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Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache

0818
2010
978-3-8233-7593-7
978-3-8233-6593-8
Gunter Narr Verlag 
Laurenz Volkmann

Der Autor dieses Bandes, viele Jahre an Schule und Universität tätig, davon mehrere Jahre in englischsprachigen Ländern, liefert hier einen inhaltsbezogenen Überblick zur englischen Fachdidaktik. Die Vermittlung interkultureller kommunikativer Kompetenzen steht dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vermittlung kultureller Inhalte (zielkulturelle Themengebiete, aber auch global issues). Der Band verbindet Fragestellungen zu repräsentativen und exemplarischen Unterrichtsthemen mit denen der adäquaten Methodik. Theoretisch fundiert, aber dennoch pointiert und mit zahlreichen lebendigen Beispielen versehen, liefert er dem Leser bzw. der Leserin klare Vorgaben zur Gestaltung motivierenden Unterrichts. Zugleich regt der Verfasser an zur eigenen Stellungnahme angesichts der neuen Herausforderungen des Englischunterrichts (Globalisierung, Neue Medien, Englisch als lingua franca).

<?page no="0"?> Laurenz Volkmann Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache Volkmann Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache Das Studienbuch positioniert sich zwischen den zahlreichen methodikorientierten Einführungen zur Englischen Fachdidaktik (die entweder Sprachdidaktik oder Literaturdidaktik zum Gegenstand haben) und Büchern zum interkulturellen Lernen, Landeskunde und Cultural Studies. Leitfrage ist: Wie kann die »Kultur« eines anderen Landes repräsentativ und exemplarisch unterrichtet werden? Wie prägt das Verständnis von Kultur und Sprache den Unterricht und welche Themen, Texte und Methoden sind hier zu favorisieren? Konkret geht es dabei dann um Themenbereiche wie • die Zusammenhänge von Sprache und Kultur beim Erlernen und Verwenden einer Fremdsprache • die Grundsatzfrage, wie weit sich der Englischunterricht nach wie vor auf die »Kernländer« des Englischen, GB und die USA, beschränken soll - wie sind andere englischsprachige Länder zu berücksichtigen? • die verschiedenen Formen der kommunikativen Kompetenz, interkulturellen und interkulturell-kommunikativen Kompetenz sowie transkulturellen Kompetenz • die wachsende Rolle des Englischen als Sprache internationaler Kommunikation (lingua franca) und die Folgen für den Englischunterricht • die Veränderungen von Bewusstsein, Verhalten und Kommunikation durch die Neuen Medien und die resultierenden Folgen für den Englischunterricht • die neuen Lernziele der inter- und transkulturellen Kompetenz: Was versteht man unter »globalem Lernen« und »global issues«? ISBN 978-3-8233-6593-8 042910 Stud. Volkmann: 042910 Stud. Volkmann Umschlag 23.07.10 15: 04 Uhr Seite 1 <?page no="1"?> 042910 Stud. Volkmann: 042910 Stud. Volkmann Titelei 23.07.10 15: 05 Uhr Seite 1 <?page no="2"?> 042910 Stud. Volkmann: 042910 Stud. Volkmann Titelei 23.07.10 15: 05 Uhr Seite 2 <?page no="3"?> Laurenz Volkmann Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache 042910 Stud. Volkmann: 042910 Stud. Volkmann Titelei 23.07.10 15: 05 Uhr Seite 3 <?page no="4"?> Prof. Dr. Laurenz Volkmann ist Professor für Englische Fachdidaktik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Druck: Gulde, Tübingen Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6593-8 042910 Stud. Volkmann: 042910 Stud. Volkmann Titelei 23.07.10 15: 05 Uhr Seite 4 <?page no="5"?> 0. Einleitung .................................................................................... i x 1. Problemstellungen - Überblick ........................................ 1 1.1 Sprache und Kultur im Fremdsprachenunterricht ....................... 1 Fremdsprachenunterricht als Sprach- und / oder Kulturvermittlung? Diskussionen zum Verhältnis von Sprach- und Kulturunterricht 1.2 Neue Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht ..... 4 Globalisierung - digital-elektronische Vernetzung - Englisch als lingua franca Neue Leitbilder I: Global Generation Neue Leitbilder II: Europäischer Referenzrahmen 1.3 Das Spannungsverhältnis von Forschung und Praxis ................. 9 Universitärer und schulischer Kulturunterricht Beispiel Amerikanistik - culture wars Von der Literaturzur Kulturwissenschaft Culture lag? Universitäre Forschung und Schulpraxis Wie ‚kritisch’ darf schulischer Unterricht sein? 1.4 Kommunikative, interkulturelle, transkulturelle Kompetenzen . 17 Unterschiedliche Kompetenzmodelle Kommunikative Kompetenz (in der Fremdsprache) Interkulturelle kommunikative Kompetenz Transkulturelle Kompetenz Transkulturalität und der Kult des Hybriden 1.5 Englischunterricht: Ausbildung oder Bildung? .......................... 27 Veränderte Bildungslandschaft - veränderter Bildungsbegriff Ganzheitliche Bildungskonzepte 1.6 Neue Medienwelt - neue Weltwahrnehmung, neue Kommunikation ............................................................................... 30 ‚Mediatisierung’ von Wahrnehmung und Kommunikation Hybride Kommunikationsformen - virtuelle Fremdwahrnehmung 2. Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte ....................................................................................... 35 2.1 Vorstellungen von Kultur - Auswirkungen auf die Fremdsprachendidaktik .................................................................. 35 Konjunktur des Kulturbegriffs Nicht-normative Verständnisse von Kultur Kultur als normativ-hierarchisches Gebilde 2.2 Operationalisierbare Verständnisse von Kultur ........................... 40 Kultur als Textgewebe und Zeichensystem Interaktion zwischen Kulturen <?page no="6"?> 2.3 Von der Landeskunde zum interkulturellen Lernen .................... 45 Das Unbehagen an der Landeskunde Plädoyers für einen ‚Mehrwert’ in der Landeskunde Erweiterte Modelle landeskundlicher Inhalte: Implizite / explizite Kultur Interdependenz von Sprache und Kultur 2.4 Zentrale kulturelle Deutungskategorien ....................................... 55 Deutungsschemata, Frames, Scripts Zwei Beispiele für die Bedeutung von ‚präsupponiertem Wissen’: Begrüßungskonventionen und Turnschuhe 2.5 Globale Medienkultur / globale Popkultur .................................. 60 ‚Media heaven’ oder ‚media hell’? ‚Media hell’: Positionen gegen die globale ‚Massenkultur’ ‚Media heaven’: Aufwertung der Populär- und Medienkultur Encodierung und Decodierung als komplexe Abläufe Neue Fragestellung: Was macht das Individuum mit den Medien? 3. Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ ............................ 73 3.1 Kultur und Mentalität ..................................................................... 73 Nationen als imagined communities Zur Modellierung von Mentalitäten Kultureme und Behavioreme 3.2 ‚Kulturstandards‘ und ihre Problematik ....................................... 79 Zum Forschungsansatz ‚Kulturstandards‘ / ‚Dimensionen von Kultur‘ Beispiele für ‚nationale Kulturstandards‘ - Kritik 3.3 Die Bedeutung von Stereotypen .................................................... 84 Kulturstandards, Stereotype & Karikatur Stereotype: : Funktionen und Gefahren Pädagogisch-didaktischer Umgang mit Stereotypen Let’s stereotype: Von der Konfrontation zur Reflexion 3.4 Mythos nationale Identität ............................................................. 98 Prinzipien und Merkmale der Konstruktion nationaler Identität 3.5 Imaginierte Kollektive: Deutschland, USA, Großbritannien und Indien ............................................................................................... 102 Deutschland USA Großbritannien Indien 3.6 Auswirkungen der Globalisierung ................................................ 117 Amerikas ‚weiche Macht‘ - Gegenreaktionen Unterrichtsthema Kulturvermischung Unterrichtsthema negative Auswüchse der Globalisierung <?page no="7"?> 4. Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen ............................................................... 129 4.1 Interkulturelle Verstehensprozesse ............................................... 129 Fremdverstehen als Herausforderung und Aufgabe Fremd- und Selbstverstehen Formen des Umgangs mit dem Anderen 4.2 Grundprobleme der interkulturellen Begegnung ......................... 136 Ethnozentrismus versus Kulturrelativismus Us vs. Them: ‚Othering‘ als problematische Konstante interkultureller Begegnung Historische Dimensionen des Othering 4.3 Sprache und Macht: Die Expansion der englischen Sprache ....... 142 Die Ausbreitung des Englischen: Ursachen und Entwicklungen Linguistische Dominanz und Sprachimperialismus Hybridisierung und Global English Lingua franca im Englischunterricht: Anything goes? 5. Interkulturelle Kompetenz .................................................. 157 5.1 Sprachliche und interkulturelle Kompetenz ................................. 157 Schwellenkompetenz Sprachbeherrschung Entwicklung interkultureller Konzepte Wesentliche Themengebiete des interkulturellen Lernen 5.2 Evaluation interkulturellen Lernens nach Kompetenzfeldern .... 165 Zwei Modelle interkultureller Kompetenz Zur Mess- und Beschreibbarkeit interkultureller Kompetenz 5.3 Interkulturelle Lernziele ................................................................. 171 Lernziel Multiperspektivität Soft skills in der Kommunikation Höflichkeit, Sprachroutinen, Small Talk: Konzepte von face Kontrastive Höflichkeitskonzepte Critical incidents Humor Nonverbale Kommunikation 5.4 Grenzen interkulturellen Verstehens ............................................. 186 Problem Kulturrelativismus Kritische Perspektiven auf die Fremdkultur <?page no="8"?> 6. Aspekte der Vermittlung von Kultur und Sprache .. 191 6.1 Kulturvermittlung und Themengebiete ........................................ 191 Von der Theorie zur Methodik Zentrale Themengebiete Alltag und Ritual Gender Globale Erziehung - ökodidaktische Ansätze Tiefenstrukturen nationaler ‚Charakteristika‘ 6.2 Der Konstruktivismus als Lern-Lehr-Paradigma ......................... 206 Der Verstehensvorgang als Konstruktion Anforderungen des Konstruktivismus Konstruktivistische Lehr-Lern-Methoden Rollenspiele und Reflexion Aus-der-Schule-Herausgehen: Typische Projekte Virtuelle Erfahrungen 6.3 Medienkompetenzen ....................................................................... 216 Konstruktivismus und Neue Medien Drei Medienkompetenzen Multiliteracies vs. Leitkompetenz Lesen 6.4 Textauswahl, Textzusammenstellung, Arbeit mit Texten ........... 223 Paradigma Intertextualität - Textsequenzen Auswahlkriterien für Textsequenzen Arbeit mit Texten: Analytisch oder produktiv? Produktive Verfahren / analytische Verfahren 7. Textsorten und Kultur-/ Sprachvermittlung ................. 235 7.1 Lehrwerke und Lehrwerkkritik ..................................................... 235 Thema Authentizität: Lehrwerke vs. andere Medien Kulturbezogene Lehrwerkkritik 7.2 Typische ‚authentische Texte‘ ........................................................ 238 Internet, Software und digitale Eigenproduktionen Realia und Bilder Songs, Musik, Musikvideos, Filme, Sachtexte, Reden, Werbung 7.3 Der besondere Wert der Literatur .................................................. 248 Veränderungen in der Literaturdidaktik Rezeptionsästhetische Erkenntnisse Der Wert der Literatur beim (inter-) kulturellen Lernen Kriterien der Textauswahl / Beispiele für ‚Textensembles‘ Populäre und Einfache Formen der Literatur 8. Bibliografie .................................................................................. 263 <?page no="9"?> 0. Einleitung Englische Fachdidaktik: Kultur und Sprache - dieser Titel umreißt den hier vorgestellten konzeptuellen Zugang zum Fremdsprachenunterricht: Vorgestellt wird ein theoretisch fundierter Überblick zu wichtigen inhaltsbezogenen Themengebieten der englischen Fachdidaktik. Zugleich handelt es sich in vielen Teilen um eine pointiert formulierte Darstellung, welche die Leserinnen und Leser zur eigenen Stellungnahme und Positionierung anregt. Im Zusammenhang mit der theoretischen Verankerung dieses Überblicksbandes erschien es mir darüber hinaus wesentlich, in angemessenem Umfang illustrierende praxisbezogene Beispiele vorzustellen. Diese sollen das Dargestellte und Diskutierte nicht allein verdeutlichen, sondern mit der Praxis des Unterrichts in Verbindung setzen und - in Kombination mit methodischen Hinweisen - zu entsprechendem Einsatz im Unterricht einladen. Der zweite Teil des Titels - Kultur und Sprache - bezieht sich auf den Kern der in diesem Band verfolgten Argumentationslinie: dass Fremdsprachenunterricht kein inhaltsentkernter, lediglich auf sinnentleerte Kommunikation im interkulturellen Raum ausgerichteter ‚Output- Optimierer‘ sein soll. Vielmehr plädiert dieser Band dafür, Wesentliches im Blick zu behalten: dass es im Unterricht darum geht, auf motivierende, anregende und möglichst spannende Weise sprachlich-interkulturelle Lern- und Verstehensprozesse anzuregen, die auf der engen Verbindung von Sprache und Kultur beruhen. Es geht darum, den Fremdsprachenunterricht von Beginn an inhaltsbzw. kulturorientiert zu gestalten. Damit versteht sich dieser Überblick - trotz seiner deutlichen Positionierung gegen verflachende Tendenzen rein ‚kommunikativer‘ Ansätze - als Vermittlungsposition zwischen eher sprachwissenschaftlich und eher literatur- und kulturwissenschaftlich ausgerichteten Ansätzen der Fremdsprachendidaktik. Diese Annäherung zweier seit der Kommunikativen Wende der 1970er Jahre auseinanderstrebender Bereiche bahnte sich bereits deutlich mit dem seit den 1990er Jahren vorherrschenden Leitkonzept der ‚interkulturellen kommunikativen Kompetenz‘ (vgl. v.a. Byram 1989) an, dessen Themenfelder hier mehrfach aufgenommen werden. Die Bedeutungsbreite des derzeit hoch geschätzten Lernziels der ‚interkulturellen Kompetenz’ lässt sich anhand eines englischen Sprichworts illustrieren: When in Rome, do as the Romans do. Diese Handlungsanweisung für die Begegnung mit dem Fremden hat bereits eine gewisse Tradition. Denn bei dem englischen Erfolgsrezept der Anpassung an fremde Gebräuche handelt es sich um die Variation eines lateinischen Spruches, den bereits der Heilige Ambrosius von Mailand im 3. Jahrhundert n. Chr. formuliert haben soll. 1 Doch - und dies gehört zu den Hauptthemen des vorliegenden Buches - wie hat man zu handeln, wenn (1) die fremde Metropole im Zuge der Globalisierungseffekte inzwischen weitgehend wie eine heimatliche Großstadt wirkt, (2) der verbleibende einheimische Flair so viele Touristen anzieht, dass die Chancen, ‚echte‘ Einheimische und deren Gebräuche kennen zu lernen, geringer sind als die, sich mit anderen Touristen in der lingua franca Englisch zu unterhalten, 1 „Si fueris Romae, Romano vivito more, si fueris alibi, vivito sicut ibi.” <?page no="10"?> Einleitung x (3) die Eindrücke des Fremden - hier der fremden Stadt - von vornherein durch die im Internet verbreiteten, vor allem visuell bestimmten Informationsfluten, dazu tendieren, die eigentliche Begegnung zu überlagern oder virtuell vorzuprägen - mit Bezug auf die in der virtuellen Welt verbrachte Zeit wie auch auf die ‚mentalen‘ Bilder, die vom Fremden geformt werden? Das Fremde und die Fremdkultur haben sich verändert, auch und besonders die Gebiete, welche früher Kernkulturraum des Englischunterrichts waren. Das Fremde hat sich drastisch verändert und wird sich weiter verändern im Zuge der im obigen Beispiel angesprochenen, eng miteinander verzahnten globalen ‚Megaprozesse‘. Diesen kann sich der Einzelne nicht entziehen und ihnen muss auch das Lehren und Lernen der englischen Sprache Rechnung tragen. Die Globalisierung vermischt als dynamischer, kreativ-zerstörerischer Prozess das Eigene mit dem Fremden, nationale und kulturelle Identitäten; sie eröffnet zugleich vielfache Möglichkeiten der interkulturellen Begegnung und verlangt das Einüben unterschiedlicher Formen friedvollen Zusammenlebens angesichts einer ‚geschrumpften‘ Welt und der in ihr bestehenden ‚planetaren Bedrohungselemente (vgl. Beck 2008). Die digital-elektronische Revolution erlaubt mit dem ‚Hybridmedium‘ Internet - und hier speziell mit dem auf Interaktivität ausgerichteten Web 2.0 - mannigfaltige Formen autonomer, spontaner und sofortiger Informationsbeschaffung und Kommunikation. Dabei entstehen virtuelle Sphären, Parallel- oder Sekundärwelten, die ihrerseits menschliches Denken und menschliche Kommunikationsformen verändern. Das Fremde ist jederzeit - zumindest virtuell - zugängig und die Frequenz der Kommunikation in der englischen Sprache hat sich exponentiell erhöht. Dadurch, dass sich das Englische weitgehend als Kommunikationssprache, als lingua franca, dieses global village durchgesetzt hat, stellt sich für den Englischunterricht zunehmend die Frage, welche Zielkultur(en) und damit (inter-)kulturellen Themengebiete denn nun mit dieser Sprache verbunden bzw. im Unterricht zu vermitteln sind. Bezieht man sich nach wie vor primär auf die ‚Kernländer‘ des Englischen, Großbritannien und die USA, oder/ und beachtet man zugleich die so genannten ‚Neuen Englischsprachigen Kulturen‘, die Länder des Commonwealth, wie Australien, Indien, Südafrika und Kanada, welche zunehmend auch international an Bedeutung gewinnen? Oder betrachtet man, der Konsequenz von Globalisierung und lingua franca-Englisch folgend, den Englischunterricht als Ort der Vermittlung global gültiger kommunikativer Kompetenzen, gegebenenfalls verbunden mit global applizierbaren soft skills im Umgang miteinander? Entsprechend versteht sich der vorliegende Band als Überblick zu Inhalten, Themen und methodischen Vorgehensweisen der Englischdidaktik unter dem Vorzeichen dieser drei ‚Megatrends‘ - Globalisierung, Neue Medien (vor allem Internet) und lingua franca-Englisch. Er bietet zahlreiche Vorschläge dazu, wie der Englischunterricht auf die mit ihnen verbundenen komplexen Anforderungen beim Kompetenzerwerb im Bereich von Fremdsprache, interkulturellem Lernen und Medien reagieren kann. Er blickt dabei zurück auf Traditionen des Fremdsprachenunterrichts im deutschsprachigen Raum, auch für den Bereich der romanischen Sprachen und für <?page no="11"?> Einleitung xi Deutsch als Fremdsprache. Er behält aber zugleich ausländische, in der Regel angelsächsische Debatten im Blick und folgt einem interdisziplinären Ansatz, bezogen auf die Fachdisziplinen der Literatur- und Kulturwissenschaft sowie der Linguistik, aber auch auf andere Wissensdisziplinen wie Anthropologie, Soziologie, Philosophie, Psychologie, Geschichte, Geografie, Politikwissenschaften usw. Anders als einschlägig etablierte methodenorientierte Einführungen in die englische Fachdidaktik (vgl. z.B. Weskamp 2001, Haß 2006, Doff, Klippel 2007) beachtet dieser Band weniger die im Fremdsprachenunterricht anzuwendenden Methoden oder die zu vermittelnden und zu evaluierenden sprachlichen Kompetenzbereiche. Wer eingehende Einweisungen in jeweils adäquate Methodiken bzw. Methoden des Englischunterrichts sucht, sei ausdrücklich auf diese und ähnliche Standardwerke zur Englischdidaktik verwiesen. Auch wurde bei der Konzentration auf den Englischunterricht bewusst der gesamte Bereich des ‚bilingualen Sachfachunterrichts‘ ausgespart, obgleich es bei Themen, Textauswahl, dem Prinzip der Authentizität und Handlungsorientierung deutliche Affinitäten zu dem hier vertretenen Konzept einer kulturorientierten Fremdsprachenvermittlung gibt (vgl. das Konzept des ‚bilingualen Dreiecks‘, welches Wolfgang Hallet 1998 vorgestellt hat; sowie z.B. Haß 2006: 62). Vielmehr versteht sich der Band als Antwort auf die Bedürfnisse des Englischunterrichts mit Bezug auf praktisch umsetzbare wissenschaftliche Theorien, Konzepte und Modelle, die hier praxisrelevant ‚aufbereitet‘ werden. Zugleich seien Leser/ innen, welche sich eingehender mit fachwissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen möchten, auf entsprechende Überblicksdarstellungen zur britischen oder amerikanischen Kultur- und Literaturgeschichte verwiesen (z.B. Teske 2002, Sommer 2003, Hebel 2009, Skinner 2009). Obgleich der vorliegende Band prinzipiell die Bedeutung der Literatur und ihrer Didaktik betont, trägt der hier vertretene Ansatz der Tatsache Rechnung, dass die Literatur Teil eines Medienuniversums ist und demnach nur ein erweitertes Literaturverständnis für einen modernen Sprach- und Kulturunterricht vertretbar erscheint (vgl. auch, mit unterschiedlicher Akzentsetzung bei der Bedeutung von Literatur, die Sammelbände von Delanoy, Volkmann 2006 und Hallet, Nünning 2007). Dieser Überblicksband gliedert die wesentlichen Themenfelder eines inhalts- und kulturorientierten Englischunterrichts in sieben Gebiete auf, die in einzelnen Kapiteln eingehender erörtert werden: Kapitel 1 liefert eine Zusammenfassung der gegenwärtigen theoretischen und bildungspolitischen Fragestellungen zum Englischunterricht. Debattiert werden hier grundlegende Konzepte der Sprach- und Kulturvermittlung wie der Zusammenhang von Sprache und Kultur und die genannten Herausforderungen an den Englischunterricht (Globalisierung, digital-elektronische Vernetzung und Englisch als lingua franca); es geht um die Beziehung von universitärer Forschung und unterrichtlicher Praxis, um die Entwicklung von Kompetenzmodellen und die damit verbundenen Vorstellungen von Ausbildung und/ oder Bildung und schließlich um die Veränderungen von Weltwahrnehmung und Kommunikation im Zeitalter von Internet und virtuellen Welten. Die thematischen Schwerpunkte des ersten Kapitels werden vertiefend und ausführend sowie mit deutlicher akzentuierten Praxisbezügen in den darauf folgenden Kapiteln aufgenommen. Kapitel 2 wirft die Kernfrage des kulturorientierten Fremdsprachenunterrichts auf und diskutiert diese ausführlich: Welche Verständnisse von ‚Kultur‘ bzw. ‚Fremdkul- <?page no="12"?> Einleitung xii tur(en)‘ bestimmen den Unterricht? Hierbei werden verschiedene Modelle zur Definition und Konzeptualisierung von Kultur und darüber hinaus zum interkulturellen Verstehen vorgestellt und erörtert. Eingehend werden Konzepte der Landeskundedidaktik diskutiert, gewürdigt und auch in Modifikation auf neuere Konzepte einer interkulturellen sowie stark auf Medienkultur ausgerichteten Didaktik übertragen. Insbesondere wirft dieses Kapitel die Frage auf, wie Kultur als medial vermittelt zu verstehen ist und welche Rolle dem Einfluss von medial bzw. elektronisch-digital vermittelter globaler Populärkultur beim Fremdsprachenerwerb und im Fremdsprachenunterricht zukommt. Kapitel 3 stellt in Anlehnung an Definitionen von ‚Kultur‘ im vorherigen Kapitel die Frage nach der ‚Mentalität‘ von kulturellen Kollektiven. Wie lässt sich die Mentalität eines anderen Kulturraums beschreiben bzw. sollte dies überhaupt ein Faktor beim interkulturellen Lernen sein? Eine Kritik, aber auch teilweise Würdigung der Forschung zu ‚Kulturstandards‘ leitet über zum Thema der nationalen Stereotype, zur Konstruktion ‚nationaler Charakteristika‘ aus eigener wie fremdkultureller Sicht. Die Auseinandersetzung mit Stereotypen wird als wesentliche Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts beschrieben, zumal mit Blick auf den ‚Konstruktcharakter‘ nationaler Eigenschaften. Eine Reihe von ‚imaginierten Kollektiven‘ (Deutschland, USA, GB und Indien) findet exemplarische Berücksichtigung bei der Beschreibung diskursiver Mechanismen von Identitätsbildung. Dies geschieht schließlich unter dem Vorbehalt, dass Phänomene wie Globalisierung, ‚Amerikanisierung‘ bzw. ‚Verwestlichung‘ und Kulturvermischungen wichtige Entwicklungen darstellen, die gleichfalls im Unterricht aufzugreifen sind. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden - verbunden mit dem Lernziel des Fremdverstehens - thematisiert eingehend Kapitel 4. Dabei zeigt sich, dass ethisch begründete Lernziele wie Empathie und Perspektivenübernahme auf tief im Menschen verankerte Widerstände gegen das Fremde stoßen. Die Grundprobleme der interkulturellen Kommunikation und Begegnung sind neben der genannten Stereotypenbildung vor allem historisch gewachsene Asymmetrien und Methoden der Zuweisung von Fremdheit (Alterität), welche vor allem im Zeitalter des Kolonialismus entstanden und nach wie vor in interkulturelle Begegnungen hineinwirken. Dazu gehört auch die Ausbreitung des Englischen unter den Gesichtspunkten von Verwestlichung und Sprachimperialismus, aber auch das Berücksichtigen von Praktiken der ‚Selbstermächtigung‘ bei der Aneignung dieser global dominanten Sprache. Während Kapitel 4 eher politisch-soziologische und philosophisch-ethische Aspekte von Fremdverstehen und Ausbreitung des Englischen behandelt, bezieht sich Kapitel 5 konkreter auf wesentliche Aspekte der ‚interkulturellen Kompetenz‘ als erweiterte ‚kommunikative Kompetenz‘. Hier wird speziell auf die Bedeutung sprachlicher Kompetenzen in der interkulturellen Begegnung hingewiesen; das Kapitel stellt zugleich gängige Modelle zur Kompetenzmessung vor und diskutiert diese. Wesentliche interkulturelle Lernziele fächert dann ein Überblick auf: von allgemeinen Lernzielen wie dem der Fähigkeit, andere Perspektiven zu erkennen, bis zu konkreten Kommunikationsstrategien, etwa verbalen und nonverbalen Techniken für erfolgreiche Kommunikation. Schließlich zeigt dieses Kapitel auch Grenzen und Probleme interkultureller Ansätze auf. Diese entstehen, wenn Kommunikation und Verstehen an ‚Zumutbarkeitsgrenzen‘ stoßen, also mit Praktiken konfrontiert wer- <?page no="13"?> Einleitung xiii den, welche die Freiheit von Individuen verletzen oder als menschenverachtend zu gelten haben. Kapitel 6 wendet sich konkreten Fragestellungen bei der Vermittlung von Kultur und Sprache zu. Es geht hierbei um die zentralen Themengebiete des Englischunterrichts, seien diese auf eine bestimmte Zielkultur zentriert oder auf globale Themen erweitert. Wesentliche Züge eines ‚moderaten Konstruktivismus‘ werden anschließend als Lern-Lehr-Paradigma zur Umsetzung der entsprechenden Lernziele beschrieben und erörtert. Hier geht es bereits um besonders geeignete Methoden und Vorgehensweisen im kulturzentrierten Englischunterricht. Vor allem medial gestützte Unterrichtsszenarien stehen dann im Vordergrund, wenn es um Fragen der Medienkompetenz und um wesentliche Aspekte der Auswahl, Zusammenstellung und Vorgehensweisen bei der Arbeit mit Texten geht. Dies geschieht mit einem erweiterten Verständnis von ‚Texten‘ in dem Sinne, dass unter ‚Texten‘ sämtliche mediale Produkte verstanden werden. Eingehender beschreit Kapitel 7 die Vor- und Nachteile sowie typischen Verwendungsformen wichtiger ‚Textsorten‘ bei der Vermittlung von Sprache und Kultur. Die Bedeutung von Lehrwerken (insbesondere von Lehrbüchern, d.h. ‚Schülerbüchern‘) wird herausgestrichen, wobei zu betonen ist, dass diese in sinnvollem Maß und mit steigender Altersstufe zunehmend mit anderen Texten zu ergänzen und zu vervollständigen sind. Dabei werden typische Textsorten, insbesondere authentische Texte vorgestellt. Schließlich betont das Kapitel den besonderen Wert der Literatur für den Englischunterricht - vor allem, wenn Literatur ganzheitlich und umfassend in Unterrichtsgeschehen eingebettet wird und dabei vielfache, zumal früher noch als ‚subliterarisch‘ verstandene Texte Verwendung finden. * Selbstverständlich gibt es zwischen den Kapiteln vielerlei Berührungspunkte und Verbindungslinien. Zentrale Themen wie Globalisierung, Medienkompetenzen und global issues tauchen in den verschiedenen Kapiteln wiederholt auf und werden dort jeweils aus einer anderen Perspektive betrachtet. Entsprechend finden sich an mehreren Stellen Querverweise auf andere Kapitel oder Unterkapitel. Ich gehe davon aus, dass viele Leser/ innen dieses Buch nicht in einem ‚Rutsch‘ von vorne bis hinten lesen werden, sondern in Abschnitten und über einen gewissen Zeitraum verteilt. Insofern möchte ich nochmals auf das Kapitel 1 verweisen, in welchem sich ein gedrängter ‚Gesamtüberblick‘ findet; wer eher an unterrichtspraktischen Fragestellungen interessiert ist, der sei vor allem auf die letzten beiden Kapitel verwiesen. So möchte ich dieses Buch besonders empfehlen für Studierende des Faches Anglistik/ Amerikanistik, nicht nur den Kandidaten/ innen für das Lehramt, sondern allen, die an Fragen der Vermittlung von Sprache und Kultur interessiert sind. Dies wird zunehmend zum Kernthema des Studiums geisteswissenschaftlicher Fächer werden. Weiterhin ist dieser Band gut geeignet für eine vertiefende Prüfungsvorbereitung, aber auch für das Referendariat und für Lehrkräfte, die sich Anregungen und einen aktuellen Überblick zu ihrem Fach suchen. Ich habe mich bemüht, die Forschung auf dem neuesten Stand zu präsentieren, ohne dabei das zu ignorieren oder zu vergessen, was bereits vor Jahrzehnten mit anderer Terminologie diskutiert wurde; gleichfalls war es mein Anliegen, viele Forschungspositionen in meine Dis- <?page no="14"?> Einleitung xiv kussion einfließen zu lassen, ohne eine bestimmten ‚Schule‘ übermäßig zu huldigen. Selbstverweise finden, so hoffe ich, in erträglichem Rahmen statt, obgleich ich mich publizistisch mit den hier aufgenommenen Themen seit vielen Jahren intensiv auseinandersetze. Diese jahrelange akademische Beschäftigung, die im Grunde ‚lebenspraktisch‘ mit längeren Auslandsaufenthalten in Großbritannien, den USA, Indien und anderen englischsprachigen Ländern während und nach meinem Studium einsetzte, mag auch der Grund dafür sein, dass hier eine große Anzahl von Literatur verarbeitet wurde. Deshalb habe ich die in der Bibliografie aufgeführten und zitierten Einträge nochmals unterteilt: Die mit einem (*) versehenen Einträge sind aus meiner Sicht als besonders wichtig zu beurteilen. Dazu ist noch zu vermerken, dass ich oftmals von Autoren/ innen, die besonders zahlreiche Publikationen zu einem bestimmten Thema veröffentlicht haben, nur die wichtigsten Beiträge aufgelistet habe. Entsprechend sind Verweise im Text zu verstehen: ‚vgl.‘ heißt in der Regel, dass die genannte Quelle hier, neben anderen, besonders zu beachten ist. Und ‚vgl. z.B.‘ bedeutet, dass hier eine Auswahl getroffen wurde und nur eine oder wenige von mehreren möglichen Bezugsquellen genannt sind. Zugleich ist zu vermerken, dass ich mich um ‚Gender-Neutralität‘ bei der Darstellung bemüht habe; so verwende ich in der Regel Begriffe wie ‚Schüler/ innen‘, in einigen Fällen mag dies aus stilistischen Gründen nicht immer komplett konsequent geschehen sein, dennoch sind hier stets beide Geschlechter gemeint. Da es sich um einen Überblick handelt, habe ich die ‚Ich- Form‘ bei der Formulierung vermieden, dennoch fällt es sicherlich nicht schwer zu erkennen, dass hier durchgehend meine Perspektive zum Tragen kommt - bisweilen mit deutlichem Urteil, bisweilen aber auch mit dem Hinweis, dass es durchaus mehrere Möglichkeiten der Beurteilung eines Sachverhalts gibt. Zu jedem Kapitel dieses Buches sind zudem im Internet unter www.narrstudienbuecher.de Übungen zu finden, um das Gelernte selbständig zu überprüfen und zu vertiefen. * Danken möchte ich vor allem Nancy Grimm und Helga Volkmann für die Durchsicht des Manuskripts sowie Susanne Peters und Eva-Maria Orth für wichtige Hinweise. Ich danke zudem besonders Juliane Dorl und Christoph Däßler für die wertvolle Hilfe beim Erstellen des druckfertigen Manuskripts. Jena, im April 2010 L.V. <?page no="15"?> 1. Problemstellungen - Überblick 1.1 Sprache und Kultur im Fremdsprachenunterricht Fremdsprachenunterricht als Sprach- und / oder Kulturvermittlung? Mit der Etablierung des schulischen, zunächst nur gymnasialen Englischunterrichts gegen Ende des 19. Jahrhunderts entfachte sich eine bis heute anhaltende Fundamentaldebatte zur Funktion des Fremdsprachenunterrichts. Es geht hierbei um die grundsätzliche Bedeutung der schulisch institutionalisierten Aneignung einer fremden Sprache - und damit um soziokulturelle, wirtschaftliche und bildungspolitische Dimensionen des Fremdsprachenunterrichts (vgl. z.B. die Diskussion bei Viëtor 1886, Doff 2008). Im Extremfall stehen sich zwei Richtungen konträr gegenüber: Auf der einen Seite die Befürworter einer Sprachenausbildung, welche darauf abzielt, die Lernenden durch das Vermitteln exemplarischer Sprachmuster auf typische alltägliche Lebenssituationen vorzubereiten, die es in der Fremdsprache zu meistern gilt. Es geht dabei primär und nahezu ausschließlich um die Vermittlung von lebensweltlich umsetzbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten im Bereich der kommunikativen Kompetenzen, speziell um die Förderung der four skills (rezeptiv: Lesen und Hören, produktiv: Schreiben und Sprechen). Auf der anderen Seite befinden sich diejenigen, welche den Fremdsprachenunterricht vor allem als Vorbereitung auf die Begegnung mit einer bestimmten Zielkultur (oder ausgewählten Zielkulturen) begreifen. Ein solches Verständnis des Fremdsprachenunterrichts als Ort der Kulturvermittlung kann nun wiederum höchst unterschiedlich motiviert sein. Traditionelle Vorstellungen betonen die kulturellen Errungenschaften der Zielkultur, die es besonders im Bereich der Literatur und Kunst zu erkunden gelte. Andere Positionen erkennen den Fremdsprachenunterricht vor allem als eine Art ‚Vermittlungsraum‘, in dem Toleranz, Verständnis und Einfühlungsvermögen für das kulturell Andere entwickelt werden können. Weiterhin müsse man vor allem verbreitete Vorurteile und Missverständnisse durch intensive und facettenreiche Auseinandersetzungen mit Fremdkulturellem beseitigen. Hier dient der Fremdsprachenunterricht also - mit einem früher häufig verwendeten Terminus ausgedrückt - der Völkerverständigung oder - wie man es gegenwärtig formuliert - der Förderung interkulturellen Verstehens. Ein schlagkräftiges Argument von Vertretern der so genannten Kommunikativen Wende der 1970er Jahre (vgl. z.B. die Diskussion bei Weskamp 2001: 64ff., Werlen 2007), die primär auf die audio-visuell gestützte Vermittlung alltagstauglicher Sprachbausteine setzte, war denn auch, dass deutsche Schüler/ innen zwar komplexe Dramen Shakespeares analysieren könnten und das Wahlsystem der USA besser als manche Amerikaner verstünden; sie seien aber nicht dazu fähig, sich als Touristen in London nach dem nächsten Linienbus in Richtung Victoria Station zu erkunden oder im Pub einen kurzen Small Talk über das Wetter zu halten. Allerdings hat es in Folge einer dezidierten Hinwendung zur kulturellen Dimension des Sprachunterrichts in englischsprachigen Ländern einschneidende Veränderungen gegeben. Dortige Vertreter des interkulturellen Lernens wie Michael Byram (z.B. 1989) und Claire Kramsch (z.B. 1996) waren seit den 1980er Jahren einflussreich. Ihr Konzept der <?page no="16"?> Problemstellung - Überblick 2 ‚interkulturellen kommunikativen Kompetenz‘ wurde in der deutschen Fremdsprachendidaktik aufgenommen und trug zur Annäherung der sprachzentrierten und kulturzentrierten Positionen bei. Es setzt sich die Einsicht durch, dass Sprache nicht in einem kulturellen Vakuum stattfindet, und auch die Befürworter einer stark auf kommunikative Kompetenzen konzentrierten Fremdsprachenausbildung haben erkannt, dass Erfolg oder Misserfolg von sprachlich-kommunikativem Verhalten stark mit kulturell bestimmten Verhaltens- und Kommunikationsmustern verbunden ist. Diese basieren wiederum auf kulturell unterschiedlichen Vorstellungen, Normen und Werten. Die anhaltende Diskussion zum Verhältnis von Sprach- und Kulturunterricht Trotz dieser mit dem Begriff interkulturelle kommunikative Kompetenz verbundenen Erkenntnis bleibt die Frage nach dem Verhältnis von sprachlichkommunikativen und kulturellen Anteilen des Fremdsprachenunterrichts ungelöst und wird es vermutlich auch immer bleiben. Dafür gibt es vier zentrale Gründe: (1) Das Verhältnis von Sprache, Kommunikation und Kultur - oder besser: das Verständnis des Bedeutungsgefüges dieser Größen - bleibt weiterhin prinzipiell offen. Zu erörtern ist hierbei die Frage, ob es bestimmte Universalien oder kulturübergreifende Muster in Sprache und Kommunikation gibt und welche dies sein könnten. Ein Unterricht, der davon ausgeht, dass es kulturübergreifende Standards in der Kommunikation gibt (wie dies etwa bei der kommerziellen Berlitz School geschieht), wird andere Inhalte und Lernziele formulieren als ein explizit auf die Begegnung mit einer ausgewählten Zielkultur vorbereitender crash course. (2) Der Leitbegriff des interkulturellen Lernens bzw. der interkulturellen Kompetenz beinhaltet gleichzeitig ein kaum überschaubares Spektrum an Aspekten. Sie erstrecken sich von konkreten linguistischen Interferenzproblemen (von vertrauten false friends wie sensible bis zu neueren falschen Lehnwörtern wie Handy, Beamer oder Public Viewing) bis zu abstrakten Kulturkonzepten im Bereich von Individualität, Zeit, Raum usw., die kulturspezifisches Verhalten beeinflussen und als habitualisierte Mentalitätsmuster Kommunikation und Handeln prägen sowie interkulturelle Komplikationen auslösen können. Sie beinhalten dazu noch kognitive, affektive und handlungsorientierte Bereiche des Fremdverstehens und schließen damit höchst unterschiedliche Dimensionen des Lernens ein: vom kognitiven Aneignen traditionellen Faktenwissens über das Ausbilden von Toleranz und Empathiefähigkeit bis zur Befähigung, konkrete, nicht vollkommen planbare und damit ergebnisoffene Handlungen in der Fremdkultur durchzuführen. (3) Dazu noch bleibt das Verständnis von Kultur eine offene Frage: Liegt der Akzent des Unterrichts - abhängig von ministeriellen Vorgaben, Standards und Kompetenzrastern sowie der eigenen Sozialisation und Kulturkonzepten - eher im Bereich der big C culture, also bei der ‚Hochkultur‘ und ‚Höhenkammliteratur‘? Ist man also einem bürgerlichen oder elitären Kulturverständnis verpflichtet, mit normativem Charakter, wie bei dem Konzept der ‚Leitkultur‘? Wie steht man dabei zu den Minderheiten und der kulturellen Vielfalt der Zielkultur(en)? Oder bevorzugt man eher die Ebenen der small c culture, also der Alltagskultur, zu der auch Sitten und Gebräuche beim Essen, Trinken, Ausgehen, Hobbies und touristische Vergnügungen zu zählen wären? Dazu gehört zudem die Populärkultur von Film und Fernsehen sowie das Internet und vielfältige Unterhaltungsangebote. <?page no="17"?> Problemstellung - Überblick 3 Einem solchen Verständnis entsprechend fänden Facetten der Zielkultur eher unhinterfragt und nach dem jeweiligen Geschmack der Lehrkraft bzw. der Lernenden Eingang in den Unterricht. (4) Die Frage nach dem Verständnis von Kultur im Fremdsprachenunterricht wird im Fall des Englischunterrichts zusätzlich problematisch, da hier der Begriff der Zielkultur zunehmend schwerer zu definieren ist. Seit Beginn des Englischunterrichts gilt als dessen Kernkultur die Nation Großbritannien - oftmals fälschlich terminologisch reduziert auf ‚England‘ als Überbegriff für England, Wales, Schottland und Nordirland. Als zweites Kernland gerieten die USA erst nach 1945 nachhaltig in das Bewusstsein der Deutschen. Das amerikanische Englisch wurde allerdings aus kulturellem Dünkel an der Schule oft als zweitrangige Sprachvariante verstanden. Seit den 1990er Jahren stoßen die so genannten Neuen Englischen Kulturen, also die englischsprachigen Staaten des früheren Empire und jetzigen Commonwealth, verstärkt auf unterrichtliches Interesse. Neben dem bereits seit Jahrzehnten kurz in Lehrwerken vertretenen Kontinent Australien sind dies vor allem Kanada, Indien, Südafrika, die Karibik, seltener kleinere oder scheinbar unbedeutendere Länder wie Neuseeland, Nigeria oder gar Malta. Mit dem weiteren Voranschreiten der Globalisierung und weltweiten digital-elektronischen Vernetzung gerät das Englische zunehmend zur globalen Verkehrssprache, zur lingua franca. In immer größerem Maß findet kommunikativer Austausch, beispielsweise im Internet, nun nicht mehr zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern statt, sondern in interpersonalen Konstellationen, in denen Englisch als Mittlersprache zwischen Nicht-Muttersprachlern eingesetzt wird (vgl. z.B. Gnutzmann 1999, Seidlhofer 2001). Mit dieser rasch voranschreitenden Entwicklung stellt sich aktuell die Frage, ob und in welcher Form der Englischunterricht überhaupt noch auf eine Fremdkultur oder zumindest eine exemplarische Anzahl von Fremdkulturen ausgerichtet sein sollte. Erscheint es angesichts dieser globalen Dezentrierung nicht sinnvoller, allgemeine kommunikative Grundmuster (z.B. Sprachroutinen und Höflichkeitsformen) sowie kulturübergreifende Themenbereiche (global issues im Bereich Identitätsfindung, Kulturkontakt, Ökologie, Ökonomie, Gender usw.) zu unterrichten? Eine sprach- und kulturorientierte Didaktik des Englischen sieht sich demnach mit einer Reihe von grundsätzlichen Fragestellungen konfrontiert. Elementar ist hierbei die Kernfrage, ob man bei einem erweiterten, im Grunde genommen aufgelösten Kulturbegriff und diffus verästelten Konzept von Fremdkultur(en) überhaupt noch ein geografisch, national und kulturell zu verortendes Inhaltsraster bestimmen kann. Dies kann nur gelingen, wenn man als eine Grundkomponente eines solchen Inhaltsrasters diese ‚neue Unübersichtlichkeit‘ selbst thematisiert und wenn man sie als inhaltlicher Bestandteil des Englischunterrichts sinnvoll und altersadäquat aufgreift. Diese auf ein erweitertes, offenes und ‚exzentrisches‘ Verständnis einer Didaktik der englischsprachigen Kulturen drängenden globalen Großprozesse stellen den implizit stets vorhandenen Bezugsrahmen der folgenden Kapitel dar. Sie sollen wiederholt aufgegriffen werden als transformative bzw. sogar desintegrative Kräfte, welche eine Konzentration auf bestimmte Kulturen oder Kulturkreise grundsätzlich in Frage stellen. <?page no="18"?> Problemstellung - Überblick 4 1.2 Neue Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht Globalisierung - digital-elektronische Vernetzung - Englisch als lingua franca Drei sich weltweit rasant fortsetzende Umwälzungen stellen den Englischunterricht vor radikal neue Herausforderungen: Globalisierung, digital-elektronische Vernetzung und die sie begleitende sukzessive Etablierung des Englischen als weltweite Kommunikationssprache. Die Globalisierung lässt sich, einer gängigen Definition von Malcolm Waters (1995: 3) entsprechend, als ein doppelt wirksamer Metaprozess begreifen: Einerseits ‚schrumpfen‘ geografische, nationale, wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Komplexe zusammen, und dies in zunehmendem Umfang und mit steigender Intensität. Die dabei entfesselte Eigendynamik der verstärkten und beschleunigten Verkehrs-, Kommunikations- und Austauschbeziehungen (Habermas 1998: 101) resultiert de facto nicht allein in der ‚Verkleinerung‘ der Welt zum viel zitierten global village im Sinne des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan (1962, 1965). Sie spiegelt sich andererseits zudem in veränderten Wahrnehmungs- und Kommunikationsmustern in dieser zunehmend kleiner werdenden und dezentrierten Welt. Vorangetrieben wird die planetare Vernetzung von Kulturen und Individuen durch weltweite Migrationsströme und durch - oft auf Kosten der Ökologie - erleichterte, beschleunigte und verbilligte Verkehrsflüsse, wie sie etwa ‚Billigflieger‘ ermöglichen. Zudem sind vor allem die modernen digital-elektronischen Medien wirksam (Datenträger wie CDs und DVDs). Simultan breitet sich die Telekommunikation aus, vor allem getragen von Mobiltelefonen und günstigen Auslandstarifen für Ferngespräche. Von zentraler Bedeutung ist das Internet, vor allem das World Wide Web mit seinen vielfältigen medialen und kommunikativen Einsatzmöglichkeiten (Email, Chat, Diskussionsforen, Homepages, Audio- und Filmfiles, Downloads usw.), gesteigert noch durch die interaktive Plattform des Web 2.0. Als Motor der Globalisierung hat das World Wide Web dabei weniger zu einer konkreten als eher zu einer virtuellen ‚Schrumpfung‘ des Planeten beigetragen. Ein zunehmend dichter werdendes Kommunikationsnetz überspannt die Welt, so dass jede Form von Information an nahezu jedem Punkt dieser Erde in oft nur Bruchteilen von Sekunden erreichbar ist (einen Einstieg in das Thema Globalisierung bieten z.B. Waters 1995, Beck 1998, 2008, von Plate 2003). Zur internationalen Verkehrssprache des virtuell vernetzten global village hat sich das Englische entwickelt. Obgleich gegenwärtig das Mandarinchinesisch weltweit die größte Gemeinschaft von Muttersprachlern aufweist, hat sich hauptsächlich im Zuge des britischen Imperialismus und der amerikanischen wirtschaftlichen, technischen und populärkulturellen Dominanz (vgl. Crystal 2004: 106) die englische Sprache als lingua franca durchgesetzt. Dies wird vor allem im Internet deutlich, wo gegenwärtig ca. 85 Prozent aller Websites auf Englisch erscheinen. Die Globalisierung und die mit ihr akzelerierten und intensivierten Kommunikationsflüsse haben zugleich zur ‚Kommodifikation’ der englischen Sprache geführt, zum verstärkten Verständnis sprachlicher und kommunikativer skills als marketable commodity. Die englische Sprache ist ein kommerzielles Gut geworden (vgl. etwa Pennycock 1994: 145, Gnutzmann 2000: 25, Block, Cameron 2002: 5). Abgesehen von damit verbundenen, noch eingehender unter dem Stichwort language imperialism (Phillipson 1992) zu <?page no="19"?> Problemstellung - Überblick 5 diskutierenden Tendenzen zur Monokultur des Englischen und zur damit einhergehenden Ausbreitung angelsächsischer Kulturmuster (Pennycock 1994) wird die Beherrschung der Fremdsprache Englisch weltweit weitgehend als essenzielle Kulturtechnik verstanden, als ‚fourth R‘ nach reading, writing and arithmetic (Brusch 2003: 120). In Deutschland hat dies entsprechend zum bundesweiten Einsetzen der ersten Fremdsprache (eben meist des Englischen) in der dritten Grundschulklasse und bisweilen sogar im Kindergarten geführt sowie zum stetigen Anstieg bilingualer Züge und Module an den weiterführenden Bildungsstätten. Claus Gnutzmann (2000: 30) hat die fortschreitende Bedeutung des Englischen als lingua franca „als Bedrohung, als Chance, [...] als Einschränkung oder als Herausforderung“ bezeichnet. Greifen wir diese bündige Formulierung im Rahmen des Themas englische Sprach- und Kulturdidaktik auf, so lässt sich konstatieren: Das lingua franca-Konzept stellt potenziell eine Bedrohung für kulturorientierte Verständnisse von Sprache dar, basiert es doch tendenziell auf der Vorstellung, reibungslose und irritationsfreie Kommunikation könne abgehoben von jeglicher kultureller Verortung der Aktanten geschehen. Es offeriert jedoch auch eine Chance, über nationale Grenzen hinweg und kulturverbindend zu kommunizieren und eher Gemeinsamkeiten als Gegensätze zu erkunden. Dies ist zugleich die Einschränkung der lingua franca- Kommunikation, denn ohne eine gemeinsame kulturelle Basis oder Möglichkeiten zum und Interesse am interkulturellen Austausch kann eine derartige Kommunikation nur sinn- und inhaltsentleert an der Oberfläche dahinplätschern. Oder sie führt zu fatalen interkulturellen Missverständnissen. Die Herausforderung der lingua franca- Tendenzen besteht schließlich darin, sie mit kulturellem Sinn und Inhalt zu füllen. Dies beginnt schon damit, dass verstanden wird, wie einzelne Begriffe (friend, home, relatives usw.), Wirklichkeitskonzepte (Raum, Zeit, Individualität usw.) und kulturelle Kerninhalte (Kulturikonen, große künstlerische Werke usw.) kulturspezifisch Bedeutung erhalten. Neue Leitbilder I: Global Generation Für jede neue Generation heranwachsender Menschen gibt es neue Leitbilder und Leitfiguren. Sie erfüllen in bewundernswerter, Ehrfurcht einflößender und beispielhafter Manier mit ihrer professionellen wie privaten Lebensgestaltung die von den jeweiligen soziokulturellen und ökonomischen Verhältnissen geprägten Vorgaben des aktuellen Zeitgeistes. Im oben beschriebenen globalen Zeitalter des weltweiten Zusammenwachsens von Wirtschaft und Industrie sowie der ansteigenden Ausrichtung des Bildungs- und Ausbildungssektors auf diese Bereiche erwerben sich diese Leitfiguren Qualifikationen und sammeln berufliche Erfahrungen, die von vielen internationalen Unternehmen und Institutionen inzwischen als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Zunehmend zeichnen ihre Lebensläufe sich aus durch einen multikulturellen, teilweise mehrsprachigen familiären Hintergrund. In der Regel ist ihre Ausbildung schon früh international geprägt - beginnend mit einem schulischen Auslandsjahr oder einer längeren Zeit im Ausland, bedingt durch berufliche Tätigkeit der Eltern oder eines Elternteils außerhalb des Heimatlandes, fortgesetzt durch Praktika und erste berufliche Tätigkeiten während des Studiums oder durch ein teilweises Studium im Ausland. Ungeachtet der Tatsache, dass die im Zuge der Implementierung der Bologna-Beschlüsse vollzogene Umformung der deutschen <?page no="20"?> Problemstellung - Überblick 6 Universitätsausbildung auf BA/ MA-Studiengänge durch die Straffung der Studiengänge entgegen der ursprünglichen Intentionen zu geringerer Bereitschaft geführt hat, einen möglicherweise studienverlängernden Auslandsaufenthalt einzuplanen, verbreiten Bildungspolitiker, Wirtschaftsvertreter und Journalisten weiterhin das Leitbild der ‚Euro-Kids‘ (Kohl-Wachter 2003) oder ‚Global Generation‘ (Bonstein, Theile 2005). Bewunderung genießen mehrsprachige, multikulturell geprägte und global anpassungsfähige global players. So berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einem 2005 bezeichnenderweise in deutscher und englischer Sprache erschienenen Sonderheft zum Thema Globalisierung in einem Kernbeitrag zum Thema „The Global Generation“ von den „new global citizens“. Als flexible Vertreter einer „Multioptions-Gesellschaft“ (Bonstein, Theile 2005: 130) wählen diese bewusst Lebenswege, die transnational bestimmt sind und in denen die interkulturelle Erfahrung als selbstverständlicher Bestandteil der autonom und unabhängig von nationalen Restriktionen gestalteten beruflichen wie privaten Biografie verstanden wird. Zwar mögen diese ‚Nomaden des 21. Jahrhunderts‘ auch eine letztlich nie gestillte Sehnsucht nach dauerhaften freundschaftlichen Banden und sozialer Stabilität verspüren (vgl. Rosa 2005). Doch die praktizierten Formen von Flexibilität und Mobilität bei beruflicher Orientierung, Freizeitgestaltung und dem Aufbau freundschaftlicher und beruflicher Netzwerke jenseits geografischer Einschränkungen lassen postmoderne Biografieentwürfe entstehen, die deutliche Leit- und Vorbildfunktion aufweisen. Das Sprach- und Kulturverständnis dieser kosmopolitischen, wandelnden Ich- AGs drängt dabei auf für den eigenen fluiden Lebensentwurf funktionalisierbare Passformen. Die englische Sprache wird als flexibel verwendbares Instrument der Kommunikation verstanden, zwar durchaus im Sinne einer hybriden, regional und national unterschiedlich ausgeformten lingua franca. Dennoch gelten in der internationalen Geschäftswelt im Schriftlichen weiterhin native speaker-Normen (vgl. MacKenzie 2003) und das Prestige des britischen und amerikanischen Englisch hat sich gehalten (wobei, je nach Kulturkreis und Erfahrungen mit britischem Imperialismus oder amerikanischer Kulturdominanz, unterschiedliche Präferenzen vorherrschen, vgl. ibid., Decke-Cornill 2008). Tendenziell wird die englische Sprache allerdings als kulturell entkernt verstanden. Sie ist Mittel zum Zweck der interkulturellen Kommunikation; kulturelles Interesse gilt dem Touristischen, Differenten, Exotischen, dem Anderen als reizvoller Option zur horizonterweiternden Ergänzung der eigenkulturellen Erfahrungswelt. Kulturelles Wissen wird zudem in seiner kommunikativ applizierbaren Form begriffen. Die Global Generation informiert sich, plakativ formuliert, mit der neuesten, am Flughafenkiosk erworbenen Ausgabe des hochpreisigen englischsprachigen Journals Business Spotlight über aktuelle Tipps zur Vermeidung interkultureller Faux pas beim Aufenthalt in Kanada, Japan oder Argentinien. So kann man sich flugs korrekte alltagskulturelle Verhaltensmaximen aneignen, mit der Hilfe von Listen mit interkulturellen Do’s and Don’ts, der Schilderung von critical incidents und ein paar Multiple-Choice-Fragen zu Begrüßung, Konversations- und Essgewohnheiten in der gerade bevorzugten Zielkultur. <?page no="21"?> Problemstellung - Überblick 7 Neue Leitbilder II: Europäischer Referenzrahmen Ein dieser Global Generation affines Verständnis von Sprache und Kultur vertritt der 2001 erschienene Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen (GER oder englisch CEF [Common European Framework of Reference]). Dieses für die gegenwärtige Entwicklung im Bereich von Sprachenpolitik, Fremdsprachendidaktik und damit für Konzepte von Sprach- und Kulturvermittlung bildungspolitische Kerndokument wurde im Auftrag der Europäischen Union vom Europarat für kulturelle Zusammenarbeit herausgegeben. Es zielt explizit darauf ab, Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenlernen im Zuge des Zusammenwachsens der europäischen Staaten zu fördern. Dem entspricht der mit dem GER dezidiert formulierte Anspruch, europaweit Sprachkompetenzen vergleichbar und messbar zu machen. Geschehen soll dies anhand einer Reihe von höchst komplex ausdifferenzierten und exakt definierten Skalen für insgesamt sechs Kompetenzbereiche - von A1, der Ebene der Anfänger (threshold level) bis zu C2 (near-native-speaker competence) - und ‚Deskriptoren‘ (d.h. Ausführungen zu den jeweiligen Anforderungen). Somit sollen fremdsprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten exakt beschreibbar und evaluierbar sein. Deutlich hervor tritt dabei eine Ausrichtung der einzelnen Kompetenzbereiche auf ein praktisches, anwendungs- und handlungsbezogenes Sprachverständnis, welches sich im Wesentlichen als kommunikative Kompetenz beschreiben lässt. Im Einzelnen geht der GER ein auf allgemeine Kompetenzen: Wissen, persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir-être), Lernfähigkeit (savoir-apprendre), kommunikative Sprachkompetenz (soziolinguistische Kompetenzen, pragmatische Kompetenzen) und kommunikative Sprachaktivitäten bzw. language activities (Rezeption und Produktion, Interaktion und Sprachmittlung) (vgl. GER 2001, kritische Stellungnahmen finden sich z.B. bei Bausch et al. 2003, Funk, Kuhn 2003, Hallet, Müller-Hartmann 2006, Bredella, Hallet 2007, Hu, Byram 2009). In vielerlei Hinsicht hat sich der GER als zentrales Dokument der Fremdsprachenpolitik und als zentrale Vorgabe für deren Entwicklungen im deutschsprachigen Raum erwiesen. Unter wesentlicher Bezugnahme auf den GER und unter dem Eindruck der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien - PISA, PISA-E, IGLU, TIMMS und zuletzt der ersten nationalen Studie DESI (vgl. hierzu eingehender Hallet, Müller-Hartmann 2006) - erfolgte eine breit angelegte Trendwende zu Bildungsstandards, die „auf Kompetenzen und Kompetenzstufen basierende Lernziele [formulieren], die die Schülerinnen und Schüler bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Laufe ihrer Lerngeschichte erreichen sollen [...]. Anstelle der Lehrpläne treten zunehmend schulinterne Curricula, die das Erreichen der Standards ermöglichen, und externe Überprüfungen (z.B. durch zentrale Vergleichsarbeiten und Abschlussprüfungen), die eine Überwachung der Ergebnisse von Lernprozessen gestatten“ (Weskamp 2007: 167). Die auf Sprachkompetenz gerichteten Parameter des GER erhielten unmittelbaren Eingang in neue Lehrpläne bzw. Lehrwerke und prägen insgesamt den Fremdsprachenunterricht, nicht allein in den Bereichen der Standardisierung und objektiv messbaren Steigerung der Qualität des Outputs schulischen Unterrichts. Auch bei den Lernzielen findet eine rasch voranschreitende Veränderung statt, wie sie in den bundesweit gültigen Bildungsstandards für die Erste Fremdsprache Englisch/ Französisch für den Hauptschul- und den Mittleren Schulabschluss (2003, 2005) sowie bei den überarbeiteten Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur <?page no="22"?> Problemstellung - Überblick 8 für sieben Fremdsprachen deutlich wird. Als neues Leitziel des Fremdsprachenunterrichts gelten nun „(funktionale) kommunikative, interkulturelle und methodische Kompetenzen“ (www.KMK.org, zit. in Bergfelder 2007: 13). Es geht - zugespitzt formuliert - nicht mehr um (ziel-) kulturspezifische Inhalte, sondern um skills des Umgangs mit (wie auch immer inhaltlich zu definierendem) Wissen. „Statt isolierten Faktenwissens sollen die Schülerinnen und Schüler komplexe Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Einstellungen und Haltungen erwerben, die sie zu flexibler und situationsangemessener Lösung von fachspezifischen und fachübergreifenden Problemen befähigen (Kompetenzorientierung).“ (ibid.) Welche Rolle spielt nun das Thema Kultur, d.h. der Umgang mit kulturellen oder konkret zielkulturellen Wissens- und Informationsbeständen? Ein Antwort - und zwar eine sehr ernüchternde - erhält man, wenn man die Fragestellung verfolgt, welche Bedeutung die Vermittlung von Literatur innerhalb dieser vom GER geformten neuen Landschaft des Fremdsprachenunterrichts zugesprochen bekommt. Diese Frage stellt sich, da die Literatur traditionell als privilegierter Zugang zur Fremdkultur sowie als exemplarisch-künstlerische Präsentation von Sprache und Kultur gilt. Werfen wir zunächst einen Blick in eine Werbebroschüre für den GER, herausgegeben vom Deutschen Industrie- und Handelstag (2001). Diese richtet ein bezeichnendes Schlaglicht auf die ökonomische Dimension des GER und damit die durch ihn ‚transportierte‘ Auffassung von Kommunikation sowie Sprachlehren und Sprachlernen. In einem Werbefoto des Prospekts sind zwei Angestellte einer Geschäftsfirma abgebildet. Sie diskutieren gerade über die Englischkenntnisse eines Bewerbers. Folgender Dialog ist in Sprechblasen ausgedrückt (DIH 2001: 2): A: Wie steht es mit den Fremdsprachenkenntnissen von Herrn M.? B: In den Unterlagen steht: 9 Jahre Englisch in der Schule, Abitur „gut“. A: Heißt das, dass er auch eine Delegation aus Japan durch den Betrieb führen oder dass er nur „short stories“ von Hemingway interpretieren kann? Dieses als Fotostory inszenierte Gespräch liefert zwei Aussagen zum Fremdsprachenunterricht. Denn Kulturbzw. Literaturvermittlung steht hier in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur Vermittlung kommunikativer Kompetenzen. Auf der einen Seite entwirft dieser Dialog die positive Vision eines praxis- und handlungsorientierten, an der professionellen ‚Alltagswelt‘ und ihren Bedürfnissen nach kommunikativen Fremdsprachenkenntnissen ausgerichteten Englischunterrichts (wie ihn diesem Verständnis gemäß der GER ausdrückt). Auf der anderen Seite steht der ‚gegenwärtige‘ Englischunterricht. Ihm unterstellt man hier, dass er sich vor allem der akribisch-philologischen Analyse literarischer Meisterwerke des Lektürekanons widme und somit ein gegenüber der Realität weit abgehobenes elitäres Kulturverständnis verbreite. Diese Art von Beschäftigung erscheint als weltfremder Kulturdünkel, als schöngeistige Vergeudung wertvoller ‚Bildungsressourcen‘. Sie wird als antiquiert entlarvt im Zeitalter der global players als ‚Humanressourcen’, deren Arbeitgeber funktionale Sprachbeherrschung einfordern. Sind derartige rein utilitaristisch-instrumentelle Vorstellungen von Sprache und Sprachunterricht wirklich im Sinne der Sprachvorstellung des GER? Wird dort unter Sprachenlernen ebenfalls allein das Vermitteln von berufsbezogenen Kommunikationsmustern verstanden? Kritiker sehen im GER durchaus Ansätze zu einer kommunikativen Verarmung, der man früh Einhalt gebieten müsse. Hermann Funk und Christina Kuhn (2003: 191) beschreiben die ablehnende Haltung wie folgt: „Diese <?page no="23"?> Problemstellung - Überblick 9 Position sieht im GER den Vollzug der Globalisierung durch die Ökonomisierung des Sprachunterrichts, den Versuch, Effektivität durch mundgerechtes Portionieren und Verabreichen von Sprache zu erreichen [...].“ In der Tat spiegelt der GER ein stark auf funktionalen Sprachgebrauch reduziertes Verständnis des Fremdsprachenlehrens und -lernens. Dies wird eklatant deutlich, wenn man nach der Rolle der Literatur in der (in der deutschen Version) sich immerhin über 244 Seiten erstreckenden Publikation sucht. Man entdeckt dabei lediglich einige Passagen, die - allerdings eher indirekt - auf dieses Thema Bezug nehmen. Im Kapitel 5 zu den „Kompetenzen der Sprachverwendenden/ Lernenden“ listet der GER eine Reihe von Kompetenzen auf, die Sprecher/ innen anwenden, „um die in kommunikativen Situationen erforderlichen Aufgaben und Aktivitäten auszuführen, denen sie sich gegenüberstehen“ (GER 2001: 103). Die Literatur scheint implizit dem Bereich der „allgemeinen Kompetenzen“ und dort dem Unterbereich „deklaratives Wissen“ zugeordnet. Sie wäre demnach dem „Weltwissen“ und „soziokulturelle[n] Wissen“ (ibid.) beizugliedern, welches generell noch nicht als anwendungsbezogen (‚prozedural‘) zu gelten hat und somit quasi nur sekundäre Bedeutung trägt. Nach einer knappen Erwähnung in der Rubrik „Werte, Überzeugungen und Einstellungen in Bezug auf Faktoren wie Institutionen, regionale Kulturen, Minderheiten, nationale Identität“ findet die Literatur allein in einer Aufzählung zu Kunst und Kultur kurz eine letzte direkte Erwähnung (ibid.). Es bleibt ein ernüchterndes (vorläufiges) Fazit zur Betrachtung dieser bildungspolitischen Blaupause für die Global Generation. Das Thema Kultur oder Fremdkultur(en) erscheint aufgelöst in einem inhaltsentkernten, rein auf kommunikative Interaktion beschränkten Konzept von Sprachvermittlung. Jegliches abwägende oder gar wertende Verständnis von Kultur - schon gar von Hochkultur oder Bildung - erscheint mit dem vagen Begriff des ‚deklarativen Weltwissens‘ eliminiert, welches ohne Konturen oder direkten Bezug auf historische Tradierung von Bildungsinhalten bleibt. Die Themen ‚Kultur‘ oder ‚Bildung‘ scheinen zum Trivial Pursuit- oder Who wants to be a millionaire-Faktenwissen zu gerinnen. 1.3 Das Spannungsverhältnis von Forschung und Praxis Eine problematische Beziehung: Universitärer und schulischer Kulturunterricht Es gehört zur Tradition der fremdsprachlichen Didaktiken, dass diese sich an den gegenwärtig aktuellen Theorien, Modellen und Konzepten ihrer jeweiligen Fachwissenschaften orientieren (vgl. Weskamp 2001: 12ff.). So bietet die Linguistik nach wie vor in ihren Teilbereichen wie Spracherwerb, Soziolinguistik, Pragmatik, komparatistische Sprachbetrachtung sowie generell im Bereich der applied linguistics der fachdidaktischen Diskussion und unterrichtlichen Gestaltung vielfältige Impulse. Dagegen ist das Modell des top down-Informationsflusses im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaften höchst problematisch geworden. Man kann hier durchaus von einer troubled relationship zwischen universitärer Forschung bzw. Lehre und schulischer Praxis sprechen (Freese 2005, vgl. auch Donnerstag, Volkmann 2008). Vieles von dem, was in akademischen Publikationen und im Lehrbetrieb der letzten drei Dekaden Etablierung fand, scheint aus didaktischer Perspektive zu theoretisch und abgehoben, zu komplex und heterogen. Es fehlt gerade an übertragbaren Theorie- <?page no="24"?> Problemstellung - Überblick 10 modellen, klaren Interpretationshinweisen und Empfehlungen für die Auswahl von und den Umgang mit Texten und Themen. Betrachten wir knapp die Entwicklungen im universitären Fachbereich des Englischstudiums. Die vormals häufig so bezeichneten Englischen Philologien formten sich um zu Abteilungen für Britische und Amerikanische Literaturen bzw. Kulturen - hinzu kommen Bereiche für Postkoloniale Literaturen / Kulturen. Deutlich bemerkbar macht sich dabei die generelle Tendenz zu einem kulturwissenschaftlichen, vielfach ausdifferenzierten Verständnis der eigenen Fachbereiche. Die Literaturwissenschaft wandelt sich, wie dies beispielhaft Antony Easthope bereits 1991 in der Studie Literary Into Cultural Studies beschrieben hat, zur Kulturwissenschaft bzw. kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft. Sie wird - so ist anzunehmen - sich mit dem weiter voranschreitenden gesamtkulturellen Bedeutungsverlust des Buches als Leitmedium noch weiter zu einer mehr oder weniger stark an den Neuen Medien orientierten Medienwissenschaft orientieren (vgl. beispielhaft die einleitenden Bände von Sommer 2003 und Voigts-Virchow 2005). Beispiel Amerikanistik: Veränderungen in den American Studies - culture wars Mit der Transformation ihrer ursprünglich philologischen Ausrichtung gehen spätestens seit den 1980er Jahren gewaltige Veränderungsprozesse im Bereich der Anglistik/ Amerikanistik einher. Sie haben vor allem zu radikal veränderten Herangehensweisen und Inhaltsbestimmungen geführt. In seiner Essenz lässt sich diese Umpolung ehemaliger wissenschaftlicher Orthodoxien mit dem Schlagwort der Marginalisierung des Zentrums und Zentrierung des Marginalen beschreiben. Dieser Chiasmus ist wiederum typisch für die derzeit in den Literatur- und Kulturwissenschaften dominante Theorierichtung einer kontextorientierten Herangehensweise. Hierbei sind unterschiedliche Spielarten des in Amerika geprägten so genannten New Historicism wesentlich (vgl. z.B. Greenblatt 1988, Zapf 1991: 230ff., Montrose 1992, Hebel 2008: 416ff., Meyer 2008: 161ff.). Die Veränderungen lassen sich besonders beispielhaft unter Bezug auf die in den 1990er Jahren in den USA virulent gewordenen und nach wie vor anhaltenden culture wars beschreiben (vgl. Freese 1996: 160). Diese weit über bildungspolitische Kreise hinausgehende kulturelle Grundsatzdebatte wurde eröffnet durch die bewusst inszenierte Revision traditioneller Perspektiven, Herangehensweisen und Inhalte in Forschung sowie universitärer und schulischer Lehre. Die Stoßrichtung ging gegen den traditionellen, als repressiv empfundenen Werte- und Kulturkanon einer männlichen, bourgeoisen WASP-Dominanzkultur (WASP = White Anglo-Saxon Protestant). Louis Montrose (1992: 416), einer der bedeutenden Theoretiker des New Historicism, formuliert dabei die doppelte Stoßrichtung einer derartigen Neuorientierung. Sie wende sich einerseits gegen „the preservation of curricula reflecting the dominant culture and the maintenance of syllabi that emphasize the putative stability, cohesion, and inclusiveness of American values and beliefs”. Andererseits gelte es, alternative Sichtweisen, die der bisher Marginalisierten, bewusst zu fördern, in „cultural analyses that stress alternative perspectives in history, politics, class, race, gender, and sexuality”. Üblicherweise unter Berufung auf den Großtheoretiker zu kulturellen Machtmechanismen, Michel Foucault (vgl. z.B. Foucault 1998 [1972]), wurde sodann in einer Art ‚Entlarvungsdiskurs‘ aufgedeckt, wie Handlungsobjekte und Diskurse nicht-weißer, nicht-männlicher Gruppen in den <?page no="25"?> Problemstellung - Überblick 11 von der hegemonialen Dominanzkultur reproduzierten Diskursen ausgegrenzt, dämonisiert, verdinglicht oder in anderer Form als minderwertig konstruiert wurden bzw. werden. Der Kanon der Literatur- und Kulturwissenschaften, also das an Universitäten und Schulen vermittelte Bildungsgut der USA, wurde angegriffen und vielfach verändert, da die Konzentration auf Dead White Male Authors (or Artists) nicht der Pluralität und diversity der amerikanischen Gesellschaft entspräche (vgl. eingehender Freese 1996). Zunehmend wurden exemplarische und repräsentative Textsammlungen unter Berücksichtigung von ethnischer Differenz (African-American, Hispanics, Native Americans, Chinese-Americans, Indian-Americans usw.) und identity groups (gay, lesbian, handicapped usw.) erstellt; philologische Herangehensweisen wichen ‚aufdeckenden‘, ‚dekonstruierenden‘ Interpretationen. Gleichfalls setzten sich geschlechtsneutrale sowie Minoritäten gegenüber sensible Formen der Sprachregelung (political correctness) durch. Auch wenn die Konzentration auf die Triade von race, class & gender, überhaupt die Dominanz von identity politics und Differenzdenken, das amerikanische Bildungssystem entscheidend transformiert haben, entwickelte sich doch ein der moral majority und einem traditionellen Bildungsverständnis verpflichtetes Gegenlager. Dies lässt sich exemplarisch beschreiben mit Blick auf drei äußerst kontrovers rezipierte Publikationen. In dem Buch The Disuniting of America (1992) formulierte der Historiker und ehemalige politische Berater Arthur M. Schlesinger die Befürchtung, das ehemals akzeptierte Integrationsmodell des melting pot werde sich zum heterogenen Symbolbild des ‚Turms von Babel‘ wandeln. Dieser steht hier als Emblem für das kakophone Stimmengewirr unterschiedlicher Groß- und Kleinkollektive ohne inneren kulturellen Zusammenhang. Schlesinger beklagt den in amerikanischen Bildungseinrichtungen vorherrschenden Ethnozentrismus und verlangt eine Rückkehr zu den fundamentalen Werten der jüdisch-christlichen Tradition. Ähnlich fordert David Hollinger (1995: 14) in Postethnic America: Beyond Multiculturalism eine „postethnic perspective“ für das Amerika des 21. Jahrhunderts ein, um den gegenwärtigen „ethno-racial particularism“ zu überwinden. Noch weiter geht der amerikanische Großkritiker Harold Bloom, der in der fulminanten Philippika The Western Canon (1994) gegen Bildungsverflachung und Minoritätenzugehörigkeit als Auswahlkriterium für Textsammlungen anschreibt und vor einer ‚Balkanisierung‘ der Kulturlandschaft warnt. Er fordert gleichfalls eine Rückkehr zu traditionellen Bildungsinhalten und empfiehlt hierbei - nicht überraschend - die eingehende Lektüre der Dramen William Shakespeares. Hier folgt ihm der deutsche Anglist Dietrich Schwanitz (1995: I, 78), der pointiert formulierte, Shakespeare habe „[n]ächst Gott [...] von der Welt am meisten geschaffen“. Natürlich können und müssen die Schriften der hier genannten - auch wenn sie das Kulturverbindende und einen gemeinsamen Nenner zwischen partikularen Einzelgruppen suchen - als teilweise höchst problematischer Ausdruck von Eurobzw. Ethnozentrismus und als Abkehr vom Multikulturalismus begriffen und kritisiert werden. Von der Literaturzur Kulturwissenschaft Die hier nur knapp skizzierten Entwicklungen der US-amerikanischen Bildungs- und Kulturwelt (vgl. eingehender Hebel 2008: 216ff.) haben sich einerseits in einem engen Austauschverhältnis mit nichtamerikanischen und europäischen Literatur- und <?page no="26"?> Problemstellung - Überblick 12 Kulturtheorien herausgebildet (namentlich mit französischen Theoretikern wie Derrida, Lacan, Foucault usw.). Sie wirken allerdings gerade als kultureller Gedankenexport international. Im deutschsprachigen Raum entsteht dabei ein recht facettenreiches Bild dieses Einflusses auf universitäre Wissenschaftstheorien und akademische Gepflogenheiten. Während die Amerikanistik im Bemühen um internationalen Anschluss und internationale Diskursfähigkeit in starkem Maße amerikanischen Usancen folgte (vgl. ibid.: 1ff.), ist die deutsche Anglistik insgesamt bei Theoriebildung und Forschungsgegenständen eher an der britischen Tradition der Cultural Studies ausgerichtet. Deren Einfluss macht sich beispielsweise in der in Deutschland herausgegebenen Zeitschrift Hard Times stark bemerkbar. Aufgenommen wird hier die für die Cultural Studies maßgebliche Tradition von Raymond Williams, Richard Hoggart, Stuart Hall sowie dem Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies (vgl. A. Assmann 2006: 16ff.; weiterhin Bassnett 1997: xivff., Easthope 1997, Sommer 2003: 54) und auch neuere Richtungen der postkolonialen Forschung finden Beachtung (Gilroy 1987, 2004, vgl. Eckstein 2007, Döring 2008). Neben einem besonderen Interesse für die Wirksamkeit der visuellen Medien, beispielsweise von Seifenopern, erkundet man Sub- und Alternativkulturen, ethnische Minoritäten und nationale Identitäten, fokussiert aber auch die semiotische Bedeutung von Raumkonstellationen, z.B. von bestimmten Stadtlandschaften (etwa Spitalfields in London) oder von rural England als kulturellem Konstrukt (vgl. Teske 2002: 113ff., 165ff.). Allgemein ist die deutsche Anglistik, wenn sie sich nicht in ganz wenigen Fällen komplett in Richtung Medienwissenschaft entwickelt hat, allerdings stark der philologischen Tradition verbunden geblieben. Auch wenn der literarische Kanon als ‚erweitert‘ verstanden wird, herrscht in den richtungsweisenden Publikationsorganen, bei Seminarthemen und in Wissenschaftsforen eine nach wie vor an traditionellen Literatur- und Kulturverständnissen orientierte theoretische und inhaltliche Ausrichtung. Beispielhaft hierfür mag die sehr lesenswerte Einführung in die Kulturwissenschaft aus der Feder der bekannten Konstanzer Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann (2006) sein. Ohne jedoch auf US-amerikanische Einflüsse einzugehen, grenzt sie sich von der Tradition der britischen Cultural Studies ab und orientiert sich stark an Texten des literarischen Kanons. Allerdings verschließt sich die deutsche Anglistik durchaus nicht neueren Richtungen der Theoriebildung, gerade bei den Gender Studies und postkolonialen Theorien. Bezeichnenderweise ist der Mitherausgeber der prestigeträchtigen, nach wie vor nahezu rein literaturwissenschaftlich ausgerichteten Fachzeitschrift Anglia, Hubert Zapf, als wichtigster Vordenker des ecocriticism hervorgetreten (vgl. Zapf 2005). Wissenschaftliche und argumentative Fundiertheit und Sorgfalt, eine gewisse Traditionsverbundenheit sowie Literaturlastigkeit bei Themenwahl und Erkenntnisinteresse zeichnen die Forschung in der Anglistik nach wie vor aus (sowie zu einem noch größeren Grad die Germanistik). Dies gilt auch, bei einer etwas stärkeren Hinwendung zum Medium Film, für den Bereich der postkolonialen Studien, die sich neben der auf Großbritannien ausgerichteten Anglistik und der Amerikanistik zunehmend institutionell etabliert haben. Die Hinwendung zur kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Geisteswissenschaften vollzieht sich also im deutschsprachigen Raum in moderaterem Maße als im englischsprachigen, zumal im amerikanischen. Dennoch ergeben sich auch im deutschsprachigen Raum viele der im Folgenden formulierten Probleme bei der <?page no="27"?> Problemstellung - Überblick 13 Fragestellung, inwieweit neu entstandene universitäre Paradigmen auf die Ebene der Schule ‚herabsickern‘ können und sollen. Culture lag? Universitäre Forschung und Schulpraxis Neben der eingangs skizzierten Grundfrage des Verhältnisses zwischen Sprach- und Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht gibt es eine weitere Grundsatzfrage der Fachdidaktik: Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik? Diese fächert sich in vielfache Einzelfragen auf. Je nachdem, wie einzelne Forscher/ innen oder Forschungsrichtungen sich dabei positionieren, ergibt sich ein ganz anderes, teilweise gegensätzliches Verständnis von Didaktik und Fremdsprachenunterricht. Welche Wissenschaftsbereiche werden als ‚Bezugswissenschaften‘ geschätzt? Wer die Pädagogik, Lernpsychologie und als Wissenschaftsansatz die empirische Forschung zu den Leitdisziplinen unter den Bezugswissenschaften erklärt, schlägt hier eine ganz andere Richtung ein als jemand, der sich der texthermeneutischen Tradition verpflichtet sieht und damit die Philosophie und die Literatur- und Kulturwissenschaft des eigenen Fachs favorisiert (vgl. Weskamp 2001: 12ff.). Das vorliegende Buch versteht sich vor allem als didaktische Auseinandersetzung mit den oben kurz umrissenen literatur- und kulturwissenschaftlichen Wissenschaftsdiskussionen und -usancen des eigenen Faches, welche wiederum von unterschiedlichen Fachrichtungen wie der Soziologie, Psychologie, Anthropologie usw. geformt werden. Das Verhältnis zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik der Disziplin Anglistik/ Amerikanistik (inklusive der postkolonialen Studien) ist dabei traditionell gern als eine Art top down-Modell verstanden worden. Dies entspricht dem von Max Horkheimer (1968: I, 296) geprägten Konzept des culture lag, dem gemäß in bestimmten Diskursbereichen - etwa der Ökonomie oder hier der Wissenschaftsfront - bereits etablierte Diskursformen erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung andere Bereiche beeinflussen, also hier den schulischen Bereich. Zu erklären wäre dies mit den zeitlichen Verschiebungen beim Generationswechsel von Lehrkräften, der Entstehungs- und Umsetzungszeit von neuen Lehrplänen oder der beharrenden Tendenz traditioneller Inhalte und Methoden des Unterrichts und anderen Faktoren. Demnach würden in universitärer Forschung und Lehre ausgeformte neue Paradigmen erst mit erheblicher Verzögerung in die unterrichtliche Praxis ‚hinabsickern‘ und dort zu Veränderungen führen. Dieses hierarchische Modell von Wissenstransformation liegt einem großen Teil einflussreicher früherer Konzepte zugrunde, etwa einem von Wolfgang Iser (1969: 202f.) formulierten Studienmodell. Dieses definiert exemplarisch vier Gebiete wissenschaftlicher Textbetrachtung („Werkbeschreibung“, „Textkonstitution“, „Literaturgeschichte“ und „Ästhetik“, mit Interpretationslehre und Poetik), die auch für „die Aufgabenstellung des Literaturlehrers an der Schule zugrunde gelegt“ werden. Ein derartiges Modell erscheint bei erweitertem Literatur- und Textverständnis durchaus als Grundlage traditioneller kulturwissenschaftlicher Herangehensweisen und damit beispielhaft für eine Sichtweise, welche die Relevanz universitärer Wissenschaftsbereiche für die Konzeption und tägliche Praxis des fortgeschrittenen schulischen Unterrichts betont. Allerdings bietet sich auch eine entgegengesetzte Betrachtungsweise dieses Transformationsprozesses von Wissen an. Gemäß der bottom up-Perspektive stellt sich die Frage danach, wie übertragbar, umsetzbar und unterrichtsrelevant ein Großteil der <?page no="28"?> Problemstellung - Überblick 14 universitären Wissenschaftsdiskurse überhaupt ist. Hier bleibt eine Reihe von offenen Fragen, herrscht doch deutliche Skepsis gegenüber der Lehrbarkeit dessen, was theoretisch auf dem Papier entworfen bzw. in universitären Seminaren diskutiert wird (vgl. Donnerstag, Volkmann 2008). Die Kritik lässt sich an einigen Grundsatzfragen festmachen: (1) Die einstmals klar umrissenen kulturellen Inhalte - primär der literarische Kernkanon der Fremdkultur - sowie die Vertrautheit mit tradierten Bildungsgütern haben sich aufgelöst. Der Kanon wurde dekonstruiert, vollkommen anders wieder zusammengesetzt, ohne dass sich klare neue Konturen entwickeln konnten (außer in der neuerdings erkennbaren moderaten Rückbesinnung auf traditionelle Inhalte plus einer Ergänzung nach den Kriterien von race, class & gender sowie einer globalen Ausweitung). In ihrer Tendenz des Hinterfragens und der Dekonstruktion des Kanons geht das basale Kanonwissen verloren, wie beispielsweise der kürzlich verstorbene Literatur- und Bildungstheoretiker Peter Widdowson selbstkritisch vermerkte. Das ritualisierte Seminarverfahren, den literarischen Kanon anzugreifen, wurde von einem seiner Studierenden mit folgender Aussage unterlaufen: „You’ve had the opportunity to read these books, I haven’t, and that’s what I’ve come to university to do.“ (Zit. in Stubbs 2006: 15) Zur Abwendung von kanonischen Texten gehört die Hinwendung zu einer Vielzahl und Breite kultureller Phänomene und Praktiken, wodurch gerade in den Cultural Studies eine „bizarre Vielfalt der Arbeitsfelder“ (Fauser 2008: 35) entsteht - die von der Bedeutung von tribal tattoos bei den Maoris in Neuseeland bis zu Cyborgs in kanadischer Science-Fiction bis zu - je nach Sichtweise - eskapistisch oder empowering wirkenden Praktiken der Unterhaltungsindustrie im Pariser Disneyland reichen können (vgl. z.B. Berlin, Vivion 1992). (2) Neben dem Unsicherwerden der (hoch-) kulturellen Inhalte hat der kulturwissenschaftliche Ansatz zugleich zu einem Überangebot an Theorien und Herangehensweisen und dem Verlust eines eindeutigen Wissenschaftsparadigmas geführt, wie dies beispielsweise die textzentrierte Interpretation darstellte. Wenn der kulturwissenschaftliche Ansatz, einer gängigen Deutung entsprechend, als „Metaebene der Reflexion“, als „eine Art Moderation der multiperspektivischen Vernetzung von Einzelergebnissen von [unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen] Disziplinen“ (Fauser 2008: 9) begriffen wird, bedeutet dies auch die Gefahr des Verlustes von klaren fachlichen Profilen. (3) Die Ausrichtung auf theoriegeleitete Herangehensweisen favorisiert die reflexive Disposition des Intellektuellen, der weniger bereits Tradiertes bearbeitet oder modifiziert, sondern im Sinne Foucaults als „Zerstörer der Evidenzen und Universalien“ wirkt. Es ist dies ein Denker, der „in den Trägheitsmomenten und Zwängen der Gegenwart die Schwachstellen, Öffnungen und Kraftlinien kenntlich macht; der fortwährend seinen Ort wechselt, nicht sicher weiß, wo er morgen sein noch was er denken wird“ (Foucault 1998: 91). Wenn dieser Diskursanalytiker sein „vagabundierendes Denken“ (la pensée sans aveu) auf die Diskontinuitäten der bisher als logisch und glatt präsentierten Diskurse konzentriert und deren Brüche aufdeckt, dann mag er oder sie als Leitfigur im Forschungsbetrieb als Vorbild dienen, als pädagogisch wirksame Lehrkraft allerdings schlicht fehl am Platz sein. (4) Trotz hoher Theorielastigkeit und hohem Reflexionsgrad bleiben viele Einzelstudien im Ergebnis vorhersehbar, da Texte auf die dominanten Theoriemuster hingebogen werden. So laufen poststrukturalistisch-dekonstruktivistisch orientierte Lesarten üblicherweise auf Einsichten in die unendlich weitergeführte Kette der Bedeutungsverschiebung hin, welches schließlich in der Erkenntnis von linguisti- <?page no="29"?> Problemstellung - Überblick 15 scher Beliebigkeit mündet, begründet durch die grundsätzlich arbiträre Natur des sprachlichen Zeichens als Kommunikationsmittel (vgl. die Kritik bei Antor 1997: 5). Andererseits neigt der ‚Entlarvungsdiskurs‘ der race, class & gender studies grundsätzlich dazu, Texte dominanter Kulturvertreter als ideologische Instrumente der Selbstkonstitution in Abgrenzung und Diffamierung des marginalisierten und unterdrückten Anderen aufzudecken oder in Texten von Frauen oder Minoritäten offene oder verdeckte Mechanismen des Unterlaufens von dominanten Bedeutungszuweisungen zu entdecken. Kurzum, ob dekonstruktivistisch-sprachtheoretische oder ideologisch bestimmte race, class & gender-Interpretationsschemata vorherrschen: Der Bezug zur realen Welt und damit auch die Möglichkeit der unterrichtlichen Bezugnahme scheint des Öfteren verloren gegangen zu sein, wie Carsten Rhode (2004: 98) polemisch formuliert: Komplexität gewinnt hier eine spielerisch-selbstverliebte Eigendynamik und wird zum intellektuell-ästhetischen Selbstzweck. [...] [E]ine zusehends scholastische Spezialterminologie und eine immer feinere Arme treibende Ausdifferenzierung des Wissenssystems tragen ihr Übriges bei zur fortwährenden Austreibung der Wirklichkeit aus den Geisteswissenschaften. [...] Mit der Suspension des Realen verhält es sich wie mit der ewigen Aufschiebung von Sinn und Bedeutung: theoretisch nachvollziehbar, lebensweltlich schlicht nicht lebbar. Wie ‚kritisch‘ darf schulischer Unterricht sein? Trotz der bisher deutlich geäußerten Bedenken gegenüber ideologisch einseitig eingefärbten Blickrichtungen oder allzu abgehobenem Theoretisieren sollte die hier vertretene Position nicht missverstanden werden. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben auf notwendige und erhellende Weise einstmals erstarrte Orthodoxien und naturalisierte Hierarchisierungsmuster untergraben, eine Vielzahl von neuen Perspektiven eröffnet und somit das ‚unvollendete Projekt der Aufklärung‘ (Habermas) vorangetrieben. Eine Rückkehr zu einer ‚ideologiefreien‘ Kulturwissenschaft und damit auch Kulturdidaktik gibt es nicht, wie ein oft zitierter Ausspruch Terry Eagletons (1983: 14) deutlich macht: „The claim that knowledge should be value free is itself a value judgement.“ Hat doch z.B. die race, class & gender- Forschung vor Augen geführt, wie die Insistenz auf universalen Aussagen und ‚neutrale‘ Herangehensweisen wie bei der textimmanenten Interpretation (New Criticism) stets bestimmten Interessen dienen. Dennoch stellt sich deutlich die Frage der Applizierbarkeit der neuen Diskurse auf die unterrichtliche Wirklichkeit - knapp formuliert: Wie ‚dekonstuktivistisch‘ kann der Schulunterricht sein? Und zwar weniger im Sinne Derridas, indem er jegliche Sinnbildung als Endlosschleife der Bedeutungsverschiebung, als - wenn überhaupt - auf ein Nichts ausgerichtetes linguistisches Perpetuum mobile beschreibt. Damit würde lediglich intellektueller Aporie Vorschub geleistet. Wie ‚dekonstruktivistisch‘ im ursprünglichen Wortsinn, also wie ‚auseinandernehmend‘ oder gar alte Wahrheiten destruierend darf der Fremdsprachenunterricht sein? Anders formuliert: Kann ein auf einer Hermeneutik der Skepsis und Kritik aufgebautes pädagogisches Konzept - eine kritische Pädagogik - das Idealkonzept für Kinder und Jugendliche sein, die in ihrer Lebensphase gerade erst dabei sind, ein Weltbild mit eigenen Konturen und damit auch Bild des Fremden zu entwickeln - die also auf der Suche nach einer gefestigten geistigen Identität sind? Eine auf ideologiekritischer Basis konzipierte kritische Pädagogik kann durchaus auf universitärer Ebene Maß- <?page no="30"?> Problemstellung - Überblick 16 stäbe setzen, wie dies beispielsweise Russell West-Pavlov (2005) bezeugt. Der aus Australien stammende Experte für interkulturelle Fragestellungen hat für die universitäre Ausbildung in geisteswissenschaftlichen Fächern den Idealtypus des „intercultural communicator“ (2005: 109) postuliert. Im Rahmen einer „critical and even oppositional pedagogy“ (2005: 98) erlernt dieser die Fähigkeit, mit kulturellen Differenzen umzugehen und wird als Kulturmediator darauf vorbereitet, in einer zunehmend globalisierten Welt zwischen weiterhin existierenden Formen des Andersseins zu vermitteln. Dabei zitiert West-Pavlov im ersten Teil des hier abgedruckten Abschnittes aus einem programmatischen Aufsatz der australischen Linguisten und Bildungsforscher Peter Cowley und Barbara Hannah: “Effective language and culture teaching is not just about teaching generic rules, but showing how and where rules can usefully be broken.” […] Recognition of the heterogeneity, open-endedness, the process-determined character of cultures, all standard topoi of cultural studies, needs to be matched by a similar acceptance on the part of the students of their own power to act provisionally, to take risks, to engage in open-ended manner with openended intercultural space, to see their own action as a process interlocking with culture as a process. (ibid.: 108) Beispielhaft drückt sich in der oben aufgeführten Position eine für den universitären Bereich höchst sinnvolle Vorstellung von kritischer Pädagogik aus. Die Vermittlung von Cultural Studies oder kulturwissenschaftlichen Inhalten wird dabei auch als ‚persönlichkeitsformende‘ und auf die postmoderne ‚Risikogesellschaft‘ (Beck 2008) vorbereitende und damit gesellschaftsrelevante universitäre Beschäftigung verstanden. Wie sieht dies allerdings auf der schulischen Ebene aus? Die hier betonten Ideale wie Fähigkeit zur Ideologiekritik und zur Akzeptanz von Ambivalenz, Unklarheit und Offenheit der Positionen, alles Wesensmerkmale einer fluiden postmodernen Persönlichkeit, stehen teilweise in starkem Kontrast zu etablierten Prinzipien schulischen Unterrichts, zumal vor der Oberstufe. Eine ‚kritische Pädagogik‘ (vgl. auch die ‚Pädagogik der Vielfalt‘, wie sie Annedore Prengel 1995 vorschlägt, oder auch die ‚Pädagogik der Achtsamkeit‘ bei Jim Cummins 2001) wird sich hier in fünf Bereichen mit didaktisch-pädagogischen Kernprinzipien konfrontiert sehen, die nur schwer mit ihr in Einklang zu bringen sind. (1) Es bleibt die zentrale Frage, wo die eigentlichen Kerninhalte oder Kernkompetenzen des Unterrichtsfaches Englisch bleiben. Wie steht es um die Vermittlung von Bildung, Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen vor allem im sprachlichen Bereich, zentral in der ersten Phase des Fremdsprachenerwerbs (language acquisition), aber auch noch in weiteren Phasen der lexikalischen und grammatikalischen Erwerbsprogression bis zur Jahrgangsstufe 9 oder 10? Das Kernlernziel des Englischunterrichts, die interkulturelle kommunikative Kompetenz, darf keineswegs durch eine ideologische oder kulturkritische ‚Überfrachtung‘ an den Rand gedrückt werden (vgl. Byram 1997: 16). (2) Es stellt sich überhaupt die Frage, inwieweit altersadäquat kritisches Bewusstsein vermittelt werden kann bzw. im Anfangsunterricht werden soll. Für den Anfangsunterricht erscheint dabei die Sensibilisierung für kulturelle Differenzen ein erster Schritt in die richtige Richtung. (3) Das Konzept eines ‚ideologiekritischen‘ Unterrichts ist - auch wenn dieser Begriff oftmals nicht direkt Verwendung findet - bereits seit der Zeit der 1968er Revolution in der deutschen Pädagogik und Fachdidaktik und natürlich in der entsprechenden Ausprägung in der ehemaligen DDR immer wieder hervorgetreten. Jedoch trifft ein ‚ideologisierter‘ Unterricht in den <?page no="31"?> Problemstellung - Überblick 17 Zeiten des Verlustes oder der Ermattung der grand narratives - also auch der großen Erklärungsmuster für existierende Ungerechtigkeiten - auf eine teils apolitische, teils individualistische, jedenfalls auf eine gegenüber Formen von Weltverbesserungsdidaktik immunisierte Schülergeneration. Wohlgemeinte erzieherische Vorstellungen mögen hier gar kontraproduktiv wirken. (4) Die Forderung nach ambivalenten und vielfältig aufgefächerten Perspektiven - z.B. auf die Zielkultur - steht in Kontrast zu den beiden Grundprinzipien didaktischer Vermittlung: Exemplarität und Reduktion, also die Beschränkung auf typische Phänomene, die scharf konturiert zu präsentieren sind. Hierbei handelt es sich um eine nicht aufzuhebende Grundspannung zwischen Komplexität der Lernziele und Beispielhaftigkeit bei der Präsentation (vgl. Klafki 2007 [1985], der entsprechend eine „kritisch-konstruktive Didaktik“ entwirft). (5) Kognitive Lernziele wie Kritikfähigkeit oder die Entwicklung eines kritischen Bewusstseins stehen mit emotional-affektiven Lernzielen des Englischunterrichts in deutlichem Gegensatz - Empathiefähigkeit und Einfühlungsvermögen in andere Kulturmuster verlangen geradezu im doppelten Wortsinn eine ‚Aufhebung‘ kritischer Grundeinstellungen. Wie kritisch - ideologiekritisch, systemkritisch, sprachkritisch, gender-kritisch usw. - darf und soll also der Englischunterricht sein? Klar erscheint, dass es hier kein Patentrezept gibt, ja geben kann. Dass viele Erkenntnisse der race, class & gender studies oder generell der gegenwärtigen Debatten um Globalisierung, Identität, Ausbreitung des Englischen als lingua franca und vieles mehr ihren Eingang in einen guten, den Lernenden und ihrem späteren gesellschaftlichen Wirken verpflichteten Unterricht finden muss, erscheint ebenso evident. 1.4 Kommunikative, interkulturelle, transkulturelle Kompetenzen Unterschiedliche Kompetenzmodelle Das von West-Pavlov (2005), der hier beispielhaft für viele ähnliche Positionen zitiert wurde, entworfene Leitbild des intercultural communicator spiegelt sich im neuen didaktisch-pädagogischen und fremdsprachlichen Leitkonzept der interkulturellen Kompetenz. Begriffe und Konzepte von Interkulturalität, interkulturellem Lernen, interkultureller Kompetenz usw. deuten dabei an, dass sich hierbei sowohl Ähnlichkeiten wie Unterschiede zu landeskundlichen und kulturkundlichen Diskursen entwickeln. Mit dem Begriff der Interkulturalität ergibt sich jedoch eine Schwerpunktverlagerung weg von einer bestimmten Zielkultur zu Perspektiven des Kontrastes oder der Vergleichbarkeit von Kulturen insgesamt. Zugleich klingt an, dass kommunikative, interaktionale Elemente stärker in den Fokus geraten - somit eher im Bereich der Linguistik verwurzelte Themenbereiche zu beachten wären. Diese gehen über rein linguistische Phänomene hinaus, wenn vor allem Techniken und Strategien des kommunikativen Interagierens betont werden. Im Folgenden sollen in einem ersten Überblick zwei wichtige Momente der interkulturellen Kompetenz in den Blickpunkt geraten. Zum einen, dass sich Konzepte der interkulturellen Kompetenz auch als Erweiterung früherer Vorstellungen von kommunikativer Kompetenz verstehen lassen. Zum anderen soll gezeigt werden, wie sich in neueren Theorien die kommunikativen zu interkulturell kommunikativen und schließlich zu transkulturel- <?page no="32"?> Problemstellung - Überblick 18 len Kompetenzkonzepten entwickeln. Diese Entwicklung lässt sich nachvollziehen, wenn man diese drei Phasen zunächst im Überblick wie folgt charakterisiert: Kommunikative Kompetenz: Theorien der kommunikativen Kompetenz, die seit den 1970er Jahren die Fremdsprachendidaktik maßgeblich geprägt haben, entwickelten zunächst Prinzipien für erfolgreiche, situationsadäquate Kommunikation. Interkulturelle kommunikative Kompetenz: Prinzipiell verlangen kommunikative Situationen, die zwischen Teilnehmenden zweier unterschiedlicher (Sprach-) Kulturen stattfinden, interkulturelle Kompetenz. Transkulturelle Kompetenz: Im Zeitalter der Globalisierung, in der zunehmend kommunikative Interaktionen - realer und virtueller Natur - von Interaktanten unterschiedlicher (Sprach-)Kulturen stattfindet, erscheint eine auf Mediationsfähigkeiten basierende transkulturelle Kompetenz passend. Das Englische dient dabei als lingua franca. Normen der Zunehmend Kommunikation weniger klar und Kommunidefinierbar kationspartner klar definierbar Sprachliches Handeln und Handeln Einstellungen Abb. 1: Kommunikative, interkulturelle kommunikative, transkulturelle Kompetenzen im Überblick Kommunikative Kompetenz Betrachten wir zunächst die Anfänge des Konzepts kommunikative Kompetenz. Der Begriff wurde entwickelt als Erweiterung und Abgrenzung zu dem einflussreichen Konzept einer abstrakten linguistischen Kompetenz. Diese hatte der bekannte Linguist Noam Chomsky in den 1950er und 1960er Jahren im Rahmen seiner Transformationsgrammatik als eine allgemein angeborene sprachliche Kompetenz beschrieben. Für Chomsky existiert eine menschliche Universalgrammatik, die sprachenübergreifend ist (vgl. z.B. die kritische Diskussion bei Krashen 1981). Kommunikative Konzepte wurden hingegen zunächst für den konkreten erfolgreichen Umgang mit der Muttersprache entwickelt. Der linguistische Diskurs wurde von der Fremdsprachendidaktik aufgegriffen und auf das gesamte sprachliche, also auch mehrsprachliche Vermögen bezogen. Zwei Theorien erscheinen in diesem Zusammenhang wichtig. Interkulturelle kommunikative Kompetenz Transkulturelle Kompetenz Kommunikative Kompetenz <?page no="33"?> Problemstellung - Überblick 19 (1) In den 1970er Jahren warf H. Paul Grice im Rahmen einer Theorie der konversationalen Implikaturen die Frage nach den kontextbezogenen ‚Subtexten‘ von Gesprächen auf. Unter Rückgriff auf Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft und dessen Handlungsmaxime des kategorischen Imperativs entwickelte Grice die einflussreiche Regel des ‚Kooperationsprinzips‘, nach dem ein Gesprächsbeitrag so zu entwickeln sei, „wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird“ (Grice 1979: 248). Diese abstrakte Regel konkretisiert sich in den berühmten vier ‚Griceschen Gesprächsmaximen‘: Mach deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie nötig! (Maxime der Quantität) Bemühe dich, deinen Beitrag wahr zu machen! (Qualität) Sei relevant! (Relevanz) Sprich klar und verständlich! (Art und Weise) (vgl. ibid.: 249ff.). Diese nach wie vor oftmals zitierten Richtlinien für erfolgreiche Kommunikation wurden inzwischen als idealisierte Normgebung für eine rein zweckrational ausgerichtete Konversation kritisiert (vgl. Altmayer 2004: 201ff.). Es lässt sich auch unschwer erkennen, dass bei dieser Vorgabe zur ‚Konversationsoptimierung‘ einige gerade für den interkulturellen Bereich so wichtige Kommunikationselemente wie Höflichkeit und indirektes Sprechen fehlen, dass Ironie, Satire und Humor als wesentliche Elemente gelungener Kommunikation hier auf kurios-weltfremde Weise absent sind. (2) Das Konzept der kommunikativen Kompetenz wurde vor allem von dem amerikanischen Anthropologen und Sozialwissenschaftler Dell Hymes geprägt (1971/ 72). Hymes betonte zentral die konkrete individuelle Anwendung in bestimmten soziokulturell geprägten Situationen (vgl. Volkmann 2007a: 115, Ikonomu 2008: 13). Bisherige Modelle wurden damit vor allem in Hinblick auf die sozialen Anforderungen der sprachlichen Performanz modifiziert. Es folgten verschiedene Modelle (vgl. auch Byram 1997: 10) zur weiteren Aufgliederung der kommunikativen Kompetenz in verschiedene Teilaspekte, wie beispielsweise bei Michael Canale und Merrill Swain (1980), die vier Komponenten unterscheiden: grammatikalische und formale Kompetenz: Wortschatz, Grammatik, Phonologie und Orthografie der Sprache; soziolinguistische Kompetenz: situative Angemessenheit der Sprachakte; diskursive Kompetenz: Kohäsion und Kohärenz der Sprache; strategische Kompetenz: Anwendung kommunikativer Strategien. Kommunikative Kompetenz in der Fremdsprache Die Fremdsprachendidaktik im deutschsprachigen Raum hat im Rahmen der Kommunikativen Wende der 1970er Jahre die Erkenntnisse zur kommunikativen Kompetenz bedauerlicher Weise häufig verkürzt rezipiert. Es ging die Tendenz zu einem quasi behavioristisch zu vermittelnden ‚Repertoire an Sprechakten‘, die es für eine Auswahl von alltagsrelevanten Situationstypiken zu vermitteln gelte (Einkaufen, nach dem Weg fragen, eine Fahrkarte kaufen, etwas bestellen usw.). Der kulturwissenschaftlich orientierte Teil der Fremdsprachendidaktik hat den Begriff der kommunikativen Kompetenz zusätzlich mit Theorien des Philosophen Jürgen Habermas <?page no="34"?> Problemstellung - Überblick 20 überhöht und mit außersprachlichen Ansprüchen verbunden (vgl. z.B. Melde 1987). Im Rahmen seiner gesellschaftsorientierten und sozialkritischen Theorie kommunikativen Handelns entwarf Habermas ein normatives Modell. Ziel ist dabei ein ‚machtfreier‘, ‚hierarchiefreier‘ Gedankenaustausch als Modell für demokratisches Interagieren und verständigungsorientiertes Handeln (Faßler 1997: 72). Das Habermassche Modell zielt auf emanzipatorische Diskurse ab, bei denen die sprachlichen Interaktanten diejenigen Geltungsansprüche, welche sie erheben, auch selbst einlösen können. Während des Habermassche Kommunikationsideal weitgehend theoretisch geblieben ist, zeigen neuere Definitionen von kommunikativer Kompetenz, wie stark anthropologisch-sozialwissenschaftlich orientierte Modelle in der Tradition von Dell Hymes nachwirken. Kommunikative Kompetenz ist die Fähigkeit, die Kommunikation als kreatives und reflektiertes Sprachhandeln im Sinne von sich selbst verständlich machen und andere verstehen, realisiert und die auf Empathie, der Fähigkeit Perspektiven anderer einzunehmen, aufbaut. Mit dem kreativen Anwenden und dem kreativen Verstehen, dem angemessenen Interpretieren der Äußerungen anderer, sind das kontinuierliche Erweitern der Sprache und der verantwortungsvolle und weitsichtige Umgang mit Sprache verbunden. Das Wissen vom System der Sprache, von Grammatik, Lexik und Stilistik, ist Folge und Voraussetzung kompetenten Sprachhandelns zugleich. Das Sprachsystemwissen bezieht sich vor allem darauf, wie sprachliche Form mit Intention und Funktion zusammenhängt. (Werlen 2007: 15) Die moderne Fremdsprachendidaktik berücksichtigt dabei die individuelle Ausprägung kommunikativer Kompetenz unter Berücksichtigung von vielfältigen Bestimmungsfaktoren wie Fähigkeit, Wissen, Verstehen, Können, Handeln, Erfahrung und Motivation (vgl. z.B. Weinert 1999). Die fremdsprachliche kommunikative Kompetenz wird dabei als Bildungsziel in der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebenen Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wie folgt verstanden: Die so verstandene Fremdsprachenkompetenz drückt sich darin aus, wie gut man kommunikative Situationen bewältigt (Handeln und Erfahrung), wie gut man Texte unterschiedlicher Art versteht (Verstehen) und selbst adressatengerecht Texte verfassen kann (Können), aber u.a. auch in der Fähigkeit, grammatische Strukturen korrekt aufzubauen und bei Bedarf zu korrigieren (Fähigkeit und Wissen), oder in der Intention und Motivation, sich offen und akzeptierend mit anderen Kulturen auseinander zu setzen. (Klieme et al. 2003: 59f.) Interkulturelle kommunikative Kompetenz Kategorien wie Intention, Motivation, Offenheit, Akzeptanzbereitschaft mit Bezug auf andere Kulturen und Sprachgemeinschaften entstammen dabei dem Diskurs der Interkulturalität. Zwar wird ‚interkulturelles Lernen‘ hier nicht explizit angesprochen, es ist jedoch, wie generell im Diskurs der neueren Fremdsprachenforschung, oftmals als synonym für fremdsprachliches Lernen zu verstehen. Bei aller wohl noch anhaltenden Unschärfe des Begriffs ‚interkulturelle Kompetenz‘ (‚interkulturelles Lernen‘, ‚Interkulturalität‘ usw.) kann dennoch eine Akzentverschiebung von der kommunikativen zur interkulturellen Kompetenz konstatiert werden, und zwar vom rein verbalen zum ganzheitlichen, handelnden Interagieren. Zu Recht ist bemängelt worden, dass in manchen Publikationen zur interkulturellen Kompetenz das Thema Sprachkompetenz ausgeblendet oder stillschweigend vorausgesetzt wird (Byram <?page no="35"?> Problemstellung - Überblick 21 1997: 47), was sich natürlich bisweilen als fataler Trugschluss erweisen kann (vgl. auch Kap. 5.1). Der Begriff der interkulturellen Kompetenz entwickelte sich seit den 1970 und 1980er Jahren zum einen aus einer intrakulturellen Bedürfnislage in multikulturellen Gesellschaften wie den USA und Kanada. In ihnen erkannte man den toleranten Umgang von Vertretern unterschiedlicher Kulturkreise miteinander als essenzielles bildungspolitisches Ziel der gesellschaftlichen Integration. Zum anderen entwickelte er sich in der globalen Sphäre von Wirtschaft und Tourismus, um die anwachsende Menge an Interaktionen erfolgreicher zu gestalten und interkulturelle Missverständnisse zu vermeiden (vgl. Volkmann 2002). Während man im Feld der Ökonomie zunehmend konkrete Anweisungen für erfolgreichen Umgang mit dem Fremden - beispielhaft in Listen von Do’s and Don’ts - entwickelte, zielte die interkulturelle Pädagogik und Didaktik von vornherein auf umfassendere ethische Bildungsziele ab. Denn die Zunahme von interkulturellem Austausch und interkultureller Kommunikation stellt sowohl ein Alltagsphänomen als auch ein Konfliktpotenzial dar (vgl. Matthes 1998). Philosophisch definierte und ethisch geprägte Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Empathiefähigkeit (vgl. eingehend hierzu Byram, Morgan 1994: 24ff.), Ambiguitätstoleranz, sensibles Einbringen der eigenen Identität (Herrmann- Brennecke 1995: 52), aber auch Rollendistanz und Dezentrierungsvermögen (Melde 1987: 152, Byram 1997: 3), überhaupt die Fähigkeit, kulturell unterschiedliche „Weisen der Welterzeugung“ (Goodman 1998 [1978]) zu erkennen und zu akzeptieren, bilden wesentliche Bildungsziele. Sie gehen über die gängigen Definitionen von kommunikativer Kompetenz weit hinaus. Der für die Entwicklung interkultureller Konzepte einflussreiche britische Forscher Michael Byram (1997: 70ff.) grenzt die interkulturelle Kompetenz gegenüber der interkulturellen kommunikativen Kompetenz ab. Für ihn kann interkulturelle Kompetenz auch ohne Fremdsprachenkompetenz wirksam werden, etwa im Eingehen auf Angehörige anderer Kulturen in der intrakulturellen Begegnung oder beim Rezipieren fremdkultureller Texte in der Übersetzung, wenn dabei deren kulturspezifische Besonderheiten dennoch entschlüsselt werden können. Dagegen beinhaltet die interkulturelle kommunikative Kompetenz stets das Element des adäquaten Gebrauchs der Zielsprache in der interkulturellen Begegnung. [S]omeone with Intercultural Communicative Competence is able to interact with people from another country and culture in a foreign language. They are able to negotiate a mode of communication and interaction which is satisfactory to themselves and the other and they are able to act as mediator between people of different cultural origins. Their knowledge of another culture is linked to their language competence through their ability to use language appropriately - sociolinguistic and discourse competence - and their awareness of the specific meanings, values and connotations of the language. They also have a basis for acquiring new languages and cultural understandings as a consequence of the skills they have acquired in the first. (Byram 1997: 71) Zweifellos ist diese Berücksichtigung des linguistisch-sprachlichen Elements zum Verständnis interkultureller Kompetenz nicht zu vernachlässigen. Im Sinne der oben zitierten Definition wird dies aber im Zeitalter des Englischen als globale lingua franca erheblich problematischer, da gerade die Kategorie des appropriate English aufgeweicht wurde, wie weiter unten noch eingehender zu beschreiben ist (siehe Kap. 4.3). <?page no="36"?> Problemstellung - Überblick 22 Transkulturelle Kompetenz Der inzwischen häufig verwendete Begriff der Transkulturalität und transkulturellen Kompetenz (vgl. Delanoy 2006, Schulze-Engler 2007, Doff 2009) ist vor dem Hintergrund folgender Tendenzen zu verstehen: Konzepte wie intrakulturelle, interkulturelle und multikulturelle Kompetenz sind schwer im Einzelnen voneinander abzugrenzen. Denn im Zeitalter der Globalisierung werden sie zunehmend von größeren, transnationalen und transkulturellen Phänomenen durchdrungen und transformiert. Die anfangs kurz skizzierten Großtendenzen der Globalisierung, digitalelektronischen Revolution und Funktionsveränderung des Englischen zur lingua franca weichen zudem Konzepte auf, die auf einer mehr oder weniger klar definierten Bipolarität von Lernerkultur und Zielkultur basieren. Diese Auflösung eines bipolaren Feldes der kulturellen Begegnung geschieht sowohl innerhalb der Kulturen selbst, die im Rahmen der Globalisierung einerseits heterogener werden (Verlust klarer Nationalkulturen, multikulturelle Gesellschaften); andererseits geschieht eine Homogenisierung der Weltkulturen im Sinne einer teilweisen globalen Kulturnivellierung (globale Medien, globale Unterhaltungsindustrie, globale Ess- und Kleidungskultur usw.). Es entsteht Transkulturalität durch die Ausweitung der Perspektive von den englischsprachigen Kernländern (GB, USA) zur den englischsprachigen Kulturen (Australien, Kanada, Südafrika, Indien usw.) bis hin zu einer globalen Perspektive, die im Rahmen der lingua franca-Kommunikation auch nichtenglischsprachige Kulturräume mit einschließt. Die Entwicklung eines transkulturellen - also globalen - Bewusstseins und transkultureller Lernziele ist dabei auf unterschiedliche Weise ein Anliegen von interkulturell ausgerichteten Fächern der Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Fremdsprachendidaktik und auch der postkolonialen Studien geworden. Eine erste Beschreibung transkultureller Konzepte erscheint insofern schwierig, weil dieses Thema interbzw. transdisziplinär mit unterschiedlicher Terminologie und Diskurstradition und unterschiedlichen Schwerpunkten behandelt wird. Gemeinsamer Nenner ist die Reaktion auf die genannten globalen Umwälzungen - multikulturelle Gesellschaften, Pluralisierung der Lebenswelten und -formen, Tendenz zum postnationalen Weltbürgertum - infolge derer, wie es der Soziologe Ulrich Beck (2008: 40) ausdrückt, der Einzelne täglich mit dem Anderen konfrontiert wird: „Der Alltag wird kosmopolitisch: Menschen müssen ihrem Leben Sinn verleihen im Austausch mit anderen und nicht länger in der Begegnung mit Ihresgleichen.“ Dieses „kosmopolitische Moment“ (ibid.: 110f.) zwingt zum Eingehen auf den Anderen. Und dies in doppeltem Sinn: Zum einen zwingt es zu ständiger Neudefinition der eigenen kulturellen Position, sogar der kulturell geprägten Identität im Austausch mit dem Anderen. Als eine kontinuierlich sich neu stellende pädagogische Aufgabe erscheint dabei das Lernen von „skills of giddy self-definition in an existential landscape without pre-traced paths“ (West-Pavlov 2005: 221). Zum anderen verlangt das ‚kosmopolitische‘ oder ‚transkulturelle‘ Moment teilweise das Aufgeben festgefügter Eigenidentität im „wechselseitigen Einarbeiten von Kulturmustern“, welches der <?page no="37"?> Problemstellung - Überblick 23 Philosoph Wolfgang Welsch (1992: 20) als Hauptaufgabe multikultureller, transnationaler Gesellschaftsformationen erkennt. Grundsätzlich bieten die Wissenschaftsdisziplinen unterschiedliche Vorschläge zum Umgang mit dem Phänomen Transkulturalität an. Vor allem die interkulturelle Wirtschaftswissenschaft arbeitet dabei, häufig dem Paradigma kultureller Differenzstrukturen verpflichtet (vgl. Hansen 2000: 285), klare Handlungsanweisungen für die Begegnung mit dem Anderen heraus. Auf der Basis deutlich definierter Kulturstandards werden dabei zum einen zielkulturell ausgerichtete, zum anderen transkulturell wirksame Kommunikationsstrategien und -techniken vermittelt. Es handelt sich dabei um Themen wie Konfliktvermeidung und Konfliktverarbeitung, z.B. durch das Beherrschen von Konversationsritualen und Höflichkeitsroutinen. Damit erscheinen interkulturelle Missverständnisse vermeidbar und Kommunikationsbarrieren überwindbar (Kasper 1995: 87). Prinzipiell wird dabei auf konträre Einstellungen zum Kommunikationsverhalten aber auch überhaupt auf Unterschiede in der Weltwahrnehmung eingegangen. Mehr oder weniger theoretisch fundierte und praktisch applizierbare Rezepturen genießen so rege Verbreitung (vgl. z.B. zu Höflichkeitsstrategien Argyle 1994: 66f.). Transkulturelles Lernen erscheint hier als Aneignung eines wohlfeil angepriesenen Instrumentariums von Benimm- und Kommunikationsregeln, welches erfolgreich situationsbezogen einzusetzen ist. Es deutet sich allerdings auch an, wie die oben vorgestellte Leitfigur der Global Generation impliziert, dass in den Zeiten von Turbokapitalismus und entfesselter Märkte dabei das postmoderne, neoliberale Leitbild einer allseits anpassungsfähigen, glatt-zuvorkommenden aber letztlich konturenlosen globalen Persönlichkeit projiziert wird. Ethische Lernziele werden von anderen wissenschaftlichen Disziplinen hervorgehoben. Transkulturelle Ansätze betonen dabei die Notwendigkeit, reflexiv auf die Veränderungen der Weltsituation einzugehen. Neben den verdichteten und verstärkten Kommunikationsformen beachten sie vor allem (1) die Notwendigkeit, auf die potenziellen Probleme multiethnischer und global zusammenwachsender Gesellschaften adäquat zu reagieren und (2) insgesamt auf die ökologischen und ökonomischen sowie vom globalen Terrorismus und Konflikten geprägten Problemlagen der Welt nach dem 11. September 2001 zu reagieren. Es geht, trotz aller kultureller und nationaler Unterschiede, darum, gemeinsame Grundmuster verantwortlichen Handelns einzuüben (Matthes 1998, Beck 2008). Voraussetzung hierfür ist ein neuer Universalismus und Humanismus, der sich bemüht, Bedeutung „in Strukturen und Sachverhalten zu sehen, die gleichermaßen für alle Kulturen gelten“ (Orth 2000: 259). Unterschiedliche Fachrichtungen haben dabei unterschiedliche Facetten zu diesem transkulturellen Denken beigetragen. Die Fremdsprachendidaktik hat die Hybridität und Mehrkulturalität des Menschen als Faktum herausgestrichen. Die europäische Sprachenpolitik hat dabei ein transnationales, erweitertes Verständnis des sprechenden Individuums gefördert (Oksaar 2003: 32). Pädagogik und Psychologie stellen kulturelles Lernen in einen erzieherischen Gesamtzusammenhang, der auf hochrangige persönlichkeitsbildende Lernziele wie die Völkerverständigung ausgerichtet ist (Wendt 2000: 168). Die Hinwendung zum Thema Transkulturalität hat schließlich in den postkolonialen Studien Wege zum Ablegen eurozentrischen Denkens gebahnt, vor allem wenn die Fragestellung in den Vordergrund rückt, wie Individuen mit globalen Phänomenen umgehen (Schulze-Engler 2007: 28f.). Hierbei wird die ‚transnationale Persönlichkeit‘ weniger als geschmeidig auftretender Kosmopolit definiert <?page no="38"?