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Gebrauchsdeterminanten der progressiven Verbalperiphrase stare + gerundio

1007
2009
978-3-8233-7523-4
978-3-8233-6523-5
Gunter Narr Verlag 
Silvia Natale

Ziel dieser Arbeit ist es, eine synchrone Momentaufnahme des Entwicklungsstandes der Verbalperiphrase stare + gerundio zu liefern, indem die Gebrauchsdeterminanten der Form beschrieben werden. Es geht darum Faktoren zu ermitteln, die Sprecher dazu bewegen, ein Ereignis mit stare + gerundio als im Verlauf begriffen darzustellen. Dabei stehen die konzeptuellen Planungsschritte, die zum Ausdruck der Form führen, im Vordergrund.

<?page no="0"?> Silvia Natale Gebrauchsdeterminanten der progressiven Verbalperiphrase stare + gerundio Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="1"?> Gebrauchsdeterminanten der progressiven Verbalperiphrase stare + gerundio <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 519 <?page no="3"?> Silvia Natale Gebrauchsdeterminanten der progressiven Verbalperiphrase stare + gerundio Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Informationsdesign D. Fratzke, Kirchentellinsfurt Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6523-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. <?page no="5"?> Per te, papà. <?page no="7"?> Danksagung Das Beenden dieser Arbeit geht für mich einher mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit gegenüber vielen Menschen, die in dieser Danksagung alle an erster Stelle stehen sollten. Die Linearität der Sprache verbietet mir dies und so beginne ich mit meiner Mamma und meinen beiden Brüdern Alessandro und Fabio. Danke für all Eure Liebe und Geborgenheit. Danke, dass Ihr mich in meinen Entscheidungen immer unterstützt habt. Danke, dass Ihr mir immer wieder zeigt, dass ihr stolz auf mich seid! Danke sage ich auch meinen Schwiegereltern Ingeborg und Albert sowie meiner Schwiegerschwester Anja und meinem Jungschwager Christoph - ich habe bei Euch ein zweites Zuhause gefunden. Meinem großen Schatz Armin, von dem ich weiß, dass er hier eigentlich nicht stehen möchte, gebührt ein ganz besonderer Platz in dieser Danksagung. Sein stets offenes Ohr, ob beim Sonntagsfrühstück, beim Einkaufen oder anderen weniger geeigneten Momenten für meine „Diss-Berichte“ war in schwierigen Momenten sehr wohltuend. Seine praktische Hilfe bei den vielen Datenerhebungen in Italien und den unermüdlichen Aufwand für die Endkorrektur und Formatierung der Arbeit weiß ich unendlich zu schätzen. Hab auch Dank für Deine Geduld mit meiner Ungeduld, Du Fels in der Brandung. Auch unsere kleine Tochter Lea Marie darf in dieser Danksagung nicht fehlen, denn wenn sie nicht in mein Leben gepurzelt wäre, hätte diese Arbeit vielleicht ganz anders ausgesehen. Ohne unsere „Auszeit“ hätte die Arbeit wahrscheinlich nicht die Reife erreicht, die sie heute hat. Ich freue mich schon auf die erste Datenerhebung mit ihr. All meinen Freunden gebührt ebenfalls ein dickes Dankeschön. Danke, dass Ihr Euch seit zwei Jahren anhört, dass ich fast fertig bin mit der Diss. (und bis zum Schluss an mich geglaubt habt! ). Den Heidelbergern Freunden und Kollegen Ellen Rötterink, Meggi Altrock, Nelson Puccio, Daniela Miceli, Daniela Pietrini, Raymund Wilhelm, Miriam Wittner und Miriam Wittum, Christian Horn und Eva Huttenlauch, Abbassia Bouhaous, Ute Halm und Ute Kohlmann danke ich für die tolle Zeit und Zusammenarbeit an der Uni Heidelberg. Ob am Romanischen Seminar oder am IDF - ich habe das Glück gehabt, lieben und treuen Menschen zu begegnen. Meinen engsten Freunden Andrea Bonato, Carmen Natale, Daniela Voss, Elisa Franetzki, Livio D’Alessandro, Sarah Friederich-Gattung, Sarah Dowson, Steffi Reyer, Orietta Tacchella, Till Stellino und Yuri Campioli möchte ich einfach für die uferlose Freundschaft danken. Ihr macht mich ganz reich! <?page no="8"?> 8 Danksagung Mein größter Dank gilt an dieser Stelle den Menschen, die mich in meiner wissenschaftlichen Entwicklung unterstützt haben. Mary Carroll hat mir das Pflänzlein, das mein Projekt einst war, in die Hand gegeben. Sie hat mit unendlicher Fürsorge, Aufmerksamkeit und Zeit diese Arbeit begleitet und bereichert. Vielen Dank für die aufmerksame und kritische Durchsicht der Arbeit, durch die ich viel hinzugelernt habe, was Prägnanz und Schärfe in der Darstellung betrifft! Go raibh míle maith agat! Christiane von Stutterheim danke ich sehr für die Einbindung in ihre Forschungsprojekte. Dass ich bereits als Hiwi ganz nah an der Forschung dran sein durfte, hat entscheidend den Verlauf meiner Arbeit geprägt. Ich bin besonders dankbar für die vielen Erfahrungen, die ich in diesem Zusammenhang auf Kongressen und Projekttreffen machen durfte. Besonders wertvoll waren die bereichernden Gespräche mit Wolfgang Klein, Monique Lambert und Marianne Starren sowie der Austausch mit den Mitgliedern des Forschungsnetzwerks „The comparative study of language acquisition“ am Max Planck Institut für Psycholinguistik in Nijmegen. Am Ende danke ich besonders meinem Doktorvater Edgar Radtke, in dessen Vorlesungen ich meine Begeisterung für die Sprachwissenschaft entdeckt habe. Er hat mich in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer ermutigt und unterstützt. Er hat mich stets encouragiert, auf dem eingeschlagen Weg entschlossen weiterzugehen. Sein Vertrauen in mein Forschungsvorhaben hat mich in besonderem Maße motiviert und dafür möchte ich ihm an dieser Stelle sehr herzlich danken. <?page no="9"?> Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Zielsetzung der Arbeit: Untersuchung der Faktoren, die den Gebrauch von stare + gerundio steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Teil 1: Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht 1. Aspekt: Eine Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1. Erläuterung des Begriffs „Aspekt“ anhand der gängigsten Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.1.1. Eine Frage der Perspektive: Der grammatische Aspekt . . . . . . . 24 1.1.2. Eine Frage der Inhärenz: Der lexikalische Aspekt. . . . . . . . . . . . 29 1.2. Ein möglicher Lösungsansatz: Die Aspekttheorie nach Klein . . . . . . . 36 1.2.1. Kleins Interpretation des grammatischen Aspekts . . . . . . . . . . . 36 1.2.1.1. Tempusdefinitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.1.2. Die Erläuterung des Aspektsbegriffs anhand temporal-relationaler Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.2.2. Kleins Interpretation des lexikalischen Aspekts . . . . . . . . . . . . . 39 1.2.2.1. Der Kontrast zwischen lexikalischem Gehalt und einer Assertionszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.2.2.2. Das Kriterium der inhärenten Intervallstruktur . . . . . . 41 1.3. Die aspektuelle Bedeutung von stare + gerundio: Der progressive Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.3.1. Grundbedeutung und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.3.2. Die Stellung des Progressivs in Aspektmodellen. . . . . . . . . . . . . 44 1.3.3. Entwicklung progressiver Bedeutungen im Romanischen bzw. Italienischen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1.3.3.1. Fokalisierend vs. durativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1.3.3.2. Der Zusammenhang zwischen Progressivität und Stativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1.3.4. Grammatikalisierungsstufen des romanischen Progressivs . . . 50 1.4. Relevanz des grammatischen und lexikalischen Aspekts im Italienischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1.5. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Die Verbalperiphrase stare + gerundio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.1. Die Verbalperiphrase: Definitionen und Identifikationskriterien. . . . 57 <?page no="10"?> 10 Inhalt 2.2. Die Verankerung von stare + gerundio im italienischen Verbalsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.3. Das Distributionsverhalten von stare + gerundio. . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.3.1. Morphologische Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.3.2. Verbsemantische Restriktionen und Besonderheiten. . . . . . . . . 64 2.3.3. Syntaktische Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.4. Ein diachronischer Exkurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.4.1. Die Herkunft der romanischen Aspektperiphrasen . . . . . . . . . . 66 2.4.2. Die Verwendung von stare + gerundio vom Altitalienischen bis zum Italienisch der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.5. Weitere progressive Verbalperiphrasen des Italienischen . . . . . . . . . . 71 2.6. Die Verbalperiphrase stare + gerundio und ihre französischen und spanischen Pendants. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.6.1. Die Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv. . . . . . . . . . . . . 73 2.6.2. Die Verbalperiphrase estar + gerundio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.7. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Teil 2: Empirie 1. Methodische Herangehensweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1.1. Das Videoexperiment und der zugrundeliegende Analyseansatz . . . . 79 1.2. Aufbau des Videoexperiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1.3. Durchführung der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1.4. Bearbeitung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1.5. Überblick über die Aufnahmereihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1.6. Auswahl der Probanden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Quantitative Analyse der Frequenz von stare + gerundio . . . . . . . . . . . 86 2.1. Definition der Erhebungsziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.2. Begründung der Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.3. Analyseverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.4. Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.4.1. Frequenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.4.2. Sprecherbezogene Variation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.5. Die Frequenz von stare + gerundio im Sprachvergleich . . . . . . . . . . . . 90 2.6. Zusammenfassung der Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.7. Problematisierung der Frequenz als Analyseparameter . . . . . . . . . . . . 91 2.8. Implikation der bisherigen Ergebnisse für den folgenden Analyseschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 <?page no="11"?> Inhalt 11 3. Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren auf der Ebene der dargestellten Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.1. Definition der Erhebungsziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.2. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.3. Analyseverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.4. Ergebnisse Datensatz III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.4.1. Entstehungsprozesse vs. Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.4.2. Ortswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.4.3. Interpretation der Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.4.4. Zusammenfassung der Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.5. Implikationen Ergebnisse für den nächsten Analyseschritt . . . . . . . . . 99 3.6. Datensatz VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.6.1. Ergebnisse Datensatz VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.6.2. Zusammenfassung der Ergebnisse: Die Bedeutung des substantiellen Nachzustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4. Repräsentation der relevanten Steuerungsfaktoren im Sprachmaterial bezogen auf die mit stare + gerundio verwendeten Verben . 108 4.1. Analyseziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.2. Die Relevanz der inhärenten Limitierung und des Nachzustands in der Verbwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2.1. Analyseziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2.2. Analysebereich: Der Ausdruck der qualitativen Veränderung 109 4.2.3. Der Zusammenhang zwischen qualitativen Veränderungen und der Detaillierung der Ereignisrepräsentation. . . . . . . . . . . . 110 4.2.4. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.2.5. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.2.6. Ergebnisse der verbsemantischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.2.6.1. Makro-Ereignis vs. Teilereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.2.6.2. Die Relevanz der inhärenten Limitierung und des Nachzustands in der Argumentstruktur und für die Nennung effizierter Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2.6.2.1. Analyseziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2.6.2.2. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2.6.2.3. Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2.6.2.4. Die Bedeutung der Homogenität . . . . . . . . . . 119 4.3. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.4. Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.5. Exkurs: Die einfache Form des Präsens Indikativ im Vergleich zu den bisherigen Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.5.1. Die Nennung effizierter Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 <?page no="12"?> 12 Inhalt 4.5.2. Der Detaillierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.6. Implikationen für den nächsten Analyseschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5. Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio unter einer Zeitdruckbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5.1. Analyseziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5.2. Analysebereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.3. Erhebungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.3.1. Stimulusmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.3.2. Erhebungsbedingung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.4. Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.4.1. Frequenz und sprecherabhängige Variation . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.4.2. Einfluss der im Stimulus dargestellten Eigenschaften auf die Verwendung von stare + gerundio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.4.3. Analyse der Verbwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.4.3.1. Die Nennung des effizierten Objekts . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.4.3.2. Der Detaillierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.4.4. Der Satztyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5.5. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6. Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen: Die Überwindung temporal-semantischer Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . 134 6.1. Analyseziele und Begründung der Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6.2. Die Analysebasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.2.1. Darstellung und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.2.2. Durchführung der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6.3. Temporale Funktion von stare + gerundio im Diskurs: Die Verankerung im „Hier und Jetzt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6.4. Das Aufbrechen temporal-semantischer Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6.4.1. Habituelle Verwendung von stare + gerundio . . . . . . . . . . . . . . . 140 6.4.2. Verwendung statischer Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.4.3. Stare + gerundio mit futurischer Lesart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.5. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 7. Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio im Spiegel soziolinguistischer Gebrauchsdeterminanten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7.1. Analyseziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7.2. Begründung der Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7.3. Erneute Problematisierung der Frequenz als Analyseparameter. . . . . 150 7.4. Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.4.1. Die diatopische Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 <?page no="13"?> Inhalt 13 7.4.1.1. Norditalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.4.1.2. Mittelitalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7.4.1.3. Süditalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.4.1.4. Gesamtvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7.4.1.5. Ergebnisse der diatopischen Studie von Villarini . . . . . 158 7.4.2. Die diasexuelle Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7.4.3. Die diagenerationelle Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7.5. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 8. Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 8.1. Die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 8.2. Ermittlung von temporalen Steuerungsfaktoren auf der Ebene der Situation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 8.3. Relevanz der ermittelten Steuerungsgrößen in der Verbwahl . . . . . . . 167 8.4. Stabilität der ermittelten Eigenschaften unter Zeitdruck . . . . . . . . . . . 167 8.5. Der temporale Bedeutungsumfang von stare + gerundio . . . . . . . . . . . 169 8.6. Der Gebrauch von stare + gerundio im Spiegel soziolinguistischer Gebrauchsdeterminanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 9. Abschließende Diskussion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 <?page no="15"?> Einleitung 1. Zielsetzung der Arbeit: Untersuchung der Faktoren, die den Gebrauch von stare + gerundio steuern 1 Bei der Verbalperiphrase stare + gerundio handelt es sich um einen sprachlichen Ausdruck, der es Sprechern des Italienischen erlaubt, explizit darzulegen, dass sich ein Ereignis in Bezug auf den Sprechzeitpunkt im Verlauf befindet. Der Satz Andrea sta mangiando una fetta di torta macht deutlich, dass Andrea dabei ist, ein Stück Kuchen zu essen. Oder anders paraphrasiert: Andrea isst gerade ein Stück Kuchen. Die Verbalperiphrase drückt somit die Aspekt-Kategorie des Progressivs aus, die, der lateinischen Wortbedeutung folgend, eine voranschreitende Handlung beschreibt. Die bereits etablierte Verbalperiphrase stare + gerundio hat seit dem Altitalienischen kontinuierlich ihre Position im italienischen Verbalsystem ausgebaut. 2 In der neueren Forschungsliteratur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Vitalität der Form wächst und folglich ihr Gebrauch noch weiter ansteigt. Dieser Ausbau der Frequenz wird dabei als einer der Faktoren betrachtet, die das Italienische der Gegenwart kennzeichnen. 3 Es handelt sich somit um eine Form von der angenommen werden kann, dass sie sich weiterhin in einem Stadium der Entwicklung befindet. 4 Bezüglich des heutigen Entwicklungsstandes ist zu berücksichtigen, dass die Verwendung der Form nicht obligatorisch ist, 5 1 Die Methode der vorliegenden Arbeit für die Verfolgung der Zielsetzung gliedert sich in die Aktivitäten des sprachvergleichenden DFG-Projekts „Konzeptualisierung und einzelsprachliches Wissen in der Sprachproduktion“ unter der Leitung von Christiane von Stutterheim ein. An dieser Stelle sei allen Mitgliedern des Projekts gedankt, die mich in technischen, methodischen und besonders inhaltlichen Fragen unterstützt haben. Besonderer Dank gilt Christiane von Stutterheim, Mary Carroll, Monique Lambert, Abbassia Bouhaous, Monique Flecken und Marianne Starren. Die sprachvergleichende Ausrichtung des Projekts (Deutsch, Niederländisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Hocharabisch etc.) hat den Blick für die Interpretation der hier erzielten Ergebnisse entscheidend geprägt. 2 Die Semantik der Form hat sich im Laufe der Sprachgeschichte von einem durativen zu einem fokalisierenden Progressiv gewandelt (vgl. 2.3.3.) 3 vgl. BERTINETTO (1990: 29), BERRETTA (2000: 220), STRUDSHOLM (2003: 2), D’ACHILLE (2003: 123), HEINEMANN (2003: 176) 4 vgl. BERTINETTO (1986 und 2000), SQUARTINI (1990), VILLARINI (1999), GIACA- LONE RAMAT (2005), STRUDSHOLM (2004) 5 Im Italienischen enthält auch die einfache Form des Präsens Indikativ eine progressive Lesart. In dieser Arbeit werden überwiegend jene Konstrukte ausgewertet, die explizit mit stare + gerundio realisiert wurden. <?page no="16"?> 16 Einleitung um auf ein Ereignis zu verweisen, das als im Verlauf befindlich begriffen wird. Stare + gerundio stellt eine Option dar, die in jedem Fall fakultativ ist. Folgende Grundeigenschaften der Form, wie sie beispielsweise von Bertinetto (2001) beschrieben werden, werden bislang als zentral erachtet: • Fokussierung eines Ereignisses zu einem gewissen Zeitpunkt seines Ablaufs • Unbestimmtheit des Fortschreitens der Handlung 6 • Simultanität einer Handlung in Bezug auf den Moment der Sprechäußerung. Darauf aufbauend wird stare + gerundio folglich als „die Verlaufsform“ 7 beschrieben, denn mit der fakultativen Verwendung dieser periphrastischen Form wird eine bestimmte Perspektive auf ein Ereignis zum Ausdruck gebracht: Das Ereignis wird explizit als im Verlauf begriffen dargestellt. Es wird im Folgenden darum gehen, welche temporalen Eigenschaften die Wahl dieser Formvariante durch den Sprecher steuern. Ein wesentliches Ziel dieser Arbeit liegt also darin, eine synchrone Momentaufnahme dieses Entwicklungsstandes zu liefern, indem die Gebrauchsdeterminanten der Form beschrieben werden. Es geht darum Faktoren zu ermitteln, die Sprecher dazu bewegen, ein Ereignis mit Hilfe von stare + gerundio als im Verlauf begriffen darzustellen. Dabei stehen die konzeptuellen Planungsschritte, die zum Ausdruck von stare + gerundio führen, im Vordergrund. Für die Steuerungsgrößen bei der Verwendung dieser Verlaufsform identifizieren zu können, wird in der vorliegenden Analyse empirisch vorgegangen, um kontrollierte Sprachproduktionsdaten zu erheben. Durch die Anwendung experimenteller Verfahren und durch eine Vielzahl an Probanden (n = 172) kann gezeigt werden, dass der Bedeutungsumfang des Konstrukts durch eine systematische Analyse seiner Gebrauchsbedingungen in wesentlichen Punkten erweitert werden kann. Stare + gerundio drückt zwar „Verlauf“ aus, aber die Steuerungsmechanismen sind wesentlich komplexer als bisher angenommen. Der Blick auf diese Steuerungsgrößen und somit auf die kognitiven Prozesse, die der Wahl von stare + gerundio vorausgehen, liefert einen weiteren Beitrag zur Beschreibung der Funktionen und für das Verständnis der Form innerhalb dieses Entwicklungsstandes. Um die Steuerungsgrößen für die Verwendung von stare + gerundio bestimmen zu können, wird eine große Anzahl von Situationen (in Form von Videoclips) hinsichtlich einer Reihe temporaler Eigenschaften systematisch variiert, um zu überprüfen, welche Wechselwirkung zwischen den tempora- 6 vgl. BERTINETTO (1986: 120-123) 7 vgl. SCHWARZE (1995: 201-202) <?page no="17"?> Zielsetzung der Arbeit 17 len Eigenschaften der Situation und der Verwendung von stare + gerundio besteht. Die Stimuli sind so gewählt, dass potentielle Einflussgrößen für die Verwendung der Form systematisch überprüft werden können. Diese Situationsebene wird hier ausgehend von dynamischen Szenen eines Videoexperiments beschrieben und umfasst alltägliche Handlungen wie beispielsweise „Tisch decken“, die in den Videoszenen dargestellt werden (vgl. Kapitel 4). Die Situationsebene wird in der folgenden Analyse in Bezug auf zwei primäre Fragestellungen untersucht. 1. Welcher Situationstyp zieht die Verwendung von stare + gerundio an? Und wie sind diese Situationen hinsichtlich ihrer temporalen Struktur zusammengesetzt? 2. Welches Verhältnis besteht zwischen der temporalen Struktur der Situation und den mit stare + gerundio verwendeten Verben? Bevor ich genauer auf die genannten Fragestellungen eingehe, möchte ich gleich zu Anfang präzisieren, dass ich mit dem Begriff „Situation“ keine sprachliche Ebene meine, die in engem Zusammenhang mit einer sprachlichen Form betrachtet wird (z. B. einem Verb), sondern eine Ebene, die einen temporalen Sachverhalt im Sinne eines Ereignisses, Prozesses, Vorgangs, Zustands oder anderem erfasst, 8 der in der Szene abgebildet wird. Ziel ist es also zunächst eine Reihe von Situationen darzustellen, in denen temporale Eigenschaften systematisch variiert werden, um ihre Relevanz für die Verwendung von stare + gerundio erfassen zu können. Dabei werden auch Faktoren berücksichtigt, die eine Verwendung der Periphrase in negativer Hinsicht beeinflussen. Der Neuerungsbeitrag der vorliegenden Dissertation hinsichtlich der Betrachtung der Gebrauchsdeterminanten von stare + gerundio kann folgendermaßen beschrieben werden: • Die Beziehung zwischen den temporalen Eigenschaften der Situation und deren Auswirkung auf die Verwendung von stare + gerundio wird in systematischer Weise auf empirischer Basis untersucht (154 Szenen getestet, 172 Sprecher erhoben, verschiedene Altersgruppen, unterschiedliche regionale Herkunft). Die Situationseigenschaften werden dabei zunächst unabhängig von den verwendeten sprachlichen Ausdrücken bzw. lexikalischen Inhalten analysiert. Neu ist natürlich nicht, dass temporale Eigenschaften von Situationen betrachtet werden. Seit Aristoteles wird darüber gesprochen, dass es Situationen mit verschiedenen temporalen Eigenschaften gibt und dass sich diese in 8 KLEIN (1994b: 7) <?page no="18"?> 18 Einleitung sprachlichen Ausdrücken zeigen. Problematisch ist dabei jedoch, dass die untersuchten Situationen überwiegend in enger Anlehnung an die sprachlichen Formen betrachtet werden. Dadurch ist nicht immer unmissverständlich klar, was Teil des lexikalischen Inhalts ist und was zur Situation gehört. 9 „Ever since Aristotle, it has been assumed that there are different types of situations whose properties are roughly reflected in different types of expressions (…). Nothing seems more natural than to derive the properties of the latter from those of the former. But this practice has been a permanent source of confusion (…). Vendler’s (1967) well-established categories of „state, activity, accomplishment and achievement“, for example, actually target at ‚time schemata‘, but often they have been applied to the meaning of expressions, such as verbs, verb phrases, or full sentences (it seems that even Vendler himself was not entirely sure whether time schemata should refer strictly to the temporal properties of events/ situations or to the semantic properties of verbs, or to both). This practice has led to many substantial problems (…).“ 10 Daher werden in dieser Untersuchung die Ebenen der Situation einerseits und die temporalen Eigenschaften der sprachlichen Ausdrücke andererseits sorgfältig voneinander getrennt. Diese Trennung eröffnet ein konkretes methodisches Vorgehen, das durch die Videoclips erlaubt, die temporale Zusammensetzung der Situationen beliebig zu variieren, um den Einfluss verschiedener temporaler Charakteristika auf die Verwendung von stare + gerundio zu analysieren. Mit dieser Methode können als etabliert geltende Charakteristika des Progressivs (wie z. B. das Kriterium der unboundedness 11 ) überprüft werden. Es kann an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden, dass das Kriterium der Unbegrenztheit (unboundedness) auf der Ebene der Situation sich als nicht grundlegend für das Italienische erwiesen hat. Nach der Betrachtung der Situationseigenschaften kommt erst in einem zweiten Schritt die Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke zum Tragen, die mit stare + gerundio realisiert werden. Dabei geht es wie oben angeführt um die Frage, in welcher Beziehung die erarbeiteten Steuerungsfaktoren auf der Ebene der Situation zu den verwendeten sprachlichen Ausdrücken stehen. Die Ergebnisse werden bestätigen, dass die differenzierte Betrachtung der Ebene der Situation und der mit stare + gerundio verwendeten Ausdrücke vonnöten ist, um die Wirkungsweise der Gebrauchsdeterminanten für stare + gerundio zu beleuchten, denn je nach Betrachtungsebene greifen unterschiedliche Faktoren. 9 KLEIN (2000: 745) 10 KLEIN (2000: 745) 11 SASSE (2002: 251) <?page no="19"?> Zielsetzung der Arbeit 19 Somit wird in dieser Arbeit auf drei Ebenen gearbeitet, die zur Bestimmung der Gebrauchsdeterminanten von stare + gerundio führen: Abb. 1: Analyseebenen für die Untersuchung der Gebrauchsdeterminanten von stare + gerundio Neben diesen zentralen Analysebereichen gehört zu dieser Arbeit jedoch ebenso eine quantitative Frequenzbestimmung der Form, die Aufschluss über die Verankerung der Form im System gibt. Ferner werden der temporale Bedeutungsumfang der Form im spontansprachlichen Bereich sowie soziolinguistische Variablen, die mit der untersuchten Form zusammenhängen, untersucht. Die Arbeit verbindet aufgrund dieser verschiedenen Analysefelder psycholinguistische, semantische und variationsgebundene Ansätze. Insgesamt werden in dieser Arbeit folgende Bereiche bearbeitet, die die bestehenden Ausführungen zu stare + gerundio erweitern: • Analyse der Verwendungshäufigkeiten von stare + gerundio • Analyse der temporalen Situationseigenschaften, die die Verwendung von stare + gerundio bedingen • Analyse des mit stare + gerundio verwendeten Sprachmaterials (Verben samt Argumentstruktur) <?page no="20"?> 20 Einleitung • Analyse des temporalen Bedeutungsumfangs von stare + gerundio im spontansprachlichen Bereich • Analyse der Auswirkungen soziolinguistischer Variablen auf die Verwendung von stare + gerundio 2. Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und in einen empirischen Teil. Im ersten Teil werden die theoretischen Grundlagen gelegt und ein Forschungsbericht erstellt. Der theoretische Teil ist nochmals in zwei Unterkapitel geteilt. Dabei wird zunächst die Thematik „Aspekt“ in Kapitel 2 behandelt. Das Aspektkapitel liefert klassisch gewordene Definitionen, die in der Forschungsliteratur zur Beschreibung des grammatischen und lexikalischen Aspekts zu finden sind. Es wird dabei auch aufgezeigt, welche Probleme in diesen Definitionsgrundlagen enthalten sind. Als Lösungsansatz wird die Aspekttheorie nach Klein (1994) beschrieben. Im Anschluss daran folgen verschiedene Ausführungen zum progressiven Aspekt im Allgemeinen. Das Aspektkapitel endet mit der Beschreibung des grammatischen und lexikalischen Aspekts im Italienischen und schlägt somit den Bogen zum progressiven Aspekt, der durch die hier behandelte Form stare + gerundio ausgedrückt wird. Das Kapitel 3 ist der Verbalperiphrase stare + gerundio gewidmet. Als Einstieg in dieses Kapitel wird zunächst die Verbalperiphrase als solche, die im Italienischen bzw. Romanischen zum Ausdruck aspektueller Inhalte von besonderer Bedeutung ist, beschrieben. Danach widmet sich die Aufmerksamkeit der Verankerung von stare + gerundio im italienischen Verbalsystem. Dabei werden unter anderem die morphologischen, verbsemantischen und syntaktischen Gebrauchsbedingungen der untersuchten Form aufgezeigt. Eine Betrachtung der diachronischen Entwicklung von stare + gerundio sowie ein Blick auf weitere progressive Ausdrucksmittel im Italienischen, Französischen und Spanischen schließt dieses Kapitel ab. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit stellt mit der Empirie den Hauptteil dieser Dissertation dar. Wie oben erwähnt, wird der Großteil der empirischen Analysen auf Basis einer Reihe von Experimenten durchgeführt. Als Einstieg in den empirischen Teil werden diese in Kapitel 4 durch die Erläuterung der methodischen Herangehensweise beschrieben. Dabei richtet sich das Augenmerk auf Erhebung und Bearbeitung der Sprachdaten im Experiment. Ein Überblick über die verschiedenen Aufnahmereihen sowie eine Beschreibung der Probandenauswahl schließen dieses Kapitel ab. Kapitel 5 enthält quantitative Analysen und beschäftigt sich mit der Berechnung der Vorkommenshäufigkeit von stare + gerundio im zugrundelie- <?page no="21"?> Aufbau der Arbeit 21 genden Experiment. In allen Kapiteln des empirischen Teils wird zu Anfang des Kapitels das Erhebungsziel definiert und das gewählte Analyseverfahren beschrieben. Nach der Ermittlung der Frequenz von stare + gerundio werden in Kapitel 6 durch qualitative Analysen die Steuerungsfaktoren bestimmt, die die Verwendung von stare + gerundio bedingen. Die Steuerungsfaktoren werden zunächst auf der Ebene der Situationseigenschaften im zugrundeliegenden Experiment untersucht. In Kapitel 7 wird anhand eines Beschreibungsschemas dargestellt, wie sich die ermittelten Steuerungsfaktoren im Sprachmaterial widerspiegeln (vgl. Verbwahl und Argumentstruktur). In Kapitel 8 wird die Stabilität der herausgearbeiteten Faktoren in einem modifizierten Experiment, nämlich unter Zeitdruck, überprüft. Da es sich bei stare + gerundio um eine Form handelt, die sich in einem Entwicklungsprozess befindet, wird anhand der bearbeiteten Analysebereiche untersucht, wie stabil die bisher ermittelten Eigenschaften sind. In Kapitel 9 richtet sich das Augenmerk von den konzeptuellen Planungsschritten zur Beschreibung von einigen Sprachwandelphänomenen, die mit der Verwendung von stare + gerundio einhergehen. Es wird anhand von freien Gesprächen und Internetkommunikationen gezeigt, wie sich das Distributionsverhalten von stare + gerundio in Bezug auf temporale Eigenschaften ändert. Es wird anhand von normkonformen und nicht-normkonformen Äußerungen nachvollzogen, welche „neuen“ temporalen Eigenschaften sich die Form erschließt. Im letzten Kapitel des empirischen Teils wird überprüft, ob der Gebrauch von stare + gerundio eventuell von soziolinguistischen Variablen beeinflusst wird. Dabei werden die Variablen der Diatopie, der Diasexualität und der Diagenerationalität hinsichtlich der Verwendung von stare + gerundio analysiert. Kapitel 11 fasst die zentralen Ergebnisse der empirischen Analysen abschließend zusammen. Kapitel 12 enthält das Schlusswort, das den Neuerungsbeitrag der Arbeit noch einmal herausstellt und einen weiteren Ausblick eröffnet. <?page no="23"?> Teil I: Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Der folgende Teil der vorliegenden Arbeit legt die theoretischen Grundlagen und entwickelt die für die Arbeit relevanten Beschreibungskategorien. Er enthält einen Forschungsbericht, der den Grundstein für den empirischen Teil legt. Der theoretische Teil ist in zwei Themenbereiche untergegliedert: Zunächst wird die Kategorie „Aspekt“ erläutert. Neben einer einführenden Begriffsklärung und einer kurzen Abhandlung von verschiedenen Modellen des grammatischen Aspekts, wird der progressive Aspekt hinsichtlich seiner Grundbedeutungen und seiner Entwicklungsstufen behandelt. Der zweite Themenbereich des theoretischen Teils ist der Verbalperiphrase stare + gerundio gewidmet. Da im ersten Teil ihre aspektuelle Komponente beleuchtet wird, stehen anschließend ihre Identifikationskriterien, Gebrauchsbedingungen sowie ihre diachronische Entwicklung im Vordergrund. Darüber hinaus werden die Verankerung von stare + gerundio im Italienischen Verbalsystem sowie weitere progressive Aspektausdrücke des Italienischen diskutiert. Den Abschluss des Kapitels bildet die Betrachtung der progressiven Pendants im Spanischen (estar + gerundio) sowie im Französischen (être en train de + Infinitv). 1. Aspekt: Eine Begriffsklärung Dieses Kapitel verfolgt das schwierige Unterfangen, den Begriff „Aspekt“ für die hier relevanten Beschreibungskategorien derart aufzubereiten, dass der Leser einen kurzen aber klaren Überblick über die Forschungslage gewinnt und somit die Auswahl der gewählten Beschreibungskategorien nachvollziehen kann. Die Problematik liegt im Fall der Aspektlehre darin, dass es wohl kaum ein Gebiet in der Linguistik gibt, das trotz zahlreicher Untersuchungen soviel Unklarheit und Uneinigkeit in sich birgt. Es besteht kein einheitlicher theoretischer Zugang, der einstimmige Beschreibungskategorien hervorgebracht hat. Diese Uneinigkeit spiegelt sich nicht nur in der terminologischen Vielfalt wieder, sondern zeigt sich besonders in den zahlreichen, sich z. T. widersprechenden Modellen, die der Aspektforschung zugrunde liegen. 12 Der 12 vgl. BERTINETTO (1997: 29); SASSE (2002: 200-201) <?page no="24"?> 24 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Grund dafür liegt darin, dass einzelsprachliche Philologien im Hinblick auf die theoretischen Konzepte meist auch mit einzelsprachlichen Aspektsystemen operieren. Das Ergebnis sind unterschiedliche Traditionen (vgl. Romanistik, Slawistik, Germanistik etc.), die mit unterschiedlichen Begriffen arbeiten. Ziel dieses Kapitels ist es daher nicht, die Vielfalt an Modellen zu kommentieren oder eine theoretische Abhandlung zum Forschungsstand zu liefern, da dies unter anderem in überzeugender Weise von Sasse (2002) geleistet wurde. Vielmehr wird in diesem Kapitel ein knapper systematischer Überblick über diejenigen Eigenschaften des Begriffes Aspekt vermittelt, die für die vorliegende Arbeit und ihre Analyseparameter relevant sind. Im ersten Teil dieses Kapitels wird der Begriff Aspekt anhand der am weitesten verbreiteten Definitionen erläutert. 13 Das Ziel dieses Kapitels besteht neben der Hinführung zur Begrifflichkeit „Aspekt“ unter anderem darin, die Grenzen der am häufigsten rezipierten Definitionsansätzen aufzuzeigen. Der zweite Teil des Kapitels beschreibt anhand der Ausführungen von Klein (1994, 2000), wie diese Grenzen überwunden werden können. Der Ansatz von Klein liefert für diese Arbeit den theoretischen Rahmen. Nachdem in den ersten beiden Abschnitten des Kapitels der Begriff Aspekt im Allgemeinen diskutiert wird, ist der dritte Teil dem progressiven Aspekt als Unterkategorie des grammatischen Aspekts gewidmet. 1.1. Erläuterung des Begriffs „Aspekt“ anhand der gängigsten Definitionen Das Feld der „Aspektualität“, die temporale Strukturen unterschiedlicher Art zum Ausdruck bringt, umfasst sowohl grammatische als auch lexikalische Ausdrucksmittel. Diese werden in den folgenden Abschnitten voneinander getrennt behandelt. Wie eingangs erwähnt, geht der Beschreibung des theoretischen Rahmens nach Klein (1994) ein Überblick über vorherrschende Beschreibungskategorien voraus, wie sie in der allgemeinen Sprachwissenschaft (vgl. Comrie 1976) bzw. in der Italianistik (vgl. Bertinetto 1986) verwendet werden. 1.1.1. Eine Frage der Perspektive: Der grammatische Aspekt Der grammatische Aspekt, der morphologisch gebildet wird, wird traditionellerweise als die Art und Weise definiert, unter der die „innere temporale Beschaffenheit“ (temporal consituency) 14 oder die „innere temporale Kontur“ 13 Der Begriff Aspekt ist auf das russische Wort vid zurückzuführen, das mit Blick übersetzt wird. In der Grammatik des Russischen von N. I. Grech (1812) wurde dieser Ausdruck verwendet und im Folgenden im Französischen mit aspect wiedergegeben. 14 COMRIE (1976: 3) <?page no="25"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 25 (internal temporal contour) 15 einer Situation gesehen werden kann. Eine temporale Eigenschaft einer Handlung wird somit dann hervorgehoben, wenn sie unter einem bestimmten Betrachtungswinkel 16 beobachtet wird. 17 Dieser Betrachtungswinkel kann anhand des Beispiels „x geht von a nach b“ erläutert werden. Die Handlung „x geht von a nach b“ kann im Italienischen beispielsweise mit dem Verb andare realisiert werden. Der Sprecher kann dabei bei den Vergangenheitstempora entscheiden, ob er zum Ausdruck bringen möchte, dass der Handelnde [x] das Ziel [b] schon erreicht hat oder aber noch auf dem Weg zu [b] ist. 18 Mit der Wahl der Verbform è andato im passato prossimo drückt der Sprecher aus, dass [x] das Ziel [b] schon erreicht hat. In der Forschungsliteratur wird angesichts eines solchen Beispiels von Abgeschlossenheit gesprochen. Nutzt der Sprecher dagegen die Form des Imperfekts andava bringt er zum Ausdruck, dass [x] das Ziel [b] noch nicht erreicht hat. Bei diesem Beispiel wird oftmals der Begriff der Nicht-Abgeschlossenheit zur Erläuterung herangezogen. Die Wahl des Tempus kodiert also eine aspektuelle Bedeutung, die unterschiedliche Betrachtungen einer Handlung beinhaltet. Das italienische System bietet daher für die Vergangenheitstempora einen formalen Kontrast, der eine Handlung entweder als abgeschlossen oder als nicht-abgeschlossen beschreibt. Mit Hilfe einer räumlichen Metapher ausgedrückt, kann eine Situation folglich von Innen (als nicht abgeschlossen) oder von Außen (als abgeschlossen) betrachtet werden. Die zwei verschiedenen Perspektivierungen können wie folgt genauer erläutert werden: Durch eine Betrachtung von außen wird die „innere Struktur“ der außersprachlichen Situation nicht berücksichtigt. Der Fokus liegt dann auf dem Endpunkt und dem daraus resultierenden Nachzustand der Handlung. Durch eine Perspektive von innen wird die innere Struktur der Situation betrachtet. 19 Endpunkt und Nachzustand der Situation spielen hierbei keine Rolle. 15 COMRIE (1995: 1244) 16 vgl. DAHL (1985: 24): „Aspect thus has to do with the structure of the things going on or taking place in the situation described by the sentence“ 17 Die Definition, die Bertinetto (1986: 76) als bedeutendster Vertreter der italienischen Aspektlehre gibt, fußt in Anlehnung an Comrie (1976) ebenfalls auf dem Betrachtungswinkel: „Se invece consideriamo un determinato processo da un punto di vista (per così dire) immanente, ossia avendo di mira la sua intima costituzione e le sue specifiche modalità di svolgimento (…) allora quelle che vengono portate in primo piano sono (…) le sue proprietà aspettuali.“ 18 Diese Wahl ist im Italienischen in dieser morphologisch klar gekennzeichneten Form nur in den Vergangenheitstempora gegeben. 19 COMRIE (1976: 4) <?page no="26"?> 26 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Dies kann anhand unseres Beispiels folgendermaßen graphisch dargestellt werden (vgl. Abb. 2). Wie bereits verdeutlicht wurde, kann die außersprachliche Situation „x geht von a nach b“ durch die Form è andato realisiert werden. Dabei wird die Situation als abgeschlossen betrachtet, da sie den Endpunkt der Handlung enthält. Der Fokus liegt auf dem Endpunkt der Handlung. Die Form andava drückt hingegen aus, dass die außersprachliche Situation „x geht von [a] nach [b] noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Sie zeigt ein Teilintervall des Geschehens auf, das innerhalb des Gesamtereignisses liegt. Diese Perspektive umfasst nur einen Teil des Geschehens, der im unteren Schaubild beispielhaft ausgewählt wurde. Abb. 2: Perfektive vs. imperfektive Betrachtungsweise einer Handlung Die Unterscheidung zwischen der Betrachtung einer Situation von Innen oder von Außen bzw. die Unterscheidung zwischen einer abgeschlossenen und einer nicht-abgeschlossenen Handlung wird als perfektive oder imperfektive Betrachtungsweise beschrieben. Smith verwendet zur Verdeutlichung der Betrachtungsweise den Vergleich mit einer Kameralinse: „Aspectual viewpoints function like the lens of a camera, making objects visible to the receiver. Situations are the objects on which viewpoint lenses are trained. And just as the camera lens is necessary to make the object available for a picture, so viewpoints are necessary to make visible the situation talked about in a sentence.“ 20 20 SMITH (1991: 91) <?page no="27"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 27 Der Kontrast perfektiv vs. imperfektiv basiert auf dem Ausschluss bzw. auf der Einbeziehung von Grenzen, die eine Handlung einschließt. Dabei stellen imperfektive Betrachtungsweisen nur einen Teil der Situation dar und geben keine Information über den Endpunkt einer Situation wieder. 21 Die perfektive Betrachtungsweise schließt die Endpunkte einer Situation ein. Smith beschreibt dies wie folgt: „Perfective viewpoints include both endpoints of a situation [gemeint: Anfangs- und Endpunkt der Handlung]; Imperfective viewpoints focus on stages that are neither initial nor final, excluding endpoints.“ 22 Der Zusammenhang zwischen Aspekt und Grenze wird von Sasse folgendermaßen beschrieben: „Der imperfektive Aspekt stellt einen Sachverhalt als Situation, unter Ausschluss aller seiner Grenzen, dar (…). Der perfektive Aspekt stellt hingegen einen Sachverhalt als Situationsveränderung, nämlich unter Bezugnahme auf alle seine typischen Grenzen, dar.