Geschichte der italienischen Sprache
Eine Einführung
0914
2011
978-3-8233-7653-8
978-3-8233-6653-9
Gunter Narr Verlag
Ursula Reutner
Sabine Schwarze
Dieses Lehrbuch bietet eine didaktisch aufbereitete Überblicksdarstellung zur italienischen Sprachgeschichte, die sich den Bedürfnissen der akademischen Lehre in den aktuellen Studiengängen mit italianistischem Profil anpasst. Es gibt eine Übersicht über die historischen Entwicklungsphasen vom Vulgärlatein bis zur Etablierung des Italienischen als voll funktionstüchtiger Nationalsprache. Im Anschluss an die für das Staatsexamen nach wie vor prüfungsrelevanten altsprachlichen Phasen wird verstärkt die neuere Sprachgeschichte ab 1800 berücksichtigt, was v.a. den Bedürfnissen in den Bachelor-Studiengängen entgegenkommt. Zusätzlich zur Entwicklung einer hauptsächlich literaturbasierten Schriftsprachnorm und deren Verbreitung über Schule und Massenmedien werden ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der italienischen Schriftkultur behandelt. Die Darstellung der historischen Rolle des Italienischen als europäischer Kultursprache trägt der immer bedeutender werdenden Verbindung von Sprache, Identität und Kultur für die Sprachgeschichtsschreibung Rechnung.
<?page no="0"?> Ursula Reutner/ Sabine Schwarze Geschichte der italienischen Sprache Eine Einführung <?page no="3"?> Ursula Reutner / Sabine Schwarze Geschichte der italienischen Sprache Eine Einführung <?page no="4"?> Ursula Reutner ist Professorin für Romanische Sprach- und Kulturwissenschaft an der Universität Passau und Direktorin des dortigen Instituts für Interkulturelle Kommunikation. Sabine Schwarze ist Inhaberin des Lehrstuhls für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Augsburg und Präsidentin der Forum Italia e.V. am Italienischen Kulturinstitut in München. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6653-9 <?page no="5"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Vom Latein zum Volgare 1 Il patrimonio ereditario: Der Ursprung im Vulgärlatein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Die Vielfalt der lateinischen Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.1 Klassisches Latein und Vulgärlatein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.2 Quellen von Graffiti bis zu Glossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Sprachinterne Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.1 Lexikalische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.2 Neuerungen in der Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2.3 Die Morphosyntax im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2 I primi passi del volgare: Die Herausbildung der Volkssprache . . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Vom Vulgärlatein zum Volgare: Die Ausgliederung der romanischen Sprachen und italienischen Dialekte . . . . . . . . . . . . . 27 2.1.1 Der Zeitpunkt und die Art der Romanisierung . . . . . . . . . . . . 27 2.1.2 Der Kontakt mit fremden Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1.3 Der Zerfall des Römischen Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.2 Italien im frühen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.1 Spirito di campanile als Geisteshaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.2 Die Fülle an dialektaler Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.3 Erste Anmerkungen in der Volkssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.3.1 Das Veroneser Rätsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.3.2 Eid- und Beichtformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.3.3 Römische Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.3.4 Rechtliche und kaufmännische Dokumente . . . . . . . . . . . . . . 54 Die Schriftsprache vor der Kodifizierung 3 Una gara tra i volgari: Die Anfänge volkssprachlichen Schreibens im 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.1 Umbrien und die religiöse Laudendichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.2 Die weltliche Lyrik der Scuola siciliana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.3 Der französische Einfluss in Norditalien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.4 Das römische Volgare in der Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . 66 Reutner_Stb_sV-256_End.indd V 15.08.11 15: 17 <?page no="6"?> VI Inhalt 3.5 Bologna und die Rhetorik als Bildungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.6 Der Reichtum toskanischer Schreibkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4 Le tre corone: Die Blüte der italienischen Literatur im 14. Jahrhundert . . . . . . . . 79 4.1 Dante als padre della lingua. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.1.1 Volgare in der Lyrik des Dolce stil novo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4.1.2 Volgare in der Wissenschaftssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.1.3 Auf der Suche nach einem vulgare illustre. . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.1.4 Volgare in der literarischen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.2 Petrarca als Modell für die italienische Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.3 Boccaccio als Modell für die italienische Prosa . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5 L’età dell’umanesimo: Das 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.1 Latein und Volgare in Konkurrenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.1.1 Das neue Interesse am Latein und die Krise des Volgare . . . . 101 5.1.2 Der Vulgärhumanismus als neuer Impuls . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.2 Die Auseinandersetzung um die Art des Volgare . . . . . . . . . . . . . . . 106 5.2.1 Die lingua cortigiana als mögliche Dachsprache . . . . . . . . . . . . 106 5.2.2 Das Florentinische und seine Ausstrahlung . . . . . . . . . . . . . . 109 Von der Kodifizierung bis zur Etablierung als Nationalsprache 6 Kodifizierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm . . . . . . . . . . . . . 115 6.1 Italien zu Beginn des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.2 Die Questione della lingua im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.2.1 Das Modell der lingua cortigiana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.2.2 Das Modell des fiorentino contemporaneo . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.2.3 Das Modell des fiorentino archaizzante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 6.2.4 Lingua italiana, toscana oder fiorentina? Die Diskussion um die Sprachbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.3 I luoghi della codificazione: Die Instanzen der Sprachnormierung . . . . 126 6.3.1 Der Buchdruck − „una rivoluzione linguistica inavvertita“ . . 127 6.3.2 Die Akademien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.3.3 Die Lexikographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6.3.4 Die Grammatikographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6.3.5 Die Regelung der Orthographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 6.4 Die Normdiskussion bis zur politischen Einigung . . . . . . . . . . . . . . 143 6.4.1 Italienische Sprache und Sprachdiskussion im 17.-Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6.4.2 Tradition und Innovation im Secolo dei lumi . . . . . . . . . . . . . . . 146 6.4.3 Die sprachpuristische Bewegung des frühen 19.-Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.4.4 Die Reformierung des Sprachnormmodells durch Alessandro Manzoni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Reutner_Stb_sV-256_End.indd VI 15.08.11 15: 17 <?page no="7"?> Inhalt VII 7 „Fatta l’Italia, bisogna fare gli italiani“: Die italienische Sprache wird zur lingua nazionale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.1 Sprachpolitik und Sprachkonzepte nach der Gründung des Einheitsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.2 Die Italianisierung der scuola postunitaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7.2.1 Die Schulsituation nach der politischen Einigung . . . . . . . . . 161 7.2.2 Sprachkonzeption und Sprache der Lehrmaterialien . . . . . . . 163 7.3 L’italiano parlato. Verbreitung und Ausbau des Italienischen in der mündlichen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.3.1 Historische Dimensionen des gesprochenen Italienisch . . . . . 168 7.3.2 Gli italiani regionali. Die Regionalisierung der Dachsprache . . . 170 7.4 Gesellschaftliche Veränderungen als Motor der Italianisierung. . . . 172 7.4.1 Sprachliche Auswirkungen von Binnenmigration und Emigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 7.4.2 Sprachliche Auswirkungen von Kolonialpolitik und Militärdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 7.5 Die Sprachpolitik im Ventennio fascista und ihre Folgen. . . . . . . . . . . 178 7.5.1 Die Sprach- und Bildungspolitik in der Anfangsphase . . . . . . 178 7.5.2 Die Unterdrückung der Dialekte und Minderheitensprachen 179 7.5.3 Xenophobie und sprachlicher Fremdpurismus . . . . . . . . . . . . 182 7.5.4 Sprachmanipulation und totalitäre Rhetorik . . . . . . . . . . . . . 184 7.6 Die endgültige Durchsetzung der Nationalsprache in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7.6.1 Tendenzen der Sprachentwicklung in der Nachkriegszeit . . . 185 7.6.2 Die Rolle der Massenmedien für die endgültige Durchsetzung des Italienischen als Gemeinsprache . . . . . . . . 188 7.6.3 Eine neue Phase in der Sprachenfrage (La nuova Questione della lingua): Pasolini und Calvino. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7.6.4 Ausdifferenzierung und Statusbestimmung der italienischen Sprache bis in die Gegenwart. . . . . . . . . . . . . . . 198 7.6.5 Dove il sì suona. Die Sprache Dantes als kultureller Gedächtnisort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 8 Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der italienischen Sprachkultur . . . . 204 8.1 L’italiano scientifico. Die historische Entwicklung der italienischen Wissenschaftssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 8.1.1 Der italienische Wissenschaftsdiskurs vom Mittelalter bis zum 16.-Jahrhundert: Latein vs. Volgare . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.1.2 Galileo Galilei und die Emanzipation der italienischen Wissenschaftssprache im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . 207 8.1.3 Der Beitrag der europäischen Auf klärungsbewegung zur Entwicklung der wissenschaftlichen Diskurstradition . . . . . . 209 8.1.4 Italienisch als Wissenschaftssprache in der Gegenwart . . . . . 213 8.2 L’italiano burocratico-amministrativo. Italienisch als Kanzlei- und Verwaltungssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Reutner_Stb_sV-256_End.indd VII 15.08.11 15: 17 <?page no="8"?> VIII Inhalt L’italiano nel mondo: Die Ausstrahlung des Italienischen 9 Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungssprache . . . . . . . . . . . 219 9.1 Die Italophonie mittelalterlicher Handels- und Verkehrssprachen im Mittelmeerraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 9.2 Italienisch als höfische Kultursprache in der europäischen Renaissance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 9.3 Italienisch als Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 9.4 Una lingua per la musica. Italienisch als lingua franca des-Musiktheaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 9.5 Italienisch als Kultur- und Bildungssprache in der Gegenwart . . . . 236 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Reutner_Stb_sV-256_End.indd VIII 15.08.11 15: 17 <?page no="9"?> Vorwort Eine kompakte Überblicksdarstellung zur italienischen Sprachgeschichte in deutscher Sprache, die sich am kulturellen Hintergrundwissen und den Bedürfnissen deutschsprachiger Studierender ausrichtet, stellt bis heute ein Manko auf dem Buchmarkt dar. Dieses Defizit wurde an zahlreichen Universitäten über Jahre durch ein Vorlesungsskript der Bamberger Romanistin Annegret Bollée ausgeglichen, das den Ausgangspunkt für das vorliegende Arbeitsbuch gebildet hat. Zahlreiche Erweiterungen und Ergänzungen haben letztendlich ein Buch entstehen lassen, das weit über das ursprüngliche Skript hinausgeht. Ursula Reutner zeichnet als Autorin für die Kapitel 1 bis 5 verantwortlich, Sabine Schwarze für die Kapitel 6 bis 9. Der Überblick über die historischen Entwicklungsphasen vom Vulgärlatein bis zur Etablierung des Italienischen als voll funktionstüchtige Nationalsprache berücksichtigt in ausgewogenem Verhältnis sowohl grundlegende Faktoren der inneren als auch der äußeren Sprachgeschichte. Die Darstellung passt sich grundlegenden Bedürfnissen der akademischen Lehre in den aktuellen Studiengängen mit italianistischem Profil im deutschsprachigen Raum auch insofern an, als sie der interkulturellen Dimension des Italienischen in weit stärkerem Maße Platz einräumt, als dies in sprachgeschichtlichen Überblicksdarstellungen italienischer Autoren der Fall sein kann. So werden die zahlreichen von Italien ausgehenden geistes- und kulturgeschichtlichen Stimuli ebenso erfasst wie die Rolle des Italienischen als Fremdsprache in der europäischen und deutschen Bildungsgeschichte. Die Darstellung der historischen Entwicklungsphasen gliedert sich in drei große Themenblöcke (Kapitel 1 bis 8). Der erste Themenblock gilt der Sprachgeschichte vom Latein bis zur Entstehung früher Textzeugnisse im Volgare. Kapitel 1 ist als Einführung in das Altitalienische konzipiert. Der Studierende wird zunächst für die Heterogenität des Lateins sensibilisiert. Er erhält einen Überblick über die Quellen des Vulgärlateins und die chronologische Entwicklung prägnanter Merkmale. In kompakten Einzelkapiteln werden dann die grundlegenden lexikalischen, phonologischen und morphosyntaktischen Veränderungen im Latein vorgestellt und bis ins Neuitalienische weiter verfolgt. Kapitel 2 reicht von den Gründen für die Ausdifferenzierung der romanischen Sprachen bis hin zu ersten Texten in der Volkssprache. Mit einer Zusammenschau der wichtigsten dialektalen Unterschiede Italiens wird zudem die Basis für das vertiefte Verständnis späterer Texte gelegt. Reutner_Stb_sV-256_End.indd IX 15.08.11 15: 17 <?page no="10"?> X Vor wort Der zweite Themenblock ist der Herausbildung vielfältiger Schrifttraditionen vor der Kodifikation einer Einheitssprache gewidmet. In Kapitel 3 werden unterschiedliche Textkulturen vorgestellt, die sich im Laufe des 13. Jahrhunderts entwickeln: insbesondere Dichtungstraditionen (Scuola siciliana, Laudendichtung), aber auch Novellen, Chroniken und kommerzielle wie juristische Gebrauchsprosa. Besonders ausführlich wird dann in Kapitel 4 die Rolle Dantes für die Entwicklung der italienischen Schriftsprache dargelegt und neben seinen theoretischen Schriften die in der Divina Commedia geübte Praxis vorgestellt. Hinzu kommen die für die Ausbildung des heutigen Italienischen zentralen Texte der anderen Vertreter des Dreigestirns, Petrarca und Boccaccio. Kapitel 5 gibt eine Synthese der Konkurrenzsituation zwischen Latein und Volkssprache im 15. Jahrhundert. Es geht auf die mit dem Humanismus erfolgte Wiedererstarkung des Lateins ein, v. a. aber auf wichtige Momente des mit dem Vulgärhumanismus vollzogenen Aufwertungsprozesses der Volkssprachen. Der dritte Themenblock widmet sich dann dem großen Zeitraum von der Kodifizierung einer Dachsprache bis zur Etablierung des Italienischen als Nationalsprache, die erst wesentlich später vollzogen werden kann. Die Kodifizierung einer Schriftsprachnorm als Ergebnis des Sprachenstreits im 16.-Jahrhundert und die Verbreitung eines archaisierenden Normmodells auf tosko-florentinischer Basis stehen im Mittelpunkt von Kapitel 6. An eine Überblicksdarstellung zur Diskussion der Sprachfrage (Questione della lingua) schließt die Erörterung der Rolle verschiedener Instanzen der Sprachnormierung (Buchdruck, Akademien, Lexikographie und Grammatikographie) an. Das Kapitel gibt darauf hin einen Überblick über die Sprachdiskussion und die Verbreitung der italienischen Schriftsprachnorm in den folgenden Jahrhunderten bis zur politischen Einigung Italiens. Kapitel 7 behandelt dann den Zeitraum, in welchem sich das Italienische nach der Gründung eines Zentralstaats allmählich zur voll funktionalen Nationalsprache ausbilden kann. In kompakten Einzelkapiteln werden sprach- und bildungspolitische Maßnahmen zur Verbreitung des Italienischen, sein Ausbau in der mündlichen Kommunikation sowie die Rolle gesellschaftlicher Veränderungen und der Massenmedien in diesem Prozess erörtert. Aufgrund des Fokus, den eine solche Überblicksdarstellung auf die Geschichte der italienischen Literatursprache legen muss, erfolgt in Kapitel 8 eine gesonderte Darstellung der Entwicklung des Italienischen in zwei weiteren zentralen Diskursdomänen der öffentlichen Kommunikation: Italienisch als Wissenschafts- und Verwaltungssprache. In einem vierten Themenblock widmet sich dann Kapitel 9 der historischen Rolle des Italienischen als internationale Kultur- und Bildungssprache, wobei besonders prägnante Bereiche, in denen es in der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte eine besondere Rolle gespielt hat, herausgestellt werden: An einen Einblick in italophone Handelssprachen im Mittelmeerraum schließt eine Überblicksdarstellung zur Rolle des Italienischen als höfische Kultursprache in der europäischen Renaissance an. Der für den Italienischlerner besonders relevante Aspekt der Vermittlung und des Studiums des Italienischen als Reutner_Stb_sV-256_End.indd X 15.08.11 15: 17 <?page no="11"?