> Problemstellung - Überblick 24 denn als jemand, der die Aufgabe erkennt, mit der eigenen ‚Hybridität‘ verantwortungsvoll umzugehen: „The transnational existence can be understood as an existential collage in which various cultural experiences are superimposed upon each other.“ (West-Pavlov 2005: 121) Aus der Erkenntnis der eigenen Abhängigkeit von globalen Veränderungen kann so eine vielfach geforderte „planetarische Verantwortungsethik“ (Beck 2008: 41) erwachsen. Transnationalität spiegelt sich auch in Veränderungen bei universitären sowie schulischen Bildungs- und Lerninhalten. Hier erfolgt eine Ablösung von der Konzentration auf einzelne Regionen oder Länder. Vielmehr wird gerade der Formationsprozess der immer dichter ökologisch, wirtschaftlich und kulturell verflochtenen Weltgesellschaft zum Inhalt und Thema. Begriffe wie world studies oder global issues genießen Hochkonjunktur (z.B. Baron 2002: 17, De Florio-Hansen 2002, Einhoff 2003, Jancke, Surkamp 2010). Welche Schlüsselthemen bieten sich dabei für einen Englischunterricht an, der oftmals noch lose an frühere Kernkulturen gebunden ist, sich im Grunde genommen aber sukzessive transnational ausrichtet? Es erscheinen zwei große Themenkomplexe vorgegeben: (1) Das Thema Zusammenleben in der multikulturellen, global zusammenwachsenden Gesellschaft. (2) In Anlehnung an Ulrich Becks (1998, 2008) Begriff der Weltrisikogesellschaft geht es zudem um Kernthemen der Globalisierung wie ökologische Krisen (Klimawandel, Erderwärmung, Ozonloch usw.), politische Krisen (Friedenssicherung), um ökonomische Krisen (globale Ungerechtigkeit, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich) und um technische Umwälzungen. Es geht generell um die „Abwendung unkalkulierbarer, inhumaner Folgen großtechnischer Projekte“ (Beck 2008: 73), um globale Finanz- und Wirtschaftskrisen, aber auch um globale Konflikte und den globalen Terrorismus, der weltweit Angst- und Panikreaktionen auslöst. Gemein ist diesen globalen Bedrohungsphänomenen, dass sie von Delokalisierung, Unkalkulierbarkeit und Nicht-Kompensierbarkeit gekennzeichnet sind und somit nur in gemeinsamer Verantwortlichkeit lösbar erscheinen (Beck 1998: 103). Diese global issues sind bereits vielfach in der fachdidaktischen Diskussion diskutiert worden (vgl. Einhoff 2003, Volkmann 2005, Jahnke, Surkamp 2010). Vor allem die Rezeption des in der Literatur- und Kulturwissenschaft entwickelten ecocriticism (Zapf 2005) hat zu ersten Vorschlägen geführt, wie ein global ausgerichtetes Umweltbewusstsein bei entsprechender Themensetzung (pollution, environmental problems usw.) geschaffen werden kann (Mayer, Wilson 2006). Der Ansatz des globalen Lernens gewinnt, wie Jürgen Einhoff (2003: 9) treffend feststellt, auch für den Englischunterricht an Bedeutung (vgl. eingehender Kap. 6.4): Die Lösung dieser Probleme [global issues], die heute oftmals noch gesellschaftsbzw. kulturspezifisch erfolgt, vgl. z.B. environmental problems und genetic engineering, die aber eigentlich nach transkultureller Abstimmung verlangt, ist für den Fortbestand der Menschheit von existentieller Bedeutung. Transkulturalität und der Kult des Hybriden Die Figur des Dritten, des Dazwischen-Seins, des Hybriden ist sowohl in der kulturwissenschaftlichen Debatte wie auch in der Fremdsprachendidaktik zu einer häufig verwendeten Metapher geworden. Mit der Vermischung der Kulturen, der Dezentrierung des Selbst im Zuge postmoderner Theorien entstand so ein gewisser ‚Kult der Hybridität‘. Das Hybride erscheint in einer Welt schwankender Sicherheiten und sich auflösender Grenzen als fluide, passfähige Ausformung von Indivi- <?page no="39"?> Problemstellung - Überblick 25 duum, Kultur und auch Kommunikation. Auf der Ebene der Kulturen bedeutete dies, dass so genannte Mischkulturen wie Singapur, Bahrein, Hong Kong, Malta und die Channel Islands (vgl. Einhoff 2003: 9) als exemplarische Kulturen für den Englischunterricht vorgeschlagen wurden. Konzepte der Hybridität, wie jenes von Kulturen als contact zone (vgl. Pratt 1992: 1ff.), wurden auch auf größere Nationen wie die USA, Australien, Kanada, Indien, aber zunehmend auch auf Großbritannien als multikulturelle Gesellschaft übertragen. Bei der Betrachtung dieser Kulturen steht dabei das Element der contact zone, der interkulturellen Begegnung, Assimilation, Vermischung und Konfrontation im Vordergrund. Zentral stellen sich Fragen zu Dynamik und Folgen derartiger Prozesse von Fremdheitserfahrung gerade im Zuge der überseeischen Ausbreitungen der europäischen Mächte, wie Mary Louise Pratt (ibid.: 7) dies aus der postkolonialen Perspektive erklärt: ‘contact zone’ is an attempt to invoke the spatial and temporal copresence of subjects previously separated by geographic and historical disjunctures, and whose trajectories now intersect. […] A ‘contact’ perspective emphasizes how subjects are constituted in and by their relations to each other […] in terms of copresence, interaction, interlocking understandings and practices, often with radically asymmetrical relations of power. Die Fokussierung auf das Hybride findet sich gleichfalls in Vorstellungen vom Unterricht und der interkulturellen Begegnung als dem ‚dritten Ort‘ (Kramsch 1996) und, komplementär dazu, in Michael Byrams (1989) Ideal des ‚interkulturellen Sprechers‘. Der dritte Raum ist hier die produktive Kontaktsphäre zwischen den Kulturen, in dem Spannungen und Positionen produktiv ausgehandelt werden (vgl. auch Hallet 2002: 39ff.). Entsprechend hat Claire Kramsch den Unterricht als Verhandlungsraum modelliert, in dem die Kulturbegegnung ihre Zweipoligkeit verliert. Neues Potenzial und freie Spielräume eröffnen sich gerade in multikulturell zusammengesetzten Lernergruppen und entsprechenden Formen des Fremdsprachenunterrichts. Aus der flüchtigen und instabilen Ausprägung interkultureller Zwischenräume heraus entfalten sich momentane Sinnstiftung und weitergehende, über den Unterricht hinausweisende Lernsituationen (Kramsch 1996: 210, 236; ähnliche Überlegungen finden sich bei Delanoy 1999, Baron 2002: 85). Parallel zu Kramsch hat Michael Byram (Byram 1996: 59ff., 1997: 38, 57ff., 115) das einflussreiche Konzept des intercultural speaker entworfen. Dieser ist dabei weit mehr als ein linguistisch kompetenter Kommunikator, nämlich ein Vermittler zwischen den Kulturen, eine Art Kulturmediator. Hierfür qualifiziert ihn oder sie besonders die Erfahrung des ‚Zwischenden-Kulturen-Seins‘, die eben nicht die ‚absolut‘ adäquate Beherrschung von zwei verschiedenen kulturellen Codes bedeutet, sondern sich im reflexiven Umgang mit Unterschiedlichkeiten und Asymmetrien ausdrückt, auch bei der eigenen Verstehensleistung. An intercultural speaker is someone who can operate their linguistic competence and their sociolinguistic awareness of the relationship between language and the context in which it is used, in order to manage interaction across cultural boundaries, to anticipate misunderstandings caused by difference in values, meanings and beliefs, and thirdly, to cope with the affective as well as cognitive demands of engagement with otherness. (Byram 1996: 59f.) Deutlich wird hierbei die Betonung der interkulturellen Kompetenz gegenüber der rein sprachlichen Kompetenz, welche sich gleichfalls in Byrams Konzept der inter-language (Byram 1996: 59) findet. Die Abwendung von native speaker-Normen ist <?page no="40"?> Problemstellung - Überblick 26 mit der Fortentwicklung des lingua franca-Englischen weiter eingehend debattiert worden (vgl. z.B. Gnutzmann 1999, 2000). Aus diskurskritischer Perspektive hatte bereits Norman Fairclough (1989: 56) die Vorstellung eines standardisierten Normenglisch als Akt der Kolonisierung und Unterdrückung demaskiert. Zunehmend ist das einst ‚monolithische Phänomen‘ des korrekten Muttersprachlers hinterfragt worden. Phillipson (1992: 195) erkannte in der nicht-muttersprachlichen Lehrkraft den besseren, weil sprach- und problembewussteren Sprachvermittler. Ähnlich hat Kasper (1995: 80) den inhärenten Chauvinismus und Sprachimperialismus des Muttersprachler-Ideals angegriffen und die Vorstellung, der „monolinguale oder monokulturelle Sprecher [sei] eine geeignete Norm für Fremdsprachenlerner“ als „Fehlannahme“ zurückgewiesen (ibid.: 78). Begründet wird dies vor allem mit dem Hinweis auf die höchst inhomogene Zusammensetzung regional, geschlechtlich, sozial und altersbezogen unterschiedlicher Sprechergemeinschaften des Englischen. Dies erlaube keine festgefügte Vorstellung von native-speaker norms. Darüber hinaus weist Kasper (ibid.: 74ff.) auf die regelmäßig auftretenden Missverständlichkeiten und inkompetenten Gebrauchsformen bei muttersprachlicher Kommunikation hin. Diese Kritik an der Sprachkompetenz des native speaker, die sich vor allem im alltäglichen Bereich zeige, zieht sich als roter Faden der native speaker-Skepsis durch die jüngste Diskussion (vgl. z.B. McArthur 2003). Neuere Richtungen der Interlanguage- Aufwertung betonen dabei die kommunikative Funktion von lingua franca-Englisch gegenüber sprachlicher Korrektheit und weisen - teilweise aus sprachpolitischen Gründen - auf die Notwendigkeit der sprachlichen ‚Entmachtung‘ und ‚Enteignung‘ der Muttersprachler hin - die englische Sprache habe globales Allgemeingut zu werden (vgl. die Diskussion in Volkmann 2007c). Bei den hier vorgestellten positiven Einstellungen zu ‚Hybridität‘ geht es letzten Endes um einen emanzipatorischen Gestus, um die Ermächtigung des Einzelnen gegenüber den Zwängen kultureller oder sprachlicher Normgebung. Trotz des hier referierten und teilweise nachvollziehbaren Lobes des ‚Dazwischen-Seins‘ gilt es dennoch, auch auf dessen Probleme hinzuweisen: Interkulturelle Erfahrung, sei sie durch erzwungene Migration oder als bewusst eigenverantwortlich gewählter Lebensschritt erlangt, wird oft nicht nur als Bereicherung, sondern auch als teilweise äußerst mühevoller, sogar schmerzhafter Prozess des Verlustes und der Neufindung erfahren, als Situation der wirtschaftlichen Unsicherheit und kulturellen Unbehaustheit (vgl. Hansen 2000: 348, Baron 2002: 6, Delanoy 2006, Antor 2007: 123f., 127, Schulze-Engler 2007). Dies gilt gleichfalls für Konzepte der Inter- oder Transkulturalität im Klassenzimmer oder bei der Sprachvermittlung und Sprachbeherrschung. Denn in der Regel existieren auch in multikulturellen Lernergruppen und in der internationalen, auf Englisch geführten lingua franca-Kommunikation deutliche Vorstellungen von kulturellen und sprachlichen Hierarchien. Eine Überwindung oder Einebnung dieser Asymmetrien kann nur in schwierigen, langwierigen und bisweilen schmerzhaften Prozessen kulturellen Aushandelns geschehen, denen dazu nicht immer Erfolg beschert ist. <?page no="41"?> Problemstellung - Überblick 27 1.5 Englischunterricht: Ausbildung oder Bildung? Veränderte Bildungslandschaft - veränderter Bildungsbegriff Der Begriff Bildung erfreut sich einer erfreulichen Konjunktur - allerdings bisweilen stark funktionalisiert und nicht im Sinne derer, die diesen für Schule, Universität und das gesamte Leben so essenziellen Leitbegriff im philosophisch-ethischen Kontext reflektieren. In den 1960er und 1970er Jahren war der Bildungsbegriff in starke Kritik und unter generellen Ideologieverdacht geraten: Er sei idealisierend-überhöht, historisch überholt und zudem mit dem Odium des Elitären umgeben. Damit galt er als einer modernen demokratischen Industriegesellschaft nicht angemessen (vgl. die Debatte bei Klafki 2007: 43ff.). Die Renaissance der Bildung in der schulpolitischen Diskussion ist nun allerdings gekennzeichnet durch ein verkürztes Verständnis von Bildung, welches entsprechende Dokumente kolportieren und verbreiten. Bildung wird nämlich zuvorderst als zweckgebundene Kompetenz verstanden, die man zum Meistern des späteren Berufs- oder Lebenswegs benötigt. So gern der Begriff vollmundig verwendet wird, so deutlich stellt er sich bei eingehender Untersuchung als Synonym für Ausbildung dar - für die spätere Berufskarriere oder das möglichst reibungslose Funktionieren als Konsument im global village. Was bisher über die funktionale, pragmatisch-utilitaristische Ausrichtung der Fremdsprachenpolitik im Zuge der Rezeption des Europäischen Referenzrahmens für Fremdsprachen von 2001 gesagt wurde, gilt insgesamt für das in bildungspolitischen Dokumenten transportierte Verständnis von Bildung: Standardisierungsmanie, Outputgläubigkeit und der verengte Blick auf Kompetenzraster drücken sich auch in der Bildungspolitik aus. Beispielhaft hierfür sind die von der Kultusministerkonferenz (KMK) in den letzten Jahren formulierten und zunehmend implementierten bundesweit gültigen Bildungsstandards in schulischen Fächern sowie die sukzessive Einrichtung des Zentralabiturs in den meisten deutschen Bundesländern (vgl. Hallet, Müller-Hartmann 2006). Ein ähnlicher Bildungsbegriff findet auch auf hochschulpolitischer Ebene Verwendung. Mit der Einführung der Bachelor/ Master-Studiengänge im Zuge der Umsetzung der Bologna-Beschlüsse von 1999 gelten auch hier verstärkt ökonomische Kategorien wie straffe und zielgerichtete Ausbildung, deutlichere Praxisrelevanz und Berufsfeldorientierung. Die Standardisierung mit Modulen, Credit Points, Workloads und homogenisierten, nicht mehr auf Inhalt, sondern auf ‚Kompetenzerwerb‘ ausgerichteten ‚polyvalenten‘ Studiengängen hat nach Ansicht der Kritiker zu geringerer Mobilität zwischen deutschen und europäischen Hochschulen geführt - aufgrund der Unübersichtlichkeit und Starrheit der unterschiedlichen Umsetzung innerhalb der Bundesländer. Darüber hinaus ist ein deutliches Absinken des inhaltlichen, fachwissenschaftlichen Niveaus zu bemerken, das nun eher einer Schmalspur- Ausbildung entspricht. Mit den Worten seiner schärfsten Kritiker durchweht die gegenwärtige Bildungslandschaft „der Geist eines tristen Materialismus und Utilitarismus“ (Reiser 2009: 2). <?page no="42"?> Problemstellung - Überblick 28 Ganzheitliche Bildungskonzepte Es werden ganzheitliche Bildungskonzepte vermisst. Die vorherrschende betriebswirtschaftliche, auf Output-Steuerung fixierte Perspektive der Bildungspolitik wird von vielerlei Seiten her engagiert angegriffen. Bildung umfasst mehr als reine Ausbildung von verwertbaren Kenntnissen und Fähigkeiten, wie von Seiten der Pädagogik her mit Blick auf die existenzielle Freiheitsbestimmung des Menschen argumentiert wird. Diese lässt sich nicht regulieren oder standardisieren: „Dennoch hat sich eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise im bildungspolitischen Diskurs etabliert, die glauben lassen will, man könnte das deutsche Bildungssystem wie einen Produktionsbetrieb führen.“ (Rekus 2005: 81) Gegen derartige reduktionistische Verständnisse deutet sich eine Wiederentdeckung des Humboldtschen Bildungsbegriffs an. So lautete das Thema des 22. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachendidaktik im Jahre 2007 an der Universität Gießen „Sprachen lernen - Menschen bilden“. Explizite Zielsetzung war es, Aspekte, die „für die Bildung von Menschen und für das Lernen von Sprachen relevant sind“ (vgl. www.dgff.de), eingehender in den Vordergrund zu stellen. In einem wichtigen Vortrag erwies dabei Ansgar Nünning (2007) einem an humanistischen Bildungsidealen orientierten Menschen- und Erziehungskonzept eine deutliche Hommage. Zugleich wird in zahlreichen fremdsprachendidaktischen Publikationen der Ansatz einer ganzheitlichen menschlichen Bildung im Fremdsprachenunterricht im Gegensatz zur ökonomisch relevanten funktionalen Sprachausbildung vertreten. Man mahnt an, dass der Fremdsprachenunterricht „ja nicht nur auf eine funktionale kommunikative Kompetenz, sondern auch auf Persönlichkeitsentwicklung, Einstellungen wie Bereitschaft zur interkulturellen Verständigung und Toleranz oder auf ästhetische Verstehens- und Ausdrucksfähigkeit zielt“ (Hallet, Müller-Hartmann 2006: 3). Darüber hinaus lässt sich - scheinbar paradoxerweise - eine gewisse Renaissance der Literaturdidaktik erkennen, wie dies die vielfältigen Publikationen in diesem Bereich in jüngster Zeit belegen (vgl. z.B. Hallet 2002, Küster 2003, Delanoy 2005, Hellwig 2005, Bredella, Hallet 2007, Volkmann 2009b). Hierbei wird auch die Frage nach ‚wertvollen‘, also normativen, nicht allein auf ‚Kommunikationsfähigkeit‘ ausgerichteten Inhalten neu gestellt. Franz J. Schneider (2009: 103) beschreibt eine generelle Problematik des Kompetenzbegriffs: Denn mit dem Kompetenzbegriff scheint das Problem der Normativität, das alle Lehrplanentscheidungen schwierig gestaltet, aufgehoben zu sein. Soll man lieber „Bend it like Beckham“ von Gurinder Chadha (Novellisierung von Narinder Dhami) filmanalytisch behandeln oder besser „Macbeth“ von William Shakespeare textanalytisch bearbeiten? Solche Fragen erübrigen sich im Kompetenz-Konzept der Bildungsstandards. Denn Kompetenzen sind formal gemeinte Fähigkeiten, die sich sachneutral formulieren und gegenstandsunabhängig abtesten lassen. Besonders emphatisch hat Karlheinz Hellwig die ‚bedeutende‘ Literatur als wesentliche Quelle einer an Bildung orientierten Fremdsprachendidaktik hervorgehoben. Der Bildungsgedanke ist bei ihm stark mit der „lebensbereichernden und lebenserweiternden“ Kraft der Literatur verbunden (Hellwig 2005: 7), wobei er in der Tradition Wilhelm Humboldts und in Anlehnung an Lutz Küster (2003) ein individuelles und sich prozesshaft entfaltendes Wachsen von Bildung „zum Zwecke einer sich reflektiert gestaltenden Beziehung zum eigenen Ich wie zur Umwelt“ (ibid.) <?page no="43"?> Problemstellung - Überblick 29 betont: „Bildung ist in meinem Verständnis nach wie vor wesentlich als Selbstbildung zu verstehen, nämlich als diskursive Herstellung eines reflexiven Verhältnisses zum Selbst und zur Welt.“ (Hellwig 2005: 74, mit Bezug auf Küster 2003: 159) Fassen wir an dieser Stelle stichpunktartig die Kritikpunkte am gegenwärtigen, ökonomisch eingefärbten Bildungsverständnis in positiver Formulierung und mit Blick auf die Fremdsprachendidaktik zusammen: Ein rein auf Output-Orientierung, Kompetenztaxonomien und Standardisierungsraster fixierter Bildungsbegriff stellt eine geistig-ethische Verarmung und auf das Ökonomische reduzierte Verknappung dar und bedarf der Ergänzung: Bildung besteht auch in der Förderung von generell nicht unmittelbar umsetzbaren und ‚messbaren‘ emotionalen, geistigen und intellektuellen Fähigkeiten, die sich auch in verantwortungsvollem Handeln niederschlagen; ästhetischem Urteilsvermögen und Wertschätzung künstlerischer Ausdrucksformen; Förderung der Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere in der vom Toleranzprinzip geleiteten Auseinandersetzung mit dem Fremden und Anderen; Kreativität, unangepasstem Denken, kritisch-konstruktivem Bewusstsein im Hinblick auf emanzipatorische Haltungen auch gegenüber globalen Standardisierungs- und Homogenisierungsprozessen. Zur Diskussion um die Bildung, speziell im Bereich der Fremdsprachen, gehört auch die von Schneider (2009) aufgeworfene Frage, welche Bildungsinhalte vermittelt werden und ob diese Fragestellung nicht deutlicher in den Mittelpunkt eines antiökonomischen Bildungskonzepts gestellt werden sollte. Die starke Pädagogisierung der Fremdsprachenausbildung und des Fremdsprachenunterrichts (vgl. Weskamp 2003: 20), begleitet von der Vorrangigkeit methodischer Fragen, hat zu einer Abwendung von Fragestellungen zum Inhalt des Englischunterrichts geführt. „Aus der Sache (Inhalt) flüchtet man sich in die Methode.“ (Schneider 2009: 41) Dabei ist weitgehend geklärt, „dass methodische Akrobatik im Unterricht nicht dauernd zu einer höheren Lernmotivation und zu besseren Lernergebnissen führt“ (ibid.). Bildung lässt sich traditionell als Aneignung tradierter Bestände von deklarativem und prozeduralem Wissen definieren. Umfang oder Konturiertheit dieser Wissensbestände sind allerdings - und dies erschwert die Bildungsdiskussion erheblich - infolge der unbegrenzten Verbreitung der digital-elektronischen Wissensfluten durch die Neuen Medien zunehmend erweitert, amorph und undefinierbar geworden. Diesen Paradigmenwechsel hat der Kommunikationswissenschaftler Manfred Faßler (1997: 118) auf den Punkt gebracht: Information hat den Platz in der Organisation von Wissen und Handlung übernommen, den bis vor wenigen Jahrzehnten Tradition einnahm. Analog zur ‚Flucht in die Methode‘ lässt sich in der Fremdsprachendidaktik eine Flucht in die Techniken der Informationsverarbeitung feststellen. Es erscheint dies angesichts der für die Informationsgesellschaft dringend erforderlichen und essenziellen Fähigkeit des Zurechtfindens in ungeheuren Wissensmengen allerdings als eine teilweise notwendige Flucht nach vorn. Wie Bernd Rüschoff und Dieter Wolff in ihrem ‚Klassiker‘ zu diesem Thema, Fremdsprachenlernen in der Wissensgesellschaft. Zum Einsatz der Neuen Technologien in Schule und Unterricht (1999), betonen, geht es dabei nur sekundär um Faktenwissen. Primär gilt es, Suchstrategien zu entwickeln, <?page no="44"?> Problemstellung - Überblick 30 um relevantes Wissen zu erwerben (ibid.: 19ff.). Dabei werden allerdings traditionelle Wissensinhalte zugunsten von Fähigkeiten der aktiven, eigenverantwortlichen Informationsaneignung und -verarbeitung verdrängt. Welche weiteren Veränderungen die radikal transformierte Welt der Neuen Medien auslöst, soll im letzten Teil dieses einführenden Kapitels mit besonderem Bezug auf Fremdsprachenlernen, Kommunikation sowie die Wahrnehmung von anderen Kulturen umrissen werden (vgl. eingehender Kap. 6.3). 1.6 Neue Medienwelt - neue Weltwahrnehmung, neue Kommunikation ‚ Mediatisierung‘ von Wahrnehmung und Kommunikation Es gibt kein neues Medium, welches nicht alsbald von Erziehern und Didaktikern entweder mit Enthusiasmus oder mit Ablehnung in Hinblick auf seine Bedeutung für Unterricht und Bildung bewertet wird. Dies war bereits mit dem Fernsehen so, welches von Magnus Enzensberger (1988b) als „Nullmedium“ diskreditiert und von Neil Postman (1988) als Sedativum der Spaßgesellschaft mit verheerenden pädagogischen und sozialen Folgen („Wir amüsieren uns zu Tode“) gebrandmarkt wurde. Und allgemein wurde dem visuellen Unterhaltungsmedium teils resignierend, teils mit stillschweigender Akzeptanz die Rolle des wahren, ‚heimlichen‘ Erziehers zugestanden. Die Bedeutung der Medien für Erziehung, Unterricht und Bildung hat nun mit den Neuen Medien, vor allem dem Internet, einen regelrechten Quantensprung erfahren. Bodo Kirchhoff (2009: 145) hat hier sarkastisch formuliert: „Unsere Kinder haben längst drei Elternteile, Mutter, Vater und die Medien.“ Im Verbund mit der Globalisierung und der Ausbreitung von lingua franca- Kommunikation auf Englisch eröffnen die Neuen Medien, so ist wertneutral zu konstatieren, dem Englischunterricht einerseits eine neue, erweiterte Bedeutungsdimension, andererseits eine Vielzahl von medialen Potenzialen. Sie liefern reichen linguistischen Input und unzählige Angebote, ja sogar Verlockungen zur Kommunikation in der Zielsprache. Dietmar Rösler (2007: 220f) fasst diese Erkenntnisse nicht nur für den von ihm untersuchten Bereich des ‚E-Learning‘ passend zusammen: Zunehmende Globalisierung bedeutet für Fremdsprachendidaktiker [...] nicht eine Reduktion auf die Weltsprache Englisch, sondern die reizvolle Aufgabe, bei Anerkennung der Dominanz des Englischen als internationalem Kommunikationsvehikel die kulturelle Vielfalt und die Vielfalt der Blickwinkel zum Gegenstand ihrer Bemühungen zu machen. Ich glaube, es ist für den immer stärker werdenden internationalen Verkehr von Gütern, Konzepten und Menschen unerlässlich, dass die Kulturgebundenheit von Konzepten und Handlungsweisen verstanden wird, und dieses Verstehen entwickelt sich am besten in einer intensiven Auseinandersetzung mit den Menschen und der Sprache sowie den Produkten einer Kultur. Das Thema des interkulturellen Austauschs - auch gerade von unterschiedlichen Kulturkonzepten - wird in den einzelnen Kapiteln dieses Buches eingehender zu betrachten sein. Einführend und umfassender sollen an dieser Stelle einige bisweilen in der Fremdsprachendidaktik eher vernachlässigten Aspekte der ‚Mediatisierung‘ durch die Neuen Medien betrachtet werden. Die Bedeutung der Neuen Medien lässt sich für vier für den Fremdsprachenunterricht relevante Bereiche beschreiben: <?page no="45"?> Problemstellung - Überblick 31 (1) Die Rolle der Medien bei der Bildung und Erziehung. Hier geht es um Fragen des Mediengebrauchs (Stichwort: ‚Demokratisierung des Lernens‘ oder ‚mediale Verdummung‘, vgl. Volkmann 2005b). (2) Die Frage nach Techniken und Strategien bei der Informationsaneignung und -verarbeitung (vgl. das oft auf diese ‚technischen‘ Aspekte reduzierte Schlagwort ‚Medienkompetenz‘). (3) Die durch die Neuen Medien veränderten Kommunikationsformen und Arten der Weltwahrnehmung. (4) Damit verbunden die veränderte Formung des ‚Bildes‘ von anderen Kulturen. Aus medientheoretischer, aber auch aus anthropologischer, soziologischer und psychologischer Sicht sind vor allem die beiden letztgenannten Veränderungen hier einer kurzen Erörterung wert. Denn diese sind zwei sich sukzessiv weiter entwickelnde Bestandteile des Globalprozesses, die den Fremdsprachenunterricht deutlich transformieren. Zur Erklärung dieser Veränderungen bei menschlicher Kommunikation und Wahrnehmung muss dabei auf die allgemeine Funktion von Medien eingegangen werden. Die hat der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan (1965) mit der prägnanten Bezeichnung der Medien als „extensions of man“ beschrieben. Gemäß dieser für das Verständnis der Funktion von Medien zentralen Metapher wirken Medien auf eine höchst ‚durchdringende‘ und umfassende Weise: Neue vom Menschen benutzte Medien fügen sich nicht allein wie ein Additum zu den bisherig von ihm gepflegten kulturellen Praxen hinzu. Sie sind nicht allein Mittler in den kulturellen Handlungs- oder Kommunikationsräumen. Vielmehr verändert jedes neue Medium die bisherigen Umgangspraktiken mit sämtlichen bis dahin dem Menschen zur Verfügung stehenden Medien - und darüber hinaus verändert es menschliche Kommunikations- und Handlungsweisen insgesamt. Begründet ist dies in der Anthropologie des Menschen, den der Volkskundler Arnold Gehlen als ‚Mängelwesen‘ bezeichnet hat (bekanntlich beschrieb schon Sigmund Freund 1930 den Menschen als einen ‚Prothesengott‘). Menschliche Sinne, so Gehlen und mit ihm McLuhan, sind weitaus weniger als die der Tiere ausgeprägt. Sie bedürfen artifizieller Konstruktionen als Organersatz. Diese dem Menschen eigene „exzentrische Positionalität“ (Karpenstein-Eßbach 2004: 20) bedeutet bei der Verwendung der Medien gleichsam eine Erweiterung des zentralen Nervensystems, bis in kapillarische Verästelungen hinein. McLuhan, dessen Theorien sich in den 1960er Jahren hauptsächlich auf Fernsehen, Radio und Telefon bezogen, erkennt die Auswirkung der elektronischen Medien als globale Veränderungen; Menschen werden „nomadenhafte Wissenssammler“ (McLuhan 1965: 43) - „with electricity we extend our central nervous system globally, instantly interrelating every human experience“ (ibid.: 358). Veränderte Medien und veränderte Medienpraxen generieren verändertes Kommunikationsverhalten, überhaupt neues Selbst- und Weltverstehen. Denn Medien sind, nach diesem Verständnis, selbst „sozialer Handlungsraum“ (Faßler 1997: 129). Diese Veränderung wirkt sich im Fall der digital-elektronischen Medien besonders stark in zwei Richtungen aus: Einerseits ‚enteignen‘ sie die (unmittelbare) sinnliche Wahrnehmung und Kommunikation, andererseits erweitern sie die menschlichen Sinnes- und Kommunikationstätigkeiten hinein in den Bereich des Virtuellen und Sekundärwie Parallelweltlichen. Die von McLuhan untersuchten Auswirkungen <?page no="46"?> Problemstellung - Überblick 32 von Film, Fernsehen und Telefon waren somit erst der Anfang einer Entwicklung der extensions of man, die sich mit Internet, Cyberspace und dem interaktiven Web 2.0 rasant fortentwickeln. Diese Medien begleiten und verstärken zugleich einen allgemeinen Strukturwandel in der Verfasstheit unserer Kultur. Diesen fundamentalen Wandel hat man vielfach mit der Abwendung vom gedruckten Wort und dem Leitmedium Buch (‚Ende des Gutenbergzeitalters‘) und der Hinwendung zum Visuellen, Ikonischen, zum Leitmedium Bild erklärt. Der einstige Literaturwissenschaftler und jetzige Medientheoretiker W.J.T. Mitchell liefert hierfür den Begriff des iconic turn oder pictorial turn (Mitchell 1994: 11ff., vgl. A. Assmann 2006: 79). Die Welt der virtuellen Bilder schafft ihre eigene artifizielle Welt der Sinnestätigkeiten und Wahrnehmungen - ‚Sekundärwelten‘. Diese existieren allerdings - im Sinne des Verständnisses der Medien als Erweiterung des menschlichen Nervensystems - nicht unabhängig von ihren Benutzern. Vielmehr ergeben sich vielfältige Wechselbeziehungen. Der französische Medienphilosoph Jean Baudrillard hat bereits in den 1990er Jahren diese Verflechtungs- und Überlagerungsmomente eingehend beschrieben und dabei den Kernterminus der ‚Welt als Simulakrum‘ geprägt: Das Verständnis der Welt, sogar deren Gestaltung orientiert sich immer mehr an den in der virtuellen Welt entwickelten Mustern. Letztlich sind reale Welt, Welt des Gehirns und virtuelle Welt nicht mehr klar voneinander zu trennen: „Der Bildschirm des Computers und der mentale Bildschirm meines eigenen Gehirns stehen in einem Möbiusschen Verhältnis, sie sind verflochten wie in einer Möbiusschen Schlaufe.“ (Baudrillard 1990: 258) Und zunehmend beschränkt sich der „geistige Horizont des Subjekts auf den Umgang mit seinen Bildern und Bildschirmen“ (ibid.: 252f.). Die Verflechtung von Mensch und Maschine führt zu einem „Zustand anthropologischer Ungewissheit“ (ibid.: 260), deren Folgen noch nicht zu übersehen sind. Hybride Kommunikationsformen - virtuelle Fremdwahrnehmung Welche Auswirkungen hat diese Veränderung des menschlichen Erfahrungs- und Wahrnehmungskosmos nun auf das Englischlernen und den Englischunterricht? Es scheinen, wie oben unter (3) und (4) ausgeführt, vor allem zwei Veränderungen von Bedeutung: Durch die medialen Umwälzungen ergeben sich vielfältige neue Kommunikationsformen, die von traditioneller face to face-Kommunikation oder den Gepflogenheiten der schriftlichen Kommunikation erheblich abweichen. Diese Kommunikationsformen stellen einen wesentlichen Teil der kommunikativen Tätigkeit nicht nur heutiger Schüler/ innen, sondern auch der zunehmend Internetsozialisierten Gesamtbevölkerung dar. Sie finden im Bereich von Vereinfachung, Visualisierung, Intermedialität und hybridem Sprachgebrauch statt. Typisch für den hybriden Sprachgebrauch zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist das ‚Chatten‘ im Internet, welches eine dem Mündlichen angenäherte Form schriftlichen Ausdrucks ist und durch visuelle Elemente (Emoticons) ergänzt werden kann. Neue virtuelle Kommunikationsräume formen neue Kommunikationsformen: Chatrooms, Blogs, Twitter, Skype, Facebook, Ebay usw. Typisch sind verschiedene Formen von Kurzmitteilungen mit entsprechenden Kürzeln (lol, cu usw.) oder teils bewegten Emoticons wie oder ; -). Typisch ist auch eine große Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten, die sich in der Regel wenig auf korrekten Sprachgebrauch im herkömmlichen Sinn ausrichten, sondern an fluktuierenden Usancen und modischem <?page no="47"?> Problemstellung - Überblick 33 Insider-Slang. Die Kommunikation orientiert sich dabei an internationalisierten Formen des Englischen. Teilweise ist sie allerdings auch geprägt von sprachlichen Eigenheiten der mehr oder minder kurzlebigen, mehr oder minder fest gefügten ‚Internet-Communities‘, die ihre eigenen Zugehörigkeitscodes entwickeln. Somit verfügen Jugendliche über ein erheblich erweitertes Repertoire an Kommunikationsmöglichkeiten in der englischen Sprache und eignen sich funktionale, auf die jeweilige Community ausgerichtete Sprach- und Kommunikationsmuster in der Regel autonom und adaptiv an. Es bleibt die Frage, inwieweit Lehrkräfte, die oftmals technisch und mit Bezug auf aktuelle Moden weniger auf der Höhe der gegenwärtigen Internet-Kommunikationsformen stehen, hier der jüngeren Generation gegenüber als kompetente Wissensvermittler fungieren können. Eher bestehen hier Möglichkeiten einer für beide Seiten interessanten und möglicherweise motivierenden Umkehrung bisheriger Lehrer-Lerner-Hierarchien; zudem kann und sollte die Lehrkraft die Kommunikation in englischsprachigen Internetforen anregen und fördern. Da sich der von Baudrillard beschriebene ‚Zustand anthropologischer Ungewissheit‘ bei Lernenden vor allem im Verlust traditioneller, aus der Schriftkultur stammenden Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Kommunikation (vor allem im Bereich Schreiben und Lesen) äußert, gilt es insbesondere, wie in Kapitel 6.3 ausgeführt, diese traditionellen Leitkompetenzen einzuüben und zu fördern. Dem ist Vorrang einzuräumen gegenüber modisch gewordenen, oftmals autonom im Reifeprozess angeeigneten Formen der visual literacy, die bisweilen zu stark auf Kosten der Leitkompetenz textual literacy in den Fokus des Unterrichts gerät. Eine andere Auswirkung der Neuen Medien hat der Fremdsprachenunterricht gleichfalls zu berücksichtigen. Die Produkte der Zielkultur(en) stehen mit dem Internet in bisher ungeahnter Mannigfaltigkeit und Menge zur Verfügung. Was wir hierbei erhalten ist jedoch - im Sinne Baudrillards oder anderer Vertreter postmoderner Theorien - immer nur repräsentiert, vermittelt und inszeniert. Es ist Teil des medialen Simulakrums, in der Regel ausgerichtet auf schnelles Wecken der Aufmerksamkeit, sofortige Verwertbarkeit, rasche Befriedigung von Sinnes- oder Erkenntnisbedürfnissen. Die Repräsentation des Fremden in der virtuellen Welt neigt so zu drei Tendenzen, die ein einseitiges Bild formen können: (1) Visuelle Fremdheit: Das ‚Bild‘ der fremden Kultur wird stark von visuellen Stimuli bestimmt. Es sind dies in der Regel Bilder von hohem Wiedererkennungswert, örtliche, geografische oder andere, mit geradezu mystischer Bedeutung aufgeladene ‚Ikonen‘, im Fall Amerikas etwa von Uncle Sam bis zur Freiheitsstatue. Das Geografische wird betont durch Google Earth und Webcams, die Echtzeitbilder bestimmter Lokalitäten übertragen usw. Dazu gehört auch die Visualisierung nationaler und ethnischer Eigenheiten in Form von stereotypen Darstellungen. (2) Entterritorialisierung des Fremden: Weiterhin besteht in vielen internationalen Chatrooms, Fan-Foren usw. der Trend einer Entterritorialisierung der Kommunikationsbräuche (vgl. Rösler 2007: 221). Es geschieht ein Angleichen von Geschmack, Vorlieben, Hobbies usw., bei Mode, Musik, Sport, Essen bis zu den üblichen Produkten multinationaler Konzerne. Es entsteht ein oft oberflächliches Gefühl der Gemeinsamkeit. Interkulturelle Differenzen oder Spannungen können dabei ignoriert werden. Zugleich besteht eine gegenläufige Tendenz zur Exotisierung des Fremden: <?page no="48"?> Problemstellung - Überblick 34 (3) Spektakel des Fremden: Simultan überwiegt - vor allem bei kommerziellen Anbietern zu bestimmten Regionen, aber auch bei Video-Foren oder in der visuell orientierten Präsentation generell - ein sensationalistisches, plakatives, auf die Touristen- oder zumindest Konsumentenperspektive ausgerichtetes Bild der Fremdkultur. Das Fremde erscheint dabei, auch aufgrund der Fülle der Informationsangebote, als ein Dauerspektakel. Die gewöhnlichen Seiten des Alltags werden nicht thematisiert, tiefergehende Informationsvermittlung oder Problematisierung entfällt in der Regel. Die virtuell vermittelten Kulturbilder drängen auf verdichtete, simplifizierte, bunte Darstellung von fremdkulturellen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Sie bedürfen einer doppelten Ergänzung: (1) Vertiefung und Erweiterung durch komplexe, beispielsweise literarische (Schrift-)Texte, die vielschichtige, oftmals ambivalente Facetten der Fremdkultur erkennen lassen und die nach wie vor übergeordnete Kulturtechnik des Lesens fördern. (2) Die konkrete Begegnung mit anderen Sprechern des Englischen in face to face-Situationen. Bedeutete dies traditionell die Begegnung mit dem native speaker als Gast im Klassenzimmer, als Gastlehrkraft oder bei Exkursionen und Auslandsaufenthalten, kann dies heute auch zunehmend die Begegnung in ähnlichen lingua franca-Szenarien sein, die von der Lehrkraft herbeizuführen wären. <?page no="49"?> 2. Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 2.1 Vorstellungen von Kultur - Auswirkungen auf die Fremdsprachendidaktik Konjunktur des Kulturbegriffs Ziel dieses Kapitels ist es, einen theoretisch-reflexiven Rahmen für den sprach- und kulturorientierten Fremdsprachenunterricht zu skizzieren. Hierzu ist es nötig, die in geisteswissenschaftlichen Fachdisziplinen stark entfachte Debatte zum Verständnis des Gesamtkomplexes ‚Kultur‘ und damit zu den Themenfeldern und Erkenntnisinteressen der Kulturwissenschaft insgesamt darzustellen. Dabei gilt es zunächst zu konstatieren, dass keine Einführung in die Kulturwissenschaft und kein kulturwissenschaftliches Seminar ohne eine eingehende anfängliche Erörterung des ‚Kulturbegriffs‘ auskommt (vgl. z.B. Teske 2002: 14ff., A. Assmann 2006: 9ff.). Die Debatte über das, was darunter zu verstehen ist, hat Konjunktur. Sie lässt sich eingehend verfolgen, wenn man die in den einschlägigen Textsammlungen abgedruckten Ausschnitte aus Werken hochrangiger Wissenschaftler/ innen und deren Beschreibung bzw. Verständnis von Kultur liest: Hierbei dürfen gängige Stellungnahmen zum Kulturverständnis nicht fehlen, insbesondere von Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Wilhelm Dilthey, Georg Simmel, Max Weber, Aby Warburg, Sigmund Freud, Ernst Cassirer, Theodor W. Adorno, Michel Foucault, Thomas S. Kuhn, Marshall McLuhan, W.J.T. Mitchell, Clifford Geertz, Stephen Greenblatt, Judith Butler und Niklas Luhmann (vgl. etwa Wirth 2008). Es kann in diesem Buch zur Didaktik der englischen Sprache und Kultur nicht darum gehen, unterschiedliche Definitionen eingehend abzuwägen oder eine bündige Definition von Kultur zu liefern. Zu konstatieren ist, dass die übliche Debatte zur ‚Kultur‘ - unter Erörterung historischer Dimensionen und unterschiedlicher Definitionsversuche verschiedener Wissenschaftsdisziplinen (vgl. z.B. Stierstorfer, Volkmann 2005, Straub 2007) - auf ein weitgehend offenes, entgrenztes, wenn nicht gar ausuferndes Verständnis dessen hinausläuft, was dem Bereich der ‚Kultur‘ zuzurechnen ist. Der kleinste gemeinsame Nenner ist dabei ein semiotisches Verständnis von Kultur: als ein diachron und synchron in immer neuen sozialen Konfigurationen verhandeltes System von mit Bedeutung aufgeladenen ‚Zeichen‘ oder ‚Texten‘. Gängige Metaphern sind entsprechend die der Kultur als Hypertext, Spiel der Texte, Spiel der Zeichen, kulturelles Gewebe, textuelles Gewebe usw. Warum erscheint auch aus fremdsprachendidaktischer Sicht eine eingehendere Bezugnahme auf derzeit debattierte Kulturdefinitionen und -konzepte wichtig? Hierfür möchte ich zwei essenzielle Gründe nennen: (1) Zunächst liegt auch einem kulturelle Aspekte nur in geringem Maße berücksichtigenden oder sie ausblendenden Fremdsprachenunterricht ein bestimmtes Kulturkonzept zugrunde. Dieses ließe sich - je nach Schwerpunktsetzung - als rein ökonomisch orientiertes oder inhaltsent- <?page no="50"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 36 leertes oder ‚transkulturell‘ orientiertes Kulturverständnis definieren. (2) Zum anderen ließe sich jede interkulturell orientierte Unterrichtsstunde gleichfalls mit Blick auf das dahinter liegende Kulturverständnis beschreiben. Jede Unterrichtsstunde, im Grunde genommen jede Äußerung zur anderen Kultur setzt ein bestimmtes Verständnis von Kultur und Fremdkultur voraus, welches dahingehend hinterfragbar erscheint, welche Aspekte es präferiert und welche es marginalisiert oder ausblendet. Uwe Wirth (2008: 9) hat für die Kulturwissenschaft formuliert: „Was Kulturwissenschaft ist, wird ‚irgendwie’ durch den gewählten Kulturbegriff bestimmt.“ Analog dazu ließe sich formulieren: Was Fremdsprachendidaktik ist, wird gleichfalls in hohem Maße von dem gewählten Kulturverständnis bestimmt. Und dieses sollte entsprechend reflektiert sein. Man kann demnach, so die einfache Feststellung, keinen Unterricht ohne ein implizites Kulturverständnis gestalten. Umso wichtiger scheint es, dass Lehrkräfte und auch Lernende (in adäquatem Maße) dazu befähigt sind, über Kultur zu reflektieren. Dazu gehören einerseits Einblicke in die große Bandbreite kultureller Phänomene, aber auch ein Verständnis dafür, wie kulturelle Phänomene in menschlichen Gesellschaften stets hierarchisch-wertend zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das hier diskutierte Verständnis von Kultur erhält im Fremdsprachenunterricht und in der interkulturellen Begegnung mit Texten oder Menschen anderer Länder zusätzliche Dimensionen. Sie sind im übernächsten Kapitel zu Problemen des Fremdverstehens zu erörtern (Kap 4.). Es geht dabei um ein als Verständigungsprozess zu begreifendes Beziehungsgefüge aus folgenden drei Elementen: (1) Das Verständnis von Kultur bezogenen auf die eigene Kultur (Eigenkulturverständnis), (2) das Verständnis der anderen Kultur, wie diese durch die eigene Perspektive wahrgenommen wird (Fremdkulturverständnis), und (3) die Aushandlungsprozesse zwischen diesen beiden Perspektiven (wobei Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen den Kulturen festgestellt werden). Nicht-normative Verständnisse von Kultur Die ‚Gretchenfrage‘ bei Definitionen von Kultur ist stets die Frage nach der wertenden Differenzierung. Inwieweit also werden Fragen der Binnendifferenzierung innerhalb eines erweiterten oder gar aufgelösten Kulturverständnisses aufgeworfen? Wie steht es mit Konstruktionen von kulturellen Differenzen und Hierarchien? Entstehen Dichotomien zwischen hohen und niedrigen, elitären und populären, höherwertigen und minderwertigen, gar ästhetisch bedeutsamen oder moralisch abzulehnenden Kulturphänomenen? Aleida Assmann, selbst implizit Vertreterin eines an der Höhenkammliteratur orientierten Kulturbegriffs, erklärt das gegenwärtige Interesse an Kulturdefinitionen und die selbstbespiegelnden Verortungen der Kulturwissenschaft als interdisziplinäres neues Wissenschaftsparadigma als eine - letztlich nicht zu befriedigende - Sehnsucht, eine „Antwort auf den tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft und unserer Welt(un)ordnung“ (A. Assmann 2006: 14) zu erhalten. Zum anderen, so Assmann, werden Kunst und Literatur, einst die privilegierten Areale der Hochkultur, mit dem Durchlässigwerden der Disziplingrenzen und dem vorherrschenden Verständnis von Intertextualität zunehmend als Teil eines sie umgebenden Kulturkontextes verstanden. In der intertextuellen ‚Einbettung‘ <?page no="51"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 37 droht sukzessiv ihr Statusverlust. Dem entspricht, dass Kultur gängigerweise nach einem nicht-normativen, weitgehend enthierarchisierten Verständnis definiert wird. Zunächst lässt sich von frühen, ursprünglichen Bedeutungsdefinitionen ausgehen, denen gemäß Kultur als Pflege der Natur durch den Menschen verstanden wird (vgl. Sapir 1958 [1949]: 79). „Dabei bedeutet ‚Kultur’ schlicht ‚die Welt des Menschen’.“ (Orth 2000: 29) Auch die Natur wäre entsprechend ein vom Menschen erst mit Bedeutung ausgestatteter „Problem- und Bedeutungsraum“ (ibid.). Je nach dem Grad anthropozentrischer Vorstellungen lässt sich dabei das Kulturverständnis vis-àvis der Natur als ein Miteinander oder ein Gegeneinander begreifen. Der Kulturbegriff ist damit entgrenzt auf das, was der Mensch (gedanklich) gestaltet gegenüber dem natürlich Vorgefundenen oder gedanklich so Belassenen. Er ist ausgerichtet auf den Menschen, der in seinen alltagspraktischen Lebensvollzügen diese mit Sinnhaftigkeit und Werten behaftet. Die Konzentration auf Kultur als Ensemble kollektiver Wahrnehmungsmuster, welche die Wirklichkeitskonstruktion eines jeden teilhabenden Individuums formen, findet sich bereits bei Max Weber: „Kultur ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens.“ (Zit. in Guttandin 1998: 107) Kultur ist also, so eine wertneutrale Definition, kollektiver Wissensbestand. Sie ist die Gesamtheit der von den Mitgliedern einer Gemeinschaft oder Gesellschaft gelernten und geteilten Verhaltensmuster, Werte und Normen, die sich in Handeln ausdrücken (vgl. z. B. Kamm 1996: 88, Oksaar 2003: 19). Diese anthropologisch akzentuierte Definition erfährt, wenn man sie mit den Fachtermini der Medienwissenschaft formuliert, eine noch deutlicher wertungsfreie Zuspitzung. Manfred Faßler (1997: 95) verwendet erkennbar die Begrifflichkeit der Informatik, wenn er Kultur als „Speichermechanismus“ und „Selektionsapparat“ begreift: Die getroffene Auswahl an Erfahrungen, Erlebnissen, Werten usw. kann erhalten werden durch die Herstellung von Speichern (Texten / Gebäuden / Orten), die der nachfolgende Nutzer über Hinweise (Indikation) aufnehmen oder ablehnen kann. Kultur als normativ-hierarchisches Gebilde Die Gretchenfrage der Kulturdefinition bleibt bestehen: Wie hält man es mit der ‚elitären‘ Hochkultur? Sie lässt sich konkreter noch formulieren mit der Frage nach der Bedeutung der Literatur, dem einstigen kulturellen Leitmedium der Geisteswissenschaften, Philologien und Fremdsprachendisziplinen. Ein überholtes elitäres Verständnis von Kultur ist emblematisch in dem Spruch des britischen Gelehrten F.R. Leavis ausgedrückt: Kultur, und für Leavis ist sie synonym mit Hochkultur, ist „the finest human experience of the past [...], the subtlest and most perishable parts of tradition“ (zit. in Easthope 1997: 7). Hiermit verbinden sich eindeutige Vorstellungen der Dominanz einer eurozentrischen, wenn nicht sogar anglozentrischen, weißen Schriftkultur, bei der sich u.a. ‚Kultur‘ gegenüber der minderwertigen ‚Zivilisation‘ abhebt. Weniger elitär beschrieb beispielsweise der Anthropologe Edward Sapir ein gegenüber neutralen Kulturdefinitionen enger gefasstes Kulturverständnis, welches sich am tradierten Bildungsgut orientiert. Dessen Aneignung deklariert Sapir (1958 [1949]: 80f.) zur Grundlage einer kultivierten Persönlichkeit („individual refinement“). <?page no="52"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 38 Ein ökonomisch orientiertes Beschreibungsinstrument für hierarchisch-normative Kulturvorstellungen haben der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen (1994 [1899]) sowie der französische Soziologe Pierre Bourdieu 1987 [1979]) geliefert. Sie lenken das Augenmerk darauf, wie kulturelle Hierarchisierungen mit Hilfe der Aneignung und Verwendung tradierter Bedeutungszuweisungen vollzogen werden. Beiden Soziologen geht es um die Konstruktion der feinen Differenzen und sozialen Schichtungen durch die Reproduktion von Machtdispositionen und Privilegien. Thorstein Veblen erklärte in seinem Klassiker The Theory of the Leisure Class (1899) Mechanismen der (kulturellen) Machtverteilung, wie sie vor allem aufgrund von ‚feinen Unterschieden‘ geschehen. Er beschreibt dabei die für die amerikanische Mittelklasse typischen Formen der conspicuous consumption, also eines Konsumverhaltens, welches über die Befriedigung der einfachen menschlichen Bedürfnisse hinausgeht und dabei fein ausdifferenzierte Formen der Geschmacksbildung demonstriert. Diese wirken sozial als ‚Torhüter-Mechanismen‘, da sie den Zugang zu begehrten Kreisen oder Positionen regeln. Ähnlich hat Pierre Bourdieu in seiner Analyse der französischen Bourgeoisie exemplarisch herausgearbeitet, wie sich (hoch-)kulturelles Wissen in Habitus und symbolischer Macht ausdrückt. Es ist als ‚kulturelles Kapital‘ verwertbar: Kulturelles Kapital, im allgemeinen der Besitz von Bildung, Wissen, Geschmack, läßt sich noch genauer aufgliedern. Es gibt a) objektiviertes kulturelles Kapital in Gestalt von Bildern, Teppichen, Musikinstrumenten; b) internalisiertes kulturelles Kapital in Gestalt von ästhetischen Urteilen; c) institutionalisiertes kulturelles Kapital in Gestalt von akademischen Titeln, Akademiepositionen, Zugehörigkeit zu Elitegremien. Viele Berufe hängen nach Bourdieus Auffassung von den verfügbaren Ressourcen an kulturellem Kapital ab. (Wehler 1998: 27) Ihre Verwertbarkeit ergibt sich aus der Kompatibilität mit anderen Formen des Kapitals: mit ökonomischem (materiellem), sozialem (Herkunft, soziale Netzwerke) und symbolischem Kapital (gesellschaftliche Wertschätzung, Erzeugung von Ehrerbietung und Abhängigkeit). Bourdieus Erkenntnisse lenken den Blick auf die soziale Funktion bestimmter symbolischer Güter und Praktiken: Die Gesellschaft wird durch Werte und Normen nicht allein integriert, sondern geradezu erschaffen. Er lenkt den Blick auf die Bedeutung von Konsumgewohnheiten, Freizeitverhalten und Geschmack (Nahrung, Kleidung, Möbel, Kunst, Literaturvorlieben usw.), die in innerer Kohärenz klassenspezifische Lebensstile und Modi der Lebensführung formen. Kultur - oder besser: Kultur in materiell gesicherten Regionen - besteht damit als eine Art „Wettbewerb der Lebensstile“ (Wehler 1998: 28). Kultur als Distinktionsmerkmal, als kulturelles Kapital: Dies bedeutet auch, dass sich interkulturelles Lernen als Aneignen von kompatiblen Wissens-, Fähigkeits- und Fertigkeitsbeständen darstellt, bildet es den Lernenden doch zum sprachlichinterkulturellen Experten für die Zielkultur(en) aus. Auch wenn es stark aus dem Bereich des soziologischen oder wirtschaftlichen Denkens stammt, verdeutlicht dieses wertende Verständnis von Kultur, dass Kultur eben nur theoretisch-abstrakt und neutral als vom Menschen kreierter ‚Sinn- und Bedeutungsraum‘ zu bezeichnen ist. Darüber hinaus besteht offensichtlich ein anthropologisches Bedürfnis, innerhalb dieses Areals Differenzierungen und Hierarchisierungen bei der Bedeutungszuweisung zu unternehmen. Darüber hinaus haben sich gängige dichotome Begriffspaare etabliert. Im Englischen gibt es das schwer übersetzbare Begriffspaar der low-brow <?page no="53"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 39 culture und der high-brow culture; kulturelle Halbbildung und Seichtheit wird bisweilen despektierlich der middle-brow culture zugeordnet. Hingegen kennt der englischsprachige Kulturraum weniger die in Deutschland gern vollzogene, aber stets bedauerte Unterscheidung zwischen E- und U-Literatur/ Kultur (also Ernst vs. Unterhaltung). Die Auflösung von kulturellen Dualismen wurde im letzen Drittel des 20. Jahrhunderts zum Programm verschiedener Theoretiker der Postmoderne, deren grenzenübergreifender, synthetisierender Anspruch mit dem bekannten anti-elitären Motto Leslie Fiedlers (1975, zit. in Zapf 1991: 215) - „Cross the Bridge - Close that Gap! “ - pragmatischen Ausdruck erhielt. Auch wenn die Postmoderne einen erheblichen Annäherungs- und Ausgleichsprozess für kulturelle Polaritäten bedeutet, bestehen weiterhin deutliche Wertigkeiten auf allen kulturellen Ebenen; sie erscheinen indirekter, verschleierter, weniger konventionalisiert. So mag das postmoderne Individuum dadurch gekennzeichnet sein, dass es sich in Bricoleur-Manier aus den verschiedenen kulturellen Bereichen seinen eigenen Lebensentwurf erstellt (vgl. Welsch 1988, Wittstock 1996). Es lebt als Mitglied vielfältiger in- und miteinander verschachtelter Kollektive und ‚bastelt‘ sich aus einer Vielfalt von Sinnangeboten und heterogenen kulturellen Äußerungsformen seine persönliche Identität selbst zusammen (Hitzler 1988: 133). Die Postmoderne erscheint eben gerade als Auflösung typischer „sozialmoralischer Milieus“ (ibid.: 132), in denen die Aufteilung zwischen E- und U-Kultur anachronistisch wirkt. Man mag heutzutage - um ein paar typische Beispiele zu wählen - eine Jeans von Gucci oder Hermes mit einem T-Shirt vom Discounter kombinieren, gleichzeitig Fan von Abba und Stockhausen sein, die großen niederländischen Maler und amerikanische Pop-Art, Independent-Kino und Bollywood zugleich genießen. Kulturelle Wertigkeiten und die Bedeutung von Distinktionsmerkmalen bestehen allerdings nach wie vor. Sie bestehen innerhalb bestimmter Kulturen - was damit ein großes Thema des interkulturellen Lernens sein sollte -, aber auch bei Kultur- und Literaturwissenschaftlern, Fremdsprachendidaktikern und nicht zuletzt bei den Fremdsprachenlernern. Es lassen sich dabei exemplarisch zwei unterschiedliche Reaktionen auf postmoderne Vermischungstendenzen aufzeigen. Die eine ist die weiterhin tradiert konventionelle Vorstellung, dass Anhänger der Hochkultur nur wenige Berührungspunkte mit den Konsumenten der Unterhaltungsindustrie aufweisen. Der bekannte britische Literatur- und Kulturwissenschaftler Antony Easthope formuliert dabei offen, was Gleichgesinnte eher verklausulieren: „Hardly anyone who enjoys Madonna also enjoys Milton and fans of Abba generally have little enthusiasm for Aeschylus.“ (Easthope 1997: 5) Fortschrittlicher und ‚postmoderner‘ erscheint hingegen eine Position, wie sie Andrew Milner, gleichfalls Literatur- und Kulturwissenschaftler, vertritt, der für eine Öffnung des ‚Textkanons‘ plädiert und sich dabei erhofft, Hochkulturelles mit Populärkulturellem in einen erhellenden Kontrast setzen zu können. Für Milner hieße die Parole demnach, dass der (universitäre) Unterricht sich mit Rambo und Rimbauld, King Kong und King Lear, Seifenopern oder ‚Real- Dokus‘ wie Big Brother genauso wie mit George Orwells Roman 1984 zu beschäftigen hat. The best kind of cultural studies, it seems to me, has no desire at all to substitute movies for Milton. Quite the contrary, it will study both. But it does insist, first, that we should take all aspects of our contemporary culture very seriously, including film and television, for they surely take us seriously, if only in the sophistication of their attempts to manipulate our af- <?page no="54"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 40 fections. And secondly, it insists that there are more interesting ways to approach canonical ‘literary’ texts than through acts of quasi-religious worship. (Milner 1996: 25) Die von Milner ausgedrückte Haltung gegenüber kulturellen Phänomenen bietet eine Betrachtungs- und Herangehensweise, welche sich generell für die Dialektik von Populär- und Hochkultur im (Fremdsprachen-) Unterricht empfiehlt. Sie trägt der herausragenden persönlichkeitsformenden und identitätsstiftenden wie auch motivationalen Bedeutung der Populärkultur Rechnung. Dennoch bleibt sie aufmerksam gegenüber den manipulativen Tendenzen von kommerziellen Massenprodukten. Zudem vermeidet diese Einstellung eine Hochkultur- und Klassikerverehrung, wie sie sich in blinder Schwärmerei, aber auch in einem überzogenen Klassikerkult ausdrücken kann. Nur allzu oft mündet dieser Kult darin, immerwährende, universale Wahrheiten in einzigartigen Kunstwerken zu suchen, deren ‚wahre‘ Bedeutung nur unter Anleitung einer wissenden Lehrkraft zu entdecken sei. Bevor wir im Folgenden etwas eingehender einige wichtige Aspekte des in den Kulturwissenschaften vorherrschenden semiotischen Kulturverständnisses vorstellen, sollte ein vorläufiges Fazit der bisherigen Debatte von nicht-normativen und normativen Kulturbegriffen gezogen werden. Denn das semiotische Kulturverständnis ist gleichfalls ein eher deskriptives, das verdeutlicht, welche Kulturbereiche wie miteinander verzahnt sind und mit Bedeutung versehen werden. Das semiotische Kulturverständnis ist zudem, wie Michael Byram (1989: 44) entsprechend formuliert hat, als „symbols-and-meaning-view“ das gegenwärtig in der Fremdsprachendidaktik bevorzugte Verständnis von Kultur. Angesichts dieses vorherrschenden erweiterten bzw. entgrenzten Kulturbegriffs gilt nochmals mit Aleida Assmann (2006: 10) festzustellen: Mit der „Relativierung von Haupt- und Nebensachen entsteht die Gefahr der Beliebigkeit und Indifferenz“. Eine Attitüde des anything goes, die bedeutende von unbedeutenden Kulturphänomenen nicht mehr unterscheiden will oder kann, erscheint höchst problematisch. Man würde bei der Präsentation einer anderen Kultur problematischem Halbwissen, banausiger Ignoranz oder gar achselzuckender Indifferenz Vorschub leisten. Wenn der Fremdsprachenunterricht seine Aufgabe ernst nimmt, Zugänge zur Welt des Anderen zu schaffen, wird er eine eingehende Reflexion über kulturelle Wertigkeiten nicht umgehen können. Dies inkludiert die Beachtung distinktiver Kulturphänomene, wie oben mit Bezug auf Veblen und Bourdieu ausgeführt. 2.2 Operationalisierbare Verständnisse von Kultur Kultur als Textgewebe und Zeichensystem Angesichts der anhaltenden Unübersichtlichkeit beim Verständnis von ‚Kultur‘ gilt nach wie vor die Einsicht der Germanisten Hartmut Böhme und Klaus R. Scherpe (1996: 14): Die Ausdehnung des Kulturbegriffs hat dazu geführt, dass heute von einer prinzipiellen Heterogenität nicht mehr vermittelbarer Kulturen gesprochen wird, die höchstens noch, unter der Voraussetzung der generellen Textualität von Kulturen, als ein Ensemble von Texten und Kontexten beschreibbar ist. <?page no="55"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 41 Dieses semiotische Verständnis von Kultur lässt sich anschaulich mithilfe folgender Grafik visualisieren: soziale Dimension (Zeichenbenutzer) Individuen Institutionen G esellschaft mentale Dimension (C odes) M entalitäten Selbstbilder N ormen und W erte materiale Dimension (‚Texte’) G emälde Architektur G esetzestexte literarische Texte Abb. 2: Der semiotische Kulturbegriff nach Posner (1991); vgl. auch Nünning, Sommer (2004: 18), Volkmann (2005: 279) Das Modell beschreibt damit, wie kulturelle Semantik innerhalb von Gesellschaften erzeugt wird, nämlich in einem interdependenten Prozess des Schaffens, Verteilens und Zirkulierens von Zeichen. Dabei erscheinen fünf konstitutive Elemente dieses Kulturbegriffs in der gegenwärtigen Diskussion besonders wichtig (vgl. z.B. Hallet 2002: 32ff., Hebel 2008: 1ff.): (1) Kultur als Zeichensystem: Kultur ist ein von Menschen mit Bedeutung aufgeladenes Zeichensystem (Semiotik). (2) Kultur als Text: Kultur wird häufig mit der Metapher des entgrenzten ‚Textes‘ oder Textgewebes, der ‚vertexteten Welt‘ beschrieben, womit Interdependenzverhältnisse hervortreten. (3) Kultur als dynamischer Prozess: Zugleich ist dieses Bedeutungsgewebe nicht statisch, sondern wird mit Metaphern der Dynamik wie ‚Zirkulation‘ beschrieben. (4) Kultur als Arena der Konflikte: Kultur ist demnach culture in action, ein konfliktgeladener, auf Dissenz und Heterogenität beruhender Wettbewerb, bei dem es sozusagen um die Bedeutungshoheit über bestimmte Zeichensysteme geht. (5) Interkulturelles Verstehen als ‚Bedeutungsaushandlung’: Damit ist der auf die Fremdkultur bezogene Verständnisprozess ein komplexer Aushandlungsprozess zwischen zwei dynamischen eigen- und fremdkulturellen Zeichensystemen. Im Folgenden seien diese miteinander verzahnten Elemente des gegenwärtig in den Kultur- und auch Literaturwissenschaften dominanten Kulturbegriffs kurz erläutert: <?page no="56"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 42 (1) Kultur, so das weit ausgreifende Grundverständnis der Semiotik, existiert nur auf der Grundlage von Zeichensystemen. Es geht um Bedeutungszuweisung, um ‚Signifikation‘ (Eco 1991 [1976]). Diese ist grundsätzlich kulturvermittelt und durch entsprechende kulturspezifische Konventionen und Standards geformt. Die Bedeutung von Zeichen ist jedoch stets von einem mehr oder weniger hohen Grad von Arbitrarität und Unbestimmtheit bei der Encodierung (Bedeutungszuweisung), Dissemination (Verbreitung von Zeichen, z.B. medial) und Decodierung (Entschlüsselung von Bedeutung) gekennzeichnet. Diese semiotische Grundeinsicht erscheint speziell auch bei der interkulturellen ‚Verhandlung‘ einzelner sprachlicher bzw. semantischer Zeichen oder Zeichensysteme bedeutsam. (2) Analog zur Vorstellung eines dynamischen Zeichensystems lässt sich Kultur auch als dynamisches Textgewebe verstehen. Das menschliche Individuum wird entsprechend als ein Wesen begriffen, welches sich in einem ‚selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe‘ bewegt. Um eine oft beachtete Definition des amerikanischen Anthropologen Clifford Geertz (1973: 5) zu zitieren: Believing, with Max Weber, that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs [...]. Ähnlich begreift ein weiterer bedeutender Anthropologe Kultur als „an assemblage of texts, loosely and sometimes contradictorily united” (Clifford 1988: 41). Damit klingt das gegenwärtige Verstehensparadigma eines total entgrenzten Textbegriffs an, dessen potenziell unendliche Verweisstruktur entsprechend auch mit den Strukturen eines Hypertextes verglichen wurde (vgl. Hallet 2002: 102ff., Altmayer 2004: 192). In radikalen Denkrichtungen des Dekonstruktivismus und des Poststrukturalismus (Jacques Derrida, vgl. Zapf 1991: 197ff., Hebel 2008: 403ff.), welche die kulturwissenschaftliche Diskussion teilweise stark prägten, wurde der Wissenschaftsdiskurs bis über die Grenzen seiner praktischen Anwendbarkeit hinaus gedehnt. Dabei erscheinen kulturelle Phänomene als Bestandteil eines linguistischen Gewebes. Sie sind nur über das Medium der Sprache fassbar und lösen sich auf im frei flottierenden Spiel des endlosen Aufhebens und Weiterverweisens von Bedeutung - somit sind sie ein Sprachspiel ohne Ziel, Richtung und letztlich sinnlos: „[T]here is no intrinsic order to the world itself other than the ordering which we impose on it through our linguistic description of it.“ (Mills 1997: 52) Derartige poststrukturalistische Gedankenakrobatik mag zwar anmahnen, den instabilen und fluktuierenden Wandel von kultureller Bedeutung nie zu vergessen, erweist sich als heuristisches Erkenntnisinstrument allerdings schlichtweg als unbrauchbar, wirkungslos, weltfremd und im schlimmsten Fall verwirrend. (3) Für das Element der dynamischen Entstehung und Veränderung von kultureller Bedeutung hat sich die Metapher der ‚Zirkulation‘ durchgesetzt, entsprechend der von dem New Historicist Stephen Greenblatt (1988) favorisierten Vorstellung von Kultur als ‚Zirkulation sozialer Energie‘. Kultur ist demnach als prozessual zu verstehen, als „the ensemble of social processes by which meanings are produced, circulated and exchanged” (Thwaites et al. 1994: 1). Es interessieren entsprechende Phänomene: „culture in action, culture as lived in the performances and narratives of individual and collective human actors” (Montrose 1992: 399; vgl. zu Vorstellungen eines dynamischen intertextuellen Universums Pfister 1985: 6f., 12f.). <?page no="57"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 43 (4) Kultur als Feld der semiotischen Bedeutungsaushandlung ist zugleich eine Arena des allgegenwärtigen Konflikts, des Kampfes um Bedeutungszuweisung. Dieser ‚Machtkampf‘ besteht dabei keineswegs, wie in traditionellen Erklärungsparadigmen (Marxismus, Feminismus usw.) noch beschrieben, als von einer dominanten Gruppe verbreitetes „stable and coherent world picture that is shared by all members of the social body” (Montrose 1992: 397). Die Hoheit über die Zeichen, die Kontrolle über Bedeutungszuweisung ist stattdessen von Heterogenität, von Interdependenzen geprägt: Die Bereitschaft, sich kulturellen Dominanzstrukturen zu unterwerfen, wie der Wille, gegen sie aufzubegehren und andere Kulturformen zu bevorzugen - Affirmation und Subversion -, stehen dabei, wie oftmals diskutiert wurde, in einem schwierig zu entschlüsselnden Beziehungssystem (Greenblatt 1988, Antor 1997). Verdeutlichen lässt sich diese Vorstellung von Kultur als dynamischem, konfliktbeladenem ‚Zeichenuniversum‘ an einem Beispiel, welches bereits Umberto Eco in Ansätzen beschreibt (vgl. Mersch 1993: 106) - dem Emblem des Totenkopfes. Eine universal erkannte Bedeutung ist dabei ‚Gift‘, wenn dieses auf einer Flasche abgebildet ist. An einem Leitungsmast angebracht, markiert es ‚Hochspannung‘, an eine Tür genagelt ‚Gefahr‘. Wenn der Totenkopf auf einer schwarzen Fahne abgebildet ist, signalisiert dies ‚Piraten‘, an eine Jacke geheftet die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Faschisten (‚Totenkopf-SS‘). In bestimmten Gesellschaften findet sich ein relativ respektloser Umgang mit Totenkopfzeichen, wie z.B. in mexikanischen Varianten des Totenkults, die darauf abzielen, die Macht des Todes zu bannen. Ähnlich wie das Kreuz, Symbol des christlichen Glaubens, welches inzwischen als modisches Accessoire auch atheistische oder agnostische Träger und Trägerinnen (vgl. den Popstar Madonna) schmückt, findet der Totenkopf als eine Art globale Ikone Verwendung, beispielsweise bei den zunächst von Hollywoodstars, dann weltweit geschätzten Kleidungsstücken des Designers Ed Hardy. Es bleibt dabei unklar, ob hiermit eine gewisse Neigung zu Aufmüpfigkeit, Subversion, Furchtlosigkeit, Anderssein oder alternativen Formen elitären Chics signalisiert werden soll. Endgültig diffus wird die Bedeutung des Totenkopfs dann, wenn das Emblem inzwischen allgegenwärtig auf T-Shirts und Freizeitschuhen (nicht nur) jugendlicher Träger appliziert ist und damit semiotisch ‚ausdünnt‘. Interaktion zwischen Kulturen Das Zeitalter der Globalisierung ist geprägt durch diese globale Zirkulation und damit auch durch die globale Transformation von Zeichen. Lokal entstandene Bedeutungsformationen sind globalen Aneignungs- und Veränderungsprozessen ausgesetzt (vgl. Fiske 1989, 1990, Appadurai 1996). Insofern ist die vielen Theorien des Fremdverstehens implizit zugrundeliegende Dichotomie eigener und fremder Kulturverständnisse zwar nicht im Auflösen begriffen, aber doch vielfältigen globalen Homogenisierungstendenzen ausgesetzt. Trotz dieses Nivellierungsdrucks - der an späterer Stelle unter dem Begriff McDonaldisierung noch eingehender diskutiert wird - ist von grundsätzlich weiter existierenden Unterschieden von Kulturen auszugehen. Wenn wir also den Kulturbegriff, wie unter (5) oben aufgeführt, auch unter dem Blickwinkel betrachten, dass dazu die Begegnung unterschiedlicher Kulturen gehört, dann haben wir das Verstehen einer fremden Kultur entsprechend als ‚Aushandlungsprozess‘ zwischen eigen- und fremdkulturellen Zeichenformationen zu <?page no="58"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 44 erkennen. Vor allem Ethnologen und Anthropologen definieren ein derartiges Verstehen des Fremden als interpretierendes Begreifen, bei dem die Aufgabe des ‚teilhabenden Beobachters‘ darin besteht, zur Welt des Fremden Zugang zu erlangen - „to the conceptual world in which our subjects live so that we can, in some extended sense of the term, converse with them“ (Geertz 1973: 24). Der frühe Pionier der anthropologischen Feldforschung Bronislaw Malinowski bezeichnete es bereits 1922 bündig als Ziel dieses hermeneutischen Zugangs „[to] grasp the native’s point of view, his relation to life, to realize his vision of his world“ (zit. in Hanson, Martin 1973: 191). Die anthropologische Sichtweise auf andere Kulturen zeugt dabei von einem im Kern semiotischen Verständnis dieser Verstehensleistung, geht es doch darum, die bewusst oder unbewusst in der Fremdkultur kommunikativ-performativ umgesetzten Wissensbestände - diese „games of life“ (Keesing 1974: 279) - zu entschlüsseln. Entsprechend können dann deren Spielregeln nachvollzogen und gegebenenfalls bei der Interaktion berücksichtigt werden. Ebenso wie die Debatte zur Definition von ‚Kultur‘ beruht der Diskurs der Interkulturalität, wie eingehend von Jürgen Straub in dessen Überlegungen zu Verwendungsmustern im Bereich der Interkulturalität ausgeführt, auf semiotischen, anthropologischen und sozialwie kulturwissenschaftlichen Konzepten (vgl. auch Hallet 2002: 31ff.). Sie konzentrierten sich gleichfalls auf „jene Aspekte der Sinn- oder Bedeutungsstruktur unseres Handelns, seiner Voraussetzungen, Ergebnisse und Folgen [...], die kulturell (mit-)konstruiert sind“ (Straub 2007: 15). Das Verständnis der Fremdkultur entspricht insofern dem einer „variable[n] Mehrzahl von Personen, die in ein Bedeutungsgewebe aus Wirklichkeitsdefinitionen, Welt- und Selbstauffassungen, Deutungs- und Orientierungsmustern sowie - vor allem und zuerst - in kollektive symbolische, insbesondere sprachliche Praktiken eingebunden sind“ (ibid.). Bei der Konzentration des interkulturellen Ansatzes auf Fremdkulturen als symbolisch vermittelten Lebensformen, welche die Wirklichkeitskonstruktion ihrer Teilhabenden prägen, liegt das Augenmerk auf den „wechselseitig aufeinander bezogenen Handlungen von Akteuren [...], die sich auf der Grundlage partiell verschiedener kultureller Orientierungssysteme bewegen und in ihrem Dialog bzw. ihrer Diapraxis beständig zum ‚Übersetzen’ [...] angehalten sind“ (ibid.). Dieses ‚Übersetzen‘ oder Decodieren von Bedeutungssystemen der Fremdkultur verlangt dabei erhebliche Verstehensleistungen, geht es doch um Zeichensysteme oder Wissensbestände, die in der Fremdkultur „als selbstverständlich und allgemein bekannt und vertraut unterstellt [...] [sind], Wissensbestände, die den Hintergrund kommunikativer Handlungen bilden und als solche Kommunikation zwischen Subjekten erst ermöglichen, die aber in aller Regel selbst nicht thematisiert werden“ (Altmayer 2004: 244). Claus Altmayer betont in seinen theoretischen Grundlegungen zur Bedeutung interkulturellen Verstehens, dass ein wesentliches, konstitutives Element interkultureller Begegnungen oftmals darin besteht, dass lebensweltliches Hintergrundwissen als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Damit besteht die Aufgabe der kulturwissenschaftlichen und kulturdidaktischen Forschung - und auch Lehre - darin, „das in kommunikativen Handlungen als selbstverständlich vorausgesetzte lebensweltliche oder kulturelle Hintergrundwissen herauszuarbeiten und sichtbar zu machen“ (ibid.: 147). Auf der Basis dieser Verstehensleistung lassen sich Fähigkeiten zum produktiven, adäquaten und verständigungsorientierten Denken, Verstehen und Handeln entwickeln (vgl. Antor 2002: 143). <?page no="59"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 45 2.3 Von der Landeskunde zum interkulturellen Lernen Das Unbehagen an der Landeskunde An universitären Instituten für das Studium der Anglistik/ Amerikanistik im deutschsprachigen Raum wird der Begriff ‚Landeskunde‘ und der mit ihm verbundene Lehrbereich zunehmend durch ‚Kulturwissenschaft(en)‘ oder ‚Cultural Studies’ ersetzt (vgl. Kramer 2005, Delanoy, Volkmann 2006, Hallet, Nünning 2007). Der traditionell mit wenig akademischem Prestige ausgestattete und eher der Abteilung für Sprachpraxis zugeordnete Bereich des zielkulturellen ‚Hintergrundwissens‘ (entsprechend im Englischen als background studies, area studies oder British / American life & institutions bezeichnet) versucht dabei Anschluss zu finden an die sich zu kulturwissenschaftlichen Seminaren wandelnden Philologien der englischsprachigen Literatur(en). Entsprechend wird der Terminus ‚Landeskunde‘ auch im fachdidaktischen Diskurs seltener benutzt und in der Regel durch Kulturdidaktik, Cultural Studies oder gleich mit dem breiten Überbegriff des Interkulturellen Lernens ersetzt. Wer den Begriff gegenwärtig verwendet, setzt sich dem Verdacht aus, althergebrachtes Faktenwissen zu betonen und überholten Bildungsvorstellungen nachzuhängen. Oder man betont damit bewusst, dass es ohne ein gewisses Repertoire an Kenntnisständen (neudeutsch: Weltwissen) die viel geforderte interkulturelle Kompetenz nicht geben kann. Das Unbehagen an Konzepten der Landeskunde setzte verstärkt mit den 1970er Jahren ein (vgl. z.B. Klein 1992, Breidbach 2007: 64ff.). Der Begriff ‚Landeskunde‘ und die mit ihm verbundenen Konzepte hatten sich sukzessive nach 1945 im Zuge zweier aufeinander bezogener Grundtendenzen des Englisch- und Fremdsprachenunterrichts durchgesetzt. Zum einen kam es zu einer starken Entpolitisierung des Fremdsprachenunterrichts, die zum anderen mit einer entsprechenden Re-Philologisierung verbunden war. In den Zeiten des bundesrepublikanischen Konservativismus der 1950er bis späten 1960er Jahre griff man dabei zunächst auf das aus der Weimarer Republik stammende Konzept der ‚Kultur- und Volkskunde‘ zurück. Literarische Stoffe galten dabei einerseits als Quellen universal-humanistischer Werte bzw. als Lehrgut für demokratisch-abendländische Denkweisen. Zugleich schrieb man ihnen die besondere Funktion von primären und privilegierten Informationsquellen oder Quellen des Zugangs zum ‚Wesen‘ oder Charakter eines anderen Volkes zu. Dies erlaubte sowohl nach 1918 wie nach 1945 das Vermeiden politischer Themenstellungen, insbesondere nach 1945 die Abwendung von ideologischen Herangehensweisen. In der Weimarer Republik wurde dieses kulturkundliche Prinzip, welches von dem eigentlich positiven Grundgedanken getragen war, das ‚Wesen‘ eines anderen Volkes zu würdigen, jedoch zunehmend als Folie für das eigene ‚Volkstum‘ genutzt. Es war dies eine Sichtweise von fremdkulturellem Verstehen, welche bekanntlich im Nationalsozialismus ihre absolute Pervertierung erfuhr. So wurde zwischen 1933 und 1945 die Überlegenheit der eigenen Kultur herausgestrichen, gerade gegenüber dem ‚dekadenten amerikanischen Kapitalismus‘ und seiner multiethnischen Gesellschaft. Oder man betonte, je nach Lage in Außenpolitik oder Krieg, die Nähe oder Ferne zu den ‚arischen‘ angelsächsischen Inselbewohnern (vgl. die Beiträge in Kohl 2005). Nach dem radikalen Bruch mit dieser Form des ‚Kulturunterrichts‘ nach 1945 konnte erst in den 1970er Jahren das Konzept der Landeskunde „gewissermaßen neu belebt und um eine dezidiert sozialwissenschaftliche Perspektive aus Politik und Gesell- <?page no="60"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 46 schaft in anderen Ländern erweitert“ werden (Breidbach 2007: 65). Diese ‚Re- Politisierung‘ der Landeskunde führte aber zugleich zum anhaltenden Unbehagen an der Gesamtkonzeption landeskundlichen Lernens an Universität wie Schule. Doris Teske begreift das Scheitern der wissenschaftlichen Kulturkunde in der Zeit des Nationalsozialismus als schwere, letztlich nie abzulegende Bürde für die Etablierung einer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung in der deutschsprachigen Bildungslandschaft (vgl. auch Byram 1989: 60ff., Baron 2002: 24ff., Sommer 2003: 20): Ansätze zu einer verstärkten Kulturkunde diskreditierten sich selbst durch ihre Hilfsdienste für den nationalsozialistischen Staat, eine auf einen „Volkscharakter“ zielende Kulturkunde kompromittierte sich durch die Übernahme der rassistischen Theorien der faschistischen Universitätslandschaft. Diese Anbiederung hatte fatale Auswirkungen weit über die Nachkriegszeit hinaus, da nicht die Personen und ihre politischen Verstrickungen, sondern der Forschungsgegenstand selbst als allzu problembehaftet aus der Forschung ausgeklammert wurde. Allein eine auf materielle Kultur reduzierte, angeblich objektive Realien- oder Landeskunde blieb im Englischstudium erhalten: Ähnlich wie im schulischen Englischunterricht werden vor allem touristisches Basiswissen, grundlegende Verhaltensmaßregeln und aktuelle Informationen zu Themen britischen Selbstverständnisses in unterschiedlich anspruchsvoller Form als Ergänzung und als inhaltliche Seite des Sprachunterrichts vermittelt. (Teske 2002: 29f.) Damit war und ist die Landeskunde wissenschaftlich abgewertet zur Hilfs- oder gar Pseudowissenschaft (Kamm 1996: 80). Ihr mangelt es an theoretischkonzeptueller Verankerung, einem anspruchsvollen eigenen Forschungsfeld und entsprechendem Reflexionsniveau. Überhaupt fehlt ein über positivistische Faktenvermittlung hinausgehendes Erkenntnisinteresse. Sie hatte an der Universität Zulieferfunktion. „Landeskunde sollte Kontextwissen für Sprache und vor allem für literarische Texte liefern.“ (Donnerstag 1997: 23) Wie sich dieser geringe Status der Landeskunde als Auseinandersetzung mit der fremden Kultur im schulischen Unterricht fortsetzt, hat Michael Byram plastisch geschildert: Bei der Landeskunde ging es um […] the listing and learning of ‘typical’ differences, of haphazard facts about daily life in some conflict-free, leisure-laden, lower-to-middle class family, supplemented by a simplistic geography and history of the country in question. (Byram 1989: 20) Eine derartige Auseinandersetzung mit der Zielkultur, die aus der Touristenperspektive vor allem facts & figures aufzählt, Stereotype auflistet und normativ Kulturhomogenität vorgaukelt, prägte auch die britischen Ausformungen der Landeskunde (area studies, background studies) - Byram verweist in seinen Publikationen (u.a. Byram 1989, 1997) ausdrücklich lobend auf das deutsche Beispiel eines Versuches der Aufwertung von Landeskunde, wie dies unten noch ausführlicher diskutiert werden soll. Auflistungen der traditionellen Inhalte von Landeskundekursen an der Universität und zugleich von landeskundlichen Inhalten in Lehrwerken und im schulischen Unterricht hat es vielfach gegeben (Klein 1992: 58f., Harris, Moran, 1993: 211ff., Donnerstag 1997: 21f., Volkmann 2002: 15, Teske 2006). Es handelt sich dabei um Wissensbereiche, die zwar in ihrer historischen Dimension und aktuellen Bedeutung, aber selten als interdependente Kulturphänomene Gegenstand traditionellen Unterrichts waren. <?page no="61"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 47 Sprache (Dialekte, Soziolekte ...) Literatur (unter landeskundlichen Aspekten: als Quelle, Anschauungsmaterial ...) Geschichte (geopolitische Lage; wichtige Etappen und Ereignisse der nationalen Entwicklung; Dynastien; Außenpolitik; bedeutende Persönlichkeiten) Kunst (bedeutende Künstler und Kunstwerke v.a. bei Malerei, Architektur, Städteplanung ...) Technik, Wissenschaft und Bildungswesen (bedeutende Erfindungen, z.B. zur Industriellen Revolution; staatliches und nichtstaatliches Bildungswesen) Wirtschaft und Rechtssystem (Industrie, Agrarwirtschaft, Finanzwesen, Gewerkschaften, Verteilung von Reichtum ...) Sozialstrukturen (Schichten, ethnische Minderheiten, Geschlechterrollen ...) Politische Institutionen und Konventionen (Parteiensystem, Regierungsbildung, politische Meinungsbildung ...) Religionen und Weltbilder/ Ideologien (Bedeutung des Protestantismus, American Dream, work ethic ...) Geografie / Regionalismen (touristische Perspektive, Faktenwissen, aber auch Fokus auf Unterschiedlichkeiten ...) Minoritäten (Fokus USA: Konzept des melting pot bzw. salad bowl, Fokus auf bestimmte Minoritäten ...) Codes of behaviour (klassenspezifisches Verhalten und Verhaltensideale, Manieren, Etikette ...) Abb. 3: Traditionelle Inhalte des Landeskundeunterrichts Diese überblicksartige Darstellung wäre in vielen Bereichen noch zu spezifizieren. So lassen sich deutliche Wertigkeiten innerhalb dieses Inhaltsrasters feststellen: (1) Einige Gebiete wurden deutlich häufiger und intensiver behandelt: Während die Literatur bevorzugt zum Thema wurde, fanden Wirtschafts- und Rechtssysteme weniger Aufmerksamkeit. (2) Generell neigte die Amerikanistik eher als die Anglistik zu einer an kulturellen Kernkonzepten orientierten Herangehensweise (Stichwort: key <?page no="62"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 48 cultural issues). (3) Innerhalb der einzelnen Bereiche gab und gibt es ‚Lieblingsthemen’, wie die Veränderungen des Fokus auf Minoritäten zeigt (für die USA war dies lange die so genannte ‚Negerfrage’, zunehmend traten auch andere Minoritäten in den Vordergrund des unterrichtlichen Interesses). (3) Insbesondere der Bereich der codes of behaviour war zwar bereits vorhanden, aber doch eher wenig theoriegelenkt und hing von persönlichen Vorlieben und kulturellen Erfahrungen der Lehrperson ab. Er wurde - wie der gesamte Bereich - oftmals in impressionistischer oder andekdotischer Manier behandelt. (4) Hinzu kommt, dass an den Schulen - und dies nach wie vor - eine Konzentration auf den britischen, eigentlich sogar englischen Kulturraum vorherrscht, der in der Regel Schwerpunkt des Anfangsunterrichts geblieben ist. Erst in späteren Klassen erfolgt(e) eine Ausweitung auf die USA und traditionell auf ein weiteres englischsprachiges Land, häufig Australien als klassischem Auswanderungsland und beliebter exotischer Projektionsfläche der Deutschen (vgl. kritisch hierzu West-Pavlov 2005: 61ff.). Überspitzt lässt sich formulieren, dass der Landeskundeunterricht in seiner gröbsten Ausformung hauptsächlich auf einen Kurzurlaub in England vorbereitete. Deutsche Schüler/ innen informierte man dabei genau über die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt London, die Neigung der Engländer zum Teetrinken, die dortigen dynastischen Verhältnisse sowie das Wirken William Shakespeares. An Informationen über, geschweige denn Einweisung in Alltagsverhalten und tatsächlich praktizierte Kulturformen fehlte es. Plädoyers für einen ‚Mehrwert’ in der Landeskunde Es wundert aus den aufgeführten Gründen nicht, dass in der Fachwissenschaft wie Fachdidaktik ein generell „gestörtes Verhältnis“ (Keller 1983: 200) zu Landeskundebräuchen vorherrscht(e). Ein tiefes Unbehagen begleitet die Landeskunde, ebenso wie das anhaltende Bemühen, durch konzeptuelle Neuerungen oder veränderte Terminologie einen Mehrwert für die Landeskunde zu schaffen. Sie soll mehr bieten als Basiswissen, einen normativen Kulturbegriff, die Touristenperspektive. Sie soll dazu nicht simples Zulieferungswissen für die Philologie oder für eine theoretisch fundierte anglistisch-amerikanistische Kulturwissenschaft bieten. Zugleich wurde erkannt, dass der Kommunikativen Wende der 1970er Jahre ein tragfähiges kulturwissenschaftlich ausgerichtetes Konzept entgegengestellt werden muss, damit der Fremdsprachenunterricht nicht allein Einweisung in kommunikative Strategien liefert (vgl. die unterschiedlichen Positionen u.a. bei Butjes 1980, Keller 1983, Baron 2002: 228ff., Hallet 2002, Altmeyer 2004: 19ff., Kramer 2005, Delanoy, Volkmann 2006, Hallet, Nünning 2007). Die wissenschaftliche Aufwertung wie auch terminologische Umwandlung der Landeskunde erfolgte dabei sukzessiv durch eine interdisziplinäre Ausrichtung (Melde 1987: 82, Byram 1989: 60ff., Kamm 1996: 83ff.). Zunächst geschah dies in Richtung Politik- und Sozialwissenschaften, dann zunehmend zu kommunikationstheoretischen Konzepten, zur Pragmalinguistik und zur Anthropologie (Byram 1989: 5). In Folge der race, class & gender studies und der erweiterten postkolonialen Perspektive fand zudem eine zunehmende Dezentrierung der Themengebiete statt, vor allem mit sukzessiver geografischer Ausweitung (vgl. Volkmann 2007c). Zugleich verstand man im Sinne eines semiotischen Kulturverständnisses - ohne das dieses direkt als Bezugstheorie aufgenommen wurde - die oben aufgelisteten Teilbe- <?page no="63"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 49 reiche der Fremdkultur als interdependente, nur integrativ zu beachtende Komponenten. Durch die Verbreitung des interkulturellen Paradigmas und der kulturwissenschaftlichen Wende seit den 1990er Jahren schließlich wurde die Landeskunde entscheidend in diese beiden Richtungen hin umgeformt. Auffallend ist bei gegenwärtigen interkulturellen und kulturwissenschaftlichen Positionen die demonstrative Abgrenzung gegenüber der als überholt abgewerteten Landeskunde. Dabei wird nicht erkannt, dass Landeskundekonzepte durchgehend von Gegenkonzepten und der genannten Suche nach einem Mehrwert der Landeskunde begleitet waren. Viele der heute diskutierten Fortschritte bei der Betrachtung anderer Kulturen wurden bereits - ohne dass dies entsprechend gewürdigt wird - in den 1970er und 1980er Jahren angebahnt. Ein kurzer Überblick kann verdeutlichen, dass es eine breite Tradition für eine Art ‚Landeskunde plus’ gibt. Vieles spricht demnach dafür, den Landeskundebegriff nicht komplett abzuschaffen. Denn oftmals wird in der Didaktik mit neueren Begriffen wie Kulturwissenschaft oder Cultural Studies ein hoher Anspruch vorgegeben, welcher in der tatsächlichen Unterrichtspraxis, zumal im Eingangsunterricht, nicht zu erreichen oder einzulösen ist. Fünf in ihrer Ausrichtung stark miteinander verbundene Impulse aus wichtigen Publikationen dieser Jahrzehnte seien hier knapp vorgestellt: (1) Mit Kramer (1976), Buttjes (1980), Raasch, Hüllen, Zapp (1983) und zuletzt Erdmenger (1996) liegen beispielhafte Buchpublikationen zur ‚Landeskundedidaktik‘ vor, in welchen deutlich Stellung genommen wird gegen eine rein pragmatischkommunikative Fremdsprachendidaktik, für die landeskundliche Inhalte lediglich zum bunten Touristenwissen zusammenschrumpfen (vgl. auch Byram 1989: 60). Landeskunde diene hingegen zentral der politischen Bildung. Sie habe das konstruktivkritische Verstehen einer anderen Gesellschaft zu fördern. Dadurch können Rückkopplungseffekte für Verstehensprozesse im Sinne der kritischen Reflexionsfähigkeit und mündigen Urteilsfähigkeit ausgelöst werden. Ziel ist hier beispielsweise das Aufdecken von stereotypen Lehrwerksdarstellungen, die primär die Werte der Mittelschicht propagieren. Eine so definierte „emanzipatorische Landeswissenschaft“ (Davids in Buttjes 1981: 30) biete zugleich Identifikationsangebote und könne durch Konzentration auf lebenspraktische Dimensionen auch affektiv wirken. (2) Das Prinzip der schülernahen Themen, die Berücksichtigung des „Erkenntnisinteresse[s] der Jugend“ (Keller 1983: 200) steht auch im Zentrum eines programmatischen Beitrags von Gottfried Keller (1983) zu einer neuen „Kulturkunde“. Wie in den Stuttgarter Thesen von 1982 (vgl. Baron 2002: 33) betont Keller die Bedeutung des Fremdsprachenunterrichts bei der Friedenssicherung und der Verständigung unter den Nationen. Die zunehmende Interdependenz der Völker wird gleichfalls von Seiten des Faches Deutsch als Fremdsprache in einer landeskundlich ausgerichteten Publikation von Paul Mog und Hans-Joachim Althaus (1992) betont: Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie Einsichten in Fremd- und Eigenwahrnehmung nach dem Prinzip des Kulturkontrastes zu vermitteln suchen. Insbesondere Keller schlägt ein Kulturmodell vor, das die Interdependenz der bisher oftmals getrennt voneinander betrachteten Inhalte des Landeskundeunterrichts betont. Auch wenn Kellers Modell noch stark an Vorstellungen von Hochkultur und Institutionenkunde orientiert ist, bietet es doch ein integratives, dynamisches Landeskundemodell (Keller 1983: 203), welches modifiziert heute noch als Grundlage kulturellen Lernens dienen kann (siehe unten). <?page no="64"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 50 (3) Besondere Erwähnung gebührt der Publikation Zur Integration von Landeskunde und Kommunikation im Fremdsprachenunterricht der romanistischen Fremdsprachendidaktikerin Wilma Melde (1987). Denn mit ihren Thesen zur Bedeutung der Perspektiveneinnahme, Perspektivenkoordination und Perspektivenverhandlung nimmt diese Publikation wesentliche Erkenntnisse der Forschung zum Fremdverstehen und somit zum interkulturellen Lernen vorweg. Melde liefert einen integrativen Ansatz, der eine ideologiekritische Gesellschaftstheorie mit Positionen der Kommunikationsforschung verbindet. Zentral bezieht sie sich auf den Kommunikationstheoretiker Jürgen Habermas, um Konzepte in beiden Bereichen zu verbinden - es geht um die „Verständigungsfunktion der Sprache und gesellschaftliche Zielsetzungen der Fachdidaktik“ (Melde 1987: 89). Als Ziele nennt Melde hierbei die Vermittlung der Fähigkeit zu Selbstreflexion und zu emanzipatorisch wirkendem Denken (ibid.: 92). (4) In ähnlicher Weise wie Jürgen Kamm ein textwissenschaftlich und eher philologisch ausgerichtetes Modell der Kulturdidaktik vorstellt (Kamm 1996: 87), formuliert Jürgen Kramer (1993, 1997) in seiner eingehenden Rezeption von Positionen aus den britischen Cultural Studies ein Modell für universitäre Grundkurse zur Kulturwissenschaft. Hier finden sich deutlich semiotische und auf Theorien der Mentalitätskonstruktion ausgerichtete Unterrichtskonzepte. Insgesamt geht Kramers Ansatz deutlich weiter als vergleichbare fachdidaktische oder fachwissenschaftliche Arbeiten in einer dezidiert semiotischen Ausrichtung auf nichtliterarische Texte. Exemplarisch stellt er dabei ein bisher als randständig aufgefasstes und eher zum Thema Minoritäten zu rechnendes Thema, Colonialism and Slavery in the British Empire, als wesentlich für das Verständnis der gegenwärtigen britischen Gesellschaft und überhaupt der englischsprachigen Welt vor. Beispielhaft ist hier auch der Einsatz einer großen Bandbreite von Texten, wie Reggae-Musik, Karikaturen, Literatur und expositorische Texte zur Sozialgeschichte (Kramer 1993: 27). (5) Die Konzentration auf exemplarische historische Leitideen oder Leitthemen - key cultural concepts - ist insgesamt bereits früher in der deutschen Amerikanistik erfolgt, die sich stärker als die Anglistik von der philologischen Ausrichtung löste. Exemplarisch für einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz, der zugleich Vorurteile, Klischees und überhaupt Bilder des anderen Landes mit einer großen Auswahl unterschiedlicher Texte verbindet (Bilder, Karikaturen, literarische und nichtliterarische Passagen aus Texten der hohen und niedrigen Kultur), ist hierbei der Band ‘America’: Dream or Nightmare (3. Aufl. 1994, zuerst 1990) von Peter Freese. Anhand von Unterthemen wie amerikanischer Exzeptionalismus, frontier myth, Puritan work ethic, melting pot, salad bowl usw. vermittelt dieser Band essenzielle und weitreichende Aspekte und Dimensionen dieses zentralen kulturellen Themas - als Schlüssel zum facettenreichen Verständnis der Zielkultur. Betrachtet man angesichts dieser substanziellen Beiträge zur Landeskundedebatte das oben vorgestellte statische Modell landeskundlicher Inhalte, so lässt sich, aufbauend auf dem bei Keller vorgestellten „Strukturmodell einer neuen Kulturkunde“ (Keller 1983: 203), ein nach wie vor passendes Modell für die Vermittlung landeskundlicher Kerninhalte als dynamisches Interdependenzsystem präsentieren. Hierbei werden sowohl Prinzipien der Harmonie wie des Konfliktes integriert: „Moderne Kultursysteme werden durch Konflikte, Kompromisse, durch eine Fülle vielseitig verästelter Wertvorstellungen und Machtstrukturen, durch Manipulationstechniken, durch äußere Einflüsse und tradierte Sozialstrukturen charakterisiert.“ (ibid.: 202) <?page no="65"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 51 Kunst/ Literatur Sprache und Kommunikation Geografie Wirtschaft & Recht Sozialstrukturen Organisation der Gesellschaft Technik Geschichte, Wissenschaft/ Bildung Minoritäten Religionen, Ideologien key cultural concepts Normen und Wertvorstellungen/ cultural codes Politik Zusätzlich zu den einzelnen Komponenten von Kultur(en) erscheinen dabei vier Herangehensweisen an die Fremdkulturen jeweils von grundlegender Bedeutung (vgl. teilweise Nünning, Nünning 2000): (1) Kultur ist stets im Plural zu sehen. Es gibt keine Einheitskultur, sondern nur Kulturen, auf nationaler wie internationaler Ebene. (2) Es gilt das didaktische Prinzip des exemplarischen Lernens und Vorgehens anhand von kulturspezifisch bedeutenden und „epochaltypische[n] Schlüsselproblemen“ (Klafki 2007: 43). Es gilt, bedeutungsvolle Inhalte zu wählen, sowohl für die nationale Ebene wir für die Öffnung zu den neuen englischen Kulturen oder zum Verständnis des Englischen als globale lingua franca (transkulturelles Lernen). (3) Zu beachten ist dabei ein ausgewogenes Verhältnis von Institutionenkunde und Faktenwissen einerseits, alltäglichen und populärkulturellen Elementen andererseits, wie es sich auch in der Textauswahl spiegelt. (4) Schließlich stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur einen Mehrwert liefern soll: an kritischer Reflexionsfähigkeit, Toleranzdenken, Völkerverständigung usw. Abb. 4: Dynamisches Modell der Landeskunde (zum Kern vgl. Keller 1983: 203) Erweiterte Modelle landeskundlicher Inhalte: Implizite / explizite Kultur Gottfried Kellers Modell, welches hier mit Bezug auf die Diskussion seit den 1980er und 1990er Jahren modifiziert wurde, war noch stark an traditionellen ‚institutionenkundlichen’ Inhalten der Landeskunde orientiert. Es ging ursprünglich noch, und dies sicherlich teilweise zu Recht, von einem wie auch immer zu definierenden Pluralität von Kultur(en) Exemplarität der Vermittlung Hochkultur/ Alltagskultur Bildungspolitischer Mehrwert <?page no="66"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 52 Kanon von zu vermittelndem Faktenwissen in den unterschiedlichen Kulturbereichen aus. Es geht im Kern zugleich von einer Trennung von small c culture und high c culture aus - die in Theorien des interkulturellen Lernens kaum noch thematisiert wird. Neuere Kulturmodelle im Bereich des interkulturellen Lernens betonen darüber hinaus gerade den Bereich, der hier nur als ‚Normen und Wertvorstellungen / cultural codes’ bezeichnet ist. In der Didaktik des interkulturellen Lernens hat sich hierfür das Bild der Kultur als Eisberg etabliert: Die Oberfläche der Kultur ist sichtbar, allerdings macht sie nur einen geringen Teil der Gesamtfläche aus. Ein Großteil bleibt verborgen. Illustrieren lässt sich das Modell des Eisbergs beispielsweise in einfacher Form mit folgender Abbildung, die bei Gibson (2000: 15) wie folgt kommentiert ist: „Culture is seen as an iceberg with the tangible expressions of culture and behaviour above the water and the underlying attitudes, beliefs, values and meanings below the surface.” Abb. 5: Kultur als Eisberg: Modell der interkulturellen Didaktik (nach Gibson 2000: 15-18; für ein komplexeres Modell vgl. Volkmann 2005c: 282) Die bisweilen vollzogene Gleichsetzung von big c culture mit der Oberfläche des Eisbergs ist dabei nicht adäquat, denn auch Kleidung oder andere Kulturgegenstände müssen nicht unbedingt ‚hochkulturell’ sein. Wichtig ist vielmehr an dem Eisberg- Modell, dass es das Augenmerk auf ein semiotisches Verständnis von Kultur lenkt. Dass nämlich materielle (Kleidung) wie auch nichtmaterielle (Musik) Kulturphänomene eine semiotische bzw. semantische ‚Tiefendimension’ aufweisen, ihnen somit Bedeutungsebenen anhaften, die in spezifischen Kulturen oder Subkulturen implizit vorhanden sind. Es geht um kulturell erzeugte unbewusste und oftmals nicht reflektierte Komponenten, um Grundüberzeugungen und Grundeinstellungen, um Normen und Denkweisen, die in alle Einzelbereiche des Lebens hineinwirken. Aus der Perspektive des interkulturellen Lernens geht es darum, dieses nicht-explizite, ‚stille’ Kommunikationsstile Einstellungen Werte und Normen Weltwahrnehmung Sprache Literatur Kunst Essen Trinken Filme Kleidung <?page no="67"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 53 Wissen (tacit knowledge, vgl. Polanyi 1966) zu explizitem oder prozeduralem, also in der Interaktion anwendbarem Wissen an die Oberfläche des Bewusstseins zu heben (vgl. Nothnagel 1996: 304, 308, Gabriel 1997: 175, Altmayer 2004: 244). Es waren zunächst die Soziolinguistik und Anthropologie, die hierfür Begriffe wie Deutungsschemata, Frames und Scripts lieferten. Diese sind auch zentrale Kategorien einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Fremdsprachendidaktik. Interdependenz von Sprache und Kultur Die bisher beschriebenen ‚stillen’ Wissensbestände, die nicht sichtbaren Tiefendimensionen der Kultur, drücken sich, wie betont, nicht nur in abstrakt gefassten Werten, Normen, Anschauungen und Überzeugungen des Einzelnen oder durch Standardisierungsprozesse innerhalb bestimmter Kollektive aus. Sie leiten unmittelbar menschliche Kommunikation und überhaupt menschliches Handeln. Sie drücken sich in dem aus, was Pierre Bourdieu (1987, 1997) den Habitus genannt hat: das Ensemble von kulturellen Prägungen, die durch Lernen, Wiederholung und Einverleibung schließlich zur Gewohnheit werden. Der Einzelne hat diese soziokulturellen Prägungen tief verinnerlicht, habitualisiert - sie bestimmen Geist wie Körper. Diese Interdependenz sprachlicher, körperlicher und soziokultureller Prägungen und Kommunikationsmuster zeigt sich im britischen Bereich etwa im so genannten educated stutter, dem bisweilen zögerlichen, stotternden Sprachgestus der traditionellen britischen Oberklasse, bzw. dem educated screech der wohl erzogenen Ladies, während das Weglassen des Phonems <h> als dropping one’s aitches als klassenspezifisches Kennzeichen der Arbeiterschicht im Vereinten Königreich gilt. Die hier sich physiologisch bemerkbar machende Verschränkung und Interdependenz von Sprache und Kultur ist zeitweise in der Fremdsprachendidaktik nicht beachtet worden. Im Zuge der Kommunikativen Wende, vor allem in den 1970er bis 1990er Jahren, orientierte sich die etablierte Fremdsprachendidaktik vornehmlich am Konzept der isolierten Sprechakte und Sprachfunktionen, teilweise dann auch an Sprechhandlungssequenzen und Gesprächssowie Argumentationsabläufen. Wenig Beachtung wurde dabei dem lebensweltlichen Hintergrundwissen geschenkt, durch das kommunikative Interaktion als gemeinsamer Deutungsprozess zu verstehen ist (vgl. Melde 1987, Altmayer 2004). Unterschiedliche didaktische Theorien zur Integration von Landeskunde bzw. kulturellen Wissensbeständen und Kommunikation (Melde 1987, Byram 1989, Altmayer 2004) basieren dabei auf sozio-, ethno- und psycholinguistischen Untersuchungen, die seit den 1970er Jahren verstärkt rezipiert wurden (z.B. Fairclough 1989, Argyle 1994 [1967], Schütz 1991 [1932]). Sie bestätigen die Annahme, dass „das kollektive Hintergrund- und Kontextwissen von Sprechern und Hörern die Deutungen ihrer Äußerungen in hohem Maße bestimmen“ (Melde 1987: 111). Zentrale Bedeutung in der interkulturellen Begegnung kommt hier dem Konzept der unterschiedlichen Deutungsschemata zu, die gewissermaßen aufeinander treffen und die es jeweils zu beachten gilt : Verstehen wird nicht mehr mit bloßem Dekodieren identifiziert, die Produktion von Äußerungen verlangt auch die Antizipation der Verstehensmöglichkeiten und -dispositionen des Dialogpartners. Diese sind wiederum von den Strukturen seiner Lebenswelt abhängig. Um den Verständnisprozeß zu gewährleisten, muß eine ausreichende Kenntnis der Deutungsschemata, die aus diesen Strukturen resultieren, gesichert sein, dies um so mehr, wenn zwei national verschiedene Lebenswelten konfrontiert sind. (Melde 1987: 111) <?page no="68"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 54 Die jeweilige Kultur prägt also entscheidend das Denken und damit auch Kommunikationsmuster. Bis zu welchem Grad prägt dann die Sprache das Denken? Sieht man, wenn man eine andere Sprache erwirbt, die Welt dann teilweise durch den kulturellen Filter der Fremdsprache? Erhält man somit eine Art ‚zweite Seele’? Die Vorstellung, dass durch die Sprache erst Lebenswirklichkeit geschaffen wird, ist - aufbauend auf einer Grundidee Alexander von Humboldts - von dem linguistisch orientierten Anthropologen Edward Sapir und dessen Schüler Benjamin L. Whorf seit den 1920er Jahren einflussreich formuliert worden. In ihrer radikalen, oftmals angezweifelten Variante formulierte die so genannte ‚Sapir-Whorf-Hypothese’ einen linguistischen Determinismus. Dies drückt sich exemplarisch in folgenden Formulierungen Edward Sapirs aus: Human beings do not live in the objective world alone, nor alone in the world of social activity as ordinarily understood, but are very much at the mercy of their particular language which has become the medium of expression for their society. (Sapir 1958 [1949]: 162) Anhand von Indianersprachen formulierte insbesondere Whorf in den 1950er Jahren Thesen zur ‚Macht der Wörter’. Berühmt ist das inzwischen mit vielen Fragezeichen versehene Beispiel der Eskimo-Sprachen, in denen es Dutzende von Ausdrücken für Schnee gibt oder das Beispiel des Stammes der Hanunov, welcher 93 unterschiedliche Begriffe für Reis verwendet (vgl. Jandt 1998: 131). Inzwischen wird die radikale Version der Sapir-Whorf-Hypothese in ihrem Determinismus abgelehnt, man geht aber nach wie vor von starken Verbindungen zwischen Sprache und Weltwahrnehmung aus (vgl. u.a. Wandruszka 1991, Jandt 1998: 131, Hansen 2000: 79ff., Oksaar 2003: 76ff.). Die Suche nach empirischen Belegen erscheint dabei müßig, denn Beweise bieten sich dem aufmerksamen Fremdsprachenlerner in Hülle und Fülle an (vgl. zu Folgendem Hansen 2000: 82f.). Mit Hilfe der sprachlichen Unterscheidungen wird Ordnung geschaffen, Sinn gestiftet und Orientierung bereitgestellt, auch wenn dies oft nur (allerdings wichtige) Nuancen und Feinheiten betrifft. In vielen westlichen Sprachen werden Baum, Strauch und Gras als unterschiedliche, voneinander getrennte Pflanzenarten kategorisiert. Dagegen bildet die Sprache der australischen Aboriginees dieses Feld der einheimischen Fauna mit über zehn Objektgruppen ab. Oder man denke an einfache Unterscheidungen wie aktives listening und passives hearing, wie shade oder shadow, heaven oder sky für im Deutschen nur mit einem Begriff bezeichnete englische Lexeme. Aus der Gender- Perspektive ist etwa bemerkenswert, dass englische Berufsbezeichnungen wie teacher, doctor aber auch friend geschlechtsneutral sind und in einzelnen Situationen entsprechend ambivalent sein können. Noch deutlicher wird dies bei abstrakten Begriffen, die im englischsprachigen Kulturraum oftmals erheblich anders semantisiert sind als im deutschen, z.B. friendship, dating oder drinking (auch wenn die Unterschiede zunächst nicht offenkundig erscheinen). Dies gilt gleichfalls für den Bereich der Grammatik. Beispielhaft hierfür ist das englische present perfect, für das es kein deutsches Äquivalent gibt und das deshalb so große Lernschwierigkeiten bereitet. Da das present perfect betont, dass eine Handlung in der Vergangenheit begann und noch andauert bzw. resultativ nachwirkt, müsste es bei der Übersetzung von he has been a smoker for some time eigentlich heißen: Seit einiger Zeit raucht er und tut es noch immer. Die semiotische Perspektive hat die Debatte um die Beeinflussungsstruktur von Sprache und Kultur integrativ gelöst. M.A.K. Halliday verwendet hier ein Verständ- <?page no="69"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 55 nis von „language as social semiotic” (1994: 2) und führt diese inzwischen gängig gewordene Ansicht eines Interdependenzgeflechts wie folgt aus: By their everyday acts of meaning, people act out the social structure, affirming their own statuses and roles, and establishing and transmitting the shared systems of value and of knowledge. (ibid.) 2.4 Zentrale kulturelle Deutungskategorien Deutungsschemata, Frames, Scripts Lebensweltliches Wissen und kulturelle Tiefenstrukturen beim kommunikativen Handeln sind ein wesentlicher Bestandteil der interkulturellen Kommunikation. Sie bestimmen Verstehen, Missverstehen und Nichtverstehen bei diesem Prozess (vgl. Oksaar 2003: 33). In den letzten Jahrzehnten sind dabei die Schlüsselbegriffe schema, frame, script, event-chain usw. bei der Diskussion interkultureller Verständigungsprozesse dominant. Es handelt sich hier, je nach Terminologie, um die Informationsverarbeitung und -vermittlung steuernde Denkstrukturen. Es geht um „taken for granted ‘background’ knowledge“ (Fairclough 1985: 739) oder um so genannte ‚implizite Präsuppositionen’, also um stillschweigend als bekannt akzeptierte Vorannahmen (ibid.: 742). Die hier vorgestellten Definitionen von Schemata, Frames und Scripts basieren auf Ausführungen des Soziolinguisten Fairclough (1989: 158ff., zu ähnlichen Erklärungen in der Gedächtnisforschung vgl. Oksaar 2003: 33; vgl. auch Kramsch 1996: 124; soziologische und psychologische Deutungen bei Hitzler 1988, Schütz 1991: 178ff., Argyle 1994: 90f.). Es gilt dabei zu beachten, dass die drei Phänomene nahe beieinander liegen und ein höchst komplexes Geflecht mentaler Repräsentationen abbilden. (1) Schemata: Es handelt sich hierbei um die Repräsentation einer bestimmten Handlungsabfolge, deren Phasen in einer vorhersehbaren Sequenz ablaufen. Beispiele wäre der (erwartete) Ablauf eines Telefongesprächs, eines Small Talk, oder der Aufbau eines Berichts zu einem Autounfall (Ursache, Verlauf, Schäden, kurzfristige und langfristige Folgen usw.). Dies bedeutet in der interkulturellen Kommunikation, dass bestimmte Erwartungen an die kommunikative oder textuelle Darstellung eines solchen Ablaufs bestehen. (2) Frames: Während Schemata sich auf den Ablauf von sozial bedingtem Verhalten erstrecken, beziehen sich Frames auf die Präsuppositionen (‚mentalen Bilder‘), die mit einem Thema, Begriff, Gegenstand usw. verbunden sind. Es kann sich um Personen oder menschliche Dinge handeln (a woman, an African-American, a teenager usw.), um Gegenstände (jeans, water bottle, Apple computer usw.) oder Prozesse (weight-lifting, smoking, working usw.) oder abstrakte Konzepte (love, work ethic, American Dream). Frames erstrecken sich auch auf eine komplexe Abfolge von Ereignissen, die verschiedene Kombinationen dieser Elemente beinhalten (Auswanderung, Arbeitssuche, Dating usw.). (3) Scripts: Dieser Terminus bezieht sich auf die Aktanten und deren Beziehungen mit Hinblick auf evozierte Schemata. Es geht um sozial geprägtes Verhalten gegenüber anderen Personen. So gibt es Scripts (vorgeformte Abläufe) für das Verhalten bei einem Rendezvous, aber auch für den Besuch <?page no="70"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 56 beim Arzt (für alle Beteiligten sowie für die gesamte Kommunikationssituation). Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel eines Telefongesprächs: Die in einem Text oder Kommunikationspartikel enthaltenen Markierungen, Hinweise oder ‚Reize’ lösen so bestimmte Schemata aus (‚so läuft ein Telefongespräch in dieser Kultur ab’). Sie schaffen bestimmte Frames (‚was verbindet man mit der Kommunikationsform „Telefongespräch“ sowie mit den einzelnen Teilen’) und bestimmte Scripts (‚wie verhalte ich mich kultur- und rollenadäquat bei einem Telefongespräch’): „textual cues evoke schemata, frames, or scripts, and these set up expectations which colour the way in which subsequent cues are interpreted.“ (Fairclough 1993 [1989]: 159) Es geht also darum, welche mentalen Bilder oder stereotype Vorstellungen dieses Telefongespräch bei den einzelnen Teilnehmenden vorstrukturieren und wie im Lauf des Gesprächs hier die (inter-) kulturelle Bedeutungsaushandlung bei den ständig neu aktivierten Schemata, Frames und Scipts den Kommunikationsprozess steuert. Dieses ‚Hintergrundwissen’ geht als oftmals nicht explizit wahrgenommenes oder gar thematisiertes Wissen in jeden Text, in jede Äußerung, in jede Kommunikation ein. Als ‚präsupponiertes Wissen’ kristallisiert es sich in der interkulturellen Begegnung, wie Claus Altmayer (2004: 176ff.) hervorgehoben hat, vor allem in Bildern mit ikonischem Charakter heraus (der Eifelturm, Uncle Sam, das Brandenburger Tor usw.), aber auch in so genannten kulturellen Schlüsselwörtern. Deren Vermittlung ist für den Fremdsprachenunterricht von essenzieller Bedeutung, da sie, wie Altmayer erklärt (2004: 227, 274), eine Art ‚Sesam-öffne-dich-Funktion’ für die andere Kultur besitzen. In ihnen verdichten sich gewissermaßen die zum Verständnis fremder Mentalitäten zentrale Bedeutung tragenden Schemata, Frames und Scripts. Für den Bereich Deutsch als Fremdsprache nennt Altmayer beispielsweise den Begriff ‚Gastarbeiter’, der eine sehr breite und komplexe, historisch rekonstruierbare Bedeutung aufweist und dessen Erklärung verschiedene Aspekte der deutschen Gesellschaft erhellen würde. Für den angelsächsischen Bereich wären dies Begriffe, die zu den key cultural concepts gehören, beispielweise Ausdrücke wie from rags to riches oder selfmade-man usw., die ein Schlaglicht auf den für die USA essenziellen American Dream werfen. Für Großbritannien wäre dies beispielweise der Begriff fair play, bei dem vielfältige Vorstellungen von sozial adäquatem Verhalten mitschwingen. Der Terminus ‚kulturelle Schlüsselwörter’ ließe sich dabei auch auf idiomatische Wendungen (eager beaver, to keep up with the Joneses) oder Slogans (no pain, no gain oder no risk, no fun) übertragen, in denen sich kulturspezifische Vorstellungen spiegeln. Zwei Beispiele für die Bedeutung von ‚präsupponiertem Wissen’: Begrüßungskonventionen und Turnschuhe Zur Illustration der bisher vorwiegend theoretisch dargelegten Bedeutung von ‚präsupponiertem Wissen’ seien zwei Beispiele gewählt. Sie stammen aus dem Bereich der ethnischen Minderheiten der USA, genauer der African Americans. Im ersten Fall handelt es sich dabei nach obiger Definition um ein Schema, im zweiten um ein Frame. Es geht zuerst um eine kulturell bestimmte, in den USA stark ritualisierte Alltagspraxis der Begrüßung bzw. Vorstellung (address rules). Dabei geht es somit um ein Script, welches von den Interaktanten je nach soziokultureller Ausformung dieses Scripts unterschiedlich vollzogen wird. Der zweite Fall konzentriert sich <?page no="71"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 57 auf das Verhältnis zu konkreten Konsumobjekten, in diesem Beispiel zu Turnschuhen (sneakers), die - wenn sie das ‚richtige’ Markensymbol ziert - ihren Träger mit hohem Imagegewinn ausstatten. Zu den selbst in ‚höheren Kreisen’ üblichen Regeln der Ansprache gehört in den USA die für Ausländer äußerst informell und bisweilen unangebracht wirkende Anrede mit dem Vornamen. Dies gilt als zumindest vordergründig wirkendes Zeichen einer Gesellschaft, die jedem die Chance des Aufstiegs verspricht und sich dem Gedanken des Egalitarismus verpflichtet sieht. Die Anrede mit dem Vornamen gehört zu den konventionalisierten Schemata bei der verbalen Interaktion in der amerikanischen Kultur. Für Deutsche gilt dabei zu beachten, dass die Verwendung des Vornamens keinesfalls dem ‚Du’ entspricht (vgl. eingehender hierzu Wandruszka 1991: 41f.), da es - soziolinguistisch höchst ambivalent - in der Realität existierende kommunikative Machtsituationen verschleiert und soziale Gleichheit oftmals nur vorgaukelt. Soweit zu dieser für interkulturelles Lernen wichtigen ‚Tiefenstruktur’ einer scheinbar einfachen alltäglichen Kommunikationshandlung. Dass das Regelwerk ‚Ansprache mit dem Vornamen’ in bestimmten Szenarien zusätzliche soziokulturelle Dimensionen erhält, zeigt eine autobiografische Vignette aus der Feder des Afroamerikaners A.F. Poussaint (zit. in Ervin-Tripp 1972: 225): A scene on a public street in contemporary US: ‘What’s your name, boy? ’ the policeman asked. … ‘Dr Pouissaint. I’m a physician …’ ‘What’s your first name, boy? …’ ‘Alvin.’ Diese Episode stellt, wie der Arzt Dr. Poussaint vermerkt, eine äußerst verletzende verbale Diskriminierung dar (ibid.): As my heart palpitated, I muttered in profound humiliation. [...] For the moment, my manhood had been ripped from me. [...] No amount of self-love could have salvaged my pride or preserved my integrity. [...] [I felt] self-hate. Der Soziolinguist S. M. Ervin-Tripp kommentiert diese Diskriminierung passend als „overt, though coerced, acquiescence in a public insult through widely recognized rules of address“ (ibid.). Erkennen lässt sich hier, dass eine sonst übliche Anredeform zur öffentlichen Demütigung des Mitglieds einer ethnischen Minderheit instrumentalisiert wird. Verschärft wird dies hier noch durch die pejorative, herablassende Anrede eines schwarzen Erwachsenen als boy (wobei der rassistische Ausdruck nigger boy anklingt). In diesem Beispiel wird eine ‚harmlose’, alltägliche Begrüßungsformel durch ihre situationsspezifische Verwendung mit einer anderen, hier rassistischen Bedeutung aufgeladen. Auch alltägliche Gebrauchsgegenstände können mit kulturspezifischer Bedeutung versehen werden. Am deutlichsten lässt sich dies am Beispiel von Kleidungsgegenständen illustrieren. Bekanntlich bietet Kleidung nicht nur Schutz gegen Witterung und soll möglichst funktional und billig sein. Sie hat auch und bisweilen vor allem symbolischen Charakter; sie stattet den Träger mit optischen Insignien der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe aus. Sie sendet soziale Signale aus in Form von Zuordnungs-, Unterscheidungs- und Erkennungszeichen. Dies kann die unbewusst markierte Zugehörigkeit zu einem nationalen Kollektiv <?page no="72"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 58 sein, wie im Fall ‚weiße Socken in Birkenstock-Sandalen’. Hierbei handelt es sich um das auffällige Merkmal des deutschen Touristen in der Wartehalle internationaler Flughäfen. Kleidung kann darüber hinaus ein ambivalenter ‚Akt der Huldigung’ sein, wenn Kleidungsstile einer anderen Kultur übernommen werden, beispielsweise zu festlichen Anlässen: Es ist auf den ersten Blick schwer zu begreifen, warum neue Nationen sich [...] nicht öfter an ihren eigenen Traditionen orientieren. Zum Beispiel hätten afrikanische Regierungen beschließen können, ihre akademischen Gelehrten nach Art von Medizinmännern oder ihre Soldaten in die Löwen- und Tigerfelle ihrer eigenen legendären Helden und Krieger zu kleiden. Zeremonien an den afrikanischen Universitäten werden aber normalerweise in westlichen Gewändern abgehalten, und sogar bei Paraden in voller Montur bleiben afrikanische Soldaten zumeist in Uniformen von westlichem Zuschnitt. (Roberts 1989: 21) Man mag derartige modische Globalorientierungen in Richtung westlicher Kleidungsformen, wie sie auch bei der Alltagskleidung gang und gäbe sind, als verschleierte post- oder neokoloniale Prägung verstehen. Entsprechend gibt es immer wieder Tendenzen, bestimmte ethnische oder nationale Kleidungsstile, Kleidungsgegenstände oder Kleidungsmaterialien zu propagieren, meist nur mit wenig anhaltendem Erfolg. Neben der Jeans repräsentieren vor allem die Sneakers einen globalen Kleidungsstil. Schuhe stellten einst untergeordnete modische Accessoires dar, bis der Turnschuh als im Alltag getragenes Schuhwerk entdeckt wurde. Sneakers bieten dabei dem Träger ein im Bedeutungsradius höchst erweitertes kulturelles Zeichensystem, mit dem sich je nach Marke unterschiedliche Imagewerte verbinden. Insbesondere in den USA kann dieses Schuhwerk verschiedenste Botschaften senden. Ich kann mich als Technokrat zu erkennen geben, der einen wissenschaftlich konstruierten Laufschuh schätzt; als yuppie, der die letzte und teuerste Kreation bevorzugt; als Insider einer schwarzen Ghettokultur, der sich nicht nur am Schuh und den baumelnden Senkeln, sondern auch am Fortbewegungsstil (vgl. den „pimp roll“ in Wolfe, The Bonfire of the Vanities) zu erkennen gibt. (Hansen 2000: 61) Der Kleidungsstil von Minderheiten ist zweifellos ein nicht nur vordergründig faszinierendes und lebensnahes Thema für deutsche Schüler/ innen. Über die Sneakers hinaus erstreckt er sich auf herabhängende Hosen, sichtbare Unterwäsche und Pullover mit Kopfmütze, alles ursprünglich dem urbanen Ghetto-Stil verpflichtete Ausdrücke subkultureller Gesinnung. So lässt sich eine Reihe von höchst unterrichtsrelevanten Themen im Zusammenhang mit Mode anvisieren. Von materiell wohl versorgten Jugendlichen gepflegte Modestile können auf ihre Ursprünge in den angloamerikanischen Sub- und Minoritätenkulturen zurückgeführt werden. Weiterhin gilt es zu erkunden, wie diese Modetendenzen Teil des Mainstream wurden. Zugleich können bestimmte Moderichtungen durchaus kritisch beleuchtet werden, wie beispielsweise der in der Rap-Szene gehuldigte Kult des Materialismus (zur Schau gestellt durch das bling-bling, also z.B. durch auf falschen Zähnen blinkende Edelsteine und monströse Goldketten) oder der damit einhergehende Männlichkeitswahn (halbnackte Frauen, die sich auf Luxuskarossen räkeln). Üben derartige höchst zweifelhafte Moderichtungen doch einen starken Einfluss aus auf Jugendliche der Minoritätenkultur(en) und darüber hinaus auf Heranwachsende weltweit. In seiner richtungsweisenden Studie Subcultures: The Meaning of Style hat Dick Hebdige (1979) im Vergleich verschiedener auffälliger und ‚spektakulärer’ Jugend- <?page no="73"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 59 kulturen aus Großbritannien aufgezeigt, wie diese bemüht sind, sich in Kleidung, Bewegung und Interaktion der vorgegebenen gesellschaftlichen Einbindung zu verweigern. Die Verwendung bestimmter Zeichensysteme findet dabei auf höchst ungewohnte Form statt, wenn beispielsweise britische Skinheads Merkmale des jamaikanisch-britischen rude-boy style verwerten, um maskuline Körperlichkeit und working-class background hervorzuheben. Ähnliche Verwertungen anderer Zeichenkulturen finden sich gerade auch in der Rap- und Hip-Hop-Szene. Kehren wir damit zurück zu den Sneakers als modischem Statement von Minderheitenkulturen. Der afroamerikanische Performance-Dichter Reg E. Gaines thematisiert in einem 1993 in New York live aufgenommenen Gedicht eher fragwürdige Aspekte der Fetischisierung von Sneakers. Mit dem Titel seines Gedichtes „Please Don’t Take My Air Jordans“ spielt er auf die mit hohem Sozialstatus versehenen Basketballschuhe der Firma Nike an, die von dem schwarzen Megastar Michael Jordan getragen und beworben wurden. Der Dichter schlüpft dabei in seinem Vortrag in die Rolle eines jugendlichen Ghetto-Bewohners, der seinen sozialen Status primär über das von ihm getragene Schuhwerk definiert: my crew’s laughing at me cuz i’m wearin old gear school’s almost over summer is near and i’m sportin torn jordans and need somethin new there’s only one thing left to do Der Text karikiert dabei auf erschreckende Weise tatsächliche Ereignisse: dass aus Gier nach den gerade ‚angesagten’ Nike-Sneakers schwere Verbrechen begangen werden. Der Ich-Erzähler verfolgt den Träger der begehrten Air Jordans und ermordet ihn - wir erkennen in den letzten Zeilen, dass der Teufelskreis der materiellen Selbstbestätigung weitergehen wird (Gaines in Freese 1998: 151f.). while layin there dyin all he could say was please…don’t take my air jordans away… you think he’d be worried about stayin alive as i took off with the jordans there were tears in his eyes the very next day i bopped into school with my brand new air jordans man i was cool i killed to get them but hey…i don’t care cuz now…i needs a new jacket to wear Bei der Präsentation dieses Gedichtes ist die Gefahr zu vermeiden, lediglich bekannte Stereotype über Afroamerikaner als ‚kriminelle Ghettobewohner’ zu tradieren. Der Text liefert vor allem ein anschauliches, schülernahes Beispiel für die Tragweite und Bedeutung des oben beschriebenen kultursemiotischen, auch auf die small c culture ausgerichteten Ansatzes. In einer von den Zeichensystemen der Pop- und Kommerzkultur überschwemmten Welt sind wir, wie Umberto Eco (1988: 454) es einmal ausgedrückt hat, alle „instinktive Semiotiker“. Entsprechend kann der Englischunterricht aufzeigen, wie semiotische Bedeutung unterschiedlich und kulturspezifisch entsteht, verbreitet und aufgenommen wird. <?page no="74"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 60 2.5 Globale Medienkultur - globale Popkultur ‚Media heaven’ oder ‚media hell’? Die weiter oben bereits gestellte und nur vorläufig beantwortete ‚Gretchenfrage’ nach dem Stellenwert der Populärkultur im Zusammenhang mit dem ‚Kulturverständnis’ sei an dieser Stelle eingehender erörtert. Denn das Beziehungsgefüge von Populärkultur, Globalisierung, Mediatisierung und englischer Sprache ist von zentraler Bedeutung für den Englischunterricht. Dies hat, wie ausgeführt, zum einen mit der ansteigenden Quantität medial vermittelter Austauschbeziehungen in englischer Sprache zu tun. Zum anderen sind diese realen oder elektronisch-virtuellen Interaktionen nicht allein als sprachlich-kommunikative Phänomene im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Englischen als lingua franca zu bewerten. Mit zunehmender Globalisierung und Nutzung der Kommunikationsangebote des World Wide Web sowie US-amerikanischer Produkte der Populärkultur verändert sich nicht allein die unterrichtliche Determinante ‚Zielkultur’, sondern auch die Welt der eigenen Kultur - und damit Lernräume und die in ihnen Agierenden. Die für die Konstruktion des eigenen Selbstverständnisses essenziellen Kulturkomponenten befinden sich damit nicht hauptsächlich im Bereich der so genannten ‚Hochkultur’ oder eines national zu definierenden Angebots zur Sinnstiftung. Es geht vielmehr zuvorderst um global ‚disseminierte’ Sinnstiftungsangebote im Bereich Musik, Videos, Filme, Fernsehserien, Kleidung, Stile, sogar Bräuche wie Halloween - sie alle bieten mediale oder medial vermittelte Bausteine zur Formung des Ichs. In der Pädagogik und Didaktik des deutschsprachigen Raums gibt es eine lange Tradition der Ablehnung dieser populärkulturellen Phänomene. Diese wurden und werden oftmals als ‚minderwertig’, ‚verdummend’ oder pädagogisch bzw. entwicklungspsychologisch gefährlich abgewertet (vgl. Volkmann 2004b). Erst langsam scheint sich in jüngeren Publikationen die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Populärkultur in ihrer Allgegenwart nicht aus dem Klassenzimmer zu verbannen ist und demnach nicht lediglich verteufelt werden sollte (vgl. u.a. Thaler 1999, Blell 2002, Linke 2006). Auch kann es nicht Aufgabe einer kritischen Pädagogik oder Didaktik sein, Jugendlichen Spaß und Genuss zu vergällen. Vielmehr gilt es, einen differenzierten Standpunkt zu entwickeln, der einerseits - gerade im Sinne des Konstruktivismus - das große Potenzial der Popkultur erkennt (‚media heaven’), andererseits aber auch die Gefahren einer ‚medialen Verwahrlosung’ (‚media hell’) berücksichtigt und entsprechende Medien- und Unterhaltungskompetenzen vermittelt (vgl. Blell 2002, Volkmann 2004b, Linke 2006). Diese differenzierte Grundposition erkennt dabei, dass die hier zunächst zu skizzierenden Vorbehalte gegenüber der Populärkultur nach wie vor nicht substanzlos sind und ihre grundsätzliche ‚bedenkenträgerische’ Funktion behalten. Allerdings wird dabei auch beachtet, wie weiterhin auszuführen ist, dass die Produkte der Populärkultur bei entsprechend kritischkonstruktiver, wählerischer oder gewitzter Rezipientenhaltung höchst unterschiedlich verstanden und kognitiv wie emotional aufgenommen werden können. <?page no="75"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 61 ‚Media hell’: Positionen gegen die globale ‚Massenkultur’ Der ungeheure Einfluss der Medien bereits vor dem Zeitalter des Fernsehens oder gar des Internets lässt sich kurz anhand einer bekannten Episode aus der Mediengeschichte illustrieren. Als das von Orson Welles produzierte Hörspiel The War of the Worlds 1938 von amerikanischen Radiostationen ausgesendet wurde, kam es zu tumultartigen Szenen. Die fiktionale Attacke vom Planeten Mars wurde als reale Bedrohung verstanden und führte zu Massenhysterien, als Bürger verzweifelt sichere Zufluchtsorte suchten und bei Polizeistationen anriefen (vgl. O’Sullivan et al. 1994: 152). Weniger tatsächliche Panikreaktionen als vielmehr so genannte moral panics innerhalb der moral majority werden in den USA immer wieder durch sexuell freizügige oder anzügliche Fernsehsendungen oder Musikstücke ausgelöst. Die moralisch zersetzende Macht der ‚Kulturindustrie’ ist jedoch nicht nur ein Thema konservativer bürgerlicher Kreise. Schwerwiegende Bedenken existieren gleichfalls im politisch eher linken und aufklärerisch gesinnten Lager. Unter Ideologie- und Manipulationsverdacht stellt die Populärkultur vor allem weite Teile der kritischen Kulturwissenschaft in der Tradition der Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno, Habermas). Kritische Perspektiven werden gleichfalls von Semiotikern und Diskurskritikern aus dem romanischen Kulturraum vertreten (Foucault, Barthes, Bourdieu, teilweise Eco). Wesentliche Teile der hiervon stark beeinflussten angelsächsischen Literatur- und Kulturwissenschaften, ob traditionell textorientiert oder eher kontextorientiert (New Historicism), nehmen gleichfalls implizit oder explizit in der exklusiven Privilegierung literarischer Texte eine Position gegen Massenmedien ein (vgl. Hansen 2000: 292, im Überblick z.B. Hepp, Winter 1997, Schöttker 1999). Dies gilt zudem für viele pädagogische und didaktische Theoretiker, deren Konzepte einer ‚kritischen Pädagogik’ zugleich auch immer eine medienkritische Ausrichtung beinhalten. Es seien hier nicht allein ausgesprochen kritische Medienphilosophen und -pädagogen genannt wie Neil Postman (1988) oder Joseph Weizenbaum (1993), sondern auch unterschiedliche pädagogisch-didaktisch ausgerichtete Wissenschaftler/ innen wie Annedore Prengel (1995) und Claire Kramsch (1996). Jürgen Habermas, renommierter Soziologe der Frankfurter Schule, beschreibt die Auswirkungen der kommerziellen Massenkultur im Zeitalter der Globalisierung mit dem Begriff der ‚kommodifizierten Einheitskultur’ und wirft einen skeptischen Blick auf den wachsenden Moloch der globalen Konsumwelt: Globale Märkte sowie Massenkonsum, Massenkommunikation und Massentourismus sorgen für die weltweite Diffusion von oder Bekanntschaft mit standardisierten Erzeugnissen einer (überwiegend von den USA geprägten) Massenkultur. Dieselben Konsumgüter und Konsumstile, dieselben Filme, Fernsehprogramme und Schlager breiten sich über den Erdball aus; dieselben Pop-, Techno- oder Jeansmoden erfassen und prägen die Mentalität der Jugend noch in den entferntesten Regionen; dieselbe Sprache, ein jeweils assimiliertes Englisch, dient als Medium der Verständigung zwischen den entlegensten Dialekten. Die Uhren der westlichen Zivilisation geben für die erzwungene Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen den Takt an. Der Firnis einer kommodifizierten Einheitskultur legt sich nicht nur auf fremde Erdteile. Er scheint auch im Westen selbst die nationalen Unterschiede zu nivellieren, so daß die Profile der starken einheimischen Traditionen immer mehr verschwimmen. (Habermas 1998: 114f.) Die Kerngedanken einer skeptischen oder ablehnenden Betrachtungsweise der Populärkultur finden sich in verdichteter und ideengeschichtlich äußerst einflussrei- <?page no="76"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 62 cher Form in dem 1944/ 47 erstmals veröffentlichten Aufsatz „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ (Horkheimer, Adorno 1998). In ihm liefern die Autoren Max Horkheimer und Theodor Adorno, Begründer der Frankfurter Schule und bisweilen als ‚Neomarxisten’ bezeichnete ‚Ideologiekritiker’, eine fulminante Generalkritik der kapitalistischen Kultur von Unterhaltung und Kommerz. Deren wesentliche Elemente seien hier knapp in zugespitzter Form beschrieben. Horkheimer und Adorno - und mit ihnen alle Anhänger ‚ideologiekritischer’ Denkrichtungen - gehen von einer kapitalistischen Dominanzkultur aus, die entsprechend in anderen Denkrichtungen als weiß, bürgerlich, westlich, männlich, heterosexuell usw. mit unterschiedlicher Akzentsetzung negativ konnotiert wird. Die bei Horkheimer und Adorno modellierte Dominanzkultur der europäischen und vor allem amerikanischen Kulturindustrie schafft vereinheitlichte, ästhetisch verarmte und beliebig ersetzbare bzw. reproduzierbare Unterhaltungsprodukte, die auf vordergründige Effekte, schnellen und massenhaften Konsum und auf Bewahrung des ungerechten gesellschaftlichen Status quo ausgerichtet sind. Sie ist, mit einem Kernbegriff formuliert, ‚affirmativ’ in ihrer Reproduktion des ‚Immergleichen’. Sie produziert Schund, Kitsch, Inauthentisches - mit heutiger Terminologie ausgedrückt: ‚Fake’ und Simulakrum. Sie desensibilisiert gegenüber der ‚echten Kunst‘, der stets ein subversives und kritisches Potenzial innewohnt, und führt zur „Verkümmerung der Vorstellungskraft und Spontaneität des Kulturkonsumenten“ (Horkheimer, Adorno 1998: 134). Dies wird als Akt der ‚Kommodifikation’ beschrieben, wenn also das Verhältnis des Individuums zu den von ihm konsumierten Gegenständen verdinglicht ist und somit den „Warencharakter der Gesellschaft“ (ibid.: 166) reflektiert. Kulturkritischen Positionen inhärent ist einerseits die A-priori-Annahme von manipulativen Gesellschaft- oder Wirtschaftsmechanismen. Dem entspricht die Vorstellung eines diesen Kräften weitgehend willenlos ausgesetzten Individuums. Durch die Kulturindustrie wird dieses seiner selbst ‚entfremdet’. Der Mensch verliert zunehmend sein kreatürliches und sinnliches Verhältnis zu seiner ‚wahren’ Menschennatur. Er wird zur willigen Marionette der Kulturindustrie, gar zur einer Art ‚blinder Lurch’. In der additiven Wirkung der Massenkultur entsteht eine homogenisierte, nach unten nivellierte und ‚verdummte’ Gesellschaft williger Konsumenten. Ähnlich wie der Begriff der Entfremdung teilweise auf Theorien von Karl Marx zurückgeht, versteht sich die Kulturkritik nicht allein als beschreibende Wissenschaft, sondern sieht es als ihre Aufgabe an, ‚Aufklärung’ zu bieten und in die bestehenden Verhältnisse verändernd einzugreifen. Bereits in der Ära des Schwarz-Weiß-Films verkündete der angesehene Kulturkritiker Siegfried Kracauer 1932 in von anderen häufig wiederholter Manier seine kulturkritische Mission, „die in den Durchschnittsfilmen versteckten sozialen Vorstellungen und Ideologien zu enthüllen“ (zit. in Schöttker 1999: 70). Besonders einflussreich in der Geschichte der Medienkritik waren dann die Untersuchungen des französischen Semiotikers Roland Barthes, dessen Studie Mythologies (1957) in Deutschland mit dem aussagekräftigeren Titel Mythen des Alltags erschien (1964). Barthes entlarvt hier vor allem das Natürlichwerden, das Entpolitisieren von Unrechtsstrukturen in dem „ganzen Katalog kollektiver Bilder“ (Barthes 1964: 129): „Je mehr die bürgerliche Klasse ihre Vorstellungen verbreitet, desto mehr werden sie natürlich.“ (ibid.: 128) Seine kritische Diskursanalyse bezieht sich dabei auf gängige Alltagspraktiken, die ‚natürlich’ erscheinen, aber dennoch ideologisch eingefärbt sind und bestimmten gesellschaftlichen Schichten zur Stabilisierung oder <?page no="77"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 63 Unterstützung dienen. Denn die gängigen Vorstellungen - z.B. zu Ausländern, zu Konsumartikeln, zur Moral usw. - legen die Hierarchie der Dinge fest und balsamieren sie gleichsam ein (ibid.: 146f.). Die ‚kritische Semiotik’ - auch eines Umberto Eco (1991) - beschäftigt sich in dieser Tradition mit der soziokulturellen Bedeutung bestimmter sozialer Praktiken, Medienprodukte oder Artefakte. Sie deckt Systeme der Bedeutungsaufladung sowie die dahinter stehenden Machtinteressen auf und dient der „Entmystifizierung“ (Barthes 1964: 8) natürlich erscheinender Unrechtszustände. Damit zielt sie gleichfalls ab auf eine Umkehrung des Zustandes der Entfremdung und auf eine Aussöhnung des Menschen mit sich selbst, dem Anderen und der Welt. Analog hierzu hat sich die linguistische Diskursanalyse (Fairclough 1989) mit sprachlichen und kommunikativen Phänomenen beschäftigt und sich mit der Bedeutung von Präsuppositionen und der Prägung von Sprache durch Ideologien auseinandergesetzt. Dabei gilt es, so Fairclough, ein kritisches Sprachbewusstsein zu schaffen. Es gilt zu erkennen, dass Sprache und Sprechakte stets sozial determiniert sind (Fairclough 1985: 747, 1989: 239). Auch im Bereich interkulturelles Lernen gelten kommensurable Lernziele wie „[to] teach students how to read ideology and point of view in language“ ( Murphy-Lejeune et al. 1996: 64). Ähnliche Richtungen finden sich in den Untersuchungen zum language imperialism des Englischen, wenn beispielsweise Pennycock (1994: 317) aus linguistischer Perspektive Grundzüge einer ‚kritischen Pädagogik’ entwirft und darunter eine skeptische Grundeinstellung zur Ausbreitung der englischen Sprache versteht. Es gilt hier, Position einzunehmen gegenüber dem Monolingualismus und dem Einzementieren bestehender globaler Asymmetrien durch Sprachimperialismus. Dies entspricht in Grundzügen weit verbreiteten Vorstellungen einer kritischen Didaktik oder Pädagogik, die sich gegen Tendenzen der Ökonomisierung von Bildung und Erziehung wendet und für kritische, emanzipatorische Agendas an Schule und Universität steht (vgl. Klafki 2007, aber auch Prengel 1995, Cummins 2001). Die beim Linguisten Pennycock (1994) angemahnte kritische Pädagogik wird somit auch auf anderen Gebieten gefordert, maßgeblich im Bereich der Medienwissenschaft. Insbesondere die Arbeiten des amerikanischen Medienkritikers Neil Postman sind in Deutschland vor allem in den 1980er und 1990er Jahren eingehend rezipiert worden. Der Titel eines gegen das Medium Fernsehen gerichteten Buchs, Wir amüsieren uns zu Tode (engl. Original Amusing Ourselves to Death, 1985), ist im Mediendiskurs geradezu sprichwörtlich geworden. Postman und andere Medienkritiker analysieren, wie das Fernsehen seine Zuschauer in Zustände nirvanaähnlicher Bewusstseins- und Ereignislosigkeit versetzt, zuvorderst die Gier nach Sensationen zu stillen sucht und eher das Ephemere und Flüchtige betont anstatt, wie die Buchkultur, das Profunde, Anhaltende (vgl. Enzensberger 1988b). Man mag die Positionen der dezidierten Fernseh-Ikonoklasten Enzensberger und Postman für überzogen halten, eine grundsätzlich medienkritische Ausrichtung findet sich allerdings auch in den meisten fachdidaktischen Publikationen, z.B. in dem einflussreichen Band zum interkulturellen Lernen von Claire Kramsch, in dem der Einsatz der digitalen bzw. audiovisuellen Medien unter dem Titel „Demystifying television discourse“ (Kramsch 1996: 189) beschrieben ist. Medienkompetenz bedeutet für Kramsch im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenunterricht die Erkenntnis, dass Massenmedien vor allem zu Affirmation und Redundanz, zur übertriebenen und grell ausgemalten sowie sensa- <?page no="78"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 64 tionalistischen Darstellung neigen. Dies und der kommerzielle Charakter der Medien sei herauszustellen. Kramsch geht dabei, wie kulturkritische Positionen generell, von der so genannten fixing hypothesis aus (vgl. Blell 2002: 196). Diese besagt, dass die Produzenten von kommerziellen Medienprodukten oder Industriegütern diese mit einer bestimmten, zu mehr Konsum und affirmativer Grundhaltung auffordernden Bedeutung encodiert haben. Diese ist also dort fest ‚fixiert’, so dass den Konsumenten eine bestimmte Bedeutung oktroyiert wird, ob sie dies wollen oder nicht. Gerade diese These einer festgelegten Bedeutung, welcher der Konsument bei seiner Decodierung ausgeliefert erscheint, ist von neueren Theorien der Cultural Studies und Rezeptionsforschung erheblich in Frage gestellt worden. Mit dieser Neubewertung des Encodierung-Decodierung-Prozesses hat sich eine positive Einstellung gegenüber der Populärkultur angebahnt. ‚Media heaven’: Aufwertung der Populär- und Medienkultur Ansätze für eine nicht ausschließlich kritisch-ablehnende Auseinandersetzung mit der Populärkultur finden sich bereits bei Theodor Adorno. Gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Hanns Eisler formulierte er das wissenschaftliche und zugleich pädagogische Ziel, die Wirksamkeit von Medien innerhalb der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse mit dem positiven Gegenentwurf von Medien in einer macht- und unterdrückungsfreien Lebenswelt zu kontrastieren: Die Auseinandersetzung mit Massenkultur muß es sich zur Aufgabe setzen, die Verschränkung beider Elemente, der ästhetischen Potentialitäten der Massenkunst in einer freien Gesellschaft und ihres ideologischen Charakters in der gegenwärtigen, sichtbar zu machen. (Adorno, Eisler 1976: 12f.) Die hier erkannten „ästhetischen Potentialitäten der Massenkunst“ sind in den letzten Dekaden wesentlich aufgewertet worden. Dies geschah unter dem Vorzeichen dessen, was man ‚postmodernen Konstruktivismus’ nennen könnte: Einerseits ergab sich die Veränderung der Gesellschaft hin zu einer postmodernen Spaß- und Erlebnisgesellschaft, in der einst klar verortbar erscheinende Dominanz- und Einflusszentren diffuser und interdependenter erscheinen (Schulze 1992), andererseits herrscht ein im Wesentlichen konstruktivistisch zu bezeichnendes Konzept des postmodernen Individuums vor. Dieses ist nun nicht mehr allein fremdbestimmter Konsument, sondern ein mit agency - also Selbstbestimmtheit - ausgestatteter Produzent eigener Sinnhaftigkeit (vgl. generell zu postmodernen Konzepten Welsch 1988). Die bei Horkheimer, Adorno und anderen angemahnten ‚zynischen’, d.h. dekuvrierenden Lesarten der Populärkultur erscheinen grundsätzlich überholt. Vermögen sie es doch nicht, die auch von noch so kritischen Kulturpessimisten gelegentlich genossenen Spaß- und Lustressourcen der Popkultur in den althergebrachten akademischen Theoriegebäuden zu verorten. Wenn Antony Easthope (1997) in einer Übersicht zu den Cultural Studies noch vermerkte, dass alte Gegensätze zwischen hoher und niedriger Kultur weiterhin prägnant nachwirken, so erscheint er inzwischen schlichtweg überholt. Allerdings gibt es immer noch Wissenschaftler/ innen und Pädagogen/ innen, an denen die gesamte, seit den 1960er oder 1970er Jahren sich entfaltende Diskussion der Postmoderne anscheinend spurlos vorbeigegangen zu sein scheint. Denn das bereits zitierte Diktum des Theoretikers Leslie Fiedler (1975) zur Auflösung alter Dichotomien - „Close that gap! “, bezeichnenderweise erstmals in <?page no="79"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 65 einem Playboy-Interview formuliert - macht ein Hauptmerkmal des Projektes der Postmoderne deutlich: die Überwindung der tradierten Ausgrenzungsmechanismen des elitären Kultursnobismus. Fredric Jameson, marxistisch beeinflusster Großtheoretiker der Postmoderne, erkennt in ihr das Ziel, dass die traditionelle Trennung zwischen ‚hoher’ Kultur und so genannter Massen- oder kommerzieller Kultur aufgehoben wird und neue Textsorten bevorzugt werden, die mit den Formen, Kategorien und Inhalten gerade jener Kulturindustrie durchsetzt sind, die von allen Verfechtern kulturkritischer Positionen so leidenschaftlich verurteilt wurden (Jameson 1992). Der Populärkultur zugewandte Theoretiker der Postmoderne zelebrieren vor allem die Auflösung des autonomen bürgerlichen Subjektbegriffs. Sie betonen vielmehr das ‚polyvalente’, ‚hybride’, ‚multiple’ Ich, das Mitglied vielfältiger in- und miteinander verschachtelter Kollektive ist (vgl. z.B. Welsch 1988, Schulze 1992, Altmayer 2004: 107). Im Sinne postmoderner Identitätsthesen erscheint es dabei befähigt, sich seine Identität wie einst der griechische Meeresgott Proteus in immer neuen Formen zusammenzubasteln. Es sei Emanzipation und Freiheitsgewinn, wenn die alten ‚Krücken des Selbst’ wie Religion, Nation, Klasse, Geschlecht als anachronistischer Ballast abgeworfen werden und ein derart abgespecktes und fittes Ich sich aus dem Supermarkt möglicher Selbstentwürfe mehr oder minder souverän immer neue und flexibel an die jeweilige Lebenssituation anzupassende ‚Identi-kits’ zur Selbstverwirklichung wählt. Derartige ‚Bastelidentitäten’ ermöglicht vor allem die Auflösung typischer ‚sozialmoralischer Milieus’ (Hitzler 1988, Schulze 1992), die zugleich die althergebrachte Aufteilung zwischen E- und U-Kultur anachronistisch erscheinen lässt. Vielmehr werden die nach wie vor vorhandenen, als anthropologische Konstante zu bezeichnenden Distinktionsbedürfnisse durch fluide Auswahlmoden umgeformt und dadurch weniger offensichtlich. Die von Adorno, Horkheimer et al. als Kultur- und Unterhaltungsindustrie diffamierte „kommodifizierte[...] Einheitskultur“ (Habermas 1998: 115) des Populären erhält dabei eine neue, positive Zulieferfunktion. Es wird inzwischen das Hohelied auf das munter bastelnde Individuum angestimmt, der passive Konsument von einst wird zum aktiven ‚Optionisten’ umdefiniert. Postmoderne Akteure seien nicht mehr Opfer einer Indoktrinationsmaschinerie, sondern wählen - wie es bisweilen allzu euphorisch heißt (vgl. Apparurai 1996, Fiske 1989, 1990) - bewusst und selbstreflexiv. Sie gehen spielerisch und selektiv mit den Produkten der Unterhaltungskultur um; sie können gewitzt und mit Augenzwinkern scheinbar Unvereinbares - Kitschiges wie Hochintellektuelles - sichten, für sich entdecken und nutzbar machen. Inzwischen wird der ubiquitären Medien- und Werbepräsenz sogar eine sinnstiftende Wirkung zugesprochen: die Fähigkeit zur Ästhetisierung der Alltagswelt, zur Wiederverzauberung der Trivialexistenz (vgl. hierzu kritisch Bauman 1995: 5ff.) durch die beruhigende Semantik von Werbung und Popkultur. Denn sie vermittle eine bisher von drögen und biederen Kulturkritikern vernachlässigte Bedürfnisbefriedigung; sie stille ein tief in der Anthropologie des Menschen verwurzeltes Verlangen nach ‚Genuss’, ‚Spaß’, ‚Glamour’ usw. Mit ihrer Betonung des Leiblichen, des Sinnlichen und Erotischen in einer wunschdurchtränkten Bilderwelt stelle sie, so die These, mentale wie emotionale Befriedigungsangebote zur Verfügung (vgl. entsprechende Passagen zur „postmodern perspective“ in Turner 1996: 207ff., bes. 208, und das Kapitel „Postmodernismus, Ironie und Vergnügen“ in Eco 1984: 76ff.). <?page no="80"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 66 Encodierung und Decodierung als komplexe Abläufe Auf der theoretischen Ebene der Zeichenanalyse (Semiotik) und Rezeptionsabläufe (audience research, Rezeptionsästhetik) wird die positiv konnotierte Wirkung der Populärkultur vor allem mit der Komplexität und Ambiguität von En- und Decodierungsprozessen erklärt. Betrachten wir zunächst die Encodierung bei den ‚Texten’ der Populärkultur. Hier ist besonders von Semiotikern wie Umberto Eco (1984) auf die Doppel- oder Mehrfachkodierungen populärkultureller Texte hingewiesen worden. Sie liefern keinesfalls nur eine eindeutige Bedeutungsfixierung, sondern stellen eine semiotische Ressource für Widerstand, gegensätzliche Lesarten, Evasion usw. dar (vgl. Sommer 2003: 51). Um erfolgreich zu sein, so John Fiske, müssen sie es dem Konsumenten erlauben, eigene, der dominanten Ideologie entgegengesetzte Bedeutungen zu kreieren, sie müssen geradezu ‚widersprüchliche Bedürfnisse‘ erfüllen (Fiske 1989: 28). Begründet ist dies in der Ambivalenz semiotischer Zeichen, im Übermaß an Bedeutung (excess of meaning). Aus diesem Grund sei popular culture, so Fiske (1990: 2), „always a culture of conflict, […] made from within and below, not imposed from without or above as mass cultural theorists would have it”. Fiske nennt typische Beispiele aus dem Alltag dafür, wie Individuen auf kreative oder subversive Weise mit scheinbar ‚affirmativen’ Zeichensystemen umgehen: [B]umper stickers announcing, “A woman’s place is in the mall,” coffee mugs decorated with the words “mall rats,” or T-shirts that proclaim the pathology of the “shop-a-holic” can be used defiantly, skeptically, critically, and variously, according to their many uses. (Fiske 1989.: 3) Umberto Eco (1984) hat hervorgehoben, wie postmodernen Texten dieses ‚Übermaß an Bedeutung’ als multiples Sinnangebot eingeschrieben ist, und hat hierfür seinen eigenen Bestseller Il nome della rosa (1980) als Beleg verwendet. Denn der Mittelalter-Krimi lässt sich einerseits als spannender, atmosphärisch dichter Whodunit hinter Klostermauern lesen, als Hommage an Sherlock-Holmes-Detektivrätsel, aber auch als komplexe Behandlung philosophischer Grundfragen des christlichen Mittelalters, deren Dimensionen sich erst bei eingehenden Studien der Sekundärliteratur dazu erschließen. Auf ähnliche Weise lässt sich zeigen, wie ein Hollywood- Blockbuster wie The Matrix sowohl durch Elemente reißerischer Thriller wie rasanten Verfolgungsjagden oder Duellen mit wahnwitzigem Tempo besticht, zugleich aber eine höchst komplexe philosophische Tiefendimension vorweist, die ontologische und epistemologische Grundfragen menschlicher Existenz behandelt (Was ist menschliche Existenz? Was ist der Unterschied zwischen der ‚wahren‘ Realität und der Realität, wie wir sie wahrnehmen? , vgl. Lütge 2007). Auch von anderer Seite her ist die Vorstellung eines inhärenten Verdummungsfaktors der Populärkultur, und gerade der visuellen Medien, radikal in Frage gestellt worden. Medienwissenschaftler wie Steven Johnson (2006) und Henry Jenkins (2006) gehen in ihren Studien weniger auf den pädagogischen Wert von Medien ein, sondern beschäftigen sich eher mit Fragestellungen, wie und ob populäre Medien zum komplexen Denken anregen und damit als ‚heimliche’ Erziehungsinstrumente auf die Anforderungen komplexer Berufsfelder vorbereiten. Ihre Grundthese ist hierbei, dass gerade neuere Medienprodukte sich durch einen enormen Komplexitätsgewinn auszeichnen, im Sinne Ecos also stets mehrfach kodiert sind und ihre Rezipienten dazu auffordern, in komplexen Rezeptionsabläufen diese mehrschichtigen Encodie- <?page no="81"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 67 rungsmuster zu verfolgen. In der Tradition von Mary Messenger Davies’ Bestseller Television is Good for Your Kids (1989) sammelt Steven Johnson in seiner kontrovers aufgenommenen Studie Everything Bad is Good for You (2005) in durchaus einleuchtender Manier vielfache Belege für seine erstaunliche Grundthese: Die komplexen Strukturen neuerer TV-Serien und auch gegenwärtiger Videospiele verstärken die kognitiven Fähigkeiten des Publikums bzw. der User. Er greift dabei auf Argumente der Neurowissenschaften zurück: Die mannigfaltigen Systeme der Belohnung in virtuellen Spielen und ein „Reiz-Cocktail aus Belohnung und Entdeckung“ (Johnson 2006: 51) beim Betrachten von TV-Serien fordern zu schnellen Entscheidungen heraus, zum Erkunden, zum Verknüpfen verschiedener Handlungsstränge, die als wichtigstes Strukturelement gegenwärtiger Fernsehsendungen erkannt werden (ibid.: 77). So weist er beispielweise nach, dass moderne TV-Serien wie 24 oder House mit Bezug auf die Komplexität der Figurenkonstellation mindestens drei Mal so kompliziert sind wie die in den 1980er Jahren beliebte Serie Dallas (ibid.: 121). Der Komplexitätsgewinn liegt zudem in der Fülle ‚externer Informationen’, über die der Zuschauer verfügen muss, um Anspielungen und Witze zu begreifen, ganz abgesehen von dem hohen Grad an medien- und genrespezifischen Verweisen durch Filmzitate und Filmverweise. So stellen z.B. die kulturellen Referenzen bei den Simpsons nicht allein eine postmoderne Spielerei dar, sondern wären im Fremdsprachenunterricht eine Herausforderung, amerikanische Kulturphänomene zu entschlüsseln. Kurzum, wenn wir die Frage nach dem Bildungswert ausblenden, geraten TV-Serien, genauso wie Computerspiele und Reality-Shows, zu einer Art Gehirnjogging, zu einer „Art Psycho-Sport“ (ibid.: 103). Diese erstmals am Beispiel postmoderner Architektur beschriebenen semantischen Mehrfachkodierungen (vgl. Welsch 1988: 19f.) ermöglichen ihrerseits vor allem eine Selbstermächtigung des Rezipienten. Postmoderne Texte sind, wie beschrieben, in hohem Maße mehrdeutig, vielfarbig und komplex codiert und bieten Angebote (invitations, vgl. Sommer 2003: 39) zum Füllen ihrer Leerzeichen. Die Taktiken und Arten dieser Decodierung sind höchst unterschiedlich, wie die Rezeption amerikanischer Seifenopern, Fernsehserien und Filme im globalen Rahmen zeigt. Arjun Appadurai ist hier Verfechter einer optimistischen Grundhaltung, die einzelnen Individuen die Möglichkeit zu spontanen und translokalen Akten der Sinnbildung zuspricht. There is growing evidence that the consumption of the mass media throughout the world often provokes resistance, irony, selectivity, and, in general, agency. Terrorists modeling themselves on Rambo-like figures (who have themselves generated a host of non-Western counterparts); housewives reading romances and soap operas as part of their efforts to construct their own lives; Muslim family gatherings listening to speeches by Islamic leaders on cassette tapes; […] these are all examples of the active way in which media are appropriated by people through out the world. T-shirts, billboards, and graffiti as well as rap music, street dancing, and slum housing all show that the images of the media are quickly moved into local repertoires of irony, anger, humor and resistance. (Appadurai 2000: 7) Auf ähnliche Weise wird argumentiert, wenn die Anverwandlung dominanter Zeichensysteme durch Minderheiten (geschlechtlicher oder ethnischer Natur) betont wird. Das Argument lautet dabei wie folgt: Mögen die Elemente, die sich das Individuum wählt, noch so durchdrungen sein von den Symbolen der dominanten Kulturformationen (Patriarchat, Kapitalismus, Konsumgesellschaft usw.), so sind sie doch nicht eindeutig und können angeeignet werden. Die von Subkulturen praktizierten <?page no="82"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 68 Strategien des Umwandelns und Indienstnehmens von Zeichensystemen der Herrschaftskultur zeigen sich zum Beispiel in der ‚Inanspruchnahme’ des Marlboro-Mann als gay icon. Hier leuchten im Sinne des Konstruktivismus die Möglichkeit des empowerment auf - eines zum Produzenten eigener Sinnhaftigkeit sich erhebenden Individuums. Dabei geraten, wie entsprechende Verfechter argumentieren (vgl. Gates 1996: 298), die visuellen, elektronischen und digital-virtuellen Medien zum Träger globaler Hoffnungen, öffnen sie Minderprivilegierten doch Perspektiven auf freier erscheinende, weniger restriktive Welten und entwickeln Befreuungspotenziale im Kontrast zur eigenen Unterdrückung. Allerdings unterschlagen derartige Positionen in der Regel die an diese kulturellen Handlungen geknüpften Faktoren physisch erfahrenen Elends und alltäglicher Demütigung (z.B. in Armutsländern). Schließlich eignen sich Subjekte die genannten Selbstermächtigungsstrategien nicht aus reiner Freude an der Sache an, sondern werden durch eine auf Ausgrenzung und Repression gründende politische Praxis förmlich dazu angeleitet (vgl. Delanoy 2006: 236f.). Neue Fragestellung: Was macht das Individuum mit den Medien? Insgesamt hat die Medienforschung in den Cultural Studies einen wichtigen Perspektivenwechsel mit Bezug auf die Wertung der Populärkultur eingeleitet. Sie hat gezeigt, wie komplex sich die Rezeptionsabläufe in der Realität gestalten. Sie hat insbesondere eine Aufwertung des Rezipienten ausgelöst: Sie betont die Kreativität und Eigenständigkeit des Lesers von Unterhaltungs- und Trivialliteratur, des Betrachters von Seifenopern und Werbebzw. Musikclips, ja sogar des Fans von schmalztriefenden Schnulzen. Wie verschiedene empirische Untersuchungen gezeigt haben (vgl. z.B. das aufschlussreiche Kapitel „Audiences“ in Turner 1996: 122ff.), gibt es wenige wirklich ‚naive’ Rezipienten, die alle Produkte der Unterhaltungsindustrie für bare Münze nehmen, willenlos deren Aussagen oder Ideologien aufnehmen und zu passiven Konsumenten degenerieren. Rezipienten zeigen auch andere Haltungen, die wir in Anlehnung an Umberto Eco (1984) als ‚aufgeklärt’ und ‚gewitzt’ beschreiben können. Nach einem bekannten Modell von Stuart Hall (1973), welches hier mit einigen Modifikationen und unter Berücksichtigung von Ecos (1984) Positionen schematisch dargestellt ist, lassen sich dabei drei unterschiedliche Arten der Decodierung beschreiben. <?page no="83"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 69 Bevorzugte Rezeptionsstruktur (BVR) Individueller Erwartungs- und Verarbeitungshorizont (IEV) Rezipient Sender Abb. 6: Typen des Decodierens nach Hall (1973) und Eco (1984), stark adaptiert Dieses Modell beinhaltet dabei nur einen Teil des Sinnbildungsprozesses beim Encodieren-Decodieren. Es berücksichtigt nicht die Doppel- und Mehrfachkodierung beim Encodieren. Eine Konzentration auf diese Seite der Rezeption erscheint aber zumindest als heuristisches Moment nötig, um zu verdeutlichen, wie im Aufnahmeprozess der Produkte einer Fremdkultur höchst unterschiedliche Rezeptionshaltungen und Sinngebungen zum Tragen kommen. Nehmen wir zur Erörterung dazu ein Beispiel der material culture mit hohem symbolischen Wert: die amerikanische Flagge, Stars and Stripes, und wie sie aus deutscher Sicht ‚verstanden’ werden kann. Anhand dieses Beispieles seien schematisch die oben aufgeführten drei unterschiedlichen Rezeptions- und Verarbeitungsweisen beim Decodieren skizziert. Dabei gehen wir davon aus, dass die amerikanische Flagge in ihrer in den USA ‚encodierten’ Form als ein Emblem für die USA und deren Werte steht. (1) Die ‚dominante Hegemonialposition’ bedeutet, dass der deutsche Rezipient kritiklos und ohne Einsicht in Themen wie kultureller Imperialismus oder globale Hegemonialkultur die Flagge beispielsweise als modisches Attribut auf einem T-Shirt verwendet. Er wäre damit, je nach Sichtweise, ahnungsloser Verbreiter einer amerikanisierten Einheitskultur oder mehr oder wenig reflektierter Förderer der deutschamerikanischen Beziehungen. (2) Eine ‚verhandelte Position’ liegt vor, wenn durch weitere Zeichen oder eine bestimmte Präsentation der amerikanischen Flagge eine zusätzliche Bedeutung erzeugt wird. Beispielsweise geschieht dies durch ein Ensemble nationaler Flaggen auf einem T-Shirt, welches Aussagen wie ‚Völkerfreundschaft’ signalisiert. Hierbei kann die ursprüngliche Bedeutung ‚aufgehoben’ sein im doppelten Wortsinn: Zwar besteht die Symbolik der amerikanischen Flagge weiterhin, aber zugleich wird Dominante Hegemonialposition: Verhandelte Position: Oppositionelle oder abweichende, gegenläufige Position: BVR kritiklos, naiv übernommen BVR und IEV teils vereint, teils in Spannung BVR verstanden; Rezipient lehnt ab, benutzt aber (gezielt) oder BVR ‚appropriiert‘; gewitzte Lesart 1 2 3 <?page no="84"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 70 gezeigt, dass viele Nationen gleichberechtigt ‚nebeneinander’ existieren können (wenn auch hier nur symbolisch auf einem T-Shirt). (3) Eine ‚oppositionelle oder abweichende Position’ entsteht durch eine durchgestrichene Flagge auf dem T-Shirt, oder beispielsweise durch einen Begleittext, der USA-kritisch formuliert ist, aber auch eine Veränderung, wie z.B. beim Ersatz der Sterne in der Flagge durch die Symbole multinationaler Konzerne: Hier wird eine Aussage gegen ‚Amerikanisierung’ formuliert. Illustrieren lässt sich die Unterschiedlichkeit der Rezeptionshaltungen auch an einem anderen Beispiel, welches O’Sullivan et al. mit Bezug auf die international populäre TV-Serie Dallas ausführen. Tendenziell lassen sich diese frühen Ergebnisse des audience research auch auf aktuellere Fernsehserien wie Desperate Housewives oder Sex and the City übertragen: Far from Dallas being a case of ‘cultural imperialism’ […], whereby American capitalist values are spread throughout the world, the audience research makes clear that Dallas is made sense of via the local cultural framework of interpretation people bring to the programme. In Israel, [researchers] discussed a Dallas episode with several ethnic groups including Israeli Arabs, Moroccans and Russian Jews. The more traditional ethnic groups, e.g. Israeli Arabs, tended to see Dallas’s ‘message’ as being that wealth cannot bring happiness and that rich Americans are immoral. Meanwhile, in Holland, [another researcher] found some female viewers enjoyed the programme through adopting an ironic attitude, treating it as ‘trashy’ and inferior. Some even applied a Marxist/ feminist perspective and enjoyed it for its excess of sexism and capitalism, which could be viewed as evidence to support their own criticisms of American cultural values. (O’Sullivan et al. 1994: 178) Wichtig erscheint es festzuhalten, dass die in ‚Texten’ eingeschriebene Appellstruktur durchaus spielerisch oder subversiv, durchaus gegen die Textbzw. Verfasserintention aufgenommen und verarbeitet werden kann. Die Texte der Massenkultur können für den individuellen Rezipienten Spielmaterial sein, aus dem er oder sie sich die eigenen Bedeutungen erstellt. Je nach Individuum, je nach Kontext wäre diese Bedeutung jeweils irgendwo zwischen Zerstreuung, Informationsbeschaffung und Identitätsbildung anzusiedeln. Aufgrund der hier beschriebenen Perspektivenänderung lässt sich die bisherige Fragestellung bezüglich der Popkultur und ihrer Medien umformulieren: Es muss nicht mehr heißen: Was macht die Popkultur mit den Menschen? (vgl. ibid.: 155). Sondern: Was machen Menschen mit der Popkultur? Denn wir haben uns die Rezipienten vorzustellen als „active agents, more complex, critical or resistant and certainly less predictable in their cultural responses than has been assumed“ (ibid.: 294). Hierbei bietet es sich besonders an, im Unterricht die kulturell unterschiedlichen Abläufe bei der Encodierung-Decodierung selbst zu thematisieren. Die Fragestellungen lauten demnach: Wie lässt sich die kulturspezifische Bedeutung eines bestimmten Textes bzw. Zeichens und seine intendierte Rezeption rekonstruieren (z.B. durch Recherche im Internet)? Wie ist meine kulturspezifische Reaktion und Rezeption mit Bezug auf diesen Text / dieses Zeichen? Welche Erkenntnisse liefert die mögliche Diskrepanz oder Ähnlichkeit über interkulturelle oder globale Muster der Bedeutungszuweisung? Eine Medien- und Kulturdidaktik auf aktuellem Stand, welche den Doppelaspekt der Medien und Popkultur als ‚Medienhimmel’ und ‚Medienhölle’ berücksichtigt, muss <?page no="85"?> Kultur - Zielkultur - Zielkulturen: Theorien und Konzepte 71 eine dialektische Herangehensweise praktizieren, die in der Praxis einem nicht immer leichten Spagat gleicht: Die Produkte der Populärkultur sind einerseits als markante und bedeutungsvolle Zeichensysteme der Zielkultur zu bewerten und in ihrem motivierenden Potenzial zu erkennen und zu verwenden (vgl. Donnerstag 2002, Linke 2006). Zugleich gilt es weiterhin, einer kritiklosen, undifferenzierten und rein konsumorientierten Grundhaltung gegenüber der Kommerzkultur entgegenzuwirken. Im Kontext des interkulturellen Lernens ist dies verbunden mit dem Ziel, die Schüler/ innen zu Erkenntnissen bezüglich der Unterschiedlichkeiten wie Gemeinsamkeiten bei der Rezeption kulturell bestimmter Texte zu befähigen. <?page no="87"?> 3. Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 3.1 Kultur und Mentalität Nationen als ‚imagined communities‘ Wie im vorherigen Kapitel zum gegenwärtigen Verständnis von Kultur (Kap. 2) ausgeführt, ist allgemein von einem pluralisierten, relativierten und nichtnormativen Kulturbegriff auszugehen. Des Weiteren wird Kultur als die Gesamtheit aller Fähigkeiten und Gewohnheiten von Menschen begriffen, die diese im Zuge ihrer Enkulturierung innerhalb ihrer Gesellschaft erworben haben. In diesem Zusammenhang findet der Begriff der ‚kollektiven Mentalität‘ häufige Verwendung. Zurückzuführen ist diese Vorstellung einer kohäsiven Sinnbildung innerhalb bestimmter Gruppen auf einen in der frühen Völkerkunde entstandenen Kulturbegriff, wie ihn der britische Forscher Edward B. Taylor in seiner ethnologischen Pionierstudie von 1871, Primitive Culture, prägnant formulierte: Culture or Civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes knowledges, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society. (Zit. in Altmayer 2004: 83) Am Ende des 19. Jahrhunderts und bis nach 1945 leisteten höchst problematische essenzialistische Begriffe wie ‚Volksgeist‘ oder gar ‚Volksseele‘ bzw. ‚Nationalcharakter‘ der Vorstellung von homogenen und unveränderbaren nationalen Denkstrukturen Vorschub. Wenn diese dann mit pseudo-biologischen ‚Erkenntnissen‘ der Völkerkunde zu physischen und physiognomischen Unterschieden zwischen den ‚Rassen‘ verquickt wurden, war schließlich rassistischen Theorien zu europäischer, weißer oder arischer Überlegenheit Tür und Tor geöffnet. Die Annahme einer innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft vorherrschenden Denkweise konnte nach diesen gedanklichen Verwirrungen erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wieder zum wissenschaftlichen Thema werden. Inzwischen hat sich hier der Begriff der ‚Mentalität‘ durchgesetzt. Die Erforschung historisch gewachsener Mentalitäten, wie sie sich in literarischen und nicht-literarischen Texten widerspiegeln und von diesen mitbestimmt werden, ist in den 1980er und 1990er Jahren - seit der Abkehr von rein textbezogenen philologischen Ausrichtungen - geradezu zur neuen Orthodoxie einer kontextbezogenen geisteswissenschaftlichen Forschung geworden. Die Geisteswissenschaften mit ihrer Akzentverschiebung von der Literaturwissenschaft zu den Kulturwissenschaften richten sich dabei auf eine Reihe von Bezugswissenschaften aus (vgl. Stierstorfer, Volkmann 2005). Diese unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen beschäftigen sich ihrerseits eingehend mit diachronen und synchronen Aspekten und Dimensionen des Themas Mentalität. Es sind dies unter anderem die einflussreichen Teilgebiete der Ethnologie, Anthropologie, Soziologie, Psychologie, historischen Mentalitätsforschung, interkulturellen Kommunikationsforschung bzw. Kulturstandardforschung sowie der oftmals interdisziplinären Stereotypenforschung. <?page no="88"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 74 Spezifizieren wir zunächst den Begriff der Mentalität, wird er doch von unterschiedlichen Disziplinen mit Hilfe unterschiedlicher Terminologie erörtert. Die Mentalität (einer Kultur) wird begriffen als kollektives Wissen (vgl. Kamm 1996: 88), auch als kulturelles Gruppengedächtnis mit Bezug auf Forschungen zum kollektiven Gedächtnis. Sie gilt dabei als Repositorium kultureller Konstrukte und Vorstellungen, wie dies etwa Maurice Halbwachs und Jan Assmann (1992) eindrucksvoll beschrieben haben (vgl. Sommer 2003: 136, A. Assmann 2006: 219). Ähnliche Begriffe herrschen in der soziologischen Forschung vor: ‚Kollektivbewusstsein‘ (zurückgehend auf Durkheim, vgl. Melde 1987: 97), ‚gesellschaftlicher Wissensvorrat‘ (Berger, Luckmann 1998: 44); die historische Forschung operiert zudem mit Termini wie ‚Weltbild‘, ‚Ressentiment‘, ‚Lebensduktus‘, ‚(geistig-seelische) Disposition‘ (Dinzelbacher 1993) sowie ‚Weltanschauung‘ (ein Begriff, der allerdings politisch vorbelastet ist). Während Ausdrücke wie ‚Zeitgeist‘ eher auf vorübergehende, modische Denkweisen hinweisen, hat sich in der jüngsten Diskussion gerade der Begriff der ‚imaginierten Nation‘, der imagined community, zur Beschreibung national geformter Mentalitäten etabliert (er wurde von Benedict Anderson 1983 geprägt). Aus den Erkenntnissen der Sozialforschung wird deutlich: Mentalitäten beruhen auf Konstruktionen von Wirklichkeit. Sie sind im Sinne des Konstruktivismus „lediglich konjekturale Interpretationen der Wirklichkeit“ (Kamm 1996: 89), immer nur „Erfahrungswirklichkeit“ (Schmidt 1987: 7). Demnach konstruieren die Mitglieder einer Gesellschaft eine intersubjektiv geteilte, gemeinsame Wirklichkeit (Berger, Luckmann 1998 [1966]). Spezifizieren wir nun auch in einer knapperen Definition die Bedeutung des Mentalitätsbegriffs: In Anlehnung an das oben entworfene semiotische Kulturverständnis sind kulturelle Praktiken nicht selbstverständlich, sondern „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“ (Geertz 1973: 5, vgl. Kamm 1996: 90). Im Sinne der Verstehenden Soziologie nach Max Weber und Alfred Schütz bedienen sich die Mitglieder einer Gemeinschaft entsprechend kulturell ‚vorgefertigter‘ Muster und Schemata, um die sie betreffende Lebenswirklichkeit zu deuten und entsprechend zu handeln. Diese Muster und Schemata werden insbesondere in kommunikativen Akten und in entsprechenden ‚Texten‘ fassbar und erkennbar (vgl. Altmayer 2004: 84). Um erneut den Begriff des ‚Habitus‘ von Bourdieu (1987 [1979]) zu verwenden: Diese Einstellungen, Motive und Handlungsmuster verfestigen sich beim Individuum, welches sich diese als psychologische Disposition im Laufe seines Lebens aneignet und verinnerlicht. Derartige kulturell vorgegebene Dispositionen schlagen sich in Verhaltens- und Orientierungsmustern nieder, in Handlungsdispositionen, die sich wiederum in besonderen Stilen der Lebensführung äußern. Mentalitäten als geistige Dispositionen drücken sich also konkret in bestimmten Präferenzen und Abneigungen, in bestimmten Handlungen und Kommunikationsakten aus. Beispielhaft für interkulturelle Forschungsansätze, die auf eine Beschreibung kultureller Mentalitätsunterschiede abheben, firmiert etwa die Forschung zu ‚Kulturstandards‘. Ihr Ziel ist es entsprechend, national- oder kulturraumbestimmte Leitkonzepte der Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit in Bereichen wie ‚Arbeit‘, ‚Zeit‘, ‚Ordnung‘ usw. herauszuarbeiten und dabei Empfehlungen für interkulturelle Kompetenzentwicklung in Kommunikation und Handeln zu liefern (vgl. z.B. Hofstede 1991, Thomas 1996, Trompenaars, Hampden-Turner 1997, Apfelthaler 1999, Gibson 2000). <?page no="89"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 75 Gemein sind den genannten Ansätzen und Konzepten unterschiedlicher Disziplinen folgende drei Faktoren: (1) Sie fächern kategorial die Bandbreite von Gebieten bzw. Feldern des Bereichs ‚Mentalität‘ auf. Dies geschieht mit dem Anspruch, essenzielle Mentalitätskategorien für eine bestimmte Kultur, für den Kulturvergleich oder für den Diskurs der Interkulturalität insgesamt abzubilden. (2) Dabei entwickeln sie innerhalb der aufgestellten Kategorien binäre Skalierungen, die sich vom Pol ‚weniger ausgeprägt‘ zum Pol ‚stärker ausgeprägt‘ erstrecken. (3) Im Sinne des Kulturrelativismus findet hierbei keine wertende Hierarchisierung statt, sondern es wird rein deskriptiv konstatiert, wie die jeweilige Kategorie stark oder schwach ausgeprägt ist. Die Darstellung bestimmter Ausprägungen innerhalb von Kollektiven oder von Kollektiven im Vergleich kann dabei synchron als Bestandsaufnahme des Ist- Zustandes geschehen. Sie kann aber auch - wie etwa in der Literatur- und Kulturwissenschaft und besonders der Geschichtswissenschaft - eine Zeitspanne der Vergangenheit fokussieren oder diachron Entwicklungen bzw. Veränderungen von Mentalitäten und die dahinter stehenden Ursachenkomplexe und Motivlagen ergründen. Grundsätzlich läuft ein derartiger an ‚Mentalitätskategorien‘ orientierter Ansatz allerdings Gefahr, Kollektive allzu leicht als homogene Gebilde zu verstehen, widersprüchliche und sich überlagernde Komplexe zu vereinfacht in leicht verständlichen Kategorien zu subsumieren und, last but not least, das Individuum lediglich als kulturell determiniertes Massenwesen zu begreifen. Es bleiben daher erhebliche Vorbehalte gegenüber der Kategorienbildung bei der Beschreibung von Mentalitäten, welche wir bei der Diskussion von Kulturstandards nochmals eingehender aufgreifen werden. Diese Vorbehalte sind aus geisteswissenschaftlicher Sicht deutlich zu formulieren, geht doch die gesamte für den interkulturellen Bereich wesentliche Forschung explizit oder implizit von derartigen unterschiedlichen Mentalitätsrastern aus. Deshalb soll im Folgenden zunächst ein Modell zur Beschreibung von Mentalitäten vorgestellt werden, welches vielschichtig und weniger an binären Oppositionen orientiert ist. Es ist deutlich an Erkenntnissen der historischen Forschung angelehnt. Zur Modellierung von Mentalitäten Das hier vorgestellte Modell von Mentalitäten beruht im Wesentlichen auf Kategorienbildungen im Bereich der kulturanthropologisch, kulturpsychologisch und kultursoziologisch ausgerichteten ‚Mentalitätsgeschichte‘. Denn im Gegensatz zu anderen Disziplinen der Geisteswissenschaften, auch der traditionellen Geschichtsschreibung, kann die ‚Mentalitätsgeschichte‘ auf eine nun bereits mehrere Generationen zurückgehende Forschungstradition im Bereich des Studiums von Alltagsverhalten zurückblicken. Wie zu bestimmten historischen Epochen Wissens- und Erlebensstrukturen dynamisch konstruiert wurden, erforschte nicht nur der deutsche Sozialhistoriker Norbert Elias, sondern vor allem die einflussreiche französische Annales- Schule. Deren prominente Vertreter Marc Bloch und Lucien Febvre gelten als Gründungsväter der histoire des mentalités, die um das Jahr 1930 entstand. In Deutschland wurde der mentalitätsgeschichtliche Ansatz erst in den 1980er und 1990er Jahren prägend (vgl. Raulff 1989, Dinzelbacher 1993). Ähnliche Überlegungen zur Ausdifferenzierung des Komplexes ‚Mentalität‘ nach Teilbereichen finden sich auch in der Forschung zu interkulturellen Begegnungen, nicht allein in der Kulturstandardfor- <?page no="90"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 76 schung (zu folgendem Modell vgl. Dinzelbacher 1993: x-xi, Harris, Moran 1993: 206- 211, 352-356, Furnham, Bochner 1994: 230, Apfelthaler 1999: 37). Mentalitäten sind aus dieser Sicht zum größten Teil unbewusst und ‚verinnerlicht‘. Es handelt sich um „kognitive, ethische und affektive Dispositionen“ (Raulff 1989: 10). „Historische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen.“ (Dinzelbacher 1993: xxi). Für die folgenden Teilbereiche oder Themen der Mentalitätsforschung gilt, dass sie für jedes Kollektiv und für jeden Zeitraum gesondert zu beschreiben sind, im Vergleich Unterschiede zwischen gesellschaftlichen, regionalen und nationalen oder epochentypischen Phänomenen festzulegen sind, ein Wechselspiel zwischen Konstanten und Veränderungen zu erkennen ist. Sie dienen damit als „‚Ausdrucksrahmen’, in dem Verhalten gestaltet wird, wobei ein gewisser Spielraum für Abweichungen im einzelnen offen bleibt“ (ibid.: xxii). Im Überblick lassen sich fünf wesentliche Themenbereiche in Schlagworten darstellen. Natürlich sind zahlreiche Überlappungen zu erkennen, beispielsweise ist der Bereich ‚Sinnstiftung‘ mit sämtlichen anderen Bereichen verbunden: Abb. 7: Modellierung von Mentalitäten Die hier genannten fünf Themenbereiche seien im Folgenden etwas eingehender ausdifferenziert und mit einigen knappen Beispielen stichpunktartig illustriert. Dabei soll innerhalb der Kategorien eine Skalierung von konkreteren Themengebieten zu abstrakteren hin erfolgen. (1) Das Individuum als körperliches Wesen: Kleidung und äußere Charakteristika (z.B. Kopfbekleidung, Länge der Haare, dress code); Nahrung und Essverhalten Das Individuum das Individuum als körperliches Wesen das Individuum als soziales Wesen das Individuum und seine nichtmenschliche Umwelt das Individuum und seine Sinnstiftung das Individuum und seine Gefühls- und Denkstrukturen <?page no="91"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 77 (Vorlieben, Gebräuche, Tabus, Esssitten usw.); Stellung zu Sexualität und Liebe (z.B. Trennung von Sex, Liebe und Ehe; romantische Liebesvorstellungen, Formen der Triebregelung); Bewertung und Bewältigung von Krankheiten (z.B. Krankheit als göttlich verhängte Strafe, als zu reparierender Defekt usw.); Vorstellung vom Tod und Verhalten beim Sterben (Sterben als Zäsur innerhalb des Lebens, Verdrängung aus der Alltagswelt); Einschätzung des Leib-Körper-Verhältnisses (Körper als Gefängnis der Seele, psychosomatische Ganzheit, Körperkult). (2) Das Individuum als soziales Wesen: Erleben von Individuum, Familie und Gesellschaft (kollektive vs. individualistische Konzepte); Konzepte menschlicher Beziehung (Bedeutung von Familie, Freunden, Partnerschaft); Einstellung zu Beziehungen von Mann und Frau (Heterosexualität, Homosexualität, Frage nach Hierarchien und Geschlechtertypik); Einstellung zu Jugend und Alter und entsprechende gesellschaftliche Leitbilder (Jugend- und Körperkult, Verehrung des Alters); Strukturierung und Bewertung von Herrschaft und Autorität (religiös legitimierte Herrschaft, ‚Meritokratie‘, antiautoritäre Prinzipien); Einstellung zu Gewalt, Krieg und Frieden (gerechter und heiliger Krieg, Pazifismus); gesellschaftliche Bewertungskriterien (Ehre vs. Schande, Traditionalismus vs. Fortschrittsglauben); Sprach- und Kommunikationsformen (Ritual und Norm, nonverbale Formen). (3) Das Individuum und seine nichtmenschliche Umwelt: Einstellung zur Natur allgemein (Gegner oder Partner, Fremdheit oder Vertrautheit, Bedeutung von Tieren); zu den Jahreszeiten und zum Wetter (Problematik der europäischen Norm, Bedeutung des Wetterwandels); Einstellung zur Umwelt (animalistisches Naturempfinden, Umweltschutz); lokales vs. globales Bewusstsein sowie Einstellung zum Klimawandel; Kosmologie (Welt als Organismus vs. Welt als Maschine). (4) Das Individuum und seine Gefühls- und Denkstrukturen: Raum- und Zeiterfahrung (Heiligkeit von Raum, Bewegungsmuster im Raum, zyklisches Zeitverstehen, natürliche vs. künstliche Zeiteinteilung); Denk- und Lernweisen sowie davon abgeleitete Problemlösungsprozesse (assoziativ und zirkulär vs. logisch und linear); Bedeutung von Arbeit, Freizeit und Fest (Sinnstiftung durch Arbeit, Fragen der Arbeitsethik, Arbeit als notwendiges Übel, Fest als säkularisierte Spaßveranstaltung vs. Fest als ritualisierte Feier). (5) Das Individuum und seine Sinnstiftung: Ängste und Hoffnungen (Jenseitsvorstellungen, Fortschrittsglauben, Utopien); Vorstellungen von und Umgang mit Freude, Leid und Glück (Verdrängung von Leid, Drogen und Alkohol, Orientierung auf das Jenseits als Befreiung von leidvollen Erfahrungen im Diesseits, Orientierung an diesseitiger, sofortiger Bedürfnisbefriedigung); Weltanschauung und philosophische oder metaphysische Einstellungen, Formen von Recht, Ethik und Religiosität (Stände- oder Kastenwesen, Ethik als göttliche Setzung, ethische und religiöse Normen und Werte und die davon abgeleiteten Handlungsanweisungen; Atheismus, Agnostizismus, Fundamentalismus, Gottesbild, Vorstellungen vom Jenseits). Wie die hier aufgeführte Vielzahl von zu beachtenden Faktoren deutlich macht, ist es äußerst schwierig, die beim Erstellen von simplen Kulturstandards für eine Nation zu beobachtende gültige Definition einer Kultur zu tätigen oder einen Kulturvergleich anzustellen, der über das einfache Auflisten von Klischees hinausgeht. [U]nser Bild von der Kultur gleicht in jedem Fall, auch im Falle von wissenschaftlichmethodisch einwandfrei durchgeführten Studien, einer unvollständigen geographischen Karte der Erde aus dem 16. Jahrhundert. Oder besser noch, einem Foto aus der Polaroid- <?page no="92"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 78 - Mimik - Gestik - Körperhaltung - Körperbewegung Kamera - meist etwas unechte Farben, oft unscharf und von allem nur auf einen sehr beschränkten Ausschnitt aus Zeit und Raum bezogen. (Apfelthaler 1999: 37) Kultureme und Behavioreme Das bisher dargelegte Modell der verschiedenen Aspekte und Dimensionen von Mentalitäten ist theoretisch in dem in Kapitel 2 erörterten semiotischen Kulturverständnis verankert. Damit es nicht allein im theoretisch-abstrakten und wissenschaftlichen Bereich verharrt, bedarf es eines weiteren Modells, welches beschreibt, wie die kulturspezifischen Facetten von Mentalitäten sich als mentale Dispositionen konkret in der kommunikativen Interaktion manifestieren. Noch konkreter für die interkulturelle Begegnungssituation formuliert, bedeutet dies die Frage, wie sich kulturelle Mentalitäten in verbalem und nonverbalem Kommunikationsverhalten bemerkbar machen, wie sie dies steuern, wie sie zu seinem Gelingen oder Scheitern beitragen. Ein hier anschlussfähiges Modell hat die Fremdsprachendidaktikerin Els Oksaar entwickelt. KULTUREM BEHAVIOREME - Zeit - Raum - Proximik - Abstandszonen - Soziale Variablen - Alter, Geschlecht - Rolle, Beruf - Status - Soziale Beziehung Abb. 8: Der Einfluss von Kulturemen auf Behavioreme bei Oksaar (2003: 38f.) ausführende (wie, durch welche Mittel) regulierende (wann, wo mit wem) extraverbal nonverbal verbal parasprachlich - Wörter - Größere Einheiten - Stimmgebung - Stimmcharakterisation - Stimmqualifikatoren <?page no="93"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 79 Oksaars Modell weist den deutlichen Vorteil auf, dass es die bisher ausgeführte Modellierung von Kultur und Mentalität sinnvoll ergänzt und abrundet. Es verfügt im Sinne der bisherigen Überlegungen über den positiven Aspekt, „dass es neben rein sprachlichen und für die mündliche Kommunikation wichtigen parasprachlichen und nonverbalen Mitteln auch diejenigen soziokulturellen Regeln einbezieht, die eine angemessene Sprachverwendung erst ermöglichen“ (Oksaar 2003: 41). Oksaar verwendet hier das Begriffspaar ‚Kultureme‘ und ‚Behavioreme‘. Die Kultureme entsprechen weitgehend den bisher aufgefächerten Teilgebieten der Mentalität, während die Behavioreme die konkrete Realisierung bestimmter Kultureme bedeuten. Deutlich wird hier zwischen ausführenden und regulierenden Behavioremen unterschieden. Die regulierenden sind als extraverbale Variablen zu begreifen und können beim Zusammenspiel der Komponenten funktional dominant wirken. So ist beispielsweise das Kulturem ‚menschlichen Kontakt herstellen oder pflegen‘ in Form des Grüßens als verbaler Kommunikationsakt von der Zeit des Kontaktes, der Tageszeit, regionalen Begebenheiten, aber auch von den sozialen Beziehungen der Interaktanten abhängig. Auch Stimmqualität und Sprechweise können Nuancen der Beziehung spiegeln bzw. bestimmen und Händedruck, Augenkontakt, Abstand, Reihenfolge des Ablaufs dieses Rituals sind extraverbale Teile des Behaviorems. Da es schon bei diesem alltäglichen Kommunikationsakt erhebliche kulturelle Unterschiede gibt, gilt es je nach Kulturspezifik der Situation eine Reihe von linguistischen wie nicht-linguistischen Regeln zu beachten, aber auch bestimmte in Deutschland eher gepflegte Behavioreme zu vermeiden (z.B. den allzu festen Händedruck, den bone-crusher). Schon das scheinbar so simple Beispiel des Grüßens zeigt, wie schwierig es ist, dieses Kulturem zielkulturell angemessen zu realisieren. Es wundert daher nicht, dass inzwischen vor allem die Problematik der Umsetzung von Kulturemen in Behavioreme im interkulturellen Diskurs in Form der Ratgeberliteratur (kulturelle Do’s and Dont’s oder Do’s and Taboos) eine große Konjunktur genießt. Leider wird dabei nur allzu oft mit sehr einfachen und klischeehaften Vorstellungen von Kulturemen und damit nationalen Mentalitäten operiert. 3.2 ‚Kulturstandards‘ als Problemfeld Zum Forschungsansatz ‚Kulturstandards‘ / ‚Dimensionen von Kultur‘ Spätestens seit den bahnbrechenden Studien des Holländers Geert Hofstede zu national sich unterscheidenden Kulturstandards (z.B. 1991) und mit einer Flut von anwendungsbezogenen Ratgebern zur interkulturellen Kompetenz hat der Begriff des ‚Nationalcharakters‘ eine Renaissance in anderem terminologischem Gewandt erlebt, etwa als ‚nationale Identität‘. Bevor die Literatur zu Kulturstandards mit Blick auf ihre heuristische Bedeutung und ihre Steuerung des gegenwärtigen Diskurses zur Interkulturalität gesichtet wird, gilt es daher eingehend - gewissermaßen als Caveat - wichtige Erkenntnisse zu betonen, die in dem geflügelten Wort der oft zitierten Studie Benedict Andersons zur Erfindung der Nation zum Ausdruck kommen: Die Nation ist ein kulturelles Artefakt, eine „imagined political community“ (Anderson 1983: 6). Entsprechend beruht die Vorstellung einer ‚nationalen Identität‘ <?page no="94"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 80 auf dem Konzept einer symbolischen Sinnwelt. Sie konstruiert „einen gemeinsamen Erfahrungs-, Erwartungs- und Handlungsraum“ (J. Assmann 1992: 16). Als „konnektive Struktur“ (ibid.) verbindet sie die Mitglieder einer Gesellschaft, die sich untereinander eine intersubjektiv geteilte, gemeinsame Wirklichkeit schaffen (vgl. auch Berger, Luckmann 1998). Die dabei verwendeten Diskursformationen sind zu verstehen als „kulturelle Konstrukte und Vorstellungen, die nie vorgegeben sind, sondern durch entsprechende Symbolsysteme und Wertorientierungen hergestellt werden“ (J. Assmann 1992: 16). Und weiter: Sie „stellen Identitätsofferten dar; sie entwickeln Programme, die es Individuen erlauben, sich als Angehörige einer bestimmten Gruppe zu fühlen und dies auch nach außen hin erkennbar werden zu lassen“ (A. Assmann 2006: 219f.). Die Vorstellung einer nationalen Kultur entspricht demnach dem eines „Superkollektivs“, dessen Mitglieder sich bei aller Diversität und Divergenz durch den „Rahmen eines Normalitätsgefühls“ (Hansen 2000: 7) Zusammenhalt schaffen. Im Zeitalter der Globalisierung gerät dieses Kulturkonstrukt unter Druck. Dabei entsteht teilweise, wie in islamischen Staaten oder den Staaten des ehemaligen ‚Ostblocks‘ eine Wiedergeburt des Nationalgedankens als Reaktion auf eine verunsichernde Moderne. Es entwickelt sich, wie es Lutz Niethammer (2000) passend beschreibt, eine neue kollektive Identitätsmanie, die sich in alte binäre Strukturen des ‚Wir gegen die Anderen‘ flüchtet. Andererseits sprechen Theoretiker der Globalisierung bereits - teilweise verfrüht - von einem Ende des überkommenen Modells des Nationalstaats. Dieses sei obsolet, es sei „der Begrifflichkeit der Ersten Moderne, der Nationalstaatsmoderne“ (Beck 2008: 152) verpflichtet. Die Globalisierung sei vor allem als „Denationalisierung“ zu verstehen (Beck 1998: 34), als sukzessive Entfaltung einer „postnationale[n] Konstellation“ (Habermas 1998). Allzu früh wird die faktische Macht globaler Kulturnivellierung und der Einfluss transnational operierender Großkonzerne und -behörden als allbestimmend gedeutet und eine „‚Entmächtigung’ des Nationalstaats“ (ibid.: 107) konstatiert. Nationalismus zeige sich bald nur noch in Form des ‚Partynationalismus‘, wie man ihn in Deutschland während der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Lande zelebrierte. So formuliert Ulrich Beck (1998: 268) bewusst salopp mit Bezug auf die rasant voranschreitende Globalisierung: „Man muß ein Staatchen unter das Vergrößerungsglas legen, wenn man es erkennen will.“ Dabei hält die hohe Zahl der Publikationen an, die kulturelle und vor allem nationale Unterschiede als die primären Einflussfaktoren in der interkulturellen Begegnung beschreiben. Deren wesentliche Argumentations- und Darstellungsfiguren seien kurz skizziert und kommentiert. Als Pionier der kulturvergleichenden Forschung kann der US-amerikanische Anthropologe Edward T. Hall (1959) gelten. Er etablierte deren gängige Praxis, Kulturstandards nach entsprechenden Kategorien zu erstellen. Die am häufigsten zitierte Erkenntnis aus Halls Studien ist der Gegensatz von high-context cultures und low-context cultures (es ist dies eine Beschreibung, die sich ähnlich auch bei der ethnologischen Unterscheidung zwischen ‚heißen‘ und ‚kalten‘ Kulturen findet, vgl. Hanson, Martin 1973). Damit definiert Hall im erstgenannten Fall Kulturen, bei denen Beziehungen langlebig und tief sind, mündliche Vereinbarungen fest gelten und starke Gruppenidentifikationen in lang gepflegten sozialen Netzwerken vorherrschen. Kulturell geprägtes Verhalten sitzt tief und ist nur schwer oder langsam zu ändern. Auf der anderen Seite sind low-context cultures <?page no="95"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 81 gekennzeichnet durch eher kurzlebige und lose zwischenmenschliche Beziehungen. Sie bestimmt explizite Kommunikation in sich schnell wandelnden sozialen Netzwerken, Schriftlichkeit in Vereinbarungen und Verträgen und weniger starke Trennung von sozialen Gruppen; kulturell geprägtes Verhalten verändert sich schneller und leichter bzw. rascher (vgl. Apfelthaler 1999: 47). Als typisch für low-context cultures beschrieb Hall die USA, auch wenn er sonst keine exakte Zuordnung von Ländern vollzog. Dies geschah und geschieht dann extensiv in den einschlägigen Arbeiten der interkulturellen Psychologie. Besonders einflussreich sind hier die Untersuchungen Geert Hofstedes (1991). Beispiele für ‚nationale Kulturstandards‘ - Kritik Der holländische Organisationspsychologe Hofstede setzte sich seit den späten sechziger Jahren mit dem Thema kulturelle Differenzen in der Arbeitswelt auseinander. Es ging vor allem um arbeitsrelevante oder arbeitsoptimierende Fragestellungen, denen Hofstede zunächst als IBM-Manager nachging, indem er sich die Globalität der Fima zunutze machte und Tausende von Fragebögen an international tätige Mitarbeiter verschickte. Die dabei von Hofstede erstellten Kulturstandards und deren Übertragung auf Länder und Regionen sind dann vielfach kopiert und verfeinert worden. Im Kern ist die Vorgehensweise allerdings gleich geblieben, da eine bestimmte, national applizierbare Anzahl von Leitkonzepten der Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit zugrunde liegt. Die vier Kernkonzepte oder Dimensionen bei Hofstede (1991) sind: Power Distance (PDI): Dies betrifft den Umgang mit Macht und Autorität: Machttoleranz oder Machtabstand; Individualism / collectivism (IDV); Uncertainty Avoidance (UAI), also die Risikoneigung oder Unsicherheitsvermeidung; Femininity / masculinity: Dies betrifft das Verständnis von Geschlechterrollen. Mit großer Akribie erstellte Hofstede mannigfaltige Tabellen, die sich auf Nationen beziehen und deren Position innerhalb der aufgeführten Bedeutungsmatrix bestimmen. Als Beispiel sei ein Auszug aus dem von Hofstede erstellten Individualismus- Index (IDV) für 50 Nationen und drei Regionen zitiert, der sich im Score von 1 bis 100 erstreckt (Hofstede 1991: 53). Ein hohes Ranking bedeutet dabei, dass die Gesellschaft oder Nation (Hofstede unterscheidet hier bezeichnenderweise nicht) Individualität hoch einschätzt, dass offen über Probleme diskutiert wird, Kommunikation informell stattfindet, die Struktur von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf formalen Vereinbarungen basiert und die Einstellung von Arbeitnehmern aufgrund der von ihnen vorgewiesenen Qualitäten geschieht. Arbeit steht hier vor Beziehungspflege am Arbeitsplatz. Ein niedrigeres Ranking drückt eine eher kollektivistische Mentalität aus. Sie lässt sich passend mit dem japanischen Sprichwort ‚Der Nagel, der hervorsteht, muss eingehämmert werden‘ illustrieren. <?page no="96"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 82 High Uncertainly Avoidance Low Low Power Distance High Ranking Land oder Region IDV-Punkte 1 USA 91 6 Neuseeland 80 15 (BR) Deutschland 67 30 Griechenland 35 44 Taiwan 17 53 Guatemala 6 Abb. 9: Auszug aus dem Individualismus-Index nach Hofstede (1991) Die Ergebnisse der Forschung zu nationalen Standards werden gern auch im Überblick präsentiert. Folgende Grafik fasst die Kategorien PDI und UAI zusammen. Sie gelangt so zu den von Hofstede und anderen Spezialisten für interkulturelles Management erstellten schematischen Oppositionen und Ähnlichkeiten. GERMAN Denmark NORDIC Norway Sweden Germany Finland UK Netherlands USA Italy ANGLOSAXON Japan LATIN ARAB ASIAN France Mexico Indonesia Abb. 10: Beispiel für die grafische Darstellung ‚nationaler Standards’ (PDI & UAI, nach Hofstede, in Anlehnung an ähnliche Darstellungen in Internet-Quellen) <?page no="97"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 83 Die Tradition, kulturelle Charakteristika zu definieren, ist ungebrochen, wie die einflussreichen Studien von Fons Trompenaars (z.B. Trompenaars, Hampden-Turner 1997) oder Alexander Thomas (z.B. Thomas, Wagner 2000) zeigen. Aus kulturwissenschaftlicher Warte ist der gesamten vergleichenden Nationalcharakter-Forschung, also der kulturvergleichenden Psychologie, heftige Kritik entgegengebracht worden. Es wurde und wird die Repräsentativität der erhobenen Daten bezweifelt (im Fall Hofstede kann bei IBM-Mitarbeitern keinesfalls von ‚typischen‘ Vertretern ihrer Herkunftsnationen ausgegangen werden); auch wurde die deterministische Wirkung der jeweils konstatierten Grundhaltungen, Werte und Normen erkannt. Kritisiert hat man zudem die eindimensionale, monolithische Vorstellung von Kulturen. Gerade diese geringe Reflexionsbereitschaft und damit die Modellierung leicht in Fortbildungskursen vermittelbarer Stereotype hat der Amerikanist Klaus P. Hansen als das wesentliche Manko der kulturpsychologischen Richtung angegriffen. So bezeichnet er Hofstedes Forschung als „für die moderne Kulturwissenschaft eine Katastrophe“ (Hansen 2000: 285), da sie einen griffigen Zugang zu anderen Kulturen vorgaukele, aber in Wirklichkeit stereotype Vorstellungen verfestige und vor allem mit einem längst überholten Kulturbegriff operiere. Ähnlich argumentiert Claus Altmayer zur Forschung von Hofstede und Thomas: Beide Ansätze gehen von der impliziten Vorstellung aus, wonach ‚Kulturen’ im Sinne von ‚Nationalkulturen’ in sich abgeschlossene und nach innen weit gehend homogene Einheiten sind, über die sich allgemeine Aussagen nach dem Muster ‚Amerikaner empfinden es als ihre Pflicht ...’ oder ‚Für Deutsche gilt die Regel ...’ [...] aufstellen lassen. Die alltägliche Erfahrung, dass nicht alle Amerikaner bzw. alle Deutschen gleich sind, wird mit dem Hinweis auf eine allerdings nicht genau qualifizierte ‚Mehrheit’ oder mit der Rede von einer gewissen ‚Tendenz’ o.ä. abgetan. [...] [D]as ‚Erlernen’ des von Hofstede und Thomas angebotenen kulturellen ‚Wissens’ führt tatsächlich nur zur Verfestigung bestehender stereotypisches Denk- und Wahrnehmungsweisen und ist daher für jede Art von seriösem ‚interkulturellem Lernen’ nicht nur völlig unbrauchbar, sonder geradezu schädlich. (Altmayer 2004: 102f.) So sehr man sich dieser Kritik anschließen möchte, so deutlich wird doch, dass in der interkulturellen Begegnung ein evidentes Bedürfnis nach ersten Richtlinien und allgemeinen Verhaltensmaßstäben existiert. Wenn die anwendungsbezogene Literatur - von Robert Gibsons Intercultural Business Communication (2000) über am Bahnhofskiosk teuer zu erwerbende Ausgaben des Magazins Business Spotlight bis zu Reiseratgebern - zahlreiche Listen von Do’s and Dont’s zur Verfügung stellt, so zeugt dies von dem genannten Bedürfnis, internationale Stilfragen bei Kommunikation und Verhalten zu beherrschen. Entsprechend können diese allgemeinen Richtlinien auch als erster Einstieg in die Regeln der interkulturellen Etikette dienen und wertvolle erste Erklärungs- und Vermittlungsfunktionen übernehmen. Beispielhaft sei folgende Liste aufgeführt, die für die konkrete interkulturelle Situation sicherlich wichtige Tipps liefert: <?page no="98"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 84 Dimension Amerikaner Japaner Araber Kulturelles Ziel • finde heraus, wer Du bist • Bilde ein Netzwerk • Sei Herr der Situation • Erfülle Deine Funktion • Erhalte die Harmonie • Baue gute zwischenmenschliche Beziehungen auf Selbstbild • Unabhängigkeit •Gruppenmitglied • Mitglied einer reichen Kultur Sprache • informell und freundlich • zurückhaltender Einsatz • blumig, Einsatz von Komplimenten Nonverbale Kommunikation •direkter Augenkontakt, Wahrung von Distanz • wenig Gestik und Mimik • deutliche Mimik, geringe Sprechdistanz Zeitliche Orientierung • kurzfristig • langfristig • langfristig Informationsaustausch • geschäftsbezogen • firmenbezogen • persönlich Abb. 11: Kulturelle Charakteristika von Amerikanern, Japanern und Arabern nach Apfelthaler (1999: 43) Es bleibt als Fazit zur Literatur im Bereich kulturvergleichende Psychologie: Auch wenn hier Nationen auf teilweise absolut undifferenzierte Weise über einen Kamm geschert werden und homogene Identitäten suggeriert werden, können die Ergebnisse der interkulturellen Forschung in dieser anwendungsbezogenen Disziplin durchaus erste Verhaltensmaßregeln für die in der Realität erfahrenen unterschiedlichen Kultureme oder Behavioreme liefern. Sie sind vor allem zur ersten Orientierung hilfreich und erfüllen damit im Grunde genommen die Funktion von Stereotypen. Denn wie diese erlauben sie eine erste Strukturierung der als fremd empfundenen Realität. Und wie bei diesen gilt es auch hier, kritisch und zugleich mit einem gewissen ironischen Modus ihren Konstruktcharakter zu erkennen und entsprechend spielerisch-experimentell mit ihnen umzugehen. Was Harald Husemann (1990) für den Einsatz von Stereotypen konstatiert, gilt somit auch für die Ergebnisse der Forschung zu Kulturstandards: Wir dürfen sie keinesfalls ignorieren. Wichtig ist vielmehr, wie man mit ihnen umgeht. 3.3 Die Bedeutung von Stereotypen Kulturstandards, Stereotype & Karikatur Es gibt eine evidente Nähe der Forschung zu Kulturstandards - überhaupt der gesamten kulturvergleichenden Psychologie - zum kritisch zu betrachtenden Themenkomplex Stereotype, Klischees und Vorurteile. Man ginge sicherlich zu weit, <?page no="99"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 85 diesen wissenschaftlich und publizistisch boomenden Bereich in toto als akademisch verbrämten wirtschaftsorientierten Zulieferungsbetrieb zur Verbreitung und Verfestigung von Stereotypen zu beschreiben. Dennoch ist eine Affinität hierzu vorhanden, vor allem in populären Behandlungsformen des Themas. Dies wird in übersteigerten, ironisch zugespitzten Beschäftigungen mit nationalen Eigenheiten deutlich, die im Zeitalter des Massentourismus und der Globalisierung gleichfalls eine gewisse Konjunktur erleben. Augenfälliges und bei Reisenden beliebtes Beispiel ist die weit verbreitete Reihe The Xenophobe’s Guide to ... (und hier beispielsweise der Band The Xenophobe’s Guide to the Germans, Zeidenitz, Barkow, 1998). Sie beschäftigt sich in knappem Format mit gängigen Stereotypen über verschiedene europäische und nichteuropäische Länder. Und erhebt dabei augenzwinkernd den Anspruch, durch eine karikierende Einführung in die jeweiligen nationalen Charakteristika auf die interkulturelle Begegnung vorzubereiten. Humor, Ironie und Satire, die nicht in ätzenden Sarkasmus oder überhebliche Spöttelei abgleiten, sind auch in diesem Fall die gängigen rhetorischen Formen der populären Behandlung. Sie verdeutlichen, dass die oben zitierten ‚wissenschaftlich erforschten‘ nationalen Eigenschaften am besten mit einem gehörigen Maß an Skepsis und eben Humor zu rezipieren sind. Als Beispiel für eine satirische Überzeichnung sei eine Passage aus einem Internetportal für Touristen gewählt, in dem drei ‚typische‘ Urlauber ihrer jeweiligen nationalen Zugehörigkeit entsprechend kurz porträtiert werden. Unter der Überschrift „Travellers We Have All Met” heißt es dort: 1 The Yank (USA): You can usually hear this traveller before you see them. They are often talking about themselves or comparing where they are to ‘home’, VERY LOUDLY. Often seen wearing Nike shoes, a baseball cap and name brand clothes. You will also hear quotes from ‘Seinfeld’, ‘The Simpsons’ and about which character from ‘Friends’ they’d like to be/ shag. The Yank will often try to take control of the group that he/ she is in, and if they don’t get their way, can be heard complaining about how nothing is quite as big/ quick/ good as at home. Eats at McDonalds no matter what country he or she is in. The Pom (Prisoner of Mother England): Usually found in a pub, the male Pom is often working on last night’s hangover. If he is not watching football (soccer), he’s talking about it. When not in a pub, a Pom can easily be spotted by the pasty white or lobster red colour of their skin which is exposed at the slightest hint of sunshine. At this time you will also see the obligatory tattoo of the Union Jack, bulldog, or English Rose. Popular spots for the Pom include Ibiza and Mallorca for the beach and club-life or a 6 month tour of India and Thailand sampling the local hemp products. The German: Smartly dressed, well kept and wearing small glasses, the German traveller is usually quiet and reserved. They often speak more than two languages and their English is excellent. At resorts, they are the first ones out to put their towels by the pool to ensure a good spot. This really infuriates the Pom since he does not usually get to bed until 7am and the towels are already out there. The German male by the pool will always wear Speedos, commonly referred to as ‘shark shockers’ or ‘meat safes’. 1 http: / / www.bootsnall.com/ articles/ 99-07/ travellers-weve-all-met-part-i.html? slug= stereotypes.shtml, 29. Juni 2009. <?page no="100"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 86 Zur Annäherung an den Begriff des nationalen Stereotyps sei hier zunächst der Disclaimer der Webseite zitiert. Dieser tritt indignierten Reaktionen von einzelnen Diskussionsteilnehmern des Chatforums zu dieser Nationalitätenrevue entgegen: „We understand that stereotypes are oversimplified opinions of patterns within a particular group, lacking any individuality.“ Wie ist diese typische Definition von Stereotypen als verallgemeinernde, generalisierende Kategorien der Beschreibung und Wahrnehmung nun spezifischer zu verstehen? Um das Beispiel des hier verspotteten ‚typisch deutschen‘ Urlaubers einmal genauer zu betrachten: Im vorliegenden Fall wird beispielsweise aus der angelsächsischen Perspektive auf die teutonische Obsession mit Frühaufstehen und entsprechend frühem Demarkieren der privaten Sphäre am Swimmingpool durch Badetücher verwiesen (bekannt geworden als beachchair war in einigen mediterranen Touristenzentren). Zum anderen wird ein weiteres, eigentlich unbedeutendes Detail satirisch wie durch ein verzerrendes Vergrößerungsglas betrachtet: die angebliche Vorliebe deutscher Männer für knappe Badehosen, was von einem kulturspezifischen Konzept von Körperlichkeit und Maskulinität sowie, so könnte man formulieren, von weniger ‚puritanischen‘ Vorstellungen in diesem Bereich zeugt. Die angelsächsische Perspektive fokussiert also ein als Kontrast empfundenes Detail und amplifiziert es ins Überzogene, fast Groteske. Damit wird die Nähe des Stereotyps zur Karikatur sinnbildlich. Denn das Wesen der Karikatur ist es, bestehende Eigenarten zu überzeichnen. Diese treten besonders hervor und geraten damit zu einer die anderen Charakteristika einer Person überdeckenden spezifischen Eigenart - man denke etwa an die in der Karikatur zugespitzte Nase der ehemaligen englischen Premierministerin Maggie Thatcher, die damit ihre uppity manner, ihre ‚Hochnäsigkeit‘ abbildete. Mit der definitorischen Nähe von Stereotyp und Karikatur wäre auch ein von der Stereotypenforschung oftmals ausgeblendeter Komplex einbezogen: Die Frage nämlich, wie sehr Stereotype in der Realität verwurzelt sind. Anders formuliert: Steckt nicht doch ein Stück Wahrheit in ihnen? Basieren sie nicht doch auf der Realität? Wenn wir sie als karikaturhafte Zuspitzungen realer Phänomene betrachten, so erkennen wir damit zwar einerseits ihre Verankerung in der (wie auch immer zu definierenden) Realität an. Es bleibt allerdings auch deutlich, dass sie (1) nur einen Ausschnitt der Realität selektieren, (2) diesen fokussieren und ihm damit übermäßige Bedeutung zukommen lassen, (3) dabei eine bestimmte Perspektive wesentlich ist - sei es die Perspektive von außen (Heterostereotype) wie in unserem Beispiel, oder die von innen (Autostereotype), wenn Kollektive sich selbst bestimmte Eigenschaften zusprechen. Ein weiteres Element von Stereotypen gilt es gleichfalls zu beachten: (4) Wie das gewählte Beispiel der engen Badehosen demonstriert, sind derartige Stereotype zugleich einem Wandel unterworfen, welcher in diesem Fall höchst interessante Dimensionen der Globalisierung offen legt. Denn, wie im Sommer 2009 in den Nachrichten berichtet wurde, hat es in Deutschland seit Jahren einen Wandel zu längeren Badeshorts bei Jungen und Männern gegeben. Diese flächendeckende Verbreitung eines zunächst unter Surfern gepflegten Kleidungsstils, der internationale Modeerscheinung wurde, hat inzwischen auch Deutschland in so erheblichem Ausmaß erreicht, dass öffentliche Schwimmbäder längere Badekleidung teilweise verbannen, um die durch sie verursachten hygienischen Probleme zu vermeiden. Stereotype sind also zunächst zu verstehen als Generalisierung und Verallgemeinerung beim Wahrnehmungsprozess. Besonders virulent werden sie als Problem im <?page no="101"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 87 Bereich von Gender, Ethnizität und Nationalität. Dort kann sich auch ein weiterer, möglicher Aspekt ihrer Funktion und Wirkungsweise zeigen: (5) Dass ihre vereinfachte, zugespitzte Modellierung von Realität sich über die eigentliche Realität in großzügigster Weise hinwegsetzt und sich in der Konfrontation mit der Wirklichkeit als falsch erweist. Als vorgefasste Bewertungsraster fungieren sie wie ein soziales Orientierungsmittel, indem sie eine komplexe Gegenwart bewältigbar machen. Sie können sich aber in diesem Fall als rein gefühlsmäßig unterbaut erweisen - als ungerechtfertigt und nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmend. Stereotype: Funktionen und Gefahren Stereotype sind seit Jahrzehnten ein viel beachtetes Thema verschiedener Fachdisziplinen. Insbesondere der Problembereich der nationalen Stereotype ist seit dem Zweiten Weltkrieg als bildungspolitische Aufgabe verstanden worden, als Herausforderung der Philologie, Imagologie und Kolonialismusforschung, der Sozialpsychologie und der Fremdsprachendidaktik (vgl. Wierlacher 1993: 44, Hoffarth-Zelloe 1995). In der Literaturwissenschaft und auch in der Kulturwissenschaft entstanden zahlreiche Studien zur ‚Imagologie‘. Teilweise waren sie im Bereich der Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft verankert, teilweise lieferten sie als Teil der image/ mirage-Forschung Einsichten in die Konstruktion nationaler Auto- und Heterostereotype in der Literatur, aber auch in Filmen, politischen Pamphleten, Karikaturen, der Werbung usw. Bezeichnend ist dabei der aufklärerische Duktus vieler Arbeiten, die explizit einen Beitrag zur ‚Völkerverständigung‘ leisten wollten. Ziel war (und ist) der Abbau von nationalen Vorurteilen und irrigen Vorstellungen vom anderen Land. Damit erhofft man sich, eine bessere Grundlage für gegenseitiges Verstehen und den interkulturellen Austausch zu schaffen. Folgende Aussage von Günther Blaicher, der zahlreiche Studien zum Bild veröffentlichte, welches Deutsche und Briten voneinander haben, erscheint hierfür exemplarisch: „Nationale Klischeevorstellungen sind Angebote zur Bequemlichkeit und geistigen Trägheit. Ihnen entgegenzuwirken ist die Aufgabe jeder Neuphilologie.“ (Blaicher 1977: 574) Die Imagologie konnte dabei Ursachen und Veränderungen in den literarisch geprägten Bildern vom anderen Land aufdecken (nicht nur mit Bezug auf England). Als Beispiel mag hier das einflussreiche Deutschlandbild der germanophilen französischen Literatin Madame de Staël genannt sein. Im 19. Jahrhundert konnte deren Beschreibung Deutschlands das Verständnis vieler Franzosen für ihr Nachbarland positiv wandeln. Bezeichnend ist dabei eine Inversion erstarrter Vorstellungen, die allgemein typisch ist für Veränderungsprozesse bei nationalen Stereotypen: Die im anderen Land fokussierten Bereiche bleiben gleich, sie werden jedoch anders bewertet. So konnte de Staël im 19. Jahrhundert die von Franzosen vorher kritisch eingeschätzten Themenbereiche wie Romantik, Protestantismus und Erneuerungsstreben nun zum Vorteil der Deutschen umwerten, wenngleich auch erneut subjektiv eingefärbt und vereinfacht. Die bildungspolitischen Anliegen der Imagologie spiegeln sich in zahlreichen Publikationen der Fremdsprachendidaktik. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem Aspekte der (ideologie-)kritischen Lehrwerkanalyse, wobei es darum geht, ob und inwiefern Schulbücher nationale Stereotype transportieren und verbreiten. Auch im didaktischen Bereich wurden nationale Stereotype lange Zeit pauschal als Gefahr für <?page no="102"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 88 freies Denken und Handeln abgelehnt. Ihre Offenlegung erweise sich entsprechend als Beitrag zum „geistig-erzieherischen Aspekt der europäischen Einigung“ (Lütkens, Karbe 1959: 7). Und als hehres Ziel verkündigte man die „erstrebte[…] Haltung der vorurteilsfreien Aufgeschlossenheit gegenüber dem anderen Volk“ (Davids 1980: 31). Als zentrale Aufgabe des Unterrichts habe das Entstehen eines positiven Auslandsbildes zu gelten. Es sei an dieser Stelle unmissverständlich formuliert, dass die Entwicklung eines kritischen Verständnisses mit Bezug auf die Wirkung von nationalen Stereotypen nach wie vor ein wichtiges Ziel, wenn nicht sogar eines der zentralen Bereiche des Fremdsprachenunterrichts sein sollte. Dennoch ist dabei zu beachten, dass das Erziehungsziel einer ‚vorurteilsfreien Aufgeschlossenheit‘ gegenüber dem anderen Land angesichts immer deutlicher werdender Einsichten in Wesen, Funktion und Wirkung von Stereotypen eher der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises gleicht. Man kann hier auch vom Kampf mit imaginären Windmühlen sprechen, denn Stereotype sind, so hat die Sozialpsychologie hinlänglich bewiesen, ein dem menschlichen Denken inhärentes Wahrnehmungsmuster (vgl. Aboud 1994, Spears 1997, Stangor 2000). Diese ‚Wahrnehmungsfilter‘ lassen sich nicht leugnen, unterdrücken oder durch Erziehung einfach abstellen. Eher kommt es darauf an, wie man mit der menschlichen Neigung zum stereotypen Denken umgeht. Um diese Frage diskutieren zu können, soll diese Neigung zunächst deutlich gemacht werden. Hierzu seien zwei kleine Experimente vorgeschlagen, die man auch im Klassenzimmer durchführen kann. (1) Um zu verdeutlichen, wie sehr unsere Wahrnehmung konditioniert ist, kann man sich selbst oder anderen folgende Aufgabe stellen: Take 30 seconds. Look at the room. Try to memorize as many blue objects as you can see. Nehmen Sie sich 30 Sekunden Zeit. Betrachten Sie den Raum. Versuchen Sie, sich möglichst viele blaue Gegenstände zu merken. Nach dem Ende dieser Beobachtungszeit stellt man nun folgende Aufgabe: „How many green objects do you remember? / An wie viele grüne Gegenstände erinnern Sie sich? “ Das Ergebnis dieses Perspektivenwechsels macht deutlich, dass unser Gehirn sich nur auf das konzentriert, was es wahrnehmen möchte. Es nimmt nur das wahr, auf das seine Wahrnehmung hin ‚konditioniert‘ wurde. Dies wird auch im zweiten Beispiel verdeutlicht. Man betrachte kurz folgende Grafik (vgl. Jandt 1998: 72): PARIS IN THE THE SPRING Abb. 12: Ein Beispiel konditionierter Wahrnehmung <?page no="103"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 89 Die meisten Betrachter dieses Dreiecks werden später sagen, sie hätten Paris in the spring gelesen, eben nicht Paris in the the spring. Das zweite the wird überlesen, weil es nicht in unsere gewohnten Wahrnehmungsraster passt. Dies entspricht den Erkenntnissen einer Studie, „in der hersuafegnuden wrude, dass die Reinehfloge der Bustchbne für uns nihct mher witchig ist. Nur die esrten und ltezten Buhctsaben müssen krorket sein. Wir heban die Wröter so oft gesehen, dass wir die flasche Reiehnfloge druch unsere Erafhrung umstslelen un die rcihtige Bdeuetung der Wörter so in unesrem Kopf autoamtisch enttseht“ (Havener 2009: 20). Die hier beispielhaft vorgestellten Kurzexperimente verdeutlichen, wie wir diejenigen Facetten der Wirklichkeit auswählen und zu einem homogenen Gesamtbild zusammenstellen, die uns in vorgefasste Wahrnehmungsmuster passen. Sie verweisen auf eine gängige Erklärung zum Vorgang der Stereotypenbildung: „Psychologists have attempted to explain stereotyping as mistakes our brains make in the perception of other people that are similar to those mistakes our brains make in the perception of visual illusions.” (Jandt 1998: 71) Wenn man Stereotype in Analogie zu optischen Illusionen und visueller Fehlleitung begreift, so erklärt sich auch die davon abgeleitete negative Einschätzung von Stereotypen und Vorurteilen als „pernicious stumbling block to intercultural communication” (ibid.: 70). Die hier gewählten Beispiele zeigen jedoch auch, dass der Mensch sensuelle und mentale Filter besitzt, die es ihm überhaupt ermöglichen, aus der Fülle der auf ihn einstürzenden Informationen die im Moment wichtigen herauszuwählen. So müssen die Augen eine dreidimensionale Welt auf der Netzhaut abbilden, die lediglich zweidimensional ist, wobei schon allein viel Information verloren geht. Dennoch nehmen die Sehorgane immer noch etwa ein Gigabyte an Informationen pro Sekunde auf, was einer Datenmenge von ca. einer halben Millionen Buchstaben entspricht. Nur durch Auswahl und Selektion, durch Beschränkung auf ein verarbeitbares Maß, kann die Realität bewältigt werden. Dies sei erneut an einem Beispiel demonstriert. Es zeigt, dass die Fähigkeit des Menschen zur Informationsaufnahme begrenzt ist. Diese Überforderung hat in den oben vorgestellten Beispielen dazu geführt, dass Dinge fehlerhaft erkannt, sozusagen zum Selbstschutz ausgeblendet wurden. Informationen können aber auch strukturiert werden: Die Zahl 2893040 kann man sich vielleicht mit einiger Konzentration fehlerlos merken; schwieriger wird es mit jeder hinzugefügten Informationseinheit, mit jeder hinzugefügten Ziffer: 2893040234 ist sehr schwer zu merken; wenn man die Zahl, wie bei Telefonnummern, allerdings portioniert, wie bei 289 304 023 4, so lässt sie sich leichter verarbeiten. Entsprechend wirken auch Stereotype: Sie vereinfachen, strukturieren, portionieren eine chaotisch auf uns einstürzende Wirklichkeit, sie sind damit „ways of world making“ (Goodman 1998). Die Hauptfunktion der Stereotype als Hilfestellung bei der Orientierung in einer unübersichtlichen Erlebniswelt wurde bereits in ihrer ersten berühmten Definition durch den amerikanischen Journalisten Walter Lippmann in Public Opinion von 1922 als deren zentrales Merkmal erkannt: In the great blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us by our culture. (Lippmann 1949: 81) Stereotype sind demnach schematische Interpretationsformen der Wirklichkeit. Als die Wahrnehmung steuernde Determinanten entlasten sie den Menschen vom Druck unüberschaubarer Situationen und Gegebenheiten. Anders gewendet: Der <?page no="104"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 90 Mensch wird in der Begegnung mit dem Fremden, dem Unvertrauten zunächst das Bekannte und Vertraute suchen oder nur das mit der Begrifflichkeit und den Erklärungsschemata seiner eigenen Kultur Erfassbare erkennen. Neuere Beiträge der psychologischen Stereotypenforschung betonen vor allem den dabei entstehenden Prozess der Identitätskonstruktion vermittels der Zuordnung zu bestimmten Gruppenmerkmalen: At the individual level, stereotypes help organize and simplify the social environment and they represent and preserve social values. At the group level, stereotypes explain largescale social events, justify various forms of collective action and create positive intergroup distinctiveness. (Spears 1997: 80) Stereotype erleichtern damit Prozesse der Anpassung, Selbstdarstellung und Selbstbehauptung, indem sie es ermöglichen, sich als Angehöriger eines bestimmten Kollektivs zu begreifen (vgl. Wierlacher 1993: 42). Derartige Sinnstiftungsprozesse des Menschen als pattern-building animal (Antor 1996: 76) sind nicht nur von der Sozialpsychologie als konstitutiv begriffen worden, sondern auch von unterschiedlichen Richtungen der Philosophie. So beschrieb der amerikanische Pragmatiker Richard Rorty (1991), dass eigene Identitätsschaffung nicht auf feste mentale Konstrukte verzichten kann. Der bedeutendste Vertreter der philosophischen Hermeneutik, Hans-Georg Gadamer (1986), wiederum wertete die Bedeutung vorgefertigter Bewusstseins- und Erwartungshorizonte wesentlich auf, vor allem in ihrer Funktion als Vor-Urteil beim Prozess der Aushandlung von Bedeutung in der Begegnung mit den Horizonten des Anderen. Seine Idealvorstellung einer sich dabei ergebenden ‚Horizontverschmelzung‘ erscheint allerdings als problematischer Akt der Homogenisierung weiterhin existierender Gegensätzlichkeiten. Die in unterschiedlichen Richtungen von Psychologie, Philosophie, Anthropologie und Linguistik verwurzelte Forschung zu Schemata, Frames und Scripts (siehe Kap. 2.4, vgl. z.B. Fairclough 1989: 159) hat nun wiederum in sehr breitem Rahmen die Unverzichtbarkeit von mentalen oder emotionalen Prägemustern beschrieben. Wenn wir demnach immer bereits und ausschließlich konditioniert denken und handeln können, so ergibt sich nicht allein die Frage nach dem freien Willen des Individuums, sondern spezieller zu einer klareren definitorischen Festlegung des Begriffs ‚Stereotyp‘. Nicht nur gegenüber dem (rassistischen) Vorurteil fällt eine Abgrenzung schwer, sondern auch gegenüber generellen Formen der konditionierten Wahrnehmung. Denn die konditionierte Wahrnehmung in Form kultureller Schemata, Frames und Scripts ist nahe an dem, wenn auch noch nicht im negativen Bereich von üblichen Vorstellungen zum Klischee, welches definiert wird als „an idea or phrase that has been used so much that it is not effective or does not have any meaning any longer” (DCE). Ohne in die theoretische Debatte zur Terminologie einzusteigen (vgl. Hermann-Brennecke 1991: 69) wären Klischee, Stereotyp und Vorurteil demnach zu definieren als - graduell ansteigend - verfestigte, verhärtete und damit potenziell verfälschend und kontraproduktiv die Wahrnehmung und Handlung steuernde Formen dieser kulturellen Sinnmuster (Schemata, Frames, Scripts). Damit wird auch deutlich, warum Stereotype, trotz der hier genannten und erkannten lebensnotwendigen Funktionen, weiterhin als höchst problematisch zu bewerten sind. Zwar enthalten sie gewisse, leicht zu verwertende und das Individuum entlastende ‚Informationseinheiten‘ (vgl. auch Argyle 1994: 86). Da aber die von ihnen verursachte Automatisierung der Informationsverarbeitung zu unreflek- <?page no="105"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 91 tiertem Denken und Handeln einladen, erhalten sie eine negative Auslösefunktion (trigger function): „they cause people to act and re-act in a semi-instinctive manner“ (Zijdervelt 1987: 30). Sie fördern das Verharren in vorgefertigten Denkbahnen, an denen mit Zähigkeit, Ausdauer und Überzeugung festgehalten wird. Diese retardierende und fossilisierende Wirkung fördert das Festhalten am „leblose[n] Alte[n], in Konventionen Erstarrte[n]“ (Blaicher 1997: 23). Noch dazu wird die individuelle Erfahrung mit der Realität den vorgefertigten, überlieferten, ‚verinnerlichten‘ Stereotypen untergeordnet, so dass in der interkulturellen Begegnung die Sicht auf den Anderen verengt, vergröbert und sogar verfälscht werden kann (vgl. Hermann- Brennecke 1991: 65). Noch verheerender kann sich die dem stereotypen Denken inhärente Binärstruktur von us vs. them auswirken. Bietet sie im Rahmen der Oppositionierung von ingroup und outgroup (ibid.: 71) zum einen (vordergründig) inneren Zusammenhang, Sicherheit, Orientierung und Überschaubarkeit, so neigt sie doch gleichfalls zur Ausgrenzung, zum Othering, zur Bewertung des Anderen als minderwertig, seltsam oder zu seiner Instrumentalisierung als Sündenbock. Vor allem für den interkulturellen Bereich verbleibt die generelle Gefahr stereotypen Denkens: „was im persönlichen Bereich einer eher harmlosen, ja vielleicht sogar notwendigen Entlastung und Orientierung dient“, kann „im mitmenschlichen Umgang genau die gegenteilige Wirkung“ auslösen (ibid.: 72). Die Abgrenzung des Stereotyps gegenüber dem Vorurteil ist somit nicht einfach. Die konzeptuelle Nähe lässt das Vorurteil manchen als „Konglomerat von Stereotypen“ erscheinen (Six 1987: 51f.). Passender ist eine Definition, welche das Vorurteil als erweiterte, besonders ausgeprägte Form des Stereotyps begreift: „Prejudice [...] goes farther than stereotypes.” (Stangor 2000: 8) Es enthält affektiv-emotionale Komponenten wie Abneigung, Furcht, Wut, Abscheu und sogar Hass (vgl. Aboud 1994: 5). Dabei stellt es eine konditionierte Prädisposition dar, negativ oder abwertend auf Menschen zu reagieren, die einer anderen, z.B. ethnischen oder nationalen, Gruppe angehören. Seine „negative, hateful quality“ (ibid.: 4) ist dabei nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen (vgl. ibid.: 5). Aussagen wie ‚Chinesen können nicht Englisch sprechen‘, ‚Schwarze sind arm‘ oder ‚Eskimos essen rohen Fisch‘ sind zunächst rein deskriptive Statements, auch wenn es sich um Übergeneralisierungen handelt, also um Stereotype. Emotional eingefärbt wird eine Aussage wie ‚Blacks are poor‘ durch den Kontext, die Intonation, paralinguistische Elemente usw., die eine bestimmte Geisteshaltung ausdrücken, womit die Aussage als Vorurteil fungiert. Gibt es auch ‚positive‘ Vorurteile? Während die englischsprachige Diskussion zum prejudice dies nicht thematisiert, denn es gibt keine positive prejudices, unterscheidet sich die Situation im deutschsprachigen Bereich des Fremdsprachenlernens. Nehmen wir dabei die semantische Dimension der Aussage ‚Blacks are poor‘: Wird das Bild der African Americans oder der schwarzen Bevölkerung Südafrikas in einem Lehrbuch allein durch derartige oder ähnliche Semantisierungen fixiert, so kann hier eine Vorurteilsfigur entstehen, die zwar einerseits frei von den genannten negativabwertenden affektiven Dimensionen erscheint, aber dennoch eine höchst problematische Vorurteilsstruktur aufbaut. Diese Denkfigur beinhaltet potenziell die Vorstellungen, dass (1) sämtliche Afroamerikaner arm sind, (2) dass dies, je nach den im Lehrbuch gelieferten Konnotationen, entweder selbstverschuldet oder von Weißen verschuldet ist, (3) dies exemplarisch für den amerikanischen ‚Unrechts- und Ausbeuterstaat‘ sein könnte, (4) es implizit derartig bedauernswerte Ungerechtigkeits- <?page no="106"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 92 strukturen in Deutschland nicht gibt und schließlich (5), dieser ‚Tatsache‘ mit einer oftmals sehr oberflächlichen und wohlfeilen Mischung aus Solidarität, Mitgefühl und Mitleid für Minderheiten in anderen Ländern begegnet wird. Somit ist also auch ‚positiven‘ Vorurteilen als problematischen Denkstrukturen durch eine entsprechend differenzierte und auffächernde Präsentation entgegenzuwirken, auch wenn dabei lieb gewordene Vorstellungen hinterfragt werden. Pädagogisch-didaktischer Umgang mit Stereotypen Die psychologische Forschung unterscheidet verschiedene Formen von mit Vorurteilen beladenem Denken. Sie liefert zugleich unterschiedliche Erklärungen zur Entstehung und Vorschläge zur Veränderung von Vorurteilen (vgl. Six 1987: 46f., Aboud 1994: 3, 26f., Stangor 2000). Demnach zeichnen sich drei ‚Typen‘ von Menschen ab, die besonders zu Vorurteilen neigen: Der konventionelle Vorurteils-Typus ist an dem Bemühen erkennbar, mit der Übernahme gruppenintern verbreiteter Vorurteile Akzeptanz und Integration in einem Kollektiv zu erhalten. Der autoritäre Typus hingegen verbindet Vorurteile mit impulsivem Hass und Abneigungsgefühlen und weist dabei auf innerpsychologische Defekte oder Defizienzen hin. Ein weiterer Typus entwickelt Vorurteilsdenken vor allem in bestimmten, zeitlich begrenzten Problemperioden seines Lebens, etwa in der Pubertät oder in Zeiten einer beruflichen Krise. Theoretische Erklärungsmuster für Vorurteile liefern: Soziokulturelle Theorien: Sie erklären Ungleichheiten und Asymmetrien im Bereich von sozialer Macht und Gruppeninteressen sowie unterschiedliche Bedürfnislagen innerhalb bestimmter sozialer, ethnischer oder geschlechtlich bestimmter Gruppen als Ursache von Vorurteilsdenken. Psychodynamische Ansätze: Sie postulieren eine generelle ethnozentrische Reaktionsbereitschaft, in Abhängigkeit von politischen, ökonomischen und sozialen Überzeugungen und Konstellationen im sozialen Umfeld einer Person. Kognitive Ansätze: Hier finden sich Theorien zu individuellen Gruppenmustern wie implizite Persönlichkeitstheorien (z.B. dass bereits Kinder aufgrund ihrer eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten zu Vorurteilen neigen). Für die Fremdsprachendidaktik bedeutsam ist dabei die Erkenntnis, dass sich die Neigung zu Vorurteilen, auch im Bereich Ethnie und Nationalität, bereits in der Kindheit bemerkbar macht und sich dort verwurzelt. Vorurteile sind demnach fest in der Sozialisation angelegt, womit die Frage nach ihrer grundsätzlichen Veränderbarkeit aufgeworfen wird (vgl. Byram, Morgan 1994: 33) In der Tat wirkt eine knappe Bestandsaufnahme der Forschung zu nationalen Stereotypen und Vorurteilen zunächst eher ernüchternd: Stereotype und Vorurteile bilden sich in der frühen Kindheit. Sie verstärken sich sogar in der Regel noch bei oftmals ungenügend vorbereiteten Auslandsaufenthalten von Schulklassen, die eigentlich dazu dienen sollten, Vorurteile abzubauen (vgl. z.B. Baron 2002: 118). Appelle an Schüler/ innen, sich ihrer Voreingenommenheit bewusst zu sein und diese zu überwinden, nützen oftmals wenig. Noch dazu haben Untersuchungen sogar gezeigt, dass die Neigung zu Stereotypen auch mit zunehmender Bildungsstu- <?page no="107"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 93 fe nicht absinkt (vgl. ibid., Aboud 1994: 28ff.). Es erscheint also wenig sinnvoll, wenn die Fremdsprachendidaktik im Sinne einer Zeigefingerdidaktik hier lenkende Vorschläge in den Raum stellt oder gar kontraproduktiv „Gehirnwäsche und politische Indoktrination“ durchführt (Byram et al. 1994: 35). Vielmehr könnten - ohne Erfolgsgarantie! - folgende Ratschläge beim bewussten Umgang mit Stereotypen und Vorurteilen im Unterricht befolgt werden (vgl. Hermann-Brennecke 1991: 85ff., Aboud 1994: 129, Byram et al. 1994: 33f., Hu 1995: 411): (1) Individuation und Empathieangebote in der Zielkultur: Ziel des Unterrichts kann die so genannte ‚Individuation‘ im Bereich der Zielkultur sein. Die andere Kultur wird als heterogenes Gebilde präsentiert und es werden einzelne Mitglieder dieser Gruppe eingehender individuell herausgehoben. Dies kann mit Hilfe der bekannten ‚Lehrwerkfamilie‘ geschehen oder auch mit anderen authentisch und sympathisch wirkenden Identifikationsfiguren in Lehrwerken, literarischen Texten, Filmen oder anderen kurzen (auto-)biografischen Texten, aber auch im virtuellen oder echten Kontakt mit Personen der Zielkultur. Diese sollten vor allem mit Bezug auf ihre ‚inneren Werte‘ geschätzt werden bzw. Empathie auslösen. Dabei werden emotionale Angebote geliefert, die z.B. Betroffenheit auslösen können, mit denen sich Lernende kontrovers auseinandersetzen müssen und die sie seelisch berühren oder sogar erschüttern können. (2) Gemeinsamkeiten herausheben: Eine weitere Möglichkeit ist es, das Gemeinsame und Verbindende zwischen Menschen der Zielkultur und der eigenen hervorzuheben. So wird etwa im Unterricht die Perspektive von der deutschen, französischen oder britischen Perspektive zu einer gemeinsamen europäischen verschoben, ohne diese wiederum einer nichteuropäischen entgegenzusetzen. (3) Gruppenübergreifendes betonen: Ähnlich können eher die Gemeinsamkeiten zwischen bestimmten Gruppen der eigenen Kultur und denen der anderen Kultur betont werden, genauso wie die ingroup und outgroup als in sich inkohärent erscheinen. Diese Gemeinsamkeiten kann man beispielsweise in den Communities weltweiter Interessensgruppen erleben und entsprechend thematisieren - von Harry-Potter-Fans über Fans bestimmter Rockgruppen oder Modemarken bis zu den Mitgliedern weltweit operierender Hilfsorganisationen (Amnesty International, Greenpeace). (4) Gemeinsamkeiten im Alltag erkennen: Gleichfalls ist darauf zu achten, dass die Zielkultur allgemein als positiv dargestellt wird, auch und vor allem im Alltagsleben, wobei hier auch Gemeinsamkeiten zu erkennen sein sollten (Stichwort: ‚Normalität des Fremden‘, vgl. Hunfeld 1991). Zu vermeiden ist zu starkes Exotisieren ebenso wie die einseitige Konzentration auf einzelne Spezifika der anderen Kultur. Hierbei sollten vor allem alltagskulturelle Praktiken oder die populärkulturelle Sozialisation der vergleichbaren Peer group der Zielkultur(en) von Interesse sein. (5) Globale Themen und Herausforderungen fokussieren: Eine weitere Methode zur Veränderung von Stereotypen ist die Konzentration auf globale Themen, besonders auf Herausforderungen, welche die Menschheit gemeinsam lösen muss. Hierzu zählen kollektiv zu lösende Projekte (Abgasreduzierung, Hilfe für Opfer von Katastrophen, Solidaritätsbekundungen usw.) und damit Aktionsweisen, bei denen die eigene nationale Identität in den Hintergrund gerät (Spenden, Hilfe vor Ort, Brief- und Internet-Aktionen usw.). (6) Sensibilisieren für andere Perspektiven: Als schwierig erweist sich immer wieder die Forderung, über egozentrisches Denken hinauszugehen und zu erkennen, dass <?page no="108"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 94 andere Menschen, vor allem in anderen Kulturen, andere Arten der Weltwahrnehmung, des Handelns und der Kommunikation aufweisen. Als methodischer Ansatz zur Überwindung dieser menschlich inhärenten Selbstbezogenheit sind maßgeblich Rollenspiele empfohlen worden, bei denen die Lernenden mit Positionen konfrontiert werden, die den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen. Dabei geht es darum, in die Rolle einer fremdkulturellen Person zu schlüpfen, die Welt momentan durch ihre Augen zu sehen, mit ihren Denkkategorien zu verstehen - und anschließend darüber zu reflektieren (Hermann-Brennecke 1991: 83). Hierzu gehört auch die spielerische Beschäftigung mit critical incidents (vgl. z.B. Volkmann 2002: 33f., Gibson 2000 bietet eine Vielzahl an Beispielen). Nützlich ist gleichfalls die Konfrontation mit Heterostereotypen, welche andere Länder mit Bezug auf Deutschland formulieren, sowie die spezielle Vorbereitung von Auslandsaufenthalten und Exkursionen, die im Vorfeld das Thema Stereotype gezielt aufgreifen (vgl. Hermann-Brennecke 1991: 85, Baron 2002: 118). ‚Let’s stereotype‘: Von der Konfrontation zur Reflexion In fachdidaktischen Publikationen herrscht inzwischen weitgehend die Einsicht vor, dass Stereotype weder ausgeblendet noch apodiktisch als schädlich für den interkulturellen Austausch gebrandmarkt werden sollten. Im Gegenteil: Stereotype müssen und sollten kontroverses, gelegentlich erschreckendes, gelegentlich amüsantes Thema des Fremdsprachenunterrichts sein. Als Vorgehensweise wurde hierfür eine Art dreischrittige Progression vorgeschlagen (vgl. Husemann 1990: 93, Byram et al. 1994: 50, Hu 1995: 411): (1) Anfangs geht es darum, die Erkenntnis ins Bewusstsein zu heben, dass Stereotype generell und gerade im interkulturellen Diskurs existieren. (2) Weiterhin gilt es, Einsichten in ihre Dimensionen und Funktionen zu erlangen. (3) Schließlich soll eine bewusste und nachhaltige Reflexion über ihre Wirkungsweise ausgelöst werden. Abb. 13: ‚Progression‘ bei der Behandlung von Stereotypen (1) Der erste Schritt dieser Auseinandersetzung mit Stereotypen ließe sich mit dem Motto des Stereotypenforschers Harald Husemann wie folgt umschreiben: Let’s stereotype if we cannot avoid it! Dabei werden die „stereotypenhaften Informationen des Lernenden ausdrücklich als Basis akzeptiert, in die Informationen eingepflanzt werden können“ (Husemann 1990: 93). Die Lernenden werden dabei mit nationalen Stereotypen konfrontiert, wie sie in Karikaturen, Cartoons, Nationalsymbolen (Deutscher Michel, Uncle Ben) oder Versatzstücken von Text- oder Bildvorgaben auftauchen. Diese sollen Aussagen über Angehörige anderer Länder entlocken und dabei auch verdeutlichen, dass wir uns ein Bild von den Individuen anderer Nationen oder Erkenntnis: Existenz von Stereotypen Einsichten in Funktionsweisen Reflexionsbereitschaft (nachhaltig) <?page no="109"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 95 Kontinente machen, welches diese offensichtlich auf einige übertrieben dargestellte Eigenschaften, Äußerlichkeiten oder Attribute reduziert. (2) „Diese mehr oder weniger willkürlichen Urteile dürfen jedoch im Unterricht ebenso wenig stehengelassen werden. Es muß darum gehen, [...] die Urteile in ihren empirischen und normativen Prämissen bewußt, diskutierbar, kritisierbar und in ihrer Entstehung für andere nachvollziehbar zu machen.