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Mustergebrauch bei Goodman und Wittgenstein

Eine Studie zum Verhältnis von Beispiel und Regel

0617
2009
978-3-8233-7500-5
978-3-8233-6500-6
Gunter Narr Verlag 
Elisabeth Birk

Mustergebrauch ist der Schlüssel für das Regelproblem der Sprachphilosophie. Dieser Gedanke läßt sich im Rückgriff auf Goodman und den späten Wittgenstein entfalten, die das Verhältnis von Beispiel und Regel - bei allen Unterschieden - in vergleichbarer Weise aus pragmatischer Perspektive neu bestimmt haben: Wenn man Sprachgebrauch von der Performanz her bestimmt, kommt entscheidende Bedeutung der Frage zu, ob und in welchem Sinn der Sprachgebrauch die Regeln erst hervorbringt, denen er unterliegt. Mit anderen Worten: Man steht vor dem ontologischen Problem der impliziten Regel. Faßt man Sprachgebrauch als einen bestimmten Typ von Mustergebrauch auf, ist dieses Problem zu lösen, denn in einer solchen Darstellung läßt Sprachgebrauch sich nicht nur als Handlung verstehen, sondern darüber hinaus problemlos nominalistisch interpretieren.

<?page no="0"?> KODIKAS / CODE Supplement 30 Elisabeth Birk Mustergebrauch bei Goodman und Wittgenstein Eine Studie zum Verhältnis von Beispiel und Regel Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="1"?> Mustergebrauch bei Goodman und Wittgenstein <?page no="2"?> KODIKAS / CODE Supplement 30 Herausgegeben von Achim Eschbach Ernest W. B. Hess-Lüttich Jürgen Trabant <?page no="3"?> Elisabeth Birk Mustergebrauch bei Goodman und Wittgenstein Eine Studie zum Verhältnis von Beispiel und Regel Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. D 82 (Diss. RWTH Aachen, 2007) © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Ilmprint, Langewiesen Printed in Germany ISSN 0941-0139 ISBN 978-3-8233-6500-6 <?page no="5"?> Vorwort Eine ganze Reihe von Personen hat zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Ihnen allen möchte ich hier für ihre fachliche und seelische Unterstützung danken. An erster Stelle ist mein Doktorvater Christian Stetter zu nennen, ohne den dieser Text nicht geschrieben worden wäre. Seine Kritik und sein Vertrauen haben mir den Mut und die Methode dazu an die Hand gegeben. Mein Dank gilt ebenfalls Andrea Esser, meiner Zweitgutachterin, und Ludwig Jäger, die mir neue Perspektiven auf vielleicht zu vertraut gewordene Probleme eröffnet haben. Viele Anregungen verdanke ich auch den Diskussionen mit meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen in Aachen, insbesondere Mareike Buss, Sonja Häffner, Jörg Jost, Robert Koch und Jan Schneider. Was meinen Blick auf Wittgenstein (und einiges andere) angeht, so wurde er wesentlich von den Lehrveranstaltungen Élisabeth Rigals geprägt. Dieses Buch ist meiner Familie gewidmet, ohne die weder ich noch das Manuskript jetzt in brauchbarem Zustand wären. Aachen, Dezember 2008 Elisabeth Birk <?page no="7"?> Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Muster und Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1.1 Die Ausgangsfrage: Was heißt „das Gleiche tun“? . . . . . . . . . . . 7 1.1.2 Der Themenbereich: Mustergebrauch, Induktion und Regelfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.3 Die Ebenen der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.2 Der historische Anknüpfungspunkt: Beispiele als Mittel der Darstellung bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.3 Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs . . . . 23 1.3.1 Die Frage der Vergleichbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.3.2 Gemeinsamkeiten in den Voraussetzungen: Die pragmatische Verankerung der Goodmanschen Symboltheorie . . . . . . . . . . . . 25 1.3.3 Revision und Therapie: Das unterschiedliche Verhältnis zur Tradition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3.4 Gemeinsamkeiten in den Konsequenzen: „Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2 Goodmans Begriff der Exemplifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.1 Mustergebrauch in symboltheoretischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2 Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art . . . 47 2.2.1 Denotation und Exemplifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.2.2 Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.2.3 Arbitrarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.3 Der systematische Ort der Exemplifikation in Languages of Art . . . . . 56 2.3.1 Funktionen der Exemplifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.3.2 Exemplifikation als Symptom des Ästhetischen . . . . . . . . . . . . . 57 2.4 Exemplifikationssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.4.1 Symboltheoretische Eigenschaften von Exemplifikationssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.4.2 Sagen und Zeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.5 Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch. . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.5.1 Exemplifikation und die Modellierung von Symbolgebrauch . 69 2.5.2 Die semantische Ebene: Exemplifikation und Repräsentation-als . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 <?page no="8"?> 4 Inhalt 2.5.3 Das Problem der „reinen“ Denotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.5.4 Die syntaktische Ebene: Type und Token . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.5.5 Der Geltungsbereich der getroffenen Unterscheidungen . . . . . 80 2.6 Der Status der Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.6.1 Nominalismus und Extensionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.6.2 Ontologische Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3 Goodmans Theorie der Projektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.1 Symbolgebrauch als Projektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.2 Exemplifikation und das Problem der „guten Probe“ . . . . . . . . . . . . . . 94 3.3 Goodmans Neufassung des Induktionsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.3.1 Dispositionen, Konditionalsätze und das Problem der Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.3.2 Das „grue“-Paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.3.3 Kritik am „grue“-Paradox und seiner Auflösung . . . . . . . . . . . . 113 3.3.3.1 Das Problem der Positionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.3.3.2 Das Problem der natürlichen Arten . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.3.3.3 Das Problem der alternativen Systeme . . . . . . . . . . . . . . 125 3.3.4 Verankerung und Innovation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.4 Die Dimension der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3.4.1 Mustergebrauch und Induktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3.4.2 Projektion und Kalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4.1 Die Frage des Mustergebrauchs im Kontext des Regelproblems . . . . . 137 4.2 Regelfolgen als Spiel und Kalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.2.1 Zum Verhältnis von Tractatus und Spätphilosophie . . . . . . . . . 142 4.2.2 Das augustinische Sprachbild und der Aufbau des Anfangsteils der Philosophischen Untersuchungen. . . . . . . . 144 4.2.3 Die „Methode des § 2“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4.2.4 Die prototypische Gegenposition: Die Sprachauffassung des Tractatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4.2.5 Die Kritik der hinweisenden Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4.2.6 Die Sprachspielmetapher: Ein neues Paradigma für den Regelbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.3 Regelfolgen als Mustergebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 <?page no="9"?> Inhalt 5 4.3.1 Die symboltheoretischen Eigenschaften des Mustergebrauchs . 163 4.3.2 „Das Gemeinsame sehen“: Das Problem der Schemabildung . . 168 4.3.3 Das Muster als Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4.3.4 Grammatische Sätze und Erfahrungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5.1 Das Gespenst des Skeptizismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5.2 Das Paradox des Regelfolgens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.2.1 Das Paradox des § 201 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.2.2 Kripkes Wittgenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5.2.3 Die Kritik an Kripkes Deutung des Paradoxons . . . . . . . . . . . . . 191 5.2.4 Wittgensteins Paradox und Goodmans „new riddle of induction“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5.3 Das Privatsprachenargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.3.1 Eine skeptische Lösung? Die Funktion des Privatsprachenarguments in den Philosophischen Untersuchungen . . . . . . . . . . 199 5.3.2 Die Unmöglichkeit einer privaten Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5.4 Projektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.4.1 Projektion als Metapher für Regelfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.4.2 Regel und Regelmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6 Mustergebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.1 Symbolgebrauch als Mustergebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.2 Wissensstrukturen: Das Problem des Relativismus . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6.3 Beispiel und Bild: Das Problem der Evidenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 6.4 Typisierung: Das Problem der Referenz nicht-typisierter Symbole . . 229 6.5 Die Grenzen des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 7 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 7.1 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 7.2 Weitere Werke Goodmans und Wittgensteins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 7.3 Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 <?page no="11"?> 1 Einleitung 1.1 Muster und Regel 1.1.1 Die Ausgangsfrage: Was heißt „das Gleiche tun“? Was heißt „das Gleiche tun“? In Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen ist das eine der Fragen, die seine Analysen des Regelfolgens anleiten. Sie bezieht sich auf den Umstand, daß „[d]ie Verwendung des Wortes „Regel“ […] mit der Verwendung des Wortes „gleich“ verwoben [ist].“ (PhU § 225) - Die Regel legt fest, was als gleich gilt, und umgekehrt legt die Sukzession des Gleichen fest, was als regelhaft gilt. Dieses Wechselspiel von Regel und Anwendung genauer zu fassen, ist eine der wichtigsten Aufgaben, wenn man Sprachgebrauch als soziale Praxis philosophisch beschreiben möchte. Wer Sprachgebrauch als außerhalb dieser Praxis fundiert auffaßt, etwa im Sinne einer Ableitung von Performanz aus Kompetenz, für den wird sich die Frage nach dem Verhältnis von Regel und Anwendung so nicht stellen, da der logische und ontologische Status der Regel als vorgängiger Struktur und der Anwendung der Regel als bloßer Ausführung dann unproblematisch sind. Lehnt man eine solche Fundierung ab, kehrt sich die Situation um: Die Frage ist dann, ob und in welchem Sinn symbolische Techniken die Regeln erst hervorbringen, denen sie unterliegen. Das ist das Thema der vorliegenden Arbeit: Sie versucht zu bestimmen, wie unter nominalistischen Voraussetzungen das Verhältnis von Regel und Anwendung im Sprachgebrauch beschrieben werden kann. Kerngedanke ist dabei, daß Mustergebrauch als Modell für dieses Verhältnis aufgefaßt werden kann - denn daß etwas als Muster gebraucht wird, besagt eben, daß der Einzelfall bzw. das Beispiel als Regel fungiert. 1 Die Beschreibung von Mustergebrauch, die im folgenden vorgelegt wird, orientiert sich an zwei Autoren, die in ihrer Analyse von Symbolgebrauch den Gestus der Fundierung prinzipiell ablehnen: an Goodman und dem späten Wittgenstein. 2 Bei beiden spielt die Frage des Mustergebrauchs eine zentrale Rolle; bei Wittenstein im Rahmen seiner Analyse des Regelfolgens, wo es um 1 Wo es im folgenden ausdrücklich nicht um isoliert betrachtete Akte der Exemplifikation geht, sondern um die Übertragung von Beispielen auf weitere Fälle, habe ich eher die Bezeichnung „Mustergebrauch“ gewählt als die traditionellere Rede von „Beispielen“; aber damit soll kein strenger terminologischer Unterschied eingeführt werden. „Muster“ und „Beispiel“ können in vielen Kontexten auch als Synonyme verwendet werden. 2 Im folgenden ist, wo nicht anders angegeben, immer vom späten Wittgenstein die Rede, d.h. von den Arbeiten, die ab ca. 1933 entstanden sind. Zur üblichen Einteilung der Wittgensteinschen Werke vgl. von Wright (1986 [1982]: 36f.) und Glock (1996: 23). <?page no="12"?> 8 Einleitung Erwerb und Status der Regel sowie das Verhältnis von grammatischen Sätzen und Erfahrungssätzen geht; bei Goodman unter der Bezeichnung „Exemplifikation“ in der Mehrzahl seiner Fallstudien und seinen Analysen der Projektion von Beispielen auf neue Anwendungsfälle, wie etwa in seiner Untersuchung des Induktionsproblems. Die vorliegende Arbeit zeigt, daß Wittgensteins Überlegungen zur Frage des Regelfolgens und Goodmans Überlegungen zur Frage der Projektion sich zum Gesamtbild einer symboltheoretischen Beschreibung von Mustergebrauch zusammenfügen lassen, die eine Neufassung des Verhältnisses von Beispiel und Regel beinhaltet, und daß Mustergebrauch in diesem Sinne ein Modell für Sprachgebrauch sein kann. Dazu ist vorgängig plausibel zu machen, daß man Goodman und Wittgenstein überhaupt sinnvoll auf einander beziehen kann, denn ein solches Vorhaben scheint auf den ersten Blick wenig naheliegend. Man rechnet Goodman mit Quine zu denjenigen Vertretern der analytischen Philosophie, die philosophische Probleme mit Mitteln der formalen Analyse angehen (vgl. z.B. Cohnitz/ Rossberg 2006: 3); 3 für den späten Wittgenstein und die Vertreter einer Ordinary Language Philosophie, die an seine Arbeiten anknüpfen, ist dagegen der Rückgang auf die Alltagssprache der Schlüssel zur Lösung philosophischer Probleme (vgl. z.B. von Savigny 1969: 10). Goodmans allgemeine formale Theorie des Symbolgebrauchs, für die Symbole über ihre Bezugnahme bzw. Referenz definiert sind, scheint mit Wittgensteins Beschreibungen von Sprachspielen in der Vielfalt ihrer Funktionen weder in der Methode noch in der Themenstellung viel gemein zu haben, so daß man sie eher als konkurrierende Herangehensweisen denn als komplementäre Auffassungen einschätzen würde. Tatsächlich ist aber genau das letztere in vieler Hinsicht der Fall: Goodmans Symboltheorie setzt das voraus, was Wittgenstein in der Hauptsache thematisiert - die pragmatische Einbettung von Symbolgebrauch. Umgekehrt stellt Goodman ein formales Vokabular zur Verfügung, das Referenzverhältnisse erfassen kann, die bei Wittgenstein im großen und ganzen unthematisch bleiben. Diese Lektüre stützt sich hinsichtlich der Interpretation Goodmans in wichtigen Teilen auf die Arbeiten Ch. Stetters (2005a und 2005b), der Mustergebrauch als zentralen Begriff einer nominalistischen Sprachauffassung verstanden und die Konsequenzen einer solchen Auffassung für den Systembegriff der Sprachwissenschaft dargestellt hat. Hinsichtlich der Interpretation des späten Wittgenstein orientiert sie sich u.a. an Gedanken von H.-J. Glock, A. Kenny, S. Krämer, É. Rigal und H. J. Schneider, ohne sich einer dieser Interpretationen in allen Teilen anzuschließen. Die nun folgenden Abschnitte der Einleitung geben vorab eine Übersicht über die Themenstellung (1.1.2), über die Ebenen der Untersuchung (1.1.3), über einige historische Aspekte der Problemstellung (1.2) und über die all- 3 Die Formulierung paraphrasiert die Einschätzung von Sturma (1991: 193). <?page no="13"?> Muster und Regel 9 gemeine Frage der Vergleichbarkeit von Goodmans Symboltheorie und Wittgensteins Sprachauffassung (1.3); die oben genannten Probleme, die einem Vergleich entgegenzustehen scheinen, werden darin z.T. gelöst, z.T. relativiert. Daß sich aus den beiden Ansätzen tatsächlich ein Gesamtbild von Mustergebrauch ergibt, wird naturgemäß erst aus den folgenden Überlegungen insgesamt hervorgehen. 1.1.2 Der Themenbereich: Mustergebrauch, Induktion und Regelfolgen In einem bekannten Fallbeispiel Wittgensteins wird einem Schüler beigebracht, eine Zahlenreihe fortzusetzen: Der Schüler beherrscht jetzt - nach den gewöhnlichen Kriterien beurteilt - die Grundzahlenreihe. Wir […] bringen ihn dahin, daß er z.B. auf Befehle von der Form „+n“ Reihen der Form 0, n, 2n, 3n, etc. anschreibt; auf den Befehl „+1“ also die Grundzahlenreihe. - Wir hätten unsere Übungen und Stichproben seines Verständnisses im Zahlenraum bis 1000 gemacht. Wir lassen nun den Schüler einmal eine Reihe (etwa „+2“) über 1000 hinaus fortsetzen, - da schreibt er: 1000, 1004, 1008, 1012. Wir sagen ihm: „Schau, was Du machst! “ - Er versteht uns nicht. […] Oder nimm an, er sagte, auf die Reihe weisend: „Ich bin doch auf die gleiche Weise fortgefahren! “ […] (PhU § 185) Das Fortsetzen einer Zahlenfolge dient in den Philosophischen Untersuchungen als Fallbeispiel, um allgemeine Probleme des Regelfolgens zu demonstrieren - immer letztlich mit dem Ziel, Züge herauszuarbeiten, die auf den Gebrauch von Sprache übertragbar sind. Zahlenfolgen eignen sich dazu deshalb, weil ihre Erzeugung unstrittig regelgeleitetes Verhalten darstellt; die entsprechende Regelformulierung ist mit Hilfe von Elementen aus einer gängigen formalen Sprache leicht zu konstruieren. Es gibt nur eine richtige Anwendung der Regel, und es herrscht in der Praxis kein Dissens darüber, was als solche gilt: „Es kommt“, wie Wittgenstein an anderer Stelle formuliert, „darüber z.B. nicht zu Tätlichkeiten“ (PhU § 240). Das Fortsetzen einer Zahlenfolge entspricht Sprachspielen insofern, als die Handlung nur über die Regel definiert ist - es handelt sich nach einer inzwischen eingebürgerten Unterscheidung Searles um „konstitutive“, nicht um „regulative“ Regeln. 4 Dabei unterliegt die Handlung aber sehr viel strengeren Bedingungen als die meisten Sprachspiele. 4 „Regulative Regeln regeln etwas, das es schon vor ihrer Aufstellung und daher unabhängig von ihnen gibt. […] Konstitutive Regeln dagegen bringen […] Handlungen in die Welt, die es im Zustand vor ihrer Einführung noch nicht gab.“ (Schneider 2002: 142) Vgl. Searle (1969: 33f.). <?page no="14"?> 10 Einleitung Die Argumentationsfigur bei diesem Fallbeispiel ist daher die folgende: Was bereits in diesem einfachen Fall problematisch ist, ist es um so mehr bei Regeln, für die diese Einschränkungen nicht gelten. 5 Das merkwürdige Verhalten des Schülers, das Wittgenstein hier in Szene setzt, soll offensichtlich die Frage aufwerfen, was die korrekte Fortsetzung der Reihe letztlich garantiert und woher man weiß, was als korrekte Fortsetzung der Reihe zu gelten hat. Die Fragestellung erscheint im ersten Moment befremdlich, da der Fall der Zahlenreihe eben eine einfache Antwort auf diese Frage suggeriert, etwa durch das Angeben der Regelformulierung. Um die Pointe der wittgensteinschen Fragestellung hier zu sehen, ist es notwendig, zunächst einige allgemeine Überlegungen zum Regelbegriff anzustellen. S. Krämer hat die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts nach der Position der Autoren zur Frage nach dem ontologischen Status der Regel bzw. nach der jeweiligen Bestimmung des Verhältnisses von „Schema/ Muster/ Regel“ und „Gebrauch/ Aktualisierung/ Anwendung“ (Krämer 2001: 263) eingeteilt: „Intellektualistische“ oder „Zwei-Welten-Modelle“ (vgl. Krämer 2001: 10), die sie Saussure, Chomsky, Searle und Habermas zuschreibt, gehen von einem ontologischen Primat der Regel gegenüber der Anwendung aus, „nicht-intellektualistische“ Sprachtheorien (vgl. Krämer 2001: 10) - Wittgenstein, Austin, Luhmann, Derrida u.a. - zeichnen sich dagegen dadurch aus, daß Regel und Anwendung für sie auf derselben Ebene liegen (Krämer 2001: 269). Krämer hat ebenfalls darauf hingewiesen, daß die Frage nach dem ontologischen Status der Regel für medientheoretische Überlegungen zentral ist: „Zwei-Welten-Modelle“ (vgl. Krämer 2001: 10) müssen medientheoretische Fragen ausblenden, medientheoretische Überlegungen können nur an die von ihr favorisierten „nicht-intellektualistischen“ Sprachtheorien anknüpfen. Wittgenstein gilt in diesem Szenario zu Recht als einer derjenigen, die die Frage nach den apriorischen Bedingungen der Erkenntnis konsequent als sprach- und handlungstheoretische reformuliert und damit die Performanz gegenüber der Kompetenz rehabilitiert haben. Sein Bild von der „Maschine als Symbol ihrer Wirkungsweise“ beschreibt pointiert die merkwürdige Dynamik, die die Vorstellung einer schlichten Ableitung von Performanz aus Kompetenz entwickelt. Die Maschine als Symbol ihrer Wirkungsweise: Die Maschine - könnte ich zuerst sagen - scheint ihre Wirkungsweise schon in sich zu haben. Was heißt das? - Indem wir die Maschine kennen, scheint alles übrige, nämlich die Bewegungen, welche sie machen wird, schon ganz bestimmt zu sein. […] So aber reden wir nicht, wenn es sich darum handelt, das wirkliche Verhalten einer Maschine vorauszusagen. Da vergessen wir, im allgemeinen, nicht die Möglichkeit der Deformation der Teile, etc. (PhU § 193) 5 Zum Verhältnis von sprachlichen und mathematischen Regeln bei Wittgenstein vgl. Kap. 4. <?page no="15"?> Muster und Regel 11 Das Bild der Maschine als eines körperlosen Mechanismus, der seine Funktionsweise vollständig enthält, steht in den Philosophischen Untersuchungen für diejenige Auffassung des Regelfolgens, gegen die Wittgenstein seine Analysen entwirft. Im Maschinensymbol wird die Dimension der Anwendung der Regel, der Performanz, negiert, um in einer Kompetenz aufzugehen, die ihrerseits immateriell, jenseits medialer Vermittlung vorgestellt wird. Mit der Rehabilitierung der Performanz fällt die Vorstellung von einem ontologischen Primat der Regel; sie erzeugt allerdings ein Dilemma, das den logischen Status der Regel betrifft. Es läßt sich am besten mit Hilfe der Ryleschen Unterscheidung von „knowing how“ und „knowing that“, von intelligenter Praxis und theoretischem Wissen, formulieren (vgl. Ryle 1990 [1949]: 28ff.). Das Dilemma, das sich aus dieser Unterscheidung für die Beschreibung von Symbolgebrauch ergibt, ist das folgende: Optiert man mit Ryle dafür, dem „knowing how“ eine Autonomie einzuräumen, es also nicht auf ein „knowing that“ zurückzuführen, muß man entweder dafür plädieren, daß ein solches Können schlicht nicht regelgeleitet ist, d.h. bestenfalls empirische Regelmäßigkeit aufweist, oder es doch wieder mit einem „knowing that“ in Verbindung bringen. Wer sich für die zweite Möglichkeit entscheidet wird - wie H.J. Schneider (2002: 143) notiert - „von so genannten impliziten Regeln [sprechen], von denen man sich vorstellt, sie seien in irgendeinem Sinne vorhanden, sie seien nur nicht formuliert.“ Die Frage ist dann, ob und in welchem Sinne man sagen kann, daß solche impliziten Regeln sprachlichen Handlungen zugrundeliegen, und welches Verhältnis man zwischen der impliziten Regel und ihrer nachträglichen expliziten Formulierung annimmt. Als die klassische Analyse der letzteren Frage gilt Max Blacks The Analysis of Rules. Er weist nach, daß Regeln und ihre Formulierungen gerade nicht äquivalent sind: Man kann etwa dieselbe Regel unterschiedlich ausdrücken, sie übersetzen etc., ihr also unterschiedlichste Regelformulierungen zuordnen; man kann eine Regel brechen, nicht aber eine Regelformulierung, auch nicht eine Klasse äquivalenter Regelformulierungen (vgl. Black 1962a: 101f.). Mit anderen Worten, „Regeln“ und „Regelformulierungen“ unterscheiden sich in ihrer logischen Grammatik (vgl. Black 1962a: 102). Ist das Formulieren von Regeln in diesem Sinn als selbständiges Sprachspiel zu werten, wird die Annahme impliziter Regeln zum nachträglichen Erklärungsgerüst eines Beobachters von außen: Für Black kann man von impliziten Regeln dann auch nur sprechen, wenn es entweder explizite Regeln gibt, aus denen Regeln logisch folgen, die selbst nicht explizit formuliert sind (vgl. Black 1962a: 126f.), oder wenn man Verhaltensweisen beobachtet, die denen des Regelfolgens streng analog sind, zu denen es aber keine formulierten Regeln gibt und die auch nicht aus solchen folgen (vgl. Black 1962a: 128ff.); sie müssen, um als implizite Regeln zu gelten, von einem Beobachter formulierbar sein (vgl. Black 1962a: <?page no="16"?> 12 Einleitung 131). H.J. Schneider, der eine vergleichbare Konzeption der wissenschaftlichen Regelformulierung als „Beschreibung des fremden Könnens“ (Schneider 2002: 148) vorgelegt hat, zieht daraus den Schluß, daß die Rede von impliziten Regeln keine Erklärungskraft hat: „Das Handelnkönnen beruht nicht auf der Regelkenntnis. Die Redeweise, es beruhe auf einer Kenntnis der impliziten Regeln, verwischt die hier notwendigen Unterscheidungen.“ (Schneider 2002: 145) Natürlich folgt aus dieser Auffassung keineswegs, die Formulierung der Regel sei beliebig - vielmehr erscheint das Formulieren einer Regel als Sprachspiel mit seinen eigenen Standards der Richtigkeit: Wissen wird selbst als eine bestimmte Form des Könnens aufgefaßt, als „Antwortenkönnen“ wie Schneider (2002: 130) formuliert. Das Formulieren der Regel ist damit letztlich, wie L. Jäger (2002: 32) hervorhebt, eine Konstitutionsleistung, die ein „Können“ allererst als Anwendung dieser Regel „lesbar“ macht. Ein Versuch, das Verhältnis von Regel und Regelformulierung zu bestimmen, führt also zu einer Problematisierung des Begriffs der impliziten Regel. Das könnte den Schluß nahelegen, daß der Begriff grundsätzlich unbrauchbar und die Unterscheidung zwischen Regel und Anwendung letztlich hinfällig ist. Einer solchen Position scheint S. Krämer zuzuneigen, wenn sie schreibt, daß „die Unterscheidung von System bzw. Regel und deren Aktualisierung bzw. Anwendung nicht sinnvoll […] ist, wenn es darum geht, über das Verhältnis von Sprache und Sprechen aufzuklären.“ (Krämer 2002: 98) Eine solche Konsequenz ist aber keineswegs zwangsläufig. Es ist nicht einmal zwangsläufig so, daß man unter allen Umständen die Rede von impliziten Regeln vermeiden müßte - denn als vorläufige Benennung eines Problems ist sie sicher angebracht, wenn auch offensichtlich nicht als Beschreibung von dessen Lösung. Orientiert man sich an Wittgensteins oben zitiertem Beispiel des Schülers, wird klar, weshalb: In einem Fall wie der Zahlenreihe würden wir nicht auf den Gedanken kommen, der Begriff der Regel kürze sich praktisch weg, denn das erforderliche Formulierungssprachspiel ist uns vertraut. So führen Wittgensteins Überlegungen in der zitierten Bemerkung darauf hin, daß das Verhältnis von Regel und Regelformulierung an dieser Stelle gerade nicht das zentrale Problem darstellt. 6 Entsprechend liegt die Schwierigkeit für den Sprachgebrauch und andere Fälle von Symbolgebrauch nicht darin, daß kein Konsens über die Untersuchungsebene besteht, auf der die Regel zu formulieren wäre, bzw. über die Notation, in der diese Formulierung erfolgen sollte. 6 Wittgenstein unterscheidet terminologisch nicht zwischen Regeln und Regelformulierung. Der Sache nach hat das Problem der Regelformulierung in den Philosophischen Untersuchungen seinen Ort, wo es um die philosophische Beschreibung des Sprachgebrauchs geht; die Formulierung der Regel steht hier in Konkurrenz zur „übersichtlichen Darstellung“ (vgl. 1.3.3). <?page no="17"?> Muster und Regel 13 Die Pointe der Wittgensteinschen Fragestellung ist gerade, daß auch für einen solchen Fall zu klären bleibt, was die Regelhaftigkeit dieses Handelns ausmacht und worauf die Verbindlichkeit der Regel beruht. Mit anderen Worten besteht die Aufgabe darin, ein Modell zu entwerfen, das regelgeleitetes Handeln von bloß regelmäßigem Verhalten unterscheidet, ohne auf vorgängiges Regelwissen zu rekurrieren - zumal die Regelmäßigkeit im Handeln sicher ein wichtiges Kriterium dafür darstellen wird, daß wir eine entsprechende Regelformulierung suchen. Die Frage nach impliziten Regeln des Handelns führt so auf Fragestellungen, die mit klassischen empiristischen Überlegungen eine gewisse Familienähnlichkeit aufweisen - auf das Problem, wie, paradox gesagt, apriorische Strukturen aus Erfahrung hervorgehen und wie sie - etwa in induktiven Schlüssen - übertragbar werden. An dieser Stelle gewinnt die Beschreibung von Mustergebrauch für die Analyse von Symbolgebrauch entscheidende Bedeutung - sie kann den Schlüssel dafür liefern, wie „das System nicht hinter, sondern in der Performanz zu suchen“ ist (Stetter 2005b: 12). Goodman und Wittgenstein werden hier gelesen, als würden sie beide - bei allen Unterschieden in der Schwerpunktsetzung und im Erkenntnisinteresse - das Humesche Problem wiederaufnehmen und ihm eine sprachphilosophisch geprägte Wendung geben. 7 In Wittgensteins Überlegungen zur Frage des Regelfolgens verbinden sich Analysen zu Begriffen, die geistige Vorgänge bezeichnen, mit Varianten des Induktionsproblems: Was außer dem vergangenen und gegenwärtigen Verhalten des Schülers zeigt, daß ein Verstehen stattgefunden hat? Wie kommt der Schüler von den „Übungen und Stichproben“ zu einem allgemeinen Verständnis der Regel „+n“? Was am Umgang mit den Zahlen bis 1000 zeigt, daß eine bestimmte Fortsetzung für Zahlen über 1000 richtig ist? Wie läßt sich das für den Schüler begründen - nur im Rückgriff auf die gängige Praxis, also letztlich auf eine bestimmte Lebensform? Im Kontext von Wittgensteins Überlegungen treffen sich in diesem Fallbeispiel das Problem der Innerlichkeit des Subjekts, das Problem des Regelerwerbs, das Paradox von Regel und Anwendung und die Frage der Lebensformen. Diese Problemstellungen bilden den Kontext der Frage, die hier als diejenige des Mustergebrauchs bezeichnet wird - die Frage, wie etwas Empirisches als Maßstab, ein Erfahrungssatz als grammatischer, der Umgang mit Zahlen bis 1000 als Vorgabe für den Umgang mit Zahlen über 1000 dienen kann. Die Ablehnung einer fundierenden Subjektinstanz, die Inszenierung von Regel- 7 Genauer gesagt: Symbolgebrauch als Mustergebrauch ist auf der Ebene der Zeichengestalt (der syntaktischen Ebene im Sinne Goodmans) eine sprachphilosophische Übertragung des Induktionsproblems; auf der semantischen Ebene ist das Induktionsproblem ein Spezialfall des allgemeinen Projektionsproblems (vgl. 5.2.4). <?page no="18"?> 14 Einleitung erwerb als Abrichtung, der irreduzible Handlungscharakter des Regelfolgens und die Verbindung von Sprache und Lebensform als Endpunkt der Erklärung - alle diese Auffassungen sind Gegenstand der Philosophischen Untersuchungen und anderer Texte Wittgensteins; sie stehen im Horizont einer Sprachauffassung, die den Sprachgebrauch als entscheidend für die Bedeutung von Ausdrücken ansieht, und darauf abzielt, die pragmatischen Regeln, die diesem Gebrauch implizit sind, punktuell durch bestimmte Verfahren explizit zu machen. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Sprachauffassung eine auf das Induktionsproblem bezogene Interpretation gegeben: Die Darstellung von Symbolgebrauch in Form von Musterreihen wird der Darstellung als Sprachspiel an die Seite gestellt, und das Problem des Regelfolgens wird als Induktionsproblem gelesen. Die Frage der Anwendung der Regel und die Frage der Lebensformen sind auch bei Goodman thematisch, allerdings innerhalb eines anderen Problemkontextes. Sie sind Teil seiner wissenschaftstheoretischen Überlegungen zum Problem der Induktion. Bekanntlich formuliert Goodman in seinem frühen Werk Fact, Fiction, and Forecast für wissenschaftliche Theorien ein „new riddle of induction“, das dem oben aufgeführten Problem der Zahlen über 1000 analog ist. Goodman vergleicht zwei Prädikate, „green“ und „grue“, wobei „grue“ folgendermaßen definiert ist: „it applies to all things examined before t just in case they are green but to other things just in case they are blue“ (FFF 74/ 98), wobei t ein Zeitpunkt in der Zukunft ist. Es gibt keine Erfahrungstatsache, die es erlauben würde, zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu entscheiden, ob Smaragde „green“ oder „grue“ sind. Worauf gründet sich dann unsere Überzeugung, daß „green“ auf zukünftige Fälle übertragbar („projizierbar“) ist und „grue“ nicht? - Die Antwort liegt für Goodman in unserer Praxis der Induktion, die Aussagen nicht isoliert, sondern im Kontext bisherigen Wissens betrachtet, und aus diesem Kontext heraus eine Entscheidung trifft. An dieser Stelle treffen sich Goodmans Konzeption und Wittgensteins Überlegungen zur Frage der Lebensformen. Dagegen liegen der Erwerb von Regeln sowie subjektphilosophische Fragen außerhalb seines Interesses - es gibt bei ihm kein Analogon zu dem, was bei Wittgenstein als „Philosophie der Psychologie“ Gegenstand der Untersuchung ist, oder zum Gedanken des Regelerwerbs als Abrichtung. Es geht bei Goodman um die „routes of reference“, nicht um die „roots of reference“ (MM 55/ 86) (vgl. unten 2.4.2.1). Damit geht eine grundlegend andere thematische Ausrichtung bei der Analyse des Symbolgebrauchs einher: Das formale Beschreibungsraster für Symbolgebrauch, das Goodman in Languages of Art entwirft, zielt nicht auf die impliziten pragmatischen Voraussetzungen des Gebrauchs ab, sondern beschreibt formale Unterschiede an symbolischen Praktiken. Goodmans Beschreibungssprache zeichnet sich durch ihren strik- <?page no="19"?> Muster und Regel 15 ten Extensionalismus aus, d.h. Symbolgebrauch wird als „Bezugnahme“ bzw. „Referenz“ aufgefaßt und nur die formalen Eigenschaften von Bezugnahmen kommen als Unterscheidungen an Symbolgebrauch in den Blick. Das bedeutet aber nicht, daß Goodman sich in Languages of Art von seinen früheren Positionen entfernt, also etwa die Verankerung seiner Überlegungen in der Praxis des Symbolgebrauchs aufgegeben hätte - im Gegenteil, es gibt wohl kein Beispiel, das in Goodmans Werken so oft wieder aufgegriffen wird wie „grue“. 8 Vielmehr ist das Induktionsproblem aus Fact, Fiction, and Forecast für Goodman ein Spezialfall des allgemeinen Problems der Projektion, der Frage, wie man von einem Fall zum anderen übergehen kann - einer Frage, in die seine Überlegungen zum Mustergebrauch, zur Exemplifikation münden. Und für den Konstruktivisten Goodman ist Projektion das wesentliche Verfahren der Welterzeugung. Auf diese Weise schreibt seine pragmatische Lösung des Induktionsproblems den durchgängig pragmatischen Charakter auch der späteren Analysen fest. Die vorliegende Arbeit interpretiert Goodmans Analysen durchgängig auf dem Hintergrund dieser pragmatischen Grundentscheidung und geht von einer Einheit des Goodmanschen Werkes aus. Sie übernimmt Goodmans Beschreibungssprache und die thematische Festlegung, die sie mit sich bringt (sie läßt also in der Interpretation Wittgensteins z.B. den Bereich der „Philosophie der Psychologie“ weitgehend unberührt). Sie versucht ebenfalls Wittgensteins Analysen in manchen Teilen in Goodmans extensionalistischer Beschreibungssprache zu reformulieren, um Parallelen zwischen den beiden Autoren deutlich zu machen. Diese Vorgehensweise (und der Verfremdungseffekt, den sie erzeugt) können sich nur durch die Ergebnisse der Arbeit insgesamt rechtfertigen. Die folgenden Überlegungen zum Mustergebrauch zielen letztlich auf die Modellierung gesprochener Sprachen ab. Diese stehen auch bei Wittgenstein im Zentrum; allerdings im Kontext auch allgemeiner handlungstheoretischer Überlegungen. Goodmans Analysen beziehen sich dagegen auf unterschiedlichste Symbolsysteme, etwa auch Bilder, Diagramme, Notenschriften etc. Um welchen Anwendungsbereich es jeweils geht ist im folgenden aus dem Kontext ersichtlich. Die Analyse von Symbolgebrauch als Mustergebrauch läßt regelgeleiteten Symbolgebrauch (im weitesten Sinn also den Symbolgebrauch in typisierten Systemen) als einen Spezialfall der Verwendung von Mustern erscheinen, einen Spezialfall, dessen symboltheoretische Eigenschaften im zweiten und im sechsten Kapitel zu bestimmen sein werden. 8 Vgl. z.B. WW 101/ 126 und 127f./ 154f., R 12/ 26ff. sowie der Sache nach die Wiederaufnahme des Induktionsproblems (ohne das „grue“-Beispiel) in LA 164ff./ 158ff. <?page no="20"?> 16 Einleitung Die Thematik, um die es im folgenden gehen wird, befindet sich mit Goodman und Wittgenstein also im Spannungsfeld z.T. vereinbarer, aber keineswegs deckungsgleicher Ansätze. Aus der beschriebenen Konstellation ergibt sich dabei die folgende thematische Aufteilung: Um zu klären, wie Beispiele als Regeln fungieren können, ist zunächst zu bestimmen, was ein Beispiel ausmacht, anschließend, wie Regeln aus Beispielen hervorgehen können. Diese beiden Problemschwerpunkte werden zunächst aus der Perspektive der Goodmanschen Symboltheorie dargestellt, anschließend aus derjenigen des späten Wittgenstein. Die Kapitel zu Goodman untersuchen formale Charakteristika von Mustergebrauch und ihr Verhältnis zu anderen Typen des Symbolgebrauchs; sie belegen dabei zum einen, daß jeder Symbolgebrauch Elemente von Mustergebrauch aufweist (Kap. 2), und zum anderen, daß das zentrale Verfahren bei Mustergebrauch eines der Projektion ist und damit die Merkmale auf ihn zutreffen, die Goodman am Beispiel der Induktion deutlich macht (Kap. 3). Die Kapitel zu Wittgenstein befassen sich mit der Frage nach dem Status der Regel und der Frage nach der Anwendung der Regel; sie deuten Regeln bei Wittgenstein als durch Musterreihen konstituiert und Regelfolgen als Induktionsbzw. Projektionsprozeß (Kap. 4). Aus dieser Interpretation ergibt sich, daß die Analyse der Projektion und des Regelfolgens sich zu einem Gesamtbild von Mustergebrauch zusammenfügen, welches die grundlegende Option bestätigt, Symbolgebrauch sei nicht außerhalb sozialer Praxis zu fundieren. Im Rahmen einer Analyse des Privatsprachenarguments wird es darum gehen, diese Position gegen einen Skeptizismus abzugrenzen (Kap. 5). Für den Gang der Argumentation bringt dieses Vorgehen mit sich, daß die nominalistische Ausgangsannahme der Arbeit und der konstruktivistische Gedanke, Symbolgebrauch sei Welterzeugung, erst im Zuge der Darstellung nachträglich plausibel gemacht werden: Goodman weist mit seinen Analysen der Induktion nach - insbesondere mit den Argumenten, die an das „grue“- Beispiel anknüpfen -, daß Symbolgebrauch nicht empirisch fundiert werden kann; Wittgenstein mit dem Privatsprachenargument der Philosophischen Untersuchungen, daß Symbolgebrauch nicht subjektphilosophisch fundiert werden kann (vgl. Kap. 3 und 5). Beide Argumentationsstränge zusammengenommen ergeben eine tragfähige Basis für eine nominalistische Zeichenauffassung und eine konstruktivistische Grundposition. Die Kapitel 2 und 4 setzen das zunächst voraus, um jeweils eine Begriffsklärung vorzunehmen. 1.1.3 Die Ebenen der Untersuchung Die Thematik, wie sie im letzten Abschnitt vorgestellt wurde, greift auf unterschiedliche Ebenen der Untersuchung aus, was vor allem den unterschied- <?page no="21"?> Muster und Regel 17 lichen Problemkontexten geschuldet ist, in die die Frage, wie Einzelfälle als Regeln fungieren, bei Goodman und Wittgenstein jeweils eingebettet ist. Die Frage nach dem Verhältnis von Regel und Beispiel läßt sich zumindest auf drei unterschiedlichen Ebenen ansiedeln: (1) In wissenschaftstheoretischer Perspektive bezieht sie sich auf das Verhältnis von Erfahrungssatz und allgemeinem Gesetz, auf die Frage, welche Folgen das Induktionsproblem für den Status und die Organisation unseres Wissens hat. (2) Die Frage nach dem Verhältnis von Regel und Beispiel läßt sich auch auf das Verhältnis von sprachlichem und nicht-sprachlichem Symbolgebrauch beziehen. Mustergebrauch scheint da stattzufinden, wo die Sprache an ihre Grenzen stößt, wo sich etwas nicht mehr sagen, sondern nur noch zeigen läßt. Man zeigt das Farbmuster, weil sich der Farbton nicht genau beschreiben läßt; man zeigt auf den Gegenstand, um das Wort zu erklären, das der andere nicht versteht. Diese Perspektive überschneidet sich mit der rhetorischen, in der Beispiele neben anderen Figuren in der Organisation von Texten das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem bestimmen. (3) Schließlich kann die Frage sich auf die Funktionsweise von Symbolsystemen selbst beziehen, in dem Sinne, daß jeder Symbolgebrauch als Muster für zukünftigen Symbolgebrauch dienen kann. Es kennzeichnet den Goodmanschen Ansatz, daß er alle diese Ebenen im Rahmen seiner Symboltheorie behandelt. Denn er deutet Induktion als Sonderfall von Projektion, dem allgemeinen Verfahren der Übertragung von Besonderem auf weitere Fälle. Und sprachliche und nicht-sprachliche Symbolsysteme werden bei Goodman mit einem identischen formalen Vokabular analysiert. Die gemeinsame Achse dieser Überlegungen bildet die Auffassung von Symbolgebrauch als Bezugnahme. „Ein Beispiel geben“ in jedem dieser Problemkontexte faßt Goodman als einen Modus der Bezugnahme auf, als Exemplifikation. Diese ist als eine Bezugnahme bestimmt, die in umgekehrter Richtung zur Denotation verläuft, also vom Symbolisierten zum Symbolisierenden. 9 Diese Auffassung, von der die vorliegende Arbeit ihren Ausgangspunkt nimmt, zieht in mancher Hinsicht eine Neuorientierung in den Begrifflichkeiten der genannten Problemkreise nach sich - etwa für die Vorstellung davon, wie unser Wissen strukturiert ist. Auch bei Wittgenstein zieht sich die Fragestellung des Mustergebrauchs über alle drei Ebenen - allerdings sind die Bezüge nicht in derselben Weise wie 9 In der Terminologie Goodmans: vom Erfüllungsgegenstand zum Etikett in einem Symbolsystem. <?page no="22"?> 18 Einleitung bei Goodman explizit kenntlich gemacht. Da sie in der Literatur keineswegs Konsens sind, muß für sie in den Kapiteln 4 und 5 entsprechend argumentiert werden. Insbesondere gilt das für die Deutung des Verhältnisses von Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen sowie des Verhältnisses von Sagen und Zeigen und für den Zusammenhang von Sprachspiel und Musterreihe. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der dritten Ebene, im Themenbereich der allgemeinen Symboltheorie. Die Konsequenzen einer Rehabilitierung des Beispiels in den anderen beiden Themenbereichen (für die Frage der Wissensstrukturen sowie die Frage nach dem Zeigen und der spezifischen Evidenz von Beispielen) werden im 6. Kapitel noch einmal rückblickend skizziert. Diese Ausfaltung des Beispielproblems mit Blick auf den Symbolgebrauch selbst ist keineswegs selbstverständlich. Historisch gesehen sind die beiden anderen Untersuchungsebenen bestimmend. 1.2 Der historische Anknüpfungspunkt: Beispiele als Mittel der Darstellung bei Kant „Ein Beispiel geben“ kann man jemandem in doppeltem Sinn - ein Beispiel kann eine allgemeine Behauptung belegen, veranschaulichen oder erläutern; ein Beispiel kann aber auch sein, was als Muster oder Vorbild dient. Dieser Doppelcharakter des Beispiels bestimmt seine Verwendung in der Tradition: „Einerseits ist das Urbild im Sinne des Exemplarischen gemeint, andererseits das Abbild im Sinne des Exemplars.“ (Gabriel 1998: 242) 10 In der praktischen Philosophie hat das Beispiel im Sinne des Exemplarischen seinen unbestrittenen Platz, in Anknüpfung an den mittelalterlichen Begriff des „exemplum“ als „lehrhafte[r] Erzählung“, bzw. „praktische[m] Vorbild“ (Buck 1971: 818f.). In wissenschafts- oder erkenntnistheoretischen Zusammenhängen ist die Sachlage dagegen weniger eindeutig: Daß etwas „ein Beispiel“ ist, ist keine hinreichende Funktionsbestimmung - Beispiele im Sinn der empirischen Beschreibung können in Hinblick auf ein allgemeines Gesetz als „Begriffsrealisierung“, als „Induktionsbasis“, als „Begriffseinführung“ oder als „Erläuterungen“ (Gabriel 1998: 242) dienen. 11 Und es ist alles andere als unumstritten, welcher erkenntnistheoretische Status Beispielen in diesen Funktionen zukommt. 10 Vgl. in diesem Sinne auch Gelley (1995a: 2). Entsprechende Beispiele für den Sprachgebrauch im Lateinischen, Französischen und Italienischen geben Caffi/ Hölker (1995a: 4ff.). Zur Etymologie von „Beispiel“, „exemplum“ und „parádeigma“ vgl. Willer (2004: 53). 11 Eine vergleichbare Übersicht über die Funktionen des Beispiels entwirft Marcuschi (1976: 130ff.). Daß der Term „Beispiel“ selbst noch keine hinreichende Bezeichnung der Funktion ist, darauf weisen auch Caffi/ Hölker (1995a: 8) hin. <?page no="23"?> Der historische Anknüpfungspunkt: Beispiele als Mittel der Darstellung bei Kant 19 Im Folgenden wird es nur um Beispiele in den ersten beiden Funktionen gehen, da sie enger mit der Art und Weise zusammenhängen, wie der erkenntnistheoretische Status von Erfahrung in der philosophischen Tradition verhandelt wird. Das bedeutet, daß die Frage der Abgrenzung von Logik und Rhetorik, in deren Kontext Beispiele ebenfalls zu behandeln wären (vgl. Gabriel 1998: 244), in der vorliegenden Arbeit an den Rand rückt. Entsprechend dient nicht Aristoteles, sondern Kant hier als historischer Anknüpfungspunkt. Für die hier verhandelten Probleme bietet sich der Rückgang auf Kant auch aus dem Grund an, weil sowohl Goodman als auch Wittgenstein kantische Fragestellungen aufnehmen. Sie nehmen das Problem der Konstitution unter gewandelten Bedingungen wieder auf - unter den Bedingungen eines historischen, in Symbolsystemen gegebenen Apriori (vgl. 1.3.4). Darüber hinaus kündigt sich in der kantischen Philosophie die „Aufwertung“ des Beispiels (Gabriel 1998: 244) an, die im Zentrum der folgenden Überlegungen zu Goodman und Wittgenstein stehen wird. In der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts fungiert das Beispiel „im strengen Sinn als Fall eines allgemeinen Satzes, der zuvor auf Grund strengen Beweises verstanden ist“ (Buck 1971: 819). Es fördert die Klarheit der Erkenntnis, die ihm als solche aber vorgängig ist (vgl. Buck 1971: 819). Bei Kant beginnt diese Situation sich zu ändern; sowohl Analogien als auch Beispiele erhalten in der Transzendentalphilosophie eine ganz neue Relevanz. Der Bezug auf eine Anschauung ist unabdingbar für die Anerkennung der mit einem Begriff verbundenen Erkenntnisansprüche: „Die Realität unserer Begriffe darzutun werden immer Anschauungen erfordert.“ (KU § 59, A 251, B 254). Liest man dieses „dartun“ mit Jäger (2006: 44) als „Beweisverfahren“, so kündigt sich darin sogar eine Wiederkehr des Rhetorischen an, die das Kantische Theoriegebäude selbst letztlich erschüttern wird. Wo es um die „Versinnlichung“ (KU § 59, A 251, B 255) von Begriffen geht, spricht Kant von deren „Darstellung“. So sagt er in Bezug auf die Kategorien: „Einen reinen Begriff des Verstandes, als an einem Gegenstande möglicher Erfahrung denkbar vorstellen, heißt, ihm objektive Realität verschaffen, und überhaupt, ihn darstellen.“ 12 Der Begriff der Darstellung ist bei Kant nicht streng terminologisch festgelegt; er spricht von „Darstellung“, aber auch von „Hypotypose“, 13 „exhibitio“ oder „subiectio sub adspectum“ (vgl. KU § 59, A 251, B 255). „Darstellung“ bezieht sich außerdem nicht nur auf die reinen Verstandesbegriffe wie in der oben zitierten Bemerkung, sondern auch auf empirische Begriffe, Vernunftbegriffe und die Begriffe der Mathematik. Beau- 12 Welches sind die wirklichen Fortschritte etc. VI, A 62. 13 Zu den rhetorischen Wurzeln des Begriffs der „Hypotypose“ vgl. Jäger (2002: 38f. und 2006: 44). <?page no="24"?> 20 Einleitung fret (1973a) unterscheidet dementsprechend vier Modalitäten der Darstellung bei Kant: Beispiel, Symbol, Konstruktion und Schema; Beispiele erlauben die Darstellung empirischer Begriffe, Symbole die von Vernunftbegriffen, Konstruktionen die von mathematischen Begriffen und Schemate die Darstellung reiner Verstandesbegriffe. 14 Ein Beispiel ist die Darstellung eines empirischen Begriffs durch etwas, das unter diesen Begriff fällt. 15 Beispiele liefern bei Kant im Sinne der „Begriffsrealisierung“ (Gabriel) Belege dafür, daß ein Begriff nicht leer ist. Neben dieser zentralen Funktion sind Beispiele in einer weiteren Hinsicht unverzichtbar: Sie zeigen die Anwendung des Begriffs und sind daher, so die berühmte Formel in der Kritik der reinen Vernunft, der „Gängelwagen der Urteilskraft“ (KrV A 134, B 174). Beispiele tragen dazu bei, die Urteilskraft durch Einübung zu „schärfen“, ein Vorgang den Kant als „abrichten“ beschreibt (vgl. KrV A 133, B 173). Allerdings können Beispiele einen Mangel an Urteilskraft nicht ausgleichen; ein solcher Mangel ist für Kant bekanntermaßen gleichbedeutend mit Dummheit - denn Urteilskraft selbst ist nicht erlernbar (vgl. KrV A 133f., B 173f.). Für nicht-empirische Begriffe kann es keine Beispiele geben. Vernunftbegriffen kann „keine sinnliche Anschauung angemessen sein“ (KU § 59, A 251, B 255). Sie können nur symbolisch, d.h. per analogiam, dargestellt werden; so ist z.B. „das Schöne […] das Symbol des Sittlichguten“ (KU § 59, A 254, B 258). Auf diese Weise kommt Beispielen und Analogien bei Kant durchaus eine wichtige Funktion zu; in den Texten tritt sie aber hinter der Frage der Schematisierung zurück, denn systematisch entscheidend ist für die Transzendentalphilosophie die Frage der „Versinnlichung“ der Kategorien. 14 Beaufret (1973a: 80) bezieht sich dabei auf zwei Unterscheidungen Kants, die aus unterschiedlichen Texten stammen: In der zitierten Schrift Welches sind die wirklichen Fortschritte etc. unterscheidet Kant zwischen Konstruktion und Beispiel, im bekannten § 59 der Kritik der Urteilskraft unterscheidet er zwischen Schema und Symbol, den beiden Arten der „Hypotypose“, und grenzt diese gegen das Beispiel ab (vgl. Welches sind die wirklichen Fortschritte etc. VI, A 183 und KU § 59, A 251, B 255; dieselbe Unterscheidung zwischen Schema und Symbol findet sich auch in Welches sind die wirklichen Fortschritte etc. VI, A 62). Es ist m.E. auch schlüssig, die beiden Textstellen auf einander zu beziehen, da die resultierende Terminologie in Bezug auf die Begrifflichkeit der Kritiken offensichtlich vollständig ist. Schema, Beispiel und Konstruktion werden darüber hinaus auch in der Kritik der reinen Vernunft abgehandelt. Die folgende Übersicht orientiert sich daher an Beaufrets Einteilung; vgl. ebenso Gabriel (1998: 245) und (unter Absehung von der Konstruktion) Buck (1989 [1967]: 194ff.). 15 „Wenn einem Begriff die korrespondierende Anschauung a priori beigegeben werden kann, so sagt man: dieser Begriff werde konstruiert; ist es nur eine empirische Anschauung, so nennt man das ein bloßes Beispiel zu dem Begriffe; die Handlung der Hinzufügung der Anschauung zum Begriffe heißt in beiden Fällen Darstellung (exhibitio) des Objekts […]“ (Welches sind die wirklichen Fortschritte etc. VI, A 183). <?page no="25"?> Der historische Anknüpfungspunkt: Beispiele als Mittel der Darstellung bei Kant 21 Reine Verstandesbegriffe, also Kategorien, lassen sich ebenfalls nicht exemplifizieren, sondern nur schematisieren. Das Schematismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft bestimmt das Schema als „Vorstellung […] von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen“ (KrV A 140, B 179f), d.h. als „Regel der Synthesis der Einbildungskraft“ (KrV A 141, B 180). Das Schema ermöglicht die „Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen“ (KrV A 139, B 178); diese Anwendbarkeit zu garantieren, ist Aufgabe der Deduktion, sie zu erklären, ist der Sinn des Schematismuskapitels. Den reinen Verstandesbegriffen wird so im Gegensatz zu den empirischen Begriffen „die korrespondierende Anschauung a priori gegeben“ (KU § 59, A 251, B 255). Letzteres gilt ebenso für die Begriffe der Mathematik, denn sie werden in den reinen Formen der Anschauung konstruiert. 16 Gabriel (1998: 244) hat darauf hingewiesen, daß dieses Bild der Darstellungsfrage bei Kant nicht vollständig ist, daß sich vielmehr aus Kants Definition des Erkenntnisbegriffs eine Frage ergibt, die Kant selbst nur „verdeckt“ angesprochen und deren „Sprengkraft“ er nur erahnt habe, die „Frage nach der angemessenen Darstellungsform der Philosophie“. Gabriel weist insbesondere darauf hin, daß die Darstellungsform der Analogie sowohl für Vernunftbegriffe als auch für Verstandesbegriffe vorkommt und damit die Verwendung rhetorischer Formen für die Philosophie zumindest z.T. rehabilitiert ist (vgl. Gabriel 1998: 245). Die Veranschaulichung erfüllt hier die Funktion der „Erläuterung“ von Begriffen (vgl. Gabriel 1998: 244), d.h. sie ist nicht bloßer illustrativer Zusatz, sondern notwendig und erkenntnisvermittelnd. Über Gabriel hinausgehend, läßt sich das bei Kant auch für Beispiele, nicht nur für Analogien belegen (vgl. Buck 1989 [1967]: 121f.): In der Transzendentalen Methodenlehre führt Kant aus, daß es nur in der Mathematik, nicht aber in den empirischen Wissenschaften oder der Philosophie Definitionen geben könne. Für die a priori gegebenen Begriffe, mit denen es die Philosophie zu tun hat, „ist die Ausführlichkeit der Zergliederung meines Begriffs immer zweifelhaft, und kann nur durch vielfältig zutreffende Beispiele vermutlich, niemals aber apodiktisch gewiß gemacht werden.“ (KrV A 728, B 756) 17 Dieser Rekurs auf den Beispielgebrauch bei Begriffen a priori sprengt die oben referierte Einteilung. Auch in diesem Sinn läßt sich von einer „Aufwertung“ (Gabriel 1998: 244) des Beispiels in der Transzendentalphilosophie sprechen. Dennoch bleibt die Frage des Beispiels im Rahmen der Kantischen Darstellungsproblematik nachrangig: Das Kantische Problem der Darstellung bezieht seine Brisanz aus seiner Kritik am Rationalismus der Schulphilosophie einerseits und am Empirismus Humes andererseits. Es weist zum einen immer 16 Welches sind die wirklichen Fortschritte etc. VI, A 183. 17 Weitere Belege in Buck (1989 [1967]: 121). <?page no="26"?> 22 Einleitung zurück auf die Notwendigkeit und Universalität der reinen Verstandesbegriffe, zum anderen ist deren Gegenstandsbezug durch die Transzendentale Deduktion, d.h. durch den Rekurs auf das transzendentale Subjekt allererst zu erweisen. Das Problem des Beispiels wird dagegen dann virulent, wenn man nicht mehr von dieser Universalität und dieser Fundierung ausgeht. Die Notwendigkeit und Universalität der Verstandesbegriffe ist ein zentraler Punkt im Programm einer Metaphysik als Wissenschaft. Im Verhältnis zu ihnen gehört die raum-zeitliche Zeichengestalt einer Dimension der Äußerlichkeit an. Weder gehören sie zu den Verstandesbegriffen, noch können sie Begriffen als Anschauung dienen, denn sie sind den diskursiven, nicht den intuitiven Aspekten der Erkenntnis zuzuordnen (vgl. KU § 59, A 252, B 256 Fußnote). Damit sind sie der Konstitution von Erkenntnis äußerlich: Von der Darstellung zu unterscheiden sind Charakterismen, d.i. Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen, die gar nichts zu der Anschauung des Objekts Gehöriges enthalten […]; dergleichen sind entweder Worte oder sichtbare (algebraische, selbst mimische) Zeichen, als bloße Ausdrücke für Begriffe. (KU § 59, A 252, B 255f.). Diese Thematik ist bekanntermaßen keine, an der sich die Transzendentalphilosophie aufhält. Für moderne Erkenntnis- und Zeichentheorien ist dagegen gerade der Status der „Charakterismen“ zu einer zentralen Frage geworden: Sobald Erkenntnisansprüche nur noch mit „empirischen“ Begriffen zu tun haben, kommt zum einen die Dimension des Symbolgebrauchs in den Blick, zum anderen die Abhängigkeit des Begriffs vom „sichtbaren“ bzw. wahrnehmbaren Zeichen - eine Verschiebung der Debatte, für die die viel beschworene Folge von pragmatic turn, linguistic turn und media(l) turn als Kurzformel dienen mag. Damit verändert sich die Topographie der Beipielproblematik tatsächlich im Sinne einer „Aufwertung des Beispiels“. Zum einen verändert sich das Verhältnis von rhetorischer und erkenntnistheoretischer Dimension: Moderne Überlegungen zum Wissensbegriff vollziehen eine Rehabilitierung von Beispielen und Analogien im Rahmen einer Neubewertung der rhetorischen Dimension auch theoretischer Texte. 18 Zum anderen gewinnt die Frage des Beispiels, die historisch durch die Verschränkung der rhetorischen und der 18 Vgl. dazu die Übersicht von Mahrenholz (2003: 76f.). Eine „Logik der Beispiele“ (Gabriel 1998: 244) ist allerdings tatsächlich ein Desiderat. Das Beispiel hat als rhetorische Figur in den letzten Jahrzehnten bei weitem nicht dieselbe Beachtung gefunden wie die Metapher - so spricht Lyons (1989: 4) in seiner Studie zum Beispielgebrauch in Texten der Renaissance von „metaphor’s forgotten sibling“. Ausnahmen sind aus didaktischer Sicht Buck (1989 [1967]), aus philosophischer Marcuschi (1976), aus semiologischer Caffi/ Hölker (1995a). <?page no="27"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 23 erkenntnistheoretischen Perspektive gekennzeichnet ist, mit dem Interesse an den „Charakterismen“ eine symbol- und medientheoretische Dimension hinzu. Zu dieser letzteren Thematik versuchen die folgenden Überlegungen einen Beitrag zu leisten. In einer nominalistischen Perspektive, wie sie im folgenden im Anschluß an Goodman eingenommen wird, sind Beispiele sowohl auf syntaktischer 19 als auch auf semantischer Ebene entscheidend für die Bestimmung dessen, was die syntaktische oder semantische Identität eines Symbols allererst ausmacht. Die Symboltheorie sieht das Ein-Beispiel-Geben selbst als einen Akt des Symbolgebrauchs, der an allen anderen in bestimmter Weise beteiligt ist, und nicht als nachgeordnete „Begriffsrealisierung“. Die Frage ist dann nicht mehr, wie einem Begriff ein Bild zu verschaffen ist, sondern umgekehrt, wie sich im Umgang mit Symbolen Begriffe ausdifferenzieren. 1.3 Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 1.3.1 Die Frage der Vergleichbarkeit Goodman und den späten Wittgenstein auf einander zu beziehen, scheint auf den ersten Blick nicht sehr vielversprechend. Goodmans Zielsetzung, eine allgemeine Symboltheorie zu entwerfen, scheint dem beschreibenden Ansatz des späten Wittgenstein, der gerade die Vielfalt unterschiedlichster Sprachspiele hervorhebt, von Grund auf fremd zu sein; und seine strikte Orientierung am Extensionalitätsprinzip scheint Goodmans Symboltheorie eher in die Nähe des Tractatus zu rücken als in die einer Gebrauchstheorie der Bedeutung. Spielt in den Philosophischen Untersuchungen die (v.a. gesprochene) Alltagssprache eine herausgehobene Rolle, lehnt Goodman eine Verengung des Symbolbegriffs auf das Sprachliche ausdrücklich ab; der Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt auf Musik, Tanz und den bildenden Künsten, und er fordert eine entsprechende Revision unserer zu einseitig am Sprachlichen orientierten Begriffe von Erkenntnis und Wahrheit. Umgekehrt muß die Ausrichtung auf das Kognitive als wesentliche Funktion aller Künste und Wissenschaften, wie sie Goodman vertritt, aus der Sicht der Wittgensteinschen Sprachspielkonzeption als unzulässige Verengung erscheinen - steht dort doch gerade die Vielfalt der Funktionen von Sprache im Vordergrund. Schließlich unterscheiden sich Goodman und Wittgenstein recht offensichtlich in Stil und philosophischem Gestus. Goodman selbst hat das ironisch kommentiert: 19 Im Goodmanschen Sinne, der „syntaktisch“ auf die Symbolgestalt, auf die Ebene der „Charakterismen“ bezieht. <?page no="28"?> 24 Einleitung I find Wittgenstein exiting, original, and suggestive; but he treats a topic as a cat does a mouse, teasing it, leaving it, pouncing again. My own efforts are more of the bulldog sort. I try to follow through with certain insights, with certain techniques, and make systematic connections. […] [P]hilosophy for me involves organization. Wittgenstein looks at philosophy as spot therapy for particular confusions and he says he can stop whenever he wants to - although of course he never wants to. I do philosophy because I can’t stop. (MM 191/ 270) 20 Was Goodman hier andeutet, ist nicht nur, daß „Wittgenstein […] kein Systematiker“ (Goodman 1995: 347) war. An diesen Unterschieden im denkerischen Stil zeigen sich unterschiedliche Weisen, Philosophie zu betreiben: Für den späten Wittgenstein ist Philosophie therapeutisch in ihrer Funktion und beschreibend in ihrer Vorgehensweise; für Goodman ist Philosophie Theorie, die - so sie gelingt - eine Version der Welt konstruierend erzeugt. Mit welcher Berechtigung und zu welchem Zweck können zwei Ansätze auf einander bezogen werden, von denen man annehmen muß, daß sie unterschiedliche Typen von semantischen Theorien vertreten, daß sie medial unterschiedliche Symbolsysteme als paradigmatisch für Symbolgebrauch ansehen und daß sie unvereinbare Auffassungen von der Vorgehensweise und Darstellungsform philosophischer Untersuchungen haben? Kurz gesagt: Beide Ansätze lassen sich als allgemeine Untersuchungen des Symbolgebrauchs interpretieren, die danach fragen, wie sich eine symbolische Technik beschreiben läßt - und beide nehmen dazu eine Neubestimmung des Verhältnisses von Beispiel und Regel vor. Die Unterschiede sind tatsächlich in vieler Hinsicht geringer, als es den Anschein hat: Zum einen enthält Goodmans Herangehensweise eine Reihe pragmatischer Voraussetzungen, zum anderen teilen Goodman und Wittgenstein die Kritik an der traditionellen Verengung der Untersuchung von Darstellung auf die Untersuchung von wahrheitswertfähigen Aussagen. Allerdings bleiben grundlegende Unterschiede darin, wie eine „Grammatik“ des Symbolgebrauchs jeweils aussehen kann: Wo eine allgemeine Symboltheorie pragmatische Einbettung voraussetzt, um formale Merkmale von Bezugnahmen zu ermitteln, versucht eine am Sprachspielbegriff orientierte Auffassung, gerade diese Einbettung als „Tiefengrammatik“ zu beschreiben. Das hängt vor allem mit einer unterschiedlichen Einschätzung dessen zusammen, was philosophische Tradition ausmacht, und wie ihr zu begegnen ist. Wittgenstein setzt der Tradition insgesamt den Rückgang auf die „Umgangssprache“ entgegen; für Goodman ist dagegen kein Symbolsystem in dieser Weise ausge- 20 Im gleichen Sinn Goodman (1995: 347); in diesem Zusammenhang bemerkt Goodman auch: „Im Gegensatz zu Carnap hat Wittgenstein meine Arbeit nie direkt beeinflußt.“ (Goodman 1995: 347) <?page no="29"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 25 zeichnet (vgl. allerdings 2.4.2.1). Entsprechend bestehen auch grundlegende und offensichtliche Unterschiede in der philosophischen Darstellungsform: Wittgenstein bricht in einem antitheoretischen Gestus traditionelle philosophische Darstellungsformen auf, während Goodman sie - gelegentlich mit einer gewissen ironischen Distanz - übernimmt und variiert (vgl. 1.3.3). Jenseits dieser Grundtendenzen zeigen sich aber auch in diesen Bereichen Parallelen: Eine Beschreibung im Wittgensteinschen Sinne enthält auch einen Anteil an Konstruktion und Goodmans Vorgehensweise hat keineswegs durchgängig die Form einer philosophischen Abhandlung (vgl. ebenfalls 1.3.3). Schließlich sind der Wittgensteinschen Sprachauffassung und der Goodmanschen Symboltheorie zwei wesentliche Grundzüge gemeinsam: Sie lehnen sowohl die Vorstellung einer Fundierung unseres Wissens in rein gegebenen Phänomenen als auch die Vorstellung einer Fundierung unseres Symbolgebrauchs in der Innerlichkeit eines Subjekts prinzipiell ab. Man kann diese Grundüberzeugungen zusammengenommen als eine bestimmte Auffassung des Apriori verstehen: Beide nehmen das Konstitutionsproblem als eines des Symbolgebrauchs wieder auf, beide vertreten dabei eine nominalistische Zeichenauffassung und eine konstruktivistische und pluralistische Bestimmung des Apriori. Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen ist damit bei Goodman und Wittgenstein eine vergleichbare Auffassung hinsichtlich der Frage nach der Universalität und dem Status apriorischer Strukturen gegeben (vgl. 1.3.4). Die folgenden Abschnitte geben einen allgemeinen Überblick über die genannten Übereinstimmungen und Unterschiede. Sie sollen vorgreifend plausibel machen, daß es möglich und vielversprechend ist, diese beiden Ansätze zu verbinden. 1.3.2 Gemeinsamkeiten in den Voraussetzungen: Die pragmatische Verankerung der Goodmanschen Symboltheorie In Languages of Art legt Goodman den Entwurf zu einer allgemeinen Symboltheorie vor (LA xi/ 9). Im Bereich der Ästhetik dient eine solche Theorie dazu, Unterschiede zwischen künstlerischen Darstellungsweisen zu beschreiben, ohne dabei auf traditionelle Erklärungsmuster wie die Ähnlichkeit mit dem Dargestellten oder die emotionale Wirkung des Kunstwerks zurückzugreifen. Jede Art der Darstellung wird als Symbolgebrauch aufgefaßt, und eine allgemeine Symboltheorie stellt formale Beschreibungskategorien für Symbolsysteme bereit, die damit wiederum auf alle Arten künstlerischer Tätigkeit anwendbar sind. Der Symbolbegriff ist entsprechend weit gefaßt und schließt „letters, words, texts, pictures, diagrams, maps, models, and more“ (LA xi/ 9) mit ein. <?page no="30"?> 26 Einleitung Goodmans Ansatz stellt aber nicht nur eine einheitliche Beschreibungssprache für den Bereich des Ästhetischen zur Verfügung; vielmehr überschreitet er überkommene Grenzziehungen zwischen Ästhetik und Erkenntnistheorie. Denn die Künste werden durch eine solche symboltheoretische Beschreibung anderen Arten des Symbolgebrauchs an die Seite gestellt: „Wissen“ schließt für Goodman sowohl die Künste als auch die Wissenschaften mit ein. Sie alle sind „ways of worldmaking“, die für unterschiedliche Varianten der Welt konstitutiv sind. Goodmans Ansatz verbindet diesen allgemeinen erkenntnistheoretischen Konstruktivismus mit einem strengen Nominalismus und einer strikten Orientierung seiner Symboltheorie am Extensionalitätsprinzip. Die grundlegende Relation, die für Goodman ein Symbol zum Symbol macht, ist die Bezugnahme („reference“) (vgl. LA 5/ 17). Paradigma für diese Relation ist für ihn die Denotation. Sie wird rein extensional definiert, als Zuordnung der Elemente einer „Erfüllungsklasse“ („compliance-class“) zu einem „Etikett“ („label“). 21 Eine Gesamtheit von zusammengehörigen Etiketten bezeichnet Goodman als „Symbolschema“ („symbol scheme“), ein Symbolschema bildet mit seinem „Bezugnahmegebiet“ („field of reference“), seiner „Sphäre“ („realm“), ein „Symbolsystem“ („symbol system“) (vgl. LA 143f./ 139f. und 72/ 76; ebenso R 7f./ 19f.). So bilden z.B. die Farbbezeichnungen im Deutschen ein Symbolschema, das die Farbadjektive etc. als einzelne Etiketten umfaßt. Die entsprechende Sphäre umfaßt alle farbigen Dinge (vgl. LA 72/ 76). Diese Grundkonstellation erweckt den Eindruck, als wären bei Goodman sowohl der Systemaspekt von Symbolschemata (die Differenz der zum Schema gehörigen Etiketten) als auch der pragmatische Aspekt der Bezugnahme zugunsten einer Nomenklaturauffassung von Symbolen ausgeblendet. Träfe das zu, müßte man Goodman und den späten Wittgenstein mit Blick auf diesen letzteren Punkt als Antipoden betrachten. Zwar bleibt auch bei Wittgenstein bekanntermaßen die Beschreibung des Systemcharakters von Symbolsystemen weitgehend unthematisch, aber zugunsten einer Orientierung am Sprachgebrauch: Fragen der „Oberflächengrammatik“ - die etwa syntaktische Strukturen untersuchte - treten hinter solchen des Gebrauchs zurück. Der Handlungscharakter von Sprache - wie er etwa im Begriff des „Sprachspiels“ zum Ausdruck kommt, der im Zentrum der wittgensteinschen Sprachauffassung steht - gibt die Ebene vor, auf der die Analysen der Philosophischen Untersuchungen angesiedelt sind. Denn, wie der 21 Der unübliche Begriff des „Etiketts“ soll gerade die Festlegung auf eine bestimmte Art von Symbolsystemen vermeiden; als Etikett können - entsprechend der oben zitierten Aufzählung - unterschiedlichste Dinge fungieren. <?page no="31"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 27 vielzitierte Abschnitt 43 der Philosophischen Untersuchungen festhält, ist es „sein Gebrauch in der Sprache“ (PhU § 43), der die Bedeutung eines Wortes ausmacht. 22 Tatsächlich sind Goodmans und Wittgensteins Auffassung hier aber nicht so weit auseinander, wie es den Anschein hat: Erstens sind pragmatische Aspekte des Symbolgebrauchs bei Goodman z.T. explizit, z.T. implizit vorausgesetzt, Kontext und Hintergrundwissen (in Wittgensteins Ausdrucksweise entspräche dem in ungefähr die Einbindung von Sprachspielen in außersprachliche Kontexte und allgemein in Lebensformen) sowie das Wissen um den üblichen Gebrauch eines Symbols (in Wittgensteins Ausdrucksweise: die Institution der Anwendung) spielen in Goodmans Analysen eine unverzichtbare Rolle; zweitens ist Bezugnehmen selbst ein Handeln, Goodmans formale Unterscheidungen sind solche an symbolischen Praktiken; und drittens vertritt Goodman keine Nomenklaturauffassung von Sprache. Allerdings sind diese pragmatischen Aspekte nicht in allen Texten gleichermaßen thematisch. Wo in Languages of Art formale Eigenschaften von Symbolsystemen analysiert werden, tritt die Frage der pragmatischen Verankerung in den Hintergrund - das hat manche Kommentatoren dazu verführt, diese Dimension des Goodmanschen Denkens nicht zu sehen. 23 Wo es um Einzelanalysen geht - die ja letztlich immer „ways of worldmaking“ nachzeichnen - sind solche pragmatischen Aspekte dagegen sehr deutlich, sowohl in Languages of Art als auch in Reconceptions und Ways of Worldmaking. In dem frühen Fact, Fiction, and Forecast spielt der Rekurs auf die übliche Praxis unter der Bezeichnung „Verankerung“ („entrenchment“) (FFF 95/ 123) ausdrücklich eine Schlüsselrolle (vgl. dazu Kap. 3). Ein Beispiel dafür, daß der Kontext und die „Gebrauchsgeschichte“ von Symbolen von Goodman mit völliger Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden, bietet etwa seine Metapherntheorie in Languages of Art. 24 Goodman versteht Metaphern als „Transfer“ von Etiketten auf neue Anwendungsgebiete; allerdings fassen wir natürlich nicht jede Anwendung auf einen neuen Gegenstand als metaphorisch auf, sondern nur solche, die bisher als nicht zulässig galten, von denen man sich aber dennoch etwas verspricht. Eine Metapher ist also eine Art „calculated category-mistake“ (LA 73/ 77), bei der meist ein Wechsel der Sphäre stattfindet, etwa z.B. die Anwendung eines Farbadjektivs auf etwas, was im buchstäblichen Sinn keine Farbe hat, also gar 22 Zur Interpretation des § 43 im einzelnen vgl. 4.6.6. 23 In entgegengesetzten Bereichen des theoretischen Spektrums trifft das etwa auf Cohnitz/ Rossberg (2006) (in einer letztlich an Carnap orienterten Lektüre des Goodmanschen Werks) und auf Mitchell (1994) (im Rahmen seiner eher „antitheoretisch“ zu nennenden „picture theory“) zu. 24 Zu Goodmans Metapherntheorie vgl. Jost (2007), Kap. 4.3. <?page no="32"?> 28 Einleitung nicht zur Sphäre des entsprechenden Schemas gehört („blue“ im Sinne von melancholisch) (LA 72/ 76). Die Übertragung führt zu „a reorientation of a whole network of labels“ (LA 72/ 76f.), da der „family of alternatives“ (R 7/ 19), die ein Symbolschema ausmachen, eine weitere hinzugefügt wird. Metaphern erzeugen auf diese Weise eine Art epistemologischen Mehrwert: Metaphor then enables us to avail ourselves of the organizational powers of a system while transcending the system’s limitations. (R 17/ 32) Metaphorische und buchstäbliche Etiketten unterscheiden sich aber gerade nicht hinsichtlich des symboltheoretischen Modus der Zuschreibung, d.h. der Bezugnahme, der sie als Symbole ausmacht: Metaphorical possession is indeed not literal possession; but possession is actual whether metaphorical or literal. The metaphorical and the literal have to be distinguished within the actual. (LA 68/ 73) Ob ein Gebrauch metaphorisch ist oder nicht, hängt von anderen Kriterien ab, wie der Neuheit der Anwendung. Mit anderen Worten: Wir können einen Gebrauch nur im Vergleich zur bisherigen Praxis als metaphorisch einstufen. Für sich genommen weist ein metaphorischer Gebrauch keine besonderen Merkmale auf. Der Unterschied zum buchstäblichen Gebrauch - und damit natürlich der Erkenntnisgewinn der Metapher - liegt im pragmatischen Kontext, nicht in der symboltheoretischen Kategorisierung. Tatsächlich ist das die Voraussetzung für die volle epistemologische Rehabilitierung der Metapher, wie Goodman sie anstrebt, denn der metaphorische Gebrauch von Etiketten ist damit denselben Kriterien unterworfen wie der nicht-metaphorische: „Standards of truth are much the same whether the schema used is transferred or not.“ (LA 79/ 82) Am Beispiel des metaphorischen Gebrauchs zeigt sich also, daß der Rückgang auf die „Gebrauchsgeschichte“ von Symbolen bei Goodman keinesfalls nebensächlich ist - metaphorischer Gebrauch ist ohne diesen Rekurs gar nicht definierbar. Der bisherige Gebrauch, die Ordnung einer Sphäre oder eines Bereichs, kann sogar Einfluß darauf haben, wie die Neuordnung aussieht, die durch die Metapher vorgenommen wird. Wenn man die Etiketten „warm“ oder „kalt“ auf fremde Sphären, wie Töne oder Persönlichkeiten, anwendet, ist diese Anwendung nicht beliebig: „which elements in the chosen realm are warm, or are warmer than others, is then very largely determinate.“ (LA 74/ 78) Die Anwendung hängt von der „antecedent practice“ (LA 74/ 78) ab. Bezugnahmen sind keine isolierten Akte, sie erscheinen nur dort so, wo im Zuge der Goodmanschen Analysen Bedeutung als Zuordnungsverhältnis zwischen Elementen von Mengen untersucht wird, um formale Eigenschaften von Bezugnahmen festzustellen. <?page no="33"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 29 Das gilt nicht nur für metaphorische Gebrauchsweisen, sondern für Symbolgebrauch im allgemeinen. So notiert Goodman in Ways of Worldmaking: „A salient feature of symbolization, I have urged, is that it may come and go. An object may symbolize different things at different times, and nothing at other times.“ (WW 70/ 91) Ein Gemälde, das als Decke dient, fungiert nicht mehr als Symbol, und der Stein aus der Einfahrt, den ein Künstler als Readymade in einer Vitrine plaziert, wird aufgrund des Kontextes als Kunstwerk aufgefaßt; das Wissen um die Gebrauchsgeschichte läßt uns dann unterscheiden, ob wir ein Ready-made oder eine andere Art von Kunstwerk vor uns haben (vgl. WW 69/ 90; MM 59/ 92). Es sind nicht die inhärenten Eigenschaften eines Gegenstandes, die ihn zum Symbol machen, sondern die Bezugnahme(n). Das bedeutet zum einen, daß der Kontext und die Institution der Anwendung notwendig eine Rolle für das Verstehen spielen: „The implicit set of alternatives - the schema - may consist of two or many labels, and varies widely with context.“ (LA 73/ 77 FN 22). Wie Goodman/ Elgin darlegen, sind alle Symbole interpretationsbedürftig: man muß syntaktisches und semantisches Wissen aufbringen, um ein Symbol zu verstehen (vgl. R 117/ 157); man muß wissen, auf welches Symbolsystem das Symbol zu beziehen ist (vgl. R 118/ 158); und wir nutzen darüber hinaus „any additional knowledge or skill we can press into service.“ (R 120/ 161) Zum anderen bedeutet es, daß sich Goodmans formale Unterscheidungen (etwa ob ein Symbolschema differenziert ist oder nicht) nicht auf Symbole als Dinge beziehen, sondern auf eine bestimmte Art, sie zu verwenden, auf „symbolisierende Performanzen“ (Stetter 2005b: 73). 25 Nicht nur die Analysen im einzelnen verweisen auf pragmatische Zusammenhänge, auch die grundlegende Orientierung der Goodmanschen Symboltheorie läßt Symbolgebrauch insgesamt als Praxis erscheinen. Das läßt sich indirekt über einen Zug dieser Theorie bestätigen, der zunächst wenig mit einem pragmatischen Ansatz gemeinsam zu haben scheint: Man hat Goodmans Position als „kognitivistisch“ 26 bezeichnet, um das veränderte Verhältnis 25 Eine Kritik wie diejenige W.J.T. Mitchells läuft damit ins Leere: Laut Mitchell (1994: 345ff.) rekurriert Goodman auf die Praxis des Symbolgebrauchs, wenn er z.B. realistische Darstellungen schlicht als gewohnte Darstellungen bestimmt, kann solche Darstellungsgewohnheiten mit seinem formalen Vokabular aber gerade nicht beschreiben. Richtig ist daran, daß die Kategorien der Symboltheorie keinesfalls alle relevanten Aspekte einer Praxis beschreiben können (eine Symboltheorie kann ebensowenig wie andere allgemeine Zeichentheorien Spezialdiskurse ersetzen); falsch ist aber die Vorstellung, Goodmans formales Vokabular würde sich nicht auf solche Praktiken beziehen. Man kann Goodmans Vorgehensweise geradezu - mit Jäger (2004a: 70) - als „De-Ontologisierungsstrategie“ bezeichnen. 26 So z.B. Steinbrenner (1996), der seine Studie über Goodman und Danto „Kognitivismus in der Ästhetik“ überschreibt. <?page no="34"?> 30 Einleitung von Kunst und Wissenschaft festzuhalten, das einer der Leitgedanken beim Entwurf einer allgemeinen Symboltheorie ist. Ästhetische Erfahrung ist für Goodman wie jeder Umgang mit Symbolen „a form of understanding“ (vgl. LA 262/ 241). Das bedeutet zum einen, daß Symbolgebrauch trotz seiner vielfältigen anderen Funktionen letztlich in der Hauptsache auf Erkenntnis ausgerichtet ist: „The primary purpose is cognition in and for itself.“ (LA 258/ 237) Dabei ist aber im Gegenzug der Begriff von Erkenntnis so weit gefaßt, daß er das „Sinnliche“ („the sensory“) und das „Emotionale“ („the emotive“) miteinschließt (LA 259/ 238, vgl. auch MM 7/ 22). Für die Rezeption von Kunst bringt Goodman das auf die Formel: „in aesthetic experience the emotions function cognitively.“ (LA 248/ 228) Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft wird zu einem in der Schwerpunktsetzung beim Symbolgebrauch (LA 264/ 243). Gerade diese „kognitivistische“ Ausrichtung von Goodmans Überlegungen insgesamt macht es unumgänglich, Symbolgebrauch als Praxis zu bestimmen. Denn wenn jede Art von Symbolgebrauch kognitive Funktionen haben kann, ist es erforderlich, daß es auch für jede Art von Symbolgebrauch Standards der Richtigkeit gibt. 27 Das bedeutet aber - darauf hat Stetter (2005b: 75 FN 22) hingewiesen - daß jeder Symbolgebrauch gelingen oder mißlingen kann, d.h. Bezugnahme ein Handeln sein muß. Der Handlungscharakter von Symbolgebrauch ist also bei Goodman - obwohl nicht immer hervorgehoben - ebenso unstrittig wie bei Wittgenstein. Auch Goodmans Extensionalismus spricht nicht gegen eine solche Interpretation. Goodman faßt Symbolgebrauch als „reference“ („Referenz“ oder „Bezugnahme“) auf; das kann den Eindruck erwecken, er würde Symbolgebrauch auf eine einzige Funktion, das Benennen, hin interpretieren. Das würde einem zentralen Anliegen der handlungsorientierten Auffassung Wittgensteins widersprechen: Wittgenstein bricht mit der traditionellen Orientierung der philosophischen Sprachtheorie an der wahrheitswertfähigen Aussage, um gerade die Vielfalt der Funktionen von Sprache hervorzuheben. Tatsächlich besteht aber hier kein Gegensatz: Goodmans Begriff der „Bezugnahme“ ist derart erweitert, daß er nicht mit einer bestimmten Funktion von Symbolgebrauch zu identifizieren ist. Diese Erweiterung hängt eben mit dem Begriff der Exemplifikation zusammen: Wenn Bezugnahme nicht mehr nur Denotation ist, sondern auch in umgekehrte Richtung verlaufen kann, kann Symbolgebrauch unterschiedlichster Funktion als Bezugnahme aufgefaßt werden. Goodmans Untersuchung von Symbolgebrauch ist also nicht „enger“ als die Wittgensteins, sondern bezieht sich tatsächlich auf eine bestimmte Dimension jedes Symbolgebrauchs. Diese zentrale Frage kann an dieser Stelle 27 Zu Goodmans Bestimmung des Verhältnisses von „Richtigkeit“ („rightness“) und Wahrheit vgl. 6.2. <?page no="35"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 31 noch nicht im einzelnen ausgeführt werden; sie ist Thema von Kapitel 2, wo es um den Sinn des Goodmanschen Extensionalismus geht. An dieser Stelle sei nur vorgreifend festgehalten, daß Goodman entsprechend auch keine Nomenklaturauffassung vertritt: die Bedeutung eines Ausdrucks ist - verkürzt gesagt - über die Kontexte bestimmt, in denen er vorkommen kann, nicht schlicht über seine Extension (vgl. 2.5.2). Die Bedeutung der „Gebrauchsgeschichte“ und des Kontextes für den Symbolgebrauch, die Möglichkeit des Gelingens oder Mißlingens und die Erweiterung des Begriffs der Bezugnahme sind Elemente in Goodmans Symboltheorie, die sie als pragmatisch auszeichnen, und Goodman selbst stellt sich, wie im folgenden deutlich werden wird, in einer seiner seltenen Äußerungen zu philosophischen „Schulen“ auch explizit in eine pragmatische Traditionslinie. 1.3.3 Revision und Therapie: Das unterschiedliche Verhältnis zur Tradition Man kann Goodmans Ästhetik im oben erläuterten Sinn als „kognitivistisch“ bezeichnen; das bedeutet aber nicht, daß andere Symbolsysteme in Analogie zu sprachlichen Aussagen aufgefaßt oder auf solche reduziert werden sollen. Die Beschränkung erkenntnistheoretischer Untersuchungen auf sprachliche Symbolsysteme, dort auf Aussagen und innerhalb der Aussagen auf solche, die weder metaphorische Ausdrücke noch etwa ethische Vorschriften enthalten, diese Beschränkung auf einen bestimmten Typ von Aussagen ist es gerade, die Goodman aufheben möchte (vgl. R 4/ 15). Goodman/ Elgin betonen in Reconceptions, daß unsere - zu engen - Begriffe der Erkenntnis und Wahrheit einer Revision unterzogen werden müssen (vgl. R 153ff./ 202ff.). Auch an dieser Stelle trifft Goodman sich mit einer zentralen Thematik Wittgensteins - der Kritik an der traditionellen Verengung des Blicks auf beschreibende Aussagen und an der Vorstellung, jeder Satz müsse als geheimen Kern eine Aussage enthalten (vgl. etwa PhU § 22). Sowohl Goodman als auch Wittgenstein lehnen es ab, die Untersuchung von Symbolgebrauch auf einen bestimmten, traditionell favorisierten Typus einzuschränken; Aussagen sind nicht als Ausdruck eines theoretischen Weltverhältnisses privilegiert. Bei Goodman führt das zu einer Erweiterung des Erkenntnisbegriffs auf alle Symbolsysteme, bei Wittgenstein zu einer Rehabilitierung anderer Funktionen von Sprache: Im Gegensatz zu Goodmans Texten, in denen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedensten Symbolsystemen thematisch im Zentrum stehen, thematisieren die entsprechenden Überlegungen Wittgensteins in erster Linie die (gesprochene) Sprache. Wo sie - wie das Privatsprachenargument - über den Rahmen einer „Philosophie der normalen Sprache“ hinausgehen und sich auf <?page no="36"?