“ 23 Es lässt sich zusammenfassen, dass der grammatische Aspekt über morphologische Ausdrucksmittel die Grenzgebundenheit einer verbalisierten Situation zum Ausdruck bringt, die sich durch den Blick auf die entsprechende Situa tion eröffnet. Wie wir gesehen haben, spielt der Begriff der Betrachtung bei den oben zitierten Definitionen eine entscheidende Rolle. Doch bei den Begriffen des „viewpoints“ bzw. des Betrachtungswinkels, die bei der Erläuterung des grammatisch kodierten Kontrasts „perfektiv“ vs. „imperfektiv“ häufig als grundlegendes Kriterium herangezogen werden, handelt es sich um psychologische Definitionen, deren „Operationalisierbarkeit“ Sasse aufgrund ihrer Vagheit in Frage stellt. 24 Klein verdeutlicht, dass der Begriff des „Sehens“ lediglich metaphorisch zu gebrauchen ist: „If it is said that aspects are different ways of ‚viewing‘ a situation, then it is not at all clear what ‚viewing‘ means here. It cannot have its literal meaning: events, states, processes, in short, situations are not like houses or little dogs which you can ‚view‘ - they are abstract entities which have something to do with time, and you cannot see them at all. Thus, at best we are using the word ‚view‘ only metaphorically.“ 25 21 SMITH (1991: 111) 22 SMITH (1991: 93) 23 SASSE (1991: 11) 24 SASSE (2002: 205) 25 KLEIN (2000b: 730) <?page no="28"?> 28 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Aufgrund der leichteren Nachvollziehbarkeit der Kategorie „Grenze“ im Vergleich zum psychologisierenden Bild des „viewpoints“, überwiegt heute das Kriterium der boundedness, um beispielsweise perfektive von imperfektiven Lesarten zu differenzieren. 26 Doch auch das vielfach zitierte Kriterium der Begrenzung zeigt Schwachpunkte auf. Klein verdeutlicht dies anhand von drei Punkten: 1. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Situationen begrenzt, „bounded“. Auch Situationen, die vermeintlich keine Begrenzung aufweisen (vgl. etwa „schlafen“), sind temporal begrenzt. Das Schlafen hört in der Regel irgendwann auf. 2. Rechtfertigt man das Kriterium der „unboundedness“, indem man sagt, dass die Situation als zeitlich begrenzt oder unbegrenzt gesehen wird, wird mit einem erneut metaphorischen Ansatz gearbeitet. 3. Als dritten Punkt führt Klein an, dass zum Beispiel eine Situation, die als imperfektiv markiert ist, mit Adverbien der Begrenzung kompatibel ist (vgl. im Fanzösischen: „Le bureau était fermé pendant deux heures“). 27 Somit verursachen die Begriffe des „Sehens“ und der „Begrenzung“ bei der Bestimmung des grammatikalischen Aspekts immer wieder Probleme. Wie diese Probleme umgangen werden können, wird in Kapitel 2.2. aufbauend auf der Theorie von Wolfgang Klein erläutert. Um auf das Italienische zurückzukommen, dessen progressiver Aspekt in dieser Arbeit behandelt wird, sollen hinsichtlich der Kategorie des grammatischen Aspekts folgende Aussagen zunächst genügen: Im Italienischen lässt sich der explizite formale Kontrast perfektiv vs. imperfektiv anhand der Vergangenheitstempora verdeutlichen. Im Präsens bietet das System neben dem einfachen Präsens die Möglichkeit, durch die Verbalperiphrase stare + gerundio explizit auszudrücken, dass sich eine Handlung im Verlauf befindet. 28 Stare + gerundio erhält hier in Bezug auf die einfache Form des Präsens Indikativ eine disambiguierende Funktion und macht unmissverständlich klar, dass sich die Handlung im Verlauf befindet. 26 SASSE (2002: 205) 27 KLEIN (2000b: 730-731) 28 Stare + gerundio kann im Präsens sowie im Imperfekt gebildet werden. Stellt man eine Form des einfachen Imperfekt seiner Form von stare + gerundio im Imperfekt gegenüber, wird deutlich, dass Imperfektivität und Verlauf nicht grundsätzlich gleichzusetzen sind, obwohl in beiden Fällen der Ausschluss der Grenzen vorliegt. Bsp. A. Carmen andava a scuola. Bsp. B. Carmen stava andando a scuola. Im Beispiel A kann eine imperfektive, aber habituelle Lesart vorliegen. Im Beispiel B liegt eine imperfektive, aber progressive Lesart vor, die den Verlauf der Handlung hervorhebt. <?page no="29"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 29 Der Beispielssatz „Paolo va a scuola“ verdeutlicht dies. Er kann einerseits zum Ausdruck bringen, dass Paolo gerade auf dem Weg zur Schule ist. Andererseits kann auch ausgedrückt werden, dass Paolo ein Schüler ist. Dies ist auf die habituelle Lesart zurückzuführen, die in der einfachen Präsensform enthalten sein kann. Der Satz Paolo sta andando a scuola stellt hingegen klar, dass Paolo gerade auf dem Schulweg ist, da stare + gerundio durch den progressiven Aspekt einen Verlauf ausdrückt. Stare + gerundio zeigt somit ein Teilintervall des Geschehens auf, das innerhalb des Gesamtereignisses liegt. In diesem Unterkapitel wurde aufgezeigt, dass verschiedene temporale Eigenschaften einer Handlung durch den grammatischen Aspekt hervorgehoben werden können. Bevor der progressive Aspekt ausführlich behandelt wird, werden im folgenden Unterkapitel die im Lexikon angelegten temporale Eigenschaften beschrieben. 1.1.2 Eine Frage der Inhärenz: Der lexikalische Aspekt In diesem Unterkapitel stehen temporale Eigenschaften im Vordergrund, die in Verben bzw. Verbalphrasen inhärent enthalten sind. Die verschiedenen Eigenschaften, die sich auf die Struktur (temporal und inhaltlich) einer Situation beziehen, werden je nach Forschungsrichtung unter dem Begriff des lexikalischen Aspekts oder als Aktionsarten zusammengefasst. Die Terminologie im Bereich der Verbsemantik zeichnet sich durch ein umfangreiches Inventarium an Begriffen aus, um zeitliche Strukturen einer Situation abzubilden. Problematisch ist dabei nicht nur die Masse an Termini, sondern dass je nach Ansatz ein und derselbe Begriff Unterschiedliches bedeuten kann. Ziel dieses Abschnitts ist nicht, die unterschiedlichen Lesarten der einzelnen Begrifflichkeiten zu differenzieren, sondern unter Einbeziehung traditionell gewordener Klassifikationen einige verbinhärente Kategorien zunächst zu erläutern und kritisch zu beleuchten. Die vorliegende Arbeit wird sich im Folgenden an Klein (1994) orientieren, der in seiner Kategorisierung von Verben ein Beschreibungssystem geschaffen hat, das terminologischen Schwierigkeiten wirksam entgegentritt. Das Klassifizierungssystem von Klein wird in Kapitel 2.2.2. im Hinblick auf die konkrete Anwendung auf das Datenmaterial genau erläutert. Doch nun zunächst zu einer ersten Definition des lexikalischen Aspekts: Beim lexikalischen Aspekt handelt es sich um temporal-semantische Eigenschaften, die im Verb enthalten sind. 29 Diese kommen anders als beim grammatischen Aspekt nicht über grammatische, sondern über lexikalische Mittel zum Ausdruck. 29 SARONNE (1970) <?page no="30"?> 30 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Die beiden in den Beispielsätzen enthaltenen Verben „Andrea chiude la porta“ und „Carmen canta“ unterscheiden sich nicht hinsichtlich des Betrachtungswinkels auf das jeweilige Geschehen. Beide Ereignisse sind im Präsens realisiert und weisen keine formale aspektuelle Kodierung auf. Unterschiedlich sind jedoch die inhärenten temporalen Eigenschaften der verwendeten Verben. Das Verb chiudere (hier: schließen) weist im Vergleich zum Verb cantare (hier: singen) eine andere temporale Struktur auf. Das Verb chiudere beinhaltet einen Zustandswechsel von einem Vorzu einem Nachzustand (von nicht geschlossen sein zu geschlossen sein), das Verb cantare dagegen nicht. Es lassen sich verschiedene temporale Merkmale, die in Verben und in ihren Argumenten enthalten sind, voneinander abgrenzen. Dazu zählen qualitative Veränderungen, die ein lexikalischer Inhalt impliziert, seine Begrenzung, Dauer oder seine innere Quantifizierung. 30 Außersprachliche Situationen, die durch Verben und Verbalphrasen ausgedrückt werden, weisen unterschiedliche temporale Strukturen auf. Je nach „Zeitkonstitution“ lassen sich mehrere Gruppen von verbinhärenten Kategorien unterscheiden. 31 Im folgenden Abschnitt sollen einige hiervon erläutert werden. Die wohl am weitesten rezipierte Einteilung von temporalen Eigenschaften von Verben basiert auf Vendler, der vier Verbklassen bezüglich der Verbinhärenz unterscheidet. Bei dieser Differenzierung stützt sich Vendler auf das Englische und erfasst vier Arten von Verben: Activities, Accomplishments, States und Achievements. 32 Diese vier Unterteilungen unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Grenzbezogenheit, Dynamizität und Dauer. Activities und States sind nicht grenzbezogen (atelisch), da sie keinen Endpunkt enthalten, während Accomplishments und Achievements immer einen Endpunkt aufweisen (telisch). Die Kategorie der Grenzbezogenheit richtet sich also nach dem telos, dem Ende einer Handlung. Atelische Verben oder atelische Verbalphrasen geben keinen Hinweis auf das Ende einer Handlung, während telische Verben oder telische Verbalphrasen das Ende einer Handlung mit einbeziehen (z. B. mangiare una mela/ einen Apfel essen = telisch gegenüber bere vino/ Wein trinken = atelisch). 33 30 KLEIN (1994: 34) 31 Verschiedene Aktionsarten entstehen mitunter durch Derivation, vgl. im Lateinischen dormire (schlafen) vs. dormitare (einnicken) oder albere (weiß sein) vs. albescere (weiß werden). Für das Italienische spielt Derivation in diesem Kontext jedoch nur eine marginale Rolle. 32 vgl. VENDLER (1967) 33 BUSSMANN (1990: 59) <?page no="31"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 31 Ein Sachverhalt ist dynamisch, wenn ein kontinuierlicher Energieaufwand zur Fortführung der Handlung vonnöten ist (z. B. lavorare/ arbeiten). Bei einem statischen Sachverhalt wird keine Energie aufgebracht (conoscere/ kennen). Unter der Kategorie der Dauer wird differenziert, ob ein Vorgang punktuell (z. B. scoppiare/ platzen) oder durativ ist, d. h. sich zeitlich erstreckt (z. B. mangaire/ essen). Wendet man die Merkmale der Grenzbezogenheit, Dynamizität und der Dauer auf die Vendler’schen Verbklassen an, ergibt sich folgende Übersicht: Bsp. Dynamisch Telisch Durativ State Avere/ haben - - + Activity Nuotare/ schwimmen + - + Accomplishment Dipingere un quadro/ ein Bild malen + + + Achievement Trovare/ finden + + - Durch Tests, die die Kompatibilität der Verbalkonstruktionen mit Adverbien oder im Englischen mit dem Progressiv untersuchen, wird die Zugehörigkeit der Verben zu den einzelnen Verbklassen ermittelt. Beispielsweise können durative Adverbien wie „for an hour“ nicht mit telischen Verben kombiniert Verben (Bsp. eat two apples in an hour). 34 Der sogenannte time-schema-approach, der ausgehend von Ryle (1949) durch Vendler (1967) eine starke Verbreitung erfahren hat, hat die Studien zur Verbsemantik entscheidend beeinflusst. Ausgehend von Vendler hat sich eine Vielzahl an Ansätzen entwickelt, die Situationen im Hinblick auf ihre inhärenten temporalen Eigenschaften auf der Grundlage ontologischer Differenzierungen klassifizieren. 35 Für einen Überblick über die zahlreichen Entwicklungen in Anlehnung oder in Abgrenzung zu Vendler vgl. Sasse. Gemeinsam ist den darauf aufbauenden Entwicklungen, dass bei der Analyse temporaler Eigenschaften lexikalischer Gehalte heute zumeist Elemente betrachtet werden, die über das reine Lexem hinausgehen. 36 34 KRIFKA (1998: 15) http: / / student.bu.ac.bd/ ~mumit/ Research/ NLP-bib/ papers/ Krifka98. pdf 35 SASSE (2002: 214) 36 COMRIE (1976), VERKUYL (1972), KRIFKA (1989), KLEIN (2002), RAMCHAND (2002) <?page no="32"?> 32 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht „While classic Aktionsarten research centered around the inherent characteristics of verbs, the contribution from other constituents of the sentence have now become a con-current research subject: argument structure, determination and quantification, elements of causation, or adverbials.“ 37 Im Allgemeinen beruht die Betrachtung der verschiedenen Satzkonstituenten auf dem Ansatz, dass sich aspektuelle bzw. temporale Eigenschaften kompositionell aus den Bestandteilen des zu analysierenden Satzes ergeben. 38 Die Analyse der Argumentstruktur eröffnet dabei ein breites Spektrum, das die komplexen temporalen Inhalte eines Satzes erfasst. Das Verb „laufen“ weist z. B. in Verbindung mit dem Argument „zum Bahnhof“ eine andere zeitliche Struktur auf, als wenn es alleine stünde. 39 laufen zum Bahnhof laufen atelisch telisch Für Klein (1999) ist die gemeinsame Betrachtung von Aktionsart und Argumentstruktur unabdingbar, um eine außersprachliche Situation in ihrer Vollständigkeit im Hinblick auf ihre zeitlichen Charakteristika zu beschreiben. Klein kommentiert die gemeinsame Betrachtung von Aktionsart und Argumentstruktur folgendermaßen: „Der einzig neue Punkt bei dieser Vorstellung von lexikalischem Gehalt ist, daß ‚Argumentstruktur‘ und ‚Ereignisstruktur‘ nicht getrennt sind: es geht immer um Eigenschaften von bestimmten Entitäten zu bestimmten Zeiten. Dieser eigentlich recht triviale Gedanke wird in den gängigen Vorstellungen zur Argumentstruktur nicht recht erfaßt; viel weniger noch tragen ihm die üblichen Einteilungen von Verben nach ihren zeitlichen Eigenschaften Rechnung, beispielsweise Vendlers bekannte Einteilung in ‚states, activities, accomplishments, achievements‘ oder die vielen anderen, oft viel subtileren Einteilungen von Verben in ‚Aktionsarten‘, wie man sie aus der Tradition der Einzelphilologien kennt.“ Dabei liefern sowohl die Aktionsart als auch die Argumentstruktur die Variablen, die eine Situation vollständig beschreiben. Der Blick auf die Aktionsart allein ist unzureichend, wie er es am Beispiel des deutschen Lexems grinsverdeutlicht. 40 37 SASSE (2002: 218-219) 38 VERKUYL (1972) gilt als einer der ersten Vertreter des kompositionellen Analysesystems. 39 Eine detailliertere Beschreibung der Analyse der Argumentstruktur findet sich unter 2.2. bei den Ausführungen zu Wolfgang Klein. 40 KLEIN (1999: 7) <?page no="33"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 33 Klein verdeutlicht das Zusammenspiel von Aktionsart und Argumentstruktur in seinem Aufsatz zum deutschen Perfekt anhand des lexikalischen Inhalt grins-: „So referiert grinsnicht auf irgendeine Situation; vielmehr sagt es, daß ein bestimmte Entität X zu einer Zeit t ein bestimmtes Aussehen hat. X und t selbst werden vom Verbinhalt nicht angegeben; es sind Variablen, die irgendwie gefüllt werden müssen, damit es zu einer vollständigen Beschreibung einer Situation kommt. Diese Füllung kann durch eine explizite Angabe geschehen, beispielsweise eine Nominalphrase und ein Zeitadverb (…). Somit wird die Situation vollständig von der Semantik des Verbs und den beteiligten Argumenten beschrieben.“ 41 Da Klein in den Vordergrund stellt, dass Verben Eigenschaften spezifizieren, die eine Entität zu bestimmten Zeitspannen haben kann, spricht Klein von einer Argument-Zeit-Struktur. Die Betonung der zeitlichen Komponente ist darauf zurückzuführen, dass „ein Lexem dem selben Argument verschiedene Eigenschaften zu verschiedenen Zeiten, oder mehreren Argumenten verschiedene Eigenschaften zur gleichen Zeit, oder beides zugleich“ zuweist. Beispielsweise sagt das Lexem weggehaus, dass eine Entität X zu t an einem Ort ist und zu einem späteren Zeitpunkt t’ nicht. 42 Die zeitliche Komponente trägt somit der Tatsache Rechnung, dass das Gefüge der Eigenschaftszuweisung zwischen Lexem und Argument zeitlich variieren kann. Betrachtet man die Faktoren, die die Lesart von Verben bzw. Verbalphrasen hinsichtlich ihrer temporalen Struktur bestimmen (z. B. die Argumentstruktur), wird deutlich, dass eine Klassifizierung dieser nicht immer eindeutig ist. Trautwein führt dazu aus: „Aspectual classifications are subject to diverse forms of ambiguity which is caused by the lexical underspecification of verbs or verb-argument structures. In non-aspect languages (i. e. without a grammaticalization of verbal aspect) it is impossible to establish a valid aspectual classification for verbal heads.“ 43 Bertinetto zeigt für das Italienische anhand einer Reihe von Bedingungen, wie sich Lesarten eines lexikalischen Inhalts aufgrund verschiedener Faktoren verändern können. Damit macht Bertinetto die Problematik der stringenten Klassifizierung temporaler Eigenschaften von Verben deutlich. Die Terminologie, die er dabei verwendet (durativ, kontinuativ etc.), gliedert sich in die traditionelle Aktionsarten-Terminologie ein. 44 Diese wird hier in Anlehnung an Bertinetto übernommen. 41 KLEIN (1999: 6-7) 42 KLEIN (1999: 6-7) 43 TRAUTWEIN (2005: 37) 44 vgl. Bertinetto (1986) für die Art und Weise, wie er die Begriffe handhabt. <?page no="34"?> 34 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht • Einfluss des Kontexts, in dem ein Verb steht Illustriert am Beispiel „pungere“ (stechen) kann eine punktuelle zeitliche Bedeutung des Verbs festgehalten werden. Kontextabhängig kann jedoch auch eine durative Komponente angenommen werden, wie der Beispielsatz „Un rimorso pungeva Ugo per il delitto commesso“ zeigt. • Argumentstruktur des Verbs Ein Argument, beispielsweise ein direktes Objekt, kann wie bereits erwähnt die Lesart einer verbinhärenten Bedeutung bestimmen. Das Verb „fumare“ (rauchen) wird beispielsweise ohne Argument als kontinuativ eingestuft; in Verbindung mit einem direkten Objekt wie in „fumare una sigaretta“ erscheint es aber als resultativ. 45 • Art des Subjekts, das mit dem Verb kombiniert wird Je nach Art des Subjekts, das einem Verb vorausgeht, kann die temporale Eigenschaft des Verbs unterschiedlich ausgelegt werden. Anhand der folgenden Beispiele erläutert Bertinetto diese Problematik. Il sasso cade nicht-durativ La pioggia durativ Fällt ein Stein, so ist die Situation als nicht-durativ anzusehen. Fällt jedoch Regen, so ist Durativität anzunehmen. Das entscheidende Kriterium liegt darin, ob es sich beim Subjekt um eine zählbare oder eine unzählbare Entität handelt. 46 • Adverbiale, die mit dem Verb verbunden werden Auch Adverbiale können die Lesart verändern. Im Beispielsatz „Mario si ricordò improvvisamente di quelle parole“ ist das Verb „ricordarsi“ (sich erinnern) aufgrund des Adverbs „improvvisamente“ (plötzlich) als punktuell einzuordnen. Eine abweichende Lesart kann aber auch durch andere adverbiale Ausdrücke wie beispielsweise „per molto tempo“ impliziert werden. Als Beispiel kann der Satz „per molto tempo Mario si ricordò di quelle parole“ herangezogen werden, der nun eine durative Einordung des Verbs impliziert. 45 BERTINETTO (1986: 99). Es kann jedoch auch angemerkt werden, dass in diesem Kontext die Situation als holistisch verstanden werden kann. 46 BERTINETTO (1986: 100) <?page no="35"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 35 • Negation von Sätzen Ob ein Satz negiert ist oder nicht, hat ebenfalls einen Einfluss auf die temporale Lesart des Verbs. Während das Verb im Satz „distogliere lo sguardo“ als punktuell zu definieren ist, gilt es im Satz „non distogliere lo sguardo“ hingegen als durativ. 47 Eine weitere Problematik besteht (neben der z. T. verwirrenden Terminologie einerseits und der Schwierigkeit der stringenten Klassifizierung der temporalen Eigenschaften andererseits) darin, dass oftmals unklar ist, ob sich die ermittelten temporalen Eigenschaften auf die zugrundeliegende außersprachliche Situation oder auf die Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke beziehen. 48 Daraus resultiert (oftmals ungewollt), dass semantisch-lexikalische Eigenschaften von Verben mit den temporalen Eigenschaften der außersprachlichen Situation gleichgesetzt werden. Dieses Eins-zu-eins-Verhältnis besteht allerdings nicht immer. „Ever since Aristotle, it has been assumed that there are different types of situations whose properties are roughly reflected in different types of expressions (…). Nothing seems more natural than to derive the properties of the latter from those of the former. But this practice has been a permanent source of confusion (…). Vendler’s (1967) well-established categories of „state, activity, accomplishment and achievement“, for example, actually target at ‚time schemata‘, but often they have been applied to the meaning of expressions, such as verbs, verb phrases, or full sentences (it seems that even Vendler himself was not entirely sure whether time schemata should refer strictly to the temporal properties of events/ situations or to the semantic properties of verbs, or to both). This practice has led to many substantial problems (…).“ 49 Smith beispielsweise verdeutlicht auf der einen Seite, dass für sie ein Situationstyp eine konzeptuelle Größe darstellt, die übereinzelsprachlich ist. Einzelsprachliche Verbkonstruktionen werden somit mit idealisierten Situationstypen assoziiert. Andererseits werden die verschiedenen Situationstypen wie Aktivitäten oder Zustände (states) im Hinblick auf ihre Eigenschaften mit den Begriffen belegt, die die temporale Struktur von Verben kennzeichnen wie durativ, oder telisch. 50 „I will use the names Stative, Activity etc. to refer to idealized situation types, to sentences associated with them and to situations in the world.“ 47 BERTINETTO (1986: 101) 48 KLEIN (2000b: 745) 49 KLEIN (2000: 745) 50 SMITH (1991: 28 ff.) <?page no="36"?> 36 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Anhand dieses Zitats wird deutlich, dass die Ebenentrennung nicht klar erfolgt. Diese Arbeit wird deutlich machen, wie entscheidend dagegen die sorgfältige Trennung der Betrachtungsebenen (Situationen/ Äußerungen) die Beschreibung der Gebrauchsdeterminanten der progressiven Verbalperiphrase beeinflusst. Dieses Kapitel hat aufgezeigt, dass verschiedene temporale Eigenschaften einer Situation durch eine grammatische oder eine lexikalische Kodierung zum Ausdruck kommen können. In beiden Fällen sind ähnliche Faktoren, Kategorien und Kontraste zu erkennen, die diese temporalen Eigenschaften beschreiben. 51 1.2 Ein möglicher Lösungsansatz: Die Aspekttheorie nach Klein 1.2.1. Kleins Interpretation des grammatischen Aspekts Angesichts der besprochenen Grenzen habe ich mich entschieden, mit der Aspekttheorie nach Klein (1994) zu arbeiten, da sie die beschriebene Problematik des grammatischen und lexikalischen Aspekts gut löst. Die Auswahl seiner Aspekttheorie für diese Arbeit beruht in erster Linie darauf, dass er bei der Erläuterung des grammatischen Aspekts auf metaphorische Annäherungsweisen verzichtet, wie sie in Begriffen des „Sehens“ oder der „Begrenzung“ zum Ausdruck kommen. 52 Analog zur Struktur der vorangehenden Kapitel wird im Folgenden zuerst der grammatische und dann der lexikalische Aspekt nach Klein erläutert. Da das Verständnis Aspekttheorie mit dem Verständnis seiner Tempustheorie erleichtert wird, wird zunächst Kleins Tempustheorie im Vergleich zu den kanonischen Tempusdefinitionen illustriert. 1.2.1.1. Tempusdefinitionen Zunächst ist entscheidend, dass Tempora in klassischen Definitionen als eine deiktisch-relationale Kategorie dargestellt werden, da sie eine außersprachliche Situation auf der Zeitachse in Bezug zur Sprechzeit einordnen. Aspekt hingegen drückt hingegen die (innere) temporale Beschaffenheit von außer- 51 Der grammatische und der lexikalische Aspekt werden je nach Forschungsansatz miteinander gleichgesetzt oder voneinander abgegrenzt. Auf der einen Seite gibt es Befürworter der systematischen Trennung zwischen lexikalischem und grammatischem Aspekt (BERTI- NETTO: 2000), andere hingegen lehnen eine Trennung von grammatischem und lexikalischem Aspekt ab (VERKUYL: 1972) 52 KLEIN (1994: 27-29) <?page no="37"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 37 sprachlichen Situationen aus. 53 Comrie unterscheidet Tempus von Aspekt folgendermaßen: „Tense is a deictic category, i. e. locates situations in time […]. Aspect is not concerned with relating the time of the situation to any other time-point, but rather with the internal temporal constituency of the one situation; one could state the difference as one between situation-internal time (aspect) and situation-external time (tense).“ 54 Tempus drückt somit im kanonischen Sinn die zeitliche Relation zwischen einer außersprachlichen Situation und der Sprechzeit aus („Tense locates the time of a situation relative to the moment of utterance“). Dies lässt sich anhand des folgenden Beispielsatzes „Andrea e Carmen sono andati a sciare“ erläutern. Die beschriebene außersprachliche Situation liegt in der Vergangenheit, d. h. sie liegt vor der Sprechzeit. Für Klein ist diese Definition jedoch nicht ausreichend. Bevor aufgezeigt wird, weshalb Klein dieser Ansicht ist, sollen zunächst die von Klein verwendeten Termini genannt und erläutert werden. Dabei werden folgende Abkürzungen genutzt: TU = Time of utterance, Sprechzeit TSit = Time of situation oder Situationszeit; Zeit zur der eine Situation besteht TT = Topic Time oder Assertionszeit; Zeit über die ein Sprecher eine Aussage macht; stellt einen Intervall von TSit dar Anhand des Beispiels „Eva was cheerful“ wird die Unterscheidung von Tempus und Aspekt bei Klein verdeutlicht. Würde der Beispielsatz anhand der gängigen Tempusdefinitionen erläutert werden, stünde, so Klein, als Ergebnis die Aussage, dass die Situationszeit vor der Sprechzeit liegt. Diese Aussage ist aber nicht korrekt, wenn Eva bei der Sprechzeit immer noch glücklich ist. In diesem Fall wäre es also nicht korrekt zu sagen, dass TSit vor TU liegt. Denn es bleibt unbestimmt, ob TSit TT vorausgeht oder darin enthalten ist. Die Relation „TSit ist in TU enthalten“ ist ebenfalls möglich. 55 Klein löst diese Problematik, indem er sagt, dass es bei diesem Beispiel eine Zeitspanne gibt, die TU vorausgeht. Diese Zeitspanne nennt Klein Topic Time bzw. Assertionszeit. Es handelt sich dabei um die Zeit, die ein Intervall von TSit darstellt. Ob TSit dabei TU vorausgeht oder enthält ist unerheblich. Um Missverständnissen vorzubeugen, präzisiert Klein seine Definition von TT: 53 KLEIN (1994b: 413) 54 COMRIE (1976: 5) 55 KLEIN (2000: 364) <?page no="38"?> 38 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht „It’s not the time ‚at which‘ an assertion is made, but the time ‚about which‘ an assertion is made.“ 56 Tempus drückt also nach Klein im Gegensatz zu „klassischen Definitionen“ nicht das Verhältnis zwischen Tsit und TU aus, sondern die Beziehung von TT (Zeit für die der Sprecher eine Behauptung macht) zu TU. 1.2.1.2. Die Erläuterung des Aspektsbegriffs anhand temporal-relationaler Grundlagen Häufig basieren Definitionen des grammatischen Aspekts, wie in den vorangehenden Abschnitten beschrieben, auf der Darstellung der zeitlichen Beschaffenheit einer Situation, die als perfektiv oder imperfektiv beschrieben werden kann. Klein kritisiert wie angedeutet die metaphorische Annäherung an den Aspektbegriff, die mit Beschreibungskategorien wie „Betrachtungsweise“ von „innen“ oder von „außen“ arbeitet und gründet seine Aspektdefinition auf einer temporal-relationalen Basis. Aspekt ist für ihn ebenso eine relationale Kategorie wie Tempus. Die zwei zeitlichen Kategorien, die er für die Bestimmung zueinander in Bezug setzt, sind folgende Zeitspannen: • Assertionszeit (TT) • Situationszeit (TSit) Klein unterscheidet zwischen einer Zeit, für die der Sprecher eine Aussage macht (TT) und der Zeit, zu der eine Situation besteht (TSit). Die Situationszeit (TSit) wird durch eine infinite (INF), die Assertionszeit (TT) durch eine finite Komponente (FIN) ausgedrückt. Am Beispielsatz „Ein Buch lag auf dem Tisch“ können diese Zeitspannen und ihr Zusammenhang mit Finitheit und Infinitheit verdeutlicht werden: Die Situationszeit ist die Zeit dessen, was von INF ausgedrückt wird, also in Bezug auf das o. g. Beispiel die Zeit des auf dem Tisch Liegens des Buches. 57 Antwortet beispielsweise ein Zeuge auf die Frage, was er gesehen habe, als er in ein Zimmer kam mit dem Satz „Ein Buch lag auf dem Tisch“, macht er eine Assertion für eine ganz bestimmte Zeit, nämlich die Zeit, in der er in das Zimmer kam. Er bezieht sich dabei nicht auf die (INF) Situationszeit, die sich auf das auf dem Tisch Liegen des Buchs bezieht. 58 Die Assertionszeit und die Situationszeit können nun verschiedene Relationen eingehen, die der Aspektdefinition von Klein zugrunde liegen: 56 KLEIN (2000b: 742) 57 KLEIN (1994: 3-5) 58 KLEIN (1994: 4) <?page no="39"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 39 „Aspects are ways to relate the time of a situation to a topic time (hier Assertionszeit).“ 59 Die Relationen, die hier genügen sollen, sind folgende: 1. Assertionszeit ist ganz in der Situationszeit enthalten 2. Assertionszeit ist zum Teil in der Situationszeit enthalten oder liegt nach ihr Eine Situation wird von „innen“ betrachtet, wenn die Assertionszeit in der Situationszeit liegt. Sie wird von „außen“ als „abgeschlossen“ gesehen, wenn die Assertionszeit teilweise in der Situationszeit enthalten ist oder nach ihr liegt. Ist die Assertionszeit ganz in der Situationszeit enthalten, wird der imperfektive Aspekt markiert. Geht die Situationszeit der Assertionszeit voraus, wird der perfektive Aspekt markiert. Kleins Definition des grammatischen Aspekts fußt demnach auf den Relationen zwischen TT und TSit. Er hebt hervor, dass seine Definition von Aspekt „zur kanonischen Aspektdefinition nicht im Widerstreit“ stehe, sie „bloß präziser mache.“ 60 Der progressive Aspekt, der hier im Vordergrund stehen wird, wird als eine besondere Ausprägung des imperfektiven Aspekts gesehen. Das Progressiv wird dadurch gekennzeichnet, dass die Assertionszeit (TT) in diesem Fall ganz in TSit enthalten ist. Daraus folgt die Intuition, dass das Geschehen nur teilweise oder von „innen“ betrachtet wird. 61 1.2.2. Kleins Interpretation des lexikalischen Aspekts Ausgangbasis für die Interpretation des lexikalischen Aspekts ist der lexikalische Gehalt (lexical content) eines sprachlichen Ausdrucks. Der lexikalische Gehalt eines sprachlichen Ausdrucks gibt eine selektive Beschreibung einer außersprachlichen Situation, die verschiedene Eigenschaften trägt. Der Satz „I was working in the garden“ zeigt, dass der Sprecher eine Selektion vorgenommen hat, um die Situation >im Garten arbeiten< zu beschreiben. Beispielsweise bleibt die Dauer des Arbeitens implizit. Es hätten ebenso gut Adverbien wie „from two to four“ die Dauer explizit machen können, ohne die Situation als solche zu verändern. Es wird deutlich, dass der lexikalische Gehalt eines Verbs oder eines Satzes immer nur einen ausgewählten Teil der außersprachlichen Situation umschreibt. 62 59 KLEIN (1994: 99) 60 KLEIN (1994b: 421) 61 KLEIN (2000b: 752) 62 KLEIN (2000: 365) <?page no="40"?> 40 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Für die Klassifikation von diesen inhärenten temporalen Eigenschaften von Verben und Verbalphrasen arbeitet Klein erneut mit dem Kriterium der Assertionszeit. Er klassifiziert zum einen die lexikalischen Gehalte in Bezug auf ihr Verhältnis zu einer anderen Assertionszeit. Dieses Verhältnis erläutert er anhand von „Kontrasten“, die zwischen Assertionszeiten möglich sind. 63 Zum anderen differenziert Klein lexikalische Gehalte bezüglich ihrer Intervallstruktur. 64 1.2.2.1. Der Kontrast zwischen lexikalischem Gehalt und einer Assertionszeit Lexikalische Inhalte können insgesamt drei verschiedene Beziehungen zur Assertionszeit aufweisen. Diese Beziehungen lassen sich wiefolgt abgrenzen: 1. Zwischen dem lexikalischen Gehalt in einer Assertionszeit und einer anderen Assertionszeit ist kein Kontrast möglich Beispiel: >eine Frau sein<. Lexikalische Gehalte, die diese Eigenschaft aufweisen werden als 0-phasiger-Gehalt oder im Falle von Verben als 0-Zustandsverben bezeichnet. Es handelt sich meist um atemporale lexikalische Inhalte. 0-Zustandsverben sind zu jeder Zeit wahr, d. h. sie stehen niemals in Kontrast zu einer anderen Assertionszeit, in welcher der lexikalische Gehalt nicht zutrifft. Ausdrücke dieser Art sind nicht begrenzt, unbounded. 65 2. Es besteht mindestens ein Kontrast zwischen dem lexikalischen Gehalt und einer anderen möglichen Assertionszeit 66 Beispiel: >hungrig sein<. Es sind Assertionszeiten denkbar, in denen der lexikalische Gehalt nicht wahr ist. Also eine Zeit, in der jemand nicht hungrig ist. Verben oder lexikalische Gehalte, die diese Eigenschaft aufweisen werden als 1-phasige Gehalte oder 1-Zustandsverben bezeichnet. Ausdrücke dieser Art enthalten eine Begrenzung, sie sind bounded. 67 3. Es besteht mindestens ein Kontrast zwischen dem lexikalischen Gehalt und einer Assertionszeit Beispiel: >hinsetzen<. Im Gegensatz zu 1-Zustandsverben ist ein interner Kontrast zwischen einem Quell- und einem Zielzustand im Verb enthalten. Ein Zustandswechsel wird innerhalb der ausgewählten Zeitspanne ausgedrückt. So enthält das Verb „hinsetzen“ einen Zustand des noch nicht 63 KLEIN (2000b: 748) 64 KLEIN (2000b: 751) 65 KLEIN (2000b: 747) 66 KLEIN (1994: 83) 67 KLEIN (2000b: 747) <?page no="41"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 41 Sitzens und des bereits Sitzens. Es wird daher als 2-Zustandsverb oder als 2-phasiger Inhalt umschrieben. 68 1.2.2.2. Das Kriterium der inhärenten Intervallstruktur Die dargestellten lexikalischen Gehalte unterscheiden sich neben den verschiedenen Relationen im Verhältnis zu anderen Assertionszeiten in Bezug auf ihre Intervallstruktur. 1. 0-Zustandsverben sind atemporal und entziehen sich zeitlichen Intervallen 2. 1-Zustandsverben erstrecken sich über ein Intervall (z. B. malen) und enthalten keinen impliziten Zustandswechsel 3. 2-Zustandsverben erstrecken sich über zwei Intervalle. Sie enthalten einen Zustandswechsel, der durch den Übergang von Quellin einen Zielzustand gekennzeichnet ist (z. B. sterben) Nachdem nun die gängigen Definitionen zu Aspekt aufgeführt wurden, ihre Grenzen bestimmt und Lösungsvorschlage angenommen wurden, wird im folgenden Unterkapitel der progressive Aspekt näher betrachtet. 1.3. Die aspektuelle Bedeutung von stare + gerundio: Der progressive Aspekt Der progressive Aspekt findet sich in einer Vielzahl von Sprachen wieder und wird daher von Hentschel und Weydt „zu den Universalien der menschlichen Sprache“ gezählt. 69 Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass in den 76 von Bybee, Perkins und Pagliuca untersuchten Sprachen, 38 einen progressiven Aspekt aufweisen, der sich durch ähnliche morphsyntaktische Regularitäten auszeichnet. 70 Der progressive Aspekt wird im Italienischen unter anderem durch die in dieser Arbeit behandelte Verbalperiphrase stare + gerundio ausgedrückt. Die aspektuelle Bedeutung von stare + gerundio wird als „progressiv“ bezeichnet. 1.3.1. Grundbedeutung und Definitionen Im folgenden Abschnitt werden Grundbedeutungen des Progressivs behandelt. Dabei steht zunächst nicht stare + gerundio im Vordergrund, sondern 68 KLEIN (2000b: 748) 69 HENTSCHEL/ WEYDT (1994: 34) 70 BYBEE ET AL. (1994: 128) <?page no="42"?> 42 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Definitionen des Progressivs, wie sie in allgemeiner bzw. typologischer Hinsicht zu finden sind. Die grundlegende semantische Eigenschaft des Progressivs wird meistens als Mittel zum Ausdruck einer im Verlauf befindlichen Handlung („ongoing activity“) beschrieben. 71 „The progressive views an action as ongoing at a reference time.“ 72 Die Konstante des Verlaufs impliziert, dass sämtliche Begrenzungen der Handlung bei ihrer Betrachtung ausgeblendet werden. „Progressives present a situation (…) as ongoing at a reference time, without respect to boundaries.“ 73 Laca definiert den progressiven Aspekt wie folgt: „Der Progressiv […] stellt eine besondere imperfektive aspektuelle Kontur dar, die durch bestimmte zusätzliche Merkmale wie den episodischen, dynamischen aktiven Charakter des denotierten Sachverhalts charakterisiert wird. Die Besonderheit dieser aspektuellen Kontur besteht darin, dass sie nur einen internen Ausschnitt des dargestellten Sachverhalts sichtbar macht, der sich nach seinem Anfangspunkt und vor seinem Endpunkt situiert.“ 74 Aus diesem Zitat wird deutlich, dass die Lokalisierung der Handlung über das Progressiv zwischen Anfangs- und Endpunkt geschieht. Aus diesem Grunde wird die Komponente des Verlaufs häufig mit der Metapher der „Mitte“ zum Ausdruck gebracht. Eine Aktivität ist demnach dann im Verlauf bzw. progressiv, wenn sie in der Mitte ihres Ablaufs betrachtet wird. Laut Blücher drückt das Progressiv daher im Italienischen eine mittlere Phase, eine fase mediana einer Handlung aus. 75 Bei Coseriu findet sich der Ausdruck der Mitte zwar nicht explizit, dennoch verdeutlicht er, dass die Verbalperiphrase stare + gerundio von der Betrachtung einer „Handlung zwischen zwei Punkten“ (Punkt A und B) charakterisiert wird, 76 was die Metapher der Mitte nahe legt. Dies wird durch das folgende Schaubild (Abb. 3) verdeutlicht. Der Punkt A steht für den Beginn der Handlung, der Punkt B für das Ende der Handlung. Durch den Punkt C macht Coseriu deutlich, dass stare + gerundio eine Handlung erfasst, die zwischen den Punkten A und B liegt. 71 DAHL (1985: 91) 72 BYBEE ET AL. (1994: 126) 73 EBERT (1996: 42) 74 LACA (1996: 31 f.) 75 BLÜCHER (1974: 249) 76 COSERIU (1976: 100) <?page no="43"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 43 Abb. 3: Die Winkelschau nach Coseriu (1976) Berrettoni hingegen betont besonders den Verlauf einer Handlung, die durch das Progressiv zum Ausdruck kommt. Dabei analysiert er folgenden Beispielssatz „Luisa sta scrivendo una lettera“, der drei Aussagen enthält: • Luisa hat begonnen, einen Brief zu schreiben • Luisa fährt mit dem Schreiben des Briefes fort • Luisa hat bis zu diesem Moment nicht mit dem Schreiben des Briefes aufgehört. 77 Aus den oben angeführten Definitionen lässt sich ableiten, dass die Handlung noch nicht abgeschlossen ist. 78 Die Handlung wird als fortschreitend betrachtet. Ihr Ende wird nicht assertiert. 79 Daraus ergibt sich eine besondere Beziehung zwischen dem, was gerade passiert und dem, was passieren wird. „The connection (…) between something occurring at the present time and something occuring in the future.“ 80 Das futurische Moment wird nicht ausgedrückt, jedoch wird der Fortgang der Handlung impliziert. 77 BERRETTONI (1982: 75-76) 78 BERRETTONI (1982: 78) 79 GIURESCU (1988: 489-499) 80 BONOMI (1997: 175) <?page no="44"?> 44 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht 1.3.2. Die Stellung des Progressivs in Aspektmodellen Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten grundlegende Eigenschaften des Progressivs erörtert wurden, steht in den folgenden Ausführungen die Stellung des Progressivs in Aspektmodellen im Vordergrund. Dabei wird den Erläuterungen von Comrie und Bertinetto besonders Augenmerk geschenkt. Das Aspektmodell von Comrie ordnet das Progressiv als eine besondere Form der Imperfektivität ein, wie aus dem folgenden Schaubild (Abb. 4) hervorgeht. Abb. 4: Das Aspektmodell nach Comrie (1976) Die verschiedenen Ausprägungen der Imperfektivität definiert Comrie folgendermaßen: • Habituell sind Situationen, die sich zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholen und somit eine charakteristische Eigenschaft einer Zeitspanne darstellen. 81 • Kontinuativ und progressiv sind Situationen, die sich zu einem gewissen Zeitpunkt im Verlauf befinden. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Größen liegt in unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten hinsichtlich der verwendeten Verben. Der 81 COMRIE (1976: 27-28) <?page no="45"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 45 kontinuative Aspekt lässt sowohl statische als auch dynamische Verben zu, während der progressive Aspekt statische Verben ausschließt. 82 „The progressive refers to the combination of (non-habitual) imperfective Aspect with dynamic (as opposed to stative) semantics; i.e. refers to an ongoing process.“ 83 Gemeinsam ist dem progressiven und kontinuativen Aspekt, dass beide Habitualität ausschließen. „In this respect, progressiveness is similar to continuousness, which is definable as imperfectivity that is not occasioned by habituality.“ 84 Aus diesem Modell und seinen Erläuterungen kann abgelesen werden, dass Comries Modell im Grunde sowohl auf einem temporal-ereignisbezogenen Konzept als auch auf verbsemantischen Kriterien fußt. Das Aspektmodell von Bertinetto ist ähnlich wie das Modell von Comrie aufgebaut, mit dem eben genannten Unterschied, dass die Unterkategorien sich nicht nur hinsichtlich ihrer verbsemantischen Restriktionen unterscheiden, sondern aufgrund verschiedener Perspektiven auf die Verbalhandlung, die hier als temporal-ereignisbezogen beschrieben werden. Die Differenzierung „perfektiv“ vs. „imperfektiv“ basiert auf Kriterien, die auf Comrie zurückgehen. So stellt der imperfektive Aspekt eine Betrachtungsweise von „innen“ bezüglich des im Verlauf befindlichen Geschehens dar („la considerazione del processo verbale secondo un punto di vista interno al suo svolgimento“). Der perfektive Aspekt hingegen betrachtet das Geschehen in seiner Ganzheit („considerazione globale del processo verbale“). 85 Es handelt sich innerhalb der Imperfektivität um den habituellen Aspekt, wenn ein Prozess mehr oder weniger regelmäßig wiederholt wird. Als Test für das Vorhandensein des habituellen Aspekts gilt die Anwendbarkeit der Verbalperiphrase „esser solito + Infinitiv“. 86 Bertinetto ordnet den habituellen Aspekt der Kategorie der Imperfektivität zu, da die Anzahl der Wiederholungen der Ereignisse unbestimmt bleibt. 87 Laut Bertinetto wird hingegen beim Ausdruck des progressiven Aspekts eine Handlung zu einem bestimmten Punkt ihres Verlaufs betrachtet. Im Italienischen ist eine progressive Lesart dann gegeben, wenn die entsprechende Verbform mit der Verbalperiphrase stare + gerundio ersetzt werden kann. Den progressiven Aspekt kennzeichnen zwei grundlegende Charakteristika: 82 COMRIE (1976: 33-35) 83 COMRIE (1995: 1245) 84 COMRIE (1976: 33) 85 BERTINETTO (1986: 79) 86 BERTINETTO (1986: 139-149) 87 BERTINETTO (1986: 159) <?page no="46"?> 46 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht 1. Fokussierung Das Vorhandensein eines Fokussierungspunktes (punto/ istante di focalizzazione), in welchem der Prozess in seinem Verlauf betrachtet wird. Dies impliziert, dass sich der Prozess vor dem Fokussierungspunkt bereits im Verlauf befindet. 88 Bertinetto verdeutlicht diesen Fokussierungspunkt anhand des folgenden Schaubilds (Abb. 5). 89 Abb. 5: Der Fokussierungspunkt nach Bertinetto (1986) I bezeichnet in dieser Darstellung ein Intervall innerhalb eines Prozesses. Dieses Intervall teilt sich in die Subintervalle I’ und I’’, wobei I’ das Anfangssubintervall darstellt und I’’ das Endsubintervall. Der Fokussierungspunkt oder Fokussierungsmoment t f stellt den letzten Augenblick innerhalb von I’ dar. 90 2. Unbestimmtheit der Fortsetzung der Handlung Das zweite Charakteristikum des progressiven Aspekts bezieht sich auf die Unbestimmtheit hinsichtlich der Fortsetzung der Handlung, d. h. die Unbestimmtheit der Fortsetzung nach t f . Dies bedeutet, dass der Handlungsvorgang in der Terminologie von Bertinetto als nach rechts offen gilt bzw. über keine rechte Grenze ver- 88 BERTINETTO (1986: 120) 89 BERTINETTO (1986: 127) 90 BERTINETTO (1986: 123-125) <?page no="47"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 47 fügt. 91 Dabei ist ferner bedeutsam, dass die Situation als semelfaktiv betrachtet wird, auch wenn sie sich in ähnlicher Form schon mehrmals ereignet hat. 92 Bezüglich dieses zweiten Charakteristikums kann festgehalten werden, dass aufgrund der Unbestimmtheit hinsichtlich der Fortsetzung der Handlung tatsächlich nur t f den Betrachtungspunkt darstellt. Aus eben diesem Grunde muss eine Semelfaktivität vorausgesetzt werden, da ohne diese im Falle von Habitualität eine Fortsetzung anzunehmen ist. Als kontinuativ bezeichnet Bertinetto eine Ausweitung des progressiven Aspekts, 93 der mit der Paraphrase andare + gerundio oder continuare a + Infinitiv umschrieben werden kann. 94 Der kontinuative Aspekt stellt ein Geschehen dar, das im Gegensatz zum progressiven Aspekt nicht zu einem Punkt, sondern an mehreren Punkten bezüglich seines Verlaufs beschrieben wird. Aus diesem Grunde ist der kontinuative Aspekt plurifokalisierend, während der progressive Aspekt monofokalisierend zu beschreiben ist. 95 Imperfektiv deshalb, da die Fortsetzung der Handlung und die Anzahl ihrer Wiederholungen unbestimmt bleiben. 