“ (Hu 1995: 411) Durch den Einstieg können stereotype Ansichten und die Bildung von Stereotypen selbst zum Gegenstand der unterrichtlichen Diskussion gemacht werden (Husemann 1990: 93). Damit werden wesentliche Themenbereiche des interkulturellen Lernens eröffnet, „vom biblischen Gebot ‚Du sollst Dir kein Bild machen’ bzw. über die ganz unterschiedlichen Kriterien der Attribuierung (Stamm oder Nation, Religion, Kontinent, Geschlecht, geschichtliches Missverständnis oder Kunstwerk der Werbung usw.) bis hin zu den politischen und psychologischen Mechanismen des Vorurteils“ (Thomas, Wagner 2000: 357). (3) Damit kann auch ein erster Anstoß zu einem nachhaltigen Prozess der Beschäftigung mit Stereotypen und Vorurteilen erfolgen. Dazu gehört die Reflexionsbereitschaft über die Relativität und Positionsgebundenheit der eigenen Werte, Normen und Urteile, ohne dass dabei der Orientierungslosigkeit Tür und Tor geöffnet wird. Dies kann vertieft und neu aufgegriffen werden, wenn Lernende im Unterrichtsdiskurs immer wieder mit Stereotypen in verschiedenen Medien konfrontiert werden und sie als komplexe kulturelle Phänomene erkennen (vgl. Byram et al. 1994: 50). Dabei gilt es auch, das Interesse zu entwickeln, immer wieder über ihre Ursprünge und Wirkungsweisen nachzusinnen. Es folgen nun zwei Beispiele für Unterrichtseinheiten, in denen Stereotype bewusst in den Vordergrund treten. Das erste Beispiel illustriert die hier vorgestellten Schritte (1) und (2). Es thematisiert nationale Stereotype direkt und regt Schüler/ innen an, über sie zu diskutieren und zu reflektieren. In diesem Fall werden die Lernenden mit karikaturhaften, knappen Bild- oder Textvorgaben konfrontiert. Dies kann folgender Aphorismus zur nationalen Stereotypik sein (vgl. Thomas, Wagner 2000: 357): HEAVEN is where the police are British, the cooks French, the mechanics German, the lovers Italian and it is all organized by the Swiss. Bekanntlich gib es auch eine Umkehrung dieses Zustandes, bei dem jede Nation die nach ihrem Selbstverständnis und dem Verständnis anderer europäischer Nationen gemäß negativste Eigenschaft ausleben kann: „HELL is...“ (und hier sind die Deutschen z.B. die Polizisten und die Briten die Köche). Reflexion und Zuordnung kann in diesem Fall zu sehr unterschiedlichen, kontroversen und interkulturell reizvollen Auseinandersetzungen führen. Ähnlich funktioniert auch ein Plakat, welches im Auftrag des Europarats zur europäischen Einheit in der Vielfalt entworfen wurde. Es soll, so die offensichtliche didaktische Doppelfunktion, auf humorvolle Weise die Mitglieder der europäischen Gemeinschaft einerseits dazu anregen, über ihre von anderen erkannten Eigenschaften nachzudenken und diese Heterostereotype mit einer Prise Humor zu rezipieren. Im Ensemble der Stereotype kann dann andererseits auch klar werden, dass die vorgefertigten Urteile, die man über andere Nationen pflegt, gleichfalls überzogen und realitätsfern sind. <?page no="110"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 96 Abb. 14: The perfect European Das hier verwendete Stilmittel ist das der Satire; es geht gleichfalls um eine sich widersprechende Bild-Text-Relation: Der Deutsche etwa gilt eben nicht, wie im Textabsatz formuliert, als humorvoll, sondern eher als humorlos und ernst, wie in der Karikatur präsentiert. Abgesehen von derartigen Einsichten in die Mechanismen von Stereotypen, können Lernende hier auch über nationale Stereotype (z.B. zu Finnen oder Dänen) lernen, die ihnen meist eher weniger geläufig sind. Der Stereotypenbildung wird hier nicht Vorschub geleistet, zielt die Karikatur darauf ab, eine gemeinsame europäische Identität ohne Hierarchisierung oder Abgrenzung nach außen anklingen zu lassen. Dies geschieht dadurch, dass keine Nation bevorzugte Behandlung erfährt, sondern jede gleichermaßen auf milde Weise ins Lächerliche gezogen wird. Auf paradoxe Weise führen so Karikaturen und satirische Darstellungen die Funktionsweise und Wirkungsmechanismen von nationalen Stereotypen vor Augen: als karikaturhafte, überzogene und die Realität verzerrende, wenn nicht gar verfälschende Phänomene. Die verstärkte Reflexionsbereitschaft über Stereotype als mächtige Kulturphänomene im Sinne der unter (3) beschriebenen ‚fortgeschrittenen‘ Fokussierung von Stereotypen kann mit Hilfe von Literatur und Filmen, aber auch mit anderen Medien wie mit Musikvideoclips geschehen. Wie die Werbung steht dieses bei den Schüler/ innen besonders beliebte Medium teilweise im Ruf, bestimmte Stereotype in auffälligem Maß zu transportieren, vor allem in Bereichen wie Sexualität, Geschlechtlichkeit, Männlichkeit und Weiblichkeit sowie Glückserfüllung durch materiellen Überfluss (vgl. Thaler 2002: 4f.). Aber auch zum Thema nationale Stereotype bieten Musikvideoclips reichlich Anschauungsmaterial. Bei der Konzentration auf dieses <?page no="111"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 97 viel rezipierte Medium wird zudem klar, wie stark Stereotype in der Populärkultur verbreitet sind und unsere tägliche Wahrnehmung beeinflussen. Die hier vorgeschlagene Unterrichtssequenz beschäftigt sich mit nationalen Stereotypen in Bezug auf die USA (vgl. eingehender Volkmann 2006b). Dazu gilt es zunächst, ein oder mehrere Clips zu wählen, die das Thema auf besonders anschauliche, kontroverse oder für die Geschichte des Mediums stilbildende Weise behandeln. Aus der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials könnten unterschiedliche Videos zusammengestellt werden. Eine interessante Auswahl bieten etwa Billy Joels kritisch-patriotisches „We didn’t start the fire“ (1989), das Ronald Reagan karikierende Video der britischen Rock-Band Genesis, „Land of confusion“ (1986), das ambivalente Konzertvideo Bruce Springsteens, „Born in the USA“ (1985), und der ambitionierte und doch sehr kommerzielle Beitrag zur Amerikakritik durch die deutsche Band Rammstein, „Amerika“ (2004). Eine Unterrichtssequenz, die sämtliche hier genannten Videos mit einbezieht, könnte damit ein facettenreiches Bild der Auto- und Heterostereotype dieses Landes präsentieren, mit historischen (Joel, Genesis) wie höchst kontroversen (Springsteen, Rammstein) Dimensionen. Die dabei zunächst zu diskutierenden Fragen wären: (1) Wie konstruiert das Video in der Korrelation von Bild, Text und Musik ein nationales Image der USA? Welche Aspekte werden hervorgehoben? Ist dieses Image eher positiv oder negativ? (2) Wie positioniere ich mich als Nichtamerikaner gegenüber diesem Video? Sind mir die Bilder vertraut? Teile ich sie? Erkenne ich sie als USeigene Perspektive (Joel, Springsteen) oder fremde Perspektive (Genesis, Rammstein)? Durch zusätzliche Internetrecherchen zu den in den Videos und vor allem den Texten eingeschlossenen zahlreichen soziokulturellen Anspielungen kann der amerikanische Kontext der Videos besser erschlossen werden. So kann etwa im Fall des historischen Schnelldurchlaufs, den Billy Joels Video bietet, ein Stück amerikanische Kulturgeschichte von den 1940er Jahren bis in die 1980er Jahre erschlossen werden (vgl. auch Rüschoff, Wolff 1999: 224ff.). Interessant wird diese Beschäftigung mit nationalen Auto- und Heterostereotypen dann, wenn Lernende das Internet auch verwenden, um über unterschiedliche Reaktionen auf die Musikvideos etwas zu erfahren. Dabei wird deutlich, dass es hier starke (auch nationale) Differenzen gibt, die in entsprechenden Fan-Foren evident hervortreten, aber auch selbst zum Diskussionsthema werden. So war Springsteens Hit „Born in the USA“ vom Interpreten zunächst als kritische Auseinandersetzung mit dem bemitleidenswerten sozialen Status vieler Vietnamveteranen in den USA gemeint, wurde aber, in Nichtbeachtung einiger Textpassagen und Konzentration auf die mitreißende Musik und visuelle Gestaltung des Videos, als patriotisches Statement (miss-)verstanden, so dass es Ronald Reagan sogar für seine Wahlkampagne verwenden wollte. Vielen deutschen Fans des amerikanischen Superstars sind diese Facetten des Hits unbekannt. Die patriotischen Elemente des Songs oder Videos werden, wenn als solche erkannt, beim Vortrag des ‚authentischen‘ Musikgenies aus New Jersey dennoch weltweit akzeptiert. Die hier vorgestellte Form des ‚Aushandelns‘ von nationalen Stereotypen erlaubt eine Skalierung von Reflexionsniveaus, die im Fall der Beschäftigung mit Musicvideoclips bei der Begegnung mit Auto- oder Heterostereotypen im visuell-auditiven <?page no="112"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 98 Medium einsetzt. Erst wenn die emotionale Reaktion, das kontrastive Verorten der dargestellten Images im eigenen Norm- und Wertesystem erfolgt, kann eine Spirale der Reflexion einsetzen. Diese Reflexion kann weitere Kreise ziehen, wenn das Internet als Informationsinstrument einbezogen wird, um Gedankenanstöße zu liefern zur kulturell differenten Aufnahme der in populärkulturellen Medien disseminierten Bilder über die USA. Schließlich können die Lernenden durch entsprechende Äußerungen (Bewertung von Videos bei YouTube usw.) selbst zur Diskussion der in den Videos entworfenen Bilder Amerikas beitragen und damit ein Zeugnis ihrer Reflexionsfähigkeit abliefern. 3.4 Mythos nationale Identität Prinzipien und Merkmale der Konstruktion nationaler Identität Die große Gefahr des Diskurses um nationale Mentalitäten und Standards besteht im tendenziellen Essenzialismus. Dieser geht von einem vorgegebenen, national oder ethnisch zu definierenden ‚Wesen‘ der Persönlichkeit aus. Dieser feste Identitätsbegriff verkennt, dass Identität konstruiert und damit auch wandelbar ist. Er erkennt nicht, dass Identität als Selbstdefinition und Selbstfindung ein konstruktiver Prozess ist, bei dem das Individuum auf höchst komplexe Art eine Identität entwickelt, die es teilweise bewusst selbst gestaltet (konstruktivistische ‚Bastelidentität’), welche teilweise aber auch durch äußere, unbewusste Einflüsse der kulturspezifischen Sozialisation geformt wird. Postmoderne Theorien verstehen demnach nationale Identitäten als Identitätskonstrukte oder Identitätsangebote, die jedoch das Einzelwesen nicht allein bestimmen, sondern Teil einer Identitätskonstruktion sind, die auch andere wichtige Komponenten einschließt, etwa Gender und soziale Schicht. Gerade im Zeitalter der „weltweite[n] Verbreitung und Angleichung von Texten, Ideologien, Marktmechanismen und Konsumgütern ebenso wie durch immense Migrationsbewegungen innerhalb der Weltbevölkerung [...], kommt es immer stärker zur Verschiebung oder ‚dislocation‘ (Laclau) von Identitäten, zum Ausleben konträrer Identitäten durch ein und dieselbe Person, Gruppe oder Nation, wie auch zur Kombination und Hybridbildung von Identitäten“ (Teske 2002: 143f.). Die nationale Identitätskonstruktion bedarf also in diesem durch die Globalisierung beschleunigten Prozess der Überlappung und Durchdringung der Kulturen einer anhaltenden Grenzziehung durch die Betonung weiterhin existierender kultureller Differenzen. Um diese Differenzstrukturen aufrecht zu erhalten, verlangt sie nach einem historisch gewachsenen und durch Rituale und Praxis wirksam erhaltenen Repertoire an identitätsstiftenden, als typisch national zu begreifenden Objekten und Praktiken. Für diese Prozesse der kollektiven Identitätsbildung und -entwicklung lassen sich fünf konstitutive Prinzipien und mit ihnen charakteristische Merkmale kollektiver Identität formulieren (vgl. Teske 2002: 144f., Sommer 2003: 143f.): (1) Nationale Identitäten sind konstruktiv: Es existiert keine ‚natürliche’, essenzielle Grundlage für sie, sondern sie sind kollektive Konstruktionen, die auf den sich selbst geschaffenen Traditionen und Gebräuchen ihrer imaginierten Gemeinschaften (Anderson 1983) beruhen. (2) Nationale Identitäten sind wandelbar: Sie sind keine überzeitlichen Konstanten, wie der Blick auf das gerne zitierte Beispiel einer Liste des britischen Dichters und <?page no="113"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 99 Kulturtheoretikers T.S. Eliot zeigt, mit der er 1948 festhielt, was für ihn die „characteristic activities and interests“ der Briten seien: Derby Day, Henley Regatta, the Twelfth of August, the Cup Final, the dog races, the pin table, the dart board, Wensleydale cheese, boiled cabbage cut into sections, beet-root in vinegar, nineteenth-century gothic churches and the music of Elgar. (Zit. in Teske 2002: 144) Zwei Generationen später wird sich kaum ein Brite mit diesem Ensemble kollektiver Marker identifizieren und beispielsweise den 12. August als Tag der Eröffnung der Fasanenjagd-Saison (grouse) einordnen können. Das hier manifest werdende Verständnis von nationalem Bewusstsein ist zudem auf recht elitäre, bildungsbewusste, männlich-weiße und auf Englishness zentrierte Bestandteile ausgerichtet. Eine ähnliche Definition würde heutzutage gerade die Vielfalt und Differenz von Regionen, Ethnien und Gender-Konstruktionen mit einschließen. (3) Nationale Identitäten rekurrieren auf stets neu zu praktizierenden oder kommunizierenden kulturellen Praktiken und Präsentationen: Sie sind „gedächtnisbezogen“ (Sommer 2003: 144), d.h. bezogen auf überlieferte ritualisierte Handlungen, gemeinsame Werte und Standards, kulturelle Objekte. Eine imaginäre Gemeinschaft konstruiert sich ritualisiert anhand von Objekten (Gebäude, Denkmäler, Kunstwerke), öffentlichen Ritualen (nationale Feiertage) und besonders wandelbaren, unter Globalisierungsdruck stehenden Alltagsritualen (Besuch einer Sportveranstaltung, Besuch im Pub usw.). (4) Nationale Identitäten stehen in einem Verhandlungsprozess: Sie schaffen sich in der Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung von dem Nicht-Identischen, dem Anderen, mit den Mechanismen der Alteritätszuweisung. (5) Nationale Identitäten sind ideologisch: Sie sind unbewusst an bestimmte weltanschauliche und ideologische Vorstellungen gebunden. Dadurch werden sie auch bewusst politisch funktionalisiert und zur manipulativen Durchsetzung der Ziele bestimmter Gruppen instrumentalisiert. Für den Fremdsprachenunterricht gilt die Einsicht Claus Altmayers, der diesen Komponenten der ‚nationalen Identität‘ einer jeweiligen Zielkultur eine große innere Heterogenität und Komplexität zuspricht: Es handelt sich eben nicht, wie uns die Kulturstandardforschung glauben lassen will, um empirische Wissensstrukturen, sondern um „ein höchst vielfältiges, heterogenes, ja widersprüchliches Repertoire, auf das wir für unterschiedliche kommunikative Zwecke zurückgreifen können“ (Altmayer 2004: 458). Während der Angehörige der Zielkultur auf dieses Repertoire oftmals unbewusst in Form von (kommunikativen) Behavioremen zurückgreift und dabei durch seine kulturelle Sozialisation konditioniert ist, steht dieses Repertoire dem Nichtmitglied dieses nationalen Kollektivs nicht zur Verfügung. Eine weitere Schwierigkeit besteht in dem Problem, Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Kulturen zu erkennen und entsprechend adäquat (kommunikativ) zu handeln. Wir folgen hier Altmayer, der es als eine der Hauptaufgaben des Fremdsprachenunterrichts versteht, Lernende sukzessiv ansteigend dazu zu befähigen, sich dieses heterogene und widersprüchliche Repertoire verfügbar zu machen und im Sinne der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenkoordination damit umzugehen. Fremde Texte oder kommunikative Akte können durch diese „‚interkulturelle’ Schlüsselqualifikation“ (ibid.: 459) entsprechend gewinnbringend erschlossen werden: <?page no="114"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 100 Lerner müssen in die Lage versetzt werden, die in Texte implizit eingehenden und von Texten als selbstverständlich verfügbar vorausgesetzten kulturellen Deutungsmuster als solche zu identifizieren, zu aktivieren und im Prozess des Verstehens für die Herstellung eines kohärenten Textsinns fruchtbar zu machen. (ibid.) Welche Prinzipien bei der Themenwahl sowie der Auswahl, Zusammenstellung, Präsentation und Behandlung von Unterrichtsmaterialien sollten dabei zum Zuge kommen? Knapp zusammengefasst bieten sich hier vor allem zwei Prinzipien an. (1) Zunächst geht es um eine Konzentration auf den Konstruktcharakter nationaler Identität selbst, wie sie sich durch das Wechselspiel verschiedener Stereotypen dynamisch entfaltet. Dabei wird betont, wie das jeweilige nationale Selbstverständnis als Konglomerat von Autostereotypen zu verstehen ist. Zugleich bietet sich als Korrektiv und Ergänzung der Blick von außen auf ein Land an, bei dem Bedeutung durch kulturelle Heterostereotype entsteht. Hierdurch kann das wesentliche Prinzip der Multiperspektivität zum Tragen kommen. (2) In Anlehnung an vor allem in der Amerikakunde übliche Praktiken, die key cultural concepts als Schlüssel zum Verständnis des Landes zu unterrichten (vgl. Freese 1991), kann hier ein Vorgehen vorgeschlagen werden, welches exemplarisch und repräsentativ essenzielle Bereiche fokussiert (vgl. auch Kap. 6.4): (a) Key cultural texts: Diese Texte sind zunächst historisch bedeutende und für das Selbstbild der entsprechenden Nation wesentliche Dokumente. Es können ebenfalls Texte sein, die einen besonders exemplarischen, interessanten oder anschaulichen Einblick in die Zielkultur erlauben. Es sind in diesem Sinne in der Zielkultur selbst vielfach kanonisierte und anthologisierte Texte. Es bieten sich allerdings auch Texte an, die sich durch curriculare Vorgaben oder nicht genauer nachvollziehbare unterrichtliche Praxen als Kerntexte herauskristallisiert haben. Um ein paar Beispiele zu nennen: Wer Amerika als multikulturelle Gesellschaft unterrichtet oder Themen wie die afroamerikanische Geschichte, wird nicht um die berühmte „I have a dream“- Rede Martin Luther Kings (28. August 1963) herumkommen. Zugleich eröffnen sich damit intertextuelle Beziehungsgeflechte zum Text der amerikanischen Declaration of Independence, zu Reden amerikanischer Präsidenten und zu ähnlichen oder konträren Aussagen zum American Dream oder zur Stellung von Minoritäten (kontrastiv hierzu wäre ein Text des militanten schwarzen Segregationsbefürworters Malcolm X einzusetzen). Und wer das Thema minorities in Great Britain unterrichtet, wird kaum um die hasserfüllte Birmingham-Rede des Politikers Enoch Powell herumkommen, die auch als rivers of blood speech zu zweifelhafter Bekanntheit gelangte, weil sie, exemplarisch für rassistische Angstszenarien, im Jahre 1968 vor der weiteren Aufnahme nichtweißer Emigranten warnte. Andere Texte erscheinen momentanen ‚Kultstatus‘ erreicht zu haben und es ist nicht abzusehen, ob ihre Bedeutung anhalten wird. Dies gilt etwa für Hanif Kureishis Kurzgeschichte „My Son the Fanatic“ (1994), die als prophetische fiktionale Modellierung einer pre-9/ 11-Auseinandersetzung zwischen anpassungswilligem Vater und sich fundamentalistisch ausrichtenden Sohn in einer Einwandererfamilie Großbritanniens gelten kann. Die Skala der Textsorten und Textgenres ist hierbei sehr breit. Sie reicht bei literarischen Texten von einfachen Kinderreimen und -liedern, Märchen und Erzählungen, die den Mitgliedern der Zielkulturen bekannt sind, bis zu kanonisierten Gedichten, Romanen und Dramen, insbesondere Dramen von William Shakespeare. Sie beinhaltet auch nicht-literarische Textsorten, vor allem Reden, aber auch Sprichwörter und <?page no="115"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 101 Redewendungen. Als ergiebig erweisen sich dabei Texte, die aus der Innen- oder Außenperspektive den ‚Nationalcharakter‘ eines Landes oder bestimmte Facetten dieses Nationalcharakters beschreiben - dies können auch Reiseführer und Ratgeber für Geschäftsreisende und Touristen sein. (b) Key cultural icons: Nationale Identitätsstiftung findet nicht erst im visuellen Zeitalter über ikonisch wirkende visuelle Zeichen statt. Es handelt sich dabei um medial vermittelte Bilder, die gewissermaßen metonymisch gleichgesetzt werden mit einem Land und dabei bestimmte Stimmungen evozieren. Es können dies sein: (1) Landschaften und Regionen, wie beispielsweise der Lake District in England, der mit der englischen Romantik und einer von der Industrie unberührten, gepflegten Landschaft voller Narzissenfelder verbunden wird. (2) Gebäude und Denkmäler, wie beispielsweise die Twin Towers in Manhattan, die am 11. September 2001 gerade als Symbol des amerikanischen Kapitalismus und der amerikanischen Dominanz als Ziel der Terrorangriffe ausgewählt wurden, oder das Opernhaus von Sydney, das als Symbol kulturellen und ästhetischen Anspruchs die Besucher Australiens zu beeindrucken sucht. (3) Nationale Symbole, die in Nationalkarikaturen (Uncle Sam), aber auch in Nationalflaggen, auf Banknoten, Münzen usw. präsent sind: Sie liefern Einblicke in das offizielle Selbstverständnis eines Landes, wie beispielsweise deutlich wird beim Spinnrad in der indischen Flagge: Galt dies doch Gandhi als Symbol der Rückbesinnung auf eigene Ressourcen und eigene Produktivität und war gegen die Ausbeutung der indischen Textilindustrie durch Großbritannien gerichtet. (4) Ikonen des Alltags: Welche Bilder des Alltags als typisch für eine Nation zu bezeichnen wären, bleibt sehr offen. Es handelt sich dabei um Alltagsgegenstände, die unterschiedlichste Funktionen erfüllen können und teilweise als folkloristisch oder antiquiert verstanden werden, aber atmosphärisch stark wirken, wie etwa der britische Doppeldecker-Bus, das rote Telephonhäuschen, die Tasse Tee; oder der sprichwörtliche apple pie in den USA, das vegemite sandwich in Australien, die Dreadlocks- Haartracht in Jamaika, die Anfeuerungs-Tröten aus Südafrikas Fußballstadien (Vuvuzelas). Es kann sich schließlich auch um ein multisensorisch und besonders emotional aufgeladenes Ritual handeln, welches nationale Identität verstärkt. Beispiel hierfür wäre der pledge of allegiance, wie er alltäglich zu Unterrichtsbeginn in den USA ausgeführt wird (und in ähnlicher Form vor öffentlichen Sportveranstaltungen). Hier geht es um das Ritual der Bekenntnis zu den USA und ihren Werten, verbunden mit einer symbolischen Geste (der Hand auf dem Herz) und dem Blick auf die amerikanische Flagge; oder der indigene Haka-Tanz, den das neuseeländische Rugbyteam vor jedem Länderspiel auf für den Gegner furchteinflößende Weise praktiziert. (c) Key cultural concepts: Für keine der anglophonen Zielkulturen gibt es eine derartige Fülle an Publikationen zu ihren key cultural concepts wie zu den USA - dies ist wohl bezeichnend für eine amerikanische Bedürfnislage, die Frage nach der eigenen Identität - What is an American? - definitorisch zu umkreisen, um sich ihrer zu versichern. Über die Kulturkonzepte anderer Nationen ist weniger systematisch publiziert worden, eher assoziativ und punktuell. Daher kann das heuristisch fruchtbare Modell der key cultural concepts - also der wenigen Leitgedanken oder Ideologeme, die Amerikaner ‚antreiben‘ - nicht ohne weiteres und nur mit gewissen Modifikationen auf andere Nationen übertragen werden. Im Folgenden sei dennoch skizzenhaft der Versuch unternommen, wesentliche sinnstiftende Bestandteile der nationalen Identitätsbildung bei vier ausgewählten Nationen zu umreißen. Es geht dabei weniger um <?page no="116"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 102 einen knappen Überblick zum jeweiligen Nationalcharakter als um die Frage, welche Elemente bei der Konstruktion von Selbstwie Fremdbildern für diese Nation als besonders konstitutiv gelten und besonders ertragreich im Unterricht thematisiert werden können. Unter den hier ausgewählten Nationen befindet sich an erster Stelle Deutschland selbst. Denn die Fragestellung, wie die deutsche Identität von außen beurteilt wird, eröffnet interessante Perspektiven für den interkulturellen Dialog. Die Einsicht in die Konstruiertheit der eigenen Position und wie diese von außen bewertet wird, eröffnet die Perspektive auf die Relativität der Betrachtung anderer nationaler Identitätskonstruktionen. Im Anschluss seien die beiden Ursprungsländer der englischen Sprache, Großbritannien und die USA, kurz betrachtet. Schließlich soll als Beispiel für ein postkoloniales Land der indische Subkontinent in das Blickfeld geraten. In allen vier Fällen steht also das Thema der aus der Binnenwie aus der Außenperspektive fokussierten Konstruktion von imagined communities im Vordergrund. Dabei soll die Reihenfolge der angesprochenen Aspekte bei eher kategorialen und konzeptuellen Vorstellungen zum jeweiligen Land beginnen und dann zu pragmatisch ausgerichtetem Eingehen auf bestimmte ‚typische‘ Situationen bzw. Behavioreme führen, die es bei der interkulturellen Begegnung zu beachten gilt. 3.5 Imaginierte Kollektive: Deutschland, USA, Großbritannien und Indien Deutschland Die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland ist nicht nur ein Thema für die im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) Tätigen. Fragen dazu, ‚wie die anderen uns sehen‘ oder zum ‚Deutschenbild im Ausland‘ sind zugleich Teil eines der Leitprobleme, welches die Deutschen in interkulturellen Begegnungen selbst gern zum Thema machen (vgl. Stierstorfer 2003). Mit seiner Variante des typisch britischen Humors beschreibt dies der englische Kommentator Roger Boyes, jahrelang Deutschlandkorrespondent der Londoner Times, in der satirischen Betrachtung How to be a Kraut. Leitfaden für ein wunderliches Land: In all den Jahren habe ich allerdings nie ganz begriffen, wieso Deutsche ständig nach Anerkennung von Ausländern lechzen. Ich bezeichne das immer als das „War ich gut? “- Syndrom, in Anlehnung an die besorgte Frage, die so viele deutsche Männer nach einer Liebesnacht stellen. Die Außenwelt - allen voran Großbritannien - weiß wenig über Deutschland und interessiert sich auch nicht groß dafür. Und dennoch wird man als Ausländer ständig aufgefordert, über deutsches Verhalten zu urteilen - als würde man von den Deutschen selbst zum Geschworenen berufen. (Boyes 2007: 8) Diese Aussage - ihrerseits mit einem Humorverständnis durchdrungen, wie es in Londoner Herrenklubs mit gepflegten Understatements und erotischen Anspielungen kultiviert wird - verweist auf die Notwendigkeit, die Frage nach der deutschen Identität als Thema interkulturellen Austauschs auch im Englischunterricht zu beachten. Dabei kann auf eine Fülle von Material zurückgegriffen werden, von Reisebeschreibungen über populärwissenschaftlich verfasste Bücher zur deutschen Identität bis zu Karikaturen, Werbefilmen und Cartoons. Die Ausstellung Krauts - Fritz - Piefkes ...? Deutschland von außen, die 1999/ 2000 im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn präsentiert wurde, lieferte zum Beispiel einen <?page no="117"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 103 Überblick über die üblichen Muster des Deutschlandbilds im Ausland (vgl. Altmayer 2004: 379): Es mangelte nicht an den vertrauten Bildern von Deutschen als Nazis und Militaristen, aber auch als Idealisten, Romantiker und Ordnungs- und Disziplinfanatiker, deren Existenz von Vorgaben wie Effizienz, Fleiß und Pünktlichkeit bestimmt ist. Auch wenn derartige nationale Eigenschaften als eher negativ, wunderlich oder seltsam beschrieben und seit der Fußball-WM 2006 um Attribute wie weltoffen, tolerant und modern ergänzt werden, liefern sie nicht nur Anlass zu Ärger oder Selbsteinsicht, sondern zudem plakativ dargestellte und bisweilen satirisch vereinfachte Einsichten in Vorurteile anderer Länder. Im Unterricht erscheinen daher weniger Auszüge aus soziologischen oder soziokulturell ausgerichteten Studien zu Deutschland geeignet - beispielsweise aus John Ardaghs monumentaler Studie Germany and the Germans (3. Aufl. 1995). Diese unterscheiden sich in Duktus und Erkenntnisinteresse nicht wesentlich von ähnlichen deutschsprachigen Studien zum eigenen Land und nur interkulturell versierte Leser werden ihre angelsächsisch eingefärbte Perspektive deutlich erkennen. Eher eignet sich für Schüler/ innen und auch für Studierende die selektive Lektüre zahlreicher populärwissenschaftlicher Studien, die sich mit Witz und Humor dem Thema nähern und dabei zur Diskussion über den Realitätsgehalt der beobachteten Phänomene anregen (vgl. z.B. Stern 2000). Beispielhafte Themengebiete für den Unterricht wären dabei: der Mangel an Humor und Gesprächskonventionen, die offen-freizügige Einstellung zu Körper, Nacktheit und ‚Natürlichkeit‘, das Umweltbewusstsein und Verhältnis zur Natur, das Ordnungsbewusstsein im privaten und öffentlichen Raum, die Vorliebe für Tiere und der Umgang mit Kindern, Fleiß und weitere deutsche Tugenden, die Umständlichkeit und Genauigkeit der deutschen Bürokratie, Alltagsrituale wie Sport, Feiern, Reisen, die Liebe zum Ausland, Fernweh vs. Heimatbegriff, der Umgang mit der Geschichte und jüngsten Vergangenheit (NS und DDR), die deutsche Freizeit- und Spaßkultur usw. Wie diese sicherlich unvollständige Liste deutlich macht, erheben die wenigsten Studien Anspruch auf eine Systematik oder große Ernsthaftigkeit, es fehlt ihnen oft eine gewisse Tiefenschärfe, wodurch sie allerdings idealen Diskussionsstoff im Unterricht liefern. Dies gilt auch für die wohl kondensierteste Form der Beschäftigung mit nationalen Stereotypen, den Listen von Do’s and Dont’s, wie sie gerade in internationalen Geschäftsführern bevorzugt werden. Ein Auszug aus dem Buch Training Management Corporation, welches 1994 von der renommierten Universität Princeton herausgegeben wurde, verdeutlicht dies. Denn was man hier als wichtige Verhaltensregeln empfiehlt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen für Deutsche selbst als Sammelsurium von Falschheiten oder zumindest Halbwahrheiten. Hier ein Auszug: Germans tend not to smile when introduced. Smiling is reserved for friends. Germans can be formal and reserved at first meetings, and many seem unfriendly. Business negotiations in Germany are technical and factual. It is best to avoid introducing humour, little anecdotes, surprises or a hard sell approach. Spontane- <?page no="118"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 104 ous presentations are frowned upon. Business may be discussed before, but not during, the meal. (Gibson 2000: 106) Auch wenn sich gegenüber 1994 im Zuge der Globalisierung einige Business- Sitten in Deutschland an internationale, meist angloamerikanische Gepflogenheiten angepasst haben dürften: Deutlich sollte hier werden, dass derartige Aufzählungen oft mehr über die beobachtende Kultur als die beobachtete aussagen. USA Viele Überblicke zu den USA bieten nach wie vor den in Kap. 2.3 diskutierten landeskundlichen life and institutions-Ansatz. Beispielhaft ist die 2008 veröffentlichte Überblicksdarstellung Understanding America: An Anatomy of an Exceptional Nation (Schuck, Wilson 2008). Hier wird enzyklopädisches Wissen geboten und die Gliederung spiegelt umfassend wesentliche soziokulturelle, politische und ökonomische Aspekte des Landes: Behandelt werden Politik, Administration, Verwaltung, Recht, Wirtschaft, Föderalismus, Medien, Militär, Religion, Populärkultur, aber auch Familienstrukturen, Immigration, Minderheiten, Erziehungs-, Gesundheits- und Strafwesen sowie herausragende Einzelprobleme wie Drogenmissbrauch, Philanthropie, soziale Gegensätze und wirtschaftliche Mobilität. Die Zielvorgabe des Buchs - „to explain America to itself and to its foreign observers” (ibid.: ix) - erscheint angesichts der angehäuften Fakten und ihrer Analysen eher für ein gebildetes Publikum bzw. in der Funktion eines Nachschlagewerks erreicht. Die im Untertitel verwendete Apposition der exceptional nation verweist auf ein für den Unterricht ergiebigeres und erkenntnisreicheres Vorgehen bei der Beschäftigung mit den USA: die Auseinandersetzung mit Aspekten des amerikanischen Selbstverständnisses, welches mit Begriffen wie Exzeptionalismus und American Creed oder in Attributen wie God’s own country ihren Ausdruck findet. Dieses amerikanische Selbstverständnis spiegelt sich in einem leicht rezipierbaren und vielfach abgedruckten Bündel an griffigen Definitionen und Kernstellen historischer Dokumente, wie beispielsweise in der Declaration of Independence von 1776. Als in hohem Maße konstitutiv für das amerikanische Selbstverständnis haben sich dabei folgende drei key cultural concepts erwiesen (vgl. Freese 1991, ausführlicher Hebel 2008): Der American Creed stellte die USA historisch im Verständnis eines Einwanderlandes gegen Europa und postulierte die Ideale der inhärenten, vom Staat zu schützenden Gleichheit aller Menschen (wenn diese auch zunächst auf weiße Männer beschränkt war). Damit verbindet sich der Glaube an die inalienable rights jedes Amerikaners - life, liberty, and the pursuit of happiness - als egalitäres, säkularisiertes Heilsversprechen. Hiermit einher geht die einende Utopie des American Dream, der (nicht nur materiellen) Selbstverwirklichung in der Neuen Welt. Es ist dies der Gedanke des Neuanfangs und der allen offenen Möglichkeit der Bestimmung des eigenen Schicksals, unabhängig von religiösen, sozialen oder politischen Herkunftsrestriktionen. Eng hiermit korreliert der Kult des Individualismus (rugged individualism) und der Eigenverantwortlichkeit (self-reliance). Geschätzt werden neben sozialer auch geografische Mobilität, wie sie sich im mentalitätsbildenden westward movement manifestierte. <?page no="119"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 105 Die Akzeptanz von Diversität (diversity) zählt als hohes gesellschaftliches Gut, was sich zunächst im Symbol des melting pot andeutete. Dies wurde abgelöst vom neuen, weniger auf Homogenität und Ausrichtung auf eine Führungskultur ausgerichteten Leitbild des cultural mosaic und den identity politics. Hierin drückt sich die Bedeutung kultureller Werte wie Pluralismus, Diversität und Gleichbehandlung aus. Die hier nur verkürzt wiedergegebenen drei Komponenten der kollektiven amerikanischen Selbstkonstruktion (vgl. Hebel 2008: 307ff.) spiegeln sich in vielen Dokumenten zur (Selbst-)Definition Amerikas, bisweilen auch in inverser Form, wenn der American Dream als American Nightmare entlarvt, multikulturelle Wunschvorstellungen mit eklatanter Rassendiskriminierung kontrastiert und individualistischer Fortschrittsglaube mit ausbeuterischer Rücksichtslosigkeit in Kontrast gesetzt werden. Die Bandbreite der eher positiven Einschätzungen Amerikas soll anhand zweier Kernstellen aus der Literatur belegt werden. Bereits aus dem Zeitalter der Amerikanischen Revolution stammt die ‚klassische‘ Definition des Homo americanus aus der Feder des französischen Adeligen J. Hector St. John (Michel-Guillaume Jean de Crèvecoeur), die er in seinen Letters from an American Farmer (1782) formulierte: What then is the American, this new man? He is either an European, or the descendent of an European, hence that strange mixture of blood, which you will find in no other country. I could point out to you a family whose grandfather was an Englishman, whose wife was a Dutch, whose son married a French woman, and whose present four sons have now four wives of different nations. He is an American, who leaving behind him all his ancient prejudices and manners, receives new ones from the new mode of life he has embraced, the new government he obeys, and the new rank he holds. He becomes an American by being received in the broad lap of our great Alma Mater. Here individuals of all nations are melted into a new race of men, whose labours and prosperity will one day cause great changes in the world. (Abgedruckt in Luedtke 1990: 8) In den 1960er Jahren unternahm der Soziologe Robin Williams einen umfassenden Versuch, die herausragenden Eigenschaften der amerikanischen Kultur aufzulisten. Ähnliche Stichwortlisten finden sich auch an anderer Stelle (vgl. Harris, Moran 1993: 356, Apfelthaler 1999: 36, Hansen 2000: 120f.): An activist approach to life, based on mastery rather than passive acceptance of events; emphasis on achievement and success, understood largely as material prosperity; a moral character, oriented to such Puritan virtues as duty, industry, and sobriety; religious faith; science and secular rationality, encouraged by a view of the universe as orderly, knowable, and benign, and emphasizing an external rather than inward view of the world; a progressive rather than traditionalist or static view of history, governed by optimism, confidence in the future, and a belief that progress can be achieved by effort; equality, with a horizontal or equalitarian rather than hierarchical view of social relations; high evaluation of individual personality, rather than collective identity or responsibility; self-reliance; humanitarianism; external conformity; tolerance of diversity; efficiency and practicality; freedom; democracy; nationalism and patriotism; idealism and perfectionism; mobility and change. (Luedtke 1990: 23f., gekürzt) Diese Auffächerung der key cultural concepts hat sich mit der Verschiebung der USA in Richtung auf stärkeren Pluralismus und größere Diversität nicht essenziell geändert. Zum Erreichen von Amerikakompetenz erscheinen Einsichten in ausgewählte Teilbereiche dieser Komponenten des amerikanischen Selbstverständnisses <?page no="120"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 106 wesentlich (vgl. eingehender Hebel 2008, Skinner 2009). Diese Amerikakompetenz erweist sich als besonders wichtig, da das ‚Modell Amerika‘ im Zuge der Globalisierung und der damit einhergehenden akzelerierten Zirkulation und Dissemination amerikanischer Popkultur nicht allein materielle Güter und kulturelle Praktiken verbreitet, sondern auch die mit ihnen verbundenen Wertvorstellungen und Normen (vgl. Kelleter, Stein 2008). Insofern sollte die Bedeutung amerikanischen Selbstverständnisses auch von einer anderen, der globalen Perspektive her betrachtet, vermittelt und bewertet werden. Hier bietet sich das Konzept der ‚kulturellen Ikonen‘ an, bei denen es um visuelle Entitäten geht, die mit besonderer Bedeutung aufgeladen sind und global ‚zirkulieren‘, also zum kulturellen Globalgedächtnis gehören. Es handelt sich um historische Charaktere, bekannte Örtlichkeiten, Monumente, Teile der Natur, aber auch um Logos und Computericons. Hier seien nur einige der bekanntesten Kulturikonen Amerikas aufgezählt (vgl. Rieser 2006: 7): AAA. Aids Ribbons. Al Capone. Apple. Barbie. Beach Boys. Billy Graham. Buffaloes. Charles Lindbergh. Chevrolet. Cowboys. Donald Duck. dot.com. Ellis Island. FDR. Fifth Avenue. Frontier. Ground Zero. Harley Davidson. Hippies. Hollywood. James Dean. JFK. John Wayne. Las Vegas. Martin Luther King. Moby Dick. Monument Valley. Muhammed Ali. NASA. Playboy. Pocahontas. Rocky. Route 66. Silicon Valley. Sitting Bull. Smith & Wesson. Statue of Liberty. Sunset Boulevard. Tupperware. Twin Towers. Vietnam Memorial. Wall Street. Windows. Woodstock. Wounded Knee. X-Files. Zabriskie Point. Im globalen Diskurs sind sie, wie Klaus Rieser betont, hegemoniale Instrumente der Ausbreitung des American Creed, zugleich aber auch - durch die bereits genannten Strategien der individuellen Aneignung und Bedeutungsveränderung - „democratic tools“ (ibid.: 8) und dienen damit auf unterschiedliche Weise der Konstruktion von Identität in und außerhalb der USA. Die Frage nach der nationalen Identität der USA lässt sich also auf vielfache Weise und mit unterschiedlicher Perspektivierung erörtern: auf herkömmliche, auf Fakten und Analyse und damit wissensbasierte Art im Sinne der life and institutions-Tradition; auf reflexiv-verstehende Art, wenn das bestimmten amerikanischen Verhaltensmustern (Behavioremen) zugrundeliegende Cluster an key cultural concepts berücksichtigt wird; auf eine den globalen Diskurs fokussierende Art, bei der die Verbreitung amerikanischer ‚Kulturikonen‘ mit Bezug auf Herkunft und rezeptive Veränderung im Mittelpunkt steht. In der Praxis wird es darum gehen, eine passende Mischung aus den hier genannten Ansätzen umzusetzen. Dabei sollte auch ein bisher noch nicht berücksichtigter Aspekt thematisiert werden: die Ablehnung des American way of life und seiner Ausbreitungstendenz, die sich im Terminus ‚Anti-Amerikanismus‘ ausdrückt. Im weitesten Sinn bedeutet der Anti-Amerikanismus den Versuch, die widersprüchliche, so schwer zu begreifende Komplexität der USA zu reduzieren, dieses Mal nicht durch eine Idealisierung, wie dies oftmals in eigenen Vorstellungen des amerikanischen Exzeptionalismus geschieht, sondern in Form der Dämonisierung (vgl. Mog, Althaus 1992: 30, Freese 1991, Birkenkämper 2006, Kelleter, Knöbl 2006). Der Anti-Amerikanismus ist somit so alt wie der American Creed selbst, wenn er auch historisch unterschiedliche Ausformungen angenommen hat. Im westlichen Nachkriegsdeutschland galten die USA lange als Leit- und Orientierungskultur, man war <?page no="121"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 107 dankbar für die ‚Befreiung‘ vom Faschismus, die Wiederaufbauhilfe und identifizierte sich mit den Siegern (so die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich 1977). Man war von der amerikanischen Alltagskultur fasziniert. Dennoch gab es den unter der Oberfläche weiter existierenden Anti-Amerikanismus des Nationalsozialismus, für den die USA eine entartete und dekadente Zivilisation darstellte. Existenzielle Kritik des American way of life findet sich in der Nachkriegszeit etwa im Roman Homo faber von Max Frisch (1957), in dem der Protagonist europäische Ressentiments und Aversionen in typischen Reizwörtern ausdrückt: Schon was sie essen und trinken, diese Bleichlinge, die nicht wissen, was Wein ist, diese Vitamin-Fresser, die kalten Tee trinken und Watte kauen und nicht wissen, was Brot ist, diese Coca-Cola-Volk, das ich nicht ausstehen kann. [...] Was Amerika zu bieten hat: Komfort, die beste Installation der Welt, ready for use, alles wird Highway, die Welt als Plakat- Wand zu beiden Seiten, ihre Städte, die keine sind, Illumination, am anderen Morgen sieht man die leeren Gerüste, Klimbim, infantil, Reklame für Optimismus als Neon-Tapete vor der Nacht und vor dem Tod [...]. (Frisch 1976: 175, 176f.) Der kulturkritische Protest erhielt mit dem Vietnamkrieg und unbeliebten Präsidenten wie Ronald Reagan oder George W. Bush stets neue Nahrung und brach sich Bahn im Protest gegen die ‚Coca-Colonialisierung’ des eigenen Landes und in oftmals heuchlerischen Spötteleien über den American way of life. Zusammenfassend sei zum Anti-Amerikanismus eine Passage aus dem Lexikon der populären Amerikabilder zitiert, welche dessen historische Dimensionen verdeutlicht: Dieser Antiamerikanismus mit all seinen Stereotypen geht bis in die Zivilisationskritik der Romantik zurück; er findet sich auf dem rechten wie auf dem linken Spektrum (oft in verblüffender Ähnlichkeit der Phrasen); und seine Nähe zum Antisemitismus ist unübersehbar: wenn hinter aller amerikanischer Politik letztlich eine kleine, böswillige, verschlagene, von Kapital- und Wirtschaftsinteressen geleitete verschwörerische Gruppe vermutet wird; wenn sogar - wie im Jahre 2002 geschehen - ein katholischer Bischof zum Boykott amerikanischer Waren aufruft; oder wenn ein protestantischer Theologe schreibt: „Amerika ist eine Last geworden, welche die Erde nicht auf Dauer ertragen kann“ [...] - dann sind Verschwörungs- und Vernichtungsphantasien, gepaart mit einem massiven Ressentiment, am Werk; und dann ist auch und gerade in akademischen Kreisen kein vernünftiges Argumentieren mehr möglich; dann heißt es mit Sigmund Freud: „Amerika ist ein Fehler, ein gigantischer Fehler, aber ein Fehler“ [...] - und damit basta. (Kremp, Tönnesmann 2008: 8) Ein Überblick über populäre Amerikabilder in Deutschland erweist sich als Liste der populären Irrtümer über Amerika (vgl. Kremp, Tönnesmann 2008). Sie seien hier in Auswahl genannt: Deutschland ist ganz und gar oder zu stark amerikanisiert und im Begriff, seine eigene Kultur zu verlieren. Es droht gar, der 51. Bundesstaat der USA zu werden. Deutsche werden dabei Opfer des amerikanischen Drangs, mit ihrem Dollar die ganze Welt zu beherrschen. So führt der Export von McDonald’s zum Verlust der eigenen Esskultur. Amerikanische Präsidenten orientieren sich in ihrer Außenpolitik am Muster des schießwürdigen Cowboys und spielen gern den Weltpolizisten; das Land wird von der Rüstungslobby und der Wirtschaft regiert. Die amerikanische Gesellschaft ist materialistisch, ungerecht, ohne soziale Sicherheit. <?page no="122"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 108 Das Ideal vom Tellerwäscher zum Millionär wird von allen Amerikanern geteilt und existiert so nur in den USA. Die amerikanische Kultur, insbesondere das Fernsehen, ist platt und niveaulos. Gute Kultur wird nur von Europa importiert. Der typische Amerikaner ist kindlich, naiv, blauäugig, oberflächlich, konservativ, puritanisch-prüde oder permissiv, fromm und scheinheilig, nationalistisch. Amerikaner haben kein Umweltbewusstsein, lieben Waffen und favorisieren die Todesstrafe. Die Juden haben in der Wirtschaft, Politik und Kultur der USA das Sagen. Der Englischunterricht muss derartigen negativen Vorurteilen entgegenwirken, indem er entsprechende Meinungen ernst nimmt, diskutiert und ihnen mit den genannten Methoden des Umgangs mit Stereotypen begegnet. Es muss darum gehen, Amerikabilder als das, was sie sind, zu erkennen: Wirklichkeitskonstruktionen, die oftmals mehr über die deutschen Urteilenden aussagen als über die USA selbst. So kann langsam eine „erwachsene, aufgeklärte Wahrnehmung der USA“ (ibid.: 12) angebahnt werden. Großbritannien Die für nationale Identität konstitutiven Elemente werden hier eingehender im Fall der USA als im Folgenden für Großbritannien und Indien erörtert. Dies ist zum einen mit der herausragenden Bedeutung dieser Elemente im Prozess der Amerikanisierung bzw. Globalisierung generell wie speziell mit Bezug auf Deutschland verbunden. Zum anderen berücksichtigt es die bedeutende Tradition des nationalen wie transnationalen Diskurses zum Thema ‚Was ist typisch amerikanisch? ‘. Auch zu Großbritannien gibt es eine lange, bis in das Mittelalter zurückreichende Tradition der Erörterung dessen, was als typisch britisch oder englisch zu gelten hat, und auch diese ist mit dem Gedanken des Exzeptionalismus des Inselreichs verknüpft: Das berühmteste Beispiel und literarische Zeugnis für das Entstehen eines nationalen Bewusstseins in der Epoche der frühen Neuzeit ist eine Passage aus Shakespeares Historiendrama Richard II (2.1.40-50, Shakespeare 1980: 418). In ihr wird ein später oft wiederholter Vergleich der britischen Inseln mit einer paradiesartigen Gartenlandschaft vollzogen: This royal throne of kings, this sceptred isle, This earth of majesty, this seat of Mars, This other Eden, demi-paradise, This fortress built by Nature for herself Against infection and the hand of war, This happy breed of men, this little world, This precious stone set in the silver sea, Which serves it in the office of a wall Or as a moat defensive to a house, Against the envy of less happier lands, This blessed plot, this earth, this realm, this England. Hiermit ist ein Aspekt des Selbstbilds dieser Nation angesprochen, der sich geschichtlich verfestigt hat zur Vorstellung, Fantasie, Utopie oder Idylle eines ländlichen, organischen Lebensraums, in dem tradierte und geschätzte Werte wie Gemein- <?page no="123"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 109 schaftssinn, Fairness und soziale Ordnung ein beschauliches Leben der moderaten Freuden und sinnlichen Genüsse regeln. Es handelt sich dabei um das von Briten selbst gepflegte, von der Tourismusindustrie im Inland wie Ausland propagierte und von anglophilen Ausländern geschätzte kulturelle Konstrukt der Englishness. Natürlich ist diese rückwärtsgewandte Traumvorstellung nur ein Teil der britischen Identität. Die nationale Mentalitätsstruktur des modernen britischen Königsreichs, wenn sie sich denn überhaupt als solche beschreiben lässt, ist zugleich von drei weiteren Tendenzen geformt: Neben der genannten (1) Englishness sind es (2) die geografisch-regionalen Unterschiede, die im Prozess der devolution, also der Ablösung der nichtenglischen Landesteile, ihren gegenwärtigen politischen Niederschlag finden. (3) Hinzu kommt die Entwicklung Großbritanniens zum multikulturellen, multiethnischen Staatengebilde - ein Prozess der für das bisherige Selbstverständnis der Nation entscheidend eine Neudefinition einfordert. (4) Neben geografischer und ethnischer Pluralisierung entwickelt der Wandel der britischen Gesellschaft durch Mediatisierung und vor allem wirtschaftliche Internationalisierung weitere auf ein homogenes Nationalbewusstsein desintegrativ wirkende Kräfte. Den letztgenannten drei Aspekten wenden wir uns nun kurz etwas eingehender zu, ehe das reizvolle Thema der Englishness nochmals aufgegriffen sei. (2) Zunächst gilt es eine auch im Englischunterricht oftmals fälschlich verwendete Begrifflichkeit klarzustellen. Die korrekte Bezeichnung für die politische Einheit, die teilweise aus Ignoranz, teilweise aus falscher Gewohnheit als ‚England‘ bezeichnet wird, ist Großbritannien. Für diesen in Deutschland üblichen Ausdruck benutzen die Briten selbst eher den des Vereinigten Königreichs, des ‚United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland‘, oftmals abgekürzt zu ‚Britain‘: „‚Britannien’ bezieht sich umgangssprachlich meist allein auf England, Schottland und Wales - insbesondere wegen des Umstands, dass die Nordiren mit ihren stark empfundenen religiösen Überzeugungen und kommunalen Loyalitäten (die als bigott angesehen werden) eine weitere Quelle der Verlegenheit darstellen.“ (Marwick 1996: 109) Man müsste also über die Natur des Englischseins, Schottischseins, Wallisischseins, Britischseins usw. spekulieren, wie dies auch gerne getan wird (z.B. Daudy 1991: 281ff., Colls 2002: 177ff.). Festzuhalten bleibt, wie Paul Gilroy (1992: xxiv) klärend bemerkt: The Union Jack „is not what it was. For a start, it must now contend with the flag of St George [the symbol of England] as an alternative, down-sized iconic signature.” Wenn überhaupt etwas als Britishness bezeichnet werden kann - wichtige Zutaten sind Nonkonformismus und Kompromissbereitschaft -, dann ist es kaum zu bestreiten, dass ihr Kern in der Englishness besteht, daß jedoch die gesamte Bandbreite dessen, was „Britishness“ heute beinhaltet - und die Diversität muß ebenso betont werden wie die Einheit - von wichtigen Einwirkungen der Welshness und Scottishness abhängt. (Marwick 1996: 136) (3) Ein weiteres entscheidendes Element des von Paul Gilroy so bezeichneten Transformationsprozesses von ‚nationalem Untergang und nationalem Neuanfang‘ (Gilroy 1992: xxiv, Gilroy 2004) ist die Wandlung des Vereinigten Königsreichs zu einer multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft. Dies wurde eingeleitet durch die ersten Immigrantenwellen der ‚Windrush-Generation‘ in den Jahrzehnten <?page no="124"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 110 nach dem Zweiten Weltkrieg. Jahrzehntelang wurden die Immigranten aus der britischen Gesellschaft ausgegrenzt und entwickelten spezifische Subkulturen in der Diaspora. Erst mit dem Heranwachsen der zweiten und teilweise dritten Generation konnte eine Bewegung entstehen, die für Minderheitenkulturen einen gleichwertigen und idealerweise gleichberechtigten sozialen Status einfordert. Verschiedene Migrantengruppen wie Inder und Westinder formulierten zunächst eine übergreifend politische, gegen weiße Diskriminierung und auf die Gewinnung von black pride gerichtete gemeinsame Identität als black Britons. Vereinheitlichungen stand die Realität sehr unterschiedlicher Migrationserfahrungen entgegen, sowie unterschiedliche Formen der Assimilation oder subkulturellen Isolation und unterschiedliche Grade der Verbundenheit mit der ethnischen und regionalen Herkunft. Auch wenn das moderne Großbritannien vielen Menschen als lebendige Mischung vieler Kulturen und gerade London als Zentrum globaler wirtschaftlicher und kultureller Ströme erscheint, bleiben Schwierigkeiten und Brüche einer multiethnischen Gesellschaft präsent. Sie zeigten sich beispielsweise, als der offizielle Report zur ‚Lage der Nation‘ von 2000, The Future of Multi-Ethnic Britain: The Parekh Report, aufzeigte, dass nach wie vor Sprache und nationale Symbole implizite rassistische Konnotationen tragen und Englishness und Britishness damit ausschließlich mit whiteness assoziieren (Gilroy 2004: vii). Auch die Londoner Bombenanschläge vom 7. Juli 2004, die von Briten mit pakistanischem und karibischem Hintergrund durchgeführt wurden, lösten Fragen nach der Integration von Einwanderern, den Regelwerken des friedvollen Zusammenlebens in einer multikulturellen Gesellschaft und nach der britischen Identität neu aus. (4) Das vierte für die britische Identität konstitutive Element erscheint wohl als das am wenigsten von Individuen direkt wahrgenommene. Denn es ist das Element der Desintegration des Nationalen und der als national empfundenen Eigenheiten und Gepflogenheiten. Wenn nicht mehr fish and chips mit viel Essig und Salz, sondern chicken tikka masala mit Curry, Koriander und Tandooripaste Nationalspeise der Briten ist, nicht mehr schwarzer Tee mit Milch und ohne Zucker, sondern Kaffee in all seinen Variationen bevorzugtes Getränk, nicht mehr das mit Cholesterin gesättigte fried English breakfast üblich ist, sondern eine Cerealien-Mahlzeit, ein schnell heruntergeschlungenes Sandwich oder nur eine Tasse Kaffee, wenn schließlich rote Telefonhäuschen und Doppeldeckerbusse aus dem Alltagsleben verschwinden, wenn die Pubs keine Sperrstunde mehr haben, die Telefonverbindungen von Callcentern in Bangalore geregelt werden, nationale Institutionen wie Rolls Royce oder Harrods von indischen Multimillionären aufgekauft und englische Traditionsvereine von russischen Ölmagnaten regiert werden, wenn schließlich englische Fußballvereine zwar den Kontinent beherrschen, aber dies mit europäischen Taktiktrainern und Fußballmannschaften, in denen zum Teil kein einziger Kicker mit britischem Pass mehr auf dem Feld steht - dann hat auch der letzte, der noch an traditionellen Vorstellungen von Englishness festhält, verstanden, welche dramatischen Umwälzungen die nationale Identität aufweichen und damit frühere Kernelemente zu folkloristischen, nun vom Apparat der Unterhaltungsindustrie gelieferten Versatzstücken degradieren. Globalisierung, Mediatisierung, Kommerzialisierung und ‚Verdinglichung‘ der Lebensweisen: die von Soziologen wie Habermas und Beck beschriebenen Kräfte der Auflösung nationaler Identitäten wirken auch in Großbritannien, for better or for worse. <?page no="125"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 111 Gängige Studien zur nationalen Identität aus der Feder der Engländer und Briten oder ihrer internationalen Beobachter, wie das monumentale The English: A Portrait of a People des Journalisten und Historikers Jeremy Paxman (1999), blenden diese Aspekte aus offenkundigen Gründen gern aus (vgl. auch Colls 2002, dort auf S. 5 eine eingehende Auflistung ähnlicher Studien zum Thema nationale Identität der Inselbewohner). Eher arbeitet man eine mehr oder weniger trocken wirkende Liste von faktenbezogenen und stark aus der Historie abgeleiteten soziokulturellen Themen ab. Natürlich kann sich der Englischunterricht an diesen Themen orientieren, deshalb seien sie hier kurz aufgezählt (vgl. etwa Kastendiek et al. 1996, Colls 2002): Life and institutions des Vereinten Königsreichs werden in der Regel in folgenden Bereichen erörtert: Geschichte und Regionalität; Grundstrukturen der Gesellschaft (Schichten, Ethnien, soziokulturelle Verhaltensmuster); politisches System (der Begriff der Civic Culture, Parteien, Regierung, Verwaltung, Verbände, Rechtswesen); Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitsbeziehungen sowie Rolle des Staates (Struktur- und Entwicklungsprobleme, politischer Interessensausgleich, Staat und Wirtschaft: Wohlfahrtsstaat, Thatcherismus und Konsequenzen); Außenpolitik (Geschichte, insbesondere Empire und Commonwealth, dazu besondere Beziehungen zu den USA, zu Europa und Deutschland, Europapolitik); Bildungswesen (Schulen und Universitäten sowie berufliche Ausbildung); Wandel von Medien, Kultur und Gesellschaft. In Ergänzung zu und als Spezifizierung dieser Themenkomplexe könnten im Unterricht noch folgende Bereiche Einblicke in das Vereinigte Königreich und seine Mentalität liefern (abgesehen von den oben unter (1) bis (4) genannten Elementen): Die britische Klassengesellschaft: Auch in der ausdifferenzierten britischen Gesellschaft bestehen auffällige Klassenunterschiede mit entsprechendem Habitus fort. War der Zugang zu leitenden Funktionen in Finanzwesen, Wirtschaft und Verwaltung früher nur bei entsprechender sozialer Herkunft und Sozialisation möglich (vgl. Begriffe wie old boys network oder jobs for the boys), so hat vor allem die ‚Thatcher-Revolution‘ diese Bereiche stärker sozial geöffnet. Allerdings hat sich die britische Gesellschaft weiterhin in Arm und Reich auseinandergelebt; nicht nur in der Lebensweise, auch in Sprache und Sprechweisen bestehen eklatante Gegensätze zwischen der gepflegten Eleganz der oberen Mittel- und Oberschicht und der poltrigen, teilweise liebenswerten Rüpelhaftigkeit der Unterschicht. Town vs. Country: Das klassische Thema des Klassizismus und der Romantik drückt sich weiterhin aus im Gegensatz von Urbanität, Anonymität und Industrialisierung Londons und weiterer Großstädte (Manchester, Liverpool, Birmingham, Glasgow) und der Besinnlichkeit und Geruhsamkeit der Provinz, aber auch im weiter bestehenden Gegensatz von Nordengland und Südengland, von Highlands und Lowlands - auch wenn der urban sprawl in Form von wachsenden Vorstädten hier Grenzen verwischen mag. Sport und Freizeit: Sprichwörtlich ist das leidenschaftliche Verhältnis der Briten zu Sportarten wie Rugby, Cricket und auch Fußball, der inzwischen zum schichtenübergreifenden spectator sport geworden ist. Weitere Themen sind die britischen Pubs sowie das Fernsehsowie Urlaubsverhalten, welches typisch eskapistische Tendenzen zeigt. Cool Britannia: Dieser Begriff steht seit Tony Blair für das gegenwärtige Selbstbild des modernen Englands und speziell Londons als Zentrum von <?page no="126"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 112 Mode, Musik und Flair. Damit einher gehen allerdings auch Exzesse wie binge drinking (‚Komasaufen’) und Globalisierung von Konsumverhalten, genauso wie die Beeinflussung von Ess- und Trinkgewohnheiten durch multiethnische und globale Rahmengebungen. Sozialverhalten: Nach wie vor gelten ungeschriebene und im Vergleich zu Deutschland weitaus regelhafter gestaltete Codes beim Verhalten und in der Kommunikation. Dies betrifft die Einladung zum Essen, den Restaurantbesuch, den Besuch eines Pubs usw. Kurzum: Höflichkeit, Etikette sowie Verhaltens- und Sprachroutinen sind und bleiben im Fall Großbritanniens ein besonders wichtiges Thema interkulturellen Unterrichts. Humor: Die Vielfalt des britischen Humors, vom schwarzen Humor über Slapstick bis zum diskreten ironischen Unterton, ist ein weiterer Kernpunkt im Bereich interkulturellen Lernens. Das englische Deutschlandbild: Schließlich kann in Bezug auf die Auseinandersetzung mit nationalen Stereotypen gerade eine komparatistische Betrachtung ‚typisch englische‘ oder ‚typisch schottische‘ mit ‚typisch deutschen‘ Charakteristika kontrastiv ausleuchten. Die archetypischen Bilder eines Gentleman mit Melone und Regenschirm stehen dabei karikaturhaften Darstellungen des teutonischen Kraut mit Lederhose, Pickelhelm und Bierkrug gegenüber. Dabei kann, wie oben beschrieben (vgl. Kap. 3.3), eine erste Einsicht in die Funktion und Wirkung nationaler Stereotype vermittelt werden. Reizvoll erscheint zudem - wie oben bereits thematisiert - die Betrachtung des Konstruktes Englishness, prägt es doch nach wie vor das Bild der Englandbzw. Großbritannienliebhaber. Dieses von Bewohnern wie Besuchern zugleich gepflegte Bild des Inselstaats trägt oft nostalgisch verklärte „Züge eines milden Altweibersommers, der schon nach dem Ersten Weltkrieg zu Ende ging“ (Gelfert 1998: 168). Denn als „‚Skelett’ aus ehrwürdigen Symbolen, geheiligten Bräuchen und verinnerlichten Ritualen“ (ibid.) verleiht es Stabilität und Verankerung in einer ‚besseren‘ Zeit. Es wappnet gegen ökonomische und soziale Veränderungen, gegen die Unübersichtlichkeit und den Druck der Moderne. Gern wird dieses Bild, wie schon bei Shakespeare, mit Metaphern und Beschreibungen im Bereich eines gepflegten Gartens oder mit dem Topos der wohl temperierten, milden Klima- und Wetterverhältnisse verbunden (vgl. Colls 2002: 206). Überhaupt wird das Ländliche bevorzugt als Sinnbild der Nation genommen. Als typische positive Werte schreiben sich Engländer selbst dabei besonders zu: Unabhängigkeit, Freiheitsliebe, Gruppen- und Gemeinschaftsgeist, das Gentleman-Ideal, gesunder Menschenverstand, Disziplin, Humor und Traditionsbewusstsein im Sinne einer gegenwärtigen Vergangenheit (vgl. Heuer 1996). Ein bekanntes Dokument dieser Selbstversicherung ist George Orwells Essay „The English People“ von 1944, in dem er mit ironischem Unterton acht nationale Charakteristika aufzählt: Kunstverständnis, Vertrauen in die Rechtssprechung, Abneigung gegenüber dem Fremden, übertriebene Tierliebe, Heuchelei und Scheinheiligkeit, überzogenes Klassenbewusstsein sowie Sportversessenheit. Eingehegt werden potenziell negative Eigenschaften schließlich durch die Tugend der gentleness: The gentleness of the English civilization is perhaps its most marked characteristic. You notice it the instant you set foot on English soil. It is a land where the bus conductors are good-tempered and the policemen carry no revolvers. (Orwell 1982: 41) <?page no="127"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 113 Deutlich wird zudem, dass Orwell der quirkiness, also dem schrulligen und idiosynkratischen Verhalten der Briten, positive Eigenschaften abgewinnt: We are a nation of flower-lovers, but also a nation of stamp-collectors, pigeon-fanciers, amateur carpenters, coupon-snippers, darts-players, crossword-puzzle fans. (ibid.: 39) Diese ‚typisch britischen‘ Eigenheiten - aber auch Werte - werden gern auch von Ausländern genannt. Allerdings gibt es auch zahlreiche historische Quellen, die eher britische Untugenden beschreiben, wie Faulheit, Völlerei, Überheblichkeit, Beschränktheit, Wettleidenschaft, Schwermut und Heuchelei sowie Snobismus (vgl. Gelfert 1998). Natürlich sind entsprechende Darstellungen dieser nationalen Charakteristika stets mit einer gehörigen Prise Humor versehen oder cum grano salis zu genießen. Der historische Überblick von Hans-Dieter Gelfert, Typisch englisch. Wie die Briten wurden, was sie sind (1998), vermittelt beispielsweise zwar augenzwinkernd eine breite Skala typisch britischer Eigentümlichkeiten und erklärt sie in ihrer historischen Genese und Entwicklung als Grundkonstanten des British way of life. Allerdings sollte, wie bei vielen Darstellungen dieser Art, eine ausführliche Rezeption derartiger ‚Charakteristika‘ im Unterricht die hier angelegte Grundtendenz zu stereotypem Denken in Frage stellen. Texte zur British identity können aufgrund ihres subtilen, nicht von jedem goutierten oder verstandenen Witzes eher sogar kontraproduktiv wirken. Eher geeignet für eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem Thema britische Eigenheiten im Sinne von liebenswerten Schrullen und Grillen erscheinen die bekannten Beobachtungen des 1938 nach England ausgewanderten Ungarn George Mikes, die beispielsweise in Auswahl in dem Band How to be a Brit (1984) gesammelt sind. Diese witzigen Miniaturstudien zu britischen Eigenarten wie der Vorliebe für Tee, Gespräche über das Wetter oder Schlangestehen an der Bushaltestelle sind von einer derart reizvollen Antiquiertheit, dass sie geradezu verdeutlichen, worum es bei nationalen Stereotypen geht: nämlich um überzogene Darstellungen von Eigenheiten, die so in der Realität kaum mehr oder in diesem Fall nur noch bruchstückhaft zu erkennen sind. Es seien hier einige Bemerkungen zum Thema britisches Nationalgetränk, der ‚klassischen‘ Tasse Tee, zitiert: There are some occasions when you must not refuse a cup of tea, otherwise you are judged an exotic and barbarous bird without any hope of ever being able to take your place in civilised society. If you are invited to an English home, at five o’clock in the morning you get a cup of tea. It is either brought in by a heartily smiling hostess or an almost malevolently silent maid. When you are disturbed in your sweetest morning sleep you must not say: ‘Madame (or Mabel), I think you are a cruel, spiteful and malignant person who deserves to be shot.’ On the contrary, you have to declare with your best five o’clock smile: ‘Thank you so much. I adore a cup of early morning tea, especially early in the morning.’ If they leave you alone with the liquid, you may pour it down the washbasin. Then you have tea for breakfast; then you have tea at eleven o’clock in the morning; then after lunch; then you have tea for tea; then after supper; and again at eleven o’clock at night. (Mikes 1984: 32f.) Indien Indien als Nation, so schrieb Salman Rushdie, ist wie ein Chutney-Glas, dessen unterschiedliche Zutaten um Raum und Vorherrschaft kämpfen (vgl. Banerjee, <?page no="128"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 114 Stadler 2008: 4f.). Zwar bezieht Rushdie diesen Vergleich auf ethnische und religiöse Gemeinschaften, doch lässt er sich allgemein auf die Außenwahrnehmung Indiens beziehen. Der Subkontinent erscheint, um erneut ein kulinarisches Bild zu bemühen, als exotisch scharfes Curry, das sich im deutschen Englischunterricht zunehmender Beliebtheit erfreut. Noch vor kurzem beschränkte sich dieser vor allem auf das Thema der indischen Diaspora in Großbritannien und schloss gelegentlich asiatische Auswanderer in den USA ein. Vom zunächst omnipräsenten Indian corner shop als Ikone des ‚Quotenausländers‘ und einer beliebten Minderheit in den Lehrwerken steigerte sich die Präsenz Indiens dann in Kurzgeschichtensammlungen zum Thema multiethnisches Britannien, die vor allem asiatische, oftmals indische Migrationsschicksale zwischen Anpassung und Abgrenzung in urbanen britischen Szenarien aufgreifen. Indien selbst wurde nur mit der Optik der kolonialen bzw. postkolonialen Literatur und des Films betrachtet, eingefärbt in mehr oder minder exotische Farben in der Tradition eines Rudyard Kiplings oder der verständnisvoll-freundschaftlichen des Indienliebhabers E.M. Forster. Oder neuere Perspektiven auf den Subkontinent waren voller Klischees, wie in dem Bestseller-Roman Are You Experienced? (William Sutcliffe, 1998), dessen spätpubertärer Protagonist ein gap year lang zwischen Studium und Universität zwischen indischen Strandhotels und Ashrams pendelt, halb im Drogenrausch, halb an Diarrhoe leidend, und dies als Initiation ins Erwachsenleben verbucht. So war und ist der europäische Blick auf Indien von tradierten Klischees bestimmt und zeugt von wenig Vertrautheit mit einem höchst komplexen und heterogenen Land, welches sich gerade durch seine Vielzahl an Kulturen, Religionen und Sprachen auszeichnet: Indien ist die größte Demokratie der Erde, ein Vielvölkerstaat, in dem fünfzehn Hauptsprachen und acht Hauptreligionen nebeneinander existieren. Jüngste Lehrplanvorgaben und einige sehr wertvolle Publikationen zu Indien (Wandel 2001, Mukherjee 2006, Lindner 2008, 2010, Banerjee, Stadler 2008) weisen den Weg zu einer Neubewertung und einem multiperspektivischen Blick auf ein für den Fremdsprachenunterricht hochinteressantes Land. Dies liegt nicht nur an der wachsenden internationalen Bedeutung Indiens, sondern auch daran, dass viele der vorgeschlagenen Themen und Vorgehensweisen exemplarische und repräsentative Funktion für interkulturell ausgerichteten Kompetenzgewinn und entsprechende Lernziele aufweisen. Selbstverständlich ist nach wie vor davon auszugehen, dass nur ein geringer Prozentsatz der Lehrenden wie Lernenden persönlich einen gewissen Zeitraum im Land verbracht hat. Gerade deshalb erscheint eine Beschäftigung mit vielschichtigen fiktionalen Texten ein gesundes Korrektivum zu den oftmals stereotypen oder klischeehaften Darstellungen indischer Identität in Internetquellen und Filmen. Gerade in Bezug auf Bollywood-Filme ist einerseits deren Realitätsgehalt kritisch zu sehen, andererseits kann es nicht Aufgabe des Unterrichts sein, westliche Kritikmuster an fremdländische Filme heranzutragen und sie entsprechend allein als manipulative, sedativ wirkende Fantasmagorien über für den normalen Inder nie zu erreichende Dimensionen von Reichtum und Opulenz zu diskreditieren. Der Grund für die gegenwärtige Popularität Indiens liegt sicherlich teilweise im dynamischen Wirtschaftswachstum des Landes (vgl. hierzu Lindner 2010). Indiens Prosperität hat nicht nur die Weltbörsen beschäftigt und zu Übernahmen bekannter britischer Firmen durch indische Milliardäre geführt. Sondern der ökonomische Aufstieg des Landes, begründet in der Aufgabe eines jahrzehntelang nach der Unabhängigkeit verfolgten wirtschaftlichen Protektionismus und Isolationismus, verbun- <?page no="129"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 115 den mit der sukzessiven Hinwendung zum westlichen Ordoliberalismus, hat erhebliche Angstgefühle in westlichen Ländern geschürt. Insbesondere die indische Computer- und Informations-Technologie, beheimatet vor allem in Bangalore, für manche das ‚Silicon Valley‘ des 21. Jahrhunderts, hat auf prestigeträchtige Weise die technischen Errungenschaften und Fähigkeiten des Landes vor Augen geführt. Dazu kommt, dass Indien hinter China inzwischen die zweite Nation mit über einer Milliarde Einwohnern ist und im Begriff steht, dieses Land sowohl wirtschaftlich wie demografisch zu überholen. Dass gesteigerte nationale Selbstbewusstsein symbolisierte sich in der Umbenennung von Bombay zu ‚Mumbai‘ - ein postkolonialer Gestus, der das Ablegen des kolonialen Erbes vor Augen führen sollte. Zum Selbstverständnis einer neuen Supermacht passt auch, dass Indien 1998 ankündigte, in Zukunft nukleare Waffen testen zu wollen. Trotz dieser wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte, durch die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 nur vorübergehend gebremst, bleibt die Nation in ihrer Binnenwie Außenwahrnehmung geprägt von Widersprüchen und Gegensätzen. Nehru formulierte bereits 1946: „The diversity of India is tremendous; it is obvious; it lies on the surface and anybody can see it.“ (Zit. in Mukherjee 2006: 143). Die mentalen Bilder von Ausländern bleiben gegensätzlich: Heilige Kühe neben Königstigern; der Taj Mahal neben den Slums von Kalkutta; Gandhi und die Philosophie des Gewaltverzichts gegen die Jahrzehnte währenden Spannungen zwischen Hindus und Muslims, die vor allem im immer wieder eskalierenden Streit zwischen den Teilen des früheren Indiens aufflackern (Indien gegen Pakistan und zeitweise Bangladesch), kommerzieller Bollywood-Trash neben transzendenter Erleuchtung durch Yoga und Meditation. Der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton drückte die Inkohärenz dieser Vorstellungen mit folgendem impressionistischen Bild aus: From a distance, India often appears as a kaleidoscope of competing, perhaps superficial, images. Is it atomic weapons, or ahimsa? A land struggling against poverty and inequality, or the world’s largest middle-class society? Is it still simmering with communal tensions, or history’s most successful melting pot? Is it Bollywood or Satyajit Ray? Is it handloom or the hyperlink? (Zit. in Mukherjee 2006: 143) Dieser auf seiner Widersprüchlichkeit und Komplexität beruhende ‚interkulturelle Reichtum‘ (ibid.) des Subkontinents bietet dem Unterricht eine Reihe von Themenbereichen an, die hier nur angedeutet werden können (vgl. Lindner 2010): (1) Indien zwischen Tradition und Innovation: Beispielhaft für viele Entwicklungs- oder Schwellenländer kennzeichnet Indien eine große soziale Kluft: Während ein Teil der Bevölkerung in den Metropolen, abgeschottet von der Außenwelt, ungeheuren wirtschaftlichen Erfolg genießt und Anschluss an globale Freizeit-, Konsum- und Modetrends sucht, bleiben dem durchschnittlichen bäuerlichen Haushalt auf dem Land 20 Pence pro Tag, um wirtschaftlich zu überleben. (2) Indien als Land sozialer Gegensätze: Gesellschaftliche Gegensätze sind nach wie vor stark, vor allem durch das offiziell in den 1950er Jahren aufgehobene, aber nach wie vor existierende indische Kastenwesen. Es ist tief in Wirtschaft, Kultur und menschlichem Miteinander verankert. Allein 160 Millionen ‚Unberührbare‘ werden damit de facto aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Plastisch wird dies in vielen Passagen des internationalen Erfolgsromans The God of Small Things (Arundhati Roy, 1997) am Schicksal des Paravan Velutha Paapen vor Augen geführt, dessen soziale Transgression (die Liebe zu einer sozial Höhergestellten) von der Dorfpolizei auf grausame <?page no="130"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 116 grausame Weise mit dem Tod bestraft wird. Immer wieder erreichen westliche Konsumenten von Markenartikeln auch Nachrichten über die untragbaren Zustände in den von Kinderarbeit getragenen sweatshops in asiatischen Ländern wie speziell Indien oder Pakistan, in denen Turnschuhe für Nike oder T-Shirts für The Gap hergestellt werden. (3) Indien als Land des Patriarchats: Weiterhin bleibt das Thema der Diskriminierung von Frauen und die Institution der traditionellen patriarchalen Familie ein umstrittener Komplex, auch in Indien selbst, wie der bereits erwähnte Roman Roys und die heftigen, teilweise ablehnenden Reaktionen im Land selbst aufzeigen. Damit verbunden ist das in Deutschland beliebte Thema der arranged marriages. Die in Theorien der Interkulturalität geforderte Toleranz- und Empathiebereitschaft wird in der Behandlung entsprechend thematisch ausgerichteter Texte auf ihre Belastbarkeit hin überprüft. Hier ist erhebliche Sensibilität bei der Auseinandersetzung mit dem Thema nötig. (4) Indien als Land zwischen religiösem Miteinander und religiösen Spannungen: Die anhaltenden Spannungen zwischen Hindus und Muslims in den verschiedenen Regionen Indiens stellen für die Regierung ein erhebliches Problem dar und bedrohen das offiziell propagierte Image einer toleranten, dynamischen und modernen Supermacht (vgl. Lindner 2010). Sie verdeutlichen beispielhaft die Probleme, die im multiethnischen und multikulturellen Zusammenleben weiterhin existieren und die bei allzu optimistischer Sichtweise aus dem Blickfeld geraten. (5) Indien als ehemalige Kronkolonie: Schließlich ist die Geschichte Indiens als ehemaligem ‚Juwel in der Krone‘ des britischen Empire von herausragender Bedeutung für ein Verständnis gegenwärtiger globaler Probleme und Entwicklungen, wobei die historische Perspektive auf Kolonialismus, Imperialismus und Postkolonialismus wichtig erscheint. Dabei sollte kurz auch auf die Zeit vor dem Raj, der britischen Kolonialherrschaft, eingegangen werden. Verstärkt gab es nach der Indian Mutiny von 1857 Aufstände, in denen die Inder sich der Kolonialmacht widersetzten. Wenige finden sich in Geschichtsbüchern wieder, die sich meist auf die Lichtgestalt Mahatma Gandhi konzentrieren, der das Land zu seiner Unabhängigkeit 1947 führte. Gandhis Reden, Ausschnitte seiner Biografie sowie aus der beeindruckenden Verfilmung seines Lebens durch Richard Attenborough (1982) bieten dazu faszinierendes und emotional ergreifendes Anschauungsmaterial. Die Prägung Indiens durch seine Kolonialgeschichte bleibt ein wichtiges Thema, wie auch die Einflüsse der ehemaligen Kolonie auf die ehemalige Kolonialmacht selbst. (6) Englisch in Indien: Zum kolonialen Erbe gehört auch die englische Sprache. Englisch ist Indiens wichtigste Zweitsprache und verbindet ein Land mit über 200 Sprachen. Schätzungen zufolge sprechen etwa 90 Millionen Einwohner Indiens fließend Englisch (davon sind allerdings nur ungefähr 180.000 native speakers); damit ist Indien das Land mit den meisten Sprechern der englischen Sprache außerhalb von Großbritannien und den USA. Indisches Englisch wird inzwischen als eigenständige Variante des Englischen bewertet und besitzt distinktive Merkmale bei Aussprache, Lexik, Syntax und im Stil. Daher bietet sich im Unterricht auch eine Auswahl an Tondokumenten an, um die Lernenden mit dieser häufig gesprochenen Variante der globalen lingua franca bekannt zu machen. (7) Indien und seine Diaspora: Ein weiterer Grund, sich eingehender mit Indien zu beschäftigen, ist, dass die indische Diaspora in Großbritannien auch in der Wahr- <?page no="131"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 117 nehmung des Vereinten Königsreichs immer prominenter wird. Bezüge zu Einwandererschicksalen und Verbindungen zum Land ihrer Herkunft sollten daher nicht an der Oberfläche bleiben, sondern Facetten dieses Landes mit einschließen, auch um den nach wie vor verbreiteten Eindruck einer homogenen weißen Dominanzkultur in Großbritannien zu unterlaufen. (8) Mediale Präsentationen Indiens: Schließlich erlaubt die Behandlung Indiens mit Hilfe medialer Texte besondere Einblicke in die Verbreitung und damit Veränderung typisch indischer Kulturphänomene. So bieten Internet-Auftritte indischer Gesellschaften oder die offizielle Webseite Indiens Angebote zur Recherche und zur Auseinandersetzung mit den dort vermittelten, oftmals sehr auf die touristische Perspektive ausgerichteten Indien-Bildern. Die Beschäftigung mit dem Medium Film schließlich beinhaltet die transnationale Filmindustrie Bollywoods ebenso wie Kassenschlager indischer Diaspora-Regisseurinnen wie Gurinder Chadhas Bend It Like Beckham (2002). Dabei kann deutlich werden, wie Indiens Künstler, Regisseure und Schauspieler eigene und fremde Stereotype ihres Landes im globalen Rahmen zirkulieren lassen: Bollywood ist zutiefst transnational, was sich unter anderem darin zeigt, dass viele seiner Filme in der Schweiz gedreht werden. Bollywood steht auch für eine gewisse Vormachtstellung, die die indische Kultur, und speziell die Hindu-Kultur, für sich beansprucht; die Bösen oder Dekadenten sind stets die Ausländer oder die Inder, welche zu lange in der Diaspora geweilt haben. Die Filme sind - trotz ihrer transnationalen Ausrichtung - auch Nationalismus, besser: Hindu-Nationalismus, der sich in fröhlichen und bunten Farben kleidet (vgl. Banerjee, Stadler 2008: 50ff.). So kann das im Unterricht präsentierte ‚Kaleidoskop Indien‘ (Mukherjee 2006) durchaus bunte und optimistische Züge aufweisen. Eine tiefer gehende, auf exemplarische Erörterung von globalen Themenkomplexen ausgerichtete Behandlung des Landes kommt jedoch an einer zwar kritischen, aber dennoch ausgewogenen und konstruktiven Erörterung der hier vorgestellten Widersprüche und Gegensätzlichkeiten des Landes nicht vorbei. 3.6 Auswirkungen der Globalisierung Amerikas ‚weiche Macht‘ - Gegenreaktionen Auch wenn das an den Beispielen Deutschland, den USA, Großbritannien und Indien diskutierte Thema der Konstruktion nationaler Mentalitäten und Charakteristika bedeutend ist, bleibt zu bedenken: Der Druck der Globalisierung, verstärkt durch die weltumspannenden neuen medialen Kommunikationsformen, wirkt als stetig sich fortsetzende Erosion traditioneller Lebens- und Denkformen. Die schleichende Aushöhlung oder Zersetzung haben namhafte Soziologen als Nivellierungsprozess oder als ‚Konvergenztheorie‘ modelliert. Dabei wird die Sicht vertreten, dass sich weltweit sukzessive eine Vereinheitlichung der Lebensstile, kulturellen Symbole und transnationalen Verhaltensweisen durchsetzt. Zugespitzt hat George Ritzer hierfür den Begriff der ‚McDonaldisierung‘ verwendet: „[T]he process by which the principles of the fast food restaurant are coming to dominate more and more sectors of American society as well as the rest of the world.” (Zit. in Ritzer, Stillman 2003: 36) Faktoren wie Effizienz, Uniformität und universale Standardisierung prägen damit auch die globale Kulturindustrie und - metaphorisch formuliert - den globalisierten <?page no="132"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 118 Supermarkt für Identitätsangebote. Dem liegt eine negative Utopie zugrunde (vgl. Beck 1998: 81), die sich auch in ähnlichen Termini wie ‚Disneyfication‘ oder ‚Coca- Colaization‘ spiegelt: Derartige Angstbegriffe verweisen auf zwei deutlich mitschwingende Grundvermutungen von Globalisierungsgegnern: Dass weltweit bald auch die letzten eigenständigen Kulturnischen in eine vereinheitlichte McWorld integriert werden und dass diese ihrer unterschiedlichen Identitäten beraubte Weltzivilisation dabei mehr oder weniger deutlich von der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie gelenkt wird. Der französische Soziologe Baudrillard (1992) erkennt dabei Konvergenzen der besonderen Art, wenn er beschreibt, wie Orte der Simulation, die besonders fake erscheinen, beispielsweise Las Vegas oder Disneyland, in Wirklichkeit sich kaum mehr von ihren urbanen Extensionen, den medial vermittelten, simulakren Konturen des global village unterscheiden - Disneyland is everywhere. Standardisierung der Kulturen, Zerstörung örtlicher Kulturen - was bleibt, so die Kritiker, ist das national, geografisch oder ethnisch Individuelle als bloßes Dekor, als ästhetischer Geschmacksverstärker einer wesensentkernten Globalgesellschaft. Derartige Schreckensvisionen sind nicht allein kritischen Soziologen vorbehalten, nicht allein ideologische Unterfütterung von Antiglobalisierungs-Organisationen. Vielmehr werden sie graduell unterschiedlich von jedem geteilt, der nicht ausgesprochener Globalisierungsenthusiast ist. Im Kern schwingt dabei auch stets die Furcht vor einer Globalisierung auf US-amerikanische Art - was nicht ohne Paradoxie ist, wie Thomas L. Friedmann, der bekannteste amerikanische Publizist zum Thema Globalisierung, feststellt: Today globalization often wears Mickey Mouse ears, eats Big Macs, drinks Coke or Pepsi and does its computing on an IBM PC, using Windows 98, with an Intel Pentium II processor and a network link from Cisco Systems. Therefore, while the distinction between what is globalization and what is Americanization may be clear to most Americans, it is not - unfortunately - to many others around the world. In most societies people cannot distinguish anymore among American power, American exports, American cultural assaults, American cultural exports and plain vanilla globalization. (Friedmann 2000: 382) Es erscheint allerdings müßig, der Frage nachzugehen, welcher Teil der Globalisierung nun aggressiver amerikanischer ‚Kulturimperialismus‘ ist und welcher ungesteuerte Globalisierung ohne Einfärbung nach bestimmter, sprich amerikanischer Art (plain vanilla). Denn hier scheiden sich bekanntlich die politischen Geister. Eher sollte im Kontext der Globalisierungskritik der Begriff der Amerikanisierung selbst interessieren. Er lässt sich in drei Komponenten unterteilen, in politische, ökonomische und kulturelle Aspekte. Uns interessiert vor allem der kulturelle Aspekt der Amerikanisierung. Er beinhaltet, so Josef Joffe (2008: 606) vielfach Facetten der bereits beschriebenen amerikanischen Mentalität, die globale Verbreitung finden. Es sind dies speziell Aspekte der Modernität wie Lässigkeit und Informalität bei Kleidung und Auftreten, eine strikte Arbeitsethik, vertikale und horizontale Mobilität, durch eigene Leistung erlangter sozialer Status, Ausbreitung von Persönlichkeitsrechten und Privilegien, Teilhabe an der Gemeinschaft, Selbstverantwortung, Glaube an die Gleichheit der Menschen und Geschlechter, Glaube an ein besseres Leben der nächsten Generation durch Bildung und Erlangen größeren materiellen Besitztums, an die Konsumgesellschaft und die Aufwertung der populären Kultur gegenüber der Hochkultur. Vor allem ist es die amerikanische Jugendkultur und mit ihr der Kult des Jugendlichen, welches man mit kultureller Amerikanisierung verbindet. Sie <?page no="133"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 119 manifestiert sich in der Verbreitung amerikanischer Stile in Kleidung, Vergnügen, Benehmen und persönlichen Beziehungen, transportiert durch Film und Musikträger. Die Omnipräsenz von Jeans, T-Shirts, Turnschuhen und Baseball-Kappen im Alltag führt uns diesen Siegeszug täglich vor Augen (vgl. Roberts 1989: 419, Hansen 2000: 40f.). Selbst als eingefleischter ‚Amerikahasser‘ mag man sich gegen die harte Macht des mit dem Soziologendeutsch eingefleischter Alt-68er so gern betitelten ‚technischindustriellen Militärkomplexes‘ der USA stellen. Der von neueren Soziologen so bezeichneten weichen Macht (von Plate 2003: 6), der medialen Dominanz im Bereich Information, Kommunikation und popkulturellen Vergnügungs- und Unterhaltungsangebote, kann man sich jedoch nicht entziehen (zu didaktischen Implikationen der soft power vgl. z.B. Donnerstag 2002, Genetsch 2008). Auf dieser ‚weichen Macht‘ beruht denn auch die beispiellose Erfolgsgeschichte der amerikanischen Popkultur, wie sie Josef Joffe (2008: 619f.) in folgenden Ausführungen zu Deutschland und Europa illustriert: “Imitation without intimacy” may be the best shorthand guide for the perplexed. How shall we count the ways in which Europe continues to appropriate all things American? The gamut runs from “Deulish” to “Franglais”, from Halloween to the garish Christmas decorations of American suburbia, from bagels to muffins, from PowerPoint to podcasts, from delis (a re-import of the German Delikatessen) to Starbucks and its European knockoffs, from skateboards to boy bands, from megabookstores to “arenas” (which are replacing lowslung, roofless “stadiums”) from running shoes as foot gear for kids and grannies alike to baseball bats as the weapon of choice among young neo-Nazis. Why would a Hamburg salon use “American-Style Nailcare” (in English) as a storefront sign? Why would an outdoor café on a canal running through Berlin’s government district advertise itself with “Capital Beach? ” Hubert Védrine, the French foreign minister, gave the best and most concise answer when attributing to America “this certain psychological power … this ability to shape the dreams and desires of others. The universal nation has turned into the universal trendsetter. Wo lassen sich die Gründe für diese ‚weiche Macht‘ der USA finden? Oder anders formuliert: Wo liegt das besonders intensive Angebotspotenzial der amerikanischen Kultur für Angehörige anderer Nationen, beispielsweise für deutsche Jugendliche? Es lassen sich besonders zwei Gründe benennen, die für den Sprach- und Kulturunterricht von elementarer Bedeutung sind, da sie bei entsprechender Aktivierung ihres Motivationspotenzials die häufig fehlende Zeit zur Automatisierung des Fremdsprachenlernens durch stark emotionale Appellangebote kompensieren können (vgl. Donnerstag 2002: 181). (1) Als erster Grund wäre zu nennen, dass die amerikanische Populärkultur vor allem in Filmen oder Gestalten der Musikindustrie für Jugendliche besonders affine romantisch-emotionale Verstehensmuster liefert. Man setzt auf einen affektiven Respons, da in ihnen gleichsam archetypische romantische Erzählungen dominieren: „Die romantische Erzählung appelliert an das staunende Interesse an der spektakulären Vielfalt der Ereignisse. Folglich konzentrieren sich die Erzählungen auf herausgehobene Helden, auf wundersame Ereignisse und exotische und bizarre Vorfälle.“ (ibid.: 183). Zugleich werden viele dieser medialen Erzählungen als ‚typisch amerikanisch‘ erkannt, oder als amerikanische Version eines universalen Grundmusters. Dadurch geschieht eine vielfache emotionale Stimulierung, die zwar von der rationalen und kritischen Rezeption abhalten mag. Sie drängt den Rezipienten jedoch keinesfalls, wie Medienkritiker befürchten, in eine rein passive Konsumen- <?page no="134"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 120 tenrolle. Vielmehr schaffen die Medienerzählungen ein Bedürfnis, auf sie zu reagieren, über sie, mit ihnen oder gegen sie zu kommunizieren. (2) Weiterhin ist die amerikanische Populärkultur spezifisch durch Kreolisierung und Hybridisierung bestimmt, die aus ihrem permanenten Austausch der Kulturen untereinander hervorgegangen ist (ibid.: 181). Diese innere Heterogenität verleiht ihr einen besonders mannigfaltigen Appellcharakter und macht sie für andere kulturelle Formationen leicht anschließbar oder fordert zum Widerspruch oder zu Formen der Appropriation auf. Erneut ergibt sich ein hohes Motivations- und Kommunikationspotenzial (vgl. auch Kap. 2.5). Die angesprochenen Praktiken von Appropriation und Widerstand mit Bezug auf amerikanisch ausgerichtete globale Dominanzstrukturen verweisen auf die Einseitigkeit und Monokausalität der McWorld-Theorie zur Globalisierung. Vielmehr schafft sich die Globalisierung selbst komplementäre Parallel- oder Gegenprozesse. Als Parallelprozess wäre die Lokalisierung zu nennen, im globalen Gesamtrahmen auch mit dem Terminus ‚Glokalisierung‘ verbunden (vgl. Beck 1998). Sie kennzeichnet die simultane Modellierung lokaler Identitäten, beispielsweise ein Aufleben des Regionalismus und Partikularismus, aber auch das Auseinanderdriften der Gesellschaft in verschiedene, stets fluktuierende Milieus mit verschiedenen geschmacklichen Vorlieben, die sich auf lokaler wie auch auf virtueller Ebene in Form von Internet- Communities formen. Diese Varianten der sozialen ‚Tribalisierung‘ sind nur eine Möglichkeit, auf die Verflüssigung nationaler und anderer Identitätsmarkierungen zu reagieren. Die konträre Reaktion zur Globalisierung stellt das Erstarren von ‚Gegen-Identitäten‘ dar, die Abgrenzung vom neuartig Fremden, von den Gefahrenquellen des Identitätsverlustes. So hat die Globalisierung zu einer Renaissance der Bedeutung von kollektiven Identitäten geführt. Tribalismus, Nationalismus und Fundamentalismus stellen angstvolle Reaktionen dar, die zudem erhebliches Bedrohungspotenzial für die Weltgesellschaft schaffen, da deren „Identität mit der Abwertung ganzer anderer Kollektive dialektisch verbunden“ ist - so dass bereits von der Bedrohung orakelt wird, in ein „Mega-Mittelalter“ (Niethammer 2000: 11) zurückzusinken. Gleichfalls taucht ein manichäisches Weltbild auf, welches die Horrorversion von Jihad vs. McWorld prophezeit (so B.R. Barber bereits 1992). Jedoch ist der Globalisierungsprozess eher als komplexe Dialektik von Homogenisierung und Zersplitterung zu verstehen. Dieser Vorgang der Kulturvermischung, der Kreolisierung oder Hybridisierung, kann und sollte im Englischunterricht nicht allein beim Eingehen auf nationale Identitäten beachtet werden. Er kann und sollte zugleich auch selbst thematisiert werden. Nachfolgend werden einige wichtige unterrichtsrelevante Aspekte dieser Kulturvermischung mit besonderem Blick auf den Anteil der englischsprachigen Kulturen kurz erörtert. Unterrichtsthema ‚Kulturvermischung‘ Bei dem Themenkomplex Hybridisierung, Kreolisierung und ‚weiche Macht‘ der angelsächsischen bzw. amerikanischen Kultur handelt es sich um ein essenzielles global issue. Es ist auf besondere Weise mit dem Englischunterricht verbunden, da es auf den soziokulturellen Einfluss der angelsächsischen Welt, insbesondere der Ausbreitung amerikanischer Mentalitätsmuster, eingeht und dessen allgegenwärtige Dimensionen verdeutlicht. Erst durch die vertiefte Einsicht in die Allgegenwart <?page no="135"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 121 dieser Kulturphänomene auch im Alltag kann bei Lehrenden und Lernenden der englischen Sprache und der anglophonen Kulturen ein kritisches Bewusstsein geschaffen werden. Damit kann der Einzelne dazu angeregt werden, sich selbst mit Bezug auf diese Thematiken zu positionieren, globale Trends zu akzeptieren oder abzulehnen bzw. sie insgesamt selbstbestimmter und kritisch-konstruktiv zu rezipieren. Eine Beschäftigung mit diesen Themengebieten stützt somit emanzipatorische Konzepte der Pädagogik, die Lernende bei ihrem Lernprozess in Richtung Selbstverwirklichung und Mündigkeit unterstützen. Für derartige Richtungen ist nach wie vor die bildungstheoretisch fundierte Pädagogik Wolfgang Klafkis (vgl. z.B. Klafki 2007) exemplarisch. Die im Folgenden kurz ausgeführten Themengebiete lauten schlagwortartig: (1) Anglizismen und die mit ihnen transportierten Denkmuster, (2) weltweite Homogenisierungsprozesse im Zuge der Globalisierung, (3) ‚Kulturvermischung‘ als Thema in Texten und als deren konstitutives Element. In einem eigenen Unterkapitel soll dann das wichtige Thema ‚negative Auswüchse der Globalisierung‘ etwas eingehender betrachtet werden. (1) Längere Zeit schon erscheint der Englischunterricht als geeigneter pädagogischer Ort, um Schüler/ innen auf die übermäßige Zahl oftmals falsch verwendeter modischer Anglizismen besonders in der deutschen Werbung und Wirtschaft aufmerksam zu machen. Zu Lernzielen wie Fähigkeit zu Sprachkritik und Sprachbewusstsein gehört gleichfalls die Sensibilisierung für die wachsende Anzahl der false friends, inklusive alter Bekannter wie Dressman oder neuerer Varianten wie Handy. Viele Anglizismen - oder besser: Amerikanismen - sind jedoch nicht nur im sprachlichen Bereich zu finden, wie bei der häufigen Verwendung von ‚OK‘ für ‚stimmt‘, bei dem Ausdruck der Überraschung ‚Uuups‘ (engl. ooops) für das frühere ‚Hoppla‘ oder bereits weitgehend akzeptierten Sprachmustern wie ‚es macht Sinn‘. Die Sprache verändert dabei das Bewusstsein, und häufig sind es mit Amerikanismen verbundene mentale Dispositionen, die sich mehr oder weniger unauffällig breit machen. Als McDonald’s vor Jahren auch in Japan die den USA übliche Ehrung des Employee of the Month einführen wollte, soll der erste so geehrte Angestellte vor Scham beinahe in den Boden versunken sein - entspricht es doch überhaupt nicht der japanischen Mentalität, vor anderen herausgehoben zu werden. Und als vor einigen Jahren eine amerikanische Supermarktkette in Europa durch überfreundliche Begrüßung (Enjoy your shopping experience) und entsprechende Freundlichkeitsrituale ihren Kunden die Vorteile der amerikanischen Servicementalität zukommen lassen wollte, da musste die Aktion bald aufgrund von Kundenprotesten gegen diese eklatante Form der ‚Amerikanisierung‘ eingestellt werden (vgl. Cameron 2002: 81). Dennoch macht sich auch in Deutschland eine schleichende Amerikanisierung in vielen Alltagsbereichen bemerkbar, nicht immer zum Nachteil: Dies betrifft nicht allein das Freizeitverhalten, wie z.B. die zunehmende Popularität von vor kurzem in Deutschland noch unbekannten amerikanischen Sportarten, sondern geht auch in Bereiche der Alltagskommunikation hinein. Kurse zum Erlernen des Small Talk erhalten eifrig Zulauf, gerade im Bereich des professionellen Kommunikationscoaching, und auch die sicherlich oberflächliche, aber das Alltagsleben angenehmer gestaltende Höflichkeit deutscher Verkäufer/ innen und Restaurantbedienungen hat in den letzen Jahrzehnten merklich zugenommen. <?page no="136"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 122 Das Internet, vor allem in seiner interaktiven Form des Web 2.0, wird derartige Trends der Anpassung an US-amerikanische Kommunikations- und Verhaltensmuster noch vorantreiben. Deutlich wird dies in einem ganz essenziellen Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation, in den Beziehungsstrukturen. Betrachtet man die kulturspezifische Semantik des Wortes Freund bzw. friend, so ist oft festgestellt worden und gilt als ‚nationales Merkmal‘, dass US-Amerikaner bereits nach kurzer Zeit die ihnen bekannten Personen zum friend aufwerten. Dies geschieht auch gegenüber nur flüchtig oder vorübergehend bekannten Personen, die man in anderen Teilen der Welt eher als Bekannte oder gute Bekannte bezeichnen würde. Es gibt hier, wie von pragmalinguistischer Seite her empirisch festgestellt wurde, bereits Unterschiede zwischen Briten und Amerikanern bei der Verwendung des Terminus friend. Die Diskrepanz zwischen den beiden Konzepten lässt sich mit zwei konzentrischen Kreisen veranschaulichen. Der innere Kreis beinhaltet dabei die Personen, die als ‚Freunde‘ bezeichnet werden, der äußere die Gesamtheit der ‚Bekannten‘. a b a b c d e f k g c d e k h i f g j l l i h j USA GB Abb. 15: Unterschiedliche Konzepte des Begriffs friend in den USA und in GB (v. Glaserfeld 2000: 10) Amerikanische Kulturkonzepte von friend, wie sie hier sinnbildlich kontrastiv zu britischen erkennbar sind, differieren zweifellos auch mit denen im deutschen, französischen oder italienischen Sprachraum. Neuere mediale Tendenzen können auch hier zu einer Annäherung nicht nur im Sprachgebrauch, sondern sukzessiv und auf die Dauer auch bei den kulturellen Semantisierungen führen. Deutlich wird dies für jeden Benutzer der Social-Network-Plattform Facebook. Diesem sich mit rasantem Tempo weltweit ausbreitendem Forum zur Etablierung, Aufrechterhaltung und Erweiterung sozialer Netzwerke liegt ein deutlich amerikanisch strukturiertes Verständnis von Freundschaften und Bekanntschaften zugrunde. Konzeptuell ist dies in der visuell manifest werdenden Kommunikationsphilosophie der amerikanischen Form des face-work begründet, dazu noch in einer stärkeren, wenn auch sehr kontrollierten Öffnung des privaten Bereichs für die intersubjektive, öffentliche Sphäre sowie einer eher an Quantität als Qualität der Beziehungen ausgerichteten Vorstellung zwischenmenschlicher Beziehungen. Denn bei jedem neuen Kontakt, dem man Zugriff auf die eigene Profilseite erlaubt, wird dieser dort als friend geführt. Da Facebook ein automatisches Übersetzungsprogramm einsetzt, unterscheidet das <?page no="137"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 123 deutsche Programm (wie auch entsprechend das anderer Sprachen) nicht zwischen Freund und Bekanntem, Du und Sie oder Ansprache mit Vor- oder Nachnamen, sondern verwendet durchgehend den politisch korrekten, wenn auch gegenüber dem Englischen ungelenken Begriff der ‚FreundIn‘ sowie den Vornamen. Es setzt sich hierbei ein amerikanisches, auf Egalität und vordergründige Nähe setzendes Konzept zwischenmenschlicher Kommunikation durch, welches kulturell anderen eigentlich konträr gegenübersteht. Durch die Prävalenz in einigen, vor allem medialen Bereichen, verursacht es nun Überlagerungsmomente, die auf die Dauer tradierte Vorstellungen von Freundschaft und zwischenmenschlichen Beziehungen verändern können und wohl auch werden. (2) Ähnlich wie die Veränderungen der Sprache und die mit ihr ausgedrückten kulturellen Einstellungen stark mit globalen Amerikanisierungstendenzen verbunden sind, können andere Veränderungen von nationalen Traditionen und Mentalitäten oder gar beim ‚Gesamtbild‘ einer Nation als Ergebnis globaler Homogenisierungsprozesse gelten. Vor allem ökonomische Veränderungen haben in einigen der anglophonen Zielländer zu rasanten Umwälzungen geführt und neue, global angeglichene Wirklichkeiten geschaffen. Traditionelle Darstellungen in Schulbüchern wirken inzwischen antiquiert, und so manches lieb gewordene Bild fremder Länder ist dringend zu revidieren. Dies gilt nicht nur für viele Länder der früher so genannten Dritten Welt, sondern für eines der ‚Lieblingsländer‘ deutscher Englischlehrkräfte, nämlich Irland. Das schillernde Bild des Landes war dabei von einer positiven Touristenperspektive getragen, die Dublin als Heimat von Guiness, Pubs und James Joyce zelebrierte, die städtische und ländliche Armut im Roman Angela’s Ashes (Frank McCourt, 1996, verfilmt durch Alan Parker 1999) mit wohligem Schauer rezipierte, die karge Schönheit der irischen Natur liebte und sich eingehend mit den troubles in dem von den Briten geschundenen Land des erstarrten Katholizismus beschäftigte. Wie aber hat sich die vom Nationaldichter Irlands W.B. Yeats so besungene terrible beauty der grünen Insel inzwischen verändert! Die Moderne in Form von Wirtschaft und Tourismus erreichte auch Irland und hat zu gewaltigen Transformationen geführt. In einer neueren Studie zur Kultur des Landes heißt es zu diesen Verlusten und Gewinnen der Modernisierung: Das Wirtschaftszentrum Dublin entwickelt sich zum Wasserkopf Irlands; die Zahl der Autos hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt; der jahrzehntelang vernachlässigte Umweltschutz hat die vielbesungene Liffey zur „Sniffy Liffy“ verkommen lassen; das altvertraute Dublin verschwindet bei der Neugestaltung der Uferpromenaden und der Hafenviertel („Docklands Project“) zu Einkaufszentren, teuren Wohnanlagen, Hotels mit internationalen Konferenzzentren; an manchen Samstagen verstopft eine 50 Kilometer lange Blechlawine die Ausfallstraßen N 4/ 6 in Richtung Westen und N 7 in Richtung Südwesten. Zugleich, so empfinden viele Iren, wird der Umgangston rauher, die Großfamilie beginnt, ihren Zusammenhalt zu verlieren, die Kriminalitätsrate steigt, die Amerikanisierung des Lebens und der Verlust vormoderner Traditionen beschleunigt sich. Der Tourismus ist zwar immer noch weit vom Massentourismus à la Mallorca oder Antalya entfernt, verändert gleichwohl unaufhaltsam Land und Leute. Ein Beispiel: Um mehr Touristen anziehen zu können, plant Inishmaan, die mittlere der drei Aran Islands, eine Meerwasser- Entsalzungsanlage mit vier Windkraftanlagen als Stromlieferanten. Schnellere Fährkutter verbinden früher entlegene Inseln wie Tory Island vor der Küste Donegals oder Inishbofin vor der Westküste Connemaras mit dem Festland; mit den Touristen aber hält die Geldwirtschaft Einzug, Landwirtschaft lohnt sich nicht mehr, und inzwischen muß die Milch vom ‚Festland‘ importiert werden. (Breuer 2003: 194) <?page no="138"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 124 Wer also an dem bisher tradierten Bild Irlands im Unterricht festhält, wird Schüler/ innen ein falsches, anachronistisches, folkloristisches und historisch überholtes Bild des fremden Landes vermitteln. Wer allerdings nur die Angleichung an moderne Industrienationen betont, wird, selbst bei Abwägung von deren Vor- und Nachteilen, die nach wie vor prägende Kraft der Tradition und Vergangenheit Irlands nicht gebührend berücksichtigen. Eine Herangehensweise, die zwischen Tradition und Innovation, zwischen Vergangenheit und Moderne Verbindungslinien zieht, kann eher ein facettenreiches, vielschichtiges Bild der anderen Kultur entwerfen. (3) Im Zeitalter der Globalisierung greifen alte Sinnkategorien oftmals nicht mehr, auch die der nationalen oder ethnischen Identität. Dennoch existiert auch in der Epoche des Hybriden eine starke normative Kraft des Verharrens in alten Vorstellungen. Zwar gibt es immer noch Richtungen der postkolonialen Forschung, die Autoren angreifen, welche sich nicht eindeutig zu ihrer ethnischen und nationalen Herkunft bekennen, und sie bezichtigen, in materialistischer Verblendung ihre Werke auf den Geschmack westlicher Leser hin zu zentrieren. Eine zunehmende Zahl von Autoren wehrt sich nun gerade gegen die Vereinnahmung der auf Kategorienbildung fixierten Kulturkritik und nimmt, von Hanif Kureishi bis Michael Ondaatje, für sich die Kategorie none of the above, den Status des Dazwischen-Seins in Anspruch. Es kann ein Ziel des kulturorientierten Fremdsprachenunterrichts sein, die Problematik von eindeutigen Zuweisungen aufzuzeigen. Dabei erscheinen Blicke auf die in einem kulturellen Text beim En- und Decodierungsprozess wirksam werdenden kulturellen Muster sinnvoll. Viele Texte werden sich dabei als komplexe ‚kulturhybride‘ Gebilde erweisen und es ist einer eingehenderen Beschäftigung wert, die einzelnen Bestandteile in ihrer Funktionsweise herauszupräparieren. Wählen wir als Beispiel den im Jahre 2008 mit acht Oscars - inklusive für den besten Film und die beste Regie - prämierten indischen Erfolgsstreifen Slumdog Millionaire. Schon aus interkultureller Sicht erscheint er ein für die Behandlung Indiens höchst wertvoller Film, nicht nur aufgrund seiner technischen und künstlerischen Qualitäten und seiner Breitenwirkung. Die darin präsentierten Bilder von Indien sind ambivalent: Einerseits beschreibt der Film in eindringlichen Szenen innerindische religiöse Auseinandersetzungen, schildert Armut, Ausbeutung und Elend in Dharavi, dem größten Slum von Mumbai, der als Set des Films dient, und kontrastiert diese mit dem (Neu-)Reichtum skrupelloser Eliten im Bereich der Medien. Andererseits zeigt er am Beispiel des Protagonisten, wie die im Film entfesselte Energie, wie Siegeswillen, Beharrungsvermögen und Underdog-Qualitäten zu einem Happy End führen können. Indisch sind zwar die Buchvorlage, die Schauspieler, die Drehorte und auch der mit jeweils einem Oscar ausgezeichnete Beste Soundtrack sowie der Beste Song (komponiert von einem Inder, A.R. Rahman). Dazu kommen Elemente von Bollywood, denn Slumdog Millionaire ist trotz seiner realistischen Einfärbung zugleich eine Romanze der Realität. Der Film endet in einer Traumwelt, als Musical, inklusive verkitschter Bollywood-Choreografie. Hinter dem indischen Sujet steckt jedoch, so ist unschwer zu erkennen, ein ‚westliches‘ Erfolgsnarrativ, genauer das des amerikanischen dishwasher to millionaire, welches hier geradezu wortwörtlich am Beispiel der ebenfalls aus dem Westen importierten, indischen Version der TV-Erfolgsshow Who wants to be a millionaire umgesetzt wird. Der ‚hybride Charakter‘ des Films wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Brite, Danny Boyle, Regie führte, und dies nach dem Script eines anderen Briten. Interessant sind in diesem <?page no="139"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 125 Zusammenhang auch die ambivalenten Reaktionen der Kritik: So bemerkte man einerseits, dass der Film diskriminierende Indien-Klischees bediene, da er die Armut der Slums ästhetisiere und das Land als ein Volk von Zurückgebliebenen und Gesetzlosen charakterisiere. Andererseits wurde der Film als prestigeträchtiges indisches Kulturwerk herausgehoben und auch das offizielle Indien feierte im Februar 2009 stolz, als habe das Land kollektiv die acht Oscars für den Film erhalten. (4) Diese Prozesse der Hybridisierung können als bereicherndes Element verstanden werden, wie in Theorien des ‚dritten Ortes‘ (Kramsch 1996) oder des intercultural speaker (Byram 1996) geschehen. Sie verdeutlichen, wie eigentümlich und antiquiert sich jene puristischen Vorstellungen ausnehmen, die verkennen, wie im Zuge der Globalisierung über kontinentale Entfernungen und schroffe (Kultur-) Gegensätze hinweg Vernetzungen stattfinden. Bei vielen Künstlern ist diese Synthetisierung der Weltkulturen in einer Art Weltkunst geradezu zum Programm geworden: Schriftsteller wie Rushdie, Ondaatje, Naipaul und Ishiguro, aber auch Künstler wie Nam June Paik, Christo oder Kunc, Theaterleute wie Mnouchkine, Brook und Wilson, Filmer wie Kurosawa, Zhang Yimou oder Jarmusch - sie alle zeigen keine Berührungsängste gegenüber kultureller Vermischung, der interkulturellen Mixtur. Dies hat durchaus auch einen Kult des Hybriden, eine Hervorhebung des kulturellen Grenzgängers geschaffen. So hat Hanif Kureishi in vielen Kurzgeschichten dieses Spiel mit den unvereinbaren Elementen des multikulturellen Ichs als aufregendes Experiment beschrieben. Doch nicht jedem gelingt dieser Balanceakt beim Umgang mit den multiplen Identitäten eines postmodernen, postkolonialen und sogar postethnischen Individuums. Die Vorstellung des postmodernen bricoleur entspricht oftmals nicht der Realität in der weiterhin von Asymmetrie und Ungleichheit bestimmten globalen Szenerie. Es erscheint daher wichtig, dass der Fremdsprachenunterricht das global village nicht allein als Ort der postnationalen Selbstverwirklichung interkulturell versierter Subjekte versteht, sondern diese Schattenseiten, d.h. die Gefahren der Fremdbestimmung im Globalisierungsprozess gleichfalls eingehend zum Thema macht. Im Folgenden sollen hierfür vier wesentliche Aspekte mit Hilfe ausgewählter Textpassagen beschrieben und illustriert werden. Unterrichtsthema negative Auswüchse der Globalisierung Dass die Verbreitung bestimmter Aspekte westlicher Mentalitäten die Kulturtraditionen in nichtwestlichen Gesellschaften nicht nur im positiven Sinne des von Theoretikern der Postmoderne so gerne hervorgehobenen self-empowerment verändert, ist in vielen Beispielen der Freizeit-, Bekleidungs-, Esswie Trinkkultur im Alltag evident. Ein (kultur-)politisch sensibler Unterricht wird hier gerade die Problematiken hervorheben und dabei Parallelen zu ähnlichen Unsitten oder Verwahrlosungen in Deutschland ziehen. Die Auswirkungen der weitgehend pornografisch ausgerichteten Mehrzahl der Internetseiten auf die Vorstellungen von Sexualität, Erotik und Liebe bei jungen Menschen wäre hier ein Beispiel. Auch falsch verstandene Schönheitsideale wie Schlankheitswahn, zunehmende Neigung zur operativen ‚Verschönerung‘ des Körpers und überhaupt Betonung von makelloser Barbiepuppen-Ästhetik haben teilweise beängstigende Formen angenommen. Exemplarisch hierfür ist die in Zadie Smiths Roman White Teeth (2002) am Beispiel eines Mädchens jamaikanischer Herkunft beschriebene Zwangsvorstellung, ihre natürlichen, stark gelockten Haare <?page no="140"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 126 an ‚weiße‘ Vorstellungen von modisch glatter Haartracht anzugleichen. Smith schildert eindrucksvoll, welchen schmerzhaften Prozeduren der Haarveränderungen sich das junge Mädchen unterwirft, um den von ihrer Umwelt an sie herangetragenen Vorstellungen von weiblicher Schönheit zu entsprechen. Ein weiteres Phänomen ist das Modell des schlanken weiblichen Körpers, wie es die westliche Mode- und Freizeitindustrie propagiert. Dies hat zu erschreckenden Auswüchsen geführt. So hat man seit 1996 auf den Fidschi-Inseln bemerkt, dass dort unter jungen Mädchen, obwohl sich ihre Essgewohnheiten nicht wesentlich änderten, Krankheitsfälle von Bulimie und Appetitlosigkeit deutlich zunahmen. Ursache war die weltweit erfolgreiche Fernsehserie Baywatch. Die jungen Mädchen wollten durch Hungern einen so schlanken Körper wie den der Hauptdarstellerin Pamela Anderson erlangen (vgl. Altmann 2001, Ikonomu 2008: 33). Andere Auswirkungen der globalen Expansion westlicher Medienprodukte schildert die indische Erfolgsautorin Arundhati Roy, der im Übrigen ihrerseits von Essenzialisten vorgeworfen wurde, sich westlichen Rezeptionsgewohnheiten anzubiedern. In ihrem sprachlich und erzähltechnisch höchst komplexen Roman The God of Small Things (1997) finden sich zahlreiche Passagen, die als fiktional verdichtetes Anschauungsmaterial dafür dienen können, wie die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung (Kulturimperialismus, Massentourismus, wirtschaftliche Ausbeutung) den Verfall gewachsener sozialer Strukturen verursacht. Roy entwickelt hierbei kein Bild einer ohnmächtigen, homogenen indischen ‚Ursprungskultur‘, die von aggressiven westlichen Mächten unterjocht und für deren Zwecke transformiert wird. Vielmehr zeigt sie die Anfälligkeit indigener Kulturen, die selbst von mannigfaltigen Unrechtsstrukturen durchsetzt sind, wie in diesem Fall dem Kastenwesen und patriarchalen Familien- und Gesellschaftskonventionen. Ein prägnantes Symbol für diese Zerstörung des ‚traditionellen‘ Indiens ist in einem Abschnitt der Erzählung zu finden, welcher die Einführung des Satellitenfernsehens in der ländlichen, agrarischen Gemeinschaft Keralas im Süden Indiens schildert. Baby Kochamma, eine der Nebenfiguren des Romans, vernachlässigt ihren bis dahin mit viel Liebe und Eifer gepflegten Garten. Dieser ist, wie unschwer zu erkennen, in seiner exotischprachtvollen Vielfalt ein Stück Indien und zerfällt nun. Denn sie gibt sich lieber der simulakren Welt von in Amerika produzierten medialen Bildfluten hin, deren betörende, überwältigende Visualität letztlich jedoch einen kulturellen Einheitsbrei liefert, der keine aktive Partizipation zulässt. The reason for this sudden, unceremonious dumping was a new love. Baby Kochamma had installed a dish antenna on the roof of the Ayemenem house. She presided over the World in her drawing room on satellite TV. The impossible excitement that this engendered in Baby Kochamma wasn't hard to understand. It wasn't something that happened gradually. It happened overnight. Blondes, wars, famines, football, sex, music, coups d'état they all arrived on the same train. They unpacked together. They stayed at the same hotel. And in Ayemenem, where once the loudest sound had been a musical bus horn, now whole wars, famines, picturesque massacres and Bill Clinton could be summoned up like servants. And so, while her ornamental garden wilted and died, Baby Kochamma followed American NBA league games, one-day cricket and all the Grand Slam tennis tournaments. On weekdays she watched The Bold and The Beautiful and Santa Barbara, where brittle blondes with lipstick and hairstyles rigid with spray seduced androids and defended their sexual empires. (Roy 1997: 27) <?page no="141"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘ 127 Eine weitere Problematik der Globalisierung ist hier angeschnitten: Ihr Bezugsrahmen - kulturell, moralisch, wirtschaftlich, sozioökonomisch - bleibt in der Regel das westliche Kulturmuster. Dieser Aspekt des Kulturimperialismus ist deutschen Schüler/ innen eher weniger bewusst. Daher erscheint ein Eingehen auf Texte nichtwestlicher Autoren wichtig, in denen gezeigt wird, wie westliche Mentalitätsstrukturen oftmals verdeckt dominant operieren. Es gilt hierbei, eurozentrische Denkstrukturen überhaupt erst einmal zu erkennen. Wie andere postkoloniale Kulturtheoretiker (Edward Said, Gayatri Spivak) zeigt etwa Homi Bhabha, wie tief verwurzeltes koloniales westliches Denken sich auch in zunächst so harmlos erscheinenden Themen wie der Natur und dem Wetter niederschlägt. Denn auch hier werden kontrastiv Hierarchien aufgebaut, bei denen das Westliche die Norm bleibt. Das englische Wetter repräsentiert so die harmonische Ordnung der britischen Nation mit in ihrer ausgeglichenen Natur und ihrem milden Klima. Dem gegenüber stehen unberechenbare und menschenfeindliche Natur und Klima in den Tropen. Mit Bezug auf das klassische Konversationsthema des englischen Wetters formuliert Homi Bhabha (1995: 319) wie folgt: It encourages memories of the ‘deep’ nation in chalk and limestone; the quilted downs; the moors menaced by the wind; the quiet cathedral towns; that corner of a foreign field that is forever England. The English weather also revives memories of its daemonic double: the heat and dust of India; the dark emptiness of Africa; the tropical chaos that was deemed despotic and ungovernable and therefore worthy of the civilizing mission. Die postkoloniale Literatur bietet vielerlei Beispiele dafür, wie scheinbar harmlos wirkende Gedichte wie William Wordsworths „I wondered lonely as a cloud“ (1804) mit ihren impliziten Vorstellungen von idealer Natur in nichtwestlichen Gesellschaften Gefühle des Defizitären und Minderwertigen schaffen und in kolonialen Zeiten von Seiten der Herrschenden auch bewusst in diesem Sinne instrumentalisiert wurden (vgl. Thiongó 1986). Schließlich gilt es auch, eine generelle Skepsis gegenüber gängigen Lösungsformeln für weiterhin bestehende soziokulturelle Spannungen zu entwickeln. Neu geschaffene Begriffe wie ‚Transkulturalität‘ könnten sonst leicht als modisch verpackte Wiederbelebung alter Universalismus-Vorstellungen wirken, also lediglich gegenwärtige westliche Gedanken von Pluralismus, Diversität, Toleranz usw. als - in diesem Fall sicherlich positiv zu wertendes - anthropologisches Gesamtkonzept verkaufen. Dies gilt auch für den Begriff Multikulturalismus, der inzwischen mit einer gehörigen Portion Chic und Flair aufgeladen ist, in der politischen und alltagsweltlichen Realität aber oftmals noch der Umsetzung harrt. Diesen auch in der Fremdsprachendidaktik so gern beschworenen Begriff greift beispielsweise Salman Rushdie an. Er wirft dem Konzept vor, die Probleme der inter-racial relations herunterzuspielen und zu beschönigen. A language reveals the attitudes of the people who use and shape it. And a whole declension of patronizing terminology can be found in the language in which interracial relations have been described inside Britain. At first, we were told, the goal was ‘integration’. […] After ‘integration’ came the concept of ‘racial harmony’. Now once again, this sounded virtuous and desirable, but what it meant in practice was that blacks should be persuaded to live peacefully with whites, in spite of all the injustices done to them every day. […] And now there’s a new catchword: ‘multiculturalism’. In our schools, this means little more than teaching the kids a few bongo rhythms, how to tie a sari and so forth. In the police training <?page no="142"?