> Vor wort XI Fremdsprache wird im Anschluss mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum und Exkurs auf die Entwicklung der deutschen Italianistik historisch aufgearbeitet. Der Rolle des Italienischen als Sprache der Musik ist ein weiterer Abschnitt gewidmet. Unsere Sprachgeschichte schließt mit einem Überblick über wesentliche Facetten, die in der Gegenwart die Rolle des Italienischen als Kultur- und Bildungssprache prägen. Die Rezeption des Arbeitsbuches wird durch die Markierung inhaltlicher Schwerpunkte in den Marginalspalten, Übersichtsdarstellungen und Zusammenfassungen am Ende größerer Kapitel erleichtert. Für das bessere Verständnis von Textbeispielen aus der Phase vor der Kodifikation wird den Zitaten bis 1500 jeweils eine textgetreue Übersetzung in Prosa beigefügt. Für Textbeispiele aus der Zeit nach 1500 wird aufgrund der großen Affinität zur gegenwärtigen literarischen Standardsprache auf eine Übersetzung verzichtet. Auf die zahlreichen traditionellen und neueren Referenzwerke zur italienischen Sprachgeschichte in italienischer Sprache wie auch auf spezifischere Darstellungen, durch die in den letzten Jahrzehnten die gesamtromanische wie auch die italienische Sprachgeschichtsschreibung bereichert wurde, wird zum vertiefenden Selbststudium über eine ausführliche Bibliographie verwiesen. Für Anregungen und Hinweise danken die Autorinnen Annegret Bollée (Bamberg), Lucia Bolzoni (Augsburg), Hannelore Gillich (Passau), Gudrun Held (Salzburg), Manfred Hinz (Passau), Frank Paulikat (Augsburg) sowie den Studierenden der Italianistik an den Universitäten Augsburg und Passau, deren Hinweise zur besseren Verständlichkeit der Darstellung beigetragen haben. Augsburg/ Passau, im Juli 2011 Ursula Reutner/ Sabine Schwarze Reutner_Stb_sV-256_End.indd XI 15.08.11 15: 17 <?page no="12"?> Reutner_Stb_sV-256_End.indd XII 15.08.11 15: 17 <?page no="13"?> Kontinuitätsthese Klassisches Latein Vor- und nachklassisches Latein Vom Latein zum Volgare 1 Il patrimonio ereditario: Der Ursprung im Vulgärlatein 1.1 Die Vielfalt der lateinischen Basis 1.1.1 Klassisches Latein und Vulgärlatein Wie die anderen romanischen Sprachen Portugiesisch, Spanisch, Katalanisch, Okzitanisch, Französisch, Rätoromanisch, Sardisch und Rumänisch stammt auch das Italienische vom Latein ab. So lautet eine gängige Auffassung, die im Folgenden etwas zu präzisieren sein wird: Da wäre zum einen die Frage der Abstammung, die das Latein als Mutter und die romanischen Sprachen als ihre Töchter darstellt. Doch streng genommen handelt es sich nicht um getrennte, sondern um fließend ineinander übergehende Einheiten, da die romanischen Sprachen das Latein in ununterbrochener Kontinuität fortsetzen. Zum anderen ist es vereinfacht, Latein als homogenes Gefüge zu begreifen. Vielmehr umfasst es eine sich in Zeit, Raum, Gesellschaft und Konzeption unterscheidende Vielzahl von Varietäten, die jeweils von der Kultur ihrer Sprecher beeinflusst ist. In dieser Vielfalt sind insbesondere das klassische Latein und das in sich selbst sehr heterogene Vulgärlatein zu unterscheiden. Ein Blick auf die Epochen der lateinischen Sprache lässt das klassische Latein zwischen den ersten großen Gerichtsreden Ciceros 80- v.- Chr. und dem Regierungsantritt Hadrians 117 n.- Chr. situieren. In der Goldenen Latinität (80- v.- Chr−14- n.- Chr.) kommt es mit den Werken von Cicero, Caesar, Vergil, Horaz und Ovid zu einer beeindruckenden Entfaltung der lateinischen Literatur. Nach dem Tod von Kaiser Augustus 14-n.-Chr. folgt die Silberne Latinität (14-n.-Chr.−117-n.-Chr.) mit Autoren wie Seneca, Quintilian oder Tacitus. Aus literarisch-ästhetischer Sicht sind diese Autoren nachklassisch. Aus rein linguistischer Sicht schreiben sie klassisches Latein. Lateinische Literatur liegt nicht nur in klassischem Latein vor. Das literarische Schaffen setzt bereits 240-v.-Chr. mit einem Drama von Livius Andronicus ein. Seine Sprache ist vorklassisches Latein oder Altlatein (240-v.-Chr.−80-v.-Chr.), das besonders aus den Komödien von Plautus und Terenz bekannt ist. Die Epoche der sogenannten Adoptivkaiser Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel bringt Literatur in nachklassischem Latein (117-n.-Chr.−180-n.-Chr.) mit Autoren wie Sueton und Apuleius hervor. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 1 15.08.11 15: 17 <?page no="14"?> 2 Vom Latein zum Volgare Spätlateinische Autoren sind die Kirchenväter Tertullian und Augustinus, der Bibelübersetzer Hieronymus und der Philosoph Boethius, aber auch die Grammatiker Donat und Priscian, deren Werke den Sprachunterricht über Jahrhunderte prägen werden. Für den Übergang vom Spätlatein zum Mittellatein wird häufig das Jahr 476 n. Chr. angesetzt, das das Ende des Weströmischen Reichs kennzeichnet und das Mittelalter einläutet. Andererseits sind wichtige sprachliche Veränderungen erst im 6. und 7. Jahrhundert abgeschlossen, als die Sprechsprache des Volkes soweit vom Latein entfernt ist, dass kein Sprechlatein mehr existiert. Das Spätlatein umfasst in dieser weiteren Definition auch das sogenannte Merowingerlatein eines Gregor von Tours (538−594) oder Isidor von Sevilla (um 560−636) und reicht mitunter bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen (747/ 748-814) im Jahre 800-n.- Chr. Die Epoche des Mittellateins schließt mit dem Mittelalter. Sein Ende bahnt sich mit den Werken der Tre corone Dante, Petrarcas und Boccaccios an und ist spätestens mit der „Entdeckung“ der „Neuen“ Welt 1492-n.-Chr. abgeschlossen. Mit dem Humanismus und der Renaissance wird die lateinische Sprache wieder stärker am klassischen Latein orientiert und seither als Neulatein bezeichnet. Diachrone Varietäten des Lateinischen Vorliterarisches Latein bis 240 v.-Chr. Vorklassisches Latein 240 v. Chr. − 80 v.-Chr. Klassisches Latein 80 v.-Chr.− 117 n.-Chr. Nachklassisches Latein 117 n.-Chr. − 180 n.-Chr. Spätlatein 180 n.-Chr. − 476 n.-Chr. Mittellatein 476 n.-Chr. −1492 n.-Chr. Neulatein ab 1492 n.-Chr. Für die Herausbildung der romanischen Sprachen ist aber nicht das Latein anspruchsvoller Literatur entscheidend. Vielmehr entstehen sie aus dem sogenannten Vulgärlatein. Diese Bezeichnung hat sich in der Romanistik eingebürgert, nachdem sie von Hugo Schuchardt in seinem 1866−68 erschienenen Werk Der Vokalismus des Vulgärlateins verwendet wurde. Der Ausdruck ist etwas unglücklich, weil er aufgrund der Bedeutung von vulgär als ‘ordinär’ missverständlich ist. Doch ist vielmehr an das lateinische Adjektiv zu vulgus ‘Volk’ zu denken, also an lat. vulgaris ‘zum Volk gehörig, in der Art des Volkes, volkstümlich’. Vulgärlatein ist also die alltägliche Umgangssprache des Volkes, die der für die Schriftsprache geforderten Eleganz entbehrt. Es ist auch sozial markiert als ein sich von der Sprache der Gebildeten unterscheidender Soziolekt und schließt den sermo rusticus mit ein, also die im Gegensatz zum römischen sermo urbanus zu sehenden Regiolekte. Vulgärlatein ist daher am besten negativ zu definieren und als Bezeichnung für alles zu verstehen, das nicht der Norm konzeptioneller Schriftlichkeit entspricht. Insofern ist der unglückliche Terminus nun wieder sehr glücklich, weil er mehr Aspekte des Varietätengefüges umfasst als ein Ausdruck wie z. B. Sprechlatein. Spät- und Mittellatein Vulgärlatein Reutner_Stb_sV-256_End.indd 2 15.08.11 15: 17 <?page no="15"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 3 urbanitas und rusticitas Griechischer Einfluss Mündlichkeit und Schriftlichkeit Chronologische Differenzierung Schriftliche Belege In altlateinischer Zeit ist der Unterschied zwischen der Sprache der oberen und unteren Gesellschaftsschichten, der Patrizier (meist Landgutbesitzer) und der Plebejer, noch nicht sehr groß. Die Norm ist das Latein der Stadt Rom, das zwar nicht frei von Einflüssen der italischen Dialekte ist, sich aber deutlich vom Latein der Zugewanderten unterscheidet, die aus den umliegenden Gebieten in die Stadt einströmen. Es gibt also bereits eine regionale (diatopische) Differenzierung zwischen urbanitas und rusticitas, aber noch keinen sehr ausgeprägten sozialen (diastratischen) Unterschied. Die Situation ändert sich, als Rom, das seine Herrschaft zuerst über Italien, dann − nach den Punischen Kriegen im 3. Jahrhundert v.- Chr. − über den westlichen Mittelmeerraum ausgebreitet hat (238 v.- Chr. Sardinien und Korsika, 201 v.-Chr. das von Karthago abgetretene Spanien), mit den Makedonischen Kriegen seine Vorherrschaft in den hellenistischen Osten ausdehnt. Nach dem Sieg bei Pydna im Jahre 168 v.-Chr. gerät ganz Griechenland unter römische Herrschaft, und es beginnt ein starker Zustrom von griechischen Persönlichkeiten, Grammatikern, Philologen, Rhetoren, mit denen die der römischen weit überlegene griechische Kultur nach Rom gelangt. Es wird üblich, dass aristokratische Familien griechische Hauslehrer einstellen. Vor allem die griechische Rhetorik begeistert die jungen Römer. Unter diesem starken griechischen Einfluss entwickeln sich ein neues kulturelles Ideal (Schlüsselwort elegantia, von elegans ‘ausgewählt’) und das klassische Latein als gepflegte Literatursprache. Als Cicero seine rhetorische Tätigkeit beginnt, hat sich die Sprache der öffentlichen Rede und der Literatur schon gefestigt. Jetzt tritt neben den Dualismus urbanitas − rusticitas ein weiteres Gefüge sprachlicher Varietäten: Über dem stilistisch anspruchslosen Volkslatein konstituiert sich das klassische Latein als vorbildlicher Sprachgebrauch, der in den Rhetorenschulen erlernt werden kann. Während sich das klassische Latein durch die Auswahl bestimmter Formen, den Ausbau der Syntax und die Kodifizierung immer weiter vom Gesprochenen entfernt, setzt das Vulgärlatein in ununterbrochener Kontinuität das Altlatein fort. Metaphorisch lässt sich dies mit dem Bild von der Eisdecke der klassischen Schriftsprache verdeutlichen, unter der der Strom der gesprochenen Sprache weiterfliesst. Viele Formen, die im Altlatein belegt sind, im klassischen Latein aber nicht, tauchen letztendlich im Vulgärlatein wieder auf. 1.1.2 Quellen von Graffiti bis zu Glossen Wie bei der lateinischen Literatursprache sind auch beim Vulgärlatein verschiedene Stadien zu unterscheiden. Die chronologische Entwicklung wird zunächst zusammen mit wichtigen Quellen des Vulgärlateins skizziert. Anschließend werden die Neuerungen noch in Einzelkapiteln zur Lexik, Phonologie und Morphosyntax genauer betrachtet. Bei den Quellen des Vulgärlateins handelt es sich zwangsläufig um schriftliche Realisierungen von Mündlichkeit, wobei im Einzelnen darauf hinzuweisen sein wird, wie unterschiedlich sich das Gesprochene im Geschriebenen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 3 15.08.11 15: 17 <?page no="16"?> 4 Vom Latein zum Volgare Komödien von Plautus sermo vulgaris Atellanen von Pomponius Satyricon von Petronius präsentiert. Viele Zeugnisse des Vulgärlateins finden sich z. B. in Texten von Schreibern, die zwar die klassische Norm anstreben, sie aber wegen mangelhafter Bildung nicht erreichen können. Andere sind in Werken von Autoren enthalten, die das klassische Latein durchaus beherrschen, es aber mit Rücksicht auf ihr Publikum vereinfachen und der Umgangssprache anpassen, so z. B. die Kirchenväter Tertullian und Augustinus, die sich mit ihren Schriften an ein breites Publikum wenden. Von Augustinus ist der Ausspruch überliefert: „Melius est reprehendant nos grammatici quam non intellegant populi“ (Es ist besser, wenn uns die Grammatiker tadeln, als wenn uns das Volk nicht versteht). Aus vorklassischer Zeit ist der vom Volk sehr geschätzte Schriftsteller Plautus zu nennen (um 250−184 v.-Chr.). Die Sprache seiner Komödien ist in zweierlei Hinsicht eine wichtige Quelle: Zum einen kommen in den Dialogen umgangssprachliche Ausdrücke vor, zum anderen sind bei Plautus ältere Sprachformen bezeugt, die im klassischen Latein fehlen, in den romanischen Sprachen aber weiterleben. Im ersten Jahrhundert v.- Chr. ist die Aufspaltung in ein kultiviertes, elaboriertes Schriftlatein und ein stilistisch anspruchsloseres Sprechlatein vollzogen. Ungehindert von der klassischen Kodifizierung entwickelt sich die alltägliche Umgangssprache weiter und nimmt den Weg, der letztlich zu den romanischen Sprachen führt. Sie zeigt besondere Merkmale in der Aussprache (z. B. caldus statt calidus), in der Morphologie (z. B. simus statt sumus; semo findet sich noch in den meisten italienischen Dialekten), in der Syntax und im Wortschatz (z. B. manducare statt edere). Cicero nennt die Umgangssprache sermo plebeius oder sermo vulgaris und meint damit nicht etwa eine diastratische Varietät der unteren Gesellschaftsschichten, sondern verwendet vulgaris in der oben schon erwähnten Bedeutung ‘volkstümlich’. In seinen eigenen Briefen fallen Elemente aus diesem Register auf (z. B. bellus anstelle von pulcher). Lateinische Texte, die die volkssprachliche Tradition des 1.- Jahrhunderts v.-Chr. besonders bezeugen, sind die Fragmente der Atellanen (volkstümliche Possenspiele, um 90 v.- Chr.) des Lucius Pomponius. Neuerungen bei Pomponius sind z. B. der Übergang der Deponentia zur aktiven Konjugation und die Verwendung der Akkusativendung -as im Nominativ Plural der Feminina, die den entsprechenden romanischen Formen zugrunde liegt. Augenfällig ist dies z. B. in altfr. les portes im Subjektfall, das nicht auf den Nominativ PORTAE , sondern nur auf den Akkusativ PORTAS zurückgehen kann. Es zeigt sich aber auch in der Entwicklung des Italienischen, sonst hätte z. B. anstelle von amiche (aus AMICAS ) Palatalisierung, also amice (aus AMICAE ), eintreten müssen. Dieser und weitere Texte sind aber nicht wirklich vulgärlateinisch, sondern eine Art Kompromiss zwischen Vulgärlatein und klassischer Norm. Aus dem 1. Jahrhundert n.-Chr. sind zwei ganz unterschiedliche und gleichermaßen wichtige Quellen des Vulgärlateins zu nennen. Eine ist das Satyricon von Petronius (Freitod 66 n.- Chr.), ein in Bruchstücken erhaltener Roman. Er enthält die Cena Trimalchionis, das Gastmahl des Trimalchio, in der Petron vulgärlateinische Elemente zur Personencharakterisierung benutzt. Der frei- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 4 15.08.11 15: 17 <?page no="17"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 5 Graffiti und Inschriften Papyri gelassene Sklave Trimalchio ist ein neureicher Emporkömmling, an dessen Tisch sich eine ziemlich ordinäre Gesellschaft versammelt, deren Latein mit wachsender- Trunkenheit immer vulgärer wird. Vermittelt wird so ein Bild der gesprochenen Sprache ungebildeter Schichten einer Stadt bei Neapel im 1.-Jahrhundert. Eine andere Quelle für etwa das gleiche Entwicklungsstadium sind die Graffiti von Pompeji. Die Wandinschriften geben das getreueste überlieferte Abbild der gesprochenen Sprache, weil sich einerseits in ihnen der Alltag einer Provinzstadt spiegelt − Späße, Flüche, Trivialitäten − und andererseits hier ungeübte Schreiber am Werk sind, die die klassische Norm weder beherrschen noch anstreben. Durch den Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79-n.-Chr. wurden sie verschüttet und für die Nachwelt konserviert. Eine Naturkatastrophe sondergleichen entpuppt sich zumindest für die Wissenschaften als Glücksfall. Die Philologen finden bestens konserviertes Sprachmaterial vor, das mit dem Ausbruch des Vulkans 79 n.-Chr. als terminus post quem non sogar datierbar ist. In den Graffiti zeigen sich Anzeichen für den Verfall des lateinischen Kasussystems, z. B. der Ersatz des Ablativs durch den Akkusativ nach bestimmten Präpositionen (z. B. cum iumentum) oder die Verwechslung von Ablativ zur Angabe eines Ortes und Akkusativ zur Angabe einer Bewegungsrichtung (z. B. in conventu veni). Weitere vulgärlateinisch geprägte Inschriften finden sich auf Grabsteinen, die von ungebildeten Steinmetzen beschriftet wurden, oder auf Fluch- und Verwünschungstäfelchen (defixionum tabellae), deren Sprache in ihrer Emotionsgeladenheit trotz formelhafter Züge die Mündlichkeit reflektiert. Vom Anfang des 2. Jahrhundert n.