96 Vergleicht man nun die Ansätze von Comrie und Bertinetto wird deutlich, dass sich die beiden Ansätze ähneln. Dennoch unterscheiden sie sich in dem Punkt, dass Bertinetto keine verbsemantischen Restriktionen für die Abgrenzungen der imperfektiven Aspekte in den Vordergrund stellt. Stattdessen fußt die Unterscheidung kontinuativ vs. progressiv weiterhin auf der Betrachtungsweise der Handlung und somit auf temporal-ereignisbezogenen Konzepten. Maßgeblich bei der Definition des progressiven Aspekts ist sowohl bei Comrie als auch bei Bertinetto, dass die Handlung zu einem gewissen Punkt ihres Verlaufs betrachtet wird. Bertinetto fügt als weiteren Punkt die Unbestimmtheit bezüglich der Fortsetzung der Handlung an. Ohne dem empirischen Teil vorzugreifen, kann an dieser Stelle jedoch bereits angedeutet werden, dass diese Aussage durch die hier erzielten Forschungsergebnisse relativiert werden konnte. Die Ergebnisse werden zeigen, dass für das Italienische einige weitere konzeptuelle Eigenschaften existieren, die die Semantik des progressiven Aspekts kennzeichnen. 91 BERTINETTO (1986: 120) 92 BERTINETTO (1986: 123) 93 BERTINETTO (1986: 164) 94 BERTINETTO (1986: 163) 95 BERTINETTO (1986: 164) 96 BERTINETTO (1986: 170-171) <?page no="48"?> 48 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht 1.3.3. Entwicklung progressiver Bedeutungen im Romanischen bzw. Italienischen 1.3.3.1. Fokalisierend vs. durativ In der neueren Forschung wird das Progressiv samt seiner Grundbedeutung des Ausdrucks von „Verlauf“ weiter differenziert. Es wird zwischen einem „fokalisierenden“ und einem „durativen“ Progressiv unterschieden. Das fokalisierende Progressiv betrachtet eine Handlung zu einem bestimmten Punkt ihres Ablaufs, während das durative Progressiv die Handlung in einem länger andauernden Intervall betrachtet. In beiden Fällen bleibt jedoch die Dauer der Gesamthandlung unbestimmt. 97 Im Italienischen ist vorrangig das fokalisierende Progressiv zu finden, 98 wie aus dem oben verdeutlichten Aspektmodell von Bertinetto bereits deutlich wurde. Jedoch ist für das Italienische anzunehmen, dass das Progressiv ursprünglich durativ gebraucht wurde. 99 Durativ wohl deshalb, da die ursprüngliche semantische Ausprägung des Progressivs statischer Natur gewesen sein könnte, die zum Ausdruck brachte, dass jemand in einem bestimmten Zustand war 100 und folglich die Handlung nicht zu einem bestimmten Punkt, sondern zu einem unbestimmten Zeitintervall betrachtet wurde. 101 Im folgenden Abschnitt wird der zustandshafte Charakter des durativen Progressivs genauer betrachtet. 1.3.3.2. Der Zusammenhang zwischen Progressivität und Stativität Laut Maiden war im Altitalienischen die Periphrase stare + gerundio, die den progressiven Aspekt ausdrückt, eine Kombination aus stare (stehen, unbeweglich sein) und der gerundiven Form eines Verbs. Die Übersetzung von sta leggendo könnte folgendermaßen auf das Englische übertragen denkbar gewesen sein: he stands reading. 102 Diese Übersetzung in das Englische unterstreicht die zustandsartige und somit durative Komponente des frühen Progressivs. Der statische Charakter wurde durch die ursprüngliche lokative 103 97 BERTINETTO ET AL. (2000: 527) 98 BERTINETTO ET AL. (2000: 530) 99 Die Entwicklungen vom durativen zum fokalisierenden Progressiv bezeichnet Bertinetto als „dramatic diachronic development.“ BERTINETTO ET AL. (2000: 538) 100 BERTINETTO ET AL. (2000: 539) 101 BERTINETTO (2000: 563) 102 MAIDEN (2000: 303); SASSE (2002: 241) 103 Der Lokativ wird in der Morphologie manifestiert, wenn eine infinite Verbform mit einem Hilfsverb (verbo modificatore) kombiniert wird, das auf eine Existenz (an einem Ort oder in einem Zustand) hinweist. Dies trifft auf die Verbalperiphrase stare + gerundio zu, die im Italienischen den progressiven Aspekt zum Ausdruck bringt. In anderen Fällen wird der <?page no="49"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 49 Grundbedeutung des Progressivs bedingt, 104 die dem Hauptverb eine vorrangig adjektivische Funktion verlieh (eine lesende Person im Falle des o. g. Beispielsatzes). 105 Der adjektivische Charakter des Progressivs ist jedoch im Zuge der Grammatikalisierung verlorengegangen. Inwieweit sich das statische Moment des Progressivs heutzutage bemerkbar macht, ist umstritten. Auf verbsemantischer Ebene zeigt sich eine Inkompatibilität des Progressivs mit statischen Verben. Dennoch wird dem progressiven Aspekt ein gewisser statischer Charakter zugeschrieben. Nach Vlach verleiht das Progressiv einer Aussage sogar eine zustandsartige Bedeutung und wird daher aus Redundanzgründen nicht mit statischen Verben verbunden: „The function of the progressive operator is to make stative sentences, and, therefore, there is no reason for the progressive to apply to sentences that are already stative.“ 106 In der Literatur finden sich unterschiedliche Meinungen bezüglich des Verhältnisses zwischen Stativität und Progressivität. Auf der einen Seite gibt es Meinungen, die wie Berrettoni eine Nähe zwischen Progressivität und Stativität sehen. 107 In einigen Fällen wird dabei die Inkompatibilität des progressiven Aspekts mit statischen Verben aufgrund einer semantischen Redundanz erklärt, die durch die statische Eigenschaft der progressiven Verbalperiphrase entsteht. 108 Auf der anderen Seite gibt es die Ansicht, die Gemeinsamkeiten, die sich Progressiv und statische Verben teilen, nicht zu überbewerten. Bertinetto erkennt ebenfalls Übereinstimmungen (Unvereinbarkeit mit dem Imperativ, Vereinbarkeit mit bestimmten Adverbien) zwischen dem Progressiv und statischen Verben, lehnt es jedoch ab, das Merkmal „statisch“ für den progressiven Aspekt überzuberwerten. 109 Trotz verschiedener Auslegungen bezüglich des Verhältnisses zur Stativität steht im Vordergrund, dass sich das Progressiv überwiegend mit dem Merkmal der Dynamik auszeichnet: lokative Charakter, der weiteren progressiven Periphrasen eigen ist, wie stare a + Infinitiv oder essere dietro a + Infinitiv, durch die Präpositionen unterstrichen, die auf einen Zustand an einem Ort hindeuten. Ferner wird der Lokativ auch in paraphrasierten Ausdrücken deutlich, welche die Bedeutung der progressiven Periphrasen wiedergeben (vgl. essere in/ nel processo della/ nel mezzo della etc. marcia für stare marciando). BERTINETTO (2001: 131) 104 COMRIE (1976: 98-106); BYBEE & DAHL (1989: 77); BYBEE ET AL (1994: 129) 105 BERTINETTO (2000: 563), vgl. auch HEINE (1993: 30 ff.) 106 VLACH (1981: 274) 107 BERRETTONI (1982: 103) 108 AMENTA (1999: 93) 109 BERTINETTO (1994: 398-404) <?page no="50"?> 50 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht „Nuances of activty, dynamism and vividness are often associated with sentences of this viewpoint.“ 110 [gemeint: der progressive Aspekt]. Diese Affinität zu Dynamizität zeigt sich insbesondere in den Verben, die mit dem progressiven Aspekt verbunden werden: „(…) progressive constructions would most appropriately be used with main verbs that describe activities (…) than with predicates describing internal and non-observable states.“ 111 Diese Eigenschaft schlägt sich in den Verwendungsmustern der italienischen progressiven Verbalperiphrase stare + gerundio nieder, die gemäß der Studie von Villarini zu größten Teilen mit kontinuativen Verben verwendet wird, 112 die sich unter anderem durch Dynamizität auszeichnen. Um zu illustrieren, wie im Grammatikalisierungspfad des italienischen Progressivs aus einem durativen ein fokalisierendes Progressiv wurde, wird im folgenden Abschnitt das Stufenmodell von Bertinetto erläutert. Die Untersuchung des Grammatikalisierungsprozesses stellt dabei eine weitere Möglichkeit dar, die semantischen Eigenschaften von Progressivität zu erschließen. 113 1.3.4. Grammatikalisierungsstufen des romanischen Progressivs Bertinetto stellt folgende Grammatikalisierungsphasen des Progressivs fest, die sich auf fünf Stufen mit unterschiedlichen semantischen Merkmalen verteilen: Stufe 1: Reine Lokativität statisch Stufe 2: Progressivität I nur noch Spuren der Lokativität, durativ, Perfektivität möglich Stufe 3: Progressivität II durativ, Perfektivität möglich Stufe 4: Progressivität III fokalisierend, nur imperfektive Formen möglich Stufe 5: Reine Imperfektivität Progressivität geht verloren, Habitualität möglich 114 Auf der ersten Stufe trägt die Periphrase noch beide verbinhärente Bedeutungen. Die infinite Form wird von Bertinetto als Form bestimmt, die eine „converbale“ Bedeutung trägt. 115 110 SMITH (1991: 113) 111 BYBEE ET AL. (1994: 133) 112 VILLARINI (1999: 39) 113 BYBEE ET AL. (1994: 138) 114 BERTINETTO ET AL. (2000: 540) 115 BERTINETTO ET AL. (2000: 539) <?page no="51"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 51 Die frühe Periphrase konnte sowohl mit Habitualität als auch mit dem Modus des Imperativs verbunden werden. Die Durativität kommt ferner dadurch zustande, dass das betrachtete Geschehen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt (fokalisierend), sondern innerhalb eines unbestimmten Zeitintervalls betrachtet wird. 116 Bertinetto zieht für diese Erläuterung Beispiele von Dietrich (1973) und Durante (1981) heran. • Beispiel (1) für die Verbindung mit Habitualität aus Elegia Giudeo-Cristiana, 12.-13. Jahrhundert: La notti e la die sta plorando. • Beispiel (2) für die Verbindung mit dem Modus des Imperativ aus C. Bascapé, 16. Jahrhundert: Però lascia i piaceri […] e sta più tosto pregando. • Beispiel (3) für den Ausdruck der Durativität aus G. Galilei, Beginn des 17. Jahrhunderts: […] e domani vi starò attendendo amendue per continuare i discorsi cominciati. 117 Die zweite Stufe wird von einer beginnenden Grammatikalisierungsphase gekennzeichnet in der das lokative Verb allmählich zum Hilfsverb wird. Die Form ist anders als im heutigen Italienisch den perfektiven Tempora zugänglich. Auf der dritten Stufe hat das lokative Verb endgültig den Hilfsverbstatus erlangt. Die Desemantisierung ist abgeschlossen. Auf der vierten Stufe geht die durative Ausdruckskraft verloren. Im Kontext muss die fokalisierende Lesart möglich sein, um eine prototypische Anwendung der Periphrase zu erlauben. Ferner ist die Zugänglichkeit zu perfektiven Tempora unterbunden. Auf der fünften Stufe vollzieht sich der Wandel vom Progressiv zum Imperfektiv, d. h. eine Öffnung zur Habitualität ist erfolgt. 118 Im modernen Italienisch wird die progressive Verbalperiphrase im Gegensatz zu anderen romanischen Sprachen (vgl. Spanisch, Katalanisch, Portugiesisch), in welchen eine durative Lesart von progressiven Verbalperiphrasen möglich ist, 119 überwiegend fokalisierend gebraucht. 120 Das Italienische befindet sich laut Bertinetto in einer Übergangsphase von Stufe 4 zu Stufe 5. Morphologisch gesehen sind Realisierungen von stare + ge- 116 BERTINETTO (2000: 563) 117 BERTINETTO (2000: 563-564) 118 BERTINETTO ET AL. (2000: 539-540) 119 BERTINETTO (2000: 571) 120 BERTINETTO (2000: 564) <?page no="52"?> 52 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht rundio nur mit imperfektiven Formen möglich. Auf der Ebene der Assertionszeit handelt es sich in den meisten Fällen um eine Fokalisierung, dennoch sind im Italienischen der Gegenwart auch habituelle Bedeutungen mit der Form stare + gerundio verknüpft. Ramat (1995) und Bertinetto (1986) stufen diese Realisierungen als marginal und umgangssprachlich ein. Im empirischen Teil dieser Arbeit kann jedoch aufgezeigt werden, dass diese mehr und mehr an Frequenz gewinnen (vgl. Kapitel 11). 1.4. Relevanz des grammatischen und lexikalischen Aspekts im Italienischen In diesem Unterkapitel geht es nun abschließend um die Frage, inwiefern im Italienischen Verbalsystem aspektuelle Kategorien zum Ausdruck kommen. Verglichen beispielsweise mit den slawischen Sprachen, in denen der aspektuelle Kontrast perfektiv/ imperfektiv klar über die Morphologie und durch wortbildende Elemente über alle Tempora hindurch markiert ist, scheint Aspekt im Sinne des Kontrasts perfektiv/ imperfektiv im Italienischen auf den ersten Blick nur eine marginale Rolle zu spielen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich eben dieser Kontrast im Italienischen lediglich auf die Vergangenheitstempora bezieht: „The opposition between an imperfective and a perfective form is restricted to past time reference. With present and future time reference the distinction is neutralizd, namely the same form can be used both in perfective and imperfective contexts.“ 121 Beispiele für den Kontrast perfektiv/ imperfektiv (passato prossimo bzw. imperfetto) in den italienischen Vergangenheitstempora fasst die folgende Tabelle (Tab. 1) nach Squartini zusammen. 122 Situation Tempus Beispielsatz Zustände (= imperfektiv) Imperfekt (Imperfetto) La casa si trovava in campagna. Darstellung der Situation als Ganzes (= perfektiv) Perfekt (Passato prossimo) Grazie, è stata una bellissima cena. ? Grazie, era una bellissima cena. Non-permanente Zustände Imperfekt oder Perfekt je nach temporaler Angabe Ieri Paolo era malato. Paolo è stato malato per due giorni. Tab. 1: Beispiele für den Kontrast perfektiv/ imperfektiv in den italienischen Vergangenheitstempora (Squartini 1995) 121 SQUARTINI (1995: 118-199) 122 SQUARTINI (1995: 119) <?page no="53"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 53 Schwarze präsentiert eine sehr problematische Darstellung des Aspekts im Italienischen (vgl. Tab. 2), indem er die Tempora einfach dem Kontrast perfektiv/ imperfektiv zuweist: 123 Imperfektiver Aspekt Perfektiver Aspekt • Präsens • Imperfekt • Plusquamperfekt I • Einfaches Gerundium • Einfaches Perfekt • Zusammengesetztes Perfekt • Plusquamperfekt II • Zusammengesetztes Futur • Zusammengesetztes Konditional • Zusammengesetzter Infinitiv • Zusammengesetztes Gerundium Tab. 2: Aspekt im Italienischen nach Schwarze (1995) Die Kritik an Schwarze fußt auf der Tatsache, dass seine Einteilung den kontextbezogenen verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der einzelnen Aspekte in keiner Weise Rechnung trägt. Eine imperfektive oder perfektive Bedeutung wird nicht allein durch das Tempus definiert, sondern ergibt sich durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren. An dieser Stelle sei an das eingangs bereits genannte Beispiel von Bertinetto erinnert, das verdeutlicht, dass allein durch die Wahl des Subjekts die Lesart einer Situation beeinflusst werden kann: Il sasso cade nicht-durativ La pioggia durativ Ob nur durch das Präsens das Fallen des Steins als „imperfektiv“ zu verstehen sein soll, ist fraglich. Im Falle des Regens ist ein imperfektiver Aspekt klar anzunehmen. Das Fallen des Steins schließt den imperfektiven Aspekt aufgrund des Weltwissens jedoch aus. Hier wird deutlich, dass der grammatische Aspekt, also die Darstellung einer Situation als perfektiv oder imperfektiv, auch vom lexikalischen Aspekt bedingt ist, der wie bereits gezeigt wurde, sehr kontextabhängig ist. Es zeigt sich also erneut die Schwierigkeit, den grammatischen Aspekt als losgelöste Kategorie zu sehen, die als unabhängig von den anderen Konstituenten einer Äußerung zu betrachten ist. Schwarze selbst argumentiert, dass im Italienischen „die beiden Aspekte (perfektiv und imperfektiv) mit den Aktionsarten frei zusammenspielen können. So kann ein Vorgang, der durch ein Verb 123 SCHWARZE (1995: 719) <?page no="54"?> 54 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht mit durativer Aktionsart bezeichnet wird, sowohl als abgeschlossen wie auch als nicht abgeschlossen betrachtet und entsprechend durch die Wahl des Tempus dargestellt werden.“ 124 Folglich ist die Zuweisung des Präsens zum imperfektiven Aspekt mit Vorsicht zu behandeln, da immer der Kontext sowie das Zusammenspiel von Aspekt und Aktionsart die intendierte Lesart ergeben. Brianti hat für das Italienische ein Aspektmodell entworfen, das das Zusammenwirken mehrerer Faktoren verdeutlicht. Es zeigt, dass es im Italienischen nicht möglich ist, das komplexe Feld des Aspektes verkürzt darzustellen. Briantis Modell verdeutlicht, wie differenziert die Betrachtung zu erfolgen hat. Abb. 6: Das Aspektmodell nach Brianti (2000) Brianti (2000) erläutert, dass der morphologische Aspekt den Tempora zugeordnet wird 125 und eine Unterscheidung zwischen perfektiv und imperfektiv mittels Stammbildungen und/ oder Flexionsformen erlaubt. 126 Der morphologische Aspekt manifestiert sich im Italienischen einzig in den Vergangenheitstempora. Der lexikalische Aspekt ergibt sich dagegen aus den temporalen Eigenschaften, die semantisch in einem Lexem angelegt sind. 127 Der syntagmatische Aspekt bezeichnet schließlich eine Kombination aus dem Verbalsyn- 124 SCHWARZE (1995: 720) 125 BRIANTI (2000: 37) 126 STEMPEL (1999: 25) 127 BRIANTI (2000: 39) <?page no="55"?> Aspekt: Eine Begriffsklärung 55 tagma und anderen Syntagmen des Satzes. 128 Der syntagmatische Aspekt wird in der Regel mit aspektuellen Verbalperiphrasen gebildet. 129 Folglich drückt nach Brianti die Verbalperiphrase stare + gerundio, die in dieser Arbeit im Vordergrund steht, den syntagmatischen Aspekt aus. Die drei genannten Kategorien interagieren jedoch miteinander. Dies kann am Beispiel des Verbs starnutire (niesen) verdeutlicht werden. Es drückt auf lexikalischer Ebene einen punktuellen Wert aus, kann aber auch durativ gebraucht werden, wenn es in einen iterativen Kontext eingebettet wird (vgl. Giacomino starnutì per cinque minuti di fila). Brianti fasst die Interaktion zwischen den aspektuellen Kategorien wie folgt zusammen: „La valenza aspettuale si misura a livello frastico, tenendo conto cioè di tutti i fattori contestuali suscettibili di influenzare la categoria aspettuale determinata a livello sintattico-lessicale.“ 130 Die Beispiele zeigen, dass aspektuelle Bedeutungen verschiedenen Einflussfaktoren unterworfen sind. Die Kategorie Aspekt verteilt sich folglich im Italienischen auf mehrere Ebenen und kommt durch das Zusammenspiel verschiedener Kategorien zum Ausdruck. Nachdem in den vorausgegangenen Unterkapiteln eine systematische Darstellung der Kategorie Aspekt gegeben wurde, schließt dieses Kapitel mit einer vorläufigen Bilanz ab, die den empirischen Teil der Arbeit vorbereitet. 1.5. Offene Fragen Im vorausgehenden Kapitel wurden verschiedene Ansätze erörtert, die aufzeigen, dass die Merkmalsbeschreibung des grammatischen Aspekts entweder durch den Betrachtungswinkel bzw. durch das Kriterium der Begrenzung oder durch zeitrelationale Kriterien (vgl. Aspekttheorie nach Klein) erfolgen kann. Der progressive Aspekt als besonderer Ausdruck des grammatischen Aspekts wird im Italienischen hinsichtlich seiner „Grundsemantik“ folgendermaßen bestimmt: Der progressive Aspekt drückt „Ongoingness“ aus 131 und fokussiert einen bestimmten Punkt innerhalb des beschriebenen Geschehens. 132 Die Assertionszeit ist dabei vollständig in der Situationszeit eingeschlossen. 133 Besonderes Augenmerk wurde in der Forschung den Kom- 128 BRIANTI (2000: 42) 129 BRIANTI (2000: 74) 130 BRIANTI (2000: 37-38) 131 COMRIE (1995: 1245) 132 BERTINETTO (1986: 120) 133 KLEIN (2000b: 752) <?page no="56"?> 56 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht binationsmöglichkeiten und Restriktionen des progressiven Aspekts mit Satzkonstituenten (Verben, Adverbien) 134 gewidmet, um daraus Eigenschaften der Verbalperiphrase abzuleiten. Zu ergänzen sind meiner Ansicht nach Antworten auf die Fragen, die sich mit einer detaillierten Analyse der Gebrauchsdeterminanten der Form beschäftigen. Dabei steht weniger der Gebrauch im Hinblick auf Verbklassen oder Kombinationen mit anderen Satzkonstituenten im Vordergrund, 135 sondern jene Eigenschaften, die als Steuerungsgrößen für die Selektion der Form fungieren. Was muss also in der außersprachlichen Wirklichkeit gegeben sein, dass ein Sprecher stare + gerundio verwendet? Konkret ausgedrückt geht es um folgende Leitfragen: • Welche temporalen Eigenschaften tragen außersprachliche Situationen 136 (außer dem Merkmal „im Verlauf begriffen“), die den Gebrauch von stare + gerundio beeinflussen? Ist das Kriterium der Unbegrenztheit (unboundedness) tatsächlich der tragende Faktor? • Welches Zusammenspiel besteht zwischen den temporalen Eigenschaften der außersprachlichen Situationen und den mit stare + gerundio verwendeten Verben? Die bereits in der Einleitung diskutierte Trennung der Betrachtungsebenen liefert für die Beantwortung dieser Fragen ein dankbares Instrument. Es wird somit ein Blick auf den Bedeutungsumfang von stare + gerundio gerichtet, der in dieser Form bislang nicht betrachtet wurde. 2. Die Verbalperiphrase stare + gerundio Nachdem im vorausgegangenen Kapitel die Grundlagen für das Verständnis der Kategorie Aspekt herausgearbeitet wurden, rückt nun die Verbalperiphrase stare + gerundio in den Vordergrund, die einen progressiven Aspekt kodiert. Es werden in diesem Kapitel Besonderheiten der italienischen progressiven Verbalperiphrase eingehend betrachtet. 134 vgl. BERTINETTO (1986: 174 ff.) 135 Bertinetto hat in seiner Bibliographie zum Konstrukt dafür Pionierarbeit geleistet. 136 Die untergeordnete Rolle, die die außersprachliche Situation in der Forschungsliteratur als Gegenspieler zu den mit ihr verbundenen sprachlichen Ausdrücken spielt, zeigt sich besonders in dem gängigen Begriff des „Situationstyps“. Dieser bezieht sich nicht auf die außersprachliche Situation, sondern auf die Verben, die diese repräsentieren. Die außersprachliche Situation stellt beispielsweise bei SMITH (1991: 28) lediglich die „idealisierte“ Situation dar, die mit den Verben assoziiert wird. <?page no="57"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 57 Zunächst erfolgt eine formale und funktionale Beschreibung der Verbalperiphrase stare + gerundio. Neben Ausführungen zur Morphologie und Semantik der Form, wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Periphrase innerhalb der italienischen Sprachgeschichte bis hin zur Verankerung im Italienischen der Gegenwart gegeben. Anmerkungen zur diatopischen Distribution der Form sowie eine Gegenüberstellung zu anderen progressiven Verbalperiphrasen des Italienischen, des Französischen und Spanischen schließen dieses Kapitel ab. Verbalperiphrasen nehmen als Träger verschiedener aspektueller Bedeutungen im Italienischen und Romanischen einen umfangreichen Rahmen ein. Aus diesem Grunde wird anschließend das Verbalperiphrasenkonstrukt als solches näher beschrieben und diskutiert. 2.1. Die Verbalperiphrase: Definitionen und Identifikationskriterien Die romanischen Sprachen verfügen wie bereits angemerkt über ein ausgeprägtes Inventarium an periphrastischen Verbalkonstruktionen. Obwohl intuitiv die Zuweisung eines Periphrasenstatus kaum Schwierigkeiten bereitet, ist eine stringente und einheitliche Definition der Verbalperiphrase nicht immer gegeben. Die Heterogenität des romanischen Verbalperiphrasenspektrums macht es schier unmöglich, sämtliche Verbalperiphrasen der Romania unter einem universellen Raster zu fassen und ihre Gesamtheit zu erfassen. 137 In diesem Unterkapitel werden daher verschiedene etablierte Definitionen und Identifikationskriterien der Verbalperiphrasen erläutert. Coseriu definiert die Verbalperiphrase als ein „sprachliches materiell mehrgliedriges Zeichen, das eine einheitliche, eingliedrige Bedeutung hat.“ 138 137 DIETRICH (1973: 1-2) unterscheidet unter den Verbalperiphrasen drei Gruppierungen: passive und kausative, sowie temporale und aspektuelle Periphrasen. 138 COSERIU (1976: 119). Legt man diese Definition von Coseriu zugrunde, stellt sich die Frage, ob eine Äußerung wie cominciare a scrivere einen Periphrasenstatus hat, da keines der Glieder einer Desemantisierung unterworfen ist. SQUARTINI (1990: 123-124) kritisiert an der von Coseriu entwickelten Definition, dass er diejenigen grammatikalischen Periphrasen vernachlässigt, in denen keine Desemantisierung des Hilfsverbs stattfindet. Beispielsweise behalten alle Glieder der grammatischen Periphrasen wie cominciare a scrivere oder continuare a scrivere ihre lexikalische Bedeutung bei, sodass das Hilfsverb keine rein grammatische Funktion erfüllt. Squartini plädiert dafür, Verbalperiphrasen ein „elastisches Prinzip“ zuzuschreiben, da es keine Kriterien zur Identifizierung gibt, die für alle Verbalperiphrasen gleichermaßen gelten. Da nicht alle Verbalperiphrasen die gleichen Eigenschaften teilen und somit über unterschiedliche Ausprägungen verfügen, sind sie in ihrer Periphrastizität, d. h. in der Ausprägung ihres Periphrasenstatus, zu unterscheiden. <?page no="58"?> 58 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Er betont die morphologische Mehrgliedrigkeit der Verbalperiphrase, da sie beispielsweise im Falle von stare + gerundio aus einem flektierten Hilfsverb (stare) und einer gerundiven Verbform besteht. Die eingliedrige Bedeutung kommt hingegen dadurch zustande, dass das flektierte Hilfsverb desemantisiert wird, während die gerundive Form ihre volle lexikalische Bedeutung beibehält. 139 Bertinetto räumt ein, dass die Definition und Identifikation von romanischen Verbalperiphrasen den Linguisten vor zahlreiche Probleme stellt, da bei der Zuweisung des Periphrasenstatus keine einheitliche Vorgehensweise angewandt werden kann. Aus diesem Grunde stellt er einen Katalog an Identifikationskriterien für die Bestimmung eines Periphrasenstatus auf, den er zwar nicht als exhaustiv bezeichnet, der aber dennoch eine Orientierung für die Bestimmung des Periphrasenstatus eines Verbalausdrucks gibt. Zunächst führt er das Kriterium der semantischen Integration (integrazione semantica) an, das besagt, dass eine Periphrase eine komplexe Bedeutung trägt, die sich nicht aus der Summe der einzelnen Lexeme ergibt. 140 Jedoch betont Bertinetto, dass dieses Kriterium nicht ausreichend ist, da es genauso auf idiomatische Ausdrücke sowie auf zusammengesetzte Tempora zutrifft. 141 Darüber hinaus zählt für Bertinetto ebenso wie für Coseriu die Desemantisierung der Auxiliare (desemantizzazione dei modificatori) als Identifikationskriterium für Verbalperiphrasen. 142 Ferner nennt Bertinetto auch die morphologische Struktur (struttura morfologica) als grundlegendes Charakteristikum für Verbalperiphrasen, da sie aus einem konjugierten Auxiliar (verbo modificatore) sowie aus einem infiniten Verb wie Gerundium, Partizip oder Infinitiv bestehen. 143 Kritisch betrachtet führt dieses Kriterium dazu, auch die zusammengesetzten Tempora zu den Verbalperiphrasen zu zählen, was nicht allseits anerkannt wird. 144 Als weiteres Kriterium zählt Bertinetto die beschränkte Anzahl an Auxiliaren auf (numero ristretto di modificator), die für Verbalperiphrasen genutzt werden. 145 Nach Dietrich 146 können diese unter anderem in folgende Kategorien unterteilt werden: 139 COSERIU (1976: 120) 140 BERTINETTO (1990b: 332), vgl. auch COSERIU (1976: 119-120) 141 BERTINETTO (1990b: 335) 142 BERTINETTO (1990b: 337) plädiert dafür, Verbalperiphrasen dieser Art als perifrasi fasali zu bezeichnen, da sie eine bestimmte Phase einer Verbalhandlung bezeichnen. 143 BERTINETTO (1990b: 332) 144 BERTINETTO (1990b: 336) 145 BERTINETTO (1990b: 332) 146 DIETRICH (1973: 9) <?page no="59"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 59 • Zustandsverben (stare, essere etc.) • Bewegungsverben (andare, venire etc.) • Verben, die Besitz anzeigen (avere, tenere etc.) Bertinetto weist auch die syntaktische Einheitlichkeit (organicità sintattica) als Parameter für die Definition von Verbalperiphrasen aus. Damit drückt er aus, dass nur eine begrenzte Anzahl an Elementen innerhalb einer Periphrase platziert werden kann, da ansonsten der Periphrasenstatus verloren geht. Ohne die syntaktische Kompaktheit zu gefährden, können beispielsweise Adverbien innerhalb der Glieder der Periphrase platziert werden. 147 Als weiteres Kriterium fügt Bertinetto 148 die von Dietrich postulierte „funktionelle Opposition der periphrastischen Konstruktion zu anderen morphologisch gekennzeichneten grammatischen Kategorien eines Gliedes der Periphrase“ an. Die funktionelle Opposition ist dann gegeben, wenn die Verbalperiphrase durch eine einfache Form „desselben vermuteten Paradigmas“ ersetzt werden kann. 149 Wendet man die oben genannten Kriterien auf die Verbalperiphrase stare + gerundio an, wird deutlich, dass die Form uneingeschränkt als Verbalperiphrase bezeichnet werden kann. Im Falle der semantischen Integration verliert das Auxiliar stare seine lexikalische Bedeutung, da ansonsten Äußerungen wie Il treno sta partendo missverständlich wären. Das heißt, die Bedeutung der Periphrase ergibt sich nicht aus der Summe der einzelnen Lexeme. Es liegt folglich eine Desemantisierung des Auxiliars vor, ohne die die semantische Integration nicht möglich wäre. Auch bezüglich der morphologischen Struktur haben wir es bei stare + gerundio mit einer Verbalperiphrase zu tun, da sie aus einem konjugierten Hilfsverb (stare, das in diesem Falle ein Zustandsverb ist) sowie aus einem infiniten, gerundiven Verb besteht. Bezüglich der funktionellen Opposition ist zu sagen, dass im Italienischen der Gegenwart sämtliche Verwendungen mit stare + gerundio formal durch das Präsens Indikativ ersetzt werden können. Allerdings können stare + gerundio und die das Präsens Indikativ nicht automatisch gleichgesetzt werden. Dadurch, dass das Präsens über mehrere Lesarten verfügt, ergibt sich die progressive Lesart nicht per se. Bertinetto (1990) spricht der Verbalperiphrase stare + gerundio skalar betrachtet den höchsten Periphrasenstatus zu, der mit der Grammatikalisierung der Form einhergeht: 147 BERTINETTO (1990b: 338); vgl. auch DIETRICH (1973: 56) 148 BERTINETTO (1990b: 333) 149 DIETRICH (1973: 56) <?page no="60"?> 60 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht „Per servirsi di una comoda metafora, diremo che quanto più una perifrasi si è arrampicata sulle varie scale parametriche, tanto maggiore sarà lo stadio di grammaticalizzazione raggiunto.“ 150 Unter Grammatikalisierung wird hier zunächst gefasst, dass „ein sprachliches Zeichen von der Ebene der lexikalischen Einheiten auf die Ebene des Grammatischen übergeht, d. h. instrumental und damit grammatisch distinktiv werden kann.“ 151 Im Falle der italienischen Verbalperiphrasen sieht Bertinetto den Grad der Grammatikalisierung wie folgt verteilt: stare + gerundio > andare/ venire + gerundio > stare per + infinto > perifrasi abituali > andare + participio perfetto > avere da + infinito > übrige perifrasi fasali. 152 Nachdem nun der Periphrasenstatus der Form erläutert wurde, folgen im nächsten Abschnitt Ausführungen zur Verankerung der Form im italienischen Verbalsystem. 2.2. Die Verankerung von stare + gerundio im italienischen Verbalsystem Der Verbalperiphrase stare + gerundio wird in der Fachliteratur eine zunehmende Verbreitung attestiert und damit als eine der Tendenzen betrachtet, die das Italienische der Gegenwart kennzeichnen. 153 Die Fakultativität, die den Gebrauch von stare + gerundio charakterisiert, zeigt, dass die Verwendung der Form von einer gewissen Dynamik getragen wird. Der folgende Abschnitt beleuchtet die Rolle, die die untersuchte Form im italienischen Verbalsystem spielt. Wie bereits verdeutlicht wurde, ist die Verwendung von stare + gerundio trotz der wachsenden Verbreitung nie obligatorisch, um auf eine progressive Sichtweise zu verweisen. 154 Verweist ein Proband der vorliegenden Experimentreihe auf die Szene, in der eine Frau gezeigt wird, die gerade eine Kuh melkt, besteht für den Sprecher die Wahlmöglichkeit zwischen der einfachen Form des Präsens Indikativ sowie einer Realisierung mit stare + gerundio. So alternieren in den Datensätzen Äußerungen wie: 150 BERTINETTO (1990b: 347-348) 151 DIETRICH (1973: 57); vgl. auch MEILLET (1912: 6) 152 BERTINETTO (1990b: 347) 153 vgl. BERTINETTO (1990: 29), BERRETTA (1993: 220), STRUDSHOLM (2004: 2), D’ACHILLE (2003: 123), HEINEMANN (2003: 176), CORTELAZZO (2007: 175) 154 GIACALONE RAMAT (1995: 54) <?page no="61"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 61 qua invece c’è una signora che sta mungendo una mucca. sowie c’è una signora che munge una mucca. Diese Wahlmöglichkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass die einfache Form des Präsens Indikativ eine progressive sowie eine nicht-progressive Bedeutung trägt. Die Form ist also ambig. Unter nicht-progressiver Bedeutung werden hierbei alle deiktischen und nicht-deiktischen, sowie sämtliche aspektuelle Verwendungsweisen des Präsens Indikativ mit Ausnahme des Progressivs gefasst. 155 Die Verbalperiphrase stare + gerundio trägt hingegen eine rein progressive Bedeutung. Dadurch, dass diese progressive Bedeutung auch von der einfachen Form getragen wird, kann stare + gerundio als markierte Form begriffen werden. 156 Im Italienischen ist stare + gerundio insofern als markiert zu begreifen, da laut Smith die markierte Form eine Emphase ausdrückt: „Speakers make marked aspectual choices to convey emphasis of some kind, and for various rhetorical and pragmatic reasons.“ 157 Tatsächlich weisen einige Beispiele aus dem Italienischen, die in Kapitel 9 besprochen werden, deutlich den Ausdruck von Emphase auf. Dies ist insofern möglich, als dass durch die nicht vollständig abgeschlossene Grammatikalisierung Spielraum (im Sinne einer zwingenden Verwendung von stare + gerundio in bestimmten Kontexten) für pragmatische Wirkungsweisen vorhanden ist. Um auszudrücken, dass sich eine Handlung im Verlauf befindet, kann im Italienischen somit auf zwei Formen zurückgegriffen werden. Der Sprecher hat die Wahl zwischen der einfachen Präsensform und stare + gerundio. Dies ist insofern möglich, als dass im Italienischen, anders als im Englischen, kein 155 vgl. BERTINETTO (1986: 325-349) 156 Dem Begriff „Markiertheit“ (engl. markedness) wird folgende Definition zugrunde gelegt: „The notion of markedness can be generalized to distinguish the standard from the unusual, which makes it relevant to the understanding of aspectual choice. We distinguish as unmarked the standard, conventional choices that speaker make, unusual choices are marked.“ SMITH (1991: 16). Aufgrund der langen Ausbauphase von stare + gerundio liegt im Italienischen mit stare + gerundio keine „unübliche“ Form mehr vor, dennoch steht sie bezüglich der „Erwartbarkeit“ (vgl. Lüdtke 1988: 1637) (noch) hinter der einfachen Form des Präsens Indikativ, was als Ergebnis der Frequenz-Untersuchung hier schon vorweggenommen werden kann. Die Markiertheit bezieht sich auf die aspektuelle Bedeutung. Als Periphrasenkonstrukt ist stare + gerundio daher nicht als markiert zu werten. 157 SMITH (1991: 16) <?page no="62"?> 62 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Kontrast zwischen der einfachen Form und der progressiven Form vorliegt. Im Englischen liegt dagegen aufgrund des Kontrasts zwischen der einfachen und der progressiven Form ein Bedeutungsunterschied zwischen folgenden beiden Sätzen vor, der in der „specific generic distinction“ 158 fußt. Birds sing vs. Birds are singing Dem Satz Birds sing liegt präferiert eine generische Lesart zugrunde, die eine charakterisierende Komponente in sich birgt. Im Satz Birds are singing wird hingegen geltend gemacht, dass das Singen der Vögel zeitlich begrenzt ist. Wesentlich ist folglich, dass mit dem Progressiv auf eine bestimmte Situation verwiesen wird, die als nicht charakteristisch gilt, weil sie eben temporal beschränkt ist. Es gibt im Englischen eine starke Tendenz, das Progressiv mit einer bestimmten, nicht charakteristischen Situation zu verbinden (Episoden oder isolierte Ereignisse), 159 während die einfache Form des Präsens eher für eine allgemeine Eigenschaft steht. Es besteht somit ein Kontrast zwischen einer zeitlich begrenzten Aussage, die im Progressiv steht (wobei die Dauer sich über einen weiten Zeitraum erstrecken kann wie im Beispiel She is studying law) und einer Aussage, die eine Charakterisierung erlaubt. 160 Im Italienischen ist diese Unterscheidung nicht gegeben. Zwar wird auch hier eine generische Bedeutung im Sinne einer generellen Eigenschaft mit der einfachen Form des Präsens Indikativ ausgedrückt (Beispiel: „Gli uccelli cantano“). Das Progressiv steht dieser Form jedoch nicht dichotomisch entgegen. So kann der Satz „Marco stira le camicie“ je nach Kontext sowohl generisch als auch progressiv verstanden werden. Wird die Frage gestellt, was Marco in eben diesem Moment macht, kann in der Antwort sowohl die einfache Form als auch das Progressiv verwendet werden. An dieser Stelle wird der Begriff der Grammatikalisierung entscheidend, der in Zusammenhang mit der Verbalperiphrase stare + gerundio oft missverständlich gebraucht wird. Denn gerade bezüglich der Austauschbarkeit zwischen der einfachen Form des Präsens Indikativ und stare + gerundio wird die Verbalperiphrase als nicht voll grammatikalisiert beschrieben: „It is not fully grammaticalized since the corresponding synthetical form can always be used instead of the periphrasis.“ 161 158 DAHL (1995: 412 ff.) 159 KRIFKA & AL. (1995: 6) 160 vgl. KRIFKA & AL. (1995: 3): „We will call sentences like these (John smokes a cigar after dinner) characterizing sentences, or simply generic sentences, as they express generalizations. They are opposed to particular sentences, which express statements about particular events (…).“ 161 SQUARTINI (1995: 127) <?page no="63"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 63 Das Konzept der obligatorization, also der Tatsache, dass eine Form in bestimmten Kontexten obligatorisch ist, gilt als ein wichtiger Faktor für die Bestimmung des Grammatikalisierungsgrades einer Form. 162 In anderen Publikationen wird stare + gerundio als sehr stark grammatikalisiert beschrieben, dort ist jedoch nicht die Beziehung zum Präsens Indikativ gemeint, sondern der Grammatikalisierungsgrad im Vergleich zu anderen Verbalperiphrasen des Verbalsystems. 163 2.3. Das Distributionsverhalten von stare + gerundio Nachdem im vorangegangen Unterkapitel Hintergrundinformationen zu stare + gerundio erläutert wurden, soll im folgenden Unterkapitel aufgezeigt werden, welches Distributionsverhalten stare + gerundio nach den bisherigen Studien zugrunde gelegt wird. Dabei werden drei Beschreibungsebenen im Vordergrund stehen: Die morphologische, die verbsemantische sowie die syntaktische Beschreibungsebene. 2.3.1. Morphologische Charakteristika Im folgenden Abschnitt folgen Charakteristika, die die Morphologie von stare + gerundio betreffen: • Stare + gerundio kann in Verbindung mit dem Präsens Indikativ, dem Imperfekt Indikativ, dem Futur, dem einfachen Konditional und den nicht zusammengesetzten Formen des Konjunktivs verwendet werden. 164 • Stare + gerundio kann nicht passivisch gebraucht werden. Eine Äußerung wie *il pranzo sta essendo servito ist grammatikalisch falsch. • Stare + gerundio kann nicht in Verbindung mit dem Imperativ auftreten. Diese Eigenschaft bestätigt die imperfektive Natur der Verbalperiphrase, da der Imperativ einen globalen Betrachtungspunkt einer Handlung voraussetzt, der den Endpunkt einer Verbalhandlung mit einbezieht. 165 Somit 162 DAHL (2000: 9) 163 LACA (1996: 21): „Insbesondere bei der Erforschung von periphrastischen Konstruktionen führt diese Tatsache (Grammatikalisierungsprozesse auch bei Einheiten in bestimmten Konstruktionen) zu einer störenden Zweideutigkeit in der Verwendung des Begriffes. „Grammatikalisierung“ wird manchmal auf einen Bestandteil der Konstruktion angewandt - und somit der „Auxiliarisierung“ gleichgesetzt -, manchmal aber auf die Konstruktion als Ganzes, auf ihre Semantik oder auf die Rolle der durch sie ausgedrückten Kategorie im System der Sprache.“ 164 SQUARTINI (1995: 127) 165 BERTINETTO (1986: 138) <?page no="64"?> 64 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht ist die Äußerung *sta lavorando, fannullone ebenfalls grammatikalisch falsch. • Stare + gerundio kann nicht mit den perfektiven Tempora des Indikativs kombiniert werden, daher ist folgende Äußerung nicht möglich: *Stette camminando per un bel pezzo. 166 • Stare + gerundio ist in den Vergangenheitsformen nur mit dem Imperfekt realisierbar. 167 2.3.2. Verbsemantische Restriktionen und Besonderheiten Im folgenden Abschnitt werden Restriktionen bezüglich der Verbtypen, die mit stare + gerundio verwendet werden, aufgeführt: • Statische Verben können normalerweise nicht mit stare + gerundio verbunden werden, es sei denn sie tragen im betreffenden Kontext eine nichtstatische, also eine dynamische Bedeutung. So ist die Äußerung „sta dormendo profondamente“ möglich, da das statische Verb in diesem Fall eine kontinuative Bedeutung trägt. Dagegen ist das Enunziat „*sta possedendo un’ automobile“ nicht realisierbar, da die statische Bedeutung des Hilfsverbs erhalten bleibt. 168 Eine Ausnahme zur Nicht-Kombinierbarkeit mit statischen Verben liegt dann vor, wenn ein Verb durch die Realisierung mit stare + gerundio eine andere semantische Ausprägung erfährt. So trägt laut Bertinetto das Verb im Satz „sta avendo notevole successo“ nicht die Bedeutung von „haben“ (avere), sondern von „erlangen“ (ottenere) und ist somit mit der progressiven Periphrase vereinbar. 169 Der Grund für die Unvereinbarkeit von progressivem Aspekt und statischen Verben wird von einigen Autoren in der Tatsache gesehen, dass sowohl im Falle des progressiven Aspekts als auch im Falle der statischen Verben ähnliche Charakteristika vorliegen. So liegt in beiden Fällen eine Nicht-Kombinierbarkeit mit dem Imperativ oder eine Präferenz für Adverbien wie già, ancora und ormai vor. Jedoch liegen auch eine Reihe unterschiedlicher Merkmale vor, sodass laut Bertinetto dieses Argument nicht akzeptiert werden kann. 170 • Stare + gerundio erhält in Kombination mit transformativen Verben eine inchoative Bedeutung (vgl. „il treno sta partendo“). 166 BERTINETTO (1990: 31) 167 LEPSCHY, A. L./ LEPSCHY, G. (1977: 140) 168 BERTINETTO (1990: 32) 169 BERTINETTO (1990: 32) 170 BERTINETTO (1990: 34-35) <?page no="65"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 65 • Stare + gerundio kann nur schwer mit der Bedeutung von „Gewohnheit“ kombiniert werden, 171 da die Verbalperiphrase sonst mit der Semelfaktivität der Handlung sowie dem Verlust des fokussierenden Betrachtungspunktes (punto di focalizzazione) zwei zentrale Charakteristika ihrer progressiven Bedeutung verlieren würde. 172 • Stare + gerundio kann in Anknüpfung an die vorangehende Einschränkung nicht mit Temporaladverbien verbunden werden, die eine begrenzte Dauer ausdrücken. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn diese Adverbien eine Kontinuität ausdrücken (vgl. „*per tutta la settimana stavo lavorando fortemente“). 173 • Stare + gerundio kann keine das Futur betreffende Valenz haben und kann daher nicht verwendet werden, um ein zukünftiges Ereignis zu beschreiben. • Stare + gerundio kann nicht mit Modalverben verwendet werden (vgl. „gli stava dovendo dare spiegare la situazione“). 174 2.3.3. Syntaktische Charakteristika Im folgenden Abschnitt werden zuletzt Besonderheiten hinsichtlich der syntaktischen Einbettung von stare + gerundio in das Satzgefüge aufgeführt. • Stare + gerundio ist selten in beiden Satzteilen eines korrelativen Konstrukts zu finden (vgl. „*quanto più il valore del dollaro stava crescendo, tanto più la lira stava scendendo“). • Stare + gerundio wird selten in beiden Satzteilen eines Temporalgefüges verwendet (vgl. „mentre stavo parlando lui stava fumando“). 175 2.4. Ein diachronischer Exkurs Bis hierhin wurden die semantischen Eigenschaften der progressiven Verbalperiphrase sowie ihre Gebrauchsbedingungen beschrieben. Im folgenden Exkurs wird nun die aspektuelle Herkunft der Verbalperiphrase stare + gerundio beleuchtet. Dabei wird ein Bogen vom Altgriechischen bis zum modernen 171 Von dieser Einschränkung sind laut Bertinetto weniger gehobene Stilregister ausgeschlossen, in welchen hin und wieder stare + gerundio in Verbindung mit einem habituellen Kontext auftritt (Bsp. ? ? Non ascolti mai ciò che la gente sta dicendo), BERTINETTO (1990: 32) 172 BERTINETTO (1986: 138) 173 BERTINETTO (1986: 138) 174 BERTINETTO (1990: 32-33) 175 BERTINETTO (1990: 33) <?page no="66"?> 66 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Italienisch gespannt, um den „Werdegang“ von stare + gerundio verständlich zu machen. 2.4.1. Die Herkunft der romanischen Aspektperiphrasen Wie bereits betont wurde, werden sämtliche romanische Sprachen durch das Vorhandensein zahlreicher Aspektperiphrasen charakterisiert. 