> Mentalitäten und ‚Nationalcharakter’ 128 programme, it means telling cadets that black people are so ‘culturally different’ that they can’t help making trouble. Multiculturalism is the latest token gesture towards Britain’s blacks, and it ought to be exposed, like ‘integration’ and ‘racial harmony’, for the sham it is. (Rushdie 1991: 137) Deshalb gilt auch als Hinweis auf das nun folgende Kapitel zum interkulturellen Lernen: Begriffe und Konzepte wie Multikulturalismus aber auch andere Modewörter wie Hybridität und interkulturelle Kompetenz laufen Gefahr, weiterhin bestehende Asymmetrien und Hierarchien zu verschleiern und kritisches politisches Bewusstsein zu dämpfen. Es ist zu warnen vor oberflächlicher Multi-Kulti-Euphorie, wohlfeilen Lippenbekenntnissen zu Empathie und rein akademisch bleibender postkolonialer Betroffenheitsrhetorik. <?page no="143"?> 4. Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 4.1 Interkulturelle Verstehensprozesse Fremdverstehen als Herausforderung und Aufgabe Ihrem Wesen nach verwischt die globale Populärkultur die Demarkationslinien zwischen nationalen Wahrnehmungs- und Denkstrukturen. Wie in einem vorherigen Kapitel (Kap. 2.5) argumentiert wurde, bedarf es oftmals des direkten Bewusstmachens, um die kulturspezifischen Encodierungsmuster popkultureller Produkte zu erkennen und dies damit gegenüber den Decodierungsmustern oder Re- Encodierungsmustern der eigenen Kultur in Kontrast setzen zu können. Jürgen Donnerstag (2002) hat den ungeheuren globalen Erfolg der US-amerikanischen Unterhaltungskultur unter anderem mit deren ‚kreoler‘ Beschaffenheit erklärt. Ihre eklektische, vielfältige Kulturmuster zusammenfügende Struktur bietet somit eine besonders reizvolle und emotional ‚anschlussfähige‘ Appellstruktur. Deren kulturelle Andersartigkeit wird dabei kaum bzw. nur als reizvoller Stimulus wahrgenommen. Sie dient dem Rezipienten vor allem als ‚Bastel- und Spielmaterial‘, mit Hilfe dessen das Individuum sich seine eigene Populärkultur zusammenstellt (vgl. Kramsch 1996: 239). Im vorangegangenen Kapitel (Kap. 3.6) wurden unter anderem die popkulturellen Nivellierungs- und Entgrenzungstendenzen beschrieben, die im Zeitalter von Globalisierung und Mediatisierung noch weiter zunehmen werden. An dieser Stelle soll nun das weiterhin bestehende Thema der unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Kommunikationsformen in interkulturellen Begegnungen im Vordergrund stehen. Dabei werden die dynamischen Prozesse erörtert, welche interkulturelle Verstehensmechanismen bestimmen und sich mit ihnen entfalten. Hierbei geht es weniger um Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, die sich dem hier vorgestellten Kulturmodell gemäß beschreiben lassen als dynamische ‚semiotische Schnittmenge‘, die bei der Begegnung zweier Subjekte aus fremden Kulturen entsteht. Vielmehr geht es zum einen um die philosophische und erkenntnistheoretische Grundsatzfrage, ob und wie das Ich den Anderen verstehen kann und wie entsprechend ethisch verantwortlich zu handeln ist. Abgesehen von dieser hermeneutischen Blickrichtung geht es zum anderen konkret um die Fragestellung, wie Menschen höchst unterschiedlicher kultureller Prägung in zunehmend zusammenwachsenden, aber dennoch heterogen zusammengesetzten urbanen oder globalen Gemeinschaften friedvoll koexistieren können. Unterschiedliche wissenschaftliche Fachdisziplinen wie die Philosophie, Soziologie, Psychologie, Kultur- und Literaturwissenschaft und verschiedene Bereiche der Gender Studies und der postkolonialen Kritik haben zu einer breiten ‚Fremdheitsforschung‘ beigetragen, zur Diskussion um Fremdverstehen, Alterität, Konstruktion des Anderen (Othering) oder um nationale und ethnische Stereotype. Alois Wierlacher (1993: 10) nennt als Fernziel dieser interdisziplinär, <?page no="144"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 130 theoretisch wie praxisbezogen ausgerichteten Forschungsstränge, „auf dem Weg über die interdisziplinäre Vertiefung unseres allgemeinen Fremdheitswissens vor allem die Handlungskompetenzen der Menschen in jenen Arbeitsbereichen zu verbessern, die tagtäglich mit Fremdheitsproblemen konfrontiert sind“. Somit erweisen sich die Ergebnisse der Fremdheitsforschung als wesentlich für Berufe wie Auslandsbeauftragte, Sozialarbeiter, für Personen, die in internationaler Kulturarbeit und in entsprechenden Unternehmen tätig sind; sie sind bedeutsam für Pädagogen und Fremdsprachenlehrkräfte, aber auch für Touristen oder im Ausland Tätige und natürlich als intrakulturelle Kompetenz bei jeder Fremderfahrung im Alltag wertvoll. Ihre teilweise mit unterschiedlicher Nomenklatur und Fachperspektive vorliegenden Erkenntnisse sollen im Folgenden im Überblick präsentiert und mit Blick auf ihren Beitrag zum Thema Sprach- und Kulturdidaktik eingeordnet werden. Allen Ansätzen zu Interkulturalität, Alterität und Konstruktion des Anderen ist letzten Endes eine normative, präskriptive Ausrichtung gemeinsam: Es geht bei der Begegnung mit dem Anderen nicht allein um eine folgenlose, neutrale Interaktion in einem interkulturellen Vakuum, sondern um einen Prozess, in dem das Ich Veränderungen ausgesetzt ist. Letztlich geht es, mit der Sprache der Hermeneutik formuliert, darum, sich „ein anderes Wirklichkeitsmodell reflexiv aneignen [bzw. sich damit] auseinandersetzen“ zu können (Kamm 1996: 93). Dass dieser Prozess der Aneignung oder Auseinandersetzung keinesfalls ein rein natürlicher Respons ist, wird in Theorien der interkulturellen Begegnung bisweilen eher weniger beachtet. Die Begegnung mit dem kulturell Anderen verursacht zunächst, wie die anthropologische Forschung herausgestellt hat, einen Kulturschock, der nur langsam verarbeitet werden kann. Dabei ist dieser culture shock, erstmals 1960 kursorisch beschrieben, in einer bahnbrechenden systematisierenden Studie von Adrian Furnham und Stephen Bochner (1994: 47) als „shock of the new“ und damit als normale Reaktion (ibid.: 49) zu begreifen. Die beim interkulturellen Kontakt sich entwickelnden gruppendynamischen Abgrenzungsmechanismen von us vs. them hat der britische Dichter Rudyard Kipling in seinem Gedicht „We and They“ (Kipling 1994: 790) treffend auf den Punkt gebracht: Father, Mother, and Me, Sister and Auntie say All the people like us are We And every one else is They. Die dem menschlichen Denken inhärente Neigung zu Stereotypen und Klischees (vgl. Kap. 3.3) steht der von Theoretikern/ innen des Fremdverstehens und der Alteritätskompetenz formulierten Forderung nach Toleranz und Einfühlungsvermögen oftmals diametral entgegen. Es gilt zu bedenken, dass der Mensch von sich aus eher zum statischen, klare Kategorien suchenden Denken neigt. Daher mag folgende Bemerkung von Michael Paige und Judith N. Martin (1983: 44) als probate Warnung vor allzu euphorischen Hoffnungen auf didaktisch vermittelte interkulturelle Fähigkeiten gelten: [I]t is not the normal condition of human beings to be culturally relativistic, appreciative of contradictory beliefs and behavioral systems, or non-judgmental when confronted with alternative cultures. <?page no="145"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 131 Setzen wir diese einschränkende Einschätzung menschlicher Fähigkeit, auf das Fremde einzugehen, in Bezug zur Position Lothar Bredellas, eines der einflussreichsten Denker im Bereich Fremdverstehen und interkulturelles Lernen: Intercultural understanding then implies that we become aware of the underlying value system of the foreign culture and learn to understand why the people in the foreign culture act as they do. This further implies that we resist the tendency to perceive and interpret the opinions and behaviour of other people by using our own cultural frame of reference. (Bredella 1986: 5) Lothar Bredella hebt hier - repräsentativ für weite Teile der Forschung zum Thema - zwei aufeinander bezogene Elemente des Fremdverstehens hervor: (1) Fremdverstehen stellt sich dar als Versuch, die Fremdkultur aus sich selbst heraus zu verstehen und dabei den Bezug auf die eigene Kultur so weit wie möglich auszublenden. (2) Zugleich ist das Fremdverstehen ein Bemühen darum, die fremde Kultur nicht interpretierend oder bewertend zu begreifen. Wenn dies geschieht, dann nach den Maßstäben, welche diese Kultur selbst liefert, und eben nicht bezogen auf die eigenen kulturellen Normen und Standards. Wie schwer zu erfüllen derartige ‚Maximalforderungen‘ oder Zielsetzungen sind, dürfte jedem evident werden, der einmal nur für wenige Stunden versucht, (1) in alltäglichen Abläufen und Begegnungen innerhalb der eigenen Kultur andere Menschen nicht beurteilen zu wollen oder (2) deren Verhalten aus der jeweiligen subjektiven Motivationslage heraus zu verstehen und zu akzeptieren. Mit anderen Worten: Die hier formulierte und weit verbreitete Zielvorstellung einer interkulturellen Alteritätskompetenz kann nur theoretisch formuliert werden und ist in der Realität von Vornherein zum Scheitern verurteilt, es sei denn, man zeigt den Großmut und die Reflexionsfähigkeit eines buddhistischen Zen-Meisters. Die Realität kann immer nur unterschiedliche Grade der Annäherung an diese Utopie des Fremdverstehens darstellen. Fremd- und Selbstverstehen Einen anderen Blickwinkel auf das Thema Fremdverstehen und Alteritätskompetenz liefert Alois Wierlacher, ein Kulturwissenschaftler, der sich immer wieder bemüht hat, das Thema Fremdheit und die Fremdheitsforschung unter dem Begriff Xenologie zu etablieren (vgl. Wierlacher 1993). Mit Rückgriff auf sozialpsychologische Studien von Alfred Schütz und dessen Pionierstudie Grundzüge einer Theorie des Fremdverstehens (1932) postuliert Wierlacher (1993: 63), dass das Verstehen des Anderen als Fremdem primär „als Tätigkeit verstanden [wird], die [...] auf Akten des Selbstverstehens, dieses immer verstanden als Selbstauslegung, aufruht“. Das Fremdverstehen wird dabei als reflexiver Prozess begriffen, bei dem die eigene Position unauslöschlich bleibt und stets mit zu beachten ist: Die Rückkoppelung von Fremdheitsreflexionen am die eigene Person und deren je eigene Konstitution des Fremden und des Eigenen wird demgemäß nicht als fragwürdiger Reflex einer neuen Innerlichkeit oder eines bloßen Kulturrelativismus verstanden, sondern als Bestandteil einer Dialektik, die die relationalen Größen fremd und eigen immer wieder auswechselt und von der anderen Seite (mit)betrachtet. (ibid.) Unauslöschlicher Teil dieses dialektischen Ablaufs ist damit die eigene Positionalität, die nicht hintergehbar, aber zugleich auch nicht als monolithisch und unveränderbar zu modellieren ist. Denn das Ich bedarf, so betont die philosophische Herme- <?page no="146"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 132 neutik eindringlich, den Anderen als Korrektivum, als nötige Ergänzung. Neben so unterschiedlichen Theoretikern wie Michail Bachtin (1979) oder Zygmunt Bauman (1995) hat vor allem der französische Philosoph Emanuel Lévinas (1992) einen Identitätsbegriff entwickelt, bei dem der Andere essenzielle Bedeutung trägt. Lévinas argumentiert nicht von der Einverleibung des Anderen, sondern von der Wahrnehmung des Anderen her. Hieraus begründet sich für ihn die Verantwortung gegenüber dem Anderen. Die Identität des Selbst beruht nicht in der Selbstbehauptung, sondern entfaltet sich durch die Öffnung, die Verwundbarkeit dem Anderen gegenüber. Das Andere ist nötig zur Korrektur unseres selbstbezogenen, zentrischen Verständnisses. Entsprechend basieren pluralistische Gesellschaften auf dieser Akzeptanz des Anderen, auf der Einsicht in die Notwendigkeit divergierender Meinungen und unterschiedlicher Individualitäten (vgl. Lévinas 1992: 61, allgemein zu Alteritätstheorien Antor 1995). Der Andere fordert uns damit konstant zum Heraustreten aus vertrauten kulturellen Koordinaten auf und verlangt „das Einüben in das Leben unter Unsicherheit“ (Barthold Witte, zit. in Wierlacher 1993: 78). Die eingeforderte (inter-)kulturelle Toleranz als Fähigkeit, eigene Positionen nicht als zentral (Dezentrierungsfähigkeit, vgl. Byram 1997: 3) zu erkennen und andere zu akzeptieren (Ambiguitätsfähigkeit) stellt sich damit als „Überlebenserfordernis“ (Matthes 1998: 228) in multikulturell bestimmten Gesellschaften heraus. Die dynamische Dialektik von Selbst und Anderem, von Außen- und Innenperspektive führt dabei nicht, wie Gadamer (1986 [1960]: 270ff.) noch formulierte, zu einer ‚Horizontverschmelzung‘, sondern im besten Fall zu einer Erweiterung der Horizonte der Kommunizierenden (vgl. Antor 1996: 71ff., Hansen 2000: 331, Altmeyer 2004: 67) mit einem stets „inkommensurable[n] Rest“ (Wierlacher 1993: 48). Wie bereits angeklungen, geht diese Einschätzung des Anderen und des interkulturellen Verständnisprozesses weit darüber hinaus, lediglich theoretische philosophische Lebensmaxime zu sein. Vielmehr stellt sie, mit dem prominenten Soziologen und Globalisierungsspezialisten Ulrich Beck formuliert, eine absolute Notwendigkeit in der interdependenten Weltgesellschaft dar. Die Globalisierung, so Beck, zwingt das Individuum dazu, auf bisher nicht gekannte Verstehenspraktiken einzugehen: „Das Kosmopolitische liegt also zunächst in diesem Zwang zur Inklusion des kulturell Anderen, der weltweit für alle gilt.“ (Beck 2008: 110). Dies ist ein Überlebenszwang: „Alle sitzen in einem gemeinsamen globalen Gefahrenraum - ohne Ausgang.“ (ibid.: 111) Zugleich wird der interkulturelle Kontakt, ob nun erfolgreich oder nicht, zu einer subversiven Kraft, da die Summierung der Erfahrungsvielfalt mit anderen Menschen tradierte soziale Bindungskräfte auflockert und den Wandel der gesellschaftlichen Formen vorantreibt (vgl. Habermas 1998: 126). Es könnte dabei eine positive Spiralbewegung entstehen: Je häufiger und vielfältiger die Kommunikationen mit dem Anderen, desto stärker werden althergebrachte Denkweisen in Frage gestellt, desto eher die Bereitschaft, sich weiter zu öffnen. Allerdings bildet sich zugleich zu diesem von Beck beschriebenen „kosmopolitischen Moment“ die Neigung heraus, auf überlieferte Kulturmuster zurückzugreifen und verstärkt an ihnen festzuhalten, wie fundamentalistische Globaltendenzen belegen. <?page no="147"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 133 Formen des Umgangs mit dem Anderen Welche Form der Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden ist die ‚richtige‘? Diese Grundfrage der interkulturellen Begegnung wird allzu leicht mit einem wohlfeilen Bekenntnis zu Toleranz und Achtung des Anderen beantwortet. Dabei lässt sie sich letzten Endes nicht eindeutig beantworten. Was heißt in diesem Zusammenhang überhaupt ‚richtig‘? Handelt es sich dabei um das politisch Korrekte, das Opportune, das welchen Gewinn auch immer Versprechende? Oder um die philosophische und ethische Dimension des Miteinander- Kommunizierens? Wenn man die gesamte Bandbreite möglicher Formen des Umgangs mit dem Fremden betrachtet, so sind solche Formen der Begegnung positiv zu werten, bei denen die Komplexität des Fremden allmählich in einem vielfältigen Annäherungsprozess erkannt wird. Das Ich verändert sich im Laufe dieses intersubjektiven (oder interkulturellen) Austausches, ohne sich dabei das Fremde restlos anzuverwandeln oder dieses auf sich ‚hinzubiegen‘. Milton Bennett (1993) formuliert hierfür die drei Stadien von Akzeptanz, Anpassung und Integration, die allerdings eher für langfristige Aufenthalte in anderen Kulturen gelten mögen. Negativ, von Ethnozentrik geprägt, erscheinen Bennett Formen der Verleugnung, Abwehr sowie Minimierung der interkulturellen Unterschiede. Anders als bei dem gängigen Modell von Bennett, welches die genannten drei Formen negativer Begegnung mit dem Fremden definiert, soll im Folgenden eher abstrakt auf fünf problematische Formen der Begegnung mit Fremdheit eingegangen werden. Es sind dies Formen, die auch im Alltag oder in zeitlich begrenzten Austauschbegegnungen wirksam sind. Von diesen problematischen Formen ist auf den ersten Blick allein die Xenophobie abzulehnen. Diese - so die Übersetzung aus dem Griechischen - Furcht vor dem Fremden, die sich offen oder versteckt bemerkbar machen kann, ist die offenkundige Form einer problematischen Einstellung gegenüber dem Fremden. Dennoch gibt es weitere Spielarten der Begegnung, die zunächst weniger bedrohlich und ablehnenswert erscheinen, allerdings gleichfalls nicht unproblematische Züge aufweisen. Sie stellen sich in multikulturellen und dem Fremden gegenüber offen eingestellten Gesellschaftskreisen als Bandbreite dar, die bei der Nichtbeachtung bzw. Ignoranz beginnt und über Exotismus und Schwärmerei sowie die postmoderne Bastelvereinnahmung reicht und sich bis zum Akt der kompletten Assimilation erstreckt. Als Prozess der Mimikry bedeutet das zuletzt Genannte schließlich die vollkommene Anpassung an den Anderen. Diese Formen der Reaktion auf den Anderen, die auf unterschiedliche Weise das Fremde als Folie für eigene Ängste, Phobien, Bedürfnisse und Wünsche begreifen bzw. benutzen, sind dabei die geläufigen Spielarten des Umgangs mit dem Fremden. Grundsätzlich gilt, dass sie nahezu unvermeidbar sind, es sei denn, man möchte, wie oben bereits etwas polemisch ausgeführt, das Leben als mönchisches Dasein führen. Es kann hier also eher darum gehen, die möglichen ‚Nebenwirkungen‘ dieser Grundformen der Einstellung zum Fremden darzulegen und zur kritischen Reflexion anzuregen. Bei der Modellierung einer interkulturellen Dialogsituation ist grundsätzlich zu beachten, dass dem Anderen die gleiche Bandbreite der soeben aufgeführten Reaktionen offen steht. Ein fruchtbarer Dialog kann sich entwickeln, wenn die Einsicht in die „Notwendigkeit der eigenen Positionsveränderung im Sinne einer Horizonterweiterung“ (Antor 2007: 119) nicht zu einer „Ent-Alterisierung des Anderen“ (ibid.) <?page no="148"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 134 Xenophobie, Furcht und Hass Nichtbeachtung, Ignoranz Exotismus, Schwärmerei Postmoderne Bastelvereinnahmung Akkomodation und Mimikry führt, sondern in einen - in positivem Sinne - spannungsvollen, offenen und für das Fremde sensibilisieren Prozess der intersubjektiven Bedeutungsaushandlung mündet. Betrachten und kommentieren wir im Folgenden die oben angesprochenen problematischen Formen der Begegnung mit dem Fremden etwas eingehender. Ablehnung des Aufgabe der Anderen eigenen Position Abb. 16: Problematische Formen des Umgangs mit dem Fremden Xenophobie: Bei der Furcht oder Angst vor dem Fremden, die ihre hässliche Ausprägung in Fremdenfeindlichkeit oder Fremdenhass finden, handelt es sich um Varianten psychodynamischer Reaktionen, die den Fremden zur Projektionsfläche eigener existenzieller Ängste und Phobien geraten lassen. Das Andere ist der „Skandal, der die Essenz bedroht“ (Barthes 1964: 142). Wer annahm, mit dem beschleunigten Globalisierungsprozess müsste die Fremdenfeindlichkeit stark abnehmen, wurde bald eines besseren belehrt: Fremdenfeindlichkeit ist eng verbunden mit einem tiefsitzenden Bedürfnis nach kultureller und nationaler Eigenständigkeit und Zugehörigkeit. Sie existiert auch im Zeitalter der Globalisierung weiter, da diese kulturelle wie religiöse Gegenbewegungen mobilisiert und ethnische Fragmentierungen verschärft - es entsteht nationaler und religiöser Fundamentalismus als ethnozentrische Reaktion auf Modernisierungsschübe (vgl. Habermas 1998: 111, Niethammer 2000). Nichtbeachtung und Ignoranz: Der Fremdenfeindlichkeit haftet eine soziale Dimension an, da sie oftmals mit der Angst verbunden ist, durch den Fremden sozial oder in der soziokulturellen Identität bedroht zu sein. Ähnliche soziale Aspekte beeinflussen die Nichtbeachtung und die Ignoranz, die Roland Barthes als kleinbürgerliche Haltung beschreibt: „Der Kleinbürger ist ein Mensch, der unfähig ist, sich den Anderen vorzustellen. Wenn der Andere sich seinen Blicken zeigt, wird der Kleinbürger blind, oder er ignoriert oder leugnet ihn, oder aber er verwandelt ihn in sich selbst.“ (Barthes 1964: 141f.) Diese Haltung stellt sich gerade in der interkulturellen Begegnung als fataler Trugschluss dar: Sie entspricht der vordergründigen Annahme, dass alle Kulturen unter der sprachlichen oder kulturellen Oberfläche ‚gleich‘ seien; tatsächlich ist diese Grundannahme ein verdeckter Akt des Imperialismus, da hierbei die eigene, und nur die eigene Kultur als impliziter Maßstab verstanden wird. Deutlich wird dies beispielsweise im Bereich des Religiösen (vgl. Vanderbeke, Volkmann 2009). Da im Alltagsleben und in Alltagsgesprächen der bundesrepublikanischen Gesellschaft weitgehend eine säkularisierte bzw. der Religion gegenüber indifferente Haltung vorherrscht, wird in der Regel davon ausgegangen, dass dies in anderen Gesellschaften ähnlich sei. Dabei spielt die Religion in anderen Gesellschaften sehr wohl eine bedeutende Rolle im Alltagsleben - selbst wenn in ihnen wie in den USA <?page no="149"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 135 oder Frankreich noch stärker als in der bundesrepublikanischen Gesellschaft die Trennung von Religion und Staat verordnet ist und ihre medialen Repräsentationen das Bild einer post-religiösen, weltzugewandten Gesellschaft transportieren. Dies erfährt man dann allerdings spätestens, wenn man in einem jüdischen Restaurant in Paris während des Sabbats vor Sonnenuntergang ein Essen bestellen möchte. Oder wenn man in Cleveland, Ohio, im Gespräch an der Hotelrezeption nach der eigenen Denomination gefragt und zum Gottesdienst am Nachmittag in der Freikirche gegenüber eingeladen wird. Man kann derartige culture clashes allerdings nicht nur in der interkulturellen Begegnungssituation, sondern bereits im intrakulturellen Kontakt mit Mitbürgern mit unterschiedlichem ethnischen und religiösen Hintergrund erfahren. Es gilt also, in besonderem Maße das Bewusstsein für die Andersartigkeit des Anderen zu wecken bzw. zu fördern. Die Andersartigkeit oder Fremdheit als Lernimpuls, dieses hermeneutische Paradigma des Fremdsprachenunterrichts, weist hier auf die Herausforderung und auch die Grenzen des Fremdverstehens hin. Exotismus und Schwärmerei: Auch bei diesen Varianten des Fremdverstehens handelt es sich um Projektionen, dieses Mal der eigenen Wünsche, Begierden und Bedürfnisse. Man muss es nicht so eindeutig wie Roland Bartes formulieren - „Der Andere wird zum reinen Objekt, zum Spectaculum, zum Kasperle.“ (Barthes 1964: 143) -, um zu verdeutlichen, dass es hier um einseitige Sichtweisen des Anderen geht, die bei der Überprüfung durch die Realität zum Scheitern verurteilt sind. Dies entspricht der Vorliebe vieler Deutscher für weite, menschenleere, dramatische Landschaften und exotische Darstellung fremder Länder (‚Traumland Australien‘, ‚Traumland Kanada‘, ‚bunte Exotik Indiens‘ usw.) ebenso wie die Neigung zum ‚Fremdschämen‘ und zum Mitleid für die Minoritäten anderer Länder (von den ‚Indianern‘ über die Afroamerikaner bis zu den Aboriginees Australiens). So sehr derartige Vorstellungen natürlich teilweise von den Tourismusbehörden der jeweiligen Länder selbst gepflegt werden, so sehr sollte doch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass dies doch eine einseitige Betrachtung des Fremden darstellt. Postmoderne Bastelvereinnahmung: Hierbei werden eher bestimmte Aspekte des Fremden in postmoderner Bricoleur-Manier kombiniert, um dem multikulturell offenen Individuum Ressourcen im Bereich Spaß, Vergnügen und Sinnstiftung zu liefern. Da das Andere im Zuge der Globalisierung und Internationalisierung ständig präsent ist, wirkt es punktuell positiv besetzt, wie die zunehmende Hinwendung zu fernöstlicher Naturheilkunde, Meditationslehre sowie Spiritualität in den westlichen Gesellschaften zeigt (vgl. Sommer 2003: 17). Aber auch die ‚Ethno-Cuisine‘, von der inzwischen traditionellen Pizza bis zum Bagel und zu Sushi, die mittlerweile in jeder mittelgroßen deutschen Stadt zu genießen ist, bietet Beispiele für die (oberflächliche) Integration des Fremdkulturellen, die sich weiter über fernöstliche Kampfsportarten, amerikanische Ballspiele wie American Football bis zu globalen Phänomenen mit fernöstlichem Ursprung (Yu-Gi-Oh-Karten und Mangas) erstreckt und bei beliebten Ethno-Comedians ihren vielleicht deutlichsten Ausdruck findet. Akkomodation und Mimikry: Diese Formen der Annäherung und des ‚Aufgehens‘ in der anderen Kultur sind traditionell mit zwei Bereichen verbunden: (1) Der Einwanderung und dem mit ihr verbundenen Druck, sich den Gepflogenheiten und Sitten der anderen Kultur bis zu dem Punkt anzupassen, dass sich die bisweilen als Stigma oder zumindest nachteilig empfundene Fremdheit des Ursprungslandes auflöst. Der (post-)koloniale Diskurs wiederum versteht den Akt der Mimikry auch als bisweilen subversive Tätigkeit des vorauseilenden Gehorsams, der (scheinbar) <?page no="150"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 136 subversive Tätigkeit des vorauseilenden Gehorsams, der (scheinbar) bedingungslosen Übernahme des Rollenangebots, welches die Kolonialmacht an die fremden ‚Untergebenen‘ stellt (vgl. Mills 1997: 105ff.). Dies kann einerseits zur totalen Auslöschung indigener Identität führen, zur Übernahme fremdbestimmter Selbstbilder des Subalternen, Untertanen und kulturell als minderwertig Klassifizierten - mit fatalen Folgen. Anderseits kann es zu subtilen Taktiken der vordergründigen Assimilation führen, hinter deren vorgetäuschter Façade die alternative Identität in unterdrückter Opposition weiter gepflegt wird. (2) Akkomodation und Mimikry spielt auch in interkulturellen Begegnungen eine Rolle, die nicht von kulturellen Asymmetrien geprägt sind. Hier sind sie gleichfalls als falsch motivierte Variante des interkulturellen Verstehens zu begreifen, wie Heinz Antor (2007: 118) erklärt. Abzulehnende Formen des ‚Fremdverstehens‘ sind zu beobachten [...] in der übertriebenen, da völlig unreflektierten und unkritischen Begeisterung junger Schüler oder Studierender für ihre Zielkultur, zum Beispiel nach einem besonders positiv erlebten Auslandaufenthalt. Nun ist das Motivationspotential solcher Lernerreaktionen und -einstellungen aus lernpsychologischer Warte durchaus zu begrüßen und zu nutzen. Dennoch sollte es nicht Sinn und Zweck des Englisch- oder Französischunterrichtes an Schulen sein, lauter kleine Engländerinnen oder lauter kleine Franzosen heranzuziehen, die nahezu unbemerkt in der Zielkultur aufgehen oder dort gar als Spione tätig werden könnten. Dies hat mit interkulturellem Austausch nichts mehr zu tun, ja verhindert ihn sogar. Wer seine eigene Differenz zum anderen leugnet und hinwegimitiert, der beraubt diesen der Möglichkeit, aus seiner Sicht unsere Alterität wahrzunehmen, daraus zu lernen oder Anregungen zu erfahren, die ihn in seiner Weiterentwicklung unterstützen könnten. 4.2 Grundprobleme der interkulturellen Begegnung Ethnozentrismus versus Kulturrelativismus Abstrakter als mit den bisher aufgefächerten ‚Problemkategorien‘ des Fremdverstehens lassen sich interkulturelle Begegnungen mit einem Begriffspaar modellieren, welches in keiner kulturwissenschaftlichen Debatte fehlen darf: Ethnozentrismus versus Kulturrelativismus (vgl. zu folgenden Ausführungen Bredella 1994, Freese 1996, Volkmann 1999; zusammenfassend: Apfelthaler 1999: 21, Baron 2002: 22, Sommer 2007: 18). Der Ethnozentrismus hat seine Wurzeln in der Ausbildung von Nationalstaaten in der frühen Neuzeit, in der Anatomiekunde des 17. Jahrhunderts und der späteren Biologie sowie insbesondere Anthropologie des 19. Jahrhunderts. Er ist besonders eng mit dem Imperialismus verbunden und tritt entsprechend auch als Eurozentrismus auf, der seine tiefe und nachhaltige Erschütterung erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Auseinanderbrechen der Kolonialreiche sowie der Dekolonialisierung erfuhr. Er wirkt stark nach, so dass die Forderung zum decolonising of the mind (Thiongó 1986) weiterhin aktuell bleibt. Der Ethnozentrismus erkennt eine inhärente moralische und ethische Superiorität des Westens und leitete davon das Recht und die Pflicht zur Kolonialisierung nichtwestlicher Länder und Regionen ab. In der postkolonialen Ära drückt er seine Überlegenheit aus, indem er Demokratie, offene Gesellschaft, Gleichheit der Geschlechter, Menschenrechte als lediglich in westlichen Gesellschaften tief verankert begreift und dabei darauf drängt, diese <?page no="151"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 137 westlichen Gesellschaftsvorstellungen weltweit zu exportieren und durchzusetzen. Der Ethnozentrismus versteht sich zugleich als Universalismus, da er von der Grundannahme ausgeht, dass das westliche Menschen- und Gesellschaftsmodell das einzig richtige Wertesystem darstellt und entsprechend zu propagieren sei. Hinter der Betonung der Gleichheit und Gemeinsamkeit der Menschen und ihrer Bedürfnisse und Werte stehe allerdings, so die Kritiker des Universalismus, eine versteckte Agenda, die lediglich westlich geprägte Vorstellungen durchsetzen wolle und das Recht anderer Kulturen auf die Ausprägung eigener Wertesysteme und Gesellschaftsmodelle in Frage stelle. Dem Universalismus entspricht in der interkulturellen Begegnung auch der Versuch, die Andersartigkeit des Anderen ständig in die vertrauten Kategorien der eigenen Kultur zu übersetzen und damit letztlich nicht anzuerkennen. Der Vorwurf des Universalismus lastet gleichfalls auf denen, die nach ‚universalen‘ Aussagen in den Texten anderer Kulturen suchen, insbesondere in Texten von Minoritäten oder unterdrückten Kulturen. Gegen derartige traditionelle interpretative Herangehensweisen hat es seit den 1980er Jahren eine virulente Oppositionsstellung gegeben, die sich besonders in den Varianten der race, class & gender studies ausdrückt. „These projects have challenged liberal humanist claims that the literary and critical canons embody an essential and inclusive range of human experience and expression.” (Montrose 1992: 394) Dabei blieben ideologisch bestimme Übertreibungen nicht aus, wenn beispielsweise formuliert wurde, nur Afroamerikaner könnten Texte ihrer eigenen Ethnie ‚richtig‘ verstehen und dass jede Rezeption durch Nicht-Afroamerikaner einen Akt der kulturellen Vereinnahmung darstelle (gekontert wurde mit dem klugen Verweis, dass damit eigentlich auch nur Blinde das Werk des beim Schreiben seines großen Epos Paradise Lost (1667) erblindeten Puritaners John Milton interpretieren dürften, vgl. die Diskussion bei Bredella 1994). Aus didaktischer Sicht ist aus dieser heftig ausgefochtenen Debatte über die ‚Interpretations- und Verstehenshoheit‘ sicherlich übriggeblieben, dass das vormals gern propagierte Argument der ‚universalen‘, überzeitlichen Aussage von Texten, heutzutage immer mit der Frage zu verbinden ist, welchen Bezug zu seinem Kontext, zu seiner Entstehungszeit und zur Verhandlung von Identität im Bereich von race, class & gender usw. ein Text aufzuweisen hat. Zweifellos hat die Debatte auch dafür sensibilisiert, allzu eindeutige Aussagen zur generellen Bedeutung eines Textes oder der darin gespiegelten Kultur zu vermeiden. Ganz abgesehen davon wird in der Debatte ‚Universalismus vs. Partikularismus‘ bisweilen übersehen, dass der Ethnozentrismus nicht allein ein westliches System darstellt. Vielmehr kann die Vorstellung einer inhärenten Überlegenheit der eigenen Gesellschaft oder Gemeinschaft auch in anderen Gesellschaften wie beispielsweise in China oder in bestimmten Religionsgemeinschaften des Islam vorherrschen. Das Gegenteil von Ethnozentrismus und Universalismus stellt der kulturelle Relativismus dar, der sich analog zum Niedergang des (offenen) Ethnozentrismus zum neuen Paradigma kultureller und kulturwissenschaftlicher Diskurse erhob (vgl. hierzu auch Antor 1996). Der Kulturrelativismus geht sowohl von der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit wie von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller menschlicher Kulturformationen aus. Gemäß der relativistischen Position steht es einer Kultur nicht zu, Wertaussagen zu einer anderen Kultur zu machen. Auch dürfen eigene Wertvorstellungen und Normen nicht über die Grenzen der eigenen Kultur hinaus transportiert, übertragen oder angewendet werden. Die ethischen wie le- <?page no="152"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 138 bensweltlichen Dimensionen dieser Vorstellung sind allerdings problematisch. Es wird damit jede Form der interkulturellen Einflussnahme abgelehnt; im Extremfall kann diese bedingungslose Akzeptanz von Andersartigkeit dazu führen, dass Verhaltensweisen, die im eigenen Kulturkreis als unethisch gelten, in anderen Kulturkreisen toleriert werden - von Praktiken der Beschneidung von Frauen bis zu Kinder- und Sklavenarbeit, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Kulturrelativismus stellt somit, auch wenn er im intellektuellen Diskurs zum guten Ton gehört, die Gefahr dar, sich von der eigenen Position zu verabschieden und sich in einen unverbindlichen Taumel moralischer Indifferenz und intellektueller Beliebigkeit zu begeben. Noch deutlicher formuliert: Er erscheint „nicht nur verantwortungslos, sondern auch realitätsfern“ (Sommer 2003: 18). Us vs. Them: ‚Othering‘ als problematische Konstante interkultureller Begegnung Wenn wir obigen Überlegungen folgen, kann es also nicht die einzig ‚richtige‘ Gesinnung oder Einstellung bei der Begegnung mit dem Anderen oder Fremden geben. Das Fremde verweist uns auf die Zentriertheit unseres Selbst, auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit unserer Außenwelt und damit dem Anderen. Dennoch können wir dabei nicht als substanzlose Entität auf das Andere eingehen, sondern müssen, im Sinne der vorgestellten Alteritätstheorien, die Begegnung sowohl als erfahrungsoffen wie auch als Verarbeitungsprozess von Fremderfahrung begreifen, bei dem es Grenzen der Toleranz und Empathie geben muss (vgl. hierzu eingehender das Kapitel „Grenzen interkulturellen Verstehens“, Kap. 5.3). Es gibt dabei noch weitere Prägestrukturen des Umgangs mit dem Anderen: Dies sind vor allem die teilweise psychologisch, teilweise historisch-soziologisch zu deutenden menschlichen Wahrnehmungsmuster von Stereotypen und Vorurteilen, vor allem im nationalen und ethnischen Bereich. Auf sie wurde genauer im Kap. 3.3 eingegangen. Eng verbunden und teilweise kongruent sind sie mit Prozessen der Zuweisung von Andersartigkeit - der Diskurstheoretiker Michel Foucault (1998: 11) würde sie „Prozeduren der Ausschließung“ nennen. Prädispositionen, Methoden und Praktiken der Alteritätszuweisung sind zu einem bedeutenden und viel erforschten Feld unterschiedlicher Theoriedisziplinen geworden. Dabei mögen die hoch theoretischen Ansätze des französischen Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus - hier sei neben dem genannten Foucault vor allem das einflussreiche Theoriegebäude des Poststrukturalisten Jacques Derrida erwähnt (vgl. einführend Zapf 1991: 189ff.) - zunächst noch eher auf abstrakt-theoretische, wenn auch sehr radikale Weise westliche Denkgewohnheiten in Frage gestellt und geradezu umgedreht haben. Besonders Derrida griff die tief in der westlichen Mentalität verankerte Neigung zum Denken in binären Oppositionen an (alt-jung, schwarz-weiß usw.), zumal diese Oppositionierungen stets explizit oder implizit eine wertende Hierarchisierung beinhalten (jung besser als alt, weiß besser als schwarz usw.). Es gelte also, so der vielleicht wesentliche und lebensweltlich umsetzbare Anstoß des Poststrukturalismus, jenseits oder außerhalb etablierter hierarchisierender Kontrastmuster zu denken. Entsprechend verbreiten sich in der Theoriedebatte nicht-binäre Modelle und Muster, wie die Möbiusschleife als Endlosspirale, triadische Beziehungen, das einem Wurzelgeflecht ähnelnde ‚Rhizom‘ à la Gilles Deleuze und Félix Guattardi sowie der gesamte Bereich des <?page no="153"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 139 Hybriditätsdiskurses (insbesondere bei Homi Bhabha 1995; vgl. z.B. Teske 2002: 175ff.). Diskurskritische, poststrukturalistische und dekonstruktivistische Ansätze lieferten wichtige Impulse für weitaus konkreter und mit lebensweltlichem Bezug operierende Richtungen der race, class & gender studies und, teilweise in enger Verbindung, der postkolonialen Studien. Ein großer Teil der Diskussion in diesem Bereich baut dabei immer wieder auf der bahnbrechenden Studie Orientalism (1978) des USamerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward Said auf. Obgleich Saids Untersuchung sich auf die vor allem im 19. Jahrhundert bedeutsame Disziplin der westlichen Orientalistik bezieht und aufweist, wie diese den Orient diskursiv als ‚Anderen‘ schuf (Othering), erweisen sich die dabei gewonnenen Erkenntnisse als generell auf hegemonial bestimmte interkulturelle Verstehensprozesse übertragbar. Der orientalistische Diskurs steht damit stellvertretend für westliche polarisierende Rhetorik, hegemoniale Metaphorik und Projektion von zugkräftigen Stereotypen auf das nichtwestliche Andere. Er setzt sich im Wesentlichen im postkolonialen Denken fort, bei dem bestimmte weltanschauliche Doktrinen überliefert und verfestigt werden. Die Überlegenheit der eigenen kulturellen Identität etabliert sich durch die stereotyp abgewertete kulturelle Andersartigkeit des imaginierten Anderen (vgl. Loomba 1998, Fausser 2008: 36f.). Das Othering ist demnach, wie es Said prägnant ausdrückt, “a Western style of dominating, restructuring, and having authority over the Orient” (Said 1978: 3). Es schreibt nicht nur die Unterlegenheit des Anderen fest, sondern legitimiert über „Verfahren der politisch-kulturellen und geistigen Landnahme“ (Fausser 2008: 37) letztlich die Herrschaft über das orientale oder nicht-westliche Andere. Schematisch lassen sich wesentliche Grundzüge dieser Gegenüberstellung von Okzident und Orient und damit von westlicher und nicht-westlicher Kultur in folgender Übersicht darstellen (vgl. Teske 2002: 110): Okzident Orient (the Other) demokratisch gerecht kontrolliert, rational vernünftig, logisch ehrlich, offen, vertrauensvoll normal eindeutig aktiv stark, männlich despotisch / autoritär grausam emotional, unberechenbar irrational, unlogisch intrigant, unzuverlässig exotisch, mystisch hinterlistig, rätselhaft, geheimnisvoll fatalistisch schwach, weiblich Abb. 17: Schema des Othering nach Said (1978) Historische Dimensionen des ‚Othering‘ Allgemeiner formuliert dies Lutz Niethammer in seiner Untersuchung zur Gefahr, die von derartigen Formationsprozessen kollektiver Identitäten ausgeht. Diese <?page no="154"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 140 entstehen eben stets „auf Kosten der Verteufelung des anderen“. Dieser Vorgang vermittelt „ein Gefühl seiner selbst als kollektives Opfer […] und [macht] jenes reine Gewissen […], das zu den größten Untaten befähigt“ (Niethammer 2000: 12). Derartige Untaten stehen vermehrt im Fokus der postkolonialen und kulturkritischen Forschung zur historischen Entwicklung der europäischen Ausbreitung. Dabei hat die Forschung nach Said auf die frühe Ausbildung von Mustern der Alteritätszuordnung hingewiesen. ‚Fremdheit‘ wurde bereits zu Beginn der europäischen überseeischen Expansion geschaffen, im Zeitalter der frühen Kolonialisierung durch die europäischen Seefahrer und insbesondere spanischen Conquistadores wie Christopher Columbus, Cortez und Pizarro. Stephan Greenblatt urteilt wie folgt und beschreibt damit die verhängnisvollen Folgen der gewaltsamen Expansion Europas in der Renaissance: At the moment that Europeans embarked on one of the greatest enterprises of appetite, acquisition, and control in the history of the world, their own discourses became haunted by all that they could not control. They had embarked, without quite realizing it, on ‘a subtle, permanent, practice of distances’. (Greenblatt 1993: xvii; Bezug auf Michel de Certeau) Deutlich verfestigten sich die Strukturen des Othering im Zeitalter des Imperialismus, besonders in Folge der systematisierten britischen Kolonialherrschaft über den indischen Subkontinent nach dem Sepoy-Aufstand von 1857 und im Zuge der Kolonialisierung Afrikas (scramble for Africa). Die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung und deren Kultur sowie das Alltagsleben dort werden wir im nächsten Abschnitt am Beispiel des linguistischen Imperialismus des Englischen eingehender betrachten. Konzentrieren wir uns hier zunächst auf die weitere Ausformung der imperialistischen Mentalität: Die Forschung hat klargemacht, wie sich westlicher Superioritätsdünkel und Ausgrenzung bzw. Abwertung des Anderen auf mannigfaltige und mehr oder weniger verbrämte Weise im Denken und Handeln der imperialistisch gesonnenen Zeitgenossen breit machte. Es artikulierte sich in literarischen Texten, von Romanen bis Gedichten, und in nicht-literarischen Texten, von Reiseberichten bis zu wissenschaftlichen Traktaten. Es schlug sich sogar im alltäglichen Gebrauch von Konsumgegenständen und alltäglichen Praktiken nieder, wie bei Tabak-, Tee-, Kaffe-, Alkohol- und Drogengewohnheiten, zu deren Befriedigung man sich des ausbeuterischen Kolonialhandels bediente (vgl. Roberts 1989, Mills 1997: 107ff.). Mehr oder weniger verschönert dargestellt wird dabei eine eigenartige motivationale Gemengelage, deren einzelne Elemente sich teilweise verstärken, teilweise in scheinbarem Widerspruch zueinander existieren: Missionarischer Eifer, zivilisatorisches Sendungsbewusstsein und philanthropisches Gutmenschentum stehen hier teilweise unverbunden neben kaum verhüllter Bigotterie, blanker Heuchlerei, aggressivem Eroberungs- und Herrschaftsgeist und ausufernden Bereicherungsfantasien. Es gibt eine Reihe von Äußerungen der Kolonialherren, die exemplarisch für diese noch lange nachwirkende Geisteshaltung stehen. Beispielhaft sind die Bemerkungen Earl Greys aus dem Jahre 1899, in denen unhinterfragtes Rassenbewusstsein besonders eklatant hervorsticht: Probably everyone would agree that an Englishman would be right in considering his way of looking at the world and at life better than that of the Maori or the Hottentot, and no one will object in the abstract to England doing her best to impose her better and higher view on these savages. […] Can there be any doubt that the white man must, and will, impose his superior civilization on the coloured races? (Zit. in Phillipson 1992: 44f.) <?page no="155"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 141 Autoren, die lange Zeit Klassiker des Englischunterrichts für native speaker und für Fremdsprachenlerner waren, wie Rudyard Kipling, aber auch Joseph Conrad und E.M. Forster, liefern auf höchst unterschiedliche Weise fiktionale Dokumente dazu ab, wie der Geist des Imperialismus das Denken der Zeitgenossen beeinflusste. Zweifellos formte dabei der in Indien geborene Brite und spätere poeta laureatus des britischen Empires Rudyard Kipling selbst das zeitgenössische Bild der Briten von ihren Kolonien. Viele seiner Zeilen sind inzwischen sprichwörtlich geworden. Im postkolonialen Diskurs nimmt man auf sie Bezug, um die Persistenz entsprechender Denkformen aufzuzeigen. Berüchtigt ist hierbei der Titel eines Gedichtes von Kipling, „The White Man’s Burden“ von 1899, in welchem der Dichter die USA zum kolonialen Engagement auf den Philippinen auffordert. Die erste Strophe sei hier abgedruckt (Kipling 1994: 334): Take up the White Man's burden - Send forth the best ye breed - Go bind your sons to exile To serve your captives' need; To wait in heavy harness On fluttered folk and wild - Your new-caught, sullen peoples, Half devil and half child. Es geht hier dem ersten Anschein nach vor allem um die ‚zivilisatorische Bürde‘, die gleichsam zur christlichen Verpflichtung gegenüber Minderprivilegierten überhöht wird. Es geht aber auch um mehr: Denn hier entsteht in bündigen Ausdrücken eine Sichtweise der indigenen Bevölkerung, bei der diese im Sinne des oben beschriebenen Othering nur stereotyp als dämonische Bedrohung oder kindliche Naturwesen stigmatisiert wird (Zeile 8: „Half devil and half child“). Sie wird damit entmenschlicht und bei Kipling auch zum lesser breed abgewertet. Auch wenn Kipling sich in mancherlei Hinsicht gegen die koloniale Praxis wandte, die Mutterkolonie zum Maß aller Dinge zu machen, so bleibt sein imperiales Vermächtnis doch unversöhnlich, wie in den oft aufgegriffenen Zeilen des Gedichtes „The Ballad of East and West“ dokumentiert: „East is East, and West is West, and never the twain shall meet.“ (ibid.: 245) Die hier nur in Grundzügen wiedergegebenen Denkstrukturen des Othering erhielten im Zeitalter des Imperialismus ihre aggressive Zuspitzung. Und sie wirken stark nach. Zwar begann aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs heraus eine revisionistische Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und zunehmend auch ihrer prägenden Mentalitätsmuster. Die Unabhängigkeitserklärung Indiens unter Mahatma Gandhi 1947 läutete den bald forcierten Niedergang des Empire ein. Seit Ende der 1970er Jahre untersuchte dann die Literatur- und Kulturwissenschaft die Entstehung und Verbreitung imperialer Traditionen. Sie beschrieb literarische Strategien des writing back oder re-writing, also der Auseinandersetzung mit dem kolonialen Diskurs, und erkannte die in den ehemaligen Kolonien entstehenden Literaturen als wertvollen und bereichernden Beitrag zur englischsprachigen Literatur (vgl. Sommer 2002: 119, Fauser 2008: 36ff., Döring 2008). Die auf Salman Rushdie zurückgeführte Formel The Empire Writes Back wurde der Titel eines stark rezipierten ‚Gründungsbandes‘ der postkolonialen Theoriebildung (Ashcroft et al. 1989) und klagte praktische Konsequenzen ein: Gefordert wird hierbei nicht allein der Eintritt der <?page no="156"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 142 ehemals unterdrückten Literaturen und Kulturen in die etablierten Literatur- und Kulturhorizonte, sondern eine grundlegende Veränderung des westlichen Literaturkanons und schließlich des westlichen Normen- und Wertehorizontes durch die Berücksichtigung ganz anderer Mentalitäten. Es geht also um einen doppelten Prozess: Emanzipation, Identitätsfindung und Selbstermächtigung der ehemals Unterdrückten einerseits, Auflösung (post-) kolonialer Denkstrukturen auf Seiten der (je nach Sichtweise) ehemaligen oder neokolonialen Unterdrücker. Es geht in vielerlei Hinsicht um die oftmals angemahnte Veränderung eingefleischter Denkgewohnheiten, um das decolonising of the mind. Dieses postkoloniale Bedingungsgeflecht wirkt vielfach in interkulturelle Begegnungen hinein, denen unterschiedlich ausgeprägte Formen des hier beschriebenen Othering zugrunde liegen können. 4.3 Sprache und Macht: Die Expansion der englischen Sprache Die Ausbreitung des Englischen: Ursachen und Entwicklungen Imperialismus, Eurozentrismus oder Othering - diesen Themenbereichen erscheint vor allem in den ersten Spracherwerbsphasen, aber auch im fortgeschrittenen, sich nun auf ‚interkulturell-kommunikative‘ Lernziele ausrichtenden Englischunterricht eher nachgeordnete Bedeutung zuzukommen. Zunächst freuen sich Lehrende wie Lernende über den sprachlichen Kompetenzgewinn, dann geht es - wenn wir etwa den Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER oder CEF) als Leitdokument nehmen - um das Erschließen pragmatisch-sprachlicher Handlungskompetenzen. Sprachenerwerb findet jedoch keinesfalls in einem politisch-kulturell luftleeren Raum statt. Vielmehr ist es im Fall des Erwerbs der englischen Sprache gerade die historische Dynamik der Expansion und Umwandlung dieser Sprache zur globalen Verkehrssprache, welche weltweit gewaltige sprachliche wie auch kulturelle Umwälzungen mit sich bringt. Diese wiederum können und müssen zum Thema des Englischunterrichts werden: Nicht nur, weil sie selbst Teil der Geschichte des anglophonen Kulturraums sind und darüber hinaus die Erfolgsgeschichte des Englischen selbst ein wichtiges global issue darstellt. Sondern auch, weil diese Erfolgsgeschichte in vielen der von ihr unmittelbar betroffenen Kulturkreisen höchst ambivalent aufgenommen wurde (Stichwort: Sprachimperialismus). Diese ambivalenten Auswirkungen des Englischen halten dabei teilweise immer noch an und stehen nach wie vor in der Kritik, auch wenn man sie vielerorts als unveränderbares und hinzunehmendes Sprach- und Kulturphänomen akzeptiert hat oder für seine Zwecke nutzbar machen möchte. Damit ist die wichtigste, bereits mehrfach benannte Veränderung der Rahmenbedingungen des Englischunterrichts angesprochen: Status und Bedeutung der englischen Sprache sind - konträr zum sinkenden weltpolitischen Einfluss ihres Ursprungslandes - in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts dramatisch gewachsen. Während man, wie bei anderen Zielsprachen, von den Anfängen des englischen Schulunterrichts bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer weitgehenden Identität von Sprache und Zielland ausgehen konnte (bzw. dies weitgehend so wahrgenommen wurde), besteht für das Englische diese Einheit nicht mehr. Zunächst verortete man die angelsächsische Identität hauptsächlich im britischen und amerikanischen Kulturraum. Diese Vorstellung wurde zunehmend von der <?page no="157"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 143 Erkenntnis abgelöst, dass es zu akzeptierende und nicht mehr allein am Englisch des Mutterlandes (GB) oder der ‚Mutterländer‘ (GB, USA) zu messende Sonderentwicklungen in anderen geografischen Gebieten gibt. Es sind dies die Länder des Commonwealth, in denen sich das Englische als native tongue oder als übergeordnete Kommunikationsform erhalten hat. Heutzutage ist das britische Englisch eine Minderheitenvariante des Global English der native speakers, verwendet von circa fünf Prozent der globalen anglophonen Bevölkerung (L1-Sprecher des Englischen). Und auch zusammen mit der englischsprachigen amerikanischen Bevölkerung kommt die Zahl derer, die nach gängigen deutschen Vorstellungen als native speakers zu bezeichnen wären, auf ca. 20 Prozent der englischsprachigen Menschen. Hinzu kommt die Ausbreitung des Englischen als globale lingua franca. David Crystal, der sich eingehend mit dem Phänomen der Ausbreitung des Englischen befasst hat, schätzt, dass gegenwärtig 75 Prozent der Bevölkerung, die Englisch beherrschen, nicht Muttersprachler sind (Crystal 2003: 69). Dies scheint momentan noch sehr hoch gegriffen: Neueres Datenmaterial legt eher eine Prozentzahl zwischen 55 und 73 Prozent nahe. 1 Diese Ausbreitung der englischen Sprache sei im Folgenden zunächst systematisierend mit Bezug auf das bekannte Modell der three circles dargestellt, wie es Braj Kachru entwickelte. Anschließend gilt es, die Kehrseiten dieses linguistischen Siegeszuges eingehender zu betrachten. Hierfür finden sich gerade in der Literatur zahlreiche eindrucksvolle Beispiele (vgl. Volkmann 2009b), von denen hier nur eine Auswahl kurz zitiert sei mit Bezug auf Spielarten des language imperialism. Schließlich sollen auch jüngste, pragmatische Reaktionen skizziert werden (Stichwort: Hybridisierung, Global English). Die enorme Dynamik, mit welcher sich die englische Sprache verbreitet, stellt das Resultat zweier historisch erklärbarer Expansionsschübe dar (vgl. Crystal 2004: 106). Zum einen ist hier die weltweite Ausbreitung des britischen Kolonialreichs zu nennen, welche ihren Höhepunkt im Imperialismus am Ende des 19. Jahrhunderts erreichte. Sein historisches Erbe findet das Empire im Commonwealth of Nations mit seinem Verbindungsgefüge von kultureller, wirtschaftlicher, sozialer, politischer und eben auch sprachlicher Art. Zum anderen beruht die Ausbreitung des Englischen auf der im 20. Jahrhundert sich endgültig entfaltenden wirtschaftlichen und technischen Vormacht der ehemaligen britischen Kolonie USA. Vor allem diesem zweiten Faktor wird im Allgemeinen die Hauptbedeutung für die anhaltende Expansion der englischen Sprache zugeschrieben, welche von der Tatsache getragen wird, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts allein bis zu 70 Prozent aller englischen Muttersprachler in den USA leben. Zusammen mit den Bewohnern der britischen Inseln wurden diese im traditionellen Verständnis als native speakers bezeichnet. Linguisten wie Braj Kachru (1986) oder David Crystal (2004: 107) definieren sie vor dem Horizont der globalen Ausbreitung des Englischen als Zugehörige des so genannten inner circle. Dieses Zentrum ist von zwei sich ständig ausweitenden äußeren Kreisen umgeben, denen weitere Sprecher des Englischen zuzuordnen sind. 1 Diese und folgende Angaben und Berechnungen ergeben sich nach aktuellem Zahlenmaterial aus Wikipedia (Stichwort: English language) vom Januar 2010. <?page no="158"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 144 Abb. 18: The three circles of English nach Kachru (1986) und Crystal (2004) Dieses Modell der konzentrischen Kreise hat sich als Beschreibungsschema für die Ausbreitung des Englischen weitgehend durchgesetzt und lässt sich wie folgt beschreiben (vgl. Crystal 2004: 107, 111; kommentiert u.a. bei Ahrens 2004): (1) Der innere Kreis bezieht sich auf das traditionelle geografische Zentrum des Englischen. Englisch wird hier als L1, also als Muttersprache, verwendet. (2) Der zweite Kreis schließt diejenigen Länder ein, in denen Englisch als ‚Verkehrssprache‘ mit offiziellem Status als erste oder zweite Sprache des Landes fungiert. Hier ist das Englische ein Erbe der Kolonialzeit. Häufig erfüllt es in diesen Ländern mit multilingualen Kontexten eine wichtige Zweitsprachenfunktion: Singapur, Mali, Indien und circa 50 weitere Länder bzw. Territorien sind hier aufzulisten (die Microsoft Encarta nennt gegenwärtig 52 Länder). (3) Der dritte, sich ausbreitende äußere Kreis erfasst diejenigen Länder und Areale, in denen Englisch als eine wichtige Sprache für den täglichen Gebrauch in professionellen und/ oder internationalen Kontexten verstanden wird. Hierzu zählen Kachru und Crystal etwa China, Japan, Griechenland, Polen usw. Auch Deutschland ist zu diesen Ländern zählen, in denen Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet wird und zunehmend als Berufsqualifikation unumgänglich ist. Neben den genannten Gründen der historischen Expansion Großbritanniens und der USA wurden weitere Ursachen für diese Erfolgsgeschichte des Englischen diskutiert (vgl. Crystal 2004: 106, Ahrens 2004: 421ff.): Expanding e.g. China, Russia 100 - 1000 million Outer circle e.g. India, Singapore 150 - 300 million Inner circle e.g. USA, UK 230 - 380 million <?page no="159"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 145 (1) Das Englische ist eine inkorporierende Sprache: Historisch gesehen ist es eine Mischsprache, da sich keltische, lateinische, sächsische, skandinavische, normannische, aber auch indische, indianische, afrikanische usw. Sprachelemente miteinander verbanden. So entwickelte das Englische nicht nur einen überreichen Wortschatz, sondern auch eine große grammatische Flexibilität. Dies gilt gemeinhin als Grund dafür, dass die Sprache zunächst leicht erlernbar erscheint, der fortschreitende Erwerb aber zweifellos auf erhebliche Erschwernisse trifft. Diese hinreichend bekannten sprachlichen Eigenschaften wie Flexionslosigkeit, Konversion und morphologische Varietät bieten dem Englischen ein großes integrierendes und inkorporierendes Potenzial. (2) Das Englische ist eine diversifizierende Sprache: Die Sprache wird in einer großen geografischen Streuung von einer hohen Anzahl von Sprechern mit unterschiedlicher Kompetenz beherrscht. Durch diese geografische Ausbreitung lockert sich die linguistische Kohäsion der Sprache, trotz oder gerade auch aufgrund der heutigen modernen Kommunikationsmittel. Dadurch entsteht in den verschiedenen Ländern unseres Globus eine immer größer werdende Anzahl von Varietäten des Englischen, die zudem immer unüberschaubarer werden. Die so genannten localized forms of English (LEE) könnten sogar teilweise die Einheitlichkeit und damit auch die Kommunizierbarkeit des Englischen auflösen. (3) Das Englische wird zur globalen lingua franca: Als Welt- und Verkehrssprache konnte das Englische in den vergangenen Jahrzehnten stark dazugewinnen. Dies geschieht nicht nur in den Wissenschaften, die sich heute weitgehend der englischsprachigen Kommunikation bedienen, sondern auch im wirtschaftlichen und juristischen Bereich, in dem Handelsbezeichnungen und Vertragsregelungen auf Englisch ausgetauscht werden. Dazu gehören auch politische und touristische Kommunikationsformen, Flugverkehr, aber vor allem auch das Englische im Bereich von Computer und Internet. Englisch ist - analog zur Ausbreitung der amerikanischen Popkultur - zugleich das Medium der Unterhaltungsindustrie und der internationalen Jugendkultur geworden. Die Expansion der englischen Sprache hat eine ungeheure Dynamik angenommen: Während die Zahl der Englischsprecher aus den Länder des ersten und zweiten Kreises weiterhin stetig anwächst, findet die eigentliche Expansion im Gebiet des dritten Kreises statt. In diesem zeigt sich natürlich ein geringer Grad an Homogenität bei der Sprachkompetenz im Englischen. Auch das Maß an Sprachgebrauch oder language exposure ist von Land zu Land, aber auch innerhalb der sozialen Schichten dieser Länder höchst unterschiedlich. Bemühen wir einige statistische Daten zur Illustration dieser komplexen Ausbreitungsdynamik des Englischen gerade im ‚dritten Kreis‘: Während in Deutschland nach wie vor englische Kinofilme in deutscher Übersetzung gezeigt werden, es nur wenige englischsprachige Radiostationen gibt sowie Englisch allein auf der Ebene multinationaler Konzerne wie Siemens, Mercedes und Volkswagen die lingua franca bei Vorstandssitzungen geworden ist, hat die englische Sprache in kleineren europäischen Ländern bereits in weit stärkerem Ausmaß ihren Weg in das Alltagsleben gefunden. Etwa 80 Prozent der Dänen hören aktiv oder passiv zumindest ein Mal am Tag Äußerungen in englischer Sprache, 45 Prozent sehen jeden Tag englischsprachige Filme oder Filme mit englischsprachigen Untertiteln, 32 Prozent der Dänen geben an, täglich am Arbeitsplatz englischsprachige Texte zu verwenden, und 45 Prozent aller Werbeprogramme im <?page no="160"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 146 dänischen Fernsehen wechseln zwischen Dänisch und Englisch. Englischkompetenzen sind somit ein wesentlicher Bestandteil des allgemeinen Sprachrepertoires jedes Dänen geworden; Englisch ist deutlich erkennbar als fester Bestandteil von Kommunikationsabläufen innerhalb des Landes zu verstehen (vgl. Graddol 2001: 50). Dabei ist die Bedeutung des Englischen in Dänemark ein Einzelbeispiel von vielen im global village und verdeutlicht, was die Großperspektive aufzeigt: Neueren Schätzungen zufolge kann einer von vier oder fünf Weltbürgern eine wie auch immer geartete Form von Kompetenz im Englischen aufweisen (Pennycook 1994: 7, Crystal 2003: 69). Für die Zukunft gehen einige Überlegungen davon aus, dass im Jahre 2050 die Menge derjenigen, die mit der englischen Sprache kommunizieren können, auf etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung angestiegen sein wird (Pennycook 1994: 7, Brusch 2003: 116). Betrachten wir noch einmal das Modell der drei Kreise des Englischen im Überblick: Im Kernbereich befinden sich diejenigen Sprecher, welche man gemeinhin als Muttersprachler bezeichnet. Zum sich anschließenden Bereich, dem zweiten Kreis, sind alle Sprecher des Englischen zu rechnen, denen die Sprache aus historischen Gründen ‚oktroyiert‘ wurde - als Folge der expansiven Wirkkräfte der angelsächsischen Kernländer. Dem äußeren, sich weitenden Kreis sind diejenigen Sprecher des Englischen zuzuordnen, welche eine wie auch immer geartete Kompetenz im Englischen besitzen. Zugleich lässt sich das geografisch und historisch orientierte Kreismodell natürlich auch anders deuten, in Richtung einer hier abgebildeten hierarchischen Wertigkeit: Linguistische Autorität, Normativität und Prestige sind in seinem Zentrum am ausgeprägtesten und nehmen sukzessive nach außen hin ab. Derartige Normvorstellungen wirken stark nach, da sie historisch verankert sind und sowohl von native wie non-native speakers aus unterschiedlichen Gründen tradiert werden. Prägnant fasste dieses ‚Geburtsrecht‘ der angelsächsischen Bevölkerung auf ‚ihre‘ Sprache im Jahre 1936 die britische Autorin Dorothy Sayers zusammen, verbunden mit der Ermahnung an ihre Mitbürger, die ‚Reinheit‘ der Muttersprache auch im alltäglichen Gebrauch zu bewahren: The birthright of the English is the richest, noblest, most flexible and sensitive language ever written or spoken since the age of Pericles. Every day sees it sold, not only to Brother Jack and Brother Paddy, and young Brother Jonathan, but to the sob-sisters of Fleet Street, to the aged and doddering Mother of Parliament, to the wicked Uncles of the B.B.C., to the governors, teachers, spiritual pastors and masters of the Board of Education, and to all the myopic old women of both sexes who cannot tell a purposeful hawk from an ill-regulated handsaw. And a nice mess they make of it among them; which mess we greedily and gratefully gulp down. (Zit. in Ahrens 2004: 439) Im Zuge der Globalisierung haben sich derartig normativ-possessive Vorstellungen allerdings grundlegend geändert (vgl. eingehender Gnutzmann 1999, Seidlhofer 2001, Ahrens 2004). Was man aus pragmatischen Gründen in Wirtschaftskreisen zur Voraussetzung internationaler Kommunikation erklärt, erfährt seine theoretische Fundierung gerade in weiten Bereichen der linguistischen Forschung: Keine Nation, keine Gemeinschaft und kein Individuum kann mehr exklusiv für sich das Recht auf diese Sprache oder ihren korrekten Gebrauch in Anspruch nehmen. Das Englische ist nicht alleine die Sprache von Shakespeare, Milton und Dickens, sondern auch die von Nadine Gordimer, Chinua Achebe, Salman Rushdie und V.S. Naipaul. Es ist gleichermaßen die Sprache von e. e. cummings und von Margaret Atwood und wird <?page no="161"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 147 im Moment von bis zu einer Milliarde Menschen geteilt, welche Englisch nicht als Muttersprache beherrschen. Die englische Sprache, so das vielstimmige Urteil, ist ein globales Allgemeingut geworden: „The English language is truly a world possession.“ (Peter Strevens, zit. in Ahrens 2004: 440) Unterstützt wird dieses oftmals deklamierte Abschleifen des angelsächsischen Exklusivanspruchs auf das Englische durch ein weiteres globales Phänomen mit Bezug auf seine Verwendung. Auch in einer anderen Hinsicht haben die drei Kreise des Englischen ihre klaren hierarchischen Demarkationslinien verloren (vgl. zu Folgendem etwa McArthur 2003: 57, eingehender Phillipson 1992, Ahrens 2004): Viele gebildete L1-Sprecher aus dem britischen oder gerade amerikanischen Bereich äußern sich äußerst skeptisch angesichts des inkorrekten Sprachgebrauchs anderer L1-Sprecher. Auch Nicht-L1-Sprechern fallen gewöhnlich die oftmals eklatanten Niveauunterschiede bei der Verwendung des Englischen in Großbritannien oder den USA auf. Es ist dies ein Eindruck, der noch durch Statistiken über den geringen Umfang des täglichen Durchschnittsvokabulars der meisten native speakers in diesen Kernländern verstärkt wird. Viele Sprecher des zweiten und auch des dritten Kreises des Kachru-Modells besitzen in einigen Sprachbereichen signifikant bessere Kompetenzen als viele Briten oder Amerikaner. Gerade im Bereich des funktionalen Sprachgebrauchs in bestimmten professionellen oder technischen Kontexten können traditionelle Hierarchien zugunsten des nonnative speaker umgekehrt sein. Dies gilt durchaus auch für einzelne Teilkenntnisse der englischen Grammatik: Es ist etwa davon auszugehen, dass qualifiziert ausgebildete deutsche Abiturienten/ innen aufgrund der bisher stark auf korrekten Gebrauch grammatikalischer Strukturen konzentrierten deutschen Fremdsprachenausbildung die Verwendung von if-clauses und des englischen Plusquamperfekts formal korrekter beherrschen als ein Großteil der amerikanischen High-School-Abgänger - was allerdings noch nichts über die kommunikativen Fähigkeiten der Ausgebildeten aussagt. Linguistische Dominanz und Sprachimperialismus Die Ausbreitung der englischen Sprache ist nicht ohne Kritik geblieben. Bevor wir uns dem historisch so bedeutungsvollen Thema language imperialism zuwenden, sei hier auf einige gegenwärtige Debatten zum Thema eingegangen. Hierzu gehört auch das weltweit beklagte Thema der Anglizismen. Global sind auch Tendenzen der Sprachreinigung, die nicht allein die wachsende Zahl der englischsprachigen Ausdrücke einzudämmen versucht, sondern auch die damit einhergehende ‚Amerikanisierung‘ oder Verwestlichung der eigenen Sprachgemeinschaft: So beantragte der iranische Präsident 2006, dass englische Ausdrücke wie helicopter, chat und pizza aus dem Wortschatz seiner Landsleute gestrichen werden sollten; bekannt sind auch die Versuche in der ehemaligen DDR, unter anderem den Begriff ‚Discjockey‘ durch das Wortungetüm ‚Plattenalleinunterhalter‘ zu ersetzen. Vollkommen zu Recht wird aber immer wieder die penetrante Anglifizierung in der Welt von Wirtschaft und Werbung kritisiert. Hier entsteht eine sich mit modischem Flair gerierende Flucht aus der deutschen Sprache, der mit Widerstand zu begegnen ist (vgl. Krämer 2000). Es bleibt darüber hinaus teilweise völlig offen, warum gerade im Bildungsbereich die Anglizismen wuchern und ob zum Beispiel wirklich Internationalität ausgestrahlt wird, wenn sich ein universitäres Institut im Briefkopf als ‚Department Geschichte‘ und <?page no="162"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 148 nicht mehr als ‚Historisches Institut‘ ausweist. Welch lächerliche Dimensionen dieses modern talking auf Deutsch einnehmen kann, lässt sich am Beispiel des zeitweise von der Parfumeriekette Douglas gewählten Werbespruchs „Come in and find out“ erkennen. Denn ein großer Teil der angesprochenen Kunden/ innen verstand dieses als Aufforderung, in den Laden hinein und auch wieder hinauszugehen. Derartige Sprachprobleme erscheinen eher ärgerlich, folgenreicher sind die gewaltigen ökonomischen und politisch-kulturellen Dimensionen der englischen Sprachexpansion, wie sie eingehend von Kritikern wie Phillipson (1992) und Pennycook (1994) beschrieben wurden. Man wies dabei hin auf die weltweit mit riesigem Gewinn operierende Industrie des EFL teaching (Crystal 2003: 112), die verstärkt Aufschwung erhält. Phillipson (1992) hat akribisch nachgewiesen, wie die britische Regierung und das British Council die Ausbreitung des Englischen unter besonderer Betonung von native speaker-Normen vorantreiben (vgl. auch Seidlhofer 2001: 42). Schließlich ist ELT (English Language Teaching) eines der stärksten Wachstumsindustrien im globalen Rahmen. Allein britische ELT-Lernwerke erzielen jährlich zwischen 100 und 240 Millionen Euro Verkaufseinnahmen, an Englischkursen werden weltweit jährlich über zwei Milliarden Euro umgesetzt. Es gibt bereits Kommentatoren, welche die Gesamteinnahmen durch Sprachkurse, Englischbücher usw. in Großbritannien höher als den gegenwärtigen Fördergewinn von Erdöl aus der Nordsee einschätzen (vgl. die Beiträge in Block, Cameron 2002). Die ökonomischen Interessen gerade an der ‚reinen Form‘ des native-speaker English können hier nur angedeutet werden. Angesprochen werden muss hier jedoch vor allem ein weitaus problematischerer Aspekt der Erfolgsgeschichte des Englischen - der Sprachimperialismus. Seine Ausbreitung führt zum Verstummen ‚kleinerer‘, indigener Sprachen, welche teilweise sogar von offizieller (kolonialer) Seite unterdrückt wurden. Deren Sprecher wurden marginalisiert, diskriminiert und benachteiligt, so dass die Bedeutung dieser jeweiligen Sprachen für Kommunikationszwecke schwindet. Es besteht hier auch die Gefahr des Aussterbens von Sprachen. Somit hat das Englische sich den Ruf einer killer language erworben (vgl. Crystal 2004: 125). Dieser linguistische Verdrängungsmechanismus ist der sichtbarste Teil dessen, was Robert Phillipson (1992) mit dem oftmals zitierten Titel seines Standardwerks als linguistic imperialism brandmarkt: Allgemein versteht man darunter eine anglozentrische Einstellung, die verbunden ist mit linguistischem Hoheitsanspruch. Die Folgen sind entsprechend schwerwiegend: „the dominance of English is asserted and maintained by the establishment and continuous reconstitution of structural and cultural inequalities between English and other languages” (Phillipson 1992: 47). Ähnlich hat Alastair Pennycook (1994: 13) das Englische als eine Art ‚Trojanisches Pferd‘ bezeichnet, welches anglozentrische Werte in sich trägt, die man mit dem Spracherwerb in den eigenen Kulturkreis importiert. Diese Tendenz wird auch von kritischen Fremdsprachendidaktikern/ innen wie Claire Kramsch (1996: 12) erkannt. Kramsch sieht die Ausbreitung der englischen Sprache eng verbunden mit der Ausbreitung der damit transportierten Wertesysteme wie Effizienz, Individualismus und Pragmatismus. Äußerst skeptisch vermutet vor allem Phillipson (1992) eine ‚versteckte Agenda‘ hinter den Bemühungen weltweiter Korporationen, das Englische zu stärken. Auf Monolingualismus seien nicht allein multinationale Großkonzerne aus, sondern auch öffentliche globale Einrichtungen wie der IMF, die WTO oder die UN, welche alle gleichermaßen bestrebt seien, das Englische gegenüber anderen Sprachen zu stärken. Entspre- <?page no="163"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 149 chend reflektieren linguistische Hierarchien die mit ihnen korrelierenden Machstrukturen und Ungleichheiten auf ökonomischem, politischem, wissenschaftlichem und medialem Gebiet. Damit diese Auswirkungen des Sprachimperialismus nicht im Bereich der reinen Theoriediskussion bleiben, seien an dieser Stelle einige prägnante Beispiele aufgeführt. Das erste illustriert die Tatsache, dass in englischsprachigen Ländern des inner circle oftmals eine mit großer Brutalität vorgenommene interne linguistische Kolonisation durchgeführt wurde, die verheerende Auswirkungen hat. Wie die Engländer in Wales, Schottland oder Irland, so setzten die staatlichen Behörden der USA in ihren eigenen Territorien die English-only, standard-English-preferred policy als institutionalisierte, wenn auch nicht legalisierte Unterdrückungsmethode ein. Ein Beispiel, wie sich derartige monolinguale Restriktionen auswirkten, wird in folgendem Abschnitt aus Phillipsons Studie beschrieben. Der Autor zitiert hierbei aus einer Abhandlung zur staatlich verordneten Erziehung der Navajo-Kinder, wie sie noch bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg praktiziert wurde: Navajo children are taught in a foreign language: they are taught concepts which are foreign, they are taught values that are foreign, they are taught lifestyles which are foreign, and they are taught by human models which are foreign. The intention behind this kind of schooling is to mold the Navajo child (through speech, action, thought) to be like members of the predominant Anglo-Saxon mainstream culture. The apparent assumption seemingly being that people of other ethnic groups cannot be human unless they speak English, and behave according to the values of a capitalistic society based on competition and achievement. The children grow up in these schools with a sense of: (1) confusion regarding the values, attitudes and behaviour taught at home. (2) Loss of self-identity and pride concerning their selfhood - their Navajo-ness. (3) Failure in the classroom learning activities. (4) Loss of their own Navajo language development and loss of in-depth knowledge of their own Navajo culture. (Phillipson 1992: 21f.) Ein konkretes Beispiel dieses Sprachimperialismus liefert der Nigerianische Schriftsteller Ng g wa Thiongó, der in einem Essay die Auswirkungen dessen beschreibt, was er „the process of alienation from our own languages with the acquisition of the new one” nennt. Er illustriert dies mit dem Beispiel eines erschreckenden Bestrafungsrituals: I have told of instances of children being punished if they were caught speaking their African languages. We were often caned or made to carry plaques inscribed with the words ‘I am stupid’ or ‘I am an ass’. In some cases, our mouths were stuffed with pieces of paper taken from the wastepaper basket, which were then passed from one mouth to that of the latest offender. Humiliation in relation to our languages was the key. (Thiongó 1993: 33) Während Thiongó den destruktiven Einfluss des Englischen anprangert, stellt sich eine wachsende Anzahl von Autoren, welche nicht in den ‚inneren Kreis‘ des Englischen hineingeboren wurden, der Herausforderung von Sprachdominanz und Sprachimperialismus auf andere Weise. Zum einen wird die Lebendigkeit der eigenen Sprachverwendung gegen verknöchert und steril wirkende Normvorstellungen des ‚reinen Englisch‘ gestellt. Zum anderen unternimmt man den Versuch, die englische Sprache selbst zu verändern, auf das Fremde hin auszurichten, zu bereichern: Chutnification ist hier ein Ausdruck dafür, dass bewusst von den gängigen Formen bei Vokabular, Stil, Grammatik und Aussprache abgewichen wird, um die jeweilige Eigenständigkeit der mannigfaltigen kulturellen Kontexte und geografischen Ört- <?page no="164"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 150 lichkeiten herauszustreichen. Dies kann ebenfalls mit dem Einfügen von Ausdrücken geschehen, die nicht aus europäischen Kulturen stammen. Das Englische erscheint dabei als site of struggle, wie es sich beispielsweise prägnant in den Versen der so genannten dub poetry spiegelt. In Großbritannien wird dub poetry besonders von Künstlern mit karibischen Wurzeln gepflegt. In diesen rhythmisch im performativen Akt vorgetragenen Gedichten thematisieren sie dabei häufig die Spannung zwischen proper English und den einst als substandard bezeichneten sprachlichen Varianten wie dem Patois, dem Englisch der karibischen Einwanderer. Dies geschieht etwa in folgendem Gedicht von John Agard (1985: 44) mit dem Titel „Listen Mr Oxford Don“. Es stellt die sonst gängigen Hierarchien von ‚reinem‘ Hochenglisch gegenüber dem Patois der jamaikanischen Einwanderer in Großbritannien in Frage: […] I ent have no gun I ent have no knife but mugging de Queen’s English is the story of my life I don’t need no axe to split / up yu syntax I dont need no hammer to mash / up yu grammar Dem accuse me of assault on the Oxford dictionary imagine a concise peaceful man like me dem want me to serve time for inciting ryme to riot but I tekking it quiet down here in Clapham Common I'm not a violent man Mr Oxford don I only armed wit mih human breath but human breath is a dangerous weapon […] Hier wird deutlich die Thematik des Sprachimperialismus angesprochen, der sich der Sprecher in seiner offensiven Auseinandersetzung mit der englischen Sprache und Kultur stellt. Dass Vorstellungen von korrekter Sprache und die Ausbreitung des Englischen allgemein stark politische Dimensionen haben, kann anhand von zwei Zeilen aus einem Gedicht der karibisch-kanadischen Autorin M. Nourbese Philip (1993: 32) aufgezeigt werden. Diese sind emblematisch für politische Aussagen gegen englischen Monolingualismus, verdeutlichen sich in ihnen doch Verbindungen von Sprache, Gewalt und Verzweiflung: english is a foreign anguish Über den Versuch der Anverwandlung oder der chutnification gehen neuere Positionen hinaus. Vermehrt drückt sich Stolz über die eigene linguistische Kreativität aus, die mit stärkerer Vitalität, Lebenszugewandtheit und Lebensfreude verbunden wird. In einer Umkehrung des Robinson-Friday-Motifs verdeutlicht so der aus der Karibik stammende Londoner Poet Benjamin Zephaniah seinen weißen Lesern, dass <?page no="165"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 151 die englische Standardsprache, in der man ihn instruierte, kalt, steril und leblos wirkt. Erst der eigene Gebrauch des Englischen verleiht diesem Rhythmus, Leben und Dynamik. Der Titel des Gedichtes lautet „Speak” (Zephaniah 1992: 18): Yu teach me Air Pilots language De language of American Presidents Of a green unpleasant land. It is Authorized Approved Recycled At your service. I speak widda bloody tongue, Wid Nubian tones Fe me riddims Wid built in vibes. Yu dance. Hybridisierung und Global English Auf höchst pragmatische Weise reagiert eine Reihe von Linguisten auf den Siegeszug des Englischen. Hier steht weniger eine Ablehnungshaltung gegenüber monolingualen Tendenzen im Vordergrund, vielmehr geht es darum, die gegenwärtige Hegemonialstellung des Englischen zu akzeptieren und sich entsprechend diesem Trend anzupassen. Verbunden ist dies allerdings mit einer wesentlichen Akzentverschiebung gegenüber traditionellen Normvorstellungen, welche den Gebrauch des Englischen in gängiger Weise mit den von native speakers gesetzten Standards bewerten. Deutlich formuliert Barbara Seidlhofer, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Wien, diese Position in folgender Bemerkung: „The very fact that English is an international language means that no nation can have custody over it.” (Seidlhofer 2001: 42) Nicht der native speaker besitze die autoritative Verfügungsgewalt über diese Sprache; sie sei ihm quasi bewusst zu entwinden. Dadurch erst könne das Englische als vielseitiges und situationsadäquates sprachliches Werkzeug in internationalen Kommunikationssituationen seine wirksamste Funktion zeigen. Artikuliert wird hierbei das, was man als lingua franca-Position definieren könnte: Das Englische wird zunehmend aus seinem angestammten Kulturraum und den von native speakers festgelegten Sprachnormen gelöst, damit es - zumindest theoretisch! - weitgehend linguistisch enthierarchisierte internationale Kommunikationsformen ermöglicht. Damit stellt sich die Grundfrage für die Sprachverwendung in der internationalisierten Welt: Sollte nicht generell vom Gebot der linguistischen ‚Reinheit‘ abgewichen werden? Die Überlegungen sind rein pragmatischer Natur: Da sowieso kaum ein non-native speaker absolut exakt das britische oder amerikanische Englisch beherrscht (bzw. eine andere Variante des Englischen) und sich im Zuge der Globalisierung die unterschiedlichen Formen des Englischen gegenseitig beeinflussen sowie das mobile Individuum sein Englisch aus verschiedenen sozialen und geografischen Varianten ständig neu zusammensetzt, hat sich eine Tendenz herausgebildet, offene Mischformen des Englischen zu akzeptieren. Der Akzent verschiebt sich von der <?page no="166"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 152 sprachlichen und grammatikalischen Korrektheit auf die kommunikative Pragmatik. Abgezielt wird auf ein so genanntes CNN-English, Euro-English oder Global English, womit das Konzept des lingua franca-Englisch in interkulturellen bzw. internationalen Kommunikationssituationen wie Geschäftstreffen, Vorstandssitzungen usw. seine adäquate Umsetzung erfährt. Starker Widerstand gegen diese Form des Englischen erhebt sich gerade in Großbritannien, wo man es verächtlich als Eurospeak abwertet, als „bad English perpetrated in Brussels“ (McArthur 2003: 58). Den Angegriffenen aus der internationalen Geschäftswelt selbst bedeutet linguistische Exaktheit wenig, schätzen sie die Beherrschung des Englischen doch eher rein erfolgsorientiert als karrierefördernde sprachliche Kompetenz. Entsprechend folgert die amerikanische Zeitschrift Business Week im Jahre 2001 in einem nüchternen Kommentar: „In Europe, speaking the lingua franca [i.e. English] separates the haves from the have-nots. […] English is becoming the binding agent of a continent.“ (Zit. in McArthur 2003: 58) Ähnliches gilt weltweit. Wer Karriere machen will und global kommunizieren möchte, benötigt gute Englischkenntnisse. Zugleich wandeln sich die Einstellungen gegenüber der Normativität des Standard American-British English (SABE) im Bereich von Aussprache, Grammatik und auch Semantik. Das Englische wird dabei auf kreative Weise in ständig sich verändernden Verbindungen mit verschiedenen Landessprachen verknüpft. Es entstehen ständig sich im Fluss befindliche, sich verselbständigende Mischformen wie Japlish, eine japanisch-englische Form, oder Hinglish, ein Mischung aus Hindi und Englisch. Regionale Gepflogenheiten treten hervor wie in einem südostasiatischen Werbeslogan für Domino’s Pizza, der „Hungry kya? “ (Hast du Hunger) fragt. Besonders im multikulturellen Umfeld entstehen so hybride Formen des Englischen, wie beispielsweise in Malaysia. Die Vermischung von Englisch und Malay nimmt dabei alltägliche Formen an, wie ein Ausschnitt aus einem Gespräch in einer TV-Seifenoper demonstriert (McArthur 2003: 57; ein längeres Beispiel findet sich bei Crystal 2003: 166f.): A : Thanks, Ita, for house-sitting for me. B: No problem. Apartment kau lebih cantik daparda apartment apu. Anyway, it’s all yours again. [“…Your apartment is much more beautiful than mine.”] Ein weiterer Aspekt des Global English im Vermittlungsbereich ist das Phänomen der Vereinfachung der englischen Sprache, wie es prominent der ehemalige Vizepräsident des Computerunternehmens IBM und geistige Vater des Globish-Konzeptes, Jean-Paul Nerrière, vorantreibt. Ähnlich wie der amerikanische Rundfunksender Voice of America bei seinen Auslandssendungen einfachere Grammatik und ein auf 1500 festgelegte Wörter reduziertes Vokabular verwendet, um in seinen Sendungen eine größere Zuhörerschaft zu erreichen, reduziert Globish konsequent den verwendeten Wortschatz auf die gleiche Anzahl von Wörtern (vgl. Ikonomu 2008: 49). Aus nephew wird so son of my brother/ sister, das kitchen gerät zum room in which you cook your food - pizza hingegen bleibt als häufig verwendete Vokabel erhalten (Cohen 2006: 4). Englisch wird hier als einfaches internationales Kommunikationswerkzeug unterrichtet, als „tool, practical, efficient, limited on purpose”, wie Nerrière formuliert (ibid.). Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen diese Vereinfachungen haben werden. Sie basieren, wie betont wird, auf der Erkenntnis, dass gerade unter Nicht- Muttersprachlern eine bestimmte Art von simplem Englisch gesprochen wird. Zugleich beruhen sie auf der Erfahrung, die mit der künstlich geschaffenen Sprache Esperanto verbunden sind: Dass Sprachvermittlung ohne Kultur problematisch ist. <?page no="167"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 153 Denn obwohl sich Esperanto seit dem ersten internationalen Kongress 1905 zeitweise stark entwickelte und sogar eine eigene Literatur und Wissenschaft ausbildete, ist diese Kunstsprache kaum noch von Bedeutung. Die Zahl seiner Sprecher ist sehr umstritten und reicht von 50.000 bis zu einigen Millionen (vgl. Maurer 2008: 87). Basierend auf Forschungen zum Thema Englisch als lingua franca hat Claus Gnutzmann (2000: 29) den ambivalenten Charakter der Globalisierung des Englischen in einer Tabelle zusammengefasst, die mit dem Gegensatzpaar liberation und trap operiert. Sie liefert einen nützlichen Überblick zum Thema: Liberation lingua franca Trap English as an International Language • articulation in English allows political expression • it contributes to a more ‘open society’ • economic action extended • freeing up societies, cf. Eastern European ‘opening’ to the world since 1989/ 1993 • educational opportunities • MBAs • university education abroad • personal growth • ‘empowerment’ • occupational choices broadened • Earthwatch • expanding of cultural potential and growth through the lingua franca medium • acquisition of explicit values additional to one’s own society/ culture possible • being compelled to buy into Anglo-Saxon imperial ideology • the ‘Washington consensus’ • ‘forced to communicate in a foreign language’ • ‘swimming in a raincoat’ • being locked into specific social practices • narrowing of choice • consumerism • McDonaldization • funnelled into a specific socio-cultural framework (neo-colonialist) • personal restriction • Baywatch • belittling of a person’s native language • Pacific Rim experience (indigenous languages ‘crowded out’, ‘killed’) • undermining indigenous native tongues and cultures through dissemination of implicit values Abb. 19: Globalisierung und Englisch: Vor- und Nachteile (Gnutzmann 2000) <?page no="168"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 154 Dem abwägenden Urteil Gnutzmanns (2000: 30) ist dabei zuzustimmen: „Sprecher und Sprachgemeinschaften werden die Rolle des Englischen unterschiedlich erfahren und danach beurteilen, ob ihnen durch die Verwendung des Englischen Vorteile oder Nachteile entstehen.“ Es bleibt allerdings die Frage, welche Veränderungen dem Englischunterricht aufgrund dieser Globalisierung des Englischen bevorstehen. Die Herausforderungen für die Sprachdidaktik sollen in diesem Zusammenhang im nächsten Abschnitt kurz erörtert werden. Lingua franca im Englischunterricht: ‚Anything goes‘? Mehr noch als das Einbeziehen der Länder des outer circle, also der postkolonialen Kulturen und ihrer Varianten des Englischen, stellt die Bedeutungszunahme des Englischen als lingua franca im expanding circle tradierte sprachliche Hierarchien und Autoritäten in Frage. Umstritten bleibt, wie der Englischunterricht in Deutschland darauf zu reagieren hat. Wie werden sich die im global village praktizierten Formen des englischen Sprachgebrauchs und die von Linguisten verkündeten Theorien zum Englischen als lingua franca auf den Unterricht auswirken? Betrachtet man den Ist- Zustand des Englischunterrichts in deutschsprachigen Ländern, so gilt dort nach wie vor die Orientierung an einer der beiden Kernvarianten des Englischen, wobei eine Bevorzugung des britischen Englisch nachwirkt. Im Klassenzimmer galt für Lehrer/ innen lange das theoretische Prinzip, konsequent eine dieser Varianten zu verwenden und Inkonsistenzen penibel zu vermeiden: entweder eine an der received pronunciation (bzw. dem B.B.C.-English) oder eine am Standard American orientierte Aussprache mit entsprechend konsistenter Orthografie, Lexik und Grammatik. Dazu gehören im Unterricht Hinweise auf wesentliche Abweichungen in der jeweils anderen Variante des Englischen, ohne dabei die Schüler/ innen zu sehr zu verwirren (was natürlich abhängig von der Kompetenz der Lehrkraft in diesem kontrastiven Bereich ist). Aufgeweicht wurde dieser Anspruch durch eine auch in den Zielländern inzwischen üblicher gewordene Akzeptanz regionaler Abweichungen bei der Sprache der Lehrkraft: Warum sollte also eine Lehrkraft, die ein Auslandsjahr im Nordwesten Englands verbrachte, den Unterricht nicht mit einem leichten Liverpudlian accent gestalten, oder - bei entsprechender US-Erfahrung im Studium - nicht auch mit einem moderaten Southern drawl kommunizieren? Voraussetzung ist allerdings, dass die Lernenden nicht mit einem zu stark eingefärbten Akzent verwirrt werden und genügend auditive Medien den Sprachunterricht ergänzen. Deutlich schwierigere Fragenkomplexe entstehen nun im Zeitalter des Global English: Es stellt sich zunächst die Frage, wie es mit anderen Varianten des Englischen im Schulunterricht steht. Erscheint australisches oder südafrikanisches Englisch in deutschsprachigen Bildungseinrichtungen akzeptabel? Werden Referendare/ innen, welche ihr Englisch in Ländern wie Neuseeland oder Kanada perfektionierten, auch weiterhin von ihren Ausbildern/ innen dazu aufgefordert werden, sich im Schnellverfahren eine britische oder amerikanische Aussprache für den Unterricht (wieder) anzueignen? Deutlich wird die Problematik linguistischer Theorien der Gleichwertigkeit aller Varianten des Englischen, wenn die Frage nach dem Gebrauch des indischen Englisch in deutschen Lernkontexten aufkommt. Immerhin befindet sich ein großer Teil der Sprecher des Englischen (L1- oder native-speaker proficiency) auf dem asiatischen Subkontinent. Persönliche Beobachtungen im universitären <?page no="169"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 155 Bereich haben gezeigt, dass es gerade unter deutschen Studierenden in Sprachkursen noch teilweise starke Vorbehalte gegenüber Lehrkräften des Englischen mit indischem Akzent gibt. Dies deckt sich mit empirischen Untersuchungen, beispielweise bei Timmis (2002), denen zufolge unter Lernenden eine deutlich formulierte Forderung nach sprachlicher ‚Reinheit‘ bei der Vermittlung von Sprache und Grammatik existiert. Gerade in schulischen Lehr-Lern-Kontexten herrschen noch stark traditionelle Vorstellungen zur Normhaftigkeit des britischen oder amerikanischen Englisch vor (zu ähnlichen Vorbehalten gegenüber Konzepten des Global English bei deutschen Lehrkräften vgl. auch Decke-Cornill 2008). Spitzen wir diese Problematik zu in Richtung Akzeptanz von Global English. Für den Fall der deutschen Variante, des Denglisch, hieße dies, um nur einige provokante Thesen zu formulieren, dass folgende Formen des Englischen bei Lexik und Grammatik, die typische deutsche Interferenzfehler darstellen, akzeptierbar sein sollten: I look forward to see you. I have seen her yesterday. Can I get any informations. Denn innerhalb interkultureller Kommunikationssituationen wären diese sprachlichen Schnitzer nicht kommunikationshemmend, sondern müssten als typisch deutsche Variante des Englischen akzeptierbar sein. Nicht akzeptabel wären hingegen andere Fehlerklassiker wie Soon goes it loose, da sie von anderen Sprachverwendern semantisch falsch decodiert werden. Es ist in den Publikationen der Angewandten Linguistik und des EFL teaching geradezu modisch geworden, native speaker-Normen zu hinterfragen und der Selbstermächtigung des non-native speaker offen Lippenbekenntnis zu liefern. In der Praxis sieht die Idee der Gleichheit aller Varietäten des Englischen wie auch die der linguistischen Freizügigkeit erheblich anders aus. Man muss allerdings nicht zur althergebrachten Ehrfurchtshaltung gegenüber den Mitgliedern des inner circle zurückkehren und damit zu einer Geisteshaltung, die von Demut und falsch verstandenem Autoritätsglauben zeugt. Dies spiegelte sich am Ende des 20. Jahrhunderts noch in der Aussage eines Linguisten wieder, der in Anspielung auf ein gelehrtes Zitat (Quod licet Jovi, non licet bovi) apodiktisch festhielt: “Every native speaker […] is a Jove compared to the FL learner.” (Nickel 1985: 149) Jedoch bedeutet eine stärkere Berücksichtigung der Sprecher des outer circle keinesfalls, den Blick auf die soziolinguistische Realität zu verlieren. Denn dort gilt nach wie vor: All languages are equal, but some languages are more equal than others. Dies bezieht sich auch auf die Varietäten des Englischen, ob sie nun nationaler, ethnischer oder regionaler Art sind. Sprache und Sprachbeherrschung hat viel mit Prestige zu tun, sie ist, um mit Bourdieu zu sprechen, linguistisches Kapital. „Die Vorstellung einer ‚Gleichheit’ oder ‚Gerechtigkeit’ aller Menschen vor der Sprache geht an der Ursituation vorbei; es gibt kein Leben ohne Kultur, keine tabula rasa.“ (Maurer 2008: 88) Wer die Gleichheit aller Varietäten des Englischen postuliert oder gar einem fehlerhaften Global English das Wort redet, verkennt auf eklatante Weise die Funktion von Sprache und Sprachbeherrschung als verbalkommunikatives Distinktionsmerkmal, als Instrument der Gruppenbildung und Identitätszuweisung. Wer fehlerhaftes Englisch propagiert, müsste gleichfalls fehlerhaftes Deutsch gut heißen. Dies bedeutete, den Lernenden die Fähigkeit zum differenzierten Denken, zum Herausbilden eines Sprachbewusstseins und schließlich sogar die Chancen zum beruflich-sozialen Weiterkommen zu versperren. So formuliert ein Artikel im Time-Magazin kurz und knapp eine Einstellung, die auch weiter- <?page no="170"?> Lernziel Fremdverstehen - Realität Dominanzstrukturen 156 hin Bestand hat: „Any application ending in ‘I look forward to hear from you‘ is very likely to end in the dustbin.“ (MacKenzie 2003: 61) Die Diskussion um intensivere Beachtung von postkolonialem und lingua franca- Englisch kann sich nicht dem Faktum entziehen, dass Sprachnormen nach wie vor von den native speakers festgelegt werden. Auch diese sind ja keinesfalls ein monolithischer Block, ohne Konturen, ohne unterschiedliche Präferenzen und Wertigkeiten. Auch hier gibt es ständig Veränderungen, wie das veränderte soziale Prestige der received pronunciation in Großbritannien aufzeigt, welches viel von seinem Nimbus gegenüber lokal leicht eingefärbtem Englisch oder dem so genannten Estuary English, einer Art Mittelschicht-Englisch der Metropole London, eingebüßt hat. Es spricht dabei einiges dafür, wie es sich in gegenwärtigen Lehrplänen auch ausdrückt, nach wie vor an einer moderaten Version des SABE festzuhalten. Dieses entbindet Lehrende nicht von der Aufgabe, ihre Schüler/ innen mit unterschiedlichen Registern, Soziolekten und geografischen Varianten des Englischen bekannt zu machen. Dass dies nur exemplarisch und nicht nach dem Gießkannenprinzip erfolgen kann, versteht sich aus Gründen der Unterrichtsökonomie und Repräsentativität von selbst. <?page no="171"?> 5. Interkulturelle Kompetenz 5.1 Sprachliche und interkulturelle Kompetenz Schwellenkompetenz Sprachbeherrschung In der Fremdsprachendidaktik herrschte eine Tendenz vor, den Begriff der ‚interkulturellen Kompetenz‘ mit dem wichtigen sprachlichen Zusatz ‚kommunikativ‘ zu ergänzen (vgl. Byram 1997: 71). Damit wird die Bedeutung der fremdsprachendidaktischen Tradition unterstrichen, die sich durch das seit den 1970er etablierte Paradigma der Ausrichtung auf alltagsrelevante Sprechakte und kommunikative Anlässe ausformte und nun um das Element des Kulturellen ergänzt und erweitert wird. Man kann hier also eine - wenn auch oft inkohärente und spannungsreiche - Zusammenführung zweier teilweise stark getrennter Didaktikrichtungen konstatieren. Einerseits der anwendungsbezogenen Sprachvermittlung, die ihre Impulse aus der Angewandten Linguistik, der Sprachpsychologie und der Spracherwerbsforschung erhält, anderseits der Landeskunde-, Kultur- und Literaturdidaktik, die ihre fachwissenschaftlichen Bezüge im Bereich der Kultur- und Literaturwissenschaft und deren Theorien, Modelle und Texten findet. Explizit verweist die Zielvorgabe ‚interkulturelle kommunikative Kompetenz‘ auf die anhaltende Bedeutung der sprachlich-kommunikativen Kompetenz und betont damit den hohen Stellenwert von Sprachvermittlung und -erwerb im Fremdsprachenunterricht. Darauf kann auch an dieser Stelle nur verstärkt hingewiesen werden. Interkulturelle Kommunikation kann zwar auch in der eigenen Sprache - z.B. auf Deutsch - stattfinden, wenn der andere oder die anderen Teilnehmer/ innen der Kommunikation diese beherrschen. Oder sie kann in einer anderen Fremdsprache als dem Englischen stattfinden, möglicherweise auch einer Sprache, die nicht die Muttersprache der Interaktanten ist - oder sogar in verschiedenen Sprachen. Dennoch gilt für den Fall des Englischunterrichts: Die Vermittlung kommunikativer Kompetenz bleibt, vor allem in der ersten Phase des Spracherwerbs, primäres Ziel des Unterrichts. Und auch in fortgeschrittenen Phasen des Fremdsprachenerwerbs kann die Vermittlung interkultureller Kompetenz nicht ohne nachhaltige Ausrichtung auf weiteren Kompetenzgewinn im sprachlichen Bereich geschehen. Dies ist insbesondere zu betonen, weil ein Großteil der gegenwärtigen Fachwie Ratgeberliteratur im Bereich der interkulturellen Kompetenz sprachliche Phänomene oftmals weitgehend ausblendet. Es wird häufig nicht genug beachtet, dass interkulturelle Kommunikation im Wesentlichen auch von dem (oftmals) unterschiedlichen Kompetenzgrad bei der Beherrschung des wesentlichen Kommunikationsinstruments, nämlich in unserem Fall der englischen Sprache, geprägt ist. Wenn hier somit die Bedeutung sprachlicher Kompetenzen betont wird, bedeutet dies nicht die Aufforderung, in der ersten Phase des Spracherwerbs zu einem ‚kulturlosen‘ Konzept der Vermittlung allgemeiner kommunikativer Fähigkeiten und Fertigkeiten zurückzukehren. Vielmehr ist bei der Vermittlung der basalen skills im <?page no="172"?> Interkulturelle Kompetenz 158 Bereich von Lexik, Grammatik, Aussprache und Sprachroutinen von Beginn an, also mit dem Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, die Entwicklung eines Bewusstseins für kulturelle Unterschiede, eine interkulturelle Achtsamkeit mit einzubeziehen. Sprachliche und kulturelle Wissensbestände sind, wie bereits mehrmals beschrieben, nicht getrennt: Im Anfangsbereich zeigt sich dies von den Gruß- und Anredeformen (you - Du/ Sie) bis zum beliebten Thema Weihnachten. Bei der täglichen Vokabelvermittlung wird dies vor allem im Fall von deutschen Lexemen deutlich, für die es keine Eins-zu-Eins-Beziehung mit dem englischen Äquivalent gibt. Bekannte Beispiele für kulturell unterschiedliche Semantisierungen sind dabei Uhr (clock vs. watch), Himmel (heaven vs. sky), Schatten (shade vs. shadow) oder See (lake vs. sea) und eine Vielzahl anderer Vokabeln des Alltags, die sich bei der Übersetzung ins Englische als sehr schwierig erweisen und die deutlich von anderen kulturellen Kategorien zeugen (vgl. Hansen 2000: 79, Knapp 2008: 114). Schon einfache Begriffe wie Natur, Umgebung oder Mensch bzw. Leute sind bekanntlich, je nach Kontext, mit unterschiedlichen englischen Ausdrücken zu übersetzen. Die Beachtung dieser interkulturellen Unterschiede ist als wichtiger Aspekt modernen Fremdsprachenunterrichts betont worden. Schwierigkeiten und Unterschiede bei der Semantisierung sind entsprechend zu beachten, zu thematisieren und als Anlass für Wortfelderschließungen und kognitive wie kontrastive Lernprozesse zu wählen (vgl. Luchtenberg 2001). Damit ist das lange vorherrschende Ideal des Natural Approach, also der Imitation des Erstsprachenerwerbs beim Fremdsprachenerwerb, wie es vor allem in der Tradition Stephen Krashens (vgl. z.B. Krashen 1981) zeitweise dominant wurde, um wichtige sprachreflexive und metakommunikative kognitive Aspekte (Gnutzmann 2000: 32) ergänzt und modifiziert worden. Diese machen besonders auf durch die Sprache und Kulturmuster des Lernenden verursachte Interferenzen aufmerksam (negative transfer). Es gilt dabei, Lernende hierfür zu sensibilisieren und Strategien der Vermeidung und Behebung zur Verfügung zu stellen. Wenn sich also die ‚interkulturelle kommunikative Kompetenz‘ als tragfähiges und plausibles fachdidaktisches Leitziel des Fremdsprachenunterrichts dauerhaft etablieren soll, dann gilt es, nicht von einem prioritären Lernziel abzuweichen: dem des Spracherwerbs. Dieser ist, wie etwa Franzjosef Schneider (2009: 87) eingehend betont, ein „äußerst langwieriger und beschwerlicher Prozeß, der ohne eine enorme, ausdauernde Lernbereitschaft und -fähigkeit im Sinne eines (auch) abstrakten Lernvermögens nicht oder nicht zufriedenstellend gelingt“. Wenn Schüler/ innen in Abhängigkeit von Schultyp und Jahrgangsstufe auf dem Niveau eines restringierten Sprachcodes verharren, werden sie nie ein sprachlich-kommunikatives „Schwellenniveau“ (Schneider 2009: 87, vgl. auch Kaußen, Renné 2006) erreichen, um in der Sprache der Zielkultur sinnvoll zu kommunizieren oder deren Texte zu verstehen. Wenn Lernende die Zielsprache nicht ausreichend beherrschen, können sie nicht adäquat kommunizieren. Sie werden auch entsprechende Lesetexte nicht oder nur unzureichend verstehen (vgl. auch Volkmann 2008c): Hier ist nicht nur generell mit Erschwerung, Verlangsamung und Entautomatisierung der Leseoperationen zu rechnen, sondern speziell mit Missverständnissen und Unverständnis aufgrund von Unterschieden zwischen den Sprachen (Wortsemantik, Syntax) bzw. von sprachlichen Wissensdefiziten der Leser. (Hühn 1995: 326) Welche Niveaustufe muss nun ein Fremdsprachenlerner erreicht haben, um kompetent am interkulturellen Diskurs teilhaben zu können? Sprachforscher gehen hier <?page no="173"?> Interkulturelle Kompetenz 159 von recht klaren Angaben im Bereich des Wortschatzes aus (der nach Meinung vieler für gelungene Kommunikation wichtiger ist als korrekte Beherrschung der Grammatik, die uns hier nicht beschäftigen soll; vgl. zu folgenden Ausführungen Schmitt 2000: 2ff., Schneider 2009: 151f, 246): Europäische Sprachen werden im Durchschnitt von ca. 500.000 Wörtern getragen, wobei die Zahlen für das Englische aufgrund seiner komplexen Sprachgeschichte in der Regel weitaus höher sind. Der rezeptive Wortschatz eines akademisch gebildeten Sprechers wird auf 30.000 bis 70.000 Wörter geschätzt. Für die alltägliche Kommunikation, so wird angenommen, sind 6.000 bis 8.000 Vokabeln ausreichend. Weiteren Schätzungen zufolge sind ca. 5.000 Lemmata als Minimum nötig, um unbekannte authentische Texte der Zielsprache Englisch zu verstehen (und 10.000 Basiswörter, um die Fachliteratur des ersten Universitätsjahres zu rezipieren). Allerdings erfassen die häufigsten 5.000 Vokabeln des Englischen ca. 95 Prozent der Wörter eines durchschnittlichen Zeitungsartikels oder Fachaufsatzes. Unterhalb dieser Schwelle scheint das Verständnis eines gegebenen Textes nicht möglich. Für den mündlichen Gebrauch wird davon ausgegangen, dass die Beherrschung der häufigsten 1.000 Wörter des Englischen ein Verständnis von 94 Prozent eines informellen Gesprächs ermöglicht. Insgesamt bewegen sich Schätzungen dazu, welchen Wortschatzkorpus Englischstudenten beherrschen sollten, um ihr Studium effektiv und effizient zu gestalten, zwischen etwa 4.500 und 8.000 Wörtern. Rahmenvorgaben für das Englischabitur gehen wiederum in der Regel von 4.000 Wörtern produktiv und 5.000 Wörtern rezeptiv aus, basierend auf der Annahme, dass pro Lernjahr zwischen 300 und 700 Vokabeln vermittelt werden. Vokabellernen ist ein äußerst komplizierter und langwieriger Prozess, beinhaltet es doch die Beherrschung von geschriebener und gesprochener Wortform, grammatischer Funktion, Register, Kollokationen, Ableitungen usw. Es hat sich gezeigt, dass deutsche Schüler/ innen bei weitem nicht die ihnen in Curricula und bildungspolitischen Vorgaben zugeschriebenen Vokabelkenntnisse und damit auch kommunikativen Fähigkeiten aufweisen (vgl. Schneider 2009). Die für ein adäquates Verständnis englischsprachiger Texte und damit für eine sprachlich nicht defizitäre und eingeschränkte Teilhabe an interkulturellen Diskursen notwendige Zielvorgabe der oben genannten ca. 5.000 Vokabeln wird häufig nicht erreicht. Eine Intensivierung der Wortschatzarbeit erscheint daher dringend notwendig und als prioritäres Ziel, das nicht hinter den Lernzielen der interkulturellen Kompetenz (siehe unten: knowledge, skills, attitudes) zurücktreten darf und noch weniger vor anderen wie denen der medialen literacy. Wenn Michael Byram (1997: 4) die Signifikanz sprachlichen Lernens damit begründet, dass wir erst bei entsprechenden sprachlichen Fähigkeiten dazu fähig sind, den Anderen als verschieden von uns zu verstehen, als nicht mit unseren kulturellen Konzepten komplett zu begreifendes Gegenüber, dann ist dem hinzuzufügen: Schon allein die Teilnahme an der interkulturellen Kommunikation hängt im Wesentlichen davon ab, dass eine adäquate Menge an Wortschatz zur Umsetzung kommunikativer Intentionen vorhanden ist. Die sprachlich-kommunikative Kompetenz ist also eine Schwellenkompetenz im Bereich interkulturelles Lernen; Forscher im Bereich der Angewandten Linguistik bezeichnen sie sogar als „Schlüsselqualifikation“ (vgl. Lenz 2009). Zu Recht ist betont worden, dass es gegenüber einseitigen Ausrichtungen der Kommunikativen Wende ein Verdienst des interkulturellen Ansatzes gewesen ist, „die Interdependenz von sprachlichem und kulturellem Lernen wieder stärker ins Blickfeld gerückt zu haben“ <?page no="174"?