-Chr. liegt mit den Papyri eine sehr interessante und wichtige Quelle vor: fünf auf Papyrus geschriebene Briefe eines einfachen Soldaten, Claudius Terentianus, der wahrscheinlich aus Norditalien oder Gallien stammte und aus Alexandria an seinen Vater schrieb, und ein Brief des Vaters an seinen Befehlshaber, in etwa datierbar auf 115 n.-Chr. Diese Briefe bezeugen ein fortgeschrittenes Stadium der Entwicklung des Vulgärlateins: Misi tibi, pater, per Martialem imboluclum concosutum in quo habes amicla par unu, amictoria par unu, sabana par unu, saccos par unu, glabalum ligni. Emeram aute illuc con culcitam et pulbino, et me iacentem in liburna sublata mi sunt. Et abes in imboluclum amictorium singlare, hunc tibi mater mea misit. Et accipias caveam gallinaria in qua habes sunthesis vitriae et phialas quinarias par unu et calices paria sex. Ich habe dir, Vater, durch Martial ein versiegeltes Paket geschickt, in dem du ein Paar Mäntel hast, ein Paar Halstücher, ein Paar Leinentücher [Handtücher], ein Paar Säcke und ein Feldbett aus Holz. Ich hatte es mit Matratze und Kissen gekauft, und während ich auf dem Schiff schlief, hat man sie mir gestohlen. Und in dem Paket hast du auch einen dünnen Mantel, den schickt Dir meine Mutter. Und du empfängst einen Hühnerkäfig, darin sind ein Service [Tassen] aus Glas und ein Paar Flaschen von fünf Maß und sechs Paar Gläser. Das Kasussystem ist in diesem Text noch ein Stück weiter aufgeweicht. Die Akkusative werden zwar noch markiert, aber nicht immer. Keine Markierung Reutner_Stb_sV-256_End.indd 5 15.08.11 15: 17 <?page no="18"?> 6 Vom Latein zum Volgare Vetus Latina Appendix Probi Mulomedicina Peregrinatio Egeriae findet sich, wenn sie gewissermaßen redundant ist, etwa bei den Appositionen par unu und bei caveam gallinaria. Zu beachten ist auch der Gebrauch des Akkusativs statt des Ablativs: con culcitam, me iacentem, in imboluclum. In der Zeit vom 1. zum 2. Jahrhundert ist der einfache Ablativ und der Ablativ nach Präpositionen völlig vom Akkusativ verdrängt worden. Lautlich fallen die beiden Kasus ohnehin in den meisten Fällen zusammen. In den Papyri ist auch erstmalig die feminine Dativ-Form illei belegt, die in ital. lei weiterlebt. Für die folgende Zeit gibt es weniger gute Quellen. Die wichtigsten sind frühe Bibelübersetzungen aus dem Griechischen, die ab der Mitte des 2. bis zum 3. Jahrhundert von Autoren mit nicht sehr hohem Bildungsniveau angefertigt wurden und nur bruchstückhaft überliefert sind. Sie werden unter dem Namen Vetus Latina (Itala) zusammengefasst und später durch die Vulgata abgelöst, eine Neuübersetzung der Bibel durch Hieronymus Ende des 4.- Jahrhunderts. Auch andere frühe Texte des Christentums enthalten vulgärlateinische Elemente, so die Schriften von Kirchenvätern wie Tertullian (160−222, 197 zum Christentum bekehrt). Sie sind in einer Mischung aus Schrift- und Umgangssprache abgefasst und bezeugen nur sehr unzulänglich den tiefgreifenden Sprachwandel, der den Abstand zwischen Schriftlatein und Vulgärlatein mehr und mehr vergrößert. In der Itala findet sich z. B. die Konstruktion eines finalen Infinitivs anstelle des Gerundiums: dare ad manducare. Ins 2./ 3.-Jahrhundert fällt auch die Schwächung des Neutrums und der synthetischen Steigerung des Adjektivs, eine der Veränderungen, in denen sich Tendenzen von der lateinischen Postdetermination zur romanischen Prädeterminination manifestieren (vgl. p. 23). Nicht sicher datierbar ist die Appendix Probi, ein als Anhang zur Abschrift der lateinischen Grammatik des Probus überliefertes Zeugnis. Der Verfasser tadelt hier 227 Vulgarismen, denen er jeweils die klassisch-lateinische Form voranstellt: speculum non speclum, auris non oricla, viridis non virdis. Aus heutiger Sicht besonders interessant sind gerade die vom Verfasser abgelehnten Formen, aus denen sich häufig die romanischen Ausdrücke entwickeln (it. specchio, orecchia, verde, fr. oreille, vert, sp. espejo, oreja, verde). Mit getadelten Formen wie paupera mulier dokumentieren sie zudem einen volkssprachlichen Drang zum natürlichen Geschlecht. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts bilden sich im Vulgärlatein die Grundlagen der romanischen Grammatik heraus. Für diese Epoche sind wieder zwei gute Quellen vorhanden. Eine ist die Mulomedicina Chironis, eine Ende des 4. Jahrhunderts verfasste Abhandlung über Tiermedizin, die wie andere im weitesten Sinne technische Traktate (z. B. schon De architectura von Vitruv sowie das älteste erhaltene Kochbuch der Antike, De re coquinaria von Apicius, oder ein Brief an Theodorich über gesunde Ernährung, De observatione ciborum, von Anthimus) weniger den Normen des klassischen Lateins unterworfen ist. Ein anderes Zeugnis ist die Peregrinatio Egeriae ad loca sancta, ein zwischen 381 und 384 entstandener Bericht der wahrscheinlich hispanischen Nonne Egeria über ihre Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die Mulomedicina und die Peregrinatio sind zwar von vulgärlateinischen Zügen geprägt, aber dennoch kein Reutner_Stb_sV-256_End.indd 6 15.08.11 15: 17 <?page no="19"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 7 Bestimmter Artikel Geschichte und Recht Bruchstelle getreues Abbild der damaligen Mündlichkeit, zumal besonders Egeria sichtlich um eine gewisse stilistische Eleganz bemüht ist. Das lateinische Kasussystem ist nun in der Sprechsprache nicht mehr existent: Nominativ und Akkusativ sind in der Form des Akkusativs zusammengefallen, die in der im Singular invariablen Form des romanischen Substantivs weiterlebt, wie das folgende Beispiel (noch mit -m) aus der Mulomedicina dokumentiert: nervus, qui est […] dominatorem. Genitiv und Dativ, die in der vorangegangenen Epoche noch ziemlich stabil waren, werden durch Präpositionalsyntagmen abgelöst. So ist in der Peregrinatio zu lesen de quibus abitationibus […] fundamenta parent, sancto episcopo de Arabia, in der Mulomedicina steht z. B. folia de oliva. Im 4. und 5. Jahrhundert vollziehen sich weitere wichtige Entwicklungen vom Vulgärlatein zu den romanischen Sprachen. Die Herausbildung des bestimmten Artikels aus den Demonstrativpronomina ille und ipse, die sich in mehreren Stufen vollzog, hat das Stadium eines in der Mulomedicina bezeugten „Quasi-Artikels“ erreicht. Daneben werden ille und ipse aber noch als Pronomina gebraucht. Im Verbalsystem kommt es vielfach zu Konjugationswechseln und zu einer Reihe von Neuerungen, wie den analytischen Formen von Passiv, Perfekt und Futur (vgl. 1.2.3), den unpersönlichen Reflexivkonstruktionen (mela […] servare se possunt ‘le mele … si possono conservare’) oder den Verbalperiphrasen zum Ausdruck des progressiven Aspekts (esse + Partizip Präsens, stare + Gerundium > it. sto leggendo). Dem gesprochenen Latein näher als dem klassischen stehen auch Dokumente der frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung wie die Historia Francorum des Bischofs Gregor von Tours aus dem 6. Jahrhundert oder frühmittelalterliche Gesetzestexte wie die Lex Salica im gallischen Merowingerreich, das Edictus Rothari im italienischen Langobardenreich oder die Lex Visigothorum im hispanischen Westgotenreich. Nach dem Schub von Umstrukturierungen und Neuerungen des 4. und 5.- Jahrhunderts ist um das Jahr 600 ein Sprachstand erreicht, der sinnvollerweise nicht mehr als Vulgärlatein bezeichnet werden kann, sondern vielmehr als protoromanische Phase. Es braucht nicht betont zu werden, dass die Festsetzung einer solchen Bruchstelle in einer kontinuierlichen Entwicklung etwas willkürlich ist. Doch ist sich die Forschung über den ungefähren Zeitpunkt, zu dem die entscheidenden Etappen des Sprachwandels durchlaufen sind, weitgehend einig. Bis zum 4./ 5. Jahrhundert ist die Umgangssprache der Mittelschicht im Imperium Romanum (Legionäre, Kaufleute, Kolonisten, Beamten) noch relativ einheitlich. Spätlatein und Vulgärlatein stehen zueinander in einem Diglossie-Verhältnis, sind also unterschiedliche Varietäten einer Sprache mit getrennten Funktionsbereichen. Durch das Auseinanderbrechen des Römischen Reichs und den Rückgang der klassischen Bildung ist der Differenzierungsprozess im 6. und 7. Jahrhundert dagegen so weit fortgeschritten, dass die Lateinkenntnisse im Volk stark zurück gehen. Gleichzeitig beginnen sich unterschiedliche Volkssprachen herauszubilden. Schematisch lässt sich die Geschichte des Lateins bzw. des Vulgärlateins in etwa so darstellen: Reutner_Stb_sV-256_End.indd 7 15.08.11 15: 17 <?page no="20"?> 8 Vom Latein zum Volgare Immer wieder werden Glossare abgefasst, in denen die anscheinend nicht mehr verstandenen klassisch-lateinischen Sprachformen erklärt werden. Am bekanntesten sind sicherlich die um 800 in Nordfrankreich entstandenen, nach dem früheren Auf bewahrungsort der Handschrift in der Abtei Reichenau am Bodensee benannten Reichenauer Glossen. In ihnen finden sich z. B. lateinische Ausdrücke mit den in der Galloromania geläufigen Übersetzungen: forum-− mercatum (> it. mercato, fr. marché, sp. mercado), galea-− helmus (> it. elmo), liberos − infantes (> it. infanti, fr. enfants, sp. infantes), pulcra − bella (> it. bello, fr. beau, sp. bello). Dass sich das Vulgärlatein schon in der Epoche des klassischen Lateins und mehr natürlich noch danach sehr deutlich vom Schriftlatein unterschieden haben muss, ist also antiken Quellen zu entnehmen. Aussagekräftige Informationen zu Phonetik und Lexik liefern aber auch lateinische Entlehnungen in nichtromanischen Sprachen. So ist z. B. aus der Aussprache von dt. Keller (<-klat. CELLARIUM ) oder Kiste (< klat. CISTA ) zu schließen, dass das lateinische c vor palatalen Vokalen ursprünglich velar realisiert wurde und die palatalisierte Aussprache der meisten romanischen Sprachen erst später auf kam. Die bei weitem wichtigste Quelle des Vulgärlateins sind aber die romanischen Sprachen selbst. So konnte die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts viele Formen und Wörter des gesprochenen Lateins rekonstruieren, die in der lateinischen Literatur nirgends belegt sind, nach Ausweis der romanischen Sprachen aber existiert haben müssen, z. B. * ARRIPARE (aus AD ‘zu’ und RIPA ‘Ufer’) ‘ans Ufer kommen’, das in italienischen Dialekten (kal. arripare, neap. arrepá, lucc. arripare) ebenso fortlebt wie in it. arrivare, fr. arriver, engad. arriver, okz./ kat. arribar ‘ankommen’ oder pg./ sp. arribar ‘(Schiff) einlaufen’. Quellen des Vulgärlateins Das Volkslatein ist nicht systematisch im schriftlichen Medium überliefert. Informationen über seine Gestalt sind einerseits puristischen Grammatiken zu entnehmen, die vulgärlateinische Formen tadelnd aufzählen (Appendix Probi), und Glossaren, die lateinische Formen übersetzen (Reichenauer Glossen). Andererseits sind besonders solche Texte durch mündlichen Sprachgebrauch geprägt, die sich an einfache Schichten wenden oder gar von literarisch ungebildeten Personen verfasst sind, so z. B. Inschriften wie die Graffiti von Pompeji, technische Traktate oder frühchristliche Texte. Auch in der Literatur finden sich umgangs- Abb. 1.1 Vom Altlatein zu den romanischen Sprachen Reichenauer Glossen Nichtromanische Sprachen Romanische Sprachen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 8 15.08.11 15: 17 <?page no="21"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 9 Reduktion lexikalischer Oppositionen Kulturelle Anpassung sprachliche Elemente, v. a. in den vorklassischen Komödien von Plautus oder im nachklassischen Satyricon von Petronius und sogar in den Briefen Ciceros. Wichtige Quellen sind aber auch lateinische Entlehnungen in nichtromanische Sprachen und insbesondere die romanischen Sprachen selbst. 1.2 Sprachinterne Entwicklungen 1.2.1 Lexikalische Veränderungen Die beim chronologischen Überblick über wichtige Quellen des Vulgärlateins erwähnten Neuerungen gilt es im Folgenden systematischer zu betrachten. Dabei steht an erster Stelle der Wortschatz. Seine frühen Veränderungen lassen sich in Vereinfachungen, formale und inhaltliche Umgestaltungen sowie Erweiterungen wie z. B. in Folge der Christianisierung unterteilen. Im Latein gibt es eine Vielzahl an Ausdrücken mit ähnlicher Bedeutung. Ihnen steht das sprachliche Ökonomieprinzip entgehen, d. h. das Streben danach, mit minimalem Aufwand maximalen Erfolg zu erzielen. Im Vulgärlatein werden lexikalische Oppositionen häufig reduziert. So unterscheidet das klassische Latein z. B. VIR ‘Mann’ und HOMO ‘Mensch, Mann’, während sich das Vulgärlatein und die romanischen Sprachen auf HOMO > it. uomo beschränken (fr. homme, sp. hombre). Ähnlich spezifiziert das klassische Latein lexikalisch zwischen OSCULUM ‘freundschaftlicher Wangenkuss’, BASIUM ‘zärtlicher Lippenkuss’ und S ( U ) AVIUM ‘Zungenkuss’. Doch im Vulgärlatein lebt nur BASIUM weiter und entwickelt sich zu it. baccio (fr. baiser, sp. beso). Von klat. URBS ‘Stadt als Gesamtheit der Gebäude’, das neben CIVITAS ‘Bürgerschaft, Gesamtheit der Einwohner einer Stadt’ steht, bleibt nur CIVITAS > it. città erhalten (fr. − bedeutungsverengt − cité, sp. ciudad). Der Ausdruck URBS ist aber z. B. noch am Ostersonntag zu hören, wenn der Papst der Stadt und dem ganzen Erdkreis (urbi et orbi) den Segen spendet. Zur Bezeichnung des Feuers hat das klassische Latein ebenfalls zwei Wörter: IGNIS , das alte indogermanische Wort, und FOCUS , ein Wort unsicheren Ursprungs, das soviel wie ‘häusliches Feuer, Herd, Herdfeuer’ bedeutet. Im Vulgärlatein übernimmt FOCUS auch die Bedeutung ‘Feuer’ im Allgemeinen und verdrängt damit IGNIS . In den romanischen Sprachen finden sich durchweg Nachfolger von FOCUS > it. fuoco (fr. feu, sp. fuego). Ähnlich ist EQUUS im klassischen Latein das Reitpferd, während CABALLUS ‘Zugpferd, Arbeitspferd’ leicht pejorativ konnotiert ist, wohl auch weil es meistens ein kastriertes Pferd bezeichnet. In den romanischen Sprachen lebt als Normalwort für das (männliche) Pferd nur CABALLUS > it. cavallo (fr. cheval, sp. caballo) weiter. EQUUS bzw. EQUA ist teilweise für die Stute erhalten (sp. yegua, pg. égua, okz. ego) und in gelehrten Ableitungen aus dem Bereich des Reiterei (z. B. it. equestre, equitazione, fr. équestre, équitation, sp. ecuestre, equitación). Von PULCHER ‘schön’, BELLUS ‘hübsch’ und FORMOSUS ‘wohlgeformt’ leben nur die letzten beiden weiter, so in it. bello (fr. beau) und sp. hermoso. Sprachliche Ökonomie ist umso mehr angebracht, wenn eine lexikalische Opposition aufgrund soziokulturellen Wandels an Bedeutung verliert. Wird Reutner_Stb_sV-256_End.indd 9 15.08.11 15: 17 <?page no="22"?> 10 Vom Latein zum Volgare Aufgabe von Irregularitäten Lexikalische Absorption Streben nach Lautsubstanz Tendenz zur Expressivität z. B. im Rechtssystem nicht mehr zwischen AVUNCULUS ‘Onkel mütterlicherseits’ und PATRUUS ‘Onkel väterlicherseits’ bzw. MATERTERA ‘Tante mütterlicherseits’ und AMITA ‘Tante väterlicherseits’ unterschieden, so tritt auch die begriffliche Differenzierung in den Hintergrund. Im Vulgärlatein werden nur AVUNCULUS und AMITA verwendet, die in fr. oncle und tante weiterleben. In anderen romanischen Sprachen sind für beide Geschlechter Nachfolger des spätlateinischen Gräzismus thios gebräuchlich (it. zio, zia, sp. tío, tía). Dass kulturelle Neuerungen lexikalische Veränderungen nach sich ziehen, illustriert auch lat. PECUNIA , das schon sehr früh die Entwicklung von ‘Vieh (als Tauschobjekt)’ zu ‘Geld’ erfahren hat und in der letztgenannten Bedeutung z. B. noch in der gelehrten Form it. pecuniario (fr. pécuniaire, sp. pecuniario und pecunia) erhalten ist. Aber auch der Ersatz unregelmäßig flektierter Lexeme durch regelmäßige trägt zur Vereinfachung der Lexik bei. Ersetzt werden z. B. die Verben CANERE → CANTARE (abgeleitet von cantus) > it. cantare (fr. chanter, sp. cantar), VELLE → * VOLERE (nach voleo für volo) > it. volere (fr. vouloir, sp. querer < * QUAERERE ), POSSE → * POTERE (nach potes) > it. potere (fr. pouvoir, sp. poder), FERRE → PORTARE > it. portare (fr. porter, sp. − später bedeutungsverengt − portar, sonst llevar und traer) und FARI , LOQUI → PARABOLARE / FABULARE > it. parlare (fr. parler, sp. hablar). Bei den Substantiven besteht eine Tendenz zu Lexemen der -a- und -o-Deklination: ITER , ITINERIS → VIA > it. via (fr. voie, sp. vía). Eine Präzision von VIA ist ( VIA ) STRATA ‘gepflasterte (Straße)’. Die Entwicklung zu it. strada zeigt, wie ein Adjektiv zum Substantiv wird, indem es dessen lexikalische Bedeutung absorbiert. Andere Beispiele hierfür sind ( CASEUS ) FOR - MATICUS ‘geformter (Käse)’ > it. formaggio (fr. fromage, doch sp. queso < CASEUS ) oder ( HORA ) SEXTA ‘sechste (Stunde)’ > sp. siesta (> it. siesta, fr. sieste). Kurze Wörter neigen zum Schwund und werden durch längere ersetzt. Diese allgemeinsprachliche Tendenz mag die schon gesehene Aufgabe von VIR zugunsten von HOMO begünstigt haben. Sie zeigt sich aber auch beim Ersatz von RUS ‘Land’ durch CAMPANIA > it. campagna (fr. campagne, sp. campaña) oder von OS ‘Mund’ durch BUCCA ‘Backe’ > it. bocca (fr. bouche, sp. boca). Häufig erfolgt die Verlängerung kurzer Wörter durch Ableitung: HIEMS ‘Winter’ → HIBERNUS ( TEMPUS ) ‘winterlich(e Zeit)’ > it. inverno (fr. hiver, sp. invierno), DIES ‘Tag’ → DIUR - NUS ‘täglich’ > it. giorno (fr. jour, sp. día). Besonders beliebt sind dabei Diminutivableitungen: AURIS ‘Ohr’ → AURICULA > it. orecchia (fr. oreille, sp. oreja), GENU ‘Knie’- → GENUCULUS > it. ginocchio (fr. genou, sp. rodilla < ROTULA ← ROTA ‘Rad’), CIRCUS ‘Kreis’ → CIRCULUS > it. circolo (fr. cercle, sp. círculo), AGNUS ‘Lamm’ → AGNEL - LUS > it. agnello (fr. agneau), VETUS ‘alt’ → VETULUS > it. vecchio (fr. vieux, sp. viejo). Eine weitere Entwicklung ist die Tendenz zu expressiven Wörtern, von denen sich etliche in den romanischen Sprachen erhalten haben. Sie zeigte sich oben u. a. schon bei der Bevorzugung von CABALLUS gegenüber EQUUS oder von PARABOLARE gegenüber LOQUI . Ähnlich wird klat. EDERE ‘essen’ − weil es zu wenig Lautsubstanz hat und in einigen Formen mit ESSE homonym ist (est ‘er ist/ isst’) − schon im frühen Latein durch die Präfixableitung COMEDERE ‘(auf)essen’ ersetzt, die in der Iberoromania weiterlebt (sp. comer). In Italien, Rumänien und Gallien finden sich mit rum. mînca, fr. manger (> it. mangiare) hingegen Ausdrücke, die Reutner_Stb_sV-256_End.indd 10 15.08.11 15: 17 <?page no="23"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 11 auf vlt. MANDUCARE / MANDICARE zurückgehen, abgeleitet von MANDUCUS ‘Vielfraß’, das eine komische Figur in der lateinischen Stegreif komödie bezeichnet (vgl. S.