> 32 Einleitung Symbolgebrauch im allgemeinen zumindest beziehen lassen, muß das jeweils im einzelnen nachgewiesen werden. Denn Alltagssprache hat in den Philosophischen Untersuchungen tatsächlich eine methodische Schlüsselstellung inne, da sie als Basis für Wittgensteins Metaphysikkritik dient. Wittgenstein und Goodman haben so gemeinsame Gegner, unterscheiden sich aber in ihrem Umgang mit der philosophischen Tradition als ganzer: Für Wittgenstein ist Metaphysikkritik auch Kritik am theoretischen Gestus als solchem und erfordert eine Auseinandersetzung mit den traditionellen Darstellungsformen theoretischen Vorgehens; den Kern dieser Auseinandersetzung macht die Gegenüberstellung von metaphysischem und alltäglichem Sprachgebrauch aus. Goodmans Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisbegriff der Tradition führt ihn dagegen zum Entwurf einer „revidierten“ Erkenntnistheorie. Die Analysen von Goodman/ Elgin in Reconceptions, die auf den ersten Blick mit lokalen technischen Fragen des Symbolgebrauchs befaßt scheinen, münden in eine allgemeine Theorie des Verstehens: When we recognize that science does not passively inform upon but actively informs a world - that, indeed, a world is an artefact - we become acutely aware of significant but often overlooked affinities among art, science, perception, and the fashioning of our everyday worlds. The philosophies of these subjects are seen as aspects of a general theory of the understanding. (R 53/ 75) Eine solche „Theorie des Verstehens“ erfordert eine Neufassung zentraler philosophischer Begrifflichkeiten, insbesondere des Wahrheitbegriffs. Am Schluß von Reconceptions präsentieren Goodman/ Elgin Languages of Art, Ways of Worldmaking und Reconceptions als drei Schritte auf dem Weg zu einer solchen Neufassung der Philosophie: Der erste Schritt ist eine allgemeine Symboltheorie, in einem zweiten Schritt werden die Konsequenzen daraus gezogen, daß Symbolgebrauch nicht das Beschreiben von Vorgefundenem bedeutet, sondern Welten hervorbringt, und der dritte Schritt besteht in einem Versuch, philosophische Begrifflichkeiten entsprechend zu revidieren (vgl. R 164/ 216f.). Goodmans Neufassung der Philosophie wird allgemein als „konstruktivistisch“ eingeordnet (vgl. Fischer 2000: 20ff.), 28 und der Grundcharakter von Goodmans Verhältnis zur philosophischen Tradition speist sich aus den Basisannahmen der von ihm vertretenen Spielart des Konstruktivismus. Der bestimmende Gestus ist einer der „Revision“ („Reconception“): Theorien gehen immer aus vorhergehenden Theorien hervor. Goodmans Theorieentwürfe sind wie alle Weltentwürfe Umgestaltungen von Bestehendem: „Worldmaking as we know it always starts from worlds already on hand; the making 28 Goodman bezeichnet sich auch selbst als Konstruktivisten; vgl. z.B. R 166/ 218, WW 1/ 13. <?page no="37"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 33 is a remaking.“ (WW 6/ 19) Dieses „Umschaffen“ - es müßte sich mit Hilfe der Welterzeugungsprozesse, die Goodman in Ways of Worldmaking aufzählt (WW 7ff./ 20ff.), skizzieren lassen - vollzieht sich aber bei Goodman selbst in Form einer systematisch entworfenen Begrifflichkeit. Der Theoriebegriff selbst und die Darstellungsform der philosophischen Abhandlung sind für ihn unproblematisch. Die Entscheidung für diese Darstellungsform folgt nicht notwendig aus konstruktivistischen Voraussetzungen; im Sinne von Goodmans eigenen Überlegungen zur kognitiven Verwendung unterschiedlichster Symbolsysteme ist keine Darstellungsform zu privilegieren. Daraus ergibt sich aber umgekehrt auch, daß der Anspruch, eine „Theorie des Verstehens“ zu entwerfen, keiner Begründung bedarf - zumindest keiner, die vorgreifend die philosophische Tradition als ganze charakterisieren müßte. Was dieser Anspruch „Theorie“ zu betreiben, genau besagt und woraus er sich ableitet, legt Goodman an keiner Stelle explizit dar. Beides zeigt sich aber an seiner Vorgehensweise und daran, an welche philosophischen Traditionen er anknüpft. Die Goodmanschen Werke weisen sicher keine Architektonik im Sinne der Darlegung eines Systems von Erkenntnissen auf; vielmehr scheinen die Kapitel als mehr oder weniger selbständige Texte unterschiedliche Aspekte desselben Themas zu beleuchten. Für die drei Hauptwerke 29 gilt jedenfalls, was Goodman über Ways of Worldmaking sagt: This book does not run a straight course from beginning to end. It hunts; and in the hunting, it sometimes worries the same racoon in different trees, or different racoons in the same tree, or even what turns out to be no racoon in any tree. (WW ix/ 9) Diese Beschreibung, die klingt, als würde Goodman hier nicht sich selbst, sondern den späten Wittgenstein kommentieren, ist durchaus zutreffend; gehen doch eine ganze Reihe von Kapiteln bei Goodman Anwendungen und Beispielen nach, vertiefen oder wiederholen seine Begrifflichkeit und thematisieren scheinbar weit auseinanderliegende Bereiche. Dennoch bleibt Goodmans Arbeit sowohl hinsichtlich der Darstellungsform als auch in Anspruch und Zielsetzung „systematisch“. 30 Erstens ist seine Vorgehensweise, obwohl 29 Gemeint sind Languages of Art, Ways of Worldmaking und Reconceptions; Fact, Fiction, and Forecast ist aus zwei Vorlesungsreihen zusammengesetzt, die die Form von durchgängigen Abhandlungen haben. 30 Auf diesen Doppelcharakter der Goodmanschen Darstellungsweise weist in anderem Zusammenhang D. Henrich hin, der anmerkt, daß Goodmans Vorgehensweise, „Symptome“ des Ästhetischen statt feststehender Kriterien anzugeben, an Wittgenstein erinnert, „dem er im übrigen im systematisierenden und definitorischen Zugriff seiner Arbeitsweise widersteht.“ (Henrich 1982: 31f.) <?page no="38"?> 34 Einleitung sie zahlreiche Beispiele involviert, keine „Methode des Beispiels“ 31 : Problemstellungen und Begriffe sind explizit definiert; die Binnenstruktur der Kapitel und der Gestus der Texte ist in der Hauptsache argumentativ. Zweitens geht Goodman auf vollständige Unterscheidungen aus, d.h. auf Begriffsraster, die bestimmte Bereiche umfassend bestimmen und in sich geschlossen sind. Das gilt ebenso für die Unterscheidung der möglichen Weisen der Bezugnahme wie für die formalen Eigenschaften von Symbolsystemen. Damit einher geht der formale Charakter der Analyse von Symbolsystemen. Daß Goodman sich dafür entscheidet, Philosophie in diesem Sinn als Theorie zu betreiben, hängt damit zusammen, wo er den Ort seiner philosophischen Überlegungen innerhalb der Tradition ausmacht. Neben der frühen Orientierung an Carnap, die insbesondere seinen Extensionalismus geprägt hat, steht Goodmans Symboltheorie vor allem in einer kantischen Tradition. Ebenso wie Wittgenstein macht Goodman Traditionsbezüge oft nicht explizit und greift eher Typen von Theorien an als einzelne Werke oder Autoren. Eine der wenigen Stellen, an denen er eine Einordnung seines Ansatzes vornimmt, scheint zunächst nicht mehr als eine ironische Warnung gegen vorschnelle Einordnungen zu sein: Im Vorwort von Ways of Worldmaking bemerkt er, seine Auffassung sei von Rationalismus und Empirismus, Materialismus und Idealismus gleich weit entfernt; in der Aufzählung nicht zutreffender Etiketten folgen dann aber auch solche, die die ganze Fragestellung ins Lächerliche ziehen, wie „vitalism“ oder „mysticism“. Im Anschluß daran ordnet er seine Arbeit dem „mainstream of modern philosophy“ (WW x/ 10) zu, der ausgehend von Kant und beeinflußt durch den Pragmatismus (Goodman nennt seinen Lehrer C.I. Lewis) die Vorstellung einer „world fixed and found“ durch die „diversity of […] worlds in the making“ (WW x/ 10) ersetzt. 32 Diese Art, die Frage nach den philosophischen Traditionen zu beantworten, in denen sein Ansatz steht, ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Erstens nimmt Goodman hier eine pragmatische „Abstammungslinie“ für seine Symboltheorie in Anspruch; seine Theorie wäre also die symboltheoretische Revision einer pragmatischen Revision kantischer Kritik. Zweitens macht der 31 Wie Gabriel (1998: 243) in Anspielung auf Philosophische Untersuchungen § 133 Wittgensteins Vorgehensweise nennt. 32 Zu Cassirers und Kants Einfluß auf Goodman siehe Gabriel (2000: 190ff.). Damit sind natürlich nicht alle Quellen benannt, aus denen sich Goodmans Theorie speist. S. Mahrenholz sieht Goodman in zwei Traditionslinien: auf der einen Seite sieht sie die Tradition des Logischen Positivismus (insbesondere Carnaps), auf der anderen die „zeichentheoretische[…] Tradition der Linie Peirce-Morris-Cassirer-Langer - und über Cassirer indirekt auch die Philosophien Kants und Baumgartens.“ (Mahrenholz 2000: 3). Goodman selbst nennt v.a. auch Carnap als privilegierten Gesprächspartner, der insbesondere seine frühen Arbeiten maßgeblich beeinflußt hat (vgl. Goodman 1995: 347). <?page no="39"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 35 Rekurs auf Kant und Lewis deutlich, daß das philosophische Problem, das eine Symboltheorie zu lösen antritt, die Frage nach den apriorischen Strukturen der Erkenntnis ist; eine Fragestellung, die bekanntermaßen die von Goodman in charakteristisch ironischer Weise aufgezählten Alternativen von Rationalismus und Empirismus etc. unterläuft. 33 Das transzendentale Motiv mündet bei Goodman in formale Beschreibungskategorien, allerdings solche, die von einer Urteilslehre weit entfernt sind, da ihre Anwendbarkeit eben nicht auf sprachliche Symbolsysteme und dort nicht auf Aussagen eingeschränkt ist. Bei Wittgenstein ist eine gegenläufige Vorgehensweise bestimmend: In der Spätphilosophie ist es die Alltagssprache, die diesen systematischen Ort einnimmt. Ein solcher Primat der Alltagssprache ist aus der Perspektive der Goodmanschen Symboltheorie nicht begründbar, denn ein Grundzug dieser Symboltheorie ist ja die oben als „kognitivistisch“ bezeichnete Vorstellung von der grundlegenden erkenntistheoretischen Gleichwertigkeit aller Symbolsysteme. Dieser Unterschied im Status der Alltagssprache hängt mit Wittgensteins Verhältnis zur philosophischen Tradition zusammen: Die Philosophischen Untersuchungen verstehen sich als „Therapie“ metaphysischen Sprachgebrauchs (PhU §§ 133 und 255). Der grundlegende kritische Gestus der Spätphilosophie besteht dabei darin, „Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück[zuführen]“ (PhU § 116). Die Kritik der Philosophischen Untersuchungen richtet sich nicht gegen einzelne Theorien, sondern eher gegen Typen von Theorien, gegen Auffassungen, die einer Reihe von unterschiedlichen Theorien gemeinsam sind, die eine Art Familienähnlichkeit zwischen ihnen ausmachen. Aus den Analysen der Philosophischen Untersuchungen lassen sich dabei auf den ersten Blick zwei Schwerpunkte der Kritik ausmachen: „Metaphysisch“ wären in diesem Sinne eine Subjektphilosophie, die das Subjekt als Fundierung und Quelle von Bedeutung qua Intention auffaßt, und ein Zeichenbegriff, der alle Zeichen unter Absehung von der pragmatischen Dimension der Sprache als Namen auffaßt. Eine Zurückführung auf den alltagssprachlichen Gebrauch ist hier z.B. die Analyse des Gebrauchs von „wissen“, die die scheinbare Evidenz des Satzes „Nur ich weiß, daß ich Schmerzen habe.“ aushebelt (vgl. etwa PhU § 246); was den Zeichenbegriff angeht, dient z.B. der Hinweis auf unterschiedlichste Funktionen von Wörtern und Sätzen (etwa in PhU §§ 23 und 27) einem entsprechenden Zweck. Diese Fragen werden im einzelnen in den Kapiteln 4 und 5 behandelt, hier sollen sie nur als Beispiele für das „sprachkritische“ Vorgehen der Philosophischen Untersuchungen (Stetter 1974: 13) dienen. 33 Zu Lewis’ pragmatischer Neufassung des Kategorienproblems siehe PP 419ff. <?page no="40"?> 36 Einleitung Unmittelbar mit der Frage nach der Rolle der Alltagssprache verknüpft ist die Frage nach Vorgehensweise und Darstellungsform der Philosophie. Denn „Sprachkritik“ in diesem Sinn ist vor allem beschreibend: Sie setzt dem metaphysischen Gebrauch eine „übersichtliche Darstellung“ (PhU § 122) entgegen, d.h. jeweils „eine von vielen möglichen Ordnungen“ (PhU § 132), die uns ein „Wissen vom Gebrauch der Sprache“ (PhU § 132) vermitteln. Das bekannte Diktum „Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ (PhU § 109) benennt den antitheoretischen Gestus dieser Darstellungen: Die Beschreibung ersetzt die philosophische These durch eine konsensfähige Darstellung des Gebrauchs (PhU § 128) und soll dadurch das philosophische Fragen „zur Ruhe“ bringen (PhU § 133). Die Metapher von der philosophischen Frage als „Krankheit“ (PhU § 255) bringt den Anspruch der Wittgensteinschen Sprachkritik zum Ausdruck, solche Fragen zum Verschwinden zu bringen, indem sie zeigt, an welchen Stellen metaphysische Gebrauchsweisen sich vom alltagssprachlichen Gebrauch entfernen. Der deskriptive Charakter dieser Vorgehensweise beinhaltet insbesondere auch eine Absage an jeden Versuch, die Alltagssprache an einer Idealsprache zu messen oder durch eine solche ersetzen zu wollen. Diese Ansprüche spiegeln sich auch in der Darstellungsform der Spätphilosophie. Man hat Wittgensteins beschreibende Vorgehensweise eine „Methode des Beispiels“ genannt (Gabriel 1998: 243), da Sprachspiele im Sinn realer - oder zumindest realistischer - und fiktiver Gebrauchsbeispiele 34 für Wittgenstein seit dem Brown Book methodisch und ästhetisch eine zentrale Stellung innehaben. Sie brechen traditionelle Darstellungsformen in zweifacher Hinsicht auf: Zum einen durchbrechen sie die übliche Hierarchie von Lehrsatz und Beispiel; sie sind nicht nachträgliche Illustration explizierter Thesen, sondern haben erkenntniskonstitutive Funktion. Zum anderen ersetzen „Bemerkungen“ den fortlaufenden Text, die „natürlich[e] und lückenlos[e] Folge“ der Gedanken (PhU Vorwort S. 231), eine Form, die Wittgenstein seit dem Blue Book meidet. Diese beiden Aspekte sind im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen in der bekannten Metapher der „Landschaftsskizzen“ zusammengefaßt, die entstehen, wenn man ein „weites Gedankengebiet […] kreuz und quer“ abschreitet (PhU Vorwort S. 231). Dieses Vorgehen sei aufgrund der „Natur der Untersuchung selbst“ (PhU Vorwort S. 231) erforderlich. Ein weiteres Merkmal, das die Linearität und die Hierarchisierung der Darstellung durchbricht, ist die in Teilen dialogische Anlage der Bemerkungen. Das stellt die Interpretation zum einen vor die Aufgabe, die jeweiligen „Stimmen“ zu identifizieren und zuzuordnen; so sieht von Savigny (1994: 2) 34 Zu den unterschiedlichen Facetten des Sprachspielbegriffs vgl. Kap. 4. <?page no="41"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 37 jeweils den Philosophen und seinen „Gegner“, da in vielen Fällen nach dem Muster „Einwand - Widerlegung des Einwands“ verfahren wird. Allerdings gilt das eben nicht für alle Fälle: Es ist nicht immer klar, wem eine Äußerung im einzelnen zuzuordnen ist, und auch das Muster ist nicht immer dasselbe. Daher ist es heuristisch sinnvoller, zunächst von einer grundlegenden Vielstimmigkeit auszugehen. Zum anderen hat man versucht, die „Bemerkungen“ als Textsorte zu charakterisieren, indem man sie in bestimmte philosophische Traditionen einordnet. Z.T. werden sie in die Tradition des philosophischen Dialogs gestellt, so nennt etwa Kripke sie in diesem Sinne „dialectic“ (Kripke 1982: 3). Cavell sieht dagegen in den Philosophischen Untersuchungen insgesamt bekenntnishafte Züge, so daß aus dem „Gegner“ eine Art innerer Stimme der Versuchung wird: „The voice of temptation and the voice of correctness are the antagonists in Wittgenstein’s dialogues.“ (Cavell 2002 [1969]: 71) Diese Formen der philosophischen Darstellung haben zu sehr unterschiedlichen Deutungen geführt. Man hat die Frage der Darstellungsform als bloße Äußerlichkeit betrachtet, als Makel, den eine systematische Darstellung der Philosophie Wittgensteins auszugleichen hätte. So bemerkt von Savigny lapidar: „Nicht die Natur seiner Untersuchung zwang Wittgenstein, kreuz und quer zu schreiben; seine schriftstellerische Größe lag nicht in der Fähigkeit, Ordnung zu schaffen.“ (von Savigny 1969: 16) Umgekehrt hat man in „Wittgensteins Methode der Beispielverkettung“ (Kroß 1999: 182) gerade den Kern einer pluralistischen, anti-essentialistischen Haltung gesehen, die den philosophischen Anspruch auf absolute Fundierung durch die paradigmatische Funktion des Beispiels ersetzt: Durch die ihm eigene Verweisstruktur gibt das Beispiel Auskunft über ein Allgemeines, das auf diese Struktur aber angewiesen bleibt (vgl. Kroß 1999: 179 und 184f.). 35 In diesem Sinn präformiert für Gabriel (1995: 167) der späte Wittgenstein die von ihm angestrebte „analogische Weltauffassung […], in der logisches Denken seinen eingeschränkten Platz behält und analogisches Denken kritisch bedacht wird.“ Cavell schließlich, dessen Interpretationen weniger auf die erkenntnistheoretischen Aspekte der Spätphilosophie als auf ihre existentiellen Fragestellungen ausgehen, liest aus der Darstellungsform der Philosophischen Untersuchungen - „his is not a system and he is not a spectator“ (Cavell 2002 [1969]: 70) - eine antitheoretische Haltung im Sinne einer grundlegend praktischen Ausrichtung heraus: „his writing is deeply practical and negative […] 35 Vgl. die Beschreibung von Gabriel (1998: 242), für den bei Wittgenstein „die Beispiele […] zur eigentlich erkenntnisvermittelnden Instanz aufsteigen“. Derselbe Gedanke findet sich u.a. auch bei Marcuschi (1976: 193ff.). <?page no="42"?> 38 Einleitung it wishes to prevent understanding which is unaccompanied by inner change“ (Cavell 2002 [1969]: 72). 36 Die erste der genannten Deutungen, die die Darstellungsweise der Philosophischen Untersuchungen als ihrem Inhalt äußerlich ansieht, ist aus zumindest zwei Gründen nicht haltbar, die mit der Natur philosophischer Beschreibung einerseits und der Natur philosophischen Irrtums andererseits zu tun haben. Zum einen erfordert die Rückkehr zum alltagssprachlichen Gebrauch eine komplexe Inszenierung; man „kann nicht: einfach nachschauen, wie Sätze funktionieren“ (PhU § 93). Die philosophische Beschreibung muß eine Ordnung erst herstellen, die uns die Funktionsweise der Sprache vor Augen führt, etwa indem sie fiktive Sprachspiele als „Vergleichsobjekte“ (PhU § 130) herstellt, die den tatsächlichen Sprachgebrauch im Kontrast oder in Analogie hervortreten lassen, und durch das „Finde[n] und Erfinde[n] von Zwischengliedern“ (PhU § 122) Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Gebrauchsweisen deutlich macht. 37 Wittgenstein besteht bekanntlich darauf, daß damit nicht ein verborgenes Wesen der Sprache ans Licht gehoben werden soll, sondern etwas aufgezeigt wird, „was schon offen zutage liegt und was durch Ordnen übersichtlich wird.“ (PhU § 92) Eine philosophische Beschreibung ist also weder eine bloße Kollektion von Gebrauchsweisen noch eine abstrakte Wesensbestimmung: Solche Beschreibungen sind lokal (vgl. Stetter 1974: 56), d.h. beziehen sich jeweils auf ein bestimmtes Problem (vgl. PhU § 133); ihr methodischer Gestus besteht aus Variation und Vergleich; sie stellen „Familienähnlichkeiten“ (PhU § 67) heraus, keine vollständigen Unterscheidungen; und schließlich erzeugen sie dadurch die Möglichkeit einer synoptischen Darstellung, die das in Frage stehende philosophische Problem als Mißverständnis entlarvt. Dieses Verfahren erst gibt dem Rückgang auf die Alltagssprache seinen Sinn - es als bloße Äußerlichkeit abzutun, verkennt seinen methodischen Anspruch. Dieser Zusammenhang von philosophischer Darstellungsform und inhaltlichem Rekurs auf die Alltagssprache leitet sich darüber hinaus direkt aus Wittgensteins Auffassung von der Natur philosophischen Irrtums her. In den Philosophischen Untersuchungen bietet Wittgenstein eine ganze Reihe von Metaphern auf, um den dysfunktionalen Sprachgebrauch der Philosophie zu charakterisieren: Er spricht etwa davon, daß „die Sprache feiert“ (§ 38) oder „leerläuft“ (§ 132), von „Luftgebäude[n]“ (PhU § 218), von den 36 Neben ethischen spielen sicher auch religiöse Motive in Wittgensteins Denken eine Rolle; die Verbindung von religiösen und logischen Motiven zeichnet G. Granel (1990a) nach. 37 Man hat diese Vorgehensweise als „morphologisch“ bezeichnet, da sie den Erscheinungen des Sprachgebrauchs gleichsam eine Gestalt verleiht (vgl. Krämer 2001: 113 und Schulte 1989: 110f.). <?page no="43"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 39 „Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenzen der Sprache geholt hat“ (PhU § 119) oder von einem „Verfangen in unsern Regeln“ (PhU § 125). Das läßt schon ahnen, daß nicht jede Art philosophischen Mißverstehens von gleicher Art ist: Zum einen scheint Wittgenstein verfehlte Analogien im Blick zu haben, Fälle, in denen die irreführende „Gleichförmigkeit ihrer [der Wörter, E.B.] Erscheinung“ (PhU § 11) dazu verleitet, Entitäten zu hypostasieren. 38 Dieser Typ von Irrtum ist mit den drei ersten Metaphern gut zu beschreiben. Zum anderen ist es die Verwechslung von Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen, die zu philosophischen Irrtümern führt; etwa wenn man den Satz „Empfindungen sind privat“ als Erfahrungssatz auffaßt, obwohl er als grammatischer Satz Voraussetzungen unseres Sprachgebrauchs regelt (vgl. PhU § 248). Dieser Typ von philosophischem Mißverständnis wird besonders in Über Gewißheit ausführlich thematisiert, in Wittgensteins Kritik an Moores Verteidigung des Common Sense (1969 [1925]), das Wittgenstein dort zum Anlaß nimmt, um die Struktur unseres Wissens zu analysieren. Für Sätze vom Typ „Dies ist eine Hand.“, die für Moore der Prototyp eines Common-sense-Wissens sind, an dem jede Skepsis scheitert, kann man sich kaum eine Gebrauchssituation denken, in der sie als Erfahrungssätze einen guten Sinn hätten. Sie zeigen für Wittgenstein daher einen fehlgeleiteten Umgang mit den tiefengrammatischen, d.h. pragmatischen, Voraussetzungen unseres (sprachlichen) Handelns. 39 Diese Art von Verwirrung läßt sich gut mit den beiden letzteren Metaphern - den „Beulen“ und dem „Verfangen in unserern Regeln“ - umschreiben. Auf beide Typen von Mißverständnissen treffen die divergierenden Beschreibungen zu, die Wittgenstein von unserem Umgang mit diesen Problemen gibt: Er redet an manchen Stellen so, als wären philosophische Irrtümer leicht zu vermeiden und vollständig auszuräumen (etwa wenn er von ihnen als „Mißverständnisse[n]“ (PhU § 91, vgl. § 93) und „schlichte[m] Unsinn“ (PhU § 119) spricht); andere Beschreibungen erwecken den Eindruck, es handele sich um quälende existenzielle Fragen, die uns in einer Art Wiederholungszwang immer in dieselben Aporien führen, da das Grundmuster des Gedankengangs uns durch die Sprache suggeriert wird. Tatsächlich ergänzen diese beiden Aspekte einander: Einerseits geht Wittgenstein davon aus, daß die jeweilige Berufung auf die Alltagssprache, da sie nur beschreibt, was wir tun, nicht strittig sein kann - daher die Rede: „Wollte man Thesen in der Philosophie aufstellen, es könnte nie über sie zur Diskussion kommen, weil Alle mit ihnen einverstanden wären.“ (PhU § 128) In diesem Sinn spricht Witt- 38 Ein Beispiel dafür gibt etwa der § 36: „Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt, und kein Körper ist, dort, möchten wir sagen, sei ein Geist.“ 39 Zum Verhältnis von Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen im einzelnen vgl. 4.3.4. <?page no="44"?> 40 Einleitung genstein auch davon, daß die Beschreibung als Therapie eine „vollkommene“ (PhU § 133) Klarheit erbringe - da sich über das entsprechende Problem eben nichts weiter sagen läßt. Andererseits haben die „Probleme, die durch das Mißdeuten unserer Sprachformen entstehen, […] den Charakter der Tiefe.“ (PhU § 111). Das liegt daran, daß sie an die Grundvoraussetzungen einer Lebensform rühren. Wittgenstein spricht von diesen Grundvoraussetzungen als „grammatischen“. Denn auf beide Typen von Mißverständnissen trifft - wenn auch in unterschiedlichem Sinn - die Bemerkung zu, die Philosophie sei „ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ (PhU § 109) Beide machen es erforderlich, Unterscheidungen zu treffen, die die sprachliche Form nicht zeigt, weil sie im Gebrauch liegen, d.h. von der „Oberflächengrammatik“ eine „Tiefengrammatik“ (vgl. PhU § 664) zu unterscheiden, die der eigentliche Gegenstand von Wittgensteins philosophischer Beschreibung ist. Diese Verknüpfung von Sprachkritik mit dem Rekurs auf eine Lebensform hat Cavell präzise formuliert: For Wittgenstein, philosophy comes to grief not in denying what we all know to be true, but in its effort to escape those human forms of life which alone provide the coherence of our expression. (Cavell 2002 [1969]: 61) Aus dieser Konstellation erklärt sich zum einen die Anziehungskraft philosophischer Probleme aus der Versuchung, kollektive Überzeugungen aufzukündigen. Zum anderen läßt sich die merkwürdige Rede, die „eigentliche Entdekkung“ sei die, die einen „fähig macht, das Philosophieren abzubrechen“ (PhU § 133), aus der Notwendigkeit herleiten, eine Beschreibung dieser Formen anstatt einer Erklärung hinzunehmen. Die Philosophischen Untersuchungen tragen dieser Auffassung philosophischer Probleme in ihrer Darstellungsform Rechnung. Sie bedienen sich argumentativer Elemente, Formen inszenierter Oralität und der philosophischen Beschreibung im dargelegten Sinn. Was die dialogischen Sequenzen angeht, so paßt sowohl das Genre des philosophischen Dialogs als auch das der Bekenntnisliteratur auf einige der Bemerkungen. Es scheint mir daher naheliegend, davon auszugehen, daß Wittgenstein beide Textsorten in - z.T. ironischer - Wiederholung einsetzt, um die Gegenpositionen zu entlarven, als deren Vertreter im Text Sokrates und Augustinus in Szene gesetzt sind. Diese Mittel der Überzeugung sind notwendig, wenn die obige Beschreibung philosophischen Fragens und seiner Anziehungskraft zutrifft. Es ist also sowohl richtig, der Schreibweise der Philosophischen Untersuchungen selbst - etwa im Sinne von Gabriel (1995) - eine grundlegende erkenntniskritische Funktion zuzuschreiben, als auch vertretbar, - wie etwa <?page no="45"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 41 Cavell (2002 [1969]) - den praktischen Aspekt hervorzuheben. Beide Interpretationen treffen jeweils den Ton bestimmter Bemerkungen besonders gut; für den hier betrachteten Problemzusammenhang ist allerdings die erste maßgeblich - praktische Aspekte kommen nur am Rande vor, etwa wenn es darum geht, daß das Anerkennen von Lebensformen den Charakter einer Bekehrung hat (vgl. 4.3.4). 40 Wittgensteins Vorgehensweise erscheint auf diese Weise vielfältiger und komplexer als seine programmatischen antitheoretischen Aussagen (etwa das bereits zitierte „Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ (PhU § 109)) das vermuten lassen. Dennoch sind seine Bestimmung der Philosophie - sie ist in der Hauptsache beschreibend und greift auf die Alltagssprache zurück - und die Auffassung der philosophischen Tradition als Metaphysik, mit der sie zusammenhängt, prägende Elemente seines Schreibens. Dieser Zusammenhang trennt ihn von Goodman, und an dieser Stelle muß man sich entscheiden, welchem der beiden Autoren man folgt, ob man eine Revision oder eine Therapie philosophischer Traditionen für notwendig hält. Die vorliegende Arbeit wird diese Entscheidung rückblickend im 6. Kapitel treffen (vgl. 6.3). Die Unterschiede, die im vorliegenden Abschnitt auf Wittgensteins und Goodmans jeweiliges Verhältnis zur philosophischen Tradition zurückgeführt wurden, lassen sich wie folgt noch einmal festhalten: (1) Auf der einen Seite steht eine Konzentration auf das Verfahren der Beschreibung, das als Therapie bestimmte Typen philosophischen Fragens zum Verschwinden bringen soll, auf der anderen Seite eine hinsichtlich der Darstellungsform nicht festgelegte konstruktivistische Revision philosophischer Fragestellungen; allerdings sollte auch deutlich geworden sein, daß die Philosophischen Untersuchungen hinsichtlich ihrer Darstellungsweise keineswegs vollständig homogen sind und daß der vorherschende Modus der Beschreibung ein Moment der Konstruktion in sich schließt. (2) Auf der einen Seite herrschen lokale Beschreibungen eines bestimmten Symbolsystems vor, deren Verallgemeinerbarkeit jeweils zu erweisen ist, auf der anderen Seite formale Analysen unterschiedlichster Symbolsysteme. 40 Diese beiden Typen von Interpretationen werden häufig als Gegensatz gesehen, neuestens von A. Crary, für die sich mit S. Cavell, C. Diamond, J. McDowell u.a. ein „neuer“, therapeutischer Wittgenstein gegen die Standardinterpretation abzeichnet (vgl. ihre Einleitung zu dem Sammelband The New Wittgenstein (Crary/ Read 2000)). Daß eine solche Entgegensetzung nicht notwendig ist, zeigt sich nicht nur - wie oben - an der Frage des philosophischen Irrtums und der Darstellungsform der Philosophie, sondern z.B. auch an der Frage der Kontinuität in der Wittgensteinschen Philosophie (vgl. 4.2.1). <?page no="46"?> 42 Einleitung 1.3.4 Gemeinsamkeiten in den Konsequenzen: „Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.“ Den im vorhergehenden Abschnitt genannten Unterschieden stehen grundlegende Übereinstimmungen gegenüber - zum einen in der (für Goodman oben beschriebenen) pragmatischen Auffassung von Symbolgebrauch, zum anderen in einer Auffassung des Apriori, die man vielleicht am ehesten als „grammatische“ bezeichnen kann: Für Goodman ist ebenso wie für Wittgenstein „[d]as Wesen […] in der Grammatik ausgesprochen.“ (PhU § 371) Daß Goodman und Wittgenstein eine solche Auffassung des Apriori teilen, kann in vollem Umfang erst im Gesamtzusammenhang der vorliegenden Arbeit deutlich werden. An dieser Stelle seien aber vorgreifend die wesentlichen Aspekte einer solchen Auffassung benannt: Eine „grammatische“ Auffassung des Apriori bedeutet zunächst die Ablehnung eines bestimmten Gestus der Fundierung. Für Goodman ist die Widerlegung der Vorstellung von etwas rein Gegebenem, das unserem Symbolgebrauch vorausgeht und ihn fundiert - Goodman spricht ironisch von „something stolid underneath“ (WW 6/ 18) - ein wichtiges Thema. In Fact, Fiction, and Forecast ist die Kritik am Gedanken einer solchen empirischen Fundierung unserer Kategorisierungen der entscheidende Punkt; in den späteren Arbeiten trifft die Kritik in verallgemeinerter Form den Mythos vom „unschuldigen Auge“ („innocent eye“) (vgl. LA 8/ 19 und WW 6/ 18f.), die Vorstellung es gebe den Gegenstand „an sich“, unberührt von symbolischer Vermittlung. Für Goodman vollzieht sich im Gegenteil die Konstitution von Gegenständen in Symbolsystemen. Genauer gesagt, die Konstitution von Gegenständen vollzieht sich nicht isoliert, sondern in eins mit der Konstitution von Welten: Seine Kritik am Fundierungsgedanken führt Goodman zur Relativierung des Unterschiedes von Tatsache und Konvention (vgl. WW Kap. VII und unten 3.4.1) und damit zur Auffassung einer Pluralität von Welten. Das bedeutet für Goodman, daß unterschiedliche Symbolsysteme unterschiedliche Welten konstituieren - reale Welten, nicht etwa mögliche. Die Beschreibung solcher symbolisch konstituierter Welten und die Entwicklung von Kategorien für ihre Unterscheidung steht thematisch im Zentrum seiner Texte. Die Position, die damit skizziert ist, ist konstruktivistisch und pluralistisch bzw. relativistisch. 41 Wittgenstein geht ebenso wie Goodman davon aus, daß unser Verhältnis zur Welt bis hinein in die Mechanismen der Wahrnehmung durch Symbolgebrauch vermittelt ist. 42 Bei Wittgenstein steht dabei das Verhältnis von 41 Zur Unterscheidung zwischen Pluralismus und Relativismus vgl. 6.2. 42 In der vorliegenden Arbeit stehen diese Fragen im Hintergrund; ihre Analyse wird sich im einzelnen an die Arbeiten É. Rigals (1988 und 1992) anschließen müssen, wo es um phänomenologische Fragestellungen in Wittgensteins Spätphilosophie geht. <?page no="47"?> Goodman und Wittgenstein - Zur Möglichkeit eines Vergleichs 43 Sprachen und Lebensformen im Mittelpunkt, bei Goodman die Verfahren der Konstruktion, die für uns eine Welt erst erzeugen. Auch für Wittgenstein sind wesentliche Züge dieser Lebensformen symbolisch verfaßt und „grammatische“ Beschreibungen im Sinne der Philosophischen Untersuchungen geben letztlich Beschreibungen der Strukturen von Lebenswelten. Und auch Wittgenstein faßt Lebensformen im Sinne eines Pluralismus auf. Die Frage der Fundierung ist bei Wittgenstein ebenfalls zentral, aber in einer anderen Schwerpunktsetzung: Ihm kommt es bekanntermaßen darauf an, zu beweisen, daß es keine fundierende, dem sozialen Sprachgebrauch vorgängige Dimension der Innerlichkeit gibt, in der sprachliche Regeln außerhalb von Performanzen gegeben wären. Goodman nimmt die genannten Positionen explizit in Anspruch. Wittgensteins Position zu diesen Fragen ist in der Literatur dagegen umstritten. Das liegt vermutlich u.a. daran, daß sowohl seine Analysen zur Wahrnehmung als auch seine Analysen zum Verhältnis von Sprachspielen und Lebensformen im ersten Teil der Philosophischen Untersuchungen in andere Themenbereiche eingebettet sind und erst in seinen letzten Texten, insbesondere in Über Gewißheit, zunehmend eigenen Raum erhalten. Zieht man diesen Text zu einer Lektüre der Philosophischen Untersuchungen hinzu, zeigt sich aber, daß Wittgensteins Positionen in beiden Bereichen sehr nahe an denen Goodmans sind (vgl. Kap. 4). Wenn diese theoretische Konstellation von einem auf Symbolbzw. Sprachgebrauch bezogenem Konstruktivismus und Pluralismus hier als „grammatische Auffassung des Apriori“ bezeichnet wird, dann soll damit angedeutet werden, daß nicht nur Goodman, sondern auch der Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen eine der zentralen Fragestellungen der Transzendentalphilosophie unter völlig veränderten Voraussetzungen wieder aufgreift. Man kann (mit Cavell 2002 [1969]: 64 und Stetter 1974: 32) den § 90 der Philosophischen Untersuchungen in diesem Sinne als programmatische Aussage lesen: [U]nsere Untersuchung aber richtet sich nicht auf die Erscheinungen, sondern, wie man sagen könnte, auf die ‚Möglichkeiten‘ der Erscheinungen. Wir besinnen uns, heißt das, auf die Art der Aussagen, die wir über die Erscheinungen machen. (PhU § 90) Wenn diese Übersichtsskizze, die in der vorliegenden Arbeit in vielen, wenn auch nicht in allen Teilen eingeholt wird, richtig ist, dann ergibt sich aus dieser Konstellation die Frage nach dem ontologischen Status dieser „grammatischen“ apriorischen Strukturen - wo wir sie (wie im Falle der Sprache) als Regeln auffassen, nach dem ontologischen Status der Regel. Sowohl Goodman als auch Wittgenstein beantworten diese Frage im Sinne eines Nominalismus: <?page no="48"?> 44 Einleitung Für Goodman gibt es keine Klassen, nur Individuen, keine Symbolschemata an sich, nur Inskriptionen (vgl. LA 131/ 129 FN 3 und WW 94ff./ 117ff.), für Wittgenstein keine Universalien, nur Gegenstände, und keine Regeln außerhalb von Performanzen (vgl. Kap. 4). Unter diesen Voraussetzungen kehrt aber das vorkantische, empiristische Problem der Induktion in neuer Gestalt wieder: Wie kommt man von einer Inskription, von einer Performanz zur anderen? Kann man hier überhaupt von Regeln sprechen? Die vorliegende Arbeit zeigt, wie diese Fragen im Kontext des Goodmanschen und Wittgensteinschen Denkens überhaupt erst zu stellen sind, und belegt, daß es der Gedanke des Mustergebrauchs ist, der den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage darstellt. <?page no="49"?> 2 Goodmans Begriff der Exemplifikation 2.1 Mustergebrauch in symboltheoretischer Perspektive Im Sprachgebrauch der Goodmanschen Symboltheorie ist Mustergebrauch eine Bezugnahmerelation von einem Beispiel zu dem, wofür es ein Beispiel ist. Der Gebrauch von Mustern oder Beispielen ist in symboltheoretischer Perspektive somit selbst Symbolgebrauch, nicht bloß - wie etwa bei Kant - das Beibringen von Anschauungen, die unter einen Begriff fallen: „samples are symbols“ (Elgin 1983: 72). Aufgrund dieser Neubestimmung kann Mustergebrauch in symboltheoretischer Perspektive eine Rolle spielen, die weit über die spezifischen Probleme hinausgeht, zu deren Lösung der Begriff zunächst verwendet wird. In diesem Sinne geht es im vorliegenden Kapitel auch um die Rehabilitierung eines unterschätzten Themas, denn es läßt sich sicher verallgemeinern, was Goodman in Hinsicht auf Fragen der Ästhetik bemerkt: „Exemplification, though one of the most frequent and important functions of works of art, is the least noticed and understood.“ (WW 32/ 48, vgl. MM 59/ 91) Mustergebrauch wird unter der Bezeichnung „Exemplifikation“ im zweiten Kapitel von Languages of Art eingeführt. 1 Um Symbolsysteme charakterisieren und einteilen zu können, verfolgt Goodman in diesem Werk „two routes of investigation, one beginning in the first chapter and the other in the third“ (LA xii/ 10), die erst im letzten Kapitel zusammengeführt werden. Der erste „Pfad“ führt zu einer Unterscheidung unterschiedlicher Modi der Bezugnahme, die Symbolgebrauch ausmachen: Der Denotation (Bezugnahme eines Symbols auf einen Gegenstand) werden Exemplifikation (Gebrauch eines Gegenstandes als Muster) und Ausdruck (ein Spezialfall der Exemplifikation) an die Seite gestellt. Der zweite „Pfad“ stellt ein Inventar der formalen Eigenschaften von Symbolschemata und Symbolsystemen 2 auf, entwirft also eine Beschreibungssprache für das „Wie“ der Bezugnahme. Die beiden „Pfade“ werden im letzten Kapitel in einer Reflexion darüber, was Kunst ausmacht und was ihre Funktion ist, zusammengeführt (vgl. LA xii/ 10). Die folgenden Abschnitte werden sich zunächst an diesen beiden durch den Aufbau von Languages of Art vorgegebenen Themenbereichen orientieren, um 1 Bereits im ersten Kapitel bezieht Goodman sich auf Exemplifikationen, wo es um den Begriff der „Repräsentation-als“ geht (vgl. LA Kap. I.6); explizit terminologisch eingeholt werden diese Bestimmungen aber erst im zweiten Kapitel. 2 Goodman spricht von Symbolsystemen, wo es um Zeichen einschließlich ihres Bezugnahmegebiets, also der semantischen Ebene geht, und von Symbolschemata, wo man von der Semantik absieht; hier spricht Goodman von der „syntaktischen“ Ebene. <?page no="50"?> 46 Goodmans Begriff der Exemplifikation zu klären, was Exemplifikation als Modus der Bezugnahme ausmacht (2.2), welche Funktionen der Begriff der Exemplifikation innerhalb der Thematik von Languages of Art hat (2.3) und welche Eigenschaften exemplifikatorische Symbolsysteme haben (2.4). Exemplifikation wird auf diese Weise als eine Bezugnahmerelation eingeführt, die neben die Denotation gestellt ist und an der dieselben formalen Unterscheidungen vorgenommen werden können. Diese Erweiterung des Referenzbegriffs ist schon insofern von zentraler Bedeutung für symboltheoretische Analysen, als sie die Anwendbarkeit der Goodmanschen Begrifflichkeit auf unterschiedlichste Symbolsysteme und -gebräuche ermöglicht. Ein Referenzbegriff, der nur denotationale Beziehungen umfaßt, kann die meisten Fälle von Symbolgebrauch nicht adäquat erfassen. Goodmans Symboltheorie, wie sie auf diese Weise in Languages of Art aufgebaut wird, ist streng extensional d.h. jede symbolische Relation ist als Referenzverhältnis aufzufassen. Goodmans Kategorisierungen stellen so eine Beschreibungssprache zur Verfügung, die sich jederzeit nominalistisch deuten läßt. Spielt man eine solche Deutung durch - Goodman hat das in Languages of Art nicht in allen Teilen getan, da das für die Themenstellung dort nicht erforderlich ist - ist Exemplifikation auch hier von entscheidender Bedeutung: Wenn Symbolgebrauch in dieser Weise aufgefaßt werden soll, müssen sich exemplifikatorische Aspekte an jedem Symbolgebrauch festmachen lassen, sowohl auf syntaktischer als auch auf semantischer Ebene. 3 Im folgenden wird im Zuge einer solchen Deutung vor allem ein Aspekt sehr viel stärker betont als in Languages of Art: der Umstand, daß man an Exemplifikationen dieselben Unterscheidungen treffen kann wie an denotationalen Bezugnahmen, daß Beispiele ebenso standardisiert sein können wie denotationale Etiketten (vgl. 2.4). Das ist von Belang, wenn man Exemplifikationsrelationen innerhalb typisierter Symbolsysteme wie der Sprache ausmachen möchte. Läßt sich zeigen, daß jeder Symbolgebrauch einen exemplifikatorischen Anteil hat (vgl. 2.5), dann läßt sich das jeweilige Muster ontologisch im Sinne eines Nominalismus als Individuum auffassen (vgl. 2.6). Die Einführung des Exemplifikationsbegriffs wird sich so als zentraler Gedanke für eine nominalistische Rekonstruktion des Verhältnisses von Beispiel und Regel erweisen. 3 Um einem Mißverständnis vorzubeugen: hier soll nicht eine Art von Symbolgebrauch als schlechthin grundlegend ausgezeichnet werden. Exemplifikation ist ohnehin nicht eine Art von Symbolgebrauch, sondern ein Sammelbegriff für unzählige solcher Arten, die sich durch diese Richtung der Bezugnahme auszeichnen. <?page no="51"?> Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art 47 2.2 Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art 2.2.1 Denotation und Exemplifikation Jede Darstellung beruht für Goodman auf Bezugnahme. 4 Goodman führt diese Grundannahme im ersten Kapitel von Languages of Art im Kontext seiner Überlegungen zur bildlichen Darstellung ein, um einen allgemeinen Begriff von Symbolisierung zu gewinnen, an dem in den folgenden Kapiteln weitere Aspekte unterschieden werden können. Ausgangspunkt ist die Frage, was ein Bild zu einem Bild von etwas macht. In einem ersten Schritt argumentiert Goodman gegen die Auffassung, daß bildliche Darstellung 5 auf Ähnlichkeit beruht. Er führt eine Reihe von Absurditäten an, die aus einer solchen „Abbildtheorie“ („copy theory of representation“) (LA 9/ 20) folgen: So hat es z.B. keinen Sinn, alle Gegenstände, die wir unserem Sprachgebrauch nach als „ähnlich“ bezeichnen (z.B. zwei Autos desselben Modells), deshalb als Bilder von einander aufzufassen (vgl. LA 4/ 16). 6 Die Ähnlichkeitsrelation ist im Gegensatz zur bildlichen Darstellung symmetrisch und reflexiv, Ähnlichkeit ist also keine hinreichende Bedingung für bildliche Darstellung (vgl. LA 4/ 16). Umgekehrt ist sie auch keine notwendige Bedingung: „Almost anything may stand for almost anything else.“ (LA 5/ 17) Oder, wie C. Elgin formuliert, „Pei’s pyramid can denote my cat, if we establish a convention to that effect.“ (Elgin 1993: 173) An anderer Stelle bemerken Goodman/ Elgin in diesem Sinne, daß man den dargestellten Gegenstand selbst auch nicht zu kennen braucht, um zu wissen, was ein Bild darstellt. Wir sind, so ihr Beispiel, ohne jede Schwierigkeit 4 Die Ausdrücke „Bezugnahme“ bzw. „Referenz“ („reference“) und „Symbolisierung“ („symbolization“) werden entsprechend dem Goodmanschen Gebrauch (LA 4/ 16 FN 1) allgemein für das Beziehen eines Symbols auf ein Symbolisiertes verwendet, ebenso allgemein verwende ich im folgenden „Darstellung“. 5 In Languages of Art verwendet Goodman für pikturale Symbolisierung, im Gegensatz vor allem zu sprachlicher Symbolisierung, den Ausdruck „representation“ („Repräsentation“) (LA 4/ 16 FN 1); in Reconceptions treffen Goodman/ Elgin die Festlegung, daß pikturale Darstellung als „Abbildung“ („depiction“) bezeichnet wird und „Repräsentation“ sich auf Darstellungen im allgemeinen beziehen soll (R 121/ 162 FN 1). Allerdings ist der Gebrauch bei Goodman auch nicht ganz einheitlich: In Languages of Art wird v.a. das Verb „repräsentieren“ oft genug im allgemeinen Sinn von „darstellen“ gebraucht; im ersten Kapitel von Reconceptions ist die Rede von „repräsentationale[n] (oder pikturale[n]) Systemen“ (R 9/ 22), in Kap. VII wird „Repräsentation“ dagegen allgemein über Referenz bestimmt (R 107/ 145 FN 7). In der vorliegenden Arbeit wird der Ausdruck aufgrund seiner Mehrdeutigkeit vermieden. 6 Scholz (2004 [1991]: 24f.) hat darauf hingewiesen, daß sich dieses Argument sinngemäß schon bei Augustinus und in der Folge bei einer Reihe weiterer Autoren findet. <?page no="52"?> 48 Goodmans Begriff der Exemplifikation in der Lage, ein Bild als Darstellung einer Kreuzigung zu erkennen, ohne eine solche jemals gesehen zu haben (vgl. R 111f./ 150). Das systematisch entscheidende Argument ist aber, daß gar nicht sinnvoll definiert werden kann, in welcher Hinsicht eine Darstellung dem Dargestellten ähnlich sein müßte, um als dessen Bild zu gelten: [F]or the object before me is a man, a swarm of atoms, a complex of cells, a fiddler, a friend, a fool, and much more. […] If all are ways the object is, then none is the way the object is. I cannot copy all these at once; (LA 6f./ 17f.) Auch eine Ähnlichkeit in einer dieser Hinsichten kann nicht als Fundierung der Darstellungsbeziehung fungieren, denn zwei beliebige Gegenstände haben nicht eines, sondern beliebig viele Merkmale gemeinsam (vgl. dazu Elgin 1991: 12). Daher kann Ähnlichkeit nicht für Darstellungsbeziehungen konstitutiv sein; 7 sie beruhen vielmehr auf der Zuordnung von Symbol und Gegenstand, d.h. auf Bezugnahme. Dieses Verhältnis führt Goodman in diesem ersten Kapitel von Languages of Art zunächst als Denotationsverhältnis ein: The plain fact is that a picture, to represent an object, must be a symbol for it, stand for it, refer to it; […] Denotation is the core of representation […]. (LA 5/ 17) Darstellung wird auf diese Weise als ein rein extensionales Verhältnis bestimmt, das keine Fundierung in Eigenschaften des Symbols oder des Dargestellten hat. Diese Grundposition bestimmt den Symbolbegriff, den Goodman in den ersten beiden Kapiteln von Languages of Art entwickelt - das entspricht dem ersten „Pfad“. Die Überlegungen zur bildlichen Darstellung, die den thematischen Schwerpunkt der Kapitel bilden, führen immer wieder auf das zurück, was allen Darstellungen gemeinsam ist. Mit der Anwendung des Begriffs „Denotation“ auf bildliche Darstellungen wird eine Parallelisierung des Verhältnisses von Bildern zu dem, was sie darstellen, und des Verhältnisses von Prädikaten und dem, worauf sie zutreffen, vorgenommen (vgl. LA 5/ 17) - Bezugnahme ist als Grundlage für jede Art der Darstellung gedacht, ob durch „letters, words, texts, pictures, diagrams, maps, models and more“ (LA xi/ 9). 8 Unterscheidungen innerhalb dieser allgemeinen Bestimmungen werden - dem zweiten „Pfad“ entsprechend - erst in den darauffolgenden Kapiteln gesucht. Diese Einführung der Denotation in den Anfangskapiteln von Languages of Art legt zwei entscheidende Eigenschaften dieser Art der Bezugnahme fest: 7 In diesem Sinne auch R 111ff./ 150ff., R 121f./ 162f., WW 130/ 158 sowie die berühmten Seven Strictures on Similarity (PP 437ff.) von 1970. Eine ausführliche Darstellung der aufgezählten Argumente gibt Scholz (2004 [1991]: 17ff.). 8 Zu dieser Erweiterung des Denotationsbegriffs vgl. 2.6.1. <?page no="53"?> Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art 49 Erstens ist Symbolisierung als Referenzbeziehung, wie sie mit dem Begriff der Denotation hier eingeführt wird, aus keiner anderen Relation ableitbar, insbesondere nicht aus Ähnlichkeit. In diesem Sinn ist Denotation arbiträr: Ebenso wie es keinen Standpunkt gibt, von dem aus signifiant und signifié und der Charakter ihres Verhältnisses gleichsam vor ihrer Zuordnung beurteilt werden könnten (vgl. Stetter 1996: 427f.), ist auch das Denotationsverhältnis nicht motiviert und immer erst im Nachhinein in einem Abstraktionsschritt zu analysieren. Zweitens verbindet sich mit der Einführung des Denotationsbegriffs auch ein Abschied vom Mythos des „unschuldigen Auges“ (vgl. LA 8/ 19). Wenn man - im Sinne des Hauptarguments gegen die „copy theory“ - einen Gegenstand nicht in allen Hinsichten zugleich darstellen kann und keine Perspektive vorgängig als die „richtige“ ausgezeichnet ist, dann folgt, daß jede Darstellung das Einnehmen einer Perspektive bedeutet: Jede Darstellung ist zugleich eine „Repräsentation-als“ (vgl. LA 9/ 21). 9 Im Anschluß an diese Bestimmung der Denotation führt Goodman einen weiteren Modus der Bezugnahme ein, die Exemplifikation. Bei der Exemplifikation kehrt sich die Richtung der Bezugnahme im Verhältnis zur Denotationsrelation um: Denotation ist die Bezugnahme eines Etiketts auf den Gegenstand, 10 der unter das Etikett fällt, Exemplifikation ist die Bezugnahme eines Gegenstandes auf ein Etikett, unter das er fällt. Bei der Exemplifikation fungiert mit anderen Worten der Gegenstand als Muster für das Etikett. Goodmans Beispiel für Exemplifikation ist das Musterbuch des Schneiders, das kleine quadratische Stoffmuster enthält. Die Muster exemplifizieren bestimmte Etiketten (z.B. „hellgrün“ oder „kariert“), die ihrerseits den Stoff denotieren, von dem wir ein Stück kaufen. An diesem Beispiel zeigt Goodman drei wichtige Eigenschaften von Mustergebrauch: Erstens exemplifiziert ein Muster nie alle seine Eigenschaften, d.h. nie alle Etiketten, die auf es zutreffen (Stoffmuster sind z.B. in der Regel Muster für Farbe und Textur, aber nicht für Größe (vgl. LA 53/ 59)), auch nicht alle, die es mit dem teilt, wofür es ein Muster ist (ein Stoffmuster exemplifiziert z.B. in der Regel nicht die Eigenschaft an einem Dienstag hergestellt worden zu sein, obwohl das dem Muster und dem Stoffballen, von dem es stammt, gemeinsam sein mag (vgl. LA 53/ 59)); zweitens hängt es von Kontext und Gewohnheit ab, welche seiner Eigenschaften ein Muster exemplifiziert - wir wissen beim Stoffkauf, auf welche Eigenschaften es ankommt (vgl. LA 54/ 60f.); und schließlich muß ein Muster die Eigenschaft, die es exemplifi- 9 Gemeint ist hier Repräsentation-als im weiten Sinn; vgl. zu dieser Frage 2.5.2. 10 Etiketten können sich natürlich auch auf andere Etiketten beziehen. Die Rede von „Gegenständen“ soll diesen Fall hier miteinschließen. <?page no="54"?> 50 Goodmans Begriff der Exemplifikation ziert, auch selbst haben: „Exemplification is possession plus reference.“ (LA 53/ 60; vgl. R 19/ 35) Entsprechend ist Exemplifikation von bloßer Instantiierung zu unterscheiden (vgl. R 69/ 97); so spricht Goodman an einer Stelle, an der es um Exemplifikation in der Malerei geht, von den Eigenschaften that the picture makes manifest, selects, focuses upon, exhibits, heightens in our consciousness - those that it shows forth - in short, those properties, that it does not merely possess but exemplifies, stands as a sample of. (WW 65/ 85) Aus dieser Bestimmung der Exemplifikation lassen sich unmittelbar zwei Unterschiede zwischen Exemplifikation und Denotation ablesen: Exemplifikation unterscheidet sich von der Denotation in der Richtung der Bezugnahme, und damit geht ein Unterschied in den möglichen Bezugnahmegebieten einher: „while anything may be denoted, only labels may be exemplified.“ (LA 57/ 63) Damit stellt sich die Frage, ob die oben genannten Charakteristika der Denotation - Selektion einer Perspektive und Arbitrarität - auch für die Exemplifikation gelten. 2.2.2 Selektivität Jede Denotation selektiert eine Perspektive. Ein Symbol, gleich welcher Art, kann seinen Gegenstand nie vollständig darstellen. Offensichtlich gilt den oben aufgeführten Bestimmungen nach Analoges für die Exemplifikation: Wenn der bestellte Bezugsstoff dem Muster aus dem Musterbuch des Händlers darin ähnelt, daß er in Form kleiner Stoffquadrate mit Zickzackrand geliefert wird, ist - wie Goodman in Ways of Worldmaking genüßlich ausführt - etwas schiefgelaufen (WW 63ff./ 83ff.). Ein Gegenstand exemplifiziert immer nur bestimmte seiner Eigenschaften: „exemplification is selective“ (MM 59/ 92). Die Auswahl des Etiketts, auf das in einer Exemplifikation Bezug genommen wird, ist kontextabhängig: Moreover, since an object can be described in indefinitely many ways, it has indefinitely many properties. In an appropriate context it might exemplify any of them. (R 20/ 36; vgl. LA 66/ 71) Im Fall der Stoffmuster gehört das Wissen um die relevanten Aspekte zu unserem Alltagswissen; worauf Bezug genommen wird, kann aber z.B. auch durch den situativen Kontext oder durch explizite Festlegung deutlich werden. Man könnte aufgrund dieser Kontextabhängigkeit der Exemplifikation annehmen, daß sie eine Unschärfe aufweist, die bei Denotationen nicht gegeben ist. Tatsächlich scheint das durch den ersten wichtigen Anwendungsbereich des Exemplifikationsbegriffs in Languages of Art nahegelegt, die Frage nach dem „Ausdruck“ („expression“) einer Darstellung. Daß ein Bild Traurigkeit <?page no="55"?> Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art 51 ausdrückt, ist nicht als Denotation zu erklären - wenn man nicht eine merkwürdige Vermehrung von Entitäten in Kauf nehmen möchte. Goodman löst dieses Problem über den Begriff der Exemplifikation: Das Bild denotiert Traurigkeit nicht, sondern exemplifiziert sie. Da es diese Eigenschaft aber nicht im wörtlichen Sinn hat (das Bild ist nicht in demselben Sinn eine Probe für „traurig“ wie es eine Probe für „grau“ ist), handelt es sich um eine metaphorische Exemplifikation: „What is expressed is metaphorically exemplified.“ (LA 85/ 88) 11 Viele Kunstwerke wirken so in hohem Maße durch Exemplifikation. Allerdings kommt es bei der Frage, was ein Kunstwerk ausdrückt, typischerweise zu Deutungskonflikten: „Disagreements about what a work expresses are common.“ (R 21/ 37) Wir wissen nicht genau, welche Züge z.B. eines Gemäldes wir als wesentlich ansehen sollen. Oft liegt keineswegs fest, welches Merkmal ausschlaggebend ist; das für die Interpretation relevante Merkmal kann „quite subtle“ oder „somewhat hidden“ (R 69f./ 97) sein: „To exemplify is to bring out, call attention to, but not necessarily to stress a feature“ (R 69/ 97; vgl. Elgin 1993: 173). Ebenso schwierig wie die Auswahl des relevanten Merkmals kann die Auswahl des relevanten Kategoriensystems insgesamt sein. So könnte man bei einem Gemälde darüber uneins sein, ob es - etwa aufgrund seiner Farbgebung - Traurigkeit ausdrückt oder ob die Darstellung im Sinne etwa christlicher Symbolik nicht als ein Symbol der Hoffnung zu lesen ist. Auch hier kann der Kontext ausschlaggebend sein, etwa der Titel des Gemäldes, die Tatsache, daß das Bild Teil eines Altars war, oder das Wissen um den Umgang des Malers mit christlicher Symbolik in anderen Werken. 12 Diese Interpretationsbedürftigkeit ist nun allerdings nicht auf die Richtung der Bezugnahme zurückzuführen. Zum einen kann Exemplifikation - wie im Beispiel der Musterbücher - für einen entsprechenden Kontext in hohem Maße standardisiert sein: In einer Verkaufssituation, in der jemand einen Bezugsstoff wählt, ist in der Regel klar, auf welche Eigenschaften der Muster Bezug genommen wird und welche irrelevant sind. Zum anderen können Denotationen ebenso vage, ebenso interpretationsbedürftig und ebenso kontextabhängig sein wie Exemplifikationen. Es hängt von der Art der Darstellung ab, genauer: von den syntaktischen und semantischen Eigenheiten der beteiligten Symbolsysteme, daß in Fällen wie dem „traurigen“ Gemälde eine eindeutige Selektion der exemplifizierten Etiketten, ja sogar der relevanten Kategoriensysteme nicht möglich ist. Das ist nichts, was Exemplifikation von Denotation unterscheidet: Goodman/ Elgin 11 Zu Goodmans Definition der Metapher vgl. 1.3.2. 12 Analoges gilt auch für andere Künste, bei denen Ausdruck eine große Rolle spielt, etwa wenn der Titel eines Musikstücks für die Orientierung des Verständnisses eine Rolle spielt (vgl. Mahrenholz 2000: 52). <?page no="56"?> 52 Goodmans Begriff der Exemplifikation führen in Reconceptions eine ganze Reihe von Beispielen für die Kontextabhängigkeit und für die Interpretationsbedürftigkeit auch der Denotation an - dafür, daß wir wissen müssen, „what to look for, what to focus on, what to overlook“ (R 114/ 152f.), um z.B. auf einer Fotografie oder einem impressionistischen Gemälde überhaupt etwas auszumachen. Auch bei der Identifikation der Denotation kann der Kontext ausschlaggebend sein, z.B. die Festlegung durch den Gemäldetitel: I have no trouble finding an image of a woman with a guitar [auf einem kubistischen Gemälde, E.B.], once I know what to look for. […] But I might never have seen it, had I not known it was there. (R 114/ 154) Dieses Beispiel belegt außerdem, daß auch bei Denotationen nicht nur das Bezugnahmegebiet, sondern auch die relevanten Merkmale des Symbols unsicher sein können. 13 Mit anderen Worten: Jedes Symbol bedarf der Interpretation (vgl. R 19/ 35), in dem Sinne, daß wir uns, um es zu verstehen, auf ein bestimmtes Kategoriensystem festlegen müssen, aus dem es unter alternativen Symbolen ausgewählt wurde oder auf das es sich umgekehrt exemplifizierend bezieht. Dieser Interpretationsvorgang vollzieht sich innerhalb eines Kontextes und im Rahmen einer üblichen Praxis, die in der Regel zu dieser Festlegung wesentlich beitragen (vgl. LA 72/ 76 und 88/ 91). Im Kontext der Goodmanschen Argumentation kann das auch nicht anders sein. Das hängt schlicht damit zusammen, daß es keine „natürlichen“ Darstellungsweisen gibt, wie Goodmans Kritik der „copy theory“ gezeigt hat. Wir müssen lernen, welche Identifikationsmerkmale relevant sind, wir müssen eine Darstellung „lesen“ können (vgl. LA 14/ 25). Das sind die Voraussetzungen für das Verstehen und auch allgemein für „the use - that is, the fabrication, application, and interpretation - of symbols“ (R 164/ 216). Denn umgekehrt erfordert auch die Hervorbringung symbolischer Darstellungen die Wahl eines Kategoriensystems und die Auswahl aus den damit gegebenen Alternativen (vgl. R 7/ 20): The ability to describe, represent, or recognize anything requires command of a system of categories in terms of which a domain is organized. (R 6/ 19) Exemplifikation und Denotation sind in diesem Sinn gleichermaßen „selektiv“, setzen gleichermaßen Unterscheidungen zwischen Symbolsystemen und auch innerhalb von Symbolsystemen voraus und bedürfen gleichermaßen der pragmatischen Verankerung (vgl. 1.3.2). Diese Selektivität ist ein Grundcha- 13 Diese Darstellung des Sachverhalts ist noch sehr ungenau; vgl. im einzelnen die Überlegungen zur Repräsentation-als in 2.5.2. <?page no="57"?> Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art 53 rakteristikum symbolischer Bezugnahmen und konstitutiv für ihre Funktion als Medien der Welterzeugung. Was das Musterbuch des Stoffhändlers vom traurigen Gemälde unterscheidet, weshalb es im einen Fall häufig zu Deutungskonflikten kommt, im anderen in der Regel nicht, läßt sich an der Richtung der Bezugnahme nicht festmachen, dazu müssen zunächst Goodmans Unterscheidungen an Symbolsystemen dargestellt werden - die Frage wird entsprechend in 2.4.1 wieder aufgegriffen. 2.2.3 Arbitrarität Ein Gegenstand muß eine Eigenschaft haben, um sie exemplifizieren zu können. Es liegt daher nahe, Exemplifikation als eine motivierte Art der Bezugnahme aufzufassen, Denotation dagegen als arbiträr: Labeling seems to be free in a way that sampling is not. I can let anything denote red things, but I cannot let anything that is not red be a sample of redness. Is exemplification then, more intrinsic, less arbitrary, than denotation? […] The constraint upon exemplification as compared with denotation derives from the status of exemplification as a subrelation of the converse of denotation, from the fact that denotation implies reference between two elements in one direction while exemplification implies reference between the two in both directions. (LA 58f./ 65) Exemplifikation scheint also zweifach gebunden zu sein: Sie setzt die jeweilige Denotation voraus, aber nicht umgekehrt, da das Symbol bzw. der Gegenstand die exemplifizierte Eigenschaft besitzen muß. Und aus demselben Grund scheint Exemplifikation als Bezugnahmerelation auf einer intrinsischen Eigenschaft des bezugnehmenden Symbols bzw. Gegenstandes zu beruhen. Damit aber scheint ein wichtiges Element der „Ähnlichkeitstheorien“ der Repräsentation rehabilitiert zu sein. Eine Interpretation der Exemplifikation in diesem Sinn schlägt Ch. Fricke vor: Die „Grundidee“ bei der Exemplifikation sei, wie das Beispiel der Stoffmuster zeige, daß Zeichenvorkommnisse, insofern sie konkrete wahrnehmbare, einzelne Gegenstände sind, konkrete, wahrnehmbare Eigenschaften haben, daß sie diese Eigenschaften mit den Gegenständen, die sie bezeichnen, gemeinsam haben können und daß diese Gemeinsamkeit bestimmter Eigenschaften von Zeichen und Bezeichnetem konstitutiv ist für eine eigene Zeichenfunktion der Bezugnahme. (Fricke 2001: 152f.) Dies sei die einzige Möglichkeit, Exemplifikation plausibel zu verstehen; nur sei ein solcher Rückgriff auf Ähnlichkeitsrelationen für Goodman selbst gerade nicht akzeptabel. Auf dieser Grundlage versucht Fricke Widersprüche in <?page no="58"?> 54 Goodmans Begriff der Exemplifikation Goodmans Konzeption aufzudecken. Ihre Interpretation der Exemplifikation ist dabei, kurz gefaßt, die folgende: Sie hält Exemplifikation für eine Relation, die primär für bildliche Darstellungen gilt (für die sie als Ähnlichkeitsrelation plausibel gemacht werden kann) und die dann auf sprachliche Darstellungen übertragen wird (wo sie nicht mehr in dieser Weise plausibel gemacht werden kann) (vgl. Fricke 2001: 154). Diese Interpretation ist aber offensichtlich irreführend. Daß etwas rot sein muß, um eine Probe von Röte zu sein, bedeutet natürlich nicht, daß das exemplifizierte Etikett „rot“ diese Eigenschaft ebenfalls haben müßte; es muß lediglich auf den exemplifizierenden Gegenstand zutreffen. „Besitz“ (einer Eigenschaft) bei einem Element sagt nichts über Ähnlichkeit aus, sondern nur über das logische Verhältnis von Exemplifikation und Denotation. Diese Frage darf nicht mit der Frage der Darstellungskonventionen verwechselt werden. Diese sind - wenn Ähnlichkeit einmal als Basis für Denotation abgelehnt ist - arbiträr: 14 A picture of a green goblin, of course, need no more be green than be a goblin; it may be black and white but is, and exemplifies being, a green-goblin-picture. (LA 66/ 71) Ob etwas als Denotation eines grünen Koboldes gilt, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von Darstellungskonventionen, „Verankerungen“ 15 der Darstellung (z.B. dem Gemäldetitel) oder anderen Elementen des Kontextes (z.B. der Geschichte, die ein Bild illustriert) etc. Von diesen und anderen Faktoren müssen dann auch die entsprechenden Exemplifikationen abhängen. Wenn eine Darstellungskonvention es mir erlaubt, grüne Kobolde schwarzweiß darzustellen, kann diese Darstellung - gegeben etwa einen geeigneten Gesprächskontext - das Etikett „grüner-Kobold-Bilder“ auch exemplifizieren, und ein grüner Kobold kann in einem geeigneten Kontext die schwarzweiße Zeichnung exemplifizieren. 16 Mit anderen Worten: Wenn Denotation nicht 14 Goodman/ Elgin räumen an einer Stelle ein, daß es Einschränkungen der Beliebigkeit gibt: „To deny that resemblance is the basis for pictorial representation is not to say that anything can be a picture of anything else. There may well be limits on the structure and complexity of systems we can master.“ (R 115/ 154f.) 15 „Verankerung“ („ancrage“) ist an dieser Stelle (und nur hier) verstanden im Sinne von R. Barthes, der die Festlegung des Sinns einer bildlichen Darstellung durch zusätzliche Informationen wie Bildunterschriften etc. so nennt (vgl. Barthes 1993 [1964]: 1421f.). 16 Das heißt nicht, daß Darstellungskonventionen die Definition der Exemplifikation als „Besitz plus Bezugnahme“ auf eine Eigenschaft aushebeln. Ein schwarzweißes grüner-Kobold- Bild kann das Etikett „grün“ nicht direkt exemplifizieren. Das Bestehen entsprechender Darstellungskonventionen erlaubt es aber, bestimmte Bezugnahmeketten zu durchlaufen: Wenn mich jemand bittet, auf einem schwarzweißen Bild etwas Grünes zu zeigen, und ich auf den fraglichen Kobold deute, dann denotiert die schwarzweiße Koboldzeichnung den <?page no="59"?> Exemplifikation als Modus der Bezugnahme in Languages of Art 55 auf Ähnlichkeit beruht, kann auch Exemplifikation nicht auf Ähnlichkeit beruhen, da Ähnlichkeit eine symmetrische Relation ist (vgl. oben 2.2.1). In diesem Sinne könnte man die Exemplifikation vielleicht als „relativ motiviert“ bezeichen, da sie von der Denotation abhängt, aber eben nur von dieser. Die Frage nach der Fundierung von Mustergebrauch führt also auf die architektonische Abhängigkeit der Exemplifikation von der Denotation. Diese hat ihren Grund in der Architektonik der Goodmanschen Theorie: Ever so often a critic of one of my writings complains that on some topic I ‚state without argument that…‘. A particular example I vaguely remember from somewhere reads something like: „Goodman states without argument that the core of representation is denotation.“ This led me to reflect on why I made so crucial a declaration without argument. And the reason is that argument in any sense that involves inference from premises would be utterly inappropriate here. In such a context, I am not so much stating a belief or advancing a thesis or a doctrine as proposing a categorization or scheme of organization, calling attention to a way of setting our nets to capture what may be significant likenesses and differences. (WW 129/ 157) Diese Darstellung seiner eigenen Theorie entspricht seinen konstruktivistischen Grundannahmen: Weltkonstruktionen beginnen nicht mit wahren oder absoluten Grundlagen, sie sind „a way of setting our nets“. Weder „Denotation“ noch „Referenz“ sind ontologisch ausgezeichnet (tatsächlich setzt - wie in Abschnitt 2.5 zu zeigen sein wird - auch Denotation Exemplifikation voraus); ihre Wahl als Ausgangspunkte aber ist vom extensionalistischen Charakter seiner Herangehensweise bestimmt. 17 Das Verhältnis von Denotation und Exemplifikation stellt sich damit in den ersten Kapiteln von Languages of Art folgendermaßen dar: Die Denotationsrelation ist nicht auf etwas anderes zurückzuführen, Exemplifikation dagegen setzt Denotation voraus. Im Rahmen einer Architektonik, in der die Denotation als primäre Relation gilt, ist Exemplifikation somit die komplexere Form der Bezugnahme. Sie erfordert eine Bezugnahme in zwei Richtungen (LA 58f./ 65). Sie unterscheidet sich von Instantiierung aber dadurch, daß sie selektiv ist und nicht einfach die Umkehrung der Denotation darstellt; mit anderen Worten ist Denotation eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Exemplifikation. Exemplifikation ist eine „subrelation of the converse of denotation“ (LA 58f./ 65). Kobold, der seinerseits das Etikett „grün“ exemplifiziert. Sollte es keine Kobolde geben, wird die Beschreibung komplizierter. 17 Vgl. zum Extensionalismus Goodmans unten 2.6.1. <?page no="60"?> 56 Goodmans Begriff der Exemplifikation 2.3 Der systematische Ort der Exemplifikation in Languages of Art 2.3.1 Funktionen der Exemplifikation Der Begriff der Exemplifikation wird in Languages of Art zunächst eingeführt, um zwei scheinbar technische Probleme zu lösen, die sich für Goodman aufgrund seiner extensionalistischen Beschreibung von Symbolgebrauch stellen: Zum einen das Problem der Nulldenotation (Wie kann man etwas darstellen, das es nicht gibt und das man folglich auch nicht denotieren kann? ), zum anderen das Problem des Ausdrucks (Wie kann eine Darstellung etwas ausdrücken, was sie nicht denotiert, etwa Trauer oder Freude? ). Der Begriff der Exemplifikation erlaubt es Goodman, diese Probleme zu lösen, ohne die extensionalistische Orientierung seines Ansatzes preiszugeben. Das Problem der Nulldenotation tritt für alle extensionalistischen Bedeutungstheorien auf: Wenn Darstellung auf Bezugnahme beruht, was stellt dann ein Bild von einem Einhorn dar, worauf nimmt es Bezug (LA 21/ 31ff)? Anders formuliert: Etiketten mit Nulldenotation, etwa „Pickwick“ und „Don Quixote“, haben alle dieselbe Extension - müßten sie nicht auch dieselbe Bedeutung haben? 18 Goodmans Antwort beruht auf dem Begriff der Exemplifikation und zeigt eine weitere wichtige ihrer Eigenschaften. Daß ein Bild ein Einhorn darstellt, heißt, daß wir es als „Einhorn-Bild“ erkennen, daß es also für uns die Klasse der „Einhorn-Bilder“ exemplifiziert. Es denotiert nichts, und das ist für sein Funktionieren als Symbol auch nicht notwendig (LA 21ff./ 31ff.) - schließlich lernen wir „Einhorn-Bilder“ als solche zu erkennen, indem wir andere Einhorn-Bilder ansehen und gerade nicht Einhörner. 19 Denotation kann fiktiv sein, in dem Sinne, daß „a ‚fictive‘ predicate is […] an actual predicate with null extension“ (LA 67/ 72); man kann durchaus auch davon sprechen, daß ein solches Prädikat fiktiv exemplifiziert wird - etwa „geflügeltes Pferd“ durch Pegasus. (Goodman stellt aber klar, daß das eine ungenaue Redeweise ist: Genau genommen exemplifiziert „Pegasus“ das Etikett „geflügeltes-Pferd-Etikett“ (vgl. LA 67/ 72).) Für die Exemplifikation ist das anders, und das ist auch der Grund, aus dem sie das Problem der Nulldenotation für jeden erdenklichen Fall aus dem Weg schafft: „Exemplification is never fictive“ (MM 60/ 93), da das Etikett, auf das in der Exemplifikation Bezug genommen wird, zumindest auf den Gegenstand, der als Muster fungiert, per definitionem zutrifft: „Though we often ostensibly apply actual labels to fictive things, we can hardly apply fictive labels; for a label used exists.“ (LA 67/ 72) 18 Zur Rekonstruktion der Verwendung solcher fiktiver Namen im einzelnen vgl. WW 104/ 129 FN 10. 19 Zu den Konsequenzen für eine Bedeutungstheorie vgl. unten 2.5.2. <?page no="61"?> Der systematische Ort der Exemplifikation in Languages of Art 57 Darüber hinaus spielt Exemplifikation bei einer ganzen Reihe weiterer Analysen eine wichtige Rolle, so z.B. bei der Definition stilistischer Merkmale (Wie kann man „Stil“ definieren, ohne eine offensichtlich unhaltbare Trennung zwischen Form und Inhalt, dem „Wie“ und dem „Was“ einer Darstellung einzuführen? ) oder bei der Bestimmung der Variation (Wie lassen sich Übereinstimmung und Kontrast von Thema und Variation beschreiben, ohne auf „Ähnlichkeit“ zu rekurrieren? ). 20 Exemplifikation erlaubt es, mit einer extensionalistischen Symboltheorie Bereiche zu beschreiben, die eine klassische extensionalistische Bedeutungstheorie als bedeutungsleer auffassen muß - vor allem eben die Bereiche, die traditionell der Ästhetik überlassen sind. Das ist eine der Voraussetzungen dafür, daß Goodmans Symboltheorie bestehende Symbolsysteme unterschiedlichster Art überhaupt beschreiben kann. Exemplifikation erlaubt es, einen extensionalistischen Ansatz zu vertreten, ohne in die Versuchung zu kommen, eine „Idealsprache“ bzw. ein ideales Symbolsystem zu fordern, in der es keine Ausdrücke ohne Extension gibt. Daran läßt sich bereits ablesen, daß Exemplifikation in der Architektonik der Goodmanschen Theorie eine entscheidende Rolle spielt: Die Einführung des Exemplifikationsbegriffs verändert den Begriff der Referenz in einer Weise, die es Goodman letztlich erlaubt, seinen Extensionalismus mit einer allgemeinen Philosophie der Welterzeugung zu verbinden, die sich nicht auf eine Art von Symbolsystemen oder von Symbolgebrauch beschränkt. Wie weitreichend die Folgen dieser Veränderung darüber hinaus sind, wird sich im folgenden am Versuch der Modellierung von Symbolgebrauch erweisen (vgl. dazu im einzelnen 2.5). Abschätzen lassen sie sich allerdings erst, wenn zunächst die unterschiedlichen Typen von Symbolsystemen charakterisiert werden; das geschieht in den folgenden Abschnitten ausgehend von einer weiteren Funktion der Exemplifikation: Exemplifikation ist eines der „Symptome“, die in Goodmans Theorie des Ästhetischen darauf hinweisen, daß eine Darstellung als Kunstwerk aufgefaßt werden kann. 2.3.2 Exemplifikation als Symptom des Ästhetischen In Languages of Art entwirft Goodman eine allgemeine Symboltheorie, in der Symbole in ihrer Funktion als Medien der Erkenntnis, d.h. der Weltkonstruktion in den Blick kommen. Der Symbolgebrauch in den Künsten und in den Wissenschaften wird gleichermaßen auf diese kognitive Funktion hin und daher auch mittels derselben formalen Kategorien untersucht. Daraus folgt für 20 Vgl. Ways of Worldmaking Kap. II sowie Reconceptions Kap. IV. Damit sind natürlich weder die Funktionen noch die möglichen Anwendungsbereiche des Exemplifikationsbegriffs erschöpfend dargestellt. So hat z.B. S. Mahrenholz nachgewiesen, daß Musik in hohem Maße durch Exemplifikation wirkt (vgl. Mahrenholz 2000: 6 und 302). <?page no="62"?> 58 Goodmans Begriff der Exemplifikation Goodman nicht, daß künstlerischer und wissenschaftlicher Symbolgebrauch sich nicht unterscheiden - im letzten Kapitel von Languages of Art und im vierten Kapitel von Ways of Worldmaking geht Goodman im Gegenteil der Frage nach, welche Kriterien für Kunst man unter diesen Voraussetzungen sinnvoll annehmen kann. Aus diesen systematischen Vorgaben ergibt sich allerdings bereits, daß es keine absolute Grenze geben kann, die Kunst von anderen Arten des Symbolgebrauchs trennt, sondern nur „Symptome“ des Ästhetischen („symptoms of the aesthetic“ (LA 252/ 232)): „A symptom is neither a necessary nor a sufficient condition for, but merely tends in conjunction with other such symptoms to be present in, aesthetic experience.“ (LA 252/ 232) In Ways of Worldmaking bringt Goodman diese Verschiebung der Perspektive auf die Formel, die Wesensfrage „What is art? “ sei durch die Frage „When is art? “ zu ersetzen (vgl. WW 66f./ 86f.). Goodman nennt fünf 21 solcher Symptome, darunter die Exemplifikation. In welchem Sinn Exemplifikation ein Symptom für künstlerischen Symbolgebrauch sein kann, läßt sich nur nachvollziehen, wenn man Exemplifikation im Verhältnis zu den anderen Symptomen des Ästhetischen sieht, das heißt im Verhältnis zu den anderen Analyseebenen in Languages of Art. Neben der Komplexität und Vielfalt der Bezugnahmen sowie der Exemplifikation führt Goodman syntaktische und semantische Dichte sowie relative syntaktische Fülle als Symptome des Ästhetischen an (vgl. LA 252f./ 232f.; WW 67f./ 88f.). Diese Kategorien unterscheiden nicht Modi der Bezugnahme (wie „Denotation“ und „Exemplifikation“), sondern syntaktische und semantische Eigenschaften von Symbolsystemen und den Charakter der Bezugnahme insgesamt. Sie werden in Kapitel III-V von Languages of Art eingeführt, entsprechen also dem zweiten „Pfad“ der Untersuchung, der auf die Unterschiede zwischen Symbolsystemen hinführt. Diese Kategorien sollen im folgenden kurz skizziert werden, damit ihr Verhältnis zur Exemplifikation aufgewiesen werden kann. Im Anschluß daran läßt sich auch die Frage nach dem Unterschied zwischen standardisierten und nicht standardisierten Exemplifikationen - dem Musterbuch des Händlers und dem traurigen Gemälde - klären, die oben unbeantwortet geblieben war. Goodman geht im III. Kapitel von Languages of Art von der Frage aus, was sogenannte „autographische“ („autographic“) Künste, in denen der Unterschied von Original und Kopie eine Rolle spielt (etwa die Malerei), von sogenannten „allographischen“ („allographic“) Künsten unterscheidet, bei denen das nicht der Fall ist (etwa die Musik oder die Literatur) (vgl. LA 113/ 113). 21 In Languages of Art geht Goodman von vier Symptomen aus, in Ways of Worldmaking kommt ein fünftes, die Komplexität der Bezugnahme, hinzu (vgl. LA 252f./ 232f.; WW 67f./ 88f.). <?page no="63"?> Der systematische Ort der Exemplifikation in Languages of Art 59 Entscheidend ist dabei die Frage, was an der jeweiligen Darstellungsweise die Identität eines Werkes ausmacht - Symbolisierung in der Malerei geht offensichtlich mit Einzigartigkeit der Darstellung einher, wohingegen Symbolisierung in Musik oder Literatur Reproduzierbarkeit mit einschließt. Daß unterschiedliche Exemplare desselben Buchs oder unterschiedliche Aufführungen desselben Werks als solche erkannt werden können, führt Goodman auf eine Reihe von Eigenschaften zurück, die die Struktur der verwendeten Symbolschemata einerseits und das Verhältnis dieser Schemata zu dem, was sie denotieren, andererseits betreffen. Symbolsysteme, die Reproduzierbarkeit garantieren, nennt Goodman „Notationen“ („notations“). 22 Sie zeichnen sich durch zwei syntaktische und drei semantische Merkmale aus. 23 Als „syntaktisch“ bezeichnet Goodman dabei Eigenschaften des Symbolschemas; als „semantisch“ bezeichnet Goodman Merkmale des Verhältnisses von Symbolschema und Bezugnahmegebiet. Beide Analyseebenen werden rein extensional aufgefaßt, d.h. nach dem Muster der Zuordung von Elementen zu Klassen. Symbolschemata werden in diesem Sinn aufgefaßt als Zuordnung von „Inskriptionen“ („inscriptions“), d.h. Zeichengestalten, zu Klassen, den „Charakteren“ („characters“). 24 Wenn jede Inskription eines Schemas genau einem Charakter zugeordnet ist, Charaktere also keine Inskriptionen gemeinsam haben, nennt Goodman die Charaktere „disjunkt“ („disjoint“) (LA 133/ 130); syntaktische Disjunktivität („disjointness“) bedeutet, daß Inskriptionen eines Charakters echte Kopien von einander, d.h. ohne Folgen für die Syntax gegen einander austauschbar sind (LA 132/ 129). Notationale Schemata müssen syntaktisch disjunkt sein. Darüber hinaus muß in Notationen prinzipiell 25 entscheidbar sein, zu welchem Charakter eine Inskription gehört, d.h. die Charaktere müssen „endlich differenziert“ („finitely differentiated“) bzw. „artikuliert“ („articulate“) sein (LA 135/ 132). 22 In Goodmans Sprachgebrauch kann man, wo keine Verwechslung möglich ist, sowohl notationale Schemata als auch notationale Systeme als „Notationen“ bezeichnen (vgl. LA 130f./ 128). 23 Das folgende gibt die Unterscheidungen und Definitionen aus dem IV. Kapitel von Languages of Art stark vereinfacht wieder; das ist hier ausreichend, um zu klären, wie diese Kategorien sich zum Begriff der Exemplifikation verhalten. 24 Genauer gesagt werden „Marken“ („marks“) zu Klassen geordnet und damit als Inskriptionen eines Charakters aufgefasst (vgl. LA 131/ 128). 25 In Reconceptions sprechen Goodman/ Elgin statt von „endlicher“ von „effektiver“ Differenzierung, um deutlich zu machen, daß die Differenzierung in der Praxis durchführbar sein muß (nicht nur prinzipiell möglich), damit die Notation als solche funktioniert, und daß es von den Erfordernissen des Kontextes abhängt, was als relevanter Unterschied zwischen zwei Inskriptionen gilt (vgl. R 125/ 167). <?page no="64"?> 60 Goodmans Begriff der Exemplifikation Analoges gilt für die semantische Ebene: In notationalen Systemen darf ein Erfüllungsgegenstand (ein Gegenstand, auf den ein Etikett referiert) nicht zu mehr als einer Erfüllungsklasse (der Klasse von Gegenständen, auf die ein Etikett referiert) gehören (Disjunktivität), und es muß entscheidbar sein, zu welcher Klasse er gehört, welchem Symbol er also zuzuordnen ist (Differenziertheit) (vgl. LA 149ff./ 144ff.). Neben syntaktischer und semantischer Disjunktivität sowie syntaktischer und semantischer Differenziertheit müssen Notationen eine weitere semantische Bedingung erfüllen: Eindeutigkeit - d.h. einem Symbol darf nicht mehr als eine Erfüllungsklasse zugeordnet sein (vgl. LA 148/ 144). 26 Wenn diese fünf Bedingungen erfüllt sind, kommt man in einer eindeutigen Folge von Schritten vom Erfüllungsgegenstand zur Inskription und von der Inskription zur gleichen Erfüllungsklasse zurück, so daß die Darstellung in einem notationalen System die Identität des Werks garantieren kann (vgl. zu dieser Beschreibung LA 149/ 146). Diese Kategorien verwendet Goodman, um unterschiedliche Typen von Symbolsystemen zu charakterisieren: Analoge Systeme sind syntaktisch und semantisch durchgängig nicht differenziert - Goodman spricht auch von „dichten“ („dense“) Systemen (vgl. LA. 136/ 133); 27 digitale Systeme sind syntaktisch und semantisch durchgängig differenziert (vgl. LA engl. 160f./ 154f.); 28 die Vielzahl der Fälle, die zwischen diesen beiden Polen einzuordnen ist, hat keinen eigenen Namen. Mit diesen Unterscheidungen lassen sich zwei der Fragen beantworten, die Goodman in Languages of Art stellt: Erstens läßt sich auf diese Weise der Unterschied zwischen autographischen und allographischen Künsten definieren. Notationale Darstellungen ermöglichen die Reproduzierbarkeit von Werken; allographische Künste zeichnen sich durch (näherungsweise) notationale Darstellungssysteme aus. Von den traditionellen Aufschreibesystemen können z.B. die Notenschrift für klassische westliche Musik oder das Alphabet als mehr oder weniger notationale Systeme gelten. 29 26 Strenggenommen ist es umgekehrt auch nicht zulässig, daß zwei Charaktere genau dieselbe Erfüllungsklasse haben, Redundanz gilt Goodman aber als eher unschädlich (vgl. LA 151/ 147). 27 Genauer gesagt, genügt es nicht, daß ein System nicht differenziert ist, damit es als analog gilt; es muß außerdem kontinuierlich sein: „[D]ensity, while it implies, is not implied by complete lack of differentiation; and a system is analog only if dense.“ (LA 160/ 154) 28 Durchgängige Differenziertheit ist das Definitionsmerkmal digitaler Systeme, Goodman geht in seinen Überlegungen aber von digitalen Systemen aus, die auch die übrigen Bedingungen für Notationen erfüllen (vgl. LA 161/ 155). 29 „Mehr oder weniger“, da im Fall der Partituren nur die Notenschrift im engeren Sinn in etwa notational ist (vgl. LA 183f./ 174f.). Das Alphabet kann nur insofern als mehr oder weniger notational betrachtet werden, als man es als „Partitur“ für das Gesprochene auffaßt, nicht wenn man das Geschriebene auf Gegenstände bezieht (vgl. LA 207/ 195). Im letzteren Fall (der bei natürlichen Sprachen der gewöhnliche ist (vgl. Stetter 2005b: 47)) spricht Good- <?page no="65"?> Der systematische Ort der Exemplifikation in Languages of Art 61 Dagegen gibt es für Gemälde keine notationale Beschreibung, die sich auf die für uns bedeutsamen Aspekte bezöge (LA 198/ 187). 30 Zweitens verhilft die Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Systemen zwar nicht zu einer Definition für Bilder im Gegensatz zu sprachlichen Darstellungen, wie sie im ersten Kapitel von Languages of Art gesucht war, aber doch zur Bestimmung einer notwendigen Bedingung: A full scheme is pictorial only if analog, verbal only if digital. But it is not the case that a full scheme is pictorial if analog, verbal if digital. In other words, not every analog full scheme is pictorial and not every digital full scheme is verbal. (R 130/ 174) Um den Bereich des Pikturalen innerhalb des Analogen weiter einzugrenzen, führt Goodman im letzten Kapitel von Languages of Art eine weitere Bestimmung ein, die „Fülle“ („repleteness“) einer Darstellung. Die relative „Fülle“ unterscheidet pikturale von sogenannten „diagrammatischen“ („diagrammatic“) Schemata, die Skizze eines Bergzugs von der Kurve eines Elektrokardiogramms oder ein vom Flugzeug aus aufgenommenes Bild von einer Landkarte, die nur die Höhenlinien zeigt (vgl. LA 229/ 212). Der Begriff der Fülle spielt in Languages of Art vor allem als Symptom des Ästhetischen eine Rolle; als solches soll er klarmachen, weshalb Diagramme, obwohl sie syntaktisch ebenso dicht sein können wie Bilder (und damit zumindest ein Symptom des Ästhetischen aufweisen können), unter normalen Umständen nicht unter die Kunstwerke gezählt werden. 31 Die Kurve eines Elektrokardiogramms und eine Darstellung des Fujiyama von Hokusai sind gleichermaßen syntaktisch dichte Darstellungen, da sie - obwohl sie „assumed disjoint“ (LA 229/ 212) sind 32 - der Differenziertheitsbedingung nicht genügen. Obwohl beide Darstellungen aus derselben Linie bestehen könnten, also eine identische Marke vorliegen könnte, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer syntaktischen Eigenschaften: man von Texten als „Skripten“ („scripts“), die syntaktisch differenziert und disjunkt sind, nicht aber semantisch (vgl. LA 199/ 187). 30 Selbstverständlich lassen sich aber Gemälde mit Hilfe digitaler Systeme klassifizieren, etwa in einem Katalog (vgl. LA 194/ 183f.). 