> Interkulturelle Kompetenz 160 (De Florio-Hansen 1994: 307). Das eigentliche Instrumentarium interkulturellen Handelns, die Sprache, sollte dabei jedoch nicht, wie so häufig geschehen, zur quantité négligeable schrumpfen. Entwicklung von Konzepten interkulturellen Lernens Ebenso beschreibt der Modebegriff der interkulturellen Kompetenz nicht etwas gänzlich Neues. Der moderne Fremdsprachenunterricht verstand sich nie als realitätsenthobenes und kulturfremdes Exerzitium im Bereich Grammatik, Vokabular und Übersetzung. Auch in den Phasen seiner Ausrichtung auf Grammatik und Übersetzung, Philologie, Landeskundewissen oder allgemeingültige Sprechakte gab es stets einen Bezug zu bestimmten, allerdings oftmals stark eingeschränkten und ausgewählten Aspekten der Zielkultur. Dennoch konnten sich - wie am Beispiel der Ablösung der Landeskunde durch kulturwissenschaftliche Positionen gezeigt (vgl. Kap 2.3) - erst mit den 1980er Jahren deutliche Verschiebungen hin zum Paradigma der Interkulturalität ergeben. Erst damit entstand ein semiotisches Verständnis von Kultur und Sprache, verbunden mit anderen Elementen wie Erweiterung der Perspektiven, Differenzdenken, Pluralisierung, Kontrastivierung, Pragmatik, Alltagsorientierung und Internationalisierung. Nähern wir uns dem Begriff ‚interkulturelle Kompetenz‘ über einige Definitionen: ‚Interkulturelle Kommunikation‘ lässt sich zunächst definieren als „die interpersonale Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen, die sich im Blick auf die ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und sprachlichen Formen symbolischen Handelns unterscheiden“ (Knapp, Knapp-Potthoff 1990: 66). Zum Tragen kommen dabei interpersonale, handlungs- und prozessorientierte Kommunikationsvorstellungen, welche die Interaktion von Individuen unterschiedlicher Kulturen als Begegnungsfeld teils überlappender, teils unterschiedlicher gruppenspezifischer Dispositionen, Denkmuster und Empfindungsweisen begreifen. Wichtig ist dabei, wie sie sich jeweils in unterschiedlichen Konventionen von Sprache und Handeln niederschlagen. Der Begriff Interkulturelle Kompetenz läßt sich demnach allgemein als Fähigkeit und Fertigkeit von Fremdsprachenlernern, ja überhaupt von Akteuren einer interkulturellen Begegnung begreifen, über Differenzen zwischen der eigenen und der Zielkultur zu wissen, diese in konkreten Situationen zu erkennen und Strategien zu entwickeln, einfühlsam auf die Gepflogenheiten der anderen Kultur einzugehen. Kurzum, es geht darum, Mißverständnissen vorzubeugen, eventuell auftretende Komplikationen zu glätten, überhaupt die Kommunikation reibungsloser zu gestalten. (Volkmann 2002: 12f.) Gegenwärtige Konzepte interkulturellen Lernens erwachsen aus einer dreifachen Tradition des angelsächsischen Raums: (1) Die ersten Traditionen einer interkulturellen Pädagogik oder Erziehung entstanden in den USA, in denen seit den 1960er Jahren erste curriculare Themenvorgaben, Module und Kurse zum interkulturellen Lernen entstanden (vgl. Seelye 1988, Tomalin, Stempleski 1994). Zielvorgabe war im Grunde das intrakulturelle Verständnis und Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft der USA. Es ging dabei um das Lernen von cultural awareness, also um die Einsicht in unterschiedliche Formen der Weltwahrnehmung und entsprechenden Handelns und Kommunizierens. Im Vordergrund steht hier das Anbahnen einer innergesellschaftlich höheren Akzeptanzbereitschaft und größeren Toleranz gegen- <?page no="175"?> Interkulturelle Kompetenz 161 über den Mitgliedern anderer communities. Mit dem Wandel des Leitkonzeptes melting pot zum offenen, multikulturellen und multiethnischen Bild des kulturellen Mosaiks veränderten sich dabei sukzessive die Inhalte und Vorgaben dieses Lernziels. Es drückt sich immer stärker als generelles Bildungsziel der Akzeptanz von diversity und entsprechend politisch korrektem Verhalten aus und ist aus Sicht seiner Kritiker nur im Ansatz verwirklicht (vgl. z.B. Seelye 1988). (2) Nahezu zeitgleich entwickelten sich im wirtschaftlichen Sektor, vor allem zunächst im Bereich multinationaler Konzerne, die ersten Forschungen zu nationalspezifischen Charakteristika, Dimensionen und Standards von Kulturen (Hall 1959, Hofstede 1991). Mit ihnen verbunden ist die Analyse- und Ratgeberliteratur für den Business-Bereich, aber auch zunehmend für den des internationalen Tourismus. Vor allem die Ratgeberliteratur, die als direkte Umsetzung sozialpsychologischer Studien zu gelten hat, bestimmt eine inzwischen kaum noch zu überblickende Publikationsflut im Bereich der ‚interkulturellen Kompetenz‘. Mit zunehmender Globalisierung und Internationalisierung steigt entsprechend die Zahl der Handbücher zu kultur- oder nationenspezifischen Normen und Regeln bei Verhalten und Kommunikation, gipfelnd in den typischen Hinweisen zur korrekten kulturellen Etikette in Do’s and Don’ts-Listen. (3) Im Bereich des Fremdsprachenlernens ist schließlich besonders eine fremdsprachenpolitische Debatte in englischsprachigen Publikationen der 1980er und 1990er Jahre wichtig, die Experten wie Claire Kramsch (1996) und Michael Byram (1989) vorantrugen. Es wurde hierbei versucht, dem in angelsächsischen Kulturkreisen weit verbreiteten Ruf des Fremdsprachenunterrichts als einer simplen und möglichst effektiv zu betreibenden reinen Sprachvermittlung entgegenzuwirken. Auch unter Rückgriff auf deutsche Konzepte der Landeskunde und des politischen Bildungsanspruchs im Fremdsprachenunterricht entstanden dabei Modelle einer integrativen Kulturdidaktik, die häufig explizit unter dem Terminus der Interkulturalität firmieren. Aufgegriffen wurden diese Ansätze in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik mit Beginn der 1990er Jahre. Auffällig ist dabei die rasante Verbreitung des Begriffs ‚interkulturelles Lernen’ in den Jahren 1990 bis 1992. Als einflussreich und nach wie vor grundlegend kann ein theoretisch-konzeptuell ausgerichteter Überblicksartikel von Karlfried Knapp und Annelie Knapp-Potthoff (1990) in dem Fachjournal Zeitschrift für Fremdsprachenforschung gelten. Eher praktisch ausgerichtet sind die Beiträge des Themenhefts „Intercultural Language Teaching“ der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Englisch (3/ 1992), in dem grundlegende Ausätze von namhaften Didaktiker/ innen wie Peter Doyé, Friederike Klippel, Liesel Hermes und Werner Hüllen abgedruckt sind. Zugleich wandte sich auch die Angewandte Linguistik dem Thema zu, wie ein Tagungsband aus dem Jahre 1990 belegt: Dessen Titel Interkulturelle Kommunikation verweist auf die im Buch geführte Diskussion über die Unterschiede kommunikativer Muster im interkulturellen Austausch. Die Spannbreite der Beiträge ist bereits exemplarisch für weitere Diskussionen: Es geht von konkreten Ausformungen interkultureller Differenzen beim Sprachkontakt bis zum abstrakten Modellieren des Dialogs zwischen den Kulturen. In der Tradition der Suche nach einem bildungspolitischen ‚Mehrwert‘ des Sprach- und Kulturunterrichts (vgl. Kap. 2.3) wird in den genannten Publikationen gefordert, der Sprachvermittlung und den landeskundlichen (oder jetzt besser: zielkulturellen) Inhalten erzieherische, soziale, politische und ethische Lernziele überzuordnen. Die Vermittlung interkultureller Kompetenz vermeide nicht allein <?page no="176"?> Interkulturelle Kompetenz 162 Missverständnisse im Alltag (Hüllen 1992: 9), sondern ziele insbesondere ab auf - so ein paar der gängigen Stichworte - interkulturelle Erziehung, tertiäre Sozialisation, politische Bildung, transnationale Kommunikationsfähigkeit; sie lehre Kommunikationsbereitschaft, Aufgeschlossenheit, Toleranz und sensibilisiere für andere Lebensformen. Damit dämme sie ethnozentrisches Verhalten ein und sei ein wesentlicher Beitrag zur Völkerverständigung. Inmitten der optimistischen Aufbruchstimmung angesichts der interkulturellen „Herausforderung“ (Pauels 1993) meldeten sich jedoch bereits die ersten skeptischen Bedenkenträger. So formulierte Inez De Florio-Hansen (1994) einen nach wie vor höchst aktuellen Fragenkatalog, in dem sie sich „Wider die ‚interkulturelle’ Euphorie“ wandte und davor warnte, den Ansatz des interkulturellen Lernens unreflektiert als Königsweg des Fremdsprachenunterrichts zu deklamieren. Auch Hans Hunfeld (1991), dessen inzwischen fast sprichwörtlich gewordener Ansatz bezüglich der ‚Normalität des Fremden‘ (Hunfeld 1991) dem interkulturellen Lernen eine wesentliche, gleichsam philosophisch-anthropologische Richtung gegeben hat, wies auf die Notwendigkeit wie auf die Schwierigkeiten des Erlangens von interkultureller Kompetenz hin, indem er betonte, dass die exzellente Beherrschung sprachlicher und kultureller Eigenheiten der Zielsprache bei Mitgliedern dieser Kultur als Zeichen unnatürlich scheinenden Assimilationswillens und Konturenverlusts auch auf Widerwillen und Ablehnung stoßen kann. Dennoch hat sich das interkulturelle Paradigma weiter ausgebreitet. Als wesentliche Impulse dabei wären zu nennen: Die weitere Pragmatisierung des Fremdsprachenlernens in dem Sinne, dass vor allem oral/ aural bestimmte Alltagsorientierung im Vordergrund steht; die Integration der bisherigen eher philologisch ausgerichteten Stereotypenforschung; dazu die starke Berücksichtigung der Pragmalinguistik, vor allem der kontrastiven Studien (vgl. House 1998) zu kommunikativen Unterschieden im Bereich von Höflichkeit, Small Talk, Konversationsroutinen und Humor zwischen Deutschland und dem angelsächsischen Kulturbereich; die teilweise Aufwertung der entphilologisierten Literatur- und Kulturdidaktik, die nun (literarische) Texte aufgrund ihres besonderen interkulturellen Lernpotenzials hervorhebt; schließlich die Verlagerung der Zielbereiche von den Kernländern zu den Randgebieten der anglophonen Kulturen bis hin zu transkulturellen Ansätzen, bei denen das Englische als lingua franca fungiert. Von der eher philosophisch-hermeneutischen Richtung des vor allem von Lothar Bredella und auch von Werner Delanoy vertretenen Gießener Ansatzes des ‚Fremdverstehens‘ (vgl. z.B. Bredella, Delanoy 1996, 1999) bis zu praxisbezogenen Methodikhinweisen zum adäquaten Kommunikationsverhalten durch die Beachtung entsprechender Höflichkeitsfloskeln (House 1998) hat die gegenwärtige interkulturelle Englischdidaktik die gesamte Skala des Gebiets abgedeckt. Als beispielhaft für Publikationen seit dem Jahr 2000 dürfen dabei zwei Handbücher gelten. Interkulturelle Kompetenz: Konzepte und Praxis des Unterrichts (Volkmann, Stierstorfer, Gehring 2002) bietet praxisnahe Hinweise zum Umsetzen des Lernziels im gesamten Bereich der schulischen und universitären Bildung, von der Grundschule bis zu kultur- und literaturwissenschaftlichen Seminaren, sowie zur Berufsschulausbildung und zu Exkursionen ins Ausland. Eine systematische Darstellung findet sich im Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz: Grundbegriffe - Theorien - Anwendungsfelder (Straub, Weidemann, Weidemann 2007). Die aus dem Bereich der Interkulturellen <?page no="177"?> Interkulturelle Kompetenz 163 Wirtschaftskommunikation stammenden Herausgeber berücksichtigen dabei die weit verzweigte interdisziplinäre Auffächerung ihres Gegenstandes. Dies bezieht sich auf inzwischen wichtige Bereiche wie die Kultursoziologie, die interkulturelle Pädagogik und Konversationsanalyse, aber auch auf Themen wie Gender, Migration und Integration, multinationale Teams und Marketing; es setzt sich schließlich fort über verschiedene Formen des Coaching und Consulting bis hin zur Beschreibung interkulturell ausgerichteter Studiengänge. Damit zeigt sich auch, dass der Diskurs des Interkulturellen geradezu zum Passepartout-Begriff jeglicher Form von Begegnung mit dem ‚Fremden‘ geworden ist. Es erscheint daher nötig, dass an dieser Stelle eine Konzentration auf wesentliche Aspekte interkulturellen Lernens erfolgt. Wesentliche Themengebiete des interkulturellen Lernens Die wesentlichen interkulturellen Lernziele haben sich seit den frühen Diskussionen der 1970er Jahre in den USA nicht geändert: Es geht darum, ein Bewusstsein für kulturelle Unterschiede zu erlangen und entsprechend das eigene Denken und Handeln darauf einzustellen. Hierzu gehört die Akzeptanz von Differenz, Pluralität und Ambiguität, letztlich also die Fähigkeit zur Dezentrierung egozentrischer bzw. ethnozentrischer Perspektiven. Kernkategorien sind hierbei die Fähigkeit zu Toleranz und Empathie. Nach Seelye (1988) und Tomalin, Stempleski (1994: 7f.) lassen sich sieben Lernziele des interkulturellen Lernens definieren: Die Lernenden entwickeln ein Bewusstsein dafür, dass alle Menschen von kulturell unterschiedlichen Verhaltens- und Denkmustern geprägt sind. Sie entwickeln ein Verständnis dafür, dass sozial variable Faktoren wie Alter, Geschlecht, soziale Schicht und Umgebung das Verhalten und Denken der Menschen beeinflussen. Sie entwickeln ein größeres Bewusstsein für konventionalisiertes und situationsadäquates Verhalten in der Zielkultur. Sie werden sensibilisiert für kulturspezifische Konnotationen von Vokabeln und Ausdrücken. Sie entwickeln die Fähigkeit, Generalisierungen (Stereotype, Klischees, Vorurteile) über die Zielkultur zu bewerten und einzuordnen; ebenso erfahren sie über fremdkulturelle Einschätzungen der eigenen Kultur und über Strategien, wie diese im Begegnungsprozess zu berücksichtigen sind. Der Unterricht regt zur weiteren eigenständigen Erschließung fremdkultureller Codes im Sinne eines lebenslangen Lernprozesses an und weckt in den Schülern/ innen entsprechende Neugierde. Dabei zielt er auf Empathie und Respekt für die unterschiedlichen Verhaltensformen und Werte in fremden Kulturen ab. Es haben sich im interkulturellen Diskurs eine Reihe von wichtigen und teilweise kontrovers diskutierten Themengebieten herauskristallisiert. Sie sollen knapp in Form von Fragestellungen aufgelistet werden. Einige dieser Fragestellungen wurden in den vorherigen Kapiteln bereits eingehend erörtert, auf andere ist im Rahmen dieser Überlegungen zur interkulturellen Kompetenz weiter einzugehen: Wie ist die Bedeutung landeskundlichen Wissens zu verstehen? Ist es als wichtiges Basiswissen für weiterführende Kompetenzen wie Reflexions- und Kritikfähigkeit zu begreifen? <?page no="178"?> Interkulturelle Kompetenz 164 Orientiert sich der Englischunterricht bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz auch weiterhin an den Usancen in bestimmten Zielkulturen oder wandelt er sich zur Vermittlung global anwendbarer kommunikativer Routinen und soft skills? Versteht sich der Unterricht als Vermittlungsinstanz für ein allseitig interkulturell applizierbares Repertoire an adäquaten Verhaltensweisen und Kommunikationsroutinen oder beachtet er weiterhin seinen bildungspolitischen Auftrag und formuliert ethische Lernziele (Empathie, Toleranz usw.)? Vermittelt der Unterricht eher leicht umsetzbare Handlungsanweisungen im Bereich kultureller Tabus bzw. kulturell wünschenswerten Verhaltens? Oder wählt er die Themengebiete der global issues als Voraussetzung eines ethisch orientierten Fremdsprachenlernens? Wie integriert er die im interkulturellen Lernen so beliebten Vorstellungen von spezifischen Kulturstandards, ohne die ihnen inhärente Gefahr der Stereotypenbildung zu unterstützen? Welche Rolle spielt das in Theorien des Fremdverstehens favorisierte Thema des Perspektivenwechsels und der Perspektivenübernahme? Ist dies ein adäquates Lernziel und wie lässt es sich fördern? Welche Rolle werden in Zukunft die sprachlich-kommunikativen Elemente des interkulturellen Lernens einnehmen (Sprachroutinen, Höflichkeit, Small Talk, Humor)? Wie ist das gegenwärtige Modethema der nonverbalen Kommunikation zu beachten? Welche Rolle beim interkulturellen Lernen spielen Fallbeispiele, so genannte critical incidents, und wie können sie methodisch am besten eingesetzt werden? Welche Rolle spielen Rituale und feste Gewohnheiten bei anderen Kulturen und wie können sie passend im Unterricht vermittelt werden? Welche Rolle kommt dem bisher häufig vernachlässigten Aspekt ‚Gender‘ in der interkulturellen Begegnung zu und wie lässt er sich stärker in Lernszenarien integrieren? Wenn interkulturelles Lernen ein lebenslanger Prozess ist, sollte auch sein Beginn früher einsetzen? Welche nachahmens- oder bedenkenswerten Prinzipien zeigt die Grundschuldidaktik hier? Was sind schließlich die Grenzen des interkulturellen Verstehens, die Grenzen von Toleranz und Akzeptanz kulturspezifischer Phänomene? Wie thematisieren wir sie und gehen damit um? Gibt es so etwas wie Tiefenstrukturen einer Kultur, die uns den Schlüssel zum Verstehen des Verhaltens ihrer Mitglieder liefern? Und wenn ja, wie vermeiden wir es, dabei in stereotypes Denken abzugleiten? Wie ist der ansteigende Bedarf an Modellen für interkulturelle Lernziele zu bewerten? Welche Modelle gibt es und was sagen sie aus zur Operationalisierung und Evaluierung der definierten Lernziele? <?page no="179"?> Interkulturelle Kompetenz 165 SKILLS of discovery and interaction KNOWLEDGE of social groups and their products and practices SKILLS of interpreting and relating ATTITUDES curiosity and openness, readiness to suspend disbelief Educational context: critical cultural awareness / political education 5.2 Evaluation interkulturellen Lernens nach Kompetenzfeldern Zwei Modelle interkultureller Kompetenz Es wundert angesichts des Gesamteuropäischen Referenzrahmens für Fremdsprachen (CEF), den kultusministeriellen Standardisierungsvorgaben und der allseits vorangetriebenen Output-Orientierung nicht, dass die Messbarkeit interkultureller Kompetenz - analog zur Messbarkeit von Vokabel- und Grammatikwissen - inzwischen vielfach diskutiert wird. Vorschläge zur Bildung von an den CEF angelehnten Kompetenzrastern mitsamt Deskriptoren stehen bereits im Raum (Bergfelder 2007, kritisch hierzu Bredella, Hallet 2007, Hu, Byram 2009). Dabei bieten sich zwei Parameter zu interkulturellem Lernen beispielhaft als Ausgang an. Beide stammen aus dem angelsächsischen Bereich und applizieren dort gängige Kategorien der Lernzielbeschreibung auf den Bereich interkulturelle Kompetenz. Das erste hier zu nennende Modell, welches Michael Byram entwickelte, hat den Vorteil, stärker operationalisierbar, deutlich ausdifferenzierend und direkt auf Lernziele ausgerichtet zu sein. Byram unterscheidet hierbei - neben einer bildungspolitischen Dimension - drei zwar miteinander verbundene, aber doch teilweise separat zu beschreibende Lernzielbereiche: knowledge, skills und attitudes. Wissen ist dabei primär im Bereich der kognitiven Dimension angeordnet, skills dagegen in sämtlichen Bereichen verortet (soft skills oder emotionale Intelligenz also im affektiven Bereich) und attitudes vor allem im affektiven Bereich. Abb. 20: Interkulturelle Kompetenz, definiert nach Lernzielen (Byram 1997: 49-55, vgl. Doff, Klippel 2007: 120) <?page no="180"?> Interkulturelle Kompetenz 166 affektive Dimension (1) Das Byramsche Modell soll weiter unten eingehender erörtert werden. Ergänzend sei zunächst auf ein in verschiedenen Publikationen (vgl. u.a. Antor 2002, 2007, Knapp 2008: 10) präferiertes, als ‚handlungsorientiert‘ bezeichnetes Modell eingegangen. Dieses Modell begreift interkulturelles Lernen als den Erwerb einer komplexen Kompetenz, die sich aus drei miteinander verknüpften Teilbereichen ergibt: einer kognitiven, einer affektiven und einer pragmatischen (handlungsbezogenen) Dimension. Aus diesem Grund wird es auch das ‚handlungsorientierte Modell‘ genannt. Abb. 21: Interkulturelle Kompetenz als ‚handlungsbezogene Kompetenz‘ (1) Bei der kognitiven Ebene dieses Modells geht es wie bei Byrams Modell um die Aneignung von Wissensbeständen der Zielkultur(en), wie diese für die Befähigung zu adäquater Kommunikation oder auch zum Verstehen literarischer oder medialer Texte nötig sind. Dieses beinhaltet traditionell landes- und kulturkundliches Wissen über Fakten (facts & figures) der Fremdkultur, welches allerdings nicht rein auf touristische Inhalte und Kenntnisse über das politische, wirtschaftliche, soziale usw. System der Zielkultur beschränkt sein sollte. Neben der Alltagskultur, unterschiedlichen Sub- und Alternativkulturen usw. sollte auch das Selbstverständnis des Anderen, also dessen Selbstkonstruktion nationaler Identität ein wesentlicher Bestandteil dieses Wissenskomplexes sein. Zudem gilt es auf universitärer Ebene, theoretische Kenntnisse über den Umgang mit Phänomenen der Alteritätszuweisung, über die Existenz unausgesprochener und dennoch prägender tacit assumptions, über Stereotypenbildung und die Konstruktion nationaler und anderer Identitäten (im Sinne der race, class & gender studies) zu erlangen. Wie bei Byram ließen sich Fragestellung entwickeln, welche zielkulturellen Wissensbestände zum Verständnis bestimmter Kommunikationssituationen oder bestimmter Texte zu vermitteln sind. (2) Zu dieser kognitiven Ebene kommt die affektive Dimension hinzu (bei Byram im Bereich der attitudes angesiedelt), die als letztlich nur konkret in der gelebten Begegnung manifest werdende tolerante oder wertschätzende Haltung gegenüber dem Fremden und der Fremderfahrung zu beschreiben wäre. Es gilt hierbei, in der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Texten „jene affektive Disposition zu schaffen, die die reflexartige Ablehnung des vom Eigenen Differenten und des daher oft als Bedrohung empfundenen Anderen verhindert und statt dessen den Grund für jene Offenheit und Toleranzbereitschaft legt, welche den fruchtbaren Dialog interkultureller Kommunikation erst ermöglicht“ (Antor 2002: 143f.). Dass die Förderung von Toleranz, Empathie, Solidarität und ähnlichen identifikatorischen Momenten mit dem Anderen nicht allein auf kognitiven Einsichten beruht, erscheint kognitive Dimension pragmatische Dimension (2) (3) <?page no="181"?> Interkulturelle Kompetenz 167 evident. Gerade in diesem Zusammenhang wird die Funktion fiktionaler Texte und Filme betont, welche durch alternative, gleichsam virtuelle Weltentwürfe und zahlreiche identifikatorische Stimuli die für das Herausbilden affektiver Elemente so wesentlichen Angebote zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenübernahme zur Verfügung stellen. „[P]articipation in these secondary worlds may help readers develop empathy with and solidarity for the characters portrayed. Thus, such an aesthetic response also has a strong ethical dimension.“ (Delanoy 2005: 57) (3) Kognitive wie affektive Dimensionen erscheinen mithin als Voraussetzung für die pragmatische Dimension, die Umsetzung von skills, zu denen zudem fremdsprachliche Kompetenzen zählen, sowie - allgemeiner - die Beherrschung kommunikativer Kompetenzen bzw. von Verhandlungs- oder Aushandlungskompetenzen. Da interkulturelles Handeln ein offener Prozess ist, der stets Unwägbarkeiten, Verwerfungen und Brüche aufweist, also ein unabgeschlossenes Projekt darstellt, gehört hierzu auch, wie Heinz Antor (2002: 147) vermerkt, ein „gehöriges Maß an Augenmaß und Bescheidenheit“. Angesprochen ist hier die Befähigung, den eigenen Standpunkt zu entabsolutieren und die Begrenztheit des eigenen kulturellen Sinnhorizontes zu akzeptieren - Fremdverstehen beinhaltet somit stets ein hohes Maß an Fähigkeit zum Selbstverstehen. Bei der Auseinandersetzung mit fremdkulturellen Texten beinhaltet dies, im Sinne eines hermeneutischen Ansatzes nach Gadamer (vgl. Delanoy 2005), das komplexe Wechselspiel zwischen Horizontannäherung, Horizontüberlappung und Horizonterweiterung auszuloten, welches in der Interaktion zwischen Leserhorizont und Texthorizont dynamische Verbindungen entstehen lässt (vgl. auch Bredella 1996). Es kann hier weder um komplette Assimilation des fremdkulturellen Sinnhorizonts in die eigene Erfahrungswelt gehen noch um die Akkommodation des Eigenen an die Sinnwelt des Anderen, sondern um ein Erkunden der entstehenden kulturellen Differenzstrukturen (vgl. Antor 1995). Zur Mess- und Beschreibbarkeit interkultureller Kompetenz Folgende Ausführungen konzentrieren sich auf die gegenwärtig viel diskutierte Frage, ob und wie interkulturelle Kompetenz beschreib- und somit messbar ist. Dabei wollen wir das oftmals zitierte und einflussreiche Modell Byrams (am ausführlichsten dargelegt in Byram 1997) den Überlegungen zugrundelegen. Byram (1997: 73) selbst bettet die interkulturelle Kompetenz in ein Beziehungsgeflecht zu den bei Canale und Swaine (1980) formulierten Aspekten kommunikativer Kompetenz ein (Linguistik als Sprachbeherrschung, Soziolinguistik und Diskurskompetenz). Ebenso wie der im Schaubild oben integrierte Aspekt einer ‚übergeordneten‘ bildungspolitischen Dimension der interkulturellen Kompetenz sollen diese Teilaspekte der Anschaulichkeit und Einfachheit halber hier nicht berücksichtigt werden. Der Fokus liegt auf den drei Kernbereichen knowledge (Wissen), skills (Fähigkeiten und Fertigkeiten, operationalisierbares und in [Sprach-] Handlung umsetzbares Wissen), sowie attitudes (kognitive wie emotionale Dispositionen). Gegenüber ähnlichen Lernzielmodellen in Deutschland - beispielsweise der Unterteilung von Wissensverarbeitung in Reorganisation, Reproduktion, Transfer und problemlösendes Denken - hat das Byramsche Modell den Vorteil, dass es die im interkulturellen Bereich essenziellen Dimensionen von Lebens- und Alltagsbezug, Handlungsorientierung und Emotionalität mit einbezieht. <?page no="182"?> Interkulturelle Kompetenz 168 Anhand von zwei höchst unterschiedlichen Beispielen seien Möglichkeiten wie Grenzen dieses Bewertungsmodells aufgezeigt. Es wurden hier bewusst zwei verschiedene Textsorten gewählt: Im ersten Fall handelt es sich um einen authentisch wirkenden Austausch zwischen einem Amerikaner und einem Asiaten, es geht um eine Gesprächseröffnung mit dem gegenseitigen Vorstellen der Namen. Der Text stellt ein typisches Modell einer interkulturellen Kommunikationssituation dar; er ist ein so genannter critical incident, in dem kulturell differente Weltmodelle und Kommunikationsmuster aufeinander treffen. Das zweite hier gewählte Beispiel ist ein Gedicht, in dem der Angehörige einer Minderheitenkultur in den USA Einblicke in intrakulturelle Konfliktpotenziale seines Landes gewährt, wobei er seine Position prägnant und lyrisch verdichtet formuliert. Betrachten wir zunächst folgenden ‚Musterdialog‘ (Wilson 2002: 31): A: Hello, my name is Mr Chu. B: My name is John Wilson, you may call me John or Mr Wilson. A: I will call you Mr Wilson. B: Thank you Mr Chu. Die hier vermittelbaren, beschreibbaren und messbaren interkulturellen Kompetenzen hängen natürlich davon ab, wie eingehend derartige oder ähnliche Textpassagen behandelt werden. Zugleich kommt zum Tragen, wie und ob Hintergrundwissen zu amerikanischen und asiatischen Gepflogenheiten der Begrüßung und der Einführung von Vor- und Nachnamen bzw. den dahinter stehenden Konzepten von Individualität, Autorität usw. erarbeitet wird. Ebenso sind Faktoren wie Länge und Tiefe der Behandlung sowie Methodik wesentlich (vom reinen Lesen über eine pragmalinguistische Analyse bis zum kurzen Inszenieren usw.). Die folgende Auflistung der zu erwerbenden bzw. erworbenen Kompetenzen beinhaltet eine Reihe von sicherlich idealisierten Lernzielen: Knowledge: Die Lernenden wissen.... dass unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Formen des Gebrauchs von Vorund/ oder Nachnamen bei Begrüßung und weiterer Verwendung einsetzen; dass es somit unterschiedliche Konzepte von sozialer Nähe und Distanz gibt; dass diese in verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt sind (‚kulturelle Dimensionen‘; hier USA vs. Asien); dass es in entsprechenden kommunikativen Situationen wichtig ist, adäquat zu handeln (hier: Optionen lassen, indirekte Hinweise erkennen). Skills: Die Lernenden können…. erkennen, dass es in interkulturellen Begegnungen adäquates und weniger adäquates Verhalten gibt; bei Begrüßungen und beim ‚Aushandeln‘ der Namensnennung entsprechende kommunikative Routinen anwenden; sensibel auf ähnliche Situationen reagieren, in denen kulturelle Differenzen eine Rolle spielen. Attitudes: Die Lernenden sind.... sensibilisiert worden für interkulturelle Problemsituationen; daran interessiert, sich adäquat zu verhalten; <?page no="183"?> Interkulturelle Kompetenz 169 bereit, sich bezüglich kultureller Differenzen weiterzubilden und Toleranz und Empathie zu entwickeln. Deutlich wird bei dieser sicherlich unvollständigen Auflistung möglicher Lernziele, wie zwar die Bereiche knowledge und skills durchaus im Sinne der Überprüfbarkeit operationalisierbar sind und dies sogar in Multiple-choice-Tests zu ähnlichen Situationen des Kulturkontakts evaluierbar wäre. Der Bereich der attitudes jedoch bleibt relativ vage und bedarf hier vor allem der Konkretisierung in realen Situationen, die sich möglicherweise zeitlich erst sehr viel später und in völlig anderem Kontext ergeben. Die Problematik der Überprüfbarkeit und Messbarkeit von attitudes wird noch offenkundiger im zweiten Beispiel, einem der ‚Klassiker‘ des amerikanischen Landeskunde- und Literaturunterrichts. Es handelt sich um das Gedicht „I, too, sing America“ des 1902 in Joplin (Missouri) geborenen afroamerikanischen Dichters Langston Hughes. Es wurde 1945 verfasst (Hughes 1974: 275): I, too, sing America. I am the darker brother. They send me to eat in the kitchen When company comes, But I laugh, And eat well, And grow strong. Tomorrow, I’ll be at the table When company comes. Nobody’ll dare Say to me, ‘Eat in the kitchen,’ Then. Besides, They’ll see how beautiful I am And be ashamed— I, too, am America. Erneut in Abhängigkeit von Länge der Behandlung, Methodik und kontextueller Verortung des Lyriktextes können folgende interkulturellen Lernziele formuliert werden: Knowledge: Die Lernenden wissen.... dass ein bedeutender afroamerikanischer Poet zur Zeit der Harlem Renaissance ein weit rezipiertes Gedicht über das Selbstverständnis des ‚Schwarzen Amerika‘ geschrieben hat; dass es dabei um die Forderung zur Teilhabe am amerikanischen Gesellschaftskonzept geht, mit zahlreichen Verweisen auf amerikanische Kultureme bzw. Ideologeme (American Dream, Egalitarismus, Demokratie usw.) und entsprechenden intertextuellen Referenzen (Declaration of Independence, Walt Whitmans Gedicht „I Hear America Singing“ usw.); dass es sich dabei um eine Form des Ausdrucks ‚schwarzen Selbstbewusstseins‘ handelt (Black is beautiful) und dass weißes Verhalten und weiße Versprechungen hier kritisiert werden. <?page no="184"?> Interkulturelle Kompetenz 170 Skills: Die Lernenden können.... Einsichten gewinnen in die genannten wichtigen Kultureme der Zielkultur, die auch auf andere Texte und Situationen übertragbar sind; die Aussage des Sprechers als berechtigte Kritik und Forderung erkennen und z.B. historische Verbindungslinien ziehen (z.B. zu Themenbereichen wie melting pot, cultural mosaic, aber auch zur ‚Erfolgsgeschichte‘ des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA, Barack Obama). Attitudes: Die Lernenden sind.... sich der Probleme wie Chancen multikultureller und multiethnischer Gesellschaften bewusst; offener gegenüber den Forderungen von Minderheiten; usw. Erneut wird klar: Während knowledge und skills hier etwa bei der Analyse eines anderen Textes mit ähnlicher Thematik eine Aktivierung der erkannten Kultureme und entsprechende Leistungen bei Transfer und Anwendung angeeigneter Wissensbestände ermöglicht, sind die attitudes - die ja immer erst außerhalb des Lernkontextes richtig zum Tragen kommen - erneut vor allem in ihrer Nachhaltigkeit nicht überprüfbar. Michael Byram hat die Problematik der Operationalisierbarkeit interkultureller Kompetenz selbst beschrieben. In einem Bild verdeutlicht er, dass basale Kenntnisse und skills zwar im Sinne einer Lernprogression modellierbar erscheinen, komplexeres Lernen im Bereich interkulturelle Kompetenz aber eher dem sukzessiven Zusammenstellen eines Sinnpuzzles gleicht: At later stages, the image of climbing a ladder can be replaced by the metaphor of completing a jigsaw puzzle, where the early stages have provided the edges and corners and at the later stages learners, sometimes with the help of teachers, gradually complete elements of the whole picture without necessarily making connections among them until the picture is complete. (Byram 1997: 75) Dieser Lernprozess wird zusätzlich dadurch erschwert, dass es sich - um im Bild zu bleiben - um ein Kulturpuzzle handelt, dessen Konturen sich ständig verändern und dessen Ersteller nicht unbedingt sukzessiv bessere Fähigkeiten beim Lösen des Puzzles erlangt, dass überhaupt der Prozess des Puzzlelösens niemals abgeschlossen ist. Gerade der Bereich der affektiven Lernziele, der attitudes, erweist sich als nicht operationalisierbar und messbar. Byram stellt selbst die entscheidende Frage, die nicht ausreichend beantwortet werden kann: „What evidence is there, then, that teachers can in fact influence attitudes? ” (Byram, Morgan 1994: 32) Die Antwort lautet: Es gibt keinen überzeugenden Beleg dafür, dass Einstellungen durch die Fokussierung auf interkulturelles Lernen nachhaltig geändert werden können. Dies begründet sich aus folgendem Faktorenbündel: (1) Affektive Dispositionen sind, wie Byram und Morgan (1994: 31) am Beispiel der nationalen Stereotype verdeutlichen, tief verwurzelt in unterschiedlichen Bereichen von Gesellschaft, Familie, medialem und realem Umfeld und der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur. (2) Auch deshalb erscheint der Gedanke einer monokausalen Beeinflussung durch die Lernsituation geradezu vermessen, denn Fernsehen und Internet prägen die Einstellungen im Bereich von Interkulturalität viel eingehender, als dies der Unterricht je tun kann (der wiederum aber auch nicht diesen Medien die Funktion als einzige Lerninstanz <?page no="185"?> Interkulturelle Kompetenz 171 überlassen sollte). (3) Zum multifaktoriellen Einfluss gehört insbesondere die Veränderbarkeit von kurzfristig angeeigneten oder demonstrierten attitudinalen Dispositionen in Abhängigkeit von Raum und Zeit. Andere Kontexte rufen andere Reaktionen hervor. Konkret formuliert: Wer sich im Klassenzimmer zu Werten wie Solidarität, Empathie und kultureller Sensibilität bekennt, wird diese nicht notwendigerweise im wirklichen Leben zur gelebten Maxime seines Handelns erheben bzw. schon gar nicht notwendigerweise sein Verhalten danach ausrichten. (4) Schließlich ist bekannt, dass Texte, die Empathie und Identifikation auslösen sollen, genau das Gegenteil bewirken können. Diese kontraproduktiven Effekte sind Teil eines Phänomens, welches von Philosophen, Psychologen, Pädagogen und Soziologen hinlänglich diskutiert und unter dem Begriff der ‚nichtantizipierten Folgen intentionaler Handlungen‘ bereits vor geraumer Zeit (Merton 1936) beschrieben wurde: anstatt dass wohlgemeinte und auf Verbesserung ausgerichtete, zielgerichtete Handlungen entsprechende Resultate erlangen, erreichen sie bisweilen genau das Gegenteil. Diese Gefahr besteht sicherlich vor allem dann, wenn affektive Dispositionen manipuliert werden sollen, und noch mehr, wenn diese in Bewertungsrastern abgebildet und entsprechend quasi in der Manier einer ‚Gesinnungsschnüffelei‘ überprüft werden sollen. Der gegenwärtigen Kompetenzraster-Manie sind also für den Bereich des interkulturellen Lernens unbedingt deutliche Grenzen zu setzen! 5.3 Interkulturelle Lernziele Lernziel Multiperspektivität Der Komplex der ‚Multiperspektivität‘ oder ‚Perspektivenwechsel‘ wird generell als wichtiges Teillernziel im Bereich der interkulturellen Kompetenz genannt. Es geht dabei um die einzelnen Komponenten der Dezentrierung, des Perspektivenwechsels und der Perspektivenkoordination. Die einzelnen Teile können dabei als aufeinander bezogene Einzelschritte zur allgemeinen Erweiterung des Bewusstseins und zur Sensibilisierung gegenüber dem Anderen verstanden werden. Bei der Dezentrierung handelt es sich um das Infragestellen der eigenen Position, um die Herausforderung durch das Fremde. Der Perspektivenwechsel beinhaltet die (vorübergehende) Einnahme einer anderen Perspektive. Er kann kognitiv ausgerichtet sein, wie Altmayer (2004) dies für die Texterschließung vorschlägt, bei welcher der fremdkulturelle Rezipient zu erschließen hat, welche Schemata jeweils bei Muttersprachlern aktiviert werden. Erst eine Beherrschung dieser Schemata ermöglicht das interkulturelle Verstehen des Textes. Der Perspektivenwechsel kann aber auch eher affektive Züge aufzeigen, wie dies bei der Identifikation mit fremdkulturellen Charakteren fiktionaler Texte geschehen kann oder wenn im szenischen Spiel die Rolle des Anderen angenommen und ganzheitlich erlebt wird. Bei der komplexen Tätigkeit der Perspektivenkoordination wird schließlich die eigene Position in den Dialog mit der anderen Position gebracht, es handelt sich um einen anhaltenden ‚Aushandlungsprozess‘. Diese konstruktive Tätigkeit geschieht auch im Sinne kognitionspsychologischer Forschungsergebnisse, die nahe legen, „dass der Konfrontation mit sehr unterschiedlichen Perspektiven, die zu Konflikts- und Widerspruchserfahrungen führen, die größten Aussichten auf Erfolg hierbei zuzuschreiben sind“ (Melde 1987: 155). <?page no="186"?> Interkulturelle Kompetenz 172 Bei dem Thema Multiperspektivität ist - trotz seiner Beliebtheit in didaktischen Kreisen - die Problematik der Überforderung von Schüler/ innen gegeben. Denn bei näherer Betrachtung erhält die scheinbar logisch sich ergebende Trias von ‚Dezentrierung der eigenen Perspektive, Perspektivenübernahme und Perspektivenkoordination‘ eine erhebliche Ausweitung ihrer Komplexität, die leicht zu Verwirrungen führen kann: nicht allein die Gefahr einer entweder achselzuckend hingenommenen oder irritierenden Relativität aller Perspektiven droht, sondern auch der Verlust klarer Perspektivengrenzen und -richtungen. Die Perspektivenvielfalt bei der Begegnung von Selbst und Anderem stellt sich nämlich kommunikationstheoretisch als Interaktionsprozess zwischen vier Hauptperspektiven dar: Präsentation des Selbst Präsentation des Anderen Wie wir uns selbst sehen Wie andere uns sehen Wie andere sich selbst sehen Wie wir andere sehen Abb. 22: Die kaleidoskopische Struktur des Verstehens von Selbst und Anderem Diese kaleidoskopische Grundstruktur (vgl. Murphy-Lejeune et al. 1996: 53) des Verhandlungsprozesses von Strukturen erscheint schon komplex genug. Zusätzlich kompliziert wird sie durch die Tatsache, dass es sich hier um ‚Präsentationen‘, um Konstruktionen von Identitäten handelt. Michael Wendt kritisiert entsprechend zu Recht, dass in vielen Arbeiten zum interkulturellen Lernen einerseits von vereinfachten Kategorien von Selbst und Anderem ausgegangen wird, zum anderen eine komplexere Sicht dieser Perspektivenproblematik im Unterricht kaum zu leisten ist. Aus konstruktivistischer Sicht bleibt [...] unbeachtet, dass bereits die eigene ‚Perspektive’ eine Wirklichkeitskonstruktion ist, dass die eigene Perspektive des anderen seine Konstruktion ist, und dass die Perspektive des anderen von mir konstruiert werden muss, wenn ich sie verstehen oder gar übernehmen will. Und das wird mir noch einmal komplizierter, wenn ich seinen Blick auf meine Perspektive einbeziehen will. Die Menge der dazu notwendigen Viabilisierungsprozesse dürfte kaum je zu leisten sein. (Wendt 2000: 28) Es bleibt somit ein Grundwiderspruch des Ansatzes Fremdverstehen durch Multiperspektivität bestehen: Zwar soll die Konzentration auf verschiedene Perspektiven gerade Einsichten in die Vielfältigkeit von Wirklichkeitskonstruktionen leisten, muss diese aber ihrerseits auf wenige wesentliche Aspekte reduzieren, um didaktisch umsetzbar zu sein. Lothar Bredella schlägt hier eine Konzentration auf die Spannung von Innen- und Außenperspektive vor, die sich im Unterricht als tragfähig erweisen sollte: Um die fremde Kultur in ihrer Andersheit zu verstehen, müssen wir einmal eine Innenperspektive einnehmen und das Selbstverständnis der Menschen der fremden Kultur rekonstruieren. Da aber Menschen sich über sich selbst täuschen können, müssen wir auch unsere Außenperspektive ins Spiel bringen. Die Innenperspektive ist notwendig, um den Ethnozentrismus zu überwinden, und die Außenperspektive ist notwendig, um sich nicht unkritisch der jeweiligen Innenperspektive auszuliefern. Ein reflektiertes interkulturelles <?page no="187"?> Interkulturelle Kompetenz 173 Verstehen vollzieht sich, indem man die Spannungen zwischen Innen- und Außenperspektive entfaltet [...]. (Bredella 2001: 12) Es bleibt als Zielsetzung die Akzeptanz pluraler Bedeutungen, kultureller Ambiguitäten und generell von Andersartigkeit, also letztlich das Bewusstwerden der Relativität der eigenen Perspektive. Unschwer ist zu erkennen, dass das Lernziel des Perspektivenwechsels nicht allein kognitive Elemente beinhaltet, sondern eine positive Einflussnahme auf emotionale Dispositionen anstrebt. Es geht also um die attitudes, welche - wie oben verdeutlicht - so schwer nachhaltig zu erreichen und zu beeinflussen sind. Die Konzentration auf Multiperspektivität ist besonders aus der Tradition der literarischen Hermeneutik im Sinne Hans-Georg Gadamers entstanden (Melde 1987, Bredella, Delanoy 1996, 1999) und mit Einsichten der Narratologie zur Wirkungsfunktion multiperspektivischer Texte verbunden worden (Nünning 2001). Dabei wurde besonders das Literarisch-Künstlerische als komplexer Zugang zu fremden Kulturen privilegiert. Denn es spiegelt deren inhärente Vielschichtigkeit und liefert komplexe Modelle der anderen Kultur. Zudem erlauben gerade literarische Werke aufgrund der Multiperspektivität vieler Texte und der Offenheit des Rezeptionsprozesses ein sinnlich-ästhetisches und in der Imagination zu verarbeitendes Erleben jener Prozesse, die beim Fremdverstehen konstitutiv hervortreten (Stierstorfer 2002): Alteritätserfahrung und die Begegnung mit Vielschichtigkeit und unterschiedlichen Welt- und Wahrnehmungsmodellen. Doch auch nichtliterarische Texte bieten Material zur Reflexion über das Wechselspiel von Außen- und Binnenperspektive. Es sind dies besonders die dem Bereich der nationalen Stereotype oder ‚kulturellen Dimensionen‘ (Hofstede) zuzuordnenden Textsorten zu nationalen Charakteristika. Sie bieten gleichsam heuristische Werkzeuge zum Verständnis der Konstruktion von Wirklichkeit: Es kann um das Selbstverständnis einer anderen Kultur gehen, welches in Bezug zu dem der eigenen Kultur zu setzen wäre. Beispiel wäre eine Liste zu U.S.-American Values, wie wir sie in einem der gängigen Lehrwerke zum interkulturellen Lernen finden. Dazu können kulturelle Alternativen entwickelt werden. Es kann diskutiert werden, wo die eigene Kultur tendenziell zu verorten wäre, beispielsweise bei folgenden drei Wertvorstellungen (Auszug aus Harris, Moran 1993: 79): U.S. Values Alternative Aspects The individual can influence the future (where there is a will there is a way). Life follows a preordained course and human action is determined by the will of God. We must work hard to accomplish our objectives (Puritan ethic). Hard work is not the only prerequisite for success. Wisdom, luck and time are also required. One should effectively use one’s time (time is money which can be saved or wasted). Schedules are important but only in relation to other priorities. Abb. 23: Kulturelle Wertvorstellung <?page no="188"?> Interkulturelle Kompetenz 174 Es können auch Texte verwendet werden, welche stereotype Blicke auf Deutschland erkennen lassen und damit die Frage nach dem Wirklichkeitsgrad von kulturellen Konstruktionsmustern aufwerfen (vgl. Kap. 3.5). Beispielhaft wären Listen von Do’s and Don’ts, aber auch sich deskriptiv gebende, in Wirklichkeit evaluativ wirkende Aussagen zu den Deutschen ‚im Allgemeinen‘. So könnte am Beispiel der folgenden typischen Passage gezeigt werden, dass sie eher etwas über amerikanische Tabuthemen denn über den deutschen Nationalcharakter aufzeigen: „The Germans like to discuss things and enjoy a good topic of discussion. Religion, politics, sexual trends, and nuclear power are freely discussed, but topics relating to one’s private life should be avoided.” (ibid.: 477) Die komplexe Struktur interkultureller Perspektivengeflechte muss also didaktisch reduziert werden: Es bleibt einerseits die Frage, wie die eigene Kultur durch die andere wahrgenommen wird und in welchem Maße dieser Prozess durch Stereotype oder Klischees als festgefahrene Vorurteile gesteuert wird. Andererseits bleibt auch die Aufgabe, sich in die andere Perspektive hineinzuversetzen, um diese aus sich heraus zu verstehen. Dass dabei emotionale Prozesse in Gang gesetzt werden, kann als ein wesentlicher Vorteil dieser Konzentration auf das Zusammenspiel von Innen- und Außenperspektive gelten. ‚Soft skills‘ in der Kommunikation Der Kommunikationsexperte Paul Watzlawick (vgl. Watzlawick et al. 1998: 53f.) hat ein wesentliches Charakteristikum menschlicher Kommunikation auf den Punkt gebracht: Kommunikation hat stets zwei Ebenen, eine Inhaltsebene und eine Beziehungsebene. Vertreter der kontrastiven Linguistik sowie der interkulturellen Kommunikationsforschung haben darauf hingewiesen, dass es hier deutliche Unterschiede zwischen angelsächsischen und deutschen Traditionen der Kommunikation gibt (vgl. Bach 1995, House 1998). Während die erstgenannte Kommunikationsform sich sehr stark auch als ‚Beziehungspflege‘ versteht (z.B. im verbal grooming), stehen in Deutschland eher auf Informationsaustausch bezogene, inhaltsorientierte Aspekte im Vordergrund. Tendenziell ergibt sich dadurch, so viele angelsächsische Kommentatoren, ein Kulturgefälle. Denn das angelsächsische Modell von Höflichkeit, Takt, Sprachroutinen, Humor und nonverbalem Verhalten rekurriert mehr auf die Beziehungsebene. Diese Kommunikationsebene wird nun gerade mit zunehmender Internationalisierung und Globalisierung immer bedeutender, so dass man hier für die deutsche Seite Nachholbedarf erkennt. Dabei ist eine Wiederkehr von Knigge & Co. festgestellt worden, nach Jahrzehnten, in denen die 68er-Generation auf Werte wie Ehrlichkeit, Natürlichkeit und authentisches Verhalten setzte. Benimmratgeber und die von ihnen reflektierte ‚bourgeoise Außensteuerung‘ lehnte man rigoros ab (vgl. Zillig 2001: 66). Dass entsprechende Defizite inzwischen auch auf deutscher Seite selbst diagnostiziert werden, macht das steigende Interesse an der Aneignung dieser soft skills im professionellen Bereich deutlich. Es setzt sich eine Einsicht durch, die schon der deutsche Philosoph Schopenhauer formuliert hatte, nämlich dass Höflichkeit durchaus Klugheit, Unhöflichkeit hingegen Dummheit ist (vgl. Lüger 2001: 5). <?page no="189"?> Interkulturelle Kompetenz 175 Höflichkeit, Sprachroutinen, Small Talk: Konzepte von ‚face‘ Die genannten kommunikativen Aspekte dieser ‚emotionalen Intelligenz‘ gehören inzwischen zu den festen Inhalten bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz. Sie sind zugleich für eine kulturell orientierte Fremdsprachendidaktik von besonderem Interesse: (1) Sie zeigen zum einen die enge Beziehung von Kultur und Sprache auf, sie wirken gewissermaßen als Schnittstelle zwischen Kulturemen und Behavioremen. Menschliches (sprachliches) Verhalten reflektiert also deutlich kulturelle Werte. Wählen wir ein Beispiel, welches im interkulturellen Bereich spielt: Take the example of an American college student who hears the news that her favourite uncle has died. She bites her lip, pulls herself up, and politely excuses herself from the group of foreign students with whom she is having dinner. The Russian thinks: “How unfriendly.” The Italian thinks: “How insincere.” The Brazilian thinks: “How unconcerned.” To many Americans, it is a sign of bravery to endure pain (physical or emotional) in silence and without any outward show of emotion. To members of other groups, such silence is often interpreted negatively to mean that the individual does not consider them friends who can share such sorrow. To members of other cultures, people are expected to reveal their feelings to their friends. (DeVito 1972: 260) Doch es geht nicht allein um Fragen des Einflusses von Kulturemen auf das Kommunikationsverhalten. (2) Zum anderen werden zahlreiche Fragen aufgeworfen zur Dominanz des angelsächsischen Kommunikationskonzeptes, welches zunächst linguistische Theorien zum face-saving - zu Höflichkeit speziell und zum menschlichen Umgang miteinander im Allgemeinen - unhinterfragt zur generell gültigen Universalie erhob. Erst in den letzten Jahren hat es hier Ausdifferenzierungen gegeben, welche die Bedeutung anderer Faktoren (Region, Schicht, Geschlecht, Alter, Status usw.) hervorheben. Dabei ist immer deutlicher geworden, dass das Verständnis von Höflichkeit und sozial geduldetem, akzeptablem oder präferiertem Verhalten kein universal festlegbares Phänomen ist (Eelen 2001). Vielmehr bestimmen die Erwartungen eines spezifischen Kollektivs bestimmte normative Einstellungen. Gruppenspezifische Erwartungen geben vor, was als höflich gilt und was nicht; sie legen implizit fest, welche Formen des Gesprächsverhaltens als adäquat oder nichtadäquat aufgefasst werden. Dadurch funktioniert Höflichkeit als gesellschaftliche Lebensform, als intersubjektiv ausgehandelte sittlich-moralische Norm und als raumzeitgebundene Markierung von Status- und Gruppenzugehörigkeit. Adäquates verbales Verhalten ist demnach also im Sinne Pierre Bourdieus (1987) als wichtiges soziales oder kulturelles Kapital zu verstehen. Es kann an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten dieser Modifizierungen und soziologischen Betrachtungen des angelsächsischen Modells eingegangen werden, welches aus Sicht seiner Kritiker ein westliches ‚Mittel- oder Oberklassemodell‘ des kommunikativen Verhaltens perpetuiert (vgl. Eelen 2001). Auch soll hier nur erwähnt werden, dass ein rein funktionales Verständnis von Höflichkeit diese Tugend zum manipulativen kommunikativen Instrumentarium reduziert, zum cunning device (ibid.: 22). An diese Funktion erinnern englische Ausdrücke wie killing with a smile, the English shout when they whisper oder to yes somebody to death. Da auch andere Länder, etwa gerade asiatische, teilweise stark ritualisierte und konventionalisierte Kommunikationspraktiken bevorzugen, erscheint eine Orientierung an angelsächsi- <?page no="190"?> Interkulturelle Kompetenz 176 schen Usancen zunächst für Anfänger in diesem Bereich als ein passender Bezugsrahmen (vgl. Bach 1995, Schubert 2006). Zentral für die hier diskutierten Formen der Kommunikation als Beziehungsarbeit ist ein anthropologisches Modell, welches der Anthropologe und Linguist Erving Goffman 1967 entwarf. Nach Goffman ist die menschliche Kommunikation als facework zu verstehen. Face ist demnach „the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact“ (Goffman 1967: 5). Da jeder Mensch ein bestimmtes Selbstbild verinnerlicht hat, stellt jeder kommunikative Akt potenziell eine negative Infragestellung oder positive Bestätigung für dieses Selbstbild dar. Dieser Doppelcharakter von negative face und positive face wird in der Definition der Linguisten Penelope Brown und Stephen C. Levinson (1987: 66) deutlich: (a) negative face: the basic claim to territories, personal preserves, rights to non-distraction - i.e. to freedom of action and freedom from imposition, (b) positive face: the positive consistent self-image or ‘personality’ (crucially including the desire that this self-image be appreciated and approved of) claimed by interactants. Face-work besteht also aus einem Kommunikationsverhalten, welches diesen Bedürfnissen Rechnung trägt. Zu vermeiden oder verbal zu kaschieren sind demnach Äußerungen, die das Bedürfnis des Adressaten nach negative face bedrohen (wie Befehle, Bitten, Ratschläge, Angebote, Versprechen, aber auch Abneigungsbekundungen). Andererseits gilt es, das Verlangen des Adressaten nach positive face durch Bestätigung, Verständnis und Bewunderung und entsprechende verbale oder nichtverbale Zuwendung (Lob, Komplimente usw.) aber auch durch das Vermeiden tabuisierter Themen zu unterstützen. GESICHTS- BEDROHUNG HÖFLICHKEITS- STRATEGIEN negatives Gesicht Formulierung Sprachliche Handlung Handlungssequenz Abb. 24: Das face-Konzept: Gesichtsbedrohung und Höflichkeitsstrategien (Lüger 2001: 6) In Anlehnung an dieses Modell sind im Bereich des interkulturellen Lernens und der linguistischen Gesprächs- und Höflichkeitsforschung zahlreiche kommunikative positives Gesicht negatives Gesicht positives Gesicht <?page no="191"?> Interkulturelle Kompetenz 177 Strategien entwickelt worden. Diese sollen exemplarisch im Folgenden vorgestellt und kurz kommentiert werden. Begonnen sei mit eher allgemeinen Ratschlägen zur Kommunikation, bei der die Dimension der Beziehungsbzw. face-Pflege beachtet wird. Es wäre zu einfach, die hier diskutierten Vorschläge für gelungene interkulturelle Kommunikation lediglich als Renaissance alter Anstandsregeln und Höflichkeitsrituale zu begreifen. Vielmehr geht es um seit Jahrzehnten in entsprechenden multikulturellen Sensibilisierungsprogrammen zur cultural awareness bewährte Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Begegnung mit kultureller Fremdheit. Entsprechende Konzepte können auch im deutschen Fremdsprachenunterricht im Sinne des cognitive teaching thematisiert und an Beispielen illustriert bzw. eingeübt werden. Soziale Intelligenz beinhaltet dabei folgende skills, die in der Kommunikation allgemein positiv wirken (vgl. Harris, Moran 1993: 286f.): Respekt ausdrücken: Verbal oder nichtverbal werden Respekt, Unterstützung und echtes Interesse ausgedrückt. Nicht beurteilen: Man vermeidet moralische, wertbesetzte und normative Urteile und Aussagen. Zuhören ist angesagt, in dem Sinne, dass die andere Person sich umfassend äußern kann. Personalisieren von Wissen und Wahrnehmung: Eigenes Wissen, eigene Meinungen und Wahrnehmungen oder Urteile werden nicht als allgemeingültige, absolute Wahrheiten formuliert, sondern als subjektiv und relativ verstanden. Empathie zeigen: Man versucht, die Position des Anderen zu verstehen und dessen Perspektive in der jeweiligen Situation von innen heraus nachzuempfinden. Gemeinsames Interesse hervorheben: Die Bedeutung gegenseitiger Unterstützung im Dialog des Miteinanders wird eingeübt; in Gruppen achtet man auf gleichmäßige Verteilung der Kommunikationsanteile. Ambiguität akzeptieren: Mit kulturellen Differenzen umgehen können, ohne dabei früh Toleranzgrenzen zu erreichen. Dazu gehört auch, misslungene Kommunikation und fremd erscheinende Usancen zu tolerieren. Es handelt sich hierbei um transnational zu bezeichnende Fähigkeiten und Fertigkeiten, die als Grundvoraussetzung für gelungene interkulturelle Kommunikation zu begreifen sind. Diese transnationalen soft skills lassen sich in einer Reihe von Ratschlägen für erfolgreiches kommunikatives Verhalten konkretisieren (vgl. Argyle 1994: 69f.): Komplimente machen: Diese verbale ‚Strategie‘ bezieht sich auf die Pflege des positive face und drückt sich im angelsächsischen Raum in einer für Deutsche ungewohnt und ‚künstlich‘ wirkenden Häufung von positiven Attribuierungen und Superlativen aus. Pleasure talk & small talk: Hier werden Tabuthemen und unangenehme Themen vermieden - sex, politics and religion. Stattdessen konzentriert man sich gerade zu Beginn einer Konversation auf angenehmere Nichtigkeiten oder Allgemeinplätze. Safe topics schaffen eine Atmosphäre der Übereinstimmung und Gemeinsamkeit zwischen Sprecher und Hörer, etwa bei scheinbar be- <?page no="192"?> Interkulturelle Kompetenz 178 langlosen Gesprächen über das Wetter, das persönliche Wohlempfinden usw. Übereinstimmen: Statt konfrontativ zu argumentieren, betont man lieber Gemeinsamkeiten und hüllt gegensätzliche Meinungen in downtoners ein. Namen verwenden: Bereits Dale Carnegie riet: Remember that a person’s name is to that person the sweetest and most important sound in any language. Entsprechend oft verwenden angelsächsische Gesprächsteilnehmer den Namen, in der Regel den Vornamen der angesprochenen Person. Hilfe anbieten: Gern bietet man verbal Hilfe an, etwa mit Bezug auf Information, Zuwendung oder praktische Hilfe. Humor: Schließlich erscheinen Witz, Satire und Ironie als soziales Fluidum, welches außerdem mit einer gewissen (lässigen) Distanzhaltung gegen die Unwägbarkeiten und Probleme des Alltags wappnet. Es gibt zahlreiche weitere verbale Routinen im Bereich der Konversationsführung, die einen guten conversationalist ausmachen. Es lohnt sich sicherlich, entsprechende Techniken des turn-taking, des Wechsels von Gesprächsthemen und des Elizitierens weiterer Gesprächsäußerungen einzuüben (vgl. Schubert 2006). Zielvorgabe ist dabei nicht allein, mundfaule Schüler/ innen zum Sprechen zu bringen, sondern die Bedeutung kommunikativer skills zu demonstrieren und diese entsprechend einzuüben. Dabei ist z.B. zu erkennen, dass einsilbige Antworten wie die folgende den Abbruch einer Konversation mit sich bringen können, bevor diese überhaupt begonnen hat. A: Where do you come from? B: Munich. Besser, da automatisch das Gespräch fortführend und an Wissensbestände des fremdkulturellen Gegenübers anknüpfend, wäre folgende Antwort, welche die Möglichkeit erlaubt, durch den Einstieg über ein ‚seichtes‘, touristisches safe topic zu persönlicheren oder bedeutenderen Gesprächsthemen zu gelangen: A: Where do you come from? B: I’m from Munich. There is a very famous ‘Hofbräuhaus’ there. / It’s near the Alps. / It’s in the South of Germany. / We have the annual ‘Oktoberfest’ there. Have you heard about it? Eine transnationale Kommunikationsstrategie ist darüber hinaus auch das Vermeiden von Tabuthemen, die im Bereich von Sexualität, Ethnie, Religion und Politik liegen. Doch es gibt auch eine Vielzahl an speziellen Konversationsthemen, die in bestimmten Kulturen eher vermieden werden sollten. Auch hierfür gilt es zu sensibilisieren, wie etwa, dass man folgende von Ignoranz oder Rassismus zeugende Fragen oder Themen vermeiden sollte (vgl. teilweise Harris, Moran 1993: 260): eine indische Frau über den roten Schönheitspunkt (Tikka oder Kumkum) auf ihrer Stirn zu fragen, einen Asiaten zu fragen, ob er denn nun Japaner, Chinese oder Vietnamese sei, eine afroamerikanische Frau zu fragen, wann sie sich denn ihre cornrows wäscht, einen indigenen Amerikaner zu bitten, an seiner Spiritualität teilzuhaben, einen Schotten als Engländer bezeichnen, <?page no="193"?> Interkulturelle Kompetenz 179 den Holocaust mit dem Genozid an den Indianern oder mit Gräueltaten des britischen Imperialismus vergleichen, die britische Kolonisation in postkolonialen Ländern verteidigen, und natürlich eine besserwisserische ‚In-Deutschland-ist-alles-besser- Position‘ einnehmen usw. Kontrastive Höflichkeitskonzepte Im Rahmen der Ausarbeitung des face-Konzeptes bei Brown und Levinson (1987) und anderen (vgl. Bach 1995, Eelen 2001) sind nicht allein allgemeine Richtlinien für Kommunikationsverhalten und Konversationsführung erstellt worden. Insbesondere hat eine regelrechte ‚Höflichkeitsforschung‘ konkrete sprachliche Routinen und Formeln beschrieben, die in der kommunikativen Interaktion dem Bedürfnis des Gegenübers nach Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung entgegenkommen (positive face) oder es vermeiden, dessen Territorium anzugreifen oder in Frage zu stellen (negative face). Für die Fremdsprachendidaktik hat sich dabei speziell die kontrastive Höflichkeitsforschung als einflussreich erwiesen. Sie stellt den routinierten und konventionalisierten Sprachgebrauch der englischsprachigen native speakers dem deutschen Sprecher gegenüber (in der Muttersprache wie beim Fremdsprachengebrauch, vgl. die Arbeiten von Juliane House, z.B. House 1996, 1998). Dabei wird tendenziell ein offenkundiges Defizit der Deutschen bei Höflichkeitsformen und überhaupt Konversationsroutinen diagnostiziert. Auffallend ist eine Affinität der kontrastiven Linguistik zu den beschriebenen interkulturellen Forschungen im Bereich der Kulturkontraste und Dimensionen bzw. Standards von Kulturen (Hofstede et al., vgl. Kap. 3.2). In Analogie zu den Kulturstandards bei Hofstede sind etwa folgende fünf polare Dimensionen des Kommunikationsverhaltens zu verstehen (House 1996: 346-355): Directness Indirectness Orientation towards Self Orientation towards Other Orientation towards Content Orientation towards Addressees Explicitness Implicitness Ad-Hoc Formulation Verbal Routines Abb. 25: Polare Dimensionen des Kommunikationsverhaltens nach House (1996) Verschiedene empirische Fallstudien belegen, dass englische Sprecher eher den rechts aufgeführten Verhaltensmustern folgen, deutsche eher den links aufgeführten (ibid.). Insbesondere zeigen kontrastive empirische Untersuchungen auf, wie deutsche Sprecher im interkulturellen Dialog ihre englischsprachigen Gegenüber irritierten oder verärgerten (vgl. hierzu House 2006, 2008; weitere Beispiele bei Volkmann 2006b: 257ff.). Ursache hierfür sind die weitgehende Abwesenheit eines Repertoires an Gesprächsroutinen, ein direkter, konfrontativer Kommunikationsstil und die Bevorzugung der inhaltlichen gegenüber der ‚zwischenmenschlichen‘ Gesprächsebene. Als unangenehm wird auch ein selbstbewusstes, Autorität bzw. Desinteresse am Gegenüber ausstrahlendes Auftreten bewertet, welches man von angelsächsischer Seite her leicht als Arroganz auslegt. Weiterhin sind deutsche Sprecher äußerst sparsam mit Komplimenten oder dem verbal grooming. Kommunikationsprobleme entstehen aber auch durch den Trugschluss, im angelsächsischen Bereich gelte in <?page no="194"?> Interkulturelle Kompetenz 180 Gesprächen (schon aufgrund des frühen Ansprechens mit dem Vornamen) das Prinzip des anything goes. Dazu noch wird die Neigung deutscher Gesprächsteilnehmer zum langen Diskutieren und Lamentieren kritisiert, ebenso wie eine allzu ausgeprägte Vorliebe für tiefgründige und politisch heikle Themen, bei denen Deutsche mit besserwisserischem Gestus auf ökologischem und politischem Gebiet belehren. Einer der amerikanischen Teilnehmer einer empirischen Untersuchung fasste die Kommunikationsunterschiede passend in folgender Bemerkung zusammen: „[The Germans] are apt to really just simply say what they believe and that’s it, and we just say ‘well you know ...’ and dance around trying not to hurt each other“ (House 1996: 351). Zweifellos legen empirische Untersuchungen nahe, das Thema Höflichkeit in Konversationen zu einem der wichtigen Themen des Englischunterrichts zu erheben - wurde doch gezeigt, dass mangelnde sprachliche oder landeskundliche Kenntnisse in interkulturellen Begegnungen eher akzeptabel erscheinen als das Ignorieren konventionalisierter Kommunikationsmuster. Es gilt allerdings zu beachten, dass hier erheblicher Bedarf an komplexeren, weniger mit nationalen Gegensätzen operierenden Höflichkeitsmodellen besteht, um nicht in der Theoriebildung bereits im Klischeedenken zu erstarren. Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass gängige Forschungsansätze zu interkulturellen Unterschieden, aber auch zur Gesprächsführung in der Regel von pauschalen Vorstellungen einer weißen Mittelschicht ausgehen und deren Einstellungen perpetuieren, ohne etwa Kategorien wie intrakulturelle Unterschiede, Geschlecht, Alter, soziales Milieu, sozialer Rang, gesellschaftliches Umfeld usw. entscheidend zu berücksichtigen (vgl. zu dieser Kritik auch Eelen 2001, Cameron 2002, Volkmann 2006a). Weiterhin erscheint es notwendig, die zunehmende Verwendung des Englischen als lingua franca zu berücksichtigen, denn innerhalb des Globalisierungsprozesses ergeben sich teilweise Harmonisierungstendenzen im Bereich der Kommunikation. Zudem bezieht die Globalisierung weitere, noch stärker Höflichkeitsrituale betonende Kulturen in den internationalen Höflichkeitsdiskurs mit ein (z.B. Japan). Schließlich erscheint bereits die Grundannahme eines gemeinsamen, von Briten und Amerikanern geteilten angelsächsischen Konversationsstils als stark simplifizierend, wie interkulturelle Beobachtungen mit wirtschaftlicher Ausrichtung deutlich gemacht haben. Man mag hier zunächst von einem Gegensatz ausgehen: zwischen britischer Bescheidenheit, dem understatement und der starken Vorliebe für das Indirekte einerseits und andererseits der amerikanischen Neigung zur Ich-Darstellung sowie zum offenen, direkten Ansprechen von Problemen. Der amerikanische Verhandlungsstil wurde sogar etwas despektierlich als „John Wayne style“ beschrieben (Apfelthaler 1999: 146). Robert Gibson (2000: 45) stellt folgende sprachliche Äußerungen sicherlich etwas polarisierend gegenüber: US GB Jack’ll blow his top. Our chairman might tend to disagree. You’re talking bullshit. I’m not quite with you on that. You gotta be kidding. Hm, that’s an interesting idea. Abb. 26: US-amerikanisches vs. britisches Kommunikationsverhalten Allerdings erscheinen auch hier einfache Kontrastpaare problematisch, wenn berücksichtigt wird, dass in bestimmten Gebieten (wie im militärischen Bereich) der <?page no="195"?> Interkulturelle Kompetenz 181 britische Kommunikationsstil unter Umständen als „much more frank, direct“ als der amerikanische empfunden wird (zit. in Volkmann 2006a: 260). Für deutsche Fremdsprachenlernende hat Juliane House (1998: 83) vor allem ein cognitive teaching vorgeschlagen (vgl. auch Schubert 2006, Volkmann 2006a), bei dem Sprechakte im Bereich Höflichkeit oder Unhöflichkeit betrachtet und analysiert werden. Als Ergebnis eines derartigen sensitivity training können sieben Maximen für erfolgreiche Kommunikation mit Muttersprachlern des Englischen aufgelistet und vermittelt werden. Sie seien hier zusammengefasst (House 1998: 83): 1. Entwickle Sensibilität gegenüber Missverständnissen! 2. Stelle klärende Fragen bei möglichen Missverständnissen! 3. ‚Repariere‘ Missverständnisse taktvoll! 4. Vermeide rigide Beurteilungen der Äußerungen des anderen! 5. Gehe flexibel auf Äußerungen ein! 6. Wenn nötig, schalte in eine andere Sprache um! 7. Gehe nie davon aus, dass andere Dich verstehen! Deutlich wird bei diesen hier exemplarisch vorgestellten sieben (verbalen) Verhaltensmaximen, welche House deutschen Gesprächsteilnehmern als Richtschnur für die Kommunikation mit Muttersprachlern des Englischen empfiehlt, dass Höflichkeitstheorien zwar Anspruch auf Universalität erheben mögen. Ihnen kommt aber auch in unterschiedlichen soziokulturellen bzw. auch nationalen Kontexten unterschiedliche Bedeutung zu. Critical incidents Neben einem derartigen kognitiven, sprachbetrachtenden und sprachwertenden Vorgehen bietet sich vor allem die Behandlung so genannter critical incidents an. Es handelt sich dabei um im interkulturellen Training bevorzugte Miniepisoden, die aus dem wirklichen Leben zu stammen scheinen, aber diesen meist eher in Form von typischen Problemszenarien des Kulturkontaktes simulieren. In der Regel werden sie als Text, in szenischer Darstellung oder als Filmclip präsentiert und unter der Fragestellung What went wrong? oder What would be the most adequate behaviour here? analysiert. Dabei geht es darum, die kulturell begründete Typik dieser Szenarien und die auf sie einwirkenden Differenzen bei kulturellen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen zu erkennen. In einem weiteren Schritt gilt es dann, die neu gewonnenen Erkenntnisse in praxisbezogene Vorschläge zu interkulturell passendem Verhalten umzusetzen. Dies kann in der verbalen oder schriftlichen Formulierung erfolgen; besser aber sind einer wirklichen Situation nachempfundene Rollenspiele, in denen flexibel zu reagieren ist. Insbesondere Anhänger der Forschung zu differierenden Kulturstandards schätzen diese Methode der Konfrontation von Individuen mit kritischen Interaktionssituationen, da hier die unmittelbare Relevanz interkulturellen Lernens deutlich wird (vgl. Apfelthaler 1999: 89). In der Tat sind derartige Konfrontationen mit anderen kulturellen Orientierungssystemen eine gute Basis, um Schüler/ innen darauf aufmerksam zu machen, dass es kulturelle Diskrepanzen im individuellen Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln gibt. Man mag hier für den Bereich des adäquaten verbalen Verhaltens mit einer alltäglichen Situation beginnen, die weniger ein critical incident ist als die Allgegenwart von Höflichkeitsmaximen unter native speakers verdeutlicht. Es geht um einen konkreten Sprechakt: die Bitte, ein Fenster zu öffnen. Hierfür stehen dem native speaker eine Reihe von sprachlichen Konkretisierungen zur Verfügung, die sich von <?page no="196"?> Interkulturelle Kompetenz 182 direkten bis indirekten Äußerungen erstrecken und situationsbedingt Verwendung finden. Eine Skalierung von direkt nach indirekt sähe wie folgt aus (Gibson 2000: 44): Open the window. Please open the window. I was wandering if you could open the window. Could you possibly open the window? Would you like to open the window? Would you be so kind as to open the window? It’s hot in here. Don’t you think it’s a little bit hot in here? Eine Betrachtung und Diskussion dieser möglichen native speaker-Äußerungen wird dabei natürlich auf entsprechende Kontexte eingehen müssen und nicht allein die Neigung der Briten zum indirekten Sprachgebrauch betonen. Denn eine ironiefreie Verwendung von Would you be so kind as to open the window innerhalb der Peer- Gruppe der Lernenden wäre kontextuell inadäquat, genauso wie es unpassend wäre, wenn die Lehrkraft - ohne nonverbale Signale - Schüler/ innen mit indirekten Aussagen zum Öffnen des Fensters auffordern würde. Die kognitive Reflexion über typische Konversationssituationen und die Analyse der dabei mitschwingenden Kulturstandards, der dort auftauchenden ‚Implikationen‘, wird als Weg zu tieferem Kultur- und Sprachbewusstsein vorgeschlagen. Critical incidents können unterschiedlich intensiv oder extensiv zum Gegenstand des Unterrichts werden. Sie können sogar nur in Form einer Einfüllübung Verwendung finden (Bouton 1999: 165): Situation: Your friend invites you to her house for the first time. Friend: Why don’t you come in? You: Thanks. (After looking around) …………….. house you have. (Possible answers: What a great/ wonderful/ beautiful) Wie Manfred Arendt (1996) vorschlägt, können Schüler/ innen an Konventionen des Small Talk auch durch cue cards herangeführt werden, die eine Art Basisgespräch zu Thematiken wie ‚Über das Wetter sprechen‘ oder ‚Über einen möglichen Kinobesuch sprechen‘ mit Hilfe von entsprechend zur Verfügung gestellten Textbausteinen ermöglichen. Bei entsprechender Übung kann diese noch stark gelenkte Aktivität zu freierer Sprachproduktion anregen. Dem Konzept des critical incident nähern sich dabei Vorgaben für Rollenspiele, welche eine mögliche Konfliktsituation inszenieren. Hier gilt es, adäquates und höfliches sprachliches Verhalten einzuüben (angelehnt an Bouton 1999: 159): Student A: You have ordered food in a restaurant and the server brought you a different dish / there is a fly in your soup. Student B: You know that you brought the correct meal and that the customer has forgotten what was originally ordered / there was no fly in the soup / you understand the complaint. Es sei nun abschließend zum Thema ein typischer critical incident zitiert, der ethnozentrisches Verhalten offenlegt und entsprechend als negatives Anschauungsmaterial dienen kann, wird dabei vom Deutschen doch die Kritik an einer anderen Person nicht zwischen vier Augen, sondern öffentlich geäußert, so dass dies zu einem eklatanten Gesichtsverlust in dem anderen Kulturkreis, hier Thailand, führt. Es geht also um kulturell unterschiedliche Konzepte von Arbeit, Zeit, <?page no="197"?> Interkulturelle Kompetenz 183 also um kulturell unterschiedliche Konzepte von Arbeit, Zeit, Öffentlichkeit, Individualität usw. A German manager working in Thailand is unhappy that his secretary regularly arrives at work at least 30 minutes, and sometimes as much as one hour, late for work. He knows that the traffic in Bangkok is bad but this is getting ridiculous - one morning when she arrives he explodes in front of the others in the busy office, and then takes her aside and tells her that if she can’t get to work on time she may risk losing her job. She hands in her resignation. (Gibson 2000: 43) Humor Auch der Humor ist zu den soft skills im interkulturellen Kontakt zu rechnen. Humor bedeutet nun nicht primär das Erzählen von Witzen, sondern, wie die Engländerin Kate Fox es in Worte fasst, ist eine Art Weltanschauung. Ähnlich wie das Verwenden von Höflichkeitsroutinen gehört Humor zur fest internalisierten Disposition der Briten (vgl. auch Schulze 1995). In other cultures, there is ‘a time and a place’ for humour; it is a special, separate kind of talk. In English conversation, there is always an undercurrent of humour. We can barely manage to say ‘hello’ or comment on the weather without somehow contriving to make a bit of a joke out of it, and most English conversations will involve at least some degree of banter, teasing, irony, understatement, humorous self-deprecation, mockery or just silliness. Humour is our ‘default mode’, if you like: we do not have to switch it on deliberately, and we cannot switch it off. For the English, the rules of humour are the cultural equivalent of natural laws - we obey them automatically, rather in the way that we obey the law of gravity. (Zit. in Ringeisen 2009: 92) Selbstverständlich gibt es auch z.B. amerikanische, kanadische oder indische Arten des Humors, auf die hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann. Wichtig für den Unterricht ist es jedoch, das Thema Humor in der Kommunikation erst einmal als bedeutsam zu erkennen und weiterhin das britische Modell als eine Art Referenzmodell für den interkulturellen Raum zu begreifen. Wie bei der indirekten Art von Höflichkeit und Konversation handelt es sich beim Humor um den Ausdruck einer gewissen Distanz gegenüber dem Alltag, gegenüber seinen Schwierigkeiten und Problemen. Humor ist entsprechend zu verstehen als „Normverletzung sprachlicher und nichtsprachlicher [...] Art [...], die in der Inkongruenz von Gesagtem und erwartetem Handeln zum Ausdruck kommt und auf seiten der Beteiligten Lachen evoziert“ (Schulze 1995: 204). Humor hat dabei aus interkultureller Sicht unterschiedliche Funktionen: (1) Wie beim burlesken Treiben und beim Karneval wirkt Humor subversiv und chaotisch und erschüttert den Ernst der Dinge. Dadurch kann er befreiend und verbindend wirken. (2) Er lotet beständig die Grenzen dessen aus, was Gesellschaften als schicklich und zulässig bewerten und hat damit tendenziell öffnende Funktion. (3) Er kann allerdings auch Formen des achtsamen Umgangs miteinander oder der political correctness angreifen, etwa bei ethnischen Witzen oder sexistischem Humor. (4) Schließlich hat, wie das Beispiel englischer Humor zeigt, Humor auch die Funktion, Kollektivität zu stützen; er muss gruppenspezifisch praktiziert und verstanden werden und dient damit auch als Distinktionsmerkmal gegenüber denen, die ihn nicht beherrschen. Dies ist zu bedenken, wenn, wie bei Hans-Dieter Gelfert, eine Geschichte des Humors verfasst wird, die kontrastiv operiert und dabei dem deutschen Humortyp deutlich inferiore <?page no="198"?> Interkulturelle Kompetenz 184 Merkmale zuweist: Dieses paarweise Gegeneinanderstellen stellt sich etwa wie folgt bei einigen ausgewählten Merkmalen dar (Gelfert 1998: 166): Deutscher Humor Englischer Humor ernsthaft spielerisch moralisierend humorlos didaktisch anarchistisch zurechtweisend boshaft rechthaberisch selbstironisch top down bottom up Abb. 27: Deutsche und englische Formen des Humors Die moralinsaure Ernsthaftigkeit deutschen Humors hat sich allerdings, wie Gelfert selbst vermerkt (ibid.: 163), im Zuge der Ausbreitung entsprechender Comedy- Sendungen und der Beliebtheit von Mr. Bean oder Monty Python deutlich zum Positiven gewendet. Peter Ringeisen (2009: 40), Spezialist für die Vermittlung von britischem Humor, formuliert passend eine wichtige Einsicht der Humordidaktik: Auf einen fremden Planeten zu fliegen, ohne sich mit den Besonderheiten der Schwerkraft, die dort vermutlich herrschen, vertraut zu machen, gälte wohl als haarsträubendes Wagnis. Doch einen Besuch in Großbritannien trauen sich viele zu, ohne über den britischen Humor Bescheid zu wissen. How inconsiderate of them. Dass bei der Vorbereitung solcher Begegnungen eine Prise Humor nicht fehlen darf, verdeutlicht der Humordidaktiker Peter Medgyes, der Übungen vorschlägt, in denen typisch englische Sprachkonventionen auf exaltierte Weise eingeübt werden: So kann man beispielsweise einen Nonsens-Dialog üben, in dem zwei sich gegenseitig unbekannte Personen die üblichen sprachlichen Klischees des Englischen austauschen (so nice to meet you ...) (Medgyes, Ur 2002: 194f.). Nonverbale Kommunikation Nonverbale oder paralinguistische Kommunikationsformen verdeutlichen erneut Paul Watzlawicks Diktum von der Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren: „Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle ihren Mitteilungscharakter.“ (Watzlawick et al. 1998: 52) Gerade das nicht mit Worten Ausgedrückte ist in den letzten Jahren zu einer Art Modefeld der Fremdsprachendidaktik geworden (für einen passenden Überblick vgl. Oomen-Welcke 2004). Einsichten in die Bedeutung der Körpersprache sind sicherlich eine integrative Komponente des Fremdsprachenunterrichts, als Teil der Vermittlung von Sprache, Kommunikation und Kultur. Allerdings wird das Thema ‚nonverbale Kommunikation’ im Unterricht wohl weiterhin ein interessantes und aufschlussreiches, aber eben doch eher randständiges Thema bleiben. Dennoch: Einer klassischen Studie zufolge macht bei der gesamten Wirkung einer Mitteilung auf den Empfänger das Verbale nur einen geringen Teil aus. Der total impact setzt sich zusammen aus: 7 % mit Bezug auf die verwendeten Wörter bzw. Sätze; 38 % bestehen daraus, wie diese sprachlichen Inhalte vermittelt werden (Stimme, Ton, Volumen, Klang, Dialekt usw.); 55 % sind nonverbal: Ge- <?page no="199"?> Interkulturelle Kompetenz 185 sichtsausdruck, Handbewegungen, Körperposition und andere Formen nonverbaler Kommunikation (Harris, Moran 1993: 42). Auch wenn die exakte Prozentaufteilung dieser Studie etwas fragwürdig erscheint, so herrscht doch ein breiter Konsens, dass nonverbales Verhalten oftmals stärker als verbales wirkt. Die interkulturelle Didaktik weist hier gern auf entsprechende Faux pas hin, die sich auch international erfahrene und prominente Persönlichkeiten leisteten, obwohl sie doch deutliche Kenntnisse von der Kulturgebundenheit von Körpersprache und Gesten besitzen sollten (vgl. Kiesling, Paulston 2005: 289). Auch Berühmtheit schützt nicht vor interkulturellen Fettnäpfchen: Als der amerikanische Schauspieler Mickey Rooney Königin Elisabeth mit Handkuss begrüßte, wurde dies als Protokollverstoß vermerkt. Ein noch größerer Tabubruch waren Richard Geres Küsse für die Schauspielerkollegin Shilpa Shetty bei einer öffentlichen Veranstaltung in Neu-Delhi. Dieser eklatante Bruch mit indischen Vorstellungen von Dezenz zog zunächst sogar einen Haftbefehl nach sich sowie wütende Proteste einer aufgebrachten Menge, die symbolisch eine Richard-Gere- Puppe verbrannte. Auch die Nackenmassage, die ein hochrangiger amerikanischer Politiker einer hochrangigen deutschen Politikerin angedeihen ließ, findet in der Rubrik für unpassendes internationales Benehmen Erwähnung. Schon dessen Vater war als Präsident unangenehm aufgefallen, weil er bei seiner Ankunft in Australien das britische V-Zeichen darbot, als er aus dem Flugzeug stieg - dieses steht in Großbritannien und den USA für ‚Victory‘ und wurde beispielhaft einst von Winston Churchill etabliert. Da er seinen australischen Gastgebern allerdings nicht die nach außen gewandte Innenseite seiner Hand zeigte, sondern seinen Handrücken, drückte er damit die für Briten und Australier entsprechende Bedeutung von up yours aus, die in etwa dem ausgestreckten Mittelfinger entspricht. Diese Geste wurde weltweit übertragen und wirkte sich, wie kommentiert wird, eher negativ auf die politische Mission des Staatsoberhauptes aus (ibid.). Kulturelle Differenzen bei der Körpersprache zeugen von der sich auf den me nsch lichen Körper auswirkenden Prägekraft von Kulturemen. Verdeutlichen lässt sich dies an zwei typischen Beispielen. (1) Zum ersten gibt es kulturell unterschiedliche Arten, die Bedienung in einem Restaurant zu rufen. Kulturadäquates Verhalten ist hier nicht ganz einfach, denn es gibt viele Varianten: In zahlreichen angelsächsischen Ländern sollte man die Bedienung leise rufen (Sir, Miss, Waiter) oder den Finger heben, um Aufmerksamkeit zu erhalten, oder man neigt den Kopf zur Seite; es gilt als unfein, mit den Fingern zu schnippen. In Europa ist es allgemeiner Usus, etwas lauter nach der Bedienung zu rufen oder leise mit einem Löffel oder Ring an ein Glas oder eine Tasse zu stoßen (auch hier gelten unterschiedliche Höflichkeits- und Dringlichkeitsgrade). In Afrika klopft man auf den Tisch, im Mittleren Osten klatscht man mit den Händen, in Japan erhebt man eine Hand leicht und macht mit den Fingern leicht wedelnde Bewegungen, in Asien und im südpazifischen Raum ist das Winken mit dem Zeigefinger tabu, es wird zum Hunderufen verwendet. Weitere Kulturunterschiede ließen sich aufzählen (Harris, Moran 1993: 43f.). (2) Eine Vielzahl von kulturellen Unterschieden gibt es gleichfalls beim Augenkontakt zwischen Teilnehmern eines Gesprächs. Amerikaner zum Beispiel pflegen festen Augenkontakt, aber weniger lang als Europäer und besonders Araber. Das Vermeiden von Augenkontakt gilt in den genannten Kulturkreisen als Zeichen einer unsicheren, wenig glaubwürdigen und unfreundlichen Einstellung. Japaner hingegen blicken nach unten, wenn sie mit einer sozial höhergestellten Person sprechen, als Zeichen <?page no="200"?> Interkulturelle Kompetenz 186 von Respekt; und in traditionellen muslimischen Gesellschaften gilt eine Frau, die offenen Augenkontakt sucht, als Flittchen oder gar Prostituierte (vgl. ibid.: 44). Die Forschung zur nonverbalen Kommunikation unternimmt entsprechend Kategorisierungen in diesem Bereich. Fernando Poyatos (1992) nennt als Triade der menschlichen Kommunikation Sprache, Parasprache und Kinetik. In Anlehnung an weitere Kategorisierungen bei Poyatos und Argyle (1983, vgl. auch Byram 1997: 13) ließen sich sechs Dimensionen der nonverbalen Kommunikation auffächern. Sie drücken sich aus beim Kommunizieren interpersonaler Einstellungen und Gefühle, bei der Präsentation des Individuums, bei Ritualen und der Unterstützung verbaler Kommunikation. Sie dienen der Markierung von Geschlechtlichkeit, aber auch von ethnischer und sozialer Gruppenzugehörigkeit. Gesichtsausdruck: insbesondere Mundbewegungen und Koordination des Gesichtsausdrucks, Blickrichtung und Blickkontakt: Fixierung oder Vermeidung von Kontakt, insbesondere in Abhängigkeit zu Geschlecht und sozialem Rang, Körperhaltung, Gesten und andere Körperbewegungen: Kultur- und geschlechterspezifische Körperhaltungen, Gesten und Zeichensprache. Dazu gehören auch physiologische Reaktionen wie Weinen oder Erröten, Körperkontakt und Verhalten im Raum: Bei der Proxemik geht es um Nähe und Distanz zu anderen Personen im öffentlichen und privaten Raum, Kleidung und Auftreten: Diese markieren gruppenspezifischen Konformismus oder nichtkonformes, sub- oder alternativkulturelles Verhalten in Abhängigkeit von kollektiven Normvorstellungen (Mode, Körperpflege, Kosmetik, Accessoires, sichtbare Tätowierungen, Piercings, Haarstil usw.); hierzu wäre auch die symbolische Erweiterung des Körpers durch Autos, Wohnräume usw. zu zählen. Nonverbale bzw. paralinguale Aspekte des kommunikativen Verhaltens: Zungeschnalzen, Verwendung von Schweigen, Lautstärke usw. Poyatos (1992) und Oomen-Welcke (2004) schlagen dazu verschiedene Unterrichtsmethoden vor. Interessant sind hier paralinguistisch ausgerichtete Varianten von critical incidents oder Rollenspiele, bei denen, beispielsweise in einer multikulturell zusammengesetzten Lerngemeinschaft, unterschiedliche Formen von Proxemik und Augenkontakt oder kulturtypische Gesten ausgetestet und am eigenen Leib erfahren werden. Des Weiteren bietet es sich an, visuelles Material zu analysieren. Gerade bei der Film- und Videoanalyse ist über Körpersprache viel zu lernen. 5.4 Grenzen interkulturellen Verstehens Problem Kulturrelativismus Wenden wir uns nach diesen konkreten Themenfeldern aus dem Bereich der Interkulturalität einigen grundsätzlichen Fragestellungen zu: Sind wir zu den in der interkulturellen Debatte immer wieder genannten Denk- und Verhaltensmustern der Solidarität, der Empathie und des Verständnisses von Andersartigkeit, der Akzeptanz von Ambiguität nicht nur moralisch verpflichtet, sondern geradezu ethisch ‚verurteilt‘? Ulrich Beck, der hier als prominenter Vertreter der Globalisierungsforschung bereits mehrmals zitiert wurde, formuliert stellvertretend für viele Soziologen <?page no="201"?> Interkulturelle Kompetenz 187 die Notwendigkeit und Unverzichtbarkeit einer „planetarische[n] Verantwortungsethik“ oder „postnationale[n] Verantwortungsethik“ (Beck 2008: 41, 42). Ihre zentrale Bedeutung für die Koexistenz von unterschiedlichen Nationen und Ethnien ergibt sich aus der Globalisierung: In der kommunikationstechnologisch vernetzten Welt haben zum ersten Mal in der Geschichte alle Menschen, alle ethnischen und religiösen Gruppen, alle Bevölkerungen eine gemeinsame Gegenwart: Jedes Volk ist der unmittelbare Nachbar jedes anderen geworden, und Erschütterungen an einer Stelle des Erdballs breiten sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit über die gesamte Erdbevölkerung aus. Aber diese faktische gemeinsame Gegenwart fußt nicht auf einer gemeinsamen Vergangenheit und garantiert keinesfalls eine gemeinsame Zukunft. Gerade weil die Welt ohne ihre Absicht, ohne ihr Votum ohne Zustimmung ‚geeint‘ ist, treten die Gegensätze zwischen den Kulturen, Vergangenheiten, Lagen, Religionen - besonders in der Beurteilung und im Umgang mit globalen Gefahren (Klimawandel, Terrorismus, Kernenergie, Atomwaffen) - deutlich hervor. (ibid: 34) Haben aber Toleranz und Kulturrelativismus wirklich den unhinterfragbaren Status eines globalen Vademecums erlangt? Hier stellt sich erneut die Frage nach dem Paradigma des Kulturrelativismus, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Zusammenbruch eurozentrischer Dominanz prägend wurde. Problematisch erscheint dieses Paradigma aus zweierlei Gründen: Erstens, weil es weiterhin existierende, aus der Kolonialzeit hervorgegangene Machtasymmetrien nicht wirklich thematisiert. Zweitens, weil es keine ausreichende Antwort auf interkulturelle Phänomene wie Befremdung liefert und keine Grenzsetzung gegenüber inakzeptablen Kulturmustern erlaubt. Auf die zuerst genannten Machtasymmetrien wurde bereits in den Ausführungen zur Ausbreitung der englischen Sprache, zum Imperialismus, Postkolonialismus und zu Mechanismen der Alteritätszuweisung eingegangen (vgl. Kap. 4.3). Es soll an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, wie vergangene Kollektiverfahrungen in interkulturelle Kommunikationssituationen hineinwirken. Sie stehen einer unbefangenen Begegnung entgegen, wie in einem kritischen Beitrag zur ‚Revidierung der interkulturellen Kompetenz‘ deutlich wird, in dem Georg Auernheimer (2007: 20) eine Erkenntnis Bourdieus zitiert: Kurz, wenn ein Franzose mit einem Algerier oder ein schwarzer Amerikaner mit einem WASP spricht, dann sind das nicht einfach zwei Personen, die miteinander reden, sondern, über sie vermittelt, die ganze Kolonialgeschichte oder die ganze Geschichte der ökonomischen, politischen und kulturellen Unterdrückung der Schwarzen [...] in den Vereinigten Staaten. Neben diesem ‚postkolonialen Moment‘, welches in viele interkulturelle Begegnungen hineinwirkt, wirft das Thema ‚Grenzen der Toleranz‘ eine erhebliche Reihe von Fragen im Bereich interkultureller Lernziele auf. Es geht dabei im zwischenmenschlichen Bereich zunächst um den Umgang mit Befremdung, mit Abstoßendem - es geht um „Zumutbarkeitsgrenzen“ (Wierlacher 1993: 49). Wie geht man beispielsweise mit dem ausgeprägten Patriotismus, der fundamentalistisch anmutenden Religiosität und dem übertriebenen Hygienefimmel vieler US-Amerikaner um? Oder mit skurril wirkenden Formen der puritanischen Sexualität, dem vielfach mangelnden Umweltbewusstsein oder dem unverantwortlich wirkenden Umgang mit Waffen, also mit Einstellungen und Praktiken, die Deutschen im besten Fall suspekt, im schlimmsten Fall erschreckend erscheinen? Vor allem die als widersprüchlich wahr- <?page no="202"?> Interkulturelle Kompetenz 188 genommenen Elemente des amerikanischen Way of life rufen Irritation hervor, wie dies Auernheimer (ibid.: 22) anhand einer typischen Studentenreaktion schildert: Eine Pädagogikstudentin drückte in ihrem Praktikumsbericht ihr Befremden unter anderem darüber aus, dass die Eltern auf einer Freizeitranch einerseits trotz einer Aufsicht äußerst besorgt waren, als ihre Kinder in einem Boot mit Schwimmwesten (! ) auf einem Teich herumruderten, aber andererseits nichts dabei fanden, das auch schon Kleinere mit einer Schusswaffe hantierten. Irritiert war sie auch über die eng gezogenen Schamgrenzen; denn selbst die Kleinsten durften nicht ohne Badekleidung herumlaufen. Wenn wir die Irritationen des Alltags verlassen und in den Bereich der interkulturellen Leitkonzepte gehen, so stellen sich Fragen nach den Grenzen der Toleranz und Akzeptanz noch deutlicher. Ist der Kulturrelativismus wirklich eine akzeptable Maxime? Sollten Lehrende demnach Empathie und Identifikationsangebote liefern in Bereichen von höchst fragwürdigen Fremd-, Alternativ- und Subkulturen, wie beispielsweise den Azteken, der Mafia oder den Neonazis? Wie steht es mit den ‚Zumutbarkeitsgrenzen‘ bei Fragen der von Eltern arrangierten Ehen, der Verschleierung von Frauen, dem indischen Kastensystem, amerikanischen oder muslimischen Auswüchsen des Fundamentalismus, den in vielen Gesellschaften offenkundigen sozialen Ungerechtigkeitsstrukturen? Kritische Perspektiven auf die Fremdkultur Im Englischunterricht werden traditionell Themen fokussiert und Texte eingesetzt, die andere Kulturen als komplexe, eben auch kritikwürdige Gebilde erkennen lassen. Man muss hierbei nicht einmal postkoloniale Texte oder Texte von Minderheiten als Beispiele heranziehen oder die klassische Schullektüre zur Skepsis gegenüber dem American Dream, die Tragödie Death of a Salesman von Arthur Miller (1949). Schon scheinbar eher auf Unterhaltung setzende Produktionen liefern genug Material, welches zur ablehnenden Haltung und kritischen Stellungnahme aufruft und weniger zu Toleranz und Empathie. Um nur einige Beispiele zu nennen: In dem Film Local Hero (1983, Regie Bill Forsyth) wird die schottische Ölindustrie und die Ausbreitung urbaner Strukturen und materieller Denkmuster in ländlichen Gegenden angegriffen, ähnlich wie in The Englishman Who Went Up a Hill but Came Down a Mountain (1985, Regie Christopher Monger) die rationale Fortschrittsgläubigkeit Englands. Der amerikanische Thriller Witness (1985, Regie Peter Weir) entwirft mit der konservativen Amish-Gemeinde in Pennsylvania ein positives Gegenbild zur Schnelllebigkeit, Hektik und Korruption städtischen Lebens. Und selbst ein Blockbuster wie Crocodile Dundee (1986, Regie Peter Feiman) versteht es, die typisch stereotype Sichtweise der Weißen auf die australischen Aboriginees als exotische Andere zu unterlaufen. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Frage, wer wen kritisieren darf. Es ist bezeichnend hierfür, dass in Deutschland eine während der George-Bush- Administration virulente antiamerikanische Stimmung zur expliziten Präferenz für die amerikakritischen Dokumentarfilme Michael Moores führte. Dessen satirische Bestandsaufnahmen Amerikas unter Bush wurden dabei tendenziell als bildungspolitischer Beitrag und authentischer Binnenkommentar zur Verrohung Amerikas rezipiert. Im eigenen Land selbst wurde er ebenso angegriffen wie andere in Deutschland gern gelesene kritische Künstler oder Autoren. Als ‚Nestbeschmutzer‘ wurden gleichfalls Hanif Kureishi, Zadie Smith oder Monica Ali (als Vertreter der <?page no="203"?> Interkulturelle Kompetenz 189 asiatischen Community im Vereinigten Königreich) attackiert, ebenso wie J.M. Coetzee in Südafrika oder Arundhati Roy in Indien. Die Frage, wer wen kritisieren darf und wie weit die Kritik gehen darf, lässt sich am Beispiel einer deutschlandinternen Debatte illustrieren. In seinen autobiografischen Erinnerungen Unterwegs von Deutschland nach Deutschland (1990) berichtete der westdeutsche Literat Günter Grass über die aus seiner Sicht gescheiterte Wiedervereinigung. Er schildert die Bevölkerung der ehemaligen DDR als betrogene, irregeleitete, kolonialisierte Masse, verführt vom westlichen Materialismus. Und beklagt aus der Retrospektive den Verlust solidarischer Gemeinschaften und organischer Gesellschaftsstrukturen. Dabei ist sein Blick, wie ihm die ostdeutsche Autorin Monika Maron (2009: 17) vorwirft, der eines Fremden, eines Kolonisators: Dabei tut er eigentlich selbst, was er allen anderen vorwirft. Er kolonisiert, wenn auch nur im Geiste. Er entscheidet, wessen Meinung zugelassen wird, er weiß, was für diese leichtgläubigen, zurückgebliebenen, D-Mark-versessenen Ostdeutschen richtig ist, was sie wollen müssten und dummerweise nicht wollen, er tritt als Fürsprecher ihrer wahren Interessen auf, als wären sie selbst zu blöd, die zu artikulieren. Marons Formulierungen erinnern an Vorwürfe, die man sicherlich vielen Beobachtern anderer Kulturen generell entgegenhalten könnte. Die Debatte wirft auch die im interkulturellen Dialog zentrale Frage auf, ob Kritik nur kulturintern geschehen soll. Im interkulturellen Kontext bietet gerade der Fundamentalismus und das Erstarken inakzeptabler Ausformungen von Religiosität Anlass dazu, die Zielvorstellungen interkulturellen und damit globalen Lernens noch einmal zu überdenken. Wenn zentralen Werten des interkulturellen Dialogs, die sicherlich aus der abendländischen Aufklärung entstanden sind, diametral entgegenstehende Positionen eingenommen werden, sind Grenzen der Toleranz und des Fremdverstehens erreicht. Die Grenzen der Toleranz richten sich gegen intolerantes Verhalten. Heinz Antor (2007: 121) fasst hier entsprechend deutlich zusammen: An diese [Grenzen] stößt man immer dort, wo essentialistisch-normative Kulturpositionen monopolistische Ansprüche auf Kosten anderer Kulturen stellen und in fundamentalistischen Fanatismus abzugleiten drohen. Wo also die Menschenrechte, die Freiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Unversehrtheit oder das Existenzrecht des anderen geleugnet werden, wäre es falsch verstandene liberale Toleranz, diese Haltung als verständliche Positionalität zu akzeptieren, die eben aus einem anderen kulturellen Horizont heraus bedingt sei. Vielmehr können solche Positionen nicht geduldet werden, da sie friedliche interkulturelle Koexistenz vereiteln. Ebenso wäre es falsch, Kritik an solchen Einstellungen als imperiale Geste zu interpretieren, die unbotmäßig versuche, der westlichen Kultur entstammende Werte anderen aufzuzwingen. Interkultureller Dialog bedarf einerseits der Offenheit und der Toleranz einer antiessentialistischen Weltsicht und des Respekts für differente Partikularitäten, andererseits aber auch - und hier liegt wiederum nur scheinbar ein Paradoxon vor - der Akzeptanz einiger weniger universalistischer Grundsätze, die nicht tolerant verhandelbar oder gar aussetzbar sind. <?page no="205"?> 6. Aspekte der Vermittlung von Kultur 6.1 Kulturvermittlung und ihre Themengebiete Von der Theorie zur Methodik Die letzten beiden Hauptkapitel dieses Bandes wenden sich methodisch-didaktischen Fragestellungen zu. Auch auf diesem Gebiet hat es in der didaktischen Publikationslandschaft erhebliche Veränderungen gegeben. Noch bis etwa in die 1990er Jahre hinein galt es in fremdsprachendidaktischen Kreisen geradezu als unfein, sich in Fachaufsätzen oder gar Monografien in die ‚Niederungen‘ des Klassenzimmers zu begeben und konkrete methodische Vorschläge oder gar ausgearbeitete Unterrichtssequenzen anzubieten. Theoretische Diskussionen waren angesagt und das Erstellen konzeptueller Modelle; häufig endeten die Überlegungen mit Sätzen wie: In die tatsächliche Umsetzung des Modells durch die Lehrkraft wolle man sich nicht einmischen, dies sei im Aufgaben- und Verantwortungsbereich des/ der einzelnen Pädagogen/ in. Inzwischen hat es hier einen bemerkenswerten Pragmatisierungsschub gegeben. Die wenigen noch existierenden Fachzeitschriften setzen vermehrt auf eins zu eins umsetzbare Unterrichtskonzepte und -entwürfe und bieten entsprechende Stunden- und Arbeitsblätter. Sie konkurrieren dabei mit der Materialfülle des Internets, welche dort von Verlagen, aber auch von nichtkommerziellen Anbietern zuhauf zur Verfügung gestellt wird. Man mag diesen Mangel an Bereitschaft, sich auf theoretisch-konzeptuelle Diskussionen einzulassen, bedauern - zumal er mit der ausgeprägten Vorliebe für unmittelbar umsetzbares Unterrichtsmaterial verbunden ist. Doch angesichts der stetig gestiegenen Arbeitsbelastung der Lehrkräfte im pädagogischen und administrativen Bereich ist dieses Bedürfnis nach konkreten Unterrichtshilfen nur zu verständlich. Dennoch kann es in dem folgenden, stärker praxisbezogenen Teil zur Vermittlung kultureller und sprachlicher Inhalte nicht um konkrete Vorgaben zur Unterrichtsgestaltung gehen. Wer diese sucht, der sei auf die einschlägigen und nach wie vor hochqualitativen, meist sehr praxisbezogenen Zeitschriften wie Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, PRAXIS Fremdsprachenunterricht und Englisch Betrifft Uns sowie auf entsprechende Zeitschriften speziell für den Fremdsprachenfrühbeginn und die Sekundarstufe I verwiesen. Hier geht es um einen sich nach wie vor eher auf theoretisch-konzeptuellem Niveau bewegenden Überblick über gängige Konzepte, Modelle und Methoden bzw. Techniken des Fremdsprachenunterrichts. Obwohl dabei insbesondere Fragestellungen der Methodik - als des ‚Wie‘ oder ‚Womit‘ der Vermittlung - in den Vordergrund geraten (vgl. Weskamp 2001: 61ff.), soll die bei der Vermittlung von Kultur und Sprache wesentliche Komponente des ‚Input‘ nicht aus dem Blick geraten: Es ist dies die Frage nach den zu vermittelnden Inhalten, die sich aufgliedern lässt in (1) die Frage der Auswahl von Textmaterial sowie (2) die Frage zu dessen Zusammenstellung in didaktischen Arrangements. Das den folgenden Ausführungen zugrundeliegende Verständnis von didaktischer Vermittlung soll anhand von zwei Modellen illustriert werden: <?page no="206"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 192 Theorien Modelle Konzepte Input Throughput Output Methoden Techniken Modell 1 Modell 2 Abb. 28: Modelle der didaktischen Vermittlung Der in Modell 1 dargelegte didaktische Umsetzungsprozess stellt sich zunächst als top down-Modell dar. Es illustriert die Tatsache, dass jedes didaktische Handeln, wie es sich in der Wahl bestimmter Unterrichtsmethoden oder -techniken ausdrückt, von bestimmten Theorien abhängig ist; d.h., es gibt kein Handeln ohne dahinter erkennbare Theorien. Auch wenn Theoriekenntnisse fehlen oder eklektisch zusammengestellt werden, so steckt doch dahinter eine subjektive Vorstellung, eine implizite Theorie, die sich aus der Außenperspektive beobachten und beschreiben lässt. Mit Blick auf dieses top down-Modell ließe sich konstatieren, dass Vermittlung bzw. Unterricht von bestimmten Theorien gelenkt wird. Der Fachunterricht Englisch bezieht dabei seine Theorien aus einem Bündel von Bezugswissenschaften, die unterschiedlich in diese Theoriebildung eingehen (vgl. Weskamp 2001: 12ff.): Fachbezogene Wissenschaften (Linguistik, Sprachlehr- und Lernforschung, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft und ähnliche Bereiche) sowie ausgewählte, gleichsam übergeordnete Wissenschaftsdisziplinen (Pädagogik, Psychologie, Philosophie, Soziologie, Anthropologie usw.). Daraus entstehen bestimmte Konzepte oder Modelle für den (guten) Unterricht, von denen sich wiederum bestimmte konkrete Methoden und Techniken ableiten. Als Beispiel sei hier die pädagogisch-philosophische Theorie des Konstruktivismus genannt, der vom Bild bzw. Ideal des Lernenden als Individuum ausgeht, welches sich selbst den Lerngegenstand aneignet (vgl. z.B. Wendt 2000). Daraus ergeben sich bestimmte Konzepte, wie beispielsweise autonomes Lernen und kooperative Lernformen, woraus sich wiederum die Unterrichtsmethode des selbstgesteuerten WebQuests oder einer Gruppenarbeit im Unterricht ergeben kann, die wiederum in einzelne methodische Kleinschritte ausdifferenzierbar ist (vgl. Rüschoff, Wolff 1999, Rösler 2007). Bei Modell 2 steht hingegen der Prozess der Verarbeitung der Lerninhalte im Zentrum; es ist bereits konkret auf die Vermittlungssituation konzentriert. Während dabei bis vor kurzem der Input im Vordergrund stand, verbunden mit der Frage nach den Lernzielen, hat es hier eine deutliche Verschiebung in Richtung Output- Orientierung gegeben. Verstärkt stellt sich die Frage, was bei den Schüler/ innen <?page no="207"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 193 konkret ‚angekommen‘ und damit auch als Kompetenzgewinn messbar ist. Diese Output-Orientierung erklärt auch, weshalb innerhalb des neuen Lehr- und Lernparadigmen die Theoriebildung und Theoriezentrierung des ersten Modells zu hinterfragen ist: Denn sie wirft die berechtigte Frage auf, was Theorien zu leisten haben, damit optimaler Output generiert wird. Das Modell 1 stellt sich also nicht allein als top down-Konfiguration dar, sondern muss zugleich die Fragestellung verfolgen, ob Theorien auch Ergebnisse liefern. Es geht also gleichfalls um bottom up-Prozesse: Wenn bestimmte Theorien nicht in unterrichtsrelevanten Konzepten und Modellen abzubilden sind oder in der Umsetzung problematische Ergebnisse liefern, so erscheinen sie im besten Fall als nicht brauchbar, im schlimmsten Fall als kontraproduktiv. Ein Beispiel wären hier die in der Literatur- und Kulturwissenschaft der letzten Jahrzehnte präferierten Theorien der Postmoderne, des Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus. Mit ihrer radikalen Infragestellung menschlicher Erkenntnisfähigkeit und Sinnhaftigkeit führen sie erstens zu erkenntnistheoretisch eher problematischen Umsetzungsmodellen und dürften zweitens in der konkreten Applikation bei Schüler/ innen vor allem Verwirrung oder Desinteresse auslösen (vgl. Donnerstag, Volkmann 2008). In den folgenden Ausführungen sollen hingegen unterrichtspraktisch verwertbare Hinweise formuliert werden. Es geht hierbei zunächst um die Frage des Inputs, also um die bedeutende Problematik, welche kulturellen Themenbereiche für den Unterricht von zentraler Bedeutung sind. Anschließend seien mit Bezugnahme auf das gegenwärtige Methodenparadigma des (moderaten) Konstruktivismus einige besonders geeignete Lehr- und Lernformen vorgestellt. Bei der dann folgenden Frage nach dem Kompetenzgewinn sei (außer dem Verweis auf die bereits eingehend diskutierte Thematik der interkulturellen [kommunikativen] Kompetenz) auf die zentrale Bedeutung der Medienkompetenz hingewiesen - von der Lesekompetenz bis zu den multiliteracies. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage nach der Auswahl von Medien, Materialien und Texten (zusammen als ‚Texte‘ bezeichnet) sowie der thematisch orientierten Zusammenstellung von Textsequenzen. Dem schließen sich konkrete Überlegungen zur Vorgehensweise beim Umgang mit diesen Materialien an; diskutiert wird hier die Spannung zwischen analytischen und ‚alternativen‘ (schüler- und produktionsorientierten) Methoden der Textarbeit. Im darauf folgenden Kapitel 7 werden die Spezifika einzelner Textsorten genauer erörtert. Zentrale Themengebiete Aus Sicht der Kulturdidaktik ist die Auswahl der Themengebiete für den Fremdsprachenunterricht dessen zentrale Frage schlechthin. Sie rekurriert auf die in Kap. 2 diskutierten Definitionen und Vorstellungen von Kultur (semiotisches Verständnis von Kultur, small c culture, Eisberg-Theorie) und Fragen der Schwerpunktsetzung innerhalb der englischsprachigen Kulturen oder eines bereits am Global English orientierten Verständnisses von Fremdsprachen- und Kulturvermittlung. Dabei hat sich seit der Jahrtausendwende eine deutliche Verschiebung zugunsten so genannter global issues vollzogen. In kultusministeriellen Lehrplanvorgaben, Unterrichtsmaterialien und zahlreichen fachdidaktischen Publikationen besteht ein eindeutiger Trend zu länder- und regionenübergreifenden Themenkomplexen. Begründet ist dies in der Abkehr von Konzepten der Landeskunde und den mit ihr verbundenen fakten- und <?page no="208"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 194 wissensbasierten, auf einzelne Länder ausgerichteten Inhalten zugunsten einer problem- und damit themenzentrierten Orientierung. Dies ergibt sich natürlich auch aus der beschriebenen Expansion des englischsprachigen Kulturgebiets und der damit zusammenhängenden sukzessiven Bedeutungsreduktion der Kernländer Großbritannien und USA. Zudem stehen hier bildungspolitische Vorstellungen im Raum, die eine doppelte Zielsetzung verfolgen: So sollen einerseits ethnozentrische Denkmuster und die Konzentration auf Europa oder den westlichen Kulturraum durchbrochen, andererseits soll ein globales Bewusstsein gefördert werden. Die didaktische Vorgabe lautet hier, anhand von thematisch ausgerichteten Fallbeispielen exemplarisch die Interdependenz der Weltgesellschaft aufzuzeigen. Damit können Konfliktfähigkeit, interkulturelle Sensibilität, Toleranz usw., aber auch Einsichten in die Relativität und kulturelle Geprägtheit der eigenen Position gefördert werden. Es bietet sich bei dieser der nationalen Perspektive übergeordneten globalen Ausrichtung, wie der bilinguale Unterricht im Fach Geschichte beispielhaft zeigt, zudem eine Konzentration auf wichtige historische Themenfelder an. Diese können vor allem Perioden sein, in denen der englischsprachige Kulturraum (GB, USA) als zentraler Auslöser oder Träger globalhistorischer Umwälzungen wirkte. Hier wären vor allem zu nennen: Das Zeitalter der europäischen Expansion und Eroberung der Welt; der Sklavenhandel und besonders das ‚Sklavendreieck‘ zwischen den nordamerikanischen Kolonien, Großbritannien und Afrika; die Genese und Entwicklung der angelsächsischen Demokratie und Vorstellungen von bürgerlicher Freiheit, Gleichheit und Teilhabe an der Staatsmacht; das Zeitalter der Aufklärung; die industrielle Revolution; Kolonialismus, Imperialismus und Krise des europäischen Staatensystems; die Weltkriege; das Zeitalter der Dekolonialisierung; das bipolare Weltbild des Kalten Krieges und das 20. Jahrhundert insgesamt als ‚Jahrhundert Amerikas‘; Globalisierung und vieles mehr. Ähnliche Themengebiete bietet traditionell der Geografieunterricht an. Damit kann der bilinguale Geschichtsbzw. Geografieunterricht einen wichtigen Beitrag für eine transnationale Sichtweise leisten (vgl. auch die Beachtung globaler Themenbereiche beim Modell des ‚bilingualen Dreiecks‘ nach Hallet 1998). Die Konzentration auf global issues im Englischunterricht bringt auch einige Problematiken mit sich. (1) Wenn bei den Fallbeispielen nicht die nötige historische und kontextuelle Einbettung und damit Tiefendimension erreicht wird, besteht die Gefahr einer oberflächlichen Behandlung, bei der kulturelle Unterschiede nivelliert werden. (2) Wenn in einer Art topic hopping Thema nach Thema abgearbeitet wird ohne vertiefende Vernetzung mit spezifischen zielkulturellen Kontexten, können Schüler/ innen kein tiefgehendes Interesse für oder eine emotionale Beziehung zu bestimmten Ländern oder Regionen aufbauen. Wenn nationale Unterschiede verschwimmen, kann das Resultat eher in Desinteresse und Ignoranz mit Bezug auf andere Kulturen bestehen, weil deren Überzahl gar nicht erst identifikatorische Angebote liefert. (3) Wenn dabei undifferenziert auf transnationaler Ebene argumentiert wird, eröffnet sich ein Problem, welches in der seit Jahrzehnten in den USA geführten Debatte um culture-specific vs. culture-general hervortritt: dass sich nämlich hinter der transnationalen Geste doch wieder ein Anspruch auf universale Erklärbarkeit mit Hilfe westlicher Konzepte verbirgt, es sich also um eine lediglich verfeinerte Spielart westlichen Dominanzdenkens handelt. Vermieden werden können derartige negative Tendenzen bei global issues, wenn, wie betont, (a) zur Vermeidung von ahistorischer Oberflächlichkeit historische Dimensionen <?page no="209"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 195 flächlichkeit historische Dimensionen berücksichtigt werden, (b) durch eine entsprechende Textzusammenstellung kulturverbindende wie kulturdifferente Momente hervortreten und gegeneinander gestellt werden. Singh und Greenlaw (1998) schlagen hier eine ‚contrapuntal pedagogy‘ vor (eine Pädagogik der ‚Gegenstimmen‘), bei der eurozentrisch ausgerichtete Texte in einen erhellenden Sinnzusammenhang mit postkolonialen Texten geraten. Dadurch werden bestimmte Ereignisse oder Personen von verschiedenen Perspektiven her ausgeleuchtet. (4) Zugleich verweist die Gefahr einer oberflächlichen Behandlung auf die weiterhin bestehende Notwendigkeit, bestimmte englischsprachige Kulturen konzentrierter und tiefgehender im Fokus zu behalten und nicht nach dem thematischen Gießkannenprinzip zu verfahren. Global issues und transkulturelle Themenbereiche und Lernziele lassen sich nach folgenden, teilweise überlappenden Gebieten auffächern: (1) Themen, die sich unmittelbar mit der Ausbreitung der englischen Sprache und der angelsächsischen Welt befassen (Varietäten des Englischen, Sprachimperialismus, die oben genannten historischen Themen usw.). (2) Themen, die dem Bereich des Kolonialen und Postkolonialen zuzuordnen sind, z.B. (post-) koloniale Gesellschafts- und Denkstrukturen, Alteritätszuweisung und nationale Stereotype in diesem Bereich. (3) Der Themenbereich von Multikulturalismus, Hybridität, Kulturvermischung und ethnischen Minoritäten, wie er gleichfalls bisher eingehend behandelt wurde (vgl. z.B. Kap. 3.6). (4) Der gesamte Themenbereich der Aspekte und Dimensionen von inter- und transkulturellen Kompetenzen, wenn diese nicht allein auf die core countries beschränkt sind. Dazu gehören Fragen des Verständnisses von Kultur und Individuum, cultural awareness und language awareness, beispielsweise mit Bezug auf das face-Konzept und den sprachlichen Bereich von Höflichkeits- und Konversationsroutinen beim Gebrauch der englischen Sprache weltweit. (5) Die traditionellen sowie die durch neuere technische und ökonomische Entwicklungen bestimmten Themen menschlicher Existenz: Diese können bereits bei jungen Fremdsprachenlernern Bereiche des Alltags beinhalten wie Alltagsrituale und beispielsweise Essen und Trinken. Sie setzten sich fort mit Themen wie Erwachsenwerden und Gender und erstrecken sich auf die Bereiche Technik und Medienwelt sowie Bedrohungen des Einzelnen. (6) Vor dem Hintergrund der ‚globalen Risikogesellschaft‘ (Beck 2008) ergeben sich besonders Themenbereiche in den Gebieten der global education (Friedenserziehung, Thema Kulturkonflikte und globaler Terrorismus), aber auch im Gebiet der neu entstandenen ‚Ökodidaktik‘, die ein verändertes Bewusstsein gegenüber der Natur einfordert (Umwelterziehung, Thema Klimawandel und globale Naturkatastrophen). <?page no="210"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 196 Abb. 29: Global issues im Überblick Da die Themenbereiche (1) bis (4) bisher eingehend erörtert wurden, sei im Folgenden umrissen, wie die unter (5) und (6) genannten Bereiche genauer zu verstehen sind. Zum Themenbereich (3) sei an dieser Stelle noch kurz auf die mögliche Problematik einer Länder und Regionen übergreifenden Vorgehensweise beim Thema Multikulturalismus, Immigration und Minderheiten hingewiesen (vgl. auch Auerheimer 2007: 26). Ein allzu abstraktes oder verallgemeinerndes Herangehen ist hier ebenso wenig sinnvoll wie die komplexe Auffächerung des Themas. Vielmehr erscheint es wichtig und notwendig, sich im Wesentlichen auf eine Zielkultur zu konzentrieren, da das Wissen der Schüler/ innen in dem Bereich noch eher unsystematisch oder rudimentär ist. Andreas Müller-Hartmann (2000: 122f.) verdeutlicht dies am Beispiel der amerikanischen Minderheiten: [W]ährend deutsche Schülerinnen und Schüler die vielen Kulturen in ihrem eigenen Klassenzimmer oft noch nicht einmal kennen, so wissen sie noch viel weniger über amerikanische Minderheitenkulturen. [...] Gleichzeitig ergibt sich jedoch die Chance, dass durch die Beschäftigung mit den Schwierigkeiten von Minderheitenliteratur den Schülerinnen und Schülern die Augen für die Vielfalt und die Konflikte verschiedener Kulturen in ihrem eigenen Klassenzimmer und in der deutschen Gesellschaft geöffnet werden. Es kann jedoch, wenn ein spezifisches Land eingehender fokussiert wird, auch ein ‚globales Lernziel‘ erreicht werden, gerade durch die Rückkoppelung auf die eigene gesellschaftliche Erfahrung, die in einem neuen, hoffentlich vertieften Sinne wahrgenommen wird. Globale Ausbreitung des Englischen Postkoloniale Strukturen, Othering Multikulturalismus, Minoritäten, Kultvermischung Inter- und transkulturelle Kompetenzen ‚Zentrale Themen menschlicher Existenz‘: z.B. Alltag, Erwachsen werden, Bedrohung des Individuums Globale ‚Risikogesellschaft‘: Terror, Konflikte, Mensch & Natur Exemplarische Kontextualisierung Historische Vertiefung <?page no="211"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 197 Alltag und Ritual Wenden wir uns nun den oben unter (5) genannten zentralen Themen menschlicher Existenz zu. Diese Themen erkennt bereits die Grundschuldidaktik als bedeutsam (vgl. z.B. Doyé 1992). Es handelt sich um alltägliche Aktivitäten, die unseren Tagesablauf strukturieren und damit auch in der Phase des Spracherwerbs von zentraler Bedeutung sind. Hierbei geht es nicht nur darum, bestimmte Wortfelder zu vermitteln, sondern es kann bereits interkulturelle Aufmerksamkeit gefördert werden, wie beispielsweise beim beliebten Thema Essen, genauer noch beim Thema Frühstück. Hier können Anfänger bereits kulturelle Differenzen lernen und erfahren, dass hinter der direkten Übersetzung des deutschen Begriffs ‚Frühstück‘ durch das englische breakfast teilweise ganz andere Konzepte stecken. Dies kann exemplarisch geschehen, wenn sich Kinder im Rahmen einer Klassenkorrespondenz per E-Mail mit einer englischen Schulklasse über ihre Frühstücksvorlieben austauschen und dabei feststellen, dass Engländer andere Lebensmittel zum Frühstück bevorzugen, aber auch, wie in Deutschland, Müsli oder Cerealien kennen (vgl. Knapp 2008: 112f.). Es geht dabei um das Infragestellen kultureller Selbstverständlichkeiten und das Spiel mit Stereotypen. Denn die Kinder werden erkennen, dass das typische englische Frühstück mit bacon and eggs nicht unbedingt von allen Engländern bevorzugt wird und manche englischen Kinder sogar nur ein Glas Orangensaft zum Frühstück trinken oder dass es Kinder gibt, denen niemand ein Frühstück macht (womit die affektive Komponente hinzukommt, vgl. auch Nothnagel 1996: 309). Ein auf die transkulturelle Ebene ausgerichteter Unterricht würde die Frühstücksgewohnheiten weiterer ausgesuchter Nationen mit berücksichtigen - wobei bereits die Grenzen dieses Ansatzes gezeigt wären, denn gerade im Anfängerbereich gilt das Prinzip der Exemplarität (vgl. Klafki 2007: 141-161). Eine übertrieben multiperspektivische Ausweitung könnte eher Verwirrung und Aufweichung der affektiven Wirkung auslösen. Es wäre hier eher bei fortgeschrittenen Lernern sinnvoll, eine cultural awareness fördernde komplexere Unterrichtssequenz zum Thema Essen zu entwickeln. Michael Byram (1996: 65f.) schlägt dazu ein Vorgehen vor, bei dem deutlich wird, wie bestimmte mit dem Thema Essen verbundene Phänomene kulturell determiniert sind, wie Essensrituale, Verhalten bei der Nahrungsaufnahme, Gruppenidentität durch bevorzugte Speisen usw. Die Themenskala im Bereich ethnische Gerichte, religiös oder weltanschaulich verbotenem bzw. abgelehntem Essen, fast food und Gesundheits- und Diätrezepten ist dabei breit gefächert, so dass sich genug Unterrichtsmaterial auf praktisch-sinnlicher wie auch diskursiv-theoretischer Ebene verwerten lässt. Ein weiteres, bereits in der Grundschule beliebtes globales Thema ist das der Rituale und Feste. Deren anthropologische Bedeutung ist immer wieder betont worden (vgl. J. Assmann 1992: 17, 58). Durch ihre Doppelstruktur von Wiederholung und Vergegenwärtigung setzen sie den Einzelnen in Beziehung zu seiner Gesellschaft und Kultur. Sie liefern Teilhabe an den Zeitrhythmen und dienen zur „Erziehung, Heranführung der jeweils Jungen an die bestehenden Verhältnisse, Sich-Zurechtfinden im gestaltlosen Verfließen der Zeit“ (Maurer 2008: 163). Dabei gibt es bestimmte gesellschaftliche Feste und Festakte, aber auch ‚Übergangsschwellen‘, die als rites of passage im Lebenslauf des Individuums biografische Veränderungen markieren (vgl. J. Assmann 1992: 17, Fauser 2008: 74). Die rites of passage manifestieren sich vor allem im schwierigen Prozess des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen. In Literatur <?page no="212"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 198 und Film bieten sich dem Unterricht dafür zahlreiche Fallbeispiele. Es gibt das Genre des Bildungsromans oder der story of initiation, welche die Schwierigkeiten des Älterwerdens, den Verlust kindlicher Naivität und die Problematik einer komplexeren Weltsicht auslotet. Ebenso geht es um den mündigen Umgang mit den Erwartungen der Gesellschaft in Richtung Anpassung und soziale Rollenerfüllung. Andererseits, und in Spannung dazu, findet sich hier auch das Thema der individuellen Selbstfindung jenseits von sozialem Erwartungsdruck. Aber auch nichtliterarische Texte wie Kontakt- und Heiratsanzeigen, der Blick auf das dating system unterschiedlicher Kulturen usw. können Einblicke in kulturelle Unterschiede wie Gemeinsamkeiten beim Erwachsenwerden aufzeigen. Im Bereich der öffentlichen Rituale ist zwischen zwei Formen zu unterscheiden. Auf der einen Seite steht das Fest, welches den Alltag durch ein kontrastives vorübergehendes ‚Aussteigen‘ erträglicher machen soll (Notting Hill Carnival, Mardi Gras). Auf der anderen Seite gibt es die Feiern, die innerhalb des Alltags diesem einen Sinnhorizont verleihen sollen. Es kann sich dabei um informelle Trinksitten in den Bars der USA oder den Pubs Australiens handeln. Vor allem aber geht es um öffentlich inszenierte gesellschaftliche Akte. Wie unterschiedlich man dabei zentrale Einschnitte individuellen Lebens in anderen Gesellschaften feiert, lässt sich am Beispiel von Hochzeit und Totenfeier bzw. Beerdigung aufzeigen. Die dabei in angelsächsischen Ländern gepflegten Sitten (elaborierte Hochzeitsriten einerseits, ‚Verschönerung‘ des Toten bei der öffentlichen Aufbewahrung andererseits) kann auf sehr ergreifende Weise z.B. mit Hilfe entsprechender Filmausschnitte aus der britischen Romanze Four Weddings and a Funeral (1994, Regie Mike Newell) deutlich gemacht werden. Beliebt ist vor allem die unterrichtliche Thematisierung der verschiedenen Elemente des Weihnachtsfestes, welches im Laufe des 18. Jahrhunderts vom kirchlichen Fest zu einem Familienfest ausgestaltet und im 19. Jahrhundert in der jetzigen Form mit Tannenbaum und Weihnachtsliedern zu einem emotionalen Höhepunkt der Kleinfamilie wurde (Maurer 2008: 161). Auch in der Oberstufe kann man dabei über soziale Funktionen und die Kommerzialisierung dieses Festes diskutieren, in der Mittelstufe bieten sich entsprechend Popsongs („We are the World“, „Last Christmas“) oder (mediale) Versionen der berühmten Weihnachtsgeschichte aus der Feder des großen viktorianischen Schriftstellers Charles Dickens an (A Christmas Carol, 1843). Diese Erzählung empfiehlt sich allein schon, um interkulturelle Wissensbestände zu vermitteln. Die Unterstufe ist hingegen der Ort für eine eingehende, auf emphatischen Zugang setzende Beschäftigung mit Weihnachtssitten. Dabei können die Weihnachtsgebräuche verschiedener englischsprachiger (und auch nichtenglischsprachiger) Länder zum Thema werden, aber auch ähnliche, nichtchristliche Rituale (z.B. das jüdische Hanukkha-Fest; zugleich sei darauf hingewiesen, dass Weihnachten auch in nichtchristlichen Familien gefeiert wird). Dies könnte entsprechende Verkleidungen und Weihnachtsutensilien beinhalten, die bei einer im Klassenraum gefeierten Weihnachtsparty zum Einsatz kommen (Christmas carols, Christmas ornaments, mistletoe, Christmas pudding, stockings, small gifts usw., vgl. Chopek 2008: 15). Einen satirischen Zugang erlaubt eine filmische Episode aus den Abenteuern des beliebten Tollpatsches Mr. Bean (Rowan Atkinson, „Merry Christmas Mr Bean“, 1992). Insgesamt ist festzustellen, dass gerade amerikanische Feiertage ein ergiebiges Thema für den Englischunterricht sind. Der Martin Luther King Day, der Memorial <?page no="213"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 199 Day, Columbus Day und Independence Day erlauben Zugänge zu wichtigen amerikakundlichen Themenkomplexen. Da allerdings American style Christmas mit Jingle Bells, Father Christmas und Rudolph the Red-nosed Reindeer, dazu noch Halloween mit Trick or Treat, Hexenmasken und Pumpkins oder sogar noch Thanksgiving als uramerikanischer Feiertag inzwischen global vor allem von der Unterhaltungs- und Verkaufsindustrie entdeckt und verbreitet werden, sollte bei fortgeschrittenen Lernenden diese globalisierte Kommerzialisierung und materielle Instrumentalisierung von Feiertagen selbst kritisch thematisiert werden. Gender Aus den weiteren global issues sei hier besonders das Thema Gender hervorgehoben, wurde es doch lange Zeit eher vernachlässigt. Im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft und zunehmend auch in deren Didaktiken ist ‚Gender‘ eine wichtige Kategorie bei der Textauswahl, der Betrachtung der Darstellung der Geschlechter in Texten und bei der Frage nach ‚genderspezifischen‘ Themengebieten und Lesarten geworden (vgl. Decke-Cornill, Volkmann 2007). Spätestens seit den 1990er Jahren hat das Thema Gender die theoretisch-abgehobenen Theoriediskussionen der universitären Seminarräume verlassen. Dort wird weiterhin darüber gestritten, in welchem Traditionszusammenhang die Gender Studies mit traditionellen Feminismuskonzepten stehen, auf welche Weise neuere Richtungen - von den Gay Studies, Queer Studies bis zu den Men’s Studies oder Studies of Masculinity - hier einzuordnen sind und welche politisch-ideologischen Implikationen dies jeweils hat. Die breite, auch nichtakademische Öffentlichkeit zeigt sich eher an einer konstant anwachsenden Analyse- und Ratgeberliteratur zum Thema ‚Mann und Frau‘ interessiert, die in Form populärwissenschaftlicher Studien auf anhaltendes Interesse stößt. Genannt seien hier Bestseller wie die der Linguistin Deborah Tannen, You Just Don’t Understand (1990), zum unterschiedlichen Kommunikationsverhalten der Geschlechter, John Grays essenzialistisch formulierendes Men are from Mars, Women from Venus (1992), aber auch Robert Blys Eisenhans (1990), eine viel beachtete Studie über die ‚gepanzerte Identität‘, welche die ‚männliche‘ Sozialisation mit sich bringt. Natürlich feiern vor allem naturwissenschaftlich und biologisch argumentierende Abhandlungen über genetisch bedingte Geschlechterunterschiede weiterhin fröhliche Urständ. Dennoch hat sich (zumindest in großen Teilen der Welt) im kulturellen Mainstream des Zeitalters der Postmoderne und ausdifferenzierter Geschlechterkonstellationen weitgehend eine abwägende Sicht der Geschlechterordnung durchgesetzt: Die These einer kulturell bestimmten großen Bandbreite von Geschlechtlichkeit zwischen extremen Manifestationen von Männlichkeit und Weiblichkeit findet überwiegend Anerkennung. Die Abkehr von traditionellen Binarismen ist im Gange und wird als Befreiung empfunden, bisweilen aber auch als postmodernes Überangebot, als neue Unübersichtlichkeit - zu deren Bewältigung es eben der genannten Ratgeberliteratur bedarf. Inzwischen findet das Thema Gender auch in der Fremdsprachendidaktik stärkere Beachtung (vgl. im Überblick Decke-Cornill 2004, Decke-Cornill, Volkmann 2007). Es spiegelt sich zugleich implizit oder explizit in den unterschiedlichen Lehrplänen als eines der wichtigen global issues im Bereich der interkulturellen oder transkulturellen Lerninhalte. Einsichten in die tradierten und sich verändernden Diskurse der Geschlechterordnung erscheinen hierbei sowohl in allgemeiner (‚transkultureller‘) <?page no="214"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 200 wie kulturspezifischer Ausformung als ein wichtiger Bestandteil (inter-)kultureller Kompetenz im global village. Abgesehen von Filmen, Werbung, Popsongs und Musicvideoclips, in denen teilweise recht stereotype Bilder von Mann und Frau bzw. Mädchen und Junge verbreitet werden, kann insbesondere die Literatur komplexere, stark auf Reflexion der eigenen Vorstellung von Geschlechtlichkeit drängende Perspektiven eröffnen. Einige in diesem Zusammenhang für den Unterricht relevante Fragestellungen seien im Folgenden erörtert. Die wesentlichen Erkenntnisse der jüngsten Gender-Theorien lassen sich in Kürze wie folgt zusammenfassen: (1) Das kulturell konstruierte gender ist zu unterscheiden vom biologisch vorgegebenen sex. Wie bei der nature or nurture-Frage wird je nach theoretischer und disziplinärer Verankerung anders akzentuiert, welche Prägung überwiegt. (2) Dem Individuum bietet sich eine breite Auswahlskala von gendered identities, die euphorisch als Wahlfreiheit oder skeptisch als Entscheidungsdruck begriffen werden kann. Gender ist als fluid, performativ definiert und damit als wandelbar; es kann ‚verhandelt‘ und selbstbestimmt gewählt werden. (3) Nach wie vor bestehen dominante und den Einzelnen einengende Formen von soziokulturell geprägten Geschlechterordnungen (Stichwort: anhaltende Unterdrückung und Minderprivilegierung der Frau bzw. ‚heterosexuelle Normativität’). Im Kontext schulischen Lernens erscheint es - zumal angesichts der Tatsache, dass die schulische Institution traditionell „Ort dichotomisierter Geschlechterbeziehung“ ist (Decke-Cornill 2004: 188) - besonders wichtig, Reflexionsprozesse mit Bezug auf die oben genannten Aspekte von Geschlechterkonstruktion anzubahnen. Aus Kreisen der Literatur- und Kulturdidaktik wurden dabei verschiedene, aufeinander bezogene Vorgehensweisen nahe gelegt (vgl. im Überblick Volkmann 2007b): (1) Veränderte Textauswahl: Der vielfach kritisierte ‚geheime’ Kanon der gymnasialen Oberstufe (ironisch zu bezeichnen als Catcher of the Flies et al.) erscheint (zumindest bis vor kurzem noch) auffallend definiert als Produkt jener Dead White Males, die im universitären Umfeld bereits seit geraumer Zeit vom Sockel der ‚Andro- und Phallogozentrik’ gestoßen wurden und durch Autoren und Autorinnen ersetzt wurden, welche eine stärkere Repräsentation der Kategorien von gender, race, ethnicity usw. gewährleisten. Zahlreiche Empfehlungen in didaktischen Publikationen plädieren eindringlich für die Notwendigkeit gymnasialen Umdenkens. (2) Zugleich wurde erkannt, dass in den tradierten Texten männlicher Autoren in der Regel eher ‚männliche’ Themen und männliche Identifikationsfiguren vertreten sind. Entsprechend wurden Titel- und Themenvorschläge genannt, die deutlichere Verbindungen zu den Lebenswelten von weiblichen Lesern an der Schule aufweisen bzw. diese weiblich konnotierten Themengebiete männlichen Lesern nahe bringen können. (3) Die Gender Studies mit ihrer erweiterten Perspektive auf die Repräsentation beider Geschlechter und unterschiedlicher Geschlechtlichkeiten verweisen auf die Notwendigkeit, Texte mit einem gewissen Irritationspotenzial zu verwenden bzw. Texte, die gängige Geschlechtervorstellungen in Frage stellen, zur Reflexion über eigene Gender-Stereotype anregen und damit Impulse zum Nachdenken über Gender als kulturelles Konstrukt liefern. Dies kann geschehen (a) durch kontrastives Vorgehen, indem ein Text mit ausgesprochen konventionellen Geschlechtervorstellungen einem mit ‚alternativen’ Vorstellungen entgegengestellt wird, (b) die Wahl eines witzigen, verfremdeten bzw. parodierenden Textes (z.B. alternative Märchenerzählungen wie James Thurbers Fabel „The Little Girl and the Wolf“, 1939, in der Rotkäppchen, ganz <?page no="215"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 201 aufgeklärtes Mädchen, den bösen Wolf erschießt). (4) Auch Texte mit ‚differenten Sexualitäten’ können und sollten als bisher in der Regel marginalisierte Stimmen einen Platz im Englischunterricht der Oberstufe finden, seien es die Sonette Shakespeares (ohne dass dabei Aspekte der hier artikulierten homoerotischen Geschlechterbeziehung übergangen werden) oder Texte wie der auf Hanif Kureishis Skript beruhende Film My Beautiful Laundrette (1985, Regie Stephen Frears). (5) Besonderes Augenmerk wurde schließlich auf die Repräsentation von Frauen in literarischen Texten gerichtet. Neuere Ansätze der Gender Studies ergänzen diese Perspektive, indem nun auch die soziokulturelle Konstruktion von Männlichkeit zum Thema wird. Es ergibt sich eine Reihe von kritischen Ansätzen und Fragestellungen. Diese können und sollten im Unterricht bei der Analyse literarischer Texte (in Auswahl) beachtet werden (vgl. Volkmann 2007b): What roles do women and men have in a text? Does the text work with gender stereotypes? Or does it reverse them? What values and power positions are attributed to men and women in the text? What are the attitudes towards women held by the male characters and vice versa? Is one gender given more prominence or dominance in a text? Are the text’s topics, imagery, style, etc. more ‘feminine’ or more ‘masculine’? What assumptions do we base our gender ascriptions on? How are differences between male and female characters constructed (behaviour, language, etc.)? Does a text / how does a text deal with the issue of different sexualities? Natürlich ist ein derartiger Entwurf eines ‚Fragenkatalogs‘ nicht als verbindliche Interpretationsvorgabe zu verstehen. Eher kann er Leitfragen liefern, welche zu größerer Gender-Sensibilität bei der Interpretation von Literatur und Film, überhaupt jeglicher kultureller Äußerung verhelfen mögen. Globale Erziehung - ökodidaktische Ansätze Bevor wir uns mit zwei seit etwa dem Jahre 2000 für die Themenauswahl wichtigen didaktischen Richtungen zuwenden - sie stammen aus den Bereichen des global learning und der Ökokritik - sollte betont werden, dass sie eine bereits deutlich ausgebildete Tradition an Themengebieten und mit ihnen verbundenen Textgenres im deutschen Englischunterricht ergänzen. Das Großthema ‚Bedrohung des Individuums‘ zieht sich wie ein roter Faden durch die thematischen Lehrplanvorgaben der letzten Jahrzehnte. Dabei werden unterschiedliche Facetten dieser Bedrohung aufgefächert: Bezug genommen wird auf die Bedrohung durch autoritäre oder totalitäre Tendenzen im eigenen Gemeinwesen oder von außen, auf die allgegenwärtige Medienwelt oder manipulative Veränderungen in den Bereichen menschliche Natur oder Umwelt (Gentechnik, Nanotechnik, Robotics, Künstliche Intelligenz). Die Thematik der Bedrohung des Menschen spiegelt sich direkt wider in der in vielen Lehrplanvorgaben anhaltenden Beliebtheit der Gattung Utopie bzw. Dystopie und den entsprechend wohl etablierten Texten dieses Genres (Brave New World, 1984, Animal Farm, Fahrenheit 451, A Handmaid’s Tale, The Truman Show usw.). Ihrer Gattung entsprechend ist die Dystopie ein fiktionales ‚Weiterdenken‘ bestimmter, bereits in der Gegenwart existierender Bedrohungselemente oder Möglichkeiten der Veränderung des menschlichen Wesens. In dystopischen Texten schlägt sich dies in einer reduzier- <?page no="216"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 202 ten, gezähmten oder manipulierten Existenz menschlicher Gemeinschaften und menschlicher Individuen nieder. Von politischen bzw. gesellschaftlichen Dystopien über gentechnisch und biologisch ausgerichteten bis zu neueren Zukunftsszenarien, die politische und gesellschaftliche bzw. technische Möglichkeiten des bioengineering oder der Computerwelt thematisieren (Margaret Atwoods Oryx and Crake, 2003, Kazuo Ishiguros Never Let Me Go, 2005, aber auch Filme wie Gattaca, 1997, Regie Andrew Niccol, oder die Matrix-Trilogie, 1999, 2003, Regie Andy und Larry Wachowski), reicht dabei die Skala dieser nach wie vor für den Unterricht aktuellen Gattung im Bereich Roman und Film. Fiktionale Texte und Filme erreichen hierbei eine besondere emotionale Beteiligung der Jugendlichen. Sie regen dadurch an, sich nicht nur trocken mit diesen Themen auseinanderzusetzen, sondern binden die Lernenden affektiv in das Geschehen ein. Denn sie stellen Einzelschicksale dar und können der Bedrohung ein Gesicht, eine konkrete Bildlichkeit geben und damit der Relevanz dieser Themen im Klassenzimmer Ausdruck verleihen. Etwa seit der Jahrtausendwende hat es mehrere Vorschläge gegeben, die global issues konkreter in eine Art Global Education einzubetten, welche im englischsprachigen Bereich bereits seit etwa einer Generation als fächerübergreifendes Prinzip in Lehrplänen verankert ist (vgl. Janke, Surkamp 2010). Das globale Lernen wird damit nicht nur als inhaltsbezogenes Themenfeld erkannt, sondern zum Unterrichtsprinzip erhoben. Es erhält transformatorische Dimensionen, da es auf „persönliche und gesellschaftliche Veränderungen gerichtet ist und sich gegen wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Ungleichheiten sowie gegen strukturelle Gewaltverhältnisse auf allen Ebenen wendet [...]. Dabei ist wichtig, dass die Themen als ineinander verschränkt begriffen werden.“ (ibid: i. Dr.) Der Doppelcharakter dieses Verständnisses von global issues wird deutlich in einer entsprechenden Definition: Global issues beziehen sich einerseits auf Probleme, die für die Menschen weltweit eine Bedrohung darstellen. Dazu zählen vor allem Kriege, Hunger, Armut, Unterdrückung, Vorurteile, Rassismus, Aids, Sexismus, Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung. [...] Andererseits befassen sich global issues mit ideellen Leitvorstellungen und Kernideen wie Frieden, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Entwicklungshilfe, soziale Verantwortung und internationale Verständigung. (Freudenstein 1999: 237) Der Anspruch besteht entsprechend darin, dass jeder Einzelne dazu aufgefordert ist, sich mit diesen Themen zu beschäftigen und seinen Beitrag zur Sinngebung der (Welt-)Gesellschaft zu leisten. Deutlich werden hier vielerlei Berührungspunkte mit einer Didaktik der Völkerverständigung oder Friedenserziehung (vgl. Diehr 2005, Klafki 2007: 56ff.). Bei der Quellenauswahl geht es dabei um Texte, die internationale Konfliktfälle fokussieren, Einzelschicksale greifbar machen, emotional berühren und durch Multiperspektivität Einsichten in die Ursache von Konfliktentstehung und Möglichkeiten ihrer Bewältigung im Sinne des Mottos global issues, local responsibilities erkennen lassen. Typische Texte wären hier etwa die Gedichte britischer Kriegsteilnehmer am Ersten Weltkrieg, die auch kontrastiv zu denen anderer Kriegsteilnehmer wahrgenommen werden können, oder Texte, welche die globale Interdependenz bei internationalen Konflikten thematisieren (wie dies z.B. auf sehr unterschiedliche Weise in Hotel Rwanda, 2005, Regie Terry George, oder Babel, 2006, Regie Alejandro González Iñárritu, geschieht). <?page no="217"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 203 Ein ähnlicher, wenn auch bisweilen stärker ideologisch eingefärbter Ansatz ist der des eco-criticism bzw. der eco-didactics. Er geht einerseits deutlich auf ökologische Herausforderungen im Zeichen des Klimawandels und globaler Umweltkatastrophen ein, versucht aber auch insgesamt ein verändertes, organischeres und von Partnerschaft gekennzeichnetes Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt anzubahnen. Der ökologischen Dimension wird dabei eine entscheidende Bedeutung bei Textauswahl wie didaktisch-pädagogischer Zielsetzung zuerkannt. Erneut handelt es sich um einen emanzipatorischen Ansatz, der das Bewusstsein und Handeln der Lernenden verändern möchte. Dabei betont er, dass die bisherigen Kategorien der Textauswahl und Interpretation (beispielsweise von race, class & gender) angesichts gegenwärtiger ökologischer Bedrohungen auf geradezu unverantwortliche Weise anthropozentrisch ausgerichtet sind: In the context of the ecological crisis a single-minded preoccupation with sexist and capitalist-imperialist critical discourse analysis is rather like addressing the problem of who is going to fetch the deck-chairs on the Titanic, and who has the right to sit in them. (Goatly 2000: 277) Der ökokritische Ansatz kann nicht allein als didaktische Fortsetzung der ökologischen Bewegung verstanden werden. Wenn wir uns an Überlegungen Hubert Zapfs anlehnen, eines eher literatur- und kulturphilosophisch ausgerichteten Vertreters dieses Ansatzes, können wesentliche Merkmale ökologischen Denkens bei der Auswahl, Interpretation und Behandlung entsprechender Texte zum Tragen kommen und somit zu einem veränderten Bewusstsein zum gesamten Themenkomplex Mensch und Natur beitragen. Dass es sich dabei um ein angesichts der gegenwärtigen globalen Bedrohungen notwendiges Umdenken handelt, ist selbstverständlich und hebt den ökokritischen Ansatz aus der Nische des Esoterischen und Randständigen. Somit können folgende sieben Prinzipien ökologischen Denkens im Unterricht entsprechend vergegenwärtigt werden (vgl. Zapf 2005: 60ff.): Everything is related to everything else: Wie bei den global issues im Sinne der global education geht es hier um die Erkenntnis, dass isoliert erscheinende Einzelphänomene potenziell in unendliche Netzwerke eingebunden sind. Das Verhalten des Individuums schlägt sich global nieder (berühmt ist der so genannte butterfly effect - der Flügelschlag eines Schmetterlings über dem chinesischen Meer verursacht Wochen später einen Sturm über New York). Das Prinzip der Evolution bedeutet nicht ein lineares Fortschrittsmodell: Sondern es ist zu verstehen als ständiger Wandel, ständige Transformation, inklusive zyklisch-reproduktiver Prozesse. Dies verpflichtet zu Flexibilität, Offenheit und Bereitschaft zum Wandel. Es bedeutet zugleich eine Kritik an Fortschrittsmodellen und am Rationalitätsglauben. Holistisches Weltbild: Die Welt ist nicht in ein mechanistisches Modell zu zwängen, sondern besteht aus sich ergänzenden und übergreifenden Wechselwirkungen und Energiekreisläufen. Diversität: Wie bei der Biodiversität ist die Diversität des Lebens und die Einzigartigkeit seiner verschiedenen Manifestationen anzuerkennen. Komplexität: Die Natur lebt vom Wesen der Komplexität, sie beinhaltet Machtkämpfe und Konkurrenz ebenso wie Koevolution und Kooperation. <?page no="218"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 204 Innere Kohärenz: Die Natur stellt sich nach den Vorstellungen vieler ecocritics als ein Gebilde komplexer Selbstorganisation dar, als ein komplexes Netz aus Rückkoppelungsschleifen. Die Stellung des Menschen ist problematisch: Der Grund besteht darin, dass die menschliche Zivilisation in letzter Zeit die komplexen Selbstregulierungsmechanismen der Natur aus der Balance gebracht hat. Der Mensch hat damit massiv in die natürliche Umwelt eingegriffen. Vor allem dieser letzte Punkt, die verheerenden Eingriffe des Menschen in die Natur, ist in ökodidaktischen Publikationen (vgl. Mayer, Wilson 2006) in Form konkreter Unterrichtsvorschläge aufgenommen worden, etwa zu den Themen climate change, biodiversity, deforestation, water and air quality, eco-tourism. Empfohlen werden hier erneut nicht allein Sachtexte, sondern eco-poetry, Dystopien und vor allem Filme, die die Auswirkungen der von Menschen verursachten Umweltzerstörung drastisch vor Augen führen. Während der auf einer Vortragsreihe Al Gores beruhende Dokumentarfilm An Inconvenient Truth (2006, Regie David Guggenheim) publikumswirksam den ehemaligen Vizepräsidenten der USA (1993-2001) und Kandidaten für das Amt des amerikanischen Präsidenten (2000) als ökologischen Wettstreiter modelliert, kann ein Hollywood-Blockbuster wie Roland Emmerichs The Day after Tomorrow (2004) durch entsprechend computeranimierte Weltuntergangs-Szenarien und schauspielerische Identifikationsangebote zeigen, dass auch kommerziell äußerst erfolgreiche Filme mit starken Genremustern durchaus didaktisch wirken können. Angesichts der weltpolitischen Dimensionen der hier vorgestellten transnationalen Themen, die Vertreter der global education wie der eco-didactics gleichermaßen berücksichtigen, können und müssen auch traditionelle Vertreter einer auf bestimmte Zielkulturen ausgerichteten Didaktik die Notwendigkeit einer globalen Perspektive erkennen. Erneut wird es sich als wesentlich erweisen, regionale oder nationale Themen mit transnationalen zu verknüpfen und dabei eine angemessene Mischung zu finden. Tiefenstrukturen nationaler ‚Charakteristika‘ Dies gilt auch für einen durchwegs anderen Themenkomplex, nämlich den Bereich der nationalen images, also der nationalen Charakteristika, welche in Kapitel 3 besprochen wurden. Es geht hier speziell um nationalspezifisch besonders ausgeprägte Mentalitätsstrukturen, key cultural concepts, die historisch gewachsen sind und in das Alltagsleben der Menschen hineinwirken. Eine Auseinandersetzung mit diesen Themenbereichen erscheint aus zweierlei Gründen besonders interessant: Erstens bieten sie die verführerisch scheinende Vorstellung, mit ihnen eine Art Generalschlüssel für das Verständnis eines anderen Kulturraums zu besitzen. Zweitens können, in Analogie zum weiter oben aufgeführten Beispiel der Minoritäten, ähnliche kulturelle Phänomene oder prägende Kulturvorstellungen im eigenen Land ins Blickfeld geraten und thematisiert werden. Die hier gemeinten Mentalitätsstrukturen sind als Tiefenstrukturen zu verstehen. Sie sind Weltbilder wie the American Dream, the frontier myth, rugged individualism, the concept of fair play, the multicultural society; es sind aber auch negativ besetzte Vorstellungen wie das Kastenwesen, die Klassengesellschaft oder die Apartheid. Eine Betonung dieser Weltbilder kehrt, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler (1998: 99) <?page no="219"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 205 konstatiert, den materialistischen Gedanken um, dass die ökonomischen Bedingungen das Bewusstsein bestimmen. Vielmehr wird die Steuerungskapazität hier den Ideen, den Gedanken zugesprochen. Das vielleicht berühmteste und in soziologischen und historischen Kreisen am häufigsten diskutierte kulturelle Leitkonzept ist dabei das des Puritanismus als Unterform des Protestantismus. Seine Prägekraft für die westliche Gesellschaft insgesamt wie für die angelsächsische Welt im Speziellen ist unbestritten. Daher soll es hier als ein Beispiel für die Konzentration auf zielkulturelle Denkmuster dienen. Einerseits kann es Aussagekraft wie Problematik derartiger Ansätze aufzeigen, andererseits in seiner Bedeutsamkeit entscheidend zum besseren Verständnis der nach angelsächsischen Kulturkonzepten stark beeinflussten Globalisierungsmuster beitragen. Es war vor allem der bedeutende deutsche Soziologe Max Weber, der in seiner Schrift „Die protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus“ (1904/ 1905, Weber 1988, vgl. Guttandin 1998) die Bedeutung des Protestantismus für die unterschiedlichen Aspekte der Gegenwart beschrieb. Zugespitzt formuliert laufen Webers Thesen auf die Aussage zu, dass die protestantisch-puritanische Religion, auch in ihrer später in Großbritannien und den USA säkularisierten Form, zu einer jahrhundertelang wirksamen Transformation mittelalterlichen Denkens führte. Dadurch konnten langfristig die Industrialisierung und gegenwärtige Formen des Kapitalismus entstehen. Besondere Bedeutung maß Weber der calvinistischen Prädestinationslehre bei, die zu einer disziplinierten, streng reglementierten Lebensweise führte. Eine ausschließlich auf Erwerb ausgerichtete Lebensführung geriet quasi zur religiösen Pflicht. Dabei erscheint besonders paradox, dass der Puritanismus und auch der Protestantismus - beide ursprünglich stark antikapitalistisch eingefärbt - zum Geburtshelfer der angelsächsischen Form des Kapitalismus wurden (Wehler 1998: 100). Sprichwörtlich ist hier das Arbeitsethos geworden, welches Arbeit als Beruf und Berufung zugleich versteht, es geradezu zum Selbstzweck geraten lässt. Ergänzt wird dieses Weltbild durch weitere Schlüsselvorstellungen, die historisch wirkten und weiterhin als bedeutende Einflussfelder der angelsächsischen Welt gelten: Utilitarismus und Individualismus; die Bedeutung der materiellen Bereicherung, bei der der Gewinn zunächst reinvestiert werden muss, um weiteren Profit zu erlangen; die Aufwertung von materiellem Zugewinn als Versprechen eines privilegierten Status im Jenseits; das Reinvestieren des Gewinns zur weiteren Mehrung als Aufgabe; die Ablehnung von Müßiggang, aber auch der ‚Fleischeslust‘. Der Puritanismus führte in den USA nicht nur zum Erfolg eines dem Materialismus zugewandten Lebensideals, sondern in seinen Anfängen auch zu sumptuary laws (vgl. Hansen 2000: 56), Luxusgesetzen, die Personen unteren Standes verboten, Kleidung aus teuren Stoffen zu tragen und sich dadurch als sozial höherstehend zu markieren. Zweifellos wirken puritanische Ideale nach wie vor tief in die amerikanische Gesellschaft hinein: Arbeitsethos, Individualismus, das honor system an der Universität, die Einstellung zu Materialismus, die inzwischen allerdings hedonistischer geworden ist; die Förderung von Eigenverantwortung, die ihr Gegenbild in den Gepflogenheiten der Charity findet, dem offen nach außen zur Schau gestellten Almosenwesen und Unterstützen von Sozialprojekten. Vor allem prägte der Puritanismus auch religiösmoralische Einstellungen, die für Europäer bei der Haltung zu Sexualität, Alkohol und Drogen bigott und scheinheilig wirken. Durch die Verbreitung wesentlicher Elemente des protestantischen Ethos im Zuge der Industrialisierung und der globa- <?page no="220"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 206 len Ausbreitung des Kapitalismus ist dieses Weltbild allerdings auch weltweit aufgenommen worden, nicht nur in angelsächsischen Ländern wie Kanada, Australien und dem protestantischen Südafrika, wo Spuren dieses Denkens besonders präsent scheinen. Zugleich fällt es schwer, mitteleuropäische Wurzeln und transatlantische Auswirkungen des Protestantismus bzw. Puritanismus auseinanderzuhalten. Das eigentliche Problem des ‚interkulturellen Türöffners‘ protestantisches Weltbild ist jedoch die Gefahr des hermeneutischen Zirkelschlusses. Bei diesem Fehlschluss geht man von einem festen, in sich geschlossenen Weltbild aus und kann dadurch auch singuläre Kulturphänomene der angelsächsischen Welt erklären, wodurch wiederum die Grundannahme ihre Bestätigung findet. Der Passepartout-Schlüssel ‚protestantisches Weltbild’ bietet zwar vielerlei Wege zu entsprechenden Zielkulturen und darüber hinaus zum besseren Verständnis globaler Denkmuster (eben in Kulturen, die diesen Denkmustern ausgesetzt waren oder sind). Dennoch ist eine gehörige Portion Skepsis geboten, denn auch ein deutscher Beobachter möchte nicht mit von außen an ihn herangetragenen Kulturmustern wie dem deutschen Untertanengeist, dem deutschen Ordnungsdenken oder deutschen Sauberkeitswahn auf höchst stereotype Weise in reduktionistische Erklärungskategorien gezwängt werden. 6.2 Der Konstruktivismus als Lehr-Lern-Paradigma Der Verstehensvorgang als Konstruktion Didaktische Überlegungen haben sich deutlich an Inhalten und damit verbundenen Lernzielen zu orientieren. Diese sollten dann die gewählte Methodik bzw. die gewählten Methoden bestimmen. Um das Thema ‚Methodik’ und die Prozesse des Lehr-Lern-Vorgangs geht es in den folgenden Ausführungen zum Konstruktivismus als der in fachdidaktischen Kreisen bevorzugten, philosophisch, psychologisch und pädagogisch begründeten Methodenrichtung (vgl. Weskamp 2001: 12ff.). Auch wenn die Diskussion in didaktisch-pädagogischen Fachkreisen nach wie vor anhält, bis zu welchem Maß an Radikalität konstruktivistischen Lehr- und Lern-Prinzipien zu folgen ist (vgl. Wendt 2000, Weskamp 2001: 25ff.), so gilt dennoch: Der Konstruktivismus hat sich als moderne Auffassung des Lehr-Lern-Vorgangs durchgesetzt. Radikale Konstruktivisten leugnen, wie radikale Poststrukturalisten oder Dekonstruktivisten, die Existenz einer real fassbaren Welt out there und damit die Möglichkeit intersubjektiv existierender Wahrheiten oder Grundannahmen (vgl. Schmidt 1987). Vielmehr begreifen sie jeglichen Verstehensvorgang als eine radikal subjektive Konstruktion von Sinn, die nur der Einzelne für sich als Akt der Sinngebung vollziehen kann. Das dem entgegengestellte Paradigma ist das der Instruktion, bei der - vereinfacht formuliert - die Lehrkraft ein bestimmtes Lernziel definiert, geeignetes Material zusammenstellt, dieses methodisch strukturiert und medial unterstützt und den Lernenden aktiv anbietet, damit diese es im Sinne der Lehrkraft ‚aufnehmen‘ (vgl. Weskamp 2003: 10f.). Der berühmte ‚Nürnberger Trichter‘ steht hier als Symbol dafür, wie der Wissensstoff dem Lernenden wohl proportioniert eingeflößt wird. Beim Konstruktivismus hingegen verlagert sich die Perspektive in das Innere des Lernenden als Individuum. Dieses wird als Einzelperson begriffen, welche mit der Welt auf sinnvolle Weise interagieren möchte. Sie trifft - je nach Interessens- und Motivationslage sowie Neugier - eigenständige Entscheidungen <?page no="221"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 207 und eignet sich nach ihren Bedürfnissen die Umwelt mit ihren Wissens- und Kompetenzbeständen auf höchst individuelle Weise in einem lebenslangen, nie abgeschlossenen Prozess an. Im Zentrum des Konstruktivismus stehen interne Denk- und Verstehensprozesse. Lernen wird als individuelle Informationsverarbeitung betrachtet, bei dem die Lernenden im Mittelpunkt stehen, die äußeren Reize aktiv und selbständig verarbeiten und in Wechselwirkung des externen Angebots mit der internen Struktur daraus Output generieren (vgl. Schmidt 1987, Wendt 2000). Das Finden, Priorisieren und neu Ordnen der Informationen und das Ableiten von Regeln daraus zur Lösung des Problems obliegt den Lernenden selbst und fördert ihre Problemlösefähigkeiten. Gerade in der mit dem Internet nachhaltig geprägten modernen ‚Wissensgesellschaft‘ steht dabei weniger Wissensaneignung per se im Vordergrund, sondern der Umgang mit Wissensbeständen - Zurechtfinden, Selektieren, Erwerben, Verarbeiten und aktives Umsetzen bzw. Anwenden (vgl. Rüschoff, Wolff 1999). Im Konstruktivismus wird Wissen nicht als Abbild der Realität, sondern als dynamisch generiert begriffen. Es entsteht durch die interne subjektive Konstruktion von Ideen und Konzepten des Individuums. Lernende konstruieren Wissen durch Interpretation in Abhängigkeit von ihrem Vorwissen und verfeinern dabei ihre mentalen kognitiven ‚Landkarten‘. Da die Wahrnehmung der Realität als nicht objektivierbar gilt, ist Lernen individuell und situativ und der jeweilige Lernweg ist nicht vorhersehbar. Somit kann Unterricht keine Vermittlung objektiver Wahrheiten sein, sondern ein Aushandlungsprozess von Bedeutungen unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven und subjektiver Relevanz. An die Stelle der Instruktion tritt die Gestaltung von Lernsituationen. Nach konstruktivistischen Prinzipien geschaffene Lernumgebungen sind sehr komplex und anregend gestaltet und bieten eine möglichst realitätsnahe Präsentation authentischer Situationen mit an Hypertexten erinnernden multiplen Verlinkungen, also mit medialen ‚Werkzeugen‘ zum selbständigen Arbeiten und zur freien Navigation (vgl. ibid., Weskamp 2001: 39ff.). Auf Erklärungen oder Hilfen wird hingegen weitgehend verzichtet und die Lehrkraft rückt in die Rolle eines Mediators oder facilitators. Anforderungen des Konstruktivismus Der Konstruktivismus darf nicht als laissez faire- oder Kuschelpädagogik verstanden werden und auch nicht als pädagogischer Relativismus. Im Gegenteil, wie Siegfried J. Schmidt, einer seiner führenden Theoretiker, formuliert, müssen wir ihn uns als eine dem Individuum sehr viel abverlangende Auffassung von Wahrheitskonstruktion und Wissenserwerb begreifen, hat er doch zwei Seiten (Schmidt 1987: 38): Er fokussiert den Lehrenden, wenn er die Subjektivität von Sinnkonstruktion postuliert und die Objektivität von Wissen negiert. Damit fordert er zugleich „ethische Konsequenzen“ ein: Wenn Wahrheit und Wirklichkeit als absolute und letztverbindliche Berufungsinstanzen ausscheiden, weil sie prinzipiell von keinem Menschen erkennbar oder besitzbar sind, dann müssen wir für unsere Handlungen und Kognitionen die Verantwortung übernehmen, müssen in eigener Person für unser Verhalten und unsere Wissenskonstruktion einstehen. (ibid.) <?page no="222"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 208 Folglich besteht für die Lernenden die Aufgabe, in diese Verantwortungshaltung erst hineinzuwachsen, im „Ideenwettbewerb“ (ibid.) ihre Positionalität zu erlangen. Dabei, so wird deutlich, bedürfen sie der eingehenden Begleitung, auch wenn dieser Faktor bisweilen in konstruktivistischen Ideengebäuden in den Hintergrund gerät. Da konstruktivistisches Arbeiten eben eine starke eigene Arbeitsmotivation voraussetzt und die Bereitschaft, sich auf autonome und kooperative Lernformen einzulassen, können sich Lernende unter Umständen überfordert fühlen (vgl. z.B. Roche 2008: 23). Dem kann durch die Verwendung der Mischform eines ‚moderaten Konstruktivismus‘ begegnet werden, die den konstruktivistischen Ansatz favorisiert, ihn jedoch durch instruktivistische Verfahren ergänzt. Zu der konstruktivistisch konzipierten Immersion in eine komplexe und kontextualisierte Lernumgebung mit freien Kommunikations- und Handlungsoptionen werden instruktivistische Merkmale wie Vorauswahl des Themas durch die Lehrkraft (bzw. die Lehrpläne) und Hilfen, Erklärungen, tutorielle Systeme und weitere Informationsmaterialien ergänzend hinzugefügt. Auch bei der hier verfolgten Auffassung eines moderaten Konstruktivismus können folgende Grundvorstellungen der konstruktivistischen Lehr-Lern-Theorie berücksichtigt werden (vgl. teilweise Rüschoff, Wolff 1999: 32): Lernen wird als aktive Konstruktion von Wissen verstanden. Dabei spielen kognitive, affektive und auch multisensorische Elemente eine Rolle. Lernen wird als autonomer Prozess definiert, der vom Lernenden eigenverantwortlich durchgeführt wird. Der Lehrkraft kommt dabei eine helfende, unterstützende Funktion zu. Die Lernziele werden von den Schüler/ innen mitbestimmt. Lernen wird als ein experimenteller Prozess verstanden, den der Lernende unter Einbeziehung bereits gemachter Erfahrungen gestaltet. Dabei kommt im Fremdsprachenunterricht der Simulation von realen Erfahrungen eine besondere Bedeutung zu (Simulationsspiele, Rollenspiele, vgl. Melde 1987: 156ff.). Lernen wird als Prozess verstanden, bei dem die Lernenden in kooperativer Zusammenarbeit zu einer Angleichung subjektiver Wissenskonstrukte gelangen. Dabei werden Projektarbeit, das task-based learning und der Einsatz neuer Medien (Internet) präferiert. Lernen wird als Prozess verstanden, der ‚reicher‘ Lernmaterialien bedarf und in eine ‚reiche‘ Lernumgebung eingebettet sein sollte. Grundlage ist ein positives Unterrichtsklima, eine angenehme Lernatmosphäre und Gesprächskultur, in der eine Stimmung des Vertrauens und der emotionalen Geborgenheit herrscht (vgl. hierzu die einflussreichen Thesen von Stephen Krashen, z.B. 1981). Dies wirkt sich auf die positive Qualität der Klassengemeinschaft aus, sorgt für Zusammenhalt und Solidarität und steuert übertriebenem Konkurrenzdenken entgegen. Dabei gelten Prinzipien wie Beteiligung der Schüler/ innen bei Auswahl und Zusammenstellung der Materialien (emotionale Einfärbung der Texte, Texte die zum emotionalen Respons auffordern), Nähe des Themas zur Lernerwelt, Authentizität der Materialien, Realitätsbezug des Arbeitens usw. <?page no="223"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 209 Konstruktivistische Lehr-Lern-Methoden Als eine der wesentlichen auf konstruktivistischen Prinzipien basierenden Methoden kann das aufgabenorientierte Lernen gelten (task-based learning). Auf die grundsätzliche Diskussion um den Task-Begriff und das Task-based Language Teaching muss hier verzichtet werden, es sei auf die zahlreichen Publikationen hierzu verwiesen (u.a. Willis 1996, Ellis 2003, Müller-Hartmann, Schocker-von Ditfurth 2004). Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass authentischer Sprachgebrauch und wirkliches Aneignen von Wissen und Kompetenzen am effektivsten durch ein möglichst autonomes Vorgehen der Lernenden zu fördern sind. Idealerweise verfolgen diese eine bestimmte Aufgabe möglichst selbständig. Hierbei kann es sich um ein längeres Projekt handeln, welches auch außerhalb des Klassenzimmers stattfindet, oder um kurze Aufgaben im täglichen Unterrichtsgeschehen. In der Regel erhalten Lernende eine Aufgabe (oder wählen sich diese selbst), welche sie mit Hilfe von bestimmten Materialien lösen. Die Aufgabe ist dabei handlungs- und produktionsorientiert. Der typische Ablauf einer solchen task-based activity sieht wie folgt aus (vgl. Willis 1996: 38): Die Schüler/ innen erhalten eine Aufgabe oder wählen sich diese selbst. Die Aufgabe wird klar formuliert, linguistische und aufgabentechnische Fragen werden im Vorfeld geklärt. Das Thema wird gegebenenfalls genauer strukturiert, aufgeteilt oder modifiziert; es können Beispiele ähnlicher Tasks erläutert werden. Die Lernenden führen in Partner- oder Gruppenarbeit die Aufgabe oder ihren Teil der Aufgabe durch. Sie bereiten eine Präsentation ihrer Vorgehensweise und ihrer Ergebnisse vor. Anschließend findet diese Präsentation vor allen anderen Teilnehmern/ innen oder in unterschiedlichen Gruppen statt. Es folgt eine gemeinsame Reflexionsphase zum Gelernten oder auch zur Vorgehensweise. Die Lehrkraft wirkt hauptsächlich als Berater und auch als language supervisor. Bevor wir uns einigen typischen Formen von Tasks zuwenden, seien hier weitere exemplarische Arbeitstechniken und methodische Formen aufgelistet, die bei der Behandlung kultur- und sprachdidaktischer Themen besonders erfolgversprechend erscheinen. Sie beinhalten teilweise auch traditionellere Unterrichtsmethoden wie lehrerzentriertes Unterrichtsgespräch oder Gruppendiskussionen. Brainstorming / Mindmapping: Gerade zur Aktivierung von Vorwissen, bei der Diskussion von Stereotypen oder zum Erstellen eines Wortfeldes bieten sich diese das gemeinsame Wissen sammelnden Vorgehensweisen an (vgl. Tomalin, Stempleski 1994: 35). Dies kann auch geschehen, indem die Lernenden, z.B. basierend auf einer Internetrecherche, individuelle Mindmaps erstellen (die Lehrkraft gibt z.B. einige Schlüsselbegriffe vor, zu denen weiter ausdifferenzierend recherchiert werden soll). Bildershow / slide show: Die Lehrkraft oder Lernende präsentieren bildliche Impressionen zu einem Thema, die dann gemeinsam besprochen werden. Hierbei geht es auch um emotionale Reaktionen, die von Bildern ausgelöst werden (z.B. Bilder aus der Zeit der Apartheid in Südafrika). Diese Bilder können für entsprechende Zwecke leicht aus verschiedenen Portalen im Internet heruntergeladen werden. Es geht hier weniger um eine strukturierte <?page no="224"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 210 Einführung zu einem Thema als vielmehr um eine erste motivierend wirkende Hinleitung. Es kann auch ein touristisch ausgerichteter Clip zu einem Land (Indien, Südafrika) gezeigt werden, um die Selbstdarstellung dieses Landes zu thematisieren (um dies dann mit anderen Materialien zu ergänzen und zu kontrastieren). Bilder und Kurztexte zu Geografie und Geschichte (auch auf Overheadfolie): Hiermit kann das wichtige Basiswissen sichergestellt werden. Es empfehlen sich hierzu alternative Landkarten wie z.B. die New Zealand Map of the World, die die Antipoden ins planetare Zentrum rückt und so eurozentrische Sichtweisen auf den Kopf stellt. Gleichfalls ist hinzuweisen auf die motivierende Wirkung von Cartoons und witzigen Bildern, wenn man sie gerade am Beginn einer Unterrichtseinheit einsetzt. Referate und PowerPoint-Präsentationen: Dies muss nicht nur ein längerer oder thematisch umfassender Schülervortrag, sondern kann auch ein weniger umfangreiches Impulsreferat sein (basierend auf einer kurzen Internetrecherche, möglichst frei vorgetragen und eventuell medial unterstützt). Realia: Auch Realia, vom Busticket aus London bis zum Didgeridoo aus Australien, sollten bis in die Oberstufe hinein Anschauungs- und Lehrmaterial bieten. Kontrastiver Ansatz im Bereich Statistiken und facts & figures: Der kontrastive Ansatz setzt auf Methoden, die Unterschiede (aber auch Gemeinsamkeiten) herausstellt. Dies kann sich von landeskundlichen Elementen (Vergleich der Größe Deutschlands mit der Größe Australiens) bis zu komplexeren Themenbereichen wie unterschiedlichen Schulsystemen erstrecken. Interviews: Als Aufgabe können Lernende erhalten, Experten oder native speakers zu einem bestimmten Thema zu interviewen oder als Interviewpartner mit in den Unterricht zu bringen. Native speakers oder Englisch sprechende Personen aus anderen Kulturkreisen im Klassenzimmer: Diese Möglichkeit sollte so oft wie möglich wahrgenommen werden, z.B. auch mit Gastschülern/ innen und ausländischen Besuchern/ innen. Die Begegnung kann dabei auch per Internet (Skype) oder am Telefon geschehen. Wichtig ist hier eine thematische Strukturierung der Begegnung im Unterricht. Thematisieren des multikulturellen Klassenzimmers: Bei vielen kulturellen Themen kann auf den unterschiedlichen kulturellen Horizont der Schüler/ innen zurückgegriffen und so Multiperspektivität praktisch erfahren werden. Formen von Rollenspielen und critical incidents: Dies wird weiter unten eingehender ausgeführt. WebQuests und das Posten von Kurzbesprechungen oder Kurzfilmen im Internet: Das Internet bietet sich zur Informationsbeschaffung genauso an wie zur aktiven Teilnahme am medialen Diskurs, wie es das Posten von Kommentaren bei YouTube oder Amazon darstellt. Auch kleinere Sketche oder Aufführungen oder medial aufbereitete Präsentationen können auf bestimmten Plattformen veröffentlicht werden. Arbeiten mit medialen Produkten (Fernsehen, Video usw.) zur Instruktion, Analyse und Selbstproduktion. <?page no="225"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 211 Analytische und produktionsorientierte Formen des Umgangs mit Literatur und Filmen. Siehe Kap. 6.4. Verschiedene Sozial- und Unterrichtsmethoden, die Abwechslung und besondere Möglichkeiten zur Kommunikation bieten. Hier wären etwa zu nennen: Hot seat (ein Lernender stellt sich den Fragen der anderen), fish bowl (Diskussion der in der Mitte Sitzenden, andere positionieren sich im Kreis darum und greifen ggf. in die Diskussion ein), Pro-Kontra-Debatten (panel discussion) usw. Rollenspiele und Reflexion Besonders empfohlen werden können die hier aufgeführten Rollenspiele. Denn sie erlauben sinnlich-konkrete Erfahrung mit Fallbeispielen, liefern identifikatorische Momente und wirken multisensorisch und ganzheitlich. Darüber hinaus dienen sie pädagogischen (sozial-integrativen) und sprachdidaktischen Zwecken (mündliche Kommunikation). Rollenspiele können sich an Szenen aus literarischen oder filmischen Texten anlehnen, aber auch bestimmte Situationsfelder oder Repertoireszenen aus interkulturellen Begegnungen fokussieren. Abhängig vom Alters- und Reifegrad der Lernenden können die drei Phasen des Rollenspiels unterschiedlich intensiv ausfallen (vgl. Argyle 1994: 292f.): In der ersten Phase werden Thema oder Aufgabe vorgegeben. Es kann ein Modell für die zu erarbeitende Mini-Inszenierung gegeben werden, gleichfalls sind klare Anweisungen hier besonders wichtig. Nun wird das Rollenspiel erarbeitet und präsentiert. Es folgt eine feed-back session, in der die Performanz besprochen und bewertet wird, gegebenenfalls kann eine verbesserte Wiederholung der Mini- Aufführung erfolgen. Bei der Modellierung von Szenen ist zu beachten, dass es hier, im Sinne der critical incidents, ein populäres Repertoire gibt, welches traditionell auch im Durchspielen von typischen Sprechakten der interkulturellen Begegnungen besteht (Bestellen im Restaurant, Fragen nach Verkehrsverbindungen, Begrüßung im Hotel usw.). Um diesen Situationen ihre Monotonie und Künstlichkeit zu nehmen, empfiehlt es sich, sie mit einem kleinen Irritations- oder Spaßfaktor auszustatten. Dieser Ansatz bemüht sich, komische und überraschende Elemente, wie sie eben in realen Kommunikationssituationen auftauchen, als kommunikatives ‚Salz in der Suppe‘ in Rollenspiele zu integrieren. Des Weiteren wird beachtet, dass für reale Kommunikationssituationen typische Elemente der Mediation oder des Gesprächs über das eigene Land bzw. die eigene Herkunft auftauchen. Je nach Kompetenzstufe der Lernenden kann die Lehrkraft dabei detaillierte cue cards (Zettel oder Schildchen mit Anweisungen) oder lediglich Rahmenvorgaben für Dialoge zur Verfügung stellen. Wichtig ist weiterhin, dass Lernende durch entsprechend strukturierte Vorformen zu freieren Dialogformen hingeführt werden. Typische Rollenszenarien könnten wie folgt aussehen: Beim Besuch im Restaurant stellt der Gast fest: „Waiter, there is a fly in my soup.“ Es ist nun Aufgabe des Kellners, hierauf möglichst souverän zu reagieren (typischer Sprechakt mit Irritationselement). <?page no="226"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 212 Ein Gast aus Japan spricht einen Deutschen an und kann nur in radebrechendem Englisch nach dem Weg zum nächsten Hotel fragen. Der Deutsche muss sich möglichst klar und deutlich in einfachem Englisch verständlich machen. Dazu noch erhält er landeskundliche oder touristische Fragen zu seiner Stadt (eine typische lingua franca-Situation). Eine Deutsche wird von einem Australier angesprochen. Sie möchte ihm bitte den Weg zur Bahnstation zeigen. Es wird deutlich, dass der Australier sie auch als junge Dame attraktiv findet (eine Alltagssituation, bei der z.B. Regeln des höflichen Ablehnens usw. thematisiert werden können). Eine Vegetarierin ist bei ihrer amerikanischen Gastfamilie zum Dinner eingeladen. Wie reagiert sie auf die Tatsache, dass es als Hauptgericht nur Steaks gibt (ein typischer critical incident ohne direkte Kulturunterschiede)? Ein typisches Konversationsritual in den USA entwickelt sich, bei dem am Ende eine Einladung erfolgt. Nimmt man diese als Deutscher ernst, wie reagiert man verbal (ein typischer critical incident, bei dem die Reflexion über kulturelle Unterschiede wichtig ist)? Die oben genannte dritte Phase der Reflexion über das Rollenspiel kann nach Fairclough (1989: 242) erneut in drei Phasen unterteilt werden. Zunächst geht es um die Reflexion der erkannten kulturellen Verhaltensmuster, die als solche zu identifizieren sind (vgl. auch Altmayer 2004: 459). Anschließend erfolgt eine reflexive Systematisierung des erkannten Verhaltens, ohne dass dabei pauschal generalisiert wird. Schließlich kann nach Erklärungsmodellen für kulturspezifisches Verhalten gesucht werden. Dieses Vorgehen beim Rollenspiel entspricht dem bereits von Wilma Melde (1987: 211) vorgeschlagenen Dreierschritt beim Lernziel ‚Multiperspektivität erfahren und erkennen‘: Zuerst fühlen sich die Schüler/ innen in die Perspektive einer anderen Person ein, dann übernehmen sie beim Spielen selbst deren Perspektive, um anschließend im Akt der Perspektivenkoordination darüber zu reflektieren und sie mit anderen, auch der eigenkulturellen Perspektive in Beziehung zu setzen. Im Sinne Michael Wendts (2000: 168) kann dabei ein erster Einblick in den Konstruktcharakter dieser jeweiligen Weltsichten und den sich daraus ergebenden Handlungsmustern geschehen. Grundsätzlich ist bei den Unterrichtsformen und -methoden darauf zu achten, dass sprachlich-kommunikative Elemente nicht zu kurz kommen. Wie mehrmals betont, muss es ein wichtiges Lernziel des Fremdsprachenunterrichts sein, Einsichten in die enge Verbindung von Sprache und Kultur zu vermitteln - gerade in der praktischen Dimension des für die jeweilige zielkulturelle Gruppe adäquaten Kommunikationsverhaltens. Es sollten also integrative Unterrichtsformen betont werden, die Nachdenken und Sprechen über Sprache als Teil der Beschäftigung mit Kultur definieren (vgl. Luchtenberg 2001: 132). Dennoch hat dieser integrative Ansatz in der Praxis seine Grenzen. Wie sich zeigt, sind in vielen Lehrbüchern Grammatik- und Wortschatzarbeit durchaus sinnvoll mit inhaltlichen und landeskundlich ausgerichteten Texten verbunden. Dabei sollte jedoch ein gewisser Grad an kultureller Sensibilität bei der Auswahl der Übungen vorherrschen. Nicht akzeptabel erscheinen so Grammatikübungen, die zwar wohlgemeint sind, aber in der Verquickung von Minoritätenthemen mit Grammatikstrukturen die inhaltliche Bedeutung des Themas <?page no="227"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 213 im besten Fall hinter der sprachpraktischen Übung zurücktreten lassen, im schlimmsten Fall instrumentalisieren oder verniedlichen. Wenn Lernende sich die Unterscheidung zwischen any und every anhand eines künstlich erstellten Textes zur Problematik der indigenen Bevölkerung Amerikas erarbeiten, so erscheint dies höchst bedenklich. Eher sollte kulturell weniger schwerwiegendes und weniger bedeutsames Beispielmaterial gewählt werden. Hier ist das Beispiel einer cloze exercise aus dem Lehrbuch English G aus dem Jahre 1976 (zit. in Grimm 2009: 111): Most of the Indians hunted buffaloes and [everywhere] the buffaloes went, the Indians went, too. But not [every] Indian hunted and fought. The Pueblos, for example, preferred living in peace. Because the Indians’ way of life had been destroyed, they had to accept [every] help they were given. The Indians have been treated worse than [any] other group except perhaps the blacks. Aus-der-Schule-Herausgehen: Typische Projekte Die authentischste, intensivste und nachhaltigste Form der Begegnung mit der englischen Sprache und ihren Kulturen ist und bleibt der Auslandsaufenthalt. Eine wachsende Zahl deutscher Schüler/ innen erlebt eine wertvolle bilinguale und bikulturelle Zwischensozialisation durch einen längeren, beruflich bedingten Familienaufenthalt im Ausland, durch ein Jahr an einer Privatschule in Großbritannien oder einen längeren Auslandsaufenthalt im Rahmen eines uni- oder bilateralen Austauschprogramms. Aber auch außerschulische Sprachreisen oder schulische Exkursionen und die traditionelle ‚Abiturfahrt‘ bieten Möglichkeiten der konkreten Begegnung mit der englischsprachigen Welt und zum Einsatz der englischen Sprache (ganz abgesehen von touristischen und freundschaftlichen oder familiären Kontakten). Es ist dabei eine in der Didaktik und Pädagogik allgemein geteilte Meinung, dass es hier eingehender Vorbereitungen (und auch Nachbereitung) bedarf, um Schüler/ innen dazu zu bewegen, die übliche oberflächliche Touristenperspektive abzulegen und in die Alltagswelt des Gastlandes (wenn auch nur vorübergehend) einzutauchen sowie authentischere Formen des Austauschs zu erreichen (vgl. z.B. John, Teske 2002). Zudem hat es sich gezeigt, dass Auslandsaufenthalte auch deshalb spezieller Vor- und Nachbereitungsphasen bedürfen, da bei ihnen kontraproduktive Formen des ‚Kulturschocks‘ wirken. Die dreiphasige Typik dieses culture shock (Furnham, Bochner 1994: 131) teilt sich wie folgt auf: (1) Vor der Begegnung werden bestimmte, meist durch Stereotype, Klischees und Vorurteile geprägte Erwartungen an das Gastland geformt. (2) Die Erfahrungen im Land selbst werden dann mit den Mustern dieser mitgebrachten Erwartungshaltung selektiert, wobei ethnozentrisch Unterschiede wahrgenommen und betont werden. (3) Mit der Rückkehr einher geht dabei oft eine Bestätigung oder Verhärtung der vor dem Kulturkontakt bereits etablierten Stereotype, Klischees und Vorurteile. Auch bei positiver Voreinstellung läuft die Begegnung mit dem Fremden tendenziell in Phasen, denen gemäß (a) nach einer ersten Phase der positiven Aufnahme (honeymoon) eine (b) weitere, längere der zu- und abnehmenden Assimilation während des Aufenthalts in der anderen Kultur folgt. Bei der Rückkehr (c) kann gleichfalls eine starke Abkühlung der Gefühle eingetreten sein. Insgesamt liefert die Forschung zu Auslandsaufenthalten bisweilen ernüchternde Ergebnisse: <?page no="228"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 214 This is intuitively an excellent opportunity for learning, but research has shown that in language learning there is no necessary improvement […] and in culture learning terms it is often possible to spend a year in a ghetto of other foreigners and learn about the foreign culture only as an outsider […]. (Byram 1996: 63) Sowohl für kürzere wie für längere Auslandsaufenthalte werden entsprechende Programme im Bereich cultural awareness oder cultural sensitivity vorgeschlagen (Hermann-Brennecke 1991: 84ff., Byram 1996: 62ff.). Dabei wird ein ethnologischer Ansatz empfohlen, bei dem die Lernenden im Vorfeld des Aufenthaltes bestimmte Beobachtungsaufgaben erhalten, gerade im Bereich des Alltäglichen (Essen, Trinken, Konsumgebräuche). Anschließend sammeln sie als ‚teilnehmende Beobachter‘ Daten (vgl. John, Teske 2002). Es geht im Vorfeld gleichfalls darum, Orientierungshilfen zu liefern und nicht-ethnozentrische Betrachtungsweisen zu fördern. Dies kann durch entsprechende Vorinformationen erfolgen: Kontakte mit der Zielkultur scheinen dann am ehesten zum Abbau vorurteilsbehafteter Vorstellungen beizutragen, wenn die Besucher vorher geographische, historische, tagespolitische Gegebenheiten und alltägliche Verhaltensweisen kennengelernt haben und dadurch die Eindrücke, die auf sie einstürmen, leichter zuordnen, bewerten und integrieren können [...]. (Hermann-Brennecke 1991: 85) Kurzum: Es geht um eine Vorbereitung, bei der Informationen über die Zielkultur vermittelt werden, aber auch Aspekte interkulturellen Lernens, wie zentrale Selbstbilder und auch Stereotype von Deutschen, welche in der Zielkultur vorherrschen. Ein tieferes Involvieren bereits im Vorfeld eines Auslandsaufenthaltes kann dabei vor allem durch Filme oder fiktionale Texte geleistet werden, die in der Zielregion situiert sind, ein differenziertes Bild liefern und zur Identifikation mit den handelnden Figuren einladen. Abgesehen vom Auslandsaufenthalt sind begrenztere Formen des Kontaktes mit native speakers oder mit dem englischsprachigen Kulturkreis zugehörigen Personen möglich, auch in authentischen Begegnungen außerhalb des Klassenzimmers. Hierbei wäre noch zwischen realen und virtuellen Formen der Begegnung in entsprechenden Projekten zu unterscheiden. Diese Projekte folgen dem oben skizzierten taskbased approach. Sie zeichnen sich durch inhaltsbezogenes, aufgabenorientiertes Lernen aus; sie beruhen auf einem hohen Grad an Authentizität bei Materialien, Aufgabenstellungen, Interaktionsformen und streben eigenständigen, eigenverantwortlichen Wissenserwerb an (vgl. Rüschoff, Wolff 1999: 66). Auf die reale Welt ausgerichtete Projekte zielen auf Primärerfahrung mit der englischen Sprache ab und erkunden deren Bedeutung für die gesellschaftliche Wirklichkeit. Dies kann exemplarisch durch Aktivitäten von Schülergruppen geschehen, die Beispiele für die Präsenz der englischen Sprache oder englischsprachiger Zielkulturen im eigenen Land suchen. Sie beobachten ihr Umfeld, sammeln Informationen in Touristenbüros, bei Interviews mit Passanten oder bei Gesprächen mit Vertretern multinational operierender Geschäftsfirmen (Klippel 1991: 16). Bekannt, repräsentativ und nachahmenswert ist hier nach wie vor ein Projekt, welches bereits Anfang der 1980er Jahre mit Schüler/ innen der Jahrgangsstufe 6 durchgeführt wurde. Diese interviewten auf einem internationalen Flughafen Reisende und Flugpersonal auf Englisch, sammelten die Ergebnisse und werteten die Texte im Klassenzimmer gemeinsam aus (vgl. Legutke, Thiel 1983). Bei vergleichbaren Projekten wurden im Vorfeld von Auslandsexkursionen alternative Stadtführer entwickelt (Hermann-Brennecke 1991: 86, John, Teske 2002). <?page no="229"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 215 Virtuelle Erfahrungen Mit dem Kommunikationsmedium E-Mail und dem interaktiven Web 2.0-Internet haben sich die Möglichkeiten zur (virtuellen) Projektarbeit erheblich vergrößert. So sind in der didaktischen Literatur inzwischen zahlreiche Beispiele für interkulturelle E-Mail-Projekte vorgeschlagen worden (vgl. z.B. Donath, Volkmer 2000, Rösler 2007: 51ff.). Dabei müssen sich derartige Projekte nicht nur zwischen deutschen Schulen und denen des englischsprachigen Kulturraums bilden, sondern können auch die englische Sprache als lingua franca verwenden. Deutlich geworden ist, dass sinnvoller Weise ein interessantes, interkulturell ergiebiges Thema gemeinsam zu behandeln ist und dass sorgfältige Zeitplanung und Koordination nötig sind. Der Zeitrahmen muss klar umrissen, die Themen bestimmt und die Häufigkeit des Austauschs festgelegt werden; gleichfalls müssen Erwartungen an den Partner thematisiert und Vorgehensweisen sowie das Endprodukt des Projektes abgesprochen werden (vgl. Rösler 2007: 52). Dieses Endprodukt kann beispielsweise eine gemeinsam erstellte Wiki- Plattform im Internet sein, auf der die Diskussion zu einem Roman, Drama, Film oder aktuellen Thema präsentiert wird (vgl. Grimm 2008). Als maßgeblich hat sich in der Praxis der Kooperation herausgestellt, dass bei Reflexion und Evaluation auf kulturell unterschiedliche Muster bei der Kommunikation und Behandlung sowie Präsentation der Themen eingegangen wird. Offen bleibt dabei die Frage, wie stark und in welchem Maße Lehrkräfte steuernd in die Kommunikationsabläufe und die Arbeit am Projekt eingreifen. Mit der Durchführung eines E-Mail-Austauschs ist nur eines der vielfältigen Formen projektbezogener Nutzung der neuen Technologien angesprochen. Für das konstruktivistische Paradigma bietet vor allem das Internet einen gleichsam affinen medialen Lehr-Lern-Raum. Gegenüber den audio-visuellen Medien weist es in weit stärkerem Ausmaß vor allem vier Eigenschaften auf, die den Prinzipien des Konstruktivismus entsprechen: Interaktivität, Authentizität, Aktualität und Multimedialität (vgl. Wolff 2010). Und stärker noch als bei den für das Web 1.0 typischen Nutzungen wie Einkauf, Recherche und E-Mails bietet das Web 2.0 Aktivitäten wie social networking, Bloggen und Multimedia-Aktivitäten (Videos, Podcasts). Kritiker des Internets verweisen auf die virtuelle, eben nicht reale Natur der bei Web 2.0 ablaufenden Aktivitäten: Die User müssen nicht mehr nach außen treten, Kontakt mit wirklichen Menschen aufnehmen, niemanden persönlich und sinnlich wahrnehmen. Dies wird entsprechend als kommunikativer, perzeptiver und sozialer Verarmungsprozess beschrieben, dessen Folgen für Individuum und Gesellschaft als nachteilig zu bewerten sind. Dagegen spricht die Funktion des Internets als kommunikativer Erkundungsraum, als virtuelles Experimentierfeld für real-life communication. Mehr noch: kommunikationstheoretische Ansätze werden in Zukunft berücksichtigen müssen, dass ein Großteil gegenwärtiger Kommunikation virtuell stattfindet und dies bereits deutliche Auswirkungen auf und Rückkoppelungseffekte mit authentischer face to face-Kommunikation hat. <?page no="230"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 216 6.3 Medienkompetenzen Konstruktivismus und Neue Medien Mit der zunehmenden Bedeutung der neuen elektronisch-digitalen Medien in den 1990er Jahren setzte zugleich in didaktisch-pädagogischen Kreisen eine gewisse Medieneuphorie ein, genauer eine Interneteuphorie. Der Konstruktivismus schien seinen adäquaten medialen Lehr-Lern-Raum gefunden zu haben. Schon früh wurde auch in nichtdidaktischen akademischen Diskussionen hervorgehoben, dass die „Konzeption des aktiven, konstruktiven Lernenden und die Vermutung, dass Hypertext-Subsysteme eher Lernals Lehrwerkzeuge sind“ (Gabriel 1997: 153) den didaktischen Umgang mit dem Internet bestimmen würden. In der nach wie vor für die Verbindung von konstruktivistischen Ansätzen mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien richtungsweisenden Studie Fremdsprachenlernen in der Wissensgesellschaft: Zum Einsatz der Neuen Technologien in Schule und Unterricht (1999) heben die beiden Autoren Bernd Rüschoff und Dieter Wolff das hohe Potenzial des Internets als Lernressource hervor (vgl. auch einführend Rösler 2007). Die dabei genannten Vorteile sind inzwischen häufig wiederholt worden: Neben den bereits genannten Qualitäten der Interaktivität, Authentizität, Aktualität und Multimedialität sind dies vor allem Individualisierung der Lernprozesse, Stärkung von Eigenverantwortung, Förderung von Mehrpositionalität, Angebote zur Projektarbeit, lebenslanges Lernen usw. Vor allem wurde und wird hervorgehoben, dass das Internet etablierte Autoritätsstrukturen im Bereich von Entstehung, Distribution und Vermittlung von Wissen unterläuft und neu erstellt, dass sich damit vor allem demokratische Strukturen von Wissensvermittlung formen. Als bedeutender Vorteil des Internets erscheint demnach sein Demokratisierungspotenzial, das eine stärkere Motivierung, aktive Tätigkeit und ‚Selbstermächtigung‘ der Lernenden ermöglicht. Das von Kritikern wie Befürwortern der Internet- Nutzung in Lernkontexten erkannte Demokratisierungspotenzial des Mediums (vgl. etwa Sandbothe 2001: 234, Lütge 2002: 156) bezieht sich auf alle drei Bereiche der traditionellen Trias der Lernsituation: Lehrende, Stoff und Lerner. Darüber hinaus beeinflusst es den gesamten gesellschaftlichen, kulturellen und speziell den physischräumlichen Kontext von Wissenstransfer. Die Veränderungen in diesen Bereichen bezeichnet der Medienphilosoph Mike Sandbothe (2001: 216, 217) als Infragestellung der „vier Basisannahmen des traditionellen pädagogischen Selbstverständnisses“: Im Zeichen des sich gegenwärtig vollziehenden Medienwandels werden die vier Basisannahmen - geschlossener Wissensraum, Primat der Stimme, auf Omnikompetenz gegründete Lehrerautorität und hierarchische Ordnung des Wissens - erstmals nicht nur in der Theorie, sondern auch von der konkreten pädagogischen Praxis her problematisch. Die traditionelle Lehr-Lern-Konfiguration wird grundlegend verändert. Die Lehrkraft, die - wie sogar der Medienkritiker Neil Postman (1992: 17) formulierte - in der Zeit der buchzentrierten Gutenberg-Galaxie das Wissensmonopol besaß, sieht sich der angesprochenen Enthierarchisierung der Unterrichtssituation gegenüber. Sie bedeutet zugleich eine praktische Umsetzung dessen, was Bildungstheoretiker seit Jahren fordern und was nun mit dem neuen Medium eintreten kann: the empowerment of the learner (vgl. Kupetz 2002). <?page no="231"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 217 Weitere erhebliche Veränderungen hat es durch das neue ‚Mitmachnetz‘ Web 2.0 gegeben: Das WWW ist nun mehr als ein bloßes Distributions- und Perzeptionsmedium (Web 1.0). Es bindet die Webnutzer ein, lässt sie kollaborieren, Ideen und Inhalte beisteuern, Fehler korrigieren, das Web für ihre Bedürfnisse nutzen und an ihre Bedürfnisse anpassen - und dies, so wird häufig formuliert, zum Vorteil aller Nutzer. Web 1.0 Web 2.0 ‚Ich bin drin‘: Zugang zum Internet als Herausforderung, Webseitenbereitstellung nur von Institutionen oder durch Einzelpersonen mit technischer Expertise. ‚Wir sind das Netz‘: Aneignung von Internettechnologien auch ohne vertiefte technische Vorkenntnisse möglich. ‚Surfen‘: Das Web als Abrufmedium, Informationen werden gesammelt und offline bzw. auf dem persönlichen Rechner archiviert. ‚Posten‘: Das Web als Mitmachmedium, Informationen werden ausgewählt, kommentiert und online wieder verfügbar gemacht. ‚Wissen vom Experten‘: Statische, oft zeitlich abgeschlossene Webprojekte, die redaktionell vorstrukturiert angeboten werden. ‚Weisheit der Masse‘: Microcontent & Wiki-Prinzip, Surfverhalten der Nutzer beeinflusst die Informationsdarbietung. Abb. 30: Web 1.0 versus Web 2.0 (vgl. Panke 2007: 2) Tendenziell wird also durch den Einsatz von Web 2.0 eine Verschiebung bestimmter Merkmale des Internets erkannt (vgl. auch Müller-Hartmann, Raith 2008): vom passiven User zum aktiven Autoren, von lokal zu entfernt gespeicherten, privaten zu öffentlichen Daten. Die one way-Kommunikation des Web 1.0 wandelt sich zu einer stark vernetzten Struktur, in der die Rollen von Produzenten und Konsumenten nicht mehr von vornherein festgelegt sind, ebenso wenig wie die Richtung der Kommunikation. Ob diese angestrebte ‚digitale Demokratisierung’ allerdings immer in wünschenswertem Maße funktioniert, sei dahingestellt (vgl. Viebrock 2010). Kritische Stimmen sprechen beispielsweise von einem cult of the amateur (Carr 2005). Vertreter der New London Group zu multiliteracies (2006: 8) weisen auf entstehende gegenläufige Tendenzen hin, dass sich nämlich die Macht auf wenige Konzerne und Unternehmen konzentriere: „For every moment in which agency is passed over to users and consumers, power is also centralised in ways that become more disturbing with time. The ownership of commercial media, communications channels and software platforms is becoming alarmingly concentrated.“ Andere kritische Stimmen erkennen im Internet eher Strukturen eines ‚digitalen Maoismus’ und führen die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente weiter aus. So fasst Engelbert Thaler (2008: 15) die entsprechende Kritik des Internetphilosophen Jaron Lanier wie folgt zusammen: „Die ‚Schwarmintelligenz’ sei nivellierend und könne kein Wissen generieren, die grasswurzeldemokratische Internet-Utopie sei nichts als eine trügerische Renaissance von der Unfehlbarkeit des Kollektivs.“ <?page no="232"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 218 Gegen konstruktivistische Euphorie entwickelte sich allerdings früh ein „medienapokalyptischer Unterton“ (Karpenstein-Eßbach 2004: 64), der sich vor allem auf das ungeleitete Benutzen der Neuen Medien bezog, die nur Bedürfnissen nach Zerstreuung sowie Konsum- und Lustbefriedigung unterstützten. Mit dem Schlagwort der ‚Medienverwahrlosung‘ von Kindern und Jugendlichen hat sich eine entsprechend medienkritische bildungspolitische Position etabliert (vgl. Volkmann 2005b). Wenn Rüschoff und Wolff (1999: 25) die Rolle des Lehrers als die des „Moderators“ definieren, „der den Lernenden bei seinen Navigationsprozessen durch den Wissensraum begleitet, ihm bei der Bewertung seiner Lernprozesse hilft“, so geht dieser Rückzug der Lehrperson zugunsten eines weitgehenden Selbst-Tuns der Lernenden im besonders motivierenden Umfeld des Computers zu weit. Dies hieße, die bei Medienkritikern geäußerten Warnungen vor dem Zeitalter von Visualität und Technik leichtfertig in den Wind zu schlagen. Das Internet ist vielmehr eine Bildungs- und Erziehungsaufgabe, bei der die Lehrkraft in besonderem Maße Schüler/ innen auf entsprechende Nachteile und Gefahren aufmerksam machen muss (Roche 2002: 170f.): Diese bestehen in der ungeheuren Reiz- und Informationsüberflutung, den mannigfaltigen Angeboten zu passivem Konsumieren und der Steuerung von Realität durch virtuelle Welten, die Konsum und Materialismus verherrlichen. Wenn sich Schüler/ innen diesen Problemen durch zielloses und selbstzweckhaftes Surfen entziehen, dann hat der Computer als Instrument des Wissenstransfers seinen Zweck verfehlt. Computer- Begeisterung allein reicht nicht, wie eine empirische Untersuchung in Schulen Kanadas ergab, wo es trotz hervorragender Computerausstattung der Klassenzimmer zu keiner signifikanten Verbesserung der schulischen Leistungen kam (ibid.). Die elektronisch erzeugte Informationsmenge des Internets bietet aufgrund ihrer Variabilität und Dynamik eben kein kohärentes Bildungsprogramm. Nur wenn die Pädagogik und Didaktik diese Tendenzen zur konstanten Veränderung, sogar zur Atomisierung der traditionellen Wissensbestände im Internet erkennt, kann sie gegen diese die schülerische Aufmerksamkeit zerstreuenden und verwirrenden Tendenzen des Mediums wirken. Auch Sandbothe (2001: 224) warnt vor der Vernachlässigung dieser Bildungs- und Erziehungsaufgabe: Durch die Überflutung mit digital dekonstruierten Informationseinheiten, die durch die bestimmende Urteilskraft allein nicht mehr geordnet werden können, wird unsere Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit zerstreut. Wir sind zu Opfern eines digitalen Daten-Gaus geworden, der uns paralysiert, süchtig macht und unsere alltäglichen Wahrnehmungsformen und Wissenskompetenzen in Mitleidenschaft zieht. Damit stellt sich die Frage nach der im Unterricht zu vermittelnden ‚Medienkompetenz‘. Dass diese höchst komplexe Dimensionen beinhaltet, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass sich mit dem technologischen Wandel und der Bedeutung neuer Medien eine radikale Umwälzung in menschlichen und gesellschaftlichen Wahrnehmungs-, Handlungs- und Kommunikationsformen bemerkbar macht. Dies deutet beispielsweise Mark Warschauer mit dem auf den ersten Blick paradox wirkenden Titel seiner Studie The Death of Cyberspace and the Rebirth of CALL an (2001, vgl. zu Folgendem Wolff 2010). Warschauers generell von Medienwissenschaftlern geteilte These ist, dass das Internet und die dort dominierenden Genres wie E-Mail, Blogs, Chatforen sowie virtuelle Welten wie Second Life und soziale Netzwerke wie Facebok oder MySpace nicht nur die von uns rezipierten Inhalte verändern, sondern unser gesamtes Bewusstsein transformieren. In Anlehnung an <?page no="233"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 219 Marshall McLuhan lässt sich formulieren, dass Technologien nicht nur externe, vom Menschen genutzte Werkzeuge sind, sondern stets das menschliche Bewusstsein verändern und zu neuen Formen der Wahrnehmung führen (vgl. McLuhan 1965, Baudrillard 1992, Warschauer 2000). Es handelt sich also bei virtuellen Welten nicht allein um eine von der Realität entfernte, diese lediglich simulierende Sekundär- und Parallelwelt, sondern um Sphären, die stark in die alltägliche Wirklichkeit hineinwirken. Sie verändern nicht allein unser Freizeitverhalten, sondern auch unsere Lern- und Arbeitstechniken nachhaltig, überhaupt unser gesamtes Denken und Empfinden. Diese Verknüpfungsprozesse zwischen virtueller und realer Welt hat Henry Jenkins (2006) mit dem Begriff der convergence culture umrissen. D.h. unter anderem, dass die in virtuellen Welten, in den Welten des Hypertexts, der Multimodalität und Multimedialität geforderten und eingeschliffenen Formen der Wahrnehmung, Strukturierung und Verarbeitung von Informationen auch im wirklichen Leben immer wichtiger werden und entsprechend im Unterricht zu fördern sind. Das Stichwort lautet hier multiliteracies (vgl. The New London Group 2000). Während die literacy sich auf die kulturelle Fähigkeit des Umgangs mit dem gedruckten Wort bezieht, geht es nun um multiple, einander ergänzende aber auch auszudifferenzierende Kompetenzen. Drei Medienkompetenzen In Anlehnung an gängige Kompetenzmodelle im Bereich Medienkompetenz, aber mit einer deutlichen Akzentsetzung auf einer reflexiven, kritischen Medienkompetenz sollen im Folgenden drei Bereiche dieser Kompetenz definiert und beschrieben werden (vgl. die Diskussion z.B. bei Aufderheide 1993, Baacke 1997, Erlinger, Marci- Boehncke 1997, Sutter, Charlton 2002, Linke 2006, Reinfried, Volkmann 2010). Medienkompetenz kann in vielen Bereichen als integraler Bestandteil des Hauptlernziels des Englischunterrichts verstanden werden, der interkulturellen kommunikativen Kompetenz. Denn in einer medial geprägten Welt ist Kommunikation oft nur möglich mit und in Medien, vor allem digital-technischen Medienprodukten. Anders formuliert: Im Zeitalter des Internets ist Kommunikation oft nur möglich mit Hilfe dieser Medien und ist geleitet durch diese Medien in Denkmustern, Ausdruck und Form. Zu unterscheiden ist hier zwischen (1) technischer Medienkompetenz, (2) anwendungsorientierter Medienkompetenz und (3) kritisch-reflexiver Medienkompetenz. Kritisch-reflexive Medienkompetenz Anwendungsorientierte Medienkompetenz Technische Medienkompetenz Abb. 31: Modell der Medienkompetenzen <?page no="234"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 220 (1) Bei der technischen Medienkompetenz handelt es sich um die Beherrschung technischer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Ziel ist die „Befähigung zum Umgang mit allen Medien und Produkten der Informations- und Kommunikationstechnik“ (Gabriel 1997: 167). In Anlehnung an Sutter und Charlton (2002) können wir hier von handwerklichen und instrumentell-technischen skills sprechen. Es geht um die Fertigkeit, verschiedene Medien adäquat und zielgerichtet zu bedienen, aber auch darum, verschiedene Medien inhaltlich und in ihrem Aufbau zu verstehen sowie dabei Unterschiede zu erkennen. Der Aspekt, einzelne Medien auch unter Berücksichtigung ihrer Relevanz als Träger im Kommunikationsprozess zu erkennen, auszuwählen und zu verwenden, wäre gleichfalls teilweise hierzu zu zählen, wenn es um technische Fragestellungen geht. (2) Rezeptive und produktive skills machen die anwendungsorientierte Medienkompetenz aus (vgl. Rüschoff, Wolff 1999: 38). Es geht um prozedurales Wissen, um die Aneignung von Strategien und Techniken im Bereich der Informationsverarbeitung („decode, evaluate, analyze and produce both print and electronic media“, Aufderheide 1993: 1). Es geht um allgemeine Lese- und Schreibfähigkeiten, zudem um skills der Entschlüsselung neuer Kommunikations- und Schreibgewohnheiten (Emoticons, Kürzel), aber auch um visual literacy und die noch näher zu beschreibenden multiliteracies als anwendungsbezogene Kompetenzen. Mit Udoka Ogbue (2001) können wir dies als information literacy beschreiben oder auch, wie in Lehrplänen geschehen, weiter aufgliedern als kognitive Kompetenzen: ‚Internetangeboten wichtige Informationen entnehmen‘, ‚Internetrecherchen durchführen’; kommunikative Kompetenzen: ‚Arbeitsergebnisse mit mediengerechter Unterstützung präsentieren‘ und lernstrategische Kompetenzen: ‚Materialien für selbstgesteuertes Lernen organisieren und nutzen‘ (vgl. Wolff 2010). (3) Kritisch-reflexive Medienkompetenzen bestehen - zunächst allgemein formuliert - in der „Urteilsfähigkeit gegenüber den Botschaften der Medien” (Bildungskommission NRW, 1995, zit. in Gabriel 1997: 167). Das entsprechende Verständnis von critical media literacy beurteilt diese Kompetenz noch eingehender als: a more rigorous evaluation of the mass media’s relationship to democracy, power, and social justice. As a classroom topic, critical media literacy encourages discussions about how the media conceptualize race, class, and gender, and how it promotes certain social values through its definitions of such concepts as beauty, prestige, family, love, success, sex, freedom, and consumerism, among others. (Grigoryan, King 2008: 2) Es geht hier allerdings nicht allein um die Auswahl gesellschafts- und medienkritischer Themen, sondern um die Herausbildung einer reflexiven Kompetenz, die dazu befähigt, manipulative Tendenzen in medialen Präsentationen zu erkennen und entsprechend bewusster mit Medien umzugehen. Hierfür wäre im Zeitalter des medialen Überangebots der Begriff der „Unterhaltungskompetenz“ (Baacke 1997: 100), beispielsweise als TV-literacy, passend. Er bezieht sich auf aktive, gezielte Mediennutzung. Für Lehrkräfte hieße dies, dass sie sich der Aufgabe stellen müssen, „die Medienwirklichkeit der Schülerinnen und Schüler im Unterricht jetzt zu reflektieren, kreativ zu nutzen und kritisch zu begleiten“ (Erlinger, Marci-Boehncke 1999: 7). <?page no="235"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 221 Doch es kann nicht allein um Kritik an den Medien gehen. Wie Martina Wolff (2010 i.Dr.) erkennt, geht es darüber hinaus auch darum, [...] die schleichenden Modifikationen individueller und kollektiver Kommunikation durch das Internet bewusst zu machen. [...] Die psychologischen Veränderungen, die schleichende, häufig unbewusste Neubewertung und Neuausrichtung von Kommunikationsprozessen, wie sie z.B. soziale Netzwerke oder virtuelle Welten ermöglichen, werden nicht ohne Folgen für das Kommunikationsverhalten insgesamt sein, auch innerhalb der Schulmauern. Multiliteracies vs. Leitkompetenz Lesen Der durch die Verschränkung von elektronisch-digital kreierten virtuellen Welten mit den Sphären der Realität ausgelöste „Zustand anthropologischer Ungewissheit” (Baudrillard 1990: 260) verlangt nach neuen Kompetenzen zur Erfassung, Strukturierung und Nutzbarmachung dieser Tendenzen. Der Begriff der multiliteracies ist dabei u.a. von der New London Group (2000) geformt worden, um auf die Zunahme an multimedialen, multimodalen und damit höchst komplexen ‚Textgebilden‘ hinzuweisen. Diese Komplexität wurde dabei auch als Ausdruck einer zunehmenden linguistischen und kulturellen Diversifizierung im Rahmen des Spannungsverhältnisses von globalization und localization erkannt. Der multimediale, multimodale ‚Hypertext‘ steht hierbei symbolisch für eine fluide ‚Textsorte‘, die eine neue Kompetenz, eben die multiliteracy verlangt. Es handelt sich bei Hypertexten um Texte als „Geflecht von anderen Texten“ (Gabriel 1997: 73), die sich durch Nichtlinearität, Zirkularität, Intertextualität, Intermedialität und andere Hybridisierungseffekte auszeichnen. Beispielhaft seien hier zwei neue Aspekte dieser multiliteracies hervorgehoben. Bei dem einen Aspekt geht es um die Fähigkeit, angemessene kognitive Informationsverarbeitungsstile zu beherrschen, d.h., komplexe Bild-Text-Sound- Korrelationen zu decodieren, wie sie für das Internet, Hypertexte und multimediale Settings typisch sind. N. Kathrine Hayles nennt dies hyper attention und meint damit mehr oder minder den neudeutschen Ausdruck des Multitasking: The shift in cognitive styles can be seen in the contrast between deep attention and hyper attention. Deep attention, the cognitive style traditionally associated with the humanities, is characterized by concentrating on a single object for long periods. […] Hyper attention is characterized by switching focus rapidly among different tasks, preferring multiple information streams, seeking a high level of stimulation. (Hayles 2007: 187) Die teilweise Abkehr von der deep attention, wie sie beim konzentrierten Lesen längerer Texte gefordert und gefördert wird, hat auch zu einer Aufwertung anderer Textsorten geführt, welche für das gegenwärtige visuelle Zeitalter typischer und sogar bedeutender erscheinen. Dabei wurden Konzepte der visual literacy aufgewertet (vgl. z.B. Biechele 2006, Hecke, Surkamp 2010). Hiermit ist die Fähigkeit zum ‚Lesen‘ von Bildern gemeint und als im Unterricht zu erwerbende Kulturtechnik verstanden. Die Bandbreite der visual literacy reicht dabei vom (Wieder-)Erkennen kultureller Ikonen über Einsichten in kompositorische Bildgestaltungen bis zur Frage nach der ideologischen Rolle von Bildern, beispielsweise im Fernsehen und in der Werbung (vgl. Fairclough 1989: 245). Während sich also literacy im intensiven oder extensiven Lesen schriftlicher Texte realisiert, beinhalten multiliteracies eine Reihe von teilweise voneinander zu trennenden, teilweise überlappenden literacies. Entsprechend geht es einerseits um Fähigkeiten, textspezifische Merkmale und Eigenheiten in ihren Wirkungen voneinander zu <?page no="236"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 222 trennen (Differenzierungskompetenz, Genre- oder Textsortenkompetenz), aber auch darum, potenziell offene Text- oder Medienensembles, die aus Bild, Ton und Schrift bestehen können, in ihrer collagierten und vernetzten Struktur und Wirkweise zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Zweifellos ist das Ziel der Förderung von multiliteracies in der Mediengesellschaft eine vorrangige pädagogisch-didaktische Aufgabe. Jedoch sollte dabei nicht die Förderung der Fähigkeiten im Bereich des Lesens in den Hintergrund geraten. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass das Lesen von Texten gegenüber den hier genannten anderen Fähigkeiten wie visual literacy diejenige ist, die am meisten Praxis, Erfahrung und Üben abverlangt und im Medienalltag Jugendlicher am Wenigsten nebenbei gefördert wird. Es hat darüber hinaus nicht nur damit zu tun, dass Lesen in besonderem Maße eine ‚Kernkompetenz‘ oder ‚Leitkompetenz‘ darstellt, da die auch für andere Mediennutzung wichtigen Modi der Linearität, Rationalität und Kognition hier stark prägend sind. Es hat vor allem damit zu tun, dass im Lesen und in schriftlichen Texten das tradierte Wissen von Gesellschaften besonders lokalisiert ist und das Lesen als essenzielle Kulturtechnik deshalb nach wie vor einen privilegierten Status behält. Dies wird deutlich, wenn wir uns mit Jan Assmann die beiden Formen kollektiver Erinnerung vor Augen führen. Assmann unterscheidet hierbei zwischen kommunikativem Gedächtnis und kulturellem Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis umfasst Erinnerungen, die sich auf die jüngste Vergangenheit beziehen. Es sind Erinnerungen, die Menschen mit ihren Zeitgenossen teilen und die selten länger als ein bis drei Generationen zurückgehen. Inhalte des kommunikativen Gedächtnisses sind dabei lebendige Erinnerungen, jüngste menschliche Interaktionen, der Alltag. Die Teilhabe am kommunikativen Gedächtnis ist diffus, wie Jan Assmann formuliert: „Zwar wissen die einen mehr, die anderen weniger [...]. Aber es gibt keine Spezialisten und Experten solcher informellen Überlieferung, auch wenn Einzelne mehr und besser erinnern als andere. [...] Jeder gilt hier als gleich kompetent.“ (J. Assmann 1992: 53) Damit wird deutlich, dass sich das kommunikative Gedächtnis vor allem im Internet wiederfindet, oder genauer in der Verwendung des Internets. Es bedarf tendenziell keiner besonderen Instruktion und die Inhalte sind schnell veränderbar. Anders das kulturelle Gedächtnis, das nach Jan Assmann auf „feste Objektivationen sprachlicher und nichtsprachlicher Art“ (ibid.: 52) drängt: Es wird in Ritualen und Mythen encodiert: „In der Erinnerung an ihre Geschichte und in der Vergegenwärtigung der fundierenden Erinnerungsfiguren vergewissert sich eine Gruppe ihrer Identität.“ (ibid.: 53) Die Teilhabe am kulturellen Gedächtnis ist differenziert, es wird von Dichtern und Künstlern tradiert und schlägt sich vor allem in der ‚schriftlichen Speicherung‘ nieder. Die Auseinandersetzung mit dem tradierten kulturellen Gedächtnis und seine Aufnahme durch die nächste Generation bedarf „sorgfältiger Einweisung“ (ibid.: 55). Durch die besondere „Affinität zur Schriftlichkeit“ (ibid.: 59) ergibt sich, wenn wir die Erkenntnisse Assmanns auf die gegenwärtige multiliteracies- Debatte übertragen, vor allem eine Aufwertung des Lesens. Denn nur durch diese komplexe und hoch spezialisierte Fähigkeit kann das kulturelle Gedächtnis angeeignet und weitergegeben werden. Die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses entsprechen demnach dem, was als Bildung verstanden wurde, als identitätsstiftende Tradition, und mit dem Begriff des konturenlosen, kulturell unspezifischen ‚Weltwissens‘ nicht zu fassen ist. Die Tradition ist damit, wie das kulturelle Wissen, der „Sammel- <?page no="237"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 223 begriff für alles Wissen, das im spezifischen Interaktionsrahmen einer Gesellschaft Handeln und Erleben steuert und von Generation zu Generation zur wiederholten Einübung und Einweisung ansteht“ (J. Assmann 1988: 9). Aus diesem Grund erscheint die gegenwärtige intensive Konzentration auf mediale Kompetenzen problematisch, besteht doch hier nicht nur die Gefahr des Bedeutungsverlustes bei der ‚Kernkompetenz Lesen‘, sondern auch des Ausdünnens des kulturellen Gedächtnisses zugunsten des ephemeren kommunikativen Gedächtnisses. 6.4 Textauswahl, Textzusammenstellung, Arbeit mit Texten Paradigma Intertextualität - Textsequenzen Die Frage der Textauswahl, also mit welchem Text oder besser mit welchen Texten ein kulturelles Thema präsentiert werden soll, ist von entscheidender Bedeutung. Da bei einem Einzeltext, und sei er noch so komplex, die Gefahr besteht, dass er von den Rezipienten als exemplarisch und stellvertretend für die in ihm dargestellte Kultur gehalten wird, gilt in der Regel das Gebot der Behandlung durch eine Mehrzahl von Texten. Derartige didaktische Textensembles oder Textsequenzen sind stark von Modellen der Intertextualität beeinflusst. In ihnen wird die Verbundenheit von Texten untereinander betont. Mit Bezug auf entsprechende Theorien bei Julia Kristeva und Michael Bachtin werden Texte nicht mehr als autonome, abgeschlossene Gebilde gesehen, sondern als ‚Mosaik von Zitaten‘, als durchsetzt von Verweisen auf andere, in der Regel frühere Texte. Dabei gibt es zwei Modelle der Intertextualität: (1) Im engeren Sinne bezieht der Begriff sich auf ‚Texte‘, d.h. zunächst auf Literatur, aber auch auf Filme und andere künstlerische Artefakte, also auf gedruckte oder mediale Texte im weitesten Sinne (‚qualitativ und quantitativ erweitertes Textverständnis‘). (2) Im entgrenzten Sinn versteht sich Intertextualität als aufgelöstes Literatur- und Textverständnis. Text und Kontext verschränken sich, die Welt selbst wird zum Text oder semiotischen Zeichensystem (vgl. etwa Montrose 1992: 398). Entsprechend stehen „Texte als Modelle für die Prozesse der Semiotisierung und Symbolisierung einer Kultur, für die vielfältigen Austauschvorgänge zwischen kulturellem, kollektivem und individuellem Gedächtnis“ (Fauser 2008: 139). Es sind beim Prinzip der Intertextualität mehrere Achsen zu beachten. (1) Es gibt diachrone Einflussverhältnisse, aber auch synchron zu beschreibende. So kann ein kulturelles Thema wie der American Dream etwa leitmotivisch über Jahrhunderte hinweg in unterschiedlichen Textsorten thematisiert werden; es kann aber auch ein synchroner Zeitabschnitt zu einem bestimmten, etwa dem gegenwärtigen Zeitpunkt ins Blickfeld geraten. (2) Weiterhin sind Fragen bedeutend, wie unterschiedliche Textgattungen und Medien ein spezifisches Thema ähnlich oder jeweils genrespezifisch behandeln. (3) Das gleiche gilt für die Frage nach der Verarbeitung eines Themas in verschiedenen Kulturen (zum Beispiel: wie wird Migrationserfahrung in verschiedenen Kontexten beschrieben? ). (4) Die in der Literaturwissenschaft teilweise akribisch analysierten Fragen nach der Dichte und Streubreite intertextueller Markierungen (vom Plagiat über die Paraphrase bis zur Aufnahme bestimmter Phrasen oder Motive, vgl. Pfister 1985: 28ff.) wird im Unterricht eher eine untergeordnete Rolle spielen. (5) Die Fremdsprachendidaktik hat den Ansatz der Intertextualität eher mit Bezug auf die Zusammenstellung von Textarrangements und ihren thematischen <?page no="238"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 224 Interdependenzen wie Differenzen aufgegriffen (vgl. Decke-Cornill 1994, Küster 2000, Hallet 2002, Altmayer 2004). Eine derartige didaktische Textcollage präsentiert dabei ein Interplay der Texte - ein „Spiel der Texte“ (Hallet 2002). Es handelt sich hierbei um die „Zusammenstellung heterogener Texte zu einem Thema“; man kann dabei einen „didaktischen Text [erzeugen], der nicht einfach die Summe der Einzeltexte ist, die er verbindet, sondern der sie unter einer eigenen Überschrift […] miteinander intertextuell vernetzt“ (Decke-Cornill 1994: 282, 280). Erstellt wird dieser didaktische Text etwa in einer Sammlung von thematisch aufeinander bezogenen Kurzgeschichten oder einem thematisch verknüpften Ensemble von Kurzgeschichte(n), Roman, Gedicht(en) usw. Im Unterricht sind Kurzgeschichtensammlungen zu bestimmten Themen (typisch sind etwa coming-of-age stories, also Initiationsgeschichten) im Sinne der ‚schülerbezogenen Textauswahl‘ traditionell etabliert; gleiches gilt für Textsammlungen zu bestimmten Gattungen (crime stories) oder zielkulturellen Gegenden (New York stories, stories of the South, stories from Australia usw.). Beispielhaft sind weiterhin Textsequenzen zu bestimmten key cultural concepts (wie the American Dream, the Frontier usw.), in denen bestimmte Themen multiperspektivisch erschlossen und Einblicke in die Vielstimmigkeit von Literatur und Zielkultur gewährt werden (vgl. Keller 1983: 24, Freese 1996, Hallet 2002: 199ff.). Die Textzusammenstellung kann im Sinne des erweiterten und entgrenzten Textverständnisses (‚Welt als Text‘) in Unterrichtssequenzen münden, in denen unterschiedliche Textsorten in einen vielstimmigen Kontrast zueinander gesetzt werden, mit Bezug auf ein ausgewähltes, zielkulturell interessantes Thema (North and South, regional pride usw.): Die Palette erstreckt sich dabei von Comics, Cartoons, Karikaturen, Videos, Dokumentar- und Spielfilmen über Zeitungsartikel, Essays, Gedichte, Kurzgeschichten, Dramen, Romane bis zu Songs und Seifenopern; dabei kann die Textauswahl auch mit Internetrecherchen verbunden sein und damit auch auf typische Quellen dort rekurrieren (Wikipedia). Dabei sollten im Sinne der Förderung von Medienkompetenz die jeweils genre- und medienspezifischen Encodierungs- und Wirkungsmodi miteinander verglichen und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der textuellen bzw. medialen Auseinandersetzung mit dem Thema herausgearbeitet werden. Zugleich kann hierbei ein höchst facettenreiches, multimedial und multiperspektivisch gestaltetes Bild zielkultureller Besonderheiten entstehen. Auswahlkriterien für Textsequenzen Welche Auswahlkriterien sollten bei der Textzusammenstellung zum Tragen kommen? (1) Zunächst sind dies lernpsychologische Kriterien: Berücksichtigt werden muss der Erfahrungshorizont der Schüler/ innen sowie die Altersbzw. Niveauspezifik der ausgewählten Texte. Sie müssen motivierend und aus verschiedenen Medien sein sowie zur aktiven, handlungsorientierten Auseinandersetzung anregen. (2) Didaktisch sinnvoll erscheint es, authentische Texte mit einem gewissen Konflikt- und Widerspruchspotenzial auszuwählen (Stichwort: ‚Reiztexte‘, ‚Konfliktthemen‘, vgl. Melde 1987: 155, 207). Es können auch Texte sein, die zur Stellungnahme oder emotionalen Reaktion herausfordern, natürlich auch und gerade zur Identifikation mit Personen der Zielkultur. (3) Des Weiteren sind Texte sinnvoll, die unterschiedliche Facetten kultureller Identitäten oder Mentalitäten spiegeln, wie dies auch in Gebrauchstexten und Texten der Populärliteratur geschieht, die spezifische kulturelle <?page no="239"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 225 Werte konservieren und tradieren, auch wenn sie diese bisweilen hinterfragen, modifizieren und neu verhandeln. (4) Trotz der Problematik der Kategorie ‚kulturtypisch‘ sind Texte zu wählen, die repräsentativ erscheinen oder Fragen nach ihrer Repräsentativität aufwerfen. Repräsentativ sind dabei Texte, die - wie Bachtin (1979) dialogische Texte definierte - als ‚mehrstimmige‘ und multiperspektivische Präsentation der Realität zu verstehen sind (zu Begriffen wie ‚Polyphonie‘, ‚Heteroglossie‘ usw. vgl. Pfister 1985: 2). (5) Die Exemplarität der Zusammenstellung sollte nicht dazu führen, dass die Textsequenz ein glattes und homogenes Kulturbild entwirft. Vor allem im fortgeschrittenen Unterricht kann es nicht darum gehen, wie Kramsch et al. (1996: 191) es fordern, hier ein ausgewogenes Bild zu präsentieren („put the smorgasborg into a coherent menu“). Vielmehr soll bewusst eine multidimensionale, unter Umständen kontroverse und offene Fragen aufwerfende Präsentation entstehen. (6) Schließlich sollten - im Sinne der Mediendidaktik - die Schüler/ innen an Texte herangeführt werden, die generell Fragen der Beziehung von Literatur/ Medien zur Realität sowie zur Repräsentativität von einzelnen Figuren in Literatur oder Film aufwerfen. Der Diskurstheoretiker Fairclough (1989: 152) hat diese repräsentativen Effekte ausgedrückt mit dem Satz „a single discourse implies a whole society“. Die Textkorrelation sollte entsprechend zu der Einsicht verhelfen, dass Medien - und noch nicht einmal Dokumentarfilme - die Realität niemals im rein mimetischen Sinne abbilden, sondern von Genrekonventionen und kulturellen Perspektiven abhängige Versionen der Realität liefern, die es zu vergleichen gilt. Da in der Literatur (und auch im Film) „das Individuelle [...] deutlicher als Abweichung vom Universalen erscheint als in Wirklichkeit“ (Stanzel 1974: 65), wirken Figuren dort typischer, repräsentativer für ihre Kollektive. Dies hat zu der bereits erwähnten ‚Bürde der Repräsentation’ (vgl. Volkmann 2007c: 144ff.) geführt, also dem sozialen Druck auf Autoren, ein positives Bild ihrer Gemeinschaft zu zeichnen, was bekanntlich bei Autoren wie Hanif Kureishi, Arundhati Roy, Monica Ali oder J.M. Coetzee zu Verweigerungshaltungen geführt hat. (7) Als weiteres Kriterium für die Textzusammenstellung stellt sich die Frage, wie künstlerisch bedeutsame mit ephemeren Textsorten in eine Sequenz gefügt werden sollen. Als Trägern des kulturellen Gedächtnisses ist kanonischen Texten hier zweifelsohne eine besondere Stellung einzuräumen, nicht nur aufgrund ihres hohen ästhetischen Wertes und Komplexitätsgehalts, sondern auch, weil Lernende erst mit ihnen vertraut gemacht werden und Kanonbildung, trotz anhaltender Diskussion, erst hinterfragt werden kann, wenn eine gewisse Kanonkompetenz vorhanden ist und in entsprechendem Maße bereits an der Schule gefördert wird (vgl. Stierstorfer 2002). Dies gilt mittlerweile nicht nur für die Literatur, sondern auch für kulturell bedeutsame Bilder, popkulturelle Ikonen, Songs, Musikvideoclips usw. In allen Bereichen ließe sich ein Kulturkanon der Fremdkultur definieren und diskutieren. Nach einer Zeit der radikalen Infragestellung und teilweisen Ablösung kanonisierter Autoren (die als Dead White European Males oder White Anglo-Saxon Protestants verunglimpft wurden und in ihren rassistischen, sexistischen bzw. ‚phallogozentrischen‘ Tendenzen diskreditiert wurden) deutet sich gegenwärtig eine teilweise Rückbesinnung auf die ‚Klassiker‘ an, zumal im Bereich von Literatur und Film (vgl. z.B. Antor 1997, Stierstorfer 2002, Volkmann 2006a, 2007b). Verbunden ist dies mit der Einsicht in die Variabilität und Kontextgebundenheit von Prozessen der Kanonisierungen sowie der gleichzeitigen Existenz von Gegenentwürfen bzw. alternativen Listen, die <?page no="240"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 226 eher nach den Kriterien besonderer Interessengruppen zusammengestellt wurden. Es erscheint somit nicht allein die Kenntnis wichtiger Werke, Autoren, geflügelter Worte, ja von Popsongs und sogar Werbeclips der Zielkultur als Bestandteil interkultureller Kompetenz wichtig, sondern in der gymnasialen Oberstufe auch das Anbahnen einer „reflexive[n] Kanon-Kompetenz“ (Stierstorfer 2002: 133). Gemeint ist hiermit das Verständnis für die historisch sich entwickelnden Hintergründe von ästhetischen Werturteilen, denen zufolge Kanonformation geschieht. Zugleich kann die Forderung nach verschiedenen „Kanon-Kompetenzen“ (ibid.) motivierend für das extensive Lesen wirken und die Beschäftigung mit den Kulturemen der Fremdkultur überhaupt unterstützen. Arbeit mit Texten: Analytisch oder produktiv? In der Literaturdidaktik des Deutschwie Fremdsprachenunterrichts gibt es eine seit den 1980er Jahren anhaltende Debatte darüber, ob Literatur im Unterricht eher mit traditionellen analytischen oder mit ‚produktiven‘ Vorgehensweisen behandelt werden soll. Der Einfluss analytischer Verfahren besteht darin, dass sie aus der Tradition der textanalytischen, textintrinsischen und philologisch ausgerichteten universitären Literaturwissenschaft für den gymnasialen Unterricht übernommen wurden und seit den Anfängen des Fremdsprachenunterrichts den Umgang mit literarischen Texten prägten. Produktive Verfahren sind als Respons der Literaturdidaktik auf die Rezeptionsästhetik und ihre Aufwertung der kognitiv-emotionalen Sinnkonstitution bei der Verarbeitung literarischer Texte beim individuellen (männlichen oder weiblichen) Leser zu verstehen. Zugleich bedeutete die Hinwendung zum Schüler und seinem Potenzial bei der Arbeit mit dem Text eine Aufwertung der Literatur, die in der Periode der Kommunikativen Wende eher vernachlässigt bzw. als elitäres Bildungsgut sogar aus den Lehrplänen verdrängt wurde. Mit der Hinwendung zur Produktivität konnte somit die Literatur wieder einen Teil ihres früheren Nimbus zurückerlangen, erhält sie doch nun die Funktion einer schüleraktivierenden, die Kommunikation fördernden, authentischen (wenn auch fiktionalen) Zugangsquelle für die Fremdkultur. Produktive Verfahren beruhen generell auf der Einsicht, dass Lernprozesse durch Handeln optimiert werden können. Dabei müssen auch emotionale und kreative Kräfte bei den Lernenden angesprochen und freigesetzt werden. Dies geschieht, indem Schüler/ innen etwas mit dem Text tun, mit ihm ‚handeln‘. Aus diesem Grund werden produktive Verfahren auch als handlungsorientierte Verfahren bezeichnet. Die Debatte zu analytischen und produktiven Verfahren lässt sich leicht auf den allgemeinen Umgang mit Texten jeglicher Art beziehen: auf Filme ebenso wie auf Sachtexte. Deshalb sei die Diskussion hier eingehender erörtert, zumal sie - da sie auf einem nicht zu lösenden Dilemma beruht - anhalten wird. (1) Einerseits ist das Lesen, sei es das extensive Lesen längerer Texte oder die intensive Betrachtung einer Textpassage oder eines Gedichtes, eine wichtige Kulturtechnik. Es wurde im letzten Abschnitt dieses Kapitels argumentiert, dass das Lesen nach wie vor auch im Zeitalter der Neuen Medien als die wesentliche Schlüssel- und Leitkompetenz zu gelten hat. Da es sowohl eine konzentrierte Tätigkeit als auch eine komplexe und multidimensionale Fertigkeit (literacy) darstellt, ergibt sich Ausübung und Beherrschung nicht von allein. Es verlangt daher anhaltende Lesesozialisation und intensivere <?page no="241"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 227 ‚Arbeit‘, Konzentration, Beherrschung und Übung als andere Formen der multiliteracy. Kurzum: Die Aneignung der kulturellen Kompetenz Lesen bereitet nicht allein Spaß und Vergnügen, auch wenn es dies durchaus tun kann. (2) Diesem Aspekt des Lesens als mühevollem Aneignen logischer und analytischer Fähigkeiten steht die Tatsache entgegen, dass immer weniger Schüler/ innen ‚freiwillig‘ ein Buch in die Hand nehmen, dass die Kulturtechnik Lesen weniger wichtig genommen wird und dass schließlich die Didaktik hierauf mit dem Rezept der ‚produktiven‘ Methoden antwortet, die einen stärker schüleraktivierenden, motivierenden und freudvollen Umgang mit literarischen Texten anvisieren, um dadurch anhaltende Leselust zu fördern. Die Komplexität der Problematik besteht also darin, dass Lesen eine essenzielle Kulturtechnik ist, die eingeübt werden muss und zugleich Freude bereiten sollte. Dabei ist zu beachten, dass sich das Beherrschen von Lese- und Analysetechniken als bisweilen mühevolles Aneignen neuer Komplexitätsniveaus der literacy erweist. Zudem geschieht das Lesen in der Regel im privaten Bereich und ist eine ausgesprochen individuelle Tätigkeit. So ist es für Lehrkräfte sicherlich eine höchst schwierige Mehrfachherausforderung, Lernende in Techniken des Lesens einzuweisen, das anhaltende, lebenslange Lesen anzubahnen und dabei auch noch die Freude am Lesen zu vermitteln. Es mag sich dabei die von Anhängern ‚produktiver‘ Verfahren vertretene Vorstellung als Trugschluss erweisen, dass rational-analytische Vorgehensweisen vollkommen uninteressant und demotivierend seien. Auch ist die in der Debatte gern rhetorisch vollzogene Gegeneinanderstellung analytischer und produktiver Verfahren so gar nicht haltbar, werden in der Praxis eben verschiedene Misch- und Kombinationsformen eingesetzt - und bis auf wenige Ausnahmen gilt den an der Debatte Beteiligten eine ausgewogene Verwendung beider Methoden als sinnvoll (vgl. z.B. Nünning, Surkamp 2006). Wenden wir uns nun zunächst der Kritik an analytischen Verfahren zu, die in der Didaktik Ausgangspunkt für die Entwicklung produktiver Methoden war. Diese sollen dabei in Auswahl vorgestellt werden. Anschließend wird gezeigt, dass auch analytische Verfahren nach wie vor wichtig, wenn nicht gar wesentlich für den literatur- und kulturzentrierten Unterricht sind. Die Kritik an analytischen Verfahren richtet sich gegen zwei Praktiken des textimmanenten Literaturmodells, wobei die erste Richtung der Kritik sich gegen inzwischen in der Literatur- und Kulturwissenschaft als überholt erkannte Ansichten des New Criticism wendet. (1) Der Text wird dieser Sichtweisen entsprechend als ein vom Künstler verfasstes, in sich vollkommenes auratisches Gebilde verstanden (und oft auch verehrt), dessen inhärentes Sinngefüge sich nur durch die Anwendung interpretatorischer Verfahrensweisen erschließen lässt (vgl. z.B. Zapf 1991: 147ff., Keitel 1996: 28ff., Meyer 2008: 143ff.). Dies führte zur Dominanz eines rationalen, kognitiven Vorgehens, bei dem der Text im Mittelpunkt steht. Im Unterricht ergab sich, so Kritiker, eine Tradition des Zerredens, des kleinschrittig-fragenden Unterrichtsgesprächs. Das Instrumentarium der Textanalyse wurde abstrakt vermittelt und angewandt, die Fragen an die Lektüre waren rein kognitiv und sollten oftmals eine von der Lehrkraft favorisierte ‚objektive‘ Interpretation bestätigen. Dazu zählt [...] in der Zieldiskussion die Vorrangstellung von Erkenntnis und Wissen, das Arrangement des Unterrichts, in dem die Wortgewandten und Schnellen dominieren, die weitgehende Vernachlässigung der sinnlichen Seite von Literatur, vor allem aber die fraglose Priorität des literarischen Objekts gegenüber dem Subjekt des Lektüreprozesses. (Haas 2005: 7) <?page no="242"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 228 (2) Von Befürwortern produktiver Methoden wird dabei nicht allein implizit, sondern oftmals sehr deutlich ein Kausalnexus zwischen einer durch analytische Methoden verursachten Abneigung gegenüber der Literatur - diese Methoden seien dafür geschaffen, den Lernenden „einen fundamentalen Haß gegenüber allem Gedruckten einzuflößen“ (zit. in Haas 2005: 2) - und dem nachlassenden Leseinteresse in der Bevölkerung suggeriert. Die Statistiken sprechen hier eine deutliche Sprache: Einer Studie der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2008 zufolge nehmen ein Viertel der Deutschen gar kein Buch mehr in die Hand und lediglich 24 Prozent der Befragten gaben an, so etwas wie Freude am Lesen zu empfinden oder dem Leseerlebnis eine emotionale Wertschätzung entgegenzubringen (Stiftung Lesen 2008: 1). Auch wenn derartige unmittelbare Kausalitäten zu kurz greifen und den grundsätzlichen Wandel der medialen Welt unberücksichtigt lassen, scheint die nachlassende Lesesozialisation doch darauf zu deuten, dass Lernende schwer für die Texte des schulischen Kanons zu begeistern und kaum über die schulische Pflichtlektüre hinaus zum Lesen zu motivieren sind. Im schulischen Unterricht wird somit eher selten dauerhafte Leselust und Lesefreude ausgelöst. Insofern spricht einiges für die nachhaltige Integration produktiver Verfahren in den Unterricht, da hier der Selbsttätigkeit der Lernenden ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird. Sie sind von der Vorstellung einer ganzheitlichen, persönlichen Beschäftigung mit Literatur geleitet, die kognitive, sinnenhafte und affektive Zugänge erschließt (vgl. Spinner 2003: 247). Produktive Verfahren Hierfür hat die Literaturdidaktik ein umfangreiches methodisches Repertoire zur Verfügung gestellt, welches erstmals unter dem Begriff „handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht“ in dem gleichnamigen Buch des Germanisten Gerhard Haas im Jahre 1984 vorgestellt, von Kaspar Spinner (zusammengefasst in Spinner 2003) ausgearbeitet und u.a. von Daniela Caspari (1994) erweitert und für die Fremdsprachendidaktik modifiziert wurde. Während der Terminus der Handlungsorientierung auf allgemeine pädagogische Konzepte rekurriert und auf Schüleraktivierung und ganzheitliches Tun abzielt, wird unter ‚produktionsorientiert‘ die Komponente des kreativen Schaffens, des eigenen Verfassens von Texten literarischer, künstlerischer oder medialer, aber auch kunstreflektierender Art (z.B. Rezensionen verfassen) verstanden. Der produktive Literatur- und Kulturunterricht verfolgt also neben dem Textverstehen die Absicht, die Wahrnehmungsfähigkeit der Lernenden zu sensibilisieren, ihre innere Vorstellungskraft zu fördern und bei ihnen nachhaltig Lesemotivation sowie lebenslange Lesebereitschaft aufzubauen (vgl. Haas 2005: 18ff.). Daniela Caspari (1997) hat eine sehr nützliche Übersicht über diese produktiven Verfahren publiziert, die hier entsprechend zusammengefasst als Überblick widergegeben werden soll (vgl. auch Nünning, Surkamp 2006: 68ff.). Sie betont dabei zu Recht, dass man diese Übersicht nicht als nach Schema F anzuwendendes „Standardrepertoire“ (Caspari 1997: 44) zu verstehen hat. Vielmehr bietet sie eine Art Übersicht über die Angebote an kreativen, schüler-, handlungs- und produktionsorientierten Methoden, die im Einzelfall eben ‚kreativ‘ und selektiv von Lehrenden und Lernenden in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext anzuwenden sind. Da in einer Unterrichtsstunde in der Regel die Prinzipien des Methodenwechsels und der Methoden- <?page no="243"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 229 vielfalt bestimmend sind, sollten dabei ‚organische‘, sich ergänzende Kombinationen zum Tragen kommen. Die hier für die Literatur genannten Verfahren sind zugleich auch bei der Arbeit mit Filmen und anderen ‚Textsorten‘ einsetzbar: Verfahren, die das künstlerisch-kreative Potenzial eines Textes offenlegen: Hierzu zählt beispielsweise: das Vervollständigen von Texten, Textteile in die richtige Reihenfolge bringen (jumbled lines), einen formal geänderten Text nach seinem Genre einordnen (Lyrik wird als Prosatext abgedruckt). Persönlichkeitsorientierung und Kreativität: Umschreiben eines Textes, eine Fortsetzung schreiben. Kreative Umgestaltung von Texten: Änderung des Genres, von Stil, Register; Spiel mit ästhetischer Normenbindung (z.B. nach vorgegebenen Regeln einen Limerick schreiben). Produktive pre-, while- und post-reading activities: Sie dienen der In- und Extensivierung und Emotionalisierung des Rezeptionsvorgangs und zum Einnehmen einer aktiven, kreativen und spielerischen Rezipientenrolle. Typische pre-reading activities, welche die Textaufnahme entlasten, eine positive Erwartungshaltung aufbauen, motivierend wirken, aber natürlich auch den weiteren Prozess steuern, sind dabei: Arbeit mit thematisch verwandten Textsorten, vor allem mit visuellen Medien (Cartoons, Collagen, Bilder); Brainstorming, Mindmapping, Arbeit mit Titeln, Illustrationen, Kinopostern, Textteilen. Typische produktive while-reading activities sollen den „subjektiv bestimmte[n] Verstehens- und Sinnbildungsprozess“ (ibid.: 45) unterstützen. Sie regen zur persönlichen und kreativen Auseinandersetzung mit dem Text an und können gerade die in dieser Phase üblicherweise vorherrschenden kognitiven und analytischen Herangehensweisen passend ergänzen. Unterbrechen des Lesevorgangs mit der Aufforderung zur Hypothesenbildung (schriftlich und mündlich); Text im readers theatre dynamisch lesen lassen (verteilte Rollen), Text szenisch inszenieren; Dokumentieren persönlicher Leseeindrücke (reading journal); Umsetzen von Leseeindrücken in Collagen, Bildern, Fotos, Skizzen usw. Typische post-reading activities vertiefen und verarbeiten die bisherige Begegnung mit dem Text: ‚Leerstellen‘ des Textes füllen, fehlende Informationen ergänzen, z.B. ein Happy Ending schreiben; Text aus der Perspektive einer anderen Figur oder aus einer anderen Erzählperspektive schreiben (z.B. Brief); Text in eine andere Textsorte (z.B. Romanhandlung als Zeitungsmeldung) oder in ein anderes Medium umwandeln (Video drehen, Hörspiel, Comic, Collage); kreatives Rollenspiel, Neuinszenierung einer Szene; Text umschreiben (z.B. alternative Märchenversionen, re-writes); eigenen Text in Anlehnung an den literarischen Text verfassen (dies geht in Richtung creative writing). <?page no="244"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 230 Die Vorteile des produktiven Ansatzes sind unbestritten, allerdings sollte ‚Kreativität‘ hier nicht zum Selbstzweck und zum dominanten Modus der Textbegegnung werden. Denn auch die analytische Texterschließung hat nach wie vor ihre Berechtigung und dies nicht nur, weil Leistungskontrollen (Stichwort Zentralabitur) in der Regel auf die Überprüfung analytischer Fähigkeiten ausgerichtet sind (Kreativität lässt sich bekanntlich weitaus schwieriger definieren, messen und bewerten, auch wenn dies immer wieder versucht wird). Vor allem spielt hier das Thema Studierfähigkeit bzw. Wissenschaftspropädeutik eine tragende Rolle, da die bei der Literatur- oder Textinterpretation erlangten Analysekompetenzen und Einsichten in Textabläufe und textuelle Arrangements unmittelbar mit studien- und berufsrelevanten Kompetenzen im Bereich der literacy allgemein verbunden sind. Analytische Verfahren Die Textanalyse setzt auf die Entwicklung von logischem, ausdifferenziertem und linearem Denken. Dieses ist nicht allein deklarativ (theoretisches Wissen über Stilmittel), sondern prozedural in dem Sinne, dass erkannt wird, wie bestimmte Textelemente in gerade diesem Text im Vergleich zu anderen Texten oder Genres wirken. Sie vermittelt dabei zwei Arten von aufeinander bezogenen Lesekompetenzen: Bottom-up processing, d.h. die Tätigkeit des Decodierens von Wörtern, Sätzen und Textabläufen, welches sich also von Vokabel- und Wortwissen über das Erkennen rhetorischer Figuren und ihrer Wirkweisen bis zu den erkannten Genrekonventionen bestimmter Textsorten (Sonett bis Thriller) erstreckt. Top-down processing ist das Einfügen von nicht explizit markierten Informationen in den einem Rezipienten bekannten außertextuellen Bezugsrahmen - wie sein allgemeines Weltwissen, psychologische Schemata, seine Erfahrungen und auch Kenntnisse von literarischen Konventionen usw. (vgl. Nünning, Surkamp 2006: 21). Um ein Beispiel zu wählen: Bei Vertrautheit mit den Gattungskonventionen eines Sonetts tragen Lernende sowohl formale wie inhaltliche Erwartungshaltungen und Rezeptionsmuster an einen Text heran, der als Sonett betitelt oder als solches erkannt wird. Festigung, Erwerb und Modifikation von deklarativem wie prozeduralem Wissen und damit Lesekompetenzen finden dabei durch Bestätigung, Veränderung, Erweiterung usw. der bisherigen Rahmengebung des top-down processing statt. Einen beispielhaften und für den gymnasialen Oberstufenunterricht im Fach Englisch äußerst einflussreichen Fragenkatalog für textanalytische Verfahren hat Peter Freese bereits 1979 vorgelegt: Der Aufsatz „Zur Methodik der Analyse von Short Stories im Englischunterricht der Sekundarstufe II“ ist über die Jahre oft angegriffen worden, da er als rigide ‚Checkliste‘ für textanalytische Verfahren missverstanden wurde. Wie im Fall des von Caspari (1997) vorgeschlagenen Methodenrepertoires für produktive Verfahrensweisen handelt es sich hier allerdings um eine nach wie vor äußerst nützliche, wenn auch weitgehend auf textimmanenter Basis operierende Liste von Fragen, die man an einen Text herantragen kann. Natürlich können die einzelnen Fragen sich dabei als sehr unterschiedlich ergiebig erweisen. Ein reines Auswendiglernen oder schematisches Abarbeiten verbietet sich daher von selbst. Der Vorteil dieses Katalogs ist es gerade, dass er Lehrkräften ein Instrumentarium und entsprechende Fachterminologie an die Hand gibt, welches im Unterricht mit Gewinn zu verwenden ist. Er verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit literari- <?page no="245"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 231 schen (und nichtliterarischen! ) Texten, ähnlich wie mit juristischen oder naturwissenschaftlichen Texten, nicht ohne eine gewisse Expertise und Fachterminologe geschehen kann. Wenn der Katalog mit den oben genannten produktiven Verfahren hierdurch ergänzt wird, kann so ein ganzheitliche Herangehensweise an (literarische) Texte geschehen, die verschiedene Lernertypen anspricht, emotionale wie kognitive Seiten betont und anspruchsvoll wie anregend zugleich sein kann. Wenden wir uns zunächst den wesentlichen Elementen des Fragenkatalogs von Freese zu, der für fiktionale Texte gedacht ist und ergänzen wir ihn am Ende mit Fragen, die an dramatische oder filmische Texte zu richten wären. Im Anschluss sollen kursorisch weitere Fragestellungen genannt sein, die einem analytischen Zugang entsprechen, aber über die textimmanente Betrachtung hinausgehen. Fragen zum Erzählvorgang: Hier geht es vor allem um Fragen zum Erzähler, zur Erzählperspektive, zur Zuverlässigkeit des Erzählers und zur Erzählweise. Fragen zu den Charakteren / Figuren: Hier geht es um deren indirekte oder direkte, einfache oder komplexe Charakterisierung, um Figurenkonstellation und signifikante Details. Handlung: Hier geht es um Konsistenz und Linearität von Plot und Story, um Fragen der linearen oder nicht-linearen Präsentation (z.B. Rückblenden, Vorausdeutung), handlungsauslösende Momente, Konflikte, Aufbau (Exposition, Schluss). Zeit: Hier geht es um Fragen der erzählten vs. der erlebten Zeit, um Chronologie, Raffung, Dehnung, subjektive vs. objektive Zeit, die symbolische Bedeutung von Zeit. Raum, Schauplatz und Atmosphäre: Hier geht es um den Schauplatz und seine Bedeutung, um Schauplatzwechsel, Fragen der Semantisierung von Raum und Orten sowie Fragen der Atmosphäre und symbolischen Bedeutung von Orten und Milieus. Dramenspezifische Fragestellungen: Hier geht es um den Aufbau des Dramas, Figurenkonstellation und Handlung speziell mit Blick auf die Dimension der Aufführung, um Bühnenhinweise und Inszenierungsmöglichkeiten. Fragen an Filme: Hier geht es um Fragen des Bezugs zum Skript oder dem zugrundeliegenden Text, zur Korrelation von filmspezifischen Aspekten von Handlung, Bild und Ton usw. Bereits bei Peter Freese tritt der Lese- und Rezeptionsvorgang in das Blickfeld: Es geht dabei um Fragen der im Text und in seinen Leerstellen eingebetteten Rezeptionssteuerung (Sympathielenkung), der Aktivierung von Vorkenntnissen, um direkte Leseranrede usw. Zugleich sind, wie Freese (ibid.: 122) vermerkt, historische, soziologische, rezeptionsgeschichtliche und andere Aspekte zu berücksichtigen. Ergänzend wären hier Fragestellungen zu nennen, die sich in den letzten Jahrzehnten aus dominant gewordenen Bereichen der Literatur- und Kulturwissenschaft ergeben haben: Fragen zur Intertextualität: Hier geht es darum, wie ein Text auf vorherige Texte Bezug nimmt, also textuelle Schemata aufgreift (vgl. Hallet 2002). Dabei ist im literarischen Bereich natürlich bei Lernenden erst ein Bewusstsein für derartige intertextuelle Beziehungsgeflechte aufzubauen, welches für <?page no="246"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 232 Filme bereits bestehen kann und von Umberto Eco (1988) auf die Kernfrage zugespitzt wird: Where have I seen this before? Die Text-Kontext-Fragestellung: Sie erweist sich im Kulturunterricht als essenziell: In welchem abbildenden oder repräsentativen Verhältnis steht ein Text zu seinem jeweiligen kulturellen Umfeld (und wie ist dieses etwa historischen Veränderungen ausgesetzt)? Wie beeinflussen Texte selbst unsere Wahrnehmung der Realität? Derartige Fragestellungen verweisen auf die Notwendigkeit von thematisch arrangierten Textsequenzen, die etwa um einen literarischen oder filmischen Kerntext herum gruppiert werden. Die semiotische Fragestellung: Wie werden ‚Zeichen‘ (von literarischen Figuren bis zu ganzen Texten) mit Bedeutung aufgeladen? Welche kulturspezifische Bedeutung erhalten sie in der Kultur, in der sie encodiert werden, wie verändert sich diese Bedeutung bei Kulturtransfer und Decodierung in anderen Kulturen? Nichtliterarische Kategorien der Analyse: Hier sind vor allem die drei Kernkategorien für Bedeutungsmodellierung - race, class & gender - aufzuführen, aber auch die Kategorie Natur (ecocriticism) oder der Diskurs nationaler Selbst- und Fremdbilder. Es entstehen Fragen nach dem inneren Diskurs der Texte (Textkanon), nach Lesarten, nach welchen Kategorien Texte, Personen in Texten, Autoren, Leser usw. markiert werden, wie soziale Bedeutung generiert wird und unterschiedliche kulturelle Lesarten entstehen und sich auswirken. Kehren wir zum gängigen Ablauf der Beschäftigung mit einem (Haupt-)Text zurück. Hier hat sich, wie bereits ausgeführt, die Gliederung in pre-, whileand post-reading activities eingebürgert. Fokussiert sei nochmals die eigentliche reading phase, deren von analytischen Verfahren geprägte Vorgehensweisen man speziell kritisiert hat. Es seien hier einige Kritikpunkte aufgenommen und entsprechende Verbesserungsvorschläge geliefert: Die reading phase beginnt üblicherweise mit dem eigentlichen Lesen. Es bleibt eine offene Frage, ob längere Ganztexte zunächst komplett außerhalb des Unterrichts, teilweise im Unterricht oder teilweise in einem Sandwichverfahren (Kapitel aus Film wechselt sich z.B. mit Kapitel aus Buch ab) zu rezipieren sind. Das Lesen im Unterricht kann auch durch das Hören von Audiodateien Abwechslung finden. Ebenfalls kann es in einer Phase des stillen Rezipierens geschehen, um unterschiedliche Lese- und Aufnahmemodi zu berücksichtigen. Zugleich ist nicht zu vergessen, dass vor der eigentlichen Beschäftigung mit dem Text das linguistische Textverständnis gesichert werden sollte. Hierzu erscheint es sinnvoll, den Lernenden einen gewissen zeitlichen Freiraum einzuräumen, in dem sie allein, in Partnerarbeit und mit Annotationen oder Wörterbüchern lernen, wesentliche, zum Textverständnis essenzielle Vokabeln semantisch aufzuschlüsseln, sich unwesentliche Lexik aus dem Sinnzusammenhang zu erschließen oder auch einmal ‚links liegen zu lassen’. Insofern ist eine erste Phase wichtig, in der gemeinsam oder in Gruppen das basale Textverständnis gesichert wird, auch mit Bezug auf Figuren, Setting und Handlung. Erst dann sollte mit einer Kombination von analytischen und produktiven Verfahren fortgefahren werden. Gerade wenn an dieser Stelle produktive Verfahren eingesetzt werden, kann die Monotonie der üblichen Abfolge von comprehension and opinion questions vermieden werden. So kann das Textverständnis auch einmal durch Standbilder (frozen tableaux zur Figurenkonstellation), summaries in Form einer Verbildli- <?page no="247"?