-29 f.). MANDUCARE ist ursprünglich eine Art Kraftausdruck mit der Bedeutung ‘kauen, futtern, sich vollstopfen’, der sich anschließend zum Normalwort für ‘essen’ entwickelt. Ein weiteres vielzitiertes Beispiel ist der Ersatz von klat. CA - PUT durch TESTA . CAPUT ist das klassisch-lateinische Wort für ‘Kopf ’und u. a. aus der Beschreibung Roms als Haupt der Welt (Roma caput mundi) vielen geläufig. Es lebt in einigen italienischen Dialekten in dieser Bedeutung weiter, mit veränderter Bedeutung in it./ sp. capo, fr. chef. Sp. cabeza und pg. cabeça gehen auf die ältere vulgärlateinische Form CAPITIA zurück, während den zentralromanischen Ausdrücken it. testa und fr. tête die jüngere Form vlt. TESTA zugrunde liegt. Ursprünglich hat diese die Bedeutung ‘irdenes Gefäß, Tonschale’, die in der Umgangssprache als Metapher für ‘Hirnschale, Schädel, Kopf ’ gebraucht wird. Diese Verwendung ist wohl im gallischen Vulgärlatein aufgekommen, wobei einige Forscher zu Unrecht vermuten, sie habe etwas mit der Gewohnheit der Barbaren zu tun, aus menschlichen Schädeln zu trinken, die dem Asterix-Leser am Beispiel der Normannen illustriert wird. Als letztes Beispiel unter Expressivität sei auf F LERE ‘weinen’ verwiesen, das einerseits durch PLORARE ‘laut jammern’ > frz. pleurer, sp. llorar ersetzt wird, andererseits durch PLANGERE ‘sich auf die Brust schlagen’ (damals eine Geste heftiger Trauer) > it. piangere. Neben der größeren Ausdrucksstärke weisen beide Wörter mehr Lautsubstanz auf. Die Entwicklung von Sprachen ist durch zwei gegenläufige Tendenzen gekennzeichnet: Ökonomie und Expressivität. Das Streben nach Sprachökonomie begünstigt Vereinfachungen. Es führt im Vulgärlatein zum Verzicht auf lexikalische Oppositionen (z. B. Reduktion von VIR und HOMO auf Letzteres) und zur Behebung von Unregelmäßigkeiten in der Flexion (z. B. FERRE → PORTARE ). Das Streben nach Expressivität bewirkt den Ersatz kurzer und ausdrucksschwacher Wörter durch längere und expressivere (z. B. EDERE → MANDUCARE > mangiare). Ökonomie und Expressivität Ein kulturgeschichtlich besonders wichtiger Vorgang in der Kaiserzeit ist die Ausbreitung des Christentums. In seinen Anfängen handelt es sich um eine Bewegung, die besonders in den einfachen Volksschichten verankert ist und als solche die Alltagssprache beeinflusst. Durch das Christentum dringen viele griechische Wörter ins Latein ein, was sich aus der Geschichte seiner Ausbreitung erklärt. Von Palästina ausgehend gelangt es zunächst in griechisches Sprachgebiet. Einwanderer, die entweder Griechen sind oder das Griechische als Verkehrssprache benutzen, bringen es dann nach Rom. Ein großer Teil der kirchlichen Termininologie ist daher griechischen Ursprungs. Zur Bezeichnung des Gebäudes, in dem sich die Christen versammeln und ihre Gottesdienste abhalten, kann nicht auf klat. TEMPLUM zurückgegriffen werden, denn die TEMPLA sind ja heidnischen Göttern geweiht. Daher werden gleich mehrere Wörter aus dem Griechischen entlehnt. Der Gräzismus KYRIAKE ‘Haus des Herrn’ lebt v. a. in slawischen und germanischen Sprachen weiter (dt. Kirche), BASILICA bleibt in der allgemeinen Bedeutung ‘Kirche’ u. a. in rum. biserică erhal- Abb. 1.2 aus Asterix und die Normannen Christianisierung Gräzismen der Kirche Reutner_Stb_sV-256_End.indd 11 15.08.11 15: 17 <?page no="24"?> 12 Vom Latein zum Volgare ten und ECCLESIA ‘Versammlung der Stadtbürger’ wird zu ‘Versammlungsort der Gläubigen’ (it. chiesa, fr. église, sp. iglesia). Andere Beispiele sind PRESBYTER ‘Ältester’ > ‘Priester’ (it. prete, fr. prêtre), BAPTIZARE ‘eintauchen’ > ‘taufen’ (it. battezzare, fr. baptiser, sp. bautizar), EPISCOPUS ‘Aufseher’ > ‘Bischof ’ (it. vescovo, fr. évêque, sp. obispo) oder MONACHUS ‘Einsiedler (Ableitung von monos ‘allein’)’ > ‘Mönch’ > (it. monaco, fr. moine, sp. monje aus altprov. monge). PAROCHIA ‘Nachbarschaft’ bzw. ‘die daneben Wohnenden’ entwickelt sich über die Bedeutung ‘Fremde, die ohne Bürgerrecht in einer Stadt leben (weil sich die Christen auf Erden als Fremdlinge fühlten)’ zu it. parocchia ‘Gemeinde’ (fr. paroisse, sp. parroquia). Der wohl wichtigste Ausdruck, der über das christliche Latein in die Gemeinsprache gelangt, ist die Bezeichnung für das Wort selbst. Gr. PARABOLE , klat. PARABOLA , findet sich schon bei Seneca als rhetorischer Terminus in der Bedeutung ‘Vergleich, Ähnlichkeit (similitudo)’. Bei christlichen Autoren wird er für die Gleichnisse Jesu gebraucht und bedeutet sodann ‘Beispiel, Gleichnis, Parabel’. Über ‘Wort Christi’ entwickelt sich die Bedeutung zu ‘Wort’ im Allgemeinen, was schon in der Vulgata belegt ist. PARABOLA verdrängt in dieser Bedeutung überall in der Romania den klassisch-lateinischen Ausdruck für ‘Wort’, VERBUM , der in dieser ursprünglichen Bedeutung nur in bask. berba erhalten ist (vgl. it. parola, fr. parole, sp. palabra). Das davon abgeleitete Verb PARABOLARE (> it. parlare, fr. parler) steht in Konkurrenz zu FABULARE (> pg. falar, sp. hablar). Beide ersetzen das unregelmäßig flektierte klat. LOQUI ‘sprechen’. Der Einfluss des Christentums schlägt sich auch in der Bedeutungsveränderung sonstiger Wörter nieder. Diese lässt sich an PAGANUS aufzeigen, das im klassischen Latein zwei Bedeutungen hat: in der Allgemeinsprache ‘Landbewohner (Bewohner eines pagus)’ im Gegensatz zum Städter, dem OPPIDANUS , und in der Sprache der Soldaten ‘Bürger, Privatmann’ im Gegensatz zum Soldaten. Im Sprachgebrauch der Christen nimmt das Wort im 4. Jahrhundert die Bedeutung ‘Nichtchrist, Heide’ an (vgl. it. pagano, fr. païen, sp. pagano). Eine der Erklärungen hierfür lautet, dass sich das Christentum zuerst in Rom und in städtischen Zentren ausbreitet und auf dem Land − in den pagi − erst später Fuß fassen kann. Die pagani sind daher zunächst Nichtchristen. Eine andere Erklärung nimmt die Bedeutung des Wortes in der Soldatensprache zum Ausgangspunkt. Ein Christ fühlt sich als Streiter für Christus, als miles Christi. Wer kein Christ, kein miles Christi ist, wird daher als PAGANUS ‘Privatmann, Nichtsoldat’ bezeichnet. Ein anderes Beispiel ist klat. CAPTIVUS ‘Gefangener’, mit dem im Christentum zunächst der ‘in der Sünde Gefangene’ bezeichnet wird. In Italien entwickelt es sich zu it. cattivo ‘böse’, in Frankreich, wo die Augustinische Gnadenlehre auf fruchtbaren Boden fällt, hingegen zu chétif ‘erbarmungswürdig, erbärmlich’. Folgen der Christianisierung im Wortschatz Neue Bewegungen benötigen neues Vokabular. Das auf kommende Christentum löst die Bezeichnungsfrage einerseits durch die Übernahme von Gräzismen ( EC - CLESIA > it. chiesa, PRESBYTER > it. prete, BAPTIZARE > it. battezzare, EPISCOPUS > it. vescovo, MONACHUS > it. monaco, PAROCHIA > it. parocchia), andererseits durch die Bedeutungsveränderung lateinischer Wörter (z. B. PAGANUS ‘Landbewohner’, ‘Privatmann’ > it. pagano ‘Heide’). Das Wort für das Wort Bedeutungswandel lateinischer Wörter Reutner_Stb_sV-256_End.indd 12 15.08.11 15: 17 <?page no="25"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 13 Erbwörter Buchwörter Dubletten Entlehnte Morphosyntax Quantitätenkollaps Zum Abschluss des Kapitels seien noch kurz die sprachlichen Auswirkungen erwähnt, die das Zusammenleben von Volkssprache und Latein im Mittelalter und darüber hinaus zeitigen werden. So ist es nicht ganz richtig, dass sich das Italienische bzw. die romanischen Sprachen nur aus dem Sprechlatein und Entlehnungen aus fremden Sprachen wie dem Griechischen entwickelt haben. Denn von Anfang an gibt es neben den Erbwörtern (volgarismi), die in ununterbrochener Kontinuität tradiert werden und die die im folgenden Kapitel dargestellten lautlichen Entwicklungen mitmachen, sogenannte Buchwörter. Es sind Latinismen (latinismi), also Entlehnungen aus dem Latein der Geistlichen, der Juristen und der Gelehrten, die durch die Schreiber direkt in das romanische Schrifttum gelangen. Die Buchwörter, die im Laufe der Jahrhunderte bis heute übernommen werden, machen sogar den größeren Anteil des Wortschatzes aus, auch wenn die am häufigsten verwendeten Wörter Erbwörter sind. Einige Beispiele für Latinismen, die aus dem Latein der Kirche in die Volkssprache gelangen, sind Bezeichnungen der Todsünden wie avarizia, superbia, lussuria, aber auch vizio und (peccato) originale, ferner compassione, confessione, desiderio, passione, grazia, orazione. Latinismen aus dem Kirchenlatein sind aber auch amare, amore und odiare, odio, die volkstümlichen Ausdrücke sind voler bene oder voler male. Der beständige Einfluss des Lateins führt zu Dubletten (it. doppioni, allotropi), Paaren aus Erb- und Buchwörtern. Aus klat. VITIUM ‘Fehler, Laster’ entsteht z. B. erbwörtlich it. vezzo ‘Angewohnheit’, während it. vizio ‘Laster’ eine gelehrte Entlehnung ist. Ebenso stehen erbwörtliches cosa gelehrtem causa gegenüber und erbwörtliches mezzo gelehrtem medio. Neben dem lexikalischen Einfluss gibt es auch Auswirkungen auf die Syntax und Morphologie. So ist z. B. die Form des Superlativs auf -issimo ein Latinismus, der aus Anredeformen für geistliche und weltliche Würdenträger wie beatissimus, clarissimus, excellentissimus, serenissimus übernommen wurde. 1.2.2 Neuerungen in der Phonologie Die bislang angeführten Beispiele zeigen bereits deutliche Unterschiede in der Lautung. Im Folgenden werden sie genauer vorgestellt und dabei zur besseren Verständlichkeit schon an dieser Stelle bis ins Neuitalienische weiterverfolgt. Das Vokalsystem des klassischen Lateins kennt 10 Phoneme: [i], [e], [a], [o] und [u], jeweils lang ( Ī , Ē , Ā , Ō , Ū ) und kurz ( , Ĕ , Ă , Ŏ , Ŭ ). Länge und Kürze sind phonologisch distinktiv, ermöglichen also Bedeutungsunterscheidungen, z. B. līber ‘frei’ − l ber ‘Buch’, vēnit ‘er kam’ − vĕnit ‘er kommt’, mālum ‘Apfel’ − mălum ‘das Übel’, sŏlum ‘Boden’ − sōlum ‘allein’, fŭror ‘ich stehle’ − fūror ‘Wahnsinn’. In der gesprochenen Sprache besteht eine Tendenz, die langen Vokale geschlossen und die kurzen offen zu realisieren (vgl. dt. Weg − weg, bieten − bitten). Allmählich ist es dann nicht mehr der Quantitätsunterschied, der die bedeutungsunterscheidende Funktion hat, sondern der Qualitätsunterschied. Bei betontem e und o ist der Öffnungsgrad im Italienischen bis heute seman- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 13 15.08.11 15: 17 <?page no="26"?> 14 Vom Latein zum Volgare tisch distinktiv, so z. B. in pesca [p ska] ‘Pfirsich’ gegenüber [peska] ‘Fischfang’ oder in corso [k rso] ‘Korse, korsisch’ gegenüber [korso] ‘Kurs, Wettlauf ’. Eine prinzipielle Bewahrung der qualitativen Unterscheidung in den romanischen Sprachen belegen aber auch diphthongierte Formen wie it. suolo ‘Boden’ im Unterschied zu solo ‘allein’ (ähnlich fr. sol vs. seul, sp. suelo vs. solo). Die Auslöser des sogenannten Kollapses werden bis heute diskutiert und derzeit in Umlauterscheinungen (Metaphonie, Vokalharmonisierung) gesehen. palatal velar sehr geschlossen geschlossen halbgeschlossen halboffen offen Auf den Quantitätenkollaps folgt der Zusammenfall bestimmter Vokale (Synkretismus). Überall in der Romania wird die Unterscheidung zweier Öffnungsgrade bei den hohen Vokalen aufgegeben. Das fünfstufige Vokalsystem des gesprochenen Lateins ([i], [ ], [e], [ ], [a] bzw. [u], [ ], [o], [ ], [ ]) reduziert sich so auf ein maximal vierstufiges ([i], [e], [ ], [a] bzw. [u], [o], [ ], [a]). Die Art des Zusammenfalls verläuft regional unterschiedlich. So entstehen vier verschiedene vulgärlateinische Vokalsysteme mit jeweils eigenem Geltungsbereich. In Sardinien und Teilen Unteritaliens bildet sich z. B. das archaische System aus, in dem gar keine Öffnungsgrade unterschieden werden. In Mittelitalien und der Westromania fallen und Ē in [e] sowie Ō und Ŭ in [o] zusammen (z. B. in betonter Stellung: M TTERE > mettere, NŬCE ( M ) > noce, in unbetonter Stellung: LUPŬ ( M ) > lupo). Dieses italische System ist für die betonten Vokale des heutigen Standarditalienischen grundlegend, während bei den Nebentonvokalen die Opposition der mittleren Vokalstufen ( , Ē , Ĕ bzw. Ŏ , Ō , Ŭ ) zu [e] und [o] zusammenfällt. Abb. 1.3 Volkaldreieck des gesprochenen Lateins Synkretismus Archaisches Vokalsystem Italisches Vokalsystem Reutner_Stb_sV-256_End.indd 14 15.08.11 15: 17 <?page no="27"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 15 [i] > [e] [u] > [o] M TTERE > mettere CR CE ( M ) > croce P RA ( M ) > pera M LT ( M ) > molto Daneben gibt es zwei weitere vulgärlateinische Vokalsysteme: In Rumänien und Süditalien gilt ein Kompromissystem und in Sizilien und Unteritalien das sizilianische System, das aufgrund seiner Bedeutung für die spätere Textanalyse noch Erwähnung finden soll: Als Quantitätenkollaps wird die Ablösung von Quantitäten durch Qualitäten in der phonologischen Relevanz des gesprochenen Lateins bezeichnet. Im klassischen Latein war die Vokallänge phonologisch distinktiv: m lum ‘das Übel’ m lum ‘Apfel’ s ‘Knochen’ s ‘Mund’ p pulus ‘Volk’ p pulus ‘Pappel’ v nit ‘er kommt’ v nit ‘er kam’ Im heutigen Italienisch ist der Öffnungsgrad bei betontem e und o relevant: pesca [p ska] ‘Pfirsich’ pesca [peska] ‘Fischfang’ corso [k rso] ‘Korse, korsisch’ corso [korso] ‘Kurs, Wettlauf ’ Quantitätenkollaps Nach diesen Präzisierungen gilt es, die Entwicklung der haupttonigen Vokale genauer zu betrachten. Hier fällt zunächst auf, dass sich die Monophthonge im Toskanisch-Florentinischen in betonter offener Silbe in der Regel zu Diphthongen (Halbvokal + Vokal) entwickelten: [ ] und [ ] > [j ] und [w ]. [e, ae] > [ ] > [j ] [o] > [ ] > [w ] PĔDE ( M ) > piede BŎNŬ ( M ) > buono PĔTRA ( M ) > pietra RŎTA ( M ) > ruota CAELŬ ( M ) > kelo > cielo NŎVŬ ( M ) > nuovo In Ausnahmefällen kann die Diphthongierung von [ ] und [ ] in betonter offener Stellung unterbleiben, so z. B. bei MĔDIŬ ( M ) > mezzo oder SPĔCULŬ ( M ) > sp klo > specchio. Bei Wörtern, die auf der drittletzten Silbe betont werden (Proparoxytona), gibt es Variation, d. h. Wörter mit Diphthongierung, wie z. B. QUAE - RERE > chiedere, LĔVITŬ ( M ) > lievito, und andere ohne Diphthongierung, wie z. B. PĔCORA ( M ) > pecora, TĔPIDŬ ( M ) > tepido, ŎPERA ( M ) > opera (dialektal auch uopera). Sizilianisches Vokalsystem Haupttonvokalismus Diphthongierung von [ ] und [ ] Ausbleiben der Diphthongierung Reutner_Stb_sV-256_End.indd 15 15.08.11 15: 17 <?page no="28"?