, 154-155, 169, 171-172, 177-178, 180-182, 184-189, 191-193, 198, 202, 206, 209, 211, 216, 218-221, 231, 233-234, 237, 238, 247, 249, 270, 275, 277, 282-283, 304 regional 33, 35, 61, 63, 68, 70, 89- 91, 108-110, 120, 122, 143, 145, 149, 158, 161, 174-175, 177- 178, 182, 184, 186, 190, 192, 194-196, 199, 206, 218, 224- 225, 229, 231-232, 237, 243, 254, 260, 277, 295-297, 302 Regionalsprache 100, 112, 128, 179, 181-182, 188-193, 218, 220, 223, 225-226 Religion 52, 59, 61, 64, 79-81, 84, 87, 100, 104, 106, 178, 224, 289 Revitalisierung 48, 62, 65, 67, 72, 101, 206, 211, 221, 265, 270, 272 Roma 148, 152, 154, 163, 220, 235 Romanes 62, 152, 163 Ruanda 298-299 Rumänien 39 Rumänisch 235, 237 Russisch 22, 29, 93, 97-98, 104, 108, 111, 113, 118-120, 135, 153, 214-222, 227-233, 247, 291 Russisches Reich 57, 227, 244 Russland 42, 58, 98, 102, 121, 217, 221, 227-228, 230-233, 247-248, 278 Ruthenisch 220, 235, 237 Sachsen 148, 150 Samisch 65-66, 242-243, 246-247 Sanskrit 275 Santali 275 Sardisch 193-194, 196 Saterfriesisch 148, 150 Schlesisch 220, 225 Schleswig-Holstein 104, 121, 148- 149, 151 Schottland 61, 63, 200-201, 204- 207, 211, 262 Schule 11, 16, 19, 21, 23, 24, 26, 35, 37, 40-42, 68, 76, 78, 81, 82, 87, 92-95, 102-105, 110, 117, 129, 133, 135, 146, 149, 151- 153, 155, 158-160, 163, 167, 190, 193, 197-199, 201, 203, 205, 208, 212, 214-216, 218, 221-222, 225, 228, 237, 241, 246-247, 255, 264, 268-269, 272, 284, 286-288, 290, 291, 295, 300-301, 304 Schweden 49, 116, 121, 214, 239, 244-245, 247 Schwedisch 17, 89, 153, 244-248 Schweiz 25, 43, 77, 90, 108, 146, 155-158, 160-161, 167, 181, 183, 195, 303 Schweizerdeutsch 15, 156, 158, 160 Scots 109, 200, 212 Senegal 298-299 Sepedi 293 Serbien 234-238 Serbisch 233, 235-238 Serbokroatisch 235, 237 Sesotho 293 Setswana 293 Sibirien 214, 219, 227-228, 232, 258 Sindhi 275 Singapur 111, 282, 284-285, 287 siSwati 293 Skandinavien 49, 85 Slowakisch 163, 220, 235, 237 Slowenisch 62, 122, 163-164, 195- 196, 233-234 Sorbisch 11, 62-63, 94-95, 99, 100, 148, 150, 154 sowjetisch 22, 100, 214, 216, 219, 220, 222 Sowjetunion 58, 214-215, 217, 227, 229, 291 soziale Medien 88, 99, 114 <?page no="336"?> 336 III Anhang Spanien 40, 60, 63, 84, 88, 90, 109, 127, 143, 183-192, 199 Spanisch 39, 42, 83, 108, 116, 119-120, 135, 153, 184, 189- 190, 254, 257, 259, 290, 300, 302-304 Sprachdomänen 35, 67, 69, 87, 99, 101-103, 105, 107-108, 124, 131-132, 137, 151, 161, 166, 178-179, 224, 250 Spracheinstellungen 30, 34, 88, 127, 132, 135, 139, 148 Sprachenhierarchie 108-109, 111, 122, 181, 278, 291 Spracherhalt 33, 48, 59, 65, 67-68, 71-72, 74, 78, 92, 95, 109, 159- 160, 164, 197-198, 250, 266- 267, 270, 301-302 Spracherwerb 22, 24, 26, 29, 35, 69, 92-94, 102-104, 106-107, 126, 133, 203 Spracherwerbsplanung 26-27, 35, 91, 103, 106, 250 Sprachgesetz 41, 76, 77, 157, 169, 172, 187, 203, 209, 219, 221- 222, 226, 230, 232, 243, 245- 246, 262, 264, 272, 275, 300, 302-303 Sprachgesetzgebung 31, 76-77, 79, 84, 86-87, 104, 179, 223, 232, 236, 293 Sprachintervention 31 Sprachkonflikt 44, 174, 176, 251, 277 Sprachkritik 19-20, 29, 50, 98, 128, 147 Sprachkultivierung 19, 147 Sprachkultur 19-20, 22, 28-29, 44, 143, 187 Sprachmanagement 11, 15, 20-22, 29, 31, 44, 124, 129, 139, 148, 286, 301 Sprachpflege 19, 20, 22, 29, 102, 147, 161, 177, 183-184, 192, 195, 199-200, 217, 222, 230, 236 Sprachplanung 15, 18-19, 21-22, 29, 31, 35, 49, 50, 90-91, 102, 134, 147, 152, 161, 203-204, 242, 244, 246, 253, 268, 282- 283, 303 Sprachtest 113, 132-133, 216 Sprachtod 33, 59, 71 Sprachverhalten 21, 23, 31, 38, 40- 41, 46, 74, 88, 125, 