31 Nicht alle Diagramme sind analog: „if the curve on a chart showing annual car production over a decade merely joins the several numbered points to emphasize the trend, the intermediate points on the curve are not characters of the scheme and the diagram is purely digital.“ (LA 170/ 163) 32 „Vermutlich disjunkt“ sind sie, da jeder Punkt der Darstellung als genau einem Charakter zugeordnet aufgefaßt werden kann, diese Zuordnung in einer dichten Darstellung in der Praxis aber nicht einholbar ist. <?page no="66"?> 62 Goodmans Begriff der Exemplifikation [T]he constitutive aspects of the diagrammatic as compared with the pictorial character are expressly and narrowly restricted. The only relevant features of the diagram are the ordinate and abcissa of each of the points the center of the line passes through. The thickness of the line, its color and intensity, the absolute size of the diagram, etc., do not matter; whether a purported duplicate of the symbol belongs to the same character of the diagrammatic scheme depends not at all upon such features. For the sketch this is not true. Any thickening or thinning of the line, its color, its contrast with the background, its size, even the qualities of the paper - none of these is ruled out, none can be ignored. […] the symbols in the pictorial scheme are relatively replete. (LA 229f./ 212f.) Aus Goodmans eher summarischer Beschreibung der Fülle ergibt sich ein Interpretationsproblem: Ein Kriterium für Fülle ist offensichtlich, daß die Eigenschaften, die für einen Charakter im Symbolschema konstitutiv sind, nicht festzulegen sind - jede Eigenschaft könnte relevant sein; d.h. die Anzahl der für das Verständnis der Darstellung notwendigen Merkmale ist nicht festgelegt. Demnach dürften Diagramme, bei denen das Gegenteil der Fall ist, nicht „voll“ genannt werden. Andererseits sollen Unterschiede in der Fülle der Darstellung graduell sein (vgl. LA 230/ 213); Diagramme sollen also „weniger voll“ sein als etwa die Skizze des Malers, aber eben über eine minimale Fülle verfügen. Die relative Fülle einer Darstellung läge also in der Anzahl der relevanten Merkmale, nicht darin, daß die Anzahl unbestimmt ist. Am Text läßt sich die Frage nicht entscheiden; das reichste Einteilungssystem ergibt sich aber, wenn man die beiden Kriterien schlicht auseinanderhält: Wenn Fülle als Kategorie etwas darüber aussagt, wieviele Dimensionen der Beschreibung für einen Charakter konstitutiv sind, verfügt in diesem Sinn jede Darstellung über eine bestimmte Fülle, Gemälde ebenso wie analoge Diagramme oder digitale Darstellungen. Dabei ist nicht gesagt, daß digitale Darstellungen per se eine geringere Fülle haben als etwa analoge Diagramme: Ein analoges Diagramm mit zwei charakter-konstitutiven Eigenschaften, wie das oben aufgeführte Elektrokardiogramm, ist weniger voll als ein digitales System, in dem etwa die Farbe, die Gestalt und die Position einer Marke über ihre Zugehörigkeit zu einem Charakter entscheiden. Wo die entsprechenden Dimensionen nicht festgelegt sind, etwa bei Skizzen und Gemälden, lassen sich solche Unterschiede in der Fülle überhaupt nur festmachen, wenn eine Darstellung alle Dimensionen einer anderen einschließt und darüber hinaus weitere aufweist (vgl. LA 230/ 213). Das „Mehr-oder-Weniger“ an Fülle wird damit aber von einer dichotomischen Unterscheidung durchzogen: Sowohl bei analogen Diagrammen als auch bei digitalen Darstellungen ist festgelegt, welche Dimensionen relevant sind, bei Gemälden oder Skizzen nicht. Damit ergibt sich folgende Aufteilung: Dichte Schemata können hinsichtlich der relevanten Dimensionen festgelegt sein (z.B. analoge Diagramme) oder nicht <?page no="67"?> Exemplifikationssysteme 63 (z.B. Bilder). Artikulierte Schemata dagegen (diagrammatisch oder nicht) sind in dieser Hinsicht immer festgelegt: Determiniertheit der Dimensionen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für syntaktische Differenziertheit. Hinsichtlich der Anzahl der relevanten Dimensionen läßt sich weder für dichte noch für artikulierte Schemata eine prinzipielle Festlegung treffen. Die beiden Aspekte - Anzahl der relevanten Dimensionen und Determiniertheit der relevanten Dimensionen - sind in Goodmans Bestimmung der Fülle zusammengenommen. Das liegt vermutlich daran, daß Fülle, wo sie als „Symptom des Ästhetischen“ dienen soll, wohl am sinnvollsten als Schnittmenge der beiden Bestimmungen anzusehen ist. Schließlich geht es bei der Einführung der Kategorie Fülle gerade darum, Kunstwerke, wie Skizzen, von analogen Diagrammen einerseits und digitalen Darstellungen andererseits zu unterscheiden, und Kunstwerke haben nicht nur typischerweise eine Vielzahl von relevanten Beschreibungsdimensionen, sondern eröffnen auch die Möglichkeit, immer weitere zu entdecken. Mit Hilfe der Kategorien aus Languages of Art lassen sich vier voneinander unabhängige Achsen der Unterscheidung an ein Symbolsystem anlegen: die Richtung der Bezugnahme, die syntaktischen Eigenschaften, die semantischen Eigenschaften und die Dimensionen der Darstellung. Auf diesen Achsen sind jeweils bestimmte Elemente als symptomatisch für Kunstwerke ausgezeichnet - nämlich jeweils Dichte und relative Fülle, d.h. Raum für Interpretation. Das wirft nun die Frage auf, ob das hinsichtlich der Exemplifikation - die ja für Goodman ebenfalls ein Symptom des Ästhetischen ist - in derselben Weise gilt, ob also exemplifikatorische Darstellungen per se mehr Deutungsvarianten zulassen als denotationale. Die Überlegungen zur Selektivität der Exemplifikation (vgl. 2.2.2) hatten in dieser Hinsicht ja gerade keinen Unterschied zwischen Exemplifikation und Denotation ergeben. Das läßt sich prüfen, indem man die obigen Kategorien auf Exemplifikationssysteme („exemplificational systems“) (LA 234f./ 216f) anwendet. 2.4 Exemplifikationssysteme 2.4.1 Symboltheoretische Eigenschaften von Exemplifikationssystemen Die syntaktischen und semantischen Unterscheidungen, die Goodman einführt, um Notationen einerseits und Bilder andererseits zu bestimmen, beziehen sich zunächst auf denotationale Bezugnahmen (vgl. LA 143/ 139f.). Um sie auf Exemplifikationen anwenden zu können, erweitert Goodman die getroffenen Bestimmungen semantischer Disjunktivität bzw. Differenziertheit sowie der Eindeutigkeit und der Kontinuität derart, daß sie „in terms of reference and reference-classes rather than of compliance (or denotation) <?page no="68"?> 64 Goodmans Begriff der Exemplifikation and compliance classes (or extensions)“ (LA 233f./ 216) ausgedrückt werden. Die Erweiterung ist nach Goodman unproblematisch (vgl. LA 234/ 216). Die Beschreibung von Exemplifikationssystemen mit Hilfe dieser Kategorien ist aber in jedem Fall komplexer als die Anwendung auf denotationale Systeme: Für die syntaktischen Bestimmungen bleibt sich die Beschreibung gleich, da es auch bei der Exemplifikation um das Verhältnis von Inskription und Charakter geht (vgl. Elgin 1983: 121). Aber da Exemplifikation immer Bezugnahme auf Etiketten bedeutet, umfaßt eine entsprechende Beschreibung neben der Charakterisierung der exemplifizierenden Symbolsysteme auch eine Charakterisierung der exemplifizierten Symbolsysteme. Eine Reihe solcher komplexer Beschreibungen spielt Goodman in Languages of Art durch, etwa den Ausdruck von Emotionen durch ein literarisches Werk, Ausdruck bei Gemälden oder die Exemplifikation einer Partitur durch ihre Aufführung (vgl. LA 232ff./ 215ff.). Die genannten Erweiterungen vorausgesetzt, bleiben die Kriterien aber dieselben wie bei Denotationssystemen. Für die syntaktische Ebene sind sie identisch, für die semantische Ebene sind sie folgendermaßen zu formulieren: Semantische Disjunktivität bei Exemplifikationssystemen besagt, daß kein Etikett von mehr als einem Symbol 33 (d.h. einem Charakter in einem Exemplifikationssystem) exemplifiziert wird, semantische Differenziertheit, daß für jedes Etikett entscheidbar ist, ob es von einem gegebenen Symbol exemplifiziert wird oder nicht (vgl. Elgin 1983: 121f.). Goodman spielt das in Languages of Art für literarische Werke durch: Wenn ein literarisches Werk eine Qualität exemplifiziert, etwa „stilsicher“, ist sowohl das System, aus dem die exemplifizierenden Symbole stammen (die englische Sprache), als auch das System, aus dem die exemplifizierten Symbole stammen (die englische Sprache), syntaktisch differenziert und semantisch dicht. The system read downward from the denoting or exemplified terms to the denoted or exemplifying work is, of course, syntactically articulate but semantically dense. Accordingly one might expect that for the system read in the opposite direction […] the syntactic and semantic characteristics will be interchanged. Actually this system, too, is syntactically articulate and semantically dense. (LA 239/ 220f.) Die syntaktischen Eigenschaften des Exemplifikationssystems sind diejenigen des Systems, aus dem die Symbole stammen; die semantischen Eigenschaften hängen davon ab, wie das System die exemplifizierten Etiketten sortiert (vgl. Elgin 1983: 122). Im Fall eines stilsicheren Textes läßt sich nicht mit Sicherheit 33 Wenn etwas ein Etikett exemplifiziert, fungiert es als Symbol, daher im folgenden die Rede von (exemplifizierten) „Etiketten“ und (exemplifizierenden) „Symbolen“, wo es um die Elemente der Exemplifkation geht. Der Sprachgebrauch lehnt sich an Elgin (1983: 121ff.) an. <?page no="69"?> Exemplifikationssysteme 65 sagen, ob der Text nicht vielmehr verdiente „elegant“ oder „gelungen“ genannt zu werden. Es ist also nicht entscheidbar, welches der Etiketten exemplifiziert wird, da die exemplifizierten Etiketten ihrerseits einem semantisch dichten (Denotations-)System angehören. Die semantische Differenziertheit des Exemplifikationssystems hängt also von der des exemplifizierten Systems ab, vorausgesetzt dieses wird in gewohnter Weise gebraucht. Entsprechend läßt sich der Fall des traurigen Gemäldes und der Farbmuster des Stoffhändlers symboltheoretisch beschreiben. Eine solche Beschreibung muß Auskunft darüber geben, was eigentlich gemeint ist, wenn wir die Farbmuster vortheoretisch als standardisierter auffassen als das Gemälde. In Abschnitt 2.2.2 ist bereits zur Sprache gekommen, daß Exemplifikation durch den Kontext festgelegt sein muß, wo sie als exakte Bezugnahme fungieren soll. Auch die folgenden Kategorisierungen setzen den Rekurs auf den Kontext immer voraus, denn syntaktische und semantische Eigenschaften von Symbolen sind nicht intrinsisch. Symbole an sich sind nicht analog oder digital, sondern Schemata oder Systeme - „all symbols belong to many digital and analog schemes“ (R 130/ 173; vgl. LA 231/ 214). Das System, der Kontext und die übliche Praxis seiner Anwendung sind für diese Eigenschaften ausschlaggebend, ebenso wie etwa für die Fülle einer Darstellung: Was in einem Kontext ein Diagramm ist, kann in einem anderen Kontext als Kunstwerk oder als Tischtuch dienen. Die Beschreibung von Exemplifkationssystemen muß also neben den folgenden formalen Unterscheidungen den üblichen Gebrauch der beteiligten Systeme ebenso wie die Verwendungssituation zu Rate ziehen. Gemälde sind syntaktisch dicht. Wenn man vom Ausdruck eines Gemäldes spricht, gehören die von ihnen metaphorisch exemplifizierten Prädikate (etwa „traurig“) einer „discursive and unlimited natural language“ an (LA 234/ 216). Gemälde als Exemplifikationssysteme sind syntaktisch dicht, da das exemplifizierende System (das Gemälde) syntaktisch dicht ist, und semantisch dicht, da das exemplifizierte System (das Englische oder Deutsche) semantisch dicht ist (LA 234/ 216). 34 C. Elgin (1983) hat eine solche Analyse für das Beispiel der Farbmuster aus einem Musterbuch durchgespielt und gezeigt, daß Exemplifikationssysteme über dieselben formalen Eigenschaften verfügen können wie Denotationssysteme. Semantisch differenziert ist das Exemplifikationssystem dann nicht, wenn - wie in unserem gewohnten Gebrauch - dafür alle möglichen Farbprädikate als exemplifizierte Etiketten zugelassen werden. Denn dann überträgt sich die semantische Dichte des exemplifizierten Systems (etwa 34 Sich klarmachen oder sagen, was ein Bild exemplifiziert, ist dagegen denotational in der Richtung und hat als Symbolgebrauch die Eigenschaften einer Denotation in einer natürlichen Sprache: syntaktisch mehr oder weniger disjunkt und differenziert und semantisch dicht (vgl. LA 236/ 218 FN 3 und LA 235/ 217). <?page no="70"?> 66 Goodmans Begriff der Exemplifikation des Englischen) auf das Exemplifikationssystem. Sind dafür aber nur die 27 Farbbezeichnungen zulässig, die die von der Firma XY hergestellten Farben bezeichnen, ist das System semantisch differenziert (vgl. Elgin 1983: 123). Entsprechendes gilt für die syntaktischen Eigenschaften: Sind die Farbquadrate des Systems hinreichend unterschieden (stellen etwa nur die Primärfarben dar), und sind nur solche Farbplättchen als Inskriptionen zugelassen, die eindeutig einer solchen Primärfarbe zuzuordnen sind, ist das System syntaktisch differenziert. Von der Übertragung der syntaktischen Kategorie der Fülle auf Exemplifikationssysteme spricht Goodman nur en passant, im Kontext allgemeiner Überlegung zur Exemplifikation. Der Unterschied zwischen der üblichen Lesart eines Gemäldes und dem Gebrauch des Gemäldes zur Exemplifikation von Farben scheint einem Unterschied in der Fülle zu entsprechen - allerdings nicht der exemplifizierenden, sondern der exemplifizierten Systeme: Pictures may exemplify colors, shapes, sounds, feelings etc.; […] Narrower systems of exemplification, confined say to the exemplification of colors, are to the full system [dem pikturalen, E.B.] somewhat as diagrammatic systems are to representation. But while attrition from the representational to the diagrammatic is by restriction upon the constitutive syntactic aspects of the symbols, attrition from full to narrower pictorial exemplification is by restriction upon the constitutive aspects of what is symbolized. (LA 234f./ 217) 35 Die Symbole der „engeren“ Exemplifikationssysteme sind syntaktisch ebenso „voll“ (sowohl im Sinne der Anzahl der Dimensionen als auch im Sinne von deren Determiniertheit) wie die der „vollständigen“ Systeme, da „any pictorial aspect of a picture may participate, for example, in exemplification of a color or expression of a sound.“ (LA 235/ 217) Hinsichtlich der exemplifizierten Systeme gilt das nicht: Die deutsche Sprache insgesamt und das Symbolschema, das aus den Farbadjektiven des Deutschen besteht, haben nicht dieselbe Fülle. Da das engere Schema im weiteren enthalten ist und auch sein Bezugnahmegebiet im Bezugnahmegebiet des weiteren Schemas, ist es damit per definitionem weniger „voll“ (vgl. LA 230/ 213). Bei Exemplifikationssystemen scheint „Fülle“ damit zu einer semantischen Kategorie zu werden. 2.4.2 Sagen und Zeigen Die Analyse von Mustern als Symbolen führt in letzter Konsequenz zu der Feststellung, daß Exemplifikationssysteme dieselben formalen Charakteristi- 35 Wenige Seiten vor der zitierten Stelle legt sich Goodman auf die Bezeichnung „attenuation“ für das Gegenteil von Fülle fest (vgl. LA 230/ 213 FN 2), „attrition“ scheint hier aber dasselbe zu besagen. <?page no="71"?> Exemplifikationssysteme 67 ka aufweisen können wie Denotationssysteme. Damit aber scheint ein wichtiges Moment abhanden gekommen zu sein, das in unserer Alltagsauffassung ebenso wie in der philosophischen Analyse von Beispielen eine zentrale Rolle spielt: Zeichnen sich Beispiele nicht dadurch aus, daß sie etwas zeigen, was sich gerade nicht sagen läßt? Oder wenn es sich denn sagen läßt, zeigen dann Beispiele nicht zumindest, daß es so ist? Mit Goodmans Analyse von Mustergebrauch als Exemplifikation ändert sich das Verhältnis von Sagen und Zeigen - und zwar derart, daß auch unterschiedliche vortheoretische Intuitionen wie diese theoretisch eingeholt werden können. Exemplifikationssysteme sind wie Denotationssysteme mehr oder weniger standardisiert, je nach Dichte und Fülle der Darstellung, die sie zulassen. So lassen sich durchaus Fälle denken, in denen Exemplifikationssysteme quasi-notational funktionieren. Bei einem syntaktisch und semantisch differenzierten Farbmustersystem (wie im obigen Beispiel des Farbmusterbuchs der Firma XY), ließe sich durchaus vorstellen, daß Vorgaben mit der Syntax „(Stückzahl in arabischen Ziffern) + (Farbplättchen)“ in die Produktion geschickt werden. Ein solches Arrangement hätte allerdings keinerlei Witz: Die Muster ließen sich durch ein anderes System ersetzen, etwa durch ein notationales Denotationssystem wie die Farbbezeichnungen der DIN-Norm. Wenn wir von Mustergebrauch sprechen, haben wir aber meistens auch nicht solche Fälle vor Augen: Gewöhnlich gehen wir, etwa bei den Farbmustern des Händlers, von einem syntaktisch und semantisch dichten Farbmustersystem aus, also davon, daß für beide Ebenen unbegrenzt viele Farben bzw. Farbbezeichnungen im Spiel sind. Dennoch spricht symboltheoretisch offensichtlich nichts dagegen, quasinotationale Exemplifikationssysteme zu konstruieren. Aufgrund der Eigenschaften von Notationen ist klar, daß etwa die Aufführung eines Musikstücks durch seine Partitur in den Hinsichten festgelegt ist, die ihre Identität als „Aufführung von …“ definieren (in vielen anderen Hinsichten natürlich keineswegs). Gegeben die Notation, läßt sich auch umgekehrt die Partitur aus einer Aufführung ableiten (vgl. LA 204/ 192f.). Auch wenn das möglich ist, bezeichnet Goodman solche Systeme grundsätzlich nicht als Notationen: „Exemplificational systems, no matter what their syntactic and semantic properties, do not qualify as notations or languages.“ (LA 234/ 216) Goodman führt dafür keine Gründe an, er stellt die These eher nebenbei im Anschluß an seine Erweiterung der Definitionen für semantische Kategorien bei Exemplifikationen auf. Anzunehmen ist aber, daß er damit auf zwei Unterschiede abhebt, die notationale Denotationssysteme von quasi-notationalen Exemplifikationssystemen unterscheiden: Erstens setzten die Exemplifikationssysteme ein exemplifiziertes System mit den entsprechenden Eigenschaften voraus, während für Denotationssysteme keine solche <?page no="72"?> 68 Goodmans Begriff der Exemplifikation Voraussetzung notwendig ist. Zweitens müssen, damit ein solches Exemplifikationssystem semantisch disjunkt ist, alle Aufführungen eines Stücks als dieselbe Aufführung aufgefaßt werden, also als Kopien desselben Charakters. Formal gesehen ist dagegen nichts zu sagen, man würde in solchen Fällen aber wohl weniger von einer exemplifikatorischen Notation sprechen, als vielmehr davon, daß die Beispiele als Belege für dieselben Etiketten fungieren. C. Elgin hat darauf hingewiesen, daß Exemplifikationen dieser Art, bei denen es nur darauf ankommt, das Vorliegen einer Instantiierung herauszustellen, insbesondere in der wissenschaftlichen Praxis vorkommen: [T]o be counted as a duplicate an experiment must exemplify the same labels as the original when both are interpreted as tests of the same theory. (Elgin 1983: 89) In Hinsicht auf ein bestimmtes Symbolsystem und bestimmte Etiketten daraus kann man sämtliche Wiederholungen eines Experiments als dasselbe Experiment ansehen. Auch in der wissenschaftlichen Praxis kann die Wahl des exemplifizierten Systems aber eine interpretatorische Aufgabe darstellen; und unter diesen Umständen ist die Exemplifikation natürlich alles andere als notational: Interpreting an experiment requires knowing what labels it exemplifies. For an experiment functions as an example of a theory, referring to those among its descriptions that are pertinent to the theory it tests. A single experiment might be interpreted in one context as confirming a hypothesis of physics, and in another as attesting to the accuracy of a measuring device […]. (Elgin 1983: 89) Dennoch ist die Situation anders als bei Systemen, bei denen das exemplifizierte System in keiner Weise festliegt, und die Entscheidung für ein System einen wesentlichen Teil der Interpretationsleistung ausmacht - etwa bei der Interpretation eines Gemäldes. Denn bei einem wissenschaftlichen Experiment wird in der Regel kaum fraglich sein, welche Systeme plausible „Kandidaten“ sind. 36 Quasi-notationale Exemplifikationssysteme erfüllen hier die Funktion, die Kant Beispielen allgemein zuweist: zu belegen, daß ein Begriff nicht leer ist. Beispiele, die umgekehrt etwas zeigen, was man „nicht sagen“ kann, sind (zumindest) semantisch dicht. Goodmans Analyse mit ihren Unterscheidungen syntaktischer und semantischer Merkmale von Exemplifikationssystemen erweist sich als umfassender als traditionelle Auffassungen des Beispielgebens (vgl. 1.2); sie erlaubt es, unterschiedliche Typen von Beispielen in unterschiedlichen Funktionen zu beschreiben. Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein weiterer wichtiger Aspekt des Exemplifikationsbegriffs: Die Unterscheidung von „Sagen“ und „Zeigen“ fällt 36 Jedenfalls im „normalen“ Gang der Wissenschaft (vgl. Kuhn 1976 [1962]: 25ff.). <?page no="73"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 69 bei Goodman nicht mit der Unterscheidung von Denotation und Exemplifikation zusammen. Er spricht diese Frage im Rahmen seiner Aufzählung der Symptome des Ästhetischen kurz an: The fourth and final symptom of the aesthetic is the feature that distinguishes exemplificational from denotational systems and that combines with density to distinguish showing from saying. (LA 253/ 233) Es liegt nahe, „Sagen“ als denotational und syntaktisch mehr oder weniger disjunkt und differenziert anzusetzen, so daß Notationen und natürliche Sprachen dazuzurechnen wären. „Zeigen“ träfe dann auf Exemplifikationssysteme zu, die (zumindest) semantisch dicht sind, umfaßte also Ausdruck bei Gemälden ebenso wie Farbmustersysteme, die als dicht interpretiert werden, oder das Aufweisen stilistischer Eigenheiten an einem Text. Damit fielen Systeme wie die „bloßen Beispiele“ des wissenschaftlichen Experiments ebenso aus der Unterscheidung heraus wie analoge denotationale Systeme. Daß Exemplifikation als eines der Symptome des Ästhetischen gewertet wird, hängt mit ihrer Affinität zum „Zeigen“ im Gegensatz zum „Sagen“ zusammen. Dichte Exemplifikationssysteme sind gute Kandidaten - aber natürlich nicht mehr - für Kunstwerke: To count being exemplificational as aesthetic may seem a concession to the tradition that associates the aesthetic with the immediate and nontransparent […] As ‚ineffability‘ upon analysis turns into density rather than mystery, ‚immediacy‘ becomes a matter of exemplification rather than of intimacy - a function of direction rather than of distance. (LA 253/ 233) Daß „Unsagbarkeit“ zu einer Aussage über ein semantisches Merkmal der Darstellung wird, und „Unmittelbarkeit“ der Darstellung nur besagt, daß etwas als Muster gebraucht wird, die symbolisierten Eigenschaften also auch aufweist, macht das Besondere der Goodmanschen Version der Unterscheidung von „Sagen“ und „Zeigen“ aus. 2.5 Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 2.5.1 Exemplifikation und die Modellierung von Symbolgebrauch In den vorhergehenden Abschnitten ging es vor allem um eine Übersicht über die symboltheoretischen Eigenschaften der Exemplifikation, wie sie sich aus Goodmans Werk erschließen. Die folgenden Abschnitte legen dar, wie sich Goodmans Begriff der Exemplifikation nutzen läßt, um Symbolgebrauch zu modellieren. Sie orientieren sich dabei durchgängig an den Unterscheidungen, die Ch. Stetter (2005b, insbes. Kap. 2) am Beispiel des Mediums Schrift <?page no="74"?> 70 Goodmans Begriff der Exemplifikation entworfen hat. Der Grundgedanke, Exemplifikationsverhältnisse zur Darstellung symbolisierender Performanzen zu verwenden, Symbolgebrauch also als Mustergebrauch darzustellen, ist aber allgemein auf jeden Symbolgebrauch zu beziehen. Um das nachzuweisen, ist im folgenden zu zeigen, daß Denotation auf syntaktischer und semantischer Ebene Exemplifikation erfordert und daß auf beiden Ebenen die Beschreibung als Mustergebrauch die Hypostasierung von Regeln verhindern kann. Die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit, wie Regeln in Performanzen „enthalten“ sein können, führt hinsichtlich typisierter Symbolsysteme wie gesprochener und geschriebener Sprache auf das Problem des Sprachsystems, genauer: auf die Frage nach der Seinsweise der langue (vgl. Stetter 2005b: 306ff.); aber auch für nicht typisierte Symbolsysteme stellt sich die Frage nach dem Ort, an dem sich die jeweils relevanten Differenzen aushandeln. Die Suche nach dem exemplifikatorischen Anteil an Symbolgebrauch geht hier nur auf die Beantwortung der damit gestellten ontologischen Grundfrage in einem nominalistischen Sinn aus, nicht auf eine ausführliche Beschreibung einzelner Symbolsysteme, die hier in keiner Weise geleistet werden kann. 2.5.2 Die semantische Ebene: Exemplifikation und Repräsentation-als Exemplifikation setzt Denotation voraus. Die architektonischen Gründe für diese Abhängigkeit wurden in Abschnitt 2.2.3 aufgeführt. Tatsächlich ist aber auch umgekehrt die Denotation auf Exemplifikation verwiesen. Das hat damit zu tun, daß Symbole innerhalb von Schemata, d.h. von Sets von „implicit alternatives“ (R 7/ 20), funktionieren. Auf semantischer Ebene ist klar, daß Denotation Exemplifikation miteinschließt - das hängt mit dem zusammen, was oben (2.2.2) als Selektivität von Bezugnahmen bezeichnet wurde, und was Goodman unter der Bezeichnung „Repräsentation-als“ („representation-as“) beschreibt: Als was ein Symbol etwas darstellt, hängt davon ab, was für eine Art von Darstellung es ist, welche Etiketten es also seinerseits exemplifiziert. Goodman unterscheidet in Languages of Art „Repräsentation-als“ in einem weiten Sinn und in einem engen Sinn. Im weiten Sinn ist jede Symbolisierung eine Repräsentation-als: [N]othing is ever represented either shorn of or in the fullness of its properties. A picture never represents x, but rather represents x as a man […]. (LA 9/ 21) In einem engeren Sinn bezeichnet „Repräsentation-als“ Darstellungen, bei denen eine Abweichung von der üblichen Darstellungsweise vorliegt. 37 Ein Bild, das den zehnjährigen Churchill als Kind darstellt, ist eine Repräsentation-als im weiteren Sinn, eine Karikatur dagegen, die den erwachsenen Churchill als 37 Diese Beschreibung ist noch nicht ganz exakt; vgl. unten das Beispiel des Pferdebildes. <?page no="75"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 71 Kind darstellt, ist eine Repräsentation-als im engeren Sinn (vgl. LA 27ff./ 36ff.). Dabei zeigt sich an der Repräsentation-als im engeren Sinn deutlich die Perspektivität der Denotation, die vertraute Darstellungsweisen verbergen. Im engeren und im weiteren Sinn ist Repräsentation-als eine Angelegenheit der Exemplifikation: „Description-as and representation-as, though pertaining to labels, are likewise matters of exemplification rather than of denotation.“ (LA 66/ 71) Bei der Repräsentation-als im engeren Sinn exemplifiziert die Darstellung gleichermaßen zwei üblicherweise nicht zusammengehörige Etiketten, „Mann-Bild“ und „Kind-Bild“, wobei aber nur eines der beiden für die Denotation der Darstellung ausschlaggebend ist (im Falle der Karikatur ist der erwachsene Churchill gemeint). Diese doppelte Exemplifikation macht den Witz der Darstellung aus - und aus genau diesem Grund muß es sich auch um Exemplifikation und eben nicht um bloße Instantiierung handeln. Entsprechendes gilt für die Repräsentation-als im weiteren Sinn, nur daß hier eine einfache Exemplifikation vorliegen kann. Daß es sich bei der Repräsentation-als im weiteren Sinn ebenfalls um eine Exemplifikation und nicht um bloße Instantiierung handelt, läßt sich am folgenden Beispiel aus Languages of Art deutlich machen: If I tell you I have a picture of a certain black horse, and then I produce a snapshot in which he has come out a light speck in the distance, you can hardly convict me of lying; but you may well feel that I misled you. […] [Y]ou […] expected the picture not only to denote the horse in question but to be a black-horse-picture. (LA 29/ 38) Daß wir im Normalfall eine bestimmte Art der Darstellung erwarten, also erwarten, daß eine Darstellung (zumindest) ein bestimmtes Etikett exemplifiziert, zeigt, daß diese Exemplifikation Teil der Darstellung ist. Wo eine Darstellung den Erwartungen entspricht, ist dieser exemplifikatorische Anteil der Darstellung unauffällig. 38 Obwohl es sich um eine ungewohnte Art der Darstellung handelt, stellt das Beispiel keine Repräsentation-als im engeren Sinn dar - es wäre in diesem Fall irreführend, zu sagen, das Foto stelle das Pferd als hellen Fleck dar. Selbst in einem Kontext, in dem das Bild das Etikett „Heller-Fleck-Bild“ exemplifiziert (etwa wenn mir jemand meine letzten zehn Schnappschüsse vorlegt und mich mehr oder minder höflich darauf hinweist, daß darauf in der Hauptsache helle Flecken, aber leider kaum Pferde zu sehen sind), handelt es sich noch nicht um eine Repräsentation-als im engeren Sinn, sondern um den Hinweis, daß es sich gerade nicht um „Pferd-Bilder“, sondern nur um „Heller-Fleck-Bilder“ handelt. Eine Repräsentation-als im engeren Sinn läge dann vor, wenn das 38 In diesem Sinn analysiert Goodman auch Realismus der Darstellung als eine Frage der Gewohnheit (vgl. LA 38f./ 46f.). <?page no="76"?> 72 Goodmans Begriff der Exemplifikation Foto in einer Galerie - vielleicht unter dem Titel „Fliehendes Pferd“ - ausgestellt wäre. Dann würde es die doppelte Exemplifikation aufweisen, die für Repräsentation-als im engeren Sinn konstitutiv ist. Das Phänomen der Repräsentation-als bringt so die Organisation des Symbolschemas selbst in den Blick. Die Etiketten, die auf ein Symbol zutreffen, sortieren das Schema von Alternativen, auf das wir uns in jedem Symbolgebrauch festlegen und zwischen denen wir uns entscheiden. Der Begriff der Repräsentation-als läßt sich so als eine extensionalistische Beschreibung semantischer Differenzen auffassen; mit anderen Worten: die Repräsentationals ist „das Analogon zur Intension des Begriffs“ (Stetter 2005b: 223). Es ist somit das Verfahren der Exemplifikation, über das die Semantik von Etiketten für Goodman allererst beschreibbar wird: Jede Inskription exemplifiziert „in jeder ihrer Verwendungen entweder für sich oder im syntaktischen Verbund mit anderen Inskriptionen derselben Ordnung Weisen der Referenz auf ein oder auch mehrere Bezugnahmegebiete.“ (Stetter 2005b: 84) Dieser Zusammenhang zwischen (denotationaler und exemplifikatorischer) Referenz eines Symbols und der exemplifikatorischen Referenz auf die Etiketten, die auf dieses Symbol zutreffen, ist die erste von drei exemplifikatorischen Referenzen, die Ch. Stetter für Symbolgebrauch festhält. 39 Wenn man nicht wie hier auf eine nominalistische Rekonstruktion von Symbolgebrauch aus ist, läßt sich der Bedeutungsbegriff auch über denotationale Verhältnisse bestimmen. In dem frühen Aufsatz „On Likeness of Meaning“ (bevor er den Begriff der Exemplifikation aufgebracht hatte) befaßt sich Goodman mit der Frage, wann zwei Ausdrücke bedeutungsgleich sind. Die Antwort lautet im Sinne eines Extensionalismus, daß zwei Ausdrücke dieselbe Bedeutung haben, wenn sie in allen Kontexten ohne Veränderung der Extension austauschbar sind: Or, if we call the extension of a predicate by itself its primary extension, and the extensions of any of its compounds a secondary extension, the thesis is formulated as follows: Two terms have the same meaning if and only if they have the same primary and secondary extensions. (PP 227) Das Erkenntnisinteresse des Aufsatzes ist ein anderes als das der späteren Arbeiten (es geht darum, daß praktisch keine zwei Ausdrücke in der natürlichen Sprache dieselbe Bedeutung haben (vgl. PP 228f.)), aber es läßt sich hier bereits erkennen, daß eine extensionalistische Bedeutungstheorie, die auf nichtartifizielle Symbolsysteme anwendbar sein soll, den Verwendungsweisen von Ausdrücken Rechnung tragen muß: 39 Die beiden anderen sind Thema des nächsten und übernächsten Abschnitts. <?page no="77"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 73 If Goodman is right [hinsichtlich der Bestimmung der Bedeutung über primäre und sekundäre Extensionen, E.B.], the stories we tell, and the pictures we paint, affect the meanings of the words we use. (Elgin 2000: 180) Der Rekurs auf den Exemplifikationsbegriff macht solche Unterschiede in der Verwendungsweise als solche in den Etiketten, die auf einen Ausdruck zutreffen, beschreibbar. Die extensionalistische Rekonstruktion semantischer Differenzen macht deutlich, daß Goodmans Symboltheorie einer Nomenklaturauffassung von Symbolgebrauch, die Symbole als „Namenstäfelchen“ (um einen Ausdruck Wittgensteins zu verwenden) für Gegenstände bestimmt, diametral entgegengesetzt ist. Sie führt damit aber auch auf ein Problem, das sich jeder Kritik einer Nomenklaturauffassung stellt: auf das Problem der Semantik von Eigennamen oder, allgemeiner gesagt, das Problem der „reinen“ Denotation. 2.5.3 Das Problem der „reinen“ Denotation Aus den vorhergehenden Überlegungen geht hervor, daß denotationale Referenz auf semantischer Ebene Exemplifikation mit einschließt. Eine solche Interpretation ist aber keineswegs unumstritten; so vertritt S. Mahrenholz (2000: 56ff.) die Auffassung, das treffe nur für bestimmte Typen von Denotationen zu. Mahrenholz unterscheidet „Darstellung“ 40 (musikalische und bildliche Symbolisierung), von „‚reiner‘“ oder „stipulativer“ Denotation: Wenn ein Kaffeebecher bei der morgendlichen Rekapitulation des gestrigen Footballspiels am Frühstückstisch einen Abwehrspieler repräsentiert […], so liegt ‚representation‘ im Sinne von Repräsentation, ‚reiner‘ stipulativen Denotation vor, wie etwa bei Namen der Fall [sic]. […] Wenn hingegen mit Strichen die Bewegungen eines (Eis-)Hockeyspielers dargestellt werden, wie in den Kunstwerken von Katharine Sturgis, so sind diese Striche ‚Darstellung‘; es sind, im Unterschied zur ‚reinen Denotation‘ des Kaffeebechers, Klassifikationen im Spiel. (Mahrenholz 2000: 57) 41 Mahrenholz nennt den zweiten Fall „‚angereicherte‘“ Denotation oder Denotation „mit ästhetischen […] Mitteln“ (Mahrenholz 2000: 57). Sie ist der Auffassung, jede musikalische und bildliche Symbolisierung sei auch eine Repräsentation-als, wohingegen das für Ad-hoc-Denotationen laut Mahrenholz nicht gilt: Im Kontext ihrer Argumentation dient die Einteilung dazu, die Besonderheiten der musikalischen Darstellung herauszuarbeiten, also gleichsam, dem ästhetischen Mehrwert auf die Spur zu kommen, der die „an- 40 Die Verwendung des Begriffs ist also eine engere als in der vorliegenden Arbeit. 41 Mahrenholz zitiert mit dem „Kaffeebecher-als-Footballspieler“ ein Beipiel von Elgin (vgl. Mahrenholz 2000: 57 FN 51 und Elgin 1991: 11 und 16). <?page no="78"?> 74 Goodmans Begriff der Exemplifikation gereicherten“ Denotationen auszeichnet. Und für Mahrenholz ist es genau der exemplifikatorische Anteil der Denotation (das, was sich in der Denotation „zeigt“), was diesen Typus von Denotation kennzeichnet (vgl. Mahrenholz 2000: 57f.). Wenn die Überlegungen der vorhergehenden Abschnitte richtig sind, muß diese Interpretation sich in zweifacher Hinsicht als falsch erweisen: Zum einen kann Exemplifikation für sich genommen nicht in der genannten Weise einen ästhetischen „Mehrwert“ erbringen, zum anderen sind Exemplifikation und Klassifikation an jeder Denotation beteiligt, nicht nur an einem bestimmten Typus. Um diese Behauptung systematisch zu prüfen, ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Typen von Denotationen im einzelnen durchzugehen und die syntaktisch artikulierten Symbolsysteme (Texte, Notationen etc.) für sich zu behandeln. Fügt man diese hinzu, ergibt sich aus der Unterscheidung von Mahrenholz eine Dreiteilung: 42 (1) „Darstellung“ (musikalische und bildliche Symbolisierung), (2) „Beschreibung“ (notationale Denotation) und Text und (3) „‚reine‘“ oder „stipulative“ Denotation. (1) und (2) unterscheiden sich in ihren syntaktischen Eigenschaften; (2) und (3) sind beide (für Mahrenholz) nur denotational (vgl. zur Begrifflichkeit Mahrenholz 2000: 57 und 64). Die ersten beiden Gruppen denotationaler Bezugnahme unterscheiden sich auf der syntaktischen Ebene: Musikalische und bildliche Symbolisierung sind syntaktisch dicht, 43 Sprachen und Notationen syntaktisch differenziert. In semantischer Hinsicht schließen beide Arten des Symbolgebrauchs Repräsentation-als im weiteren Sinn ein. Das hängt mit dem oben ausgeführten Charakteristikum zusammen, daß Symbolgebrauch ein Auswählen unter alternativen Kategorien bedeutet: Ein Schema ordnet seine Sphäre gemäß der „implicit alternatives“ (R 7/ 20), die es ausmachen; ein Etikett funktioniert „not in isolation but as belonging to a family“ (LA 71/ 76). Verwenden oder verstehen wir ein Symbol, legen wir uns, wie oben dargestellt, auf eine dieser Alternativen fest, und damit darauf, was am symbolisierten Gegenstand dargestellt wird, d.h. „als was“ wir ihn repräsentiert sehen (wollen). Für das „als was“ ist entscheidend, um was für ein Symbol es sich handelt, also - entsprechend der oben offengelegten Funktionsweise der „Repräsentation-als“ - welche Etiketten das Symbol exemplifiziert. Dabei müssen die Alternativen nicht explizit festgelegt sein: The way pictures and descriptions are thus classified into kinds, like most habitual ways of classifying, is far from sharp or stable, and resists codification. […] Exact 42 Diese Einteilung orientiert sich letztlich an der Frage, ob in den entsprechenden Gebrauchsweisen sinnvoll von Symbolsystemen gesprochen werden kann. Eine Einteilung mit anderem Erkenntnisinteresse wird in 6.4 vorgelegt. 43 Gemeint sind die musikalischen Darstellungen selbst, nicht die entsprechende Notation. <?page no="79"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 75 and general conditions under which something is a soandso-picture or a soandsodescription would indeed be hard to formulate. We can cite examples: Van Gogh’s Postman is a man-picture; and in English, „a man“ is a man-description. (LA 23f./ 33f.) Welche Alternativen jeweils möglich sind, ist eine Frage von eingebürgerter Praxis (LA 23/ 33) und Kontext (LA 72/ 76). Für denotationale Darstellungen, gleich, ob entsprechende Erfüllungsgegenstände existieren oder nicht, ist es - Languages of Art folgend - nicht schwierig, entsprechende Beispiele zu finden und sich ungefähr vorzustellen, welches die relevanten Alternativen sein könnten: Ein Gemälde stellt den Herzog von Wellington als Soldaten dar (nicht als Zivilisten) (vgl. LA 27f./ 36f.), eine Metope stellt einen Zentauren als kriegerisch (nicht als friedliebend), ein Foto Paul Scofield als Lear (nicht als Hamlet) dar. Dasselbe gilt für sprachliche Etiketten, nur daß die entsprechende Beschreibung (das Etikett „alt“ stellt jemanden/ etwas als alt, nicht als jung dar etc.) naturgemäß Redundanzen aufweist. 44 Damit ist etwas darüber ausgesagt, um was für eine Art von Etiketten es sich jeweils handelt; weitergehende Aussagen darüber erfordern aber, auch das zeigen die Beispiele, die umfassende Interpretation einer Darstellung. Exemplifikation auf semantischer (und syntaktischer) Ebene scheint nun beim dritten Typus von Denotationen, den Ad-hoc-Denotationen, völlig zu fehlen. Im Fall der Kaffeetasse-als-Footballspieler kann man offensichtlich nicht auf vorhergehende syntaktische und semantische Klassifikationen und die entsprechende eingebürgerte Praxis des Symbolgebrauchs zurückgreifen. Die Kaffeetasse denotiert den Footballspieler, und dieser kann in einem geeigneten Kontext die Kaffeetasse exemplifizieren (wenn ich mir zum Beispiel mit meinem Diskussionspartner vom Frühstückstisch eine Aufzeichnung des Spiels ansehe und im entsprechenden Moment sage: „Siehst Du, das habe ich gemeint.“). So beschrieben, fällt es schwer, ein Analogon zu semantischen Klassifikationen oder zur syntaktischen Ebene überhaupt auszumachen. Allerdings ist die Beschreibung noch sehr ungenau; genauer betrachtet, entspricht der syntaktischen Ebene die Unterscheidung unterschiedlicher Punkte auf der Tischebene bzw. deren Markierung durch die Tasse; diese „Inskriptionen“ gehören nun offensichtlich nicht zu differenzierten Charakteren, denn es ist nicht mit Eindeutigkeit festzustellen, welchem „Charakter“ eine gege- 44 Darstellungen, die für uns in der Regel nicht denotational sind, etwa abstrakte Gemälde, wirken - so Goodman - in der Hauptsache über Ausdruck, d.h. metaphorische Exemplifikation. Auch für diese lassen sich aber darüber hinaus entsprechende Klassifikationen finden, die sich z.B. auf die ausgedrückte Empfindung beziehen. So könnte ein abstraktes Gemälde Trauer ausdrücken und sie als etwas darstellen, was das gesamte Leben überschattet. Dieser letztere Sprachgebrauch (etwas, was nicht denotiert, sondern exemplifiziert wird, „als etwas“ darstellen) ist von Goodmans eigener Verwendung der Begriffe her nicht gedeckt. <?page no="80"?> 76 Goodmans Begriff der Exemplifikation bene Tassenposition zuzuordnen ist. Das entsprechende Bezugnahmegebiet ist offensichtlich das Gefüge der alternativen Positionen auf einem Spielfeld; dabei ist das System vermutlich semantisch dicht, denn es wird meist nicht mit Gewißheit entscheidbar sein, ob eine Spielerposition einer Position im Modell zugeordnet werden kann oder nicht. 45 Die Fülle der Darstellung ist gering, denn es kommt nur auf einen einzigen Aspekt der Darstellung an, auf die Position des Gegenstandes in einer Ebene. Man müßte die oben gegebene Beschreibung also folgendermaßen lesen: Die Kaffeetasse-in-Position-xy denotiert den Footballspieler-in-Position-xy, exemplifiziert also eine „Position xy-Darstellung“. Mit anderen Worten: Die Kaffeetasse-als-Footballspieler ähnelt am ehesten einem analogen Diagramm, einer dichten Darstellung mit geringer Fülle bzw. mit einer begrenzten Anzahl von relevanten Dimensionen der Darstellung. Ad-hoc-Denotationen sind aber nicht zwingend von dieser Art. Man könnte die Spieler durch Gegenstände darstellen, die so gewählt sind, daß sie jeweils eine charakteristische Eigenschaft des dargestellten Spielers aufweisen. Das heißt ja nichts anderes, als daß die Objekte neben „Position xy-Darstellung“ noch eine Reihe weiterer Etiketten exemplifizieren, etwa „Schwarzhaarige- Person-Darstellung“, und den Spieler damit unter anderem als schwarzhaarige Person darstellen. Die Darstellung ist dann voller als die erste, da weitere Dimensionen der Darstellung für das Verständnis relevant sind. Wir können Ad-hoc-Darstellungen (so wie jede andere Darstellung) aber natürlich auch als „voll“ im Sinne einer fehlenden Festlegung der relevanten Dimensionen behandeln und es unserer Phantasie und Bosheit überlassen, weitere Merkmale der Darstellung als Exemplifikationen aufzufassen. In diesem Sinn eröffnen auch Ad-Hoc-Darstellungen eine - zumindest rudimentäre - differenzielle Semantik. Analoges gilt für den Bereich, in dem die Frage der „reinen“ Denotation traditionell angesiedelt ist, für das Problem der Eigennamen. Mit Goodman läßt es sich folgendermaßen formulieren: Exemplifizieren Eigennamen bestimmte Etiketten, die sie als Alternativen zu anderen Benennungen ausweisen? In der Logik von Goodmans Auffassung liegt es, hier der Wittgensteinschen Auffassung zuzustimmen: Es kann keine „reine“ Denotation geben - Moses läßt sich als Verkünder der Gesetze darstellen, aber ebensogut Charlton Heston als Moses. 46 45 Denkbar sind aber z.B. auch Fälle, in denen es nur darauf ankommt, daß der Spieler auf der einen Seite der Linie stand, und das für alle praktischen Zwecke hinlänglich differenziert dargestellt ist. 46 Vgl. PhU § 79, der deutlich macht, daß diese Semantik weder fest noch eindeutig sein muß, um zu funktionieren. <?page no="81"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 77 2.5.4 Die syntaktische Ebene: Type und Token Die zweite Art exemplifikatorischer Referenzen, die Stetter (2005b: 82f.) aufführt, ist die Referenz auf den syntaktischen (im Goodmanschen Sinne) Typ, das heißt die „typische[n] Weisen der figurativen Gestaltung von Inskriptionen“ (Stetter 2005b: 83). Für typisierte Symbolsysteme geht diese Exemplifikationsbeziehung aus Goodmans Analysen direkt hervor. Das lateinische Alphabet z.B. ist (in gedruckter Form zumindest) syntaktisch durchgängig differenziert (vgl. LA 207/ 195). Die Inskription „x“ ist nur einem alphabetischen Charakter zuzuordnen und diese Zuordnung ist in jedem Fall entscheidbar; 47 die Interpretation beschränkt sich auf syntaktischer Ebene auf die korrekte Identifizierung des Symbolschemas. Diese Deutung der Zeichengestalt als Element einer Klasse (des Charakters) bzw. umgekehrt der Charaktere als Klassen von Inskriptionen, die als Kopien von einander gelten, bestimmt das Verhältnis zunächst als eines der Instantiierung: Die Inskription instantiiert bzw. erfüllt den Charakter. Darüber hinaus sind aber Inskriptionen auch Muster für Charaktere. Sie exemplifizieren genau das Bündel von Eigenschaften, das den Charakter definiert, d.h. von anderen Charakteren desselben Systems unterscheidet. Würden sie diese Eigenschaften nur aufweisen, nicht exemplifizieren, könnten sie nicht als standardisierte Inskriptionen fungieren: Wie die Farbmuster des Händlers instantiieren sie natürlich unendlich viele Prädikate, wir haben aber gelernt, in bestimmten Zusammenhängen nur auf eine sehr begrenzte Anzahl von ihnen zu achten - auf diejenigen, die für den syntaktischen Typ konstitutiv sind. Dafür, daß typisierte Symbolsysteme auf diese Weise beschrieben werden können, ist es entscheidend, daß es, wie in 2.4.1 dargelegt, standardisierte Exemplifikationssysteme gibt: Wäre Exemplifikation intrinsisch vage, ließe sich diese nominalistische Rekonstruktion von Symbolgebrauch nicht durchführen. Daß Charaktere „Klassen von Inskriptionen“ sind, ist im Sinne des Nominalismus eine unscharfe Redeweise; streng genommen müßte man davon sprechen, daß „Marken“ („marks“) zu Klassen geordnet und damit als Inskriptionen eines Charakters aufgefaßt werden; noch genauer gesagt sind solche Inskriptionen „echte Kopien“ (LA 132/ 129) von einander, weil sie syntaktisch äquivalent sind. Sie müssen einander - auch wenn der Sprachgebrauch das nahelegt - nicht ähnlich sein: 47 Wo sie es nicht ist (etwa wenn jemand eine unleserliche Handschrift hat), behandeln wir sie dennoch, als wäre sie entscheidbar, ziehen den Kontext zu Rate etc. (vgl. LA 138f./ 135; R 126/ 168). <?page no="82"?> 78 Goodmans Begriff der Exemplifikation I prefer […] to dismiss the type altogether and treat the so called tokens of a type as replicas of one another. An inscription need not be an exact duplicate of another to be a replica, or true copy, of it; indeed there is in general no degree of similarity that is necessary or sufficient for replicahood. (LA 131/ 129 FN 3) Denotation mit Hilfe von Notationen und Sprachen setzt auf syntaktischer Ebene Exemplifikation voraus. Dasselbe gilt für die zweite Gruppe von denotationalen Beziehungen, die oben genannt wurde. Denotationen in der Musik oder der bildenden Kunst sind syntaktisch dicht, d.h. es ist eben nicht eindeutig entscheidbar, welchem Charakter eine Inskription zuzurechnen ist. Man könnte daher geneigt sein, Denotationen dieser Art eine syntaktische Struktur überhaupt abzusprechen. Aber tatsächlich gehen wir ja davon aus, daß - wie bei standardisierten Charakteren auch - eine Wahl aus mehreren Alternativen stattgefunden hat, auch wenn wir diese Alternativen nicht genau angeben können und vielleicht nicht einmal ihre Anzahl begrenzbar ist (bei einer relativ vollen Darstellung etwa). In diesem Sinn exemplifiziert auch eine Inskription in einem dichten System einen Charakter; nur daß es eben per definitionem keine Austauschbarkeit zwischen Inskriptionen geben kann. Charaktere in dichten Schemata sind vielleicht am besten als Einer-Klassen zu behandeln: Jede Inskription erzeugt einen neuen Charakter. Das gilt prinzipiell auch für (dichte) Diagramme (jede Markierung eröffnet potenziell einen neuen Charakter, da ja eben nicht festzustellen ist, welchem Charakter die Marke als Inskription zugehört), allerdings führt die geringe Fülle der Darstellung dazu, daß wir auch diese Darstellungen als standardisiert empfinden: Wir müssen uns nicht fragen, welche Merkmale relevant sind. Für Systeme, die zusammengesetzte Schemata erlauben oder erfordern, kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Inskriptionen exemplifizieren in solchen Systemen „in jeder ihrer Verwendungen in der Regel eine bestimmte syntaktische Verknüpfung“ (Stetter 2005b: 83). Diese dritte der drei von Stetter (2005b) untersuchten exemplifikatorischen Referenzen ist von besonderer Bedeutung für sprachliche und notationale Systeme. Für syntaktisch dichte Systeme läßt sich dagegen oft nicht einmal angeben, was für Charaktere als zusammengesetzt gelten sollen. Man kann ein Gemälde als eine Inskription oder als eine aus Inskriptionen zusammengesetzte Inskription auffassen. Für die dritte Gruppe denotationaler Referenzen, die Referenz durch Stipulation, liegen die Dinge ähnlich, wo sie (wie im Kaffeebecher/ Footballspieler-Beispiel) dichten Diagrammen ähneln. Dagegen ist für syntaktisch differenzierte Stipulationen entscheidbar, ob sie eine Kombinatorik zulassen oder nicht, ob also eine syntaktische Verknüpfung exemplifiziert wird oder nicht. Hinsichtlich der Exemplifikation der Figur, die bei typisierten Symbolsystemen offensichtlich ist, gilt für stipulative Denotationen ebenfalls Unterschiedliches, je nachdem, wie sie verwendet werden, also je nachdem, ob sie <?page no="83"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 79 als Analoga zu dichten oder zu artikulierten Systemen, zu vollen oder weniger vollen Systemen anzusehen sind. In beiden Hinsichten unterscheiden sich Stipulationen von Eigennamen, die als Inskriptionen typisierter Systeme in jedem Fall sowohl eine Figur als auch syntaktische Verwendungsmöglichkeiten exemplifizieren. Dieser kursorische Überblick hat gezeigt, daß Denotation auf semantischer und syntaktischer Ebene Exemplifikation beinhaltet. Denn mit jeder Bezugnahme vollzieht sich die Wahl eines Systems von Alternativen und die Festlegung auf eine dieser Alternativen. Dann kann Exemplifikation als Moment an einer Denotation nicht der allein entscheidende Faktor sein, der den ästhetischen „Mehrwert“ bildlicher und musikalischer Darstellung ausmacht. An dieser Stelle entfernen wir uns von der ausgezeichneten Interpretation von Mahrenholz, die musikalischer und bildlicher Darstellung hinsichtlich der Exemplifikation eine Sonderstellung einräumt, da solche Darstellungen ihrer Auffassung nach „immer ein exemplifikatorisches Element“ (Mahrenholz 2000: 59) einschließen. Hinsichtlich der musikalischen und bildlichen Darstellung möchte Mahrenholz Goodmans Diktum, der Kern der Repräsentation sei die Denotation, folgendermaßen ergänzen: „Der ‚Mechanismus‘ der Darstellung ist Exemplifikation, die ‚Funktion‘ der Darstellung ist Denotation.“ (Mahrenholz 2000: 59) Denn „es ist unmöglich, etwas nicht als etwas darzustellen, es nicht strukturierend zu klassifizieren“ (Mahrenholz 2000: 47). 48 Exemplifikation ist in dieser Deutung ein „Zeigen“ im Gegensatz zum „Sagen“ (vgl. Mahrenholz 2000: 53). Wenn die oben angestellten Überlegungen richtig sind, gelten die Aussagen, die Mahrenholz zur musikalischen und bildlichen Darstellung trifft, für alle Typen denotationaler Bezugnahme. Unterschiede zwischen den Typen lassen sich in Hinsicht auf Fülle und syntaktische und semantische Eigenschaften ausmachen sowie in Hinsicht auf die Frage nach einer eingebürgerten Praxis der Bezugnahme. Das entspricht auch den Bestimmungen des vorhergehenden Kapitels: „Zeigen“ ist nicht nur an der Richtung der Bezugnahme festzumachen, sondern erfordert Exemplifikation und Dichte. Daß in diesem Sinn eine gegenseitige Abhängigkeit von Denotation und Exemplifikation besteht, heißt nicht, daß Goodmans Modell zirkulär wäre, vielmehr besagt sie, daß Bezugnahmen keine einfachen und auch keine isolierten Handlungen sind. 48 Diese Merkmale der Darstellung erklären für Mahrenholz, wie Musik etwas darstellen kann (wie z.B. die Moldau); die Darstellung muß Eigenschaften exemplifizieren, die gleichermaßen den Fluß und das Musikstück charakterisieren (vgl. Mahrenholz 2000: 58). Das ist für Mahrenholz nicht der Regelfall musikalischer Symbolisierung; jenseits von „Programmmusik“ referiert Musik exemplifizierend auf eine Ebene vorbewußten Interpretierens und Symbolisierens (vgl. Mahrenholz 2000: 6, 12 und 302). <?page no="84"?> 80 Goodmans Begriff der Exemplifikation 2.5.5 Der Geltungsbereich der getroffenen Unterscheidungen Die obigen Überlegungen haben gezeigt, daß Symbole syntaktisch und semantisch über das Verfahren des Mustergebrauchs funktionieren. Damit das als Beitrag zur Frage der Regel gelten kann, sind allerdings noch zwei Aspekte zu klären: Zunächst muß sichergestellt werden, daß Denotation und Exemplifikation den Bereich der Bezugnahme erschöpfen, dann daß jeder Symbolgebrauch als Bezugnahme aufgefaßt werden kann; beides sichert den Geltungsbereich der getroffenen Unterscheidungen. Schließlich ist genauer zu bestimmen, was eine nominalistische Ausdeutung von Mustergebrauch besagt (vgl. 2.6). Gibt es Bezugnahme außerhalb von Denotation und Exemplifikation? Goodman selbst notiert zunächst, daß Bezugnahme nicht immer auf die gleiche Weise funktioniert: Also we have already seen that in some cases reference cannot be identified as denotation or exemplification, that in others the identification is arbitrary, and that in others a symbol and a predicate it exemplifies may be coextensive. (LA 66/ 71) Die drei Fälle, die Goodman analysiert - (1) Koextension zwischen exemplifiziertem und exemplifizierendem Symbol, (2) Beliebigkeit in der Zuweisung der Richtung der Bezugnahme, (3) Schwierigkeit bei der Klassifikation der Bezugnahme - zeigen, daß es nicht immer einfach ist, die oben aufgeführten Unterscheidungen anzuwenden. Goodman erläutert diese Fälle folgendermaßen: (1) Ein Fall von Koextension zwischen exemplifiziertem und exemplifizierendem Symbol ist der Tanz. Einige Tänze enthalten denotationale Elemente, etwa Verbeugungen; dann denotiert die Verbeugung des Tänzers die alltägliche Geste des Verbeugens; in der Regel exemplifiziert die Bewegung des Tänzers aber buchstäblich nur sich selbst (LA 64f./ 69f.). Damit sind natürlich noch nicht alle Bezugnahmen einer solchen Darstellung beschrieben. Die Verbeugung des Tänzers referiert indirekt auf das, was die denotierte Alltagsgeste denotiert oder ausdrückt; die Bewegung des Tänzers weist neben der buchstäblichen Exemplifikation vermutlich noch eine Reihe metaphorischer Exemplifikationen auf, drückt also etwa eine bestimmte Gefühlslage aus. Solche Bezugnahmeketten und vielfältigen Bezugnahmen sind keineswegs Ausnahmefälle (vgl. LA 65f./ 70f.). (2) Eine anders strukturierte indirekte Bezugnahme läßt sich für die Kniebeuge des Sportlehrers konstruieren: Wie die Bewegung des Tänzers exemplifiziert sie meist sich selbst; als Muster für die Kursteilnehmer gedacht, exemplifiziert sie damit die Etiketten, die deren Kniebeugen denotieren (sollen). Man kann also die Bewegung des Sportlehrers als (indirekte) Denotation der <?page no="85"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 81 Bewegungen der Kursteilnehmer auffassen; das ist deshalb sinnvoll und möglich, weil sie keine anderweitig festgelegte Denotation hat (vgl. LA 63/ 69) - im Gegensatz etwa zu manchen Alltagsgesten wie Nicken, die sich als denotationale Etiketten verstehen lassen (LA 61/ 67). Diese Komplikationen führen auf einen Punkt, der in Hinsicht auf die Architektonik der Goodmanschen Theorie von Interesse ist. Die Theorie ist ja insgesamt so angelegt, daß alle Kategorien auf alle Symbolsysteme anwendbar sein müssen, also etwa die Unterscheidung von Denotation und Exemplifikation ebenso auf sprachliche wie auf nichtsprachliche Systeme: Are there no samples of anything unnamed? […] Exemplification of an unnamed property usually amounts to exemplification of a non-verbal symbol for which we have no corresponding word or description. (LA 57/ 63f.) Allerdings scheint es bei solchen Systemen, zu denen die oben aufgeführten Beispiele ja gehören, typischerweise so zu sein, daß die Festlegung der Bezugnahmerichtung durch den sprachlichen Kontext erfolgt, denn Goodman fügt hinzu: Yet the orientation that distinguishes exemplification from denotation does seem to derive from the organization of language even where nonverbal symbols are involved. (LA 57/ 64) Und weiter: With pictures […] orientation of referential relationships is provided by established correlation with language. (LA 58/ 64) Sprachliche Symbolsysteme betten andere Systeme also derart in einen Kontext ein, daß die Richtung der Bezugnahme festgelegt ist: Where there are no such ties to language, and symbols and referents are nonverbal, the distinction in direction between denotation and exemplification is sometimes determinable from formal features. […] but in others [in other cases, E.B.] the distinction between denotation and exemplification may lose significance. It is pertinent only where there are two dominant opposing directions. (LA 58/ 64) Die Frage nach der allgemeinen Anwendbarkeit der Unterscheidung von Exemplifikation und Denotation führt also zu einer Auszeichnung des Symbolsystems Sprache. Dafür lassen sich zwei naheliegende Erklärungen finden: Erstens ist Sprache eines derjenigen Symbolsysteme, an denen sich die meisten Unterscheidungen treffen lassen; zweitens ist für uns schwerlich ein Symbolgebrauch denkbar, der nicht direkt oder indirekt mit Sprache zu tun hätte. Das heißt nicht, daß die Unterscheidungen von Exemplifikation und Denotation nicht auf andere Systeme anwendbar wären - sie sind eben nur nicht <?page no="86"?> 82 Goodmans Begriff der Exemplifikation immer, wie Goodman formuliert, „pertinent“, wie im Fall der tänzerischen Bewegung, bei der die wesentliche Relation darin besteht, daß eine Geste sich selbst exemplifiziert. Das heißt, eine solche Klassifikation ist außerordentlich nützlich, um den Unterschied zu anderen Symbolsystemen herauszuarbeiten, aber nicht sehr hilfreich, um die Binnenstruktur gerade dieses Systems zu untersuchen. Ähnliches gilt etwa für die Untersuchung der syntaktischen Ebene bei bildlichen Darstellungen; eine Kategorie wie „syntaktische Dichte“ besagt nichts darüber, wie gerade dieses Bild zu analysieren ist, ob und wie seine Binnenstruktur eine Rolle spielt (sie besagt auch nicht, daß es keine hätte); sie erlaubt es aber, etwa den Unterschied zwischen autographischen und allographischen Kunstwerken zu erfassen. Die Auszeichnung des Sprachlichen folgt aus dem Erkenntnisinteresse der Goodmanschen Symboltheorie. Die Anwendbarkeit der symboltheoretischen Begrifflichkeit ist davon nicht betroffen, aber die Art der Ergebnisse, die mit Hilfe einer symboltheoretischen Analyse erzielt werden können. 49 (3) Der dritte oben betrachtete Fall - „in some cases reference cannot be identified as denotation or exemplification“ (LA 66/ 71) - scheint eben diese allgemeine Anwendbarkeit der Unterscheidung von Exemplifikation und Denotation auf sehr viel ernstere Weise zu beschränken, indem er andere Arten der Bezugnahme zuläßt. Oder ist damit lediglich auf die Unentscheidbarkeit mancher Fälle von Referenz angespielt? Goodman legt sich nicht terminologisch darauf fest, wieviele Modi der Bezugnahme es gibt. An einer Stelle zählt er Repräsentation und Beschreibung (also pikturale und sprachliche Denotation), Exemplifikation und Ausdruck (vgl. LA 256/ 235f) zu den Weisen der Bezugnahme, an anderer Stelle nennt er nur Denotation, Exemplifikation und Ausdruck (WW 105/ 130 und MM 70/ 106). Unterscheidet man die Ebenen der Analyse entsprechend der Darstellung in Languages of Art, müßte man von zwei bzw. vier Modi der Bezugnahme sprechen (Denotation und Exemplifikation, die jeweils buchstäblich oder metaphorisch sein können); weitere Einteilungen, wie das syntaktische Kriterium in der erstgenannten Aufzählung, kommen dann auf anderen Analyseebenen hinzu und sind auf alle Modi der Bezugnahme gleichermaßen anwendbar. Die gesamte Anlage von Languages of Art macht schon deutlich, daß diese Einteilung der Bezugnahme vollständig ist: Es gibt nur zwei Stellen im Ka- 49 Das bedeutet keineswegs, daß symboltheoretische Analysen für die Analyse konkreter Anwendungsfälle nicht geeignet wären - das Gegenteil ist der Fall (vgl. etwa die Beispiele für Bezugnahmeketten in Elgin (1983, Kap. VIII)). Allerdings kann die Goodmansche Symboltheorie Diskurse aus den entsprechenden Spezialgebieten nicht ersetzen - ebensowenig wie jede andere allgemeine Zeichentheorie. Vgl. zu dieser Frage auch Birk (2009). <?page no="87"?> Die Rolle der Exemplifikation im Symbolgebrauch 83 pitel II.4 von Languages of Art, die etwas anderes anzudeuten scheinen - die oben zitierte, deren Interpretation fraglich ist, und die folgende: [B]y no means every case of reference is a case of denotation or exemplification. An element may come to serve as a symbol for an element related to it in almost any way. Sometimes the underlying relationship is not referential, as when the symbol is the cause or effect (and so sometimes called the sign of), or is just to the left of, or is similar to, what it denotes. In other cases reference runs along a chain of relationships, some or all of them referential. (LA 65/ 70) Die Stelle ist verwirrend, denn Goodman scheint hier zwei Beispiele für Referenz ohne Denotation oder Exemplifikation anzuführen: Verhältnisse, die man traditionellerweise vielleicht als „indexikalisch“ bezeichnen würde, sowie Bezugnahmeketten, in denen solche Verhältnisse vorkommen. Der Text ist wohl am besten so aufzufassen, daß „indexikalische“ Verhältnisse am Zustandekommen von Bezugnahmen beteiligt sein können. Daß es um das Zustandekommen von Referenz, nicht um ihre Funktionsweise geht, legen auch die Formulierungen „may come to serve as a symbol“ und „the underlying relationship“ nahe. So gelesen, wäre das, was an Bezugnahme nicht mit Denotation/ Exemplifikation zu tun hat, für Bezugnahme weder notwendig noch hinreichend. Um Goodmans Wortspiel erneut aufzugreifen: „routes of reference are quite independent of roots of reference“ (MM 55/ 86). 50 Damit kann man die Unterscheidung von Denotation und Exemplifikation als vollständiges Beschreibungsraster für Weisen der Bezugnahme auffassen (vgl. Elgin 1983: 5) - welche Aspekte an Bezugnahme auch immer sonst zu unterscheiden wären. Mit anderen Worten, im Rahmen der Goodmanschen Symboltheorie gibt es keinen Symbolgebrauch ohne Bezugnahme und keine Bezugnahme ohne Symbolgebrauch: „Reference“ as I use it is a very general and primitive term, covering all sorts of symbolization, all cases of standing for. As a primitive relation, reference will not be defined but rather explicated by distinguishing and comparing its several forms. (MM 55/ 86) In der Unterscheidung von Denotation und Exemplifikation wird „Bezugnahme“ somit allererst faßbar. 50 Goodman spielt hier auf Quines The Roots of Reference an, in dem Quine den Versuch unternimmt, zu rekonstruieren, wie wir überhaupt dazu kommen, Bezugnahmerelationen herzustellen (vgl. Quine 1990 [1974]). <?page no="88"?> 84 Goodmans Begriff der Exemplifikation 2.6 Der Status der Regel 2.6.1 Nominalismus und Extensionalismus Die vorhergehenden Abschnitte haben die exemplifikatorischen Anteile an jedem Symbolgebrauch herausgearbeitet. Die ontologische Pointe dieser Überlegung zeigt sich, wenn man sie mit Goodmans Nominalismus ins Verhältnis setzt: Symbolgebrauch als Mustergebrauch ist ohne Schwierigkeiten nominalistisch aufzufassen. Goodmans Gedanke der Welterzeugung hat sich ursprünglich u.a. aus der Gedankenwelt Carnaps und in Abgrenzung zu dieser entwickelt. 51 Der Gedanke einer Konstruktionssprache, die einen „logischen Aufbau der Welt“ erzeugt, ist Ausgangspunkt für Goodmans frühe Arbeiten, insbesondere The Structure of Appearance; er ist der Ursprung der extensionalistischen Grundposition, die sich durch sein gesamtes Werk zieht. Seine Bemerkung „[N]either there [in The Structure of Appearance, E.B.] nor here [in Ways of Worldmaking, E.B.] is any allowance made for departures from extensionalism.“ (WW 95/ 119 FN 3) gilt sicher für alle seiner Arbeiten. Allerdings wird Goodman die Begriffe der Referenz und der Extension in einer Weise erweitern, die die Grenzen, die der Logische Positivismus einer „wissenschaftlichen Weltanschauung“ gezogen hat, vollständig sprengt und den Begriff der Erkenntnis selbst einer Revision unterzieht (vgl. R 153ff./ 202ff. und 1.3.3). Goodmans extensionalistische Grundposition verbindet sich darüber hinaus mit einem strengen Nominalismus. Genauer gesagt ermöglicht der extensionalistische Charakter seiner Beschreibungssprache die nominalistische Interpretation seiner Darstellung von Symbolsystemen. Das Folgende stellt in Anlehnung an Elgin (1983) einen kurzen Abriß dieser Erweiterungen dar und beschreibt den Charakter des Goodmanschen Extensionalismus sowie seine Auffassung von Nominalismus. Der darauffolgende Abschnitt (2.6.2) benennt die Konsequenzen dieser Überlegungen für den Regelbegriff. Extensionalismus in seiner klassischen Form sagt zunächst etwas über die syntaktische Austauschbarkeit von Ausdrücken aus: A context is extensional if and only if any substitution of coreferential expressions for its terms preserves the truth values of the original sentences. (Elgin 1983: 6) 51 Vgl. dazu die Arbeit von Cohnitz/ Rossberg (2006), insbesondere Kap. 4 und 5, die diese philosophischen Ursprünge Goodmans ausführlich darstellen. Cohnitz/ Rossberg betonen in ihrer Gesamtdarstellung allerdings ausschließlich diese Züge der Goodmanschen Theorie und blenden deren pragmatischen Charakter völlig aus, sodaß sich insgesamt ein einseitiges Bild ergibt. <?page no="89"?> Der Status der Regel 85 Elgin hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Anwendbarkeit eines so aufgefaßten Extensionalismus, der etwa der Referenzsemantik des Logischen Positivismus entspricht, sehr begrenzt ist, da er darauf hinausläuft, alle Unterschiede einzuebnen, die für die Analyse von Weltkonstruktion von Interesse sind - grob gesagt, verschwindet alles, was mit dem „Wie“ der Darstellung zu tun hat: An extensional theory might be developed in either of two ways: we might decide to recognize as language only those contexts that are unproblematically extensional. This amounts to excising from our language - as e.g. meaningless, merely emotive, or ill-formed - all of the difficult cases. […] We render the language extensional by restricting its scope. Or we might extend the scope of ‚reference‘ in a way that shows the difficult cases to be extensional as well. (Elgin 1983: 6f.) Elgin optiert mit Goodman für die zweite Möglichkeit. Um eine derart umfassende Rolle der Bezugnahme zu behaupten, muß man tatsächlich mit einem erweiterten Begriff von Referenz arbeiten. Das bedeutet zum einen, daß der Begriff der Denotation selbst erweitert wird: Goodman bemerkt mehrfach, daß er „Denotation“ in einem weiteren Sinn gebraucht als üblich: „[T]he relation between a picture and what it represents is thus assimilated to the relation between a predicate and what it applies to […].“ (LA 5/ 17) Analoges gilt, wenn er den Begriff auf andere nichtsprachliche Etiketten, sowie das Verhältnis von Partituren und Aufführungen, von Wörtern und ihrer Aussprache anwendet, und nicht nur auf Wörter und das „what they apply to or name“ (LA 143/ 140; vgl. MM 55/ 86). Die Erweiterung besteht also u.a. in der Übertragung auf nicht-sprachliche Symbolsysteme und auf andere sprachliche Ausdrücke als Einzelwörter oder Aussagen, etwa auch auf Texte. Allerdings bleibt auch die Anwendbarkeit eines solchen Denotationsbegriffs, der nicht auf sprachliche Symbolsysteme und da auf prädikative, wahrheitsfunktionale Zusammenhänge beschränkt ist, begrenzt. Zum anderen ist die Einführung des Begriffs der Exemplifikation selbst als eine solche Erweiterung zu verstehen. Diese erst erlaubt es, eine extensionale Theorie zu entwerfen, die auch Fiktionen, figurative und auf Ausdruck statt Beschreibung hin angelegte Darstellungen sinnvoll beschreiben kann. 52 Spricht man also - wie oben - von einer vollständigen Bestimmung des Referenzbegriffs durch Denotation und Exemplifikation, bedeutet das eine Neubestimmung und Erweiterung dieses Begriffs. Diese Erweiterungen sind entscheidend dafür, daß Referenz tatsächlich als eine Dimension an jedem Symbolgebrauch aufgefaßt werden kann, ohne daß man einen verdeckten „propositionalen Gehalt“ für jede Äußerung annehmen müßte - eine solche Vorstellung, lehnt Goodman gerade ab. Das verbindet ihn 52 Die Aufzählung lehnt sich an Elgin (1983: 5) an. <?page no="90"?> 86 Goodmans Begriff der Exemplifikation mit Wittgenstein, der eine solche Auffassung von Sprache in den Philosophischen Untersuchungen ironisierend beschreibt: „Wir könnten sehr gut auch jede Behauptung in der Form einer Frage mit nachgesetzter Bejahung schreiben; etwa: „Regnet es? Ja! “ Würde das zeigen, daß in jeder Behauptung eine Frage steckt? “ (PhU § 22) Es ist also gerade nicht so, daß es bei Goodman nur um eine bestimmte Gebrauchsweise, das Referieren, geht, bei Wittgenstein dagegen um unterschiedlichste Funktionen von Sprache - Wittgensteins Kritik an den „Nominalisten“, die „den Fehler [machen], daß sie alle Wörter als Namen deuten“ (§ 383) trifft Goodman nicht. Vielmehr benennt Goodmans erweiterter Begriff der Bezugnahme eine Dimension an jedem Symbolgebrauch, die mit der Beschreibung unterschiedlicher Sprachspiele korreliert: Solche Bezugnahmen lassen sich also eher auffassen als Sprachspiele im Sinne des späten Wittgenstein, wo ein und dasselbe Symbol in Systemen der unterschiedlichsten Art fungieren kann. (Stetter 2005b: 75 FN 22) „Extensionalismus“ bezeichnet einen Typus von Beschreibungssprache für Symbolgebrauch, die Bezeichnung sagt aber noch nichts darüber aus, was für Entitäten als zulässig betrachtet werden. Goodman optiert in dieser Hinsicht seit seinen ersten Arbeiten 53 für einen strengen Nominalismus, den er folgendermaßen definiert: Although a nominalistic system speaks only of individuals, banning all talk of classes, it may take anything whatever as an individual; that is, the nominalistic prohibition is against the profligate propagation of entities out of any chosen basis of individuals, but leaves the choice of that basis quite free. (WW 94f./ 118) Das grenzt den Nominalisten einerseits vom Platonisten ab, der andere Entitäten als Individuen zuläßt, und andererseits vom Physikalisten, der nur eine Art von Individuen zuläßt. 54 Goodmans Nominalismus unterscheidet sich somit in einer wichtigen Hinsicht von den Positionen, die üblicherweise unter der Bezeichnung „Nominalismus“ verstanden werden, insbesondere von der Auffassung, Nominalismus sei die Ablehnung von Abstracta. 55 In den 50er Jahren kommentiert Goodman ironisch: 53 Die folgenden Zitate stammen z.T. aus Ways of Worldmaking (1978), z.T. aus „A World of Individuals“, einem Text aus den 50er Jahren (abgedruckt in PP 155ff.). Goodmans Position hat sich in Hinblick auf seinen Nominalismus nicht verändert. 54 Mit letzteren ist die Position Quines gemeint (vgl. MM 50f./ 80). Goodman und Quine hatten in den 40er Jahren trotz ihrer Differenzen darüber, was Nominalismus ausmacht, einen gemeinsamen Entwurf zur nominalistischen Rekonstruktion der Grundlagen der Mathematik vorgelegt (abgedruckt in PP 173ff.); Quine hat jedoch die strikte Ablehnung von Klassen als mathematischen Entitäten später aufgegeben (vgl. Cohnitz/ Rossberg 2006: 89ff. und MM 51/ 81). 55 Eine Übersicht über unterschiedliche Spielarten des Nominalismus geben Cohnitz/ Rossberg (2006, Kap. 4). <?page no="91"?> Der Status der Regel 87 Nominalism as I conceive it […] does not involve excluding abstract entities, spirits, intimations of immortality, or anything of the sort; (PP 157) Er benennt damit aber im Kern den Gedanken, der die Öffnung seiner Philosophie hin zu Fragen der Welterzeugung sowie die These von der Pluralität der Welten vorbereitet, und letztlich die Vereinbarkeit einer nominalistischen Position mit einem Relativismus, wie er ihn ebenfalls für seine Arbeiten in Anspruch nimmt, ermöglicht (vgl. WW 94/ 118). 56 Goodmans Nominalismus schließt nicht bestimmte Arten von Individuen, sondern „certain means of construction“ (MM 51f./ 82) aus: Nominalism […] bars the composition of different entities out of the same elements. […] [O]nce two entities made up out of the same atoms are distinguished - for example, when a and the composition of a and b are recognized as combining to make up a different entity than do b and the composition of a and b - then nominalism is violated. (MM 52/ 82 vgl. PP 158) Der Gedanke, es sei die Art und Weise der Zusammensetzung von Gegenständen, d.h. die Art und Weise, wie Gegenstände in einem Symbolgebrauch konstruiert werden, die über ihren ontologischen Status entscheidet, stammt aus der Auseinandersetzung Goodmans mit Carnap. Gegen das an der Klassenlogik orientierte Projekt des „Aufbau“ entwickeln Leonard/ Goodman (1940) unter der Bezeichnung „Individuenkalkül“ eine formale Sprache, die das im obigen Zitat ex negativo beschriebene Konstruktionsprinzip zur Grundlage hat: die Teil-Ganzes-Beziehung ersetzt die Beziehung Element-Klasse. Diese Herangehensweise, die Ersetzung der Logik der Klassen durch eine Mereologie (vgl. Lorenz 1995 [1984] und Stetter 2005b: 285ff.), hat aus Goodmans Sicht den klaren Vorteil, daß der Vermehrung von Entitäten, die sich etwa aus der Bildung von Klassen von Klassen ergibt, Einhalt geboten ist - aus zwei Individuen läßt sich nur ein Ganzes konstituieren. 57 Goodmans Nominalimus läßt sich so auf die „Formeln“ bringen: „[n]ominalism for me consists specifically in the refusal to recognize classes“ (PP 156) bzw. „no difference without a difference of individuals“ (WW 95/ 119). Übertragen in den Kontext der späteren Symboltheorie bedeutet das vor allem: Etiketten, nicht Klassen denotieren, Etiketten, nicht Klassen werden exemplifiziert. In der Analyse von Symbolgebrauch ist die Konsequenz (auch) eines 56 Zum Problem des Relativismus vgl. 6.2. 57 Haack (1997 [1978]: 206) merkt zu Recht an, daß für Goodman die große Anzahl der Entitäten nicht das ausschlaggebende Argument gegen einen Platonismus ist: Finitismus und Nominalismus sind für ihn logisch von einander unabhängig, obwohl sie meistens Hand in Hand gehen (vgl. PP 166). Es ist die Unverständlichkeit solcher quasi durch Magie entstehenden Einheiten, die sie unakzeptabel macht (vgl. PP 159). <?page no="92"?> 88 Goodmans Begriff der Exemplifikation Goodmanschen Nominalismus, daß man auf die Existenz von ausschließlich materiellen Entitäten, nämlich Inskriptionen, festgelegt ist. Wenn in vielen Texten Goodmans dennoch etwa von „Klassen“ oder „Arten“ die Rede ist, dient das entweder der leichteren Verständlichkeit, in Zusammenhängen, in denen eine genauere (nominalistische) Formulierung einfach zu rekonstruieren wäre (vgl. LA xiii/ 11), 58 oder die Redeweise ist absichtlich nicht auf einen Typus von Weltkonstruktion festgelegt, um eine Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen zu erlauben (vgl. WW 95/ 119 FN 3), oder die betreffende Thematik harrt insgesamt noch der nominalistischen Rekonstruktion (MM 51/ 81). In manchen Problemzusammenhängen ist allerdings das Reden über „Etiketten“ anstatt über „Klassen“ sehr viel fruchtbarer. Das zeigt sich etwa an der Beschreibung der Metapher: Metaphern lassen sich als Übertragung von Etiketten in eine neue Sphäre beschreiben; von der Übertragung von Klassen auf andere Sphären könnte man dagegen nicht sinnvoll sprechen. Für Goodman erweist sich daran „the aptness of an emphasis upon labels, of a nominalistic, but not necessarily verbalistic orientation“ (LA 74/ 78). An anderen Stellen ist es bequemer, wenn auch nicht korrekt, von „Klassen“ oder „Eigenschaften“ anstatt von „Etiketten“ zu sprechen. So müßte man z.B. bei der Erklärung von „Ausdruck“ als der metaphorischen Exemplifikation von Stimmungen, Gefühlen usw. eigentlich von ausgedrückten Prädikaten (oder anderen Etiketten, wie Bildern) sprechen und nicht von ausgedrückten Eigenschaften. 59 Allgemein geht Goodman davon aus, daß Etiketten, nicht Eigenschaften bzw. Klassen exemplifiziert werden (vgl. R 19/ 35 FN 4). Strenggenommen können nur die Etiketten selbst exemplifiziert werden; sonst müßten Symbole, die eine Eigenschaft exemplifizieren, auch alle Klassen exemplifizieren, die dieselbe Extension haben (vgl. auch zum folgenden LA 54ff./ 61ff. und Elgin 1983: 76f.). Wenn Sokrates ein vernunftbegabtes Lebewesen ist, ist er auch ein federloser Zweifüßler - allerdings ist es natürlich keineswegs zwangsläufig so, daß er die eine Eigenschaft auch exemplifiziert, wenn er die andere exemplifiziert (vgl. Elgin 1983: 76). In bestimmten Kontexten reden wir allerdings berechtigterweise so, als ginge es nicht um Etiketten, sondern um Klassen. Eine Beschränkung auf die Exemplifikation von Etiketten wäre hier ein sehr eng gefaßtes Kriterium - es würde uns etwa zwingen zu sagen, daß ein Stoffmuster, das „rot“ exemplifiziert, deswegen noch nicht „rouge“ oder „red“ exemplifiziert. Goodman löst 58 Daß eine bestimmte Beschreibung nominalistisch umformuliert werden kann oder muß, merkt Goodman in seinen Werken immer wieder an; vgl. LA 156/ 150 FN 15; WW 10/ 23 FN 14; WW 101/ 126 FN 8; R 69/ 96f. FN 2; FFF 33/ 51. 59 Vgl. LA 87/ 90 sowie dort den ironischen Kommentar in FN 33. <?page no="93"?> Der Status der Regel 89 das Problem, indem er auf den Kontext verweist; wie eng oder weit das Kriterium jeweils zu fassen ist, hängt von der Gebrauchssituation ab: [W]e can be as specific or as general as we like about what is exemplified, but we cannot achieve maximum specificity and maximum generality at the same time. (LA 56/ 62) Das ändert nichts daran, daß die Rede von „Eigenschaften“ oder „Klassen“ eigentlich eine Art abkürzende Beschreibungen für mehr oder weniger komplexe Bezugnahmeverhältnisse darstellt - Exemplifikation bezieht sich eigentlich ausschließlich auf die Etiketten selbst. 2.6.2 Ontologische Differenzen Exemplifikation ist damit - im Vokabular des Goodmanschen Nominalismus formuliert - die Bezugnahme eines Individuums auf ein Etikett. Die Pointe dieses Gedankens für den Regelbegriff ist die folgende: Über das Verfahren der Exemplifikation legt die Konjunktion von Nominalismus und Extensionalismus den ontologischen Status der Regel bei Goodman fest. Die Beschreibung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch in nominalistischer Interpretation hat einen doppelten Vorteil: Zum einen ist man ontologisch nur auf die Existenz von Inskriptionen und Bezugnahmegegenständen festgelegt, d.h. auf Individuen. Zum anderen garantiert die Exemplifikation die Existenz ihrer Referenzgegenstände, im Falle typisierter Symbolsysteme wie der Sprache diejenige der Typen - denn Exemplifikation ist niemals fiktiv. Allerdings garantiert sie sie diese nur als Etiketten, d.h. im Sinne der retrospektiven oder außenperspektivischen Formulierbarkeit. Dieses Verhältnis spiegelt die merkwürdige Untrennbarkeit und die gleichzeitige unüberbrückbare Differenz von Regel und Regelformulierung, die Black (1962a: 97ff.) konstatiert. Wenn die vorhergehenden Überlegungen zur Notwendigkeit exemplifikatorischer Anteile am Symbolgebrauch richtig sind, ergibt sich daraus nicht weniger, als daß jedem regelgeleiteten Symbolgebrauch eine irreduzible ontologische Differenz zwischen der Aktualität der Inskriptionen und der Virtualität der Typen eingeschrieben ist. Stetter (2005b: 318) hat in diesem Sinn von einer „Virtualität“ des Sprachsystems gesprochen. Denkt man die Regel von der Performanz her, bedeutet das gerade nicht, daß diese Differenz im Zuge einer Kritik der „Zwei-Welten-Ontologie“ aufzulösen ist, wie Krämer gefordert hatte. 60 Vielmehr bedeutet eine Ablehnung der „Zwei-Welten- 60 Vgl. oben 1.1.2 und Krämer (2001): Die „Zwei-Welten-Auffassungen“ zeichnen sich für Krämer dadurch aus, daß sie zwischen „Schema/ Muster/ Regel“ und „Gebrauch/ Aktualisierung/ Anwendung“ (Krämer 2001: 263) „kategorisch, also im Sinne verschiedenrangiger Seinsmodalitäten“ unterscheiden (Krämer 2001: 264). <?page no="94"?> 90 Goodmans Begriff der Exemplifikation Ontologie“, daß diese Differenz ernst genommen werden muß: Das Problem einer „Zwei-Welten-Ontologie“ ist gerade, daß sie Regeln als irgendwie übermäßige Dinge auffaßt. Richtig aber ist natürlich, daß Regelformulierungen Sprachspiele sind, die selbst Symbolgebräuche sind wie andere auch (vgl. oben Kap. 1 sowie Schneider 2002: 130 und Krämer 2002: 117). Analoges gilt für Symbolgebräuche, die nicht als regelgeleitet in einem engen Sinn aufgefaßt werden: Wenn wir auch hier exemplifikatorische Bezugnahmen vornehmen - so schwierig es im einzelnen ist, die exemplifizierten Etiketten genau zu formulieren - setzen wir auch hier die Differenz von Inskription und „Typ“ an. Wobei die Anführungszeichen markieren sollen, daß man hier nicht eine Regel vermutet, sondern davon ausgeht, daß die Wahl und Ausgestaltung gerade dieser Inskription einen Unterschied macht gegenüber anderen möglichen Inskriptionen. Die ontologischen Verhältnisse sind dieselben wie bei typisierten Systemen, die Umgangsweise ist eine andere. 61 Die zentrale Rolle in diesen Überlegungen kommt dem Begriff der Exemplifikation zu. Der erweiterte Begriff der Referenz ist der Schlüssel zu einer allgemeinen Symboltheorie auf nominalistischer Grundlage. Diese Rolle kann Exemplifikation nur spielen, weil Goodman „ein Beispiel geben“ auf besondere Weise auffaßt: Exemplifikation ist ein Modus von Symbolgebrauch und beinhaltet damit gerade mehr als das bloße „Fallen unter einen Begriff“, nämlich die Bezugnahme auf diesen Begriff. Dabei ist die Rolle der Muster im Symbolgebrauch nicht bloß dadurch bestimmt, daß Exemplifikation mit „Zeigen“ zu tun hat, wenn eine bestimmte Eigenschaft, die Dichte der Darstellung, hinzukommt. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, daß Exemplifikationssysteme standardisiert sein können, was sie geeignet für die Beschreibung auch typisierter Symbolsysteme macht. Auf eine Formel gebracht: Jeder Symbolgebrauch kann als Mustergebrauch dargestellt und damit nominalistisch aufgefaßt werden; es sind die Unterschiede im Wie der Bezugnahme, die zwischen typisiertem und nicht-typisiertem Symbolgebrauch differenzieren. Nicht jeder Mustergebrauch erzeugt Typisierungen. Die hier dargestellten Unterscheidungen wurden an einfachen Referenzakten vorgenommen und stellen insofern gleichsam eine Untersuchung in vitro dar. Eine Analyse der Referenzverhältnisse im tatsächlichen Symbolgebrauch wird zum einen eine Fülle mehr oder weniger komplizierter Be- 61 Wo die Grenze zwischen typisierten und nicht typisierten Symbolsystemen sinnvoll anzusetzen ist, ist nicht einfach zu bestimmen. Der Versuch einer solchen Grenzziehung wird in Kap. 6 gemacht. Die Ad-Hoc-Einteilung des vorliegenden Kapitels läßt aber bereits vermuten, daß neben mehr oder weniger differenzierten Systemen einerseits und mehr oder weniger dichten andererseits der Bereich des Diagrammatischen (der hier nur in Form stipulativer Denotation vorkam) das entscheidende Problem darstellt. <?page no="95"?> Der Status der Regel 91 zugnahmeketten zutage fördern. 62 Zum anderen stellt sie die Untersuchung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch vor die Aufgabe, zu klären, wie Wiederholungen, Serien, Analogien (von der wiederholten Verwendung eines Wortes zu Wittgensteins Beispiel der Zahlenreihe) zu beschreiben sind und welche Eigenschaften ihnen zukommen. Das folgende Kapitel zeigt, wie sich in extensionalistischer Perspektive das Problem der Reihe darstellt: als Problem der Induktion. 62 Vgl. z.B. die Analysen in Elgin (1983, Kap. VIII). <?page no="97"?> 3 Goodmans Theorie der Projektion 3.1 Symbolgebrauch als Projektion Die bisherigen Überlegungen haben vor allem die formalen Eigenschaften von Exemplifikationen als einzelnen Bezugnahmen nachgezeichnet; dabei war zwar immer wieder die Rede davon, daß Exemplifikationen in Gebrauchskontexte eingebunden sein müssen, die Art und Weise dieser Einbindung bleibt aber noch darzustellen. Allgemein gesagt behandelt Goodman Fragen des Symbolgebrauchs als solche der „Projektion“, d.h. als Fragen des Übergangs von einer gegebenen Menge von Fällen zu weiteren Fällen (vgl. FFF 83/ 109 und 58/ 80). 1 Die Dimension der Anwendung kommt unter dieser Bezeichnung in einer Reihe seiner Schriften vor: Erstens in seinen Arbeiten zum Induktionsproblem, das er in dem Frühwerk Fact, Fiction, and Forecast, in einem Kapitel von Languages of Art (Kap. IV.9) sowie in einem Kapitel von Problems and Projects (Kap. VIII) 2 behandelt; das Induktionsproblem gilt ihm dabei als ein Spezialfall des allgemeinen Projektionsproblems, ein Spezialfall, bei dem es um Standards für die Projektion von Prädikaten und allgemeinen Aussagen geht. Zweitens in Ways of Worldmaking (Kap. VII.6) und Reconceptions (Kap. I.6), wo es um die Frage der „guten Probe“ („fair sample“), d.h. um Standards der Projektion bei Exemplifikationen geht. 3 Schließlich greift Goodman die Frage der Projektion in Languages of Art (Kap. V.6) auf, um darauf hinzuweisen, daß verschiedenartige Symbolsysteme (hier: Sprachen und Notationen) hinsichtlich der Projektion auch Unterschiede aufweisen. 1 Im Deutschen hat sich für „projection“ die Übersetzung „Projektion“ eingebürgert, da H. Vetters Wiedergabe als „Fortsetzung“ in der deutschen Ausgabe von Fact, Fiction, and Forecast den Sinn offensichtlich verkürzt. Das entsprechende Adjektiv „projectible“ - im Englischen ein Neologismus, der aber sehr schnell in den allgemeinen philosophischen Gebrauch übergegangen ist (vgl. Hacking 1994: 201) - wird allgemein als „projizierbar“ wiedergegeben; Stegmüllers (1958: 369) Vorschlag, einen entsprechenden Neologismus zu bilden („projektierbar“) und Vetters Übersetzung („fortsetzbar“) haben sich nicht durchgesetzt. 2 Das Kapitel aus Problems and Projects enthält Aufsätze, die Vorarbeiten zu Fact, Fiction, and Forecast bilden, sowie Kapitel aus den anderen Werken zum Thema Induktion. 3 Auf diesen Zusammenhang zwischen Induktion und Exemplifikation hat neuestens Ernst (2005: 105f.) hingewiesen: „Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Fragen der Exemplifikation und dem Problem der Induktion. […] Das Problem der Induktion ist es, die fortsetzbaren von den nicht-fortsetzbaren Prädikaten zu unterscheiden, das Problem der Exemplifikation ist es, die nur besessenen von den exemplifizierten Prädikaten zu unterscheiden.“ <?page no="98"?> 94 Goodmans Theorie der Projektion Im folgenden wird zunächst für Exemplifikationssysteme geklärt, daß sie Projektionsverfahren unterliegen (3.2), um dann am Beispiel der Induktion allgemeine Merkmale von Projektionen herauszuarbeiten (3.3). Das Bild, das auf diese Weise von der Dimension der Anwendung in Goodmans Symboltheorie entsteht, muß dann auf Mustergebrauch rückbezogen werden, wenn - wie in der vorliegenden Arbeit - aus nominalistischer Perspektive dieser als Modell für Symbolgebrauch dienen soll (3.4). Im Mittelpunkt des folgenden Kapitels steht dabei Goodmans Neufassung des Induktionsproblems, wie er sie 1954 in Fact, Fiction, and Forecast vorgelegt hat; denn dabei handelt es sich nicht nur um die ausführlichste Abhandlung des Projektionsproblems, sondern auch um das Paradigma für den allgemeinen Begriff der Projektion in den späteren Werken: Erstens liefert das „grue“-Paradox aus Fact, Fiction, and Forecast den formalen Beweis dafür, daß Projektion - und damit Symbolgebrauch - nicht empirisch determiniert sein kann. Es ist Goodmans zentrales Argument für seine konstruktivistische Grundhaltung und wird in den späteren Schriften an zahlreichen Stellen wieder aufgenommen oder vorausgesetzt. Für die vorliegende Arbeit wird damit ein zentrales Argument für einen Konstruktivismus wie angekündigt „nachgeliefert“. Zweitens ist die Suche nach Standards für gute induktive Praxis das Modell für die späteren Überlegungen zu „Standards der Richtigkeit“ für den Gebrauch unterschiedlichster Symbolsysteme, die Goodmans Analyse des Wahrheitsbegriffs bestimmen. Ein Grundzug dieser Überlegungen zeichnet bereits Goodmans Arbeiten zur Induktion aus: Goodmans Relativismus ist kein Skeptizismus, sondern zielt immer auf die Rekonstruktion bestehender Praxis ab. Diese pragmatische Verankerung von Goodmans Herangehensweise wird, drittens, in Fact, Fiction, and Forecast ausführlich thematisiert, wohingegen sie in den späteren Schriften in vielen Teilen vorausgesetzt wird (vgl. 1.3.2). 3.2 Exemplifikation und das Problem der „guten Probe“ Zur Beherrschung und zum Verständnis eines Symbolsystems gehört die Anwendung auf neue Gegenstände: In mastering a symbol system, we acquire the capacity to interpret particular works as symbols of the system and the capacity to interpret and reinterpret other things in terms of the categories the system provides. (R 19/ 35) Für denotationale Systeme bedeutet das schlicht, zu entscheiden, welche weiteren Gegenstände unter ein gegebenes Etikett fallen, für Exemplifikationssysteme ist eine solche Übertragung eine komplexe Form der Bezugnahme: Etwas exemplifizieren heißt, eine Probe davon sein. Das Stoffmuster exemp- <?page no="99"?> Exemplifikation und das Problem der „guten Probe“ 95 lifiziert in einem geeigneten Kontext seine Farbe und fungiert so als Probe für einen bestimmten Blauton. In zahlreichen Handlungszusammenhängen wird es aber nicht nur darauf ankommen, etwa das Etikett „marineblau“ zu exemplifizieren, sondern auch darauf, das Stoffmuster als Probe für einen bestimmten blauen Stoffballen zu verwenden. In solchen Fällen läßt sich eine Bezugnahmekette vom Stoffmuster zum Stoffballen ansetzen: Das Stoffmuster exemplifiziert ein Etikett, das den Ballen denotiert. Verkürzend kann man auch bei diesem Verhältnis zwischen zwei Gegenständen, die gleichermaßen das entsprechende Etikett instantiieren, davon sprechen, daß der eine eine Probe oder ein Muster des anderen ist. 4 Diese formale Beschreibung sagt aber noch nichts darüber aus, wie sinnvoll oder gelungen eine gegebene Projektion ist. In Ways of Worldmaking nimmt Goodman die Frage nach Standards für Mustergebrauch auf, die über eine solche formale Beschreibung der Bezugnahmeverhältnisse hinausgehen. Ausgangspunkt seiner Überlegung ist das folgende Beispiel: Unterschiedliche Stoffmuster, die alle vom selben Stoffballen stammen, sind nicht unbedingt gleichermaßen als Muster dafür geeignet, obwohl sie alle eine Reihe von Eigenschaften mit dem Stoffballen gemeinsam haben und die Eigenschaft exemplifizieren können, von diesem Ballen zu stammen. Ein Stoffmuster darf nicht lediglich z.B. die Farbe oder das Muster aufweisen, das irgendeiner Stelle der Stoffbahn entspricht, sondern muß so gewählt sein, daß wir auf die Farbe und das Muster der gesamten Bahn schließen können (vgl. WW 134f./ 162f.). Nur ein solches Muster gilt als „gute, repräsentative Probe“ („fair sample“) (WW 134/ 163), 5 das die Merkmale exemplifiziert, die in einem bestimmten Kontext relevant sind. Das Auswählen einer guten Probe erfordert somit nicht nur die Entscheidung für ein bestimmtes Exemplifikationssystem, sondern 4 Streng genommen ist das zwar nicht richtig - das Stoffmuster exemplifiziert nicht den Ballen, sondern höchstens die Eigenschaft, von diesem Ballen zu stammen (vgl. LA 53/ 60) -, es entspricht aber dem Sprachgebrauch des Deutschen ebenso wie dem des Englischen. In Goodmans Sprachgebrauch sind die beiden Ausdrücke - „exemplify“ und „be a sample of“ - in der Regel austauschbar (vgl. z.B. WW 64/ 84f. und LA 52ff./ 59ff.). In jedem Fall ist aber zu betonen, daß der Stoffballen bei der Exemplifikation nicht der „Gegenstand der Symbolisierung“ ist, wie Spree (1998: 326) meint, sondern die exemplifizierten Etiketten. Daher ist es auch verfehlt, die Nützlichkeit des Exemplifikationsbegriffs für die Künste mit der Begründung in Frage zu stellen, es gebe kein Analogon zum Stoffballen, also nichts wovon das Kunstwerk eine Probe ist (vgl. Spree 1998: 326 und Spree 2002b: 133). Wovon Kunstwerke im Sinne der komplexen Bezugnahme Proben sein können, dazu vgl. die folgenden Überlegungen in diesem Abschnitt. 5 M. Looser übersetzt „fair sample“ mit „guter“, „repräsentativer“ oder „guter, repräsentativer“ Probe (WW 133ff./ 161ff.). Wenn im folgenden Text für die „gute Probe“ entschieden wurde, obwohl der Sprachgebrauch eher dagegen spricht, dann lediglich weil dadurch der terminologische Charakter des Ausdrucks stärker betont wird. <?page no="100"?> 96 Goodmans Theorie der Projektion innerhalb des Systems die Entscheidung zwischen Symbolen, die hinsichtlich der formalen symboltheoretischen Klassifizierung identisch sind, und damit die Festlegung auf bestimmte exemplifizierte Etiketten. Eine Probe in diesem Sinn als repräsentativ ansehen, heißt, ihre Merkmale für übertragbar zu halten; „fairness“, also die Güte der Probe, besagt hier dasselbe wie Projizierbarkeit („projectibility“) (vgl. WW 135/ 164). Das betrachtete Beispiel zeichnet sich dadurch aus, daß die Güte der Probe sich auf einfache Weise prüfen läßt, indem man die gesamte Stoffbahn in Augenschein nimmt. Das gilt, wie Goodman an zwei weiteren Beispielen deutlich macht (vgl.WW 135f./ 163f.), keineswegs für jeden Mustergebrauch. Nimmt man eine Probe vom Inhalt eines Behälters, der eine Mischung von Grassamen enthält, läßt sich die Güte der Probe folgendermaßen prüfen: On occasion we may apply either of two criteria for being a fair sample of the mixture: first, that the mixture in the sample is in the same proportion as in the barrel; or second, that the sample has been fairly drawn in that the contents of the barrel have been thoroughly stirred, parts of the sample taken without prejudice from various levels, etc. (WW 135/ 163f.) Die erste Möglichkeit entspricht dem vorhergehenden Beispiel, insofern der Bereich, auf den projiziert wird, begrenzt ist. Es gibt aber viele Fälle, in denen ausschließlich die zweite Möglichkeit zur Verfügung steht: Nimmt man, das ist Goodmans drittes Beispiel, eine Wasserprobe aus dem Meer, ist man darauf angewiesen, ein Verfahren der Probenentnahme als Kriterium festzusetzen. Man wird in vielen Fällen dann keine genaue Übereinstimmung verlangen, da klar ist, daß das, worauf die Probe Bezug nimmt, selbst weder homogen noch genau abgegrenzt ist (vgl. WW 136f./ 165f.). Man wird aber versuchen, die unterschiedlichen Proben mit einander abzugleichen und das Verfahren wiederum im Lichte der Ergebnisse zu modifizieren. Diese Art der Projektion beruht also darauf, daß sich eine „gute Praxis“ („good practice“) einspielt: „Good practice […] depends upon habit in continual revision under frustration and invention.“ (WW 136/ 164f.) 6 Diese Überlegungen zu Standards der Richtigkeit bei Exemplifikationen spielen überall eine Rolle, wo Mustergebrauch vorkommt. Da jeder Symbolgebrauch einen exemplifikatorischen Anteil hat (vgl. oben 2.5), spielt die Frage der guten Probe auch bei sämtlichen Typen von Symbolsystemen eine Rolle, aber nicht überall in der gleichen Weise. Wenn eine gelungene Projektion es erfordert, daß man sich innerhalb eines Exemplifikationssystems auf ein Symbol und auf die von ihm exemplifizierten Etiketten festlegt, daß man es für projizierbar, d.h. für eine gute Probe, hält und daß man es auf einen neuen 6 M. Looser übersetzt sonst „practice“ mit „Praxis“, an dieser Stelle allerdings unverständlicherweise mit „Übung“; der Kontext ist aber eindeutig. <?page no="101"?> Exemplifikation und das Problem der „guten Probe“ 97 Fall anwendet, 7 dann kann - je nach Symbolsystem und Situation - jeder dieser Schritte eine Anforderung darstellen. Bei der routinierten Anwendung typisierter denotationaler Systeme zum Beispiel wird es sowohl auf syntaktischer als auch auf semantischer Ebene vor allem darauf ankommen, den letzten Schritt korrekt zu vollziehen, da das Exemplifikationssystem und seine relevanten Züge vertraut sind: To learn and use any language is to resolve problems of projection. On the basis of sample inscriptions of a character we must decide whether other marks, as they appear, belong to that character; and on the basis of sample compliants of a character, we must decide whether other objects comply. Notational and discursive languages are alike in this respect. (LA 201/ 189f.) Beim Erwerb solcher Systeme, etwa dem Schrifterwerb, lernt man eben auch, auf welche der exemplifizierten Etiketten eines Inskriptionsmusters oder eines Erfüllungsgegenstandes es ankommt, d.h. welche Proben auf syntaktischer oder semantischer Ebene als gute Proben gelten können; ein routinierter Schreiber muß sich damit nicht mehr aufhalten. Versucht man dagegen, eine Inskription in einer unbekannten Schrift zu kopieren, sind die exemplifizierten Etiketten zu interpretieren - ausgehend von der Maßgabe, daß es sich bei der vorliegenden um eine gute Probe handelt. Ein anderer Fall liegt bei einem Gemälde vor, das dicht in der Darstellung ist und in hohem Maße durch Exemplifikation, vor allem durch Ausdruck, wirkt. Die Wahl der relevanten Merkmale und das Erkennen exemplifizierter Etiketten machen einen wichtigen Teil der Interpretationsleistung aus. Mit anderen Worten, man geht davon aus, daß das Gemälde die Interpretation lohnt, also eine gute Probe ist, und versucht herauszufinden, in welcher Hinsicht. Der Bereich, in den projiziert wird, kann dabei eine Welt insgesamt sein, wenn z.B. ein Gemälde Sehgewohnheiten verändert: When Degas painted a woman seated near the edge of the picture and looking out of it, he defied traditional standards of composition but offered by example a new way of seeing, of organizing experience. (WW 137/ 166f.) Die Veränderung läßt sich weder durch ein eindeutiges Verfahren, noch durch einen erschöpfenden Vergleich mit dem Bereich, in den projiziert wird, begründen: Works of art are not specimens from bolts or barrels but samples from the sea. […] The features of the whole are undetermined; and fairness of sample is no matter of shaking a barrel thoroughly or taking water from scattered places but rather of coordination of samples. (WW 137/ 166; vgl. R 22/ 38f.) 7 Genauer gesagt sind es natürlich die Etiketten, die auf einen weiteren Gegenstand angewandt werden. <?page no="102"?> 98 Goodmans Theorie der Projektion Die einzige Möglichkeit, die Güte der Darstellung zu prüfen, liegt im Vergleich mit anderen Darstellungen und anderen Einzelfällen. Kunstwerke sind damit in Prozesse des Abgleichens und Revidierens einbezogen, die dem Herausbilden einer „good practice“ entsprechen. Auf diese Weise erklärt Goodman mit Hilfe des Begriffs der Projektion, wie ein Kunstwerk überhaupt als „Version“ der Welt oder als Element einer solchen Version fungieren, also in seinem Sinn zu „Welterzeugung“ beitragen kann - eben indem wir einige seiner Züge als projizierbar verstehen. Innerhalb der Goodmanschen Theorie erfüllt der Begriff der Projektion so eine wesentliche Funktion: Er erlaubt es neben Unterschieden vor allem auch grundlegende Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Gebrauchs unterschiedlicher Symbolsysteme zu beschreiben, nämlich, wie jeder Symbolgebrauch eine Version der Welt konstruierend erzeugt; und er erlaubt es ebenfalls, anzunehmen, daß es für diesen Vorgang Standards der Richtigkeit gibt, auf die man sich im Zuge einer solche Konstruktion festlegt. Die Überlegungen zur Projektion sind damit in der Architektonik der Theorie das Verbindungsglied zwischen den symboltheoretischen Beschreibungskategorien und ihrer konstruktivistischen Auslegung. Das geht mit einer Erweiterung des Erkenntnisbegriffs einher (von bestimmten verbalen denotationalen Schemata auf jede Art von Symbolgebrauch) und weiterhin mit einer Revision des Wahrheitsbegriffs (zugunsten des Begriffs der Richtigkeit). Tatsächlich führt Goodman den Begriff der „guten Probe“ in Ways of Worldmaking im Rahmen der Frage ein, inwieweit Versionen der Welt einander widersprechen können (vgl. WW 109ff./ 134ff.). Dazu muß geklärt werden, worauf unterschiedliche Versionen der Welt einen festlegen und welche Maßstäbe für den Vergleich und für die Richtigkeit von Versionen es gibt. Wenn der Umgang mit Kunstwerken als Projektionsvorgang beschreibbar ist, können Kunstwerke für Goodman ebenso wie Theorien als Versionen der Welt gelten. Nicht daß es dafür keine ernstzunehmenden Standards der Beurteilung gäbe, unterscheidet dann etwa Gemälde von anderen Arten der Darstellung, sondern ihre symboltheoretischen Eigenschaften: Rightness of design [bei einem Degas, E.B.] differs from rightness of representation or description not so much in nature or standards as in the type of symbolization and mode of reference involved. (WW 137/ 167) An dieser Stelle bedient Goodman sich in Ways of Worldmaking der „guten Probe“ um plausibel zu machen, daß Darstellungen in unterschiedlichsten Symbolsystemen die Funktion der Welterschließung haben; daß man gute und schlechte Proben unterscheidet, belegt daß man ihnen diese Funktion zuschreibt. Das Gelingen von Projektionsvorgängen im allgemeinen läßt sich entsprechend auch nicht mit den Kategorien „wahr“ und „falsch“ bemessen. <?page no="103"?> Exemplifikation und das Problem der „guten Probe“ 99 Goodman wählt als allgemeinere Begriffe die der „Richtigkeit“ („rightness“) und des „Passens“ („fit“): Briefly, then, truth of statements and rightness of descriptions, representations, exemplifications, expressions - of design, drawing, diction, rhythm - is primarily a matter of fit: fit to what is referred to in one way or another, or to other renderings, or to modes and manners of organization. (WW 138/ 167) Mit dieser Erweiterung des Erkenntnisbegriffs lassen sich Künste und Wissenschaften gleichermaßen als Weisen der Welterzeugung auffassen, was eines der Grundanliegen von Goodmans Analysen ist (vgl. WW 133/ 161). Das Suchen nach dem Passenden entspricht in allen diesen Bereichen der „good practice“, die Goodman in Ways of Worldmaking für Kunstwerke beschreibt: Verfahren, Kategorien und Ergebnisse werden in Abgleichungs- und Revisionsprozessen an einander angepaßt. Richtigkeit kann als „acceptability“ (WW 139/ 168) innerhalb einer solchen Praxis angesehen werden. Die Annahme eines solchen „guten“ („virtuous“) Zirkels (FFF 64/ 87) als eines Grundmusters des Erkenntniserwerbs unterscheidet eine konstruktivistische Auffassung Goodmanscher Ausprägung gleichermaßen von Theorien, die davon ausgehen, daß wir die Gegenstände unserer Erkenntnis vorfinden, wie von Theorien, die angeborene Strukturen des Erkennens voraussetzen; es unterscheidet sie aber ebenso von einem methodischen „anything goes“, einem Aufgeben der Suche nach Maßstäben der Erkenntnis (vgl. Putnam 1983: xiii und xivf.). Für Goodman sind offensichtlich gerade die Fälle, in denen wir die Güte einer Probe immer nur anhand ihrer Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit anderen Proben prüfen können und bei denen die Wahl der richtigen Etiketten nicht festliegt, paradigmatisch für Weltkonstruktion. Nun sind aber nicht alle Projektionsvorgänge gleichartig. Wie die oben aufgeführten Beispiele gezeigt haben, bestimmen die Symbolsysteme, die im Spiel sind, und der Anwendungskontext, wie sich der Projektionsvorgang im einzelnen gestaltet. Goodman gibt darüber keinen systematischen Überblick, aber in der Logik seiner Beispiele liegen zumindest die folgenden Unterscheidungen: Projektionen können routiniert erfolgen (wie vertraute Abläufe im alltäglichen Sprachgebrauch) oder neuartige Anwendungen darstellen (wie metaphorische Ausdrücke); 8 die Kategorisierung, also die anzuwendenden Etiketten, kann festliegen (wie bei Identifizierung von Inskriptionen eines vertrauten typisierten Systems) oder interpretatorisch zu erschließen sein (wie z.B. oft bei Gemälden); und die Kette der Projektionen kann abschließbar sein (wie im Fall der Stoffbahn) oder nicht abschließbar (wie im Fall der Meerwasserpro- 8 In Goodmans Analysen ist metaphorischer Sprachgebrauch gerade durch den Bruch mit eingespielten Darstellungskonventionen definiert, „verblaßte“ Metaphern o.ä. gelten nicht als solche (vgl. oben 1.3.2). <?page no="104"?> 100 Goodmans Theorie der Projektion ben). Weshalb sollte gerade der Fall der Meerwasserprobe bzw. des Gemäldes grundlegender sein als die anderen Fälle? Das hängt nicht nur mit der großen praktischen Bedeutung dieser Fälle zusammen (vgl. WW 136/ 165), sondern grundsätzlich damit, daß Fragen der Richtigkeit der Kategorisierung solchen Fällen analog sind. Diese sind aber grundlegend für (fast) 9 alle anderen Arten der Projektion: Die unterschiedlichen Verfahren, die bei Projektionen eine Rolle spielen, (wie z.B. deduktive und induktive Ableitungen, Verfahren der Probenentnahme und der Vergleich von Proben (vgl. WW 138/ 167)) beinhalten in ihren Standards der Richtigkeit diejenigen der Kategorisierung oder setzen sie voraus; Goodman spricht daher von der „rightness of categorization, which enters into most other varieties of rightness“ (WW 138/ 168). Das hat vor allem mit dem Verhältnis von Induktion und Exemplifikation zu tun: Das Treffen der richtigen Kategorien im Ausgang von einem Einzelfall ist im Kern in jedem Exemplifikationsvorgang enthalten, so daß induktive Vorgänge im Symbolgebrauch ebenso ubiquitär sind wie diese. 10 Eben diese Frage nach den Standards der Kategorisierung, d.h. nach „the organization, the selection of relevant kinds“ (WW 138/ 168), war über dreißig Jahre vor Ways of Worldmaking ein Ausgangspunkt der Goodmanschen Philosophie. Seine Analyse des Induktionsproblems, eines Problems der Projektion von sprachlichen Etiketten (vgl. R 17/ 32), legt das Fundament für die späteren Analysen der Projektion bei unterschiedlichsten Symbolsystemen: Today I have been speaking solely of the problem of induction, but what has been said applies equally to the more general problem of projection. As pointed out earlier, the problem of prediction from past to future cases is but a narrower version of the problem of projecting from any set of cases to others. (FFF 83/ 108) 11 Induktion ist so ein Beipiel für Projektion, an dem sich allgemeine Züge der Projektion aufzeigen lassen; sie ist auch insofern besonders gut geeignet, als es eine gut dokumentierte Praxis und Theorie der Induktion gibt, auf die Goodman in seiner Analyse zurückgreifen kann. Darüber hinaus kommt eine Bestimmung dessen, was das Induktionsproblem ausmacht, einer allgemeinen erkenntnistheoretischen Positionierung gleich, und das nicht nur, weil das Induktionsproblem historisch gesehen einer der Orte ist, an denen die Auseinandersetzung zwischen erkenntnistheoretischen Grundpositionen, etwa 9 Zu dieser Einschränkung vgl. 3.4.1. 10 Zum Verhältnis von Induktion und Exemplifikation vgl. im einzelnen 3.4.1. Natürlich ist nicht jeder Übergang vom Einzelnen zum Allgemeinen ein Induktionsvorgang im Sinne guter wissenschaftlicher Praxis; genauer müßte man hier also etwa von „induktionsartigen Verfahren“ sprechen. 11 In fast denselben Worten definiert Goodman Induktion in seinem ersten Text zum Induktionsproblem, „A Query on Confirmation“ von 1946 (vgl. PP 363). <?page no="105"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 101 empiristischen und rationalistischen, ausgetragen wird. Vor allem erfordert die Analyse der Überschreitung des gegebenen auf weitere Fälle bzw. auf allgemeine Gesetze systematisch gesehen eine Reihe von Festlegungen: auf ein bestimmtes ontologisches Verhältnis von Gegenstand und Kategorie; auf ein bestimmtes Ableitungsverhältnis von Gegenstand und Kategorie, also auf eine Position zur Frage nach der Natürlichkeit von Kategorien, und allgemeiner zur Frage nach der Natürlichkeit von Darstellungen im allgemeinen; und schließlich auf den allgemeinen Charakter, den man Projektionsvorgängen zuweisen möchte, insbesondere hinsichtlich ihrer Kalkülisierbarkeit. Der folgende Abschnitt hebt daher drei Aspekte an Goodmans Analyse hervor: Die Verbindung des Induktionsproblems mit der Bestimmung des Begriffs der Möglichkeit (3.3.1), das „grue“-Paradox (3.3.2 und 3) und die Überlegungen zu Formen der Verankerung als Standards der Induktion (3.3.4). Sie zeigen drei allgemeine Züge der Projektion: Sie ist ein Verfahren der Weltkonstruktion, sie ist nicht empirisch fundiert und sie ist eine Praxis, die in andere Praktiken eingebettet ist. Rückblickend von den späteren Texten Goodmans aus gesehen stellen sich diese Überlegungen zum Induktionsproblem als erste und entscheidende Belege für seine konstruktivistische Position dar. 12 3.3 Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 3.3.1 Dispositionen, Konditionalsätze und das Problem der Möglichkeit Als Goodman die Frage in den 40er und 50er Jahren aufnimmt, steht das Induktionsproblem im Zentrum der wissenschaftstheoretischen Diskussionen, die von Theoretikern im Umfeld des Logischen Positivismus ausgehen. Auf der einen Seite steht Poppers Ablehnung induktiver Verfahren: Der Falsifikationismus läßt nur deduktive Verfahren als wissenschaftlich zu (vgl. z.B. Popper 1971 [1934]: 5). Auf der anderen Seite vertritt eine Gruppe um Carnap eine induktivistische Position: Induktive Schlüsse beruhen auf Wahrscheinlichkeitsabwägungen, eine Ausarbeitung von Wahrscheinlicheitskalküls stellt Verfahren des induktiven Schließens zur Verfügung. Ein Problem stellt dabei nicht nur die genaue Fassung des Verfahrens dar, problematisch sind vor allem auch die sogenannten Paradoxa der Bestätigung („confirmation“), die in der Regel angeführt werden, um induktive Verfahren als widersprüchlich 12 Vgl. dazu auch die Übersicht von G. Ernst (2005), der völlig zu Recht hervorhebt, daß für die verwandten Probleme der Induktion und der „guten Probe“ als Probleme der „Weltkonstruktion“ die Frage der richtigen Kategorisierungen eine zentrale Rolle spielt - diese liefern die „rigorous restraints“, denen Goodmans Relativismus nach eigenem Bekunden (WW x/ 10) unterliegt (vgl. Ernst 2005: 107). <?page no="106"?> 102 Goodmans Theorie der Projektion zu kritisieren. 13 Vor dem Hintergrund dieser aporetischen Situation ist die polemische Bemerkung zu verstehen, mit der Goodman seine Neufassung des Induktionsproblems einleitet: „I said that today I should examine how matters stand with respect to the problem of induction. In a word, I think they stand ill.“ (FFF 59/ 81) Goodmans Weg aus dieser Schwierigkeit führt zunächst zurück zu Hume, auf dessen Überlegungen insbesondere zur Kausalitätsrelation die Frage nach der Rechtfertigung induktiven Schließens zurückgeführt wird. 14 Humes Lösung für das traditionell nach ihm benannte Problem - „[i]t is impossible, therefore, that any arguments from experience can prove this resemblance of the past to the future“ (Hume [1999]: 117; sect. 4, pt. 2) - sei, so Goodman, oft als unbefriedigend empfunden worden. Man habe kritisiert, daß Hume das Problem der Rechtfertigung induktiven Schließens aufgeworfen habe, um dann aber nicht die Fundierung der Gültigkeit, sondern lediglich die (psychologische) Quelle solcher Schlüsse zu behandeln (vgl. FFF 60f./ 82f.). Goodman nimmt Hume gegen diesen Vorwurf in Schutz: Erstens kann das „alte“ Rätsel der Induktion, das auf die Rechtfertigung von Vorhersagen ausgeht, gar nicht mit Recht als „Humesches Problem“ bezeichnet werden (vgl. FFF 61/ 83). Hume hatte - im Gegensatz zu seinen Interpreten - bereits erkannt, daß das Problem in dieser Form nicht lösbar ist. Es kann schlicht als erledigt (Goodman sagt: „dissolved“ (FFF 59/ 81)) gelten: If the problem is to explain how we know that certain predictions will turn out to be correct, the sufficient answer is that we don’t know any such thing. […] Nor does it help matters much to say that we are merely trying to show that or why certain predictions are probable. […] [I]f this means determining how the prediction is related to actual frequency distributions of future throws of the die, surely there is no way of knowing or proving this in advance. (FFF 62/ 84f.) Zweitens hat Hume - wiederum zu Recht - die Frage nach der Gültigkeit der Induktion, weil sie eben für sich genommen nicht zu beantworten ist, auf die Frage nach der Praxis der Induktion zurückgeführt. Goodman sieht in der Aufhebung dieser Trennung die Pointe von Humes Lösung (vgl. FFF 61/ 83): Das wirkliche Induktionsproblem hängt mit dem tatsächlichen Verfahren der Induktion zusammen. Hume hat für Goodman den Bereich benannt, in dem das Problem zu suchen ist: „Nicht das beschreibende Vorgehen Humes als solches war ein Fehler, sondern bloß die Ungenauigkeit seiner Beschreibung.“ (Stegmüller 1958: 380) 13 Vgl. die Übersicht von Kyburg (1964: 271ff.) und unten 3.3.2. 14 Wie Humes Darstellung des Induktionsproblems zu lesen ist, ist in der Forschung umstritten (vgl. Millican 2002a: 107); hier kommt es mir nur auf Goodmans Auffassung des Problems an. <?page no="107"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 103 Um dieses Problem (das „new riddle of induction“ (FFF 59/ 81)) allererst genau benennen zu können, läßt Goodman seinen Überlegungen zur Induktion eine allgemeine Untersuchung zu Aussagen über Mögliches vorangehen. In den ersten beiden Teilen von Fact, Fiction, and Forecast behandelt Goodman ein „cluster of problems“ (FFF 33/ 52), die diese Frage umschreiben: die Probleme der irrealen Konditionalsätze („counterfactual conditionals“, kurz „counterfactuals“), der Dispositionsausdrücke („disposition terms“) und der möglichen Gegenstände („possibles“ oder „possible entities“). 15 Irreale Konditionalsätze (der Art „If that match had been scratched, it would have lighted.“ (FFF 8/ 22)) werfen zwei grundsätzliche Probleme auf (FFF 7ff./ 22ff. und 36ff./ 55ff.): Erstens behauptet ein Satz wie der oben zitierte nicht, daß Streichhölzer sich immer entzünden lassen. Vielmehr behauptet er, daß eine Reihe von relevanten Bedingungen 16 erfüllt sind, unter denen das Streichholz sich tatsächlich hätte entzünden lassen (etwa, daß es nicht naß war etc.) (vgl. FFF 9ff./ 24ff. und 36f./ 55f.). Es ist aber außerordentlich schwierig, Kriterien dafür abzustecken, welche Bedingungen als relevant gelten sollen, und damit zu bestimmen, was der Satz eigentlich aussagt (vgl. FFF 16f./ 32 und 37/ 56). Zweitens ist die Wahrheit oder Falschheit des Satzes nicht von der Wahrheit oder Falschheit der Aussagen abhängig, aus denen er besteht - er ist logisch gesehen immer wahr, da die Prämisse per definitionem falsch ist (vgl. FFF 4/ 18 und 36/ 54). Also ist die Verbindung, die er behauptet, keine logische, sondern eine kausale. Das aber macht die Definition kausaler Gesetze notwendig (vgl. FFF 9/ 23). Nicht jede allgemeine wahre Aussage kann als Bestätigung einer kausalen Verbindung gelten: Wir leiten die Gültigkeit von „If that piece of butter had been heated to 150° F., it would have melted.“ aus der Gültigkeit von „All butter melts at 150° F.“ ab, nicht aber die Gültigkeit von „If [a given penny, 17 E.B.] P had been in my pocket on VE day, 18 P would have been silver.“ aus „Everything in my pocket on VE day was silver.“ (FFF 18ff./ 35ff. und 37f./ 56f.) Entscheidend ist offenbar, ob wir die allgemeine Aussage für ein Gesetz oder für eine Aussage über eine zufällige Begebenheit halten (vgl. FFF 15 Der Text von Fact, Fiction, and Forecast setzt sich aus zwei Teilen zusammen, die aus den Jahren 1946 und 1953 stammen (dazwischen liegt das Erscheinen von The Structure of Appearance (1951)) (FFF xviiif./ 12). Der erste Teil (I) behandelt das Problem der „counterfactuals“, endet aber, ohne eine Lösung des Problems vorzuschlagen; der zweite Teil greift das Problem noch einmal auf, setzt es zunächst in Verbindung mit der Frage der Dispositionsausdrücke und der Frage möglicher Gegenstände (II), dann mit dem Induktionsproblem und seiner Neuformulierung (III), um schließlich zu Goodmans Lösungsvorschlag, einer allgemeinen Theorie der Projektion, zu kommen (IV). 16 Vetter übersetzt: „maßgebend“. 17 „Penny“ ist umgangssprachlich für die kupferfarbene Ein-Cent-Münze in den USA. 18 „VE day“ ist kurz für „Victory in Europe day“, den 8. Mai. <?page no="108"?> 104 Goodmans Theorie der Projektion 20/ 37). Um über die Gültigkeit irrealer Konditionalsätze zu entscheiden, ist es also notwendig, zwischen gesetzesartigen („law-like“) Aussagen und anderen zu entscheiden (vgl. FFF 22/ 39). Goodmans Analyse der „counterfactuals“ zeigt, was wir behaupten, wenn wir über Mögliches sprechen: A counterfactual is true if and only if the antecedent conjoined with relevant true statements about the attendant circumstances leads by way of a true general principle to the consequent. (FFF 37/ 55f.) Die Festlegung auf einen irrealen Konditionalsatz ist auch eine Festlegung auf Relevanzkriterien hinsichtlich der Umstände und auf Kriterien dafür, was als gesetzesartige Aussage gelten soll. Anders gesagt, legen wir uns in einem darauf fest, welche Aussagen wir für möglich, welche Aussagen wir für notwendig und welche Aussagen wir für „cotenable“ („gleichzeitig behauptbar“) 19 halten. „Counterfactuals“ können problemlos in „disposition statements“ überführt werden („If w had been heated enough, it would have burned.“ entspricht „[W] is inflammable.“) (vgl. FFF 39/ 58 und 34f./ 52f.); diese sind laut Goodman schwächer als die „counterfactuals“, insofern als sie nichts über die relevanten Umstände behaupten (vgl. FFF 39f./ 59). Die Analyse der Dispositionsausdrücke klärt in Fact, Fiction, and Forecast, über was für Gegenstände wir sprechen, wenn wir über Mögliches sprechen. Goodmans erklärtes Ziel ist es dabei, mit der Vorstellung aufzuräumen, es seien „okkulte“ Eigenschaften oder Gegenstände im Spiel, denen ein besonderer ontologischer Status einzuräumen wäre (FFF 40/ 59f.). Goodmans Analyse vollzieht sich in zwei Schritten: Er unterscheidet zunächst manifeste und Dispositionsprädikate („manifest predicates“ bzw. „dispositional predicates“). Erstere sind bloß phänomenale Beschreibungen von Ereignissen, als Dispositionsprädikate gelten alle anderen. Goodman erweitert damit den Begriff der Disposition, so daß nicht nur Ausdrücke wie „biegsam“ als Dispositionsprädikate aufgefaßt werden, sondern auch „rot“ oder „hart“, da auch die Zuschreibung solcher Prädikate bestimmte Verhaltensweisen oder Reaktionen etc. erwarten läßt (FFF 40f./ 60). Durch diese Erweiterung wird bereits plausibel, daß Dispositionsprädikate keine verborgenen Eigenheiten besitzen oder bezeichnen - alle Prädikate sind gleichartig, sie sind Etiketten, die eine Extension haben. Dennoch scheinen sie andere Kriterien der Zuschreibung erforderlich zu machen: „The peculiarity of dispositional predi- 19 Goodman führt den Begriff „cotenable“ im ersten Teil von Fact, Fiction, and Forecast ein, um zu bestimmen, was für Aussagen als relevante Bedingungen für ein gegebenes Konditional gelten können; die genaue technische Definition (vgl. FFF 15/ 31) spielt für den hier behandelten Zusammenhang aber keine Rolle. <?page no="109"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 105 cates is that they seem to be applied to things in virtue of possible rather than actual occurences“ (FFF 42/ 62). Diese Formulierung der Sachlage ermöglicht es Goodman in einem zweiten Schritt, klar zu fassen, worauf es einer nominalistischen Analyse ankommt: Die Schwierigkeit liegt darin, Dispositionsprädikate aufgrund von tatsächlichen Ereignissen zuweisen zu können, d.h. Zuschreibungskriterien für Dispositionsprädikate zu finden, die auf manifesten Prädikaten beruhen (vgl. FFF 42/ 62). Das aber bedeutet nichts anderes als auf Gesetzmäßigkeiten zurückzugreifen. Die Analyse der „dispositional predicates“ führt Goodman also zu demselben Problem zurück, das auch die irrealen Konditionalsätze gestellt hatten, die Bestimmung von gesetzesartigen Aussagen. Allerdings mit einem Unterschied: Die Beschreibung der „dispositional predicates“ hat ein Problem ausgeräumt, nämlich die Frage, ob sich solche Ausdrücke auf mögliche Eigenschaften oder Gegenstände beziehen. Wenn Dispositionsprädikate mit Hilfe von manifesten Prädikaten plus Gesetzesaussagen zugewiesen werden können, gilt: „dispositional as well as manifest predicates are labels used in classifying actual things.“ (FFF 49/ 70) Analoges gilt für explizite Aussagen über Mögliches: Sie sagen nichts über fiktive Entitäten aus, sondern etwas Neues über tatsächliche (FFF 51/ 72). Sowohl Aussagen über Dispositionen als auch Aussagen über Mögliches erweitern manifeste Prädikate, d.h. projizieren sie auf neue Anwendungsfälle. Damit verändert sich der Begriff der Möglichkeit von Grund auf: „the only possible entities are actual ones“ (FFF 55/ 77). „Möglich“ ist, was aus einer bestimmten Sicht auf die Gesetzmäßigkeiten der wirklichen Welt hervorgeht: What we often mistake for the actual world is one particular description of it. And what we mistake for possible worlds are just equally true descriptions in other terms. […] All possible worlds lie within the actual one. (FFF 57/ 78) Die ersten beiden Teile von Fact, Fiction, and Forecast laufen so, erstens, darauf hinaus, Projektion als Verfahren der „Weltkonstruktion“ zu beschreiben, um eine später von Goodman eingeführte Bezeichnung zu verwenden. Indem man sich auf eine bestimmte Beschreibung der Wirklichkeit festlegt, legt man sich auch darauf fest, was als möglich gilt. Irreale Konditionalsätze, Dispositionsausdrücke und Aussagen über mögliche Gegenstände sind, zweitens, besondere Fälle von Projektion; sie projizieren bestimmte Prädikate oder Aussagen. Deren Projizierbarkeit hängt aber davon ab, ob sie als gesetzesartig bzw. als Instanzen einer allgemeinen gesetzesartigen Aussage angesehen werden; diese garantiert erst die Übertragung auf den nächsten Fall. Diese Überlegungen bereiten Goodmans Analyse und Neufassung des Induktionsproblems vor. Goodman ersetzt die Frage nach der Geltung von Aussagen über zukünftige Fälle oder mögliche Ereignisse durch eine Unterscheidung zwischen <?page no="110"?> 106 Goodmans Theorie der Projektion alternativen Prädikaten bzw. Aussagen: Wenn nur Gesetzesartigkeit Projizierbarkeit garantiert, ist offensichtlich die Frage nach einem Kriterium entscheidend, das es uns erlaubt, gesetzesartige von nicht gesetzesartigen Aussagen, damit projiizierbare von nicht projizierbaren Aussagen zu unterscheiden. Diese Frage nennt Goodman das „new riddle of induction“ (FFF 81/ 106 und 83/ 109). Damit ist eine Fragestellung gewonnen, die das Problem der Geltung induktiver Schlüsse in die Praxis induktiven Schließens verlegt, aber eine genauere Beschreibung dieser Praxis erforderlich macht, als Hume sie vorgenommen hatte: Regularities in experience, according to him [Hume, E.B.], give rise to habits of expectation. […] But Hume overlooks the fact that some regularities do and some do not establish such habits […]. (FFF 82/ 107) Die Suche nach Kriterien für eine solche Unterscheidung bildet den zweiten Schwerpunkt von Fact, Fiction, and Forecast. Goodman leitet sie mit einem berühmt gewordenen Gedankenexperiment ein, dem sogenannten „grue“- Paradox. 3.3.2 Das „grue“-Paradox Goodmans Neufassung des Induktionsproblems läßt sich mit Hilfe des sogenannten „grue“-Paradoxons pointiert darstellen. Man nimmt ein Prädikat „grue“ an, das folgendermaßen definiert ist: „it applies to all things examined before t just in case they are green but to other things just in case they are blue.“ (FFF 74/ 98) 20 Dann läßt sich keine Erfahrungstatsache angeben, die es uns erlauben würde, für einen vorliegenden Fall zwischen der Zuschreibung von „green“ und der Zuschreibung „grue“ zu entscheiden. Dennoch halten wir Prädikate wie „grue“ nicht für projizierbar und Aussagen der Art „All emeralds are grue.“ nicht für gute Kandidaten für gesetzesartige Aussagen. Das neue Rätsel der Induktion fragt nach den Kriterien, die einer solchen Entscheidung zugrundeliegen. Goodmans „Rätsel“ hat seit seinem Erscheinen eine Vielzahl von Reaktionen hervorgerufen. 21 Dabei ist der genaue Sinn des „grue“-Problems und damit der Goodmanschen Fragestellung in der Literatur ebenso umstritten wie die Gültigkeit seines Lösungsvorschlags, und das, obwohl es sich in eine lange Reihe von Überlegungen zur Induktion einordnen läßt: „Exactly what 20 Die deutsche Übersetzung entscheidet sich aus naheliegenden Gründen hier für „grot“. 21 Stalkers kommentierte Bibliographie (1994b: 281ff.) führt bereits über 300 Titel zum Thema an. Eine sowohl historische als auch systematische Übersicht über die Debatte bieten die Sammelbände von Elgin (1997c) und Stalker (1994b) sowie die Monographie von Hacking (1993). <?page no="111"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 107 makes ‚grue‘ objectionable remains controversial. The nature of empirical enquiry turns on the answer.“ (Elgin 1997b: xi) 22 Man spricht meistens vom „,grue’-Paradox“ in Anlehnung an die anderen Paradoxa der Bestätigung, insbesondere an das sogenannte „Rabenparadox“. In diesem Sinn wäre das „grue“-Paradox ein weiteres Problem der Bestätigungstheorie, bezöge sich also auf Verfahrensprobleme induktiven Schließens. Andere Autoren fassen es als skeptisches Paradox auf, als Ausdruck einer Wahrnehmungsskepsis oder einer Sprachskepsis, 23 die die Konstanz der Farbwahrnehmung oder die Konstanz des Bedeutungsverständnisses radikal in Frage stellen. Die erstere Deutung hat ihre Berechtigung, die zweite ist - wie im folgenden zu zeigen sein wird - schlicht falsch. Aber auch die Einordnung in die Bestätigungstheorie wird dem Charakter des „grue“-Problems nicht völlig gerecht: Es hat, wie Putnam (1983: ix) zu Recht feststellt, den Charakter eines Beweises. Die Auffassung des „grue“-Problems als skeptisches Paradox beruht auf der Vorstellung, Gegenstände, die grue sind, müßten zum Zeitpunkt t die Farbe wechseln: [U]sing what seems to be a standard inductive pattern on a property, i.e. being grue, seems to give us reason to believe that each emerald, somehow, will actually turn blue. (Abrams 2002: 544) 24 Die Verwendung von „grue“ würde in diesem Sinn die Konstanz unserer Wahrnehmung in Zweifel ziehen. Das ist aber, wie Goodman wiederholt bemerkt, ein schlichtes Mißverständnis: Among the most common mistakes in discussions of this book have been failures to recognize […] that even an emerald existing from prehistoric time may be grue while remaining green […]. (FFF xxii/ 8) 25 Tatsächlich bedeutet die Zuschreibung von „grue“ nicht, daß ein Gegenstand die Farbe wechselt; vielmehr nimmt das Etikett „grue“ eine andere Sortierung von Gegenständen vor als das Prädikat „green“. Die Pointe des Paradoxons liegt gerade darin, daß „grue“ Gegenstände zusammenfaßt, die jemandem, der gewohnheitsmäßig „green“ verwendet, völlig heterogen erscheinen. Mit einer skeptischen Deutung geht die Identifikation des „grue“-Problems mit dem, was Goodman das „alte“ Induktionsproblem genannt hat, einher, also mit der Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung von Schlüssen auf 22 Ähnlich unübersichtlich hatte sich die Debatte Scheffler (1994 [1958]: 21) bereits kurz nach dem Erscheinen von Fact, Fiction, and Forecast dargestellt. 23 Die sprachskeptische Interpretation Kripkes bleibt im vorliegenden Kapitel ausgeklammert, da sie Gegenstand von Kap. 5 ist. 24 Ähnlich z.B. auch Martin (1990: 300) oder Barker/ Achinstein (1997 [1960]: 64f.). 25 In diesem Sinne auch PP 359. <?page no="112"?> 108 Goodmans Theorie der Projektion Zukünftiges. Abrams, der diese These neuestens vertreten hat, möchte dieses angenommene skeptische Problem durch den Nachweis eines performativen Selbstwiderspruchs lösen: Wer sinnvoll reden will, muß voraussetzen, daß die Zukunft der Vergangenheit ähnlich ist (vgl. Abrams 2002: 543). Auch das verfehlt die Thematik des „grue“-Problems: Daß die Zukunft der Vergangenheit in irgendwelchen Hinsichten ähnlich sein wird, ist unvermeidlich, da sie ja beide in unendlich vielen Hinsichten zu beschreiben sind (vgl. Elgin 1997a: xiii). Jedoch dafür, daß diese Ähnlichkeit jeweils in einer bestimmten Hinsicht bestehen soll, kann es keine Garantie geben. Das Problem der Induktion besteht für Goodman nun aber gerade darin, festzulegen, in welchen Hinsichten wir eine solche Ähnlichkeit annehmen und nach welchen Kriterien wir das entscheiden. Das „grue“-Paradox hat nicht zum Ziel, die Praxis der Induktion als grundlegend zweifelhaft erscheinen zu lassen oder für diese Praxis eine allgemeine Rechtfertigung zu fordern; vielmehr ist die Frage, wie diese Praxis organisiert ist. Diese pragmatische Grundeinstellung hat Goodman mit Wittgenstein gemeinsam; beide gehen davon aus, daß die gängige Praxis im wesentlichen „alright“ ist und den Ausgangspunkt für philosophische Überlegungen darstellen muß: „whether Goodman is writing about art or induction, what he prizes is congruence with actual practice as it has developed in history.“ (Putnam 1983: xiii) 26 „Im wesentlichen“ soll dabei heißen, daß hier weder eine globale Rechtfertigung noch ein globaler Zweifel angebracht ist. 27 Wenn die Praxis der Induktion Ausgangspunkt ist, steht das Verfahren der Induktion und dessen Problematik im Mittelpunkt. Goodman geht daher im Anschluß an seine Überlegungen zu Hume auf die Theorie der Bestätigung („confirmation theory“) ein, die sich diesen Fragen aus der Perspektive eines Induktivismus gewidmet hat (vgl. FFF 66ff./ 89ff.). Auch Vertreter einer induktivistischen Position wie Carl Gustav Hempel halten die Suche nach „canons of scientific discovery“ (Hempel 1965 [1945]: 6), die das mechanische Ableiten von wahren Theorien aus gegebenen Daten ermöglichen würden, für sinnlos. Ihnen geht es vielmehr um „general objective criteria determining (A) whether, and - if possible - even (B) to what degree, a hypothesis H may be said to be corroborated by a given body of evidence E.“ (Hempel 1965 [1945]: 6) 26 In diesem Sinn hat auch Stegmüller Goodmans „Einholen“ der bestehenden Induktionspraxis mit der Aufgabe verglichen, „einen Ausdruck zu definieren, welcher in der Sprache bereits einen festen Gebrauch hat.“ (Stegmüller 1958: 376). Ähnlich argumentiert Mulhall (1989: 167) gegen eine skeptische Deutung. Auf die Parallele zu Wittgenstein hat ausdrücklich bereits Hacking (1994: 206) hingewiesen. 27 Diese Beschreibung ist natürlich noch ausgesprochen ungenau (vgl. 4.3.4). <?page no="113"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 109 Um zu bestimmen, was als Bestätigung einer Theorie gelten soll, spielt Hempel unterschiedliche Definitionen von Bestätigung durch. Indem er paradoxe Konsequenzen solcher Definitionen zeigt, kann er aufdecken, in welcher Hinsicht der Begriff und das Verfahren der Bestätigung jeweils genauer bestimmt werden müssen. Ein besonders wichtiges Problem zeigt das bekannte Rabenparadox (auch: „Hempels Paradox“): The statement that a given object, say this piece of paper, is neither black nor a raven confirms the hypothesis that all non-black things are non ravens. But this hypothesis is logically equivalent to the hypothesis that all ravens are black. Hence we arrive at the unexpected conclusion that the statement that a given object is neither black nor a raven confirms the hypothesis that all ravens are black. (FFF 70/ 93f.; vgl. Hempel 1965 [1945]: 14f.) Das Rabenparadox kommt dadurch zustande, daß nicht alle verfügbaren Daten explizit gemacht werden. Die Entdeckung nicht-schwarzer Nicht-Raben bestätigt - für sich genommen - sowohl, daß alle Raben schwarz sind als auch daß alle Nicht-Raben nicht-schwarz sind und daß es weder schwarze Gegenstände noch Raben gibt (vgl. FFF 70f./ 94f.). Nun haben wir weitere Belege, die die erste Behauptung bestätigen, und solche, die die beiden letzteren Behauptungen widerlegen, und das Paradox kommt nur dadurch zustande, daß diese Belege stillschweigend vorausgesetzt wurden (vgl. FFF 70/ 94): What given evidence confirms is not what we arrive at by generalizing from separate items of it, but - roughly speaking - what we arrive at by generalizing from the total stated evidence. (FFF 71f./ 95f.) Diese Überlegungen (Goodman gibt hier Hempels Theorie wieder) sind bereits recht nahe an Goodmans eigenen, insofern als das Rabenparadox zeigt, daß der Wissenskontext für induktive Bestätigung eine wesentliche Rolle spielt. 28 Allerdings bezieht sich das Rabenparadox auf Probleme der Bestätigung als logischem Verhältnis, für das syntaktische 29 Definitionskriterien gesucht werden, nicht auf die nur pragmatisch zu beurteilenden Entscheidungsprozesse, die dem vorausgehen oder folgen (vgl. Hempel 1965 [1945]: 41). Für diese (ersteren) Probleme bietet Hempels Definition nach Goodmans Einschätzung eine gute Lösung (vgl. FFF 72/ 96). Das „grue“-Paradox, das 28 Das ist insofern wenig erstaunlich, als Hempel die referierte Auflösung des Paradoxons Goodman zuschreibt (vgl. Hempel 1965 [1945]: 20 FN 24). 29 Hempel verwendet „syntaktisch“ als Bezeichnung für die oben genannte Bestimmung objektiver Kriterien der Bestätigung, also weder im Goodmanschen noch im gängigen linguistischen Sinn; Fragen wie die in Abschnitt 3.3.3.1 behandelten, ob bestimmte Adjektive positional sind oder nicht, wären in Hempels Sprachgebrauch syntaktische. „Semantisch“ bezieht sich dagegen bei Goodman wie bei Hempel auf die Extension von Ausdrücken. <?page no="114"?> 110 Goodmans Theorie der Projektion er im Anschluß an seine Darstellung der Bestätigungstheorie entwirft, zeigt aber Probleme auf, die diesen Fragen vorausliegen, nämlich die der Kategorienwahl. 30 Das Verhältnis zwischen dem „alten“ Induktionsproblem, dem Problem der Bestätigung und dem „neuen“ Induktionsproblem beschreibt Goodman folgendermaßen: The problem of justifying induction has been displaced by the problem of defining confirmation, and our work upon this has left us with the residual problem of distinguishing between confirmable and non-confirmable hypotheses. One might say roughly that the first question was „Why does a positive instance of a hypothesis give any grounds for predicting future instances? “; that the newer question was „What is a positive instance of a hypothesis? “; and that the crucial remaining question is „What hypotheses are confirmed by their positive instances? “ (FFF 81/ 106) Hempel geht so vor, daß er mit Hilfe paradox erscheinender Schwierigkeiten implizite Annahmen im Induktionsverfahren explizit macht - im Fall des Rabenparadoxons die Annahme weiterer Daten und anderer Hypothesen als der untersuchten. Hempel kommt es dabei aber weniger auf den allgemeinen Nachweis der Kontextabhängigkeit von Bestätigung an, als darauf, auf diese Weise eine weitere (im Hempelschen Sinn) syntaktische Bedingung für die Definition des Bestätigungsverhältnisses zu gewinnen. In Hinsicht auf die Argumentationsfigur ist das „grue“-Paradox den Paradoxa der Bestätigung also analog: Das „grue“-Paradox zeigt, daß man zwei Prädikate derart konstruieren kann, daß man weder aufgrund von syntaktischen (im Hempelschen Sinn) noch aufgrund von empirischen Kriterien zwischen den Hypothesen entscheiden kann, die sie enthalten. 31 Daraus folgt, daß wir in unserer Praxis der Induktion implizit von weiteren Kriterien Gebrauch machen. Goodmans Auflösung des Paradoxons legt diese Kriterien offen, die es erlauben, Prädikate wie „grue“ und Hypothesen, die sie enthalten, auszuschließen. In der Formulierung Schefflers: Goodman’s new idea is to utilize pragmatic or historical information that may fairly be assumed available at the time of the induction, and to define projectibility in terms of such extra-syntactic information. (Scheffler 1994 [1958]: 27) Ausschlaggebend dafür, welche Hypothesen wir als projizierbar ansehen, ist laut Goodman der „record of past projections“ (FFF 94/ 121); er entscheidet über den Grad an „Verankerung“ („entrenchment“), den eine Hypothese aufweist. Das 30 In diesem Sinne stellt Hempel selbst das Verhältnis seiner und Goodmans Analysen 1964 in einem „Postscript“ zu „Studies in the Logic of Confirmation“ dar (vgl. Hempel 1965 [1964]: 51). 31 Ein Prädikat gilt als projiziert, wenn eine Hypothese, die es enthält, projiziert wird (vgl. FFF 94/ 121 FN 5). <?page no="115"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 111 heißt, ob wir eine Hypothese als „law-like“, also als projizierbar, ansehen, hängt davon ab, wie sie bisher verwendet wurde und in welchem Maße sie in unserem übrigen Wissen verankert ist: „entrenchment derives from the use of language.“ (FFF 95/ 123) Im Rückgang auf die tatsächliche induktive Praxis entscheidet sich dann, daß „grue“ nicht projizierbar ist, denn: „The predicate „green“, we may say, is much better entrenched than the predicate „grue“.“ (FFF 94/ 121) 32 Die Konsequenzen des „grue“-Paradoxons gehen aber über die Theorie der Bestätigung hinaus. Es hat, wie Putnam klargestellt hat (vgl. Putnam 1983: viif.), den Charakter eines Beweises. Für Putnam bezieht sich die Beweiskraft des Paradoxons auf den Unterschied von Induktion und Deduktion: What he [Goodman, E.B.] proved, even if he did not put it that way, is that inductive logic isn’t formal in the sense that deductive logic is. The form of an inference, in the sense familiar from deductive logic, cannot tell one whether that inference is inductively valid. (Putnam 1983: ix) Diese Charakterisierung erfaßt die Tragweite des Paradoxons aber nicht vollständig: Richtig ist natürlich, daß uns für die Deduktion die Regeln der Logik zur Verfügung stehen, wohingegen es für die Induktion keine vergleichbaren Ableitungsregeln gibt (vgl. FFF 65/ 88). Allerdings ist das Verhältnis zwischen Induktion und Deduktion in Fact, Fiction, and Forecast in einem andern Sinne thematisch. Es kommt Goodman weniger auf die Unterschiede zwischen Induktion und Deduktion an als auf die Gemeinsamkeiten, denn er geht gerade darauf aus, die Praxis der Induktion in Analogie zur Praxis der Deduktion zu erläutern: Eine „gute“ Deduktion muß auf die allgemeinen Regeln deduktiver Ableitung zurückführbar sein; diese Regeln gehen ihrerseits auf die akzeptierte Praxis deduktiven Schließens zurück (vgl. FFF 63/ 86 und Stegmüller 1958: 375f.). Analoges gilt für die Induktion, d.h. sowohl bei Deduktion als auch bei Induktion gibt es ein Widerspiel von Regeln und Inferenzen, die einander wechselseitig angepaßt werden, und das eben den „guten“ Zirkel (FFF 64/ 87) bildet, der gute Praxis auszeichnet. Diese Gemeinsamkeit ist, wie Goodman eigens notiert, „quite independent of the obvious fact that, when valid, deductive but not inductive inference always yields a true conclusion from true premises.“ (FFF xxiii/ 9) Diese Überlegungen, die Goodman zu seiner Auflösung des Paradoxons, dem Begriff der Verankerung, führen, zeigen, daß dieser nicht nur ein weite- 32 Aufgrund dieses Zusammenhangs mit der Theorie der Bestätigung hat Feyerabend (1968: 251ff.) versucht, das „grue“-Problem und seine Lösung für erledigt zu erklären. Da Hypothesen ohnehin nur falsifiziert werden könnten, komme das Paradox ebenso wie die anderen Paradoxa der Bestätigung nicht zustande. Allerdings sind, wie Hacking (1994: 200) angemerkt hat, „All emeralds are grue.“ und „All emeralds are green.“ gleichermaßen falsifizierbar, so daß man auf diese Weise gerade nicht zwischen ihnen unterscheiden kann. <?page no="116"?> 112 Goodmans Theorie der Projektion res Kriterium, das pragmatische, in den Induktionsvorgang einführt; vielmehr ist mit dem Begriff der „Verankerung“ die pragmatische Dimension des Induktionsvorgangs insgesamt angesprochen. Auch die anderen Standards der Induktion - etwa daß eine Hypothese nicht augeschöpft („exhausted“) sein darf, um projizierbar zu sein - sind natürlich insgesamt gesehen Teil der Praxis der Induktion. Insofern besagt die Berufung auf Verankerung allgemein, daß die bestehende Praxis über Projzierbarkeit entscheidet und daß diese die syntaktischen Kriterien (im Sinne Hempels) mit umfaßt. Was das „grue“-Paradox nun in diesem Zusammenhang tatsächlich beweist, läßt sich am besten im Spiegel der Kritiken und Widerlegungsversuche darstellen, die es auf den Plan gerufen hat. Sie sind Thema der folgenden Abschnitte und werden es erlauben, das folgende Bild des Paradoxons zu zeichnen: Das „grue“-Paradox beweist nicht, daß Kategorisierung kein formalisierbarer Vorgang ist, also daß es einen Unterschied im Verfahren zwischen Induktion und Deduktion gibt (vgl. dazu insbesondere 3.3.3.2). Bei induktiven Schlüssen geht es eben um die Richtigkeit der Kategorisierung, die anderen Formen der Projektion, auch der Deduktion, vorausliegt, über die also - wie Douglas/ Hull anmerken - schon entschieden ist, wenn die Praxis der deduktiven Ableitung einsetzt: Logical inference starts with classes already formed. How items become members of a class is a side issue or not a question for logic. (Douglas/ Hull 1992a: 1) Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Induktion und Deduktion sind nicht Gegenstand des Paradoxons, vielmehr wird am Beispiel der Induktion, einer in hohem Maße geregelten sprachlichen Praxis, das Problem der Kategorisierung dargestellt. Das Paradox für sich genommen beweist, daß es kein empirisches Verfahren geben kann, das eine bestimmte Kategorisierung garantieren könnte - denn ein Prädikat wie „grue“ läßt sich für jede Kategorisierung konstruieren. Es liefert also einen formalen Beweis dafür, daß unser Weltverhältnis tatsächlich das ist, was in den späteren Schriften „Welterzeugung“ heißen wird, nämlich ein produktiver Prozeß, und damit für die konstruktivistische Grundausrichtung der Goodmanschen Symboltheorie. Auf eine Formel gebracht: Das Paradox liefert den Beweis für einen Konstruktivismus, aber - für sich genommen - noch nicht für einen pragmatischen Ansatz und einen Pluralismus. Die Analysen in Fact, Fiction, and Forecast, die in der Literatur in der Regel getrennt von Goodmans späteren Schriften behandelt werden, 33 nehmen 33 Ausnahmen sind Cohnitz/ Rossberg (2006: 2), die in ihrer Gesamtdarstellung von einer Einheit des Goodmanschen Werkes ausgehen, und Hacking (1992: 181), der mit Recht den grundlegenden Charakter des „grue“-Paradoxons betont: „It [das „new riddle of induction“, E.B.] confirms his [Goodmans, E.B.] doctrine […] that we can and do inhabit many worlds.“ <?page no="117"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 113 daher eine Schlüsselstellung in seinem Werk ein. Daß für die späteren Schriften der Eindruck entstehen kann, Goodman habe kein Interesse daran, seinen Konstruktivismus zu beweisen (vgl. etwa Spree 1998: 324), 34 liegt eben daran, daß die Sache für ihn mit dem „grue“-Paradox als erledigt gilt. 3.3.3 Kritik am „grue“-Paradox und seiner Auflösung 3.3.3.1 Das Problem der Positionalität Wenn eine Hypothese projizierbar sein soll, muß sie eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Sie darf weder widerlegt noch „ausgeschöpft“ („exhausted“) sein, d.h. es dürfen nicht alle Fälle vollständig überprüft sein. Für eine projizierbare Hypothese muß es also einige positive (d.h. bestätigende) Fälle, keine Gegenbeispiele und einige unbestimmte Fälle geben (FFF 89f./ 116f.). Darüber hinaus darf eine projizierbare Hypothese nicht von einer besser bestätigten konkurrierenden Hypothese eliminiert werden. Wenn mehrere Hypothesen diese Bedingungen erfüllen, ist entscheidend, welche der Hypothesen stärker verankert ist (FFF 96/ 123). Diese Beschreibung des induktiven Verfahrens in Fact, Fiction, and Forecast hat einen Sturm von Kritik hervorgerufen. Man hat sich dabei vor allem bemüht, Entscheidungskriterien vorzubringen, die es erlauben, ohne den Rückgriff auf „Verankerung“ oder andere pragmatische Kategorien eine Wahl zwischen den Prädikaten „grue“ und „green“ zu treffen (vgl. 3.3.3.1 und 2). 35 C. Elgin (1997a: xivff.) führt in ihrem Überblick über die Literatur zum „grue“-Problem drei Strategien der Kritik an: Erstens wurde versucht nachzuweisen, daß „grue“ als Prädikat nicht brauchbar ist, weil es von „green“ abgeleitet oder „positional“ ist, also eine Zeitangabe enthält; zweitens, daß Prädikate wie „grue“ keine natürlichen Arten („natural kinds“) bezeichnen; und drittens, daß solche Prädikate (aus diesem oder einem anderen Grund) keine gültigen Vorhersagen ermöglichen, sich also hinsichtlich ihres Erfolges von „ordentlichen“ Prädikaten unterscheiden. 36 Darüber hinaus gibt Ausdrücklich auf die zentrale Bedeutung des Induktionsproblems für Goodmans Gesamtwerk sowie den strukturellen Zusammenhang von Induktion, Projektion und Welterzeugung hat auch neuestens G. Ernst (2005: 99 und 105ff.) hingewiesen. 34 Daß Goodman, wie Spree (1998: 327 und 329) darlegt, im Gegensatz zu anderen Konstruktivisten keinerlei naturwissenschaftliche Rechtfertigung für seine Position in Anspruch nimmt und eine solche auch als widersprüchlich ansehen würde, ist dagegen völlig richtig. 35 Hacking hat das ironisch eine „anti-man hunt“ genannt - „an attempt to find some ahistorical, nonanthropological basis for distinguishing healthy predicates like „green“ from sick ones like „grue“.“ (Hacking 1994: 200) 36 Die Liste ist keineswegs vollständig, enthält aber diejenigen Einwände, die für das Verständnis des „grue“-Paradoxons entscheidend sind. Eine ausführlichere Liste gibt Stalker (1994a: 2): „There are now something like twenty different approaches to the problem, or kinds of solutions, in the literature: the entrenchment solution, the positional-qualitative <?page no="118"?> 114 Goodmans Theorie der Projektion es Versuche, nachzuweisen, daß das Paradox nicht zustandekommen kann, weil es Widersprüche in den Voraussetzungen aufweist (vgl. 3.3.3.3). Carnap (1997 [1947]) 37 hat als einer der ersten versucht, positionale Prädikate aus Induktionsprozessen auszuschließen. Er nimmt den Begriff der Projizierbarkeit von Goodman auf, versucht aber den Beweisgang umzukehren, indem er Projizierbarkeit über Bestätigung definiert: Ein Prädikat ist dann projizierbar, wenn es durch das Auftreten der entsprechenden Eigenschaft bestätigt wird, in dem Sinn, daß das Auftreten der Eigenschaft die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß ein noch nicht untersuchtes Individuum diese Eigenschaft hat. In diesem Sinn sind positionale Prädikate nicht projizierbar, was sich in einer zu konstruierenden Beschreibungssprache zeigen muß (vgl. Carnap 1997 [1947]: 14f.). Goodman selbst hat dieses Vorgehen als inakzeptabel abgelehnt. Zum einen begründet Carnap nicht, weshalb positionale Prädikate nicht projizierbar sein sollen (vgl. Goodman 1947: 17f. = PP 368); zum anderen versucht Carnap, jede Frage nach der Akzeptanz von Prädikaten mit dem Verweis auf sein System zu beantworten: [H]e suggests therefore that anyone who has queries about projectibility can find out the answers by studying his system, just as one can learn about right triangles by studying Euclid. The catch is, though, that the question whether the formal system is intuitively adequate is quite pertinent both to Euclid’s system and to Carnap’s. (Goodman 1947: 18 = PP 368) Die Kritik, die Goodman hier übt, ist eine grundsätzliche: Die pragmatische Einbettung der formalen Bestätigungsrelation, ist bei Carnap (im Gegensatz etwa zu Hempels Ansatz, der sich in anderer Hinsicht auf ihn beruft) ausgeblendet, er bestimmt Bestätigung als rein quantitatives Verhältnis (vgl. Stegmüller 1958: 381). Damit ist sie von der Praxis der Induktion aber abgeschnitten. Zur Frage der Positionalität nimmt Goodman noch einmal in seiner Replik auf Barker/ Achinstein (1997 [1960]) Stellung. Barker/ Achinstein versuchen mit unterschiedlichen Szenarien nachzuweisen, daß „grue“ und „green“ „asymmetrical in their logical character“ (Barker/ Achinstein 1997 [1960]: 66) sind, und daß diese Asymmetrie auf die Positionalität des Prädikats „grue“ zurückgeht. Sie erfinden dazu einen „Mr. Grue“, Sprecher einer Sprache, die solution, the simplicity solution, the natural kind solution, the coherence solution, the incoherence dissolutions, the falsificationist response, the evolutionary approach, the real property approach, the counterfactual approach, the various Bayesian approaches, and so on. None of them has become the […] textbook solution to the problem.“ 37 Carnaps Text bezieht sich auf den Aufsatz „A Query on Confirmation“ von 1946 (= PP 363ff.), in dem Goodman zum ersten Mal den Begriff der Projizierbarkeit verwendet (vgl. PP 366) und ein „grue“-artiges Prädikat vorstellt (vgl. PP 363). <?page no="119"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 115 „grue“ und verwandte Prädikate (z.B. „bleen“) enthält (Barker/ Achinstein 1997 [1960]: 61). Eines der Szenarien sieht vor, Mr. Grue zu bitten, ein Bild farbig auszumalen. Man instruiert ihn dabei folgendermaßen: Der auf dem Bild darstellte Gegenstand sei „bleen“, und das Bild stelle diesen Gegenstand vor dem Jahr 2000 dar (dem Jahr, das die Autoren - aus der Pespektive des Jahres 1960 - als zukünftigen Zeitpunkt t festgelegt hatten). Mr. Grue werde die Farbe wählen, die wir „blau“ nennen. Bitte man ihn dann, denselben Gegenstand, dessen Farbe sich nicht verändert habe, im Jahr 2001 auszumalen, werde er die Farbe wählen, die wir „grün“ nennen. Also sei allein die Zeitangabe für seine Praxis entscheidend, und diese sei auch notwendig, damit Mr. Grue überhaupt in der Lage sei, eine Farbe zu auswählen. Das aber unterscheide „grue“ und „bleen“ grundlegend von „green“ and „blue“ (Barker/ Achinstein 1997 [1960]: 64f.). Goodman (1997 [1960]: 71ff.) macht sich in seiner Replik nicht die Mühe, darauf hinzuweisen, daß dieses Szenario ein Beispiel für das oben notierte Mißverständnis darstellt, Gegenstände, die „grue“ sind, müßten zum Zeitpunkt t ihre Farbe wechseln. 38 Vielmehr stellt er die Frage, ob die Dimension der Abbildung, die Barker/ Achinstein einführen, um „Mr. Grue“ in Schwierigkeiten zu bringen, die Problemlage tatsächlich verändert. Die Frage ist, ob für die Darstellung von „grue“-artigen Prädikaten zwei unterschiedliche Repräsentationen notwendig sind (etwa ein grünes und ein blaues Farbplättchen), für „ordentliche“ Prädikate dagegen nur eine. Barker/ Achinstein haben dabei offensichtlich an eine konventionelle realistische Darstellung gedacht - eine Festlegung darauf ist aber analog einer Festlegung auf „blue“ und „green“ und setzt damit voraus, was zu beweisen wäre. Eigentlich bestätigen sie mit ihrer Festlegung auf eine bestimmte, besonders gängige Darstellungsweise nur, daß Verankerung der entscheidende Faktor ist (vgl. Goodman 1997 [1960]: 38 J.S. Ullian (1997 [1961]: 74ff.) hat gegen Barker/ Achinstein eingewandt, daß es keine psychologischen Konstanten gibt hinsichtlich dessen, was als übereinstimmend empfunden wird; daß also „Mr. Grue“ nur dann in Schwierigkeiten kommt, wenn ihm die Verwendung von „grue“ in einem System unterstellt wird, das in anderen Hinsichten dem unseren gleicht. Das aber macht, so Ullian zu Recht, den Einwand von Barker/ Achinstein zirkulär. Ullian nennt „Mr. Grues“ Farbsystem ironisch ein „shmolor“-System, in dem „grue“ etc. als primitive Prädikate gelten, und für einen Sprecher dieser Sprache sind Objekte, die „grue“ sind, evtl. ununterscheidbar. Allerdings schießt Ullian in seinem Entwurf eines Gegenszenarios über das Ziel hinaus: „So Grue selects grue pigment. And if he chances to be watching his painting when the year 2000 arrives, and if the grass representation in it remains green, we can expect him to look aghast and mumble (for surely he will be too shocked to speak audibly), „It changed its shmolor, it changed its shmolor, it isn’t grue any more.““ (Ullian 1997 [1961]: 76) Hier setzt Ullian ebenso wie Barker/ Achinstein voraus, daß zum Zeitpunkt t Gegenstände ihre Farbe wechseln; das ist der Definition von „grue“ nach aber - wie oben dargelegt - nicht der Fall. <?page no="120"?> 116 Goodmans Theorie der Projektion 72). Schließlich läßt sich mit Hullett/ Schwartz (1997 [1967]: 113 und 116) hinzufügen: Selbst wenn „grue“ und „bleen“ „positional“ wären oder keine direkt beobachtbaren Prädikate, wäre nicht gesagt, daß sie damit auch nichtprojizierbar wären. Eine dritte Auffassung zur Frage der Positionalität hat Davidson (1997 [1966]) vertreten: Er hat versucht, das Paradox gerade durch den Nachweis der Nicht-Positionalität von „grue“ aufzulösen. Das Paradox kommt nicht zustande, wenn „grue“ sich hinsichtlich der Projizierbarkeit nicht von „green“ unterscheidet. Das aber ist, so Davidson, tatsächlich der Fall: Erstens ist ein Satz wie „All emerubies are gred.“ ebenso wahr und damit ebenso respektabel wie „All emeralds are green.“; Goodman behauptet zwar, der in Frage stehende Satz sei nicht gesetzesartig, gibt dafür aber, so Davidson, keinen weiteren Grund an (Davidson 1997 [1966]: 126f.). Zweitens muß man den Zeitpunkt nicht zwangsläufig kennen, um zu entscheiden, ob etwas „grue“ (bzw. wie im folgenden Szenario „gred“) ist; es sind Szenarien denkbar, in denen man durch bloßen Augenschein erkennen kann, daß etwas „grue“ ist, so daß sich „grue“ und „green“ hinsichtlich der Projizierbarkeit nicht unterscheiden: I may know that at t a change will take place in the chemistry of my eye so that after t things that are red look green in normal light (before t green things look green); so whether I know the time or not, I can tell just by looking that something is gred. (Davidson 1997 [1966] 127f.) In diesem Szenario ist „gred“ nicht positional, weil die Wahrnehmung zum Zeitpunkt t von rot auf grün sozusagen „umschaltet“, so daß man durchgängig alle grün gesehenen Gegenstände „gred“ nennen kann. Was den ersten Punkt angeht, so hat Goodman selbst darauf hingewiesen, daß „All emerubies are gred.“ wahr ist, da diese Aussage aus „All emeralds are green.“ und „All rubies are red.“ folgt, daß sich aber die Projizierbarkeit nicht entsprechend überträgt (vgl. PP 406 und 411). Und, läßt sich hinzufügen, genau diese Tatsache (daß nicht alle allgemeinen wahren Aussagen gesetzesartig sind) ist ja erklärungsbedürftig. Davidsons zweites Argument setzt offensichtlich zweierlei voraus: Zum einen, daß Goodman die absolute Positionalität von „grue“ behauptet; zum anderen, daß es natürliche Wahrnehmungskategorien gibt, die den englischen Farbadjektiven entsprechen. Beides ist irrig: „Grue“ ist positional, wenn es in einer „green“-„blue“-Sprache erklärt wird; umgekehrt ist „green“ positional, wenn es in einer „grue“-„bleen“-Sprache definiert wird. Positionalität ist also keine inhärente Eigenschaft von Prädikaten (vgl. FFF 79f./ 104f.). Und die schlichte Annahme natürlicher Wahrnehmungskategorien setzt genauso wie die Vorstellung natürlicher Darstellungsweisen das voraus, was es zu beweisen gilt. <?page no="121"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 117 3.3.3.2 Das Problem der natürlichen Arten Die Frage, ob es natürliche Basiskategorien der Wahrnehmung gibt, die eine Kategorisierung durch Adjektive wie „grue“ ausschließen, hat neben der Frage der Positionalität die wichtigsten Reaktionen auf das „grue“-Paradox hervorgerufen. Allerdings nicht im Sinne Davidsons als Argument gegen die Formulierung des „grue“-Paradoxons, sondern im Gegenteil als dessen Konsequenz, also als Alternative zu Goodmans Auflösung des Paradoxons. Eine solche Auffassung formuliert bekanntlich Quines „Natural Kinds“ (1969a): Goodmans Paradox kommt dadurch zustande, daß wir keinen vertretbaren Begriff der Ähnlichkeit haben, der die Wahl von „green“ statt „grue“ rechtfertigen würde (vgl. Quine 1969a: 116). Quine schließt daraus nicht mit Goodman, daß folglich ein pragmatisches Kriterium zwischen den beiden Prädikaten entscheidet, sondern umgekehrt, daß es einen „innate standard of similarity“ (Quine 1969a: 123) und eine grundlegende Kategorisierung in unserer Wahrnehmung, ein „spacing of qualities“ (Quine 1969a: 123), also „natural kinds“ in der Ordnung der Gegenstände geben müsse. Diese Gemeinsamkeiten faßt Quine als etwas auf, was sich als Übereinstimmung im Verhalten zeigt und behavioristisch zu interpretieren ist. Daß wir auf die natürlichen Arten gleichsam „eingestellt“ sind, erklärt sich durch Auslese im Evolutionsprozeß: „Creatures inveterately wrong in their inductions have a pathetic but praiseworthy tendency to die before reproducing their kind.“ (Quine 1969a: 126) Natürliche Auslese soll also hier Verankerung als Kriterium der Kategorienwahl ersetzen. In einer analogen Überlegung verstehen auch Chomsky und Fodor in einer Diskussion von 1980 das „grue“-Paradox als Argument für einen Nativismus: 39 Auch wenn man ein Kriterium entwickelte, das es erlaubte, jeweils „green“ und nicht „grue“ den Vorzug zu geben, so ließe sich eine analoge Schwierigkeit doch immer wieder konstruieren. Die einzige wirkliche Lösung für das Paradox ist, so Chomsky, eine nativistische Position: „you must in some sense have the whole set of predicates from the beginning.“ (Diskussionsbeitrag Chomskys in Piattelli-Palmarini 1980: 261) Aus Chomskys Perspektive erscheint Goodmans Position daher als eine Art Kuriosum: 39 Damit soll natürlich keine weitergehende Ähnlichkeit der Ansätze behauptet werden. Chomsky selbst wirft gerade in diesem Zusammenhang Quine vor, widersprüchliche Thesen zu vertreten: „He has taken views on this subject at opposite extremes almost in successive paragraphs. He says at some points that there cannot be anything beyond conditioning, though he agrees with Fodor’s basic point that you have to have a quality space fixed for conditioning to take place.“ (Diskussionsbeitrag Chomskys in: Piattelli-Palmarini 1980: 272). Unter den neueren Deutungen des „grue“-Paradoxons hat Martin (1990: 305) Fodors und Chomskys Auffassung zustimmend aufgegriffen. <?page no="122"?> 118 Goodmans Theorie der Projektion Take, for instance, the „grue“ paradox that I mentioned; the person who devised it and developed it in a classic book was Nelson Goodman, who is perhaps the most extreme environmentalist who ever lived. He seems to think that everything is learned; the way I read what he says is that any attribution of innate structure to the mind is false - there cannot be such an innate structure. If I interpret his views correctly, he believes that if you were to visit a primitive tribe and to present one group with photographs of people and another group with reproductions of Kandinsky abstractions, then the training period to get them to recognize that the photographs are photographs of people and the Kandinsky abstractions are representations of people would be approximately the same, because there is no built-in system of representation that determines that photographs have some special relation to the things photographed. He has argued things of that sort. Now, it is striking from the point of view of the sociology of science that the very person who gave fundamental arguments that demolish this view should nevertheless uphold it in a certain sense. (Diskussionsbeitrag Chomskys in: Piattelli-Palmarini 1980: 272) An den Vorgehensweisen Quines und Chomskys zeigen sich zwei unterschiedliche Weisen, wie das „grue“-Paradox gegen Goodman als Argument für angeborene Kategorisierungen verwendet werden kann: Ist es für Quine der Erfolg, der die richtige Klassifizierung nachträglich auszeichnet und durch den Selektionsvorteil prämiert, geht Chomsky davon aus, daß bestimmte Darstellungsweisen und damit Klassifikationen natürlicher sind als andere und daß dadurch das Paradox ein für alle Mal aus dem Weg geschafft werden kann, so daß es sich nicht für jede neue Kategorisierung aufs neue konstruieren läßt. Goodman lehnt sowohl einen Nativismus (MM 18/ 35) als auch die Vorstellung natürlicher Arten explizit und mit Nachdruck ab: Species do not come prepackaged, seperated by unbridgable gaps or inexorable dictates of nature, but depend upon the relative weight we put upon certain features for given scientific purposes. (MM 21/ 40) 40 In Reconceptions legt Goodman eine ausführliche Kritik an Fodor und Chomsky vor, die im folgenden in den Grundzügen wiedergegeben ist; diese läßt sich aber besser nachvollziehen, wenn man zuvor aus Goodmans Texten Argumente gegen eine Position wie die Quines zusammengetragen hat, die die Entstehung der Arten auf den Erfolg von Projektionen zurückführt. Wie Goodman in Fact, Fiction, and Forecast bereits dargelegt hat, kann der zukünftige Erfolg für die Projektion nicht ausschlaggebend sein: 40 In diesem Sinn auch LA 32/ 41 und 202/ 190 FN 15. <?page no="123"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 119 If our critic is asking, rather, why projections of predicates that have become entrenched happen to be those projections that will turn out to be true, the answer is that we do not by any means know that they will turn out to be true. (FF 98f./ 127) Der bisherige Erfolg kann Projektionen ebensowenig rechtfertigen: Must we not explain why, in cases of conflict like those illustrated, the really projectible predicate happens to have been the earlier and more often projected? And in fact wasn’t it projected so often because its projection was so often obviously legitimate, so that our proposal begs the question? I think not. (FFF 98/ 126) Die Ausgangsüberlegung des „grue“-Paradoxons ist ja gerade, daß „grue“ und „green“ hinsichtlich ihres bisherigen Erfolgs nicht unterscheidbar sind. Wenn der Erfolg für die Projizierbarkeit eines Prädikats ausschlaggebend wäre, wäre „grue“ projizierbar. Damit ist allerdings die Möglichkeit einer nachträglichen Auslese nicht aus der Welt geschafft - schließlich sind widerlegte Hypothesen auch für Goodman eben nicht mehr projizierbar. Das entscheidende Gegenargument ist, daß sich tatsächlich für jede Induktionssituation eine entsprechende Alternative konstruieren läßt, gleichgültig wieviele Hypothesen bereits widerlegt sind. Daß das so ist, zeigen die folgenden Überlegungen aus Languages of Art (vgl. LA 164ff./ 158ff.): Goodman entwirft dort im Rahmen seiner Überlegungen zu Notationen das Beispiel einer Maschine, die einige Punkte in einem Koordinatensystem als Daten erhält und diese zu einer Kurve verbindet. 41 Dieser Vorgang der Ergänzung („supplementation“) könnte auf unterschiedliche Weise erfolgen: Die Maschine könnte entweder nach dem Zufallsprinzip vorgehen oder wie eine einfache Rechenmaschine immer eine gerade Linie zwischen jeweils zwei Punkten legen (vgl. LA 165/ 158f.). Eine bessere Maschine könnte nicht nur einzelne Punkte ergänzen, sondern ganze Kurven vergleichen (was auch eine bessere Analogie zum Induktionsvorgang darstellt), und dann entweder zufällig oder nach einem zuvor festgelegten System von Präferenzen eine Kurve auswählen. 42 Eine noch bessere Maschine könnte die Daten mit früheren Daten zusammenfassen, die die neuen Daten einschließen, und diese weitere Klasse von Daten dazu verwenden, Kurven zu eliminieren. Aber auch diese Abgleichung führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis: 41 Der Vergleich des Induktionsvorgangs mit dem Ergänzen einer Kurve ist gängig, die im folgenden referierten Unterscheidungen finden sich im einzelnen aber nur bei Goodman; vgl. z.B. den Diskussionsbeitrag Fodors in Piattelli-Palmarini (1980: 259) und Hullett/ Schwartz (1997 [1967]: 109). 42 So formuliert etwa Harman das neue Rätsel der Induktion für die Wissenschaft als Auswahl zwischen unendlich vielen alternativen Hypothesen, die alle gleichermaßen mit den Daten übereinstimmen. Es komme dann darauf an, so seine Lösung, „the relevant sort of simplicity“ (Harman 1994: 153) zu bestimmen, die es einem erlaubt eine Hypothese auszuwählen. <?page no="124"?> 120 Goodmans Theorie der Projektion Nevertheless, if the machine can handle enough curves, eliminations on the basis of present and past data will always leave a wide choice of alternatives - so wide, indeed, that no prediction concerning remaining points is excluded. (LA 167/ 160) Wenn weder von vornherein festliegen soll, welche Kurve zu wählen ist, noch eine zufällige Auswahl erfolgen soll, bleibt als Lösung „a machine that can acquire habits“ (LA 167/ 160). Goodmans Gedankenexperiment stellt sich symboltheoretisch folgendermaßen dar: Die Maschine nimmt selbst Projektionen vor, die die vorgegebenen Daten ergänzen, also den Übergang von einer digitalen zu einer diagrammatischen, d.h. (hier) einer syntaktisch dichten Darstellung mit geringer Fülle herstellen. Dieser Übergang ist die „inductive translation“ („induktive Übersetzung“), die dem entsprechenden Kapitel in Languages of Art seinen Titel gibt. Der Nutzen dieser Projektionsmaschine als Vergleichsobjekt besteht nun erstens darin, daß das Durchspielen der unterschiedlichen möglichen Verfahrensweisen beim Ergänzungsvorgang zeigt, daß die Ergebnisse in unterschiedlichem Maße determiniert sind. Kalkülartige Anwendungen und Anwendungen, die über das Eliminieren von Kurven Ergebnisse erzielen, stellen Spezialfälle dar, derart, daß die zu präferierenden Kurven festliegen oder die Anzahl der möglichen Kurven von vornherein begrenzt ist. Sind solche Festlegungen nicht getroffen, läßt sich, zweitens, jeder ergänzte Punkt im Sinne einer Vorhersage über einen noch nicht überprüften Fall auffassen. Auf diese Weise lassen sich Induktionsvorgänge als Übergänge von digitalen zu analogen Darstellungen auffassen. 