> 16 Vom Latein zum Volgare Monophthongierung Anaphonie Das Ausbleiben der Diphthongierung bei BĔNE > bene (aber in Siena biene) erklärt sich dadurch, dass das Wort meist vortonig gebraucht wurde (ben detto). In geschlossener Silbe bleiben [ ] bzw. [ ] erhalten: HĔRBA ( M ) > erba, SĔPTE ( M ) > sette, PORTA ( M ) > porta, OCTO > otto. Neben den schriftsprachlichen Diphthongen gibt es seit jeher aber vermutlich eine toskanisch-volkssprachliche Strömung, die an den Monophthongen festhält. Hierfür spricht, dass die Mundarten der Toskana fast durchweg nicht diphthongierte Formen aufweisen (ovo, foco, core, rota, bono, omo, movere) und sich bei mittelalterlichen Dichtern zumeist <e> bzw. <o> statt <ie> und <uo> findet, so − auch wenn die heutigen Ausgaben meist uo setzen − z. B. in der Divina Commedia. Anders zu bewerten ist die Reduktion des Diphthongs nach Palatalen ( SPAGNŎLŬ ( M ) > spagnuolo > spagnolo) sowie auf Grund von Formenausgleich (truova → trova, analog zu trovare, oder pruova → prova, analog zu provare). Doch während zum einen neue Diphthonge entstehen, werden zum anderen alle drei Diphthonge des klassischen Lateins aufgegeben: [oe] > [e] ( POENA ( M ) > pena), [ae] > [ ] und [au] zu [ ]. Das durch die Monophthongierung entstandene [ ] wird in betonter offener Silbe noch diphthongiert ( CAELŬ ( M ) > kelo > cielo), während die Monophthongierung zu [ ] erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet und von der Diphthongierungswelle nicht mehr erfasst wird ( AURŬ ( M ) > oro, nicht uoro, CAUSA ( M ) > cosa, nicht cuosa). Bei italienischen Ausdrücken mit erhaltenem AU handelt es sich nicht um Erbwörter, sondern um Lexeme, die zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Schriftlatein entlehnt wurden (lauda, pausa, causa). [oe] > [e] [au] > [ ] POENA ( M ) > pena AURŬ ( M ) > oro CAUSA ( M ) > cosa [ae] > [ ] PAUCŬ ( M ) > poco CAELŬ ( M ) > kelo > cielo Ein Phänomen kombinatorischen Lautwandels ist die Anaphonie (anafonia, anafonesi), die Anhebung von [e] zu [i] und [o] zu [u] vor palatalem Nasal [ ] (< klat. - NJ -), velarem Nasal [ ] (in [ k] und [ g]) und palatalem Lateral [ ] (< klat. - LJ -). Durch diese von Florenz ausgehende Entwicklung nähert sich die Volkssprache erneut der lateinischen Schriftsprache an. Als Erklärung ist daher eine Auswirkung der Kanzleisprache auf die Stadtsprache denkbar. [e] > [i] [o] > [u] CONS LIŬ ( M ) > konselio > consiglio FŬNGŬ ( M ) > fongo > fungo FAM LIA ( M ) > famelia > famiglia IŬNCŬ ( M ) > ionko > giunco GRAM NEA ( M ) > gramenia > gramigna IŬNGERE > iongere > iungere V NCO > venko > vinco LŌNGŬ ( M ) > longo > lungo V NCERE > venkere > vincere PŬGNŬ ( M ) > pogno > pugno L NGUA ( M ) > lengua > lingua F NGERE > fengere > fingere Reutner_Stb_sV-256_End.indd 16 15.08.11 15: 17 <?page no="29"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 17 Im Hiat wurden betonte Vokale geschlossen, z. B. ĚGO > o > eo > io, MĚŬM > m o > meo > mio, DĚUM > D o > Deo > Dio oder TŬŬM > too > tuo. In einigen Fällen wird der Akzent nach hinten verlagert. So kommt es zur Betonung der Paenultima (vorletzten Silbe) mit kurzem Vokal vor Muta cum Liquida ( ÍNTEGRŬ ( M ) > intégro > intéro) und zur Betonung der kurzen Paenultima statt des im Hiat stehenden Vokals der Antepaenultima (drittletzten Silbe, FILÍŎLŬ ( M ) > figli(u)ólo). Bei der Entwicklung der Vokale unter dem Hauptton fallen insbesondere die Diphthongierung von [ ] und [ ] auf, die Monophthongierung der lateinischen Diphthonge [oe] > [e], [ae] > [ ] und [au] zu [ ] sowie die Anaphonie, eine Anhebung von [e] zu [i] und [o] zu [u], die eine Wiederannäherung an die Norm der klassisch-lateinischen Schriftsprache bewirkt. Haupttoniger Vokalismus Vor dem Konsonantismus ist noch die Entwicklung der unbetonten und nebentonigen Vokale zu skizzieren. Hier besteht neben der oben bereits erwähnten Entwicklung von [i] zu [e] und [u] zu [o] v. a. die von Florenz ausgehende Tendenz, das vortonige [e] zu [i] zu schließen und vor einem [i] der Folgesilbe auch das vortonige [o] zu [u]: [e] > [i] [o] > [u] vor [i] FĔNESTRA ( M ) > fenestra > finestra OCCIDERE > uccidere NĔPOTE ( M ) > nepote > nipote MOLINŬ ( M ) > mulino M NORE ( M ) > menore > minore aber: SŬBTILE ( M ) > sottile Dieses Phänomen betrifft auch die Präfixe (z. B. RE - > ri-) sowie Präpositionen und klitische Pronomina (z. B. DE ROMA > di Roma, ME LAVO > mi lavo, TE AMAT > ti ama). Bei Wörtern wie negozio, sereno, demolire, definire handelt es sich hingegen um Latinismen; bei anderen um Relatinisierungen (ait. filice > nit. felice, ait. dilicato > nit. delicato). Durch den Einfluss eines benachbarten Labialkonsonanten ([p, b, m, f, v]) können unbetonte palatale Vokale zu velaren werden. Hierbei handelt es sich um Assimilation, denn die Velarvokale werden mit Lippenrundung gesprochen. [e] > [u] vor Labial DEMANDARE > domandare DEBERE > dovere DEMANE > domani Vor [r] entwickelte sich [a] zu [e], so z. B. bei den Futurformen ( AMARE * AO > amarò > amerò) und beim Suffix - ARIA , aber auch bei merceria, osteria. Die im Hiat stehenden Vokale [e] und [o] werden zu Halbvokalen [j] und [w] ( VINEA > vinja > vigna, PLATEA > pjatja > piazza). Beim Vokalschwund sind zwei Arten zu unterscheiden. In Proparoxytona (Wörtern mit dem Akzent auf der drittletzten Silbe) wird zum Teil schon im Vulgärlatein und besonders bei Gruppen mit den Liquiden [l] und [r] der Mittelvokal synkopiert (Vokalschwund 1). Nur in manchen Fällen bleibt er erhalten bzw. wird restituiert, so z. B. bei RÉGŬLA ( M ) > regola, TÉGŬLA ( M ) > tegola oder auch Vokalschließung im Hiat Akzentverlagerung Nebentoniger und unbetonter Vokalismus Schließung von vortonigem [e] Velarisierung vor Labialkonsonanten [a] > [e] vor [r] Hiatentwicklung Vokalschwund Reutner_Stb_sV-256_End.indd 17 15.08.11 15: 17 <?page no="30"?> 18 Vom Latein zum Volgare ÍNSŬLA ( M ) > isola, während der Name Ischia (< *iscla < isla) auf die synkopierte Form isla zurückgeht. Später wird der unbetonte Vokal zwischen Nebenton und Hauptton synkopiert (Vokalschwund 2), wobei [e] und [i] meist schwinden, während [o] und [u] meist erhalten bleiben ( RÈGŬLÁRE > regolare, MŬRMŬRÁRE > mormorare): 1. Synkope der unbet. Paenultima 2. Synkope der Zwischentonsilbe CÁL DŬ ( M ) >caldo * LÒNGITÁNŬ ( M ) > lontano DÓM NA ( M ) > domna > donna VÈRECÚNDIA ( M ) > vergogna VÍR DE ( M ) > verde BÒNITÁTE ( M ) > bontà ÓCŬLŬ ( M ) > oklo > occhio Nebentoniger und unbetonter Vokalismus Bei der Entwicklung der nebentonigen Vokale ist v. a. auf die Schließung von vortonigem [e] zu [i] hinzuweisen, die sich auch in der Morphosyntax zeigt (z. B. DE R OMA > di Roma); ferner auf die Synkope der unbetonten Paenultima und der Zwischentonsilbe. Auch im Konsonantismus kommt es zu wichtigen Veränderungen, mit denen dieses Kapitel schließt. Die auslautenden Konsonanten -[m], -[t] (z. B. CANTAT > canta) und -[s] (vgl. hierzu S. 30) schwinden früh. Den Wegfall des [m] aus den Flexionsendungen belegen bereits die Graffiti von Pompeji (quisquis amat nigra, nigris carbonibus ardet). Ebenfalls bereits in klassischer Zeit fällt [h] in allen Positionen weg (z. B. Graffiti: Comicius Restitutus cum fratre ic stetit). Außerdem schwindet [n] vor [s], was in der Appendix Probi immer wieder angemahnt wird (z. B. tensa non tesa). [h] > ˙/ . -[m], -[t] > ˙/ . HOMO > omo MURŬM > muro CANTAT > canta [n s ] > ˙/ . SPONSŬ ( M ) > sposo Das Graphem <c> wird im klassischen Latein unabhängig vom Folgevokal immer [k] gesprochen, wie die deutschen Lehnwörter Keller < CELLARIŬ ( M ), Kirsche < CERESIA ( M ) oder Kaiser < CAESAR zeigen. Diese Aussprache ist vor [a, o, u] erhalten ( CANE ( M ) > cane, * CORE ( M ) > cuore), während der Laut vor [e, i] im Italienischen zu [ ] affriziert. Nur im Sardischen bleibt das [k] systematisch erhalten, überall sonst in der Romania entwickelt es sich weiter (z. B. CENTŬ ( M ) > it. cento, fr. cent, sp. ciento; CIVITATEM > it. città, fr. cité, sp. ciudad). Analog entwickelt sich [g], das vor [a, o, u] erhalten bleibt ( GALLINA ( M ) > gallina, GUSTŬ ( M ) > gusto, RUGA ( M ) > ruga, AUGŬSTŬ ( M ) > agosto) und vor [e, i] zu [ ] affriziert. Intervokalisch kommt es zur Längung, teilweise zum Schwund ( PAGENSE ( M ) > paese, MAGISTRŬ ( M ) > maestro). [k] vor [e, i] > [ ] [g] vor [e, i] > [(d) ] CENA ( M ) > cena GENTE ( M ) > gente CI ˘ RCARE > cercare GI ˘ NGIVA ( M ) > gengiva MERCEDE ( M ) > mercede LEGE ( M ) > legge VICINŬ ( M ) > vicino CORRI ˘ GIA ( M )> cor(r)eggia DICI ˘( T ) > dice FUGIRE > fuggire Konsonantismus Konsonantenschwund Palatalisierung von [k] und [g] Reutner_Stb_sV-256_End.indd 18 15.08.11 15: 17 <?page no="31"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 19 Palatalisierung von Konsonant vor [j] Halbvokal [j] zu [ ] Labiovelar [kw] Betazismus Folgt auf einen Konsonanten ein [j], so wird die Fügung im Allgemeinen palatalisiert, womit häufig eine Längung einhergeht. Aus [d], [t], [s] + [j] entstehen wiederum teilweise Affrikaten, die im Phoneminventar des Lateinischen noch unbekannt waren. [kj] > [t ] [s(t)j] > [ ], [ ] FACIA ( M ) > faccia BASIŬ ( M ) > bacio REVERSIARE > rovesciare [dj] > [(d) ] oder [dz] ANGUSTIA ( M ) > angoscia DIŬRNŬ ( M ) > giorno HODIE > oggi [tj] > [(t)ts] MEDIŬ ( M ) > mezzo PLATEA ( M ) > piazza SPATIŬ ( M ) > spazzo [lj, l(l)g] vor [e, i] > [ ] FORTIA ( M ) > forza FILIŬ ( M ) > figlio VI ˘ TI ˘ Ŭ ( M ) > vezzo COLL ( I ) GERE > cogliere [n(d)j] > [ ] VINĔA ( M ) > vigna VER ( E ) CUNDIA ( M ) > vergogna Ebenso wie [g] vor palatalem Vokal entwickelt sich auch der lateinische Halbvokal [j] zu [ ]. Geschrieben wurde er mit dem Graphem <i>, das den Vokal [i] und den Halbvokal [j] abbildet. Analog hierzu wurde das Graphem <v> im Lateinischen für den Vokal [u] und den Halbvokal [w] verwendet. Bei intervokalischem [j] tritt neben der Palatalisierung Längung zu [d ] ein. [j] > [(d) ] IŬVENEM > giovane IAM > già MAIŬM > maggio IENUARIŬ ( M ) > gennaio PEIŬS > peggio Der Nexus [sk] entwickelt sich vor palatalen Vokalen zu [ ] ( SCENA ( M ) > scena, SCIENTIA ( M ) > scienza). Der Labiovelar QU [kw] ist vor [a] bis heute erhalten ( QUALEM > quale, QUANDO > quando, QUATTUOR > quattro), während das labiale Element vor velaren Vokalen früh geschwunden ist, was schon in der Appendix Probi getadelt wird: equus non ecus. Auch vor Palatalen geht der labiale Halbvokal meist verloren, bleibt aber gelegentlich auch erhalten (z. B. QUINDECIM > quindici). [kw] vor e, i > [k] QUID > che QUAERERE > chiedere Die Auf hebung der Opposition der lateinischen Konsonanten [b] und [v] (wahrscheinlich als bilabialer Frikativ [ß] gesprochen) erfolgt meist zugunsten von [v] ( CABALLŬ ( M ) > cavallo, DEBERE > dovere, PROBATA > provata). Das Ergebnis kann aber auch umgekehrt als Betazimus ausfallen ( SERVARE > serbare). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 19 15.08.11 15: 17 <?page no="32"?> 20 Vom Latein zum Volgare Ein auf einen Konsonanten folgendes [l] wird zum Halbvokal [j]. Damit geht im Inlaut meist eine Längung des vorangehenden Konsonanten einher. [bl] > [(b)bj] [gl] > [gj] germ. BLANK > bianco GLACIA ( M ) > ghiaccio BLASPHEMARE > biasimare GLUTTŬ ( M ) > ghiotto NEB ( U ) LA ( M ) > nebbia [pl] > [(p)pj] [kl] > [(k)kj] PLANŬ ( M ) > piano CLAVE ( M ) > chiave PLANGERE > piangere CLAMARE > chiamare PLATEA ( M ) > piazza OC ( U ) LŬ ( M ) > occhio PLACERE ( M ) > piacere PLŬMBŬ ( M ) > piombo [fl] > [fj] COP ( U ) LA ( M ) > coppia F LAMMA ( M ) > fiamma TEMPLŬ ( M ) > tempio F LUME ( M ) > fiume F LORE ( M ) > fiore [tl] > [kl] > [kkj] CONF LARE > gonfiare VET ( U ) LŬ ( M ) > vecchio Bei intervokalischen Konsonantengruppen tritt eine totale regressive Assimilation an den folgenden Konsonanten mit dem Ergebnis eines Langkonsonanten auf. Nur [l] ist meist erhalten ( CAL ( I ) DŬ ( M ) > caldo): SŬBTŬS > sotto ADCAPTARE >accattare FACTŬ ( M ) > fatto FR G ( I ) DŬ ( M ) > freddo DOM ( I ) NA ( M ) > donna SCRIPTŬ ( M ) > scritto PON ( E ) RE > porre DORSŬ ( M ) > dosso PSŬ ( M ) > esso SPAT ( U ) LA ( M ) > spalla SEPTE ( M ) > sette Dementsprechend wird auch [ks] meist zu [ss] assimiliert ( AXIA ( M )- > asse, FRAXINŬ ( M ) > frassino), daneben aber auch zu [ ] ( LAXARE > lasciare, EXIRE > uscire). Konsonantismus Das Phoneminventar des klassischen Lateins kennt keine Affrikaten. Im Italienischen entstehen sie durch die Palatalisierung von [k] und [g] vor [e] und [i] ( VICINŬ ( M ) > vicino) und die Palatalisierung bestimmter Konsonanten vor [j] ( FORTIA ( M ) > forza). Auffällig ist außerdem die Entwicklung von Konsonant + [l] zu Konsonant + [j] ( F LORE ( M ) > fiore). 1.2.3 Die Morphosyntax im Umbruch In verschiedenen Bereichen der Morphosyntax kommt es zu Vereinfachungen. Sie führen zu einem Wandel, der die romanischen Sprachen typologisch deutlich vom Latein abweichen lässt. Dabei zeigen sich zwei wichtige Tendenzen, die das Vulgärlatein vom Latein unterscheiden und damit die Entwicklung zu den romanischen Sprachen charakterisieren. Eine erste besteht im Gegensatz von synthetischen und analytischen Konstruktionen. Flektierte Formen wei- Konsonant + [l] > Konsonant + [j] Totale regressive Assimilation Synthetisch und analytisch Reutner_Stb_sV-256_End.indd 20 15.08.11 15: 17 <?page no="33"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 21 Post- und Prädetermination Abbau des Kasussystems Deklinationsklassen Aufgabe des Neutrums chen Konstruktionen, deren Bestandteile synchron als eigenständige Wörter existieren und die Sprachform im Sprachgefühl des Sprechers durchsichtiger werden lassen. Die Entwicklung von synthetischen zu analytischen Strukturen bringt häufig als zweite Tendenz die Ablösung der Postdetermination durch die Prädetermination mit sich. Die morphosyntaktische Information folgt nun nicht mehr auf die lexikalische Form, sondern geht ihr voraus. Das klassische Latein kennt sechs Kasus. Diese werden im Vulgärlatein zunächst auf die beiden am häufigsten gebrauchten reduziert: den Nominativ als casus rectus und einen casus obliquus. Dieser geht auf den formalen Zusammenfall von Akkusativ und Ablativ zurück ( AMICUM , AMICO > amico; PORTAM , PORTA > porta). Er wird in der Funktion des direkten Objekts gebraucht oder nach Präpositionen, die im Vulgärlatein mehr und mehr zur Verdeutlichung der zuvor durch Kasusendungen ausgedrückten syntaktischen Beziehungen verwendet werden. Die Genitivmarkierung erfolgt dann z. B. durch DE (z. B. klat. FILIUS REGIS > vlat. FILIUS DE REGE > it. il figlio del re; fr. le fils du roi, sp. el hijo del rey), die Dativmarkierung durch AD (klat. DA LIBRUM PATRI > vlat. DA LIBRUM AD PATREM > it. da il libro al padre; fr. il donne le livre au père, sp. da el libro al padre). Damit werden die Lexeme nicht wie im klassischen Latein durch Endungen postdeterminiert, sondern durch Präpositionen prädeterminiert. Während einige wenige italienische Personenbezeichnungen auf den Nominativ zurückgehen (uomo < HOMO , re < REX , moglie < MULIER ), lebt ansonsten nur der casus obliquus weiter, der häufiger als der casus rectus gebraucht wurde. Für die Ausbildung der italienischen Nomen ist von der Form des casus obliquus auszugehen, dessen - M früh geschwunden ist: TERRA ( M ) > terra, POETA ( M ) > poeta, CAMPU ( M ) > campo, PANE ( M ) > pane, GENTE ( M ) > gente, DOLORE ( M ) > dolore, IMPERATORE ( M ) > imperatore. Das lateinische Kasussystem lebt in keiner romanischen Sprache weiter. Im Altfranzösischen, Altokzitanischen und Rumänischen ist ein Zweikasussystem erhalten, ansonsten gibt es die Kategorie Kasus nur noch bei Pronomina (z. B. lui, egli, gli, lo). Eine Vereinfachung gegenüber dem klassischen Latein zeigt sich auch im Nominalsystem. Aus den fünf Deklinationsklassen des klassischen Lateins wurden im Vulgärlatein drei, indem die vierte Deklination in der zweiten aufging ( FRUCTUS , - ŪS → FRUCTUS , - I ) und die fünfte in der ersten ( FACIES → * FACIA > faccia). Der Zusammenfall von - UM mit - US führt ferner zum Verlust des Neutrums. So sind die drei Genera des klassischen Lateins im Vulgärlatein auf zwei reduziert. Die Neutra gehen zu den Maskulina über ( MEMBRUM > membro, VINUM > vino), wobei ihr Plural meist entsprechend angepasst wird (pl. MEMBRA → membri). Einige Pluralformen auf - A bleiben jedoch „fossilisiert“ erhalten. In manchen Fällen entsteht so eine semantische Differenzierung zwischen der auf Neutrum Singular (z. B. LIGNUM , FOLIUM ) zurückgehenden maskulinen Singularform (il legno ‘Holz’, il foglio ‘Blatt Papier’) und der auf Neutrum Plural ( LIGNA , FOLIA ) zurückgehenden femininen Singularform (la legna ‘Brennholz’, la foglia ‘Blatt’), die dann eventuell selbst in den Plural gesetzt werden kann (le foglie ‘Laub’). In anderen Fällen entstehen zwei Pluralformen mit semantischer Dif- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 21 15.08.11 15: 17 <?page no="34"?> 22 Vom Latein zum Volgare Adjektive Komparativ Abb. 1.4 Steigerung der Adjektive in der Rand- und Zentralromania ferenzierung, so z. B. bei der Neutrumform BRACCHIU ( M ), die im Italienischen zu maskulinem il braccio ‘Arm’ wurde, das im Plural je nach Bedeutung i bracci ‘Arme eines Flusses’ oder le braccia ‘Arme des Menschen’ lautet. In anderen Fällen wird die Endung der Neutra auf Formen übertragen, die im klassischen Latein maskulin waren, so bei DIGITU ( M ) ‘Finger’ > il dito mit der Pluralform le dita oder bei MURU ( M ) ‘Mauer’ > il muro, das neben i muri ‘Mauern’ die Pluralform le mura ‘Stadtmauer’ kennt. Auch bei den Adjektiven schwindet das Neutrum: mask. BONUS und neutr. BONUM fallen zusammen (it. buono), daneben lebt fem. BONA fort (it. buona). Bei Adjektiven mit nur einer Form für Maskulinum und Femininum bleibt folglich nur eine einzige Endung erhalten ( GRANDIS > it. grande, TRISTIS > triste, FELIX > felice). So reduzieren sich die vier Typen klassisch-lateinischer Adjektive im Italienischen auf zwei (z. B. buono, -a und triste). Dass Adjektive der dritten Deklination im Vulgärlatein häufig in die erste und zweite Deklination übertreten, zeigen in der Appendix Probi z. B. die Mahnungen tristis non tristus und (mit Anpassung an das natürliche Geschlecht) pauper mulier non paupera mulier. Die Steigerung der Adjektive erfolgte im klassischen Latein durch morphologische Markierung am Wortstamm (z. B. ALTUS − ALTIOR − ALTISSIMUS ). Im Vulgärlatein werden diese synthetischen Formen durch Umschreibungen mit vorangestellten Partikeln ersetzt. Bei den Adjektiven auf - EUS , - IUS , - UUS findet sich schon im klassischen Latein die Umschreibung mit MAGIS / MAXIME aus lautlichen Gründen, z. B. IDONEUS − MAGIS IDONEUS − MAXIME IDONEUS , ARDUUS − MAGIS ARDUUS − MAXIME ARDUUS . Im 1. Jahrhundert n.