127-129, 134, 137, 139, 178 Sprachwechsel 33, 44, 67, 72, 151, 159, 219, 254, 302 Sri Lanka 284 Staatssprache 76, 160, 177, 182, 216, 219, 234, 237 Standard 23, 25, 36, 49, 84, 128, 133, 145, 157, 159, 161-162, 168, 171, 177, 192-193, 200, 228, 232, 235, 241, 250, 271, 279, 283, 296-297 Standardisierung 18, 48-49, 64, 72, 77, 106, 145, 151, 158-159, 160, 175, 192-193, 199-200, 208, 227, 233-234, 238, 283 Standardsprache 37, 48, 91, 217, 235, 283 Status 24, 26, 28-29, 33, 35, 42, 44, 60, 64, 67, 70, 74, 87, 89-91, 99, 106, 108-109, 115-116, 123, 134, 136, 147, 151, 157, 159- 160, 166, 169, 187, 189, 191, 203, 206, 208, 212-213, 229- 230, 235, 238-239, 265, 268, 271-272, 274, 279, 283, 285, 288, 293, 295-297, 302-304 Statusplanung 24, 27-28, 37, 39, 43, 52, 59, 88, 106, 122, 143, 179, 183, 203, 244, 278 Steiermark 163-164 Südafrika 60, 76, 292-295, 299 Südtirol 63-64, 146, 156, 192, 195- 199 Sumatra 284 Superdiversität 112, 114, 122 Swahili 120, 295-296, 298-299 Tamilisch 275, 284, 286 Tansania 295, 298-299 Tatarisch 231 Tatarstan 231-232 Telugu 275 Territorialitätsprinzip 77, 86, 90, 155-157, 170-173, 243, 246, 261 <?page no="337"?> Index 337 Tłįchǫ (Dogrib) 265 top-down 41, 120, 203, 279 Tourismus 97, 108, 111, 131, 197, 199, 250 Tradition 12, 17, 19-21, 24, 28, 44- 45, 54-55, 59-61, 80, 84, 86, 88, 90, 94-95, 99, 108, 113, 116, 123, 125, 128-130, 143, 145, 148, 154, 160, 165, 170, 177- 179, 182-184, 187, 189, 192, 197, 199, 200-202, 206, 208, 210, 217, 219-221, 223, 230, 233-243, 247, 249-251, 253-255, 260, 274, 276, 278, 280, 283, 301, 303 transnational 113-114, 122, 124 Tschechisch 93, 108, 153, 163, 220, 237 Tshivenda 293 Türkei 76, 78, 88, 98 Türkisch 95, 98, 135, 153, 237 Übersetzer 78, 116, 146, 262 Übersetzung 27, 81, 89, 100, 112, 115, 146, 151, 170, 179, 200, 203, 205, 230, 253, 257, 262, 272, 293, 300, 302 Udmurtien 231 Udmurtisch 231 Uganda 295-296 Ukraine 180, 217, 230 Ukrainisch 215-216, 220 Unesco 67, 69, 74-75 Ungarisch 57, 62, 153, 162-163, 234-235, 237 Ungarn 102, 235 Universität 12, 35, 39, 42, 83, 93- 95, 103, 110, 117, 129, 133, 135, 143, 151, 153, 155, 162, 168, 171, 174, 188, 221, 246, 277, 283-284, 290-291, 298, 302 UNO 23, 54, 80, 85, 118-119, 122- 123 Unternehmen 36, 38, 42, 77, 85, 87, 95-97, 102, 104-105, 108, 113, 125-127, 135, 146-147, 203, 205, 216, 222, 250, 257 Urdu 201, 206, 274-275 Ureinwohner 61, 258, 260, 264- 265, 267-269, 272-273, 283 Uruguay 180, 299 USA 26, 42, 214, 219, 253-262, 265-268, 281, 290 Verfassung 76, 86, 91, 156-157, 160, 162, 173, 179, 182, 185- 186, 196, 217-218, 221, 223, 228, 230, 234, 237, 245, 286, 294, 296-297, 300, 302-303 Verkehrssprache 159, 221, 295, 298 versteckte Sprachpolitik 22, 29, 79 Verwaltung 25, 42, 55, 77, 80, 84, 87, 90, 92, 106, 139, 166, 171, 176, 178, 185, 187, 199, 206, 211, 215, 221-222, 224, 229, 232, 242, 244, 254-255, 262, 264-265, 269, 275, 284, 292, 297, 300, 303-304 Vielfalt 32, 46, 66, 83, 88, 99, 115, 117-118, 120, 123, 160, 193, 225, 227, 229-230, 260, 269- 271, 276-277, 296, 303 Võro 218 Wales 26, 121, 200-207, 211, 258 Walisisch 17, 26, 53, 56, 62, 109, 181, 200, 202-203, 205-206 Wallonie 170-172, 174-175 Weißrussisch 215, 220 Weltkrieg 18, 57, 61, 80, 119, 162, 174, 197, 214, 219-221, 224, 227, 234, 250, 254-255, 261, 272, 279-280, 282, 288, 294 Wirtschaft 16, 40, 64, 68, 77, 87, 95-96, 102-103, 106-107, 120, 154, 187, 192, 203, 216, 250, 264, 269-270, 284, 290 wirtschaftlich 40, 46, 64, 71, 109, 132, 150, 171, 187, 219, 244, 250, 270, 286, 294, 296-297 Wolof 298 Wymysiöeryś/ Wilmesaurisch 220 Xitsonga 293 Zensus 61, 63, 