176 Die Tatsache, dass der periphrastische Ausdruck von Aspektualität als ein gesamtromanisches Phänomen zu betrachten ist, lässt die Frage nach der Herkunft dieses Musters aufkommen. Die Frage nach der Etymologie der romanischen Aspektperiphrasen lässt sich zunächst in zweierlei Hinsicht beantworten. Es wird hierbei zwischen dem monogenetischen und dem polygenetischen Ansatz unterschieden. Die Theorie der Polygenese der Aspektperiphrasen fußt darauf, dass sich die Aspektperiphrasen unabhängig voneinander in den einzelnen romanischen Sprachen entwickelt haben. Der monogenetische Ansatz geht hingegen davon aus, dass sich die romanischen Aspektperiphrasen unter dem Einfluss des Altgriechischen etabliert haben. 177 Dietrich spricht sich eindeutig für den monogenetischen Ansatz aus, da „das Prinzip, bestimmte aspektuelle Kategorien durch bestimmte Arten von periphrastischen Konstruktionen auszudrücken, auf einer einheitlichen Basis beruhen muss“. 178 Zunächst möchte ich die morphologische Herkunft der italienischen Verbalperiphrase stare + gerundio beleuchten. Die lateinische Verbalperiphrase, die stare + gerundio vorausgeht, wird mit STARE + Ablativ des Gerundiums gebildet. Im Korpus von Dietrich ist sie allerdings nur zweimal belegt. Dies ist auf die kaum ausgeprägte Grammatikalisierung der lateinischen Verbalperiphrase zurückzuführen, die stare + gerundio zugrunde liegt. In beiden von Dietrich genannten Belegen wird deutlich, dass das lateinische STARE seine lexikalische Bedeutung behält und aufgrund der noch nicht ausgeprägten Auxiliarisierung auch keiner Desemantisierung unterworfen ist. 179 Somit hat die lateinische Verbalperiphrase, die rein morphologisch betrachtet den Ausgangspunkt für stare + gerundio liefert, keine aspektuelle Funktion. Das Verb stare ist von der Ablativform zu trennen und wird getrennt übersetzt. Beispiel: stetit cunctando (er stand da un zauderte). 180 176 vgl. DIETRICH (1973: 3-8) 177 vgl. COSERIU (1987) und BERTINETTO (1990) 178 DIETRICH (1973: 11) 179 DIETRICH (1973: 307) 180 LAMBERTZ (1987: 1074) <?page no="67"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 67 Doch in welcher Sprache findet sich die „einheitliche Basis“, die laut Dietrich das aspektuelle „Vorbild“ für die romanischen Verbalperiphrasen liefert? Dietrich schließt ein lateinisches Muster aus. Entgegen zahlreicher Behauptungen, die lateinische Periphrase esse + Partizip Präsens drücke eine aspektuelle Funktion aus, kann Dietrich aufgrund seines Korpus die aspektuelle Funktion von esse + Partizip Präsens verneinen bzw. sehr stark einschränken. Vielmehr drücke diese Periphrase eine „substantivische bzw. adjektivische Verwendung der Partizipien aus“. 181 Dietrich sieht in den altgriechischen Aspektperiphrasen den Ursprung der romanischen Aspektperiphrasen und beruft sich dabei auf Coseriu, der als Erster die Analogien zwischen den griechischen und romanischen Aspektperiphrasen festgestellt hat. 182 Für Coseriu kann die funktionelle Übereinstimmung zwischen den neugriechischen und den romanischen Aspektperiphrasen nur über das Altgriechische erklärt werden. 183 Aspektperiphrasen, die wie stare + gerundio die Betrachtung einer Handlung in ihrem Verlauf ausdrücken, waren Bestandteil des altgriechischen Verbalsystems. Diejenige Verbalperiphrase, die wie stare + gerundio als partialisierende Winkelschau 184 beschrieben wird, wird im Altgriechischen mit EiMi + Partizip Präsens gebildet. Die griechische Verbalperiphrase trägt die Bedeutung „daran sein“ oder „in etwas begriffen sein“ und bezeichnet so eine sich abspielende Handlung. 185 Die Übernahme von EiMi + Partizip Präsens in das Vulgärlatein lässt sich schwer belegen. 186 Das Eindringen dieser altgriechischen Form in das Vulgärlatein ist nicht als eine direkte Entlehnung zu betrachten, sondern stellt vielmehr eine Assimilation eines morphosyntaktischen Modells dar. 187 Der Prozess der analogen Übernahme der altgriechischen Form EiMi + Partizip Präsens im Vulgärlatein war von Domäne zu Domäne unterschiedlich ausgeprägt. D. h. nicht in allen Bereichen der schriftlichen Produktion wurden Aspektperiphrasen gleichmäßig verwendet. Dadurch, dass die griechische koiné die internationale Sprache der Christen war, finden sich syntaktische Entlehnungen aspektueller Natur eher in vulgärlateinischen christlichen als in profanen Schriften. Die Verbalformen der ersten weltlichen vulgärlatei- 181 DIETRICH (1973: 11-12) 182 DIETRICH (1973: 16-17) 183 COSERIU (1987: 62-63) 184 COSERIU (1976: 99-100) bezeichnet die partialisierende Winkelschau als Betrachtung einer Handlung zwischen zwei Punkten, d. h. in ihrem Ablauf. 185 COSERIU (1987: 57) 186 DIETRICH (1985: 223) 187 BRIANTI (1992: 231) <?page no="68"?> 68 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht nischen Texte sind stark vom klassischen Latein geprägt, daher finden sich selten gerundive Aspektperiphrasen. 188 An dieser Stelle stellt sich die Frage, weshalb im Vulgärlateinischen die Aspektperiphrasen nur selten belegt sind. Hierfür gibt es drei mögliche Erklärungen: Eine erste Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Tatsache, dass es schon im Lateinischen nur begrenzte Möglichkeiten gab, den Verbalaspekt auf morphologischem Wege auszudrücken. Jedoch konnte der Aspekt durch die Tempora ausgedrückt werden: Dauer oder Wiederholung konnten beispielsweise durch das Imperfekt, Punktualität wiederum durch das Perfekt formuliert werden. In den romanischen Sprachen waren die morphologischen Möglichkeiten, den Aspekt auszudrücken, noch weiter eingeschränkt. So verlor das Suffix -tare die im Latein angelegte frequentative Bedeutung, ebenso wie das Suffix -esco nicht mehr mit dem Inchoativ in Verbindung gebracht wurde. 189 Ein zweiter Grund für die geringe Frequenz der Aspektperiphrasen im Vulgärlateinischen liegt in der Tatsache begründet, dass die griechische Aspektperiphrase EiMi + Partizip Präsens zunächst Teil des umgangssprachlichen Vokabulars war. 190 Diese Tatsache wird dadurch verdeutlicht, dass die Verbalperiphrase vom Vulgärlateinischen, jedoch nicht vom klassischen Latein assimiliert wurde. Der karge Beleg für die Verwendung der Aspektperiphrasen im Vulgärlateinischen ist darauf zurückzuführen, dass man sich bemüht hatte, in einer Sprache zu schreiben, die sich von der gesprochenen Sprache abhob. Somit wurden die umgangssprachlichen Aspektperiphrasen kaum für das Schriftliche verwendet. Nur in Epochen, die Dietrich als „selbstsicher“ bezeichnet, lässt sich ein Anstieg der zunächst umgangssprachlichen Periphrasen verzeichnen, da sich die Sprache „frei und spontan“ entfalten konnte - so etwa im klassischen Griechischen, in der lateinisch christlichen Literatur oder im Mittelfranzösischen. 191 Eine dritte Möglichkeit, weshalb Aspektperiphrasen im Vulgärlatein und auch in den Anfängen der romanischen Literatur kaum nachgewiesen werden, liegt darin, dass sie „wohl zu allen Zeiten schlechter grammatikalisiert waren als die Tempusperiphrasen vom Typ des passé composé“. Besonders französische Puristen des 17. Jahrhunderts hatten Schwierigkeiten, die romanischen Aspektperiphrasen in eine grammatische Kategorie einzuordnen. 192 188 BRIANTI (1992: 231-232) 189 BRIANTI (1992: 229-230) 190 BERTINETTO (1990: 29) 191 DIETRICH (1985: 199-200) 192 DIETRICH (1985: 199) <?page no="69"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 69 2.4.2 Die Verwendung von stare + gerundio vom Altitalienischen bis zum Italienisch der Gegenwart In dem von Dietrich zusammengestellten und analysierten literarischen Textkorpus taucht die Aspektperiphrase stare + gerundio erstmals in der Funktion der reinen Winkelschau im Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert auf: 193 La notti e la die sta plorando, (Subjekt: la ienti) Li soi grandezi rimembrando, e mo pe lo mundu vao gattivandu. (Elegia giudeo - italiana, 4-6; Monaci S. 34) Dieses Textbeispiel ist das Einzige, das die Aspektperiphrase stare + gerundio vor Boiardo (1441-1494) belegt. Diese geringe Verwendung erlaubt zwar den Rückschluss, dass die Periphrase in der Literatursprache nicht geläufig war, ihre Existenz in der Entstehungsphase der italienischen Literatur kann jedoch nicht in Frage gestellt werden. Dietrich vermutet, dass die Form stare + gerundio in Konkurrenz zu der periphrastischen Form andare + gerundio stand, die wesentlich häufiger gebraucht wurde. 194 Bei Petrarca (1304-1374) kommt die Form stare + gerundio überhaupt nicht vor, lediglich einmal erscheint die Form essere + gerundio in der Funktion der Winkelschau: Sì dolci stanno Nel mio Cor le faville e’ l chiaro lampo Che l’abbaglia e lo strugge, e ’n ch’ io m’avvampo; e son già ardendo nel vigesimo anno. (Canzoniere, CCXXI; 5-8) 195 Auch bei Dante (1265-1321) findet sich nur dreimal die Verwendung von stare + Gerundium. Die Bedeutung von stare + gerundio kann dabei in zwei von drei Fällen eher lexikalisch aufgefasst werden: Quali i fanciulli vergognando, muti Con li occhi a terra stannosi ascoltando E sé riconoscendo e ripenuti (Dante, Divina Commedia, Purgatorio 31, 64-66). 196 193 vgl. auch HEINEMANN (2003) für weitere Ausführungen zur Verbalperiphrasen im Altitalienischen. 194 DIETRICH (1985: 205) 195 DIETRICH (1985: 208) 196 DIETRICH (1985: 205) <?page no="70"?> 70 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Wie bereits erwähnt, finden sich die ersten sicheren Belege für stare + gerundio in der Funktion der Winkelschau bei Boiardo im 15. Jahrhundert. Doch auch nach Boiardo war diese Form noch lange nicht in der Literatursprache verankert. So finden sich weder Beispiele bei Machiavelli (1469-1527) noch Giordano Bruno (1548-1600). Erst Goldoni (1707-1793) und die Autoren des 19. Jahrhunderts verwenden die Aspektperiphrase stare + gerundio gelegentlich. 197 Laut Durante ergab sich der entscheidende Anstoß zur Verbreitung von stare + gerundio erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Er geht davon aus, dass der Einfluss der englischen Progressiv-Form durch Übersetzungen englischer Kriminalromane, Filme und Bücher, für die Verwendung der Aspektperiphrase im Italienischen von maßgeblicher Bedeutung war. 198 Die Tatsache, dass die Verwendung von stare + gerundio im 20. Jahrhundert aufgrund des englischen Einflusses zunimmt, ist jedoch nicht belegt. Vielmehr lässt sich ein Bedeutungswandel feststellen, der sich über die Jahrhunderte hinweg vollzog. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts drückte stare + gerundio einen Zustand und nicht „die Dauer eines Prozesses aus, in dem sich eine Veränderung vollzieht.“ So finden sich Belege für sto aspettando, sto scrivendo aber nicht für sto andando, sto arrivando etc. 199 Die Aspektperiphrase hat somit wie bereits angeführt (vgl. 2.3.4.) eine imperfektiv-punktuelle Bedeutung ausgebildet, die sie noch heute trägt. 200 Bertinetto spricht der diachronen Entwicklung von stare + gerundio eine Einzigartigkeit ob ihrer semantischen Entfaltung aus, da sie sich von der Beschreibung einer durativen (statischen) Situation mit teilweise adjektivischer Funktion zur Beschreibung einer progressiven Situation weiterentwickelt hat. 201 Eine detaillierte Studie zum diachronischen Gebrauch von stare + gerundio und den Aspektperiphrasen andare sowie venire + gerundio hat Squartini geliefert. Seine Studie basiert auf einem Korpus geschriebener Texte, das aus Zeitungstexten sowie aus literarischen Texten besteht. Die diachronische Untersuchung basiert auf einer Unterteilung beider Textsorten in zwei Zeiträume. Diese erstrecken sich über die Jahre 1800 bis 1847 und von 1985 bis 1988. Bezüglich der Frequenz von stare + gerundio gelangt Squartini zu dem Ergebnis, dass sich die Periphrase innerhalb der beiden untersuchten Zeiträume zur vitalsten der untersuchten Verbalperiphrasen entwickelt hat. Die Verbalperiphrasen, die mit stare und andare gebildet werden, verhalten sich komple- 197 DIETRICH (1985: 206) 198 DURANTE (1981: 268-269) 199 DURANTE (1993: 154) 200 BRIANTI (1992: 238) 201 BERTINETTO (2000: 563) <?page no="71"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 71 mentär zueinander. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Gebrauch von stare + gerundio ausgedehnt wird, während die Verwendung von andare + gerundio stark abnimmt. Stare + gerundio wird zu einer vitalen Periphrase, deren Distribution homogen ist. Die Vitalität basiert nicht nur auf dem Zuwachs der Frequenz, sondern auch auf der morphologischen Reichhaltigkeit und der starken Verwendung von stare + gerundio in direkten Dialogen. 202 Doch nicht nur die Frequenz der Form hat zugenommen, sondern auch ihre aspektuelle Verwendung stieg an: Stare + gerundio wurde im Zeitraum von 1800 bis 1847 kaum im Sinne der Imperfektivität verwendet, während andare/ venire + gerundio häufig in dieser Bedeutung auftauchten. Der Zuwachs bedeutet also, dass stare + gerundio einen neuen semantischen Wert erhalten hat. 203 2.5. Weitere progressive Verbalperiphrasen des Italienischen Der Ausdruck der Progressivität ist im Italienischen nicht allein an die Verbalperiphrase stare + gerundio gebunden. Auch die Indikativform des Präsens verfügt über eine progressive Lesart. Zudem gibt es im Italienischen neben der einfachen Form des Präsens Indikativ noch weitere Verbalausdrücke, die zum Ausdruck von Progressivität dienen. Diese Formen werden im Folgenden vorgestellt und mit stare + gerundio verglichen. Die Verbalperiphrase stare a + Infinitiv teilt einige Charakteristika mit stare + gerundio. Auch wenn Bertinetto stare a + Infinitiv eher als kontinuative als progressive Periphrase einordnet, 204 weist sie semantisch betrachtet Parallelen zur Progressivität von stare + gerundio auf. 205 Sie kann zur Beschreibung einer zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verlauf befindlichen Aktivität verwendet werden. Im Gegensatz zu stare + gerundio sind telische Verben von einer Verbindung mit stare a + Infinitiv ausgenommen. 206 Diese sind nur mit stare a + Infinitiv vereinbar, wenn der Satz negiert ist. Dabei handelt es sich meist um den negierten Imperativ, der in Verbindung mit stare a + Infinitiv besonders häufig im Veneto gebraucht wird. 207 Bei der Verbalperiphrase stare a + Infinitiv handelt es sich im Gegensatz zu stare + gerundio um eine Periphrase, die eher im gesprochenen als im ge- 202 SQUARTINI (1990: 175-176) 203 SQUARTINI (1990: 209-210) 204 BERTINETTO (1991: 137) 205 D’ACHILLE (2003: 123) betrachtet stare a + Infinitiv als eine regionale Variante zu stare + gerundio. 206 SQUARTINI (1998: 234) 207 BERTINETTO (1991: 137) <?page no="72"?> 72 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht schrieben Italienisch gebraucht wird. Sie ist laut Bertinetto besonders in Rom vital. 208 Diese Einschätzung trifft auch D’Achille, der den Gebrauch dieser Form besonders in Rom und im Latium ansiedelt. 209 Heinemann verweist aufgrund der eingeschränkten Diatopie dieser Verbalperiphrase auf eine häufig „negative Konnotation“, die mit stare a + Infinitiv verbunden wird. 210 Bezüglich der Kompatibilität mit Aktionsarten zeigt stare a + Infinitiv ebenso wie stare + gerundio die Unkombinierbarkeit mit statischen Verben (vgl. „*Gigi sta ad aver sete“) auf. 211 Im Vergleich zu stare + gerundio wohnt stare a + Infinitiv ein statischer Charakter inne, der eine Kombination mit Bewegungsverben ausschließt (vgl. „*mentre tu lo cercavi, lui stava ad andare a casa“). Ein weiterer Unterschied zu stare + gerundio liegt in der Vereinbarkeit mit perfektiven Tempora (vgl. „Giorgio è stato ad allenarsi tutto il giorno“). 212 Auch die Verbalperiphrase essere dietro a + Infinitiv drückt Progressivität aus. Sie ist besonders häufig in Norditalien in Gebrauch. Auch sie gehört zu dem sprechsprachlichen Register des Italienischen. Bezüglich der Verbalperiphrase essere dietro a + Infinitiv fällt eine Ähnlichkeit zu der französischen progressiven Aspektperiphrase être après + Infinitiv auf, die charakteristisch für das in Quebec und in Nordamerika gesprochene Französisch ist. 213 2.6. Die Verbalperiphrase stare + gerundio und ihre französischen und spanischen Pendants Zum Abschluss dieses Kapitels, das sich mit den Verbalperiphrasen im Allgemeinen sowie mit stare + gerundio beschäftigt hat, wird ein Exkurs zu den progressiven Verbalperiphrasen des Französischen sowie des Spanischen unternommen. Dabei wird neben einer knappen Charakterisierung der französischen und spanischen progressiven Verbalperiphrasen auf die Unterschiede zu stare + gerundio aufmerksam gemacht, um zu demonstrieren, welche semantischen Unterschiede innerhalb des Italienischen, Französischen und Spanischen zum Ausdruck der Progressivität entstanden sind. Im empirischen Teil der Arbeit werden allerdings Gebrauchsdeterminanten des Französischen und Spanischen keine Rolle mehr spielen. 208 BERTINETTO (1991: 137) 209 D’ACHILLE (2003: 123) 210 HEINEMANN (2003: 166) 211 Dieses Kriterium fügt COMRIE (1976: 35) als Definitionsgrundlage für den progressiven Aspekt im Allgemeinen an: „Thus we can give the general definition of progressiveness as the combination of progressive meaning and nonstative meaning.“ 212 BERTINETTO (1991: 137) 213 PUSCH (2004), Colloque international „Grammaire comparée des varietés de francais d’Amérique, Avignon, 17/ 5/ 2004. <?page no="73"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 73 2.6.1. Die Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv Die Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv 214 drückt wie stare + gerundio einen progressiven Aspekt aus. 215 Sie stellt wie stare + gerundio eine sich im Verlauf befindende Situation dar und beinhaltet den Fokalisierungspunkt, der als Charakteristikum der Progressivität definiert wird. 216 Allerdings handelt es sich bei être en train de + Infinitiv um keine Form, die sich in einem Entwicklungsprozess befindet, der mit stare + gerundio zu vergleichen ist. Dennoch sollen hier einige Charakterisierungen der Form zum Tragen kommen, um Unterschiede zur italienischen Verbalperiphrase im Sinne eines innerromanischen Vergleichs aufzuzeigen. Bezüglich der französischen Grammatikographie ist erwähnenswert, dass être en train de + Infinitiv nur wenig Beachtung findet. Im Bon Usage wird dieser Verbalperiphrase kein Raum gewidmet. Zwar findet sich ein Paragraph zur Kategorie Aspekt, in welchem Progressivität erwähnt wird, jedoch wird dieser Begriff nicht mit être en train de + Infinitiv in Verbindung gebracht. 217 In der Grammaire Larousse du français contemporain wird être en train de + Infinitiv erwähnt und lediglich als Ausdrucksform für eine im Verlauf begriffene Situation definiert. 218 Diese geringe Beachtung ist auf zweierlei zurückzuführen: Zum einen handelt es sich bei être en train de + Infinitiv ebenso wie bei stare + gerundio um eine fakultative Variante der einfachen Präsensform des Indikativs, zum anderen sind aspektuelle Parameter in Grammatiken des Französischen und Italienischen häufig eindeutig den temporalen Parametern nachgeordnet. 219 Die Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv ist verglichen mit den anderen romanischen progressiven Aspektperiphrasen relativ jung. Im Petit Robert wird die Datierung auf das 18. Jahrhundert (1735) festgelegt. Dass die Periphrase ein relativ rezentes Verbalsyntagma darstellt, ist eventuell darauf zurückzuführen, dass ihre Morphologie nicht auf ein lateinisches Muster zurückgeht. Im Vergleich zu stare + gerundio, das rein formell betrachtet mit 214 Eine detaillierte Studie zur französischen Verlaufsform wurde in Form einer Dissertation von Pascale Leclercq mit dem Titel „L’influence de la L1 dans l’organisation des discours chez les apprenants avancés / quasi-bilingues: le cas de l’aspect „en déroulement“ en français et en anglais“ vorgelegt. 215 Im Französischen ist die Unterscheidung zwischen lat. STARE und ESSE verlorengegangen. Die im Französischen mit être gebildeten Periphrasen werden als Pendant zu den mit stare bzw. estar gebildeten Verbalperiphrasen betrachtet (SQUARTINI 1998: 119). 216 BERTINETTO (1986: 120) 217 GRÉVISSE (1993: 1120) 218 CHEVALIER; BLANCHE-BENEVISTE; ARRIVÉ; PEYTARD (1964: 328-333) 219 COSERIU (1976: 110) definiert das romanische Verbalsystem als primär zeitliches System, dem die Aspektualität nachgeordnet ist. <?page no="74"?> 74 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht STARE + Ablativ des Gerundiums eine lateinische Ausgangsbasis hat, geht être en train de + Infinitiv auf das Verb trainer zurück. Das Substantiv train trägt im Mittelfranzösischen die Bedeutung Fortbewegung, Gangart oder Geschwindigkeit. Train taucht in der Verbindung mit en ab dem 16. Jahrhundert als adverbialer Ausdruck mit der Bedeutung in Bewegung auf. Der entscheidende Bedeutungswandel vollzieht sich mit der Entwicklung zur Bedeutung en humeur d’agir. Die Bedeutung wandelt sich „weg von der Bewegung und hin zum intentionalen Moment, das in der Bewegung angelegt ist (…) zur Disposition des Subjekts zur Handlungsdurch- oder Weiterführung.“ 220 Am Ende dieses Sprachwandels erhält die Periphrase être en train de + Infinitiv eine grammatische Bedeutung, da sie zur „Darstellung der Handlung im Verlauf“ benutzt werden kann. 221 Squartini bemerkt angesichts der Entwicklungen von stare + gerundio sowie von être en train de + Infinitiv, dass die Ausprägung des semantischen Merkmals der Progressivität zwei gänzlich verschiedene Wege gegangen ist. Im Falle der französischen Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv geht die progressive Bedeutung auf den Willen und die Intention des Sprechers zurück, ohne jemals die Bedeutung von Durativität getragen zu haben, wie es für stare + gerundio gilt. 222 Die Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv ist ebenso wie stare + gerundio nicht mit statischen Verben vereinbar. Wie in Kapitel 2 dargestellt, ist dieses Merkmal entscheidend für die Definition des progressiven Aspekts. Analog zum Italienischen kann être en train de + Infinitiv nicht mit den perfektiven Tempora zu verbunden werden. 223 Bezüglich der Vitalität der Verbalperiphrase sind verschiedene Meinungen anzutreffen. Bertinetto bezeichnet être en train de + Infinitiv in seinem Überblick über morphosyntaktische Ausdrucksweisen für Progressivität im Romanischen als „marginalen“ Typen, da die Verbalperiphrase nicht häufig verwendet wird. 224 Im Gegensatz hierzu verweist Mitko darauf, dass être en train de + Infinitiv zum Ausdruck der Progressivität bereits umfassend in der Sprechsprache verwendet wird. 225 Insgesamt kann festgestellt werden, dass das Französische im Vergleich zum Italienischen über weniger Formen zum periphrastischen Ausdruck des progressiven Aspekts verfügt. Neben être en train de + Infinitiv ist lediglich auf die Verbalperiphrase aller + gerondif zu 220 MITKO (1999: 80-81) 221 MITKO (1999: 84) 222 SQUARTINI (1998: 127) 223 SQUARTINI (1998: 121-122) 224 BERTINETTO (2000: 560) 225 MITKO (2000: 190) <?page no="75"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 75 verweisen, die jedoch im Französischen der Gegenwart nur selten gebraucht wird. 226 Der aspektuelle Funktionsbereich von être en train de + Infinitiv ist in großen Teilen mit stare + gerundio identisch. Beide Verbalperiphrasen sind Formen zum Ausdruck einer sich im Verlauf befindenden Handlung. 227 2.6.2. Die Verbalperiphrase estar + gerundio Das Spanische ist die romanische Sprache, die über die meisten Verbalperiphrasen verfügt. 228 Unter den zahlreichen Periphrasen findet sich die progressive Aspektperiphrase estar + gerundio, die rein morphologisch betrachtet eine starke Analogie zu stare + gerundio aufweist. Diese Analogie beruht auf dem Auxiliar estar, das ebenfalls wie das Auxiliar stare in der italienischen Verbalperiphrase auf das lateinische Verb STARE zurückgeht. Was jedoch die respektiven Verben estar und stare außerhalb dieser periphrastischen Konstruktion anbelangt, werden im Spanischen und Italienischen Unterscheide deutlich. Im Italienischen ist das Verb stare in Redewendungen, in verbalperiphrastischen Konstruktionen bzw. in Süditalien als Auxiliar an der Stelle von essere 229 anzutreffen. Ansonsten wird es im Italienischen im Vergleich zum spanischen estar weniger umfassend als Auxiliar gebraucht. 230 Im Vergleich zur französischen Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv scheint formal betrachtet eine größere „Nähe“ zwischen der spanischen und der italienischen Verbalperiphrase vorzuliegen. Im morphologischen Bereich findet sich jedoch auch eine entscheidende Divergenz. Während stare + gerundio die Kompatibilität mit den perfektiven Tempora verloren hat, 231 ist diese Option für die spanische progressive Periphrase gegeben (vgl. Formen wie estuve + gerundio). 232 Ein weiterer Unterschied findet sich zudem in der Tatsache, dass im Spanischen auch der Imperativ mit der progressiven Verbalperiphrase zu verbinden ist. Squartini zitiert hierbei aus Hamplova (1968) folgendes Beispiel: „No estas creyendo otra cosa! “ 233 226 BERTINETTO (2000: 560) 227 vgl. MITKO (2000: 184-192), BAUSCH (1963) für detaillierte Beschreibungen zu être en train de + Infinitiv 228 TORRES CACOULLOS (2000: 8) 229 DE MAURO 1999: 400) 230 SQUARTINI (1998: 87) 231 DURANTE (1981: 179-181) 232 SQUARTINI (1998: 73) 233 SQUARTINI (1998: 79) <?page no="76"?> 76 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht Was die Restriktionen bezüglich der Verbsemantik betrifft, ist zu sagen, dass der spanischen progressiven Verbalperiphrase weniger Einschränkungen zugrunde liegen als dem italienischen Pendant. 234 Die Verbalperiphrase estar + gerundio drückt im Spanischen den „Prototypen“ der Progressivität aus. 235 Trotz einer ausgeprägten Vitalität der Konstruktion, 236 liegt ebenso wie im Italienischen und Französischen der Verbalperiphrase kein zwingender Gebrauch zugrunde. Die Verwendung von estar + gerundio ist fakultativ, da die einfache Form des Präsens Indikativ ebenso verwendet werden kann, um die Relation „TT in TSit enthalten“ auszudrücken. 237 Auch in der spanischen Grammatikographie ist der progressiven Aspektperiphrase bislang wenig Raum gewidmet worden. Diese Entwicklung verändert sich insoweit, als dass die Verbalperiphrase langsam in ihren Grundfunktionen auch in den Grammatiken beschrieben wird. 238 Die gängigsten semantischen Charakteristika von estar + gerundio, die in den Grammatiken beschrieben werden, fasst Torres Cacoullos unter drei Stichpunkten zusammen: • Durativität • Begrenzte Dauer • Aktualisierung Im Gegensatz zur einfachen Form des Präsens Indikativ drückt die progressive Verbalperiphrase auch eine Dauer aus. 239 In anderen Grammatiken wird dieses Charakteristikum laut Torres Cacoullos noch präziser als „begrenzte Dauer“ umschrieben, da beispielsweise Stockwell et. al. verdeutlichen, 240 dass die einfache Form auch für habituelle Kontexte gebraucht werden kann und somit die progressive Verbalperiphrase eine eingeschränkte Dauer zum Ausdruck bringt. 241 Diese beiden durativen Komponenten (Durativität und begrenzte Dauer), die für die spanische progressive Aspektperiphrase gelten, können jedoch nicht auf das italienische Pendant übertragen werden. Wie bereits verdeutlich wurde, trug stare + gerundio anfangs eine durative Bedeutung, die aber im 234 SQUARTINI (1998: 104) und BERTINETTO (1986: 176) 235 LACA (1998: 216) 236 LACA (1998: 222) 237 TORRES CACOULLOS (2000: 15); vgl. auch COMRIE (1976: 33, 112), der die Austauschbarkeit der einfachen Form des Präsens Indikativ und estar + gerundio propagiert. 238 TORRES CACOULLOS (2000: 183) 239 ALCINA Y BLECUAS (1975: 7819) UND SECO (1989: 221) 240 STOCKWELL & BOWEN & MARTIN (1965: 158) 241 TORRES CACOULLOS (2000: 178-179) <?page no="77"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio 77 Laufe des Sprachwandels einer fokalisierenden und somit progressiven Bedeutung gewichen ist. 242 Die dritte semantische Eigenschaft von estar + gerundio, die Torres Cacoullos benennt, betrifft die Aktualisierung. Dabei beziehen sich Autoren wie Quesada oder Parisi 243 auf das tatsächliche „Sich-Vollziehen“ einer Handlung. 244 Mit dieser Formulierung wird eindeutig die progressiv-aspektuelle Sichtweise zugrunde gelegt, mit welcher auf eine sich im Verlauf befindende Situation referiert wird. Mit dem Begriff der Aktualisierung wird die semantische Eigenschaft der Progressivität, welche die spanische, französische und italienische Verbalperiphrase verbindet, im Kern getroffen. Bezüglich der semantischen Komponente kann zusammenfassend festgehalten werden, dass im Spanischen estar + gerundio sowohl die Durativität als auch den Verlauf einer Situation ausdrückt, während das Italienische mit dem Fokalisierungspunkt den Verlauf einer Situation erfasst. 245 Jedoch gibt es auch im semantischen Bereich Divergenzen. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass, zumindest im Spanischen Mexikos, auch eine habituelle Bedeutung mit estar + gerundio ausgedrückt werden kann. 246 Diese Möglichkeit ist weder im Italienischen noch im Französischen gegeben. 247 Torres Cacoullos führt den Ausdruck für Habitualität wie Squartini 248 auf die durative Bedeutung, die estar + gerundio tragen kann, zurück: „It is this ability to denote pure durativity without insisting on a particular reference time that allows estar + -ndo to indicate repeated situations, each occurence of which is durative but not viewed as ongoing.“ 249 Abschließend bleibt festzuhalten, dass die spanische Verbalperiphrase zum Ausdruck der Progressivität von einer ausgeprägten Vitalität gekennzeichnet wird. Im Gegensatz zum Italienischen wird sie eher im mündlichen Bereich als in formellen Registern gebraucht. 250 Dennoch ist eine Zunahme der Frequenz zu beobachten. 251 Diese Entwicklung lässt Torres Cacoullos vermuten, dass estar + gerundio auf dem Wege ist, in entsprechenden progressiven Kontexten 242 BERTINETTO (1986: 137) 243 QUESADA (1995: 27-28); PARISI (1992: 61-62) 244 TORRES CACOULLOS (2000: 179) 245 SQUARTINI (1998: 103) 246 TORRES CACOULLOS (2000: 27, 91, 191) 247 SQUARTINI (1995: 127): „The periphrasis sounds quite unnatural in expressing habituality. ? ? Paolo stava andando a trovarlo ogni giovedì.“ 248 SQUARTINI (1998: 76-77) 249 TORRES CACOULLOS (2000: 191) 250 TORRES CACOULLOS (2000: 187) 251 TORRES CACOULLOS (2000: 224) <?page no="78"?> 78 Theoretische Grundlagen und Forschungsbericht obligatorisch zu werden. Damit würde die ohnehin stark grammatikalisierte Periphrase einen weiteren Grammatikalisierungsgrad erreichen. 252 2.7. Offene Fragen Das vorausgegangene Kapitel hat gezeigt, dass die Verbalperiphrase stare + gerundio hinsichtlich ihrer aspektuellen Bedeutung und ihres Distributionsverhaltens sehr ausführlich beschrieben worden ist. Es lässt sich als Desideratum in Anlehnung an Kapitel 2 erneut aufführen, dass die Form in Bezug auf ihre verwendungssteuernden Faktoren jedoch kaum beschrieben wurde. Ferner erfordern die Aussagen über die Verankerung der Form im italienischen Verbalsystem, die eine Option für den Sprecher darstellt, quantitative Analysen, die die Vorkommenshäufigkeit erfassen. Dies ist bis auf wenige Ausnahmen kaum geschehen und soll durch diese Arbeit für den ausgewählten Teilbereich geleistet werden. Darüber hinaus ist stare + gerundio kaum in Hinblick auf soziolinguistische Variablen untersucht werden. Die Optionalität der Form legitimiert die Frage „wer benutzt stare + gerundio“? 252 LACA (1998: 223-224) <?page no="79"?> Teil II: Empirie Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit werden nun Analysen durchgeführt, die die Gebrauchsdeterminanten der Verbalperiphrase stare + gerundio erhellen. Es geht dabei darum empirisch jene Faktoren zu ermitteln, die Sprecher dazu bewegen, die fakultative Form stare + gerundio für die Darstellung eines sich im Verlauf befindlichen Ereignisses zu wählen. Im Vordergrund steht neben der Frequenzbestimmung der Form (s. Kapitel 5) das Verhältnis, das zwischen der temporalen Struktur von Situationen und der Verwendung von stare + gerundio besteht (s. Kapitel 6). Die Ergebnisse werden anschließend mit der Verbebene verglichen und dienen als Basis für ein Konzeptualisierungsmodell der progressiven Verbalperiphrase (s. Kapitel 7). Die Stabilität der ermittelten Ergebnisse wird in Kapitel 8 überprüft. Der temporale Bedeutungsumfang wird in Kapitel 9 in Anlehnung an freie Gespräche und Ausschnitten aus TV-Programmen umrissen. Die Dissertation endet mit dem Blick auf mögliche Einflüsse von soziolinguistischen Variablen auf die Verwendung von stare + gerundio (s. Kapitel 10). Zunächst wird nun die methodische Herangehensweise beschrieben, die den Blick auf die Erfassung der Gebrauchsdeterminanten der Form eröffnet. 1. Methodische Herangehensweise Im folgenden Kapitel wird die Methode, die zur Umsetzung der Erhebungsziele herangezogen wurde, erläutert. Neben der Darstellung der Methode und ihrer Begründung, werden Aufbau und Durchführung der Untersuchung beschrieben. 1.1. Das Videoexperiment und der zugrundeliegende Analyseansatz Aus den verschiedenen Möglichkeiten der linguistischen Datenerhebung ist für die Untersuchung der Gebrauchsdeterminanten von stare + gerundio die Methode der kontrollierten Sprachaufnahme in Form eines Videoexperiments gewählt worden. Wie eingangs erläutert, liefert das Experiment Sprachproduktionsdaten, die es unter anderem erlauben zu überprüfen, welche temporalen Eigenschaften der im Videoexperiment verwendeten Situationen die Verwendung von stare + gerundio beeinflussen. Die temporale Zusam- <?page no="80"?> 80 Empirie mensetzung der Situationseigenschaften 253 konnte dabei systematisch variiert werden, um festzustellen, welche temporalen Faktoren eine Anziehungskraft auf die Verwendung von stare + gerundio ausüben. Die systematische Variation der Situationseigenschaften wird nun anhand eines Beispiels erläutert. Dabei soll der Entwicklungsprozess angedeutet werden, durch den die vorliegenden Untersuchungsdesigns zustande gekommen sind (die Erläuterung der Designs und der temporalen Zusammensetzung der Situationen erfolgt in Kapitel 6). Ein wichtiger Punkt bei der Untersuchung der temporalen Eigenschaften von Situationen und ihre Relevanz bei der Verwendung von stare + gerundio war beispielsweise zu Anfang die Tatsache, dass das Progressiv in enger Verbindung zur Kategorie der Aktivität steht, 254 die Smith (1991) folgendermaßen charakterisiert: „Such events have no goal, culmination or natural final point: their termination is merely the cessation of activity. The stereotypic Activity event occurs over an interval: it is homogeneous, with dynamic successive stages and an arbitrary final point.“ 255 Aufbauend auf der Annahme, dass Situationen, die diese Charakteristika aufweisen, eine höhere Frequenz von stare + gerundio hervorrufen, wurden Szenen entwickelt, die die zentralen Eigenschaften von Aktivitäten beinhalten: 1. Homogenität der Teilintervalle 2. willkürlicher Endpunkt („cessation“) Dabei entstanden Szenen wie Joggen oder Frisbee spielen. Die Intervalle in den hier genannten Szenen zeichnen sich durch Homogenität aus (vgl. das regelmäßige Zuwerfen des Frisbeetellers zweier Mädchen in einem Hof). Zudem ist kein natürlicher Endpunkt gegeben, da das Spiel in der Regel zu einem beliebigen Zeitpunkt beendet wird. Die Auswirkung auf die Verwendung von stare + gerundio konnte anhand der Frequenz im Vergleich zu Situationen getestet werden, die diese temporalen Eigenschaften nicht aufweisen. Beispielsweise der Situationstyp, der sich durch Heterogenität und das Vorhandensein eines 253 An dieser Stelle sei nochmals daran erinnert, dass mit „Situation“ (vgl. Kapitel 1) keine sprachliche Ebene gemeint ist, die in Zusammenhang mit einer sprachlichen Form betrachtet wird (z. B. einem Verb), sondern eine Ebene, die einen temporalen Sachverhalt erfasst, der in den im Videoexperiment gezeigten Szenen dargestellt wird. Situationseigenschaften werden unabhängig von sprachlichen Ausdrücken variiert. 254 SASSE (2002: 251), GIACALONE RAMAT (1995: 44-45) 255 SMITH (1991: 45) <?page no="81"?> Methodische Herangehensweise 81 natürlichen Endpunkts auszeichnet (vgl. Jemand sucht nach einem Hammer, nimmt einen Nagel und nagelt eine Schuhsohle fest). Die dargestellten Ereignisse wiederholen sich hierbei nicht und sind somit heterogen. Der natürliche Endpunkt ist intrinsisch gegeben (wenn der Nagel festgenagelt ist, ist die Handlung abgeschlossen). Das Videoexperiment wurde somit eigens für die Untersuchung des progressiven Aspekts, der durch stare + gerundio ausgedrückt wird, geschaffen und in Anlehnung and die Zwischenergebnisse weiterentwickelt (es wurde beispielsweise deutlich, dass auf der Ebene der Situation die Charakteristika von Aktivitäten eine geringere Anziehungskraft ausüben als angenommen). Die Ergebnisse werden zeigen, dass durch das schrittweise Erarbeiten der relevanten temporalen Situationseigenschaften für die Verwendung von stare + gerundio ein Cluster an Situationseigenschaften ermittelt werden konnte, das für die Steuerungsmechanismen der Form zentral ist. Da die Entwicklung der Szenen wie angedeutet aufeinander aufbaut, wird die Erläuterung der Designs an den gegebenen Stellen vorgenommen. Abschließend soll hier bemerkt werden, dass die Wahl dieser Methode eine gute Vergleichbarkeit und Replizierbarkeit der Ergebnisse gewährt, da alle Probandengruppen am selben Experimenttyp teilgenommen haben. Um eine sehr hohe Güte der durch die Experimente erzeugten Daten sicherzustellen, wurde bei der Anlage, Durchführung und Auswertung der Versuchsreihen den folgenden Kriterien ein besonderes Augenmerk geschenkt: • Reliabilität der Erfassung der Untersuchungsergebnisse • Validität des Testverfahrens Die Methode der kontrollierten Sprachaufnahme bringt jedoch keine Daten hervor, die spontansprachlichen Ursprungs sind. Diese Methode ist dennoch für eine Untersuchung dieser Art hervorragend geeignet, da sie über „akzidentelle Beobachtungen“ hinausgeht, wie Sichelschmidt betont: „Dadurch, dass das Auftreten der interessierenden Phänomene durch Wissenschaftler evoziert wird, ist eine prinzipielle Wiederholbarkeit der Beobachtungen gewährleistet. Damit bietet das Experiment - über akzidentelle Beobachtung hinausgehend, bei der lediglich korrelative Zusammenhänge aufgezeigt werden können - die Möglichkeit, Kausalzusammenhänge nachzuweisen und so das Bedingungsgefüge von Ereignissen (wenigstens in Ausschnitten) präzise zu rekonstruieren.“ 256 256 SICHELSCHMIDT & CARBONE (2003: 115) <?page no="82"?> 82 Empirie 1.2. Aufbau des Videoexperiments Das Videoexperiment, das im Laufe des Projekts mehrmals weiterentwickelt wurde, besteht aus 40 kurzen Alltagsszenen, 257 die verschiedene temporale Eigenschaften aufweisen. 258 Sie sind voneinander unabhängig und stehen in keinerlei Zusammenhang, sodass sie als Einzelereignisse zu begreifen sind. 259 Die Szenen des Videoexperiments haben gemeinsam, dass die dargebotene Handlung im Verlauf begriffen ist. Beispiele: • zwei Jungen spielen Tischtennis • ein Mann joggt auf einem Waldweg Somit ist die Grundvoraussetzung für die Analyse der progressiven Verbalperiphrase gegeben, da die Stimuli das für die Verwendung von stare + gerundio zugrundeliegende Konzept beinhalten: In allen Szenen ist die Verwendung von stare + gerundio möglich, da die dargestellten Ereignisse im Verlauf begriffen sind. Somit ist das Experiment geeignet, die Verbalperiphrase stare + gerundio und ihre Verwendungsbedingungen zu untersuchen. Die Szenen wurden zum größten Teil eigens für die vorliegende Untersuchung gedreht. Jede Szene dauert durchschnittlich etwa sechs Sekunden und wird gefolgt von einer Pause, die ca. zehn Sekunden dauert. Die Gesamtlaufzeit des Filmmaterials beträgt mit Pausen ca. 12 Minuten. 1.3. Durchführung der Datenerhebung Vor den Datenaufnahmen, die überwiegend in einem Aufnahmeraum der Universität Heidelberg stattgefunden haben, wurde den Probanden (italienische Muttersprachler) mitgeteilt, dass es sich bei dem Experiment um Sprachaufnahmen für ein Forschungsprojekt zum Italienischen handelt. Es wurden keine weiteren inhaltlichen Angaben gemacht, um eine Beeinflussung der Probanden zu vermeiden. Die Szenen des Videoexperiments wurden der Versuchsperson auf einem Computerbildschirm vorgeführt. Vor Beginn der Datenaufnahme wurde der Versuchsperson die Durchführung des Experiments erklärt. 257 Es wurde durch vorausgehende Pilotstudien erwiesen, dass sich die Anzahl von 40 Szenen gut in einen Zeitraum von ca. 10 Minuten einbetten lässt und somit die Konzentrationsfähigkeit der Probanden nicht überfordert wird. 258 Die inhaltlichen Beschreibungen bzw. das Experimentdesign sowie die Begründungen für die Auswahl der Stimuli werden in Kapitel 6 erläutert. 259 Die Szenen gehören unterschiedlichen semantischen Domänen an und fungieren daher untereinander als Distraktoren. <?page no="83"?> Methodische Herangehensweise 83 Im folgenden Abschnitt folgt ein Ausschnitt aus der Versuchsanleitung, die zu Anfang des Experiments jeweils auf identische Weise formuliert wurde: „Vedrai sul computer una quarantina di scenette in cui sono rappresentate delle attività prese dalla vita quotidiana. Le scenette non sono collegate fra di loro. Per ogni scenetta dovrai rispondere alla domanda Cosa sta succedendo? Puoi iniziare a parlare appena capisci di cosa si tratta. Non è necessario descrivere la scenetta in modo dettagliato (ad esempio non devi menzionare colori ecc.). Ti preghiamo di concentrarti su cosa sta succedendo, cioè sull’azione.“ Die Probanden wurden zu Anfang des Experiments gebeten, in Bezug auf jede Szene auf die Frage Cosa sta succedendo? zu antworten. Es wurde die Frage Cosa sta succedendo? (Was passiert gerade? ) gestellt, da in dieser Untersuchung die Analyse des progressiven Aspekts und seinen Gebrauchsbedingungen die entscheidende Rolle spielt. Aus diesem Grunde wurde stare + gerundio in der Eingangsfrage explizit verbalisiert. 260 Die Verlaufsform wurde, abgesehen von ihrer Verwendung in der Eingangsfrage, jedoch nicht betont, sondern natürlich in den Vorgang der Anleitung integriert. 1.4. Bearbeitung der Daten Im Anschluss an die Datenerhebung wurden die digital aufgenommen Daten translitteriert. In der folgenden Tabelle (Tab. 3, s. S. 84/ 85) ist ein Beispiel für eine solche Translitteration abgebildet. Die fettgedruckten Überschriften geben dabei den Inhalt der dargestellten Situation an. 1.5. Überblick über die Aufnahmereihen Die Experimente wurden zwischen 2003 und 2007 aufgrund der Untersuchungsergebnisse ständig weiterentwickelt. Aus diesem Grunde besteht der Gesamtdatensatz aus insgesamt 7 Teilexperimenten, die sich in Bezug auf das Szenenset unterscheiden. Alle Teilexperimente weisen jedoch einen vergleichbaren Aufbau auf. Insgesamt wurden mit den Experimenten 173 Probanden in 7 Versuchsreihen mit vergleichbaren Stimulussätzen und unter identischen Rahmenbedingungen erhoben. 260 Die Eingangsfrage „Cosa succede? “ wurde in einer Pilotphase mit 10 Probanden getestet. Da keine Abweichungen von der Fragestellung „Cosa sta succedendo? “ beobachtet wurden, wurde „Cosa sta succedendo? “ als alleinige Eingangsfrage aus den oben genannten Gründen verwendet. <?page no="84"?> 84 Empirie Experiment: Datensatz III Nr. Proband: 10 Name/ Alter: Mariangela/ 21 Herkunft: Salerno 1. Gänse laufen in Hof Ci sono delle oche Che camminano 2. Fußball spielen Ci sono tre ragazze Che giocano a calcio Fanno due tiri così nel cortile davanti casa 3. Schal stricken Qui c’è una signora Che sta lavorando a maglia Seduta nel salotto di casa sua sulla poltrona 4. Kaffee kochen Qui c’è una signora Che prepara il caffè con la moca nella moca 5. Mann mit Mütze fährt Fahrrad Qui c’è una persona un uomo Che va in bicicletta 6. Tippen Qui c’è un signore Che sta infilando un foglio nella sua macchina da scrivere 7. Wasser ausschütten E qui una ragazza sta versando dell’acqua non so cos’è 8. Holz schnitzen E qui un signore sta app/ 9. Junge wirft Ball Un bambino gioca con la palla 10. Nudeln herstellen Qui stanno facendo della pasta fatta in casa delle tagliatelle 11. Joggen Qui c’è un signore Che sta facendo jogging in un parco 12. Papierflieger bauen Qui stanno costruendo credo un aereo di carta 13. Luftballon aufblasen Questa signora sta gonfiando un palloncino 14. Schuh besohlen Qui c’è un calzolaio Che ripara una scarpa Anzi le sta mettendo la suola 15. Tischtennis spielen Qui due ragazzi giocando a ping pong 16. Gesicht schnitzen E qui stanno costruendo un burattino di legno con uno scalpello 17. Tisch decken Una signora sta apparecchiando una tavola 18. Etwas nähen Questa signora sta cucendo Credo stia imbastendo <?page no="85"?