- Chr. taucht dann eine neue Form mit PLUS / PLURIME auf: ALTUS − PLUS ALTUS − PLURIME ALTUS . Diese Neuerung setzt sich im Zentrum der Romania durch (fr. plus haut, it. più alto). Wie einige andere Innovationen auch (vgl. S. 28 f.) erreicht sie die Randgebiete hingegen nicht. Die ältere vulgärlateinische Form lebt so auf der Pyrenäenhalbinsel, in Südwestfrankreich Reutner_Stb_sV-256_End.indd 22 15.08.11 15: 17 <?page no="35"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 23 (Gaskogne) und in Rumänien weiter (pg. maís alto, sp. más alto, kat. més alt, rum. mai înalt). Besonders häufige synthetische Formen bleiben allerdings bewahrt (migliore, peggiore, maggiore, minore; Adverbien: meglio, peggio, meno), während die Superlativformen ottimo, pessimo, massimo, minimo gelehrte Entlehnungen sind, ebenso wie das Suffix -issimo für den absoluten Superlativ. Die neuen aus dem Komparativ und dem bestimmten Artikel gebildeten Formen (it. il più alto, fr. le plus haut) fungieren heute als relativer Superlativ (s. Abb. 1.4). Das Latein ist durch eine ausgesprägte Postdetermination gekennzeichnet. Morphosyntaktische Beziehungen werden am Wortende markiert. Die romanischen Sprachen sind in stärkerem Ausmaß durch prädeterminierte Formen charakterisiert. Dieser Unterschied zeigt sich z. B. im Ersatz von postdeterminierenden Kasusendungen durch prädeterminierende Präpositionen (z. B. PATRIS → del padre) oder von postdeterminierenden Steigerungsmorphemen durch prädeterminierende Partikel (vgl. ALTIOR → più alto). Von der Postzur Prädetermination Die Adverbialbildung durch die Endungen - E ( LONGE ) und - ITER ( BREVITER ) wird durch die Periphrase Adjektiv (in der weiblichen Form) + MENTE (Ablativ von femininem MENS ‘Geist’) abgelöst ( SEVERA MENTE ‘in strengem Geiste/ Sinne, auf strenge Weise’). Das ursprüngliche Nomen MENTE wird so zum Adverbialsuffix und damit zu einem rein grammatischen Morphem. Ein solcher Wandel von einer lexikalischen Einheit zur morphosyntaktischen Kategorie wird als Grammatikalisierung bezeichnet. Mit Ausnahme des Rumänischen findet sich diese Adverbialbildung überall in der Romania (it./ pg./ sp. severamente, fr. sévèrement). Nirgendwo in der Romania hat sich das Futur des klassischen Lateins erhalten. Der Schwund dieser Verbform lässt sich einerseits durch das Streben nach Vereinfachung erklären, denn die Futurbildung war uneinheitlich und folglich kompliziert ( CANTABO , CANTABIS …; DELEBO , DELEBIS …; aber: VENDAM , VEN - DES …; AUDIAM , AUDIES ….). Andererseits mag Homophonie, also der lautliche Zusammenfall einiger Formen, den Schwund begünstigt haben. So wird durch > E das Präsens VENDIT zu VENDET , das mit der Futurform zusammenfällt, und durch - B zu - V das Futur CANTABIT zu CANTAVIT , das der Perfektform entspricht. Der wohl wichtigste Grund für die Aufgabe der synthetischen Futurbildung war aber wohl die Tendenz zu ausdrucksstärkeren Periphrasen mit futurindizierenden Modalverben, also der Ersatz von „ich werde singen“ durch Periphrasen wie „ich will/ muss/ habe zu singen“: VOLO / VOLEO CANTARE ‘ich will singen’, DEBEO CANTARE ‘ich muss singen’, VENIO AD CANTARE ‘ich komme, um zu singen’ (vgl. frz. je vais chanter) und HABEO ( DE / AD ) CANTARE bzw. CANTARE HABEO ‘ich habe zu singen’. Der zuletzt genannte Typ mit nachgestelltem HABEO ist für die romanischen Sprachen am wichtigsten geworden. So sind in den italienischen Futurendungen (canter)ò, -ai, -à, -emo, -ete, -anno synchron gesehen die Formen von HABERE zum Teil noch erkennbar, doch ist dies den Sprechern nicht bewusst, die die Formen als Infinitiv + Futurendung interpretieren. Eine ganz neue Tempusform wird mit dem condizionale gebildet. Ähnlich wie das Futur enthält es neben dem Infinitiv des Verbs eine Form von HABERE . In den meisten romanischen Sprachen handelt es sich um eine Imperfektform Adverbien Futur Konditional Reutner_Stb_sV-256_End.indd 23 15.08.11 15: 17 <?page no="36"?> 24 Vom Latein zum Volgare Perfekt Passiv (fr. chanterais < chanter + avais, sp. cantaría < cantar + había), im Italienischen hingegen um Perfektformen (it. canterebbe < cantare + ebbi < CANTARE HABUI , canteresti < cantar + avesti < HABUISTI , canterebbe < cantar + ebbe < HABUIT ). Formen des klassisch-lateinischen synthetischen Perfekts (z. B. CANTAVI ) leben im Italienischen im passato remoto fort (> it. cantai), im Französischen im passé simple (> fr. je chantai) und im Spanischen im pasado indefinido (> sp. canté). Daneben entsteht ein neues, analytisches Perfekt aus HABERE + Partizip Perfekt Passiv, das passato prossimo ( HABEO CANTATUM > it. ho cantato) oder passé composé (> fr. j’ai chanté) bzw. pretérito perfecto (> sp. he cantado). Diese Entwicklung ist in drei Stufen verlaufen: Im klassischen Latein hatte das Partizip noch rein passivische Bedeutung: magister habet scriptum librum ‘der Lehrer hat ein Buch, das geschrieben worden ist’, wobei nicht festgelegt ist, wer es geschrieben hat, er selbst oder jemand anderes. Im Vulgärlatein nimmt das Partizip eine perfektische Bedeutung an: magister habet scriptum librum ‘der Lehrer hat ein geschriebenes Buch, ein Buch, das fertig geschrieben ist’, d. h. die Handlung des Schreibens ist abgeschlossen. Auf dieser Stufe ist impliziert, dass er es selbst geschrieben hat. In einem weiteren Schritt wird HABERE dann zum Hilfsverb, so dass der ganze Ausdruck reine Vergangenheitsbedeutung hat: il professore ha scritto un libro ‘der Lehrer hat ein Buch geschrieben’. Die Formen des klassisch-lateinischen präsentischen Passivs ( LAUDOR , LAUDA - RIS , LAUDATUR , …) werden im Vulgärlatein häufig durch andere Konstruktionen wie das Reflexivum (vgl. it. il grano si macina ‘das Korn wird gemahlen’) oder den aktivischen Ausdruck ( DICITUR → DICUNT > it. dicono) ersetzt und gehen schließlich unter. Was jedoch erhalten bleibt, ist das perfektische Passiv LAU - DATUS SUM , das nach und nach präsentische Bedeutung annimmt. Vulgärlateinisches LAUDATUS SUM bedeutet also bald nicht mehr ‘ich bin gelobt worden’, sondern ‘ich werde gelobt’ > it. sono lodato. Neben dem mit Formen von essere gebildeten Zustandspassiv entwickelt sich in den einfachen Zeitformen des Italienischen ein Vorgangspassiv mit venire (vengo lodato). Die analytischen Passivformen aus vorangestelltem flektiertem Hilfsverb und partizipialem Vollverb lösen die synthetischen Formen des klassischen Lateins ab. Von synthetischen zu analytischen Formen Latein ist durch synthetische Konstruktionen gekennzeichnet, d. h. durch Konstruktionen, die im Sprachgefühl des Sprechers etymologisch undurchsichtig sind. Die romanischen Sprachen sind in stärkerem Ausmaß durch analytische Konstruktionen charakterisiert, also durch Formen, die die Informationen in selbständige Wörter ausgliedern. Dieser Unterschied manifestiert sich in den vulgärlateinischen Verbformen beim Schwund des synthetischen präsentischen Passivs und dessen Ersatz durch Formen des analytischen perfektischen Passivs (klat. LAU - DOR → vlat. LAUDATUS SUM > it. sono lodato), bei der Bildung des passato prossimo aus HABERE + Partizip Perfekt Passiv, das das synthetisch gebildete passato remoto als Nachfolger des klassisch-lateinischen Perfekts in Norditalien ablöst (klat. CANTAVI → vlat. HABEO CANTATUM > it. ho cantato), aber auch im Schwund des synthetischen Futurs und der Entstehung analytischer Futurformen (z. B. klat. CANTABO → vlat. CANTARE HABEO ), die inzwischen grammatikalisiert sind und vom Sprecher synchron wieder synthetisch aufgefasst werden (> it. canterò). Ferner zeigt Reutner_Stb_sV-256_End.indd 24 15.08.11 15: 17 <?page no="37"?> Der Ursprung im Vulgärlatein 25 Progressiver Aspekt Deponentia Konstituentenabfolge Bestimmter Artikel sich der typologische Unterschied beim Abbau des Kasussystems durch Präpositionalsyntagmen zum Ausdruck der Kasusbeziehungen (z. B. klat. PATRI → vlat. AD PATREM > it. al padre), bei der Steigerung von Adjektiven (klat. ALTIOR → vlat. PLUS ALTUS > it. più alto) sowie zunächst auch beim Ersatz synthetisch gebildeter Adverbialformen durch Adjektiv + MENTE , das aber heute wieder verschmolzen ist und als Einheit interpretiert wird (klat. BREVITER → vlat. BREVE MENTE > it. brevemente). Eine weitere Neuerung des Vulgärlateins sind periphrastische Verbformen zum Ausdruck des progressiven Aspekts, z. B. ESSE + Gerundium: EST SCRIBEN - DO ‘er ist am Schreiben’, STARE + Gerundium: STAT SCRIBENDO > it. sta scrivendo (sp. está escribiendo), ESSE oder STARE + AD + Infinitiv > regional fr. il est à écrire. Nachfolger dieser Formen haben sich in allen romanischen Sprachen außer im Standardfranzösischen durchgesetzt. Das klassische Latein kennt eine Gruppe von Verben mit passiver Form und aktiver Bedeutung. Diese Deponentia gehen in die aktive Konjugation über ( MORI > MORIRE , MENTIRI > MENTIRE ). Ferner kommt es häufig zur Vermischung von Konjugationsklassen, vor allem zwischen der zweiten und der dritten Konjugation, z. B. RIDĒRE (zweite Konjugation) > RIDĔRE (dritte Konjugation), SAPĔRE (dritte Konjugation) > SAPĒRE (zweite Konjugation). Die übliche Abfolge der einzelnen Satzteile ist im klassischen Latein Subjekt-Objekt-Prädikat (S-O-P, Petrus Paulam amat ‘Peter liebt Paula’). Doch prinzipiell ist das Latein durch eine freie Wortstellung gekennzeichnet. Sowohl Petrus amat Paulam, als auch Paulam amat Petrus und Paulam Petrus amat sind möglich. Gegenüber der syntaktischen Freiheit des klassischen Lateins setzt sich im Vulgärlatein eine festere Wortfolge durch. So wird Subjekt-Prädikat- Objekt (S-P-O, Petrus amat Paulam) zu der im heutigen Italienisch üblichen Konstituentenabfolge. Diese Vereinheitlichung wird dadurch begünstigt, dass die Endungen lautlich zusammengefallen sind und keine syntaktische Funktion mehr übernehmen konnten. In manchen Fällen treten zwar Präpositionalkonstruktionen für die Kasus ein, doch gerade Subjekt und direktes Objekt werden nicht durch Präpositionen differenziert. Eine der auffälligsten Erscheinungen des Vulgärlateins ist aber die Herausbildung eines bestimmten Artikels. Im Gegensatz zum Griechischen kennt das klassische Latein keinen Artikel. Als auslösender Faktor für die Einführung wird daher ein Einfluss des griechischen Adstrats angenommen. Entstanden ist der bestimmte Artikel aus den Demonstrativa ILLE (vlt. ILLU ) und IPSE (vlt. IPSU ), die allmählich ihren demonstrativen Wert verloren und abgeschwächt wurden, wie es schon in spätlateinischen Texten (z. B. der Mulomedicina) zu beobachten ist. Die Entstehung eines bestimmten Artikels aus dem Demonstrativum im Vulgärlatein ist kein Einzelfall, denn auch in anderen indogermanischen Sprachen ist eine solche Entwicklung eingetreten, und gegenwärtig lässt sich ein analoges Phänomen in französischen Kreolsprachen beobachten. Insofern wäre die Annahme griechischen Einflusses gar nicht notwendig, doch kommt in lateinischen Bibelübersetzungen aus dem Griechischen ILLE in Artikelfunktion tatsächlich besonders häufig als Übersetzung des griechi- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 25 15.08.11 15: 17 <?page no="38"?> 26 Vom Latein zum Volgare schen Artikels vor. In den meisten romanischen Sprachen leben Formen von ILLU , ILLA weiter (it. il, la), während sich IPSU , IPSA im Sardischen, Katalanischen und Gaskognischen erhalten hat. Zu den sprachtypologischen Unterschieden zwischen dem Latein und den romanischen Sprachen werden noch typologische Unterschiede innerhalb der romanischen Sprachen kommen, die u. a. die Pluralbildung betreffen und Gegenstand des folgenden Kapitels sind. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 26 15.08.11 15: 17 <?page no="39"?> Hispania Gallia 2 I primi passi del volgare: Die Herausbildung der Volkssprache 2.1 Vom Vulgärlatein zum Volgare: Die Ausgliederung der-romanischen Sprachen und italienischen Dialekte Eine der zentralen Fragen der Romanistik ist, warum und wie aus der Einheit des Lateins die Vielfalt der romanischen Sprachen und Dialekte entstanden ist. Dabei ist zunächst daran zu erinnern, dass die Basis der romanischen Sprachen nicht das klassische Latein ist, sondern das Vulgärlatein als gesprochene Alltagssprache des Volkes, die räumlich, zeitlich und sozial unterschiedlich ausgeprägt ist. 2.1.1 Der Zeitpunkt und die Art der Romanisierung Für die Ausgliederung der romanischen Sprachen ist damit die Frage wichtig, wer welche Form des Lateins wann wohin getragen hat. Als Grundlage der Antwort hierauf seien zunächst kurz relevante Momente der Ausbreitung des Römischen Reichs skizziert. Die römische Zeitrechnung (ab urbe condita) beginnt 753 v.-Chr., als Rom der Überlieferung nach gegründet wurde. Auf die Eroberung Mittelitaliens folgt der Krieg mit den griechischen Städten Unteritaliens. Der von der Stadt Tarent zu Hilfe geholte König Pyrrhus von Epirus erreicht verlustreiche Siege (daher der Ausdruck Pyrrhus-Sieg) in Heraclea und Ausculum, wird aber 275- v.- Chr. bei Benevent besiegt. Drei Punische Kriege gelten der Auseinandersetzung des aufstrebenden Römischen Reichs mit der alteingesessenen See- und Handelsmacht Karthago: Im ersten (264−241 v.-Chr.) gewinnt Rom Sizilien (außer Syrakus) und 238 v.- Chr. Sardinien und Korsika, im zweiten (218−201- v.- Chr.) die sodann 197 v.- Chr. etablierten Provinzen Hispania citerior (später auch Tarraconensis) und Hispania ulterior (später in Lusitania und Baetica geteilt) und im dritten (149−146 v. Chr.) wird der Konkurrent Karthago völlig zerstört. 200−191 v.-Chr. werden die im Keltenkrieg (225−222 v.-Chr.) bereits eroberten, durch den Italienfeldzug Hannibals im zweiten Punischen Krieg aber wieder verloren gegangenen Teile Norditaliens zurückerobert und der neugegründeten Gallia cisalpina einverleibt. Es folgen 125−120 v.- Chr. die Eroberung Südgalliens (Gallia Narbonensis) und 58−51 v.-Chr. die Eroberung ganz Galliens durch Julius Caesar (Aquitania, Lugdunensis und Belgica). Unter Augustus kommt es zur endgültigen Befriedung der iberischen Halbinsel und zur Eingliederung der Alpengebiete und des nördlichen Alpenvorlands in das Herrschaftsgebiet, das mit der Unterwerfung von Noricum und Raetia 15 v.- Chr. erstmalig alle Gebiete des heutigen Italiens umfasst. Kaiser Trajan gründet 107 n.-Chr. die Provinz Dakien (teils heutiges Rumänien) und führt das Römische Reich zu seiner maximalen Ausdehnung. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 27 15.08.11 15: 17 <?page no="40"?> 28 Vom Latein zum Volgare Romania submersa Abb. 2.1 Das Römische Reich in seiner maximalen Ausdehnung unter Trajan (117 n. Chr.) Rand und Zentrum Ältere und neuere Formen Erobert werden weitere Gebiete im heutigen Südwestdeutschland, Österreich, England und in Nordafrika. Sie gehören zur Romania submersa, der verlorenen Romania, denn hier sollte die lateinische Sprache in Folge der Völkerwanderung wieder verschwinden. Schon die drei Jahrhunderte umfassende Zeitspanne zwischen der frühen Eroberung Hispaniens und der späten Dakiens verdeutlicht, dass in die entsprechenden Provinzen unterschiedliche Formen des Lateins gebracht werden. Dennoch ist beiden Gebieten gemeinsam, dass sie an den Rändern der Romania liegen und damit teilweise ältere Sprachformen bewahren, anstatt Neuerungen zu rezipieren, die im Zentrum auf kommen − ein Phänomen, das Weltsprachen, und eine solche ist das Latein zur damaligen Zeit, generell zeitigen: Egal ob es sich um das Französische in Quebec, das Spanische in Chile oder das Englische in den USA handelt, immer wieder finden sich am Rande eines Sprachgebietes Ausdrücke, die aus zentralistischer Sicht als archaisch bezeichnet werden, was natürlich nicht ausschließt, dass umgekehrt auch am Rande Neuerungen entstehen, die wiederum Formen des Zentrums altmodisch erscheinen lassen. So sind z. B. im Quebecer Französisch noch die alten Maßeinheiten erhalten, die in Frankreich mit der französischen Revolution abgeschafft wurden (vgl. z. B. regionales fr. arpent als Längenmaß, acre für die Oberflächenmessung oder pinte für Volumina). Die Gründe für die Bewahrung älterer Formen in Randgebieten reichen von Isolation bis zu einem bewussten Festhalten an konservativen Formen, wie es teilweise für die iberische Halbinsel dokumentiert ist. In den Randgebieten der europäischen Romania gehen z. B. die Formen für „bitten“ pg./ sp. rogar und rum. a ruga auf älteres ROGARE zurück, während die Ausdrücke des Zentrums fr. prier und it. pregare jüngeres PRECARE fortsetzen. Ähnlich basieren bei den Formen für „finden“ pg. achar und sp. hallar auf älte- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 28 15.08.11 15: 17 <?page no="41"?