154, 168, 203-204, 207, 209, 211, 220, 261, 267, 274 Zweitsprache 39, 111, 119, 167, 182, 209, 250, 275, 283, 285, 291 Zypern 116 <?page no="339"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Jörg Roche Mehrsprachigkeitstheorie Erwerb - Kognition - Transkulturation - Ökologie ISBN 978-3-8233-6697-3 <?page no="340"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Claudia Maria Riehl Sprachkontaktforschung Eine Einführung narr studienbücher 3., überarbeitete Auflage 2014 246 Seiten, €[D] 22,99 ISBN 978-3-8233-6826-7 Sprachkontaktforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Sprachen in multilingualen Gesellschaften oder bei mehrsprachigen Individuen wechselseitig beeinflussen. Dies betrifft die Dynamik von sprachlichen Systemen und Wandelprozessen ebenso wie sozio- und psycholinguistische Fragestellungen. Die Einführung gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ansätze, Methoden und Grundlagendieser Forschungsrichtung. Sie beschreibt in einfacher, gut lesbarer Form die Wirkungen des Sprachkontakts und die Phänomene an der sprachlichen Oberfläche. Die 3., überarbeitete Auflage berücksichtigt die aktuellen Forschungsansätze und -entwicklungen. <?page no="341"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Mit dem „Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee“ liegt ein komplementärer Band zum „Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa“ vor. Es bietet einen konzentrierten Überblick über die Situation der deutschsprachigen Minderheiten außerhalb Europas. Acht Länderartikel (USA, Texas, Südamerika, die Mennoniten, Namibia, Südafrika, Australien, ehemalige Kolonialgebiete in der Südsee) liefern ausführliche Informationen über die historischen Entwicklungen der jeweiligen Sprachinseln, über die politische und rechtliche Lage der Minderheiten und ihre demographische Situation. Dabei wird für jedes Land eine Dokumentation der Kompetenz- und Sprachgebrauchssituation, eine Beschreibung und Analyse der soziolinguistischen Situation mit ihren je spezifischen Standard-Substandard-Verteilungen und eine Untersuchung der Spracheinstellungen der Sprecher geboten. Albrecht Plewnia, Claudia Maria Riehl (Hrsg.) Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee 201 , 300 Seiten, €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6928-8 6 a c . <?page no="342"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Albert Busch / Oliver Stenschke Germanistische Linguistik 3., überarb. und erw. Auflage 2014 VIII, 263 Seiten, €[D] 16,99 / SFr 24,00 ISBN 978-3-8233-6855-7 Die bewährte Einführung in die germanistische Linguistik ist speziell auf die Bedürfnisse der modularisierten Studiengänge zugeschnitten. Sie ist in 14 Einheiten gegliedert, die sich an einem typischen Semesterplan orientieren und somit direkt für Lehrveranstaltungen im Rahmen eines „Basismoduls Germanistik“ bzw. „Germanistische Linguistik“ verwendet werden können. Sie beziehen sich auf die übergeordneten Themenbereiche „Sprache als System“ und „Sprache im Gebrauch“. Die einzelnen Einheiten dienen zum einen der Vermittlung von Basiswissen, zum anderen dem Erwerb der Kompetenz, dieses Wissen selbständig anzuwenden. Sie sind daher gegliedert in einen wissensvermittelnden Teil mit klar abgesetzten Definitionen und einen Übungsteil. Zu beidem gibt es auf der begleitenden Homepage www.bachelor-wissen.de ergänzende Angebote, mit denen die erworbenen Kompetenzen vertieft werden können. Für die 3. Auflage wurde insbesondere das Kapitel zur Pragmatik gründlich überarbeitet. „Das Buch bietet für Anfangssemester eine sehr gut verständliche Einführung.