43 Ein solcher Übergang kann aber nicht determiniert sein - gleichgültig, wieviele Kurven ausgeschlossen sind, es wird immer unendlich viele Möglichkeiten der Ergänzung geben. Somit ist also auch eine nachträgliche Selektion kein sinnvolles Unterscheidungskriterium für Hypothesen, wie Goodman in seiner Aufzählung der häufigsten Fehlinterpretationen von Fact, Fiction, and Forecast bündig formuliert: Among the most common mistakes in discussions of this book have been failures to recognize […] that since at any time as many supported, unviolated, and unexhausted hypotheses are not projectible as are projectible, projectible hypotheses or predicates cannot be defined in terms of survival of the fittest. (FFF xxiii/ 9) Die in „Natural Kinds“ vorgebrachte Konzeption erweist sich aus formalen Gründen als nicht tragfähig. 43 Genauer gesagt lassen sie sich als solche darstellen. Induktion ist ein spezieller Fall der Projektion sprachlicher Etiketten, insofern ist das Vervollständigen einer Kurve an sich noch kein Induktionsvorgang. Am besten läßt sich vielleicht sagen: Bei quantifizierbaren Hypothesen handelt es sich u.U. um eine wörtliche, bei nicht-quantifizierbaren jedenfalls um eine metaphorische Darstellung des Induktionsvorgangs. <?page no="125"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 121 Schließlich erlaubt es die Projektionsmaschine drittens, die Allgemeinheit von Symbolen als wesentliches Moment im Prozeß des Erkenntnisgewinns zu verstehen. Sie zeigt (und das sind die Konsequenzen, auf die es Goodman im Zusammenhang seiner Darlegung ankommt) certain special features of the functioning of symbols not only in overt induction but also in such kindred processes as category detection and pattern perception: first, that evidence takes effect only through application of a general symbol (label or term or hypothesis) having an extension that properly includes the data; second, that the alternatives are primarily such general symbols, divergent in extension, rather than isolated particulars; and third, that pertinent time-and-trouble-saving habits can develop only through use of such symbols. Perhaps, indeed, these are earmarks of cognitive behaviour in general. (LA 169f./ 162f.) Weltentwürfe funktionieren als solche, weil sie immer auch Verallgemeinerungen beinhalten. Die Unterdeterminiertheit, die den Ergänzungsprozeß auszeichnet und die letztlich Quines Konzeption unmöglich macht, gilt nicht nur für die Induktion, sondern generell für jeden Klassifikationsprozess und damit, da die „rightness of categorization“ in (fast) jedem Projektionsprozeß vorkommt, für (fast) jeden Projektionsprozeß. Das ist unabhängig davon, ob es sich um analoge oder digitale Schemata handelt, die projiziert werden; ebenso unabhängig davon, ob es sich um Exemplifikations- oder Denotationssysteme handelt - Kunstwerke und Wasserproben aus dem Meer, die projiziert werden, machen neben anderen Welterzeugungsverfahren als solche auch Ergänzungen erforderlich. Allerdings ist mit diesen Überlegungen noch nicht ausgeschlossen, daß eine „Kurve“ von vornherein ausgezeichnet ist. Wer das Problem der „natürlichen Arten“ mit endgültiger Wirkung lösen möchte, kann sich auch nur - wie Chomsky oder Fodor - auf eine solche angeborene Selektion berufen. Gegen diese Position argumentieren Goodman/ Elgin in Reconceptions ausgehend von Chomskys (1965) klassisch gewordener Ausgangsfrage: I want to concentrate on a single problem that is shared by linguistics and the theory of depiction: the problem of explaining our ability to understand representations we have not previously encountered. (R 102/ 138) Die beiden Disziplinen geben, so Goodman/ Elgin, jeweils eine klassische Antwort auf diese Frage; auf der einen Seite sieht man die Ähnlichkeit der Darstellung als Grundlage des Verstehens von Neuem (vgl. R 111/ 149); auf der anderen postuliert man Sprachverarbeitungsregeln, die etwa wie ein Computerprogramm funktionieren und ein Lexikon sowie grammatische Kombinationsregeln enthalten: „We understand a sentence we have never heard before because its words are contained in our lexicon, its form in our <?page no="126"?> 122 Goodmans Theorie der Projektion grammar.“ (vgl. R 103/ 140) Diese beiden Vorstellungen, von der Möglichkeit natürlicher Darstellungen und vom Kalkülcharakter des Sprachgebrauchs, gilt es für Goodman/ Elgin zu widerlegen, wenn man - im Sinne eines Konstruktivismus - gegen den Dualismus von Konvention und Natur (R 101/ 137) argumentieren möchte. Vor dem Hintergrund der Argumente gegen die natürliche Selektion von richtigen Kategorien liegen in der Tat diese beiden Möglichkeiten nahe, wenn man „natürliche Arten“ annehmen möchte - da die entscheidende Frage ja ist, wie sich eine solche Auszeichnung erklären ließe: Entweder man kann solche Kategorien von den Dingen aufgrund von Ähnlichkeit „abziehen“ oder sie sind den Subjekten angeboren und werden eins zu eins in einer störungsfreien, mechanischen Anwendung auf die Wirklichkeit übertragen. Die Ähnlichkeitsthese widerlegen Goodman/ Elgin in Reconceptions mit den aus Languages of Art bekannten Argumenten (vgl. oben 2.2.1). Gegen die Computerthese, 44 die sie ausdrücklich Chomsky und Fodor zuschreiben (R 103/ 139 FN 1), führen Goodman/ Elgin eine Reihe von Argumenten an, etwa daß sie das Verstehen von Metaphern nicht erklären kann (vgl. R 107ff./ 145ff.) oder daß die Vorstellung eines mentalen Lexikons alle Schwierigkeiten des Bedeutungsbegriffs „erbt“ (vgl. R. 105f./ 142f.). Entscheidend ist aber die folgende Überlegung: [C]omputer simulations are strictly ambiguous, having a referential and a computational interpretation. Under the former, a computer simulation represents, say, a complex molecular interaction. Under the latter, it defines a sequence of states of the computer. (R 106/ 143f.) Erst durch die Bezugnahme wird etwas dargestellt, das aber kann der Computer gerade nicht leisten. Die Computeranalogie kann also nicht erklären, wie wir unbekannte Sätze interpretieren - sie kann nicht einmal erklären, wie wir bekannte Sätze verstehen (vgl. R 107/ 144f.). Die kritisierte These beruht auf der Vorstellung, daß ausschließlich syntaktisches und semantisches Wissen ausreicht, um mit Symbolsystemen umzugehen (vgl. R 117/ 157). Diese Vorstellung führt zu einer Ausblendung der Performanz, entweder im Sinne einer schlicht schon vorgegebenen natürlichen 44 Goodman beschreibt diese auch als die Vorstellung, Sprachgebrauch vollziehe sich nach Regeln (R 103/ 140f.). Das trifft die in der vorliegenden Arbeit vorgebrachten Überlegungen aber nicht, da offensichtlich nur Kalkülregeln oder kalkülartige Regeln gemeint sind. An anderer Stelle, an der er sich kritisch zum Regelbegriff äußert, ist aus dem Kontext ersichtlich, daß Goodman ausschließlich explizit formulierte Regeln als solche bezeichnet: „Even linguistic behaviour and comprehension, it seems to me are only rarely directed by formulated rules; and the notion of an unformulated rule escapes me.“ (MM 12/ 28) <?page no="127"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 123 Darstellung, die ihren Gegenstand distanzlos nachahmt, oder im Sinne einer universalen Kompetenz, die ihre Anwendung ohne Rest bereits enthält: Given this conception of competence, it is hard to see how anything except universal rules or particular resemblances could serve. (R 117/ 157) Symbolgebrauch erfordert aber unterschiedlichstes Wissen - mit anderen Worten einen pragmatischen Hintergrund (vgl. R 117ff./ 157ff.). Damit ist Symbolgebrauch nicht als mechanischer Prozeß modellierbar: Er kann mißlingen oder auch mehr oder weniger gelingen und eine Revision unserer Kategorien erforderlich machen (vgl. R 120/ 161). Das bedeutet natürlich nicht, daß syntaktische und semantische Unterschiede bei Goodman keinerlei Rolle spielen; sie reichen nur nicht hin, um projizierbare von nicht-projizierbaren Prädikaten zu unterscheiden (vgl. PP 357). Seine Konzeption eröffnet Goodman vielmehr gerade Raum für syntaktische und semantische Unterscheidungen an Symbolgebrauch, und er entwickelt v.a. in Languages of Art ja gerade Kategorisierungen, um sie symboltheoretisch zu erfassen. Seine Herleitung des Projektionsbegriffs über die Induktion und das „grue“-Paradox sind auf natürliche Sprachen bezogen, und für diese beschreibt Goodman die erkenntnistheoretische Grundsituation folgendermaßen: [P]rojection from given cases calls for a choice among countless alternatives; and the making of such choices pervades all learning. (LA 202/ 190) Was bei Wittgenstein die „Institution der Anwendung“ heißt, vereinfacht diese Wahl in vielen Fällen, so daß die Anwendung eines Prädikats auf einen neuen Fall dann eine „routine projection“ (LA 69/ 74) 45 ist - im Gegensatz etwa zur metaphorischen Anwendung, die eben dadurch gekennzeichnet ist, daß sie diese Routine durchbricht. Ebenso gibt es z.B. Gewohnheiten des Ausdrucks (also der metaphorischen Exemplifikation), die kulturell bedingt sind (LA 89/ 92). 46 Solche Routinen fungieren als Standards: This is not to say that whether a picture is sad is independent of the use of „sad“ but that given, by practice or precept, the use of „sad“, applicability to the picture is not arbitrary. (LA 88/ 91) 45 Vgl. „But in the case of our main stock of well-worn predicates I submit that the judgement of projectibility has derived from the habitual projection, rather than the habitual projection from the judgment of projectibility.“ (FFF 98f./ 126) 46 Goodmans Beispiel ist an dieser Stelle eine Beschreibung Huxleys, der von der Schwierigkeit berichtet, den emotionalen Gehalt - also den Ausdruck - indischer Musik zu identifizieren (vgl. LA 89f./ 92). <?page no="128"?> 124 Goodmans Theorie der Projektion Damit sind solche Anwendungen nicht beliebig, sie können aber natürlich strittig sein. Das gilt in höherem oder geringeren Maße für alle Symbolsysteme, wobei die notationalen einen Grenzfall bilden. Bei Notationen erfolgt die Entscheidung gleichsam für das ganze System (vgl. LA 202/ 190), einen Spielraum der Anwendung wie bei den semantisch dichten diskursiven Sprachen gibt es nicht: [P]rojection even from single sample to compliance class is uniquely determined. […] so long as we use this system we are free of the major problems of projectibility. (LA 202f./ 190f.) Neben den oben (vgl. 3.2) bereits aufgeführten Unterschieden - ob die Kategorien festgelegt sind, ob die Projektion routiniert erfolgt oder nicht, ob der Bereich, in den projiziert wird, begrenzt und die Projektionskette damit abschließbar ist oder nicht - sind also auf jeden Fall solche Unterschiede aufgrund der syntaktischen und semantischen Eigenschaften des Schemas, aus dem die projizierten Etiketten stammen, relevant. Syntaktische und semantische Eigenschaften spielen bei Goodman also eine Rolle als Unterscheidungen an einer Handlung, also innerhalb eines pragmatischen Rahmens - Kalküle sind dann Spezialfälle, nicht ein Modell für jeden Symbolgebrauch. Für Goodman lassen sich Kategorisierungen daher weder durch ihren Erfolg noch durch ihre Natürlichkeit rechtfertigen. Wenn wir andere Unterscheidungskriterien erschöpft haben, ist die bisherige Praxis der Projektion die einzige Instanz, die uns erlaubt, das festzulegen, was Goodman in Ways of Worldmaking „relevant kinds“ (WW 138/ 168) nennt. Diese „selection of relevant kinds, effected by evolving tradition“ (WW 138/ 168) hängt für die Induktion als Projektion sprachlicher Prädikate zentral vom Sprachgebrauch ab: If I am at all correct, then, the rules of inductive validity are to be found in our use of language. […] Thus the line between valid and invalid predictions (or inductions or projections) is drawn upon the basis of how the world is and has been described and anticipated in words. (FFF 121/ 152) Für andere Symbolsysteme muß Projizierbarkeit in entsprechender Weise von deren Gebrauch abhängig sein. Das „grue“-Paradox hat auch deshalb bislang allen Widerlegungs- und Auflösungsversuchen widerstanden, weil es diese pragmatische Beschreibungsdimension eröffnet. Allerdings geht aus den vorhergehenden Überlegungen auch hervor, daß erstens das Paradox für sich genommen nicht ausreicht, um Gegenpositionen auszuhebeln, wohl aber, daß es einen argumentativen Rahmen schafft, um das zu leisten; und daß man zweitens auch gegen ein Kalkülmodell des Regelfolgens argumentieren muß, wenn man wie Goodman als Konstruktivist nicht nur gegen eine empirische Ableitung unse- <?page no="129"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 125 rer Klassifikationen argumentiert, sondern auch nativistischen Konsequenzen entgehen möchte. Mit anderen Worten: Die Frage nach der Fundierung unserer Klassifikationen ist nicht von der Frage nach dem Grundcharakter des Regelfolgens zu trennen (vgl. Kap. 5). 3.3.3.3 Das Problem der alternativen Systeme Eine dritte Frage, die beantwortet werden muß, um zu verstehen, was Goodmans Paradox im einzelnen besagt, ist die folgende: Inwieweit können neue Prädikate überhaupt als einzelne eingeführt werden? Mit anderen Worten: Muß „grue“ ein Wort einer fremden Sprache (also Element eines alternativen Farbsystems), oder ein Wort unserer Sprache (also ein einzelnes neues Prädikat) sein, damit das Paradox zustandekommt? Und muß das übrige System unverändert bleiben oder sich dem neuen Farbsystem anpassen - sind also „emeralds“ „green“ und „emerires“ „grue“ oder macht das Prädikat „grue“ eine alternative Aussage über Smaragde, wie wir sie kennen? Die letztere Auffassung liegt offensichtlich etwa Quines Formulierung des Paradoxons zugrunde, in der von „emeralds, having been identified by some criterion other than color“ (Quine 1969a: 115), die dann „green“ oder „grue“ sein können, die Rede ist. 47 Für „grue“ als Teil eines neuen Farbsystems scheint Ullian sich mit seinem „shmolor“-System entschieden zu haben, um das Positionalitäts-Argument zu widerlegen (vgl. Ullian 1997 [1961]). Für die Notwendigkeit einer Veränderung zumindest von Teilen unseres Systems spräche der Hinweis von Thomson (1997 [1966]: 87), die angemerkt hat, daß Smaragde mineralogisch gesehen per definitionem grün sind - woraus sich für die obige Fragestellung die Konsequenz ergeben würde, daß nur „emerires“ „grue“ sein können, niemals aber Smaragde. Hacking (1994: 204ff.) hat dafür plädiert, „All emeralds are grue.“ als Aussage über Smaragde, wie wir sie (von der Farbe abgesehen) kennen, aufzufassen. Denn das Paradox erfordert, daß die beiden Prädikate unterschiedliche Vorhersagen machen. Wenn wir die Kategorisierungen so anpassen, daß kein Unterschied in der Vorhersage besteht - etwa im Sinne von „All emerires are grue.“, d.h. alles was nach t ein Saphir ist, ist blau - kommt das Paradox nicht zustande. Umgekehrt ließe sich hinzufügen: Wenn „All emeralds are green.“ aufgrund von mineralogischen Definitionen ein analytischer Satz ist, gilt dasselbe, da „grue“ von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. auch Sanford 1994: 173). 47 Quine thematisiert das Problem nicht, nimmt nur die zitierte Umformulierung vor. Für eine entsprechende Umformulierung des Paradoxons plädieren explizit Thomson (1997 [1966]: 88) und Sanford (1994: 173f.). <?page no="130"?> 126 Goodmans Theorie der Projektion Mulhall (1989) hat versucht, das „grue“-Paradox mit solchen Überlegungen auszuhebeln: Damit das Paradox zustandekommt, muß die „grue“- „bleen“-Sprache der unseren ähnlich genug sein, um denselben Verfahren der Induktion zu unterliegen und mit unserer Sprache in Konflikt treten zu können. Andererseits muß sie verschieden genug sein, um nicht-positional und damit von der „green“-„blue“-Unterscheidung unabhängig zu sein (vgl. Mulhall 1989: 168ff.). Ein solches „analogous but alien conceptual scheme“ (Mulhall 1989: 169), sei aber nicht möglich. Laut Mulhall (1989: 172) schließen sich die beiden Bedingungen gegenseitig aus, und damit kommt das „grue“-Problem gar nicht erst zustande: Wenn die „grue“-„bleen“-Sprache die Welt schlicht kategorial anders aufteilt, sind die Vorhersagen, die gemacht werden, nicht mit den unseren vergleichbar. Wenn „grue“ und „bleen“ aber Farbadjektive sind, die unserem System angehören, sind sie positional und damit nicht den anderen gleichgestellt, so daß es von vornherein ein Unterscheidungskriterium zwischen ihnen gibt. Eine ähnliche Überlegung hatte bereits M. Hesse (1969: 19ff.) angestellt: „Grue“ und „green“ müssen symmetrisch sein, in dem Sinne, daß jedes Adjektiv in der jeweils anderen Sprache beschreibbar ist; diese Symmetrie gewährleistet, daß es keine unmittelbar erkennbaren Unterscheidungskriterien zwischen ihnen gibt, wie etwa Einfachheit. Um diese Symmetrie zu erhalten, ist man gezwungen, jedem Versuch einer weiteren Erläuterung von „grue“ mit einer Ad-hoc-Erweiterung der „grue“-Sprache zu begegnen: Versucht man etwa, die beiden Adjektive über das Kriterium „wavelength“ zu definieren, muß man für die „grue“-Sprache das Kriterium „wengthlave“ einführen, damit „green“ in der „grue“-Sprache ebenso einfach definiert werden kann wie umgekehrt „grue“ in der „green“-Sprache. Allerdings muß dieser Prozeß, laut Hesse, eine Ende haben, denn das Paradox setzt voraus, daß die beiden Sprachen unterschiedliche Voraussagen für die Zeit nach t machen - dazu müssen sie sich aber zumindest auf ein gemeinsames Kriterium einigen können, in Hinsicht auf das dann ein Widerspruch zustandekommen kann. Damit ist die Symmetrie aber auf jeden Fall in dieser Hinsicht durchbrochen. Dann aber ist „green“ einfacher als „grue“, denn es gibt einfach keine ausgearbeitete physikalische Theorie in der „grue“-Sprache, in der „green“ entsprechend darstellbar wäre (vgl. Hesse 1969: 20). Goodman hat die Frage in dieser Form nicht thematisiert, aber aus den Vorgaben von Fact, Fiction, and Forecast lassen sich die Voraussetzungen für das Paradox entnehmen. Zunächst ist festzuhalten, daß auf jeden Fall ein Konflikt entstehen muß, damit das Paradox zustandekommt: If the hypothesis that all emeralds are green is also projected [ebenso wie „All emeralds are grue.“, E.B.], the two projections disagree for unexamined emeralds. In <?page no="131"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 127 saying these projections thus conflict, we are indeed assuming that there is some unexamined emerald to which only one of the two consequent-predicates applies; but it is upon just this assumption that the problem arises at all. (FFF 93f./ 121) Es genügt also nicht, daß ein alternatives Kategoriensystem vorliegt, es muß auch eine Entscheidungssituation gegeben sein, die in der Praxis zu einer eindeutigen Entscheidung führt. 48 Denn paradox ist nicht, daß es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die Welt zu beschreiben, die gleichermaßen zu unseren Daten passen; sondern daß nur eine davon wahr ist, wir uns aber entscheiden, bevor wir wissen können, welche. Daraus folgt, daß es sinnvoll ist, das Paradox so zu formulieren, wie Quine und andere das tun - oder statt „All emeralds are grue.“ zu behaupten „All emeralds are emerires.“ Andererseits ist für Goodman Positionalität - wie oben dargelegt - relativ, keine inhärente Eigenschaft. Die „green“-„blue“-Unterscheidung muß also relativ zu „grue“ positional sein; um „green“ entsprechend definieren zu können, muß aber neben „grue“ noch zumindest ein weiteres Farbadjektiv, nämlich „bleen“ gegeben sein. Das bedeutet, daß es zumindest ein korrelatives Adjektivpaar „grue“ und „bleen“ oder sogar ein ganzes „shmolor“-System geben muß. In Ways of Worldmaking beschreibt Goodman in einem anderen Zusammenhang das „grue“-System in genau diesem Sinne: Zwischen dem „grue“- und dem „green“-System besteht ein Unterschied in der Gewichtung („weighting“) (WW 101/ 126); d.h. sie teilen einerseits ein Inventar an Entitäten, um es andererseits aber deutlich unterschiedlich zu beschreiben: [A] difference between two versions that consists primarily or even solely in their relative weighting of the same entities may be striking and consequential. […] to project „grue“ and „bleen“ rather than „green“ and „blue“ - would be to make, and live in, a different world. (WW 101/ 126) Das „grue“- und das „green“-System sind also genau das, was Mulhall für unmöglich hält - „analogous but alien“. Goodmans Auffassung entgeht dem von Mulhall ebenso wie dem von Hesse konstruierten Widerspruch. Sie entgeht Mulhalls Kritik, da sie keine vollständige parallele „grue“-„bleen“-Sprache ansetzt, sondern lokale Veränderungen, aber andererseits reich genug ist, um die Relativität von Positionalität zuzulassen. Sie entgeht Hesses Kritik aus demselben Grund; wenn Hesse davon ausgeht, daß der Wettlauf nach Symmetrien zu Gunsten von „green“ 48 Das schließt im übrigen auch alle diejenigen Formulierungen des Paradoxons aus, die „grue“ ohne Referenz auf einen bestimmten Zeitpunkt t als „blau, wenn noch nicht untersucht; sonst grün“ bestimmen; vgl. z.B. Sainsbury (2001 [1995]: 126). <?page no="132"?> 128 Goodmans Theorie der Projektion ausgehen muß, besagt das nichts anderes, als daß „grue“ weniger gut verankert ist als „green“. Allerdings weisen diese Einsprüche, auch wenn sie rein formal auszuräumen sind, auf zwei wichtige Elemente der Goodmanschen Konzeption hin: Zum einen legt Goodman in Fact, Fiction, and Forecast ebensowenig wie in den späteren Schriften fest, welchen Umfang Symbolsysteme haben und wie sie sich zu einander verhalten bzw. - in der Formulierung Sprees (2002a: 24f.) - wie groß Welten sind, wieviele davon es gibt und wie ihre Grenzen und gegenseitigen Bezugnahmen zu bestimmen sind. Goodmans Begriff des „Symbolsystems“ scheint auf das System der Farbadjektive im Englischen ebenso anwendbar zu sein wie auf das Englische insgesamt, auf ein Gemälde ebenso wie auf ein ganzes Genre: „World versions are not Weltanschauungen, all-encompassing life visions.“ (Hacking 1994: 214) In der Logik von Goodmans Analysen liegt, daß sie weder grundsätzlich streng begrenzt noch im übrigen notwendig homogen sind; wenn man ihr Verhältnis zu einander beschreiben möchte, kann man das sinnvoll nur in Einzelanalysen tun (vgl. Spree 2002a: 24). Hacking (1994: 214f.) hat darauf hingewiesen, daß der Begriff der Verankerung entsprechend nicht nur den Gebrauch in einer, sondern gegebenenfalls in mehreren Weltversionen einschließen muß. Zum anderen macht die Frage nach der Praxis der Kategorienwahl diejenige nach deren Ursprung sinnlos. Zabludowsky hat Goodmans Position zur Kategorienbildung in kritischer Absicht folgendermaßen zusammengefaßt: „a choice, initially made by chance, is subsequently perpetuated by habit“ (Zabludowsky 1994 [1974]: 57). 49 Diese Charakterisierung ist aber nicht korrekt: Die Vorstellung von einem Anfang der Kategorisierung oder der Symbolisierung allgemein ist Goodman ebenso fremd wie Wittgenstein - darüber ist keinerlei Aussage möglich, wenn man die Praxis als Ausgangspunkt nimmt. Eine Praxis kann immer nur auf eine andere zurückgeführt werden: Symbolsysteme entstehen aus anderen Symbolsystemen, Welten aus Welten (vgl. WW 6/ 19). Welches Verhältnis ein System zu demjenigen System unterhält, mit dessen Hilfe es eingeführt wurde, ist keineswegs ausgemacht. Auch hier ist man auf Einzelanalysen verwiesen. 3.3.4 Verankerung und Innovation In den vorhergehenden Abschnitten wurde der Charakter des „grue“-Paradoxons als Beweis und das Bild, das Goodman von Induktion als Praxis zeichnet, herausgearbeitet. Der letzte Teil von Fact, Fiction, and Forecast ist darüber hinaus der Darstellung von Standards für diese „gute Praxis“ gewidmet, vor 49 Für Zabludowsky sind unsere Kategorien diejenigen, die - gegeben unsere sensorische Ausstattung - am praktischsten sind (vgl. Zabludowsky 1994 [1974]: 58). <?page no="133"?> Goodmans Neufassung des Induktionsproblems 129 allem der näheren Bestimmung von „Verankerung“ (vgl. FFF 84ff./ 110ff.). Hinter diesen Überlegungen steht eine Frage, die auch in der Literatur immer wieder aufkommt: Wenn es die Verankerung im kollektiven Gebrauch ist, die ceteris paribus über die Projizierbarkeit einer Hypothese entscheidet, indem sie die zugrundeliegenden Klassifikationen regelt, wie können dann neue Klassifikationen aufkommen? Die Antwort auf diese Frage sowie der genaue Charakter von Projektionsvorgängen und die Rolle der Verankerung sind in der Literatur umstritten. Einerseits besteht die Sorge, „that entrenchment […] is too conservative a notion.“ (Hacking 1994: 214) 50 Für Hacking selbst kann „Verankerung“, wie Goodman den Begriff auffaßt, den „Normalzustand“ der Wissenschaft beschreiben, nicht aber wissenschaftliche Revolutionen: „He [Goodman, E.B.] conveys a picture of gradual change.“ (Hacking 1994: 214) Der Begriff der Verankerung müsse, so Hacking, entsprechend ausgeweitet werden (vgl. Hacking 1994: 214). In diesem Sinne hat M. Hesse (1969: 23ff.) angemerkt, daß die einzigen Situationen in der Wissenschaftsgeschichte, die dem „grue“-Paradox ähnlich sind, Umbruchssituationen sind, in denen sich weitgehend inkompatible Theorien gegenüberstehen. Gerade für solche Situationen sei Goodmans Lösung mit Hilfe des Verankerungsbegriffs aber wenig geeignet, da sie eben ein konservatives Bild wissenschaftlicher Entwicklung beinhalte. Schließlich hat man Goodman sogar im Gegenteil vorgeworfen, er unterschätze die Rolle von Gewohnheit und Kontinuität bei der Entwicklung von Erkenntnis (Downey 1992: 70ff.). 51 Um diese Fragen zu klären, ist zu beschreiben, wie Verankerung im einzelnen funktioniert. Was die Verwendung unbekannter Prädikate angeht, legt Goodman in der Theorie der Verankerung, die er im letzten Teil von Fact, Fiction, and Forecast in Grundzügen entwirft, zunächst dar, daß es die Möglichkeit indirekter Verankerung gibt (FFF 92ff./ 120ff.). 52 Ein Prädikat, das gut verankert ist, muß nicht unbedingt selbst sehr gebräuchlich sein. Zum einen kann Verankerung „vererbt“ werden, und zwar von einem sog. „Vorfahr“ („parent predicate“) bzw. einer „Oberhypothese“ („overhypothesis“) auf ein zugehöriges Prädikat oder eine entsprechende Hypothese. Dabei gilt ein Prädikat als Vorfahr eines anderen, wenn dessen Extension in einer der Klassen enthalten ist, auf die der 50 Sainsbury (2001 [1995]: 129) hat in diesem Zusammenhang sogar davon gesprochen, daß Verankerung als Kriterium der Hypothesenwahl einer „nicht zu tolerierende[n] Blockade wissenschaftlicher Innovation“ gleichkäme. 51 „But Goodman’s philosophy has drawn a sharp distinction between the automatic psychological reproduction of habit and the continuity of ‚rightness‘ that occurs as an implicit component of explicit change, and it provides no model at all of explicitly and systematically judged continuities.“ (Downey 1992: 74) 52 Auf dieses Argument weisen bereits Stegmüller (1958: 383) und Scheffler (1994 [1958]: 28) hin. <?page no="134"?> 130 Goodmans Theorie der Projektion Vorfahr Bezug nimmt (vgl. FFF 106f./ 136); eine Hypothese gilt als Oberhypothese einer anderen, wenn die enthaltenen Prädikate Vorfahren der Prädikate der anderen Hypothese sind (vgl. FFF 110/ 140). 53 Zum anderen kann ein Prädikat auch aufgrund der Verankerung von Prädikaten gleicher Extension verankert sein: The entrenchment of a predicate results from the actual projections not merely of that predicate alone but also of all predicates coextensive with it. In a sense, not the word itself but the class it selects is what becomes entrenched. (FFF 95/ 122f.) Die Frage, ob Etiketten oder Klassen verankert sind, gleicht der in Languages of Art angesprochenen Überlegung, ob das Etikett oder die Eigenschaft exemplifiziert wird (vgl. 2.4.2.2); und ähnlich wie bei dieser Frage wird es auch hier vom Kontext abhängen, ob die Verankerung für ein Etikett oder eine Anzahl Etiketten mit gleicher Extension gelten soll. In jedem Fall aber wird es keine Klassen unabhängig von Etiketten geben, wie Goodman im Anschluß an die zitierte Stelle hinzufügt: On the other hand, the class becomes entrenched only through the projection of the predicates selecting it; entrenchment derives from the use of language. (FFF 95/ 123) Neben der Verankerung von Prädikaten über ihren Zusammenhang mit anderen Prädikaten sind noch zwei weitere Aspekte zu beachten. Erstens gilt nicht jeder Gebrauch als Projektion: Again, a very familiar predicate may be rather poorly entrenched, since entrenchment depends upon frequency of projection rather than upon mere frequency of use. (FFF 97/ 125) Das widerspricht nur dem Anschein nach den bisherigen Bestimmungen (denjenigen Goodmans wie auch dem Gebrauch der Begriffe im vorliegenden Text). Die vielfache Wiederholung eines Prädikats (etwa in sämtlichen Exemplaren eines Buchs) erhöht natürlich nicht seinen Grad an Verankerung - ich kann „grue“ nicht projizierbar machen, indem ich es gebetsmühlenartig vor mich hin sage. Wir unterscheiden im Gebrauch also offensichtlich nicht nur zwischen gesetzesartigen Aussagen und anderen, sowie zwischen Aussagen, die „ordentliche“ Prädikate enthalten und anderen, sondern auch zwischen Gebrauchsweisen, die für Verankerung relevant sind und anderen. 53 Damit ist die Überlegung nur grundsätzlich benannt, tatsächlich müssen dabei eine Reihe von Vorsichtsmaßregeln eingeführt werden, damit diese „Vererbungen“ nicht zu unhaltbaren Resultaten führen (FFF 111ff./ 141ff.). <?page no="135"?> Die Dimension der Anwendung 131 Zweitens gilt zumindest für ein so weitgehend kodiertes Verfahren wie die Induktion, daß Gebräuchlichkeit in der Regel nicht der einzige Faktor ist, der über das Schicksal eines Prädikats entscheidet: [T]he elimination is based upon specific comparison with an overriding hypothesis, not merely upon general grounds of the use or oddity of the predicate projected. (FFF 97/ 125) Mit anderen Worten: Die Situation, die das „grue“-Paradox in Szene setzt, ist gerade nicht der Regelfall. Seine Spezifizierung des Verankerungsbegriffs für Induktionen zeigt also, daß Goodman zu recht behauptet: „My proposal by no means amounts to ruling unfamiliar predicates out of court.“ (FFF 97/ 124f.) Darüber hinaus erweist sich an der dargelegten Theorie der Verankerung bei Induktion, daß das „grue“-Paradox für sich genommen natürlich noch keine Beschreibung der Standards für die Praxis der Induktion oder für andere Praktiken leisten kann oder soll: Das „grue“-Paradox ist ein Gedankenexperiment, das einen bestimmten Beweis führt; es ist als solches noch kein Modell für die historische Entwicklung von Wissenschaft, sondern klärt die philosophischen Voraussetzungen für eine solche Rekonstruktion. Die Erfordernisse des Paradoxons sind nicht die Erfordernisse eines wissenschaftshistorischen Modells (das ist im übrigen ein weiterer Grund, aus dem die im vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Kritiken ins Leere laufen). In dieser Hinsicht ist richtig, was z.T. in kritischer Absicht vorgebracht wird (vgl. Smokler 1966: 74), nämlich daß der Begriff der Verankerung unterbestimmt ist. Es gibt kein allgemeines eindeutiges Maß für Verankerung, schon gar nicht genaue Bestimmungen, die auf andere Symbolsysteme übertragbar wären. Was Verankerung im einzelnen besagt, bedarf jeweils der Ausarbeitung für unterschiedliche symbolische Praktiken. 3.4 Die Dimension der Anwendung 3.4.1 Mustergebrauch und Induktion Eine ganze Reihe der in den vorhergehenden Abschnitten herausgearbeiteten Züge sind auf alle Projektionen übertragbar. Da sind zum einen die grundlegenden Ergebnisse des „grue“-Paradoxons: Es beweist, daß Kategorisierungen sich nicht empirisch aus den gegebenen Daten ableiten lassen. Das „grue“- Paradox ist damit ein Schlüssel für Goodmans symboltheoretisch fundierten Konstruktivismus: Kategorisierungen (im Sinne der Auswahl und Projektion von Kategorien) gehen nicht aus einer natürlichen Organisation von Welten hervor, sondern nehmen eine Organisation vor - sie sind Verfahren der Welt- <?page no="136"?> 132 Goodmans Theorie der Projektion erzeugung. In diesem Sinn ist Goodmans Dictum „Nature is a product of art and discourse.“ (LA 33/ 42) zu verstehen: Der Unterschied zwischen Konventionen und Tatsachen ist selbst problematisch (vgl. WW 114/ 139f.). Induktion als Beispiel für Projektion zeigt darüber hinaus, daß Verankerung mit Standards einhergeht (nicht lediglich mit der Häufigkeit des Gebrauchs). Den eingespielten Verfahren der Induktion entsprächen bei Exemplifikationssystemen z.B. Verfahren der Probenentnahme. Ebenso wie die „gesetzesartige“ Aussage ist die „gute Probe“ projizierbar, weil sie bestimmten Standards entspricht; ebenso wie diese legt sie uns auf eine Version der Welt fest, und damit auf das, was in der so beschriebenen Welt möglich ist. 54 Auch die Entnahme von Proben ist Teil einer „guten Praxis“, in der die Bestätigung und Revision von Maßstab und Anwendungsfall jeweils ausgehandelt werden. M. Douglas hat Goodmans Blick auf diese Aspekte symbolischer Praxis treffend charakterisiert: But remember that Goodman is always concerned with the knowledge of responsible, interested agents, people who interact in a world already old, and who are always bringing their practice and categories under review. (Douglas 1992: 246) Daß symbolische Praktiken in dieser Weise durch den vorhergehenden Symbolgebrauch festgelegt sind, daß es also Institutionen der Anwendung gibt, erweist sich als notwendig, weil Goodman als Konstruktivist - gegen nativistische Optionen - auch eine pragmatische und pluralistische Position vertritt. 55 Gerade weil es keine Mechanik der Kategorienwahl, d.h. keine mechanische Wahl der projizierbaren Züge von Symbolen gibt, muß es für viele Gebrauchsweisen Routinen und für alle Gebrauchsweisen (zumindest rudimentäre) Standards geben. Daß diese Züge auf alle Arten von Projektionen übertragbar sind, hängt in erster Linie damit zusammen, daß Goodman jede Projektion als eine Praxis betrachtet, so daß jeder Projektionsakt insgesamt Züge dieser Art aufweist. Symbole in Exemplifikationssystemen weisen in Hinblick auf Fragen der Projizierbarkeit dieselben allgemeinen Merkmale auf wie Symbole in Denotationssystemen. Mustergebrauch erfordert also - im Kontext seiner Verwen- 54 Das Verhältnis von Weltversionen und Welten ist nicht genau terminologisch unterschieden; in Ways of Worldmaking (4/ 16) hält Goodman fest, daß es für manche Zusammenhänge sinnvoll ist, Welten mit richtigen Versionen gleichzusetzen, für andere, mehrere Versionen einer Welt zuzuordnen. Diese Redeweisen sind unproblematisch, so lange man nicht eine zugrundeliegende gemeinsame Welt annimmt. 55 Das unterscheidet Goodman von anderen Konstruktivisten, insbesondere von einem „radikalen“, naturwissenschaftlich geprägten Konstruktivismus, wie ihn Schmidt (1987a: 13ff.) beschreibt, in dessen kognitivistischer Herangehensweise sich Welten und das Handeln darin praktisch wegkürzen. Ein systematischer Vergleich findet sich in Spree (1998). <?page no="137"?> Die Dimension der Anwendung 133 dung betrachtet - mehr als „possession plus reference“ (LA 53/ 60). Goodmans Definition der Exemplifikation in Languages of Art - bezieht sich auf das Verhältnis von Etikett und Erfüllungsgegenstand. Darüber hinaus muß ein Muster projizierbar sein, wenn es seinen Zweck erfüllen soll (vgl. WW 135/ 164): Die Projizierbarkeit ist es, die Mustergebrauch zu einem Verfahren der Welterzeugung macht. Daß wir ein Muster für projizierbar halten, besagt nichts anderes, als daß wir es als Baustein einer möglichen Version der Welt auffassen. Darüber hinaus läßt sich aus den Überlegungen des vorhergehenden Kapitels ein Argument dafür gewinnen, daß solche Merkmale zumindest für Teilaspekte von Projektionen immer gegeben sein müssen: Induktion kann in bestimmter Hinsicht als ein Aspekt an jeder Projektion aufgefaßt werden. Weltkonstruktionen erfolgen für Goodman nur in Symbolen: 56 „We can have words without a world, but no world without words or other symbols.“ (WW 6/ 19) Wenn symbolische Darstellung, wie das im vorhergehenden Kapitel nachgewiesen wurde, immer einen exemplifikatorischen Anteil hat, bedeutet das, daß Welterschließung durch Umgang mit Inskriptionen erfolgt. Das Funktionieren einer Exemplifikation erfordert aber genau das, was den Kern induktiven Vorgehens ausmacht: die Auswahl der relevanten Kategorisierung. Wenn jede Darstellung exemplifikatorische Anteile hat, besagt das in diesem Sinn auch, daß jede Darstellung einen induktiven Anteil hat - insofern als Produktion oder Verstehen auf semantischer und syntaktischer Ebene den Übergang von einem „Fall“ zu einem exemplifizierten Etikett und damit zu einer Kategorisierung fordert. Allerdings sind - und deshalb ist es hier eher angebracht, von einem „induktiven Anteil“ als von „Induktion“ im eigentlichen Sinn zu sprechen - natürlich nicht alle diese Kategorisierungen sprachlich darstellbar, sondern z.T. nur durch andere Symbole, und auch bei der Wahl sprachlicher Kategorisierungen sind natürlich nicht alle dieser Vorgehensweisen so streng geregelt wie wissenschaftliche Induktionsverfahren; das Verfahren kann Routine, die Wahl der relevanten Kategorien vorgegeben sein, oder im Gegenteil kreativ zu erschließen. Schließlich ist auch nicht in allen Fällen die Richtung der Bezugnahme eindeutig (vgl. 2.5.3). Entsprechend sind die Standards der Richtigkeit in den unterschiedlichen Fällen unterschiedlich streng festgelegt. Daher wohl Goodmans bereits zitierte vorsichtige Rede von „rightness of categorization, which enters into most [Hervorhebung E.B.] other varieties of rightness“ (WW 138/ 168). Auf diese Weise zeichnet sich Projektion als Dimension der Anwendung der Regel insgesamt und in Hinblick auf ihre innere Struktur durch Unterdeterminiertheit und Veran- 56 Das hat in aller Deutlichkeit v.a. Spree (1998: 323 und 2002a: 26) hervorgehoben. <?page no="138"?> 134 Goodmans Theorie der Projektion kerung aus - wo Kategorisierungen nicht aus Daten ableitbar sind, ist die Gebrauchsdimension für ihre Wahl ausschlaggebend. Wenn Mustergebrauch wie in der vorliegenden Arbeit aus nominalistischer Perspektive als Kern von Symbolgebrauch interpretiert wird, schreibt das jedem Symbolgebrauch einen vielfachen Anteil an interpretatorischer Aktivität ein, von der wir durch Traditionen nur teilweise entlastet sind. 3.4.2 Projektion und Kalkül Die Gemeinsamkeiten in den Grundsätzen und die Unterschiede in der Schwerpunktsetzung zwischen Goodman und Wittgenstein zeigen sich in aller Deutlichkeit in der jeweiligen Verwendung der Maschinenmetapher. 57 Sowohl Wittgenstein als auch Goodman verwenden die Funktionsweise einer Maschine als Metapher für Symbolgebrauch, um ihre Position gegen ein Kalkülmodell von Symbolgebrauch zu konturieren. Goodmans Projektionsmaschine, die Einzeldaten in einem Diagramm zu Kurven ergänzt, zeigt, daß kalkülartige Übergänge ein Spezialfall sind, der vorhergehende Festlegungen erfordert. Seine Kritik der Ähnlichkeitsthese beweist, daß solche Festlegungen nicht auf Ähnlichkeit beruhen können, also nicht auf die Natürlichkeit bestimmter Darstellung zurückgeführt werden können. Nur Festlegungen durch Gewohnheit, also eine Maschine, die Gewohnheiten entwickeln kann, können aus dem Dilemma von Beliebigkeit einerseits und stupider Mechanik andererseits herausführen. Aber selbst eine solche Maschine kann nur in dieser einen Hinsicht als Metapher für Symbolgebrauch fungieren. Als Modell dafür taugt sie nicht, denn sie kann die Referenz nicht leisten, die Symbolgebrauch ausmacht. Auch Wittgensteins Verwendung der Maschinenmetapher dient dazu, klarzumachen, daß Symbolgebrauch weder mechanisch noch kalkülartig ist, also die Maschine als allgemeines Modell für Symbolgebrauch zu diskreditieren. Auch bei Wittgenstein sind unter dem Titel der „grammatischen Sätze“ die pragmatischen Bedingungen thematisch, die die Möglichkeiten des Gebrauchs einschränken und diesen dadurch der Beliebigkeit und der Mechanik gleichermaßen entziehen. Die Maschinenmetapher impliziert eine idealisierte Mechanik, bei der man „die Erscheinungen der Bewegung der Teile aus ihm [dem Bild der Maschine, E.B.] ableitet.“ (PhU § 193). Im Gegensatz dazu schließt das „wirkliche Verhalten einer Maschine […] die Möglichkeit der Deformation der Teile, etc.“ (PhU § 193) mit ein, so daß in der Maschinenmetapher weder von realem Symbolgebrauch noch von einer realen Maschine die Rede ist. Wittgenstein hebt letztlich darauf ab, daß das Maschinensymbol die Dimension der Anwendung ausblendet. So spricht er davon, daß in der 57 Vgl. PhU § 193 und LA 164ff./ 158ff. sowie oben 3.3.3.2 und 1.1.2. <?page no="139"?> Die Dimension der Anwendung 135 metaphorischen Maschine ihre Bewegungen „in einem mysteriösen Sinn […] bereits gegenwärtig“ (PhU § 193) sein müßten. Auf diese Weise verbindet er die Frage nach der Mechanik der Anwendung mit derjenigen der Innerlichkeit des Subjekts, wie sie in den Philosophischen Untersuchungen ausführlich abgehandelt wird, - denn dieses müßte ja das „Depot“ dieser zukünftigen Anwendungen sein. 58 Sowohl bei Goodman als auch bei Wittgenstein geht es um die Unterbestimmtheit der Performanz - in Goodmans Verwendung der Metapher um die Unterbestimmtheit im Verhältnis zu den gegebenen Daten, in Wittgensteins Verwendung der Metapher um die Unterbestimmtheit im Verhältnis zur Kompetenz. Was Goodmans „grue“-Paradox beweist - daß pragmatische Kriterien über Projektionen entscheiden -, wird in Wittgensteins Version des Induktionsproblems behauptet; was Wittgensteins Privatsprachenargument beweist - daß Referenz nur als soziale Praxis möglich ist -, ist bei Goodman weitgehend vorausgesetzt. Goodmans und Wittgensteins Argumentation verbinden sich so zu einer umfassenden Kritik eines Kalkülmodells der Anwendung der Regel. Die folgenden Kapitel stellen Goodmans Konzeption von Mustergebrauch Wittgensteins Auffassung von Regelfolgen an die Seite, um Grundzüge einer konstruktivistischen, pluralistischen und pragmatisch orientierten Alternative aufzuzeigen. 58 Zur Frage der Innerlichkeit des Subjekts bei Goodman vgl. im einzelnen 5.3.2. <?page no="141"?> 4 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs 4.1 Die Frage des Mustergebrauchs im Kontext des Regelproblems Die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit, was es heißt „das Gleiche zu tun“, wie also das Wechselverhältnis von Regel und Beispiel zu bestimmen ist, ist bei Wittgenstein aus einem anderen Kontext heraus und mit anderen Schwerpunkten anzugehen als bei Goodman. Allerdings wird sich in den folgenden beiden Kapiteln umgekehrt auch zeigen, daß es nur geringer Übersetzungsarbeit bedarf, um einige der bekannten Kernprobleme der Wittgensteinschen Spätphilosophie als solche der Exemplifikation und der Projektion im Goodmanschen Sinne auszuweisen: Wittgenstein faßt ebenso wie Goodman Symbolgebrauch als Mustergebrauch auf. Die folgenden beiden Kapitel versuchen, diese Differenzen und Übereinstimmungen darzustellen. Goodman entwickelt unter der Bezeichnung „Exemplifikation“ einen allgemeinen Begriff davon, was ein Beispiel ausmacht, und unter der Bezeichnung „Projektion“ einen allgemeinen Begriff davon, was die Übertragung von einem Fall auf einen anderen beinhaltet. Für eine Analyse von Symbolgebrauch, die Konzepte für die Beschreibung der Hervorbringung von Regeln in der symbolischen Praxis sucht, ergab sich damit zum einen die Möglichkeit, die exemplifikatorischen Anteile an jedem Symbolgebrauch zu modellieren sowie, zum anderen, den Nachweis zu führen, daß die Praxis der Symbolprojektion insofern nicht mechanisch sein kann, als die Wahl der relevanten Etiketten es nicht ist. In Wittgensteins Spätphilosophie sind Beispiele in zwei theoretischen Kontexten relevant: Zunächst als Darstellungsmittel der Philosophie, das es erlaubt, den Horizont theoretischer Erklärung hin zu beschreibender Darstellung zu überschreiten. Diese Frage wird - soweit sie nicht in den Erläuterungen in Kapitel 1 bereits behandelt ist - in den folgenden Kapiteln nur dort aufgegriffen, wo es um die Funktionen von Sprachspielen geht. In den folgenden Abschnitten steht ein zweiter Themenbereich im Zentrum: Mustergebrauch im Kontext des Regelproblems. Denn mit der Rehabilitierung des Beispiels als Darstellungsmittel geht eine Aufwertung des Beispiels auf der inhaltlichen Ebene einher: In Wittgensteins Beschreibungen des Regelfolgens und seiner Bestimmung des Regelbegriffs, die hier anhand der Philosophischen Untersuchungen und der Notizen Über Gewißheit rekonstruiert werden, findet eine Neubestimmung des Verhältnisses von Beispiel und Regel statt. Die beiden folgenden Kapitel verfolgen so eine doppelte Zielsetzung: Es geht zum einen darum, den Nachweis zu führen, daß Wittgenstein Symbol- <?page no="142"?> 138 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs gebrauch tatsächlich ebenso wie Goodman als Mustergebrauch auffaßt und daß seine Überlegungen zu Regelbegriff und Regelfolgen diese Bestimmung mitbeinhalten; zum anderen geht es darum, darzulegen, in welchen Hinsichten Wittgensteins und Goodmans Auffassungen aufgrund der unterschiedlichen Problemschwerpunkte einander ergänzende Aspekte für die Modellierung von Symbolgebrauch bereitstellen können. Beides läßt sich an den folgenden beiden thematischen Schwerpunkten durchführen: (1) Mit der Sprachspielmetapher, die in der Spätphilosophie Wittgensteins Auffassung von sprachlichen Regeln und ihrer Anwendung leitet, steht ein Paradigma für einen Regelbegriff zur Verfügung, der mit der Auffassung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch einhergeht. Dieser Regelbegriff wird in den Philosophischen Untersuchungen in Abgrenzung zu und in Auseinandersetzung mit einer Auffassung der Regel als Kalkül entwickelt. Wittgenstein entwirft im Anfangsteil der Philosophischen Untersuchungen gleichsam im Negativ ein Bild dieser Gegenposition, wie sie etwa der Tractatus vertritt: Sah der frühe Wittgenstein Kalküle als Paradigmata für Regeln überhaupt, werden in den späten Schriften kalkülartige Regeln zu einem Spezialfall von Sprachspielen. Innerhalb dieser Argumentation spielt Mustergebrauch bereits eine wichtige Rolle: Die Kritik der hinweisenden Erklärung, wie sie im Anfangsteil der Philosophischen Untersuchungen gegen Augustinus vorgetragen wird, beruht auf den symboltheoretischen Eigenschaften der Exemplifikation. Diese Eigenschaften bilden so einen der Ausgangspunkte für den Entwurf des neuen Regelbegriffs. Mit der Sprachspielmetapher stellt Wittgenstein der Kalkülauffassung der Regel eine auf den Handlungsaspekt von Sprachgebrauch ausgerichtete Konzeption entgegen (vgl. 4.2). Das ist im Text der Philosophischen Untersuchungen mit einer Rehabilitierung der Zeichengestalt verbunden, die sich darin zeigt, daß Wittgenstein Regelfolgen mit Hilfe von Szenarien analysiert, die dieses als Umgang mit Beispielen, d.h. als Mustergebrauch, darstellen (vgl. 4.3). Sprachspiele wie das Fortsetzen einer Reihe, das Suchen von Gemeinsamkeiten in Mustern etc. lassen den Unterschied zwischen Beispiel und Paradigma als funktionalen erscheinen (vgl. 4.3.4) und stellen so eine Neudefinition des Verhältnisses von Beispiel und Regel dar. Entsprechendes gilt auf der Ebene der Regelformulierung für Wittgensteins Bestimmung des Verhältnisses von Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen. Diese Unterscheidung zeigt in aller Schärfe die Konsequenzen eines funktionalen Regelbegriffs: Erfahrungssätze und grammatische Sätze unterscheiden sich nicht in formaler Hinsicht, sondern hinsichtlich ihrer Rolle im Sprachspiel. Diese Beschreibungsansätze stellen sich vor allem in Über Gewißheit als Überlegungen zu Fragen der Lebensform und zur Struktur unseres Wissens dar, d.h. sie thematisieren die Aushandlung und Veranke- <?page no="143"?> Die Frage des Mustergebrauchs im Kontext des Regelproblems 139 rung von Sprachspielen in der sozialen Interaktion. In dieser Ausrichtung auf die soziale Konstruktion unseres Zugangs zur Welt trifft sich - bei allen Unterschieden - Wittgensteins Auffassung mit Goodmans pluralistischem „Welt“-Begriff (vgl. 4.3.4). Wittgensteins Überlegungen zum Regelbegriff stellen eine Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition dar, wie sie bei Goodman in dieser Form nicht stattfindet (vgl. dazu 1.3.3). Goodman beweist nicht, daß es unterschiedliche Arten von Symbolsystemen gibt oder daß auch nichtnotationale Systeme als solche gelten, er kann davon schlicht ausgehen. Wittgenstein gewinnt seinen Regelbegriff gegen das Gewicht einer am Logikkalkül als Ideal ausgerichteten Sprachauffassung und muß allererst dafür argumentieren, daß Regeln des Symbolgebrauchs auch unscharf sein können, daß sie notwendig in Lebensformen eingebunden sind und daß Symbolgebrauch als ein Handeln sich - in Goodmans Ausdrucksweise - an Inskriptionen vollzieht. (2) In der Folge entwirft Wittgenstein ein Bild von Symbolgebrauch als regelgeleiteter Tätigkeit, die selbst dann nicht mechanisch ist, wenn die fraglichen Regeln kalkülartig sind. Aus dieser Ablehnung der Kalkülauffassung der Regel, ergibt sich aber ein Problem, das in der Literatur als das „Paradox des Regelfolgens“ bezeichnet wird: Für die Kalkülauffassung ist die Anwendung der Regel bereits in irgendeiner Weise vollständig in dieser enthalten; ein Aufgeben der Kalkülauffassung der Regel erscheint als Aufgeben jeder Regelung überhaupt - wenn die Regel ihre Anwendung nicht enthält, scheint es ja so, als ob „jede Handlungsweise mit der Regel zur Übereinstimmung zu bringen sei.“ (PhU § 201). Wie zu zeigen sein wird, stimmt das „Paradox des Regelfolgens“ strukturell mit Goodmans „grue“-Paradox überein. Der Problembereich, der bei Goodman mit der Unterscheidung zwischen projizierbaren, gesetzesartigen und nicht projizierbaren, nicht gesetzesartigen Prädikaten bzw. Aussagen verhandelt wird, findet sich bei Wittgenstein in der Frage nach dem Verhältnis von Regel und Regelmäßigkeit wieder. Zwar gibt Wittgenstein dem Paradox eine Pointe, nämlich als Beweis für den Handlungscharakter des Regelfolgens, die bei Goodman weitgehend zu den Voraussetzungen seiner Arbeit gehört, Wittgensteins Lösung aber entspricht sehr genau Goodmans Auffassung: Für Wittgenstein ist ebenso wie für Goodman die bisherige soziale Praxis entscheidend, die die „normale“ Anwendung vorgibt. Und für Wittgenstein ist ebenso wie für Goodman diese Überlegung zur Anwendung von Symbolen ein entscheidendes Argument für die Rehabilitierung dieser Praxis als letzter Instanz der Erklärung. Man hat diese Auffassung als „skeptische“ Lösung des Wittgensteinschen Paradoxons verstanden (Kripke); daß das nicht haltbar ist, wird sich in einer Lektüre des Privatsprachenarguments zeigen. <?page no="144"?> 140 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Das Privatsprachenargument beweist, daß - was Goodman wiederum weitgehend 1 voraussetzt - Symbolgebrauch nicht in vorgängigen oder begleitenden inneren Vorgängen fundiert sein kann. Hatte Goodman mit dem „grue“-Paradox bewiesen, daß die Wahl der relevanten Etiketten nicht aus empirischen Vorgaben ableitbar ist, und darüber hinaus die Plausibilität einer nativistischen Position bereits untergraben, so führt Wittgenstein den Beweis, daß ein Nativismus nicht haltbar ist und Symbolgebrauch nicht außerhalb eines sozialen Handlungszusammenhangs fundiert werden kann. Wittgenstein beweist dies anhand der Funktionsweise der Zeichen selbst und erweist Symbolgebrauch als ein medial verfaßtes Handeln. Mit dem Privatsprachenargument wird so das zweite wesentliche Argument „nachgeliefert“, das eine Auffassung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch, eingebettet in eine (im Goodmanschen Sinne) nominalistische Grundposition, erst plausibel macht. Der erste der beiden aufgeführten Themenschwerpunkte (die Frage nach dem Verhältnis von Regelbegriff und Mustergebrauch) ist Gegenstand des 4. Kapitels, der zweite (die Frage nach dem Verhältnis von Regelfolgen und Projektion) nimmt das 5. Kapitel ein. Hinsichtlich der Textgrundlage stellen die beiden Kapitel insgesamt eine ungefähr an den Aufbau dieses Textes angelehnte Lektüre des ersten Teils der Philosophischen Untersuchungen dar. 2 Systematisch gesehen ist der Fluchtpunkt der folgenden Darstellung 1 Vgl. aber die Kritik der Computermetapher für geistige Vorgänge in 3.3.3.2. 2 Dem ersten Teil der Philosophischen Untersuchungen kommt im Nachlaß eine besondere Stellung zu (vgl. z.B. Schulte (2001: 12) und von Savigny/ Scholz (1996a: 9)), da diese Arbeit als einzige - neben den beiden publizierten philosophischen Schriften (dem Tractatus und dem Aufsatz „Some Remarks on Logical Form“) - unstritttig als endredigierter Text gelten kann: „Vom I. Teil der Philosophischen Untersuchungen darf man annehmen, daß Wittgenstein seine Veröffentlichung wünschte.“ (Schulte 2001: 12) Im Gegensatz dazu ist etwa der Status der Bemerkungen, die die Herausgeber der Werkausgabe als zweiten Teil der Philosophischen Untersuchungen etabliert haben, nicht einfach einzuschätzen (vgl. Schulte 2001: 28ff.). Sie entstammen dem Kontext der Schriften zur Philosophie der Psychologie (vgl. Schulte 2001: 28 FN 2), und es ist - so von Wright - unklar, was die Herausgeber dazu bewogen hat, sie als Teil der Philosophischen Untersuchungen anzusehen (vgl. von Wright 2001: 7f., ebs. Baker/ Hacker 1992 [1980]a: 7). Ähnliches gilt, folgt man dem Herausgeber der kritisch-genetischen Edition der Philosophischen Untersuchungen, für Wittgensteins Nachlaß insgesamt: „Bei allen anderen publizierten Schriften [außer dem ersten Teil der Philosophischen Untersuchungen, E.B.] ist die Frage, inwiefern sie überhaupt ein „Werk“ Wittgensteins darstellen, heikel.“ (Schulte 2001: 12) Die allgemeine Vorstellung davon, was jeweils als ein zusammengehöriges Werk gelten kann, war lange in hohem Maße durch die Entscheidungen der Nachlaßverwalter und Herausgeber der Werkausgaben (Blackwell 1953ff. und Suhrkamp 1984) geprägt. Über das letzte Jahrzehnt ist nun aber sowohl eine kritisch-genetische Edition der Philosophischen Untersuchungen erschienen (Suhrkamp 2001) als auch mit der Wiener Ausgabe (Springer 1994ff.) eine kritische Edition eines Teils der nachgelassenen Manuskripte und Typoskripte; <?page no="145"?> Die Frage des Mustergebrauchs im Kontext des Regelproblems 141 Wittgensteins Regelbegriff. Die Philosophischen Untersuchungen lassen sich in diesem Sinn auch als eine Kette von Argumenten gegen einen bestimmten Regelbegriff, gegen eine Kalkülauffassung der Regel, ansehen - nicht nur weil Wittgenstein selbst in den Philosophischen Untersuchungen sie auf diese Weise einführt, sondern weil die Gegenüberstellung von Spielregel und Rechenregel es erlaubt, durch die Einbindung in den jeweiligen Kontext zu zeigen, wie ein unterschiedlicher Regelbegriff eine unterschiedliche Auffassung der Dimension des Apriori insgesamt bestimmt. Diese Überlegungen münden in eine pragmatische, nominalistische und funktionale Bestimmung der Regel, wie sie der Begriff des „Sprachspiels“ zum Ausdruck bringt. Für die vorliegende Arbeit hat dieses Vorgehen die Funktion, eine Skizze der Gegenpositionen zu Wittgenstein und Goodman zu liefern, die in den vorhergehenden Kapiteln (wie in den zugrundegelegten Texten Goodmans) mehr oder weniger implizit geblieben war. Der folgende Abschnitt (d.h. die Darstellung des ersten Themenschwerpunkts) beginnt daher mit einer allgeschließlich ist mit der Ausgabe auf CD-ROM durch das Wittgenstein-Archiv der Universität Bergen (Oxford University Press 2000) der gesamte philosophische Nachlaß Wittgensteins sowohl in einer diplomatischen als auch in einer normalisierten Version ohne Aufwand zugänglich geworden, der zuvor nur auf Microfiche eingesehen werden konnte (zum Verhältnis und zur Geschichte der Wittgenstein-Ausgaben vgl. Stern 1996). In welcher Weise und in welchem Maße diese veränderte Editionssituation mittelfristig die Auffassung davon, was als „Werk“ Wittgensteins gelten kann, verändern wird, ist derzeit noch nicht abzusehen (vgl. Stern 1996: 468). In jedem Fall aber stehen damit Hilfsmittel zur Verfügung, die es erlauben, Entscheidungen der Werkausgabe z.T. zu relativieren. Deutlich ist auch bereits, daß ein solcher Vergleich zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führt, was die Einheitlichkeit und den Redaktionsgrad einzelner Texte der Werkausgaben angeht. Neben der Frage nach dem Redaktionsgrad und dem Status der Texte besteht eine wesentliche Schwierigkeit für die interpretatorische Auswertung der nachgelassenen Schriften darin, daß Wittgenstein seine Materialien über Jahre hinweg bearbeitet, Textelemente modifiziert, gegen einander verschoben und in neue Kontexte eingesetzt hat. Das zentrale Problem ist dabei nicht, daß die Datierung von Manuskripten oder Typoskripten unklar wäre; in der Regel sind auch die jeweiligen „Genealogien“ bekannt (vgl. z.B. die Stemmata in Nedo 1994: IX und 1996: IX und allgemein von Wright 1986 [1982]), sondern daß es außerordentlich aufwendig ist, die Anzahl der Überarbeitungsstufen und die entsprechenden Rekontextualisierungen einzelner Bemerkungen nachzuhalten. Für die vorliegende Arbeit sind solche Fragen nicht Gegenstand der Untersuchung: Da der Fokus der Arbeit ein systematischer ist und der Schwerpunkt zudem auf den späten Schriften, nicht denen der Übergangszeit liegt, wird denjenigen Texten der Vorzug gegeben, die als in hohem Maße redigiert gelten können, insbesondere natürlich dem ersten Teil der Philosophischen Untersuchungen. Werkgeschichtliche Aspekte weden nur mit einbezogen, wo sie unmittelbar für den Problemzusammenhang relevant sind - die Arbeit erhebt an keiner Stelle den Anspruch auf historische Vollständigkeit. Wo auf Über Gewißheit Bezug genommen wird (v.a. in 4.3.4), geht es um den Wortlaut (der unstrittig ist), nicht um die Anordnung (die strittig ist) (vgl. Schulte 1989: 46). <?page no="146"?> 142 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs meinen Überlegung zum Verhältnis von Spätphilosophie und Tractatus, folgt dann den unterschiedlichen Argumentationsgängen im Anfangsteil der Philosophischen Untersuchungen, um die Rolle des Mustergebrauchs innerhalb dieser Argumentation und schließlich allgemein innerhalb der skizzierten Neufassung des Regelbegriffs in der Spätphilosophie zu klären. 4.2 Regelfolgen als Spiel und Kalkül 4.2.1 Zum Verhältnis von Tractatus und Spätphilosophie Als Wittgenstein sich 1929 wieder der Philosophie zuwendet, sind einige seiner Grundüberzeugungen aus dem Tractatus im Wandel begriffen. Der Sinn und die Tragweite dieses Wandels gehören zu den umstrittensten Fragen der Wittgenstein-Interpretation. Wittgenstein selbst hatte bekanntlich vor, die Philosophischen Untersuchungen und den Tractatus gemeinsam zu veröffentlichen, da erst vor dem Hintergrund der alten Gedanken die neuen „ihre rechte Beleuchtung erhalten könnten“ (PhU S. 232). Dabei weist er auf die „schwere[n] Irrtümer“ des Tractatus (PhU S. 232) hin, um seinem Vorwort dann allerdings ein Nestroy-Zitat als ironische Warnung voranzustellen: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“ (PhU S. 229) In der Sekundärliteratur ist so auf der einen Seite nachgerade von einer „Philosophie I“ und einer „Philosophie II“ die Rede; 3 auf der anderen wird eine solche Trennung für „Mystifikation“ (Mersch 1991: 44) gehalten und eine grundlegende Kontinuität behauptet. 4 3 Im Anschluß an Stegmüller hat v.a. von Savigny (1969: 15) mit Nachdruck vertreten, Wittgenstein habe „zwei grundverschiedene Philosophien“ entworfen. 4 A. Crary und im Anschluß daran J. Bouveresse haben neuestens eine Wende in der Wittgenstein-Interpretation proklamiert, und bei den Interpreten eines „neuen“ Wittgenstein eben eine solche entschiedene Verteidigung der Kontinuität in Wittgensteins Denken ausmachen wollen (vgl. Crary 2000: 1; Bouveresse 2002a: 15f.). Diesen Interpreten - gemeint sind u.a. S. Cavell, C. Diamond, J. Conant und J. McDowell - sei v.a. die Ablehnung der „standard narrative“ (Crary 2000: 2), die Wittgensteins Entwicklung im Sinne der Ersetzung einer (metaphysischen) Bedeutungstheorie durch eine andere (pragmatische) versteht, gemeinsam. Diese „therapeutic readings“ (Crary 2000: 7) gehen laut Crary davon aus, daß die bekannte paradoxe Struktur des Tractatus (daß er sagt, was sich den eigenen Voraussetzungen nach nicht sagen läßt) Ausdruck derselben Philosophieauffassung sei, die in den späteren Texten eben „therapeutisch“ heißt. Ob sich die genannten Interpretationen tatsächlich zu einer einheitlichen Richtung zusammenfassen lassen, sei dahingestellt; jedenfalls lassen sie sich nicht alle schlicht gegen eine „standard narrative“ ausspielen. So hat z.B. C. Diamond betont, daß Wittgensteins Auffassung von Logik sowie sein Regelbegriff und seine Vorstellung von der Funktionsweise der Sprache sich von den frühen zu den späten Texten grundlegend verändert haben, nicht aber <?page no="147"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 143 Dabei besteht weitgehend Konsens darüber, daß Wittgenstein sich von der Abbildtheorie der Sprache, dem damit verbundenen logischen Atomismus und dem Gedanken einer idealen Sprache abgewandt hat, hin zu einer Beschreibung der Umgangssprache. 5 Wer die genannten Aspekte für die alleinigen Kerngedanken des Tractatus hält und sie ausschließlich als Beitrag zu Fragen der formalen Logik auffaßt, wird dazu neigen, eine große Distanz zwischen dem frühen und dem späten Wittgenstein zu sehen: So soll Russell, der in seinem Vorwort zum Tractatus die Suche nach den „Bedingungen für eine logisch vollkommene Sprache“ (Russell 1972 [1922]: 69) als dessen Hauptanliegen dargestellt hatte, derjenige gewesen sein, der als erster von einem „Wittgenstein I“ und einem „Wittgenstein II“ gesprochen hat (vgl. Edmonds/ Eidinow 2001: 179). Eine solche Darstellung verkürzt die Fragestellungen des Tractatus allerdings auf diejenigen Anliegen, die für Russell oder den Wiener Kreis von Interesse waren, und verkennt die Einbettung formaler Fragen in sehr viel weitergehende Überlegungen, etwa zum Philosophiebegriff, zur Frage des Subjekts, oder zur Unterscheidung von Sagen und Zeigen. Nimmt man diese dagegen ernst, ergeben sich eine ganze Reihe von Verbindungslinien zum Spätwerk. 6 Umgekehrt unterschätzt eine Lektüre, die ausschließlich diese Verbindungslinien in den Blick nimmt, die zentrale Rolle der Logik im Tractatus. Die vorliegende Arbeit thematisiert vor allem Wittgensteins Regelbegriff. Für diesen ergibt ein Abwägen des Verhältnisses von frühen und späten Texten die folgende Konstellation: Eine Verbindungslinie stellen die sprachkritischen Analysen philosophischer Mißverständnisse dar (vgl. z.B. Kenny 1973: 17; Krämer 2001: 111; Stetter 1974: 13 und Abschnitt 1.3.3). Daß die sprachliche Form Ähnlichkeiten suggeriert, denen eine Sprachkritik die Unterscheidung zwischen einzelnen Fällen entgegensetzen muß, bleibt ein Leitmotiv in Wittgensteins Arbeit. Allerdings erhalten die zentralen Begriffe im Kontext der Spätphilosophie einen anderen Sinn: Sprachkritik vollzieht sich bei Wittgenstein durchgängig als Gegenüberstellung einer vermeintlichen und der tatsächlichen Funktionsweise von Sprache. Sprachgebrauch ist sowohl für den frühen als auch für den späten Wittgenstein regelgeleitet; - aber das Paradigma, nach dem diese Regeln gedacht sind, ändert sich grundlegend. Dem Regelproblem entspricht im Tractatus das Problem des Verhältnisses von seine philosophische Vorgehensweise (vgl. Diamond 2000a: 283). Vgl. zu Cavell die Überlegungen in 1.3.3. 5 Das sind eben die Punkte, hinsichtlich derer die Philosophischen Untersuchungen explizit Positionen des Tractatus kritisieren: § 46f. ist eine Kritik des logischen Atomismus, § 97 greift die Frage der Logik als Ideal auf, die §§ 23 und 114 beziehen sich auf die Frage der allgemeinen Satzform und damit auf die Abbildtheorie des Satzes. 6 Vgl. z.B. die Beiträge in Bezzel (2005). <?page no="148"?> 144 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Umgangssprache und logischer Form. Diese macht den Kern symbolischer Darstellung aus und ist in Form eines Kalküls darstellbar. Für den Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen fungiert die Sprachspielmetapher als Paradigma für die Beschreibung von Regeln und Regelfolgen; der sprachkritische Gestus zielt damit auf die Beschreibung der pragmatischen Dimension des Sprechens, der Tiefengrammatik, ab: What remains is the idea that language is an activity governed by rules. What alters is Wittgenstein’s conception of these rules: The rules of GRAMMAR resemble those of a game like hide-and-seek more than they do those of formal calculi. (Glock 1996: 67) Damit ändert sich in der Spätphilosophie auch die Darstellungsweise der Regeln sowie das Verhältnis von Beispiel und Regel. Dieser Zusammenhang zeigt sich deutlich im Aufbau des Anfangsteils der Philosophischen Untersuchungen. 4.2.2 Das augustinische Sprachbild und der Aufbau des Anfangsteils der Philosophischen Untersuchungen Die berühmte Eröffnung der Philosophischen Untersuchungen mit einem Zitat aus den Confessiones des Augustinus und dessen Kritik in den darauffolgenden Bemerkungen vereinigt eine Reihe von Motiven, die für die Sprachauffassung der Spätphilosophie zentral sind; insbesondere verbindet sie die Kritik an einer mechanistischen Auffassung der Sprache mit der Frage nach der Rolle des Benennens in der Sprache und weist auf das Problem der Privatsprache voraus. Augustinus beschreibt, wie sich der Spracherwerb des Kindes über das Benennen von Gegenständen vollzieht: Nannten die Erwachsenen irgend einen Gegenstand und wandten sie sich dabei ihm zu, so nahm ich das wahr und ich begriff, daß der Gegenstand durch die Laute, die sie aussprachen, bezeichnet wurde, da sie auf ihn hinweisen wollten. (PhU § 1) 7 Wittgenstein faßt das nicht nur als eine Beschreibung des Spracherwerbsprozesses, sondern allgemein als „ein Bild von dem Wesen der menschlichen Sprache“ (PhU § 1) auf, das insbesondere eine bestimmte Bedeutungstheorie beinhaltet: „Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände - Sätze sind 7 Im folgenden geht es ausschließlich um Wittgensteins Auffassung von Augustinus, nicht darum, dessen Text gerecht zu werden. Daher bleibt auch der lateinische Text außer acht - die deutsche Übersetzung scheint von Wittgenstein selbst für seine Zwecke angefertigt worden zu sein (vgl. von Savigny 1994: 36 und 34f.). <?page no="149"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 145 Verbindungen von solchen Benennungen.“ (PhU § 1) In den folgenden Bemerkungen wird dieses Sprachbild weiter entfaltet, so daß es für einen bestimmten Typus von Sprachauffassung steht, der im einzelnen durchaus unterschiedliche Varianten oder Lösungsansätze enthalten kann, wie sie im Text in den unterschiedlichen Erklärungsversuchen des fiktiven Gesprächspartners zum Ausdruck kommen. Hier können nicht alle Aspekte dieses „augustinischen Sprachbildes“ zur Sprache kommen; für die Frage des Mustergebrauchs relevant ist vor allem die entsprechende Bestimmung des Regelbegriffs sowie die Auffassung geistiger Tätigkeiten, die damit einhergeht. 8 Die erste Entfaltung und Kritik der augustinischen Position nimmt die Bemerkungen 1 bis 32 ein. Grundsätzlich zielt Wittgensteins Kritik darauf ab, gegen diese Auffassung die Dimension des Sprachgebrauchs zu rehabilitieren und das Benennen als einen bestimmten Sprachgebrauch unter anderen anzusehen - und gerade nicht als Paradigma für Sprachgebrauch insgesamt und als Garant für dessen ontologische Verankerung. Wittgensteins Augustinuskritik in den ersten Bemerkungen der Philosophischen Untersuchungen ist folgendermaßen aufgebaut: 9 Ausgangspunkt ist die Inszenierung des augustinischen Sprachbildes mit Hilfe des Sprachspiels (2), die die Kritik der Kalkülauffassung der Regel und die die Einführung des Sprachspielbegriffs einleitet; im § 32 halten die Philosophischen Untersuchungen die innere Verwandtschaft dieser Auffassung mit der Vorstellung von einer privaten Sprache des Denkens fest, um daran dann eine Erörterung der Frage des Bedeutungserlebnisses anzuschließen. Die Überlegungen zur hinweisenden Erklärung in den Bemerkungen 26ff. fungieren als Scharnier zwischen diesen beiden Themenbereichen. 10 Argumentativ ruht die Kritik des augustinischen Sprachbildes in den ersten 32 Bemerkungen der Philo- 8 Die Bezeichung „augustinische Sprachauffassung“ bzw. - in Anlehnung an PhU § 115 - „augustinisches Sprachbild“ hat sich in der Literatur für die Position der philosophischen Gegner eingebürgert, die Wittgenstein zu Beginn der Philosophischen Untersuchungen mit Hilfe des Augustinuszitats aufbaut. Versuche, dieses Bild mit einiger Vollständigkeit zu beschreiben, machen z.B. Baker/ Hacker (1992 [1980]b: 4ff.) und Glock (1996: 41ff.). Von Savigny (1994: 37) hat die Bezeichnung als zu weit und damit zu ungenau kritisiert, sie entspricht aber durchaus der Vorgehensweise des Wittgensteinschen Textes: Die Philosophischen Untersuchungen thematisieren die Vereinbarkeit der kritisierten Positionen an keiner Stelle, denn es geht um Typen von Theorien, nicht um Einzelpositionen. 9 Die in den Bemerkungen 2, 8 und 48 der Philosophischen Untersuchungen entworfenen Sprachspiele werden im folgenden als „Sprache (2)“ oder „Sprachspiel (2)“ bzw. „(8)“ und „(48)“ bezeichnet. 10 Die Einteilung hat ausschließlich einen heuristischen Zweck. Ebenso sinnvoll ist es z.B., wie Baker/ Hacker (1992 [1980]a) die Bemerkungen 1-27 und 27-64 jeweils zusammenzufassen, so daß die Darstellung der hinweisenden Erklärung mit der folgenden Diskussion um Bedeutungserlebnisse, Eigennamen und einfache Gegenstände als Einheit angesehen wird. <?page no="150"?> 146 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs sophischen Untersuchungen auf der „Methode der Sprache (2)“, wie sie im folgenden Abschnitt (4.2.3) erläutert wird, auf der Kritik der hinweisenden Erklärung (4.2.5) und auf der Einführung des Sprachspielbegriffs (4.2.6). Später kommen als weitere zentrale Argumente das Privatsprachenargument sowie die Analyse der Anwendungssdimension sprachlicher Regeln hinzu. Sie sind Gegenstand des 5. Kapitels. 4.2.3 Die „Methode des § 2“ Den ersten Schritt in Wittgensteins Augustinuskritik bildet die Konstruktion der Sprache (2). Sie inszeniert eine Sprache, die auf die von Augustinus beschriebene Art und Weise erworben werden könnte; es ist damit, wie von Savigny feststellt, „der Versuch gemacht, Augustinus möglichst gerecht zu werden, ihn aber auf die Konsequenzen festzulegen, die die Vorstellung der Vollständigkeit einer solchen Sprache hätte.“ (von Savigny 1994: 40) 11 Wittgenstein selbst hat diese Vorgehensweise als „Methode des § 2“ bezeichnet (PhU § 48). Das Beispiel des Kaufmanns in der ersten Bemerkung bereitet diese Argumentation vor, indem es bereits darauf hinweist, daß sich eine allgemeine Sprachauffassung in eine Beschreibung konkreter Gebrauchssituationen übertragen und an dieser messen lassen muß. Die Sprache (2), die nur aus vier Elementen („Würfel“, „Platte“ etc.) besteht, mit denen der „Bauende“ dem „Gehilfen“ signalisiert, welche Art von Bauelement dieser ihm herbringen soll, ist in mehrfacher Hinsicht eine „primitiver[e] Sprache“ (PhU § 2) als die natürlichen Sprachen. Sie kennt nur eine Wortart (vgl. PhU § 1), sodaß man strenggenommen nicht einmal sagen kann, sie bestehe aus Namen (vgl. Stetter 1997: 546 und 551); sie sieht nur eine Funktion für sprachliche Äußerungen vor (vgl. PhU § 4); und sie verfügt nicht über eine Syntax (vgl. Stetter 1997: 547 und Baker/ Hacker 1992 [1980]a: 26). 12 Auf die systematische Bedeutung dieser letzteren Eigenschaft hat Stetter (1997) hingewiesen: Die Elemente der Sprache (2) gleichen eher Signalen als Wörtern einer natürlichen Sprache, sie sind rein extensional definiert. Damit geht einher, daß dieser Sprachbeschreibung eine psychologische Dimension völlig abgeht: Bei dem „Bauenden“ und seinem „Gehilfen“ könnte es sich auch um Automaten handeln (vgl. Stetter 1997: 547). Was die Sprache (2) beschreibt, ist also eine einfache Form technischer Kommunikation: „Dem einzelnen Signal ist die einzelne Reaktion zugeordnet.“ (Stetter 1997: 547) Durch diese Inszenierung des Sprachspiels stellt Wittgenstein einen Zusammenhang zwischen einer mechanistischen Vorstellung 11 In diesem Sinne auch z.B. Glock (1996: 195); Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 26ff.). 12 Es ist daher nicht auf den ersten Blick deutlich, ob man die vier Elemente überhaupt als Wörter oder nicht vielmehr als Sätze auffassen soll (vgl. PhU § 19f.). <?page no="151"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 147 von Symbolgebrauch und einer Nomenklaturauffassung der Sprache her (vgl. Stetter 1997: 545f.) - die letztere zieht in dieser Konstellation die erstere nach sich. Diese Vorstellung und ihre Varianten kann man insgesamt als eine Kalkülauffassung der Sprache bezeichnen. Wittgenstein selbst hatte sie in der Philosophischen Grammatik ausdrücklich als Beschreibung eines Kalküls bezeichnet: Augustinus beschreibt einen Kalkül unserer Sprache, nur ist nicht alles was wir Sprache nennen dieser Kalkül […]. Man könnte also sagen, Augustinus stelle die Sache zu einfach dar; aber auch: er stelle eine einfachere Sache dar. (PG I § 19, S. 57) 13 Die Parallelstelle 14 in den Philosophischen Untersuchungen spricht statt von „Kalkül“ von einem „System der Verständigung“ (PhU § 3) und hebt damit eher hervor, wie wenig die Signale der Sprache (2) tatsächlich einer Sprache ähneln. Diese offensichtliche Diskrepanz zwischen der Sprache (2) und jeder natürlichen Sprache ist das erste Hauptargument Wittgensteins gegen die Annahme des augustinischen Bildes als Grundmodell für eine Sprache. 13 Wittgensteins Verwendung des Begriffs „Kalkül“ verändert sich im Laufe der Jahre. Im Tractatus hat die Kalkülauffassung der Regel nichts Metaphorisches: Der Logikkalkül ist die Formulierung der notwendigen Regeln, die allen Symbolsystemen zugrunde liegen. In den Texten der „Übergangszeit“ der Jahre 1929-1933 ist der Kalkül zur Metapher geworden, die dazu dient, die Umgangssprache selbst zu beschreiben - eine Metapher, die in der Spätphilosophie durch die Spielmetapher vollständig abgelöst wird, da sie Explizitheit und Exaktheit der Sprachregeln suggeriert (vgl. Schulte 1989: 139). Die Philosophische Grammatik von 1933 verwendet sowohl den Spielals auch den Kalkülbegriff, beide aber nicht einheitlich. Z.T. werden Spiele und Kalküle geradezu gleichgesetzt (vgl. etwa PG I § 31, S. 67 und PG I § 2, S. 40), z.T. werden Kalküle aber auch eher den „primitiven“ Spielen zugezählt, die einen begrenzten Nutzen als Vergleichsobjekte haben und eher nicht als allgemeine Metapher für den Sprachgebrauch geeignet sind (vgl. PG I § 26, S. 62 und § 23, S. 59). Dieser letztere Gebrauch entspricht bereits dem der Philosophischen Untersuchungen: „daß wir nämlich in der Philosophie den Gebrauch der Wörter oft mit Spielen, Kalkülen nach festen Regeln vergleichen, aber nicht sagen können, wer die Sprache gebraucht, müsse ein solches Spiel spielen.“ (PhU § 81) Daß Wittgenstein dennoch so lange an der Kalkülmetapher festhält, hängt wohl damit zusammen, daß sie genau wie die Spielmetapher zwei Aspekte hervorhebt, die für die Spätphilosophie zentral sind: daß Sprechen regelgeleitet ist (vgl. die Rede von den „System[en] von Übergängen“ (PG I § 68, S. 110)) und Handlungscharakter hat (vgl. PG I § 140, S. 193) (vgl. Hintikka/ Hintikka 1990 [1986]: 32f. sowie Glock 1996: 67 und Krämer 2001: 110). 14 Die Abschnitte I 19f. der Philosophischen Grammatik enthalten Vorarbeiten zu den ersten fünf Bemerkungen der Philosophischen Untersuchungen. <?page no="152"?> 148 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs 4.2.4 Die prototypische Gegenposition: Die Sprachauffassung des Tractatus Die Kritik des späten Wittgenstein an einer Kalkülauffassung der Regel ist zugleich auch eine an der Sprachauffassung des Tractatus, der ihm in vieler Hinsicht als Prototyp einer solchen Auffassung gilt. Im Rückbezug auf den Tractatus läßt sich auch am einfachsten zeigen, daß und wie die in den Philosophischen Untersuchungen kritisierten Punkte sich tatsächlich zu einem Gesamtbild fügen, das die Bezeichnung einer „Kalkülauffassung“ verdient. Dieser Zusammenhang ist in den Philosophischen Untersuchungen durchgängig vorausgesetzt. Das Augustinus-Zitat weist bereits in mehrfacher Hinsicht auf den Tractatus als auf so eine Kalkülauffassung der Regel zurück: Wörter werden dort „als äußerliche Zeichen“ aufgefaßt, die Dinge benennen, und „[d]er Umgang mit diesen Zeichen wird als Kalkül begriffen.“ (Stetter 1997: 545f.) 15 Es ist, mit anderen Worten, der Versuch des Tractatus, das Extensionalitätsprinzip bis hin zur Ebene der Namen konsequent durchzuführen, die seine Sprachauffassung als Kalkülauffassung kennzeichnen: Der frühe Wittgenstein geht von einer wahrheitsfunktionalen Auffassung des Satzes aus (TLP 5); wissenschaftliche Darstellungen werden aufgefaßt als eine Hierarchie wahrheitsfunktional von einander abhängiger Sätze. In der untersten Ebene der Hierarchie stehen nicht weiter analysierbare und nicht von anderen ableitbare Sätze, die „Elementarsätze“, die „Sachverhalte“ abbilden (vgl. TLP 4.21 und 5.134). 16 Diese sind als Konfigurationen einfacher Gegenstände vorgestellt (vgl. TLP 2.0272 und 2.02), Elementarsätze als „Verkettung“ von Namen, die diese bezeichnen (vgl. TLP 4.22). Darin sind zwei Grundpositionen des Tractatus ausgesprochen: Erstens die Annahme einfacher Gegenstände und von einander unabhängiger Sachverhalte, die in der Literatur nach einer Bezeichnung Russells als „logischer Atomismus“ geführt wird (vgl. Kenny 1973: 72f.); und zweitens die Abbildtheorie des Satzes. Die Abbildtheorie des Satzes besagt, daß der sinnvolle Satz „ein Bild der Wirklichkeit“ (TLP 4.01) ist und daß die Darstellung eines Sachverhaltes durch einen Satz auf der Übereinstimmung in ihrer logischen Form 17 beruht. Die „entscheidende Grundidee“ des Tractatus ist dieser Gedanke der Struktur- 15 Der Kommentar bezieht sich auf die Philosophische Grammatik, gilt aber ebenso für die Philosophischen Untersuchungen. 16 In Übereinstimmung mit Black (1971 [1964]: 45) werden hier „Sachverhalt“ und „Sachlage“ als Synonyme behandelt. 17 Diese Form scheint für den frühen Wittgenstein jeder Darstellung der Wirklichkeit zugrunde zu liegen (vgl. Kenny 1973: 54), wenn er davon spricht, daß jedes Bild „auch ein logisches“ sei (TLP 2.182) oder daß die „intern[e] Beziehung“ zwischen Notenschrift und Schallwellen der zwischen Sprache und Welt gleicht (TLP 4.014). <?page no="153"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 149 identität „zweier Gegenstandskonfigurationen“, die materielle Notierungen zu Zeichen für etwas macht (Majetschak 1996: 368). Mit der Abbildtheorie des Satzes führt Wittgenstein die grundlegende Unterscheidung zwischen Sagen und Zeigen ein: Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie darstellen zu können - die logische Form. (TLP 4.12) Was sich zeigt, kann per definitionem nicht gesagt werden (vgl. TLP 4.1212). Sätze als Bilder der Wirklichkeit zeigen, erstens, ihren Sinn: Der Satz zeigt seinen Sinn. Der Satz zeigt, was der Fall ist, wenn er wahr ist. Und er sagt, daß es sich so verhält. (TLP 4.022) Und sie zeigen, zweitens, ihre logische Form, sagen sie nicht aus (vgl. TLP 4.121). 18 Im Gegensatz dazu sind die Sätze der Logik selbst Tautologien (vgl. TLP 6.1264); sie sind keine Bilder von möglichen Sachverhalten, vielmehr zeigen sie, „daß sie nichts sagen.“ (TLP 4.461) Das Bild, das hier von der Sprache entworfen wird, beinhaltet zum einen, daß es eine allgemeine Satzform gibt - die Formulierung der „allgemeine[n] Form des Satzes“ lautet bekanntermaßen: „Es verhält sich so und so.“ (TLP 4.5) Damit ist der Aussagesatz die Grundform des Sprechens. Zum anderen sind Namen und Operatoren die sprachlichen Grundelemente. Damit ist nicht schlicht gesagt, die Sprache insgesamt sei eine Nomenklatur. Der Tractatus vertritt das Frege-Prinzip, nach dem ein Wort nur im Satzzusammenhang Bedeutung hat; allerdings haben im Tractatus nur Namen Bedeutung und nur Sätze einen Sinn (vgl. TLP 3.3). D.h. Referenz kommt nur über die logische Form zustande, diese selbst referiert aber nicht auf etwas, denn die Konstellation der Gegenstände zu einander ist nichts außerhalb dieser Gegenstände (Black 1971 [1964]: 118ff.). 19 Dieser konsequente Extensionalismus, der (im Gegensatz zur Auffassung Goodmans rein denotational ist) erzeugt das Problem der Grenze des Sagbaren. Dies betrifft zum einen den Status der Logik: Die Logik ist keine Metasprache - ihre Darstellung verursacht eher eine Art Zusammenbruch 18 Wittgenstein paraphrasiert hier: „Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.“ (TLP 4.121), denn nicht jeder Satz zeigt seine logische Form im emphatischen Sinne von „zeigen“; die sprachliche Form eines Satzes kann - wie im folgenden erläutert - die logische verdecken. 19 Diese extensionalistische Auffassung des Sinnbegriffs ist nicht unumstritten; insbesondere G.E.M. Anscombe hat „Sinn“ im Tractatus als Intension gedeutet (vgl. Anscombe 1959: 17 und die Übersicht über das Problem in Mayer 2000). <?page no="154"?> 150 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs der Darstellungsbeziehung (vgl. TLP 4.462). Zum anderen ist damit eine bestimmte Auffassung des Apriori gegeben: Synthetische Urteile a priori sind schlicht unmöglich - „sinnvolle“ Sätze können per definitionem als Bilder der Welt nicht a priori sein. Aussagen, die a priori sind, sind analytisch - allerdings eben bestimmt als eine Art Grenzfall des Sagbaren überhaupt. Die genaue Interpretation dieses zentralen Gedankens - es gebe eine Grenze des Sagbaren, die durch den Abbildcharakter von Sätzen gezogen wird - ist in der Literatur höchst umstritten, denn damit berührt man das Verhältnis von Philosophie, Wissenschaft und Mystik (vgl. TLP 6.522) und den paradoxen Status des Tractatus selbst (vgl. TLP 6.54). Für den Kontext des vorliegenden Kapitels, in dem es um die Charakterisierung einer Kalkülauffassung der Sprache geht, kommt es hier aber nur darauf an, daß der Extensionalismus des Tractatus um den Preis dieser Grenzziehung erkauft ist. Neben diesen Elementen gehört zur Sprachauffassung des Tractatus schließlich der Gedanke, daß als Darstellungsideal eine Sprache gilt, in der die Abbildungsverhältnisse transparent wären. Der frühe Wittgenstein übernimmt von Frege den Gedanken, die natürlichen Sprachen seien aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit als Darstellungssprachen für wissenschaftliche Zusammenhänge ungeeignet und durch eine Zeichensprache zu ersetzen, „die der logischen Grammatik - der logischen Syntax - gehorcht“ (TLP 3.324), der man die logischen Verhältnisse also „unmittelbar entnehmen“ könnte. 