> Aspekte der Vermittlung von Kultur 233 chung (Plot-Diagramme) usw. geschehen. Eine alternative Lernzielkontrolle kann erfolgen, wenn Schüler/ innen Rezensionen oder längere Kommentare verfassen, die nach der Beseitigung sprachlicher Schnitzer dann direkt in entsprechenden Internetportalen veröffentlicht werden (Amazon.com, YouTube). Auch eine kreative Bearbeitung (Drama, Video, Collage) eines Textes lässt sich im Internet posten. Das für die einschlägigen Portale übliche Bewertungssystem (auch von Kommentaren und Rezensionen) mit eins bis fünf Sternen kann dann deutlich machen, dass auch kreatives Arbeiten evaluierbar ist, wenn auch nicht mit den üblichen Kriterien des Schulunterrichts, sondern basierend auf den ästhetischen Vorstellungen und Wertmaßstäben der jeweiligen Internet-Community. <?page no="249"?> 7. Textsorten und Kultur-/ Sprachvermittlung 7.1 Lehrwerke und Lehrwerkkritik Thema Authentizität: Lehrwerke vs. andere Medien In der Fremdsprachendidaktik, nicht allein in Ausrichtungen des Konstruktivismus, herrscht das Ideal des Authentischen: Unterrichtssituationen, Kommunikationsanlässe und -verfahren, Materialen usw. sollen möglichst ‚echt‘ sein. Natürlich ist dabei postmoderne Skepsis gegenüber dem Begriff des ‚Authentischen‘ zu berücksichtigen, wie auch die Einsicht, dass ein ‚authentischer‘ Text, wie ein Musikvideo, im pädagogischen Kontext des institutionalisierten Unterrichts automatisch an Authentizität verliert, ja dass die Unterrichtssituation eben nie authentisch-lebensweltlich sein kann. Dennoch gilt das Ideal einer realitätsnahen Lernsituation, in der Texte eingesetzt werden, die nicht speziell für den Unterricht verfasst wurden, eben ‚authentische‘ Texte. Jedoch ist nach wie vor das Gegenteil der Fall. Denn das traditionelle Leitmedium des Unterrichts, das Lehrwerk, insbesondere das Lehrbuch (Schülerbuch), bleibt in der Phase des Spracherwerbs (also vor allem in der Sekundarstufe I) das oftmals absolut dominante Medium der Instruktion. Für die Unterstufe bestehen Lehrbücher zu einem großen Teil aus nicht authentischen, didaktisierten und künstlich entworfenen Materialien. Und auch in der Oberstufe haben die Schulbuchverlage in den letzten Jahren zahlreiche Angebote an Lehrbüchern geliefert, die zwar authentische Texte bieten, jedoch durch ihren breiten Annotationen- und Aufgabenteil deutlichen Lehrbuchcharakter aufweisen. Die in fachdidaktischen Kreisen weit verbreitete Skepsis gegenüber dem Lehrbuch hält an und es werden vielseitige Vorschläge für die Arbeit ohne Lehrbuch oder das Lehrbuch ergänzende Tätigkeiten angeboten (vgl. z.B. Tomlinson 2003). Gerade die Neuen Medien, zumal das Internet, erhalten bisweilen den Nimbus einer Alternative, zumindest eines positiven Gegenentwurfs zum Lehrbuch, versprechen sie doch authentischere, lebensnahe und motivierende Texte bzw. Lernkontexte (vgl. beispielhaft Rüschoff, Wolff 1999, Rösler 2007). Dazu noch scheinen sie Vorstellungen von Lernerautonomie und Handlungssowie Prozessorientierung auf kongeniale Weise zu entsprechen. Doch auch die ‚alten Medien‘ sind nicht an den Rand gedrängt. Da zunehmend die Bedeutung der Lesekompetenz auch am Ende des Zeitalters der ‚Gutenberg-Galaxie‘ wieder betont wird, erhalten z.B. literarische Texte erneut stärkere Bedeutung. Zugleich postuliert man die Wichtigkeit der Vermittlung von visual literacy durch eingehende Beschäftigung mit filmischem Material als Reaktion auf das Zeitalter des Visuellen (vgl. Surkamp 2004, Blell, Lütge 2008, Donnerstag, Volkmann 2008, Kelleter, Stein 2008, Hecke, Surkamp 2010). In diesem Kapitel sollen die einzelnen ‚Textsorten‘ oder Medien auf ihr spezifisches Potenzial zur Vermittlung (inter-) kultureller Inhalte und Kompetenzen hin vorgestellt und kurz diskutiert werden. Dabei wenden wir uns zunächst dem Lehrwerk zu, dann den Neuen Medien. Stellvertretend für die wachsende Vielzahl entsprechend im Unterricht eingesetzter Medienformate - Computer-Hardware und -Software, Datenbanken, CDs, CD-ROMs, DVDs, E-Mail-Kommunikation, E-Learning-Plattformen, Chatrooms, Blogs, Audiofiles, Digitale Archive usw. - seien hier kurz Lernpotenziale <?page no="250"?> Textsorten und Kulturvermittlung 236 des Internets vor allem bei Recherchetätigkeiten und beim Erstellen eigener CDs oder Webpräsentationen durch Lernende vorgestellt. Dies geschieht in Anlehnung an vorherige Ausführungen zur Medienkompetenz und zu multiliteracies (vgl. Kap. 6.3). Im Anschluss folgen Ausführungen zu den ‚traditionellen‘ Medien, von Realia, den audio-visuellen Medien bis zu Sachtexten und Formen der Literatur. Hierbei kann nur betont werden, dass vielfältige multimediale und auch multimodale Kombinationsformen im Unterricht präsent sein sollten. Diese Forderung ist nicht allein darin begründet, dass so eine dichtere wie breitere Repräsentation des anderen Landes erfolgen kann und einseitige Blickwinkel vermieden werden, sondern dass Lernende hierbei zwei aufeinander bezogene Erfahrungen erleben und entsprechende Kompetenzen entwickeln können: Es geht bei der Kombination verschiedener Medien um Intertextualitätserfahrungen, um das Zusammenspiel verschiedener Texte oder Medien einerseits, andererseits um Differenzerfahrung mit Bezug auf Texte und Medien. Mit dieser Differenzerfahrung sind dabei sowohl die Differenzen gemeint, die genredifferente ‚Texte’ betreffen (z.B. Roman vs. Film), wie auch Binnendifferenzen innerhalb einer Gattung oder eines Mediums (z.B. Dokumentarfilm vs. Spielfilm). Es geht dabei auch um die kulturspezifische Verfasstheit unterschiedlicher Textsorten (vgl. Bogdal, Kammler 2003: 187). Kulturbezogene Lehrwerkkritik Die Forderung nach authentischen Textsorten und der ‚Öffnung des Klassenzimmers‘ mit Bezug auf reale oder virtuelle Dimensionen ist oftmals auch von einer umfassenden Lehrwerkkritik getragen. Die Lehrwerkkritik bezieht sich in der Regel dabei auf das Leitmedium Lehrbuch; ihre Evaluationskriterien lassen sich bei entsprechender Erweiterung gleichwohl auch auf die anderen Komponenten des Lehrwerk- oder Medienpakets übertragen: Lehrerhandreichungen, Workbooks für Schüler/ innen, CDs mit Hör- und Übungsmaterial, Software, Foliensätze, Internetportale mit zusätzlichem Material für Lehrer/ innen und Schüler/ innen usw. Durch die verführerische Inklusivität und Breite des Materials kann hier das trügerische Gefühl einer didaktischen Rundumversorgung entstehen, die gar nicht erst Bedürfnisse nach zusätzlichem, echtem Material aufkommen lässt. Gerade dies ist eines der Grundprobleme von Lehrwerken, zumal sie Untersuchungen zufolge bei Lehrkräften wie Schüler/ innen zugleich hohes Prestige gegenüber anderen, ‚zusammengesammelten‘ Materialien aufweisen und als dem Unterricht Ordnung und Struktur liefernde Autoritätsinstanz geschätzt werden (Corazzi, Jin 1999, Gonerko-Frej 2007). So ist es nicht verwunderlich, dass das Lehrbuch (als zentrale Komponente eines Lehrwerks) auch im informationstechnologischen Zeitalter den Rang eines Leitmediums im Fremdsprachenunterricht innehat und weiterhin als zentrales Instrument der Unterrichtssteuerung fungiert (Neuner 2003, Nold 2005). Der Entstehungs- und Umsetzungsprozess des Lehrwerks ist dabei höchst komplex und dynamisch: Vom ministeriellen Lehrplan über die Genehmigungsverfahren zum Einsatz gemäß eines Stoffverteilungsplans und der Stundenplanung entwickelt sich ein mehrschrittiger Ablauf, der dazu führt, dass ein selbstregulatives System entsteht, dem zufolge das Schülerbuch eher ein Lehrbuch denn ein Lernbuch ist (vgl. Börner, Vogel 1999). Da ein Lehrwerk in der Regel etwa zehn Jahre an einer allgemeinbildenden Schule eingesetzt <?page no="251"?> Textsorten und Kulturvermittlung 237 wird, will eine kriteriengeleitete Auswahl durch die jeweilige Fachschaft wohlüberlegt sein (Kieweg 1999). Neben Kriterien bezüglich der kommunikativen, motivationalen, sprachvermittelnden, didaktisch-pädagogischen und benutzerfreundlichen Güte von Lehrwerken sind dabei auch immer inhaltliche (content-based) bzw. landeskundliche oder kulturkundliche Evaluationskriterien angemahnt worden (vgl. z.B. Gonerko-Frej 2007, Volkmann 2008c). Wer Lehrwerke der letzten Jahrzehnte einer entsprechenden Analyse unterzog, konnte oftmals erhebliche Mängel in diesem Bereich feststellen. In diesen Fällen besteht geradezu die Notwendigkeit, alternative Texte einzusetzen oder die Lernenden auf eklatante Problemfälle hinzuweisen. Die inhaltsbezogene Lehrwerkkritik richtet sich dabei gegen zwei Tendenzen: (1) Die Zielkultur erscheint als Projektionsfläche spezifisch deutscher Wünsche, Bedürfnisse oder Ängste. Die Amerikanerin Rachel Baron betont dies, wenn sie feststellt, dass Präsentationen der USA in Deutschland „weniger mit der Wirklichkeit der USA zu tun haben als vielmehr ein Signal der politischen Orientierung im eigenen Land sind. [...] Amerika als Vorbild, Amerika als Zerrbild menschlicher Gesellschaft, Amerikabegeisterung, Antiamerikanismus“ (Baron 2002: 133) - all dies spiegele sich gerade in Lehrwerken zu ihrer Heimat. (2) Die zweite Tendenz thematisiert der Brite Colin Humphrey, der Ende der 1970er Jahre kritisierte, dass in Lehrwerken ein homogenisierendes, weltfremdes und damit einseitiges Bild des englischsprachigen Auslands, hier Großbritanniens, in Lehrwerken vorherrsche: [T]he predominant image of the British currently being conveyed to German pupils is that of a middle-class society wallowing in the material delight of a modern consumer-oriented society, whose family, social and political life is harmonious and unproblematical since it is pervaded by an unswerving willingness to compromise and exercise tolerance. (Zit. in Davids 1981: 41) Das Fremde als Projektionsfläche, Stereotypenbildung im Bereich nationale Identität, Ethnie und Gender, oberflächliche Touristenperspektive, beschönigende Sicht eines Landes oder zu starke Betonung seiner Probleme: dies sind die typischen Ergebnisse der Lehrwerkanalyse der letzten Jahrzehnte. Doch die Lehrwerkmacher haben auf sich verändernde soziale Realitäten und offensichtlich auch auf die Kritik der Lehrwerkanalyse reagiert. Dies bezieht sich auf allgemeine Kriterien, wie sie etwa für die ‚Wunschlehrwerke‘ von Kieweg (1999) und Nold (2005) aufgelistet wurden. Für die neue Generation von Lehrwerken respektive Lehrbüchern seit etwa 2000 kann man durchaus konstatieren, dass das gewünschte ‚Werk der Zukunft‘ bereits auf dem Markt ist. Erhebliche Fortschritte haben nicht nur mit Hinblick auf technischen Aufwand stattgefunden, bei Layout, Methodik, Lern- und Sozialformen, Wortschatz- und Grammatikarbeit, Textsorten, selbstgesteuertem Lernen, dem Primat des Mündlichen sowie der Medienvielfalt (vgl. Kaußen, Renné 2006, vgl. etwa die Greene Line von Klett, 2008ff.). Lange Zeit war bei der Lehrwerkanalyse durchaus eine gewisse ‚Hermeneutik des Verdachts‘ sinnvoll, wenn etwa lediglich der sprichwörtliche indische Corner Shop ahnen ließ, dass Großbritannien sich zur multiethnischen Gesellschaft wandelt(e). Inzwischen ist ein deutliches Bemühen um realistische, schülernahe Situationsschilderungen erkennbar, bei denen ein hoher Grad an political correctness (Minderheiten, single-parent families usw.) auffällt. Betrachten wir die üblichen inhaltsbezogenen Evaluationskriterien, so können sie in der Regel <?page no="252"?> Textsorten und Kulturvermittlung 238 zufriedenstellend oder sogar sehr gut erfüllt werden (vgl. Corazzi, Jin 1999, Tomlinson 2003, Islam, Mares 2003, Volkmann 2008: 132f.) Korrektheit und Aktualität der Information: Die Lehrwerke bemühen sich besonders um Aktualität (beispielsweise bei Daten, Bezügen zur Popkultur usw.), die allerdings zwischen Konzeptionsphase und mehrjährigem Einsatz schwinden kann. Objektivität durch Multiperspektivität: Die Lehrwerke haben in der Regel ein ‚Lehrwerkpersonal‘, welches unterschiedlichen sozialen, ethnischen und familiären Hintergrund aufweist. Repräsentativität: Die Lehrwerke bemühen sich um Repräsentativität im Rahmen der Vorgaben von Lehrplänen. Vermeiden von Stereotypen und Vorurteilen, realistische Darstellungen: Im Großen und Ganzen werden typische Klischees vermieden, vereinzelt wird das Thema ‚nationale Stereotypenbildung‘ direkt mit Texten thematisiert. Vermeidung homogenisierender Präsentationen: Hier wird abgewogen zwischen dem Bedürfnis der Lernenden nach sozialer Übersichtlichkeit und den realen Verhältnissen (Arbeitslosigkeit, Armut, Familienprobleme, Rassismus usw.). Insgesamt ist inzwischen ein hoher Qualitätsgrad an pädagogisch sinnvoller Darstellung von Diversität und pluralistischen Gesellschaften erreicht. Auch wenn Schüler/ innen zusätzliches Audiomaterial auf CD und Möglichkeiten ergänzender Informationsbeschaffung auf den Internetportalen der entsprechenden Verlage angeboten werden, so gilt doch, dass die Präsentation von Kulturen bereits in der Sekundarstufe I der Ergänzung durch andere Medien und stärkere Ausrichtung auf Schüleraktivierung jenseits des Lehrwerks bedarf. Dies gilt vor allem für die Sekundarstufe II, in der die alleinige Beschränkung auf didaktisch noch so gute Lehrwerke eine Einschränkung, ja sogar kulturelle Entmündigung der Lernenden bedeuten würde. 7.2 Typische ‚authentische Texte‘ Internet, Software und digitale Eigenproduktionen Neben zahlreichen kommerziellen Software-Angeboten im Bereich Fremdsprachenlernen kann gerade das Internet den im Kapitel zum Paradigma Konstruktivismus (Kap. 6.2) vorgestellten didaktischen Forderungen entsprechen. Es sind dies Forderungen nach stärkerer Lernerautonomie, authentischeren Szenarien und Texten sowie generell nach Ermächtigung des Lerners durch die Demokratisierung tradierter Lehrer-Lerner-Hierarchien. Lernersoftware steht heutzutage zum großen Teil auf Internet-Plattformen zur Verfügung und ist zumeist kostenfrei, allerdings teilweise, gerade bei Anbindung an Lehrwerke, auch kostenpflichtig (im Internet befinden sich zunehmend Portale, die die Funktion von Software auf CDs oder anderen Datenträgern übernommen haben). Software lässt sich wie folgt kategorisieren und beschreiben ( in ihren didaktisierten Komponenten ist sie natürlich nicht als ‚authentischer Text‘ zu verstehen; vgl. Mader, Stöckl 1999, Rösler 2007: 75ff., Volkmann 2008a): Software zur Präsentation und Illustration von Informationen: Dies beinhaltet Texte, Diagramme, Grafiken usw. Die Möglichkeiten der Interaktion sind begrenzt, sie dient vor allem als Referenz. Für Faktenwissen im kulturellen Be- <?page no="253"?> Textsorten und Kulturvermittlung 239 reich kann sie Printmedien zunehmend ersetzen (z.B. Wörterbücher mit Ausspracheoption, Microsoft Encarta, Encyclopaedia Britannica). Im Internet wäre hier vor allem Wikipedia zu nennen, häufig die erste und bisweilen einzige Informationsquelle bei Schülerpräsentationen. Drill-and-practice software: Die Software reagiert auf Fragen und Eingaben, jedoch oft nach einem starren Muster von ‚richtig‘ oder ‚falsch‘. Häufig gibt es wenig Feedback, sie wird eher im Bereich des behavioristisch bestimmten Wortschatz- und Grammatiklernens angewandt. Tutorien- / Lerner-Software: Hier wird Information zur Verfügung gestellt; Lernende sind dazu aufgefordert, auf Input zu reagieren. Dabei stehen Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung und unterschiedliche Levels von Schwierigkeit und Interaktion. Ton, Bild und Text werden in Korrelation gebracht. Kommerzielle Software zu landeskundlichen Themen kann eine sinnvolle Ergänzung zur Lehrbucharbeit sein, zumal wenn sie Spielcharakter aufweist, authentische Sprache anbietet und einem ansprechenden Narrativ folgt. Bestimmte Software, wie der Klassiker der interaktiven Personal-Computer- Spiele, „Sherlock Holmes“ (seit 1991), kann durchaus auch in diesem Sinne quasi nebenbei Einsichten in das viktorianische Zeitalter liefern, obwohl hier keinerlei didaktische Zielgebung vorherrscht, sondern es sich um ein rein kommerzielles Videospiel handelt. Des Weiteren können Lerner unter Umständen einfache Formen dieser Software selbst entwickeln. Simulationen und Mikrowelten: Hier werden komplexe Aufgaben gestellt, ähnlich einem Videospiel. Es wird ein bestimmtes Szenario mit vielfältigen Aufgaben entworfen, welche unterschiedliche Computerbenutzer bewältigen müssen. Die Beschäftigung hiermit kann sich über einen langen Zeitraum erstrecken. Diese Software kann vor allem - wie bei dem Spiel Simulation globale - als interkulturell wertvolles Simulationsspiel außerhalb des Klassenzimmers empfohlen werden. Die Schüler/ innen entwerfen hier in der Interaktion mit anderen Teilnehmern/ innen selbst eine virtuelle Welt (z.B. ein internationales Hotel, welches sich nach und nach mit Gästen füllt) und übernehmen innerhalb dieser Welt eine bestimmte Identität. Bei der Evaluation derartiger Software erscheint neben der Frage nach interaktiven Elementen, nach geförderten Kompetenzen, dem rich learning environment und multimedialen sowie multimodalen Aspekten und Fragen der technischen user friendliness vor allem der Aspekt der interkulturellen Erfahrung bzw. des interkulturellen Lernzuwachses wichtig. Dies gilt gleichfalls für die Einschätzung des Internets als Meta-Medium der Neuen Medien: Neben der Möglichkeit der Kommunikation in Echtzeit (Videokonferenzen usw.) oder verzögerter Zeit (E-Mail-Kommunikation) übernimmt das Internet vor allem die Funktion der wesentlichen Informationsquelle und des information outlet, also der Möglichkeit, selbst Informationen zu verbreiten. Für den Unterricht ist hierbei die Befähigung der Lernenden zur gezielten, selektiven und effektiven Informationssuche (Recherche) einerseits wichtig, andererseits die Fähigkeit zur Teilhabe am Informationsdiskurs des World Wide Web. Bei der Informationssuche ist zu bedenken, dass das Internet kein edukatives System darstellt, welches sozusagen ‚selbsterklärend‘ funktioniert. Vielmehr ist vieles im Internet schnell gepostet, mit cut and paste zusammengeflickt, aber auch von zweifelhafter moralischer Qualität - Pornos, Rassismus, Sexismus usw. beherrschen nach <?page no="254"?> Textsorten und Kulturvermittlung 240 Meinung seiner Kritiker den virtuellen Diskurs weltweit. Es erscheint daher im Sinne der Förderung von Medienkompetenz eine wesentliche Zielvorgabe des Unterrichts, Schüler/ innen entsprechend Hilfestellung zu geben, nicht allein, damit WebQuests zu unterrichtlichen Themen sinnvoll durchgeführt werden können, sondern auch im Sinne des lebenslangen Lernens. Die vier häufig genannten Kriterien der Evaluation von Webseiten lauten dabei accuracy, authority, currency and presentation (vgl. Volkmann 2008: 179) - und Lernende sollten möglichst im induktiven Verfahren selbst erkennen können, welche Kriterien bei der Bewertung von Internet-Präsentationen für sie sinnvoll sind. Folgenden Fragenkatalog könnten Lernende dabei benutzen (Volkmann 2008: 184): Is information about the operator and author given? Are sources and references given? How is the quality and value of written information (style, correctness, readability, etc.)? How do students evaluate the source’s layout and interactive parts (visuals, ratio of written information and visuals, links, etc.)? How can learners use the website and what learning purposes does it lend itself to? Der pädagogische Bildungsserver www.lehrer-online.de bietet beispielsweise mehrere Vorschläge für evaluative, inhaltsbezogene Vergleiche von Webseiten. Exemplarisch können unterschiedliche Darstellungen eines Landes oder einer wichtigen Person gegeneinander gestellt werden. Ein vergleichender WebQuest könnte beispielweise bestehen aus: Stimmen pro und kontra Michael Moore und dessen Präsentation der USA. Die Präsentation Indiens auf einer offiziellen und einer inoffiziellen Webseite. Eine Webseite zur British Monarchy sowie eine ihr gegenüber kritisch eingestellte Webseite. Die Präsentation Londons auf kommerziellen Webseiten und auf Webseiten von Minderprivilegierten. Damit seien nur vier von vielen Möglichkeiten genannt. Es können zusätzlich ideologische oder inhaltliche Einseitigkeiten herausgearbeitet werden, die Lernenden verdeutlichen, dass es bei der Recherche zu einem Thema oftmals nicht langt, lediglich Fakteninformationen auf Wikipedia zu sammeln, sondern dass eine vergleichende Recherche zu Hintergründen eines Themas und zu dessen kontroversen Dimensionen zu spannenden und interessanten Ergebnissen führen dürfte. Das Produzieren einer eigenen CD, Homepage oder themenorientierten Webseite kann, über die Rezension bei Amazon oder einem Video für YouTube hinaus, als produktive, handlungs- und produktionsorientierte Form der Beschäftigung mit einem Thema genannt und empfohlen werden. Hierbei gelten ähnliche Gütekriterien wie beim Evaluieren von Software: Optik und Design, Verbindung von Bild, Ton und Text, Interaktion, user friendliness und Verlinkungen verlangen beim Erstellen einer CD oder Homepage erhebliche Kompetenzen, die weit über die schriftliche oder mündliche Leistung von Referaten, PowerPoint-Präsentationen, Leistungserhebungen oder Abiturarbeiten hinausgeht. Beispiele für entsprechende Projekte wären (vgl. Volkmann 2008c): Traditionelle Landeskundethemen, z.B. American holidays: Hier werden die Nationalfeiertage der USA visuell und mit interaktiven Elementen präsentiert. <?page no="255"?> Textsorten und Kulturvermittlung 241 Präsentation einer Region oder eines Landes, z.B. New Zealand: Hier werden nicht allein die üblichen Touristeninteressen aufgegriffen, sondern auch Aspekte der Maori-Kultur inklusive des berühmten indigenen Haka-Tanzes (durch Videos von der Aufführung des nationalen Rugby-Teams). Themen des bilingualen Unterrichts, z.B. nutrition. Hier wird auf die Gefahren von junk food aufmerksam gemacht, die Benutzer können ihre Essgewohnheiten überprüfen und über die Vorteile einer gesunden Ernährungsweise lernen, auch mit interaktiven Spielen. Umgang mit Literatur, z.B. zu einem Roman oder einem Drama: Es werden interaktive Simulationsspiele zu bestimmten Figuren, Szenen usw. erstellt, die von Studierenden auch kollaborativ gelöst werden können (vgl. Baier 2008). Jürgen Donnerstag (2008) hat mit Blick auf ähnliche Projekte an amerikanischen Hochschulen betont, wie sehr sich hier in Kontrast zu herkömmlichen schriftlichen Schüler- oder Studentenarbeiten emotionale mit kognitiven, analytische mit produktiven Elementen verknüpfen. Dabei empfiehlt er auch für deutsche Schulen und Universitäten, experimentell Ansätze des digital storytelling aufzugreifen: Hierbei collagieren Lernende Bild, Ton und Text in einer an PowerPoint-Präsentationen erinnernden Multimedia-Narration, die sich mit ihren eigenen, subjektiv eingefärbten Erfahrungen zu einem komplexen kulturellen Thema beschäftigt. Donnerstag bezieht sich dabei auf Projekte des amerikanischen Medienpädagogen Gregory Ulmer, der seinen Studierenden des Anfangssemesters folgende Aufgaben gab: 1. Family: Compose as a website a memorable scene from your childhood memories of experience with your family. Anything memorable will work, as long as the memory is vivid. 2. Entertainment: Compose a website documenting the memorable aspects of a work of entertainment. Focus on scenes, props, events, persons associated with the problem or conflict central to the story. In the realm of entertainment students will realize how much the all pervasive entertainment industry shapes their cultural assumptions about race, gender and class. 3. Community: Compose a website documenting some problem or conflict memorialized or commemorated in some way by the community you live in. 4. Career: As the students are enrolled in English as a major subject they are asked about motivations, intentions, future plans, etc. (ibid.: 105) Dabei geht es um reflexiven Umgang mit den verschiedenen Kategorien von Identität, gerade im Zusammenhang damit, wie man diese durch mediale Darstellungen präsentieren und dann reflektieren kann. Realia und Bilder Der Einsatz von Realia und von Bildern dient nicht nur als kurzer Lernimpuls oder zur visuellen Motivation. Sondern er bietet sich aus vielerlei anderen Gründen an. Multisensorisches Lernen kommt hier zum Tragen, ebenso wie auf die Forderung nach größerer Beachtung der visual literacy eingegangen werden kann. Nicht zuletzt können Lernende hier ein authentisches Stück Zielkultur selbst betrachten oder mit mehreren Sinnen wahrnehmen. Das Prinzip, möglichst wirkliche Gegenstände (Realia) im Unterricht einzusetzen, ist vor allem von der Vokabelvermittlung im Anfangsunterricht bekannt. Die Präsentation fremdkultureller Gegenstände durch die Lehrkraft oder die Lernenden sollte jedoch nicht auf den Anfangsunterricht <?page no="256"?> Textsorten und Kulturvermittlung 242 beschränkt bleiben. Haptische, olfaktorische, akustische und visuelle Stimuli können auch bei fortgeschrittenem Lernalter einen ganzheitlichen Zugang fördern, wenn der präsentierte Gegenstand oder die präsentierten Gegenstände noch mit anekdotischen Erlebnissen oder sonstigen Narrativen zusätzlich emotional ‚belegt‘ sind. Die Liste möglicher Realia ist lang und beinhaltet Alltagsgegenstände wie Karten jeglicher Art, Nummernschild(er) für Fahrzeuge, Kinotickets, Bustickets, bedruckte Servietten, eine Speisekarte, ein Stück gesammelte Natur (z.B. Sand vom australischen Bondi-Strand) - bis zu Kuriosa und ‚landestypischen‘ Gegenständen (Didgeridoo, Straßenschilder, Vegemite-Dose, Indianerschmuck) oder Broschüren und im Land selbst erstandene Bildbände, Landkarten, Poster, witzige Postkarten usw. Die Gegenstände, etwa eine Speisekarte, können für sich zum Objekt der Betrachtung oder Ausgangspunkt einer Aktivität, aber auch im Ensemble verschiedener Texte eingesetzt werden. In den Zeiten des Internets muss man noch nicht einmal im Land der Zielkultur selbst Realia gesammelt haben, sondern kann sich diese bei entsprechenden Internetadressen bestellen: Das Kiwi-Tourist-Kit oder eine Sammlung ‚typisch‘ kanadischer Gegenstände sind online erhältlich. Als Anschauungsmaterial für die Konstruktion nationaler Identität durch symbolisch aufgeladene ‚Kultobjekte‘ bieten sie sich besonders an. Auch der native speaker ist hier im weitesten Sinne als ‚Realie‘ zu verstehen, die im Rahmen einer Unterrichtseinheit zu entsprechenden kulturellen Themen sowohl als Wissensvermittler wie auch als Kulturzeuge wirken kann. Er oder sie wird dabei auch linguistisch-kommunikative ‚Funktionen‘ übernehmen, als Input- Geber und gegebenenfalls die Sprachnorm vertretende Instanz - auch wenn es in Zeiten des lingua franca-Englisch modisch geworden ist, dessen Bedeutung in Frage zu stellen (vgl. Baron 2002: 198). Im visuellen Zeitalter wird, wie Marcus Reinfried bereits 1992 in seiner maßgeblichen Studie zum Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht formulierte, die „Diversifikation und Variation der Bildtypen und methodischen Verfahren weiter zunehmen“ (Reinfried 1992: 283, zu neueren Ansätzen vgl. Hecke, Surkamp 2010). Traditionell dienen Bilder (Poster, auf Overheadfolie, in PowerPoint-Präsentationen usw.) oft als motivierender Einstieg in eine Lektion, sie schaffen Sprech- und Schreibanlässe und begleiten als visualisierende Ergänzung Hör- und Lesetexte. Neben dem Einsatz bei der Wortschatz- und Grammatikarbeit wurden Bilder gern eher begleitend oder illustrativ zu landeskundlichen Texten eingesetzt. Inzwischen sind Bilder auch als eigenständige Quellen erkannt worden, die es gleichfalls zu ‚lesen‘ gilt. Es geht dabei neben Bildern der Fremdkultur zudem um Vergleiche mit Bildern der eigenen Kultur, auch um mentale oder interne Bilder und visuelle Vorstellungen. Beim Lernen mit Bildern im Fremdsprachenunterricht entstehen mehrdimensionale, multiperspektivisch ausgerichtete Prozesse, die es zu erörtern gilt. Dabei können folgende Fragen die Betrachtung und Diskussion steuern (vgl. Bichele 2006): Wie wirken bestimmte Bilder auf Lernende aus einer anderen Kultur? Welche Rolle spielen Bilder der eigenen Kultur beim Verstehen von Bildern der Zielkultur? Welche Vorwissensmuster und Einstellungen prägen das Verstehen von Bildern einer anderen Kultur? Wie kann das eigene kulturelle Vorverständnis aufgerufen und genutzt werden für das Verstehen von Informationen aus einer anderen Kultur? <?page no="257"?> Textsorten und Kulturvermittlung 243 Welche unterschiedlichen kulturellen Dimensionen der Zielkultur sprechen Bilder an? Dabei kann es sich um ‚Alltagsaufnahmen‘ aus der Zielkultur handeln, aber auch um ästhetisch wertvolle Fotos und Bilder, ja sogar um ‚kanonisierte‘ Kunst wie die zielkulturell so wichtige Malerei des Amerikaners Edward Hopper („Nighthawks“, 1942) oder Szenen aus der Stadt Manchester, entworfen von dem naiven Maler L.S. Lowry, die Skulpturen oder Plastiken eines Henry Moore oder indigene Kunst wie die Malerei der Aborigines. Eingesetzt werden können gleichfalls ‚Klassiker‘ der historischen Malerei, wie das riesige Ölgemälde „Washington crossing the Delaware“ (Emanuel Leutze, 1851), sowie allgemein Portraits, Landschaftsmalerei, urbane Szenen und eher ornamentale, abstrakte oder bildende Kunstformen usw. Besonders ergiebig sind dabei für das Selbstverständnis einer Nation wichtige nationale Ikonen, die zum Teil tatsächliche bildliche Repräsentationen sein können, aber auch photografische Abbildungen oder nur mentale Bilder. Beispielhaft ist ein Projekt in Großbritannien, welches 2006 von der Regierung vorgestellt wurde. Das eine Millionen Pfund teure Projekt Icons Online zielt darauf ab, den Briten selbst‚ „ein besseres Verständnis persönlicher und nationaler Eigenarten“ zu vermitteln. Die Bewohner des Inselreichs konnten und können dabei auf einer Internetseite (www.icons.org.uk) Vorschläge zu aussagekräftigen nationalen Symbolen machen, diese wählen und kommentieren. Dabei geht es teilweise um visuelle Repräsentationen wie Big Ben, rote Telefonzellen, schwarze Taxis und die weißen Klippen von Dover, auch um Fernsehserien und Filme wie die Kultserie Fawlty Towers oder die James-Bond- Thriller, aber auch um nationale ‚Einrichtungen‘ wie die Queen, das Nationalgetränk Tee, das Pokalendspiel, Kricket und Shakespeare. Kurzum, derartige Foren und Bilder liefern dem Unterricht eine Fülle an Materialien zur Diskussion des Themas nationale Identität. Sie regen dazu an, ähnliche Collagen zu erstellen und kulturkontrastiv zu arbeiten (zu US-amerikanischen ‚Kulturikonen‘ vgl. Hebel 2009: 337ff.). Neben weiteren typischen nationalen Ikonen wie sie Briefmarken, Geldscheine oder karikierte bzw. symbolische Nationalcharaktere (‚Uncle Sam‘, vgl. Mitchell 2005: 36ff.) anbieten, können visuelle Eindrücke auch mit Landkarten entstehen, zumal wenn diese schematisieren, subjektivieren oder karikieren. Bekannt sind hier subjektive mentale Landkarten, welche die eigene Umgebung in den Mittelpunkt der Welt stellen. Sie können im Internet gefunden werden und entsprechend Verwendung finden; dabei regen sie zur Diskussion wie zur Nachahmung an. Überhaupt liefern Karikaturen einen zugespitzten, amüsanten und bisweilen sarkastischen Zugriff auf ein Thema und fordern zum Erklären des Dargestellten und zum Kommentieren auf. Comics und graphic novels seien schließlich als weitere Form der bildlichen Darstellung genannt, zumal weil hier gerade die Kombination von Bild und Text interessiert. Comics hat man inzwischen nicht nur als feuilletonwürdig erkannt, sondern sie gelten teilweise als künstlerisch besonders wertvoll, wie etwa Art Spiegelmans kritische Auseinandersetzung mit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 in der Comicerzählung In the Shadow of No Towers. Als sequenzielle Kunst liefern sie Einblicke in zielkulturelle Alltagswelten, zugespitzt durch die Perspektive der Komik. Zugleich sind sie fester Bestandteil des zielkulturellen Wissensreservoirs (vgl. Vanderbeke 2006). Dies gilt für bereits in der Unterstufe einsetzbare Comics wie Peanuts, Garfield oder Calvin and Hobbes, und noch mehr für die verfilmte Comicserie The Simpson Family. In dieser findet sich ein sehr dichtes Gewebe intertextueller und <?page no="258"?> Textsorten und Kulturvermittlung 244 interkultureller Anspielungen, die in parodistischer Verzerrung ein multiperspektivisches Bild der USA liefern. Gleiches gilt für die in Michael Moores Doku- Entertainment Bowling for Columbine (2002) eingesetzte Passage aus South Park, in der in wenigen Minuten ein witziger, bisweilen sarkastischer alternativer Überblick der Geschichte der USA aus der Sicht von Minoritäten abgespult wird. Zur eingehenden Betrachtung im Rahmen entsprechender Themengebiete empfehlen sich entsprechende Ausschnitte aus den Simpsons, South Park oder ähnlichen Serien, die auf YouTube leicht gefunden werden können - jedoch ergibt sich durch die karikaturhafte Darstellung bei kommentarloser Rezeption leicht die Gefahr der Stereotypenbildung bei Lernenden. Es bedarf hier der Perspektivierung durch andere Texte. Landeskundlich komplexe Themengebiete finden sich in den Comics von Gary Trudeau (Doonesbury), Art Spiegelman aber auch Brian Briggs (When the Wind Blows, eine 1986 auch verfilmte graphic novel über die Folgen eines nuklearen Angriffs auf England). Neben Klassikern des Genres wie Frank Millers Batman-Comics sind hier auch Comic-Versionen von Literatur, beispielsweise von Dramen Shakespeares, zu nennen, die sich als alternative Textsorte ergänzend zum Originaltext einsetzen lassen (vgl. ibid.: 376ff.). Songs, Musik, Musikvideos, Filme, Sachtexte, Reden, Werbung Die Aufwertung visueller Medien wurde im Fremdsprachenunterricht vorbereitet durch die Aufwertung visuell-auditiver oder allein auditiver Medien. Zunächst wären hier Musik und Lieder zu nennen, die sowohl von Tonträgern abgespielt wie auch selbst gespielt bzw. gesungen werden können. Der Bereich der Musik liefert nicht nur Einblicke in zielkulturell wichtiges Kulturschaffen und Elemente des Alltags (zu denken ist hier an Kinderlieder, Gospel-Songs, Carols, Fußballgesänge oder Feierlieder), sondern kann auch als exemplarisch für Identitätsstiftung oder Identitätsversicherung gesehen werden (Calypso und Reggae-Musik, Rap, Indianer- Chants, ‚offizielle‘ oder ‚inoffizielle‘ Nationalhymnen von so unterschiedlicher Art wie „Waltzing Matilda“ in Australien oder „Jerusalem“ in Großbritannien). Musik kann zugleich im Sinne der Suggestopädie oder zum Schaffen von Atmosphäre eingesetzt werden, wie Didgeridoo-Musik der australischen Ureinwohner oder die Stammesgesänge indigener Bevölkerungsgruppen. Schließlich setzt Musik auf ganzheitliche Verfahren im Sinne der Total Physical Response, lädt ein zum Klatschen, Mitsingen und Mitmusizieren und regt kreative Vorgehensweisen an. Dies gilt auch für das Liedgut der englischsprachigen Kulturen, welches vor allem im Anfangsunterricht als genuiner Bestandteil und motivierender ‚Lernstoff‘ vermittelt werden sollte. Denn die Vertrautheit mit einfachen Liedern wie „Old McDonald had a farm“ oder „He’s a jolly good fellow“ kennzeichnet den zielkulturellen Wissensbestand ebenso wie die (kursorische) Kenntnis ausgewählter Stücke Shakespeares. Darüber hinaus sind auch popkulturelle Songs wichtiger Bestandteil eines lebendigen Englischunterrichts. Sie können dem Spracherwerb dienen, kommunikative Kompetenz fördern (z.B. das Hörverstehen), aber auch interkulturelle Inhalte vermitteln und im Sinne der Medienerziehung mediale Kompetenzen fördern. Wenn dazu Musikvideos eingesetzt werden, kann zusätzlich durch die Elemente Ton, Bild und Text eine sinnlich ausgerichtete Rezeption mit Hilfe eines erweiterten Assoziationsrahmens gewährleistet sein (vgl. Thaler 2002). Beim Umgang mit Popsongs (von <?page no="259"?> Textsorten und Kulturvermittlung 245 Mainstream-Pop über Rock bis Rap) ist dabei darauf zu achten, dass diese sowohl Kunstwie Kommerzprodukte darstellen und bei der Auswahl auf zielkulturelle Bedeutung zu achten wäre (Blell 2002, Volkmann 2004b). Zwar können Musik oder Videos durchaus auch einfach einmal ‚nur so‘ zum Vergnügen rezipiert werden, in der eingeschränkten Zeit des Unterrichts sollten aber in der Regel thematisch relevante und künstlerisch anspruchsvolle Songs und Videos gewählt werden. Mit Rückgriff auf unterschiedliche Methoden (von Nur-Ton, Nur-Text, Nur-Bild über Verlückungen, freeze-frame bis zur eigenen Produktion, vgl. Thaler 1999: 214ff.) kann dabei auf eine thematische Diskografie oder Clipografie zurückgegriffen werden. In derartigen Listen (vgl. z.B. Thaler 2002: 7) spiegeln sich relevante Gebiete der zielkulturellen wie der internationalen Politik, landeskundliche Kernthemen (z.B. die Irische Frage, der American Dream, crime and violence in US society) oder auch transnationale Themenbereiche wie growing up. Freilich bietet eine Mehrzahl der Songs und Clips nur seichte Beschäftigung mit den Themengebieten und bedarf der entsprechenden Vertiefung durch anspruchsvollere Texte. In der den Lehrkräften begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit erscheint es sinnvoll, hier eine starke Auswahl zu treffen und auch auf bestimmte ‚Klassikerlisten‘ von Songs und Clips einzugehen. Denn es muss damit gerechnet werden, dass die derzeitige Schülergeneration nicht mit den Klassikern der Popmusik aufgewachsen ist und diese als Teil des popkulturellen Erbes vermittelt bekommen sollte (beliebtestes Lied aller Zeiten, laut einer Umfrage der Fachzeitschrift Rolling Stone: „Like a rolling stone“ von Bob Dylan, beliebtestes Video: „Thriller“ von Michael Jackson). Den Status eines Klassikers wie hervorragendes kulturelles Anschauungsmaterial zugleich bietet etwa Billy Joels „We didn‘t start the fire“ (1989). Das Video liefert in rasanter Bildfolge eine dem Text kongeniale Miniatur-Version der amerikanischen Geschichte von den 1940er bis in die 1980er Jahre. Oder besser: es geht hier um eine für das amerikanische Selbstverständnis repräsentative Auswahl an historischen Ereignissen und Personen. Es ist damit in gewissem Sinne ein medialer crash course in amerikanischer Mentalität und kann entsprechend vielfältig als Hinführung zum Thema wie als eingehende Vertiefung verwendet werden, zumal im Internet zahlreiche (auch edukative) Websites vertiefende Informationen liefern und damit zu autonomem Lernen einladen (Rüschoff, Wolff 1999: 224ff., Volkmann 2006a: 60ff.). Das nationale Selbstbild, in diesem Fall der Australier, wird ebenfalls in dem Clip „Down under“ der Gruppe Men at Work (1982) mit einigem Augenzwinkern vorgestellt. Aufschlussreich sind hier weniger die noch aus der Kinderstube des Mediums stammenden Bildsequenzen, als vielmehr die (bisweilen allerdings schlüpfrigen) Illustrationen zum australischen Selbstverständnis - wodurch dieses Lied im Übrigen den Status einer inoffiziellen Nationalhymne erlangte. Was für Videos konstatiert wurde, gilt für Filme in noch größerem Maße: Medienkompetenz wird hier von Didaktikern vor allem als „piktorale Literalität“ (Erlinger, Marci-Boehncke 1999: 89) definiert: Analog zu deklarativen und prozeduralen Kenntnissen im Bereich fiktionaler Texte geht es hier um Basiswissen und Basiskompetenzen im Bereich filmischen Erzählens bzw. der Filmanalyse. Früher konzentrierte sich der Einsatz von Filmen im Fremdsprachenunterricht vor allem auf Adaptionen von Literatur, wie beispielsweise des Romans The Great Gatsby (F. Scott Fitzgerald), der 1925 erschien und ein kritisches Gesellschaftsportrait des dekadenten Ostküsten- Amerikas der Roaring Twenties entwarf. Auch die kongeniale, bildgesättigte und opulente Verfilmung von 1974 mit Robert Redford und Mia Farrow (The Great Gatsby, <?page no="260"?> Textsorten und Kulturvermittlung 246 Regie Jack Clayton) kann zu den Klassikern des Englischunterrichts zählen. Filmdidaktische Ansätze konzentrieren sich heutzutage allerdings vor allem auf den Eigenwert von Filmproduktionen. Von der Filmanalyse (Monaco 1997) geht es dabei zu produktionsorientierten Verfahren (Surkamp 2004, Blell, Lütge 2008), wie bereits am Beispiel des Wandels der Literaturdidaktik dargestellt. Literaturwissenschaftliche Kriterien und Termini können dabei einerseits übernommen werden, so bei Dramaturgie, Spannungsaufbau, Handlung, Settings und Figuren. Darüber hinaus ist die gattungseigene ‚Filmsprache‘ zu beachten, wie bei Einstellungen, Perspektiven, Kamera- und Objektbewegung, Beleuchtung, Mise en scène (bildkompositorische Inszenierung, also die räumliche Anordnung der Figuren und Dinge in Bild, Wort und Musik). Auch sind Genrefragen und intertextuelle Verweise ebenso bedeutend wie Fragen nach der mimetischen oder nicht-mimetischen Beziehung zur Realität. Neben Filmen zum global learning (Hotel Rwanda, Babel, The Day after Tomorrow) bieten sich Filme an, die interkulturelle Themen behandeln, wie dies auch in so genannten ‚Ethno-Komödien‘ oder ‚interkulturellen Komödien‘ humorvoll und übertrieben geschieht (My Beautiful Greek Wedding, L’auberge espagnole). Weiterhin können Filme eingesetzt werden, die einen besonderen Zugang zu sonst eher nicht zugänglichen Gemeinschaften der Zielkultur eröffnen (z.B. Whale Rider zur Maori-Kultur in Neuseeland) oder key cultural concepts einer Kultur behandeln, wie in American Beauty oder Crash (dt. L.A. Crash). In beiden letztgenannten Filmen geht es um jeweils satirisch-ernste Abrechnungen mit dem American Dream, mit Erfolgsdruck, mit dem Jugendwahn in den USA und Spielarten der Diskriminierung. Beliebt sind auch Dokumentarfilme wie Michael Moores Bowling for Columbine, dessen persuasive Strategien der Meinungslenkung eingehender zu besprechen wären. Da sich der Einsatz eines gesamten Films als sehr aufwändig und rechtlich problematisch erweisen kann, mögen auch ausgewählte Passagen im Rahmen einer themenzentrierten Unterrichtssequenz zum Einsatz kommen. Außer feature films werden mit dem Erfolg amerikanischer, britischer und australischer Fernsehserien wie Sex and the City, House (dt. Dr. House) oder Lost diese ebenfalls für den Englischunterricht empfohlen. Dabei hat man festgestellt (Seiler 2008), dass neuere Serien wie die genannten, aber auch Heroes, Deadwood, The West Wing, The Wire, Six Feet Under oder 30 Days ihre Popularität unter anderem einer erheblichen Komplexitätssteigerung gegenüber früheren Fernsehserien verdanken. Weit mehr als etwa Dallas, Dynasty oder das unsägliche Baywatch sind diese Serien komplex und vor allem realitätsnah gestaltetet, setzen ein Vielzahl von Stilmitteln ein und zeichnen sich durch experimentierfreudige Erzählstrukturen, vielschichtige Charaktere und weitverzweigte Handlungsfäden aus. Sie gelten damit als Beispiel für die qualitative Veränderung von Fernsehunterhaltung und Populärkultur. Wenn wir dazu auch britische Sitcoms wie Little Britain zählen (Emig 2006), in der so ziemlich jedes Stereotyp im Bereich von Britishness einer Mischung aus ätzender Satire, slapstickartiger oder zotiger Behandlung ausgesetzt wird, so bietet sich dem Unterricht hier eine Vielzahl von wertvollen, aber auch mit Sorgfalt auszusuchenden Materialien. Sie lassen sich gerade punktuell und konzentriert auf bestimmte Episoden mit auf die Zielkultur bezogenem Erkenntnisgewinn einsetzen. Und sie können Interesse dafür wecken, die Serien im englischen Original zu rezipieren, da dann Komik, Humor und Zwischentöne noch mehr genossen werden können. <?page no="261"?> Textsorten und Kulturvermittlung 247 Besonders erwähnt werden soll hier auch die Werbung, in Printmedien wie auch im Fernsehen (vgl. YouTube-Archive). Zwar kann einfach auch Witz und Einfallsreichtum von angelsächsischen Werbemachern bewundert werden, allerdings gilt es auch in diesem Bereich, kritisch-reflexive Kompetenzen zu entwickeln. Dies kann sich beziehen auf: Vergleiche zu einem Produkt, welches international unterschiedlich in der Werbung präsentiert wird, womit interkulturelle Differenzen hervortreten (z.B. der Vergleich von Coca-Cola- oder McDonald’s-Produkten weltweit oder - mit Bedacht - der von Hygieneprodukten oder von Genussmitteln); die Konzentration auf zielkulturelle key cultural concepts: etwa wie der American Dream in der amerikanischen Werbung präsentiert wird; kulturübergreifende und kulturvergleichende Betrachtung von global issues, wie z.B. die Konstruktion von Gender in der Werbung unterschiedlicher Kulturen (deutsche Werbung vs. amerikanische oder z.B. jamaikanische Werbung); eine Konzentration auf die ‚Dekonstruktion von Werbung‘. Die letztgenannte werbekritische Ausrichtung sollte natürlich bei keinem der hier genannten Verfahren fehlen. Der so genannte ‚Adbuster-Ansatz‘ der amerikanischen Media Education Foundation von 2005 (www.adbusters.org, vgl. Grigoryan, King 2008) bietet im Internet zahlreiches Anschauungsmaterial und vielfältige Arbeitsbögen zur kritischen Analyse von Werbung. Hierbei werden deren manipulative Strategien und Techniken entlarvt, d.h. vor allem, mit welchen Mitteln sie potenziellen Konsumenten klar machen will, dass man nur glücklich, vermögend, erfolgreich, fit, befriedigt, gesund oder körperlich attraktiv sein kann, wenn man das entsprechende Produkt konsumiert. Dabei können vor allem kollaborative Arbeitsformen zum Einsatz gelangen, in denen die einzelnen Teilnehmer/ innen ihre Eindrücke und Analysen vergleichen und zu entsprechenden Aussagen zusammentragen. Es gibt somit vielerlei Möglichkeiten, die im Unterricht weniger beliebte trockene Textgattung ‚Sachtext’ oder ‚expositorischer Text’ zu ergänzen oder teilweise zu ersetzen. Dennoch kann bei entsprechender Auswahl aktueller, motivierender und stilistisch-argumentativ ansprechender Texte, etwa aus dem Online-Archiv des Guardian oder von Time und Newsweek, und dem Einsatz einer Mischung von analytischen und produktiven Verfahren auch hier ein Motivationsschub erfolgen. Zur Textsorte Sachtext wäre auch der Essay zu zählen, der etwas aus der Mode geraten ist, aber dennoch ein zu imitierendes Modell für klare Gedankenführung, Aufbau, Argumentation und Stil liefern kann, zumal wenn es um abstraktere Themen wie Glück, Erfolg oder gesellschaftliche Probleme geht. Mit dem Essay wird der verengten, auf Tagesgeschehen und Präsentismus beschränkten Perspektive vieler Zeitungsberichte eine weitere Perspektive zugeführt. Schließlich sei auf die anhaltende Bedeutung repräsentativer Reden verwiesen. Politische Reden sind rhetorisch besonders interessant und oftmals von großer kultureller Bedeutung. Die Aufschlüsselung ihrer Implikationen und Konnotationen ist eine höchst diffizile, aber lohnenswerte Aufgabe, vor allem, wenn im Unterricht rhetorische Sternstunden behandelt werden. Denn diese sind nicht nur Lektionen in rhetorischer Sprechkunst und der Wirksamkeit charismatischen Auftretens, sondern bedeutende historische Kristallisationspunkte nationaler und internationaler Konflikt- und Problemfelder - von den Reden eines Winston Churchills bis zu denen Martin Luther Kings, von denen Nelson <?page no="262"?> Textsorten und Kulturvermittlung 248 Mandelas bis Barack Obamas. Viele wichtige politische Reden sind zudem inzwischen als Podcasts zugänglich, wie etwa Martin Luther Kings „I have a dream“-Rede (1963), die in keiner Unterrichtssequenz zu Afroamerikanern oder zur Bedeutung der Verheißungen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von life, liberty, and the pursuit of happiness fehlen darf. Vor allem präsidiale Ansprachen, wie etwa John F. Kennedys oder Barack Obamas in Berlin gehaltene Reden an die deutsche Bevölkerung, umgibt eine geradezu mythische Aura; sie haben so manches geflügelte Wort in die Welt gesetzt. Dies gilt gleichfalls für Inaugurationsreden amerikanischer Präsidenten, die besondere Zugänge zum Selbstverständnis dieser Nation schaffen: The Inaugural Address speaks to the American people as if they were ‘one’, seeking to reassure them of presidential new beginnings, of commitment to great visions and old traditions, and as such functions less at the level of policy-making than as a rallying cry for the continuity of the new presidential term of office. It serves to remind Americans of ‘their’ individual and collective dreams. (Campbell, Kean 2006: 31f.) 7.3 Der besondere Wert der Literatur Veränderungen in der Literaturdidaktik In Folge der Kommunikativen Wende der 1970er Jahre wurde der kommunikativ, interkulturell und lebensweltlich umsetzbare Wert der Literatur lange Zeit grundsätzlich in Frage gestellt: Literatur leiste für die Ausbildung kommunikativer Kompetenzen zu wenig, was nütze die Kenntnis von Shakespeares Sonetten und von rhetorischen Stilmitteln, ja Literatur sei als primäres Beispiel des bürgerlich-elitären Kulturkanons überhaupt grundsätzlich aus dem Unterricht zu eliminieren (vgl. Hellwig 2000: 67, Volkmann 2007a: 109, Volkmann 2009b). Deutliche Auswirkungen dieser literaturfeindlichen Haltung schlagen sich weiterhin nieder in pragmatischen oder funktionalistischen Verständnissen von Sprache und Kommunikation, wie sie der Europäische Referenzrahmen für Fremdsprachen von 2001 reflektiert, in dem bekanntlich die Literatur nur marginale Erwähnung findet und insgesamt von einem neutral-klinischen ‚Weltwissen‘ die Rede ist. Doch es sind deutliche Zeichen einer Rückbesinnung auf die Werte der Literatur in der Fremdsprachendidaktik zu erkennen. Sie fußen auf einem veränderten Verständnis von Literatur und Literaturdidaktik: (1) Literatur wird nicht mehr als elitäres Kulturgut verstanden, sondern als zum Verständnis der Gegenwart nötiges tradiertes Erfahrungsgut. (2) Durch das qualitativ wie quantitativ veränderte, erweiterte oder teilweise aufgelöste Literaturverständnis verliert die Literatur nicht nur den Nimbus eines privilegierten Diskurses, sondern reiht sich prinzipiell gleichrangig in kulturelle oder textuelle Zeichensysteme ein, überhaupt in gesellschaftliche Diskurse, die das variable Ganze einer Kultur ausmachen. Der Ansatz der Intertextualität bettet dabei die Literatur im Sinne von kulturellen Zirkulationsmustern in bestehende Textdiskurse ein und untersucht die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse. Literatur wird damit nicht mehr allein als ästhetische Entität verstanden, sondern kann potenziell erheblich zum Verständnis der Entstehung von kulturellen Sinnmustern beitragen. Hierin liegt auch ihr besonderes Potenzial im Sinne des interkulturellen Lernens. (3) Durch die Wende zum rezeptionsästhetischen Verständnis von Literatur tritt zugleich im Unterricht der Lernende als Rezipient in den Vordergrund. Die dieser Schwerpunktverlagerung verpflichteten produktiven Verfahren des Umgangs mit Literatur setzen besonders auf kommuni- <?page no="263"?> Textsorten und Kulturvermittlung 249 kative, sinnliche, ganzheitliche und identifikatorische Elemente betonende Methoden, so dass im Fremdsprachenlernen, zumal im Bereich des interkulturellen Lernens (etwa durch den von der Literatur oftmals eingeforderten Perspektivenwechsel) erhebliches Lernpotenzial besteht (vgl. zur Literaturdidaktik im Überblick Nünning, Surkamp 2006, Thaler 2008). Die Auflösung der Textsorte Literatur und des Verständnisses von Literarizität ist zugleich ein Gewinn für den Fremdsprachenunterricht, wenn die Literatur dadurch im ‚Spiel der Texte‘ unverkrampft und ohne übertrieben selektive bürgerliche Geschmacksansprüche ihren alltäglichen Platz in Leben und Unterricht einnehmen kann. Im Folgenden seien einige besondere Vorteile der Literatur gerade mit Blick auf interkulturelle oder kulturelle Zielsetzungen erörtert. Der Begriff ‚Literatur‘ bezieht sich dabei auf so genannte Einfache Formen (von Aphorismen über Nonsens- Lyrik bis zu Kurzdramen) ebenso wie auf die in der Oberstufe eingesetzten längeren ‚Ganzlektüren’. Er beinhaltet an Lernerstufen angepasste graded readers in gleichem Sinne wie auch intermediale Formen (Comics) oder Filme, wenngleich hier sicherlich im strengen Sinne ästhetische und generische Unterschiede zwischen Printtexten und Filmen zu bestimmen wären, die allerdings für den Unterricht nur bei der Frage der jeweils spezifischen Darstellungsmodi und intendierten Rezeptionsverhalten von Bedeutung wären. In einem weiteren Teil soll schließlich auf Auswahlkriterien und Textsortenvielfalt eingegangen sein. Nach wie vor ist der Wert der Literatur für die ästhetische Bildung besonders hervorzuheben. Kunst und Literatur haben einen Eigenwert. Sie zeichnet zugleich bei der Bildung von Persönlichkeit und von deren ästhetischen, kreativen und imaginativen Dimensionen ein hoher Stellenwert aus. Dieser ist in Zeiten, in denen vor allem die Ökonomie berufsbezogene und utilitaristische Zielvorgaben in der Bildungspolitik durchsetzt, nicht zu vernachlässigen. Die Vorgaben von Standards, Kompetenzen und die generelle Output-Orientierung schaffen eine Vorstellungen vom Menschen als allseits zu formendes, stromlinienförmig auf die Wirtschaftswelt oder den globalen Markt vorzubereitendes Wesen. Diese funktionale Sichtweise der Literatur, welche das Medium Literatur vor allem für Output-Ziele verwertet, die entsprechend von Verwaltungsbehörden vorgegeben werden, verkennt wesentliche Elemente der Literatur. Dies sind Elemente, welche Hubert Zapf (2005: 67) mit Rückgriff auf ökokritische, ganzheitliche Ansätze als die drei Funktionen „kulturkritischer Metadiskurs, imaginativer Gegendiskurs, reintegrativer Interdiskurs“ beschrieben hat. Gemeint ist damit eine der Literatur inhärente Tendenz, sich gegen bestehende gesellschaftliche Schieflagen auf abstrakter oder konkreter Ebene zu stellen, imaginäre Gegenwelten zu entwerfen und Wege der Reintegration für marginalisierte Diskurse aufzuweisen. Diese insgesamt ‚kulturkritische‘ oder ‚kontradiskursive‘ Funktion der Literatur hatte bereits die kulturkritische Frankfurter Schule erkannt, die das besondere Irritationspotenzial großer Literatur beschrieb. Zu verweisen ist zugleich auf die Erkenntnisse russischer Formalisten, dass Kunst - anders als die Produkte der Massenkultur - den Prozess der Wahrnehmung erschwert. Denn sie ‚entautomatisiert‘ übliche Erwartungen von Lesern durch die künstlerische Verfremdung realer Sprache, durch Uneindeutigkeiten und sprachliche Komplexität (vgl. Iser 1994: 287, 290). Die Begegnung mit der Kunst trägt durchaus Züge einer echten ‚Fremderfahrung‘ - allerdings als Begegnung, die einer Verstehensleistung des Rezipienten bedarf und bisweilen nicht leicht zu vollziehen ist. <?page no="264"?> Textsorten und Kulturvermittlung 250 Rezeptionsästhetische Erkenntnisse Kunst und Literatur sind allerdings nicht vereinfacht als eine Art Kommentar zur wirklichen Welt zu verstehen, sondern sind selbst „Weisen der Welterzeugung“ (Goodman 1998). Damit müssen „die Künste als Modi der Entdeckung, Erschaffung und Erweiterung des Wissens - im umfassenderen Sinne des Verstehensfortschritts“ ernst genommen werden (ibid.: 127). Zugleich bieten die Künste und die Literatur dem Rezipienten aus Sicht der Rezeptionsästhetik eine Art Laboratorium des Imaginativen - beim Lesen erschließen sich neue und fremde Welten, in denen gedankliche Experimente durchgeführt werden können, ohne dass dabei Sanktionen zu erwarten wären (Keitel 1996: 9). Literatur leistet in diesem Sinne eine Erweiterung der Erfahrenswelten, sie dient als Ausgleich zu Erfahrungsdefiziten, die affektiv und kognitiv erschlossen werden können. Louise M. Rosenblatt, Rezeptionsästhetikerin der ersten Stunde, betont dabei, dass Literatur dem Leser nicht nur Hintergrundwissen vermittelt, sondern die Möglichkeit der Teilhabe, des Involviert-Werdens: The students [value] literature as a means of enlarging their knowledge of the world, because through literature they acquire not so much additional information as additional experience. New understanding is conveyed to them dynamically and personally. Literature provides a living-through, not simply knowledge about. (Rosenblatt 1970: 38) Die Literaturdidaktik hat diese Aspekte von Literatur fokussiert und dabei besonders das Identifikationspotenzial hervorgehoben, also die durch die Literatur ermöglichte Identifikation mit dem Anderen bzw. das Auslösen von Empathie. Bei der Ausrichtung auf diese rezeptionsästhetische Funktionsweise von Literatur wird die traditionelle Frage „What does this [text] mean? “ durch die schülerzentrierte Frage „What does this [text] do? “ ersetzt (Fish 1980: 3). Dabei ergeben sich allerdings zwei Problembereiche, die hier kurz skizziert seien, bevor wir uns weiteren Funktionen der Literatur im Fremdsprachenunterricht zuwenden: Es geht hier um zwei Fragen zum Textverständnis - einerseits um die Frage, welche Rolle dem Text beim rezeptionsästhetischen Verständnis zukommt, andererseits geht es um den Wirklichkeitsbezug literarischer Texte. Die Rezeptionsästhetik und die sich aus ihr ergebenden produktiven Verfahren reduzieren den Text keinesfalls zur Funktion eines Rorschach-Tintenklekses, in dem jeder Leser je nach seinen Vorlieben unterschiedliche Gegenstände erkennen kann. Diese für den Unterricht dysfunktionale poststrukturalistische Einstellung wäre die Schlussfolgerung aus modisch-extremen Richtungen der Rezeptionsästhetik, die Sinnentstehung nur noch im individuellen Leser verorten. Sinnvoller erscheint hier eine Konzentration auf den von Wolfgang Iser beschriebenen Prozess des Sinnverstehens als dynamischem Prozess zwischen zwei Polen, dem Text und der Leserperspektive (Iser 1994: 7): Ermöglicht wird dieser Prozess durch die Unbestimmtheitsstellen, die Leerstellen, das Verschwiegene im Text. Diese bilden eine „Appellstruktur“ und konstruieren den bei Iser beschriebenen „impliziten“ Leser (Iser 1979). Der Text liefert also eine „Rezeptionsvorgabe“ und damit ein „Wirkungspotential“, welches im Lesevorgang aktualisiert wird (Iser 1994: 1). In Anlehnung an Iser (ibid.: iv) lassen sich mit Blick auf den Umgang mit Texten im Unterricht drei basale Fragen formulieren: (1) Wie werden Texte unterschiedlich rezipiert - von der professionellen interpretive community, von der Lehrkraft und von der Gruppe der Lernenden? Gibt es hier Spannungsmomente, welche den Prozess der Bedeutungsaushandlung auslö- <?page no="265"?> Textsorten und Kulturvermittlung 251 sen? (2) Wie sehen die Strukturen aus, welche bei der Textverarbeitung die Rezipienten lenken? Kann der im Text eingeschriebene Erwartungshorizont des ‚impliziten Lesers‘ rekonstruiert werden? Dabei ist zu beachten, dass das „Rollenangebot des Textes immer nur selektiv realisiert wird“ (ibid.: 65). (3) Was ist das Besondere der literarischen Gattung, von Fiktionalität und Literarizität, in diesem Moment und bei der Behandlung dieses Textes? Dabei sollte klar werden, dass es auch bei produktiven Verfahren, es sei den, sie zielen auf Kreativität und Eigenproduktion ab, Grenzen subjektiver Deutung gibt. Umberto Eco postuliert hier, dass jede Diskussion über die Freiheit der Interpretation mit einer Verteidigung des wörtlichen Sinnes (vgl. Eco 1992: 77) beginnen muss. Die Wörtlichkeit des Sinnes markiert die unwiderrufliche Schranke, an der sich die Zeichen ihrer gewaltsamen Aneignung widersetzen. Die Grenzen der Deutung fallen „zusammen mit den Rechten des Textes“ (ibid.: 159). Zwar mag es der kreative Leser wagen, Interpretationen zu offerieren, nach denen ihm der Sinn steht, aber er ist gleichfalls gezwungen nachzugeben, wenn der Text seine lustvoll-spekulativen Interpretationen nicht bestätigt (vgl. ibid.: 55). Es gibt also durchaus, auch wenn Dekonstruktivisten dies verneinen würden, unhaltbare Interpretationen, die durch den Bezug auf den Text falsifiziert werden können. Ein weiteres Problem der Literaturbehandlung ist die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug der Literatur. Literatur ist - so sollte klar sein - nicht allein mimetisch, sie spiegelt nicht nur die Wirklichkeit. Sie kann zwar in bestimmten Fällen sogar stark in die Realität eingreifen, das Bewusstsein verändern und die politischen Machtverhältnisse mitbestimmen und mitschaffen. Bekanntlich soll Uncle Tom’s Cabin (1853, Harriett Beecher Stowe) wesentlich zur Verbreitung abolitionistischer Haltungen in den amerikanischen Nordstaaten vor dem Bürgerkrieg beigetragen haben. Und der Roman Robinson Crusoe (1719, Daniel Defoe) hat zweifellos nachhaltig das europäische Bild vom exotischen Anderen geformt und zum Selbstbild weißer Kolonisatoren mit seinem Mythos weißer Superiorität beigetragen. Bei der Präsentation von Literatur als kulturellem (Selbst-) Zeugnis ist das komplexe wechselseitige Verhältnis von Literatur und Realität zu beachten, welches sich vor allem mit der Frage nach mimetischen Elementen stellt. Auf der einen Seite beruhen fiktionale Texte auf der Realität und auf deren ‚Rohmaterial‘, vor allem in ihren dem Realismus verpflichteten Genres oder in Bezug auf ihre Verständlichkeit insgesamt. Auf der anderen Seite kombinieren fiktionale Texte Elemente der Realität zu einem neuen Konzept oder Modell der Wirklichkeit, welches nur im Textuniversum existiert. Der Prozess der Sinnbildung beim Leseprozess kann daher als Akt der Verhandlung der eigenen Bedürfnisse, Schemata, Verständnisse und Erwartungen mit dem gedruckten Text begriffen werden. Dies ist, wie betont, immer ein Akt der Ko-Autorschaft, der Ko- Kreation, der die Vorstellungskraft zur Teilhabe anregt (vgl. Brumfit, Carter 1986: 14f.). Damit kann der Akt des Lesens von zwei Perspektiven her betrachtet werden: “[T]he significance of literary texts unfolds when they are read from a double perspective. They claim to illuminate the world they refer to […] and the world of the reader.” (Bredella 1996: 20, vgl. auch Nünning 2007: 157f.) So stellt die Literatur durch alternative, gleichsam virtuelle Weltentwürfe und zahlreiche identifikatorische Angebote die für das Herausbilden affektiver Elemente so wesentlichen Angebote zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenübernahme zur Verfügung. „[P]articipation in these secondary worlds may help readers develop empathy with and solidarity for the characters portrayed. Thus, such an <?page no="266"?> Textsorten und Kulturvermittlung 252 aesthetic response also has a strong ethical dimension.“ (Delanoy 2005: 57) Die Literatur scheint dadurch eine dem interkulturellen Lernen besonders affine Gattung zu sein, stellt sie doch en miniature (inter-)kulturelle Aushandlungsprozesse in der Fiktion oder auf der Bühne dar. “Literary texts demand from their readers that they cope with irritations and learn to reflect on the concepts which they bring to the text. Thus they make readers sensitive to the concepts they apply. This sensitivity is also needed in intercultural understanding.” (Bredella, Delanoy 1996: xiv) Die Beschäftigung mit Literatur ist entsprechend „a collaborative social process which operates through negotiation“ (Byron 1986: 44). Sie regt stark an zu jenem für das Fremdverstehen so essenziellen Perspektivenwechsel: So erzwingt gattungsgemäß eine Ich-Erzählung dies bei narrativen Texten geradezu. Noch ganzheitlicher geschieht dieses In-diefremde-Rolle-Schlüpfen beim acting out einer Dramenrolle, denn dort entfaltet sich ein noch weitergehendes Identifikations- und Empathiepotenzial. Es entstehen noch zwingendere Möglichkeiten des Sich-hinein-Begebens in den Standpunkt und die Perspektive eines (kulturell) Anderen. Der Wert der Literatur beim (inter-)kulturellen Lernen In diesem Sinne ermöglicht Literatur interkulturelles Lernen auf mehreren Ebenen: als Lernen über (1) das Wesen von Kulturen selbst, (2) über die Fremdkulturen, aber auch (3) über die eigene Kultur sowie über Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Kulturen werden dabei als kulturelle Konstrukte erfahren. Dies bezieht sich auf Kommunikation, Handeln, Interaktion, Situationen, Vorstellungen, Einstellungen, Werte, Gefühle, Wünsche, Statusverhalten und Habitus, um nur einige typische interkulturelle Dimensionen zu nennen. Je nach Text können dabei bestimmte Gegenden, Milieus, soziale Gruppen oder key cultural concepts der Zielkultur in den Texten fokussiert werden. Zu diesen eher dem Bereich der Mentalitäten und Ideen zugehörigen Einstellungen treten traditionelle landeskundliche Inhalte, von historischen bis zu geografischen Kenntnissen, welche das Verständnis eines Textes fördern. Generell darf der inzwischen mit dem neutralen Begriff ‚Weltwissen‘ apostrophierte Bildungswert vieler Einfacher Formen, Gedichte, Kurzgeschichten, Dramen und Romane nicht unterschätzt werden. Es muss nicht erst betont werden, dass William Shakespeare eine globale kulturelle Ikone ist und die mit ihm verbundenen Wissensbestände nicht allein zur englischen Literaturgeschichte oder Weltliteraturgeschichte, sondern zur Weltkultur gehören. Um beim Beispiel Shakespeare zu bleiben: Titel von Dramen, Namen von Figuren, Handlungsmuster, geflügelte Worte usw. sind dabei keinesfalls als verstaubtes und schöngeistiges Kulturgut abzuwerten. Man mag diesen Wissensschatz im soziologisch-ökonomischen Sinne als ‚kulturelles Kapital‘ begreifen, ihn aber auch - dem Bildungsauftrag der Schule gemäß - weiterhin als wesentlichen Bestandteil einer humanistischen Erziehung verstehen, die nicht allein auf die Beherrschung inhaltsentleerter Sprachkompetenzen abzielt. In diesem Sinne bedeutet die Beschäftigung mit Literatur für Lernende auch ein Angebot, ihren eigenen Erfahrungs- und Sinnhorizont zu erweitern und neben den kulturspezifischen Elementen jedes Textes auch dessen transkulturelle Ausrichtung zur Entwicklung und Bereicherung der eigenen Persönlichkeit zu verwenden. Schließlich erlauben auch fiktionale Texte, die nicht unmittelbar kulturspezifische <?page no="267"?> Textsorten und Kulturvermittlung 253 Themen behandeln, vielfältige Einblicke in die Verhandlung kultureller Identitäten: Oftmals thematisieren sie Gruppenidentität, Alteritätszuweisungen und gängige Klischees sowie Vorurteile, die zum Aufbau der ingroup und der outgroup(s) benötigt werden. In der Literatur erleben wir die Brüchigkeit und Fragmentarität von immer neu und anders inszenierten Identitäten. Diese Prozesse der Ich-Konstitution und Alteritätszuweisung sind prägnant erkennbar in der Literatur von Minoritäten, in der Migrantenliteratur. Sie sind aber auch in historisch weit zurückliegenden Texten zu erkennen. Erneut sind hier Shakespeares Dramen zu nennen. In ihnen eröffnen sich exemplarische Einblicke in Themen wie die Behandlung ethnischer Minderheiten oder in Geschlechterkonflikte. Modellartig sind dabei die für das Thema interkulturelles Lernen so wichtigen diskursiven Mechanismen zu erkennen, die kulturelle Andersartigkeit schaffen. In vielen Dramen der so genannten Minderheitenliteraturen, aber auch in Shakespeares Schauspielen wie The Merchant of Venice, Othello oder The Tempest, stehen so fiktional verdichtete Studien des Othering zur Verfügung. Es wird deutlich, wie das Selbst sich immer neu modellieren und verteidigen muss. Das Fremde macht Angst, signalisiert es doch gerade das, was zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Identität und des Selbstbildes ausgeblendet werden muss. „Es stellt mühsam erworbene Werte, das Selbstgefühl, Lebensentwürfe, Wahrnehmungs- und Handlungsroutinen in Frage.“ (Scheller 1998: 19) Das kulturell Fremde wirkt als Projektionsfläche für eigene ungeliebte, unausgelebte Wünsche, Begierden, Gefühle und Verhaltensweisen. Es wird entweder idealisiert oder abgewertet - wie Lernenden deutlich wird, wenn sie beispielsweise bei der Inszenierung von Kernszenen die Rolle Othellos, Shylocks oder Calibans übernehmen. Kriterien der Textauswahl Sollte man die Kategorie ‚Verwendbarkeit für (inter-)kulturelles Lernen‘ zur Hauptkategorie bei der Textauswahl erheben? Eine derartige Präferenz leistet tendenziell einem rein funktionalistisch-utilitaristischem Literaturverständnis Vorschub, demzufolge literarische Texte als interkulturell verwertbarer fiktionaler ‚Steinbruch‘ zu verstehen seien. Im Grunde genommen müssten sämtliche Texte früherer Epochen dem ausgeprägten Präsentismus einer solchen interkulturellen Ausrichtung zum Opfer fallen: Denn welche verwertbaren Erkenntnisse, so könnte man beispielsweise bei der Dramenwahl argumentieren, lassen sich für die interkulturelle Kommunikationskompetenz aus einem bisher hoch geschätzten Drama wie Shakespeares Hamlet gewinnen - außer dem dort bereits aufgeführten Klischee der dänischen Neigung zur Trinksucht. Vordergründig betrachtet erscheint eine nach wie vor beliebte Konversationskomödie wie Oscar Wildes The Importance of Being Earnest - abgesehen von Einsichten in die Konventionen des gepflegten Small Talks - für aktuelle interkulturelle Lernziele gänzlich ungeeignet und kann mit ihrem dandyhaft-elitären Figurenensemble noch nicht einmal ein repräsentatives Bild des Viktorianischen Zeitalters bieten. Selbst viele zeitgenössische Dramen, von Edward Albees Zoo Story bis zu Michael Frayns Democracy, scheinen aufgrund ihrer teils wenig kulturspezifischen, teils zielkulturfremden Thematik auf den ersten Blick kaum zum neuen Paradigma der Vermittlung interkultureller Kompetenz zu passen. Überhaupt soll an dieser Stelle ausdrücklich auf die Problematik der vielfach vorgestellten Kriterienkataloge zur Auswahl literarischer Texte für den Schulgebrauch in <?page no="268"?> Textsorten und Kulturvermittlung 254 der Oberstufe hingewiesen werden. Denn die einzelnen Elemente sind teilweise in sich widersprüchlich und schränken Lehrkräfte zu sehr ein: So sollen die Texte preisgünstig, leicht erhältlich, von nicht zu großem Umfang, didaktisch strukturierbar, neuen Lernzielen zuzuordnen, literarisch hochrangig, von angemessenem sprachlichen und inhaltlichen Schwierigkeitsgrad und auch noch schülerrelevant sein (Nünning 1997: 7). Selbstverständlich kann die gymnasiale Oberstufe nicht der Ort für die Lektüre von James Joyces Ulysses (passend erscheint eher die Kurzgeschichtensammlung The Dubliners) und auch nicht von dialektal stark eingefärbten und thematisch problematischen Kultromanen wie Trainspotting (schottischer Dialekt und Drogenszene) sein. Dennoch gilt hier, dass derartige Kataloge nicht davon abhalten sollten, auch einmal einen längeren Roman (Jane Austen) oder einen anspruchsvollen Unterhaltungsroman (John le Carré) oder gar einen ästhetisch, landeskundlich und mentalitätsgeschichtlich herausragenden Roman wie The Remains of the Day (1989, Kazuo Ishiguro) zu lesen, dessen Figurenarsenal teilweise kurz vor oder jenseits der Pensionierungsgrenze steht. Schülerorientierung bei der Auswahl muss nicht immer Anbiederung an jugendliche Lesegewohnheiten und Interessenslagen sein, denn ohne Irritation und Verstehensschwierigkeiten ist - wie die Hermeneutik dies lehrt - keine Erweiterung individueller Horizonte zu erreichen. Zugleich ist es in didaktischen Kreisen zur Praxis geworden, den bestehenden, sich über Jahrzehnte herausgebildeten ‚geheimen‘ Kanon der Oberstufenlektüre zu kritisieren und alternative Lektüren vorzuschlagen, die stärker gegenwärtige soziale, ethnische oder geschlechtsspezifische Thematiken berücksichtigen. Engelbert Thaler etwa schlägt dazu gegenüber den hier unten links in der Tabelle aufgeführten Klassikern des Englischunterrichts in der rechten Spalte alternative Texte vor, die erneut nicht als verbindliche Empfehlung, sondern als Hinweise eines Experten zu verstehen sind. Es erscheint hier wichtig, dass Lehrkräfte und Lernende gemeinsam sie interessierende Texte wählen. Die Auswahl kann dabei erfolgen, nachdem in Kurzreferaten kurze Zusammenfassungen von Buchrezensionen zu Inhalt und Themengebieten präsentiert wurden. Rank Top Ten novels Alternative Top Ten 01 William Golding: Lord of the Flies Julian Barnes: England, England 02 Aldous Huxley: Brave New World Philip Roth: The Human Stain 03 George Orwell: Animal Farm Zadie Smith: White Teeth 04 J.D. Salinger: The Catcher in the Rye Margaret Atwood: The Handmaid’s Tale 05 George Orwell: 1984 Agatha Christie: And Then There Were None 06 Bernard MacLaverty: Cal Louis Sachar: Holes 07 Scott Fitzgerald: The Great Gatsby Mark Haddon: The Curious Incedent of the Dog in the Night-Time 08 Ray Bradbury: Fahrenheit 451 Jonathan Safran Foer: Everything Is Illuminated <?page no="269"?> Textsorten und Kulturvermittlung 255 09 John Steinbeck: The Pearl Chinua Achebe: Things Fall Apart 10 Alan Sillitoe: The Loneliness of the Long Distance Runner & Harper Lee: To Kill a Mockingbird Lois Lowry: The Giver Abb. 32: Mögliche Veränderung des Lektürekanons der Oberstufe, nach Thaler (2008: 100, 102) Literarische Texte wie die oben genannten können beim intertextuellen Verfahren, also dem Erstellen von Textensembles, deutlich im Vordergrund stehen. Bei den preand post-reading acitivities wären entsprechend andere Textsorten um diese herum zu gruppieren, mit dem Ziel, Hintergrundwissen zu liefern, andere Perspektiven zu eröffnen und gegebenenfalls den im Text ausgedrückten Stereotypen oder einseitigen Darstellungen entgegenzuwirken. Es sollen im Folgenden zwei exemplarische Vorschläge beschrieben werden, wie ein derartiges Textensemble aussehen könnte. Beim ersten Vorschlag geht es um das Thema der (post-)kolonialen Welt, um Othering ohne den direkten Bezug auf eine bestimmte Zielkultur. Hier wird eine Sequenz vorgestellt, die sich (1) um den literarischen Kerntext des britischen Imperialismus gruppiert, Robinson Crusoe, 1719 von Daniel Defoe verfasst. Die dabei gewonnenen generellen Einsichten könnten anschließend auf thematisch verwandte Aspekte einer spezifischen Kultur übertragen werden, z.B. auf Südafrika. (2) Der im zweiten Beispiel gewählte Text, ein Gedicht aus Südafrika zur Zeit der Apartheid, könnte wiederum in einem zweiten Schritt im Sinne transnationalen Lernens auf das globale Problem politischer Gewalt eingehen. Beispiele für ‚Textensembles‘ Themen wie Othering, postkoloniales writing-back und kulturelle wie sprachliche Dimensionen des Imperialismus können behandelt werden, wenn im Unterricht Klassiker des kolonialen Zeitalters (William Shakespeare, The Tempest, Daniel Defoe, Robinson Crusoe, Joseph Conrad, Heart of Darkness) in Kontrast mit einer neueren Version gesetzt werden. Robinson Crusoe, oftmals nur als Jugendlektüre bekannt und auf die Inselepisode reduziert, könnte so, in Ausschnitten gelesen, prägnante Rückschlüsse zu Strategien des kulturellen Stigmatisierens, zu kulturellem Dominanzdenken, angelsächsischem Selbstverständnis und schließlich zum Werte- und Normenwandel über die Jahrhunderte hinweg erlauben. Der Klassiker der Jugendbuchliteratur Robinson Crusoe etablierte literarisch äußerst wirksam „die christlich-puritanische Geisteshaltung sowie die Autonomie des schaffenden Menschen [und] die ideologische Basis des ökonomischen Individualismus“ (Küster 2000: 34) als zentrale Werte der abendländischen Kultur. Darüber hinaus gilt die fiktive Ich-Erzählung auch als Kernroman zum Verständnis des britischen Imperialismus und der in ihm modellartig entworfenen Begegnung mit dem exotischen Anderen, hier mit dem Eingeborenen Friday. Robinson rettet Friday nicht nur vor wilden Kannibalen, gibt ihm Namen und Identität und lehrt ihm die englische Sprache (Master ist bezeichnenderweise eines der ersten Worte, die er lernt). Darüber hinaus entwickelt der Roman mit <?page no="270"?> Textsorten und Kulturvermittlung 256 Fridays ‚Umerziehung‘ das Paradigma der Beziehung zwischen Kolonialherren und Kolonisierten. Diese Tendenzen erscheinen stärker konturiert und zudem kritisch reflektiert, wenn entscheidende Szenen des Romans mit neueren, alternativen Versionen in einen erhellenden Bezug gesetzt werden. In Betracht zu ziehen wären hier Auszüge aus Werken wie Foe (1986) aus der Feder des postkolonialen südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J.M. Coetzee oder Teile der im Jahre 1971 von Michel Tournier verfassten und für Kinder adaptierten französischen Robinsonade Vendredi ou la vie sauvage (vgl. Küster 2000). Weitere Dimensionen erhielte das Thema, wenn Filmausschnitte oder Szenen verschiedener Robinsonaden vorgestellt werden (zu denen auch William Goldings Lord of the Flies zu zählen ist) und bildliche Repräsentationen der Begegnung von Robinson und Friday hinzukommen (Illustrationen, Cartoons usw.). In diesem Fall geht die Literatur, auch wenn nur in Ausschnitten präsentiert, ein in das Interplay der Texte, bestimmt allerdings die Thematik und macht Differenzen im historischen Verständnis und in der medialen Umsetzung eines der zentralen Themen des (Post-) Kolonialismus erkennbar. Als zweites Beispiel sei ein Gedicht des südafrikanischen Dichters Christopher van Wyck (1992: 16) abgedruckt. Was zunächst Züge von Nonsens-Lyrik aufzuweisen scheint, entpuppt sich bei eingehender Betrachtung als lyrische Dekonstruktion üblicher offizieller Statements zum gewaltsamen Tod politischer Gegner. In Detention He fell from the ninth floor He hanged himself He slipped on a piece of soap while washing He hanged himself He slipped on a piece of soap while washing He fell from the ninth floor He hanged himself while washing He slipped from the ninth floor He hung from the ninth floor He slipped on the ninth floor while washing He fell from a piece of soap while slipping He hung from the ninth floor He washed from the ninth floor while slipping He hung from a piece of soap while washing. Es handelt sich hier um eine Aneinanderreihung von Satzklischees, die sich derart ineinander verheddern, dass ihre sprachregelnde Funktion entlarvt wird. Die Ermordung eines politischen Gegners wird wie im Fall von George Orwells newspeak rhetorisch verschleiert. In diesem Fall bietet sich eine eingehendere produktive Beschäftigung mit dem Text an, der zunächst ohne Nennung des Titels und Kontextes - z.B. Zeile für Zeile oder in jumbled lines präsentiert - im Sinne des entdeckenden Lernens erst einmal als politische Lyrik erkannt werden sollte. Anschließend können kreative Formen (readers theatre, Lesen mit verteilten Rollen, Standbilder, Inszenierung einer Pressekonferenz usw.) die irrwitzige Logik derartiger politischer Statements erfahrbar machen. Schließlich können Lernende im Internet oder durch zur Verfügung gestelltes Material (Bilder, Sachtexte) Näheres zum politischen Hintergrund der Apartheid-Ära erfahren. Das Gedicht kann auch zum Einsatz des regimekritischen Filmes Cry Freedom (1987, Regie Richard Attenborough) überleiten. Oder es <?page no="271"?> Textsorten und Kulturvermittlung 257 kann durch das Lesen entsprechend längerer Texte des neuen Südafrikas um wichtige Perspektiven erweitert werden. Der Fokus kann dabei auf Südafrika verweilen, oder auch auf Themenkomplexe wie Unterdrückung in totalitären Regimes, Gefährdung der Individualität oder Manipulation durch Sprache insgesamt führen. Dabei könnte sogar der Orwellsche Lektüreklassiker 1984 einen modernen Bezugsrahmen erhalten. Und dass Schüler/ innen ein hervorragend für den Unterricht geeignetes Beispiel der sonst eher unbeliebten Textgattung Lyrik sozusagen ‚nebenbei‘ kennenlernten, lässt sich zusätzlich als Erfolg im Bereich Literatursozialisation verbuchen. Populäre und Einfache Formen der Literatur Doch Literatur besteht nicht allein aus den so genannten Ganzlektüren und inhaltlich oder sprachlich komplexen Lyrikformen. Im Unterricht ist aus verständlichen Gründen gerade die hier nicht genauer besprochene Gattung der Kurzgeschichte beliebt, für deren Einsatz die obigen Bemerkungen gleichfalls gelten. Eine der wesentlichen Veränderungen im Bereich der literarischen ‚Erweiterungstendenzen‘ hat mit der zweifach zu bezeichnenden Auflösung und Entgrenzung des Literaturbegriffs selbst zu tun: Zum einen hat sich das Verständnis von Literatur als Textgattung radikal verändert, indem die früher exklusive Beschränkung auf die so genannte Höhenkammliteratur einem erweiterten Literaturbegriff gewichen ist, der nun auch vormals als ‚subliterarisch‘ oder ‚vorliterarisch‘ bezeichnete Textgenres einschließt und sogar plurimediale Texte wie Comics und Cartoons umfasst. Zum anderen verliert der literarische Begriff seine festen Konturen und damit kulturell privilegierte Stellung, wenn Literatur zunehmend als Teil eines weiteren Kultur- und Medienuniversums verstanden wird und im Gesamtsystem der kulturellen und medialen Äußerungen einer Gesellschaft nur noch eine unter vielen Positionen innerhalb des visuell oder elektronisch geprägten Medienspektrums zugewiesen bekommt. In der literaturdidaktischen Diskussion ist diese veränderte Standortbestimmung von Literatur und die sich zur Text- oder Kulturdidaktik verschiebende Transformierung der Literaturdidaktik oftmals noch nicht vollständig vollzogen worden. Zwei axiomatische Verständnisse erscheinen oftmals noch explizit oder implizit als Grundvoraussetzung der literaturdidaktischen Debatte: Einerseits wird, gerade wenn man zu Recht den Bildungsgehalt literarischer Werke hervorhebt, am Konzept der ‚Höhenkammliteratur‘ festgehalten. So beschäftigt sich Karlheinz Hellwig (2005: 23) etwa ausschließlich mit der Vorrangstellung „[b]edeutsam-belangvolle[r] Texte“, „weil sie in ihrer Komplexität, Bedeutsamkeitsdichte und -offenheit anregungskräftiger, verstehens-herausfordernder sind als ‚platte’.“ Dagegen scheint sich in der Fremdsprachendidaktik erst allmählich eine Erkenntnis durchzusetzen, die in den Cultural Studies als eine der wesentlichen Einsichten zur globalen Wirksamkeit von kulturellen Produkten gilt (vgl. Volkmann 2000): dass auch ‚platte‘, sogar trivial erscheinende Texte von gewitzten Rezipienten auf höchst komplexe Weise gegen den Strich, auf spielerisch-ironische Art gedeutet werden können (vgl. Kap. 2.5). Und dass eine Vielzahl von Texten der so genannten Unterhaltungsliteratur gerade im englischsprachigen Bereich im Sinne des interkulturellen Lernens und in ihrer kulturellen Signifikanz für die Zielkultur höchst ‚wertvoll‘ sind. Vielfach müssen sie qualitativ den Vergleich mit der ernsten Literatur nicht scheuen und sind zudem bisweilen mehrfach kodiert - sie weisen sowohl eine gattungsspezifische Kodierung <?page no="272"?> Textsorten und Kulturvermittlung 258 als Thriller, Detektivstory oder Liebesgeschichte auf als auch tiefere philosophische, psychologische oder kulturelle Ebenen (vgl. ibid.). Hervorzuheben seien hier zwei Textarten, zum einen die Gattung des Kriminalromans, zum anderen, stellvertretend für den ‚Jugendroman‘, die Harry-Potter-Serie. Laut Umberto Eco ist die Kriminalerzählung die „metaphysischste und philosophischste aller Gattungen“ (zit. in Mersch 1993: 55). Und wenn wir uns ihre konstitutiven Elemente des Aufspürens und der Klärung betrachten, des detektivischen Spurenlesens, so lassen sich leicht Affinitäten zum interkulturellen Lernen als Entschlüsseln der zielkulturellen Codes erkennen. Vor allem aber gilt, dass Krimis wichtiger Bestandteil der englischsprachigen Literatur sind und ihnen traditionell die Funktion von ‚Schlüsselliteratur‘ zugewiesen wird. Sie erlauben, wie etwa Kriminalfälle im Milieu von Privatschulen, Universitäten oder auch bestimmten ethnischen Gruppen, einen zugleich spannenden, detaillierten und meist soziologisch wie psychologisch aufschlussreichen Einblick in bestimmte Areale der Zielkultur, welche dem Betrachter üblicherweise verschlossen bleiben. Da diese Gattung in besonderem Maße von der Tradition des genau recherchierten, atmosphärisch dichten und von der Exaktheit der Schilderung lebenden fiktionalen Realismus bestimmt ist, entwirft sie bisweilen einen sozialen Mikrokosmos, dessen Regelwerk sich dem Leser im Zuge der Lösung des crime mistery strukturell erschließt. Damit erhält der Leser auch tiefe Einblicke in die Strukturen, aber auch in die üblicherweise kaschierten Abgründe bestimmter kultureller Milieus. Der internationale Erfolg englischsprachiger Kriminalliteratur wird nur noch vom globalen Phänomen der Harry-Potter-Romane übertroffen (vgl. Bland 2010). Das Potter-Phänomen hat gezeigt, wie deutsche Kinder und Jugendliche bei entsprechender Motivation selbst längere Texte mit zahlreichen zielkulturellen Anspielungen lesen und verstehen wollen. Als 2007 der (vorerst? ) letzte Band Harry Potter and the Deathly Hallows erschien, wurden innerhalb kürzester Zeit auf amazon.de über 400 Rezensionen gepostet, obwohl die deutsche Übersetzung noch nicht im Handel war. Allein 342 Rezensionen bezogen sich auf die für Jugendliche gedachte Ausgabe, die im Übrigen lediglich einen anders gestalteten Umschlag hatte. Von absoluter Hingabe bis zu bitteren Kommentaren zum enttäuschenden Finale der Serie reichte dabei die Skala der stark emotional eingefärbten Reaktionen auf dieses literarische Goodbye zu Harry und seinen Freunden. So urteilten zwei jugendliche Kommentatoren: Es war einfach so bewegend, dass man gleichzeitig lachen und weinen musste... Ich bin immer noch in einer tiefen Trauerphase, weil es nun vorbei ist und die wird wohl auch noch laaange anhalten! ! Denn diese Bücher sind wirklich ein wichtiger Teil meines Lebens und ich bin mit ihnen zusammen groß geworden. Harry Potter FOREVER! ! ! ! ! ! ! ! ! ! (buchverschlingerin, posted 11.08.07 (28.09.07) ...Man möchte beim lesen gar nicht aufhören! superspannend, megageil, was zum nachdenken und (trotz Englisch) leicht zu verstehen! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! (gummibärchen, 14.08.07 (28.09.07) (Zit. in Bland 2010: i.Dr.) Eine Million Ausgaben der englischsprachigen Version dieses siebten Bandes wurden allein im August 2007 in Deutschland verkauft, so dass die englische Tageszeitung The Guardian am 19. September 2007 titelte: “Sprechen Sie Potter? How Harry is spreading the English language”. Zweifellos sind Jugendliche, die die 3607 Seiten der gesamten Serie ‚verschlingen’, in höchstem Maße zum Lesen motiviert. Dass sie en passant zugleich über britische Gepflogenheiten wie die der public school, über britische Mahlzeiten, die Klassengesellschaft und das Mobbing (bullying) usw. <?page no="273"?> Textsorten und Kulturvermittlung 259 lernen, kann nur positiv vermerkt werden. Und auch wenn Harry Potter einen besonderen Einzelfall des Revivals der Lesekultur darstellt, so kann doch durch entsprechende Lektürevorschläge, Leseecken usw. das Lesevergnügen in Schulen gepflegt werden. Harry-Potter-Romane sind zudem Beispiele für die Förderung extensiven Lesens. Parallel und ergänzend hierzu muss, gerade mit Bezug auf die Debatte um Leseförderung und Lesesozialisation (vgl. Küppers, Seelbach 2007), der Fokus auf kurze Formen der Literatur gerichtet werden. Auch durch sie kann das Interesse für Langformen geweckt werden. Sie können auf deren Lektüre vorbereiten oder der Lesesozialisation insgesamt dienen. Die Rede ist hier von den so genannten Einfachen Formen. Einen Überblick über diese ‚elementarliterarischen‘ Formen oder literarischen Kurztexte bietet folgende Auflistung, die sich eng an Hellwig (2000: 189) anlehnt (vgl. auch Schmid-Schönbein 2001: 86, allgemeiner Burwitz-Melzer 2003, 2007): Nursery and other rhymes, simple texts / simple forms, songs Stories / narratives Scenic texts / short plays ABC-rhymes Counting-out and other action rhymes, e.g. finger games, rope rhymes Accumulative rhymes Riddles Proverbs Jokes Aphorisms Tongue twisters Limericks Funny and nonsense verse Poems written by children Ballads Songs (carols, traditional songs, pop songs, hip hop, etc.) Myths and mythological stories Tales, especially fairy tales Fables Anecdotes Joke stories, e.g. shaggy dog stories Real-life stories Short short stories Books for children and adolescents Picture books Comics Performing poems Real-life scenes, everyday situations Sketches with children’s topics (e.g. situational comedy/ slapstick) Short plays based e.g. on myths, biblical stories, fairy tales, etc. One-act plays, playlets Abb. 33: Überblick über ‚Einfache Formen’ <?page no="274"?> Textsorten und Kulturvermittlung 260 Diese Kurztexte ermöglichen das Vermitteln vielfältiger künstlerisch-ästhetischer, sprachlicher und interkultureller Inhalte. Gisela Schmid-Schönbein (2001: 85) betont bereits bei ihren Empfehlungen für den Einsatz Einfacher Formen im Grundschulbereich, dass es sich hier nicht um vorliterarische Formen, sondern um echtes ‚Kulturgut‘ handelt: Ganz allgemein ist es bereits für junge Lernende Ziel der Begegnung mit fremdsprachlicher Literatur, darin verarbeitete Erfahrungen zum Alltag und Leben der Angehörigen des fremdsprachlichen Kulturkreises kennenzulernen und diese reflektierend auf sich selbst zu beziehen. Dabei spielen [...] ‚literarische Minitexte‘ [...] eine bedeutende Rolle. Sie vermitteln Authentizität in Rhythmik, Inhalt und Bedeutung sowie, wenn Bilderbücher beim Storytelling [...] eingesetzt werden, auch kulturspezifische Skurrilität der Graphik [...]. Wie viel Kulturgut kann allein in einem Limerick liegen, wiewohl der subtile Humor Grundschulkindern aufgrund der gedrängt gebundenen Form kaum zugänglich sein wird. (ibid.) Die Vorteile von kurzen literarischen Texten liegen, wie Eva Burwitz-Melzer am Beispiel des storytelling verdeutlicht, nicht allein im Bereich der Aneignung von ‚Weltwissen‘ oder von Einsichten in die für anglophone Zielkulturen typischen Spielarten von Witz, Ironie und Humor. Kurze literarische Texte, wie beispielsweise Märchen und Stories, liefern aus sprachlicher und lernpsychologischer Sicht besonders geeignete Textmodelle, denn sie „erweitern mit ihren Redundanzen auch die lexikalischen Kenntnisse der Kinder und Jugendlichen und liefern mit ihren zahlreichen Wiederholungen einfache Modellsätze, mit deren Hilfe Prosodie und Aussprache geschult sowie erste grammatikalische Grundstrukturen vorgestellt werden können“ (Burwitz-Melzer 2003: 11). Als Erzählmodelle bieten sie poetische, dramatische oder narrative Grundgerüste, die anregen, sprachlich selbst aktiv zu werden, mit den Textbausteinen von Sprache und Handlung kreativ zu arbeiten, diese nachzuschreiben, umzuformulieren oder ähnliche Texte zu erfinden. Nehmen wir hier als Beispiel folgende Nonsens-Verse aus Alice in Wonderland (genauer: aus dem 1872 von Lewis Carroll verfassten Teil Through the Looking Glass), so wird deutlich, dass derartige Zeilen in Alltagsgesprächen, Sprüchen und der Populärkultur englischsprachiger Länder auch im medialen Zeitalter präsent sind. Die Vertrautheit mit einer gewissen Auswahl an Nonsens-Versen, Limericks, Nursery Rhymes usw. ist auch ein Stück interkulturelle Kompetenz (Carroll 1992: 155, ein Beispiel für eine didaktische Umsetzung findet sich bei Weskamp 2001: 146f.). Humpty Dumpty sat on a wall: Humpty Dumpty had a great fall. All the King’s horses and all the King’s men Couldn’t put Humpty Dumpty in his place again. Der produktive Umgang mit Einfachen Formen geschieht anhand eines bewährten methodischen Dreischritts: „Textbegegnung - Strukturverstehen - Analogiebildung“ (Hellwig 2000: 197). Die Lernenden erfahren entsprechend zunächst die Begegnung mit dem neuen Text über die Lehrkraft, teilweise durch mediale Unterstützung, beispielsweise im Sinne des storytelling, also des eindrucksvollen und mimisch-gestisch gestützten Vortrags. Nach genügendem Input und Festigung von sprachlichem und inhaltlichem Verständnis können sie - mit der Lehrkraft, in der Gruppe, mit Partnern oder einzeln - die Reproduktion der kurzen literarischen Form üben, wobei hier Körpereinsatz sowie die Interaktion mit anderen Lernenden dazu <?page no="275"?> Textsorten und Kulturvermittlung 261 gehören sollten. Sie verstehen dabei zunehmend auch (kognitiv) die Struktur des jeweiligen Textes und sind dann in der Lage, in Analogie ähnliche Texte zu produzieren, wenn die Lehrkraft ihnen alternative lexikalische oder grammatikalische Bausteine zur Verfügung stellt. So kann beispielsweise, ausgehend von einem Modelltext, die eigenständige Produktivität in szenischen Inszenierungen demonstriert werden. Darüber hinaus reizen entsprechend witzige oder interessante Kurztexte wie Limericks, moderne Sagen oder Fabeln, Songs oder auch picture books mit ihren teilweise höchst komplexen Verbindungen von Textpassagen mit Bilderreihen zum Gespräch an und zum Weiterlesen. Sie fördern den Lesespaß und nehmen Ängste gegenüber der Begegnung mit der Literatur, die dann mit längeren Texten - von graded readers über Krimis bis zu Harry Potter - zusätzlich aufgelöst werden können. Mit Bezug auf die Textauswahl gilt für literarische Kurzformen, was für längere Texte erkannt wurde (De Florio-Hansen 2003: 404): Sie erweisen sich als besonders motivierend und können Leseinteresse auslösen, wenn sie Identifikationsmöglichkeiten anbieten, eine emotionale Dynamik entfalten, problemhaltige Situationen zeigen, geistigen Sprengstoff enthalten, scheinbare Selbstverständlichkeiten aufbrechen und eine angemessene Zahl an Leerstellen zum Anreiz der eigenen Fantasie zur Verfügung stellen. Nachhaltige Effekte im Sinne einer positiven Lesesozialisation stellen sich dann ein, wenn die Lernenden auch dazu angeregt werden, selbst Fragen an die Texte zu stellen, freiwillig weitere und ähnliche Texte zu lesen und schließlich der Lesegenuss als ästhetisches Erlebnis betont wird. Die im Fremdsprachenfrühbeginn zum Tragen kommenden Lernprinzipien können in vielerlei Hinsicht wichtige Hinweise für eine sprach- und kulturorientierte Didaktik liefern. Denn neben dem eher rezeptiven Aufnehmen von Sprache geht es beim frühen Fremdsprachenlernen vor allem darum, das Faszinosum der Lieder, Bilderbücher, Geschichten, aber auch der Klassiker der Kinder- und dann Jugendliteratur (Schmidt-Schönbein 2001: 112) zu vermitteln. Es geht um die typischen Texte der Kindheit und damit um das die menschliche Identität prägende Sprach- und Kulturgut der englischsprachigen Länder. Dabei wird die Lust am Lernen fremder Sprachen geweckt, ein größeres Bewusstsein für Sprache und Fremdkulturalität geschaffen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist natürlich zu beachten, dass der für das angstfreie ‚Imitationsalter‘ der Kinder typische unbekümmerte Umgang mit der fremden Sprache und Kultur später einem eher reflektierten, distanzierteren Zugang weicht. Dennoch zeigt die Didaktik des Fremdsprachenfrühbeginns eindringlich und nachhaltig die Bedeutung einer Konzeption des Fremdsprachenunterrichts, bei dem Sprache und Kultur verknüpft sind und dieser tief verwurzelte Nexus im Unterrichtsalltag praktisch zu erleben ist. <?page no="277"?> 8. Bibliografie 1 *Aboud, Frances. Children and Prejudice. Oxford: Basil Blackwell, 1994 [1988]. Adorno, Theodor, Hanns Eisler. „Komposition für den Film.“ Gesammelte Schriften. Vol. 15. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976, 7-143. Agard, John. Mangoes and Bullets: Selected and New Poems 1972-84. London, Sydney: Pluto Press, 1985. Ahrens, Rüdiger. „English as an International Language.“ Anglophone Kulturwissenschaft und Englische Fachdidaktik. Gesammelte Aufsätze von Rüdiger Ahrens. Eds. Matthias Merkl, Laurenz Volkmann. Heidelberg: Winter, 2004, 437-456. *Ahrens, Rüdiger, Wolf-Dieter Bald, Werner Hüllen, eds. Handbuch Englisch als Fremdsprache (HEF). Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1995. Altmann, Dennis. 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