“ ekz-Informationsdienst <?page no="343"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Matthias Granzow-Emden Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten bachelor-wissen 2., überarbeitete Auflage 2014 X, 310 Seiten €[D] 17,99 / SFR 25,40 ISBN 978-3-8233-6883-0 Diese neuartige Einführung in die deutsche Grammatik verbindet schulgrammatisches Wissen und neuere Grammatikmodelle in anschaulicher und verständlicher Weise miteinander. Insbesondere Lehramtsstudierende können sich damit die Kenntnisse und Kompetenzen aneignen, die sie für ihr Studium und ihren künftigen Beruf brauchen; erfahrene Lehrkräfte bekommen wichtige Impulse für neue Wege im Deutschunterricht. Die funktional orientierten Erklärungen und die zahlreichen systematisch gestalteten Tabellen im Bereich der Verben, Nomen/ Nominalgruppen, Präpositionen und Pronomen eignen sich darüber hinaus für DaF-/ DaZ-Kurse sowie für die autodidaktische Aneignung des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache. <?page no="344"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Michael Szurawitzki, Ines Busch-Lauer, Paul Rössler, Reinhard Krapp Wissenschaftssprache Deutsch international, interdisziplinär, interkulturell XII, 412 Seiten € 64,- ISBN 978-3-8233-6944-8 Wie international, interdisziplinär und interkulturell ist Deutsch als Wissenschaftssprache? Der Band beleuchtet diese Frage durch aktuelle Forschungsbeiträge aus verschiedenen Perspektiven. Neben der diachronen und synchronen Entwicklung des Deutschen als Wissenschaftssprache wird ihre heutige Rolle in verschiedenen Fachdisziplinen und Ländern diskutiert. Kontrastive Studien zeigen auf, welche Probleme sich bei der Rezeption und Produktion von deutschen Wissenschaftstexten für Muttersprachler und Nichtmuttersprachler ergeben und wie diese durch Text- und Diskursanalysen thematisiert werden können. Der Band beinhaltet ausgewählte Beiträge der Tagung "Wissenschaftssprache Deutsch - international, interdisziplinär, interkulturell", die vom 2.-4. Juli 2014 an der Universität Regensburg stattfand. Er richtet sich insbesondere an Linguisten und Germanisten, aber auch an Entscheider in Bildungsinstitutionen und an Leser, die sich für Sprachentwicklung, Sprachvermittlung und Sprachpolitik interessieren. <?page no="345"?> Sprach(en)politik Heiko F. Marten Eine Einführung Ob es um die Rechtschreibreform geht, um Anglizismen im Deutschen oder um den Umgang mit Migranten- oder Minderheitensprachen - Debatten und Meinungen zu Sprache(n) und Sprachformen sind Teil unseres Alltages. Dass Sprache auch Gegenstand der Politik ist, also Sprache und das Verhältnis von Sprachen in der Gesellschaft - bewusst oder unbewusst - gesteuert werden, wird dagegen in deutschsprachigen Kontexten eher selten thematisiert. Diese Einführung gibt einen Überblick über Ansätze, Praktiken, Theorien und Perspektiven auf wichtige Bereiche der Sprach(en)politik. Der erste Teil erläutert den theoretischen Hintergrund, der zweite Teil stellt eine Reihe von Ländern vor, die beispielhaft für wichtige Ansätze der sprachpolitischen Praxis stehen, aber auch nach ihrer Bedeutung für die größten philologischen Fächer (Germanistik, Anglistik, Romanistik) ausgewählt wurden. Damit liegt die erste systematische deutschsprachige Einführung in ein Thema vor, das international seit langem ein großes Maß an Aufmerksamkeit erhält. Sie richtet sich an Studierende und Lehrende sprachwissenschaftlicher Fächer und Nachbardisziplinen ebenso wie an Akteure der sprachpolitischen Praxis. Marten Sprach(en)politik