20 Die „Sprachkritik“ (TLP 4.0031) des Tractatus richtet sich in diesem Sinne also gegen Mißverständnisse hinsichtlich der „Sprachlogik“ (TLP 4.003), die durch das Abweichen der umgangssprachlichen von der logischen Darstellungsform entstehen: Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, daß man nach der äußeren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; wie die äußere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen. (TLP 4.002) Die Metapher der „Verkleidung“ bringt darüber hinaus zum Ausdruck, daß die umgangssprachliche Darstellung nicht schlicht verfehlt ist oder sein kann. Die Abbildtheorie des Tractatus bringt es mit sich, daß jeder Satz, insofern er überhaupt etwas darstellt, die logische Form aufweisen muß, gleichgültig, ob sie verborgen oder offensichtlich ist. Somit sind auch für den Tractatus „Alle Sätze unserer Umgangssprache […] tatsächlich, so wie sie sind, logisch vollkommen geordnet.“ (TLP 5.556) 20 Die Vorstellung, daß die Kalkülisierung der Logik, wie sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzogen hatte, die Entwicklung einer Idealsprache für die Wissenschaften in greifbare Nähe rückt, ist der Ausgangspunkt für Freges Entwurf einer Begriffsschrift (vgl. Frege 1988 [1879]: XIIf.). <?page no="155"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 151 Die Nomenklaturauffassung der Sprache (im oben erläuterten, eingeschränkten Sinn), die Abbildtheorie des Satzes, der logische Atomismus, die Annahme einer allgemeinen Satzform, der Status der logischen Sätze als Tautologien, der Gedanke einer Grenze der Sprache und die Vorstellung von der Logik als Darstellungsideal fügen sich zu einem Bild zusammen, das eine mögliche Variante des Typus „Kalkülauffassung der Regel“ bildet. Die Philosophischen Untersuchungen greifen alle diese Punkte direkt oder indirekt in ihrer Kritik auf. Folgt man dem Fortgang des Textes, ist der zweite Schritt in der Kritik dieser Auffassung - nach der Anwendung der „Methode des § 2“ - die Analyse der hinweisenden Erklärung. 4.2.5 Die Kritik der hinweisenden Erklärung Neben der Analyse der Sprache (2) ist die Kritik der hinweisenden Erklärung ein weiteres Hauptargument Wittgensteins gegen eine Kalkülauffassung der Regel. Diese Kritik hebt nicht auf die Offenlegung eines Kontrastes zwischen natürlichen Sprachen und Kalkülen ab, sondern auf die symboltheoretischen Voraussetzungen einer Nomenklaturauffassung der Sprache. Die Argumentationsstruktur von Wittgensteins Kritik ist bekanntlich die folgende: Hinweisendes Erklären, wie Augustinus es zum Grundmechanismus des Spracherwerbs macht, setzt einen Kontext, das Wissen um die „Rolle“, die „das Wort in der Sprache überhaupt spielen soll“ (PhU § 30) zwingend voraus: „Nach der Benennung fragt nur der sinnvoll, der schon etwas mit ihr anzufangen weiß.“ (PhU § 31) Damit kann die Erklärung durch Ostension die ihr im augustinischen Sprachbild zugedachte Rolle, Symbolgebrauch allererst zu fundieren, nicht erfüllen, da sie eben einen vorhergehenden Symbolgebrauch erfordert. Dieses Argument beruht auf den symboltheoretischen Eigenschaften der Exemplifikation. Es läßt sich in Goodmans Terminologie folgendermaßen formulieren: Von den unendlich vielen Etiketten, unter die ein Gegenstand fällt, exemplifiziert er nur diejenigen, die vom Kontext selektiert werden. 21 Die augustinische Sprachauffassung dagegen unterscheidet nicht zwischen Exemplifikation und Instantiierung. Um dieses Argument im Detail zu rekonstruieren, ist es notwendig, einige der Elemente zu entfalten, die Wittgenstein darin verdichtet hat: die Unterscheidung zwischen Benennen und hinweisendem Erklären, das Problem der einfachen Gegenstände und den Zusammenhang mit dem Privatsprachenargument. Wittgensteins Augustinus zeichnet Benennen als das aus, was der Sprache ihren Weltbezug allererst gibt. Dagegen führen die Philosophischen Untersuchungen das Benennen als eine sprachliche Handlung unter anderen ein (PhU 21 Zur Kontextabhängigkeit der Exemplifikation vgl. 2.2.2. <?page no="156"?> 152 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs § 27). 22 Benennen ist ein Denotieren: „das Benennen ist etwas Ähnliches, wie, einem Ding ein Namentäfelchen anheften.“ (PhU § 26, ebenso: § 15) 23 Es kann selbst wiederum Teil eines komplexeren Sprachspiels sein (z.B. des Sprachspiels Nach-dem-Namen-Fragen): Dies [das Benennen, E.B.] und sein Korrelat, die hinweisende Erklärung, ist, wie wir sagen könnten, ein eigenes Sprachspiel. Das heißt eigentlich: wir werden erzogen, abgerichtet dazu, zu fragen: „Wie heißt das? “ - worauf dann das Benennen erfolgt. (PhU § 27) 24 Das „Korrelat“ dieses Sprachspiels (Nach-dem-Namen-Fragen) wäre die Frage nach dem Gegenstand, der von einem bestimmten Namen denotiert wird (wie etwa in den Sprachspielen der Bemerkung 72, in denen nach Beispielen für die Farben Blau und Ocker gefragt ist), also die hinweisende Erklärung des Namens. Das hinweisende Erklären erfordert ein Wissen um den relevanten Aspekt (der z.B. in der Frage explizit sein kann: „Was ist Reseda für eine Farbe? “) und ein Verweisen auf das Muster - und eine solche Erklärung ist „vollkommen exakt“ (PhU § 28). Auch Goodman versteht das hinweisende Erklären in diesem Sinn als ein komplexes Sprachspiel, das Exemplifizieren mit enthält: Ostension, like exemplification, has to do with samples; but whereas ostension is the act of pointing to a sample, exemplification is the relation between a sample and what it refers to. (LA 53/ 60 FN 5) Sowohl das Sprachspiel des Benennens als auch das Sprachspiel des hinweisenden Erklärens sind in diesem Sinn selbst bereits bestimmte Weisen des Symbolgebrauchs und setzen als solche einen Kontext voraus. Sie können die Funktion einer absoluten Fundierung für Symbolgebrauch also nicht erfüllen. Mit anderen Worten: Sie haben ihren Ort im alltäglichen Gebrauch, 25 nicht 22 Eine vollständige Liste der Stellen, an denen die Philosophischen Untersuchungen das Benennen behandeln, findet sich bei von Savigny (1994: 45). 23 Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 38f.) halten die Beschreibung des Benennens für eher irreführend, da sie ihrer Auffassung nach davon ablenkt, daß es der Gebrauch ist, der sowohl Namen als auch Gattungsbezeichnungen ihre Bedeutung gibt. Im Kontext der §§ 15 und 26 ist aber ohnehin deutlich, daß es darum geht, Benennen als einen bestimmten Gebrauch unter anderen darzustellen. 24 Vgl. ebenso § 7. Von Savigny (1994: 41f.) zählt das Vor- und Nachsprechen eines Wortes ebenfalls zum Benennen, obwohl Wittgenstein diese als „sprachähnliche Vorgänge“ (PhU § 7) bezeichnet. Da hier sicher keine scharfe Grenze zu ziehen ist, ist das so lange unschädlich, wie klar bleibt, daß alle Fälle des Benennens in symboltheoretischer Hinsicht gleichermaßen denotational sind. 25 Die Rede von einer „Kritik der hinweisenden Erklärung“ ist insofern also verkürzend; im vorliegenden Abschnitt ist sie als Bezeichnung für den gesamten Problemzusammenhang gemeint. <?page no="157"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 153 aber eine außerordentliche, diesem enthobene Funktion - die zitierte Passage des § 27 führt sie von einer „metaphysischen“ auf eine „alltägliche“ (vgl. PhU § 116) Verwendungsweise zurück. Das zweite Argument gegen die augustinische Sprachauffassung ist also letztlich ein symboltheoretisches: „die hinweisende Definition kann in jedem Fall so und anders gedeutet werden“ (PhU § 28) - so sie nicht als Symbolgebrauch durch den Gebrauchskontext festgelegt ist. Entsprechendes gilt auch für die Geste des Zeigens selbst (vgl. PhU § 185): Es muß eine „sozial festgelegt[e] Rolle der Zeigebewegung“ geben (von Savigny 1994: 75). Dieses Argument hängt in den Philosophischen Untersuchungen darüber hinaus sachlich mit zwei weiteren Strategien der Fundierung von Symbolgebrauch zusammen: der Annahme, es gebe vorsprachliches Denken, und der Annahme, es gebe einfache Gegenstände. Der bisherigen Beschreibung des augustinischen Sprachbildes ist ein weiteres wesentliches Moment hinzuzufügen: Es beinhaltet auch eine bestimmte Auffassung von geistigen Vorgängen, wie die Bemerkung 32 notiert, die den direkten Kommentar der Augustinusstelle abschließt: Und nun können wir, glaube ich, sagen: Augustinus beschreibe das Lernen der menschlichen Sprache so, als käme das Kind in ein fremdes Land und verstehe die Sprache des Landes nicht; das heißt: so als habe es bereits eine Sprache, nur nicht diese. Oder auch: als könnte das Kind schon denken, nur noch nicht sprechen. Und „denken“ hieße hier etwas, wie: zu sich selber reden. (PhU § 32) Diese Vorstellung einer privaten Sprache des Denkens wird hier nur allgemein als unwahrscheinlich präsentiert - ihre Unhaltbarkeit belegt definitiv erst das Privatsprachenargument. Der Gedankengang hängt aber sachlich zwingend mit der in § 1 kritisierten Bedeutungstheorie zusammen (vgl. von Savigny 1994: 34), 26 und es ist die Kritik der hinweisenden Erklärung, die diesen Zusammenhang herstellt: Die Vorstellung, daß eine Hinweisgeste für sich genommen Bedeutung herstellen kann, ohne in einen entsprechenden Kontext bereits eingebettet zu sein, setzt voraus, daß etwas wie „Gedanken“ oder Wahrnehmungsmuster - etwa im Sinne von Quines „natürlichen Arten“ - vor jedem Symbolgebrauch gegeben sind. Die hinweisende Erklärung leistete dann die Zuordnung von Gedanke und Gegenstand. Nur unter diesen Voraussetzungen wäre die Möglichkeit einer alternativen Interpretation der Ostension ausgeschlossen, wie es notwendig wäre, damit diese die ihr zugedachte fundierende Funktion für Symbolgebrauch haben kann. 26 Man kann aber nicht sagen, der Gedankengang des § 32 sei das alleinige „Argumentationsziel“ (von Savigny 1994: 74) des Anfangsteils; vielmehr geht die Komposition der ersten Paragraphen auf den Zusammenhang einer Reihe von vertrauten Vorstellungen aus, die es auszuhebeln gilt. <?page no="158"?> 154 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Daß die Möglichkeit einer alternativen Interpretation der hinweisenden Erklärung aus prinzipiellen Gründen immer gegeben ist, weist also zum einen voraus auf das Privatsprachenargument. Zum anderen verweist sie auf die Frage der einfachen Gegenstände. Die traditionelle Vorstellung „daß der Name eigentlich Einfaches bezeichnen soll“ (PhU § 39) - Wittgenstein schreibt sie Platon, Russell und dem Tractatus zu (PhU § 46) - ist die zweite Variante ontologischer Verankerung, die sich mit der augustinischen Sprachauffassung verbindet. 27 Die Vorstellung, die Individuierung von Gegenständen sei etwas Vorgefundenes, demontiert Wittgenstein, indem er, entsprechend der „Methode des § 2“, ein Sprachspiel konstruiert, in dem diese Vorstellung verwirklicht scheint. Der § 48 entwirft eine Notation für die Verteilung farbiger Quadrate auf vorgegebene, numerierte Positionen, die aus einer Folge von Buchstaben besteht; „RRSGGGRWW“ legt fest, daß die beiden ersten Quadrate rot sind, das folgende schwarz, etc. (vgl. PhU § 48). Das Sprachspiel ist so konstruiert, daß es natürlich erscheint, die Farbquadrate als einfache Elemente aufzufassen. Wittgenstein macht aber deutlich, daß auch in einem Fall, der intuitiv so eindeutig ist, diese Einfachheit dem Kontext der vorhergehenden Festlegungen geschuldet ist: Ich wüßte nicht, was ich in diesem Sprachspiel natürlicher das „Einfache“ nennen sollte. Unter anderen Umständen aber würde ich ein einfarbiges Quadrat „zusammengesetzt“ nennen, etwa aus zwei Rechtecken […]. (PhU § 48) Daß etwas als einfach, d.h. als Einheit gilt, ist relativ zum Sprachspiel, in dem es vorkommt - keineswegs ein absoluter Wert: „Ein Etwas wird erst dadurch Gegenstand, daß es benannt und dadurch für unser Denken und Handeln verfügbar wird.“ (Stetter 1997: 595) Daß das Benennen Teil eines Gebrauchszusammenhangs ist, hat also radikale Konsequenzen für die Ontologie und Wahrnehmungstheorie der Philosophischen Untersuchungen. Diese Konsequenzen, die Wittgensteins Kritik der „einfachen Gegenstände“ impliziert, lassen sich als Konstruktivismus im Sinne Goodmans verstehen: die Individuierung von Gegenständen ist relativ zum Symbolgebrauch. Wittgensteins Kritik der hinweisenden Erklärung, die auf der Selektivität der Exemplifikation beruht, mündet so in weitreichende Problemstellungen, die über eine „Gebrauchstheorie der Bedeutung“ im engeren Sinn hinausgehen. 27 Es ist naheliegend, die beiden Auffassungen als komplementär zu betrachten, das sind sie aber nicht zwangsläufig. Quine würde die zweite nicht vertreten, der Tractatus die erste nicht in einem subjektphilosophischen oder psychologischen Sinn. <?page no="159"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 155 4.2.6 Die Sprachspielmetapher: Ein neues Paradigma für den Regelbegriff Den Schlußstein 28 von Wittgensteins Kritik der Kalkülauffassung bildet das alternative Paradigma für den Regelbegriff, das in den Philosophischen Untersuchungen vorgelegt wird: Statt der Rechenregel wird die Spielregel zum Paradigma für Regeln (vgl. z.B. Glock 1996: 67). Eine erste Definition von „Sprachspiel“ gibt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen mit Bezug auf die Sprache (2): Ich will diese Spiele „Sprachspiele“ nennen, und von einer primitiven Sprache manchmal als einem Sprachspiel reden. […] Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das „Sprachspiel“ nennen. (PhU § 7) Damit sind zwei wesentliche Gebrauchsweisen des Sprachspielbegriffs benannt: 29 Sprachspiele wie die Sprachen (2) und (8) oder das Szenario des Kaufmanns in PhU § 1 können als vollständige „primitive“ Sprachen aufgefaßt und als fiktive „Vergleichsobjekte“ (PhU § 130f.) so im Kontrast unseren tatsächlichen Sprachgebrauch erhellen; als Metapher für die Gesamtheit der Sprache hebt der Ausdruck „Sprachspiel“ hervor, „daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ (PhU § 23) Darüber hinaus nennt Wittgenstein aber ebenso Teilbereiche unseres Sprachgebrauchs (reale oder zumindest realistische Gebrauchsbeispiele) „Sprachspiele“ (z.B. PhU §§ 33 oder 72); diese können schon allein aufgrund der Tatsache, daß sie Gebrauchsbeispiele einer natürlichen Sprache darstellen, im Gegensatz zu Sprachspielen wie der Sprache (2) als „komplexe“ Sprachspiele gelten. 30 In den unterschiedlichen Kontexten heben Sprachspiele aber immer eine bestimmte Eigenschaft von Symbolgebrauch hervor: Sprachspiele sind Handlungsvollzüge und zeigen den Handlungscharakter von Symbolgebrauch. Darauf verweist der Gebrauch des Sprachspielbegriffs sowohl dort, wo ein- 28 Systematisch gesehen, nicht hinsichtlich der Reihenfolge im Text. 29 Die folgende Aufzählung ist angelehnt an Glock (1996: 194ff.). 30 Diese Unterschiede sind nicht systematisch ausgebaut, denn die Übergänge zwischen komplexen und primitiven sowie fiktiven und realen Sprachspielen sind fließend. Für primitive und komplexe Sprachspiele hatte Wittgenstein das in der Philosophischen Grammatik bereits explizit festgestellt, mit der Begründung, daß die Termini, in denen wir solche Sprachspiele beschreiben, selbst nicht klar abgegrenzt sind (so ist z.B. nicht klar, ob wir beim Erwerb einer Sprache wie der Sprache (2) noch sinnvoll von „hinweisendem Erklären“ sprechen können, oder ob wir damit fälschlicherweise eine Nähe zu unseren eigenen sprachlichen Gepflogenheiten suggerieren (vgl. PG I § 26, S. 62)). Was die Unterscheidung zwischen fiktiven und realen Sprachspielen angeht, so kann sie in manchen Fällen nur klar gezogen werden, indem man das Kriterium der Vollständigkeit ins Spiel bringt: wo z.B. ein primitives Sprachspiel als vollständige Sprache aufgefaßt wird, handelt es sich offensichtlich um einen fiktiven Gebrauch. <?page no="160"?> 156 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs zelne „Sprachspiele“ als Beispiele für Symbolgebrauch fungieren, die - wie in der „Methode des § 2“ - in ihrer Begrenztheit Übersichtlichkeit herstellen, als auch dort, wo die Verankerung von Symbolgebrauch im Kontext anderer Lebensvollzüge im Mittelpunkt steht. Der späte Wittgenstein bindet die Erzeugung von Bedeutung an solche (sprachlichen) Handlungsvollzüge zurück. Das ist der Sinn des bekannten Diktums „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ (PhU § 43) Es stellt die Gegenposition zur Nomenklaturauffassung der Sprache dar, die mit Hilfe der „Methode des § 2“ demontiert wird, und stellt in einem den Handlungscharakter und die Kontextabhängigkeit von Symbolgebrauch fest. Die Interpretation des § 43 ist nicht unumstritten, insbesondere die Einschränkung, dies gelte lediglich „für eine große Klasse von Fällen“ (PhU § 43): Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes „Bedeutung“ - wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch, daß man auf seinen Träger zeigt. (PhU § 43) Von Savigny hat daraus, daß es hier um die Bedeutung von „Bedeutung“ geht, den Schluß gezogen, daß die Bemerkung 43 „keinesfalls eine allgemeine Wortbedeutungstheorie mit präzisierend vorangestellter Einschränkung“ (von Savigny 1994: 88) sei, 31 und spielt die Bedeutung des Diktums insgesamt herunter - es stelle lediglich das richtige Verständnis des Satzes im zweiten Absatz sicher. Das ist insofern richtig, als sich die Einschränkung offensichtlich auf die Verwendung des Wortes „Bedeutung“ bezieht, für das man sich auch andere (z.B. definitorisch genau geregelte (vgl. Stetter 1997: 562)) Gebrauchsweisen vorstellen kann. Allerdings heißt das nicht, daß die Bemerkung keine allgemeine Aussage träfe: Für das Sprachspiel des Aufstellens semantischer Regeln gilt dasselbe wie für andere Sprachspiele, nämlich, daß das „Wesen […] in der Grammatik ausgesprochen [ist].“ (PhU § 371) Daß die Bedeutung eines Wortes sein „Gebrauch in der Sprache“ ist, besagt in diesem Sinn, daß nur an diesem abzulesen ist, welchen Begriff wir uns von etwas machen - ein Gedanke, der in der Folge zur methodischen Grundlage der Ordinary Language Philosophy geworden ist. Die hinweisende Erklärung ist keine Ausnahme, sondern ein Fall von „Gebrauch“. Als Komplement kann dem § 43 in diesem Sinne die ebenso lakonische Feststellung beigegeben werden, Bedeutung sei das, „was die Erklärung der Bedeutung erklärt“ (PhU § 560) - der Gedanke also, daß die retrospektive 31 Tatsächlich schreibt von Savigny Wittgenstein eine solche Position zu (vgl. von Savigny 1999: 120), er sieht sie nur nicht im § 43 ausgedrückt. <?page no="161"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 157 Darstellung der Bedeutung eines Ausdrucks der einzige Zugang zu einer expliziten Bestimmung der Bedeutung ist. Diese Darstellung aber ist wieder ein eigenes Sprachspiel, also selbst eine Praxis (vgl. 1.1.2). Damit geht einher, daß die zu beschreibenden Regeln Gebrauchsregeln sind - Wittgenstein nennt sie Regeln der „Tiefengrammatik“ (PhU § 664), um sie von schulgrammatischen Beschreibungen von Sprachregeln, der „Oberflächengrammatik“ (PhU § 664) zu unterscheiden. Diese Gebrauchsregeln unterscheiden sich - auch das besagt der Ausdruck „Sprachspiel“ - in charakteristischer Weise von den Regeln eines Kalküls und gleichen in charakteristischer Weise den Regeln von Spielen: Weder läßt sich eine allgemeine Satzform mit einheitlicher Funktion ausmachen, an der ein einheitlicher Regeltypus festzumachen wäre, noch sind Regeln des Symbolgebrauchs hinsichtlich ihrer symboltheoretischen Eigenschaften einheitlich. Wittgenstein argumentiert hier ausführlich dafür, auch Vollzüge als geregelt anzuerkennen, für die es nur vage Regeln geben kann, da genau dies für die Regeln des Sprachgebrauchs gelten soll. Der Begriff des Spiels dient in diesen Zusammenhängen als Vergleichsobjekt, an dem sich das aufweisen läßt. Die Beschreibungen der Philosophischen Untersuchungen lehnen den Gedanken einer allgemeinen Satzform ab, und verweisen auf die irreduzible Vielfalt sprachlicher Handlungen (vgl. PhU § 23). Wittgenstein bemerkt bekanntlich zur Vorstellung einer allgemeinen Satzform, die allen Äußerungen zugrunde läge, mit mildem Spott: Wir könnten sehr gut auch jede Behauptung in der Form einer Frage mit nachgesetzter Bejahung schreiben; etwa: „Regnet es? Ja! “ Würde das zeigen, daß in jeder Behauptung eine Frage steckt? (PhU § 22) Die Bemerkung richtet sich im besonderen gegen Frege sowie gegen den Tractatus. Dieses Problem, das Wittgenstein „seinerzeit das meiste Kopfzerbrechen gemacht“ hatte (PhU § 65), ist für ein System wie den Tractatus deswegen so virulent, weil dort eine Einheit von Form und Funktion - von allgemeiner Satzform und Abbildfunktion - vorgesehen ist. Die Dimension der Performanz besitzt in dieser Perspektive keinerlei Autonomie. Dagegen ist für die Philosophischen Untersuchungen die Funktion nicht schlicht aus der Form ableitbar, im Gegenteil: Die Ähnlichkeit sprachlicher Formen suggeriert fälschlicherweise eine Ähnlichkeit der Funktion, so wie Handgriffe unterschiedlichster Funktion uns ähnlich erscheinen können, weil sie alle für die menschliche Hand gedacht sind (vgl. PhU § 12). Die vermeintliche Grundform, der Aussagesatz, wird selbst erst mit Hilfe eigens für diesen Zweck ersonnener Sprachspiele identifiziert (etwa indem man sich fragt, ob man einer Äußerung ein „‚ist wahr‘“ anfügen kann (PhU § 137, vgl. a. § 135)). Sprachspiel-Regeln sind nicht einheitlich und sind auch nicht auseinander deduzierbar; sie sind Elemente eines Weltbildes. <?page no="162"?> 158 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Mit der Vorstellung einer verborgenen einheitlichen Struktur als Kern sprachlicher Darstellung fällt schließlich auch der Gedanke, die Darstellungsweise des Logikkalküls sei in ihrer „Kristallreinheit“ (PhU § 107) ein Formideal der Sprache, dem gegenüber der alltagssprachliche Gebrauch defizitär wäre. Die Rede, daß die Umgangssprache „in Ordnung“ (PhU § 98) sei, erhält in der Spätphilosophie also einen radikal anderen Sinn: Nicht ihr verborgener logischer Kern rettet sie, sondern ihre gewöhnliche, präzise oder unpräzise Funktionsweise ist völlig ausreichend. Symbolgebrauch ist so geregelt wie Spiele geregelt sind - auf völlig unterschiedliche Weise: So schließen Beispiele für Regelfolgen in den Philosophischen Untersuchungen ebenso das Fortsetzen von Zahlenreihen mit ein (vgl. z.B. PhU § 143) wie das Ballspiel, das man erfindet und abändert, während man es spielt (vgl. PhU § 83); auf der einen Seite die eindeutig geregelte, eingespielte symbolische Praxis, auf der anderen Seite das „‚make up the rules as we go along‘“ (PhU § 83). Wittgenstein spielt eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen diesen Fällen durch - wobei es argumentativ immer darauf ankommt, Fälle des zweiten Typs als nicht defizitär zu erweisen und einen Regelbegriff zu entwickeln, der sie mit einschließt. Die Aspekte, auf die es dabei ankommt, lassen sich in einer Lektüre der Bemerkungen 82ff. entwickeln. Sie betreffen die Frage nach der Explizierbarkeit der Regeln (also das Verhältnis von Regel und Regelformulierung), die Frage nach der Vagheit bzw. Exaktheit von Regeln (also die symboltheoretischen Eigenschaften von Regeln) und die Frage nach der Vollständigkeit der Regelung (also das Verhältnis von Regel und Anwendung). Bemerkung 82 fragt zunächst danach, inwieweit die Regeln des Symbolgebrauchs explizit oder zumindest explizierbar sein müssen: Was nenne ich ‚die Regel, nach der er vorgeht‘? - Die Hypothese, die seinen Gebrauch der Worte, den wir beobachten, zufriedenstellend beschreibt; oder die Regel, die er beim Gebrauch der Zeichen nachschlägt; oder, die er uns zur Antwort gibt, wenn wir ihn nach seiner Regel fragen? - Wie aber, wenn die Beobachtung keine Regel klar erkennen läßt und die Frage keine zu Tage fördert? - Denn er gab mir auf meine Frage, was er unter „N“ verstehe, eine Erklärung, war aber bereit, diese Erklärung zu widerrufen und abzuändern. […] Was soll der Ausdruck „Regel, nach welcher er vorgeht“ hier noch besagen? (PhU § 82) Die Frage nach der Explizitheit und Explizierbarkeit der Regeln ist in der Literatur umstritten, insbesondere nehmen die beiden Standardkommentare zu den Philosophischen Untersuchungen, von Savigny (1994) und Baker/ Hacker (1992 [1985]), gegensätzliche Positionen ein. 32 Von Savigny (1994: 140f.) sieht in den drei möglichen Antworten auf die Ausgangsfrage die Inszenierung 32 Eine Übersicht über die Debatte gibt Berndzen (1998). <?page no="163"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 159 des Gegensatzes zwischen bloßer Regelmäßigkeit (erste Antwort) und einem Handeln nach explizit formulierten Regeln (zweite und dritte Antwort); diese Alternative stelle eine Aporie dar, die - das wäre dann der Sinn der Frage am Schluß - eine Neubestimmung des Regelbegriffs erforderlich macht. Für Wittgenstein sei Regelfolgen ein Können, das keine expliziten Instruktionen voraussetzt, „ablesbar an Praxis und zugehörigem Korrekturverhalten“ (von Savigny 1994: 140). Baker und Hacker (1992 [1985]: 155f.) argumentieren dafür, daß Regelfolgen in einem strengen Sinn nur dann vorliegt, wenn der Handelnde seine Handlung auch durch Rekurs auf eine Regel rechtfertigen, diese also als Grund für seine Handlung anführen kann. Die letzte Antwort („die Regel […], die er uns zur Antwort gibt, wenn wir ihn nach seiner Regel fragen“) wäre somit die richtige, wobei Baker/ Hacker (1992 [1985]: 156) dabei durchaus auch Abstufungen zulassen, etwa zwischen den Regelformulierungen, die von Laien, und solchen, die von Spezialisten für eine Tätigkeit erwartet werden können. 33 Die Position von Baker und Hacker ist allerdings mit anderen Textstellen der Philosophischen Untersuchungen völlig unvereinbar und vergibt, wendet man sie auf die Bemerkung 82 an, deren Pointe. Wittgensteins Formulierung in der Bemerkung 78 - man könne etwas wissen, ohne es sagen zu können - macht bereits deutlich, daß nicht jedes Können ohne weiteres durch ein explizites Wissen eingeholt werden kann. 34 Die Bemerkung 78 ist eine Erläuterung der Überlegungen zur Abgegrenztheit von Begriffen (zur Frage, ob man über den Begriff des Spiels verfügen kann, ohne ihn erklären zu können (PhU § 75)), bezieht sich also auf die Frage des Regelfolgens im Symbolgebrauch. 33 Auch Baker und Hacker vertreten selbstverständlich nicht die Auffassung, man müsse, wenn man im Sinne Wittgensteins einer Regel folgt, diese während des Handelns konsultieren, also sein Handeln mit irgendwelchen inneren Vorgängen begleiten (vgl. Baker/ Hacker 1992 [1980]b: 93 und 1992 [1985]: 156). Bei der Auseinandersetzung geht es nur um die Frage, ob ein nachträgliches Formulieren der Regel jederzeit möglich sein muß, damit eine Handlung als geregelt gilt. 34 Wittgensteins Beispiel hierfür ist „wissen […] wie eine Klarinette klingt“ (PhU § 78). Von Savigny (1994: 133) verweist in diesem Kontext zu Recht auf Ryle (1990 [1949]), der diesen Unterschied als den zwischen „knowing how“ und „knowing that“ systematisch analysiert hat. Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 158ff.) halten die Unterscheidung zwischen den drei in § 78 aufgezählten Fällen für irreführend, da Wittgenstein die Vorstellung, es gebe unbeschreibbare Sinneseindrücke, ja gerade bekämpft. Diese Interpretation beruht aber auf einer Verwechslung: Bei den drei Fällen kommt es ja gerade darauf an, Fälle wie den ersten (wissen „wieviele m hoch der Mont Blanc ist“), in denen wir über ein eingeführtes, für praktische Zwecke digital verwendbares Meßsystem verfügen, von Fällen wie der Klarinette zu unterscheiden, wo das nicht der Fall ist - damit ist nicht gesagt, daß wir über keinerlei Ausdrucksmittel für diesen (oder den dazwischenliegenden Fall des Wortgebrauchs - wissen, „wie das Wort „Spiel“ gebraucht wird“ (PhU § 78)) verfügten. <?page no="164"?> 160 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Wittgenstein macht das „Antwortenkönnen“ (Schneider 2002: 130), die Fähigkeit, die Regel zu formulieren, gerade nicht zum Kriterium des Regelfolgens, und - das bestätigt soweit von Savignys Interpretation - verschiebt in der folgenden Bemerkung (PhU § 83) den Fokus der Fragestellung von der Frage der Regelformulierung zur Frage nach den Eigenschaften von Regeln: Gibt es Fälle, in denen der „Gebrauch der Worte“ bzw. „Zeichen“ (PhU § 82) meines Gegenübers als nicht regelgeleitet gelten soll, weil keine „klare“ Regelformulierung möglich ist? Die Bemerkung 83 fordert statt einer direkten Antwort dazu auf, den Fall in „Analogie“ mit einem Ballspiel zu betrachten, bei dem die Spieler die Regeln während des Spiels ständig neu erfinden oder abändern, und dazwischen den Ball planlos in die Höhe würfen, einander im Scherz mit dem Ball nachjagen und bewerfen etc. Und nun sagt Einer: Die ganze Zeit hindurch spielen die Leute ein Ballspiel, und richten sich daher bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln. (PhU § 83) Daß wir hier von einem Spiel sprechen würden ist unstrittig - ebenso aber, daß die Darstellung des „Einen“ unzutreffend ist, und zwar in dreifacher Hinsicht: Weder spielen die Leute notwendig ein Ballspiel, noch richten sie sich bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln. Offensichtlich ist keine dieser drei Bedingungen notwendig, damit wir etwas als Spiel bezeichnen; man kann zwischen unterschiedlichen Spielen wechseln (vgl. von Savigny 1994: 142), nicht von den Regeln abgedeckte Würfe einschieben und Regeln unbestimmt lassen - und dennoch ein Spiel spielen. Die Situation scheint nun zwei Möglichkeiten der Deutung offenzulassen: Entweder ist es so, daß unser Begriff von Spiel auch regelloses Verhalten mit abdeckt oder es muß umgekehrt der Begriff von Regel weiter sein als vorausgesetzt. In gewissem Sinne ist beides richtig. Zum einen ist es so, daß jede Anleitung durch eine Regel bestimmte Aspekte offenlassen muß, wie die folgende Bemerkung (§ 84) klarmacht. Sie geht der Vorstellung einer vollständigen Regelung von Sprachgebrauch nach und führt sie durch den Verweis auf das Regressproblem ad absurdum: Eine vollständige Regelung ließe sich nur erreichen, wenn jeweils die Anwendung der Regel wieder geregelt wäre. Kein Sprachgebrauch kann einem solchen Anspruch auf vollständige Regelung genügen (vgl. Baker/ Hacker 1992 [1980]a: 180f.), auch ein Spiel kann nicht in jeder Hinsicht geregelt sein; so ist nicht festgelegt „wie hoch man im Tennis den Ball werfen darf“ (PhU § 68), dabei handelt es sich doch zweifelsfrei um ein Spiel mit genau und explizit festgelegten Regeln. Das bedeutet aber auch, daß ein Spiel auch dann nicht als schlicht ungeregelt gelten muß, wenn ganze Bereiche jeweils ad libitum ausgefüllt werden können, und daß Spiele nicht gegeneinander „abgeschlossen“ sein müssen. <?page no="165"?> Regelfolgen als Spiel und Kalkül 161 Zum anderen können Regeln exakt oder vage sein, je nachdem, was das Spiel verlangt; unscharfe Regeln müssen nicht defizitär sein, sie können in vielen Zusammenhängen vollkommen ausreichen (PhU § 67f.). Ein unscharfer Begriff läßt sich keineswegs immer mit Gewinn durch einen scharfen ersetzen (vgl. PhU § 71), und eine Anweisung der Art: „Halte Dich ungefähr hier auf! “ (PhU § 71) kann - einen entsprechenden Kontext immer vorausgesetzt - völlig hinreichen. Begriffe der Umgangssprache umfassen eine große Anzahl von Fällen, die eine „Familienähnlichkeit“ aufweisen, nicht aber einen Kern gemeinsamer Merkmale (vgl. PhU § 67ff.). Beide Charakterisierungen von Begriffen - Unvollständigkeit der Bestimmung und Vagheit - entsprechen auch der symboltheoretischen Analyse: Die Vorstellung einer absolut vollständigen Bestimmung ist aus symboltheoretischer Sicht unsinnig, 35 und natürliche Sprachen sind nach Goodman semantisch dicht. Die Bemerkungen 82ff. stellen auf diese Weise eine Verbindung zwischen der Frage der Regelformulierung, der Frage der Vollständigkeit der Regelung und der Frage der Vagheit der Regeln her. Kommt man vor diesem Hintergrund noch einmal auf den § 82 zurück, bietet sich eine Interpretation an, die sich nicht nur von der Auffassung Bakers und Hackers, sondern auch von der von Savignys unterscheidet. Nach von Savigny wären die Bemerkungen 83ff. Erläuterungen zum Begriff der impliziten Regel, der als die richtige Alternative präsentiert werden soll. Das ist aber wenig einleuchtend: Daß Regeln im Verhältnis zu ihrer Anwendung unvollständig sind und daß Regeln mehr oder weniger exakt sein können, gilt allgemein, unabhängig von der Frage der Regelformulierung. Das bedeutet: Die Frage nach der Rolle der Regelformulierung wird durch die beiden anderen ersetzt, die Debatte um die Explizierbarkeit der Regeln erweist sich als bereits entschieden: Wittgenstein führt in § 82 keine falschen Alternativen auf die Frage an, wann etwas als geregelt gilt, um dann einen dritten Weg anzubieten. Vielmehr sind die drei möglichen Antworten auf die Ausgangsfrage (Regelmäßigkeit im Verhalten, Nachschlagen der Regel oder eine entsprechende Auskunft des Handelnden) alle sinnvoll, auch das Feststellen von Regelmäßigkeiten, das von Savigny sofort verworfen hatte. Darauf verweist nicht nur der Fortgang der Argumentation insgesamt, sondern auch die Formulierung der Problemstellung im § 82 selbst („Wie 35 Vgl. in Abschnitt 2.2.1 die Überlegungen zur Ähnlichkeit. Für alle praktischen Zwecke vollständig sind natürlich sämtliche digitalen Darstellungen - diese aber setzen gerade voraus, daß über die relevanten Aspekte kein Zweifel besteht. Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 184) weisen zu Recht darauf hin, daß die Unmöglichkeit einer vollständigen Erklärung einer der zentralen Gedanken der Philosophischen Untersuchungen ist; er spielt nicht nur eine Rolle in der Kritik der „augustinischen Sprachauffassung“, sondern auch im Kontext des Anwendungsparadoxons (vgl. 5.2.4). <?page no="166"?> 162 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs aber, wenn die Beobachtung keine Regel klar erkennen läßt und die Frage keine zu Tage fördert? “). Ziel der Überlegung kann es also nicht sein, zu belegen, daß es unformulierte Regeln gibt oder daß die Fähigkeit zur Regelformulierungen nicht das einzige Kriterium für Regelfolgen ist (obwohl beides Wittgensteins Position entspricht). Vielmehr geht es darum, auszuloten, welche Art von Antwort auf die Frage, wann etwas als geregelt gilt, überhaupt möglich ist. 36 Die Pointe der Analogie zum Ballspiel der Kinder besteht dann darin, daß die symboltheoretischen Eigenschaften von Regeln so sind, daß es verhandelbare Grenzfälle geben kann - ohne daß der Begriff der Regel deshalb seinen Sinn verliert. Analog zum Begriff des Spiels selbst gilt: Er ist nicht streng begrenzt, so daß es Anwendungsfälle geben wird, für die nicht eindeutig entscheidbar ist, ob sie als „geregelt“ gelten oder nicht (vgl. PhU § 67ff.). Diese drei Elemente, die das Paradigma des Sprachspiels einschließt - die Rehabilitierung der Umgangssprache durch die Ablehnung einer allgemeinen Satzform und das Zulassen unscharfer Regeln -, geben eine Vorstellung davon, wie radikal sich der Bezug auf den „Gebrauch in der Sprache“ vom Leitbild einer symbolischen „Maschine“ unterscheidet: Nur Symbolschemata, die digital sind, können in ein algorithmisches Verfahren übersetzt werden; die eindeutige Interpretation eines Kalküls erfordert darüber hinaus die Notationalität des Symbolsystems. Beides schließt eine Unschärfe in den Regeln offensichtlich aus. Ebenso notwendig ist die Annahme einer allgemeinen Satzform (und natürlich nicht irgendeiner, sondern der einer bestimmten Art von Aussagen), damit die Kalkülisierung wahrheitsfunktionaler Abhängigkeiten überhaupt einen Sinn hat (vgl. PhU § 136). Die Rehabilitierung der Umgangssprache untergräbt so das Fundament der Kalkülauffassung der Regel. Kalkülisierbare Vorgänge sind nicht mehr Grundlage eines Modells von Symbolgebrauch, sondern ein Grenzfall von Symbolgebrauch. Mit dem Sprachspielbegriff ist ein Paradigma für Regeln und regelgeleitetes Handeln gefunden, das es erlaubt, die mannigfaltigen Konsequenzen zu entfalten, die eine solche Abkehr von der Kalkülauffassung der Regel mit sich bringt. Die ersten 32 Bemerkungen der Philosophischen Untersuchungen führen diese Abkehr nicht vollständig durch, führen aber (mit der Rekonstruktion der augustinischen Sprachauffassung in der Sprache (2) und der Kritik der hinweisenden Erklärung) zwei entscheidende Argumente dafür an und geben eine Reihe von Hinweisen auf die im Text der Philosophischen Untersuchungen daran anschließenden Gedankengänge, wie sie im vorhergehenden z.T. 36 In diesem Sinn faßt auch Glock (1996: 70) § 82f. auf, ohne den Text an dieser Stelle im einzelnen zu analysieren. <?page no="167"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 163 entfaltet wurden. Den systematischen Abschluß dieses Argumentationszusammenhangs bildet dann das Privatsprachenargument (vgl. dazu Kap. 5). Wittgenstein verwendet für diese Abkehr von der Logik als Formideal der Darstellung die Metapher des „rauhen Bodens“ (PhU § 107), bzw. beschreibt für die Maschinenmetapher den Unterschied zwischen der reibungsfreien idealen „Maschine als Symbol ihrer Bewegungsweise“ und einer realen störungsanfälligen Maschine (PhU § 193). Die Rehabilitierung der Umgangssprache bedeutet, daß Symbolgebrauch immer auch als Umgang mit Zeichengestalten aufgefaßt werden muß. Dieser Zusammenhang läßt sich als eine Rehabilitierung des Beispiels lesen: Die Gleichsetzung der Bedeutung mit dem „Gebrauch in der Sprache“ besagt auch, daß diese nur im Umgang mit Einzelfällen, also mit Beispielen zu ermitteln ist. Im Sprachgebrauch der heutigen medientheoretischen Debatten kann man Wittgensteins Überlegungen zum Regelbegriff als eine Rehabilitierung der Dimensionen der Performanz einerseits und der Zeichengestalt andererseits bezeichnen. Diese beiden Aspekte benennt er im Kontext seiner Einwendungen gegen die Idee der „Kristallreinheit“ (PhU § 107) der Logik: Wir reden von dem räumlichen und zeitlichen Phänomen der Sprache; nicht von einem unräumlichen und unzeitlichen Unding. [Randbemerkung. Nur kann man sich in verschiedener Weise für ein Phänomen interessieren.] Aber wir reden von ihr so, wie von den Figuren des Schachspiels, indem wir Spielregeln für sie angeben, nicht ihre physikalischen Eigenschaften beschreiben. (PhU § 108) Die funktionale Perspektive, die eine Beschreibung des Gebrauchs einnimmt, ist immer eine Perspektive auf raum-zeitliche Zeichengestalten. Der erstere dieser beiden Aspekte wird durch die Metapher des Sprachspiels in den Vordergrund gerückt, deren Teilaspekte oben skizziert wurden. Der zweite Aspekt kommt bei Wittgenstein in den Überlegungen zum Fortsetzen von Beispielreihen zur Sprache: Die Darstellung des Regelfolgens als Fortsetzen einer Reihe zeigt dieses als Mustergebrauch. 4.3 Regelfolgen als Mustergebrauch 4.3.1 Die symboltheoretischen Eigenschaften des Mustergebrauchs Eine der wenigen Interpretationen, in denen die Frage des Mustergebrauchs bei Wittgenstein breiten Raum einnimmt, sind die Kommentare von G.P. Baker und P.M.S. Hacker. Baker/ Hacker (1992 [1980]b) diskutieren die Frage des Mustergebrauchs in den Philosophischen Untersuchungen ausgehend von ihrer Analyse der Bemerkungen 27ff. zur Kritik der hinweisenden Erklärung. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die Tatsache, daß für Wittgenstein <?page no="168"?> 164 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs auch nicht-sprachliche Objekte (wie Farbmuster in der Sprache (8) oder das Urmeter des § 50) in bestimmten Gebrauchsverfahren (z.B. in Meßverfahren, in denen Gegenstände als Vergleichsobjekte fungieren, und in hinweisenden Erklärungen) integraler Teil der Grammatik einer Sprache sein können: „concrete objects used as samples in explaining or applying expressions belong to grammar or our method of representation.“ (Baker/ Hacker 1992 [1980]b: 114) Baker/ Hacker sehen darin ein wichtiges Argument gegen ein zentrales Element des „augustinischen Sprachbilds“, gegen die Vorstellung nämlich, daß hinweisende Erklärungen die Verbindung zwischen Sprache und Welt herstellen: Wenn die Muster selbst zur Sprache gehören, können hinweisende Erklärungen diese Funktion nicht erfüllen, jedenfalls nicht mehr und nicht weniger als andere Elemente der Sprache (Baker/ Hacker 1992 [1980]b: 104). Das ist - mit der nachgestellten Einschränkung - sicher richtig und entspricht Witttgensteins Darstellung in den genannten Sprachspielen. Die Bedeutung des Mustergebrauchs in den Philosophischen Untersuchungen erschöpft sich darin aber bei weitem nicht: Es kommt nicht nur darauf an, daß konkrete Gegenstände Teil von Sprachspielen sein können, sondern daß jeder Sprachgebrauch medial verfaßt ist, und daher Züge aufweist, die dem Gebrauch von solchen Mustern entsprechen. Daß es beim Thema Mustergebrauch tatsächlich nicht um einen besonderen Teilbereich von Sprachgebrauch, sondern um diesen insgesamt geht, zeigt sich, wo Wittgenstein das Fortsetzen einer Reihe von Beispielen analysiert. Das Fortsetzen einer Reihe von Beispielen wird in den Philosophischen Untersuchungen in unterschiedlichen Kontexten und zur Beschreibung sehr unterschiedlicher Fälle eingesetzt: das Bilden von Zahlenreihen, das Angeben von Beispielen zur Erklärung von Begriffen und das Schließen von einem vergangenen Geschehen auf Zukünftiges in einer Alltagssituation. Ausführlich beschrieben sind die Zahlenreihen (PhU § 143ff. und § 185ff.), Szenarien also aus dem Bereich der Philosophie der Mathematik, 37 die allgemeine Analysen zu regelgeleitetem Symbolgebrauch bieten und zur Übertragung auf die 37 Die Sprachphilosophie der Philosophischen Untersuchungen befindet sich im Spannungsfeld zweier Themenbereiche, der Philosophie der Mathematik und der Philosophie der Psychologie, die Wittgenstein gemeinsam mit sprachphilosophischen Fragen bearbeitet hat. Der erste Teil der Philosophischen Untersuchungen wurde aus einem Komplex herausgelöst, der Arbeiten zur Philosophie der Mathematik enthielt (v.a. den ersten Teil der Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (vgl. Schulte 2001: 21f.)). Umgekehrt knüpfen die späten Arbeiten zur Philosophie der Psychologie an die Philosophischen Untersuchungen an. Beide Themenbereiche sind mit Fragen des Regelfolgens verbunden; die Philosophie der Psychologie mit den (im 5. Kapitel zu behandelnden) Fragen des Meinens, Verstehens und der Privatsprache, die Philosophie der Mathematik mit den Fragen der Fortsetzung von Reihen, der Bestimmung von regelhaftem Verhalten, des Lernens an Beispielen etc. <?page no="169"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 165 Sprache gedacht sind. Es handelt sich um Beispielfälle, in denen ein Schüler die Reihe der natürlichen Zahlen oder eine nach einer einfachen Formel erzeugte andere Reihe aufschreiben soll. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die Formulierung der Regel ebenso unproblematisch wie unstrittig ist: Die Regel zur Bildung einer Reihe der Art „0, n, 2n, 3n etc.“ ist offensichtlich mit dem Ausdruck „+n“ jeweils für jedes n hinreichend formuliert (vgl. PhU § 185). Es handelt sich also gerade um die Fälle, die eine Kalkülauffassung der Regel für paradigmatisch für jedes Regelfolgen halten muß. Für eine solche Auffassung ist die Bildung der Reihe mit dem Formelausdruck, also der Formulierung der Regel, auch hinreichend erklärt. Das Szenario, das Wittgenstein dazu entwirft, ist dazu angetan, diese Sicherheit zu erschüttern und die Frage, was es überhaupt heißt, „das Gleiche zu tun“ allererst zu stellen - und das nun gerade an einem Symbolschema zu demonstrieren, wo solche Fragen nicht der Vagheit der Regeln angelastet werden können. Dieses Vorgehen entkräftet mögliche Gegenargumente und sichert die Verallgemeinerbarkeit der Überlegungen, die folgen (vgl. oben 1.1.2). Wittgenstein nimmt im § 185 an, daß der Schüler die Regel falsch versteht: Wir hätten unsere Übungen und Stichproben seines [des Schülers, E.B.] Verständnisses im Zahlenraum bis 1000 gemacht. Wir lassen nun den Schüler einmal eine Reihe (etwa „+2“) über 1000 hinaus fortsetzen, - da schreibt er: 1000, 1004, 1008, 1012. (PhU § 185) Das Merkwürdige dieses Szenarios fordert zu einer Beschreibung des Regelfolgens auf, die deutlich macht, worin sich das Regelfolgen gründet, und es so erlaubt zu benennen, was dem Schüler hier eigentlich abgeht. Die Bemerkungen 186ff. setzten sich mit der Vorstellung auseinander, dieser Grund liege in einem Zustand des Meinens, der die weiteren Anwendungsfälle in irgendeiner Weise bereits mit einschließt (und über den der Schüler nicht verfügt). Wittgenstein weist diese Erklärung an dieser Stelle ab, indem er die Fragestellung umkehrt und überlegt, was als Grund dafür anerkannt wird, daß jemand eine Regel befolgt oder verstanden hat. Er fragt also nach den „äußere[n] Kriterien“ für diese inneren Prozesse (PhU § 580). Solche Kriterien lassen sich nur innerhalb einer eingebürgerten Praxis sinnvoll ausmachen. Systematisch gesehen, führt Wittgensteins Vorgehensweise damit auf einen Punkt, der die beiden oben genannten Elemente, Rehabilitierung der Praxis und Rehabilitierung der materialen Erscheinung der Zeichen, verbindet: die Öffentlichkeit des Zeichengebrauchs. Auch in den Bemerkungen vor der Durchführung des Privatsprachenarguments, das die Notwendigkeit dieses Zusammenhangs letztlich erst erweist, verwendet Wittgenstein diesen Gedanken bereits, um subjektphilosophische Anmutungen abzuweisen. Die- <?page no="170"?> 166 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs ser Zusammenhang bildet den argumentativen Kontext, in den sich die bei Wittgenstein weniger ausführlich dargestellten Aspekte von Mustergebrauch einordnen. Wenn man versucht, sich aus den Philosophischen Untersuchungen ein Bild davon zu machen, was eine Darstellung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch impliziert, welche allgemeinen Eigenschaften von Mustergebrauch Wittgenstein ansetzt, ist es nützlich, zunächst zu prüfen, ob sie den bei Goodman unter formalen Aspekten dargelegten entsprechen, da der Text diese Aspekte nur am Rande behandelt. Für Goodman zeichnet Exemplifikation sich - wie im zweiten Kapitel dargelegt - durch Selektivität und Arbitrarität aus. Beide Eigenschaften sind bei Wittgenstein vorausgesetzt, wenn auch außerhalb des Kontextes der Kritik der hinweisenden Erklärung kaum ausdrücklich thematisiert. Daß Mustergebrauch selektiv ist, notieren die Philosophischen Untersuchungen en passant: „Frage dich: Welche Gestalt muß das Muster der Farbe Grün haben? Soll es viereckig sein? Oder würde es dann das Muster für grüne Vierecke sein? “ (PhU § 73) Die Antwort, die Wittgenstein in den Bemerkungen 72-74 gibt, ist schlicht, daß es auf die Verwendung ankommt, ob und wofür etwas als Muster gilt. Mit Goodman ließe sich formulieren: Aus dem Besitz (bzw. - aus umgekehrtem Blickwinkel - aus der Instantiierung) ist der Gebrauch nicht ableitbar; Exemplifikation erfordert darüber hinaus Bezugnahme, mit anderen Worten, daß etwas in einer bestimmten Hinsicht als Muster für ein Etikett genommen und damit selbst als Symbol verwendet wird. Die Arbitrarität der Exemplifikation läßt sich - wie in Abschnitt 2.2.3 erläutert - aus derjenigen der Denotation folgern. Und daß der späte Wittgenstein in Abkehr von einem Hauptprinzip des Tractatus alle Darstellungsmittel als arbiträr ansieht, 38 folgt in den Philosophischen Untersuchungen bereits allgemein aus der Orientierung am Gebrauch, und ist daher kaum thematisch. Die Bemerkung 368 weist die Ähnlichkeitsthese ohne weitere Argumentation ab: Ich beschreibe einem ein Zimmer, und lasse ihn dann, zum Zeichen, daß er meine Beschreibung verstanden hat, ein impressionistisches Bild nach dieser Beschreibung malen. - Er malt nun die Stühle, die in meiner Beschreibung grün hießen, dunkelrot; wo ich „gelb“ sagte, malte er blau. Das ist der Eindruck, den er von diesem Zimmer erhielt. Und nun sage ich: „Ganz richtig; so sieht es aus.“ (PhU § 368) Die Bemerkung bezieht sich auf einen Fall gelungener Denotation, für den Wittgenstein hier feststellt, daß Ähnlichkeit kein Kriterium für das Gelingen der Bezugnahme ist. Die Bemerkung 368 ist wohl auf die vorhergehende zu 38 Genauer gesagt, sind im Tractatus alle Darstellungsmittel außerhalb des logischen Symbolismus arbiträr. <?page no="171"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 167 beziehen und steht dann im Kontext der Frage nach der Natur der Vorstellungsbilder (vgl. § 367); in diesem Zusammenhang kann sie dazu dienen, die Idee abzuweisen, diese müßten ihrem Gegenstand ähnlich sein. Das „impressionistische“ Bild ist hier gedacht als das, was den „Eindruck“ des Malers wiedergibt. Dieser kann treffend sein, ohne dem Dargestellten ähnlich zu sein. 39 Daß dieses Argument funktioniert, beruht aber eben darauf, daß Entsprechendes für das Gemälde - die Darstellung dieses Eindrucks - gilt. Für das Bild gilt dann (analog zur Schwarzweiß-Abbildung des grünen Kobolds bei Goodman), daß es „Gelber-Stuhl-Bilder“ exemplifiziert, ohne daß ein solcher darauf zu sehen wäre (vgl. 2.2.3). Die symboltheoretischen Eigenschaften von Mustergebrauch sind bei Wittgenstein somit dieselben wie bei Goodman, explizite Überlegungen dazu spielen aber eine völlig untergeordnete Rolle, da Wittgenstein diese Eigenschaften zwar ausbeutet (etwa in der Kritik der hinweisenden Erklärung (vgl. oben 4.2.5)), aber nicht auf den Ausbau einer entsprechenden symboltheoretischen Systematik abzielt. Aufgrund des Fehlens einer solchen ausgebauten Darstellung haben Baker/ Hacker (1992 [1980]b: 98ff.) versucht, eine Reihe von Eigenschaften des Mustergebrauchs zu rekonstruieren. Sie stützen sich dabei gelegentlich auf Wittgensteins Texte - vor allem aus anderen Schriften als den Philosophischen Untersuchungen -, zu einem großen Teil handelt es sich hier aber um eine systematische Rekonstruktion der Autoren. Einige der von Baker und Hacker genannten Punkte entsprechen sowohl dem Wittgensteinschen als auch dem Goodmanschen Gebrauch: (1) Was als Muster dienen kann ist nicht festgelegt, denn „Muster“ bezeichnet keine intrinsische Eigenschaft, sondern die Rolle im Sprachspiel; (2) Muster können in Sprachspielen unterschiedliche Funktionen haben (Baker/ Hacker denken hier an Beispiele, wie sie z.T. bei Goodman auch vorkommen - Stoffmuster, Wasserproben, Ausstellungsstücke in Museen); (3) Muster müssen repräsentativ sein, also in allen relevanten Aspekten dem entsprechen, wofür sie als Muster fungieren. Ob dieser dritte Punkt besagen soll, daß zur Exemplifikation der Besitz der entsprechenden Eigenschaft gehört oder daß brauchbare Muster „fair samples“ sein müssen, wird allerdings nicht deutlich - ein Beispiel dafür, daß die Rekonstruktion von Mustergebrauch ohne eine symboltheoretische Grundlage Schwierigkeiten bereitet. Insgesamt zeigen sich diese drei Eigenschaften aber in Wittgensteins Darstellung dessen, was ein Muster in seiner Rolle als Schema ausmacht. Sie werden im folgenden Abschnitt (4.3.2) noch einmal deutlich. Die anderen von Baker/ Hacker aufgeführten Eigenschaften von Mustergebrauch sind sowohl systematisch als auch als Wittgenstein-In- 39 Was hier die Referenz sichert, etwa die impressionistische Darstellungskonvention, ist nicht ausgeführt. <?page no="172"?> 168 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs terpretationen falsch oder klärungsbedürftig: (4) Muster sind reproduzierbar; (5) wenn etwas als Muster fungiert, ist es typischerweise seinem normalen Gebrauch entzogen; (6) Muster haben eine normative Funktion, sie fungieren als Vergleichsmaßstäbe. Reproduzierbarkeit (Punkt (4)) hängt von den syntaktischen Eigenschaften der Muster ab. Wie in Kap. 2 im einzelnen ausgeführt wurde (vgl. 2.4.1), können Exemplifikationssysteme durchaus digital sein - sie müssen es aber keineswegs. Reproduzierbarkeit ist also keine allgemeine Eigenschaft von Mustern und bei Wittgenstein findet sich auch keine entsprechende Behauptung. Beim fünften Punkt denken Baker/ Hacker an Fälle, wie das Warenmuster, das unbenutzt im Schaufenster steht (vgl. Baker/ Hacker 1992 [1980]b: 99): Hier schließt die Funktion als Muster die gewöhnliche Funktion des Gegenstandes aus. Dieses Problem - ebenso wie die Frage, was es heißt, daß Muster als Vergleichsmaßstäbe fungieren - ist aber bei Wittgenstein in sehr viel weitergehende Fragestellungen eingebunden, die mit der Struktur unseres Wissens insgesamt zu tun haben. Beide Probleme werden in den Abschnitten (4.3.3 und 4.3.4) behandelt, wo es um das Beispiel des Urmeters (PhU § 50) geht, das Baker und Hacker hier offensichtlich vor Augen haben. Neben Wittgensteins Überlegungen zum Status von Mustern spielen Muster in den Philosophischen Untersuchungen aber auch da explizit eine Rolle, wo es um Fragen der Begriffsbildung geht. Diesen Aspekt behandelt der folgende Abschnitt. Beide Themen führen letztlich auf einen Problembereich, den man mit Goodman als den der Projektion bezeichnen kann. 4.3.2 „Das Gemeinsame sehen“: Das Problem der Schemabildung Eher ausführlich gehen die Philosophischen Untersuchungen auf Fragen des Mustergebrauchs im Zusammenhang mit Fragen der Begriffsbildung und der Abgegrenztheit von Begriffen ein. Genauer gesagt, werden Szenarien, in denen Symbolgebrauch als Mustergebrauch dargestellt wird, eingesetzt, um Fragen der Begriffsbildung zu behandeln: Aber haben wir denn nicht einen Begriff davon, was ein Satz ist, was wir unter „Satz“ verstehen? […] Gefragt, was ein Satz ist, […] werden wir Beispiele angeben und unter diesen auch, was man induktive Reihen von Sätzen nennen kann; nun, auf diese Weise haben wir einen Begriff vom Satz. (PhU § 135) In ähnlicher Weise spricht Wittgenstein über die Erklärung der Wörter „Spiel“ (PhU § 66) und „Zahl“ (PhU § 68). Das Schematisierungsproblem, das in diesen Beschreibungen steckt, wird in den Philosophischen Untersuchungen in den Bemerkungen 71-75 abgehandelt. Wittgenstein weist zunächst zwei grundlegende Irrtümer hinsichtlich des Gebrauchs von Beispielen ab: <?page no="173"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 169 Und gerade so erklärt man etwa, was ein Spiel ist. Man gibt Beispiele und will, daß sie in einem gewissen Sinne verstanden werden. - Aber mit diesem Ausdruck meine ich nicht: er solle nun in diesen Beispielen das Gemeinsame sehen, welches ich - aus irgendeinem Grunde nicht aussprechen konnte. Sondern: er solle diese Beispiele nun in bestimmter Weise verwenden. Das Exemplifizieren ist hier nicht ein indirektes Mittel der Erklärung, - in Ermangelung eines Bessern. Denn, mißverstanden kann auch jede allgemeine Erklärung werden. (PhU § 71) Zum einen sind also Erklärungen mittels Beispielen nicht defizitär im Verhältnis zu anderen Arten der Erklärung. Zum anderen ist der Gebrauch von Beispielen selbst ein Sprachspiel und nicht im Sinne einer Fundierung jenseits von Symbolgebrauch zu interpretieren. 40 Übersetzt in das Vokabular Goodmans hieße das: Exemplifizieren ist selbst eine Art, ein Modus des Symbolgebrauchs. Wittgensteins Argument unterstellt hier seinem Gegner die Kritik, Beispiele seien mißverständlicher als allgemeine Erklärungen und weist sie mit der Bemerkung ab, auch diese könnten mißverstanden werden - ein Argument, dessen Implikationen erst mit dem Paradox der Anwendung (vgl. 5.2) wirklich entfaltet werden. Umgekehrt lassen auch Beispiele das Ziehen „fester Grenzen“ zwischen den Begriffen zu; so kann man etwa den Begriff „Zahl“ als „logische Summe jener einzelnen miteinander verwandten Begriffe: Kardinalzahl, Rationalzahl, reelle Zahl, etc.“ (PhU § 68) auffassen - nur hat man damit nicht den tatsächlichen Gebrauch oder die wahre Bedeutung wiedergegeben, sondern eine Festlegung getroffen (vgl. PhU § 68). Wittgensteins Überlegungen treffen sich auch hier mit den symboltheoretischen Analysen Goodmans und deren Implikationen, wie sie im 2. Kapitel dargestellt wurden: Mustergebrauch impliziert nicht per se Analogizität der Darstellung, Exemplifikation ist nicht notwendig vage. Für Wittgenstein, das zeigt der Kontext, der die Bemerkungen 71-75 einrahmt (vgl. PhU § 65-70 und 76-78), kommt es aber nicht nur darauf an, diese Analogien zwischen Denotation und Exemplifikation festzuhalten (um eben zu betonen, daß es sich auch beim Gebrauch von Beispielen um Sprachspiele handelt), sondern in der Hauptsache darauf, das Ziehen exakter Grenzen, das Definieren von Begriffen als den Spezialfall darzustellen: Man kann im Sprachgebrauch „feste Grenzen“ ziehen, der gewöhnliche Fall ist aber, daß diese Grenzen vage sind. Das hängt eben damit zusammen, daß es nicht Wittgensteins Ziel ist, ein vollständiges Tableau symboltheoretischer Varianten zu präsentieren, sondern ein bestimmtes Symbolsystem, die (gesprochene) Sprache, zu analysieren, 40 Das legt nahe, Beispiele auch nicht als grundlegender als andere Arten des Symbolgebrauchs anzusehen. Wittgenstein räumt ihnen aber - wie in Kap. 1 bereits dargelegt - methodisch einen besonderen Status ein. Das ist ein Punkt, an dem sich Wittgensteins und Goodmans Auffassung unterscheiden; die Frage wird daher in Abschnitt 6.3 noch einmal aufgegriffen. <?page no="174"?> 170 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs das - mit Goodman gesprochen - semantisch dicht ist. In diesem Kontext führt Wittgenstein für das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Beispielen für den Begriff „Spiel“ (PhU § 66) die Metapher der „Familienähnlichkeit“ ein (PhU § 67), um kenntlich zu machen, daß die Gegenstände, die unter Begriffe der natürlichen Sprache fallen, kein genau bestimmbares Set von Merkmalen gemeinsam haben müssen. Übersetzt man den Begriff in Goodmans Sprache, versucht ihn also über Bezugnahmeverhältnisse zu erfassen, korrespondiert „Familienähnlichkeit“ mit der semantischen Dichte der Darstellung: Die Rede von „Familienähnlichkeit“ impliziert, daß es Grenzfälle gibt, also nicht immer entscheidbar ist, ob ein Gegenstand unter ein Etikett fällt oder nicht. Die Beispiele für den Prozeß der Schemabildung, die sich an § 71 anschließen, sind so gewählt, daß sie im Sinne dieser Überlegung gerade die Vielfalt der Möglichkeiten betonen, wie man „das Gemeinsame sehen“ kann: Das Gemeinsame sehen. Nimm an, ich zeige jemand verschiedene bunte Bilder und sage: „Die Farbe, die du in allen siehst, heißt ‚Ocker‘.“ - Das ist eine Erklärung, die verstanden wird, indem der Andere aufsucht und sieht, was jenen Bildern gemeinsam ist. Er kann dann auf das Gemeinsame blicken, darauf zeigen. Vergleiche damit: Ich zeige ihm Figuren verschiedener Form, alle in der gleichen Farbe gemalt, und sage: „Was diese mit einander gemein haben, heißt ‚Ocker‘“. Vergleiche damit: Ich zeige ihm Muster verschiedener Schattierungen von Blau und sage: „Die Farbe, die allen gemeinsam ist, nenne ich ‚Blau‘“. (PhU § 72) Diese Beispiele für hinweisende Farberklärungen haben offensichtlich gemeinsam, daß sie Begriffsbildung als Zuordnung zu einer offenen Klasse von Fällen zeigen. Sie unterscheiden sich aber darin, daß im ersten Fall Farbmuster unterschiedlicher Farben (die Farben, die auf den Bildern zu sehen sind) verglichen und zu Gruppen geordnet werden müssen. Im zweiten Fall kommt es darauf an zu verstehen, daß der relevante Aspekt für die hinweisende Erklärung nicht die Form der Muster, sondern ihre Farbe ist, und im dritten Fall, daß die vorgelegten Muster als Muster für eine Farbe gelten. Es ist nun keineswegs so, daß nur eine dieser Möglichkeiten ein echter Fall von Begriffsbildung wäre (da sie alle Beispiele dafür sind - und keine Metaphern - kann das ja auch nicht sein), vielmehr zeigen sie - mit Goodman gesprochen -, daß der Erwerb projizierbarer Etiketten unterschiedliche Anforderungen stellen kann (vgl. die Aufzählung in Abschnitt 3.2). Diese Prozesse können nur dann zur Herausbildung fester Grenzen führen, wenn man von vornherein entsprechende Einschränkungen für mögliche Muster und Etiketten trifft. Verallgemeinerbar ist dieser Fall (eine nativistische Position einmal ausgeschlossen) aber eben nicht (vgl. 3.3.3.2). 41 41 In diesem Sinn ist es richtig, wenn Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 146) in diesem Zusammenhang davon sprechen, wie hoffnungslos der Versuch einer (nicht-trivialen) Merkmalsdefinition hier wäre; einen entsprechenden Beweis stellt der § 72 allerdings nicht dar. <?page no="175"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 171 Prozesse der Begriffsbildung werden von Wittgenstein, wie die folgende Bemerkung deutlich macht, als Schematisierungsprozesse aufgefaßt: Aber wie schaut denn das Bild eines Blattes aus, das keine bestimmte Form zeigt, sondern ‚das, was allen Blattformen gemeinsam ist‘? […] [D]aß dieses Schema als Schema verstanden wird, und nicht als die Form eines bestimmten Blattes […] das liegt wieder in der Anwendung dieser Muster. (PhU § 73) Ein Schema ist in diesem Sinne nicht ein allgemeines Bild des „Gemeinsamen“, wie immer man sich ein solches Gebilde vorstellen könnte, sondern ein Muster in einer bestimmten Verwendung. 42 Mit Goodman ließe sich formulieren: Daß ein Muster als Schema verwendet wird, heißt, daß einige seiner Züge als projizierbar aufgefaßt werden, Schemabildung ist in diesem Sinn der Erwerb projizierbarer Etiketten, Schematisieren heißt das Projizierbare erkennen. Weder bei Goodman noch bei Wittgenstein ist das Thema der Schematisierung in diesem Sinne für konkrete Fälle weiter ausgeführt. Das hängt vermutlich damit zusammen, daß dafür aufwendige (und sehr unterschiedliche) Einzelanalysen erforderlich wären. Die einzige Beschreibung, die sich bei Goodman auf die Herausbildung von Mustern bezieht, liegt in Fact, Fiction, and Forecast mit der Analyse der Auswahlkriterien für gesetzesartige Aussagen vor (also dafür, wann eine Aussage als stärker verankert gilt als eine andere). Diese bezieht sich auf eine spezialisierte und in hohem Maße regulierte Praxis innerhalb (natur-)wissenschaftlicher Induktionsprozesse, aber bereits daran zeigt sich, wie komplex und detailreich solche Analysen sein werden. 43 4.3.3 Das Muster als Regel Was die Verwendung eines Musters „als Schema“ (PhU § 73) impliziert und wie das Verhältnis von Beispiel und Regel dann zu bestimmen ist, legt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen an einem weiteren Beispiel dar, dem viel kommentierten „Urmeter“ des § 50, das zu Recht allgemein als Kommentar zum Regelbegriff gelesen wird. Wittgenstein beschreibt die Rolle eines solchen „Schemas“ dort folgendermaßen: 42 Für diese Pointe macht es keinen Unterschied, ob es hier um Objekte (Blätter) oder Zeichnungen von Objekten geht (die symboltheoretische Beschreibung ist im letzteren Fall allerdings komplizierter). Der Vorschlag von Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 151) für „Blatt“ in PhU § 74 aufgrund einer Nachlaßstelle „drawing“ statt „leaf“ zu lesen, ist insofern wenig sinnvoll (davon abgesehen, daß er vom Text der Philosophischen Untersuchungen her auch wenig plausibel erscheint). 43 Für die Herausbildung syntaktischer Differenzierung bei Schriftsystemen liegt eine solche Analyse vor mit Stetter (2005a). <?page no="176"?> 172 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Man kann von einem Ding nicht aussagen, es sei 1 m lang, noch, es sei nicht 1 m lang, und das ist das Urmeter in Paris. - Damit haben wir aber diesem natürlich nicht irgend eine merkwürdige Eigenschaft zugeschrieben, sondern nur seine eigenartige Rolle im Spiel des Messens mit dem Metermaß gekennzeichnet. (PhU § 50) Das Urmeter ist ein Muster, dessen Funktion als „Schema“ mittels entsprechender institutioneller Vorkehrungen als solche ausgezeichnet ist, ähnlich etwa Farbmustern in einem Musterbuch. Es ist darüber hinaus (anders als im Fall der Musterbücher) per definitionem ein einziger Gegenstand, der auf diese Weise gekennzeichnet ist. Darin unterscheidet es sich von den vorhergehenden Beispielen Wittgensteins: Bei den Zahlenreihen oder den Reihen von Mustern in unterschiedlichen Blauschattierungen kann jeder Übergang bzw. jedes Beispiel als Muster für den nächsten Schritt fungieren. Wittgenstein kommt es bei diesem Fallbeispiel auf zwei Punkte an: Erstens bestätigt sich auch hier, was im Kontext der Schemaverwendung festgestellt wurde - der Unterschied zwischen Regel und Beispiel ist ein funktionaler. Er zeigt sich an einer „distinctive direction of fit […] e.g., in holding a meter-stick against a table, we measure the table, not the meter-stick, as long as we are using it as a (standard) sample of one meter.“ (Baker/ Hacker 1992 [1980]a: 110). Zweitens - und für diese Überlegung eignet sich das Urmeter aufgrund seiner institutionellen Verankerung besonders gut - zeigt der Fall, daß das Muster, das als Regel fungiert, gleichsam außerhalb des Spiels steht. Es kann nicht gleichzeitig Maßstab der Beurteilung sein und zur Beurteilung anstehen, daher die Rede, vom Urmeter ließe sich nicht sagen es sei 1m lang. 44 Für ein „Ur-Sepia“, das in analoger Weise festgelegt wäre wie das Urmeter, würde entsprechend gelten: Dieses Muster [das „Ur-Sepia“-Farbmuster, E.B.] ist ein Instrument der Sprache, mit der wir Farbaussagen machen. Es ist in diesem Spiel nicht Dargestelltes, sondern Mittel der Darstellung. Krämer (2001) hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Pointe hier ganz deutlich eine ontologische ist: Was hier als Regel fungiert ist ein materieller Gegenstand (und im Gegensatz etwa zum Beispiel der Zahlen ist das auch völlig unbestreitbar), der Unterschied zwischen Paradigma und den Phänomenen, die damit verglichen werden, ist einer, „den wir praktisch treffen, der aber nicht in den Dingen bzw. Phänomenen selber liegt.“ (Krämer 2001: 114) 45 44 Heute ist der Meter nicht mehr über ein Muster, sondern über ein Meßverfahren definiert (als die Strecke, die Licht in einer bestimmten Zeit im Vakuum durchläuft), für das Kilogramm ließe sich Wittgensteins Beispiel aber noch genauso ausführen. 45 Für S. Kämer wohnt dem Verfahren des Vergleichs von Phänomenen mit solchen „Urphänomenen“ ein irreduzibles Moment der Ikonizität inne: Die Gemeinsamkeit kann sich nur zeigen, sie läßt sich nicht sagen (vgl. Krämer 2001: 114f.). Wenn man Wittgensteins <?page no="177"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 173 Der Kontext, in dem Wittgenstein das Urmeter bzw. das Ur-Sepia einführt, ist die Analyse der Sprache (48), in der Buchstabenfolgen die Farbgebung einer Serie von Quadraten symbolisieren. Im § 48 hatte Wittgenstein anhand dieses Sprachspiels deutlich gemacht, daß die Einfachheit des Gegenstandes, d.h. seine Individuierung als Gegenstand vom jeweiligen Sprachspiel abhängt (vgl. oben 4.2.5). In den darauffolgenden Bemerkungen (§§ 49-51) wendet sich Wittgenstein der Frage zu, ob diese Gegenstände, als einfache, nur benannt oder auch beschrieben werden können. Die Antwort auf diese Frage hängt vom Kontext des Spiels ab: Werden nur Folgen von 9 Buchstaben als wohlgeformt akzeptiert, kommt das Benennen von einzelnen Farbquadraten nur in der Vorbereitung zum Spiel vor, wenn man z.B. jemandem die Benennung der Elemente erklärt (vgl. PhU § 49). In diesem Zusammenhang ist das Benennen eine „Vorbereitung“ zu einem Sprachspiel, vergleichbar dem „Aufstellen einer Schachfigur“ (PhU § 49, vgl. ebs. § 26). Das heißt nun aber gerade nicht, daß hier von einer Fundierungsfunktion des Benennens die Rede sein könnte, wie sie für eine Kalkülauffassung der Regel kennzeichnend ist. Zum einen folgt aus einem schlichten Akt des Benennens die weitere Verwendung nicht (vgl. PhU § 27); auch dann, wenn wir ein Sprachspiel spielen, das zunächst eine „Inventur“ der verwendeten Namen erforderlich macht, ist damit alleine noch nichts weiter gegeben. Zum anderen sind die Elemente, die hier in Vorbereitung des Spiels selektiert werden, ontologisch nicht ausgezeichnet. Im Gegenteil: Man kann ihnen, so die Bemerkung 50, eigentlich weder Existenz noch Nicht-Existenz beilegen. Um diese Aussage zu erläutern führt Wittgenstein den analogen Fall des Urmeters an: Ebenso wie das Urmeter dem Sprachspiel der Längenmessung entzogen ist, weil es zu dessen Voraussetzungen gehört, ist das Auszeichnen von Elementen dem Sprachspiel (48) entzogen; 46 ebenso wie das Urmeter ist ein „Element im Sprachspiel (48), wenn wir, es benennend, das Wort „R“ aussprechen.“ (PhU § 50) ein „Mittel der Darstellung“. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich Wittgensteins Kommentar: Vergleichsverfahren dagegen als Mustergebrauch beschreibt, lassen sich die symboltheoretischen Verhältnisse mit Hilfe der Begriffe der Exemplifikation und Analogizität beschreiben. In dieser Perspektive ist nicht ausgemacht, daß sich das Gemeinsame nur zeigt (in dem Sinne, daß sowohl Exemplifikation als auch Analogizität vorliegt); Exemplifikation ist nicht in jedem Symbolgebrauch mit Analogizität verbunden, nicht jeder Gebrauch von Beispielen ist dem Gebrauch von Bildern vergleichbar (vgl. dazu im einzelnen 6.3). 46 Von Savigny (1994: 99) macht den Versuch, in Anlehnung an die Sprache (8) ein Sprachspiel zu entwerfen, in dem der Befehlende jeweils seinen Befehl mit dem Hochhalten einer Musterplatte begleitet. Diese wären dem Sprachspiel dann insofern entzogen, als der Befehl sich nicht auf sie beziehen kann. Dieses Sprachspiel soll die Begründung für die Behauptung über das Urmeter nachliefern, die Wittgenstein laut von Savigny schuldig bleibt (vgl. von Savigny 1994: 98). Tatsächlich ist das nach den Erläuterungen des § 50 aber nicht mehr notwendig. <?page no="178"?> 174 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Was es, scheinbar, geben muß, gehört zur Sprache. Es ist in unserem Spiel ein Paradigma; etwas womit verglichen wird. (PhU § 50) Das Beispiel der Sprache (48) erhellt so aber auch umgekehrt den Fall anderer Paradigmata, für die sich vielleicht analog formulieren ließe: Was, scheinbar, nicht anders sein kann, gehört zur Sprache. Wittgenstein eröffnet mit seinen Überlegungen zum Urmeter eine Problemdimension, die in dieser Form bei Goodman nicht zur Sprache kommt: Für Goodman ist ausgemacht, daß es keine notwendigen, überzeitlichen Wahrheiten geben kann; Wittgenstein dagegen kommt es darauf an, zu zeigen, wie diese Illusion entsteht, um sie zu zerstören. Das hängt, wie im ersten Kapitel erläutert, damit zusammen, daß er ein anderes Verhältnis zur Tradition hat und daher der Frage nach dem Status philosophischer Sätze eine andere Bedeutung zumißt als Goodman. Daß man vom Urmeter nicht sagen kann, es habe die in Frage stehende (d.h. zu projizierende) Eigenschaft, bedeutet also nicht, daß man den Bereich des Mustergebrauchs im Goodmanschen Sinn verlassen hat, obwohl es auf den ersten Blick so scheinen könnte: denn im Gegensatz zum Urmeter kann man von einem Muster natürlich sagen, daß es die zu projizierende Eigenschaft besitzt, ja es gehört zur Definition eines Musters, daß das so ist. Dahinter verbirgt sich nun aber gerade kein Unterschied in der Beurteilung der Eigenschaften von Mustern, sondern zum einen die Tatsache, daß für Wittgenstein der Status des Apriori als gleichermaßen historisch und verbindlich allererst gewonnen werden muß, und zum anderen die Frage, wie unter dieser Bedingung bestimmte Muster in der Struktur unseres Weltwissens als verbindlich und unverfügbar ausgezeichnet sein können. So weist Wittgensteins oben zitierte Formulierung aus dem § 50 - „was es, scheinbar, geben muß“ - auf zweierlei hin: erstens darauf, daß keines dieser Paradigmen anders als im Gebrauch, in der „Gepflogenheit“ (PhU § 198) des Symbolgebrauchs fundiert ist und daß der Status als Paradigma nur in und durch einen bestimmten funktionalen Zusammenhang besteht, und zweitens darauf, daß sie uns dennoch als gewiß gelten und jeweils im gegebenen Sprachspiel Ausgangspunkt und Voraussetzung sind. Daß dieser Status sich ändern kann und wie man sich eine solche funktionale Auffassung genauer vorstellen kann, skizziert Wittgenstein in seinen Überlegungen zu „grammatischen Sätzen“, die der folgende Abschnitt rekonstruiert. Für Goodman ist dagegen die Frage mit der Argumentation von Fact, Fiction, and Forecast schlicht erledigt, so daß es für das, was bei Wittgenstein das Problem der sogenannten „grammatischen Sätze“ ausmacht, bei Goodman lediglich im Begriff der „Verankerung“ ein Analogon für einen sehr begrenzten Anwendungsbereich gibt. <?page no="179"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 175 4.3.4 Grammatische Sätze und Erfahrungssätze Der Bereich, den Wittgenstein mit Hilfe all dieser unterschiedlichen Fallbeispiele letztlich untersuchen möchte, ist die (gesprochene) Sprache. Philosophische Untersuchungen als grammatische gehen auf die Gebrauchsregeln der Sprache aus, deren Rekonstruktion philosophische Irrtümer therapiert (vgl. im einzelnen 1.3.3). Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen bedeutet das: Die grammatische Untersuchung in diesem Sinn muß auf die Darstellung von Mustern ausgehen. Das ist zum einen dort der Fall, wo Wittgenstein Sprachspiele als prototypische Gebrauchssituationen beschreibt; bei dieser Vorgehensweise, die man eben als „Methode des Beispiels“ bezeichnet hat (vgl. Gabriel 1998: 243 und Abschnitt 1.3.3), ist ein Muster beschrieben, das projizierbar ist oder an dessen offensichtlicher Nicht-Projizierbarkeit im Vergleich die Projizierbarkeit anderer Muster deutlich wird. Zum anderen finden sich solche Darstellungen in der Form allgemeiner Formulierungen einer sprachlichen Regel, in Wittgensteins Wortgebrauch: in „grammatischen Sätzen“. Die Frage der grammatischen Sätze spielt sowohl in den Philosophischen Untersuchungen als auch in Über Gewißheit eine wichtige Rolle. In den Philosophischen Untersuchungen geht es dabei vor allem darum, die Verwechslung von grammatischen mit Erfahrungssätzen als eine wesentliche Quelle philosophischen Irrtums zu entlarven, also grammatische Sätze von Erfahrungssätzen gerade zu unterscheiden; in der späteren Schrift liegt das Augenmerk dagegen weniger auf der Differenz als auf der Ähnlichkeit von grammatischen und Erfahrungssätzen. Diese Verschiebung des Schwerpunktes ließe sich in einem an Kant angelehnten Vokabular vielleicht folgendermaßen beschreiben: Geht man davon aus, daß der Ort apriorischer Strukturen die natürliche Sprache ist und der Unterschied zwischen a priori und a posteriori ein funktionaler ist, wird die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen, zwischen dem, was als Sprachwissen, und dem, was als Weltwissen gelten soll, prekär. An Wittgensteins Überlegungen zu grammatischen Sätzen zeigt sich so der systematische Zusammenhang zwischen einer bestimmten Auffassung des Verhältnisses von Beispiel und Regel und einer allgemeinen Entscheidung für konstruktivistische und pluralistische Positionen. Dieser Zusammenhang bildet den Hintergrund für das Problem der Unterscheidung von regelhaften und regelmäßigen Vollzügen, das die Beschreibung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch aufwirft: Wenn der Unterschied zwischen Regel und Beispiel ein bloß funktionaler ist, wie Wittgenstein am Fall des Urmeters deutlich macht, wie ist dann das Verhältnis von Regelformulierung und Beschreibung eines empirischen Sachverhalts? Werden Regelformulierungen als Darstellun- <?page no="180"?> 176 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs gen von Mustergebrauch nicht zu empirischen Beschreibungen von Regelmäßigkeiten, und Regelfolgen reduziert sich auf Regelmäßigkeit im Verhalten? Die Philosophischen Untersuchungen nehmen die Frage nach dem Status grammatischer Sätze im Kontext des Privatsprachenarguments (vgl. PhU § 243ff.) auf. In den Bemerkungen 248-253 werden eine Reihe von Sätzen genannt, die als grammatische gelten sollen: „Jeder Stab hat eine Länge.“ (vgl. PhU § 251), „Dieser Körper hat eine Ausdehnung.“ (vgl. PhU § 252) „Der andere kann nicht meine Schmerzen haben.“ bzw. „Empfindungen sind privat.“ (vgl. PhU § 253 und § 248), „Patience spielt man allein.“ (vgl. PhU § 248). In diesem Kontext kommt es Wittgenstein vor allem darauf an, den Satz „Empfindungen sind privat.“ als grammatischen zu erweisen und damit die Vorstellung zu widerlegen, seine merkwürdige Unabweisbarkeit beweise etwas hinsichtlich verborgener innerer Gegenstände 47 - wo der Satz doch tatsächlich etwas über unseren Gebrauch des Wortes „Empfindung“ aussagt. Im Zuge dieser Überlegungen geht Wittgenstein in den Bemerkungen 248ff. auf den Status grammatischer Sätze ein. Das zunächst hervorstechendste Merkmal der grammatischen Sätze ist, daß sie unbezweifelbar erscheinen: Wir könnten auf den Satz „Dieser Körper hat eine Ausdehnung“ antworten: „Unsinn! “ - neigen aber dazu, zu antworten: „Freilich! “ - Warum? (PhU § 252) Die Anspielung auf das Kantische Beispiel für einen analytischen Satz (KrV A 7, B 11) legt die Antwort bereits nahe, die Wittgenstein auf diese Frage gibt: Sätze dieser Art scheinen unabweisbar, weil sie etwas über den Sprachgebrauch aussagen, nicht über einen empirischen Sachverhalt. Der Satz „Empfindungen sind privat.“ ist nicht deswegen unbestreitbar, weil er eine wahre Aussage über Empfindungen trifft, sondern weil er einen Aspekt der Semantik des Wortes „Empfindung“ beschreibt. Daher kann man sich das Gegenteil der oben aufgezählten Sätze nicht vorstellen: „Ich kann mir das Gegenteil nicht vorstellen“ heißt hier natürlich nicht: Meine Vorstellungskraft reicht nicht hin. Wir wehren uns mit diesen Worten gegen etwas, was uns durch seine Form einen Erfahrungssatz vortäuscht, aber in Wirklichkeit ein grammatischer Satz ist. (PhU § 251) Der grammatische Satz, der den Gebrauch des Paradigmas beschreibt, ist dem Sprachspiel empirischen Beschreibens, Behauptens und Bestreitens ebenso entzogen, wie das Paradigma selbst dem Sprachspiel, das es regelt. 47 Daß das nicht der Fall sein kann, erweist erst das vollständige Privatsprachenargument. Das aber vorwegnehmend vorausgesetzt, ist der Satz - ebenso wie die anderen aufgeführten Beispiele - gerade von einer empirischen Beschreibung zu unterscheiden und sein Status zu klären. <?page no="181"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 177 Wittgensteins Beschreibung der grammatischen Sätze verlegt auf diese Weise apriorische Strukturen in die Gebrauchsregeln natürlicher Sprachen, partikularisiert und historisiert sie. Daraus ergibt sich allerdings ein Problem, das sich in der Formulierung „was uns durch seine Form einen Erfahrungssatz vortäuscht“ verbirgt. Die Philosophischen Untersuchungen umschreiben dieses Problem in der folgenden Bemerkung: Zur Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine Übereinstimmung in den Definitionen, sondern (so seltsam das klingen mag) eine Übereinstimmung in den Urteilen. Dies scheint die Logik aufzuheben, hebt sie aber nicht auf. - Eines ist, die Meßmethode zu beschreiben, ein Anderes, Meßergebnisse zu finden und auszusprechen. Aber was wir „messen“ nennen, ist auch durch eine gewisse Konstanz der Messungsergebnisse bestimmt. (PhU § 242) Die Frage nach dem Verhältnis von Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen ist mit dem Hinweis auf die täuschend ähnliche Form eben nicht abgehandelt, es genügt hier nicht, darauf zu verweisen, daß die Sprache uns hier eine Ähnlichkeit vortäusche, die nicht gegeben ist - sie macht eine Reihe von Überlegungen zur Struktur unseres Wissens insgesamt erforderlich, die Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen nur andeutet, und erst in Über Gewißheit ausführt. In den Manuskripten aus den Jahren 1949-1951, die unter dem Titel Über Gewißheit veröffentlicht sind, 48 entwirft Wittgenstein ein solches Bild von der Struktur unseres Wissens. Ausgangspunkt ist die Kritik von G.E. Moores Eine Verteidigung des Common Sense, in der dieser in anti-idealistischer Absicht eine Reihe von Sätzen aufführt, die man nicht bestreiten kann, ohne jeglichen Common Sense aufzukündigen. Diese Sätze - etwa: „Dies ist eine Hand“ (Moore 1969 [1925]: 143) - lassen sich als „Züge der Commonsense-Ansicht der Welt“ (Moore 1969 [1925]: 131) nicht sinnvoll bezweifeln und müssen daher wahr sein (Moore 1969 [1925] 130f.). Wittgenstein macht dagegen deutlich, daß der letztere Schluß naiv ist - mit Blick auf die Philosophischen Untersuchungen könnte man bereits sagen: Er beruht eben auf der oben erläuterten Verwechslung von Inhalt und Mittel der Darstellung. Daß man nicht an allem sinnvoll zweifeln kann, zeigt sich mit Blick auf die tatsächliche Praxis der entsprechenden Sprachspiele: Man kann nur an dem Zweifeln, was als Wissen begründet und bestritten werden kann, nicht an dem, was in einem solchen Sprachspiel bereits vorausgesetzt ist. Für Moores Beispiele läßt sich nur mit Mühe ein Kontext finden, in dem man sie behaupten würde, in dem sie also in ein solches Spiel des Begründens und Bezweifelns überhaupt einbezogen 48 Vgl. zur Datierung Anscombe/ von Wright (1984: 115). Daß die Texte zusammengehören, ist unstrittig; ebenso, daß sie unredigiert sind (vgl. Stroll 1994: 9f. und Anscombe/ von Wright 1984: 115). <?page no="182"?> 178 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs wären oder man sich über sie irren könnte (vgl. ÜG § 154f.) - unter normalen Umständen 49 sind sie eben vorausgesetzt. Wittgenstein nennt die Gesamtheit dieser Voraussetzungen ein „Weltbild“; es „ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide.“ (ÜG § 94) Weltbilder sind keine Weltanschauungen, sie müssen nicht bewußt oder expliziert sein; sie zeigen sich in einem Handeln, nicht notwendig in einem Wissen (vgl. z.B. ÜG § 167, 196). Sie bilden Systeme in dem Sinn, daß die Elemente eines Weltbildes sich gegenseitig stützen (vgl. ÜG §§ 225, 234, 274); das was in einem Handeln vorausgesetzt wird, ist keine absolute Fundierung - es ist nicht sicherer als dieses selbst (vgl. ÜG § 248). Wittgenstein grenzt den Begriff des Weltbildes nicht explizit gegen die anderen beiden Begriffe ab, die er verwendet, um den Rahmen von konkreten Sprachhandlungen zu fassen, gegen den Begriff der Lebensform und gegen den Begriff des Sprachspiels. Sprachspiele, sofern sie nicht diese Vollzüge selbst oder im Gegenteil Sprachen als ganze bezeichnen, scheinen in Wittgensteins Sprachgebrauch Teilbereiche von Lebensformen zu bezeichnen, diese wiederum sind mit Sprachen gegeben (vgl. PhU §§ 19, 23 und 241). Nimmt man dies mit den oben zitierten Stellen aus Über Gewißheit zusammen, erscheint der Vorschlag von Baker/ Hacker (1992 [1980]a: 48) einleuchtend, „Lebensform“ als die Verbindung sprachlicher und nicht-sprachlicher Handlungsweisen einer Sprachgemeinschaft aufzufassen, „Weltbild“ eher enger als den begrifflichen Rahmen, auf den sich Wissensansprüche beziehen müssen (wobei eine scharfe Grenze sich oft nicht ziehen lassen wird). Wittgenstein redet an manchen Stellen so, als bildeten Weltbilder Grenzen der Verständigung, in dem Sinne, daß sich Gründe nur innerhalb eines geteilten Weltbildes angeben ließen: Für ein Weltbild kann man nicht argumentieren, man kann den anderen höchstens überreden oder bekehren (vgl. ÜG §§ 92, 262 und 612), und ein Abweichen vom herrschenden Weltbild kann massive soziale Sanktionen nach sich ziehen (vgl. z.B. ÜG § 611). Die Frage ist aber strittig, und Wittgensteins Begriff von Weltbild ist damit noch keineswegs vollständig erfaßt. Inwieweit Weltbilder Grenzen der Verständigung darstellen, wird in Kapitel 6 thematisiert; vorgreifend sei hier nur gesagt, daß Wittgenstein in der vorliegenden Arbeit in einem gewissen Sinn eine relativistische Position unterstellt wird. In diesem Kontext kommt Wittgenstein in Über Gewißheit auf die Frage der Erfahrungssätze zurück: 49 Die Klausel „unter normalen Umständen“ besagt hier, daß sich für jeden Satz mit genügend Phantasie ein Szenario ausdenken läßt, in dem er sinnvoll gebraucht werden kann (vgl. etwa Wittgensteins ironische Darstellungen in ÜG §§ 467 und 481); für Wittgensteins Argumentation kommt es aber gerade auf den alltäglichen Gebrauch an. <?page no="183"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 179 Was uns nun interessiert ist nicht das Sichersein, sondern das Wissen. D.h. uns interessiert, daß es über gewisse Erfahrungssätze keinen Zweifel geben kann, wenn ein Urteil überhaupt möglich sein soll. Oder auch: Ich bin geneigt zu glauben, daß nicht alles, was die Form eines Erfahrungssatzes hat, ein Erfahrungssatz ist. (ÜG § 308) Wittgenstein nimmt hier die Formulierung der Philosophischen Untersuchungen wieder auf, um ihr eine Paraphrase beizufügen, die die behauptete Differenz gerade wieder aufzuheben scheint. Die Doppelung der Formulierung zeigt genau das Problem, um das es geht: Ist es, daß Regel und Erfahrungssatz ineinander übergehen? (ÜG § 309) Die Antwort auf diese Frage wird den Doppelstatus der in Frage stehenden Sätze nicht aufheben, sondern ihn im Gegenteil explorieren und ausbauen. Ein detailliert ausgeführtes Bild für das Verhältnis von Regelformulierung und Erfahrungssatz entwirft Wittgenstein in der bekannten Metapher vom Flußbett: Man könnte sich vorstellen, daß bestimmte Sätze von der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten, flüssigen Erfahrungssätze funktionierten; und daß sich dies Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarrten und feste flüssig würden. Die Mythologie kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett der Gedanken sich verschieben. Aber ich unterscheide zwischen der Bewegung des Wassers im Flußbett und der Verschiebung dieses; obwohl es eine scharfe Trennung der beiden nicht gibt. Wenn Einer aber sagte „Also ist auch die Logik eine Erfahrungswissenschaft“, so hätte er unrecht. Aber dies ist richtig, daß der gleiche Satz einmal als von der Erfahrung zu prüfen, einmal als Regel der Prüfung betrachtet werden kann. Ja, das Ufer jenes Flusses besteht zum Teil aus hartem Gestein, das keiner oder einer unmerkbaren Änderung unterliegt, und teils aus Sand, der bald hier bald dort weg- und angeschwemmt wird. (ÜG §§ 96-99) 50 Der Unterschied zwischen beweglichen und unbeweglichen Elementen ist in der Flußmetapher ein rein funktionaler, die Grenzen zwischen Regelformulierungen und Erfahrungssätzen sind unscharf, die Regelformulierungen weisen einen unterschiedlichen Grad an Festigkeit auf. Regelformulierungen können zu Erfahrungssätzen werden und umgekehrt, sei es im Zuge historischer Entwicklung, sei es durch die Verwendung in unterschiedlichen Kontexten. 50 Eine ausführliche Deutung dieses Bildes legt Schulte (2002) vor, an dessen Textlektüre sich die folgenden Ausführungen in vielen Teilen orientieren. <?page no="184"?> 180 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Diese Eigenschaften zeigen sich auch in Wittgensteins Auswahl an Beispielen in Über Gewißheit: Eher Regelformulierungen als Erfahrungssätze sind etwa, daß „ich nie auf dem Mond war“ (in Anlehnung an ÜG §§ 106, 111ff.), daß „die Erde während der letzten 100 Jahre existiert hat“ (in Anlehnung an ÜG §§ 92, 261), daß „mein Körper […] nie verschwunden und nach einiger Zeit wieder aufgetaucht [ist]“ (ÜG § 101), daß „Tische/ Bücher nicht verschwinden, wenn niemand sie sieht“ (in Anlehnung an ÜG §§ 119, 134), daß „ich zehn Zehen/ zwei Hände/ zwei Füße habe“ (in Anlehnung an ÜG §§ 125, 133, 148, 429f.), daß „das [was die Gesprächspartner da vor sich sehen] ein Baum/ eine Hand/ meine Hand ist“ (in Anlehnung an ÜG §§ 268, 347ff., 369, 387, 465ff.), daß „mein Schädel ein Gehirn enthält“ (in Anlehnung an ÜG § 118). Am ersten Beispiel zeigt sich bereits, wie fließend die Grenzen sind - so bemerkt Wittgenstein selbst, daß der Satz einen anderen Sinn (im Bild: eine andere Festigkeit) erhielte, wenn tatsächlich schon Menschen auf dem Mond gewesen wären (vgl. ÜG § 111). Hier haben sich die Verhältnisse innerhalb von weniger als 20 Jahren geändert. Diesen Sätzen (und einigen anderen, die man in Anlehnung an einige Bemerkungen der Philosophischen Untersuchungen formulieren kann, wie „Hunde können keine Schmerzen heucheln“ (vgl. PhU § 250) oder „Babys können keine Zuneigung vortäuschen“ (vgl. PhU § 249)) ist gemeinsam, daß es dem Sprachgefühl zuwider läuft, sie als „Regelformulierungen“ zu bezeichnen, im Gegensatz etwa zu dem eingängigen „Patience spielt man allein.“ der Philosophischen Untersuchungen. Semantischen Regeln vom Typ „Patience spielt man allein.“ und „Rot ist eine Farbe.“ ist keine andere Extension zuzuweisen, als die entsprechenden Wörter der deutschen, englischen usw. Sprache. Sie sind - wie Stetter (1997: 607f.) deutlich gemacht hat - für ein außersprachliches Bezugnahmegebiet nicht quantifizierbar, ohne daß man ihren Sinn verfehlt. Als Worterklärungen kann man ihnen auch durchaus gängige Gebrauchssituationen zuordnen - im Gegensatz zu den oben aufgezählten Beispielen aus Über Gewißheit. Verwendet man die Beispiele aus Über Gewißheit nicht als Erfahrungssätze (etwa in irgendwelchen Ausnahmesituationen, wie sie z.B. ÜG § 264 beschreibt), vollzieht man - mit Goodman gesprochen - den Versuch einer Verschiebung im Bezugnahmegebiet, die aber nicht durch eine entsprechende Gepflogenheit sanktioniert ist, die also keine Funktion in alltäglichen Sprachspielen hat. Man könnte hier vielleicht am besten von einer Unsicherheit im Bezugnahmegebiet sprechen, die hinter der wiederkehrenden Rede von „Sätzen von der Form der Erfahrungssätze“ steht, und die die Tatsache widerspiegelt, daß die „Grenze zwischen ‚Weltwissen‘ und ‚Sprachwissen‘ […] keineswegs deutlich [ist].“ (Stetter 1997: 609) Es ist also nicht einfach so, daß Wittgenstein hier den Begriff der Regel bzw. des grammatischen Satzes über den Symbol- <?page no="185"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 181 gebrauch hinaus erweitert und alles darunter zählt, was zu den Voraussetzungen unseres Wissens gehört - vielmehr verlegt er diese Voraussetzungen als Regeln in den Symbolgebrauch. Sie werden mit dem Symbolgebrauch durch das Leben in der Gemeinschaft erworben (vgl. PhU § 19; ÜG §§ 279, 283, 298). Diesen Umstand spiegelt die Unbestreitbarkeit und merkwürdige Banalität der grammatischen Sätze wieder. 51 Wenn sich die Rede von „Sätzen von der Form der Erfahrungssätze“, in diesem Sinn lesen läßt - in dem Sinne, daß Weltwissen und Sprachwissen ineinander übergehen -, führt die Frage nach dem Unterschied von grammatischen und Erfahrungssätzen auf eine konstruktivistische Pointe, die auf der Ebene der Regelformulierung bestätigt, was oben im Kontext der Frage der einfachen Gegenstände gesagt wurde (vgl. 4.2.5): Grammatische Sätze beschreiben, nach welchen Regeln unsere Wirklichkeitskonstruktionen funktionieren, d.h. machen Aussagen über die Mittel der Darstellung, diese aber sind konstitutiv für das Dargestellte. Wenn Wittgenstein notiert, der Ausdruck „Sätze von der Form der Erfahrungssätze“ sei „ganz schlecht“, denn es handele sich um „Aussagen über Gegenstände“ (ÜG § 402), und die Bemerkung mit dem Zitat „„Im Anfang war die Tat.““ (ÜG § 402) schließt, dann gibt das genau den Doppelstatus der betreffenden Sätze wieder. Das Problem der grammatischen Sätze führt so auf den Zusammenhang zwischen der Auffassung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch, einer bestimmten Auffassung von den Strukturen unseres Wissens und ontologischen Kernpositionen. Darüber hinaus macht diese Interpretation aus Wittgenstein nicht nur einen Konstruktivisten, sondern auch - was ebenfalls nicht unumstritten ist - einen Relativisten, in dem Sinne, daß Sprachspiele (und natürlich auch dasjenige des Behauptens) nur mit Bezug auf ein Weltbild überhaupt Sinn haben und daß es von diesen Weltbildern (und Lebensformen) unterschiedliche gibt. 52 Wittgensteins Auffassung trifft sich hier in den Grundvo- 51 Das Problem der grammatischen Sätze hängt also mit der Frage nach dem Beschreibungsgegenstand der Philosophie zusammen („Wollte man Thesen in der Philosophie aufstellen, es könnte nie über sie zur Diskussion kommen, weil Alle mit ihnen einverstanden wären.“ (PhU § 128)), nicht in der Hauptsache mit dem, was wir normalerweise unter die Traditionen unseres Wissens rechnen; auf letzteren Punkt hat Schulte (2002: 94f.) hingewiesen. 52 In diesem Sinne fassen Wittgenstein u.a. auch Glock (1996: 126f.) und Schulte (1999: 160f.) auf. Bekanntester Gegner diese Auffassung ist Garver (1994), der dafür argumentiert, jeweils einer Tierart eine Lebensform zuzuschreiben. Er stützt sich zum einen auf die Bemerkungen Wittgensteins, in denen menschliche und tierische Verhaltensweisen und -möglichkeiten einander gegenübergestellt werden, sowie auf eine Stelle in den Philosophischen Untersuchungen, an der von einer „gemeinsame[n] menschliche[n] Handlungsweise“ (PhU § 206) die Rede ist (vgl. Garver 1994: 259 und 257ff.). Aus ersterem folgt aber nicht, daß es nicht unterschiedliche menschliche Lebensformen geben kann; und § 207 erläutert die vorhergehende Bemerkung dahingehend, daß es überhaupt eine Regelmäßigkeit im Symbolgebrauch <?page no="186"?> 182 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs raussetzungen mit derjenigen Goodmans (vgl. Gabriel 2000: 190). Allerdings sind terminologische Entsprechungen im einzelnen nicht leicht herzustellen. Legt man die oben getroffene Unterscheidung von Sprachspiel, Weltbild und Lebensform zugrunde, ist nicht leicht zu beantworten, mit welchem der drei Begriffe Goodmans Welten bzw. Weltversionen, am ehesten vergleichbar wären. Daran zeigt sich das unterschiedliche Erkenntnisinteresse der beiden Autoren: Goodmans „Welten“ sind weder auf ein bestimmtes Symbolsystem noch auch nur auf ganze Symbolsysteme hin festgelegt. Goodmans Konstruktivismus will gerade darstellen, wie wir je nach Kontext in mehreren Welten leben, wie wir entsprechend in unterschiedlicher Weise wahrnehmen und in unterschiedlichen Koordinaten handeln. Seine Beispiele stammen in der Hauptsache aus dem Bereich der Künste, in dem uns die Gestaltung der Darstellung bewußt und in dem diese Gestaltung oft selbst thematisch ist. Damit steht die Möglichkeit der Modifikation von Welten durch das Individuum im Vordergrund. Wittgensteins thematisiert mit der natürlichen Sprache nur ein Symbolsystem und dieses im alltäglichen Gebrauch. Man hat „Weltbilder“ und „Lebensformen“ zu Recht als auf eine gesamte Sprachgemeinschaft oder einen gesamten Kulturkreis bezogen interpretiert, wobei es auch für Wittgenstein nicht darauf ankommt, festzulegen, wie umfassend ein Weltbild oder eine Lebensform ist. Wesentlich ist allerdings, daß für Wittgenstein damit ein Aspekt stark im Vordergrund steht, der bei Goodman gerade in den späteren Schriften zurücktritt: Weltbilder sind kollektiv und in hohem Maße für das Individuum verbindlich. Sie werden implizit gelernt und bleiben im Normalfall unthematisch: Aber das Ende [der Begründung, E.B.] ist nicht die unbegründete Voraussetzung, sondern die unbegründete Handlungsweise. (ÜG § 110) 53 Wittgenstein beschreibt nicht - über die oben aufgeführten Beispiele und einige andere hinaus -, wie Weltbilder insgesamt aussehen könnten und ob eine solche Beschreibung überhaupt möglich ist (vgl. Schulte 1990a: 117ff.), denn sein Interesse ist es, philosophische Probleme zu lösen; dazu aber bedarf es lokaler „Therapien“, nicht globaler Erklärungen oder Beschreibungen. Ebensowenig thematisiert Wittgenstein die Frage, wie sprachliche und nichtsprachliche Aspekte von Lebensformen genau zusammenhängen (erstere sind in letztere in irgendeiner Weise eingebettet, vgl. ÜG § 229), oder die Frage, geben muß, wenn wir einer Gruppe den Besitz einer Sprache zuschreiben sollen. Darüber hinaus läßt sich gegen Garver Wittgensteins Identifizierung von Sprache und Lebenform bzw. Sprache und Kultur anführen (vgl. PhU § 19 und BB, S. 134). Eine Übersicht über die Debatte um den Begriff der Lebensform gibt Lütterfelds (1999: 8). 53 Vgl. z.B. ÜG § 167, wo Wittgenstein betont, daß diese Voraussetzungen keine „Hypothesen“ sind, sondern eben der unbefragte Hintergrund auch wissenschaftlichen Vorgehens. <?page no="187"?> Regelfolgen als Mustergebrauch 183 welcher Anteil (auf das Kollektiv hin gedacht) unserer Voraussetzungen für uns jeweils einholbar ist, oder die Frage, ob alle Erfahrungssätze in grammatische verwandelt werden können oder nicht. 54 Deutlich aber ist, daß im jeweiligen Handlungsvollzug immer ein solcher Hintergrund vorausgesetzt ist, daß die Grundstruktur, die für unser Wissen in Über Gewißheit beschrieben ist, also nicht hintergehbar ist. 55 Der Fall der Zahlenfolgen, der Gebrauch von Farbmustern, die Erklärung eines Wortes durch das Aufzählen von Beispielen, das Beispiel der allgemeinen Blattform - sie alle spiegeln unterschiedliche Aspekte des Verhältnisses von Muster und Regel in den Philosophischen Untersuchungen wieder. Man kann sie mit dem § 135 „induktive Reihen“ nennen. 56 Am Fall der Zahlenfolgen wird deutlich, daß auch bei Kalkülregeln die soziale Institution die 54 In diesem Sinn ist wohl auch die Warnung zu verstehen, die Wittgenstein in Über Gewißheit ausspricht: „Ich sage doch: Jeder Erfahrungssatz kann umgewandelt werden in ein Postulat - und wird dann eine Norm der Darstellung. Aber auch dagegen habe ich ein Mißtrauen. Der Satz ist zu allgemein.“ (ÜG § 321) Allerdings notiert Wittgenstein in ÜG § 167 eben einen allgemeinen Satz dieses Inhalts, so daß man annehmen kann, daß das Problem für ihn noch nicht gelöst war. 55 Das bedeutet nun aber gerade nicht, wie Stroll (1994: 164) in seiner Monographie über Moore und Wittgenstein formuliert, daß „each of us has a grasp of the world that is not open to alteration, remediation, or replacement.“ Stroll sieht Wittgenstein als Verteidiger des Common Sense (vgl. Stroll 1994: 164), obwohl er an Über Gewißheit durchaus auch relativistische Züge wahrnimmt (vgl. Stroll 1994: 161). Sein Hauptargument ist dabei die Tatsache, daß Grundlage unserer Sprachspiele kein propositionales Wissen, sondern ein Handlungswissen ist (vgl. Stroll 1994: 146). Damit sind - so Stroll - die Grundlagen unseres Wissens diesem unähnlich (vgl. Stroll 1994: 145), sie sind nicht verhandelbar. Wittgenstein habe die Beschreibung dieses Wissens über grammatische Sätze daher auch aufgegeben (vgl. Stroll 1994: 155). Dieses Bild ist allerdings irreführend: Wittgensteins Überlegungen zu grammatischen Sätzen sind keine alternative Erklärung zu einem „knowing how“; es handelt sich um zwei unterschiedliche Ebenen der Fragestellung, die sich auf regelgeleitetes Handeln einerseits und die Formulierung dieser Regeln andererseits beziehen. Wittgenstein gibt diese Fragestellung auch nicht auf; vielmehr ist es gerade die Frage nach dem Verhältnis von Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen, die zu einem der interessantesten Punkte in Über Gewißheit zählt. Sie führt, wie oben dargestellt, auf das Problem der Wandelbarkeit der Grundlagen unserer Sprachspiele, also gerade nicht zu einer Verteidigung des Common Sense, sondern zu der relativistischen Auffassung, daß diese Grundlagen für den Einzelnen (in unterschiedlich hohem Maße) verbindlich und damit „gewiß“, aber gleichzeitig auch (ebenfalls in unterschiedlich hohem Maße) historischem Wandel unterworfen sind. 56 Von Savigny (1994: 179) sieht dagegen einen Unterschied zwischen den Satzreihen und „Beispielreihen von Spielen“ - nur erstere sind seiner Auffassung nach „induktive Reihen“ (PhU § 135), daher tauche der Begriff in den Philosophischen Untersuchungen auch nur dort auf. Die Bemerkung 135 hebt aber gerade auf die Gemeinsamkeit zwischen Beispielen für Sätze und Beispielen für Spiele ab. <?page no="188"?> 184 Wittgensteins Regelbegriff und das Problem des Mustergebrauchs Anwendung bestimmt, am Fall der Farbmuster und Beispielreihen, daß in der Praxis des Sprachgebrauchs scharf abgegrenzte Begriffe nicht erforderlich, nicht üblich und vor allem auch nicht grundlegend sind. Die Darstellung von Sprachgebrauch als Mustergebrauch, hat so wesentlichen Anteil an Wittgensteins Kritik der Kalkülauffassung der Regel und ist der Darstellung von Sprachgebrauch über die Sprachspielmetapher an die Seite zu stellen. Damit legt man sich auf einen bestimmten Status apriorischer Strukturen fest: sie sind nur im Symbolgebrauch selbst zu suchen. Diese Rehabilitierung des Beispiels führt bei Wittgenstein darüber hinaus auf Fragestellungen, die bei Goodman nicht oder in dieser Form nicht thematisch sind, nämlich auf die Frage nach der Grenze von Weltwissen und Sprachwissen und nach der Beschreibung der Struktur unseres Wissens, die sich daraus ergibt. Der problematische Status der grammatischen Sätze spiegelt diese Struktur, die der Unhintergehbarkeit und der Variabilität eines im Symbolgebrauch gegebenen Apriori versucht Rechnung zu tragen. Wittgensteins Rehabilitierung des Beispiels wurde hier als wesentliches Element einer konstruktivistischen und pluralistischen Auffassung in Analogie zu derjenigen Goodmans gelesen. Diese Lesart rückt die Beschreibung des Regelfolgens bei Wittgenstein in die Nähe des Goodmanschen Induktionsproblems. Dieser Zusammenhang ist Gegenstand des folgenden Kapitels. <?page no="189"?> 5 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein 5.1 Das Gespenst des Skeptizismus Wittgenstein spielt in den Philosophischen Untersuchungen immer wieder Szenarien durch, in denen er die Möglichkeit eines grundlegenden Mißverstehens vorführt. Das Merkwürdige solcher Szenarien - etwa der Vorstellung, daß jemand, wenn man mit dem Finger auf etwas zeigt, „von der Fingerspitze zur Handwurzel blickt, statt in der Richtung zur Fingerspitze“ (PhU § 185) - verweist jeweils auf das Vorliegen selbstverständlich vorausgesetzter und geteilter Elemente innerhalb unserer Lebensformen. Entwirft man vom Gebrauch und Erwerb solcher pragmatischer Regeln ein Bild, das diese in Form von Sprachspielen einerseits und in Form von induktiven Reihen andererseits darstellt, erhält eine Problematik ganz neues Gewicht, die bislang nur gestreift wurde: die unterschiedlichen Möglichkeiten, dieser Beschreibung von Symbolgebrauch eine skeptische Ausdeutung zu geben. Die Darstellung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch läßt keine Fundierung dieses Gebrauchs außerhalb von Performanzen zu. Damit erheben sich zumindest zwei Fragen hinsichtlich dessen, was in der Wittgenstein- Interpretation als der Problemkreis der „Anwendung der Regel“ bezeichnet wird: Erstens stellt sich die Frage, was garantiert, daß die Reihe richtig fortgesetzt wird, also daß - mit Goodman gesprochen - die richtigen (d.h. projizierbaren) Etiketten ausgewählt werden. Wittgensteins Antwort ist eine pragmatische: Es ist die Institution der Anwendung, die über die Korrektheit des Regelfolgens entscheidet. Wenn das so ist, stellt sich zweitens die Frage, was diese Fortsetzung noch von bloßer empirischer Regelmäßigkeit unterscheidet - bedeutet das, daß etwas richtig ist, das hinreichend viele Personen lange genug praktizieren? Folgt man einer der bekanntesten und umstrittensten Wittgenstein-Interpretationen, lautet die Antwort auf beide Fragen: Nichts - nichts garantiert die richtige Fortsetzung der Reihe, und nichts unterscheidet regelhaften von regelmäßigem Gebrauch. Saul A. Kripke hatte 1982 mit Wittgenstein on Rules and Private Language eine Lektüre der Philosophischen Untersuchungen vorgelegt, in der er erstens Wittgensteins Paradox des Regelfolgens als Formulierung einer (sprach-)skeptischen Problemstellung liest; und zweitens deutet er die Berufung auf die geteilte Praxis als letzte Instanz der Rechtfertigung für Regelfolgen als eine „skeptische Lösung“, 1 die den Skeptizismus des Parado- 1 Die Formulierung ist Humes erster Enquiry (Hume [1999]: 119; sect. 5) entnommen, wo sie als Selbstbezeichnung für Humes Lösung des Induktionsproblems dient. Im folgenden wird <?page no="190"?> 186 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein xons nicht widerlegt, sondern gleichsam umgeht, indem sie auf die Übereinstimmung im Handeln zurückgreift. Zu diesen skeptizistischen Konsequenzen kommt Kripke, indem er Wittgensteins Paradox des Regelfolgens mit Hilfe eines „grue“-artigen Beispiels auslegt. Seine Darstellung ist tatsächlich die einzige der bekannteren Interpretationen, die ausdrücklich eine Brücke von Wittgenstein zu Goodmans „grue“-Paradox schlägt. 2 Aus diesen beiden Gründen - weil er einen Skeptizismus vertritt, wie er in der Konsequenz der Bestimmung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch zunächst durchaus plausibel erscheint, und weil er Wittgenstein mit Goodman liest - muß sich die in der vorliegenden Arbeit vertretene Position mit Kripkes Interpretation auseinandersetzen. Die folgenden Abschnitte werden Kripkes Auffassung sowohl als Wittgenstein-Interpretation als auch der Sache nach widerlegen. Nun ist es nicht allzu schwierig, zu zeigen, daß Kripkes Wittgenstein-Interpretation nicht haltbar und seine Verwendung des „grue“- Beispiels sinnentstellend ist, sie zwingt aber dazu, den Sinn von Wittgensteins Paradox und seiner Lösung, die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Goodman und Wittgenstein sowie den Nutzen des Privatsprachenarguments zu überdenken. Die Auseinandersetzung mit Kripkes skeptizistischer Rekonstruktion der Philosophischen Untersuchungen dient daher hier als Kontrastmittel, um die Konturen dieser Problembereiche schärfer hervortreten zu lassen. Im folgenden wird es erstens darum gehen, zu belegen, daß Wittgensteins Paradox tatsächlich mit Goodmans „grue“-Paradox strukturell übereinstimmt - allerdings in einem ganz anderen Sinn als von Kripke behauptet. Beide Paradoxa markieren eine Umkehrung der Perspektive, die sich mit Goodman als eine Ablösung des traditionellen Humeschen Problems durch das Problem der Projektion, genauer: das Problem der Unterscheidung von projizierbaren und nicht-projizierbaren Etiketten, bezeichnen läßt. Es wird zweitens darum gehen, Wittgensteins pragmatische Lösung des Paradoxons gegen Kripkes „skeptische Lösung“ abzugrenzen: Diese stellt eine „Trivialisierung“ (Stetter 2005b: 179) der Wittgensteinschen Position dar, die sich in einer Interpretation des Privatsprachenarguments widerlegen läßt. Wittgensteins Herangehensweise an das Problem des Apriori erzeugt in den Philosophischen Untersuchungen tatsächlich grundlegende Fragestellungen, die das Humesche Problem wieder aufnehmen. In seiner traditionellen Form lehnt Wittgenstein das Problem aber ebenso ab, wie Goodman das gesie aber in der von Kripke geprägten Bedeutung verwendet. 2 Darüber hinaus scheint sie auch in gewisser Hinsicht die Zustimmung von H. Putnam und C. Elgin zu finden. So berichtet Putnam in seinem Vorwort zu Fact, Fiction, and Forecast zustimmend von einer dahingehenden Bemerkung C. Elgins (vgl. Putnam 1983: viiif. und FN 2). <?page no="191"?> Das Gespenst des Skeptizismus 187 tan hatte. Die allgemeine Frage, wie ein Schließen auf Zukünftiges überhaupt begründet werden kann, hat auch für Wittgenstein keinen Sinn - der Blick auf die tatsächliche Praxis weist eine verfehlte Fragestellung ab. Die Philosophischen Untersuchungen vollziehen diese Umkehrung explizit: Wenn man nun fragte: Wie kann aber frühere Erfahrung ein Grund zur Annahme sein, es werde später das und das eintreffen? - so ist die Antwort: Welchen allgemeinen Begriff vom Grund zu solch einer Annahme haben wir denn? (PhU § 480) Und die Antwort auf die letztere Frage liegt wiederum in nichts anderem als in einem Blick auf die tatsächliche Praxis: Die Natur des Glaubens an die Gleichförmigkeit des Geschehens wird vielleicht am klarsten in dem Falle, in dem wir Furcht vor dem Erwarteten empfinden. Nichts könnte mich dazu bewegen, meine Hand in die Flamme zu stecken, - obwohl ich mich doch nur in der Vergangenheit verbrannt habe. (PhU § 472) Diese Sicherheit im Handeln ist das primäre Phänomen, das keine Fundierung erhalten kann, die von grundsätzlich anderer Art wäre als das Phänomen selbst: Die Rechtfertigung durch die Erfahrung hat ein Ende. Hätte sie keins, so wäre sie keine Rechtfertigung. (PhU § 485) 3 Wittgensteins Ablehnung der traditionell als Humesches Problem bezeichneten Frage ergänzt hier den Goodmanschen Kommentar (vgl. 3.3.1 und FFF 62/ 84f.), daß wir im strengen Sinn kein Wissen über die Zukunft haben: unser Verhalten beruht nicht auf einem solchen Wissen. In seiner Goodmanschen Version, d.h. als Problem der Projizierbarkeit, spielt die Frage dagegen eine wichtige Rolle; Wittgenstein stellt sie in Form des sog. Paradoxons des Regelfolgens. Wittgensteins Paradox - daß „jede Handlungsweise mit der Regel zur Übereinstimmung zu bringen sei“ (PhU § 201) - und Goodmans „grue“-Paradox bringen jeweils vor unterschiedlichem Hintergrund das oben genannte Grundproblem auf den Punkt, das sich jeder an Mustergebrauch orientierten Darstellung von Symbolgebrauch stellt: das Problem, wie die Praxis - wie man sagen könnte, wenn man einen Ausdruck Wittgensteins zweckentfremdet - für sich selber sorgen kann. Daß dies nicht den Begriff der Regel in dem der Regelmäßigkeit schlicht auflöst, läßt sich letztlich nur mit Hilfe des Privatsprachenarguments zeigen, denn dieses erweist die konstitutive Rückbindung der Symbolverwendung selbst an die 3 Das Wegfallen einer weitergehenden Begründung, insbesondere einer Begründung im Meinen oder Verstehen des Subjekts scheint eine Beschränkung auf die Außenperspektive nach sich zu ziehen und hat Wittgenstein den Vorwurf des Behaviorismus eingetragen. Gegen diese Lektüre aber hat Wittgenstein sich verwahrt (vgl. PhU § 307f.). <?page no="192"?> 188 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein Kriterien kollektiver Praxis. Allerdings versteht eine Deutung des Regelproblems über den Begriff der Projektion das Erkennen von Regelmäßigkeiten und das Regelfolgen gleichermaßen als Projektionsleistungen und verschiebt dadurch den Schwerpunkt des Problems: Regeln sind nicht geheimnisvoller als Regelmäßigkeiten. Wie in der Frage des Regelbegriffs bedürfen auch in diesem Zusammenhang für Wittgenstein andere Behauptungen der Begründung als für Goodman. Liegt für beide in der „Verankerung“ (in einem weiten Sinn aufgefaßt) die Antwort auf das Problem der Projektion, ist doch für Wittgenstein sowohl der Handlungscharakter als auch der soziale Charakter von Symbolgebrauch allererst noch gegen subjektphilosophische Auffassungen zu beweisen. Für den ersteren Punkt trägt das Regressargument, das mit dem Paradox des Regelfolgens verbunden ist, die Beweislast, für den letzteren das Privatsprachenargument. 5.2 Das Paradox des Regelfolgens 5.2.1 Das Paradox des § 201 Die Frage, auf welche Weise die Regel die Anwendung bestimmt, wird in den Philosophischen Untersuchungen in den Bemerkungen, die sich an die Maschinenmetapher des § 193 anschließen, wieder aufgegriffen. In den vorhergehenden Abschnitten, insbesondere dem Gedankenexperiment der „Lesemaschinen“ (vgl. PhU § 157ff.), geht es darum, daß das Kriterium für Regelfolgen kein innerer Zustand ist, sondern im Verhalten liegt; entsprechend schließen die Überlegungen zur Maschinenmetapher ein mechanisches Ableiten der Anwendung aus der Regel als idealisierende Vorstellung aus (vgl. 3.4.2). In diesem Kontext formuliert Wittgenstein das bekannte Paradox des § 201: Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei. Die Antwort war: Ist jede mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen, dann auch zum Widerspruch. Daher gäbe es hier weder Übereinstimmung noch Widerspruch. (PhU § 201) „Unser Paradox war dies“ verweist direkt auf eine entsprechende Formulierung des § 198 zurück: „Aber wie kann mich eine Regel lehren, was ich an dieser Stelle zu tun habe? Was immer ich tue ist doch durch eine Deutung mit der Regel zu vereinbaren.“ - Nein, so sollte es nicht heißen. Sondern so: Jede Deutung hängt, mitsamt dem Gedeuteten, in der Luft; sie kann ihm nicht als Stütze dienen. Die Deutungen allein bestimmen die Bedeutung nicht. (PhU § 198) <?page no="193"?> Das Paradox des Regelfolgens 189 Eine Interpretation dieser Abschnitte muß klären „wer spricht“, was das Paradox genau besagt, welche Stellung es in den Philosophischen Untersuchungen einnimmt (inwiefern es etwa im Vergleich zu den vorhergehenden Bemerkungen überhaupt neu ist und wie es mit dem Privatsprachenargument zusammenhängt) und wie Wittgensteins Lösung im einzelnen auszubuchstabieren ist. 5.2.2 Kripkes Wittgenstein Kripkes (1989 [1982]) Interpretation des Wittgensteinschen Paradoxons und des Privatsprachenarguments ist sicher eine der umstrittensten Deutungen dieser häufig kommentierten Bemerkungen. Kripke ist bekanntlich der Auffassung, daß Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen ein skeptisches Paradox hinsichtlich der Frage des Regelfolgens sowie dessen skeptische Lösung vorgelegt hat. Beides - Paradox und Lösung - sei in den Bemerkungen, die den §§ 201 und 202 vorausgehen, bereits formuliert, diese vorhergehenden Bemerkungen enthielten auch bereits das eigentliche Privatsprachenargument. Das sogenannte Privatsprachenargument der Bemerkungen 243ff. sei nur die nachträgliche Anwendung bereits feststehender Schlußfolgerungen auf einen Spezialfall, die Empfindungen („sensations“) (vgl. Kripke 1989 [1982]: 3f., 60 und 79). Kripke deutet das Paradox des § 201 folgendermaßen: Das Paradox ist für ihn „perhaps the central problem“ (Kripke 1989 [1982]: 7), auf das die Philosophischen Untersuchungen eine Antwort suchen. Es gibt nicht Wittgensteins Position wieder (diese entspricht der skeptischen Lösung des Paradoxons), stellt aber eine außerordentlich ernste und tiefgreifende Herausforderung durch den „Skeptiker“ (vgl. Kripke 1989 [1982]: 8) dar. Der Skeptiker bezweifelt, daß ich wissen kann, welche Regel ich gemeint habe, da es keine Tatsache in meinem früheren Verhalten gibt, aus der sich das ableiten ließe. Dieser Regelskeptizismus ist für Kripke gleichbedeutend mit einem allgemeinen Sprachskeptizismus. Um das deutlich zu machen, führt Kripke im Rückgriff auf das „grue“-Paradox die Funktion „quus“ ein, die dadurch definiert ist, daß sie für Werte bis 57 der Addition entspricht, für Werte größer 57 aber das Ergebnis 5 hat. Hätte ich noch nie Zahlen addiert, die größer als 57 sind, gäbe es kein Kriterium, um festzustellen, ob ich bislang in meinen Berechnungen „plus“ oder „quus“ angewendet habe: The sceptic claims (or feigns to claim) that I am now misinterpreting my own previous usage. By ‚plus‘, he says, I always meant ‚quus‘; […] now under the influence of some insane frenzy, or a bout of LSD, I have come to misinterpret my own previous usage. (Kripke 1989 [1982]: 9) 4 4 Um zu verhindern, daß sich der Skeptiker sofort in einen Selbstwiderspruch verwickelt, bezieht Kripke die Argumentation nur auf den vergangenen Sprachgebrauch (vgl. Kripke 1989 [1982]: 8). <?page no="194"?> 190 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein Wenn es aber kein Kriterium dafür gibt, was ich gemeint habe, fällt damit auch die normative Kraft der Regel: This, then, is the sceptical paradox. When I respond in one way rather than another to such a problem as ‚68+57‘, I can have no justification for one response rather than another. […] [T]here is no fact about me that distinguishes between my meaning plus and my meaning quus. (Kripke 1989 [1982]: 21) Kripke hält dieses sprachskeptische Paradox für die bislang radikalste Form des Skeptizimus (vgl. Kripke 1989 [1982]: 60). 5 Für die Deutung des Wittgensteinschen Textes bedeutet diese Auslegung des Paradoxons zweierlei: Erstens ist es ohne direkten Ausweg, darin sind Kripkes Wittgenstein und der Skeptiker sich einig (vgl. Kripke 1989 [1982]: 70f); d.h. es ist nur eine „skeptische“ Lösung möglich, die die Unausweichlichkeit der skeptischen These anerkennt (vgl. Kripke 1989 [1982]: 66). Diese skeptische Lösung besteht darin, nicht mehr das Verhalten eines Individuums, sondern das einer Gemeinschaft zu betrachten. Denjenigen Individuen, die sich so verhalten, wie das in der Gemeinschaft unter den entsprechenden Umständen üblich ist, wird von den anderen ein entsprechender Regelbegriff zugeschrieben: „It is, then, in such a description of the game of concept attribution that Wittgenstein’s sceptical solution consists.“ (Kripke 1989 [1982]: 95) Diese Praxis hat allerdings nur Sinn, wenn ein gewisses Maß an faktischer Übereinstimmung besteht (vgl. Kripke 1989 [1982]: 91f.). Diese Übereinstimmung und die darauf beruhende Regelzuschreibung sind die einzige Grundlage des Regelfolgens. Zweitens wird das Problem der Privatsprache zu einem Spezialfall des skeptischen Problems (vgl. Kripke 1989 [1982]: 3). Für Kripke ist die Ablehnung einer privaten Sprache bereits im § 202 vollzogen (vgl. Kripke 1989 [1982]: 79); die Bemerkungen 243ff. wenden lediglich die Problemstellung des Paradoxons auf den Fall der Empfindungen an, d.h. auf einen Fall, der ein mögliches Gegenbeispiel zur skeptischen Position darstellen könnte (schließlich scheint man sich ja wenigstens über die Identifizierung seiner eigenen Empfindungen nicht täuschen zu können (vgl. Kripke 1989 [1982]: 80)). Das Gedankenexperiment der privaten Notation, in dem jemand das Auftauchen einer bestimmten Empfindung mit dem Kürzel „E“ notiert (vgl. PhU § 258), zeigt aber, daß es kein Kriterium dafür gibt, welche Empfindung mit „E“ gemeint ist. Für Kripke ist die Pointe dieser Bemerkung nun nicht, daß es ein solches Kriterium in einer privaten Sprache nicht geben kann, sondern daß 5 Stegmüller, der eine ausführliche und weitgehend zustimmende Darstellung von Kripkes Interpretation gibt, hat in diesem Sinn von einem „hyperskeptischen“ Paradox gesprochen, das tiefer ansetze als alle anderen skeptischen Positionen, die zumindest sprachliche Bedeutung unangetastet ließen (vgl. Stegmüller 1986: 8). <?page no="195"?> Das Paradox des Regelfolgens 191 es in keiner Sprache und für keinen Gegenstand ein solches Kriterium gibt. Wittgensteins Frage ist also, laut Kripke, nicht, wie sich die Unmöglichkeit einer privaten Sprache beweisen läßt, sondern umgekehrt, wie überhaupt eine Sprache möglich ist (vgl. Kripke 1989 [1982]: 62). 5.2.3 Die Kritik an Kripkes Deutung des Paradoxons Obwohl Kripke selbst sich in dieser Hinsicht nicht recht festlegt, 6 werden seine Überlegungen in der Regel zumindest auch als Wittgenstein-Interpretation gelesen und als solche mehrheitlich abgelehnt. 7 In der Literatur wird dabei vor allem auf einen Punkt hingewiesen, der die Interpretation des Paradoxons selbst betrifft. Weit davon entfernt, ein entscheidendes, auf direkte Weise nicht lösbares Problem zu sein, ist das Paradox ein bloßes „Mißverständnis“ (PhU § 201), das von Wittgenstein sofort und umstandslos zurückgewiesen wird: Daß da ein Mißverständnis ist, zeigt sich schon darin, daß wir in diesem Gedankengang Deutung hinter Deutung setzen […]. (PhU § 201) Das Paradox ergibt sich also überhaupt nur dann, wenn man Regelfolgen fälschlicherweise als ein Deuten auffaßt - das führt nun offensichtlich in einen Regress einander deutender Deutungen. Regelfolgen ist aber, im Gegenteil, „eine Praxis“ (PhU § 202). In dieser Entgegensetzung von „Deutung“ und „Praxis“ liegt nachgerade die Pointe des Paradoxons: What the absurd paradox that rules cannot guide one shows is that how one understands a rule need not be an interpretation, but is manifest in acting, in what we call ‚following the rule‘. (Baker/ Hacker 1984a: 14) Wittgensteins Text ist hier sehr deutlich, so daß in zweifacher Hinsicht in der Literatur weitgehend Einigkeit herrscht: Das Paradox ist, erstens, ein Einwurf des Gegners; aber es kommt, zweitens, aufgrund des Handlungscharakters des Regelfolgens gar nicht erst zustande. 8 Kripkes Interpretation ist damit eindeu- 6 Kripke gibt an, die in Wittgenstein On Rules and Private Language dargestellte Argumentation sei weder als Wittgensteins noch als Kripkes zu lesen, sondern als „Wittgenstein’s argument as it struck Kripke“ (Kripke 1989 [1982]: 5). Allerdings legen seine Formulierungen in der Regel nahe, daß er seine Überlegungen tatsächlich doch auf Wittgenstein bezieht (vgl. die Nachweise in Anscombe 1985: 103f.): „Kripke somewhat belies his disclaimers“ (Anscombe 1985: 108). 7 Eine Kritik haben bereits kurz nach dem Erscheinen des Buchs G.P. Baker und P.M.S. Hacker (1984a) sowie G.E.M. Anscombe (1985) vorgelegt. Eine Übersicht über die Diskussionen zu Kripkes Interpretation in den 80er und 90er Jahren gibt der Sammelband von Miller/ Wright (2002). 8 Vgl. in diesem Sinne z.B. Baker/ Hacker (1984a: 19f.), Anscombe (1985: 108), Malcolm (1986: 154f.), Schulte (1989: 159f. und FN 71) und Stetter (1997: 573f. FN 178). <?page no="196"?> 192 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein tig widerlegt: Das Paradox ist für Wittgenstein keineswegs unüberwindbar und als solches hinzunehmen. Wittgenstein vertritt keinen Regelskeptizismus. Eine skeptische Position gliche, im Gegenteil, am ehesten der des philosophischen Zweiflers, wie er auch in Über Gewißheit ausführlich dargestellt wird - und ein solches Vorbringen von Zweifeln, ohne daß ein lebensweltlicher Anlaß dafür bestünde, bloß „weil wir uns einen Zweifel denken können“ (PhU § 84), lehnt Wittgenstein mit Verweis auf den Alltagsgebrauch nachdrücklich ab. Eine radikal sprachskeptische Fragestellung, die jederzeit eine grundsätzliche Rechtfertigung dafür fordert, daß ich mit „x“ tatsächlich x gemeint habe, ist von jedem alltäglichen Sprachgebrauch losgelöst; dort ist eine solche Rechtfertigung schlicht überflüssig (vgl. z.B. Baker/ Hacker 1984a: 37). Allerdings heißt das noch nicht, daß Kripkes Interpretation als „Torheit“ (von Savigny 1994: 250) abzutun ist. Wenn sie trotz ihrer ganz offensichtlichen interpretatorischen Schwäche so große Beachtung gefunden hat, dann deshalb, weil sowohl die Rede vom skeptischen Paradox als auch von seiner skeptischen Lösung auf ihre verfehlte Art auf tatsächliche Interpretationsprobleme verweisen: auf die Frage nach dem Sinn und Kontext des Paradoxons (vgl. 5.2.4) und auf die Frage nach der eigentlichen Funktion des Privatsprachenarguments (vgl. 5.3). 5.2.4 Wittgensteins Paradox und Goodmans „new riddle of induction“ Kripkes Interpretation rückt Wittgensteins Paradox in die Nähe des Goodmanschen „grue“-Problems, indem er sein skeptisches Paradox des Regelfolgens mit Hilfe der Funktion „quus“ formuliert. Die Frage, wie Wittgensteins Paradox sich im einzelnen zu Goodmans Paradox verhält, ist in der Literatur zu Kripke dennoch kaum näher untersucht worden; 9 in gewissem Sinn verstellt Kripkes Text selbst hier die Perspektive wieder, die er eröffnet hat: Die unüberwindlichen Probleme der „skeptischen“ Interpretation diskreditieren einen möglichen Vergleich mit Goodman, der es erlauben würde, mit Hilfe einer symboltheoretischen Übersetzung der Wittgensteinschen Problemstellung, den Sinn und den Status des Paradoxons in den Philosophischen Untersuchungen zu analysieren. Es ist daher sinnvoll, zunächst Kripkes Auffassung von Goodmans Problemstellung kritisch zu rekapitulieren, bevor man sich einem solchen Vergleich zuwendet. Kripke selbst stellt seine Deutung ausdrücklich in den Kontext von Goodmans „new riddle of induction“: „the basic strategy of Goodman’s treatement of the ‚new riddle‘ is strikingly close to Wittgenstein’s sceptical arguments.“ (Kripke 1989 [1982]: 58) Dabei hält Kripke aber fest, daß Goodmans Pro- 9 Eine Ausnahme bildet Hacking (1993), auf dessen Interpretation unten näher eingegangen wird. <?page no="197"?> Das Paradox des Regelfolgens 193 blemstellung sich auf Induktion bezieht und keinen sprachskeptischen Schwerpunkt hat - Goodman „largely ignores the problem about meaning.“ (Kripke 1989 [1982]: 58) Goodmans Fragestellung ist aus Kripkes Sicht also enger als Kripkes eigene. Allerdings bleibt in Kripkes Darstellung offen, ob Goodmans Paradox feststehende Bedeutungen voraussetzt (vgl. Kripke 1989 [1982]: 58 FN 44), also gerade voraussetzt, daß man das Paradox von Kripkes Wittgenstein ignoriert, oder ob dessen Fragestellung umgekehrt letztlich Goodmans Paradox zugrundeliegt. Kripke scheint eher der letzteren Auffassung zuzuneigen: In fact, I personally suspect, that serious consideration of Goodman’s problem, as he formulates it, may prove impossible without consideration of Wittgenstein’s. (Kripke 1989 [1982]: 59) Andere haben in Kripkes Paradox schlicht eine Übertragung von Goodmans Paradox auf den Bereich des Sprachlichen bzw. allgemein auf den Bereich der Regeln gesehen. Für Allen (1989) etwa legt Kripke eine auf die Frage der Bedeutung bezogene Version des „grue“-Paradoxons vor: „I would even say that the sceptical argument simply is Goodman’s riddle of induction, tailored to field linguistics rather than mineralogy.“ (Allen 1989: 262) Auch Baker und Hacker unterstellen Goodman eine skeptische These (im Gegensatz zu Allen aber in kritischer Absicht), die Kripke auf die Frage der Regeln übertragen habe: Kripkes Paradox sei eine „normative version of Goodman’s ‚new riddle of induction‘“ (Baker/ Hacker 1984: 10). Richtig ist sicher, wie Kripke anmerkt, daß Goodmans Paradox kein sprachskeptisches ist. Die Frage des Meinens ist der Anlage von Goodmans Fragestellung in Fact, Fiction, and Forecast fremd; Goodmans Problem ist eines der Kriterien der Anwendung für gegebene Begriffe, und es geht nicht darum, zu hinterfragen, ob wir unsere Wörter einstimmig verwenden. Allerdings läßt sich dennoch nicht sagen, Kripkes Paradox sei eine Erweiterung bzw. Übertragung von Goodmans Paradox auf das Sprachliche als einen anderen Bereich. Die Tragweite des „grue“-Problems ist nicht auf naturwissenschaftliche Hypothesen beschränkt; es stellt einen Fall von Symbolgebrauch dar und läßt sich für jeden Projektionsvorgang, für jeden Symbolgebrauch konstruieren. 10 10 Damit ist auch eine weitere Interpretation des Verhältnisses von Kripkes Paradox und Goodmans Paradox ausgeschlossen: Für I. Hacking ist das Goodmansche Problem „pré-humien“, da es die Frage nach der richtigen Klassifikation der Dinge, also nach den richtigen Arten oder Substanzen stellt, wie sie auch ein Nominalist vor Hume hätte vorbringen können; es ist unabhängig von der Frage nach der Öffentlichkeit oder Privatheit von Sprache und dem nach-humeschen Sprachskeptizismus Kripkes (vgl. Hacking 1993: 41, 49f. und 54) Für Hacking ist Goodmans Problem daher auch weder ein skeptisches, noch im engeren Sinn <?page no="198"?> 194 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein Darüber hinaus ist Goodmans Paradox auch von seinem Gesamtcharakter her nicht skeptischer Natur. 11 Kripkes Skeptiker schließt daraus, daß sich (wie das „quus“-Beispiel zeigt) keine Tatsachen finden lassen, die zur Rechtfertigung der Wahl einer bestimmten Anwendung der Regel bzw. dafür, etwas Bestimmtes gemeint zu haben, dienen können, daß keinerlei Rechtfertigung unserer symbolischen Praxis möglich ist. Goodmans „grue“-Paradox zeigt nun tatsächlich, daß diese Praxis nicht aus empirischem Wissen ableitbar ist, zieht daraus aber keine skeptische Konsequenz. Im Gegenteil: Das Interessante am „grue“-Problem ist ja gerade, daß es für unsere symbolische Praxis in der Regel keine Rolle spielt, die Entscheidung für ein bestimmtes Symbolsystem und eine bestimmte Kategorisierung also bereits getroffen ist. Es führt für Goodman also auf eine pragmatische Konsequenz, die er mit Hilfe des Begriffs der Verankerung ausbaut: Die bisherige Praxis und letztlich nur diese gibt die Kriterien für Symbolgebrauch vor, die Frage nach den Kriterien tritt an die Stelle der Frage nach der Fundierung. Mit anderen Worten: Goodman teilt nicht die Voraussetzung einer notwendigen Fundierung von Symbolgebrauch im Wissen um bestimmte (innere) Tatsachen, in einem Meinen, von der Kripkes Skeptiker ausgeht. 12 Goodmans Paradox ist also nicht Kripkes Paradox; sowohl Goodmans Paradox als auch die pragmatische Konsequenz, die er daraus zieht, weisen dafür aber eine Reihe gemeinsamer Züge mit Wittgensteins Paradox auf: Erstens beschreiben beide Paradoxa formal gesehen dasselbe Problem, wie sich mit Hilfe einer symboltheoretischen Reformulierung von Wittgensteins Paradox nachweisen läßt; zweitens kommen sie beide im Kontext von Mustergebrauch allererst zustande; drittens sind sie beide aufgrund der pragmatischen Verankerung von Symbolgebrauch hinfällig. Wittgenstein und Goodman vertreten also aus ähnlichen Gründen keinen Skeptizismus. Der Vergleich zeigt ein Induktionsproblem (vgl. Hacking 1993: 51 und 55). - Die hier vorgelegte Analyse folgt diesen beiden letzten Konsequenzen, geht aber dagegen davon aus, daß auch das „grue“-Problem bereits ein symboltheoretisches ist. In diesem Sinne ist es gerade nicht „pré-humien“, da es die Frage nach der richtigen Klassifikation der Dinge auf die Ebene des Symbolgebrauchs verlegt. 11 Hacking (1993: 87ff.) hat die Ähnlichkeit und den Unterschied zwischen Kripke und Goodman als den zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Skeptizismus ausgedrückt: Kripkes Skeptizismus sei bloß theoretisch, Goodmans wie Humes dagegen „effrayant“, weil er einen gelebten Zweifel ausdrückt. Das ist durchaus sinnvoll, auch weil Goodman seine eigene Position gelegentlich als „skeptisch“ bezeichnet (vgl. die folgende Fußnote). 12 Man kann diese Ablehnung einer absoluten Fundierung von Symbolgebrauch durchaus - mit Goodman/ Elgin (vgl. R 162/ 214) - als „skeptisch“ bezeichnen, in diesem Sinn sind sowohl Goodman als auch Wittgenstein Skeptiker, und in diesem Sinn nennt Goodman auch seine eigene Haltung „skeptisch“ (WW 1/ 13). In der vorliegenden Arbeit wird „skeptisch“ aber im Sinne von Kripkes Ansatz verwendet. <?page no="199"?> Das Paradox des Regelfolgens 195 ebenfalls, daß sich auch hier wieder Unterschiede in der Schwerpunktsetzung ergeben: Goodmans Beweis, daß die Wahl der Etiketten keine empirische Fundierung hat, führt letztlich in seinem Werk auf eine konstruktivistische Pointe; Wittgenstein beweist mit Hilfe des Paradoxons den Handlungscharakter des Regelfolgens. Ein Vergleich der beiden Paradoxa geht sinnvollerweise von einer Reformulierung von Wittgensteins Paradox mit Hilfe symboltheoretischer Kategorien aus. Das Verhältnis von Regel und Anwendung läßt sich in einer symboltheoretischen Begrifflichkeit nur als Referenzverhältnis fassen, d.h. als Verhältnis von Etikett und Gegenstand der Bezugnahme. Wenn „jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen“ (PhU § 201), jede Anwendung „durch irgend eine Deutung mit der Regel zu vereinbaren“ (PhU § 198) ist, besagt das soviel wie: Die Extension eines Etiketts umfaßt beliebige Gegenstände. Auf den ersten Blick scheinen Goodmans und Wittgensteins Überlegungen hier von verschiedenen Richtungen her zu kommen: Wittgensteins Paradox geht von der Seite der Regel aus und behauptet, daß man sie so auslegen kann, daß jede Anwendung darunter fallen könnte; Goodman beweist, daß man zu jeder Serie von Anwendungen beliebige Regeln konstruieren kann. Allerdings - und hier zeigt sich die grundlegende Gemeinsamkeit - funktioniert Wittgensteins Paradox, indem es unsere Etiketten gleichsam dadurch unbrauchbar macht, daß es sie alle als „grue“-artig auffaßt. Daß jedes Etikett als „grue“-artig umgedeutet werden kann, um auf jeden möglichen Anwendungsfall zu passen, besagt aber nichts anderes, als daß man zu jeder Serie von Anwendungen beliebige Regeln derart konstruieren kann, daß in dieser Serie ein „grue“-artiger Fall folgt. Das zeigt sich deutlich, wenn man ein entsprechendes Sprachspiel ansieht. Mit dem bereits mehrfach zitierten Fall des Schülers im § 185 liegt ja genau eine solche Umdeutung der Regel vor: Wir lassen nun den Schüler einmal eine Reihe (etwa „+2“) über 1000 hinaus fortsetzen, - da schreibt er: 1000, 1004, 1008, 1012. […] Oder nimm an, er sagte, auf die Reihe weisend: „Ich bin doch auf die gleiche Weise fortgefahren! “ (PhU § 185) Wenn der Schüler die Anweisung „+2“ für Zahlen ≥ 1000 als identisch mit „+4“ versteht, konstruiert er ein „grue“-artiges Etikett und ein entsprechendes Problem - eben daß an den bisherigen Fällen der Unterschied zwischen der normalen und der „grue“-artigen Anweisung nicht zu sehen ist. Dieses Moment des Umdeutens in Wittgensteins Paradox und diese Analogie zwischen Goodmans und Wittgensteins Paradox hat Kripke richtig gesehen und für seine Zwecke verfremdet. Beide Paradoxa beschreiben auf unterschiedliche Weise, wie Referenzverhältnisse als unterdeterminiert aufgefaßt werden können, und zeigen, daß die <?page no="200"?> 196 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein Wahl der richtigen Kategorien darin eine zentrale Rolle spielt. Dabei gleichen sich die von den beiden Paradoxa beschriebenen Szenarien nicht nur formal, sondern auch in den Grundvoraussetzungen: Beide Szenarien ergeben sich aus einer Situation des Mustergebrauchs. Goodmans Induktionsproblem ist offensichtlich eine solche, aber auch Wittgensteins Paradox kommt nur zustande, wenn man davon ausgeht, daß Symbolgebrauch als eine Serie von Beispielen dargestellt werden kann. Ebenso wie „grue“-artige Prädikate unsinnig erscheinen, ist das Paradox des § 201 für sich genommen völlig kontraintuitiv, denn in unserer alltäglichen Praxis ist es ja gerade so, daß nicht jede Handlungsweise mit einer bestimmten Regel zu vereinbaren ist, Handlungen also (auch) in dieser Hinsicht gelingen oder mißlingen können. Seine scheinbare Plausibilität bezieht das Paradox lediglich aus den Entscheidungen der vorhergehenden Bemerkungen (vgl. oben 5.2.1): Erst wenn die Anwendung der Regel weder durch innere Zustände noch durch eine Mechanik der Anwendung garantiert ist, scheint die Verbindlichkeit der Regel für den erschrockenen Gesprächspartner durch nichts mehr gesichert, die Reihe der Anwendungen auf beliebige Weise fortsetzbar. Wittgensteins Antwort besteht, so der Konsens der Kommentatoren (vgl. oben 5.2.3), in der Feststellung, daß es „eine Auffassung einer Regel gibt, die nicht eine Deutung ist“ (PhU § 201). Eine solche Auffassung der Regel kann nur auf die geteilte Praxis als das verweisen, was den Symbolgebrauch anleitet - das Regelfolgen erfordert „einen ständigen Gebrauch, eine Gepflogenheit“ (PhU § 198). Um das Verbindliche dieser kollektiven Gebrauchsweisen und die argumentative Unhintergehbarkeit der geteilten Praxis als Erklärungsinstanz zu betonen, spricht Wittgenstein auch in diesem Kontext wieder von Abrichtung - „ich bin zu einem bestimmten Reagieren auf dieses Zeichen abgerichtet worden, und so reagiere ich nun.“ (PhU § 198) Gerade in der Abgrenzung gegen Kripke zeigt sich so erneut, daß Goodman und Wittgenstein die Umkehrung der traditionell als Humes Problem bezeichneten Fragestellung gemeinsam ist: Nicht die absolute Fundierung der Regel, sondern das aus der tatsächlichen Praxis ersichtliche Kriterium der Anwendung ist Gegenstand der Untersuchung - das Paradoxe am „grue“- Problem und an der Meinung des Gesprächspartners im § 201 ist eigentlich, daß sie für die Praxis in der Regel nicht relevant sind. Betrachtet man Wittgensteins Paradox nach diesem Vergleich noch einmal im Textzusammenhang, zeigen sich aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Versionen: Die Beweiskraft von Goodmans Version beruht auf seiner formalen Herangehensweise und der vorläufigen Beschränkung auf ein bestimmtes Anwendungsgebiet, wodurch er gleichsam eine Konstruktionsanleitung für „grue“-artige Prädikate geben kann, die jederzeit eine paradoxe Situation erzeugen können. Eine solche „Konstruktionsanleitung“ kann man <?page no="201"?> Das Paradox des Regelfolgens 197 durchaus auch im § 185 sehen, allerdings spielt sie Wittgenstein nicht in derselben Weise aus. Wittgensteins Paradox hat nicht dieselbe Schlüsselstellung wie das „grue“- Paradox in Fact, Fiction, and Forecast, sondern stellt einen Punkt in einer langen Reihe von Argumenten und Beschreibungen dar, die sich gegen eine Kalkülauffassung der Regel richten. Auf die Bemerkung 185 folgen Überlegungen zur Rolle des Meinens im Regelfolgen und zur Frage, wie die Regel die weiteren Übergänge bestimmt, schließlich die Maschinenmetapher des § 193, es wird also - kurz gesagt - sowohl die Determinierung der Anwendung durch das Meinen als auch die Determinierung der Anwendung durch eine mechanische Ableitung abgelehnt. Hier liegt offensichtlich ein Unterschied zu Goodmans Fassung: Wittgensteins Paradox steht nicht nur in Zusammenhang mit der Frage der projizierbaren Etiketten, sondern auch allgemein im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, zu beweisen, was die Maschinenmetapher nur behauptet hatte - daß die Anwendung der Regel kein mechanischer Vorgang sein kann. Für Goodman ist das vorausgesetzt: Es geht ihm auch in der Frage der Induktion, also der wissenschaftlichen Theoriebildung, nicht um ein „Deuten“ im Wittgensteinschen Sinn, sondern um die Frage der Anwendung. 13 Man könnte sagen, er faßt Deuten ohnehin bereits als Handeln auf. Daß Wittgenstein dagegen allgemein für den Handlungscharakter des Regelfolgens und gegen eine Kalkülauffassung der Regel argumentiert, zeigt sich deutlich, wenn man den § 201 auf die Bemerkungen 84 und 219ff. bezieht. Dabei wird klar, daß das Regressargument, das in der Bemerkung 201 die Beweislast trägt, sich nicht nur gegen die Vorstellung einer beliebigen Interpretierbarkeit richtet, sondern ebenso gegen die entgegengesetzte Vorstellung einer vollständigen Deutung, also gleichermaßen gegen einen skeptischen Zweifel und gegen eine mechanistische Auffassung des Regelfolgens: Wittgenstein hatte es in den Philosophischen Untersuchungen bereits im § 84 verwendet, wo es um die Frage geht, ob Spiele (wieder als Beispiele für geregelte Handlungsvollzüge allgemein) in jeder erdenklichen Hinsicht geregelt sein müssen; Wittgensteins Antwort war (vgl. 4.2.6), daß das nicht nur nicht so sein muß, sondern vielmehr nicht einmal möglich ist, ohne in einen Regress zu geraten. Betrachtet man diese Überlegung rückblickend von der Argumentation des § 201 aus, geht es im § 84 um die Unmöglichkeit einer vollständigen Deutung 13 Das hatten Baker/ Hacker (1984a: ix) Kripke und Goodman vorgeworfen. Der Vorwurf beruht auf einem Mißverständnis, allerdings einem naheliegenden: Für Wittgenstein bezeichnet „Induktion“ nur das theoretische Vorgehen, das eine Handlungsgewißheit gerade nicht fundieren kann, er grenzt Regelfolgen als Handeln gerade gegen theoretisches Schließen ab (vgl. PhU § 324). Der Unterschied zu Goodman ist hier aber lediglich einer im Wortgebrauch. <?page no="202"?> 198 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein der Regel - die Unmöglichkeit einer vollständigen Regelung führt nur dann in einen Zustand allgemeinen Zweifelns, wie er im § 84 thematisiert wird, wenn man Regelfolgen als Deuten auffaßt. Das Regressargument dient so in den Bemerkungen 84 und 201 dazu, einander entgegengesetzte Irrtümer auszuhebeln: die Vorstellung einer vollständigen Deutung der Regel ist aus demselben Grund für das Regelfolgen irrelevant wie die Vorstellung einer unbegrenzten Interpretierbarkeit der Regel. Der falschen Alternative von vollständiger Vorherbestimmung und völliger Beliebigkeit entgeht nur eine Bestimmung des Regelfolgens als Handeln; diese Konstellation bringt Wittgenstein in den Bemerkungen 219ff. noch einmal auf den Punkt: Die Regel […] zieht die Linien ihrer Befolgung durch den ganzen Raum. - Aber wenn so etwas wirklich der Fall wäre, was hülfe es mir? Nein; meine Beschreibung hatte nur Sinn, wenn sie symbolisch zu verstehen war. - So kommt es mir vor - sollte ich sagen. Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind. (PhU § 219) Die Vorstellung von den Linien, also die Vorstellung einer vollständig vorgegebenen Anwendung durch eine vollständige Deutung der Regel, „hilft“ nichts, da sie - so kann man mit Blick auf den § 84 einfügen - dem Regressargument unterliegt. Das bekannte Diktum „Ich folge der Regel blind.“ benennt die einzig verbleibende Alternative - es besagt gerade nicht, daß Regeln etwa nicht explizierbar wären, sondern daß Regelfolgen eben kein solches Explizieren ist und die Verbindlichkeit der Regel darauf auch nicht beruht; sie besagt - das zeigt eindeutig der Zusammenhang - auch nicht, daß Regelfolgen etwa „blind“ im Sinne von mechanisch wäre. Das Gegenteil ist gemeint: Die Vorstellung von den Linien läßt sich höchstens als symbolische Darstellung der Verbindlichkeit der Regel auffassen; sie bringt dann - so fügt der § 220 hinzu - den Unterschied zwischen „kausaler“ und „logischer“ Bedingtheit zum Ausdruck. Mit anderen Worten: Sie stellt eine „logische“ als eine „kausale“ Bedingtheit dar und erzeugt so eine „mythologische“ Auffassung des Regelfolgens (vgl. PhU § 221). Diese ist insofern „Mythos“ als sie eine vollständige Deutung der Regel fordert, die aus der „logischen“ Anleitung durch die Regel eine kausale macht. Damit erhält aber die Rede von der „Anleitung“ einen völlig anderen Sinn, denn die Anwendung geht damit im Deuten auf, und zwar genau im von Wittgenstein bestimmten Sinn: „ „Deuten“ aber sollte man nur nennen: einen Ausdruck der Regel durch einen anderen ersetzen.“ (PhU § 201) Die Anwendung wird zum Kalkül, in dem man von der Bedeutung absieht, um Regelausdrücke gegeneinander zu verschieben. Die „logische“ Anleitung durch <?page no="203"?> Das Privatsprachenargument 199 die Regel besagt dagegen nichts anderes, als daß die Entscheidung für ein bestimmtes Symbolsystem und für die Projizierbarkeit bestimmter Etiketten getroffen wurde. Im situativen und sozialen Kontext besteht die Anleitung der Regel genau darin. Wittgensteins Paradox und seine Widerlegung befinden sich so im Schnittpunkt unterschiedlicher Argumentationslinien, in denen gegen einen Skeptizismus und gegen eine Kalkülauffassung gleichermaßen aus einer pragmatischen Position heraus argumentiert wird. Einige dieser Linien entsprechen der Vorgehensweise Goodmans, andere ergänzen sie. 5.3 Das Privatsprachenargument 5.3.1 Eine skeptische Lösung? Die Funktion des Privatsprachenarguments in den Philosophischen Untersuchungen Auch wenn Kripkes Paradox vom Goodmanschen und Wittgensteinschen Paradox gleichermaßen weit entfernt ist, ist seine „skeptische Lösung“ - für sich genommen und als Wittgenstein-Interpretation - nicht ohne Plausibilität: Besagt Wittgensteins Rückgang auf die „Gepflogenheit“ (PhU § 198), auf die geteilte Praxis, nicht gerade, wie Kripke behauptet, daß Symbolgebrauch bloß in der faktischen Übereinstimmung des Symbolhandelns und dem zugehörigen Sprachspiel der Regelzuschreibung gründet? Besagt die oben vorgelegte Analyse des Paradoxons nicht gerade, daß Kripkes Auffassung der Lösung richtig sein muß, da Kripke damit die Umkehrung der Humeschen Fragestellung, von der hier immer wieder die Rede war, genau gefaßt hat? Muß ein gegen die Letztbegründung von Symbolgebrauch gerichteter Ansatz nicht Regelhaftigkeit auf „Regelmäßigkeit plus Übereinstimmung im Verhalten“ zurückführen? Der Rückgang auf die Sprachgemeinschaft, wäre dann in dem Sinne eine bloß „skeptische“ Lösung, daß sie vor allem einen Verzicht auf bessere Erklärungen, einen behavioristischen Rückzug auf äußere Tatsachen darstellte. Tatsächlich fehlt einer solchen Auffassung aber ein entscheidendes Element: das Privatsprachenargument. Daß das Privatsprachenargument - und zwar aufgefaßt im traditionellen Sinn einer in den Bemerkungen 243ff. enthaltenen Argumentation - entgegen Kripkes Auffassung unverzichtbar ist, wird deutlich, wenn man sich die Angreifbarkeit einer Berufung auf die Sprachgemeinschaft vor Augen hält: Liefe Wittgensteins Analyse des Regelfolgens lediglich auf Kripkes „skeptische“ Lösung hinaus, ließe sie sich kaum gegen einen Nativismus verteidigen. 14 Wie angreifbar eine „skeptische“ Lösung 14 Der Gedankengang des folgenden Abschnitts orientiert sich insgesamt an den Überlegungen zum Verhältnis von Chomsky und Kripkes Wittgenstein in Stetter (2005b: 172ff.). <?page no="204"?> 200 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein ist, hat prominent Chomsky in seinem Knowledge of Language demonstriert, wo er eine ausführliche Kritik an Kripkes Wittgenstein vorlegt. 15 An den Kritikpunkten Chomskys läßt sich zweierlei zeigen: zum einen, wo die Probleme einer schlichten Berufung auf die Sprachgemeinschaft liegen, zum anderen, daß Wittgensteins Auffassung sich von Kripkes „skeptischer Lösung“ in eben diesen Punkten unterscheidet. Chomsky bringt im wesentlichen zwei Punkte gegen Kripkes Wittgenstein vor: Erstens widerspreche seine Darstellung des Regelzuschreibens unserer üblichen Praxis und, zweitens, könne er nicht beweisen, daß der Gedanke einer Privatsprache unsinnig ist. Kripkes Wittgenstein nimmt an - so Chomskys erster Kritikpunkt - daß wir ein Verhalten genau dann als Regelfolgen identifizieren, wenn es mit der Praxis der Mehrheit übereinstimmt. Das aber ist offensichtlich in vielen Situationen nicht der Fall: Wenn z.B. ein Kind eine Regel übergeneralisiert, stimmt seine Praxis nicht mit derjenigen der Mehrheit der Sprecher der Sprache überein, man würde das aber selbstverständlich als Regelfolgen bezeichnen (Chomsky 1986: 227f.). Für Chomsky ist diese Art der Regelzuschreibung der wissenschaftliche und lebensweltliche Normalfall. Aufgrund ihres Verhaltens schließen wir auf bestimmte Tatsachen hinsichtlich des Verstehens der anderen: „These are facts about Jones and his properties“ (Chomsky 1986: 242). Feststellungen über solche Tatsachen sind hinreichend, um zu beschreiben, welcher Regel eine Person folgt. An diese Überlegung schließt sich Chomskys zweiter Kritikpunkt an, der sich auf die Argumentation des § 202 der Philosophischen Untersuchungen bezieht (vgl. Chomsky 1986: 229ff.), auf die Passage also, die Kripke zufolge die Kritik einer privaten Sprache bereits enthält (vgl. Kripke 1989 [1982]: 79): Darum ist ‚der Regel folgen‘ eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel ‚privatim‘ folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen. (PhU § 202) Chomsky kommentiert diesen Text folgendermaßen: Daß jemand einer Regel folgt, hängt nicht davon ab, was er sich dabei denkt; aber daraus folgt nicht, daß man einer Regel nicht „privatim“ folgen könne: The premise is correct: Jones may or may not be following a rule whatever he is thinking, either because he doesn’t think about rules at all or because his self-analysis is wrong […] But the conclusion does not follow. If we say that Jones is obeying a rule „privately“, and hence that he is obeying a rule, nothing follows at all about whether he thinks that he is obeying the rule. (Chomsky 1986: 229) 15 Chomsky richtet seine Kritik ausdrücklich nur gegen Kripkes Wittgenstein, ohne die Frage der Richtigkeit der Interpretation berühren zu wollen (vgl. Chomsky 1986: 223). Allerdings versucht er auf diese Weise, einen Typus von Position zu erledigen, nämlich pragmatische Ansätze im allgemeinen. <?page no="205"?> Das Privatsprachenargument 201 Folglich gilt für Chomsky: „there seems nothing objectionable about the „private model“ of rule following“ (Chomsky 1986: 236). Sowohl Chomsky als auch (Wittgensteins) Wittgenstein gehen also davon aus, daß wir per Analogie das von unserem abweichende Verhalten anderer als Regelfolgen identifizieren können, daß wir über innere Vorgänge aufgrund äußerer Vorgänge urteilen und daß die seelischen Begleiterscheinungen der anderen dafür keine Rolle spielen. Chomsky folgert daraus, daß wir letztlich sowohl im Alltag als auch in den Wissenschaften auf die Kompetenz von Individuen schließen. Daß die Kriterien dafür öffentlich sind, ist für Chomsky kein Argument gegen privates Regelfolgen - denn wenn man in cartesianischer 16 Manier davon ausgeht, daß dieses ohnehin letztlich im geschützten Bereich subjektiver Innerlichkeit gründet und anderen nur indirekt zugänglich ist, ist diese Auffassung gegen eine Berufung auf die Sprachgemeinschaft durchaus zu verteidigen. Daß Kripkes skeptische Lösung in diesem Sinn einer Chomskyschen Sprachauffassung geradezu in die Hände spielt, hat ausführlich Stetter (2005b: 172ff.) dargestellt. Er spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von einer „Trivialisierung“ des Privatsprachenarguments, die eine wittgensteinsche und eine generativistische Herangehensweise „kompatibel“ macht (Stetter 2005b: 179). - Kripkes Lektüre des § 202 macht die Philosophischen Untersuchungen nicht hinreichend gegen einen Nativismus stark. 5.3.2 Die Unmöglichkeit einer privaten Sprache Die meisten Kommentatoren sind sich darüber einig, daß das „Privatsprachenargument“ die Abschnitte 243ff. umfaßt; 17 weitgehend Konsens scheint ebenfalls zu sein, daß die Bemerkungen 258ff. das Kernstück des Arguments enthalten. 18 Die Bemerkung 243 wirft im Anschluß an die Diskussion des Regelfolgens die Frage auf, ob eine private Sprache möglich ist. Diese Annahme einer privaten Sprache liegt in der Logik der Gegenposition(en) in den Philosophischen Untersuchungen; sie ist die verallgemeinerte, letztlich solipsistische Konsequenz der Vorstellungen, Denken sei sprachunabhängig und das Kriterium für die Bedeutung eines Zeichens sei deren Zuweisung in einem Akt des Meinens. Sie ist darüber hinaus, wie der vorhergehende Abschnitt gezeigt 16 Chomsky spielt eine cartesianische Tradition (die er für sich selbst in Anspruch nimmt) und eine Humesche Tradition (die er Kripkes Wittgenstein unterstellt) gegeneinander aus (vgl. Chomsky 1986: 235). 17 So machen z.B. unterschiedliche einführende Darstellungen die folgenden Angaben: §§ 243- 363 (Kenny 1973: 178), §§ 243-315 (Glock 1996: 309), §§ 256-271 (Candlish 1998: 143), je nachdem, ob Fragen des Verstehens und Denkens noch dazugehören sollen. 18 Explizit z.B. bei Kenny (1973: 190), Candlish (1998: 149), von Savigny (1994: 308), Stetter (2005b: 173), implizit z.B. bei Glock (1996: 311) und von Savigny (1969: 54). <?page no="206"?> 202 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein hat, systematisch gesehen ein Refugium für eine nativistische Regelauffassung und gegen den gemeinschaftlichen Gebrauch als letztes Kriterium für Regelfolgen. Was eine private Sprache ausmacht, bestimmt der § 243 folgendermaßen: Die Wörter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten, Empfindungen. Ein anderer kann diese Sprache also nicht verstehen. (PhU § 243) Die darauffolgenden Bemerkungen 19 fragen zum einen danach, was die Privatheit von Empfindungen eigentlich besagt, was Identitätskriterien für solche Gegenstände wären und wer als Träger oder „Besitzer“ der Empfindungen gelten soll, und stellen fest, daß unser gebräuchliches Vokabular für geistige Vorgänge nicht privat ist (vgl. PhU §§ 243-255). Diese Überlegungen münden in die Bestimmung, daß „Empfindungen sind privat.“ als grammatischer Satz gelten muß (PhU § 248). Eine zweite Serie von Bemerkungen fragt am Beispiel der Schmerzempfindung, was es heißt, Empfindungen zu benennen (vgl. PhU § 244) und entwirft - getreu der „Methode des § 2“ - ein Sprachspiel, das den Gedanken einer privaten Sprache überprüfbar macht, um ihn abzulehnen (PhU §§ 258-261 und 270). Schließlich erweitert Wittgenstein die Überlegungen von Empfindungen im engeren Sinn auf Vorstellungen bzw. „Vorstellungsbilder“ (vgl. PhU § 265), Sinnesdaten (am Beispiel der Farbeindrücke) (vgl. PhU § 272ff.) und andere geistige Vorgänge, wie Denken (vgl. PhU §§ 327ff., 339, 359ff.), Meinen (vgl. PhU § 358) und Verstehen (vgl. PhU § 321ff.). An welcher Stelle das Privatsprachenargument in allgemeine Überlegungen zur Philosophie der Psychologie übergeht, ist kaum bestimmbar; für alle diese Fälle kann aber die Aussage des § 293 als Fazit gelten: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von ‚Gegenstand und Bezeichnung‘ konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus. (PhU § 293) Konsequenz aus der Frage nach den Kriterien für Regelfolgen ist, daß innere Vorgänge welcher Art auch immer diese Rolle nicht spielen können; umgekehrt ist vielmehr erst zu bestimmen, wovon wir sprechen, wenn wir auf innere „Gegenstände“ referieren - womit diese aber keineswegs in behavioristischer Manier schlicht geleugnet werden sollen (vgl. PhU § 307f.). Das argumentative Kernstück dieser Überlegungen ist das Gedankenexperiment des § 258, das eine private Sprache in Szene setzt: 19 Die folgende Aufzählung ist eine erweiterte Fassung der Einteilung in Glock (1996: 309f.). <?page no="207"?> Das Privatsprachenargument 203 Ich will über das Wiederkehren einer gewissen Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem Zeichen „E“ und schreibe in einem Kalender zu jedem Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. - Ich will zuerst bemerken, daß sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt. - Aber ich kann sie doch mir selbst als eine Art hinweisender Definition geben! - Wie? Kann ich auf die Empfindung zeigen? - Nicht im gewöhnlichen Sinne. […] „Ich präge sie [die Verbindung des Zeichens mit der Empfindung, E.B.] mir ein“ kann doch nur heißen: dieser Vorgang bewirkt, daß ich mich in Zukunft richtig an die Verbindung erinnere. Aber in unserem Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man möchte hier sagen: richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier von ‚richtig‘ nicht geredet werden kann. (PhU § 258) Der private Gebrauch des Zeichens „E“ scheitert daran, daß es keine Kriterien für seinen richtigen Gebrauch gibt. Den Grund für dieses Scheitern hat man in der Literatur in unterschiedlicher Weise rekonstruiert; von Savigny unterscheidet in seinem Kommentar zu den Philosophischen Untersuchungen zwei Gruppen von Interpretationen, solche, für die das Argument auf der Privatheit des Referenzgegenstandes beruht, und solche, für die ausschließlich die Privatheit der Ausdrücke entscheidend ist (vgl. von Savigny 1994: 290). Von Savigny selbst vertritt die letztere Position: Die Argumentation ist völlig unabhängig davon, was in der privaten Zeremonie getauft werden soll; wesentlich ist nur, daß beim Ergebnis der Zeremonie niemand mitzureden hat. (von Savigny 1994: 314) Der eigentliche Beweis besteht dann darin, daß in einer Privatsprache die Richtigkeit der Erinnerung das einzige Kriterium für die Richtigkeit des Gebrauchs wäre, aber das, woran man sich erinnern müßte (daß „E“ auf Empfindung x referiert), ohne ein öffentliches Kriterium gar nicht klar zu fassen ist (vgl. von Savigny 1994: 313). Dagegen kommt es z.B. für Kenny (1973: 180) oder Hacker (1990: 97ff.) durchaus darauf an, daß die Gegenstände der Privatsprache privat sind. Kenny (1973) rekonstruiert das Argument in Analogie zu Wittgensteins Kritik der hinweisenden Erklärung folgendermaßen: Daß ostensive Definitionen im allgemeinen sprachliche Bedeutung nicht fundieren können, legt Wittgenstein zu Beginn der Philosophischen Untersuchungen gegen das Augustinische Bild der Sprache dar (vgl. oben 4.2.2ff.): Weder ist das Benennen die einzige oder die grundlegende Funktion von Sprache, noch können hinweisende Definitionen für sich genommen eine Bedeutungszuweisung leisten, da sie - aufgrund der allgemeinen Eigenschaften der Exemplifikation - eines Kontextes bedürfen, um verständlich zu sein, einen Sprachgebrauch also bereits voraussetzten. Die Bemerkung 258 bezieht diesen Gedanken auf die Frage der privaten Gegenstände, „to show that in the case of the private ostensive definition there <?page no="208"?> 204 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein cannot be any analogue of the background which is necessary if the public ostensive definition is to convey meaning.“ (Kenny 1973: 181) Die beiden Typen von Interpretationen sind, was das Ziel der Argumentation anbetrifft, nicht uneins: Das Privatsprachenargument legt, kurz gesagt, fest, daß jede Bezugnahme öffentlichen Symbolgebrauch erfordert. Sie unterscheiden sich allerdings darin, daß sie den Grund für das Scheitern der Referenz an unterschiedlicher Stelle sehen. Von Savignys Interpretation sieht zwei Fälle für den Kontext des Arguments als identisch an: den Fall privater Ausdrücke für öffentliche Gegenstände und den Fall privater Ausdrücke für private Gegenstände. Tatsächlich bedeutet das nichts anderes als eine Identifizierung des Privatsprachenarguments mit der Kritik der hinweisenden Erkärung im Anfangsteil der Philosophischen Untersuchungen. Ein „privatsprachliches“ Hinweisen auf einen „öffentlichen“ Gegenstand ist für Wittgenstein nicht möglich - nichts anderes besagt ja die Ablehnung der kontextfreien ostensiven Definition. Der Gegenstand wird dann aufgefaßt, als wäre er sprachunabhängig gegeben (womit man sich das entsprechende Kriterium, den relevanten Aspekt der Exemplifikation, erschleicht, d.h. ihn de facto aus einer existierenden Sprache importiert); tatsächlich aber verfügt man nicht über ein solches Kriterium, was die Referenz unmöglich macht. Die Inszenierung des § 258 gibt aber eine andere Konstellation vor: Das „Zeichen“ „E“ ist hinsichtlich seiner Gestalt - als Buchstabe des Alphabets, als Kürzel für „Empfindung“ - problemlos identifizierbar. Allerdings ist es als rein indexikalisches und syntaxloses Zeichen konzipiert (vgl. Stetter 1997: 581 und 584), so daß keinerlei systematischer Kontext, sondern nur die hinweisende Erklärung ihm Bedeutung verleihen kann. Seine Schriftlichkeit spielt insofern eine Rolle, als dadurch deutlich wird, daß auch eine intersubjektiv identifizierbare und dauernde Gestalt noch keine intersubjektive Verwendbarkeit garantiert (vgl. Stetter 1997: 581). In diesem Zusammenhang dient die Vorstellung eines privaten Gegenstandes dazu, den Gedanken einer privaten Referenz ad absurdum zu führen. Wenn die Semantik von „E“ nur davon abhängt, welche Zuweisung erfolgt, also welches Kriterium der Identität der Sprechende anlegt, dann gilt: „richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird“ (PhU § 258). Diese Pointe läßt sich auf unterschiedliche Weise formulieren: (1) Kennys Formulierung des Arguments - es könne für die private keine der „öffentlichen“ Ostension analoge Situation geben - bringt auf den Punkt, daß „privat“ hier gerade auch „kontextfrei“ heißt. (2) Ebensogut läßt sich als Ergebnis auch die Unmöglichkeit privater Referenzgegenstände hervorheben (vgl. Stetter 2005b: 183). Wittgenstein spielt in diesem Sinne einen weiteren Fall, den der nicht-privaten Ausdrücke für private Gegenstände, durch. Er notiert am Beispiel der Sinnesdaten in den Bemerkungen 398ff.: <?page no="209"?> Das Privatsprachenargument 205 „Aber wenn ich mir etwas vorstelle, oder auch wirklich Gegenstände sähe, so habe ich doch etwas, was mein Nachbar nicht hat.“ - Ich verstehe dich. Du willst um dich schaun und sagen: „Nur ich habe doch DIESES.“ (PhU § 398) Der Gesprächspartner denkt hier, er könne auf den Sinneseindruck selbst (das „visuelle Zimmer“ im Gegensatz zum „materiellen“ (PhU § 398)) hinweisen. Weshalb das nicht funktionieren kann, hat bündig der § 253 formuliert: „Die Antwort darauf ist, daß man durch das emphatische Betonen des Wortes „diesen“ kein Kriterium der Identität definiert.“ (PhU § 253) Bei diesem Fall scheint der Ausdruck einer gemeinschaftlichen, eben der deutschen, Sprache anzugehören, die Referenz rein aufgrund der Privatheit des Gegenstandes zu mißlingen. Aber das ist nicht ganz korrekt: Wer vom „visuellen Zimmer“ spricht, behandelt tatsächlich einen „öffentlichen“ Gegenstand, das materielle Zimmer, als privat (das heißt, als könne er das relevante Kriterium der Identität festlegen); wer „dieses“ durch emphatische Wiederholung definieren will, behandelt es aber umgekehrt auch als privaten Ausdruck. Von Savignys Unterscheidung der Interpretationstypen greift also in gewisser Hinsicht zu kurz: Privatheit von Gegenstand und Ausdruck bedingen einander im Kontext solcher scheinbarer Verweissituationen. Um solche „Erschleichung“ von Kriterien bzw. die Interferenz natürlichsprachlicher Kriterien, wie sie bei der Frage des „visuellen Zimmers“ und in der Kritik der hinweisenden Erklärung auftreten, auszuschließen, setzt der § 258 aber strenge Rahmenbedingungen fest. Dazu gehört für die Zwecke des Argumentationsgangs auch notwendig die Privatheit des Gegenstandes. (3) Schließlich läßt sich das Ergebnis des Privatsprachenarguments auch als das Zusammenfallen subjektiver und objektiver Kriterien in der Privatsprache festhalten (vgl. z.B. Rigal 1997: 45; Stetter 1997: 581), sodaß „der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen.“ (PhU § 202) Das Privatsprachenargument in diesem Sinn ist in den vorhergehenden Bemerkungen noch nicht enthalten - der § 202 enthält eine Kurzfassung des Arguments, dem aber wesentliche Momente noch fehlen, genau die Momente der Sprachspielsituation, die die Konklusion zwingend machen: die Indexikalität von „E“ und die Privatheit des Gegenstandes. Im Gegensatz zu Chomskys Bemerkungen zum § 202, wie sie im vorhergehenden Abschnitt referiert wurden, hebt die Inszenierung des § 258 so gerade den Unterschied zwischen dem, was „Jones“ sich denkt, und dem Kriterium des Regelfolgens auf. Es ist kein Zufall, daß Chomsky mit Kripke bei der Kurzfassung des § 202 stehenbleibt, die diese Konsequenz zwar benennt, sie aber noch nicht beweist. Wittgensteins eigenes Privatsprachenargument ist im Gegensatz dazu ein schlüssiger Beweis gegen eine nativistische Kompetenzauffassung wie Chomsky sie vertritt (vgl. Stetter 2005b, Kap. 4). Entscheidend dafür ist das, was allen drei genannten Formulierungen des Privatsprachenarguments gemeinsam ist: daß in einer privaten <?page no="210"?> 206 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein Sprache Symbolgebrauch gar nicht erst zustande kommt. Symbole sind als solche sozial konstituiert. Baker/ Hacker haben bestritten, daß dieser soziale Aspekt die Pointe des Privatsprachenarguments ausmacht; sie versuchen, den Gedanken der sozialen Verfaßtheit von dem der Normativität der Regel abzulösen: Wittgenstein’s discussion of following rules was not meant to show that it only makes sense to talk of someone’s behaviour as constituting an instance of following a rule in the context of a community of rule-followers. Rather, it was designed to show that it only makes sense to talk of following a rule in the context of a practice - a behavioural regularity - informed by normative activities (e.g. using the formulation of a rule as a standard of correctness, rectifying mistakes, justifying action by reference to a rule). (Hacker 1990: 18) 20 Diese Auffassung weist zwar zu Recht darauf hin, daß Übereinstimmung im Verhalten Regelfolgen noch nicht begründet, sie vergibt aber den Grundgedanken, der durch den § 258 gewonnen wird: „normative Aktivitäten“, gleichgültig ob sie von einer oder mehreren Personen durchgeführt werden, bedürfen der sozialen Institution. Die beiden Aspekte sind gerade nicht von einander zu trennen. 21 Jede andere Auslegung fällt der oben aufgeführten Kritik Chomskys anheim. Systematisch begründet das Privatsprachenargument so zwei Umkehrungen der Perspektive - zum einen hinsichtlich der subjektphilosophischen Frage nach der Beschreibung des Mentalen, zum anderen hinsichtlich einer Konzeption von Symbolgebrauch jenseits von Fragen der Fundierung im Mentalen. Das Privatsprachenargument öffnet, zum einen, einen neuen Untersuchungsbereich, den der Philosophie der Psychologie: die Untersuchung von inneren Vorgängen nach äußeren und öffentlichen Kriterien, ohne die auf sie gar nicht Bezug genommen werden kann. Man hat verschiedentlich versucht, diese unterschiedlichen Sprachspiele zu bestimmen - v.a. um Wittgenstein gegen des Vorwurf des Behaviorismus in Schutz zu nehmen. Was bleibt, wenn ein letztlich solipsistischer Subjektbegriff als „grammatisch[e] Fiktion“ (PhU § 307) entlarvt ist, hat die Kommentatoren v.a. hinsichtlich der mentalen Zustände beschäftigt. H.J. Schneider hat z.B. vorgeschlagen, mentale Zustände als „metaphorisch erzeugte Gegenstände“ (Schneider 1998: 209), d.h. weder als existent vorgefundene, noch als bloße Fiktionen zu behandeln. Eine ähnliche Position vertreten auch Goodman/ Elgin: In Reconceptions entwickeln sie hinsichtlich der „Vorstellungsbilder“ („mental images“) den Gedanken, solche 20 Hacker resümiert hier ausdrücklich gemeinsame Thesen der beiden Autoren. 21 Der Fall, daß ein Einzelner sich gegen eine Mehrheit auf eine Regel beruft, erfordert seinerseits einen Kontext, in dem diese Regel einmal kollektiv sanktioniert war (vgl. Pears 1988: 387) oder eine Analogie oder systematische Verbindung zu einer solchen Regel. <?page no="211"?> Das Privatsprachenargument 207 Bilder gebe es nicht, wohl aber Bilder und Beschreibungen von ihnen (vgl. R 85ff./ 116ff.). Analog zu Romanfiguren oder anderen fiktionalen Gegenständen kann man über solche Bilder sinnvoll reden oder sie anderweitig darstellen; dafür gibt es ebenso Standards der Richtigkeit wie beim Symbolisieren physischer Objekte (vgl. R 87/ 119). Diese Arbeiten weisen den Weg zu einer philosophischen Analyse des Mentalen, die keine unhaltbaren ontologischen Annahmen machen muß; Analysen solcher Sprachspiele im einzelnen, in Anlehnung an Wittgensteins Schriften zur Philosophie der Psychologie, können darauf aufbauen. Allerdings steht zu vermuten, daß das nicht für alle Fälle gilt, die Wittgenstein anspricht (z.B. nicht für den Fall der Sinnesdaten, wohl aber für den Begriff der Intention (vgl. Rigal 1988: 69f.)) und daß hier eine Vielzahl unterschiedlichster Einzelanalysen zu eröffnen sind: „Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik.“ (PhU § 373) Hinsichtlich des Symbolgebrauchs führt das Privatsprachenargument, zum anderen, auf die oben erläuterte Veränderung der Fragestellung: Mit dem Privatsprachenargument ist für Wittgenstein die Frage nach der Fundierung von Symbolgebrauch abgewiesen; für die Zwecke der vorliegenden Arbeit ist damit neben dem „grue“-Paradox der zweite Beweis für eine wichtige Grundlage der hier vorgelegten Analyse von Symbolgebrauch als Mustergebrauch erbracht. Die Unmöglichkeit einer privaten Sprache kann als Widerlegung des Nativismus und als Widerlegung jeder Fundierung von Symbolgebrauch in einer Sphäre der Innerlichkeit überhaupt (etwa durch separat gedachte Akte des Meinens) gelten. Die sozialen Regeln des Umgangs mit materialen Zeichengestalten sind, was bleibt. Das Privatsprachenargument kann so als Beweis für eine nominalistische Zeichenauffassung und gegen Entwürfe in der Art von Kripkes „skeptischer“ Lösung gelten: Es ist nicht so, daß es individuelle Symbolgebräuche gibt, aus deren Übereinstimmungen sich Normen ergeben; vielmehr ist jeder individuelle Symbolgebauch bereits konstitutiv sozial verfaßt. Das Bild von Symbolgebrauch, das sich auf diese Weise ergibt, läßt sich anhand von Wittgensteins Gebrauch der Projektionsmetapher (5.4.1) und seiner Unterscheidung von regelhaftem und regelmäßigem Handeln (5.4.2) noch einmal rekapitulieren: Die Metapher der Projektion, die Wittgenstein aus der Geometrie nimmt, zeigt noch einmal den Handlungscharakter von Symbolgebrauch auf, Wittgensteins Beispielfälle für regelhaftes und regelmäßiges Handeln noch einmal die Rolle der pragmatischen Verankerung vor dem Hintergrund des Privatsprachenarguments. <?page no="212"?> 208 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein 5.4 Projektion 5.4.1 Projektion als Metapher für Regelfolgen Goodman nennt „Projektion“ jede Übertragung von Etiketten oder Mustern auf einen neuen Fall, als „projizierbar“ bezeichnet er solche Symbole, die im Rahmen unsrer gängigen Praxis als geeignet für die Übertragung auf neue Fälle gelten. Bei Wittgenstein gibt es keinen solchen strengen terminologischen Gebrauch des Begriffs „Projektion“ oder eines entsprechenden Begriffs. Die Metapher der „Projektionsmethode“ (PhU § 139) bezeichnet aber auch für Wittgenstein ein geeignetes Instrument der Beschreibung von Symbolgebrauch. An ihrer Verwendung läßt sich noch einmal deutlich machen, daß Wittgensteins Konzeption von Symbolgebrauch der Sache nach mit Goodmans Projektionsgedanken übereinstimmt. Eine Interpretation, die die Projektionsmetapher in Wittgensteins Texten nachverfolgt, findet sich in H.J. Schneiders Phantasie und Kalkül. Ausgangspunkt für Schneiders Überlegungen ist die Frage nach dem Satzbegriff des späten Wittgenstein, insbesondere die Frage nach dem, was die Einheit eines Satzes ausmacht. Das Bild der Projektion wird in der Philosophischen Grammatik und den Philosophischen Bemerkungen zunächst eingeführt, um die Differenz von logischer und grammatischer Form des Satzes zu beschreiben (vgl. Schneider 1999 [1992]: 327). Die (schul-)grammatische Form eines Satzes, etwa die Folge Subjekt-Prädikat, ließe sich als Ergebnis einer Projektion auffassen, derart, daß das Projektionsverfahren unterschiedlichsten logischen Formen dieselbe (schul-)grammatische Form zuweist (so wie es ein geometrisches Projektionsverfahren geben könnte, das die unterschiedlichsten geometrischen Formen sämtlich als Kreis darstellt) (vgl. Schneider 1999 [1992]: 327). Schneider deutet diese Überlegungen Wittgensteins folgendermaßen: Wittgenstein geht es hier gerade nicht darum, die Alltagssprache im Verhältnis zu einer universalen logischen Form als defizitär zu erweisen, sondern vielmehr darum „auf eine Differenziertheit im Gebrauch von Ausdrücken“ (Schneider 1999 [1992]: 328) hinzuweisen. Damit wäre der Ausdruck „logische Form“ in diesem Zusammenhang bereits im Sinne dessen zu verstehen, was in den Philosophischen Untersuchungen dann „Tiefengrammatik“ heißt, der (schul-)grammatischen Form entspräche die „Oberflächengrammatik“ (vgl. PhU § 664). In derselben Zeit verwendet Wittgenstein das Bild der Projektion aber auch, um das Verhältnis zwischen diesen beiden Ebenen in umgekehrter Richtung zu kennzeichnen, als Projektion „von der Sprache (von einem spezifischen Sprachspiel) zu bisher nicht zur Sprache gekommenen Bereichen der ‚Wirklichkeit‘“ (Schneider 1999 [1992]: 332f.): Man findet für einen gegebe- <?page no="213"?> Projektion 209 nen Ausdruck eine neue Verwendungsweise, projiziert ihn auf einen neuen Fall (vgl. Schneider 1999 [1992]: 333). 22 Schneider liest auf dieser Grundlage zunächst metaphorischen Sprachgebrauch als Projektionsvorgang, das heißt Projektion als Metapher für metaphorischen Sprachgebrauch (vgl. Schneider 1999 [1992]: 334ff.). In diesem Sinn erweitert die Projektion unsere „Handlungsmöglichkeiten“ (Schneider 1999 [1992]: 332) im Sprachgebrauch. Projektion in diesem Sinne ist für Schneider einer der Grundmechanismen im Sprachgebrauch - dieser bewegt sich innerhalb eines „Kontinuum[s]“ (Schneider 1999 [1992]: 342) von schematisierbaren Übertragungen auf gleichartige Fälle einerseits bis hin zur Metapher andererseits, zwischen den beiden Polen von „Phantasie“ und „Kalkül“, die seiner Untersuchung den Titel geben. Für Wittgenstein ist, so Schneiders Fazit, die „Ineinanderschachtelung von Rechen- und Projektionsschritten, von Kalkül und Phantasie“ als „ein charakteristisches Merkmal der natürlichen Sprachen“ (Schneider 1999 [1992]: 342f.) anzusehen. Dabei haben allerdings auch die Kalkülanteile „nur die Sicherheit des wiederholten Gelingens einer Handlung“ (Schneider 1999 [1992]: 342 FN 69), erfordern also letztlich ebenfalls „Phantasie“. Schneider entwirft so ein Bild von Wittgensteins Sprachauffassung, in dem sich in letzter Konsequenz Sprachgebrauch immer als Projektionsvorgang erweist: nicht die „Phantasie“ ist der Grenzfall, sondern der „Kalkül“ - ein Befund, der noch einmal den Handlungscharakter des Sprachgebrauchs unterstreicht, wie er oben (vgl. 5.2.4) im Kontext des Paradoxons des Regelfolgens durch Wittgensteins Regressargument nachgewiesen wurde. In diesem Sinn greift auch Wittgenstein selbst in den Bemerkungen 139ff. der Philosophischen Untersuchungen den Gedanken der Projektion wieder auf, um allgemein die Verwendung von Wörtern zu erläutern. Der Gedanke, ein Wort könne seine Verwendung zur Gänze vorgeben, wird dort folgendermaßen durchgespielt: Könnte ein Vorstellungsbild, das das Wort hervorruft, eine bestimmte Anwendung erzwingen, könnte also das Vorstellungsbild eines Würfels, hervorgerufen durch das Wort „Würfel“, ausschließen, daß ich auf ein Prisma zeige (vgl. PhU § 139)? Wittgenstein bringt an dieser Stelle den Gedanken einer Projektionsmethode ins Spiel, um deutlich zu machen, daß auch ein Bild seine Anwendung nicht vorgibt: „Ich habe das Beispiel absichtlich so gewählt, daß es ganz leicht ist, sich eine Projektionsmethode vorzustellen, nach welcher das Bild nun doch paßt.“ (PhU § 139) Die Rede von der Projektionsmethode (in einem wörtlichen Sinn) dient hier dazu, die Vorstellung einer Ähnlichkeit von Bild und Abgebildetem auszuhebeln, die vom Gesprächspartner hier nicht ausgesprochen, aber vorausgesetzt wird. 22 Daß der Gedanke der Projektion in diesem Sinn seinen Ursprung im Tractatus hat, belegt Stetter (1997: 639f.). <?page no="214"?> 210 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein Wittgenstein verallgemeinert diesen Gedanken und stellt fest, daß kein Bild seine Anwendung vorgibt: So könnte ein „Marsbewohner“ das Bild eines alten Mannes mit Stock, der einen Hang hinaufgeht, ansehen und meinen, der Mann rutsche den Hang hinunter (vgl. PhU, S. 309), oder - so läßt sich vor dem Hintergrund der in Abschnitt 5.2.4 aufgezeigten Parallelen hinzufügen - eine andere, etwa „grue“-artige Interpretation geben. Und auch das Bild in Kombination mit der Projektionsmethode könnte genau diesen Zweifeln wieder ausgesetzt sein (vgl. PhU § 141, ebs. § 86). 23 Der Gedanke, Wortgebrauch sei über Vorstellungsbilder festgelegt, führt so auf die Frage der alternativen Deutung hin, wie sie Wittgenstein im Paradox des § 201 dann in allgemeiner Form aufgreift und dort mit Hilfe des Regressarguments als notwendige Offenheit im Handeln deutet. Die Lösung, die Wittgenstein hier vorschlägt, entspricht der Goodmanschen: Daß wir den Eindruck haben, das Wort oder ein zugehöriges Vorstellungsbild gebe eine Verwendung vor, liegt daran, daß wir über eingespielte Praktiken der Verwendung verfügen. „Es gibt hier einen normalen Fall und abnormale Fälle.“ (PhU § 141) Die Bemerkungen 139ff. spielen so das Problem der Regelanwendung an einem besonderen Fall durch, dem Gebrauch von Bildern, um eine Vorstellung davon zu geben, wo die Kriterien der Anwendung zu suchen sind - in der Praxis der Bildverwendung nämlich. Projektion, im wörtlichen wie im metaphorischen Sinn, dient dabei dazu, die Vielfalt der möglichen Passungen von Struktur und Gebrauch hervorzuheben. Die Pointe, die die Philosophischen Untersuchungen dieser Darstellung des Regelfolgen hier abgewinnen, die Unterscheidung von „normalen“ und „abnormalen“ Fällen, ist gerade nicht skeptisch, sondern entspricht in der Sache Goodmans Überlegungen zur Verankerung: Nur der bisherige Gebrauch stellt Kriterien zur Verfügung, die uns die Wahl einer „Projektionsmethode“ erlauben. 5.4.2 Regel und Regelmäßigkeit Der Gedanke, daß sich die Anwendung der Regel als Projektion (nun im Goodmanschen Sinn) beschreiben läßt, hat weitreichende Folgen für den Regelbegriff: Ein Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war, was man - nicht ganz glücklich (vgl. 1.1.2) - die Frage der „impliziten Regel“ nennen kann, die Frage, auf welche Weise Regeln in Performanzen präsent sind. Zentral war dabei das Problem, wie Regelhaftigkeit gegen bloße Regelmäßigkeit abzugrenzen sei. Wenn es die gängige Praxis ist, nicht eine jenseits dieser Praxis liegende Instanz, die letztlich das Kriterium für die Regelhaftigkeit eines Vorgangs liefert, 23 Die Interpretation von § 139ff. ist in den Standardkommentaren nicht umstritten; vgl. Baker/ Hacker (1992 [1980]: 249f.) und von Savigny (1994: 183ff.). <?page no="215"?> Projektion 211 scheint das zunächst den Unterschied zwischen Regelhaftigkeit und Regelmäßigkeit im Handeln zu verwischen. Faßt man Symbolgebrauch als Mustergebrauch und Projektionsvorgang auf und liest man das Privatsprachenargument gegen eine Kripkesche Interpretation, befreit man den Regelbegriff von dieser Problematik, indem man die gesamte Problemlage verschiebt. Das soll im vorliegenden Abschnitt noch einmal zusammenfassend dargestellt werden, am Vergleich einer Passage aus den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik mit der Bemerkung 208 aus den Philosophischen Untersuchungen. In den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik beschreibt Wittgenstein folgendes Szenario: Wenn von zwei Schimpansen der eine einmal die Figur / --/ in den Lehmboden ritzte und ein anderer darauf die Reihe / --/ / --/ etc., so hätte der erste nicht eine Regel gegeben und der zweite ihr gefolgt, was immer auch dabei in der Seele der beiden vorginge. (BGM Teil VI § 42, S. 345) Die Überlegungen zum Regelfolgen als Fortsetzen einer Reihe führen hier auf die Verflechtung von Sprachspiel und Lebensform hin (vgl. PhU §§ 19 und 23). Denn - das ist eine der Lehren aus dem Privatsprachenargument und innerhalb der hier wiedergegebenen Überlegungen eine spezifisch Wittgensteinsche Pointe - was den Schimpansen hier abgeht, ist nicht ein reiches Seelenleben; die Innerlichkeit des Subjekts spielt für die Zuschreibung keine Rolle, ist nicht Teil dieses Spiels. Was den Schimpansen fehlt, ist eben die soziale Institution, in deren Rahmen etwas als Regelfolgen anerkennbar ist: Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). (PhU § 199) Mit dieser Bestimmung des Regelfolgens über die Institution ergibt sich aber umgekehrt, daß zum Begriff des Regelfolgens auch eine Regelmäßigkeit im Handeln gehört: Ist, was wir „einer Regel folgen“ nennen, etwas, was nur ein Mensch, nur einmal im Leben, tun könnte? - Und das ist natürlich eine Anmerkung zur Grammatik des Ausdrucks „der Regel folgen“. Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. (PhU § 199) Regelmäßigkeit kann so - gegeben entsprechende Umstände - auch als Grund für die Zuschreibung regelgeleiteten Handelns gelten; allerdings läßt sich kein Maß dafür angeben, wie oft jemand etwas wiederholen muß, damit sein Tun als regelgeleitet gilt (vgl. PhU § 145). Damit scheint die Frage in dem Sinne geklärt zu sein, daß einige Fälle von Regelmäßigkeit auch solche von Regelfolgen sind, und zwar diejenigen, die <?page no="216"?> 212 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein sozial als solche ausgezeichnet sind - eine Formulierung, die soweit sowohl Goodmans als auch Wittgensteins Auffassung entspricht, aber verdächtig an Kripkes „skeptische Lösung“ erinnert: Regelfolgen liegt vor, wenn Regelmäßigkeit plus Regelzuschreibung gegeben ist. Lehnt man die Auszeichnung von regelgeleitetem Handeln durch die Intention des Handelnden oder einen besonderen ontologischen Status ab, scheint in der Tat nichts zu bleiben als die Regelzuschreibung. Allerdings haftet dieser quasi-anthropologischen Perspektive auf Regelfolgen etwas Merkwürdiges an. Das Szenario, das hier vorausgesetzt ist, hatte sich bereits im Privatsprachenargument als in gewisser Hinsicht irreführend erwiesen: Die Perspektive von außen suggeriert eine Nachträglichkeit des Regelproblems im Verhältnis zum Beschriebenen, führt es also auf das Problem der Regelformulierung zurück (vgl. 1.1.2). Das Privatsprachenargument hatte aber bereits nachgewiesen, daß das Vorliegen von sozialen Kriterien des Gebrauchs konstitutiv für den Symbolgebrauch selbst ist. Diese konstitutive Rolle des Sozialen kann bei einer Formulierung des Regelproblems, die eine solche quasi-anthropologische Perspektive auf Regelfolgen einnimmt, gar nicht erst in den Blick kommen. Damit einher geht ein weiteres Problem: eine solche Perspektive suggeriert ebenfalls, daß der Begriff der Regel problematisch, der der Regelmäßigkeit unproblematisch ist. Auch das ist irreführend: Regelmäßigkeiten sind nicht schlicht gegeben, und Regeln - im Gegensatz zu Regelformulierungen - nicht nachträglich vorgenommene Auszeichnungen. Die Philosophischen Untersuchungen greifen die Frage in den Bemerkungen 206ff. wieder auf und betonen noch einmal, daß zu unserer Vorstellung von regelhaftem Verhalten auch das Merkmal der Regelmäßigkeit gehört: Wir würden etwa uns unbekannte Lautäußerungen nur dann als Sprache anerkennen, wenn darin irgendeine Regelmäßigkeit zu erkennen ist (vgl. PhU § 207). An diese Feststellung schließt sich die Frage nach der Abgrenzung von Regelhaftigkeit und Regelmäßigkeit an: So erkläre ich also, was „Befehl“ und was „Regel“ heißt, durch „Regelmäßigkeit“? (PhU § 208) Was auf diese Frage folgt, kehrt das Problem um. Wittgenstein stellt die Gegenfrage nach der Erklärung von „Regelmäßigkeit“ und entwirft dafür folgendes Szenario: Man lehrt einen Schüler im Rahmen eines „Unterricht[s]“ durch Beispielreihen, was „gleich“ oder „regelmäßig“ heißt. Ich werde ihm also in diesem Unterricht gleiche Farben, gleiche Längen, gleiche Figuren zeigen. Ich werde ihn etwa dazu anleiten, Reihenornamente auf einen Befehl hin ‚gleichmäßig‘ fortzusetzen. - Und auch dazu, Progressionen fortzusetzen. Also etwa auf . .. … so fortzufahren: …. ….. …… . (PhU § 208) <?page no="217"?> Projektion 213 Das Fortsetzen der Progression ist eindeutig ein Fall von Regelfolgen: es entspricht den „induktiven“ Zahlenreihen - es gleicht aber darüber hinaus nicht nur dem Fall der Schimpansen aus den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, sondern wird hier auch zusammen mit eindeutigen Beispielen für die Wiederholung des Gleichen als Beispiel für Regelmäßigkeit angeführt. Wittgensteins Antwort auf die Frage besteht also hier darin, daß der Begriff der Regelmäßigkeit natürlicherweise in Abhängigkeit von dem der Regelhaftigkeit erklärt wird. Das Fortsetzen der Reihe, das hier durchgängig als Paradigma für Regelfolgen verwendet wird, erfordert das Selektieren des relevanten Aspekts, mit anderen Worten: des exemplifizierten Etiketts, und ein Urteil über dessen Projizierbarkeit. Dasselbe gilt für Fälle, in denen es darum geht, an einer Musterreihe das Gleiche zu erkennen (etwa: Gegenstände als Muster für dieselbe Farbe). Die Selektion bestimmt, was in dieser bestimmten Hinsicht als gleich gilt, und in dieser Anforderung der Schemabildung besteht die eigentliche Schwierigkeit des Vorgangs. Es ist also gerade nicht so, daß Regelmäßigkeiten etwas Gegebenes sind. Sie sind ebenso Ergebnis von Konstruktionen wie die „Progressionen“: Ist eine Intuition zum Entwickeln der Reihe 1 2 3 4 …. nötig, dann auch zum Entwickeln der Reihe 2 2 2 2 … . (PhU § 214) In allen diesen Fällen sind gleichermaßen Projektionsvorgänge beteiligt, allein schon insofern, als die Richtigkeit der Klassifikation in ihnen allen eine entscheidende Rolle spielt: Bereits das Feststellen von Regelmäßigkeiten ist eine Projektionsleistung. Die Frage, die Wittgensteins „Gegner“ an diesen Stellen zu schaffen macht, die Frage, wo das eigentlich Präskriptive hier nun zu finden ist, löst sich in einer allgemeinen Frage der Projektion und der zugehörigen Standards der Richtigkeit auf. Es ist in der Logik von Kripkes skeptischer Lösung also richtig, daß das bloß regelmäßige Verhalten der Schimpansen und das regelhafte Ergänzen einer „Progression“ sich in der Erscheinung durch nichts unterscheiden müssen und wir den Unterschied dennoch feststellen, ohne zu zögern. Allerdings gilt diese Rückbindung an eine - mit Goodman gesprochen - bestimmte „Welt“ nicht nur für die Auszeichnung der Regel, sondern bereits für die bloße Feststellung der Regelmäßigkeit. Mit anderen Worten, was für Wittgensteins „Gegner“ erklärungsbedürftig ist, daß man z.B. - im Sinn der vorliegenden Arbeit gesprochen - ein Muster nachahmt, ist nur Teil eines sehr viel umfassenderen „knowing how“, das das Erkennen und den Umgang mit Mustern betrifft, und auch nicht geheimnisvoller als dieses. Das Problem des Regelfolgens ist Teil des allgemeinen Problems der Projektion. Auch in Hinsicht auf das Verhältnis von Regelhaftigkeit und Regelmäßigkeit zeigen sich die Unterschiede, die zwischen Goodman und Wittgenstein <?page no="218"?> 214 Regelfolgen und Projektion bei Wittgenstein in Schwerpunktsetzung und Herangehensweise bestehen, insbesondere in Wittgensteins Auseinandersetzung mit der Subjektphilosophie und Goodmans Zurichten des Problemfeldes auf ein Verfahren der Projektion. - Ebenso zeigt sich aber auch die Übereinstimmung von Grundzügen in der Wittgensteinschen und der Goodmanschen Perspektive. Für beide ist letztlich die entscheidende Frage: Woher wissen wir, was zu projizieren ist? Und sowohl für Wittgenstein als auch für Goodman beantwortet sie sich mit Blick auf die Praxis. <?page no="219"?> 6 Mustergebrauch 6.1 Symbolgebrauch als Mustergebrauch Der Grundgedanke der vorliegenden Arbeit - daß Goodman und Wittgenstein jeweils eine Neubestimmung des Verhältnisses von Beispiel und Regel vornehmen, auf deren Grundlage sich ein Gesamtbild von Symbolgebrauch als Mustergebrauch gewinnen läßt - hat sich in mehrfacher Hinsicht als tragfähig erwiesen. Erstens haben sich eine Reihe von Übereinstimmungen zwischen den scheinbar so unterschiedlichen Autoren ergeben: Auf der einen Seite das pragmatische Fundament der Goodmanschen Symboltheorie, das in Fact, Fiction, and Forecast gelegt wird, auf der anderen Seite die Bedeutung der Musterreihen bei Wittgenstein als Modelle für Sprachgebrauch neben dem Sprachspiel, und darüber hinaus die Analogien zwischen dem „grue“-Paradox und Wittgensteins Paradox der Anwendung. Diese Aspekte machen deutlich, daß es wenig Sinn hat, Goodman und den späten Wittgenstein unterschiedlichen Zweigen der analytischen Philosophie - respektive einem normal- und einem idealsprachlich orientierten - zuzuordnen. Vielmehr teilen sie - bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung - konstruktivistische Grundgedanken letztlich kantischer Provenienz und ein nominalistisches 1 und pragmatisches Bild von Symbolgebrauch, das den Blick auf die Gestalt des Zeichens immer nur in der Rückbindung an die Institution seiner Anwendung erlaubt und umgekehrt. Zweitens hat sich hinsichtlich der Begründung einer solchen Auffassung von Symbolgebrauch ergeben, daß Goodmans „grue“-Argument und Wittgensteins Privatsprachenargument einander insofern ergänzen, als ersteres jede empirische Ableitung von Kategorisierungen, letzteres jede nativistische oder umgekehrt skeptizistische Auffassung von Symbolgebrauch hinfällig macht. Beides läuft auf eine Rehabilitierung der Performanz hinaus. Drittens haben sich in Hinblick auf ein solches Bild von Symbolgebrauch die folgenden Aspekte als komplementär erwiesen: Die formalen Eigenschaften der Exemplifikation und der Projektion, wie Goodman sie analysiert, führen zum einen auf die zentrale Rolle des Verfahrens der Exemplifikation im Symbolgebrauch hin, die Symbolsysteme allgemein über exemplifikatorische Bezugnahmen beschreibbar macht; zum anderen stellen sie heraus, daß die Selektion der projizierbaren Etiketten das Kernproblem der Projektion, d.h. der Anwendung der Regel ist. Wittgensteins Darstellung von Symbolgebrauch 1 Das soll hier heißen: ontologisch auf den Umgang mit Inskriptionen (im Sinne Goodmans) festgelegt. <?page no="220"?> 216 Mustergebrauch als Sprachspiel stellt dessen Handlungscharakter in den Vordergrund und grenzt Sprachregeln gegen Kalkülregeln ab; seine Neufassung des Verhältnisses von grammatischen Sätzen und Erfahrungssätzen leistet die Rückbindung von Wissensstrukturen an Lebensformen. Diese beiden Positionen ergänzen sich zu einer symboltheoretischen Lösung des Humeschen Problems. Mit diesen Analysen legt man sich darauf fest, wovon es abhängt, was als „gleich“ gilt. Goodman bemerkt im Kontext seiner Aufzählung von Welterzeugungsverfahren in Ways of Worldmaking lakonisch: And things ‚go on in the same way‘ or not according to what is regarded as the same way; ‚now I can go on‘ in Wittgenstein’s sense, when I have found a familiar pattern, or a tolerable variation of one, that fits and goes beyond the cases given. Induction requires taking some classes to the exclusion of others as relevant kinds. (WW 10/ 22f.) Wiederholung ist in diesem Sinne ein produktives Verfahren der Welterzeugung, das eine projektive Festlegung auf ein Symbolsystem, 2 auf die relevanten Züge eines Gegenstandes und eines Kontextes und damit auf ein Symbol erfordert sowie in mehr oder weniger hohem Maße Institutionen bzw. Routinen der Anwendung. Diese pragmatische Auffassung des Verhältnisses von Beispiel und Regel ist die eine Seite dessen, was man als eine Aufwertung des Beispiels bei Goodman und Wittgenstein bezeichnen kann. Die andere Seite ist eine nominalistische Auffassung von Symbolen, d.h. eine ontologische Festlegung darauf, daß es Inskriptionen (im Goodmanschen Sinne) sind, die im Gebrauch als Muster fungieren. Die Verschränkung dieser beiden Gedanken macht deutlich, weshalb jede Zeichentheorie letztlich in medientheoretische Fragestellungen mündet. Goodman nimmt mit Hinblick auf die oben zitierte Stelle ausdrücklich nicht in Anspruch, seine Antwort auf die Frage, was es heißt, auf dieselbe Weise fortzusetzen, entspreche Wittgensteins (WW 10/ 22f. FN 13). Wenn die hier vorgelegten Überlegungen richtig sind, ist aber genau das der Fall: Wo wir von einer „impliziten“ Regel sprechen möchten, ist das als ein bestimmter Umgang mit Beispielen zu rekonstruieren. Die in der vorliegenden Arbeit z.T. gewählte Vorgehensweise, Wittgensteins Gedanken auf Goodmans Vokabular abzubilden, erzeugt durchaus eine Art Verfremdungseffekt. Insbesondere sind Analogiebeziehungen in der Goodmanschen Symboltheorie nur als induktive Beziehungen darstellbar - das Fortsetzen einer Reihe also nur über das exemplifizierte Etikett, nicht direkt von Muster zu Muster (vgl. Hacking 1993: 23). Dieser Unterschied ist aber gerade keiner zwischen Handeln und Deuten. Vielmehr ergibt sich der 2 Vgl. in diesem Sinne: „To decide whether things are alike, then, we have to know what system is in play.“ (R 8/ 21) <?page no="221"?> Symbolgebrauch als Mustergebrauch 217 Unterschied daraus, daß der Referenzvorgang qua Handlung entweder als Inszenierung eines Sprachspiels oder extensionalistisch als Bezugnahmekette dargestellt werden kann, Darstellungsweisen, die unterschiedliche Aspekte an diesen Vorgängen hervorheben. Eine extensionalistische Beschreibungssprache zeigt dabei insbesondere, daß auf syntaktischer und semantischer Ebene dieselben Verfahren (solche der Bezugnahme) anzusetzen sind, oder anders gesagt: daß es einen Typus von Bezugnahme gibt, der in jedem Symbolgebrauch vorkommt, eben die Exemplifikation. Sinnvoll ist eine solche Annahme, weil exemplifikatorische Bezugnahmen sehr unterschiedliche symboltheoretische Eigenschaften haben können: Sie können ebenso wie denotationale Systeme digital, analog oder etwas dazwischen sein. Ontologisch läßt sich in der Konsequenz dieser Überlegung jeder Symbolgebrauch im Sinne eines Nominalismus deuten. Der Umgang mit Beispielen ist, so verstanden, keine einheitliche Praxis, die eine bestimmte kommunikative Funktion erfüllte, vielmehr ist Beispielgebrauch in unterschiedliche Projektionssituationen eingebunden, die unterschiedliche Anforderungen stellen. Damit ändert sich für die Modellierung von Symbolgebrauch der Blick auf die Frage der Regel: Die Rede von „regelgeleitetem“ Handeln hebt traditionell auf zwei Unterscheidungen ab, die Unterscheidung von regelgeleitetem Handeln und bloß regelmäßigem Verhalten einerseits und von regelgeleitetem Symbolgebrauch (in Symbolsystemen wie natürlichen Sprachen) und nicht durch Regeln, sondern etwa (wie man annimmt) durch Ähnlichkeit bestimmten Darstellungen (wie Bildern) andererseits. 3 Die erstere Unterscheidung läßt sich - wie in Kapitel 5 am Beispiel der Schimpansen dargestellt - schlicht durch den Verweis auf das Bestehen oder Nicht-Bestehen entsprechender sozialer Institutionen bzw. Gepflogenheiten beantworten, und diese Antwort ist nicht trivial, weil diese, wie das Privatsprachenargument nachweist, für den Symbolgebrauch selbst konstitutiv sind. Allerdings ist die Feststellung von Regelmäßigkeiten in der hier eingenommenen Perspektive ebenso wie die Feststellung von Regelfolgen eine Projektionsleistung; in Anspielung auf Blacks (1962) Einteilung der Regeltypen könnte man sagen: Regeln im principle sense zu entdecken, ist ebenso Teil von Welterzeugungsverfahren, wie Regeln im instruction oder regulation sense festzustellen. Die zweite Unterscheidung läßt sich mit Goodman neu fassen, als eine zwischen symboltheoretisch unterschiedlichen Arten von Symbolgebrauch. Am ehesten einer gängigen Vorstellung von geregeltem Symbolgebrauch entsprechen syntaktisch typisierte 4 Symbolsysteme wie die Sprache. Faßt man 3 Zur letzteren Unterscheidung vgl. Reconceptions, Kap. VII. 4 Zum Begriff der Typisierung vgl. 6.4. <?page no="222"?> 218 Mustergebrauch allerdings Symbolgebrauch als Mustergebrauch auf, wird deutlich, daß der Begriff der Regel hier selbst nicht genau bestimmt ist: pragmatische Standards gibt es für jeden Symbolgebrauch, aber je nach den unterschiedlichen symboltheoretischen Eigenschaften eines Systems sind unterschiedliche Aspekte einklagbar; nicht für alle Standards sind Standards der Formulierung festgelegt. Man kann den Begriff der Regel auch auch auf Fälle einschränken, wo wir im Symbolgebrauch syntaktisch oder semantisch mit dem „Gleichen“ umgehen, wo Symbolsysteme also typisiert sind. Auch in diesem engeren Sinn gibt es keine feste Grenze zwischen geregelten und nicht geregelten Gebrauchsweisen, weil es (wie unten in Abschnitt 6.4 noch zu zeigen sein wird) sinnvoll ist, den Begriff der Typisierung nicht zu eng zu fassen, und es zwischen typisierten und nicht-typisierten Symbolgebräuchen Zwischenformen gibt. In der vorliegenden Arbeit zeigt der Kontext, welcher der beiden Begriffe jeweils gemeint ist. Wenn man Symbolgebrauch als Mustergebrauch auffaßt, erübrigt sich so einerseits die Suche nach einem besonderen Merkmal, das Regelfolgen auszeichnen würde: Die Verbindlichkeit der Regel ist eine Anforderung unter anderen, die beim Projektionsvorgang gestellt werden kann. Daß man die Kniebeuge des Sportlehrers nachahmt, die Geste des Gesprächspartners aber nicht nachahmt, sondern interpretiert, ist ausschließlich dem pragmatischen Kontext geschuldet. Andererseits erübrigt sich auch die Suche nach einer Fundierung von symbolischen Typen außerhalb von Symbolgebrauch. Auch hier gilt: Es sind die (in diesem Fall symboltheoretischen) Eigenschaften des Projektionsvorgangs, die den Bereich des Regelhaften bestimmen. Da das Erzeugen von Musterreihen nur auf Bezugnahmerelationen beruht, nicht auf vorgängigen Ähnlichkeiten, kann man hier tatsächlich sagen, daß das, was als gleich gilt, von der Regel abhängt, die angewandt wird - und umgekehrt. Die Rehabilitierung des Beispiels, wie sie bei Goodman und Wittgenstein vorgenommen wird, macht regelgeleitetes Handeln auf diese Weise zu einer Art der Projektionsleistung und erlaubt es so, die problematische und vieldeutige Rede von „impliziten Regeln“ zu ersetzen. Bei dieser Betrachtungsweise sind allerdings eine Reihe von Einschränkungen im Blick zu behalten, die zum einen das Verhältnis von Goodman und Wittgenstein betreffen, zum anderen die Reichweite der getroffenen Unterscheidungen, die Frage also, auf welche Symbolsysteme die vorliegenden Überlegungen wie anzuwenden sind. Die folgenden drei Abschnitte gehen noch einmal auf die drei Ebenen der Untersuchung ein, auf denen sich die Frage des Mustergebrauchs stellt (vgl. 1.1.3), um eine Übersicht darüber zu geben, worauf man sich mit den hier behaupteten Übereinstimmungen zwischen den beiden Autoren einläßt, wie weit sie tragen, und an welchen Stellen man sich zwischen einer Goodman- <?page no="223"?> Wissensstrukturen: Das Problem des Relativismus 219 schen und einer Wittgensteinschen Perspektive entscheiden muß. Die Frage nach dem Verhältnis von Regel und Beispiel ließ sich erstens auf die Organisation unseres Wissens insgesamt beziehen; hier ist zu klären, ob aus der Auffassung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch ein allgemeiner Relativismus folgt (vgl. 6.2). Zweitens betrifft die Veränderung des Verhältnisses von Beispiel und Regel die Frage nach der Rolle des Zeigens im Verhältnis zum Sagen und das Verhältnis von Bild und Beispiel. An dieser Stelle ist auf einen Punkt einzugehen, der im ersten Kapitel bereits benannt wurde, nämlich das unterschiedliche Verhältnis Goodmans und Wittgensteins zur Tradition und damit zusammenhängend die Frage, ob einer bestimmten Darstellungsweise, der Beschreibung, eine ausgezeichnete Stellung innerhalb der Philosophie zukommt (vgl. 6.3). Schließlich ist noch einmal zu unterscheiden, in welchem Sinn Mustergebrauch bei typisierten und nicht-typisierten Symbolsystemen vorliegt, in welchem Sinn jeder Symbolgebrauch als Muster für zukünftigen Symbolgebrauch dienen kann und wo Einschränkungen zu machen sind. Dazu ist noch einmal der Begriff der Typisierung zu bestimmen (vgl. 6.4 und 6.5). 6.2 Wissensstrukturen: Das Problem des Relativismus Die Auffassung von Symbolgebrauch als Mustergebrauch erfordert das Verfahren der Projektion und damit den Gedanken der pragmatischen Verankerung, um als Modell überhaupt erst sinnvoll zu sein. Damit ist man aber auf eine bestimmte epistemologische Grundauffassung festgelegt: Das „grue“-Paradox zeigt, daß es keine scharfe Grenze zwischen Konventionen und Tatsachen gibt, und Wittgensteins Regelbegriff löst letztlich die Grenze zwischen Weltwissen und Sprachwissen auf. Daß eine solche Position keine skeptizistische Konsequenz haben muß, beweist das Privatsprachenargument. Es vermeidet den Skeptizismus - allerdings letztlich um den Preis der Auflösung dieser Grenze. Eine solche Position setzt sich dem Vorwurf des Relativismus aus, da sie die Grundlagen unseres Wissen dem historischen Zufall, der kontingenten Entwicklung von Symbolsystemen ausliefert. Goodmans Plädoyer für einen Pluralismus der Welten, seine Ausweitung des Erkenntnisbegriffs auf unterschiedlichste Symbolsysteme und seine Relativierung der Unterscheidung zwischen Tatsache und Konvention machen ihn zu einem Relativisten, der diese Bezeichnung auch für sich in Anspruch nimmt (WW X/ 10); und Wittgensteins funktionale Bestimmung des Unterschieds zwischen Erfahrungssätzen und grammatischen Sätzen wurde in der vorliegenden Arbeit in ebendiesem Sinn interpretiert (vgl. 4.3.4). Apriorische Strukturen werden historisiert und <?page no="224"?> 220 Mustergebrauch partikularisiert, unsere sprachliche Verständigung rückgebunden an eine „Übereinstimmung [nicht nur, E.B.] in den Definitionen, sondern (so seltsam dies klingen mag) in den Urteilen.“ (PhU § 242) Relativistische Positionen sind aber notorisch selbstwidersprüchlich: Wer einen „,Standpunkt außerhalb aller Sprachspiele‘“ einnehmen möchte, um die Unmöglichkeit eines solchen Standpunktes zu behaupten, verwickelt sich in einen nur allzubekannten performativen Widerspruch (vgl. Schneider 1995: 118). Wer einen Relativismus in irgendeinem Sinn vertritt, hat es mit dem Problem der Grenzen des Verstehens bzw. der Übersetzbarkeit zu tun: Versucht man, das Verstehen „von außen“ zu begrenzen, hat man es bereits erweitert; versucht man solche Grenzen „von innen“ zu ziehen, rückt, was außen sein sollte, gleichsam hinter den Horizont, sodaß die Grenzziehung hinfällig wird. Eine präzise Formulierung dieses Problems findet sich bei Catherine Z. Elgin, in ihrem erkenntistheoretischen Grundlagenwerk Considered Judgment. In Anlehnung an eine Einteilung von Rawls unterscheidet Elgin (1999 [1996]: 4ff.) drei Typen von Erkenntnistheorien: - Solche, für die Erkenntnisse dann Geltung beanspruchen können, wenn sie durch ein Verfahren gewonnen werden, für dessen Gelingen es unabhängige Standards gibt, und garantiert ist, daß diese Standards erfüllt sind. Elgin (1999 [1996]: 6) nennt diesen Typ „perfect procedural epistemology“. - Solche, für die Erkenntnisse dann Geltung beanspruchen können, wenn sie durch ein Verfahren gewonnen werden, für dessen Gelingen es unabhängige Standards gibt, aber nicht garantiert werden kann, daß diese Standards erfüllt sind. Elgin (1999 [1996]: 6) nennt diesen Typ „imperfect procedural epistemology“. - Solche, für die Erkenntnisse dann Geltung beanspruchen können, wenn sie durch ein akzeptiertes Verfahren gewonnen werden: „A pure procedure has no independent standard for a correct outcome.“ (Elgin 1999 [1996]: 4) Elgin (1999 [1996]: 6) nennt diesen Typ „pure procedural epistemology“. Elgin plädiert - das ist das Ziel ihrer Argumentation in Considered Judgment - für die zweite Position, die eine Art Mittelweg zwischen der vergeblichen Suche nach einer absoluten Fundierung unseres Wissens und dem Rückzug auf bloß verfahrensimmanente Maßstäbe des Urteilens darstellt (vgl. Elgin 1999 [1996]: 100). Elgin rechnet der „pure procedural epistemology“ Wittgenstein, Kuhn und Rorty zu, legt es allerdings nicht auf Textauslegung an, sondern auf die Kritik eines bestimmten Typs von Position (vgl. Elgin 1999 [1996]: 61 und <?page no="225"?> Wissensstrukturen: Das Problem des Relativismus 221 74 FN 9). Vorteil einer „pure procedural epistemology“, insbesondere des Sprachspielgedankens, ist aus Sicht Elgins, daß sie Erkenntnisgewinnung als sozialen Prozeß und Wissensstandards als soziale Konstrukte ansieht (vgl. Elgin 1999 [1996]: 70). Gegen solche Auffassungen spricht aber folgendes: Wir lassen in der Praxis unseres Erkenntnisgewinns neu entdeckte Fakten zu, die uns zwingen unsere Maßstäbe zu revidieren, wir suchen solche Fakten sogar. Diese Revisionen sind nicht nur einfache Änderungen, die das Vorhergehende unangetastet ließen (so wie die Änderung einer Spielregel frühere Ergebnisse von Fußballspielen nicht beträfe (vgl. Elgin 1999 [1996]: 97)), sondern Korrekturen, die uns unsere bisherigen Erkenntnisse in neuem Licht sehen lassen. Eine solche Praxis ist nicht als eine prozedurale Vorgehensweise zu rekonstruieren; auf diese Weise versagt die „pure procedural epistemology“ laut Elgin gerade bei der Beschreibung unserer Praxis, verfehlt also die von ihr selbst gesteckte Zielsetzung (vgl. Elgin 1999 [1996]: 96ff.). Elgins Darstellung hat eine ungewöhnliche Pointe: Es geht ihr nicht darum, Wittgenstein wegen seiner Ablehnung absoluter Fundierung zu kritisieren - sie selbst lehnt diesen Gedanken ebenfalls ab. Vielmehr geht es ihr darum, den letztlich konservativen Charakter von Sprachspielen herauszustellen. Der Konsens, der Maßstab für ihr Gelingen ist, wird durch die (mehr oder weniger drastischen) Maßnahmen der entsprechenden sozialen Gruppe hergestellt: „Wittgenstein, like Kuhn, […] believes that consensus is achieved by silencing dissidents.“ (Elgin 1999 [1996]: 84) Sprachspiele sind isoliert, sie können keine konkurrierenden Sprachspiele als solche anerkennen: So if Wittgenstein is right about language, he is wrong about lions. If a lion could talk, we could understand him; for if we cannot understand him, it follows that he cannot talk. (Elgin 1999 [1996]: 93) Prozedurale Positionen sind gerade nicht pluralistisch; sie sind relativistisch und konstruktivistisch, insofern sie ein arbiträres Fundament haben und Maßstäbe der Erkenntnis als soziale Konstrukte ansehen, aber sie lassen keine konkurrierenden Systeme zu. Das kann nur eine „imperfect procedural epistemology“, die jeweils auf ein „reflective equilibrium“ (Elgin 1999 [1996]: 106) durch die Abwägung und gegebenenfalls die Revision unserer Maßstäbe ausgeht - womit keine Beschreibung des real existierenden Wissenschaftsbetriebs gegeben ist, sondern eine normative erkenntnistheoretische Position (vgl. Elgin 1999 [1996]: 5). Die Eleganz der Elginschen Kritik besteht darin, daß sie die „Wittgensteinsche“ Position mit Hilfe der Spielmetapher selbst zu Fall bringt, aus der sich der prozedurale Charakter seiner Erkenntnistheorie ableitet. Auf diese Art werden die Karten in der Relativismusdebatte neu verteilt. Es sind drei Positionen zu unterscheiden, die oft unter der Bezeichnung „Relativismus“ <?page no="226"?> 222 Mustergebrauch zusammengefaßt werden: die Ablehnung absoluter Fundierungen unseres Wissens, ein Pluralismus der Welten und eine prozedurale Bestimmung der Gelingensmaßstäbe des Erkennens. Man kann die erstere mit jeder der beiden anderen Positionen, diese aber nicht beide zugleich vertreten. Und das Paradox des Relativismus muß für pluralistische Positionen anders formuliert werden als für prozedurale. Problematisch für pluralistische Positionen ist die Art und der Umfang der erhobenen Ansprüche, problematisch für prozedurale Positionen ist die Unüberschreitbarkeit der eigenen Maßstäbe. Vor dem Hintergrund dieser Analyse erscheint es problematisch, daß in der vorliegenden Arbeit sowohl Wittgenstein als auch Goodman pluralistische und in gewisser Hinsicht auch prozedurale Positionen zugeschrieben wurden. Beides läßt sich aber vertreten - pluralistische Positionen entgehen dem relativistischen Paradox, indem sie den Wahrheitsbegriff ihrer Gegner problematisieren; prozedurale Positionen sind nur dann mit pluralistischen unvereinbar, wenn sie als „reine“ prozedurale Positionen analysiert werden. Goodman/ Elgin haben in Reconceptions dargelegt, daß ein konsequenter Pluralismus eine Revision des Wahrheitsbegriffs erforderlich macht: Wahrheit ist nicht das einzige relevante Kriterium für die Wahl einer Weltversion - es gibt andere Kriterien, die in einer gegebenen Situation wichtiger sein können, und umgekehrt sind viele wahre Aussagen irrelevant. Die „Richtigkeit“ und das „Passen“ einer Darstellung, nicht ihre Wahrheit, ihr Beitrag zum „Verstehen“, nicht zum „Wissen“, werden zu den erkenntnistheoretisch relevanten Kriterien für ihre Beurteilung (vgl. R 155ff./ 205ff. und 161f./ 212f.). Diese Revision löst Wahrheit als Kriterium für die Güte einer Darstellung nicht auf, sondern macht sie zum Spezialfall einer weiter gefaßten Betrachtungsweise: [T]aken as the advancement of understanding, the cognitive endeavor starts from what happens to be currently adopted and proceeds to integrate and organize, weed out and supplement, not in order to arrive at truth about something already made but in order to make something right - to construct something that works cognitively, that fits together and handles new cases, that may implement further inquiry and invention. (R 163/ 215) Entsprechend nehmen Goodman/ Elgin für ihr eigenes Unternehmen Richtigkeit, aber nicht notwendig Wahrheit in Anspruch und entgehen auf diese Weise dem performativen Widerspruch des Relativisten (R 163f./ 215f.). Für Goodman ist das Versagen der Gegenposition ein starkes Argument für einen solchen Pluralismus. Im VII. Kapitel von Ways of Worldmaking (WW 109ff./ 134ff.) führt Goodman einen indirekten Beweis für eine pluralistische Position, indem er versucht, einander widersprechende Aussagen mit unterschiedlichen Strategien mit einander kompatibel zu machen, also einander widersprechende Weltauffassungen in eine zusammenzufassen (etwa <?page no="227"?> Wissensstrukturen: Das Problem des Relativismus 223 indem er sie so reformuliert, daß sie relativ auf bestimmte Systeme aufgefaßt werden und sich damit nicht mehr widersprechen). Die Versuche mißlingen, da bei jeder der versuchten Reformulierungen so wesentliche Aspekte der ursprünglichen Fassung verloren gehen, daß die neue Version nicht in relevanter Weise als äquivalent gelten kann. Der verfehlte Versuch, eine einheitliche Weltversion herzustellen, belegt umgekehrt den Pluralismus der Welten. Rein prozedurale Positionen sind mit solchen Überlegungen nicht vereinbar - allerdings kann man vor dem Hintergrund der Analysen in der vorliegenden Arbeit Elgins Wittgenstein-Interpretation im Sinne einer Textauslegung auch nicht folgen: Wittgenstein hat, ebensowenig wie Goodman, eine rein prozedurale Position vertreten. Sprachspiele sind weder homogen noch isoliert, sie schließen unterschiedliche Verfahren mit ein. Aufgrund dieser beiden Charakteristika hat H.J. Schneider (1995: 118) von einer „Relativität“ der Sprachspiele bei Wittgenstein, nicht aber von einem „Relativismus“ gesprochen. Zum einen ist von einer „Verwandtschaft zwischen Sprachspielen, einer Familienähnlichkeit ohne gemeinsames Substrat“ (Schneider 1995: 114) auszugehen, zum anderen davon, daß die Offenheit für individuelle Abweichungen, die Übertragbarkeit auf Unvorhergesehenes, die Überschreitbarkeit der bis zu einem beliebigen Zeitpunkt üblichen Spielpraxis zum Begriff des Sprachspiels selbst gehört. (Schneider 1995: 114) Das bedeutet auch, daß man kein „Ober-Sprachspiel“ ansetzen muß, um zwischen Sprachspielen zu wechseln, Konflikte zwischen ihnen auszutragen oder zu vermeiden (vgl. Schneider 1999: 150). Das gilt unabhängig davon, ob man Sprachspiele, wie Elgin, als Kulturen insgesamt oder, wie Schneider, darüber hinaus auch als Diskurse innerhalb von Kulturen begreift. Sprachspiele umfassen Maßstäbe für einander, sind also in ihrer Funktionsweise dem sehr nahe, was Elgin als Herstellung eines Gleichgewichtszustandes zwischen unterschiedlichen Sprachspielen beschreibt. In einer nicht normativen, sondern beschreibenden Herangehensweise wird man diese Zustände aber nicht immer für Resultate der Reflexion, sondern eher für solche eines praktischen Aushandlungsprozesses ansehen müssen. Das zeigt nun tatsächlich eine Grenze der Spielmetapher an, insofern unterschiedliche Spiele in der Regel nicht in dieser Weise mit einander verflochten sind. Das so gezeichnete Bild ist aber weder als Wittgenstein-Interpretation noch in systematischer Sicht vollständig. Insbesondere in Über Gewißheit spricht Wittgenstein immer wieder von der Inkompatibilität von Sprachspielen (vgl. 4.3.4), ganz im Sinne von Elgins Darstellung seiner Position. Und das hat seinen systematischen Grund darin, daß ein Teil unseres Wissens immer jeweils „rein prozedural“ geregelt sein muß: Zwar ist kein bestimmter Teil <?page no="228"?> 224 Mustergebrauch gegen Revisionen immun, aber die pragmatischen Voraussetzungen sind nie vollständig einholbar. Bei Wittgenstein kommt diese Struktur unseres Wissens in der oben besprochenen Flußmetapher aus Über Gewißheit (§§ 96-99) zum Ausdruck (vgl. 4.3.4). Die Auflösung der Grenze zwischen Weltwissen und Sprachwissen hat in der Tat auch die von Elgin beschriebene Konsequenz, Sprachspiele zu isolieren, aber es handelt sich eben nicht um eine stabile und umfassende, sondern um eine äußerst prekäre Grenze. Die Antwort auf die Frage, ob es eine oder mehrere Welten gibt, läßt sich also nur abhängig vom jeweiligen Erkenntnisinteresse beantworten, wie Elgin selbst an anderem Ort pointiert festgehalten hat: If individuation is determinate only within a system and counting depends on individuation, there may be no perspective from which to say that there are many worlds. In that case, of course, there is also no perspective from which to insist that there is only one world. (Elgin 1997d: XVII) Allerdings ist es durchaus sinnvoll, eine Position, die Pluralismus als legitime Perspektive zuläßt, als Relativismus zu bezeichnen; nicht im Sinne eines „irresponsible relativism“ (R 166/ 218), wie er in Reconceptions kritisiert wird, sondern im Sinne von Goodmans Formulierung in Ways of Worldmaking als einen „radical relativism under rigorous restraints“ (WW X/ 10). 6.3 Beispiel und Bild: Das Problem der Evidenz Goodmans Gedanken der Welterzeugung aus bestehenden Welten und der Konventionalität des Unterschieds zwischen Tatsache und Konvention einerseits, und Wittgensteins Einbettung von Sprachspielen in Lebenszusammenhänge sowie seine Annäherung von grammatischen und Erfahrungssätzen andererseits ergänzen einander - bei aller Unterschiedlichkeit in der Schwerpunktsetzung. Das läßt sich so nicht für den zweiten Themenbereich behaupten, den eine Rehabilitierung des Beispiels betrifft: die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Beispiel. Bei Kant waren Beispiele als Anschauungen bestimmt, als das Andere des Begriffs (vgl. 1.2). Das spiegelt zwei Momente einer vortheoretischen Auffassung von Beispielen wieder: deren merkwürdige Evidenz und die Vorstellung, Beispiele zeigten, was sich nicht sagen lasse. Beispiele scheinen sich - wie Bilder - durch den unmittelbaren Ausdruck von Unsagbarem auszuzeichnen. 5 In diesem Sinn hat S. Krämer den Gedanken des Zeigens und Beschreibens in Wittgensteins Spätphilosophie interpretiert: Sprachspiele als Beispiele ha- 5 Die Formulierung lehnt sich an die in 2.4.2 zitierte Bemerkung Goodmans zu Sagen und Zeigen an (vgl. LA 253/ 233). <?page no="229"?> Beispiel und Bild: Das Problem der Evidenz 225 ben ihrer Auffassung nach ikonische Züge. Am Begriff des Sprachspiels hebt sie zunächst drei Aspekte hervor: Sprachspiele dienen als Vergleichsobjekte, die unser Wissen von der Sprache ordnen; sie geben keine Wesensbestimmung der Sprache, sondern heben Familienähnlichkeiten hervor; in ihnen ist Sprache schließlich konstitutiv mit nicht-sprachlichem Handeln verbunden. An die Stelle eines „einheitliche[n] Modell[s]“ (Krämer 2001: 121) von Sprache tritt ein „,morphologische[s] Verfahren‘“ (Krämer 2001: 113): Aus einer Reihe von Phänomenen (Sprachspielen) wird eines isoliert und als Vergleichsobjekt und Maßstab für die übrigen verwendet. Auf diese Weise werden „Formen sichtbar“ (Krämer 2001: 115) gemacht. Damit wird der Vorrang des Beschreibens vor dem Erklären in der Spätphilosophie mit Hilfe der „latenten Ikonizität, die dem Sprachspiel eigen ist“ (Krämer 2001: 115) begründet. Daß Formen nicht erklärt, sondern nur gezeigt werden können, daran habe Wittgenstein sein Leben lang festgehalten; und das heiße für den späten Wittgenstein, daß jeder Gegenstand, auf den „sich die morphologische Methode richtet, […] dabei als ein Bild behandelt [wird].“ (Krämer 2001: 115) Für Krämer verwirklicht sich in dem so aufgefaßten beschreibenden Verfahren des späten Wittgenstein diejenige Herangehensweise an das Regelproblem, die es schließlich aus der traditionellen Dichotomie von Beispiel und Regel befreit, um den ontologischen Primat der Regel aufzuheben. Diese Analyse ist - wie oben dargestellt (vgl. 2.6.2) - nur zum Teil richtig; die Hypostasierung der Regel wird aufgehoben, nicht aber die ontologische Differenz zwischen Regel und Beispiel. Allerdings weist Krämers Interpretation auf einen wichtigen Aspekt hin, der Wittgensteins Überlegungen zu Beispielen von Goodmans trennt. Im ersten Kapitel 6 wurde bereits darauf hingewiesen, daß Wittgensteins Verhältnis zur Tradition sich von demjenigen Goodmans darin unterscheidet, daß Wittgenstein einen bestimmten Typ philosophischer Darstellung als die einzige Möglichkeit sieht, sich den metaphysischen Fragestellungen dieser Tradition zu entziehen: Das Beschreiben muß das Erklären ersetzen, die Verwendung von Sprachspielen im Sinne von Beispielen, die den Sprachgebrauch unstrittig zeigen, therapiert metaphysische Fragestellungen als Krankheit. Zwar ist Wittgensteins eigene philosophische Praxis damit keineswegs erschöpfend beschrieben, ebensowenig wie seine Auffassung von Beispielen und deren Status (vgl. 4.3.2), aber diese Selbstdarstellung macht doch deutlich, daß dem „Zeigen“ im Gegensatz zum „Sagen“ auch in der Spätphilosophie eine zentrale Rolle zukommt. Für den Tractatus war ein wesentlicher Gedanke, 6 Vgl. zum folgenden 1.3.3 und 4.2.4; dort finden sich auch die entsprechenden Textnachweise. <?page no="230"?> 226 Mustergebrauch daß die logische Form, die eine Darstellung zu einer möglichen Darstellung von etwas macht, sich nicht in sinnvollen Sätzen ausdrücken, sondern nur an solchen zeigen läßt. Mit anderen Worten: was der Referenz zugrundeliegt und sie organisiert, läßt sich für den Tractatus nicht sagen; wie der Gebrauch von Symbolen im Kern geregelt ist, das zeigt sich, und der Versuch, es auszudrücken, verwandelt die Evidenz der Form in die Banalität der Tautologie. In der Spätphilosophie ist die Unterscheidung von Sagen und Zeigen - ganz im Sinne Krämers 7 - ebenfalls zentral, erfährt aber, wie andere Begriffe auch, eine Umwertung: Sprach-Beispiele zeigen den tatsächlichen Sprachgebrauch, und sie zeigen ihn am situativ zumindest andeutungsweise eingebundenen Gebrauchsbeispiel einer bestimmten Sprache. Wenn man also, wie Krämer, davon spricht, daß sich am Sprachspiel eine Form zeigt (vgl. Krämer 2001: 115), dann nicht die logische Form im Sinne der formalen Logik, sondern die Ästhetik des spezifischen Beispiels, die Ästhetik einer bestimmten „übersichtlichen“ Zusammenstellung von Beispielen. Die Evidenz der „übersichtlichen Darstellung“ kontrastiert auch hier mit der Banalität, die einer möglichen philosophischen Erklärung desselben Sachverhalts zugeschrieben wird: „Wollte man Thesen in der Philosophie aufstellen, es könnte nie über sie zur Diskussion kommen, weil Alle mit ihnen einverstanden wären.“ (PhU § 128) Sie wären nicht verwendbar und gleichzeitig unabweisbar, da sie als Sätze über den Sprachgebrauch nur grammatische Sätze im Wittgensteinschen Sinne sein könnten. Wittgenstein inszeniert diesen Umgang mit Beispielen tatsächlich an manchen Stellen als visuelles Erkennen. So bezieht sich die bekannte Mahnung „denk nicht, sondern schau! “ (PhU § 66) auf eine Reihe von Beispielen für Spiele, denen man nicht aufgrund des gemeinsamen Namens ein durchgängiges gemeinsames Merkmal zuschreiben solle; vielmehr könne man, lasse man dieses Vor-Urteil einmal beiseite, an den Beispielen selbst deren Familienähnlichkeit (die gerade nicht erfordert, daß es durchgängige gemeinsame Merkmale gibt) sehen. Es ist kaum zu bestimmen, wo hier die Metapher beginnt - Wittgensteins Beispiele für Beispiele sind in den seltensten Fällen Bilder oder Zeichnungen, meist handelt es sich um Listen oder Situationsbeschreibungen. Schlechthin von einer „Ikonizität“ der Sprachspiele zu sprechen, ist also problematisch. Dennoch trifft Krämers Interpretation einen entscheidenden Punkt: Wittgenstein zeichnet Beispiele in dieser Weise durch eine Evidenz aus, wie sie traditionell Bildern zugeschrieben wird, um der gewohnheitsmäßig metaphysischen Herangehensweise etwas entgegenzusetzen. Der Gegensatz von Erklären und Beschreiben verbindet sich mit der Vorstellung, es könne nur 7 Zur Kontinuität dieser Grundmotive bei Wittgenstein vgl. Krämer (2001: 115). <?page no="231"?> Beispiel und Bild: Das Problem der Evidenz 227 eine Form von Evidenz und von Beispielgebrauch geben, durch die dann jede Metasprache der Banalität anheimfällt. Dieser Gedanke beinhaltet mehr als eine Rehabilitierung des Beispiels im Verhältnis zur Regel: Er bedeutet eine Verengung auf jeweils bestimmte Verfahren, die genau dann nachvollziehbar ist, wenn man sich diese Wendung gegen eine monolithisch vorgestellte Tradition als einzig noch mögliches Manœuver denkt. Es ist aber keineswegs ausgemacht, daß diese Verengung als besonders geglückt oder gar notwendig gelten muß, und an dieser Stelle entferne ich mich von der Interpretation Krämers, die mir beides anzunehmen scheint. Begreift man Evidenz mit L. Jäger (2006) als Effekt eines medial verfaßten Verfahrens, so lassen sich bereits innerhalb des Symbolsystems Sprache allein 8 zwei unterschiedliche „Evidenzverfahren“ ausmachen, die, respektive, eine „epistemische“ und eine „diskursive“ Evidenz generieren (vgl. Jäger 2006: 45). Erstere erzeugt den Schein des Unmittelbaren, indem sie im Wechselspiel von „Transparenz“ und „Störung“, von unauffällig funktionierendem und unterbrochenem, erklärungsbedürftigem Zeichengebrauch, von „naiver“ und „reflexiver“ Einstellung (wie Jäger im Rückgriff auf Schütz und Husserl formuliert), die „Attribuierung“ von Sinn vollzieht (vgl. Jäger 2006: 38f.). „Diskursive“ Evidenz ist dagegen Resultat eines Verfahrens, das sich als solches zu erkennen gibt, etwa als „Beweis“, „Argumentation“ oder „Erklärung“; sie bedarf der „Inszenierung“ durch rhetorische Mittel und bezieht aus diesen, nicht aus einem Evidenzerlebnis ihre Überzeugungskraft (vgl. Jäger 2006: 39f. und 45f.). Beide Verfahren unterliegen, so Jäger, einer Logik der „Transkription“ (vgl. Jäger 2006: 41f.), 9 d.h. rekursiven Verfahren der Lesbarmachung, sei es den „wechselseitigen Bezugnahmen differenter Medien aufeinander“ oder der „rekursive[n] Rückwendung eines Mediums auf sich selbst“ (Jäger 2006: 41). Sinnzuschreibungen können auch als lokale Evidenzverfahren, Inszenierungen von Evidenz als auf den Gesamttext bezogene Verfahren aufgefaßt werden (vgl. Jäger 2006: 39). Etwas kann sich am Detail oder am Gesamtzusammenhang als evident erweisen, gleichsam durch „punctum“ oder „studium“ (vgl. Barthes 1995 [1980]: 1126). 10 Wenn man Evidenz in diesem Sinne als Resultat unterschiedlicher Verfahren und nicht einer (wie auch immer vorgestellten) Präsenz oder Unmittelbarkeit versteht, dann ist nicht einzusehen, weshalb eines dieser Verfahren zu privilegieren oder bestimmte Medien ausschließlich mit einem dieser Verfah- 8 Vgl. zu dieser Einschränkung Jäger (2006: 49 FN 1). 9 Vgl. zum Begriff der Transkription auch Jäger (2002 und 2004b: 4ff.). 10 Welches Evidenzverfahren geschätzt wird, ist historischen Schwankungen unterworfen; vgl. dazu Schäffner/ Weigel/ Macho (2003: 9ff.), die den historischen Wechsel von Auf- und Abwertung des Details als Erkenntnisquelle nachzeichnen. <?page no="232"?> 228 Mustergebrauch ren verbunden sein sollen, weshalb Wittgensteins Sprachbeispiele ausschließlich durch punctum, ohne das studium der Erklärung, wirken und weshalb sie damit „ikonisch“ sein sollen. Die Assoziation eines Evidenzverfahrens (dem epistemischen) mit einem Typ von Symbol (Bildern, d.h. dichten und mehr oder weniger vollen Darstellungen) und mit dem Beispiel im allgemeinen (als gebe es nur einen Gebrauch von Beispielen) stellt keinen geglückten antimetaphysischen Zug in Wittgensteins Denken dar - vielmehr einen gegen die Metaphysik als ganze gerichteten Zug, der gerade dadurch einen traditionellen Dualismus reproduziert. Dieser Befund trifft, wie bereits angedeutet, eher Wittgensteins Selbstdarstellung als seine Praxis: Seine Privilegierung des Beschreibens im Sinne der Präsentation von Sprachspielen als Beispiel(-serien) bleibt hinter einer sehr viel komplexeren Text-Praxis zurück, die Beispiele etwa in größere Argumentationszusammenhänge (die Kritik der Augustinischen Sprachauffassung, das Privatsprachenargument) einbindet - Zusammenhänge, die in jedem Fall ein studium erfordern. Er trifft auch nicht die Gesamtheit von Wittgensteins Selbstbeschreibungen: Er macht sehr deutlich, daß Beispiele konstruiert und übersichtliche Darstellungen hergestellt werden, und nicht vorgefunden (vgl. 1.3.3). An dieser Stelle muß man sich zwischen einer an Goodman und einer an Wittgenstein (oder genauer: an einem Aspekt seines Denkens) orientierten Darstellung entscheiden. In der Logik der Goodmanschen Analyse der Exemplifikation liegt es, daß Beispiele aufgrund der Richtung der Bezugnahme in gewissem Sinne Evidenz erzeugen - die Exemplifikation garantiert die Existenz des Etiketts. Das sagt aber weder etwas über die syntaktischen Eigenschaften des Exemplifikationssystems aus (nicht alle Beispiele sind dicht, „zeigen“ also im Goodmanschen Sprachgebrauch etwas (vgl. 2.4.2)), noch ist damit gesagt, in welche Art von Evidenzverfahren sie eingebunden sind. Die vorgängige Privilegierung eines Mediums oder eines Verfahrens ist nicht mit einem erkenntnistheoretischen Pluralismus vereinbar. Goodmans Unterscheidung der syntaktischen und semantischen Eigenschaften von Symbolsystemen und die Bestimmung von Evidenzverfahren im Sinne Jägers legen nahe, daß „Anschaulichkeit“ für unterschiedliche Symbolsysteme und unterschiedliche Traditionen des Gebrauchs nicht dasselbe besagt; das eröffnet den Raum für eine Fülle möglicher Einzeluntersuchungen auf medien- und symboltheoretischer Basis. <?page no="233"?> Typisierung: Das Problem der Referenz nicht-typisierter Symbole 229 6.4 Typisierung: Das Problem der Referenz nicht-typisierter Symbole Analysen in den Philosophischen Untersuchungen beziehen sich, zumindest in der Hauptsache, auf natürliche Sprachen oder auf regelgeleitetes Handeln im allgemeinen; Analysen bei Goodman beziehen sich auf jeden Symbolgebrauch, nicht aber auf alle regelgeleiteten Handlungen. In der vorliegenden Arbeit war von den unterschiedlichen Arten von Symbolgebrauch die Rede - und entsprechend wurden das „grue“-Paradox und das Privatsprachenargument auf einen sehr viel weiteren als ihren ursprünglichen Bereich bezogen. Für die Goodmansche Begrifflichkeit stellt das kein Problem dar; Goodman selbst erweitert den Anwendungsbereich der am Induktionsproblem gewonnenen Erkenntnis über den Begriff der Projektion auf jeden Symbolgebrauch. Bei Wittgenstein liegen die Dinge anders: Sprechen ist für ihn regelgeleitetes Handeln, das Privatsprachenargument, der zentrale Beweis für die materielle und soziale Verfaßtheit von Zeichen, beruht auf dem Problem der Identität und der Wiederholbarkeit von Zeichen - das aber scheint nicht ohne weiteres auf nicht-typisierte Zeichensysteme übertragbar. Das Verhältnis typisierter und nicht-typisierter Symbolsysteme wurde im vorhergehenden nur gestreift. Typisierte Symbolsysteme wie Schrift, gesprochene Sprache oder musikalische Notationen sind in der Terminologie Goodmans mehr oder weniger syntaktisch artikuliert bzw. differenziert, nichttypisierte Systeme mehr oder weniger dicht. Um den Begriff der Typisierung näher zu bestimmen, ist systematisch zu klären, ob hier eine Dichotomie anzusetzen ist, aufzufassen etwa im Sinne der traditionellen Entgegensetzung von Text und Bild, 11 oder ob es sich um kontinuierliche Abstufungen handelt. In symboltheoretischer Perspektive bedeutet das, daß die Analyse der Kategorie des Diagrammatischen (vgl. 2.3.2) für die Bestimmung dessen, was Typisierung ausmacht, entscheidend ist, da das Diagrammatische offensichtlich eine Art Zwischenstellung zwischen Text und Bild einnimmt. In neuester Zeit wurde das Diagrammatische - ohne Referenz auf Goodmans Symboltheorie - von Bogen/ Thürlemann (2003) und Keller (2006) als eigener Untersuchungsgegenstand neben Text und Bild aufgefaßt: Für diese Autoren ist es der Gedanke einer „standardisierte[n] Form von Visualisierung“ (Keller 2006: 213) bzw. einer Verbindung von semantischer Dichotomie und räumlicher Darstellung (Bogen/ Thürlemann 2003: 5), die das Diagrammatische auszeichnen und sein Funktionspotential bedingen. Dieses besteht für Bogen/ Thürlemann in einer „synthetischen […] Verdichtung“ bei der Erstellung von Diagrammen und in einer „diskursiven […] Entfaltung“ auf Seiten der Rezeption (Bogen/ Thürlemann 2003: 8). Sie sehen (im Rückgriff auf Peirce) im 11 Zu den begrifflichen Varianten dieser Dichotomie vgl. Elkins (1999: 84). <?page no="234"?> 230 Mustergebrauch Diagramm nichts Geringeres als das „Medium des Denkens“ (Bogen/ Thürlemann 2003: 10), im „pictorial turn“ einen „diagrammatic turn“ (Bogen/ Thürlemann 2003: 3). Richtig ist sicher, daß das Diagrammatische nicht einfach eine der Hybridformen von Text und Bild ist, wie sie etwa W.J.T. Mitchell, der den Begriff vom „pictorial turn“ (Mitchell 1994: 11) in Umlauf gebracht hat, in seiner Picture Theory untersucht. Mitchells Kategorie des „imagetext“ (Mitchell 1994: 89 FN 9) trägt der Verschränkung beider Medien und den vielfältigen Formen der Bezugnahme zwischen ihnen Rechnung, zielt aber nicht auf die Analyse darüber hinaus gehender Konstellationen oder überhaupt auf eine allgemeine terminologische Erfassung von Symbolen ab (vgl. Mitchell 1994: 24). Daraus, daß das Diagrammatische als Darstellungsform sui generis zu sehen ist, folgt aber im Gegenzug weder eine Dreiteilung symbolischer Darstellungen in Texte, Diagramme und Bilder, noch die Auszeichnung einer dieser Kategorien als „Medium des Denkens“. 12 In symboltheoretischer Perspektive stehen Diagramme tatsächlich gleichsam auf halbem Weg zwischen dichten und vollen Schemata auf der einen Seite und differenzierten Schemata von geringer Fülle auf der anderen: Sie sind Darstellungen von geringer Fülle (in dem Sinne, daß die relevanten Dimensionen der Darstellung in der Regel nicht nur eher wenige, sondern auch festgelegt sind), und sie können syntaktisch artikuliert oder dicht sein (vgl. 2.3.2). Die syntaktische Einteilung, die sich daraus ergibt, ist die folgende: differenzierte Schemata mit geringer Fülle (nicht im Sinne der Anzahl, sondern im Sinne der Festlegung der Dimensionen); 13 nicht-differenzierte Schemata mit einer festgelegten Anzahl der Dimensionen der Darstellung; nicht-differenzierte Schemata ohne festgelegte Anzahl der Dimensionen der Darstellung. Diese Einteilung nach den Kriterien der Differenziertheit und der Fülle ergibt nun tatsächlich eine Dreiteilung - sie entspricht aber nicht derjenigen in Texte, Diagramme und Bilder. Texte und digitale Diagramme finden sich in der ersten, analoge Diagramme in der zweiten und Bilder in der dritten Kategorie. 14 Die Einteilung nach syntaktischen Kriterien im Sinne 12 Ebensowenig folgt natürlich, daß es keine Hybridformen geben könnte - aber um diese zu untersuchen, müssen zuerst die Grundkategorien einmal definiert sein. 13 Das waren die beiden Interpretationsmöglichkeiten für den Begriff der Fülle, die Abschnitt 2.3.2 nachgewiesen hatte. Die Kategorie der Fülle im Sinn der Anzahl der relevanten Dimensionen der Darstellungen ist von der Frage der Differenziertheit unabhängig, eine Festlegung auf bestimmte Dimensionen muß aber gegeben sein, damit ein System differenziert sein kann. 14 Vieles, was in der gegenwärtigen Diskussion als Diagramm bezeichnet wird, weil es eine eher geringe Fülle - im Sinn der Anzahl der Dimensionen - aufweist, diese Anzahl aber nicht festgelegt ist, fällt ebenfalls in die dritte Kategorie; so etwa die von Bogen/ Thürlemann (2003: 6f.) untersuchten kosmologischen „Diagramme“ aus mittelalterlichen Handschriften. <?page no="235"?> Typisierung: Das Problem der Referenz nicht-typisierter Symbole 231 der Symboltheorie fällt so weder mit den Einzelmedien zusammen, die wir umgangssprachlich unterscheiden, noch mit denen der oben zitierten Studien zum Diagrammatischen. Wenn man von einer solchen syntaktischen Klassifikation von Symbolschemata ausgeht, kann man den Begriff der Typisierung entweder in einem weiten Sinn auffassen, sodaß er alle Diagramme umfaßt, oder ihn in einem engeren Sinn nur auf differenzierte Schemata beziehen. In jedem Fall ergibt sich auf diese Weise keine homogene Klasse von typisierten Symbolschemata, da die drei Klassen in sich Abstufungen z.B. im Grad der Fülle (im Sinne der Anzahl der relevanten Dimensionen) enthalten und da außerdem auch noch andere Kriterien symboltheoretischer Beschreibung (die semantische Ebene, d.h. die Beschreibung als Symbolsystem, sowie Art und Richtung der Bezugnahmen) hinzugezogen werden können. Bereits auf syntaktischer Ebene sind die Übergänge zwischen dem, was als geregelt gelten kann, und dem, was nicht geregelt ist, fließend. Das bedeutet erstens, daß der Begriff der Typisierung sehr gut geeignet ist, um Prozesse der Typenbildung zu beschreiben. Stetter (2005a: 125) hat in diesem Sinne das Diagrammatische als einen Übergang zwischen typisierten und nicht-typisierten Systemen gefaßt, an dem der Prozeß der Typenbildung als Schematisierungsprozeß faßbar wird. Die Schematisierung tilgt gleichsam aus dem Bild (vgl. Stetter 2005a: 121), was nicht zu den relevanten Dimensionen der Darstellung gehört. „Der mit der Schematisierung geleistete Übergang von der Identifizierung der Gestalt zum Verständnis der Regel seiner Erzeugung“ (Stetter 2005a: 125) stellt das Leseverfahren dar, das ein Diagramm auch von einem Bild unterscheidet, das ihm ansonsten (d.h. als Marke) identisch wäre (wie in Goodmans Vergleich eines Elektrokardiogramms mit der Zeichnung eines Bergrückens): 15 „Diagramme sind, so könnte man vielleicht sagen, graphische Abkürzungsverfahren für komplexe Schematisierungen.“ (Stetter 2005a: 125) Zweitens scheint der Begriff der Typisierung damit für taxonomische Zwecke gerade nicht hinreichend: Die Dreiteilung nach syntaktischen Kriterien ist zu allgemein, um alle die Unterscheidungen zu treffen, die für Einzeluntersuchungen - sei es in der Schrifttheorie, im Bereich der Visual Studies, in Untersuchungen über die erkenntnistheoretische Funktion des Diagrammatischen etc. - notwendig wären. 16 15 Vgl. LA 229/ 212 und oben 2.3.2 sowie Stetter (2005a: 121) und die Illustration ebd. 122. Eine entsprechende Illustration findet sich auch in Elkins (1999: 71). 16 Daß das so ist, bestätigt etwa ein Blick auf die Sammlung von Beispielen aus dem Bereich persistenter visueller Medien, die Elkins (1999) vorlegt. An der Vielfalt solcher Materialien wird sich die Beschreibungsadäquatheit von Taxonomien erweisen müssen. Elkins selbst schlägt eine Einteilung in sieben Kategorien vor, die er aus einer Dreiteilung in Bild, Schrift <?page no="236"?> 232 Mustergebrauch Drittens läßt sich mit Hilfe des Begriffes der Typisierung die Frage genauer fassen, auf die es im vorliegenden Kontext ankommt, die Frage, ob das Privatsprachenargument nur auf typisierte Symbolsysteme anwendbar ist. Das Privatsprachenargument zeigt mit Hilfe des „E“-Szenarios, daß privates Referieren nicht möglich ist, daß auf diese Weise keine Individuierung von Gegenständen stattfindet. Das Szenario ist so konstruiert, daß die syntaktische Ebene (im Goodmanschen Sinn) unproblematisch bleibt: Das „E“ wird als Gestalt identifiziert, da es einer öffentlichen Schrift angehört, es ist als schriftliches Zeichen persistent, wirft also seinerseits nicht das Problem der Erinnerungsfähigkeit auf, und es ist typisiert, also in jeder Wiederholung identifizierbar. Variiert man diese drei Parameter, ergeben sich drei mögliche Szenarien: (1) Es notiert einer das Auftreten der Empfindung des „E“-Szenarios mit einem geheimen Zeichen, etwa „ “; oder (2) er intoniert bei jedem Auftreten der Empfindung den Vokal „E“; oder (3) er fertigt jedes Mal eine Skizze an, die die Empfindung darstellt. In der Interpretation unproblematisch ist der zweite Fall, insofern hier die Identität des Zeichens wie im ursprünglichen Szenario aus einer öffentlichen Sprache stammt. Der erste Fall gehört wie der dritte in die Kategorie der nicht-differenzierten Darstellungen ohne Festlegung der Dimensionen. Wir könnten zwar problemlos als geübte Schreiber in Analogie zu bestehenden Schriften solche Dimensionen vermuten (daß es etwa auf den Winkel der beiden Striche ankommt, darauf, daß der senkrechte Strich etwas länger ist, etc.), aber es könnte ebensogut auf die Farbe ankommen oder nur darauf, daß ein senkrechter Strich gezogen ist. Kann man mit solchen Marken, bei denen eine Wiederholung nicht möglich ist (weil sie wie die Skizzen Originale, d.h. autographisch sind) oder bei denen es kein Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem Charakter gibt, „privat“ referieren? Kommt es für den Beweis darauf an, daß die Empfindung wiederholt notiert wird? Offensichtlich nicht bzw. nur insofern, als die Argumentationsfigur des § 258 dem Gegner den bestmöglichen Ausgangspunkt bietet, um ihn dann zu widerlegen - selbst in einem Fall, in dem die Wiederholung auf syntaktischer Ebene unproblematisch ist, gelingt die Referenz nicht. Auch im Fall der beiden nicht-differenzierten Varianten kommt Referenz nur insofern zustande, als es eine entsprechende Praxis bereits gibt. Diese Überlegung ist insofern von Bedeutung, als sie nicht-differenzierte Symbolsysteme differenzierten Systemen als Welterzeugungsverfahren gleichstellt, die die Individuierung von Gegenständen in der Referenz ermöglichen. Der Akt der Bezugnahme ist ein Akt der Individuierung - die Referenz legt fest, was als Gegenstand gilt. C. Elgin hat das für sprachliche Systeme deutlich ausgesprochen: und Notation (wobei letztere Kategorie etwa dem entspricht, was in der vorliegenden Arbeit „Diagramm“ heißt) entwickelt (vgl. Elkins 1999: 85ff. und 89ff.). <?page no="237"?> Typisierung: Das Problem der Referenz nicht-typisierter Symbole 233 It is not only that we do not know the reference of a term unless we consider its place in a linguistic system; it is rather that what the reference of a term is depends on the structure of the language. (Elgin 1983: 9) Indem wir eine solche Festlegung treffen, vollziehen wir eine bestimmte Organisation des Bezugnahmegebiets. Gegen die hier vorgelegte Variation des Privatsprachenarguments und die Übertragung seiner konstruktivistischen Konsequenz auf nicht-differenzierte Symbolsysteme ließe sich allerdings folgendes einwenden: Für den privaten Gebrauch nicht-differenzierter Marken gilt natürlich, daß hier „richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird“, und also „von ‚richtig‘ nicht geredet werden kann“ (PhU § 258) - das ist aber völlig unproblematisch, da es sich ohnehin nicht um regelgeleiteten Symbolgebrauch handelt. Mit anderen Worten, es ließe sich einwenden, daß hier nicht von Systemen oder Alternativen gesprochen werden kann, da ohnehin nichts geregelt ist. Dieses Bild ist aber verfehlt: Referieren ist ein Handeln, das gelingen oder mißlingen kann, eben weil Marken nur im Kontext eines öffentlichen Symbolgebrauchs referieren können. Wenn die Wiederholbarkeit der Marke (als Inskription eines Charakters) entscheidend für diesen Handlungscharakter wäre, dürfte auch nichts dagegen sprechen, mit der Notierung „E“ wenigstens einmal auf eine Empfindung zu referieren. Aber auch für ein einziges Mal ließe sich die Referenz in diesem Fall nicht vollziehen, denn - um es in Goodmans Worten zu sagen: Establishment of the referential relationship is a matter of singling out certain properties for attention, of selecting associations with certain other objects. […] If nothing more than selection takes place here, still selection from such a multitude of eligibles amounts, as observed earlier, to virtual constitution. (LA 88f./ 91) Diese Auswahl und diese Konstitution können nicht privat sein, da sie ein Kriterium der Identität festlegen - auch wenn die Referenz einmalig ist. Wittgensteins Beweis gilt, wo referiert wird. Daher zieht er die allgemeine konstruktivistische Konsequenz nach sich, die bereits oben (vgl. Kap. 5) behauptet wurde: Talking does not make the world or even pictures, but talking and pictures participate in making each other and the world as we know them. (LA 88f./ 91) Dabei handelt es sich - mit Elgin (1983: 9) - um „a metaphysical claim, not an epistemological one“. Das ist im Sinne einer Kantischen Grundhaltung zu verstehen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis des Gegenstandes sind die Bedingungen der Möglichkeit des Gegenstandes. <?page no="238"?> 234 Mustergebrauch 6.5 Die Grenzen des Modells Das „grue“-Argument und das Privatsprachenargument, die beiden zentralen Argumente für einen Konstruktivismus und für den Nominalismus, der mit einer Hinwendung zur Performanz einhergeht, lassen sich auf Symbolgebrauch im allgemeinen anwenden. Sie laufen, wenn die hier vorgelegten Interpretationen richtig sind, auf eine bestimmte Art von Relativismus (vgl. 6.2) und die Annahme vielfältiger Evidenzverfahren (vgl. 6.3) hinaus. Im Zentrum dieser Konstellation steht der Gedanke, daß sogenannte „implizite“ Regeln über den Gebrauch von Beispielen zu beschreiben sind und daß Symbolgebrauch in diesem Sinn als Mustergebrauch aufgefaßt werden kann. Diese Überlegungen haben zwei deutliche Grenzen, die beide auch mit der Frage der Typisierung zusammenhängen, wie sie im letzten Abschnitt dargestellt wurde. Erstens blendet eine Rekonstruktion von Symbolgebrauch als Mustergebrauch, die sich in der Struktur an Goodmans extensionalistischem Vokabular und an Wittgensteins philosophischem Begriff von Grammatik orientiert, zwei mit einander zusammenhängende Untersuchungsbereiche fast völlig aus: die Frage nach dem Prozeß der Ausdifferenzierung von Symbolsystemen und die Frage nach den Binnenstrukturen von Symbolschemata. Beides spielt weder bei Goodman noch bei Wittgenstein eine große Rolle. 17 Die Frage nach der Erzeugung von Differenzen in der Performanz durch Variation innerhalb von Schemata, ist mit dem Modell des Mustergebrauchs nur insofern angesprochen, als man sich ontologisch darauf festlegt, daß diese in Serien von Mustern hervorgebracht werden. Um Goodmans Wortspiel noch einmal aufzugreifen: Es ging in der vorliegenden Arbeit nicht um die „roots of reference“, sondern um die „routes of reference“ (vgl. MM 55/ 86 und 2.5.3), nicht um die Entstehung von Gebrauchsweisen, sondern um ihre Funktionsweise. 18 Man kann sich den Charakter dieser Fragestellung im Vergleich mit dem Vokabular Derridas deutlich machen: Man legt sich mit dem Modell des Mustergebrauchs allgemein auf einen Zusammenhang von Wiederholung und Variation fest, wie ihn Derrida in „Signature événement contexte“ beschreibt, auf „la logique qui lie la répétition à l’altérité“ (Derrida 1990 [1972]: 27). Aber weder geht es ausschließlich um den Nachweis dieser Alterität gegen ein mechanistisches Modell des Regelfolgens (die Frage war Thema des 4. Kapitels), noch um die Untersuchung der Emergenz unterschiedlicher Gebrauchsweisen durch diese Alterität. Die Frage, die am Anfang der vorliegenden Arbeit 17 Zur Rolle der Schulgrammatik bei Wittgenstein vgl. Schneider (1999 [1992] 264ff. und 349); zu zusammengesetzten Charakteren bei Goodman vgl. LA 141ff./ 137ff. 18 Zur Frage der Produktion von Differenzen durch Iteration vgl. Buss (2006). <?page no="239"?> Die Grenzen des Modells 235 stand, war gerade (sozusagen in umgekehrter Fragerichtung), wie man ein Modell zur Beschreibung einer Praxis vorlegen kann, die Identität herstellt, ohne auf etwas außerhalb dieser Praxis zu rekurrieren, wie also unter dieser ontologischen Voraussetzung zu verstehen ist, daß man „das Gleiche“ tun kann. Zu diesem Zweck ist es notwendig, mit Goodman Unterschiede zwischen Gebrauchsweisen von Symbolen zu machen. Damit hängt die zweite Einschränkung zusammen, die hinsichtlich der Rede von „Symbolgebrauch als Mustergebrauch“ getroffen werden muß: Die Frage, die mit Hilfe der Rehabilitierung des Beispiels beantwortet werden sollte, also die Frage, wie innerhalb von Performanzen syntaktische und semantische Identität modellierbar ist, ist offensichtlich nicht für alle Arten von Symbolsystemen gleichermaßen zu stellen. Diese sehr allgemeine Feststellung läßt sich mit Hilfe der Unterscheidungen aus dem letzten Abschnitt präzisieren: Symbole in typisierten Symbolsystemen (im weiteren Sinn, also einschließlich analoger Diagramme) sind mehr oder weniger reproduzierbar oder - um einen Ausdruck Derridas zu entlehnen - iterierbar, Symbole in dichten und vollen Systemen nicht. Beide sind aber im Derridaschen Sinne „zitierbar“, d.h. in einem neuen Kontext verwendbar bzw. interpretierbar, der unter Umständen ihren Sinn grundlegend ändert. 19 Für Derrida würde diese Rede von Symbolen, die nicht iterierbar, wohl aber zitierbar sind oder umgekehrt, keinen Sinn ergeben. 20 Die beiden Eigenschaften fassen im Kontext der Derridaschen Analyse die „prédicats […] graphématiques en général“ (Derrida 1990 [1972]: 38) zusammen, die auf jedes Zeichen zutreffen, den Umstand also, daß jedes Zeichen ein grundlegendes Charakteristikum aufweist, das traditionellerweise nur dem schriftlichen Zeichen beigelegt wird: die Abwesenheit dessen, der es hervorgebracht hat, eine Abwesenheit, die gerade Reproduzierbarkeit und Variabilität ermöglicht. Mehr noch: Derrida weist diese als zwei Seiten derselben Medaille aus, da die Variabilität als Möglichkeit immer gegeben ist, wo die Garantie der Identität in der Wiederholung durch die Intention des Autors fehlt. „Iterabilität“ („itérabilité“) und „Zitierbarkeit“ („citationnalité“) bezeichnen beide diesen Zusammenhang von Reproduzierbarkeit und Variation; Derrida verwendet 19 Vgl. zu den beiden Begriffen Derrida (1990 [1972]: 27, 36 und 44). 20 Ich lese Derrida hier so, als würden seine Unterscheidungen in „Signature événement contexte“ sich auf „toute espèce de signe“ (1990 [1972]: 26) beziehen. Das ist aber keineswegs eindeutig. An anderer Stelle redet er so, als ginge es um die Zeichen, für die es einen „code“ (1990 [1972]: 28) gibt, und oft legt der Kontext nahe, daß es nur - oder vor allem - um geschriebene und gesprochene Sprache geht. Läßt man sich in seiner Interpretation von den beiden letzteren Punkten leiten, sind die in der vorliegenden Arbeit getroffenen Unterscheidungen denen Derridas noch näher. <?page no="240"?> 236 Mustergebrauch sie in manchen Kontexten synonym (vgl. Derrida 1990 [1972]: 36 und 44), allgemein scheint „Iterabilität“ aber eher den Aspekt der Reproduzierbarkeit der Marke, „Zitierbarkeit“ - in Verbindung mit der Metapher der „Aufpropfung“ („greffe“) - die Offenheit für neue Kontexte hervorzuheben. Die „Unterschrift“ („signature“), die der Untersuchung den Titel gibt, erscheint als symbolische Praxis von gleichsam mythischem Charakter, als der zum Scheitern verurteilte Versuch, die Präsenz des Autors im Geschriebenen aufrechtzuerhalten. Zielt man aber wie in der vorliegenden Arbeit darauf ab, Mustergebrauch als Modell für eine Praxis zu nehmen, in der es darauf ankommt „das Gleiche“ zu tun, muß man andere Unterscheidungen treffen (wie sich am obigen Mißbrauch der Derridaschen Terminologie bereits ablesen ließ): Im Anschluß an die Überlegungen zur Typisierung von Symbolsystemen aus dem vorhergehenden Abschnitt läßt sich festhalten, daß wir mit einigen Symbolsystemen umgehen, als würde die Iteration die syntaktische Identität problemlos erhalten, mit anderen, als wäre eine Iteration (in der Produktion des Zeichens) nicht möglich - eine Unterschrift ist in diesem Sinne nicht die einzige autographische Praxis. Die von Derrida über die Begriffe der Präsenz und der Intention in der philosophischen Tradition diagnostizierte Vorstellung, das Meinen verleihe dem Zeichen seinen Sinn, ist auch aus einer pragmatischen Perspektive abzulehnen, und auch aus einer solchen Perspektive läßt sich nicht - ebensowenig wie bei Derrida - eine Praxis als Paradigma von Symbolgebrauch verstehen. Steht aber bei Derrida ausschließlich die Kritik einer Tradition im Vordergrund, die in merkwürdiger Verschränkung autographische Praktiken und mechanische Reproduktion gleichzeitig als Paradigma für Symbolgebrauch nimmt, ist im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht nur die Ausbeutung bestimmter symbolischer Praktiken in philosophischen Theorien zu kritisieren, sondern vor allem auch die Beschreibung dieser Praktiken selbst gefragt. Genauer: ein Modell, das der Rede von bestimmten symbolischen Praktiken als regelgeleitetem Handeln einen ontologisch unbedenklichen Sinn verleiht. Faßt man jeden Symbolgebrauch als Mustergebrauch auf, kann damit nur gemeint sein, daß in jedem Fall exemplifikatorische Referenz stattfindet und jeder Symbolgebrauch die Möglichkeit der Projektion (im Goodmanschen Sinne) eröffnet. Regelgeleiteter Symbolgebrauch im Sinn der Typisierung ist in einem engeren Sinn „Mustergebrauch“: Die Symbole sind iterierbar und eröffnen syntaktische und/ oder semantische Reihen. Dieser Bereich hat keine feste Grenze. Die Unterscheidungen, die in Goodmans Symboltheorie getroffen werden, erlauben es, diesen Unterschied als einen in der Art und Weise der Bezug- <?page no="241"?> Die Grenzen des Modells 237 nahme zu beschreiben. Die Herstellung von Identität in der Reproduktion erscheint so als Spezialfall der Projektion, Regelfolgen in diesem Sinn als Spezialfall von Beispielgebrauch. <?page no="243"?> 7 Literaturverzeichnis 7.1 Abkürzungsverzeichnis Bei Zitaten aus Werken Goodmans ist zuerst die Seite in der englischen Ausgabe, dann - sofern vorhanden - die entsprechende Seite in der deutschen Übersetzung angegeben. FFF Goodman, Nelson 1983 [1954]: Fact, Fiction, and Forecast, 4. Aufl., Cambridge u.a.: Harvard University Press. [Deutsch: 1988 [1975]: Tatsache, Fiktion, Voraussage, übers. von Hermann Vetter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. (= stw 732)] LA Goodman, Nelson 1976 [1968]: Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, 2. Aufl., Indianapolis u.a.: Hackett Publishing Company. [Deutsch: 1998 [1995]: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, übers. von Bernd Philippi, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. (= stw 1304)] PP Goodman, Nelson 1972: Problems and Projects, Indianapolis u.a.: Bobbs-Merrill. 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