> Methodische Herangehensweise 85 19. Möwe landet auf Pfahl Qui c’é un uccello Che salta su un palo Non salta vola 20. Papier falten Una signora sta piegando un foglio 21. Knetmännchen formen E qui stanno giocando con la plastilina Stanno facendo un pupazzetto Stanno facendo le gambe 22. Surfen Ci sono due ragazzi Che fanno surf 23. Flüssigkeit wegwischen Qui stanno pulendo una macchia 24. Luftballon platzen lassen Qui hanno scoppiato un palloncino con un coltello 25. Flasche anmalen Qui stanno dipingendo un barattolo di vetro 26. LKW fährt über Brücke Qui c’è un camion per trasporti speciali 27. Modell zusammenbauen Qui stanno costruendo una moto con dei pezzi di legno con delle costruzioni di legno 28. Etwas stricken Sta facendo la maglia Sta lavorando a maglia 29. Baum fällen Qui invece questo signore sta tagliando un albero con la motosega 30. Auto zeichnen Qui invece stanno disegnando una macchina 31. Sofa ausklappen Qui stanno aprendo un divano letto 32. Karton zerschneiden Qui stanno ritagliando una scatola 33. Umschläge abstempeln Qui stanno timbrando delle lettere Stanno mettendo un timbro a delle lettere 34. Nudeln zerbrechen Qui stanno spezzando gli spaghetti per fare il brodetto forse 35. Etwas malen Questa ragazza sta dipingendo 36. Teig zubereiten Questa signora sta preparando un dolce credo Ci sono burro farina e zucchero 37. Kartenhaus bauen Qui stanno facendo un castello con dei pezzi di carta con delle carte 38. Eine Frau melkt eine Kuh Questa signora sta mungendo una mucca 39. Frisbee spielen E queste due ragazze si lanciano il frisbee 40. Vase töpfern Qui invece sta modellando la creta credo Per fare un vaso 41. Papier zerreißen Qui stanno strappando un foglio Tab. 3: Translitterationsbeispiel einer Datenerhebung <?page no="86"?> 86 Empirie 1.6. Auswahl der Probanden Für die Experimente wurden überwiegend Studenten im Alter zwischen 20 und 28 Jahren aufgenommen (in etwa gleichgewichtig Männer und Frauen). Bei den meisten Studenten handelt es sich um italienische Erasmusstudenten, die ein Austauschsemester in Heidelberg verbrachten haben oder um Teilnehmer des Heidelberger Ferienkurses aus Italien. Einige Aufnahmen wurden in Italien durchgeführt und zwar in Aosta, Rom und Neapel. 2. Quantitative Analyse der Frequenz von stare + gerundio 2.1. Definition der Erhebungsziele Der Forschungsliteratur ist zu entnehmen, dass die Verbalperiphrase stare + gerundio zunehmend im Italiano contemporaneo verwendet wird. 261 Das Besondere an dieser Entwicklung ist, dass es sich bei stare + gerundio nicht um eine neuere Verbalperiphrase handelt, sondern um einen im italienischen Verbalsystem fest etablierten Verbalausdruck. Es wird angenommen, dass diese so etablierte Form, die über einen sehr hohen Grammatikalisierungsgrad verfügt und als die grammatikalisierteste der italienischen Verbalperiphrasen gilt, 262 zunehmend ihre Vitalität bzw. ihre Verwendungshäufigkeit ausbaut (anders als beispielsweise im Französischen). Die in der Forschungsliteratur beschriebene Vitalitätszunahme hat Anlass dazu gegeben, folgende Leitfragen zuerst zu untersuchen: 1. Wie häufig wird stare + gerundio im zugrundeliegenden Experiment verwendet? 2. Verhalten sich die Sprecher in Bezug auf die Verwendung bzw. Nicht-Verwendung von stare + gerundio ähnlich? Gibt es sprecherbezogene Variationen hinsichtlich der Häufigkeit? Die Darstellung der relevanten Steuerungsfaktoren auf der Ebene der Situation erfolgt in Kapitel 6 ausführlich. Hier steht zunächst die quantitative Analyse der Frequenz von stare + gerundio im Vordergrund. 261 vgl. BERTINETTO (1990: 29); (BERRETTA (2000: 220); STRUDSHOLM (2004: 2), D’ACHILLE (2003: 123), HEINEMANN (2003: 176) 262 vgl. BERTINETTO (1990: 347-348) <?page no="87"?> Quantitative Analyse der Frequenz von stare + gerundio 87 2.2. Begründung der Analysen Die Leitfragen und deren Analyse sind darin begründet, dass laut Forschungsliteratur die Verwendung der Verbalperiphrase stare + gerundio zwar zunimmt, jedoch bis dato aussagekräftige Analysen bezüglich des Gebrauchs der Form und ihrer Verwendungsbedingungen fehlen. 263 In der Forschungsliteratur der letzten zwanzig Jahre wird lediglich festgestellt, dass stare + gerundio sehr vital und gewissermaßen auf dem „Vormarsch“ sei, jedoch sind statistische Belege rar, die die Verwendungshäufigkeit erfassen. Die hier erhobenen Daten zur Frequenz ergeben sich zwar ausschließlich aufgrund des verwendeten Experiments und stehen nicht stellvertretend für spontansprachliches Sprechen, dennoch wird hier erstmals die Verwendung von stare + gerundio systematisch-quantitativ erfasst. Die zweite Frage zur sprecherbezogenen Variation bezüglich des Gebrauchs der Form ist darin begründet, dass der Sprecher bislang als Konstante aus den Analysen herausgeklammert wurde. Es standen überwiegend die Verbindungen von stare + gerundio mit Verben und Temporaladverbien im Vordergrund, die basierend auf verschiedenen Korpora ausgewertet wurden (vgl. Abschnitt 2.7.). Individuelle Verwendungen und Regelmäßigkeiten wurden also nicht berücksichtigt. 2.3. Analyseverfahren Die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio wird anhand eines der Datensätze (Datensatz III) berechnet, der mit 40 Versuchspersonen erhoben wurde (siehe Kapitel 6 für die Auswahl der verwendeten Situationen). Zur Analyse der Verwendungshäufigkeit wurde zunächst die Bezugsgröße für die Berechnung der Frequenz ermittelt, die sich aus dem Produkt der Faktoren „Anzahl der Probanden“ sowie „Anzahl der Situationen“ ergibt. Folglich wurde im Falle des Datensatzes III die Anzahl der Probanden (40) mit der Anzahl der Situationen (40) multipliziert. Anteilig zu dieser Bezugsgröße (1600) wurden die Okkurrenzen von stare + gerundio berechnet. Die Frequenz ergibt sich also aus der Menge der Situationen in denen stare + gerundio verwendet wurde in Bezug auf die Gesamtanzahl der Situationen in denen man stare + gerundio hätte verwenden können. 263 Ausnahmen bilden hierzu bilden Studien von SQUARTINI (1990) und VILLARINI (1999) <?page no="88"?> 88 Empirie 2.4. Ergebnisse 2.4.1. Frequenzanalyse In einer ersten quantitativen Analyse wurde die durchschnittliche Verwendung von stare + gerundio ermittelt. Der Durchschnittswert der Verwendung beläuft sich im vorliegenden Datensatz auf 41,95 %. In Ermangelung eines Vergleichswerts, der Aussagen über Zuwachs oder Regression der Häufigkeit von stare + gerundio erlaubt, kann lediglich festgehalten werden, dass stare + gerundio in weniger als der Hälfte aller möglichen Fälle verwendet wird. Trotz der Tatsache, dass alle im Videoexperiment gezeigten Stimuli eine im Verlauf befindliche Situation darstellen und daher per se eine konzeptuelle Nähe zu der zu Verfügung stehenden progressiven Verbalperiphrase aufzeigen 264 , wird stare + gerundio in knapp 60 % der Fälle nicht verwendet. Das Englische, das eine sehr weit fortgeschrittene Grammatikalisierung des Progressivs 265 im Sinne der obligatorization nach Dahl 266 aufweist, zeigt in einer identischen Versuchsreihe, die im übergeordneten Forschungsprojekt durchgeführt wurde, einen Durchschnittswert von fast 98 % auf. 2.4.2. Sprecherbezogene Variation Neben dem oben erläuterten Durchschnittswert zeigt die Analyse der Daten, dass die Verwendung von stare + gerundio innerhalb der Probanden stark streut. Dies bedeutet, dass sich die Probanden sehr unterschiedlich im Hinblick auf Verwendung bzw. Nicht-Verwendung von stare + gerundio verhalten: Es gibt auf der einen Seite Probanden, die stare + gerundio für eine große Anzahl der dargestellten Situationen verwenden, andere Probanden hingegen verwenden die Form überhaupt nicht. Das folgende Diagramm (Abb. 7) verdeutlicht, wie stark die Verwendung von stare + gerundio von Versuchsperson zu Versuchsperson variiert. 267 Zwei Versuchspersonen benutzen die Form überhaupt nicht, während vier Probanden einen Wert von über 85 % ausweisen. 264 Die nachfolgenden Ergebnisse werden zeigen, dass einige Sprecher fast durchgängig stare + gerundio verwenden. 265 COMRIE (1976: 33) 266 DAHL (2000: 9) 267 Dieser Trend der stark sprecherabhängigen Verwendung von stare + gerundio konnte im Gesamtkorpus bei 173 Probanden ausnahmslos festgestellt werden. <?page no="89"?> Quantitative Analyse der Frequenz von stare + gerundio 89 Abb. 7: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio im Experiment (Datensatz III) und die daraus abgeleiteten Gruppierungen Die genaue Betrachtung der Verwendungshäufigkeiten von stare + gerundio der einzelnen Probanden legt nahe, diese in vier Gruppen einzuteilen. Diese Einteilung erfolgt jedoch nur grob und fußt auf den im Diagramm gekennzeichneten „Stufen“, die folgende Clusterung erlauben. In der ersten Gruppe werden jene Sprecher zusammengefasst, die eine Frequenz von stare + gerundio von unter 10 % aufweisen (10 Probanden). Die Häufigkeit der Verwendung ist in dieser Gruppe als geringfügig zu betrachten. In der zweiten Gruppe beläuft sich die Frequenz auf 10 %-50 % (16 Probanden). Diese Gruppe zeigt eine weite Spanne auf. Das Diagramm zeigt jedoch, dass der Frequenzunterschied zwischen Proband 26 und 27 diese Zäsur rechtfertigt. Es ist in dieser Gruppe ein erhöhter, relativ häufiger Gebrauch im Vergleich zur ersten Gruppe zu beobachten, der sich dem Gesamtdurchschnitt annähert, ohne jedoch eine deutliche Präferenz für die Verbalperiphrase aufzuzeigen. In der dritten Gruppe weisen die Probanden eine Frequenz von 50-80 % auf (10 Probanden), während die letzte Gruppe alle Probanden mit einer Häufigkeit von über 80 % erfasst (4 Probanden). In den letzten beiden Gruppen wird die Verbalperiphrase häufig bzw. sehr häufig (vgl. Tab. 4) verwendet. <?page no="90"?> 90 Empirie Gruppe Anzahl Probanden Klassifizierung der Häufigkeiten 1: < 10 % 10 selten bis gar nicht 2: 10-50 % 16 relativ häufig 3: 50-80 % 10 häufig 4: > 80 % 4 sehr häufig Tab. 4: Probandenanzahl und Klassifizierung der einzelnen Häufigkeitsgruppen Die Erhebungsdaten zeigen eine große Spanne bezüglich der Verwendung von stare + gerundio auf. Diese Heterogenität in der Verwendung von stare + gerundio lässt sich aufgrund folgender Kriterien etablieren: • die dargestellten, im Verlauf befindlichen Kontexte können repräsentiert werden ohne auf die progressive Verbalperiphrase zurückzugreifen • es ist für die dargestellten Situationen angemessen, stare + gerundio alternierend mit der einfachen Form des Präsens Indikativ zu verwenden • es ist möglich, stare + gerundio fast ausschließlich für die Versprachlichung der dargestellten Ereignisse zu verwenden 268 2.5. Die Frequenz von stare + gerundio im Sprachvergleich Die große Streuung sowie die Angemessenheit sowohl der Verbalperiphrase als auch der einfachen Form zeigen den Unterschied zu einer Aspektsprache wie dem Englischen auf, die das Progressiv fast vollständig grammatikalisiert hat. Im Französischen hingegen, dessen progressive Verbalperiphrase eine eher marginale Rolle im Verbalsystem spielt, zeigt sich unter analogen Bedingungen eine ähnliche Sprechervarianz bezüglich der Verwendung von être en train de + Infinitiv wie im Italienischen. Jedoch liegt im Französischen der Durchschnitt deutlich niedriger, nämlich bei 15,9 %. 269 268 Es soll an dieser Stelle unterstrichen werden, dass die Verwendung von stare + gerundio in diesem Experiment in jeglicher Ausprägung bzw. Verdichtung als normkonform zu betrachten ist. Normkonform deshalb, da alle dargestellten Stimuli mit oder ohne periphrastische Realisierung als grammatikalisch korrekt zu werten sind. Dies kann am folgenden Beispiel erläutert werden. Das Item Nr. 22 des Datensatzes III 3 zeigt einen Jungen, der auf einem Surfbrett surft. Die folgenden unterschiedlichen Repräsentationen sind gleichermaßen korrekt: „due ragazzi che fanno surf“ vs. „dei ragazzi stanno facendo surf“. 269 Durch die Einbindung der vorliegenden Dissertation in das sprachvergleichende Projekt „Einzelsprachliche Perspektivierung in der Sprachproduktion/ Heidelberg Research Group“ (Christiane von Stutterheim, Mary Carroll, Silvia Natale) in Kooperation mit der Universität Paris VIII (Monique Lambert, Pascale Leclercq) sowie der Radboud Universität Nijmegen <?page no="91"?> Quantitative Analyse der Frequenz von stare + gerundio 91 2.6. Zusammenfassung der Analysen In diesem Kapitel wurden folgenden Leitfragen nachgegangen: 1. Wie häufig wird stare + gerundio im zugrundeliegenden Experiment verwendet? 2. Verhalten sich die Sprecher in Bezug auf die Verwendung bzw. Nicht-Verwendung von stare + gerundio ähnlich? Gibt es sprecherbezogene Variationen hinsichtlich der Häufigkeit? Die Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Die Häufigkeit der Verwendung von stare + gerundio liegt in der quantitativen Analyse bei 41.95 %. Entgegen zahlreicher Vitalitätspostulate in der Forschungsliteratur konnte ein Wert gemessen werden, der zeigt, dass in knapp 60 % der möglichen Verwendungskontexte die Form nicht verwendet wurde. 2. Es konnte bezüglich der individuellen Realisierungen festgestellt werden, dass die Verwendung von stare + gerundio sprecherabhängig stark streut: Einige Sprecher benutzen stare + gerundio im Experiment fast durchgängig, andere nutzen die Form überhaupt nicht. 2.7. Problematisierung der Frequenz als Analyseparameter Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Aussagen bezüglich der Frequenz bzw. Vitalität von stare + gerundio als problematisch zu werten sind. Als entscheidender Faktor gilt die stark sprecherabhängige Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio. Die hier herausgearbeitete sprecherabhängige Variation zeigt, dass Korpora mit entsprechender Datenmenge, deren Hintergrund jedoch vielleicht wenige Sprecher bzw. Verfasser mit der Tendenz stare + gerundio selten zu verwenden (vgl. geschriebene Texte) bilden, nur bedingt aussagekräftig sind. Darüber hinaus wird die detaillierte Analyse der Frequenz zeigen, dass es eine Reihe von temporalen Faktoren gibt, die die Verwendung von stare + ge- (Marianne Starren) ist es möglich, die Frequenz der progressiven Verbalperiphrasen mit anderen romanischen Sprachen wie dem Französischen und Spanischen zu vergleichen. Dabei zeigt sich, dass im Französischen die Verbalperiphrase être en train de + Infinitiv eine deutlich geringere Frequenz als das Italienische aufweist, die bei ca. 16 % liegt (vgl. LEC- LERCQ (2008). Das Spanische estar + gerundio erfreut sich einer ähnlichen Vitalität wie das Italienische (ca. 45 %). <?page no="92"?> 92 Empirie rundio steuern. Diese Faktoren werden in den folgenden Kapiteln ausführlich dargestellt. Es genügt hier zu erwähnen, dass je nach Verdichtung dieser Faktoren im verwendeten Stimulusmaterial Frequenzberechnungen zu unterschiedlichen Ergebnisse führen können. Der Analyseparameter „Frequenz“ ist daher sehr instabil, wenn er losgelöst von anderen Steuerungsgrößen betrachtet wird. 2.8. Implikation der bisherigen Ergebnisse für den folgenden Analyseschritt Die bisherigen Auswertungen sind das Ergebnis quantitativer Analysen. Im folgenden Kapitel werden nun temporale Eigenschaften der dargestellten außersprachlichen Situationen im Vordergrund stehen. Abgeleitet von der Heterogenität der Verwendungshäufigkeiten einzelner Sprecher soll im folgenden Kapitel untersucht werden, in welchen Situationen eine Verdichtung von stare + gerundio festzustellen ist. Dabei wird den temporalen Eigenschaften der im Videoexperiment dargestellten Ereignisse besonderes Augenmerk geschenkt. 3. Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren auf der Ebene der dargestellten Situation 3.1. Definition der Erhebungsziele Die vorausgegangenen Analysen haben gezeigt, dass es Probanden gibt, die stare + gerundio alternierend mit der einfachen Form des Präsens Indikativ nutzen. Es geht im folgenden Kapitel um die Untersuchung der temporalen Faktoren, die Sprecher dazu bewegen, ein Ereignis mit Hilfe von stare + gerundio als im Verlauf begriffen darzustellen. Diese Faktoren werden ausgehend von der dargestellten Situation analysiert und zunächst unabhängig von sprachlichen Formen betrachtet. Ziel des vorliegenden Kapitels liegt daraus abgeleitet in der Untersuchung der folgenden Leitfrage: 3. Welche temporalen Eigenschaften der dargestellten Situationen beeinflussen die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio? <?page no="93"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 93 Ziel dieser Analyse ist es also herauszufinden, welche temporalen Eigenschaften der Situationen als Steuerungsmechanismen für die Verwendung von stare + gerundio fungieren. Welche temporalen Eigenschaften verursachen einen Anstieg von stare + gerundio und welche sind für eine rückläufige Verwendung verantwortlich? Um diesen Fragen nachzugehen, werden die einzelnen Stimuli in Bezug auf die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio analysiert. Dabei wird zunächst überprüft, ob, wie in der Forschungsliteratur beschrieben, eine Affinität zwischen dem Progressiv und Aktivitäten besteht. 270 Es handelt sich bei Aktivitäten um dynamische Situationen, die sich durch die Homogenität der Teilereignisse auszeichnen (wie z. B. singen). Jedes Teilereignis des Prozesses kann somit stellvertretend für das ganze Ereignis stehen. 271 Situationen dieser Art werden auch als atelisch bezeichnet. 272 Für Sasse und andere stellen Aktivitäten die prototypische Domäne für das Progressiv dar. Dabei ist gemeint, dass das Progressiv typischerweise mit Verben verwendet wird, die die zeitlichen Merkmale einer Aktivität aufweisen. 273 „In actual fact, their prototypical function is to emphasize the ongoing (unbounded) phase of an activity (…).“ Als zentrale Eigenschaften von Aktivitäten lassen sich folgende Merkmale zusammenfassen: 1. Homogenität der Teilereignisse, sodass jedes Teilereignis stellvertretend für die ganze Aktivität steht 2. Kein inferierbarer Endpunkt beendet die Handlung. 274 Die Beendigung der Aktivität ergibt sich durch die Einstellung bzw. durch die Unterbrechung der Handlung; die temporale Begrenzung ist willkürlich und nicht natürlich gegeben (im Gegensatz zu jenen Situationen, wie z. B. dem Töpfern einer Vase, in denen der Endpunkt der Handlung prototypischerweise durch das Entstehen der fertigen Vase gegeben ist) 275 3. Durch Aktivitäten wird somit kein substantielles Ergebnis verursacht. Aus der Beendigung der Aktivität Schwimmen resultiert kein Ergebnis. 270 In der Forschungsliteratur wird die aspektuelle Kategorie des Progressivs, das durch stare + gerundio ausgedrückt wird, mit Verben der „Aktivität“ in enge Verbindung gebracht, vgl. GIACALONE RAMAT (1995: 44-45). 271 Vgl. RYLE (1949), VENDLER (1967) 272 Vgl. COMRIE (1976), SMITH (1991), SASSE (2002) 273 SASSE (2002: 251) 274 PARTEE (2007: 1) 275 SASSE (2002: 251) <?page no="94"?> 94 Empirie Nach Beendigung einer Handlung mit natürlichem Endpunkt (wie z. B. dem Töpfern einer Vase) resultiert hingegen ein fertiges Objekt. Es wird nun überprüft, ob auch auf Ebene der Situation die oben beschriebenen Merkmale der Aktivität einen Einfluss auf die Verwendung von stare + gerundio ausüben. Es wird folglich in dieser Analyse unter anderem um folgende Leitfrage gehen: 4. Üben jene Szenen, die Aktivitäten wie z. B. schwimmen darstellen, eine besondere Anziehungskraft auf stare + gerundio aus? 3.2. Aufbau Um eine mögliche Affinität des progressiven Aspekts zu Situationen ohne inferierbaren Endpunkt und ohne substantielles Ergebnis zu testen, wurden im Videoexperiment Situationen integriert, die sich im Hinblick auf diese Merkmale von Aktivitäten unterscheiden. Zum einen wurden also Situationen getestet, die einen inferierbaren Endpunkt aufweisen und auf ein substantielles Ergebnis hinauslaufen. Diesen Szenen wohnt ein Entstehungsprozess inne. Sie werden daher im Folgenden als solcher bezeichnet. Der Entstehungsprozess kann gut am Beispiel der Situation erläutert werden, die einen Töpfer bei seiner prototypischen Handwerksausübung zeigt: Er sitzt an der Töpferscheibe und formt Ton zu einem Gefäß, das bereits als solches zu erkennen ist. Die Inferierbarkeit des Endpunktes im Bereich des Töpferns liegt darin, dass am Ende des Prozesses prototypischerweise eine Vase bzw. ein Gefäß entstanden sein wird. Das Ergebnis der Handlung ist somit greifbar und substantiell. 276 Die analysierten Szenen gliedern sich somit zunächst in zwei Bereiche: 1. Analyse von Situationen ohne inferierbaren Endpunkt und ohne substantielles Ergebnis, d. h. kein Nachzustand (z. B. Tischtennisspielen) 2. Analyse von Situationen mit inferierbarem Endpunkt, die auf ein substantielles Ergebnis hinauslaufen, d. h. + Nachzustand (z. B. Vase töpfern) Darüber hinaus wird die Verwendungshäufigkeit bei Handlungen erfasst, in denen sich eine Entität von einem Punkt A zu einem Punkt B bewegt. 276 Die Substanz bzw. die „Greifbarkeit“ des Ergebnisses ist auch dann gegeben, wenn beispielsweise die Vase noch nicht ganz fertig, aber schon als solche zu erkennen ist. <?page no="95"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 95 Innerhalb dieser Kategorie wird überprüft, inwieweit die Inferierbarkeit des Endpunktes (ohne substantiellen Nachzustand) eine Rolle spielt. So werden Ortswechsel mit evidentem Endpunkt und ohne evidenten Endpunkt unterschieden, je nach Deutlichkeit des Punktes B. In beiden Fällen verursacht der Ortswechsel kein substantielles Ergebnis. 1. Analyse von Situationen mit lokalem Endpunkt (z. B. Frauen laufen zu einer Parkbank) 2. Analyse von Situationen ohne lokalen Endpunkt (z. B. ein Mann fährt auf einer Straße mit dem Fahrrad). Die nachfolgende Übersicht (Tab. 5) zeigt, in welcher Weise die Situationen für die beschriebene Analyse gegenübergestellt werden: Aktivitäten vs. Entstehungsprozesse - Inferierbarkeit des Endpunktes - substantielles Ergebnis + Inferierbarkeit des Endpunktes + substantielles Ergebnis Ortswechsel - lokaler Endpunkt vs. Ortswechsel + lokaler Endpunkt - Inferierbarkeit des Endpunktes - substantielles Ergebnis + Inferierbarkeit des Endpunktes - substantielles Ergebnis Tab. 5: Gegenüberstellung der unterschiedlichen Situationstypen 3.3. Analyseverfahren Zunächst wird ausgehend von einem Situationstyp mittels einer quantitativen Analyse die Frequenz von stare + gerundio errechnet. Beispielsweise haben 30 von 40 Probanden für den Situationstyp „Ortswechsel - lokaler Endpunkt“ die einfache Form des Präsens Indikativ verwendet. 10 Probanden haben für diesen Situationstypen auf stare + gerundio zurückgegriffen. Es ergibt sich die Frequenz von 25 % für stare + gerundio. 3.4. Ergebnisse Datensatz III In diesem Kapitel werden nun die Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen der temporalen Zusammensetzung der Situationen und ihrer Anziehungskraft auf die Verwendung von stare + gerundio vorgestellt. Die Ergebnisse <?page no="96"?> 96 Empirie sind aufgrund zweier verschiedener Datensätze erzielt worden, die die methodisch ausgefeilte Variante der ersten Versuchsreihen darstellen. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass die Verwendung von stare + gerundio für alle gezeigten Situationstypen möglich und in keinem Fall zwingend ist. Da es sich um eine Periphrase handelt, die sich in einer Grammatikalisierungsphase befindet, soll aufgezeigt werden, welche temporalen Eigenschaften eine Auswirkung auf die Verwendung der Periphrase ausüben und in diesem Entwicklungsstand für die Verwendung der Form von Bedeutung sind. 3.4.1. Entstehungsprozesse vs. Aktivitäten Die Auswertungen haben entgegen der ersten Hypothese gezeigt, dass Aktivitäten nicht den Situationstyp darstellen, der stare + gerundio in besonderem Maße anzieht. Aus den vorliegenden Daten wird deutlich, dass sich der Wert auf 39.4 % beläuft und somit relativ nah bei der Gesamtfrequenz von 41.95 % und nicht darüber liegt. Im Gegensatz zum erwarteten Stellenwert der Kategorie ‚Aktivität‘ erhöhen Entstehungsprozesse die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio. Hier ergibt sich eine Realisierungsquote von 56.2 % (s. Abb. 8). Es zeigt sich, dass Handlungen, die ein substantielles Ergebnis aufweisen, im Vergleich zu Aktivitäten eine deutlich höhere Anziehungskraft auf die Verwendung von stare + gerundio ausüben. Abb. 8: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio in Abhängigkeit vom Situationstyp (Aktivität und Entstehungsprozess) 3.4.2. Ortswechsel Ist die Inferierbarkeit des Endpunktes eines Ereignisses in räumlicher Hinsicht gegeben, d. h. ohne Nachzustand, sinkt die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio und erreicht einen Wert von 24.2 %. Ist innerhalb des Ortswechsels <?page no="97"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 97 kein lokaler Endpunkt zu erkennen, beläuft sich die Frequenz auf 37.7 % und ist mit der Frequenz für Aktivitäten vergleichbar (s. Abb. 9). Abb. 9: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio in Abhängigkeit des Ortswechsels ohne bzw. mit lokalem Endpunkt Es kann aus diesen Zahlen abgeleitet werden, dass für die Kategorie des Ortswechsels die Frequenz von stare + gerundio höher ist, wenn kein evidenter Endpunkt vorhanden ist. Liegt hingegen ein Endpunkt vor, sinkt die Frequenz von stare + gerundio gegenüber der Gesamtfrequenz. 3.4.3. Interpretation der Ergebnisse Ausgehend von den vorliegenden Ergebnissen stellt sich die Frage, weshalb die Inferierbarkeit des Endpunktes gekoppelt an ein substantielles Ergebnis den Gebrauch von stare + gerundio erhöht. Die folgenden Punkte erörtern diese Fragestellung: 1. Die Analysen zeigen, dass nicht nur die Inferierbarkeit des Endpunktes von Bedeutung ist, sondern auch seine Beschaffenheit. Diese Tatsache wird durch den Blick auf die Verwendungsfrequenzen getragen: Wird der Endpunkt durch ein substantielles Ergebnis greifbar, ist die Frequenz von stare + gerundio höher als bei Situationen des Ortswechsel, die kein substantielles Ergebnis hervorbringen. 2. Die Teilereignisse sind nicht nur homogen, sondern kumulativ. Jedes einzelne Teilereignis trägt zur Entwicklung bei, die durch das substantielle Ergebnis getragen wird. Temporal ausgedrückt besteht bei den Entstehungsprozessen ein temporaler Kontrast zwischen den Intervallen, die vor dem Umschlagpunkt des Ereignisses und danach liegen (= Nachzustand). 277 277 Der Begriff Nachzustand wird hier für die Situationsebene verwendet, auch wenn er überwiegend für die Verbebene gebraucht wird. <?page no="98"?> 98 Empirie D. h. es besteht ein Kontrast zwischen einem Zustand in dem beispielsweise die Vase noch nicht fertig (aber erkennbar) ist (= Zustand vor dem Umschlagpunkt) und einem Zustand, in dem die Vase als solche existiert (Nachzustand). 278 Der graduelle Übergang von einem Zustand in den nächsten kann daher in besonderem Maß als im Verlauf begriffen aufgefasst werden. Die Ergebnisse zeigen, dass Situationen dieser Art in besonderem Maße die Konzeptualisierung des Ereignisses als „progressiv“, fortschreitend hervorrufen und dabei eine höhere Verwendung von stare + gerundio auslösen. 3. Dass die Frequenzwerte für Aktivitäten (39,1 %) und Ortswechsel ohne evidenten Endpunkt (37,7 %) eng beieinander liegen, liegt darin begründet, dass sich diese beiden Situationstypen die gleichen Merkmalsausprägungen teilen: • Inferierbarkeit des Endpunkts • Substantielles Ergebnis (vgl. Tab. 5) 4. Darüber hinaus könnte die Dauer der dargestellten Ereignisse eine Rolle spielen. Im Falle der erreichten Endpunkte in der Kategorie des Ortswechsels ist der dargestellte Ausschnitt von kurzer Dauer. Es ist zwar im Italienischen möglich, auch für ein punktuelles und somit kurzes Ereignis stare + gerundio zu verwenden (z. B. sto entrando in casa = ich betrete gerade das Haus), jedoch scheint bei diesem Situationstyp die Konzeptualisierung eines kurzen Ereignisses als im Verlauf begriffen noch nicht stark etabliert zu sein. Das Konzept des Verlaufs und seiner expliziten Verbalisierung ist demnach von folgenden Merkmalen gesteuert: • Inferierbarkeit des Endpunktes • Vorhandensein eines substantiellen Ergebnisses • Dauer Als temporales Kernkonzept kann folglich die „Hinentwicklung“ zu einem inferierbaren Endpunkt samt substantiellem Ergebnis gewertet werden. Die erarbeiteten Merkmale werden in einer Abschlussanalyse anhand der Verben, die mit stare + gerundio verwendet werden, überprüft. 3.4.4. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Annahme, dass Aktivitäten häufiger mit stare + gerundio verbunden werden, konnte nicht bestätigt werden. Die Ausblendung der Grenzen („Progres- 278 Der Übergang zwischen Vor- und Nachzustand wird vom Umschlagpunkt getragen. <?page no="99"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 99 sives present a situation (…) as ongoing at a reference time, without respect to boundaries“ 279 ) spielt auf der Ebene der Situation keine entscheidende Rolle für die Verwendung des Progressivs. Bei Entstehungsprozessen führt dagegen das Vorhandensein eines inferierbaren Endpunktes samt substantiellem Ergebnis, auf das sich die Handlung hinentwickelt, zu einem Anstieg der Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio. Als Begründung wird die Tatsache aufgegriffen, dass der Verlauf, der durch den temporalen Kontrast zwischen den Intervallen vor und nach dem Umschlagpunkt gegeben wird, die Selektion der progressiven Verbalperiphrase unterstützt. Das Vorhandensein des substantiellen Ergebnisses verdeutlicht diesen Kontrast, der das Fortschreiten der Handlung impliziert. Es ist klar geworden, dass die Beschaffenheit des Endpunktes eine entscheidende Rolle für die Verwendung von stare + gerundio spielt. Ist die Begrenzung mit einem situationsinhärenten temporalen Kontrast (gegeben durch das substantielle Ergebnis) verbunden, steigt die Verwendung von stare + gerundio. Zeigt die Begrenzung einen vollzogenen Ortswechsel auf, ist kein Anstieg von stare + gerundio zu beobachten. Die zu Anfang gestellten Leitfragen können demnach auf diese Weise beantwortet werden: 1. Situationen, die einen Entstehungsprozess mit inferierbarem Endpunkt und substantiellem Ergebnis enthalten, zeigen die höchste Verdichtung von stare + gerundio auf. 2. Somit stellen Aktivitäten nicht den Situationstypen dar, der stare + gerundio am stärksten anzieht. 3. Situationen, die einen Ortswechsel mit inferierbarem Endpunkt und kein substantielles Ergebnis beinhalten, zeigen die niedrigste Vorkommenshäufigkeit von stare + gerundio. 4. Zentrale temporale Eigenschaften der Situationen, die eine Affinität zu stare + gerundio zeigen sind: • Inferierbarkeit des Endpunktes • Vorhandensein eines substantiellen Ergebnisses • Dauer der Handlung 3.5. Implikationen der Ergebnisse für den nächsten Analyseschritt Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse haben gezeigt, dass Handlungen mit inferierbarem Endpunkt und substantiellem Ergebnis den Gebrauch von stare + gerundio anziehen. Im Bereich der Entstehungsprozesse wurde daher 279 EBERT (1996: 42) <?page no="100"?> 100 Empirie ein verfeinertes Design entwickelt, um diese temporalen Eigenschaften näher differenzieren zu können. 3.6. Datensatz VI Die vorhergehende Analyse veranlasst dazu, den Bereich der Entstehungsprozesse genauer zu differenzieren. Die Differenzierung bezieht sich hauptsächlich auf die Beschaffenheit des Endpunktes. Es wird getestet, 1. ob die Sichtbarkeit des angestrebten substantiellen Ergebnisses in der dargestellten Situation eine Auswirkung auf die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio hat, 2. inwieweit die Homogenität 280 der Teilereignisse der dargestellten Situation eine Rolle bezüglich der Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio spielt, 3. ob die Dauer einer Handlung von Bedeutung ist. Das Ergebnis des verfeinerten Designs ist der Datensatz VI, der im folgenden Unterkapitel im Vordergrund stehen wird und mit 51 Probanden erhoben wurde. Die folgende Tabelle zeigt, wie sich das Design des Datensatzes VI zusammensetzt: Gruppe 1 Entstehungsprozesse Gruppe 2 Aktivitäten Ebene 1 + inferierbarer Endpunkt + substantielles Ergebnis - inferierbarer Endpunkt - substantielles Ergebnis Ebene 2 Gruppe 1a: Effizierte Entität (+ Dauer) Gruppe 1b: Affizierte Entität Ebene 3 Ergebnis sichtbar Ergebnis nicht sichtbar Modifikation (+ Dauer) Modifikation (- Dauer) Ebene 4 Homogene Subintervalle Heterogene Subintervalle Tab. 6: Untersuchungsdesign zum Datensatz VI Da die vorausgehenden Analysen gezeigt haben, dass jene Situationen mit Inferierbarkeit des Endpunktes und substantiellem Ergebnis die Verwendungs- 280 Die Kategorie der Homogenität wird untersucht, da Aktivitäten, die mit dem Progressiv in Verbindung gebracht werden, das Merkmal der Homogenität aufweisen (vgl. ASNES: 2006). <?page no="101"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 101 häufigkeit von stare + gerundio beeinflussen, wird diese Gruppe noch weiter differenziert. Zunächst wird für Gruppe 1 auf der zweiten Ebene unterschieden, ob das Ergebnis, auf das sich das Ereignis hinentwickelt, eine effizierte oder affizierte Entität beinhaltet. Es wird überprüft, ob diese beiden Prozesse, die sich hinsichtlich ihrer Endzustände unterscheiden, unterschiedliche Verwendungshäufigkeiten von stare + gerundio determinieren. Unter „effiziert“ (= Gruppe 1a) wird dabei das Entstehen einer Entität begriffen, während „affiziert“ (= Gruppe 1b) die Veränderung einer Entität beschreibt, ohne dass diese „neu“ geschaffen wird. Als Begriffspaare könnte man hier ebenfalls die Stichworte „Neuschaffung“ und „Modifikation“ einander gegenüberstellen. Als ein Beispiel für die Situation, die eine Neuschaffung zeigt, sei das bereits erwähnte Töpfern angeführt. Für die Modifikation kann als Beispiel die Szene dienen, in der eine durchsichtige Glasflasche mit einem Pinsel bemalt wird (eine detaillierte Auflistung folgt weiter unten). Innerhalb der Gruppe 1a wird ferner auf der dritten Ebene unterschieden, ob die Sichtbarkeit des Ergebnisses eine Rolle spielt. Einige Situationen zeigen die effizierte Entität unmittelbar vor ihrer Vollendung (die getöpferte Vase ist bereits gut zu erkennen). In anderen Situationen muss die effizierte Entität stärker inferiert werden (z. B. wird eine Frau beim Stricken gezeigt und der Sprecher kann nicht erkennen, was gestrickt wird). Es wurde ferner in der Gruppe 1a auf der vierten Ebene untersucht, ob die Verwendungshäufigkeit steigt, wenn als Ausschnitt in der Szene homogene oder heterogene Teilereignisse eines Ereignisses gezeigt werden. In der Forschungsliteratur wird eine Affinität des progressiven Aspekts zu Homogenität beschrieben, 281 daher wird auch diese Komponente in das Design integriert. 282 In der Gruppe 1b wurde innerhalb der affizierten Entitäten untersucht, ob es einen Unterschied bezüglich der Vorkommenshäufigkeit gibt, wenn im Bereich der Modifikation einer Entität die Dauer eine Rolle spielt. So wurden Situationen mit einer längeren Dauer (Bemalen einer Glasflasche/ + Dauer) Situationen gegenübergestellt, die eine kürzere Dauer aufweisen (z. B. ein Stück Papier zerreißen/ - Dauer). 283 Die zweite Gruppe der Situationen, die dagegen keinen inferierbaren Endpunkt aufweist, zeigt typische Aktivitäten, die keine Entität effizieren oder 281 COMRIE (1976) 282 Auch andere Szenen des Experiments weisen sich durch die Merkmale homogen und heterogen aus. In dieser Gruppe werden diese Merkmale jedoch systematisch getestet und deshalb explizit aufgeführt. 283 Das Kriterium der Dauer, das auch in anderen Szenen des Experiments vorhanden ist, wurde in dieser Gruppe systematisch getestet und daher explizit aufgeführt. <?page no="102"?> 102 Empirie affizieren. Es handelt sich um Aktivitäten, die kein substantielles Ergebnis hervorbringen, wie bereits oben ausführlich dargestellt. In der folgenden Übersicht, werden alle gezeigten Situationen gemäß ihrer Darstellung auf dem Bildschirm samt ihrer spezifischen Eigenschaften aufgelistet. Gruppe 1: Effizierte Entität Inferierbarkeit des Endpunktes substantielles Ergebnis klar sichtbar homogene Teilereignisse • Mann töpfert Vase an Töpferscheibe effiziert: Vase • Mann schnitzt mit Messer Gesicht aus Holz effiziert: Holzfigur • Jemand zeichnet auf Papier mit Bleistift ein Auto effiziert: Auto • Jemand faltet Papier zu einem Flieger effiziert: Papierflieger • Frau sitzt auf Sessel und strickt an einem Schal effiziert: Schal • Jemand baut aus Pappkarten ein Kartenhaus effiziert: Kartenhaus Die effizierte Entität geht aus der Inferierbarkeit des entstehenden Objekts hervor. Für den Probanden ist deutlich zu erkennen, dass eine Vase, ein geschnitztes Gesicht, ein gemaltes Auto, ein gebastelter Flieger, ein gestrickter Schal bzw. ein Kartenhaus entstehen wird. Die dargestellten Teilereignisse sind homogen, da die dargestellte Handlung aus gleichmäßigen, sich wiederholenden Teilereignissen besteht. Gruppe 2: Effizierte Entität Inferierbarkeit des Endpunktes substantielles Ergebnis klar sichtbar heterogene Teilereignisse • Schuster nimmt Hammer und Nagel und nagelt eine Schuhsohle fest effiziert: Schuh • Mann nimmt ein Blatt Papier und spannt es in eine Schreibmaschine ein effiziert: geschriebenes Dokument • Jemand setzt aus verschiedenen Holzstücken ein Modell zusammen effiziert: Modell • Jemand rollt Knete und setzt sie zu einer Figur zusammen effiziert: Figur • Jemand glättet Teig in einer Nudelmaschine und schneidet den Teig zu Nudeln effiziert: Nudeln • Jemand füllt Kaffee in eine Mokkamaschine und schraubt diese anschließend zusammen effiziert: gebrauchsfertige Mokkamaschine Auch in dieser Gruppe geht das effizierte Objekt aus der Inferierbarkeit des angestrebten Ergebnisses hervor. Am Ende der dargestellten Handlungen wird der Schuh fertig, das Blatt beschrieben, das Modell zusammengesetzt, <?page no="103"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 103 die Knetfigur vollendet, die Nudeln geschnitten und die Kaffeemaschine fertig zusammengeschraubt sein. Im Vergleich zur ersten Gruppe sind die dargestellten Teilereignisse nicht gleichmäßig bzw. homogen, sondern heterogen. Die Teilereignisse wiederholen sich nicht, sie unterscheiden sich. Gruppe 3: Effizierte Entität Inferierbarkeit des Endpunktes substantielles Ergebnis nicht sichtbar homogene Teilereignisse • Jemand strickt etwas • Jemand malt etwas • Jemand rührt einen Teig an • Jemand näht etwas • Jemand schnitzt an Holz • Jemand faltet Papier Diese Gruppe hat eine große Ähnlichkeit zur Gruppe 1 bezüglich der Homogenität der dargestellten Teilereignisse. Diese Ähnlichkeit ist im vorliegenden Experimentdesign intendiert, um die Bedeutsamkeit des substantiellen Ergebnisses zu überprüfen. Das Ergebnis ist in seiner Substanz in diesen Situationen aber nicht sichtbar, sondern lediglich inferierbar. Aus dem Weltwissen geht jedoch hervor, dass beispielsweise das Stricken nicht um seiner selbst willen geschieht, sondern dass am Ende etwas entstehen soll. Es wird getestet, inwieweit die Sichtbarkeit des Ergebnisses von Bedeutung ist. Gruppe 4: Affizierte Entität Modifikation längere Dauer • Jemand stempelt Umschläge ab • Jemand wischt mit einem Lappen einen Fleck von der Arbeitsplatte • Jemand bemalt eine durchsichtige Glasflasche mit einem Pinsel und blauer Farbe • Eine Frau bläst einen roten Luftballon auf • Eine Frau deckt einen Tisch • Ein Mann zieht ein Sofa zu einem Bett aus und richtet dies Diese Situationen weisen eine Modifikation auf, die keinen Entstehungsprozess als solchen abbildet. Ein bereits bestehender Gegenstand wird verändert, modifiziert. Die Modifikation, die in diesen Situationen dargestellt wird, ist von längerer Dauer als die Modifikation, die in der Gruppe 5 dargestellt wird. Gruppe 5: Affizierte Entität Modifikation kürzere Dauer • Jemand schüttet einen Wassereimer in einem Waschbecken aus • Ein Mann fällt einen Baum <?page no="104"?> 104 Empirie • Jemand zerreißt Papier • Jemand bringt mit einer Nadel einen Ballon zum Platzen • Jemand zerschneidet mit einer Schere einen Karton • Jemand zerbricht Spaghetti in einem Teller Hier wird die Modifikation sehr rasch vollzogen. Gruppe 6: Aktivitäten • Zwei Jungen spielen Tischtennis • Ein Junge surft auf einem Wellenbrett • Ein Mann joggt im Wald • Ein Mann fährt mit einem Fahrrad auf der Straße • Drei Männer spielen in einem Hof Fußball • Zwei Frauen werfen sich eine Frisbeescheibe zu In dieser Gruppe spielt die Inferierbarkeit des Endpunktes keine Rolle. Es handelt sich um Handlungen, die nicht durch ein substantielles Ergebnis, sondern durch die Aufgabe der Handlung beendet werden („Cessation“). 3.6.1. Ergebnisse Datensatz VI Der Gesamtdurchschnitt der Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio liegt im Datensatz VI bei 36.25 % (n = 51). Der folgenden Tabelle sind die einzelnen Werte für die differenzierten Situationen zu entnehmen. Gruppe Merkmale der Szenen Wert in % I + effiziert/ + inferierbarer Endpunkt/ substantielles Ergebnis sichtbar/ homogene Teilintervalle gezeigt 45.4 II + effiziert/ + inferierbarer Endpunkt/ substantielles Ergebnis sichtbar/ heterogene Teilintervalle gezeigt 41.7 III + effiziert/ + inferierbarer Endpunkt/ substantielles Ergebnis nicht sichtbar/ homogene Teilintervalle gezeigt 41.7 IV + affiziert/ + inferierbarer Endpunkt/ Modifikation/ längere Dauer 40.9 V + affiziert/ + inferierbarer Endpunkt/ Modifikation/ kürzere Dauer 33.9 VI - inferierbarer Endpunkt/ - substantielles Ergebnis 21.6 Tab. 7: Nutzungshäufigkeiten von stare + gerundio in den untersuchten Gruppen des Datensatzes VI <?page no="105"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 105 Diese Ergebnisse beziehen sich auf die temporalen Eigenschaften der dargestellten Situationen und ihre Auswirkungen auf den Gebrauch von stare + gerundio. Die Übereinstimmungen zwischen den temporalen Eigenschaften der Situationen und dem tatsächlich verwendeten Sprachmaterial werden im nächsten Kapitel analysiert. Für die erste Gruppe mit den oben aufgelisteten Merkmalen kann wie für den Datensatz III die höchste Verdichtung von stare + gerundio aufgezeigt werden. Es konnte erneut bestätigt werden, dass ein inferierbarer Endpunkt samt substantiellem Ergebnis eine entscheidende Rolle für die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio spielt. Aus den Werten der Gruppe II kann im Vergleich zur Gruppe I abgelesen werden, dass die Homogenität der dargestellten Teilereignisse ebenfalls ein relevantes und verwendungssteuerndes Merkmal darstellen könnte. Die Bedeutung der Homogenität stellt eine Übereinstimmung zu der in der Forschungsliteratur festgestellten Affinität des progressiven Aspekts zur Kategorie der Aktivität dar, die sich durch homogene Teilereignisse auszeichnet. 284 Die Ergebnisse zeigen, dass ein Ausschnitt einer Szene, die homogene Teilereignisse zeigt, zu einer höheren Verwendung von stare + gerundio führt. Gruppe III hingegen zeigt im Vergleich zur Gruppe I, dass die Sichtbarkeit des Ergebnisses ebenfalls von Bedeutung ist. Das Weltwissen über das Entstehen eines substantiellen Objekts ist nicht ausreichend, um eine höhere Verwendung von stare + gerundio auszulösen. Die Sichtbarkeit bzw. die Substanz des Ergebnisses erhöhen die Verwendungshäufigkeit der progressiven Verbalperiphrase. Die Ergebnisse zeigen erneut, dass Entstehungsprozesse stare + gerundio in einem höheren Maß anziehen als Aktivitäten. Es wird deutlich, dass die Verwendung von stare + gerundio von einem Merkmalsbündel gesteuert wird, das in der folgenden Übersicht abgebildet ist. Links stehen jene Situationen, die stare + gerundio am stärksten anziehen. Es folgen anschließend skalar mit sinkendem Anziehungsgrad die weiteren Merkmalsausprägungen. Überblick über semantische Eigenschaften der Szenen, die die Verwendung von stare + gerundio steuern: Eigenschaft 1: +/ - Inferierbarkeit des Endpunktes Eigenschaft 2: +/ - Vorhandensein eines substantiellen Ergebnisses Eigenschaft 3: +/ - Homogenität (Homogenität bzw. Heterogenität) Eigenschaft 4: +/ - Dauer (lange bzw. kurze Dauer einer Handlung) 284 vgl. VENDLER (1967: 133) <?page no="106"?