> Die Herausbildung der Volks sprache 29 Abb. 2.2 Rand- und Zentralromania am Beispiel der Formen für „kochen“ Bevölkerungsstruktur rem AFF LARE , fr. trouver und it. trovare hingegen auf jüngerem TROPARE . Bei den Formen für „kochen (den Siedepunkt erreichen)“ setzen pg. ferver, sp. hervir und rum. a fierbe älteres FERVERE fort, fr. bouillir und it. bollire dagegen jüngeres BULLIRE . Bei den Formen für „Schulter“ gehen pg. ombro, sp. hombro und rum. umăr auf älteres HUMERUM zurück, fr. épaule und it. spalla auf jüngeres SPATULAM . Dieser innovative Charakter des Zentrums zeigte sich auch schon bei der Steigerung von Adjektiven (vgl. S. 22 f.), die in der Randromania mit pg. mais, sp. más und rum. mai auf der älteren Partikel MAGIS basiert, in der Zentralromania mit fr. plus und it. più hingegen auf der jüngeren Variante PLUS . Randromania Zentralromania lat. pg. sp. rum. lat. frz. it. ROGARE rogar rogar a ruga PRECARE prier pregare AFF LARE achar hallar TROPARE trouver trovare FERVERE ferver hervir a fierbe BULLIRE bouillir bollire HUMERUS ombro hombro umăr SPATULA épaule spalla MAGIS ALTUS mais alto más alto mai înalt PLUS ALTUS plus haut più alto Randromania und Zentralromania Doch der archaischere Charakter der lateinischen Grundlage des Spanischen erklärt sich nicht nur mit der Randlage Hispaniens. Auch die Bevölkerungsstruktur trägt entscheidend dazu bei. Die Provinzen in Hispanien sind hochattraktiv und damit begehrter Ort für römische Patrizier. Frankreich hingegen zieht Soldaten, Händler, Beamte an, Dakien eher Kriegsveteranen, die Land bekommen und es landwirtschaftlich nutzen. Dies erklärt mit, weshalb sich auf der Reutner_Stb_sV-256_End.indd 29 15.08.11 15: 17 <?page no="42"?> 30 Vom Latein zum Volgare Behandlung des auslautenden -s Soziale Differenzierung iberischen Halbinsel mit comer der Nachfolger einer gewählteren Ausdrucksweise ( COMEDERE ) hält, wohingegen sich in Frankreich und Italien die volkstümlichere Form MANDUCARE (fr. manger > it. mangiare) durchsetzt (vgl. S.-10 f.). Die gesellschaftliche Schicht der Kolonialherren reflektiert sich aber nicht nur im Wortschatz, sondern hat auch entscheidende Auswirkungen auf die Morphologie. Sie bestimmt die Behandlung des auslautenden -s, eines der Hauptkriterien zur Unterscheidung zwischen einer Westromania (mit der iberischen Halbinsel, Frankreich und Norditalien) und einer Ostromania (mit Rumänien, Mittel- und Süditalien, vgl. S. 42 f.). Während das -s in der Westromania zum Zeichen des aus Formen des Akkusativs entwickelten Plurals wird (fr. les murs, sp. los muros), wird in der Ostromania der Plural durch Formen des Nominativs gebildet (it. i muri). Ebenso erscheint -s in der zweiten Person Singular der westromanischen Verben ( CANTAS > fr. chantes, pg./ sp. cantas), nicht aber der ostromanischen (> it. canti, rum. cînti). Inwiefern hat sich dieser regionale Unterschied nun aus einem sozialen entwickelt? Schon im Altlatein bleibt das -s auf Inschriften vielfach ausgespart. In der gesprochenen Sprache wird es satzphonetisch vor Konsonant weggelassen und vor Vokal gesprochen (optimus rex − optimus omnium) wie teilweise bis heute im Französischen (les plantes − les amis). Dann aber folgt in der gehobenen Sprache überall eine Restitution des -s. Es gilt jetzt auch in der Sprechsprache der Gebildeten als unfein, das -s wegzulassen. Die einfache Bevölkerung bleibt jedoch bei der Aussprache ohne -s. Diese ursprünglich soziale Differenzierung wird zu einer regionalen: In der Ostromania findet sich die Aussprache ohne--s ( DUOS > it. due, rum. doi), in der Westromania ist das -s hingegen erhalten (afr. deus, nfr. deux, pg. dois, sp. dos). Erklärt wurde dies damit, dass in Italien die rustikale Bevölkerung überwiegt und Dakien ausgehend von Italien (u. a. mit Kriegsveteranen) kolonisiert wird. Die Romanisierung von Gallien und Iberien hingegen geht von den Städten aus. In ihnen haben sich die gesellschaftlich maßgeblichen Schichten niedergelassen, die zusammen mit dem Schulunterricht und der Verwaltung ein eher schriftsprachliches Latein verbreiten. Von chronologischen und soziolektalen zu regionalen Unterschieden Die Ausdifferenzierung der romanischen Sprachen hängt entscheidend mit der internen Differenzierung des Vulgärlateins zusammen. Chronologische Unterschiede ergeben sich durch den unterschiedlichen Zeitpunkt der Romanisierung und die Intensität der Kontaktwahrung zum Zentrum. So finden sich archaischere Formen in der Randromania, neuere in der Zentralromania (sp. más alto versus it. pìu alto, fr. plus haut). Soziolektale Unterschiede sind eine Folge der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur unter den Kolonisatoren. Gewähltere Formen wurden in Gebiete getragen, die von höheren Schichten kolonisiert wurden, einfachere in Gebiete mit eher rustikaler Bevölkerung (Erhalt des auslautenden -s in Spanien und Frankreich, aber Aufgabe in Italien und Rumänien). Diese chronologischen wie soziolektalen Unterschiede in der lateinischen Grundlage münden in regionale Unterschiede und bestimmen als solche die Vielgestaltigkeit der romanischen Sprachen bis heute mit. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 30 15.08.11 15: 17 <?page no="43"?> Die Herausbildung der Volks sprache 31 Sprachkontakt Abb. 2.3 Substrat, Adstrat und Superstrat Substrat Festlandkeltisch (gallisch) Etruskisch Oskisch-Umbrisch Griechisch 2.1.2 Der Kontakt mit fremden Sprachen Die interne Differenzierung des Vulgärlateins ergibt sich aber nicht nur aus Divergenzen im Zeitpunkt und in der Art der Romanisierung, sondern auch aus Kontakten zu anderen Kulturen. Deren Sprachen können als Substrate, Superstrate oder Adstrate auf das Vulgärlatein und die romanischen Volkssprachen einwirken. Die Substratsprachen werden in Italien und im späteren Imperium Romanum vor der Romanisierung gesprochen, d. h. vor der politischen und militärischen Unterwerfung durch Rom und der darauffolgenden Ausbreitung des Lateins. In der Periode der Zweisprachigkeit wirken sie bis zu ihrem Untergang auf das Stratum, das Lateinische, ein. Schon Ende des 5. Jahrhunderts v.- Chr. dringen keltischsprechende (celtico) gallische Völker in den Nordwesten der Apenninenhalbinsel ein. Sie können ihr Herrschaftsgebiet in Oberitalien festigen und hinterlassen im Westen Norditaliens so starke Spuren, dass die entsprechenden Dialekte als galloitalienisch bezeichnet werden (vgl. 2.2.2). Nicht ohne Grund nimmt die wichtigste Sprachgrenze der Romania, die Linie La Spezia-Rimini (vgl. S. 41), einen ähnlichen Verlauf wie die Grenze der Siedlungsgebiete von Galliern und Etruskern. Die Etrusker besiedeln Gebiete, die in ihrem Kern die heutige Toskana umfassen. Ihre Sprache, das Etruskische (etrusco), ist die wichtigste vorindogermanische Sprache Italiens und hat v. a. Auswirkungen auf das Lateinische. Doch wurde ihr immer wieder auch die sogenannte gorgia toscana (vgl. S.- 48) zugeschrieben. Im Süden der Halbinsel können oskisch-sprechende Stämme ihre Herrschaft ausbauen. In einem Gebiet, das über das heutige Umbrien hinausgeht, wird umbrisch gesprochen. Der oskisch-umbrischen Substratsprache (osco-umbro) werden eine Beeinflussung der vulgärlateinischen Monophthongierung von klat. AE und AU zugeschrieben sowie Merkmale süditalienischer Dialekte wie die Assimilation von - ND - > -nn- oder - MB - > -mm-. Schon ab dem 8. Jahrhundert v.-Chr. setzt eine massive Kolonisierung Süditaliens durch die Griechen ein. Wichtige Städte der Magna Graecia sind z. B. Neapel, Kroton, Sybaris (daher der Ausdruck Sybarit), Tarent sowie das sizilia- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 31 15.08.11 15: 17 <?page no="44"?> 32 Vom Latein zum Volgare Weitere Substrate Adstrat Superstratsprachen Ostgoten Byzanz Langobarden nische Syrakus und Akragas (> Agrigento). Griechisch (greco) ist damit u. a. ein süditalienisches Substrat. Weitere Substratstratsprachen haben außer in der Toponymie kaum Spuren hinterlassen: im Norden Lepontisch (lepontico), Ligurisch (ligure), Rätisch (retico), Paläovenetisch (paleovenetico); in Mittelitalien u. a. Faliskisch (falisco), Pikenisch (piceno); in Apulien Messapisch (messapico); auf Sardinien Paläosardisch (paleosardo − ihre Sprecher sind die Erbauer der Steinbauten Nuragen); auf Sizilien Elymisch (elimo), Sikulisch (siculo) und Sikanisch (sicano). Die Römer betreiben keine aktive, repressive Sprachpolitik. Sie versuchen also nicht, den von ihnen besiegten Völkern ihre Sprache aufzuzwingen. Vielmehr haben die römische Kultur und die lateinische Sprache in den Augen der unterworfenen Stämme und Völker ein so hohes Prestige inne, dass diese es als vorteilhaft und ehrenvoll ansehen, Latein zu sprechen. Nur das Griechische genießt als Träger einer großen Kultur ein noch höheres Ansehen und kann sich daher gegenüber dem Latein als Kulturadstrat behaupten, während die anderen Sprachen mit der ab dem 4. Jahrhundert v.- Chr. einsetzenden Expansion untergehen. Im Vorgriff auf das frühe Mittelalter sollen an dieser Stelle auch schon die Superstratsprachen vorgestellt werden, d. h. v. a. die in der Zeit der Völkerwanderung von den germanischen Eroberern mitgebrachten Sprachen. Andere einflussreiche Sprachen sind das Griechische und das Arabische. Beide wirken aber stärker als Kulturadstrat denn als Superstrat. Die Superstratsprachen koexistieren einige Jahrhunderte lang mit dem Vulgärlatein bzw. dem Romanischen in statu nascendi, lösen dann aber keinen Sprachwechsel aus, sondern verschwinden ihrerseits wieder − nicht ohne das Vulgärlatein bzw. das Romanische zu beeinflussen. Unter Theodorich dem Großen besiegen die Ostgoten (ostrogoti) Odoaker, den Nachfolger des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus nach dem Ende des Weströmischen Reichs (476 n. Chr.), und errichten ein Herrschaftsgebiet mit der Hauptstadt Ravenna. Aufgrund der kurzen Dauer des Ostgotenreichs (493−553) hinterlassen sie nur wenige Ausdrücke, darunter astio ‘Groll, Missgunst’, stecca ‘Stab, Stange’ und smaltire ‘verdauen’. Nach Theodorichs Tod versucht der byzantinische Kaiser Justinian die Einheit des west- und ostmömischen Reichs wieder herzustellen. Mit den Gotenkriegen (535−555) wird Italien zur oströmischen Provinz. Doch nach dem Einfall der Langobarden 568 verbleiben nur noch Teile der Halbinsel unter byzantinisch-griechischem Einfluss. Erwähnt seien das Exarchat von Ravenna (Ostemilia, Romagna und zunächst auch Venedig, das später ein eigenes Herzogtum wurde) sowie Südapulien, Südkalabrien und Sizilien. Die bereits durch die Magna Graecia etablierte Gräzität Unteritaliens (Substrat) wird durch die byzantinische Herrschaft (Superstrat) deutlich gestärkt. Besonders nachhaltig aber wirkt das Griechische als Kulturadstrat auf das Lateinische (und später auf die romanischen Sprachen) ein. 568 dringen die Langobarden (longobardi) nach Italien vor und bauen dort ein Reich mit der Hauptstadt Pavia auf, das bis zur Eroberung durch die Fran- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 32 15.08.11 15: 17 <?page no="45"?> Die Herausbildung der Volks sprache 33 Abb. 2.4 Kaiser Karl der Große, Albrecht Dürer Franken Germanismen Entlehnungsgründe ken 773/ 774 Bestand hat. Es umfasst Oberitalien, die Toskana und die weitgehend selbständigen Herzogtümer Spoleto und Benevent. Letzterem werden Kampanien, die Basilikata, Nordapulien und Nordkalabrien zugeschlagen. Das wohl wichtigste sprachliche Zeugnis ist der Name Langobardia, der zunächst für ganz Italien steht und erst später eine Bedeutungsverengung auf Norditalien und dann die Lombardei erfährt. Weitere Entlehnungen aus dem Langobardischen sind panca und palla, die die (gegenüber banca, balla) die zweite Lautverschiebung zeigen und daher nicht gotisch sein können, sowie schermo, scherno, snello, stormo, deren Vokalismus nicht gotisch ist. Im Unterschied zu den gotischen Wörtern, die auch in Südfrankreich und Spanien verbreitet sind (Tolosanisches Westgotenreich 419−507, Hauptstadt Toulouse; dann Toledanisches Westgotenreich 507−711, Hauptstadt Toledo), sind die Entlehnungen aus dem Langobardischen mehr auf Italien beschränkt. Der Eroberung des Langobardenreichs durch die Franken (franchi) im Jahre 774 kann sich nur das Herzogtum Benevent noch fast weitere 300 Jahre entziehen. Der König der Franken ist der im Jahre 800 zum Kaiser gekrönte und 814 in der Aachener Pfalzkapelle bestattete Karl der Große. Mit der militärischen Aktion will er v. a. dem Papst beistehen. Daher bleiben die Franken nicht als Kolonisatoren, sondern ziehen sich nach vollbrachtem Werk mehrheitlich zurück. So wirkt das Fränkische v. a. über das stark fränkisch durchsetzte Mittellatein (latino merovingio) und über das Galloromanische als Kulturadstrat auf das Volgare ein, wie im Falle der Ausdrücke bianco, biondo, grigio; bosco, giardino; guarire, guadagnare. Die Germanismen des Italienischen sind also unterschiedlicher Herkunft. Einerseits gibt es germanische Adstratwörter, die in der Kaiserzeit durch Handelsbeziehungen oder germanische Soldaten im römischen Heer ins Vulgärlatein gelangen und sich in ganz Italien bzw. in der ganzen Romania ausbreiten wie z. B. it. fresco, guerra, sapone (fr. frais, guerre, savon; sp. fresco, guerra, jabón). Andererseits finden sich Lehnwörter aus der Zeit der Völkerwanderung, die mit der Herrschaft der Goten, Langobarden und Franken direkt aus dem jeweiligen Superstrat ins Italienische entlehnt werden. Zudem gelangen viele Germanismen über das Mittellatein und Französische ins Italienische. An diesen kurzen Einblick in die Zuordnung der Germanismen zu den verschiedenen historischen Schichten als Adstrate oder Superstrate seien noch Gründe für die Übernahme der Wörter angeschlossen, die kulturgeschichtlicher, struktureller und wahrnehmungspsychologischer Art sind. Kulturgeschichtliche Gründe wie der Stoff handel oder die wichtige Rolle der Germanen in der Reiterei des römischen Heeres erklären die Entlehnung von Farbbezeichnungen wie bianco, blu, bruno, grigio, falbo. Strukturelle Gründe spielen dort eine Rolle, wo der lateinische Wortschatz Lücken aufweist. So wird − aufgrund der uneinheitlichen Deklination von FEMUR und des lautlichen Zusammenfalls von FEMUR ‘Oberschenkel’ und F MUS ‘Mist’ − FEMUR durch COXA (eigentlich ‘Hüfte’) ersetzt, das in it. coscia weiterlebt (fr. cuisse, pg. coxa). Damit entsteht eine Bezeichnungslücke für die Hüfte, die mit dem germanischen Wort * HANKA ‘Hüfte’ geschlossen wird (it. anca, fr. hanche, pg./ sp. anca). Weitere Reutner_Stb_sV-256_End.indd 33 15.08.11 15: 17 <?page no="46"?