> 106 Empirie Abb. 10: Die Steuerung der Verwendung von stare + gerundio durch Situationseigenschaften 3.6.2. Zusammenfassung der Ergebnisse: Die Bedeutung des substantiellen Ergebnisses Die Auswertung der Datensätze zeigt, dass in sämtlichen Situationen stare + gerundio verwendet wird. Dennoch konnte festgestellt werden, dass es Präferenzen hinsichtlich der Verwendungshäufigkeiten von stare + gerundio innerhalb der Situationen gibt. Als zentrales Ergebnis kann die Bedeutung der Inferierbarkeit des Endpunktes einer Handlung samt substantiellem Ergebnis festgehalten werden. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass im Bereich der Entstehungsprozesse das Vorhandensein eines inferierbaren Endpunktes samt substantiellem Ergebnis die Verwendung von stare + gerundio beeinflusst. Die folgende Graphik (Abb. 11) zeigt die relevanten Komponenten der Entstehungsprozesse. Der Pfeil drückt aus, dass die Situation „gerichtet“ ist; es handelt sich um eine Progression bzw. Entwicklung, die vonstatten geht: Die Situation ist auf das Entstehen einer effizierten Entität gerichtet. 285 285 Die effizierte Entität wird substantiell in der Szene abgebildet (z. B. durch die getöpferte Vase). <?page no="107"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 107 Abb. 11: Konzeptualisierungsebene I: Erfassung der für stare + gerundio relevanten Eigenschaften im Falle der Situation „+ effiziertes Objekt“ Als weitere temporale Komponente gibt es einen Kontrast zwischen Intervallen vor dem Umschlagpunkt 286 des Ereignisses und dem Nachzustand, was durch die entgegengesetzten Pfeile in der Graphik angedeutet wird. In der Situation, in der z. B. eine Vase getöpfert wird, gibt es einen Zustand, zu dem die Vase noch nicht fertig (vielleicht erkennbar) ist (= Intervalle vor dem Umschlagpunkt) und einen Zustand, in dem die Vase als solche existiert (= Intervalle nach dem Umschlagpunkt/ Nachzustand). Der Übergang von einem Zustand in den anderen wird vom Umschlagpunkt (transition point) markiert. Betrachtet man Aktivitäten, die stare + gerundio in geringerem Maße anziehen, wird deutlich, dass kein Ergebnis im Sinne eines Nachzustands vorhanden ist. Die Struktur der Situation „Aktivität“ ist nachfolgend dargestellt (vgl. Abb. 12). Abb. 12: Struktur der Situation „Aktivität“ 286 Als Umschlagpunkt wird jenes Intervall definiert, das dem Nachzustand unmittelbar vorausgeht. <?page no="108"?> 108 Empirie Zunächst ist zu bemerken, dass die dynamische Situation, die als „Aktivität“ klassifiziert wird, nicht gerichtet ist, d. h., dass sie nicht auf ein substantielles Ergebnis hinausläuft. Die Situation dieser Art beinhaltet keine Progression und wird durch das simple Beenden der Handlung gekennzeichnet. 287 Zwar enthalten „Aktivitäten“ ebenfalls einen (temporalen) Kontrast (beispielsweise Tischtennis spielen und nicht mehr Tischtennis spielen), dieser Kontrast ist jedoch nicht substantiell messbar oder abzubilden, da er lediglich durch die Einstellung der Handlung bestimmt wird. 288 Mit dem Fehlen eines substantiellen Ergebnisses korreliert eine geringere Verwendung von stare + gerundio. 4. Repräsentation der relevanten Steuerungsfaktoren im Sprachmaterial 4.1. Analyseziele Die vorangehenden Analysen haben gezeigt, dass auf der Ebene der dargestellten Situationen des Videoexperiments folgende Steuerungsgrößen für die Verwendung von stare + gerundio von Bedeutung sind: 1. Inferierbarkeit des Endpunktes der dargestellten Handlung durch das Vorhandensein eines substantiellen Ergebnisses 2. Homogenität der dargestellten Handlungsabläufe. Es wird in diesem Kapitel anhand der Sprecher, die stare + gerundio verwendet haben untersucht, ob sich die Bedeutsamkeit des Nachzustands auch in den verwendeten Verben und in der Argumentstruktur widerspiegelt. • Die Analyse der Verbsemantik wird zeigen, ob die Bedeutsamkeit des Nachzustandes über semantische Eigenschaften der Verben zum Ausdruck kommt. Es wird anhand der Verwendung von 1- und 2-Zustandsverben untersucht, ob der Nachzustand des Ereignisses im Verb kodiert wird. • Auf der Ebene der Argumentstruktur der Verben wird geprüft, ob die Bedeutung des inferierbaren Endpunktes und somit des Nachzustandes durch die Nennung des effizierten Objekts explizit ausgedrückt wird. 287 vgl. SMITH (1991: 29) 288 Der Kontrast an sich ist kein relevantes Merkmal, da er sowohl bei Entstehungsprozessen als auch bei Aktivitäten vorhanden ist. Der Nachzustand ist ausschlaggebend. <?page no="109"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 109 4.2. Die Relevanz des Nachzustands in der Verbwahl 4.2.1. Analyseziele Die Bedeutsamkeit des Nachzustands kann im Bereich der Verbwahl neben der Argumentstruktur über die Verbsemantik 289 zum Ausdruck gebracht werden. Dabei stellt sich folgende Leitfrage: 5. Werden Verben verwendet, die implizit einen Nachzustand kodieren? Diese Frage steht erneut im Zusammenhang mit der in der Forschungsliteratur immer wiederkehrenden Aussage, dass Progressivität eine Affinität zu Verben hat, die keine temporale „Begrenzung“ aufweisen: „It (= viewpoint marking system) prototypically operates in the field of activities (as, for example, language-specifc equivalents of work, sing, run, eat, walk, etc.), an ASPECT2 class for which the absence of intrinsic boundaries is typical.“ 290 Für die Situationsebene konnte diese Affinität im vorangegangenen Kapitel widerlegt werden. Ob sie für die Repräsentationsebene von Bedeutung ist, werden die folgenden Analysen zeigen. Zunächst wird jedoch genauer auf den Analysebereich der Verbsemantik eingegangen, der als Grundlage für die folgenden Untersuchungen dient. 4.2.2. Analysebereich: Der Ausdruck der qualitativen Veränderung Verben drücken eine qualitative Veränderung aus, wenn ein Kontrast zwischen einem Vor- und einem Nachzustand im Verb enthalten ist. Beispielsweise beinhaltet das Verb hinsetzen den Kontrast zwischen zwei Zuständen 289 Im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit wurde bereits aufgezeigt, dass Verben unterschiedliche temporale Eigenschaften tragen, wie beispielsweise die Dauer (z. B. über die Unterscheidung durativ vs. nicht-durativ) oder Begrenzung (Boundedness) (KLEIN 1994a: 105). Die Kriterien der Dauer und der Begrenzung, die hier beispielhaft genannt werden, sind temporale Eigenschaften und Analysebereiche, die zwar einen Aufschluss über eine rein zeitliche Limitierung erlauben, jedoch keine Informationen über einen Zustandswechsel geben, der in dieser Analyse untrennbar mit der inhärenten Limitierung verbunden ist. Aus diesem Grunde eignet sich für die Untersuchung der inhärenten Limitierung/ des Nachzustands auf der Ebene der Verbsemantik besonders der Bereich der qualitativen Veränderungen. Qualitative Veränderungen sind in Verben enthalten und geben neben temporalen Informationen auch Hinweise auf implizite Zustandswechsel. 290 SASSE (2002: 206) <?page no="110"?> 110 Empirie (noch nicht sitzen und sitzen), während das Verb laufen keinen impliziten Zustandswechsel ausdrückt, die Teilereignisse sind homogen. 291 Verben mit implizitem Zustandswechsel zeigen darüber hinaus eine zeitliche inhärente Limitierung auf, die durch den Übergang von einem Zustand in den nächsten bzw. vom Übergang eines Teilereignisses in das Nächste gekennzeichnet wird. Verben ohne impliziten Zustandswechsel drücken keine inhärente Limitierung aus, da sie aus homogenen Teilereignissen bestehen. Der Bereich der qualitativen Veränderungen bei Verben ist gut geeignet, um die Bedeutsamkeit des Nachzustands zu untersuchen. 4.2.3. Der Zusammenhang zwischen qualitativen Veränderungen und der Detaillierung der Ereignisrepräsentation Ein Verb kann verschiedene „Blickwinkel“ bezüglich des Detaillierungsgrads auf eine Handlung enthalten. Kurz gesprochen: Wird ein Zustandswechsel mit dem Verb ausgedrückt, geht dies meist mit einem höheren Detaillierungsgrad einher. Wird kein Zustandswechsel vom Verb ausgedrückt, ist der Detaillierungsgrad geringer. 292 Der Zusammenhang zwischen Zustandswechsel und Detaillierungsgrad erläutert überblicksartig die nachfolgende Tabelle. - Zustandswechsel + Zustandswechsel Betrachtungsabstand: weit Betrachtungsabstand: nah - Detaillierung + Detaillierung Tab. 8: Der Zusammenhang zwischen Zustandswechsel und Detaillierungsgrad Bei den Situationen des verwendeten Videoexperiments, die die Option hoher vs. niedriger Detaillierungsgrad erlauben, zeigt sich folgendes Bild: Verben ohne impliziten Zustandswechsel verweisen meist auf ein Makro-Ereignis, das verglichen mit einer Kameralinse eine Handlung „von weitem“ in seiner Gesamtheit erfasst ohne auf Teilereignisse Bezug zu nehmen. Es ergibt sich in der Repräsentation bezüglich der Detaillierung ein niedriger „Auflösungsgrad“. Verben mit implizitem Zustandswechsel drücken hingegen durch einen „Zoomeffekt“ einen hohen Detaillierungsgrad zur Beschreibung der Situation aus. Das dargestellte Ereignis wird von Nahem in seiner „Mikrostruktur“ über 291 Die betreffenden Verben kodieren explizit den Zustandswechsel. 292 vgl. CARROLL & VON STUTTERHEIM (in Druck) <?page no="111"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 111 Teilereignisse repräsentiert. Liegt ein hoher Detaillierungsgrad vor, kommt der Nachzustand im Vergleich zu Verben mit niedrigem Detaillierungsgrades zum Ausdruck. 293 Das Verbalsyntagma battere a macchina (tippen), das für die Situation „Blatt in Schreibmaschine einspannen“ verwendet wurde, enthält beispielsweise keine Kontrastierung des Vor- und Nachzustands, sondern verweist auf eine in sich nicht differenzierte (homogene) Aktivität. Das Ereignis wird auf einer Makro-Ebene in seiner Gesamtheit repräsentiert ohne auf die in der Szene enthaltenen Teilereignisse einzugehen. Dadurch entsteht ein entsprechend niedriger Detaillierungsgrad. Der Nachzustand wird nicht kodiert. Das Verb mit Zustandswechsel inserire (einspannen) enthält hingegen einen Kontrast zwischen einem Vor- und einem Nachzustand (ein Zustand in dem ein Blatt noch nicht eingespannt ist und ein Zustand in dem das Blatt eingespannt ist). Das Verb inserire stellt im Kontext der dargestellten Szene ein Teilereignis einer übergeordneten Handlung dar (= etwas auf einer Schreibmaschine schreiben). Der Betrachtungsabstand wird reduziert und es entsteht ein entsprechend hoher Detaillierungsgrad. Der Nachzustand wird kodiert. Es wird somit deutlich, dass das Merkmal des Zustandswechsels ebenfalls Auskunft über die Detaillierung der Ereignisrepräsentation gibt. Jedoch muss auch diese Form der Klassifizierung in Abhängigkeit des sprachlichen Kontextes betrachtet werden. Die Argumentstruktur eines Verbs kann ein Verb ohne Zustandswechsel zu einem Ereignis mit Zustandswechsel machen. Das Verb scrivere enthält keinen Kontrast zwischen Vor- und Nachzustand, jedoch kann durch den entsprechenden Kontext, wie in scrivere una lettera, der Zustandswechsel zum Ausdruck kommen. In diesem Fall wird durch die Berücksichtigung der Argumentstruktur der Nachzustand kodiert. In den Analysen können folglich, je nachdem ob die Verbsemantik mit Argumentstruktur oder in Bezug auf den Detaillierungsgrad untersucht wird, verschiedene Ergebnisse vorliegen. Für die Eigenschaften, die hier anhand des Sprachmaterials untersucht wurden, wurde der Bedeutung des Detaillierungsgrad besonderes Gewicht eingeräumt, da dieser unabhängig von syntaktischen Auswirkungen (Argumentstruktur) analysiert werden kann. Der Detaillierungsgrad ist eine unabhängige Kategorie und dient dem Prozess der semantischen Klassifizierung. Die folgende Tabelle zeigt den Zusammenhang zwischen der Verbsemantik und dem Detaillierungsgrad unabhängig von der Argumentstruktur: 293 CARROLL & VON STUTTERHEIM (2006) <?page no="112"?> 112 Empirie Verben ohne impliziten Zustandswechsel Verben mit implizitem Zustandswechsel Ausdruck von Zustandswechsel Zustandswechsel und Nachzustand nicht ausgedrückt Zustandswechsel und Nachzustand ausgedrückt Qualitative Veränderungen Keine innere Differenzierung, weil ein Zustand enthalten ist Innere Differenzierung, weil zwei Zustände enthalten sind Detaillierungsgrad bzw. Betrachtungsabstand Betrachtungsabstand: weit Darstellung des Ereignisses auf der Makro-Ebene Betrachtungsabstand: nah Darstellung des Ereignisses auf der Mikro-Ebene Tab. 9: Der Zusammenhang zwischen Verbsemantik und Detaillierungsgrad, unabhängig von der Argumentstruktur 4.2.4. Terminologie Für die Klassifizierung der Verbsemantik wurde das System von Klein (1994) angewandt, der in seiner Kategorisierung von Verben neben den rein temporalen Eigenschaften auch die qualitativen Veränderungen bzw. den Zustandswechsel berücksichtigt. Verben ohne Zustandswechsel werden als 1-Zustandsverben beschrieben, während Verben, die einen Zustandswechsel beinhalten, als 2-Zustandsverben erfasst werden. 1-Zustandsverben enthalten folglich nur einen einzigen Zustand und gelten daher als homogen. 294 2-Zustandsverben enthalten hingegen einen Zustandswechsel und umfassen zwei Zustände, die von einem Quellzu einem Zielzustand führen. Der Zielzustand stellt somit auch einen Endpunkt dar. 295 Diese Klassifizierungsweise wurde deshalb gewählt, da sie dem Prinzip des Zustandswechsels deutlich Rechnung trägt. 4.2.5. Vorgehensweise Für die Analyse der Verbsemantik werden nur jene Sprecher herangezogen, die stare + gerundio verwenden. Nur so kann ausgewertet werden, welche verbsemantischen Besonderheiten mit der Wahl von stare + gerundio einhergehen. 294 So enthält das Verb „inserire“ (hier: einspannen, vgl. Szene, in welcher ein Mann ein Blatt Papier in eine Schreibmaschine einspannt) einen Zustand, in welchem das Blatt noch nicht und einen Zustand, in dem das Blatt bereits in die Schreibmaschine eingespannt ist (also einen Quell- und einen Zielzustand). 295 KLEIN (1994: 105) <?page no="113"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 113 Bedingt durch das Experimentdesign überwiegen bei der Gesamtanalyse der im Experiment verwendeten Verben 1-Zustandsverben bzw. kontinuative Verben. 296 Die Konzentration dieser Verben ergibt sich durch die faktischen Eigenschaften der dargestellten Situationen und liefert aus diesem Grunde keine Interpretationsbasis. Die Analyse beschränkt sich auf jene Situationen, die dem Sprecher die Möglichkeit eröffnen, das Geschehen als Makro- oder als Teilereignis zu repräsentieren. Die Situationen des Experiments, die diese Wahlmöglichkeiten erlauben sind folgende: • Mann spannt Papier in die Schreibmaschine ein • Junge wirft Ball • Schuster hämmert Nagel in Schuh • Frau rührt Kuchenteig und gibt Mehl in die Schüssel Insgesamt sind für diese Analyse 143 Äußerungseinheiten von 51 Sprechern ausgewertet worden. In den ausgewerteten Situationen werden Teilereignisse einer Gesamthandlung im Video dargestellt. Es ist möglich, den dargestellten Teilereignissen die dazugehörige Gesamthandlung überzuordnen. Der Sprecher kann eine Abstraktion auf die Gesamthandlung leisten, da diese in seinem Weltwissen verankert ist. Sprecher setzen gewissermaßen voraus, dass das Einspannen eines Blatt Papiers prototypisch für das Verfassen eines Schriftstücks geschieht und nicht um seiner selbst willen. Das Weltwissen zwingt jedoch nicht zur Darstellung als Makro-Ereignis. Sprecher haben die Wahl, die dargestellten Teilereignisse in ihrer Mikrostruktur darzustellen oder auf das übergeordnete Makro-Ereignis zu verweisen. Das folgende Schaubild (Abb. 13) verdeutlicht die Ereignishierarchie, die aufzeigt, dass die Teilereignisse ein Teilintervall des Makro-Ereignisses darstellen. Die Teilereignisse bestehen wiederum aus weiteren, ihnen untergeordneten Teilereignissen. Das Ereignis „Schuh reparieren“ enthält als ein Teilereignis, das Befestigen der Sohle am Schuh. Dieses Teilereignis impliziert weitere Teilereignisse, wie das Nageln der Sohle in den Schuh. 296 270 analysierte Items des Datensatzes VI (alle Sprecher ohne Hinblick auf aspektuelle Markierung analysiert): Kontinuativ Resultativ Transformativ Kontinuativ + Resultativ Resultativ + Transformativ Nicht auswertbar 126 127 3 7 3 4 <?page no="114"?> 114 Empirie Abb. 13: Die Ereignishierarchie am Beispiel „Schuh reparieren“ Die folgende Tabelle verdeutlicht anhand von Beispielen aus der Untersuchung, in welcher Form Sprecher auf das Makro- oder das Teilereignis verwiesen haben. Szene Makro-Ereignis Teilereignis Mann spannt Papier in die Schreibmaschine ein Un uomo batte a macchina Un uomo inserisce un foglio nella macchina da scrivere Junge wirft Ball Un bimbo gioca nel giardino. Un bimbo prende una palla e la tira verso uno scivolo. Schuster hämmert Nagel in Schuh Un calzolaio aggiusta una scarpa. Un calzolaio inchioda la suola di una scarpa. Frau rührt Kuchenteig und gibt Mehl in die Schüssel Una signora fa una torta. Una signora aggiunge della farina a un impasto. Tab. 10: Beispiele für den Verweis von Sprechern auf Makro- und Teilereignisse 4.2.6. Ergebnisse der verbsemantischen Analyse 4.2.6.1. Makro-Ereignis vs. Teilereignis Die Auswertungen zeigen im Bereich der Verbwahl die Tendenz auf, dass überwiegend das Makro-Ereignis repräsentiert wird. Ingesamt wurden hierbei 143 Äußerungseinheiten (n = 51) ausgewertet. In diesen Äußerungseinheiten verweisen 112 Verben (entspricht 78,32 %) auf Makro-Ereignisse und 31 Verben (entspricht 21,68 %) auf Teilereignisse. Dieses Ergebnis gibt Abbildung 14 wieder. <?page no="115"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 115 Abb. 14: Repräsentation von Makro- und Teilereignissen in der Verbwahl Es wird überwiegend von den Teilereignissen abstrahiert und die dargestellte Handlung in ihrer Gesamtheit repräsentiert. Es liegt eine klare Repräsentation des Makro-Ereignisses vor, die von den Teilereignissen absieht. Folglich wird ein Nachzustand selten durch das aufgerufene Hauptverb ausgedrückt. Auch wenn die Situationen im einzelnen betrachtet werden, zeigt sich diese Tendenz sehr deutlich. In der Situation, die das Einspannen eines Blattes in eine Schreibmaschine zeigt, wird die Konstruktion battere a macchina gegenüber dem Typ inserire bevorzugt. Die Probanden antizipieren hier sogar die Handlung, die vollzogen werden wird, da in der Szene die Anfangsphase der Gesamthandlung dargestellt ist und nicht der Tippvorgang an sich. Schreibmaschine Makro-Ereignis Teilereignis 68.42 % 31.57 % In der Szene, in der ein Junge einen Ball wirft, überwiegt ebenfalls das Verb giocare, während die Darstellung des Werfens des Balles in den Hintergrund gedrängt wird. Es wird eine Abstraktion auf das Makro-Ereignis geleistet und das Teilintervall des Werfens als „Gesamtspielsituation“ identifiziert. Ball Makro-Ereignis Teilereignis 80.0 % 20.0 % Die Szene, die einen Schuster beim Festnageln einer Sohle zeigt, verdeutlicht die angesprochene Diskrepanz, die zwischen einer rein verbsemantischen Analyse und der Untersuchung des Detaillierungsgrads entstehen kann. Bei einer rein verbsemantischen Analyse wird deutlich, dass in dieser Szene in <?page no="116"?> 116 Empirie allen Realisierungen der Nachzustand ausgedrückt wird, der jedoch bezogen auf den Detaillierungsgrad wieder relativiert wird. Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht über die Verben, die für diese Situationen von den Sprechern gewählt wurden: Verwendete Verben Aggiustare una scarpa Riparare una scarpa Sistemare una scarpa Mettere a posto una scarpa Mettere dei chiodi Inchiodare qualcosa Infilare dei chiodi Piantare una suola Die Verben vom Typ aggiustare, wie sie in grau hinterlegten Feldern verwendet werden, enthalten einen 2-Zustand, da ein Kontrast zwischen dem „kaputt sein“ und dem „repariert sein“ vorliegt. Dennoch drücken diese Verben ein Makro-Ereignis aus, da eine übergeordnete Handlung repräsentiert wird, die nicht auf die dargestellten Teilereignisse eingeht. Die Verben, die nicht schattiert sind, gehen auf das Teilereignis ein. Schuh Makro-Ereignis Teilereignis 76.92 % 23.07 % So ergibt sich trotz Überschuss an 2-Zuständen eine noch immer deutliche Präferenz für die Repräsentation als Makro-Ereignis. 297 In der Szene, in der eine Frau Mehl in eine Schüssel gibt und den Teig verrührt, spielt das Verb preparare erneut die Schlüsselrolle. Das Verb drückt als 2-Zustand dennoch ein Makro-Ereignis aus. Es kommen häufiger Äußerungen vom Typen fare una torta als aggiungere della farina ad un impasto. 297 vgl. VILLARINI (1990: 180 ff.) für die diachrone Entwicklung von stare + gerundio und der Kompatibilität mit verschiedenen Verbklassen <?page no="117"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 117 Teig Makro-Ereignis Teilereignis 87.5 % 12.5 % Insgesamt zeigt sich, dass Sprecher in der Ereignisrepräsentation eine Präferenz für die Darstellung der Handlung als Makro-Ereignis zeigen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Makro-Ereignis von den aufeinanderfolgenden Teilereignissen abstrahiert, welche den Zustandswechsel innerhalb des Ereignisses implizieren. Auf der Ebene der Ereignisrepräsentation steht im Vergleich zur Situationsebene nicht der Nachzustand samt substantiellem Ergebnis im Vordergrund, sondern die Beschreibung des Ereignisses als Ganzes ohne Bezugnahme auf Teilintervalle. Diese Tatsache könnte mit dem Grammatikalisierungsgrad des Progressivs im Italienischen zusammenhängen. Zwar ist im Bereich der Verbsemantik im Italienischen die Kombinierbarkeit des Progressivs mit 2-Zustandsverben möglich, 298 jedoch zeigen diese empirischen Daten, dass es dennoch eine Präferenz für 1-Zustandsverben gibt, die wiederum das Charakteristikum der Dauer wesentlich stärker als 2-Zustandsverben unterstreichen (vgl. fare una torta vs. aggiungere gli ingredienti). Im Englischen, das über ein weiter entwickeltes Progressiv verfügt, liegt der Wert für Versprachlichung der Teilereignisse bei ca. 56 %. Die gewählte Repräsentationsebene könnte demnach einen Hinweis auf den Grammatikalisierungsgrad der Form geben: Je höher der Grammatikalisierungsgrad, desto höher der Anteil an Teilerereignissen, die mit dem Progressiv ausgedrückt werden. Diese Ergebnisse erfordern eine Konkretisierung der Bedeutsamkeit des Fokalisierungspunktes, der als Grundeigenschaft des italienischen Progressivs beschrieben wird. 299 Zwar wird durch stare + gerundio ein Ereignis zu einem gewissen Zeitpunkt seines Ablaufs betrachtet, doch die Begrifflichkeit des Punktes ist dann irreführend, wenn, wie gezeigt wurde, das Ereignis in seiner Gesamtheit und nicht innerhalb eines Teilereignisses bzw. an ein einem bestimmten Punkt erfasst wird. Der Fokalisierungspunkt gilt insofern für die Zeitachse (Gültigkeit des Ereignisses in einem Hier und Jetzt), jedoch nicht in Zusammenhang mit der Ereignisstruktur, die in Verbindung mit stare + gerundio in Bezug auf ihre Gesamtheit, Dauer und Homogenität repräsentiert wird. 298 vgl. SQUARTINI, der den Anstieg von telischen Verben in Kombination von stare + gerundio beschreibt (1990: 194) 299 vgl. BERTINETTO (2000: 563) <?page no="118"?> 118 Empirie 4.2.6.2. Die Relevanz des substantiellen Ergebnisses in der Argumentstruktur 4.2.6.2.1. Analyseziele Es wurde im vorangehenden Kapitel festgestellt, dass das Merkmal des substantiellen Ergebnisses als relevante Steuerungsgröße für die Verwendung von stare + gerundio zu werten ist. Ist ein substantielles Ergebnis in der Szene dargestellt und als solches erkennbar, ist die Frequenz von stare + gerundio am höchsten. Aus diesem Grunde wird nun in einem weiteren Schritt untersucht, inwieweit effizierte Objekte, die sich auf das substantielle Ergebnis beziehen, tatsächlich versprachlicht werden. Dabei werden erneut nur jene Sprecher ausgewertet, die stare + gerundio in den betreffenden Situationen tatsächlich verwendet haben. Es stellen sich auf der Ebene der Argumentstruktur folgende Leitfragen: 6. Nennen die Sprecher das anvisierte Endprodukt bzw. das effizierte Objekt, das den Nachzustands explizit ausdrückt? 7. Kommen eher Äußerungen wie „un uomo sta lavorando la creta“ (- Nachzustand) oder „un uomo sta facendo un vaso“ (+ Nachzustand vorhanden) vor? 4.2.6.2.2. Vorgehensweise Aus dem Datensatz VI wurden folgende Situationen mit den Merkmalen „effizierte Entität“ und „substanzielles Ergebnis“ analysiert: • Schal stricken • Gesicht schnitzen • Vase töpfern • Papier einspannen • Bild malen Da alle ausgewählten Szenen über die gleichen zentralen Eigenschaften verfügen, werden sie in der folgenden Analyse zusammengefasst analysiert. Als Analysebasis werden 101 Äußerungseinheiten (n = 51) verwendet. 4.2.6.2.3. Ergebnisse Die Analyse der Nennung der effizierten Objekte zeigt folgendes Ergebnis. In diesen Äußerungseinheiten wurde in 48,51 % der Fälle (= in 49 Äußerungseinheiten) das effizierte Objekt genannt. Folglich wurde in 51,49 % (= in 52 Äußerungseinheiten) der Fälle das effizierte Objekt nicht genannt (vgl. Abb. 15). <?page no="119"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 119 Abb. 15: Häufigkeit der Nennung des anvisierten Endproduktes bzw. des effizierten Objektes Die Analyse zeigt, dass die Nennung des effizierten Objekts nicht entscheidend ist. Es wird im Fall der Szene „Schal stricken“ die Variante lavorare a maglia oder lavorare ai ferri nicht gegenüber fare una sciarpa vorgezogen. Die Szene „Gesicht schnitzen“ wird entweder mit Äußerungen wie lavorare il legno/ intagliare il legno oder aber mit scalpellare un viso repräsentiert. Auch in der Szene „Vase töpfern“ erscheinen Formen wie lavorare la creta und creare/ fare un vaso. Die Szene, die das Einspannen eines Blatt Papiers in die Schreibmaschine darstellt, wird mit Äußerungen wie battere oder scrivere a macchina realisiert. Äußerungen vom Typ scrivere un documento sind ebenso häufig. Das Malen eines Bildes wird mit Formen wie dipingere oder disegnare beschrieben. Äußerungen wie dipingere un quadro erscheinen zu gleichen Teilen. 4.2.6.2.4. Die Bedeutung der Homogenität Die Analysen haben gezeigt, dass durch die Präferenz der Makro-Ebene überwiegend 1-Zustandsverben verwendet werden. Dieser Sachverhalt zeigt, dass das Merkmal der Homogenität, das auf der Ebene der Situation eine Anziehungskraft auf die Verwendung von stare + gerundio ausübt, auch in der Verbwahl eine Entsprechung findet. 1-Zustandsverben bzw. Verben, die einen niedrigen Detaillierungsgrad ausdrücken, sind als homogen zu betrachten. 4.3. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Eigenschaften der im Videoexperiment dargestellten Situationen wie die Inferierbarkeit des Endpunktes und des substantiellen Ergebnisses sowie das Merkmal der Homogenität der Teilereignisse üben eine Anziehungskraft auf die Verwendung von stare + gerundio aus. Die Relevanz dieser Eigenschaften auf Ebene der Situation wurde im Bereich der Verbwahl überprüft. Dabei <?page no="120"?> 120 Empirie wurden als Analysefelder die Verbsemantik (Detaillierungsgrad) sowie die Argumentstruktur (Nennung der effizierten Objekte) ausgewählt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Bedeutung des Nachzustands im aufgerufenen Hauptverb nicht repräsentiert wird. Dieses Merkmal wird durch die Präferenz für die Makro-Ebene relativiert. Es wurde eine Tendenz festgestellt, das dargestellte Teilereignis in seiner Gesamtheit, nämlich als Makro-Ereignis, zu repräsentieren. Das wichtige Merkmal der Homogenität für die Ebene der Szene zeigt sich damit auch in der Verbwahl. Im Bereich der Argumentstruktur kann als Ergebnis festgehalten werden, dass die Probanden keine Präferenz dafür zeigen, das effizierte Objekt zu nennen. Es lassen sich folglich zweierlei Ergebnisse ableiten: Hat der Sprecher die Wahl zwischen zwei Perspektiven, um auf ein Ereignis zu verweisen (Darstellung von Teilereignissen oder Darstellung des Gesamtereignisses), so überwiegen im Aufruf der Hauptverben Prädikate, die auf das übergeordnete Makro-Ereignis verweisen. Auf der Ebene der Situation wirken andere Steuerungsgrößen als auf der Ebene der konkreten Repräsentation. Spielt auf der Ebene der Situation die Relevanz des Nachzustands eine entscheidende Rolle (Inferierbarkeit des Endpunktes sowie das substantielle Ergebnis, das aus einem Ereignis resultiert), so ist auf der Ebene der sprachlichen Repräsentation eine Abstraktion vom Nachzustand zu erkennen. 4.4. Interpretation der Ergebnisse Es wurden relevante Steuerungsgrößen für die Verwendung von stare + gerundio ermittelt. Im folgenden Abschnitt werden jene Faktoren interpretiert, die stare + gerundio am stärksten anziehen. Als Erklärungsansatz für die oben genannten Ergebnisse wird an dieser Stelle angenommen, dass es zwei interdependente Konzeptualisierungsebenen gibt, die mit der Verwendung von stare + gerundio einhergehen. Auf der Ebene der Situation (Konzeptualisierungsebene I), werden relevante temporale Eigenschaften erfasst, die mit einer hohen Verwendung von stare + gerundio einhergehen. Bei Entstehungsprozessen (höchste Verwendung von stare + gerundio), die zu einem substantiellen Ergebnis führen, hat sich die Relevanz des Nachzustands als entscheidend erwiesen. Das Augenmerk ist somit auf den Nachzustand der Situation gerichtet. Durch den temporalen Kontrast, der zwischen den Intervallen jeweils vor und nach dem Umschlagpunkt besteht, wird der voranschreitende, progressive Charakter der Situation deutlich, der sich als wesentliche Gebrauchsdeterminante für die Verwendung von stare + gerundio erweisen hat. Der Begriff „progressiv“ wird dann besonders plastisch, wenn die „Richtung“ auf die sich <?page no="121"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 121 das Ereignis hinentwickelt, durch das anvisierte substantielle Ergebnis gegeben ist. Die Situation ist gerichtet und deren Progression kann nur ausgehend vom substantiellen Ergebnis gemessen werden. Dieser Prozess ist mit der Konzeptualisierungsebene II untrennbar verbunden, in der das Intervall selektiert wird, das mit stare + gerundio beschrieben wird (= Assertionszeit). 300 Durch die Wahl von 1-Zustandsverben und somit einer abstrakteren Repräsentationsebene lokalisieren Sprecher dieses Intervall vor dem Umschlagpunkt. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass dieses Intervall folglich nicht das ganze Ereignis mit seinem zugehörigen Nachzustand umfasst. Dadurch wird die Eigenschaft „Im Verlauf begriffen sein“ und die Eigenschaft der Dauer, die mit dem progressiven Aspekt assoziiert wird, getragen. 301 Vergleicht man nun die Konzeptualisierungsebene I mit der Konzeptualisierungsebene II erkennt man, dass zwei Planungsphasen vorliegen. Spielen auf der Konzeptualisierungsebene I die Intervalle nach dem Umschlagpunkt, also der Nachzustand eine herausragende Rolle, wird auf der Konzeptualisierungsebene II bei der Versprachlichung der Vorzustand fokussiert, wie die folgende Graphik (Abb. 16) es verdeutlicht. Abb. 16: Konzeptionalisierungsebenen 300 KLEIN (1994: 99) 301 BERTINETTO (1986) <?page no="122"?> 122 Empirie Auch auf der Konzeptualisierungsebene II ist das Vorhandensein des Kontrasts zwischen Vor- und Nachzustand von Bedeutung. Jedoch „zoomt“ der Sprecher innerhalb der Situation, die als Ganzes wahrgenommen wird, den Vorzustand an. Die Frage nach dem Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse im Bereich der relevanten Situationseigenschaften einerseits und den Präferenzen hinsichtlich der Verbwahl andererseits lässt sich folgendermaßen beantworten: Je nach Konzeptualisierungsebene werden unterschiedliche Prozesse vollzogen: Prozess auf Ebene 1: • Erfassung der relevanten Eigenschaften für die Selektion von stare + gerundio (Inferierbarkeit des Endpunktes, der ein substantielles Ergebnis enthält) Prozess auf Ebene 2: • Gesteuert durch das aufgerufene Verb Auswahl des relevanten Intervalls, in dem die Äußerung mit stare + gerundio lokalisiert wird (Intervall, das im Vorzustand lokalisiert ist und somit die Konzepte Verlauf und Durativität hervorhebt) Beide Prozesse verlaufen parallel und bedingen sich gegenseitig, sie sind interdependent. Es geht folglich nicht um Diskrepanzen, sondern vielmehr um zwei unterschiedliche, interdependente Prozesse. Die Gebrauchsbedingungen von stare + gerundio stellen folglich ein komplexes Bündel an Eigenschaften dar, das sich auf verschiedene Konzeptualisierungsebenen verteilt. Die folgende Übersicht zeigt, je nach Konzeptualisierungsebene, die bislang ermittelten semantischen Steuerungsfaktoren von stare + gerundio. Konzeptualisierungsebene I: Konzeptualisierungsebene II: • Inferierbarer Endpunkt eines Entstehungsprozesses • substantielles Ergebnis • Affinität zwischen der Verwendung von stare + gerundio und der Darstellung des Ereignisses als Makro-Ereignis Augenmerk auf Nachzustand Lokalisierung des Ereignisses im Vorzustand • Homogenität der dargestellten Handlungsabläufe • Ausdruck der Homogenität durch die Verbsemantik Tab. 11: Steuerungsfaktoren der Selektion bzw. der Verwendung von stare + gerundio auf der Konzeptualisierungsebene I bzw. II <?page no="123"?> Ermittlung von relevanten Steuerungsfaktoren 123 Die Ergebnisse zeigen, dass in Bezug auf die Verwendung von stare + gerundio auf Situationsebene andere Prämissen gelten als auf der Ebene der Versprachlichung. 4.5. Exkurs: Die einfache Form des Präsens Indikativ im Vergleich zu den bisherigen Ergebnissen Es wurden bislang die Versprachlichungspräferenzen hinsichtlich der Verbwahl und Argumentstruktur der Sprecher untersucht, die stare + gerundio verwendet haben, um Eigenschaften der progressiven aspektuellen Markierung zu untersuchen. Es werden in dieser Analyse nun die Äußerungen jener Sprecher hinsichtlich der Verbwahl untersucht, die die einfache Form verwendet haben, um Vergleiche anstellen zu können. In den folgenden Diagrammen werden die Ergebnisse gegenübergestellt. 4.5.1. Die Nennung effizierter Objekte Es fällt auf, dass es für die Äußerungen in der einfachen Form (im Folgenden als simple-Form bezeichnet) eine Tendenz gibt, das effizierte Objekt nicht zu verbalisieren. Wird hingegen stare + gerundio verwendet, steigt die Nennung der effizierten Objekte deutlich an. Im Hinblick auf die Nennung des substantiellen Ergebnisses, das in der Szene gezeigt wird, sind die Äußerungen mit stare + gerundio spezifischer als die Simple-Formen. Abb. 17: Die Nennung effizierter Objekte bei simple und -ndo-Äußerungen <?page no="124"?> 124 Empirie 4.5.2. Der Detaillierungsgrad Im Bereich des Detaillierungsgrad wird deutlich, dass es eine stabile und von der aspektuellen Markierung unabhängige Tendenz gibt, das Makro-Ereignis zu repräsentieren. Dies gilt für simple-Äußerungen ebenso wie für -ndo-Äußerungen. Der Anteil an Teilereignis-Realisierungen ist entsprechend gering (vgl. Abb. 18). Abb. 18: Realisierungen von Makro- und Teilereignissen bei simple- und -ndo-Äußerungen Es wurde deutlich, dass sich für simple-Äußerungen in Bezug auf den Detaillierungsgrad ähnliche Präferenzen zeigen, wie bei Äußerungen mit stare + gerundio. Dieses Ergebnis lässt sich an dieser Stelle durch folgende Hypothese erklären. Wie herausgestellt wurde, beinhaltet die einfache Form des Präsens Indikativ eine progressive Lesart. 302 In Bezug auf den Ausdruck von Progressivität ist die einfache Form gegenüber stare + gerundio unterspezifiziert, da die progressive Interpretation der Form durch die Lesart gegeben wird. Die vergleichbaren Ergebnisse des Präsens Indikativ in Bezug auf die Ereignisrepräsentation lassen sich eventuell darauf zurückführen, dass der Konzeptualisierungsprozess nach „progressivem“ Muster, dh. wie bei stare + gerundio vonstatten geht, wenn die Form als progressiv interpretiert wird. 4.6. Implikationen für den nächsten Analyseschritt Die bisherigen Analysen haben gezeigt, dass verschiedene Gebrauchsdeterminanten von stare + gerundio ermittelt werden konnten. Auf der Ebene der Situation gelten andere Prämissen als auf der Ebene der Versprachlichung. 302 GIACALONE RAMAT (1995: 47) <?page no="125"?> Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio 125 Neben den Situationseigenschaften und den Präferenzen bei der Versprachlichung werden im folgenden Analyseschritt weitere temporale Eigenschaften von stare + gerundio bestimmt. Als Ausgangsbasis dient hierzu eine Modifikation des Videoexperiments, das nun unter „Zeitdruck“ durchgeführt wurde. 5. Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio unter einer Zeitdruckbedingung 5.1. Analyseziele Ziel der folgenden Analysen wird nun sein, die Stabilität der ermittelten Eigenschaften und Steuerungsfaktoren zu testen. Die Bedingung „unter Zeitdruck“ bietet eine gute Möglichkeit die Verankerung der ermittelten Faktoren zu überprüfen. 303 Dabei eröffnet sich ein weiterer Blick auf die Planungsphase, d. h. auf die Konzeptualisierungsphase innerhalb der Sprachproduktion. 304 Die Bedingung „Zeitdruck“ soll Aufschluss darüber geben, ob sich unter erschwerten Bedingungen Veränderungen bzw. Verschiebungen im Vergleich zu den bislang ermittelten Eigenschaften ergeben. Mögliche Verschiebungen können einen Hinweis darauf geben, wie etabliert die ermittelten Eigenschaften und Steuerungsfaktoren im Sprachsystem sind bzw. wie stabil sie sind. Bleiben die Probanden auch bei dieser schwierigeren Aufgabe bei den gewählten Mustern, ist davon auszugehen, dass es sich um stabile Steuerungsfaktoren handelt. Es stellen sich bei dieser Untersuchung folgende Fragen: 8. Üben unter Zeitdruck die gleichen temporalen Situationseigenschaften einen Einfluss auf die Verwendung von stare + gerundio aus? 9. Sind unter Zeitdruck die gleichen Präferenzen bei der Verbwahl und der Argumentstruktur zu erkennen? Für die Beantwortung dieser Fragen wird das leicht modifizierte Videoexperiment unter „Zeitdruck“ erhoben. Die Probanden haben in dieser Versuchsreihe weniger Zeit zur Verfügung, das dargestellte Ereignis zu versprachlichen. 303 CARROLL & VON STUTTERHEIM (in Druck) 304 CARROLL & VON STUTTERHEIM (in Druck) <?page no="126"?> 126 Empirie 5.2. Analysebereiche Dieses Unterkapitel greift die bislang durchgeführten Analysen erneut auf, die nun allerdings unter der Zeitdruck-Bedingung durchgeführt werden. Dabei wurden folgende Analysebereiche betrachtet: 1. Frequenz und sprecherabhängige Variation 2. Einfluss der temporalen Situationseigenschaften auf die Frequenz von stare + gerundio 3. Detaillierungsgrad und Argumentstruktur im Bereich der Verbwahl Darüber hinaus wurden die syntaktischen Strukturen der Äußerungen als vierter Analysebereich verglichen. Da die Zeitdruck-Bedingung im Vergleich zu den Daten analysiert wurde, die unter nicht manipulierten Bedingungen erhoben wurden, werden bei den folgenden Ergebnissen die bereits bekannten Auswertungen als Vergleichgrößen angeführt. 5.3. Erhebungsmethode 5.3.1. Stimulusmaterial Der folgenden Analyse wurde ein Datensatz (Datensatz VII) zugrunde gelegt, der aus 40 dynamischen Ereignissen besteht. Die Situationen enthalten erneut folgende semantische Differenzierung: • + Inferierbarkeit des Endpunktes/ + substantielles Ergebnis/ affiziert • + Inferierbarkeit des Endpunktes/ + substantielles Ergebnis/ effiziert • - Inferierbarkeit des Endpunktes/ - substantielles Ergebnis/ Aktivität • + Inferierbarkeit des Endpunktes/ - substantielles Ergebnis/ Ortswechsel mit evidentem Endpunkt Die Analyse soll zeigen, ob die Situationen, die das Merkmalsbündel „+ Inferierbarkeit des Endpunktes/ + substantielles Ergebnis/ effiziert“ tragen, wieder am stärksten die Verwendung von stare + gerundio im Sinne einer Frequenzerhöhung beeinflussen. Die folgende Tabelle liefert eine Übersicht zu den im Stimulusmaterial integrierten Szenen (Tab. 11). Bei den restlichen 20 dynamischen Ereignissen handelt es sich um Distraktoren. Das Experiment wurde mit 21 Probanden durchgeführt. <?page no="127"?> Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio 127 Merkmale der Situation Dargestelltes dynamisches Ereignis + inferierbarer Endpunkt + substantielles Ergebnis + affiziert • Frau gießt Blumen mit einer Gießkanne • Jemand schält Kartoffeln • Mann fegt Straße mit einem Besen • Jemand sägt an einem Holzpflock • Jemand wischt einen Fleck von einem Tisch + inferierbarer Endpunkt + substantielles Ergebnis + effiziert • Jemand zeichnet einen Baum • Jemand baut aus Pappkarten ein Kartenhaus • Jemand rollt Knete und setzt diese zu einer Figur zusammen • Jemand fädelt Perlen zu einer Kette auf • Ein Mann töpfert an einer Töpferscheibe eine Vase • Ein Mann schnitzt mit einem Messer ein Gesicht aus Holz • Eine Frau sitzt auf einem Sessel und strickt einen Schal • Jemand baut aus Holzklötzchen einen Turm - inferierbarer Endpunkt - substantielles Ergebnis + Aktivität • Drei Jungen spielen in einem Hof Fußball • Zwei Frauen werfen sich eine Frisbeescheibe zu • Ein Mann joggt im Wald • Ein Junge surft auf einem Wellenbrett + inferierbarer Endpunkt - substantielles Ergebnis + Ortswechsel • Frau geht auf Haus zu • Mädchen laufen zur Parkbank • Mann läuft zu Supermarkt Tab. 12: Stimulusmaterial zum Datensatz VII 5.3.2. Erhebungsbedingung Bei der Zeitdruckbedingung wurde die gleiche Anleitung gegeben, wie bei den bislang beschriebenen Versuchsreihen (vgl. Abschnitt 4.3.): „Vedrai sul computer una quarantina di scenette in cui sono rappresentate delle attività prese dalla vita quotidiana. Le scenette non sono collegate fra di loro. Per ogni scenetta dovrai rispondere alla domanda Cosa sta succedendo? Puoi iniziare a parlare appena capisci di cosa si tratta. Non è necessario descrivere la scenetta in modo dettagliato (ad esempio non devi menzionare colori ecc.). Ti preghiamo di concentrarti su cosa sta succedendo, cioè sull’azione.“ Die Zeitdruck-Manipulation kam durch die Verkürzung der Pausen, die zwischen den einzelnen dargestellten dynamischen Ereignissen liegt, zustande. Diese wurde von ca. 10 auf ca. 6 Sekunden verkürzt. Dadurch waren die Pro- <?page no="128"?> 128 Empirie banden gezwungen, das Ereignis fast simultan zur Darstellung der Szene zu versprachlichen, um die Fragestellung ohne Schwierigkeiten zu lösen. 5.4. Ergebnisse 5.4.1. Frequenz und sprecherabhängige Variation Der Analyseparameter „Frequenz“ wurde bereits in Kapitel 5.5 problematisiert und aufgrund der Schwierigkeiten des angemessenen Vergleichs kritisch beleuchtet. Dennoch können die Ergebnisse zur Häufigkeitsberechnung der Datensätze VI und VII zueinander in Bezug gesetzt werden, da die als relevant geltenden Steuerungsfaktoren (Inferierbarkeit des Endpunktes samt substantiellem Ergebnis) in beiden Datensätzen zu nahezu gleichen Anteilen enthalten sind. Die Frequenz von stare + gerundio im Datensatz VI beläuft sich auf 36.25 %. Es wird wie im Gesamtkorpus eine starke Streuung innerhalb der Probandengruppe beobachtet. Im Datensatz VII hingegen beläuft sich die Frequenz von stare + gerundio auf 60.5 %. Die Frequenz hat sich unter der Bedingung „Zeitdruck“ nahezu verdoppelt. Dieses Ergebnis ist aufschlussreich, da belegt werden konnte, dass stare + gerundio häufiger verwendet wird, wenn die Versprachlichung des dynamischen Ereignisses simultan zu dessen Darstellung von statten geht. Somit konnte ein weiteres Merkmal der Verbalperiphrase stare + gerundio identifiziert werden, das sich auf der Ebene der Zeit bzw. der temporalen Verankerung lokalisieren lässt: • Stare + gerundio wird häufiger verwendet, wenn es eine Simultanität zwischen „Sprech- und Assertionszeit“ gibt. Bei der Überlappung von Sprech- und Assertionszeit verweist stare + gerundio auf ein aktuelles Ereignis, das sich in Bezug auf die Sprechzeit im Verlauf befindet. Stare + gerundio drückt eine Form der Aktualität aus, die auf ein „Hier und Jetzt“ verweist. Die Ergebnisse für den Datensatz VI können der Abbildung 20 entnommen werden. Es wird deutlich, dass ähnlich wie im Datensatz III erneut eine große Streuung vorhanden ist. Die Sprecher verhalten sich hinsichtlich ihrer aspektuellen Markierung sehr unterschiedlich. Es gibt erneut Probanden, die stare + gerundio fast ausschließlich verwenden gegenüber Probanden, die die Form kaum oder überhaupt nicht anwenden. Im Datensatz VII ist die durchschnittliche Verwendungshäufigkeit allerdings höher (vgl. Abb. 20). <?page no="129"?> Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio 129 Abb. 19: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio im Datensatz VI Abb. 20: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio im Datensatz VII <?page no="130"?> 130 Empirie 5.4.2. Einfluss der im Stimulus dargestellten Eigenschaften auf die Verwendung von stare + gerundio Es wurde bereits erwähnt, dass die dargestellten Stimuli des Datensatzes VII aus ähnlichen Situationen bestehen, die den Datensatz VI charakterisieren. Es zeigt sich erneut, dass Situationen mit Inferierbarkeit des Endpunktes und substantiellem Ergebnis eine besondere Anziehungskraft auf die Verbalperiphrase stare + gerundio ausüben. Dargestellte Szene Frequenz A) Datensatz VII + substantielles Ergebnis/ effiziert 70.0 % + substantielles Ergebnis/ affiziert 67.0 % - substantielles Ergebnis/ Aktivität 54.9 % - substantielles Ergebnis/ Ortswechsel 46.0 % Tab. 13: Frequenzen von stare + gerundio im Datensatz VII nach Szenetypen Der Situationstyp der Aktivität, der auf kein substantielles Ergebnis hinausläuft, zeigt ebenso wie die Kategorie des Ortswechsels eine niedrigere Frequenz von stare + gerundio im Vergleich zu Situationen auf, die sich neben dem Merkmal der Inferierbarkeit des Endpunktes auf ein substantielles Ergebnis hinentwickeln. Dieses Ergebnis zeigt, dass auch unter Zeitdruck die ermittelten Einflüsse auf der Ebene der Situation erhalten bleiben. Der Faktor Zeitdruck führt somit zu keiner Verschiebung bzw. Relativierung der zuvor genannten Steuerungsfaktoren. Es kann mit diesen Auswertungen aufgezeigt werden, dass die Relevanz des substantiellen Ergebnisses und somit des Nachzustands des Ereignisses als „stabiler“ Steuerungsfaktor betrachtet werden kann, der eine solide Verankerung aufweist. 5.4.3. Analyse der Verbwahl Im vorangehenden Kapitel wurden hinsichtlich der Verbwahl Präferenzen für die Repräsentierung des Makro-Ereignisses beobachtet. In der folgenden Analyse wird überprüft, ob sich diese unter Zeitdruck ändern. 5.4.3.1. Die Nennung des effizierten Objekts Unter der nicht modifizierten Aufnahmebedingung konnte der Nennung bzw. Nicht-Nennung des effizierten Objekts keine Bedeutsamkeit attestiert werden. Die Nennungen bzw. Nicht-Nennungen halten sich nahezu die Waage. <?page no="131"?> Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio 131 Datensatz VI (101 Äußerungseinheiten ausgewertet) Effiziertes Objekt genannt Effiziertes Objekt nicht genannt 48.51 % 51.49 % Die Analyse des Datensatzes VII (Zeitdruck), in der jene Sprecher ausgewertet wurden, die stare + gerundio verwendet haben, zeigt, dass unter Zeitdruck die Nennung der effizierten Objekte ansteigt. Datensatz VII (40 Äußerungseinheiten ausgewertet) Effiziertes Objekt genannt Effiziertes Objekt nicht genannt 57.5 % 42.5 % Die ermittelten Werte für die Nennung des effizierten Objekts sind im Vergleich zum Datensatz VI höher. Äußerungen werden unter Zeitdruck mit stare + gerundio spezifischer. Die Nennung der effizierten Objekte steigt an (57.5 % gegenüber 48,51 % zuvor). Es tritt unter Zeitdruck also die Tendenz hervor, stare + gerundio eher in Kombination mit der Nennung eines effizierten Objekts zu verwenden. 5.4.3.2. Der Detaillierungsgrad Die bisherigen Ergebnisse des Datensatzes VI haben gezeigt, dass bei der sprachlichen Repräsentation der dargestellten dynamischen Ereignisse das Geschehen überwiegend als Makro-Ereignis repräsentiert wird. Probanden defokussieren tendenziell das dargestellte Teilereignis, „erhöhen“ gewissermaßen den Betrachtungsabstand und verweisen auf die dargestellte Situation in ihrer Gesamtheit. Datensatz VI (143 Äußerungseinheiten ausgewertet) Makro-Ereignis Teilereignis 78.32 % 21.68 % Diese Tendenz konnte ebenfalls durch den Datensatz VII bestätigt werden. Die Defokussierung der Teilereignisse und die Repräsentation des dargestellten Ereignisses in seiner Gesamtheit zeigt sich auch unter Zeitdruck, auch wenn die Darstellung der Teilereignisse ansteigt. Bei der Präferenz für die Darstellung des Makro-Ereignisses handelt es sich dennoch um eine etablierte und verankerte Strategie in der Ereignisrepräsentation. <?page no="132"?> 132 Empirie Datensatz VII (40 Äußerungseinheiten ausgewertet) Makro-Ereignis Teilereignis 67.5 % 32.5 % 5.4.4. Der Satztyp In der Analyse der Daten unter „Zeitdruck“ wurde ebenfalls untersucht, ob es in der Ereignisrepräsentation zu Unterschieden hinsichtlich des Satztyps kommt. 305 Dafür wurden erneut die Äußerungen von Probanden analysiert, in denen stare + gerundio verwendet wurde. Die Äußerungen wurden folgendermaßen klassifiziert: 1. Hauptsätze Bsp. Due ragazzi stanno giocando a ping pong. 2. Zweigliedrige Satzstrukturen bestehend aus Existenzaussagen + Relativsatz Bsp. Ci sono due ragazzi che stanno giocando a ping pong. Im Datensatz VI zeigt sich hinsichtlich des Satztyps folgendes Bild: Datensatz VI (n = 395) Hauptsatz Existenzaussage + Nebensatz 81.0 % 19.0 % Die Sprecher weisen eine Präferenz für die Hauptsatzstruktur auf. Sie verwenden eher einen Hauptsatz als eine Existenzaussage, die an einen Relativsatz gekoppelt ist. 306 Im Datensatz VII zeigt sich ein fast identisches Bild: Auch unter Zeitdruck gibt es folglich eine klare Präferenz dafür, eine Hauptsatzstruktur zu wählen. Datensatz VI (n = 395) Hauptsatz Existenzaussage + Nebensatz 75.9 % 24.2 % 305 vgl. Lambert (2006) 306 Betrachtet man alle Datensätze, die ohne Zeitdruck aufgenommen wurden gemeinsam, wird deutlich, dass sich das Verhältnis zwischen Hauptsatz sowie Existenzaussage + Relativsatz insgesamt betrachtet die Waage hält. Eine klare Tendenz für eine Satzstruktur kann nicht ermittelt werden, da die Werte je nach Datensatz leicht zu Gunsten des einen oder anderen Satztyps variieren. <?page no="133"?> Die Stabilität der relevanten Steuerungsfaktoren von stare + gerundio 133 Der Relativsatz unterscheidet sich im Vergleich zum Hauptsatz hinsichtlich seiner temporalen Struktur bzw. hinsichtlich seines Verhältnisses zur Assertionszeit. Ereignisse, die in einem Nebensatz kodiert werden, haben keine eigene Assertionszeit. Die Zeit, über die eine Aussage gemacht wird, wird explizit nur im Hauptsatz verankert. Die temporale Interpretation des im Nebensatz stehenden Ereignisses erfolgt aufgrund des Verbs, das im Hauptsatz steht und ist somit unterspezifiziert. 307 Der Anstieg von stare + gerundio innerhalb der Hauptsatzstruktur wird somit von der im Italienischen stark deiktischen Ausrichtung des Progressivs getragen. 5.5. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Analyse der Steuerungsfaktoren und Eigenschaften der Verbalperiphrase stare + gerundio konnte unter dem Zeitdruckexperiment folgende Ergebnisse aufzeigen. 1. Häufigkeit und sprecherbezogene Variation: • Unter Zeitdruck steigt die Verwendung von stare + gerundio erheblich an. Durch die manipulierte Annäherung von Sprech- und Assertionszeit wird das Konzept des Verlaufs unter anderem zwischen dem Moment der Äußerung und dem dargestellten dynamischen Ereignis etabliert. Das Ereignis geschieht, während der Proband spricht. • Trotz des Anstiegs der Verwendung von stare + gerundio bleiben die sprecherabhängigen Variationen erhalten. 308 Die sprecherabhängige Variation zeigt, dass das Charakteristikum der Fakultativität erhalten bleibt und zeigt erneut, dass die Form im Sinne der Obligatorization 309 nicht vollständig grammatikalisiert ist. 2. Anziehungskraft von temporalen Situationseigenschaften auf die Verwendung von stare + gerundio • Situationen, die einen inferierbaren Endpunkt samt substantiellem Ergebnis und somit einen temporalen Kontrast zwischen Intervallen vor und nach dem Umschlagpunkt aufweisen, üben auch unter Zeitdruck eine Anziehungskraft auf die Verwendung von stare + gerundio aus. Es handelt sich um stabile Steuerungsgrößen, die auch unter Zeitdruck wirken. 307 CARROLL & VON STUTTERHEIM (in Druck) 308 Das deiktische Moment von stare + gerundio konnte durch den deutlichen Verwendungsanstieg der Form im Zeitdruckexperiment gezeigt werden. In einer weiterführenden chronometrischen Messung könnte überprüft werden, ob die Versprachlichung des Ereignisses zeitnäher an der Darstellung der Szene ist, wenn die Probanden stare + gerundio verwenden. 309 DAHL (2000: 9) <?page no="134"?> 134 Empirie 3. Stabilität der relevanten Steuerungsgrößen auf der Ebene der Verbwahl und der Argumentstruktur: • Im Bereich der Argumentstruktur erhöht sich die Nennung der effizierten Objekte. Durch die Nennung der effizierten Objekte wird die Äußerung unter Zeitdruck spezifischer. • Im Bereich des Detaillierungsgrades auf Ebene der Verbsemantik zeigt sich auch unter Zeitdruck die Präferenz für einen niedrigen Auflösungsbzw. Detaillierungsgrad. Das Ereignis wird als Makro-Ereignis repräsentiert. Es handelt sich um dabei um eine etablierte Präferenz. 4. Der Satztyp • Stare + gerundio kommt sowohl unter Zeitdruck als auch unter der nicht-manipulierten Bedingung in Hauptsätzen häufiger vor als in Relativsätzen. Stare + gerundio verweist als progressive Verbalperiphrase auf ein „Hier und Jetzt“, das im Hauptsatz assertiert wird. Die relevanten Ergebnisse dieses Kapitels werden im der folgenden Tabelle 14 exemplifiziert. Es zeigt die Stabilität bzw. Instabilität der untersuchten Merkmale unter der Zeitdruckbedingung. Merkmal unter nicht-manipulierter Bedingung Merkmal unter Zeitdruck stabil nicht stabil Argumentstruktur: Gleiche Verteilung zwischen Nennung und Nicht-Nennung der effizierten Objekte Unterspezifizierung verbsemantischer Detaillierungsgrad Präferenz für Hauptsatzstruktur Tab. 14: Stabilität der untersuchten Merkmale unter Zeitdruck 6. Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen: Die Überwindung temporal-semantischer Grenzen 6.1. Analyseziele und Begründung der Analysen Die vorausgehenden Kapitel haben sich mit konzeptuellen Planungsschritten auseinandergesetzt, die mit der Verwendung von stare + gerundio einhergehen. Der Schwerpunkt der Arbeit lag darin, die Gebrauchsdeterminanten, die <?page no="135"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 135 das gegenwärtige Stadium der Grammatikalisierung kennzeichnen, durch experimentelle Verfahren sowohl in konzeptueller als auch in semantischer Hinsicht zu beschreiben. Im Vordergrund standen dabei temporale Parameter, die sowohl auf Situationsebene als auch auf Verbebene von Bedeutung sind. Im folgenden Kapitel stehen erneut temporale Eigenschaften der Verbalperiphrase stare + gerundio im Vordergrund, die sich nun jedoch auf das Distributionsverhalten der Form beziehen (im Sinne von Kompatibilität mit Verbklassen und Tempora), das in freien Gesprächen, Fernsehausschnitten oder in der Internetkommunikation beobachtet wurde. Wie im vorderen Teil der Arbeit angedeutet, wird mit stare + gerundio ein Sprachwandelprozess assoziiert, der sich in erster Linie auf die wachsende Frequenz der Form bezieht. In diesem Zusammenhang sind im Italienischen der Gegenwart (zumeist in der informellen Kommunikation) Realisierungen von stare + gerundio zu beobachten, die Besonderheiten aus dem temporalen Distributionsverhalten der Form aufzeigen. Es handelt sich dabei meist um nicht-normkonforme, untypische Realisierungen mit stare + gerundio, die einen Hinweis auf einen erweiterten temporalen Bedeutungsumfang der Form geben. Ausgehend von freien Gesprächen, Daten aus der Internetkommunikation (Live Chats) sowie aus Fernsehsendungen werden Beispiele für die Verwendung von stare + gerundio aufgezeigt, in denen die Form temporale Nuancen aufzeigt, die im kanonischen Sinn als nicht-normkonform 310 und gegebenenfalls als Sprachwandelphänomen zu werten sind. Anhand von Beispielen werden diese temporalen Eigenschaften beschrieben, die stare + gerundio in bestimmten Kontexten annimmt. Diese Beispiele sollen belegen, dass es sich bei stare + gerundio um eine Form handelt, deren Verwendung von Dynamik geprägt ist und im Hinblick auf das Italienische der Gegenwart als wichtiger Indikator für Variation im morphosyntaktischen Bereich zu berücksichtigen ist. Ziel dieses Kapitels ist, folgender Leitfrage nachzugehen: 10. Welche temporalen Eigenschaften nimmt stare + gerundio im spontansprachlichen Bereich an? 6.2. Die Analysebasis 6.2.1. Darstellung und Begründung Die vorliegende Arbeit besteht zum Großteil aus Untersuchungen zu systemimmanenten Eigenschaften der Verbalperiphrase stare + gerundio, die expe- 310 Anders als in den vorausgehenden Kapiteln wird hier nicht experimentell vorgegangen, sondern es werden spontansprachliche Daten ausgewertet. <?page no="136"?> 136 Empirie rimentell erfasst werden. Zusätzlich zu den Daten, die unter kontrollierten Laborbedingungen erhoben wurden, sind als komplementäre Datensätze freie Gespräche sowie Ausschnitte aus italienischen Fernsehsendungen und Live- Chats in die Analyse integriert worden. Dies ermöglicht die Beschreibung von temporalen Eigenschaften der Form, die in der informellen Kommunikation zu beobachten sind. Diese besonderen Verwendungsweisen von stare + gerundio lassen sich über ein kontrolliertes Experiment gar nicht oder nur stark eingeschränkt ermitteln. Daher ist diese zweite Analysebasis gewählt worden, die die Ermittlung von weiteren temporalen Eigenschaften von stare + gerundio im Hinblick auf das gesprochene Italienisch der Gegenwart ermöglicht. Die Wahl von Fernsehausschnitten liegt unter anderem darin begründet, dass die Massenmedien in Italien besonders seit Beginn des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Jahre 1954 mit Modellfunktion auf die Entwicklung der italienischen Gegenwartssprache eingewirkt haben. 311 Es kann bereits an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass aus Ausschnitten von Fernsehinterviews und Informationsmagazinen einige Verwendungen von stare + gerundio aufgezeichnet wurden, die mit den in den Grammatiken aufgeführten Gebrauchsdingungen nicht übereinstimmen und einen mit stare + gerundio vollzogenen Sprachwandel auch auf Ebene der Massenmedien deutlich machen. Der Sprachaustausch im Internet zeigt dagegen, wie in informelleren aber auch formelleren Foren stare + gerundio im Italiano trasmesso verwendet wird. 6.2.2. Durchführung der Datenerhebung Die Datenerhebung im Bereich der freien Gespräche war von außerordentlicher Natürlichkeit geprägt, da weder ein Tonband mitlief noch die Probanden wussten, dass besonders auf Äußerungen mit stare + gerundio geachtet wurde. In sämtlichen seit 2002 geführten Gesprächen mit italienischen Muttersprachlern (Bekannte, Verwandte, Fremde; es handelt sich dabei stets um zufällig entstandene Gespräche) wurden jene Verwendungsweisen von stare + gerundio nach dem Gespräch kontextbezogen notiert, die auf einen erweiterten temporalen Funktionsbereich der Verbalperiphrase schließen lassen. Das gleiche Verfahren wurde bei den Ausschnitten aus Fernsehsendungen angewandt. 6.3. Temporale Funktion von stare + gerundio im Diskurs: Die Verankerung im „Hier und Jetzt“ In diesem Abschnitt wird zunächst auf die geläufige temporale Funktion von stare + gerundio im Diskurs eingegangen, die nicht als Sprachwandelphäno- 311 DE MAURO (1999: 121) sowie COVERI, BENUCCI, DIADORI (1998: 262-263) <?page no="137"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 137 men zu betrachten ist. Es geht dabei darum, die Verankerung in einem „Hier und Jetzt“ als Träger von Emphase zu betrachten, die später im Hinblick auf die Erweiterung des temporalen Bedeutungsumfangs der Form von Bedeutung sein wird. Wie bereits angesichts des Experiments „Zeitdruck“ verdeutlicht wurde, zählt als grundlegende Eigenschaft von stare + gerundio die Verankerung des Gesagten in einem „Hier und Jetzt“. Stare + gerundio kann eine Aussage temporal in Bezug auf die Sprechzeit präzise machen; die Verbalperiphrase dient als temporaler Spezifikator. Die Aktualität des dargestellten Sachverhalts kann in bestimmten Kontexten eine Emphase beinhalten, da der Sprecher unterstreicht, dass das Gesagte jetzt gilt. Somit stellt stare + gerundio ein temporales Deiktikum dar, das sich aufgrund seiner Expressivität in den nähesprachlichen Bereich eingliedern läst. 312 Ausgehend von den folgenden Beispielen wird deutlich werden, dass sich die Verankerung im „Hier und Jetzt“ hinsichtlich ihrer Normkonformität 313 unterscheiden kann. In einigen Realisierungen werden temporal-semantische Grenzen beachtet (vgl. Kapitel 2), in anderen werden diese gesprengt, indem der temporale Bedeutungsumfang der Form erweitert wird. Wenn temporalsemantische Grenzen überwunden werden, entsteht häufig eine innovativemphatische Verwendungsweise der Form (beispielsweise die Verwendung von stare + gerundio in einem habituellen Kontext, die im kanonischen Sinne ausgeschlossen ist), die häufig in Grammatikalisierungsprozessen zustande kommt. 314 Die Emphase kommt durch die Fakultativität und damit verbunden durch die Markiertheit, die der Verbalperiphrase zugrunde liegt, zustande. Die Markiertheit, 315 die stare + gerundio innewohnt, kann somit in einigen Kontexten bestimmte kommunikative Funktionen erfüllen, 316 die oben als innovativ-emphatisch beschrieben wurde. In diesem Kapitel werden jene Fälle beschrieben, in denen die Durchbrechung von temporal-semantischen Grenzen in der Verwendung von stare + gerundio Emphase zum Ausdruck bringt und somit als Sprachwandelphänomen beschrieben werden kann. 317 Doch zunächst werden erst einige Beispiele beschrieben, die in normkonformer Art und Weise eine Äußerung im „Hier und Jetzt“ verankern. 312 KOCH/ OESTERREICHER (1990: 111) 313 Zur Problematik der Norm im gesprochenen Italienisch vgl. RADTKE (1985) 314 DIEWALD (1997: 106) 315 vgl. SMITH (1991: 16); GIACALONE RAMAT (1997: 264); CROFT (1990: 202) 316 AMENTA (1999: 95) „il costrutto analitico permette, rispetto ad un presente o ad un imperfetto, una maggiore disambiguazione del significato aspettuale nel comparto imperfettivo ed una maggiore efficacia espressiva.“ 317 vgl. MEILLET (1912/ 26: 140 ff.) <?page no="138"?> 138 Empirie Stare + gerundio kann wie gesagt innerhalb eines Diskurses Emphase ausdrücken, ohne die vorliegenden temporal-semantischen Restriktionen zu missachten. Dabei wird aufgrund des Kontextes deutlich, dass die Verankerung im „Hier und Jetzt“ eine diskursive Funktion erfüllt. Diese ergibt sich durch die disambiguierende Funktion, die stare + gerundio innewohnt und die temporale Spezifikation illustriert. Dies wird beispielsweise in folgendem Ausschnitt aus dem LIP-Korpus deutlich: Qua stiamo qua non stiamo dicendo distruggere distruggere qua stiamo dicendo difendere le radio che sono nate per difendere i nostri diritti e non vogliamo che si vadano a accendere ripetitori di diecimila e ventimila watt per distruggere noi (N/ E/ 7/ 64/ C) Der Sprecher, der sich in einem Zustand von starker Emotionalität befindet, greift auf stare + gerundio zurück, um die Aktualität seiner Äußerungen zu unterstreichen. Er verleiht seiner Aussage durch die temporale Präzision Ausdruck, womit er die Aufmerksamkeit des Hörers auf seine Aussage lenkt. Stare + gerundio fungiert hier als Kontaktsignal, das die Aufmerksamkeit sichern soll. 318 Ein weiteres Beispiel aus dem LIP-Korpus: No # mo’ sta dicendo che vanno in due sensi e tu dici che vanno a senso unico Dieses Beispiel ist insofern interessant, als dass der Sprecher das Verb „dire“ einmal mit und einmal ohne stare + gerundio verwendet. Er kontrastiert die wahrscheinlich neue Information (mo’) mit der Information, die der Gesprächpartner wahrscheinlich zuvor gegeben hat. Die neue, aktuelle Information wird mit stare + gerundio verbunden, da sie im „Hier und Jetzt“ verankert ist. Die neue Information steht inhaltlich in Kontrast zur alten Information, die der Sprecher erhalten hat. Es wird deutlich, dass die neue Information den Sprecher verunsichert bzw. verärgert. Stare + gerundio ist somit in einen emphatischen Kontext eingebunden. Es lässt sich eine Vielzahl solcher Beispiele ausmachen, da im Grunde in diesen Beispielen die prototypische Eigenschaft von stare + gerundio zum Ausdruck kommt, auf ein „Hier und Jetzt“ zu verweisen. Jedoch hat nicht in allen Fällen die Verwendung von stare + gerundio eine emphatische Funktion, da diese kontextgebunden ist. Der Satz Sto valutando di cambiare macchina hat zwar eine Gültigkeit im „Hier und Jetzt“ ohne gleichzeitig auch emphatisch wirken zu müssen. 318 vgl. KOCH/ OESTERREICHER (1990: 57) <?page no="139"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 139 Eine emphatische Wirkung ist jedoch immer dann gegeben, wenn temporal-semantische Grenzen aufgebrochen werden. Im folgenden Unterkapitel wird anhand von Beispielen illustriert, wie durch das Aufbrechen temporalsemantischer Grenzen nicht nur Emphase ausgedrückt wird, sondern auf einen erweiterten temporalen Bedeutungsumfang von stare + gerundio geschlossen werden kann. 6.4. Das Aufbrechen temporal-semantischer Grenzen Neben normkonformen Verwendungen von stare + gerundio sind für diese Arbeit in den letzten vier Jahren in freien Gesprächen sowie im italienischen Fernsehen Verwendungen erfasst worden, die „neue“ temporale Kontexte für die Verwendung von stare + gerundio aufzeigen. Unter Abweichungen von der Norm werden Verwendungen von stare + gerundio gefasst, die sich den in Grammatiken aufgeführten Restriktionen widersetzen, 319 indem semantische Grenzen für die Verwendung von stare + gerundio aufgebrochen werden. Die Missachtung von temporal-semantischen Grenzen zeigt neue temporale Nuancierungen der Form, die Hinweis auf einen Sprachwandelprozess geben könnten. Die ermittelten Beispiele setzten sich folgenden temporal-semantischen Restriktionen entgegen: • Ausschluss von habitueller Lesart • Ausschluss von statischen Verben • Ausschluss von futurischer Lesart Bertinetto (2001) räumt ein, dass sich unter usi non canonici, also nicht-normkonformen Beispielen, Verwendungen finden, die in das Italiano Regionale eingestuft werden. Die hier angeführten Beispiele sollen aufgrund ihrer Nicht- Normkonformität jedoch weder auf eine diatopische Variation reduziert werden noch in Ermangelung von dialektalen Bezugsdaten nicht weiter interpretiert werden. Aus diesem Grunde sollen hier, ausgehend vom Italiano Regionale, das als Kontaktvarietät des Standarditalienischen betrachtet wird, 320 die besprochenen Beispiele als Phänomen des Gegenwartitalienischen interpretiert und nicht als eine besondere diatopische Erscheinung betrachtet werden, da die Grenzen zwischen Standarditalienisch und Regionalitalienisch oftmals fließend sind. 321 319 BERTINETTO (2001: 131-138) 320 vgl. DE MAURO (1999: 142 ff.) 321 vgl. BERRUTO (2004: 19 ff.) <?page no="140"?> 140 Empirie Es herrscht in der Forschungsliteratur Einigkeit darüber, dass sich die wachsende Verbreitung von stare + gerundio als Restandardisierungstendenz des Gegenwartsitalienischen etabliert hat. 322 Jedoch sollen die nicht-normkonformen Beispiele keine Mutmaßungen über neue Funktionen von stare + gerundio erlauben, sondern zeigen, dass stare + gerundio auch Eigenschaften hat, die über die in den Grammatiken vorherrschenden Funktionen hinausgehen. 6.4.1. Habituelle Verwendung von stare + gerundio In Kapitel 2 wurde gezeigt, dass sich stare + gerundio kaum mit einer habituellen Lesart verbinden lässt, da ein Charakteristikum des Ereignisses, das stare + gerundio beschreibt, dessen Semelfaktivität ist. Bei einer habituellen Lesart hingegen, ist dies gerade nicht der Fall. Das folgende Beispiel stammt von einem 17-jährigen Neapolitaner, den ich fragte, ob er denn noch viel mit dem Fahrrad in der Stadt fahre. Die Antwort lautete: Ultimamente la bicicletta non la sto più prendendo. Er verwendete mit ultimamente ein Zeitadverb, das sich auf einen andauernden Zeitrahmen bezieht. Dennoch bringt der Sprecher zum Ausdruck, dass die Gewohnheit im Moment aktuell ist, auch wenn sich die Tatsache nicht als semelfaktives Ereignis darstellt. Beispiele dieser Art konnten auch im Internet ausfindig gemacht werden: • Ultimamente sta sviluppando l’idea del biologico, ma non ho ancora provato qs ultimi prodotti http: / / www.ciao.it/ L_erbolario_103900 • per la musica uso con qualche canzoncina Gom, ma di solito sto sempre usando il […] http: / / feeds.feedburner.com/ Agaponeos • quando si sveglia scende da solo dal letto e viene a cercarmi (di solito sto dormendo a mia volta) senza fare beh. http: / / forum.alfemminile.com/ forum/ bebegrandit/ _f1051_bebegrandit- Cambio-letto-sondaggio.html Die habituelle Verwendung von stare + gerundio beinhaltet hier nicht eine temporale Deixis im eigentlichen Sinne, die auf ein lokalisierbares „Hier und Jetzt“ bzw. einen Fokussierungspunkt verweist. Die Verbalperiphrase verweist auf sich wiederholende Ereignisse, die temporal begrenzt sind, aber eine Gültigkeit haben, die momentan aktuell ist. Die momentane, aktuelle Habitualität wird über stare + gerundio zum Ausdruck gebracht. 322 vgl. BERRUTO (2004: 72-73) <?page no="141"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 141 6.4.2. Verwendung statischer Verben In Live-Chats wurde besonders deutlich, dass der Gebrauch von stare + gerundio durchaus statische Verben zulässt. Es war für das Ermitteln von solchen Beispielen lediglich nötig, in die Suchmaschine GOOGLE Formen wie sta essendo einzugeben, um sogleich auf eine große Anzahl von Realisierungen dieser Art in verschiedenen Chats zu stoßen. In der folgenden Übersicht sollen nur einige Beispiele aufgelistet werden, die zeigen, dass diese Restriktion nur bedingt greift. a) das Verb piacere • Ti sta piacendo la nuova difesa della Juve che stanno creando? http: / / www.juvenews.net/ poll.php? id=44 • „Qst’estate vi sta piacendo? “ Io la sto trovando terbilmente noiosa senza 1 caxo da fare! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! http: / / forum.alfemminile.com/ forum/ Stars/ _f3629_r38180_Stars-Qst-estate-vi-sta-piacendo.html • Ho quasi finito il romanzo della Ginzburg, e mi sta piacendo un sacco! http: / / forum.feltrinelli.it/ viewtopic.php? p=12965&highlight=&sid=191d7 751d8a6665614150b5c1533c428 b) das Verb sapere • be’, evidentemente, la juve sta sapendo corteggiare di nuovo gli arbitri … http: / / forum.telefonino.net/ archive/ index.php? t-254479.html • sì, ma così non vale … lo sto sapendo solo oggi … porca pupazza! http: / / www.capossela.altervista.org/ pagine/ news.php? subaction=showco mments&id=1135866950&archive=&start_from=&ucat=6& c) das Verb odiare • sto odiando la dirigenza perchè un blasone come quello Juventino non può essere difeso da una telefonata al designatore o al De Santis di turno sto odiando il calcio italiano perchè tutto fa tranne che trasmettere valori e esempi a tutto noi appassionati (o ex) http: / / forum.fantacalcio.kataweb.it/ viewtopic.php? t=127510&start=0& d) das Verb amare 323 • Sto amando questo programma pian piano, come si fa con i progetti che crescono con attenzione e senza troppi formalismi. Sto parlando di Fring, il software per cellulare che permette non solo di[…] http: / / www.mobileblog.it/ categoria/ javaj2me/ rss2.xml 323 An dieser Stelle soll auf die McDonald’s Werbekampagne hingewiesen werden, die derzeit mit dem Slogan „I’m loving it“ arbeitet. Im Englischen ist die Verwendung des Progressivs in Verbindung mit dem Verb to love hinsichtlich der Akzeptabilität grenzwertig und erzielt m. E. aufgrund der Sprengung dieser semantischen Grenze einen stilistischen Werbeeffekt. <?page no="142"?> 142 Empirie • sto amando veremante ora per la prima volta http: / / www.frasi.net/ interviste/ domanda.asp? ID=2260 e) das Verb sentire • che musica state ascoltando? ahhahah … io ora sto sentendo tutto il repertorio di vasco rossi! ! ! Grandeeeeeeeeeeeee VASCOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO ahahah! ! ! http: / / www.mangaforever.net/ forum/ index.php? s=fa14fd83351830948cad 311bcc581500&showtopic=495&pid=33523&st=325&#entry33523 • Sto sentendo delle cose terribili, raccontate da persone ora adulte che hanno e avranno per sempre grosse difficoltà di vivere per le ferite inferte alla loro anima e al cuore che sanguineranno per sempre senza mai cicatrizzare, la loro vita è segnata per sempre! ! ! http: / / www.meetinglatino.it/ forum-salsa/ viewtopic.php? t=27804&postdays= 0&postorder=asc&start=40&sid=0ca53cac0083fd955c6eab8dd590c6de f) das Verb abitare • sto abitando a parigi e da settembre sto ogni giorno scoprendo una cosa nuova, un angolo, una sensazione e la cosa impressionante di questa città è la sua continua fonte di ispirazione http: / / www.cisonostato.it/ commenti.php? id=808 • Sto abitando in questo appartamento, vorrei restituirlo e citare il costruttore chiedendo la restituzione del doppio della caparra. Quali strumenti esistono per far valere il compromesso di compravendita e quali tutele offre una citazione trascritta in caso di fallimento del costruttore? http: / / www.azionicollettive.info/ avvocatideiconsumatori.it/ quesitierisposte.asp? pg=142 • Allora la domanda che mi faccio è che paese sto abitando. Possibile che solo in pochi ci si opponga e non si faccia notare che Silvio Berlusconi è pericoloso, virale, piduista, dittatore e che soprattutto dice un sacco di cazzate? http: / / odiocostanzo.blogspot.com/ 2006_03_01_archive.html g) das Verb essere • L’iniziativa in corso sta essendo portata avanti da un consorzio d’industrie, Istituti Universitari, Enti di ricerca ed organizzazioni responsabili della gestione dell’emergenza, http: / / www.ecquologia.it/ sito/ pag647.map Im Italienischen hätte die Adaption „lo sto amando“ eine ähnliche stilistische Wirkung erzielt, es wurde jedoch auf eine Übersetzung verzichtet. <?page no="143"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 143 h) das Verb credere • io avrei pensato di scrivere alla microsoft, potrebbe essere un bug di xp, qualcuno di voi che ha sto problema ha provato a cambiare ram? anche io ho questo problema, e vi possi dire che mi è iniziato gli ultimi tempi che avevo win98, sto credendo che sia più un problema di ram http: / / www.hwupgrade.it/ forum/ archive/ index.php/ t-607678.html • weeeeeee ragaaaaa tutti promossiiiiii nn c posso ancora credere aiuto nn c sto credendo, sn euforica sn contentissimaaa felicità alle stelleeeeee 4c ancora un anno d nuovo tutti insiemke figataaaaa! ! scuuuuuuusaaa! ! http: / / lplinmylife.spaces.live.com/ default.aspx? partner=Live.Spaces&mkt= it-IT • Chiedo scusa, ma stamattina non sto credendo a quello che leggo: non è il primo aprile, ma il Vs articolo riportato nel subject sembra essere stato scritto in tale data. http: / / www.interlex.it/ attualit/ inb2000.htm i) das Verb assomigliare • Ecco perchè non leggo più i giornali cartacei. Ma anche online Repubblica sta assomigliando sempre più a Novella 2000. http: / / lapiccolacuoca.blogspot.com/ 2007/ 03/ cos-un-giornale.html • La Commissione di Bruxelles sta assomigliando sempre di più non a una squadra ma a quei guardalinee dei mondiali che pensano più a mettere fuori gioco i giocatori che a lasciar giocare. http: / / www.ideazione.com/ settimanale/ 1.politica/ 69-03-07-2002/ 69incisa. htm j) das Verb risultare • Vedo che alcune regioni sono molto indietro e altre lanciate come la Puglia con Niki Vendola. Devo anche dire che molto deludente sta risultando il tipo di politica che applicano certi personaggi che un tempo erano venerati da tanta gente che aveva un pensiero vicino al mio e che adesso fanno dei disastri. Penso a Cofferati a Bologna. http: / / www.universitinforma.it/ open_page.php? id=55 k) das Verb permanere • MAURO DEL BUE (DC-PS). Parlando sull’ordine dei lavori, giudica irriguardoso l’atteggiamento del ministro Bersani, che sta permanendo all’esterno dell’aula. http: / / www.camera.it/ _dati/ leg15/ lavori/ stenografici/ sed132/ rsomm01.htm • perché sappiamo che anche recentemente ci sono state delle retate nel mondo della droga che hanno fatto scalpore, comunque hanno dato il seg- <?page no="144"?> 144 Empirie no di un uso che sta permanendo, che sta ampliandosi, che sta assumendo contorni sicuramente sempre più allarmanti. www.provincia.lucca.it/ downloads/ mozioni/ 226.doc l) das Verb preferire • il problema suo è che sta preferendo molto di più la fiction al cinema, al quale potrebbe dare davero molto. http: / / forumfilmup.leonardo.it/ forum/ viewtopic.php? topic=6060&forum =3&start=15&29 • Se la gente sta preferendo frenquentare il forum alternativo non è per imposizione, ma semplicemente perchè autonomamente hanno preferito l’ambiente pacifico e gioviale che lo caratterizza, non mi pare si possa dire lo stesso dell’ambiente che si è qui venuto a creare. http: / / forum.chatta.it/ 9/ 7505694/ chiarimenti.aspx m) das Verb puzzare • In questi giorni, la discussa conversione dello Scientifico sta puzzando a molti, anche perché è spuntato un corso per operatori socio-sanitari da 3 mila e 500 euro. http: / / www.emigrati.it/ sgf/ San_Giovanni_in_Fiore-RSA.asp Diese große Anzahl an Beispielen macht deutlich, dass die Restriktionen bezüglich statischer Verben in vielen Fällen zumindest in dieser Textsorte missachtet werden. Es sei hier dahingestellt, ob diese Tatsache eine Tendenz für einen sich vollziehenden Sprachwandel darstellt. Die große Anzahl an Realisierungen dieser Art spricht zumindest für eine gewisse Frequenz statischer Verben in Verbindung mit stare + gerundio. 6.4.3. stare + gerundio mit futurischer Lesart Der dritte Bereich der nicht-normkonformen Verwendungen mit stare + gerundio betrifft Kontexte, in denen stare + gerundio eine futurische Komponente aufweist. Stare + gerundio weist eine imminentielle Lesart auf, wenn eine Kombination mit transformativen Verben vorliegt. 324 Jedoch konnte ich auch Beispiele ausfindig machen, die über Imminentialität hinausgehen. Die Grenzen zwischen Imminentialität und dem Bereich der unmittelbaren Zukunft sind fließend, dennoch zeigen die folgenden Beispiele eine Lesart auf, die eher futurisch als imminentiell zu lesen sind. Dass es hinsichtlich der Akzeptabilität der futurischen Lesart von stare + gerundio Differenzen gibt, zeigt der Ausschnitt aus einem Internetforum 324 BERTINETTO (1986: 271-272) <?page no="145"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 145 der Accademia della Crusca. Der Verfasser des Beispiels a) spricht sich für die Angemessenheit des Satzes „Stai andando a Roma venerdì? “ aus. Jedoch reduziert er in gewisser Weise die Verwendung von stare + gerundio auf den Süden Italiens. Beispiel a) Se oggi è mercoledì, è corretta la frase: „stai andando a Roma venerdì? “ per indicare una azione imminente,invece di usare il futuro o la forma „stare per + infinito“. Il costrutto „stare + gerundio“ è utilizzato in Italia meridionale. Der Autor des Beispiels b) wirft Zweifel bezüglich der Anwendungsbreite einer futurischen Lesart auf, indem er formelle Kontexte ausschließt. Auch er sieht in dieser Verwendung eine diatopische Besonderheit und formuliert seine Vermutung, dass es sich um eine syntaktische Assimilation aus dem Englischen handelt, was schon Durante vermutete: 325 Beispiel b) Se il richiedente non la dichiarasse espressamente come usata in Italia meridionale, la forma in questione parrebbe un anglismo bello e buono (potenza creatrice dei dialetti! ). È comunque, a mio avviso, forma estranea all’ italiano standard,e pertanto, per il momento, non utilizzabile in sede „ufficiale“. Ma domani, chissà? Der Autor des Beispiels c) hingegen sieht diese Verwendungsweise als nicht korrekt an. Beispiel c) E’ sicuramente sbagliato tale modo di indicare un’azione futura. Quelle: http: / / forum.accademiadellacrusca.it/ forum_5/ interventi/ 495.shtml Diese Kommunikation im Forum der Accademia della Crusca zeigt, dass die Akzeptabilität der futurischen Verwendung von stare + gerundio umstritten ist. Auf der anderen Seite macht sie deutlich, dass es sich hierbei um eine bereits geläufige bzw. bekannte Verwendung handelt. Ein weiteres Beispiel stammt aus einem Chat, in dem stare + gerundio erneut mit futurischer Lesart verwendet wird. • Tra poco sta finendo la scuola … abbiamo dato gli esami e per festeggiare la nostra promozione faremo di nuovo le vacanze insieme. http: / / www.clubclassic.net/ racconti/ story307.html 325 DURANTE (1993: 154) <?page no="146"?> 146 Empirie Das folgende Beispiel stammt aus der Moderation der Rubrik TG Motori (Rai 2): • Oggi stiamo parlando dell’ultima proposta fiat. Hier wird die Immentialität erneut überschritten. Die Verwendung des Futurs wäre korrekt. Auch das nächste Beispiel stammt aus dem italienischen Fernsehen. In der Sendung Affari tuoi sprach der Moderator über einen wenig aufmerksamen Kandidaten. • Tra un poco si sta addormentando. Die genannten Beispiele machen deutlich, dass es eine Inkompatibilität zwischen den verwendeten Zeitadverbien und der temporal deiktischen Funktion von stare + gerundio gibt. Es wird deutlich, dass es sich hier um eine Form der Aktualität handelt, die bevorsteht. Es sind des Weiteren Beispiele einer Neapolitanerin gesammelt worden, die stare + gerundio futurisch, jedoch ohne Adverbien verwendet. Bsp. Die Familie sitzt am Tisch und entscheidet, dass nach dem Essen mit dem jüngsten Kind ein Spaziergang gemacht werden soll. Obwohl alle noch am Tisch sitzen, fragt sie: La stiamo vestendo questa bambina? Diese Äußerung beinhaltet eine pragmatische Dimension, die in der betreffenden Situation als Aufforderung zu interpretieren ist. Es wird deutlich, dass es hier nicht nur um die Betonung einer Aktualität geht. Der emphatische Ausdruck beinhaltet eine Aufforderung, die nicht lexikalisch, sondern morphologisch zum Ausdruck gebracht wird. Letztendlich handelt es sich um eine auffordernde Sprachhandlung, die wahrscheinlich angesichts des facethreatenig-acts 326 explizite lexikalische Mittel umgeht. 6.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Aus den in diesem Kapitel genannten Beispielen wurde deutlich, dass in einigen Fällen temporal-semantische Restriktionen von stare + gerundio überwunden werden. Folgende temporale Eigenschaften sind für stare + gerundio aus dem spontansprachlichen Bereich ermittelt worden: 326 vgl. BROWN & LEVINSON (1987) <?page no="147"?> Die Verbalperiphrase stare + gerundio als Sprachwandelphänomen 147 1. Temporal spezifische Anbindung der Äußerung an die Sprechzeit. Durch die temporale Präzision dient stare + gerundio in gewissen Kontexten als temporaler Spezifikator, der als Deiktikum mit expressiver Ausdruckskraft fungiert. Der Sprecher macht deutlich, dass das Gesagte im Moment des Sprechens eine Gültigkeit besitzt, die durch die Verbalperiphrase unterstrichen wird. 2. Missachtung bzw. Überwindung von Restriktionen, die zu weiten Teilen als nicht-normkonform gelten. Dort, wo die Regeln aufgegeben werden, entstehen neue temporale Verwendungsbereiche, die aufgrund der Neuartigkeit als expressive Ausdrucksmöglichkeiten fungieren. Als zentrales Merkmal kann in beiden Fällen der Ausdruck von Aktualität gewertet werden, die folgende Formen annehmen kann: • „aktuelle Aktualität“ deiktische Funktion • Gewohnheit, die aktuell ist habituelle Funktion • Ereignis, das aktuell sein wird futurische Funktion Sollte es sich um einen sich vollziehenden Sprachwandel handeln, sind die expressiven Ausdrucksmöglichkeiten aufgrund der Missachtung von Restriktionen zeitlich begrenzt. Sobald sich neue temporal-semantische Funktionsbereiche eröffnen und etablieren, geht die Innovation und somit die Emphase in Normkonformität über. 327 Der Anker für jedwede Form der Emphase liegt jedoch in der Fakultativität von stare + gerundio. Bleibt diese erhalten, lässt sich zumindest das deiktische Moment von stare + gerundio als Träger von Expressivität verwerten. Es stellt sich abschließend die Frage, ob die Fakultativität von stare + gerundio eine Redundanz darstellt, die sich das italienische Verbalsystem „leistet“ oder ob die Ergebnisse zur individuellen Realisierung einen Hinweis auf einen sich vollziehenden Sprachwandel geben. Ein Blick auf die Sprachökonomie erlaubt folgende Hypothese, die gegen diesen „Polymorphie-Trend“ spricht. Martinet geht davon aus, dass die Entwicklung der Sprache vom Wirken sprachökonomischer Prinzipien geprägt ist. Das Bestreben der Sprecher, die geistige und körperliche Aktivität auf ein Minimum zu reduzieren hat zur Folge, dass im Bereich der Inventare (= paradigmatische Ökonomie) und im Bereich der sprachlichen Formen (syntagmatische Ökonomie) verschiedene Formen von Vereinfachungen zu erkennen sind. 328 Im Falle von stare + gerundio sind folgende Hypothesen denkbar: Eine Reduktion im Bereich der Inventare könnte dazu führen, dass es zu einem 327 vgl. DIEWALD (1997: 106) 328 MARTINET (1963: 165 ff.) <?page no="148"?> 148 Empirie fiktiven Zeitpunkt nur einen etablierten Ausdruck für den progressiven Aspekt geben wird, um die bestehende Redundanz abzubauen (paradigmatische Ökonomie). Würde dabei die Wahl auf die Verbalperiphrase stare + gerundio fallen, könnte dies aufgrund der geringeren qualitativen Komplexität der Form geschehen. 329 Im Vergleich zur einfachen Form des Präsens Indikativ wird im Falle der Periphrase nur das Hilfsverb stare konjugiert, das „einfach“ zu konjugieren ist kein komplexes Paradigma aufweist (syntagmatische Ökonomie). In den beschriebenen Fällen würde die Ökonomie im Bereich der Inventarreduktion, aber auch in der Formenreduktion greifen. Diese Frage kann jedoch an dieser Stelle nicht beantwortet werden und erfordert weitere Untersuchungen im Laufe der kommenden Jahre. „Aus dem Vorliegen bestimmter Bedingungen kann man nicht schließen, dass ein bestimmter Wandel stattfinden wird bzw. muss (…). Es ist auch nicht gesagt, dass einmal begonnener Wandlungsprozess sich fortsetzt; er kann stattdessen zum Stillstand kommen und unvollständig grammatikalisierte Subsysteme hinterlassen.“ 330 Es bleibt lediglich festzuhalten, dass es im Verlauf der romanischen Sprachgeschichte mehrere Entwicklungen von synthetischen zu analytischen und von analytischen zu synthetischen zu beobachten waren (vgl. die Entwicklung des Futurs). Dieses Faktum würde die oben erläuterte Hypothese weiter stützen. 7. Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio im Spiegel soziolinguistischer Gebrauchsdeterminanten 7.1. Analyseziele Den Abschluss der vorliegenden Dissertation liefert ein Exkurs, der die Verwendung von stare + gerundio unter Berücksichtigung von soziolinguistischen Variablen betrachtet. In Studien zur Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio wurde bislang der diatopischen Variation besonderes Augenmerk geschenkt und dabei eine ausgeprägte Verwendung in Süditalien festgestellt (vgl. Kapitel 10.2). In dieser abschließenden Analyse wird überprüft, inwieweit die räumliche Herkunft der Probanden die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio beeinflusst. 331 329 WURZEL (2001: 385) 330 DIEWALD (1997: 111) 331 Zum Verhältnis dialektologischer und soziolinguistischer Arbeitsweise vgl. LENZ & RADT- KE & ZWICKL (2004: 9 ff.) <?page no="149"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 149 Die Leitfrage lautet im Bereich der diatopischen Variablen: 11. Gibt es diatopische Besonderheiten in der Verwendung von stare + gerundio? Neben der Diatopie wird auch das Alter als diagenerationelle Variation berücksichtigt. Es stellt sich dabei folgende Leitfrage: 12. Gibt es in verschiedenen Altersgruppen unterschiedliche Verwendungshäufigkeiten von stare + gerundio? Um dieser Frage nachzugehen wird ein Datensatz von Kindern (11-12 Jahre) analysiert, der im Vergleich zu Erwachsenen (= Studierende im Alter zwischen 20 und 28 Jahren) betrachtet wurde. Letztendlich wird in dieser Analyse überprüft, ob es einen Unterschied in der Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio zwischen Männern und Frauen gibt. Die Leitfrage im Bereich der diasexuellen Variation lautet: 13. Gibt es geschlechterspezifische Verwendungshäufigkeiten in der Verwendung von stare + gerundio? 7.2. Begründung der Analysen Die drei variablen Raum, Alter und Geschlecht werden aus folgenden Gründen untersucht. 332 In der Forschungsliteratur sind Angaben zur Frequenz der Verbalperiphrase stare + gerundio häufig an eine diatopische Lokalisierung gebunden. Es besteht gewissermaßen ein „Bedürfnis“ danach, die Verbalperiphrase als ein diatopisches Phänomen zu behandeln. Diese Einschätzungen finden wir bei Rohlfs, der eine sehr ausgeprägte Vitalität von stare + gerundio in Süditalien ansiedelt, 333 sowie bei Durante. 334 Auch in rezenteren Untersuchungen wie der von Villarini wird ein erhöhter Gebrauch von stare + gerundio in Südita- 332 In der Tradition der Soziolinguistik wurden bislang wenige Studien zu syntaktischen Phänomen verfasst. Eine Ausnahme bildet die Studie von CALOGIURI (2001), die sich mit inchoativen Verbalperiphrasen im Salento unter Bezugnahme der Variabeln Alter und Bildungsgrad beschäftigt hat. 333 ROHLFS (1969: 108), vgl. auch BERTINETTO (1990: 30) 334 DURANTE (1993: 153) <?page no="150"?> 150 Empirie lien, nämlich in Neapel beobachtet. 335 Aus diesem Grunde wird in dieser Analyse, die eine gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse verspricht, diese Aussage überprüft. Das Kriterium des Alters wurde in die Analyse integriert, da in der Forschungsliteratur angenommen wird, dass jüngere Sprecher Träger von innovativen Tendenzen sind. Die angenommene wachsende Verbreitung von stare + gerundio als Ausdruck einer möglichen innovativen Tendenz wird anhand der jüngeren Sprechgruppe überprüft. Das Kriterium des Geschlechts wurde untersucht, da in der Forschungsliteratur angenommen wird, dass sich Frauen im Hinblick auf Sprache normkonformer bzw. standardtreuer verhalten. Darüber hinaus wird ebenfalls darüber spekuliert, ob Frauen sensibler für Sprachwandelprozesse sind und diese schneller umsetzen. 336 Aus diesem Grunde ist es interessant zu überprüfen, ob die hier erhobenen Daten einen Unterschied in der Frequenz von stare + gerundio zwischen Männern und Frauen aufzeigen, zumal syntaktische Phänomene bislang kaum in der diasexuellen Variation berücksichtigt wurden. 7.3. Erneute Problematisierung der Frequenz als Analyseparameter Die Abhängigkeit der Verwendung von stare + gerundio in Bezug auf soziolinguistische Variabeln fußt erneut auf dem Faktor „Frequenz“, der bereits pro blematisiert wurde. Es wurde gezeigt, dass die sprecherabhängige Variation und die daraus resultierende Streuung innerhalb der Probandengruppen eine große Anzahl an Probanden erfordert, um statistisch relevante Ergebnisse zu erzielen. Darüber hinaus konnte anhand der bereits durchgeführten Analysen gezeigt werden, dass die Art des Stimulusmaterials eine unterschiedliche Wirkung auf die Frequenz von stare + gerundio ausüben kann. Die oben genannten „Probleme“ erfordern für die folgende Analyse und deren statistischer Relevanz, dass eine ausreichend große Gruppe an Männern, Frauen und Kindern bzw. Erwachsenen sowie Sprechern aus Nord-, Mittel- und Süditalien mit dem jeweils gleichen Stimulussatz erhoben wird. Die ständige Weiterentwicklung des vorliegenden Experiments konnte diesem Umstand jedoch nur teilweise gerecht werden. Für den Vergleich des Raums und des Geschlechts wurde auf Probanden verschiedener Datensätze zurückgegriffen. Lediglich für den Vergleich zwischen Kindern und Erwachsenen konnten zwei identische Datensätze miteinander verglichen werden. 335 VILLARINI (1999: 30) 336 LABOV (1990: 205-254) <?page no="151"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 151 7.4. Ergebnisse 7.4.1. Die diatopische Variation 7.4.1.1. Norditalien Die folgende Übersicht zeigt die Probanden und deren Herkunft, die für den Norden Italiens erhoben wurden. Die Probanden sind mit aufsteigender Verwendungsfrequenz von stare + gerundio in der Tabelle aufgelistet. Nr. Herkunft absolut in % 1. Pavia 00-40 0 2. Padova 00-40 0 3. Vicenza 01-82 1 4. Reggio Emilia 14-82 4 5. Aosta 02-40 5 6. Aosta 06-40 15 7. Modena 59-82 18 8. Aosta 07-40 18 9. Aosta 08-40 20 10. Aosta 10-40 25 11. Aosta 13-40 32 12. Modena 28-82 35 13. Aosta 14-40 35 14. Padova 24-40 60 15. Torino 27-40 65 16. Aosta 26-40 65 17. Aosta 28-40 70 18. Vicenza 75-82 90 19. Torino 37-40 92 20. Aosta 37-40 93 Gesamt 417-1010 41.3 Tab. 15: Verwendungsfrequenzen von stare + gerundio der Probanden aus Norditalien <?page no="152"?> 152 Empirie Diese Gruppe kann aufgrund ihrer Skalierungen in folgende Untergruppen eingeteilt werden: Frequenzgruppen Anzahl der Probanden unter 10 % 5 15-35 % 8 60-70 % 4 mehr als 90 % 3 Tab. 16: Verteilung der Probanden aus Norditalien nach Frequenzgruppen Es kann als vorläufiges Ergebnis festgehalten werden, dass erneut eine weite Streuung innerhalb dieser Probandengruppe zu beobachten ist, wie das folgende Diagramm zeigt: Abb. 21: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio bei Probanden aus Norditalien <?page no="153"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 153 Es gibt Probanden, die die Eingangsfrage bearbeiten und dabei gar nicht oder nur sehr selten stare + gerundio zurückgreifen. Auf der anderen Seite ist auch der Gegenpol zu dieser Gruppe vorhanden, der von Probanden gestellt wird, die stare + gerundio sehr häufig verwendet. Dazwischen liegen erneut zwei Gruppen, die stare + gerundio alternierend mit der einfachen Form verwenden, je mit Präferenz für die einfache Form oder für stare + gerundio. 7.4.1.2. Mittelitalien Die Ergebnisse für die Probanden, die in Mittelitalien erhoben worden, zeigen hinsichtlich der sprecherbezogenen Variation ein ähnliches Bild: Nr. Herkunft absolut in % 1. Rom 0-32 0 2. Rom 0-38 0 3. Rom 0-39 0 4. Grosseto 0-41 0 5. Pescara 0-41 0 6. Rom 2-39 5 7. Rom 2-39 5 8. Rom 2-35 5 9. Rom 5-37 18 10. Pisa 7-37 19 11. Rom 9-39 23 12. Siena 18-41 44 13. Rom 18-39 46 14. Rom 21-36 58 15. Rom 32-41 78 16. Rom 35-41 85 17 Lucca 37-39 94 Gesamt 188-619 30.4 Tab. 17: Verwendungsfrequenzen von stare + gerundio der Probanden aus Mittelitalien <?page no="154"?> 154 Empirie Die Skalierung zeigt folgende Frequenzgruppen auf: Frequenzgruppen Anzahl der Probanden unter 10 % 8 18-23 % 3 24-58 % 3 mehr als 78 % 3 Tab. 18: Verteilung der Probanden aus Mittelitalien nach Frequenzgruppen Es kann aus diesen Zahlen abgelesen werden, dass die Probandengruppe, die einen Frequenzwert von unter 10 % aufweist, leicht größer ist als im Norden. Insgesamt liegt der Durchschnittswert mit 30.38 % niedriger als im Norden. Eine große Streuung ist auch in dieser Gruppe zu beobachten: Abb. 22: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio bei Probanden aus Mittelitalien <?page no="155"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 155 7.4.1.3. Süditalien Für die Probandengruppe, die aus dem Süden Italiens stammt, wurden folgende Ergebnisse ermittelt. Nr. Herkunft absolut in % 1. Lecce 0-39 0 2. Bari 0-38 0 3. Bari 0-34 0 4. Palermo 0-41 0 5. Salerno 0-41 0 6. Avellino 1-40 3 7. Enna 1-40 3 8. Palermo 1-41 3 9. Palermo 2-32 6 10. Lecce 5-40 13 11. Salerno 5-41 13 12. Bari 1-40 25 13. Neapel 10-40 25 14. Palermo 11-37 30 15. Palermo 13-41 32 16. Neapel 12-36 33 17. Ragusa 23-40 58 18. Neapel 24-40 60 19. Bari 28-40 70 20 Salerno 28-36 77 Gesamt 165-777 24.2 Tab. 19: Verwendungsfrequenzen von stare + gerundio der Probanden aus Süditalien Anhand der Probandengruppen wird deutlich, dass die Gruppe unter 10 % mit 9 Probanden fast die Hälfte der Gesamtgruppe stellt. Dagegen erreicht der gegenüberliegende Extrempol nicht die hohen Werte aus dem Norden und aus der Mitte. <?page no="156"?> 156 Empirie Frequenzgruppen Anzahl der Probanden unter 10 % 9 13-33 % 7 58-77 % 4 Tab. 20: Verteilung der Probanden aus Süditalien nach Frequenzgruppen Stabil ist auch hier der Faktor der sprecherabhängigen Variation, jedoch ist die obere Spitze weniger ausgeprägt. Der Gesamtdurchschnitt liegt mit 21.2 % deutlich niedriger als im Norden und in der Mitte Italiens. Abb. 23: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio bei Probanden aus Süditalien 7.4.1.4. Gesamtvergleich Die Gesamtauswertung, in denen die Ergebnisse für die drei Gebiete aufgeführt werden, zeigt folgendes Bild: <?page no="157"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 157 Abb. 24: Durchschnittliche Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio der Probanden aus Nord-, Mittel- und Süditalien im Vergleich Sprecher aus Norditalien zeigen die höchste Frequenz von stare + gerundio auf. Der Süden, in dem laut Forschungsliteratur die dichteste Verwendung der Verbalperiphrase vorkommt, liegt deutlich unter den Werten, die für den Norden ermittelt wurden. Probanden aus Mittelitalien liegen zwischen den Werten aus dem Norden und aus dem Süden. Diese Ergebnisse können einen vermehrten Gebrauch im Süden nicht bestätigen. Sprecher aus dem Norden verwenden stare + gerundio insgesamt betrachtet in einem stärkeren Ausmaß als Sprecher aus der Mitte oder aus dem Süden. Dennoch soll hier nicht erneut eine Diskussion um die diatopische Verankerung der Form initiiert werden. Vielmehr gliedern sich die vorliegenden Ergebnisse in einen dialektal unabhängigen Standard, der von Radtke als diatopia secondaria klassifiziert wird. 337 Aufgrund der angesprochenen Problematik der Frequenz als Analyseparameter sollen diese Ergebnisse keine Interpretationsbasis schaffen. Die stark sprecherabhängige Variation, die über die Diatopie hinweg festgestellt wurde, verbietet dies. Es kann lediglich festgehalten werden, dass stare + gerundio von Norden bis Süden trotz individueller Unterschiede als panitalienische Verbalperiphrase betrachtet werden kann. In keinem der erhobenen Datensätze wurden vermeintlich konkurrierende Verbalperiphrasen wie essere dietro + Infinitiv oder stare a + Infinitiv verzeichnet. Diese Tatsache könnte mit den starken Kontrollbedingungen der Aufnahme zusammenhängen, welche der Experimentsituation einen formellen Rahmen geben. In diesem Zusammenhang kann auf die Ergebnisse von Villarini (1999) hingewiesen werden, der festgestellt hat, dass stare + gerundio in formellen Kontexten im Norden häufiger als in der Mitte oder im Süden verwendet wird. Im folgenden Abschnitt soll im Hinblick auf die Diatopie dennoch 337 RADTKE (2003 und 2004) <?page no="158"?> 158 Empirie auf die Studie von Villarini hingewiesen werden, auch wenn aufgrund der oben genannten Gründen die Diatopie-Diskussion nicht als zentral erachtet wird. 7.4.1.5. Ergebnisse der diatopischen Studie von Villarini Villarini untersucht die Verwendung von stare + gerundio anhand des LIP von de Mauro (Lessico di frequenza dell’italiano parlato) und nähert sich dem Phänomen in der gesprochenen Sprache über eine empirische Untersuchung unter Einbezug einer möglichen diatopischen Variation. Villarini stellt fest, dass stare + gerundio innerhalb der untersuchten Städte Mailand, Florenz, Rom und Neapel in Neapel die höchste Frequenz der Verbalperiphrase festzustellen ist: 338 Stadt Anzahl der Verwendungen Frequenz in % Mailand 152 12,1 Florenz 121 9,6 Rom 173 13,8 Neapel 194 15,5 Tab. 21: Die Frequenz von stare + gerundio in den von Villarini (1999) untersuchten Städten „La perifrasi inoltre evidenzia una superiore (anche se non in maniera eccessiva) diffusione nelle aree di Roma e soprattutto Napoli (…) Vediamo come a Napoli e Roma ci sia il numero di occorrenze più alto rispetto a Milano e (soprattutto) Firenze cosa tra l’altro rilevata da altri studiosi [gemeint: Rohlfs], ma che qui per la prima volta riceve la conferma dei dati numerici.“ 339 In seiner Studie vergleicht Villarini darüber hinaus die Vorkommenshäufigkeit in Abhängigkeit des Formalitätsgrads und stellt fest, dass in informellen Kontexten in Florenz die höchste Frequenz vorliegt, während in formellen Kontexten in Mailand der Gebrauch am höchsten ist. Villarini folgert daraus, dass im Norden eine eingeschränktere „Freiheit“ im Gebrauch der Form vorliegt, da sie als formell angesehen wird. 340 338 VILLARINI (1999: 30) 339 VILLARINI (1999: 29) 340 VILLARINI (1999: 31) <?page no="159"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 159 Stadt Formelle Kontexte Frequenz in % Informelle Kontexte Frequenz in % Mailand 46,3 53,6 Florenz 28,1 71,8 Rom 39,8 60,1 Neapel 30,4 69,5 Tab. 22: Die Frequenz von stare + gerundio im formellen und informellen Kontext in den von Villarini (1999) untersuchten Städten Es stellt sich die Frage, weshalb Villarini seine erhobenen Daten als Bestätigung des von Rohlfs und anderen proklamierten Nord-Süd-Gefälles sieht. Aus seinen Daten kann ebenso gut abgelesen werden, dass auch in Mailand die Form einen durchaus häufigen Gebrauch aufzuweisen hat. Die Tatsache, dass gerade in Mailand, einer Stadt des Nordens, der Gebrauch von stare + gerundio in formellen Kontexten die Frequenz sogar höher als in Neapel liegt, stützt doch eher die Annahme, dass es sich bei stare + gerundio um eine etablierte, panitalienische Verbalperiphrase handelt. Auch Villarinis Schlussfolgerung, dass eben wegen der erhöhten Frequenz in formellen Kontexten von stare + gerundio in Mailand, eine weniger entwickelte „Freiheit“ im Gebrauch der Verbalperiphrase zu vermuten sei, ist wenig plausibel. Angesichts des nur partiell grammatikalisierten Status der Form, spricht der Gebrauch in formellen Kontexten nicht für eine eingeschränkte „Freiheit“, sondern eher für eine durchaus dynamische Entwicklung. Schließlich ist der Gebrauch von stare + gerundio sowohl in formellen als auch in informellen Kontexten relativ gleichmäßig verteilt. Es wird aus diesen und den eigenen Ergebnissen deutlich, dass die Analyse von diatopischen Variablen nicht leicht zu lösen ist. Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, diese Problematik zu erschließen. Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle lediglich der Vorschlag zu einer weiterführenden Studie gemacht werden, die mit einer ausreichenden Anzahl an Probanden und einem identischen Stimulussatz in einem zusammenhängenden Dialektgebiet der Verwendung von stare + gerundio nachgeht. Diese Daten können anschließend mit weiteren Daten anderer Messpunkte verglichen werden. Methodisch gesehen könnten somit einige, wenn auch nicht alle Probleme der Vergleichbarkeit gelöst werden. 341 341 In einer weiteren Untersuchung wäre es interessant zu beobachten, ob die Differenzierung „Stadt vs. Land“ eine unterschiedliche Verwendungsweise von stare + gerundio ergeben würde. <?page no="160"?> 160 Empirie Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass die hier erzielten Ergebnisse die der in der Forschung angenommenen Dominanz von stare + gerundio im Süden nicht bestätigen konnte. 7.4.2. Die diasexuelle Variation Es kann an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden, dass sich im Bereich der diasexuellen Variation kein Unterschied bezüglich der Verwendung von stare + gerundio zwischen Männern und Frauen ergibt. Die Tendenz der stark sprecherbezogenen Variation bleibt bestehen. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen gibt es die entgegengesetzten Pole die Verbalperiphrase stare + gerundio sehr selten oder sehr häufig zu verwenden. Im folgenden Diagramm sind die Werte der gegenübergestellten Männer und Frauen angeführt: Abb. 25: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio bei weiblichen und männlichen Probanden im Vergleich Es zeigt sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen die bereits vielmals zitierte stark sprecherabhängige Variation. Eine gleichmäßige Verwendung ist weder bei Frauen noch bei Männern festzustellen. <?page no="161"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 161 Auch wenn die durchschnittliche Verwendungshäufigkeit bei Männern im Experiment mit 36,3 % leicht über der der Frauen mit 32,0 % liegt, können aufgrund dieser Analyse keine geschlechtsspezifischen Verwendungsbedingungen von stare + gerundio erkannt werden. Der nahezu deckungsgleiche Verlauf im Diagramm (vgl. Abb. 26) bestätigt vielmehr das Geschlecht als unabhängige Bedingung in der Verwendung von stare + gerundio. Aussagen über Normkonformität oder Sprachwandelprozesse können an dieser Stelle nicht getroffen werden. 7.4.3. Die diagenerationelle Variation Wie zu Anfang des Kapitels verdeutlicht wurde, konnten für die Analyse der diagenerationellen Variation zwei Altersgruppen miteinander verglichen werden, die aufgrund des gleichen Stimulussatzes erhoben wurden. Aus diesem Grunde liefert diese Analyse wahrscheinlich ein präziseres Bild, als der Vergleich verschiedener Datensätze, der in diesem Kapitel nicht zu vermeiden war. Bei dem verwendeten Datensatz handelt es sich um den Datensatz II, der aus folgenden Situationstypen besteht: • Aktivitäten • Entstehungsprozesse • Ortswechsel + Endpunkt • Ortswechsel - Endpunkt Die nachstehende Tabelle 23 liefert einen Überblick über die im Datensatz II verwendeten Situationen (s. S. 162). Es wird deutlich, dass der Kategorie des Ortswechsels in diesem Datensatz besonderes Augenmerk gewidmet wurde. Etwa die Hälfte der Situationen beinhaltet Handlungen, in denen ein Agens einen Ortswechsel vollzieht. Aufgrund der bislang erzielten Ergebnisse ist deshalb nachvollziehbar, weshalb die Frequenzergebnisse der Erwachsenen mit 15.5 % eine recht niedrige Frequenz von stare + gerundio aufweisen. Der geringere Anteil an Situationen, die einen inferierbaren Endpunkt und ein substantielles Ergebnis aufweisen, hält die Frequenz von stare + gerundio gering. Die Auswertungen der Äußerungen der Kinder haben dagegen mit 32.3 % einen mehr als doppelt so hohen Frequenzwert aufgezeigt. Eine erste Vermutung, dass Kinder eventuell eine andere Sensibilität für die Steuerungsfaktoren auf der Ebene der Situation aufweisen, konnte jedoch zerstreut werden. Eine Übersicht der Frequenzen innerhalb der verschiedenen Situationen zeigt Tabelle 24 (s. S. 162). <?page no="162"?> 162 Empirie Aktivitäten Entstehungsprozesse Ortswechsel + EP Ortswechsel - EP Zwei Jungen spielen Tischtennis Mann spannt Papier in Schreibmaschine ein Ein Schwein legt sich in Pfütze Eine Frau überquert eine Straße Zwei Jungen surfen Handwerker meißelt aus Holz ein Gesicht Ein Hund läuft ins Haus Pferde laufen auf einer Koppel Ein Mann joggt im Wald Maler malt an einem Bild Eine Möwe landet auf Pfahl Frauen gehen im Park spazieren Zwei Menschen tauchen in einem Korallenriff Bagger hebt Grube aus Eine Dose rollt von Tisch auf Boden Ein Vogel fliegt vom Wasser auf einen Pfahl Eine Frau dirigiert ein Orchester Ein Mann schnitzt aus Holz eine Figur Ein Junge klettert auf einen Heuwagen Ein Auto fährt durch ein Feld Zwei Menschen schwimmen in einem See Ein Mann töpfert eine Vase aus Ton Küken klettern auf ein Nest Gänse laufen im Hof Ein Junge springt von einer Liane in einen Fluss Ein LKW überquert eine Brücke Ein Kind springt von einer Kommode auf eine Matratze Tab. 23: Stimulusmaterial zum Datensatz II Szene Erwachsene Kinder absolut in % absolut in % Aktivitäten 18-84 19.1 25-84 29.9 Entstehungsprozesse 25-84 29.8 44-84 52.4 Ortswechsel + EP 6-112 05.4 25-112 22.3 Ortswechsel - EP 8-89 08.2 26-98 26.5 Tab. 24: Frequenz von stare + gerundio bei Erwachsenen und Kinden im Vergleich Es wird deutlich, dass Entstehungsprozesse sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern den Situationstyp darstellen, der stare + gerundio am stärksten anzieht. Es folgen Aktivitäten, während Ortswechsel die niedrigste Frequenz aufweisen. Insgesamt sind bezüglich der Anziehungskraft der dynamischen <?page no="163"?> Exkurs: Der Gebrauch von stare + gerundio 163 Eigenschaften der Situationen auf stare + gerundio vergleichbare Tendenzen festgestellt worden. Vergleicht man die Einzelwerte sowohl in der Gruppe der Erwachsenen als auch der Kinder miteinander, wird erneut deutlich, dass die sprecherabhängige Variation auch bei Kindern angelegt ist (vgl. Abb. 27). Jedoch ist aus den Daten abzulesen, dass bei Kindern in diesem Datensatz die Spanne der Einzelwerte deutlich größer als bei Erwachsenen ist. Dennoch weisen die Streuungskurven ein vergleichbares Bild auf. Abb. 26: Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio bei Erwachsenen und Kindern im Vergleich Somit sind auch im Bereich der diagenerationellen Variation keine entscheidenden Differenzierungen hinsichtlich der Abhängigkeit von temporalen Situationseigenschaften zu erkennen. Es fällt jedoch auf, dass stare + gerundio bei Kindern insgesamt häufiger gebraucht wird. Es handelt sich um einen Anstieg, der sich jedoch innerhalb der Gebrauchsdeterminanten vollzieht, die auch für die erwachsenen Probanden ermittelt wurden. <?page no="164"?> 164 Empirie 7.5 Zusammenfassung der Ergebnisse In diesem Kapitel wurde die Frequenz von stare + gerundio hinsichtlich einer möglichen Abhängigkeit von den soziolinguistischen Variablen Raum, Geschlecht und Alter überprüft. Die Analysen haben zu folgenden Ergebnissen geführt: Im Bereich der diatopischen Variation konnte die in der Forschungsliteratur zitierte starke Ausprägung von stare + gerundio in Süditalien nicht bestätigt werden. Die dichteste Verwendung der Verbalperiphrase wurde sogar bei Sprechern aus Norditalien festgestellt. Dieses Ergebnis steht jedoch nicht für den Ansatz einer neuen Diatopie-Diskussion, sondern für neue Formen einer diatopia secondaria, die dialektal unabhängig ist. 342 Im Süden wurde hingegen die geringste Frequenz von stare + gerundio gemessen. Dafür könnte folgende Begründung herangezogen werden: Im Süden wird das Verb stare in einigen Kontexten als Auxiliar anstelle von essere verwendet (Bsp. sto malato). Die als nicht normkonforme bzw. als umgangssprachlich empfundene Verwendung von stare könnte in diesem Falle aufgrund der kontrollierten Experimentbedingung vermieden worden sein und somit auch die Verwendung von stare + gerundio reduziert haben. Für eine fundierte detaillierte diatopische Analyse bedarf es noch weiterer Analysen, die in verschiedenen Dialektgebieten unter Einbezug der möglichen Wirkungen eines dialektalen Substrats durchzuführen sind. Darüber hinaus liefert die Verbindung von psycholinguistischen Arbeitsweisen, wie sie in dieser Arbeit größtenteils verfolgt wurden, mit varietätenlinguistischen Fragestellungen im Hinblick auf syntaktische Probleme mit Sicherheit neue interessante Arbeitsfelder. Der Bereich der diasexuellen Variation hat keine Unterschiede bezüglich der Frequenz aufzeigen können. Männer und Frauen verhalten sich in Bezug auf die Verwendung von stare + gerundio nicht unterschiedlich. Die sprecherabhängige Variation zeigt sich gleichsam bei Männern und Frauen. Die diagenerationelle Analyse hat eine höhere Frequenz in der Verwendung von stare + gerundio bei Kindern aufgezeigt. Jedoch wurde ebenfalls deutlich, dass die Wirkung der Steuerungsfaktoren im Bereich der dargestellten Situationen bei Kindern und Erwachsenen gleich ist. Somit ist die höhere Frequenz bei Kindern kein Hinweis auf unterschiedliche semantische Verwendungsbedingungen der Form. Auch Kinder weisen sehr unterschiedliche, individuelle Verwendungsbedingungen von stare + gerundio auf. Insgesamt zeigt dieser Exkurs erneut, dass stare + gerundio aufgrund der individuellen Verwendungsweisen als eine Form zu begreifen ist, die trotz 342 RADTKE (2003 und 2004) <?page no="165"?> Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse 165 Etablierung keine homogene Verwendung aufweist. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass sich die Form in ihrer Entwicklung befindet. Soziolinguistische Variablen scheinen keinen Einfluss auf die Verwendung zu haben. 8. Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse Dieses Kapitel enthält einen Überblick über die Gebrauchsdeterminanten von stare + gerundio, die durch dieses Dissertationsprojekt ermittelt werden konnten. Dabei werden alle Ergebnisse der Kapitel 5 bis 10, die den empirischen Teil der Arbeit darstellen, aufgeführt. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Ergebnisse der Kapitel 5 bis 8 und 10 aufgrund eines Experiments (vgl. Kapitel 5) erzielt worden sind. Die Ergebnisse zu Kapitel 9 basieren auf spontansprachlichen Datensätzen. Entsprechend der vorangegangenen Kapitel gliedert sich der Überblick in die folgenden Bereiche: 1. Ergebnisse zur Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio 2. Relevante Steuerungsfaktoren im Sinne von temporalen Eigenschaften auf Ebene der Situation 3. Relevanz der Steuerungsfaktoren bei der Verbwahl und Argumentstruktur 4. Stabilität der ermittelten Eigenschaften unter Zeitdruck 5. Der temporale Bedeutungsumfang von stare + gerundio 6. Stare + gerundio und soziolinguistische Gebrauchsdeterminanten 8.1. Die Verwendungshäufigkeit von stare + gerundio Es konnte festgestellt werden, dass stare + gerundio sehr unterschiedliche Verwendungshäufigkeiten aufweist. 343 In allen erhobenen Datensätzen wurde eine individuelle Verwendungshäufigkeit festgestellt, die von der Ignorierung der Form bis zur fast ausschließlichen Verwendung in den gegebenen Kontexten reicht. Diese Schwankungen zeigen die Fakultativität des Gebrauchs der progressiven Verbalperiphrase auf und verdeutlichen, dass stare + gerundio für die Sprecher eine Option darstellt. Der Gebrauch von stare + gerundio nimmt laut Forschungsliteratur stetig zu. Der hier ermittelte Frequenzwert beläuft sich bei 40 erhobenen Probanden 343 Diese Tatsache erschwert die stringente Interpretation von Verwendungshäufigkeiten (vgl. 5.5.) <?page no="166"?> 166 Empirie auf 41.95 %. Da keine diachronisch relevante Vergleichsgröße zur Verfügung steht, entzieht sich dieser Wert einer Interpretation bezüglich einer möglichen wachsenden Vitalität. Es kann lediglich festgestellt werden, dass trotz des gezeigten Stimulusmaterials, das verschiedene Handlungen in ihrem Verlauf darstellt, in knapp 60 % der potentiellen Verwendungskontexte der progressive Aspekt nicht explizit kodiert wurde. Die Kurzfassung für die Analyseergebnisse der Verwendungshäufigkeit lautet: • Sehr heterogene Verwendungshäufigkeiten innerhalb der Probandengruppe (von 0-95 %) Individuelle Unterschiede im Gebrauch • Fakultativität der Form deutlich bestätigt • Stare + gerundio in 41.95 % der möglichen Kontexte explizit verwendet 8.2. Ermittlung von temporalen Steuerungsfaktoren auf der Ebene der Situation Es wurde festgestellt, dass der Gebrauch von stare + gerundio ansteigt, wenn die Ereignisstruktur der dargestellten Situation im Experiment durch die Inferierbarkeit der Endpunktes und durch ein substantielles Ergebnis gekennzeichnet ist. Die gezeigten Entstehungsprozesse (vgl. „einen Schal stricken“), die diese Merkmale in besonderem Maße aufweisen, haben am häufigsten die Verwendung von stare + gerundio hervorgerufen. Die Inferierbarkeit des Endpunktes zeigt sich in der durch das Weltwissen bedingten Tatsache, dass das Stricken des Schals irgendwann abgeschlossen ist. Das substantielle Ergebnis ergibt sich durch die deutliche Sichtbarkeit des entstehenden Objekts in der dargestellten Szene. Die konzeptuell relevanten Größen des inferierbaren Endpunkts und des substantiellen Ergebnisses ergeben sich bei der Ereigniskonzeptualisierung durch die Fokussierung des in der außersprachlichen Situation enthaltenen Nachzustands (vgl. Abb. 12). Der temporale Kontrast zwischen Intervallen vor und nach dem Umschlagpunkt sowie das Vorhandensein des substantiellen Ergebnisses bedingen somit die Selektion von stare + gerundio. Entstehungsprozesse verfügen über eine „gerichtete“ Ereignisstruktur, die für die Verwendung von stare + gerundio entscheidend ist. Die Richtung bezieht sich im Falle der Entstehungsprozesse auf die Entwicklung zu einem Zustandswechsel. Das Ergebnis belegt, dass diese aspektuelle Form eine ‚progressive‘ Komponente besitzt. Diese Entwicklung wird ferner durch die Homogenität der Teilereignisse getragen, die als weiteres verwendungssteuerndes Kriterium ermittelt wurde. <?page no="167"?> Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse 167 Die Kurzfassung für diese Analyseergebnisse lautet: • Entstehungsprozesse erhöhen die Verwendung von stare + gerundio • Die temporalen Eigenschaften von Entstehungsprozessen „Inferierbarkeit des Endpunkts“ sowie „substantielles Ergebnis“ fördern die Selektion von stare + gerundio • Bei den Entstehungsprozessen sind die homogenen Teilereignisse für die Verwendung von stare + gerundio von Bedeutung 8.3. Relevanz der ermittelten Steuerungsgrößen in der Verbwahl Es wurde in einem weiteren Schritt überprüft, inwieweit diese Eigenschaften, die sich auf der Ebene der Situation als relevant herausgestellt haben, für die Verbwahl und Argumentstruktur von Bedeutung sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die ermittelten Eigenschaften der Inferierbarkeit des Endpunktes und des substantiellen Ergebnisses in der Verbwahl keine deckungsgleiche Entsprechung finden. Im Bereich der Argumentstruktur werden die effizierten Objekte in 48,51 % der Fälle erwähnt. Dieser Unterschied zu den selektionssteuernden Faktoren auf der Ebene der Situation ist durch die verschiedenen Konzeptualisierungsebenen zu erklären, durch die das Ereignis erfasst wird. Die Konzeptualisierungsebene, die mit der Verbwahl einhergeht, fokussiert den Vorzustand des dargestellten Ereignisses. Das für die Assertionszeit relevante Situationsintervall ist im Vorzustand der Ereignisstruktur angesiedelt. Die Auswirkungen der Fokussierung des Vorzustands spiegelt sich in den Makro-Ereignissen wider. Die Relevanz der Homogenität bleibt erhalten (vgl. Abb. 14, S. 115). Es konnten folglich zwei Konzeptualisierungsebenen ermittelt werden, die einerseits die konzeptuell relevanten Größen für die Selektion von stare + gerundio und andererseits die Auswirkungen des relevanten Situationsintervalls auf die mit stare + gerundio verwendeten Verben beschreiben. Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden: • Die Bedeutung der Inferierbarkeit des Endpunktes und des substantiellen Ergebnisses kommt in der Verbwahl nicht zum Tragen • Die Verbwahl fokussiert homogene Teilereignisse • Begründung: Das für die Assertionszeit relevante Situationsintervall ist im Vorzustand lokalisiert 8.4. Stabilität der ermittelten Eigenschaften unter Zeitdruck Die Stabilität der ermittelten Eigenschaften für die selektionssteuernden und verwendungssteuernden Konzeptualisierungsebenen wurde in einem weite- <?page no="168"?> 168 Empirie ren Experiment unter der Manipulation „Zeitdruck“ überprüft. Dabei ergaben sich folgende Ergebnisse: 1. Verwendungshäufigkeit und individuelle Variation Das Zeitdruck-Experiment hat gezeigt, dass die Verwendung von stare + gerundio ansteigt, wenn die Nähe zwischen Sprech- und Assertionszeit erhöht wird. Zeigt sich eine Simultaneität bzw. ein Inklusionsverhältnis zwischen Sprech- und Assertionszeit, wird stare + gerundio häufiger verwendet. Dieses Ergebnis zeigt, dass stare + gerundio ein deiktisches Moment aufweist. Es korreliert mit einem Verweis auf ein „Hier und Jetzt“, der sich zwischen Sprech- und Assertionszeit etabliert. Stare + gerundio ist temporal spezifisch. Die sprecherbezogenen Variationen bleiben auch unter Zeitdruck erhalten. 2. Relevante Steuerungsfaktoren im Sinne von temporalen Eigenschaften auf Ebene der Situation Auch unter Zeitdruck ist die Inferierbarkeit des Endpunktes sowie das substantielle Ergebnis in der Ereignisstruktur der dargestellten Handlung von Bedeutung. Es handelt sich um stabile Steuerungsfaktoren für die Selektion von stare + gerundio. 3. Relevanz der Steuerungsfaktoren in der Verbwahl Unter Zeitdruck ergeben sich folgende Verschiebungen: Nach wie vor überwiegen Makro-Ereignisse bei der Verbwahl, die jedoch unter Zeitdruck weniger dominant sind. Unter Zeitdruck ist der Wert von 67.5 % Makroereignissen zu verzeichnen gegenüber 78.32 % unter nichtmanipulierter Bedingung. Die Nennung der effizierten Objekte steigt an. Unter Zeitdruck werden sie in 57.5 % der Fälle genannt, unter der Bedingung ohne Zeitdruck in 41.5 %. Daraus ist zu erkennen, dass unter Zeitdruck die Äußerungen mit stare + gerundio spezifischer werden. Für die Untersuchung der Stabilität der ermittelten Eigenschaften unter Zeitdruck lässt sich folgende Kurzfassung aufzeigen: • Unter Zeitdruck steigt die Verwendung von stare + gerundio deutlich an. Unter Zeitdruck wird somit das deiktische Moment der Verbalperiphrase hervorgehoben. Heterogenität und Individualität in der Verwendung bleiben erhalten. • Die relevanten temporalen Eigenschaften der Situation wie Inferierbarkeit des Endpunktes und substantielles Ergebnis greifen auch unter Zeitdruck. <?page no="169"?> Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse 169 • Die Präferenz für Makro-Ereignisse bleibt erhalten. In der Argumentstruktur ist eine höhere Spezifizität zu erkennen. • Insgesamt werden die Äußerungen mit stare + gerundio spezifischer. 8.5. Der temporale Bedeutungsumfang von stare + gerundio Es wurde untersucht, welche temporalen Funktionen stare + gerundio im spontansprachlichen Bereich im Hinblick auf einen angenommenen Sprachwandelprozess annehmen kann. Dabei wurden normkonforme sowie nichtnormkonforme Äußerungen untersucht. In nicht-normkonformen Äußerungen kommt eine emphatische Wirkung zustande, indem temporal-semantischen Restriktionen außer Kraft gesetzt werden. Dabei wurden in den Untersuchungen drei Bereiche ausfindig gemacht, in denen stare + gerundio einen erweiterten temporalen Bedeutungsumfang aufweist. • Verwendung in habituellen Kontexten • Verwendung mit statischen Verben • Verwendung mit futurischer Funktion Stare + gerundio fungiert in allen genannten Fällen als Ausdruck einer besonderen Form von Aktualität. Im Fall der normkonformen Äußerungen ist die emphatische Ausdruckskraft, die die Form annehmen kann, durch die disambiguierende Funktion von stare + gerundio bedingt. Im Vergleich zur einfachen Form des Präsens Indikativ wirkt der Gebrauch von stare + gerundio in bestimmten Kontexten als temporaler Spezifikator, der die Aktualität einer Handlung unterstreicht. 8.6. Der Gebrauch von stare + gerundio im Spiegel soziolinguistischer Gebrauchsdeterminanten Die Verwendung von stare + gerundio wurde ausgehend von diatopischen, diasexuellen und diagenerationellen Variablen untersucht. Diese Untersuchung fußt auf der Bestimmung von Vorkommenshäufigkeiten, die innerhalb der Gruppen Raum, Geschlecht und Alter ermittelt wurden. Dabei wurde deutlich, dass Sprecher aus Norditalien stare + gerundio häufiger verwenden als Sprecher aus der Mitte oder aus dem Süden. Damit konnte widerlegt werden, dass die Form, wie in der Forschungsliteratur angenommen (vgl. Rohlfs 1969), besonders im Süden des Landes gebraucht wird. Die Analyse der Diasexualität ergab, dass Männer und Frauen in gleicher Weise sprecherabhängige Variationen aufweisen. Es lässt sich kein geschlechtsspezifischer Unterschied feststellen. <?page no="170"?> 170 Empirie Im Bereich der diagenerationellen Analyse wurde festgestellt, dass Kinder stare + gerundio häufiger verwenden als Erwachsene. Jedoch vollzieht sich der Anstieg in der Verwendung innerhalb der gleichen Gebrauchsdeterminanten, die die Verwendung der Form bei den Erwachsenen steuern. Das heißt, die Form wird bei Kindern häufiger verwendet, jedoch gelten die gleichen Steuerungsfaktoren wie bei den Erwachsenen. Die Kurzfassung der Ergebnisse lautet folgendermaßen: • Höhere Verwendung der Form im Norden • Keine unterschiedliche Verwendung im Bereich der Diasexualität • Höhere Verwendung bei Kindern gegenüber Erwachsenen, jedoch gleiche selektionssteuernde Faktoren auf der Ebene der Situation (inferierbarer Endpunkt und substantielles Ergebnis) 9. Abschließende Diskussion und Ausblick Die vorliegende Dissertation hat ein neues Licht auf die Gebrauchsdeterminanten der Verbalperiphrase stare + gerundio geworfen. Die Berücksichtigung von kognitiven Prozessen, die zur Verwendung der Form führen, hat Ergebnisse hervorgebracht, die in dieser Form noch nicht beschrieben wurden, da die sprachstrukturellen Beschreibungen bislang vorherrschend sind. Die Anwendung von experimentellen Verfahren, die entscheidende Einflussgrößen für die Verwendung von stare + gerundio hervorgebracht haben, war unentbehrlich, um das Modell zu den konzeptuellen Planungsschritten zu entwickeln. Daher ist für diese Arbeit in besonderem Maße der Ansatz zu betonen, der den erarbeiteten Ergebnissen zugrunde liegt: 1. Die systematische Erfassung von „Attraktoren“ im Sinne von temporalen Eigenschaften von Situationen, die die Verwendung von stare + gerundio beeinflussen 2. Die vorgenommene Trennung zwischen Situationsebene und Ebene der mit stare + gerundio verwendeten Verben, die einen differenzierten Blick auf die konzeptuellen Planungsschritte ermöglicht Die erzielten Ergebnisse erweitern die bestehenden Ausführungen zum progressiven Aspekt sowohl in einzelsprachlicher (italienischer) als auch in allgemeiner Hinsicht, da sprachvergleichende Analysen die Annahme einer typologischen Relevanz für die erarbeiteten Faktoren stützen. Bei der ermittelten Bedeutsamkeit des substantiellen Ergebnisses sowie der Inferierbarkeit des Endpunktes auf der Ebene der temporalen Situationseigenschaften könnte es sich möglicherweise um ein Charakteristikum einer bestimmten Grammati- <?page no="171"?> Abschließende Diskussion und Ausblick 171 kalisierungsphase des Progressivs handeln, denn auch in anderen Sprachen ist die Bedeutung dieser temporalen Eigenschaften ermittelt worden. Für das Niederländische, dessen progressiver Ausdruck is aan het + Infinitiv seine Verwendung in den letzten Jahren ausgebaut hat, ist auch das Vorhandensein eines substantiellen Ergebnisses in Verbindung mit der Inferierbarkeit eines Endpunktes von Bedeutung. 344 Im Hocharabischen sind ebenfalls hinsichtlich der Selektionsdeterminanten Parallelen bei der Markierung der Verlaufsform deutlich geworden. 345 Das Englische, das über ein voll grammatikalisiertes Progressiv verfügt, kennt diese kennzeichnenden Selektionsfaktoren nicht, eventuell nicht mehr, da bis auf Ausnahme von wenigen statischen Verben, kaum semantische Restriktionen den Gebrauch des Progressivs charakterisieren. In einer weiterführenden Studie, die noch mehr Sprachen einbezieht, die über progressive Ausdrücke verfügen, könnte festgestellt werden, ob es sich bei den ermittelten Präferenzen um grundlegende Konzepte für die Selektion des progressiven Aspekts handelt, die für eine Grammatikalisierungsstufe charakteristisch sind. Die Vermutung, dass es sich bei den ermittelten Selektionsfaktoren um grundlegende Konzepte für eine bestimmte Grammatikalisierungsstufe handeln könnte, wird dadurch gestützt, dass sich bei deutschen Lernern des Italienischen (Niveau Mittelstufe) dieses Selektionsmuster ebenfalls nachweisen lässt. Die gleichen Präferenzen treten zutage, obwohl diese Lerner nicht fortgeschritten sind und von einem Verbalsystem kommen, in welchem aspektuelle Differenzierungen dieser Art marginal sind. Trotz erheblicher lexikalischer und syntaktischer Defizite, sind die gleichen Gebrauchsdeterminanten für stare + gerundio festgestellt worden 346 . Die Szenen, die einen inferierbaren Endpunkt gekoppelt an ein substantielles Ergebnis aufweisen, zeigen auch bei diesen Lernern die höchste Frequenz von stare + gerundio auf. Die herausgearbeiteten Selektionsfaktoren stellen für Lerner des Italienischen einen wichtigen Zugang für die Erfassung der relevanten Eigenschaften von stare + gerundio dar. Gerade für Lerner, in deren Erstsprache Aspekt eine marginale Rolle spielt, wären Gebrauchsdeterminanten dieser Art ein Schlüssel, um den Bedeutungsumfang der Form zu erfassen. Fänden diese Ergebnisse einen Weg in Grammatiken zum Italienischen, wäre die rekurrente Charakterisierung, dass stare + gerundio die Unbestimmtheit des Fortschreitens der Handlung 347 impliziert, zu präzisieren. Stare + gerundio fokussiert zwar ein bestimmtes Teilintervall innerhalb des Geschehens, jedoch hat der 344 CARROLL & NATALE & STARREN (2008) 345 BOUHAOUS (in Vorbereitung) 346 CARROLL & NATALE & STARREN (2008) 347 BERTINETTO (1986: 120-123) <?page no="172"?> 172 Empirie Sprecher, wie gezeigt wurde, sehr wohl das Fortschreiten der Handlung hinsichtlich ihres Endpunktes und eines möglichen Kontrasts zwischen einem Vor- und einem Nachzustand im Blick. Angesichts der Vielzahl an verschiedenen Situationstypen wäre es ferner denkbar, die Verwendung von stare + gerundio anhand weiterer Situationstypen zu bestimmen. Im Bereich des Ortswechsels sind beispielsweise weitere Differenzierungen wie die Art der Bewegung oder die Beschaffenheit des Endpunktes denkbar. In einer breit angelegten Studie könnten somit aufgrund mehrerer Testläufe weitere Gebrauchsdeterminanten bestimmt werden. Die Ergebnisse zur Selektions- und Verwendungssteuerung könnten darüber hinaus durch eine Auswertung der Blickbewegung ergänzt werden. 348 Es wäre besonders für den Vergleich zwischen Äußerungen in der einfachen Form Präsens Indikativ oder stare + gerundio interessant zu sehen, ob es hinsichtlich der Erfassung der Situation und der Augenbewegungen Unterschiede gibt. Dies könnte eventuell eine Antwort auf die Frage geben, weshalb sich im Bereich des Detaillierungsgrades und der Argumentstruktur Parallelen zwischen den beiden Formen zeigen. Eine systematische Untersuchung einer möglichen Abhängigkeit der Verbalperiphrase stare + gerundio von soziolinguistischen Variablen liegt meines Wissens noch nicht vor. Variationsgebundene Faktoren könnten dabei ebenfalls weiter untersucht werden. Im Bereich der diatopischen Variationen wäre beispielsweise denkbar, dialektale Formen zum Ausdruck des progressiven Aspekts experimentell zu erfassen, um das sprachliche Wissen, das mit der Verwendung der Form einhergeht, zu untersuchen. Dies würde die wohl klassischste Disziplin der Sprachwissenschaft, die Dialektologie, um einen kognitiven Ansatz erweitern und sicher zu interessanten Resultaten führen. Die hier angewandte Methode verspricht aufgrund der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse eine gute Vergleichbarkeit der gewonnen Daten. Die diagenerationelle Variation könnte auch anhand anderer Altergruppen untersucht werden. In der vorliegenden Arbeit wurden willkürlich zwei Altersgruppen (Teenager und Studenten) miteinander verglichen. Es sind jedoch sicherlich auch andere Altersgruppen interessant, die weitere Aufschlüsse über die Verwendung der Form erlauben (z. B. jüngere Kinder oder Senioren). Lediglich im Bereich der diasexuellen Variation werden keine weiteren Aufschlüsse erwartet. Abschließend möchte ich zum Ausdruck bringen, dass es sich bei stare + gerundio um eine grammatische Form handelt, deren Facettenreichtum ich zu Beginn meiner Arbeit noch nicht vermutet hätte. Daher sind sicherlich noch 348 Der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Verbalisierung und Blickbewegung wird im DFG-Projekt von Prof. Christiane von Stutterheim seit 2001 nachgegangen. <?page no="173"?> Abschließende Diskussion und Ausblick 173 weitere Analysen denkbar, die hier nicht explizit genannt wurden. Das genaue Hinhören, wenn mir diese Form begegnet, wird mich sicher noch eine ganze Weile, vielleicht für immer begleiten. Spätestens wenn meine kleine Tochter anfangen wird, stare + gerundio zu verwenden, werde ich der Form wieder besondere Beachtung schenken. Sto scrivendo le ultime righe del dottorato. Ein Hoch auf die Inferierbarkeit des Endpunktes und das substantielle Ergebnis! <?page no="175"?> Bibliographie Alcina Franch, Juan & Blecua, José Manuel. 1975. Gramatica Española. Barcelona: Ariel. Amenta, Luisa. 1999. „Tra lingua e dialetto: le perifrasi aspettuali nell’italiano regionale di Sicilia.“ Rivista Italiana di Dialettologia 33: 87-111. Andorno, Cecilia. 1999. Dalla grammatica alla linguistica. Basi per uno studio dell’ italiano. Torino: Paravia Scriptorium. Asnes, Maria. 2000. „Prédications télique et atélique: résolution d’un paradoxe.“ In Indéfinis et prédications, hgg. Corblin, Francis & Ferrando, Sylvie & Kupferman, Lucien, 337-346. Paris: Presses Universitaires de Paris-Sorbonne. Bausch, Karl-Richard. 1963. Verbum und verbale Periphrase im Französischen und ihre Transposition im Englischen, Deutschen und Spanischen. Diss. Tübingen. Bennett, Michael & Partee, Barbara. 1978. Toward the logic of Tense and Aspect in English. 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II Tab. 12: Stimulusmaterial zum Datensatz VII Tab. 13: Frequenzen von stare + gerundio im Datensatz VII nach Situationstypen Tab. 14: Stabilität der untersuchten Merkmale unter Zeitdruck Tab. 15: Verwendungsfrequenzen von stare + gerundio der Probanden aus Norditalien Tab. 16: Verteilung der Probanden aus Norditalien nach Frequenzgruppen Tab. 17: Verwendungsfrequenzen von stare + gerundio der Probanden aus Mittelitalien Tab. 18: Verteilung der Probanden aus Mittelitalien nach Frequenzgruppen Tab. 19: Verwendungsfrequenzen von stare + gerundio der Probanden aus Süditalien Tab. 20: Verteilung der Probanden aus Süditalien nach Frequenzgruppen Tab. 21: Die Frequenz von stare + gerundio in den von Villarini (1999) untersuchten Städten <?page no="184"?> 184 Tabellenverzeichnis Tab. 22: Die Frequenz von stare + gerundio im formellen und informellen Kontext in den von Villarini (1999) untersuchten Städten Tab. 23: Stimulusmaterial zum Datensatz II Tab. 24: Frequenz von stare + gerundio bei Erwachsenen und Kindern im Vergleich