> 34 Vom Latein zum Volgare Araber Körperteilbezeichnungen, die auf das Germanische zurückgehen, sind it. schiena ‘Rücken’ (germ. * SKINA ‘Holzstange’ > fr. échine, sp. esquena ‘Wirbelsäule’, dt. Schienbein), it. fianco ‘Seite’ (über fr. f lanc auch sp. f lanco) und it. guancia (<-lang. *W ANKJA ). Dass viele Germanismen expressive Wörter oder solche mit pejorativer Bedeutung sind, lässt sich wahrnehmungspsychologisch mit negativen Fremdbildern begründen. Die ablehnende Reaktion der Romanen auf die germanischen Einwanderer bedingt die Übernahme von Wörtern wie aizzare ‘hetzen’, arraffare ‘entreißen, raffen’, arruffare ‘verwirren, (Haare) sträuben’, baruffa ‘Rauferei’, bisticciare ‘zanken’, bussare ‘klopfen’, buttare ‘werfen’, grifagno ‘grimmig, raubgierig’, ribaldo ‘ruchlos; Schurke’. Zeugen einer höheren Kultur sind demgegenüber die Germanismen aus späterer, karolingischer Zeit, z. B. die Feudalterminologie mit Ausdrücken wie feudo, barone oder vassallo. Nicht zuletzt seien die Araber erwähnt, die 827 Sizilien erobern und die Insel bis zur Eroberung durch die Normannen im 11. Jahrhundert besetzt halten. So finden sich im Sizilianischen viele arabische Superstratelemente, während die Arabismen der italienischen Gemeinsprache meist über die iberische Halbinsel vermittelt werden. Tendenziell lassen sich Arabismen, die über Spanien in die europäischen Sprachen gelangten, durch den agglutinierten arabischen Artikel al identifizieren. Ohne ihn erscheinen hingegen solche, die über Sizilien und in Folge der Kreuzzüge über die italienischen Seerepubliken Venedig, Pisa und Genua nach Europa kamen (vgl. z. B. it. zucchero und fr. sucre gegenüber sp. azúcar, it. cotone und fr. coton gegenüber sp. algodón, it. dogana und fr. douane gegenüber sp. aduana). Die Arabismen reflektieren durchweg eine hochentwickelte Kultur mit Entlehnungen in Bereichen wie Astronomie (zenit, nadir), Mathematik (algebra, algoritmo, cifra, zero), Chemie (alcool, alchimia), Handel (magazzino, tariffa, zecca), Gebrauchsgegenständen (caraffa, tazza, materasso) oder Früchten und Pflanzen (teilweise über das Arabische aus dem Persischen: arancio, limone, cotone, carciofo, zafferano). Substrate und Superstrate Die Ausgliederung des Vulgärlateins in verschiedene romanische Sprachen wird durch den in den einzelnen Gebieten unterschiedlichen Kontakt mit nicht-romanischen Völkern verstärkt. Als Substratsprachen wirkten u. a. das Keltische (Gallische), Etruskische und Oskisch-Umbrische auf regionale Formen des Lateins ein. Dem keltischen Substrat wurden die Besonderheiten der galloitalienischen Dialekte zugeschrieben, dem etruskischen die gorgia toscana und dem oskischumbrischen die mittelitalienische Assimilation von - MB - > mm. Doch ist der Einfluss des Substrats auf die Ausdifferenzierung der italienischen Dialekte umstritten. Mit der Völkerwanderung dringen germanische Völker in Italien ein: 489 die Ostgoten, 568 die Langobarden und 774 die Franken. Als Superstratsprache ist v. a. das Langobardische bedeutsam, während das Fränkische überwiegend als Kulturadstrat Einfluss nimmt. Außerdem fallen 555 Gebiete an Byzanz und 827 Sizilien an die Araber. Das bereits als Substrat präsente Griechisch wirkt so auch als Superstrat, v. a. aber als Kulturadstrat. Ebenso hinterlässt das Arabische als Superstrat und insbesondere als Kulturadstrat seine Spuren. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 34 15.08.11 15: 17 <?page no="47"?> Die Herausbildung der Volks sprache 35 Aufstieg der Provinzen Vorboten der Völkerwanderung Reichsreform von Diokletian Grenzverlauf und Isoglossen 2.1.3 Der Zerfall des Römischen Reichs Die regionale und soziale Heterogenität des Vulgärlateins ist bereits in römischer Zeit offensichtlich, vergrößert sich jedoch exorbitant nach dem Niedergang der antiken Kultur und der einsetzenden Völkerwanderung, da das Auseinanderbrechen des Römischen Reichs den sprachlichen Austausch innerhalb des Imperium Romanum blockiert. Der Zerfall des Römischen Reichs wird schon in der Kaiserzeit durch eine zunehmende Dezentralisierung vorbereitet. Die Provinzen gewinnen durch intensive Handelsbeziehungen an Macht und werden reicher als Italien selbst (Gallien, Hispanien). Rom und Italien verlieren in gleichem Maße an Ansehen. Ein entscheidendes Datum für die Dezentralisierung ist das Edikt des Kaisers Caracalla aus dem Jahre 212 n.-Chr. (Constitutio Antoniana), mit dem allen freien Provinzialen das römische Bürgerrecht verliehen wird. Kurze Zeit danach beginnen die historischen Ereignisse, die in der Völkerwanderung des 4. bis 6. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichen. 257 besetzen die Goten Dakien und fügen dem Imperium den ersten Gebietsverlust zu. 271 wird die Provinz von Kaiser Aurelian geräumt und die Römer ziehen sich auf das Gebiet südlich der Donau zurück. Die Germanen üben seit dem 3. Jahrhundert Druck auf die Reichsgrenzen aus. Markomannen, Franken und Alemannen überschreiten den Rhein und die Donau. 260 ist der obergermanischrätische Limes nicht mehr zu halten. In Nordafrika dringen maurische und berberische Stämme ins Römische Reich. Es wird offenbar, dass unter dem Druck von verschiedenen Seiten ein so riesiges Reich nicht mehr von einem einzigen Zentrum aus zu beherrschen ist. Unter Diokletian (284−305) wird zur Entlastung der Verwaltung des Imperiums eine Reform durchgeführt, die die Dezentralisierung entscheidend vorantreibt. Das Reich wird im Jahre 284 in vier Herrschaftsgebiete aufgeteilt. Diokletian erhält den Osten mit der Hauptstadt Nicomedia (heutiges Izmit am Marmarameer in der Türkei), Maximian Italien und Afrika mit der Hauptstadt Mediolanum (heutiges Mailand), Galerius den Balkan mit der Hauptstadt Sirmium (heutiges Sremska Mitrovica in Serbien) und Constantius, der Vater von Konstantin dem Großen, Spanien, Gallien, Britannien und zwei germanische Provinzen mit den Hauptstädten Eburacum (heutiges York im Norden Englands) und Treveri (das heutige Trier). Rom hört also 284 auf, die alleinige Hauptstadt zu sein. Die deutsche Stadt Trier (293−392) wird z. B. zur Residenz der römischen Kaiser im Westen und verdankt Konstantin dem Großen (306−337) u. a. die Kaiserthermen und die heutige Konstantinbasilika. Im Jahre 297 wird das Reich von Diokletian in 12 Verwaltungsbezirke (Diözesen) und 101 Provinzen eingeteilt. Dabei setzen die Diözesan- und Provinzgrenzen der Reichsreform von Diokletian einerseits alte Grenzen der gallischen Gaueinteilung (pagi) fort und werden andererseits nach dem Zerfall des Römischen Reichs meist bis ins Mittelalter als Bistumsgrenzen der katholischen Kirche bewahrt. So gehören benachbarte Gebiete über Jahrhunderte hinweg zu verschiedenen administrativen Einheiten (keltischen Gauen, rö- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 35 15.08.11 15: 17 <?page no="48"?> 36 Vom Latein zum Volgare Abb. 2.5 Die Hauptstädte des Römischen Reichs nach der Reform von Diokletian (Eburacum, Treveri, Mediolanum, Sirmium und Nicomedia) Reichsteilung und Reichsende mischen civitates/ provinciae, kirchlichen Bistümern) und entwickeln sich damit auch sprachlich unterschiedlich. Der Verlauf von Bistumsgrenzen und sprachlichen Isoglossen stimmt weitgehend überein, da die Bistumsgrenzen auch Verkehrsgrenzen sind. Die Einwohner eines Bistums kommen regelmäßig in kleineren kirchlichen Zentren und in der Bischofsstadt zusammen, so z. B. zu Markttagen und Kirchweihfesten, aber auch wegen kirchlicher Abgaben und der geistlichen Gerichtsbarkeit. Der Verkehr über die Bistumsgrenzen hinaus ist hingegen spärlich, so dass sprachliche Erscheinungen, die sich vom Zentrum aus innerhalb einer Diözese ausbreiteten, an den Grenzen halt machen. Die ehemals politisch-kirchlichen Grenzen werden somit zu Sprachbzw. Dialektgrenzen. So lässt sich die Entstehung der drei großen Dialektgebiete in Italien erklären, denn die sprachliche Dreiteilung in nord-, mittel- und süditalienische sowie toskanische Dialekte entspricht den Gebieten der Kelten im Norden (Gallia Cisalpina), der Etrusker in der Toskana und der italischen Stämme (oskisch-umbrisch) im Süden. Die alten Grenzen werden in römischen Provinzgrenzen und kirchlichen Bistumsgrenzen fortgesetzt, und wenn die heutige sprachliche Gliederung Italiens die Gebiete der alten Substratsprachen durchscheinen lässt, so liegt dies viel weniger an den Substraten, deren Einfluss auf die Sprachstruktur nicht groß ist, sondern daran, dass jahrhundertelang existierende interne Grenzen die verschiedenen Regionen verschiedenen Zentren zuordnen. Konstantin der Große (324−337) stellt im Jahre 324 die Einheit des Reichs noch einmal her. Gleichzeitig schafft er die Basis für die spätere Teilung in Oströmisches und Weströmisches Reich, als er 330 Byzanz zur Hauptstadt des Reutner_Stb_sV-256_End.indd 36 15.08.11 15: 17 <?page no="49"?> Die Herausbildung der Volks sprache 37 Karolingische Renaissance Abb. 2.6 Karl der Große empfängt Alkuin von York, Jean-Victor Schnetz Italienische Besonderheiten Ostens macht. Unter dem neuen Namen Konstantinopel tritt es als christliche Reichshauptstadt in bewussten Gegensatz zum damals noch heidnischen Rom. Theodosius der Große (394−395) ist noch einmal Alleinherrscher, doch nach seinem Tode wird das Reich unter seinen Söhnen Arcadius (Osten) und Honorius (Westen) geteilt, womit die Reichseinheit endgültig der Vergangenheit angehört. Der Osten bleibt griechisch, und auch der Kaiser, seine Beamten und der Hof, die anfangs noch lateinisch sprechen, gehen bald zum Griechischen über. „Römisch“ ist das Oströmische Reich bald nur noch dem Namen nach. Hauptstadt des Weströmischen Reichs ist ab 404 Ravenna. Noch bis 476 besteht das Weströmische Reich unter schwächlichen Kaisern und ständiger Bedrohung von Germanen und Hunnen. Während das Oströmische Reich bis zum Fall Konstantinopels im Jahre 1453 Bestand haben wird, erlöscht das Weströmische 476 mit der Absetzung des Romulus Augustulus durch Odoaker. Das Erstarken der Provinzen und der Druck auf die Reichsgrenzen von Germanen, Mauren und Berbern lässt Diokletian das Reich umfassend dezentralisieren. Die neuen Diözesan- und Provinzgrenzen setzen einerseits alte Grenzen fort und werden andererseits später in den Bistumsgrenzen perpetuiert, so dass sie heute Sprach- und Dialektgrenzen darstellen. 395 wird das Reich in das griechischsprachige Oströmische Reich und das lateinischsprachige Weströmische Reich geteilt, das bereits 476 mit dem Einfall der Ostgoten erlischt. Auseinanderbrechen des Römischen Reichs 2.2 Italien im frühen Mittelalter 2.2.1 Spirito di campanile als Geisteshaltung Die im Kapitel über das Vulgärlatein beschriebene sprachliche Entwicklung geht weiter, bis ab dem 9. Jahrhundert die Eigenständigkeit der romanischen Dialekte gegenüber dem Latein anerkannt wird. Von da an beginnt die Verschriftung der romanischen Sprachen. Unter Karl dem Großen kommt es zu einem Aufschwung des Geisteslebens. 781 beruft der Herrscher den Angelsachsen Alkuin von York (735−804) zum Leiter der Hofschule. Weitere Gelehrte wie der Langobarde Paulus Diaconus (725/ 730−797/ 799) sind am Hof versammelt. Durch diese sogenannte Karolingische Renaissance wird ab Ende des 8. Jahrhunderts das Latein wieder der klassischen Norm angenähert. Vor allem dadurch vergrößert sich der Abstand zwischen dem Latein und den romanischen Sprachen. Er wird immer augenfälliger und den Menschen bewusster. Latein wird für die Mehrheit der Bevölkerung zur Fremdsprache. Ein deutlicher Beleg hierfür ist der Beschluss des Konzils von Tours (813), dass die Predigten in die Volkssprachen zu übertragen sind. Nur so können sie von allen leicht verstanden werden. Die sich entwickelnde neue mittelalterliche Kultur bedient sich mehr und mehr der Volkssprachen − in Italien allerdings wegen des geringeren Abstands zum Latein mit einer gewissen Verspätung. Die einzelnen Phasen des Sprachwandels lassen sich im frühen Mittelalter, also vom 6. bis zum 9. Jahrhundert, nicht mehr so gut nachzeichnen wie in Reutner_Stb_sV-256_End.indd 37 15.08.11 15: 17 <?page no="50"?> 38 Vom Latein zum Volgare Niedergang der Städte Abb. 2.7 Langobardische und byzantinische Gebiete Italiens den vorangegangenen. Die lateinischen Texte dieser Zeit stehen der gesprochenen Sprache insgesamt recht fern und enthalten z. B. noch die Deklination, obwohl diese in der gesprochenen Sprache längst stark reduziert ist. Was die Texte bezeugen, ist eine generelle Unkenntnis der klassischen Norm. Nach dem großen Innovationsschub des 3. bis 5. Jahrhunderts gibt es im 6. Jahrhundert noch einige Neuerungen, die sich in der Romania weit ausbreiten, wie z. B. die Diphthongierung von vlt. [ ] und [ ] in offener Silbe: PĔDEM > it. piede (fr. pied, sp. pie), NŎVUM > it. nuovo (fr. neuf, sp. nuevo). Doch gleichzeitig beginnt der Prozess der Herausbildung typisch italienischer Besonderheiten und der Ausgliederung in kleinere Sprachräume. Das 6. Jahrhundert fungiert damit als eine Art Scharnier. Bis zu dieser Zeit gibt es relativ einheitliche lateinische bzw. italienische Entwicklungen, während das 7. und 8. Jahrhundert vom mittelalterlichen Partikularismus geprägt sind. In der darauffolgenden Epoche, nach der Karolingischen Renaissance, also ab dem 9. Jahrhundert, vollzieht sich der Sprachwandel mit noch größerer Dynamik. Die Dynamik der sprachlichen Entwicklung ist natürlich durch die gesellschaftliche Entwicklung bedingt, durch die sozioökonomischen Veränderungen, die gleichzeitig stattfinden und sie begünstigen. Mit dem fortschreitenden Zerfall der administrativen und militärischen Strukturen ändert sich das Verhältnis von Stadt und Land. Die Städte, bisher wirtschaftliche und kulturelle Zentren, schotten sich mit Mauern ab, um sich vor Übergriffen zu schützen, und isolieren sich so. Durch Epidemien und den Exodus des landbesitzenden Bürgertums sinkt ihre Einwohnerzahl. Sie verarmen, weil der weiträumige Handel zum Erliegen kommt und sie von Einfällen der „Barbaren“ heimgesucht werden. So manche verschwinden sozusagen aus der Geschichte. Die Zentren des wirtschaftlichen Lebens verlagern sich auf die Landgüter (Feudalsystem), womit die Rolle vieler Städte als Zentren sprachlichen Kontakts und sprachlicher Innovation endet. Auf dem Land sind die Kontakte viel spärlicher. Neuerungen breiten sich − wenn überhaupt − nur langsam aus, denn ländliche Sprache ist in der Regel sehr konservativ. Die Bedeutung der campagna für die Sprachgeschichte lässt sich an einigen Wortgeschichten ablesen. So wurde z. B. CASAM , ursprünglich ‘Wohnung des Bauern oder Hirten’, zu ‘Haus’ im Allgemeinen (vgl. it. casa) oder COHORTEM von ‘Hof des Landgutes’ zu ‘Haus des Gutsbesitzers’ zu ‘Residenz des Königs oder Kaisers’ (vgl. it. corte). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 38 15.08.11 15: 17 <?page no="51"?> Die Herausbildung der Volks sprache 39 spirito di campanile Longobardia und Italia Frankreich Italien hört im frühen Mittelalter auf, eine Einheit zu sein. Nach der Romanisierung − ab dem 2.-Jahrhundert v.-Chr. − bezeichnete der Name Italia die Halbinsel von der Straße von Messina bis zu den Alpen. In der Zeit Diokletians kamen auch die Inseln dazu. Das Gefühl für eine Einheit „Italien“ war aber schon bei den Römern nicht sehr verwurzelt. Ein Bewusstsein von Italianität bzw. Italizität hatten eher diejenigen, die aus den Provinzen stammten (z. B. Vergil), und so diente die Bezeichnung denn auch vor allem zur Abgrenzung zwischen Italici und Provinciales. Der Partikularismus, spirito di campanile oder Kirchturmgeist, der schon in der Römerzeit zu beobachten war und sich in der Epoche des Verfalls der Stadtkultur und der Verlagerung der wirtschaftlichen Zentren in den ländlichen Bereich verstärkte, wird nach der Landnahme der Langobarden 568 schließlich so übermächtig, dass die Einheit „Italien“ vollends zerbricht und der geographische Name im 7. und 8. Jahrhundert zu einer gelehrten Reminiszenz wird. In einem Land, das in vier Herrschaftsgebiete zerfällt, zwei langobardische (einerseits Oberitalien und die Toskana, andererseits die Herzogtümer Spoleto und Benevent) und zwei byzantinische (das Exarchat Ravenna sowie Gebiete in Süditalien), und das keine Handelszentren von überregionaler Bedeutung aufweist (s. Abb. 2.7), hat der Name Italia keine Bedeutung mehr. Die Völker nördlich der Alpen nennen das Land Langobardia (belegt z. B. in den Reichenauer Glossen). In Analogie zu LONGUS entwickelt sich Longobardia und schließlich it. Lombardia. Im internen Sprachgebrauch bezieht sich Langobardia nur auf die Poebene, mit Ausnahme der Region um die byzantinische Hauptstadt Ravenna, die Romania heißt (> Romagna). Der Name Italia ist zwar nicht ganz verschwunden, kommt aber nur noch im Sprachgebrauch der Intellektuellen mit klassischer Bildung vor, einer winzigen Minderheit ohne Einfluss. So kommt es, dass der Ländername Italiens, im Gegensatz zu den Namen der anderen romanischen Länder, nicht erbwörtlich entwickelt ist (dann würde er *Itaglia geschrieben), sondern als Latinismus tradiert wird. Das Adjektiv italiano entsteht dann um die Mitte des 13. Jahrhunderts und ist (in der altfranzösischen Form ytalien) erstmals in Brunetto Latinis Li livres dou tresor belegt (taliano wurde zuvor bereits in zwei bezeichnenderweise lombardischen Orten verwendet). Die heutige Graphie italiano ist wahrscheinlich Bono Giamboni (1235−1295) zu verdanken, einem Notar und Vulgarisator lateinischer Texte. Dabei handelt es sich zunächst um eine ethnische Bezeichnung, die sich auf die Einwohner Italiens, nicht aber auf die Sprache bezieht. Dass die Intellektuellen dann langsam über einen gemeinsamen Namen für die Bewohner der unterschiedlichen Gegenden nachzudenken beginnen, zeigt Ansätze eines kulturellen Einheitsgefühls. Der Begriff „Italien“ beginnt sich erst in der Zeit der Kommunen (13. Jahrhundert) auszubreiten, jedoch noch nicht als politisches, kulturelles oder sprachliches Konzept. Die ganze Tragweite dieser Situation verdeutlicht ein vergleichender Blick auf Frankreich. Im Rolandslied, der ersten großen um 1100 entstandenen französischen Dichtung, ist immer wieder von den Franceis, franceis chevalers und von France die Rede, stereotyp ist seither la douce France ‘das holde Frankreich’ geworden, dem Roland im Angesicht des Todes seine Gedanken zuwen- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 39 15.08.11 15: 17 <?page no="52"?> 40 Vom Latein zum Volgare Landwirtschaftlicher Wortschatz Dialektale Gliederung Ost- und Westromania det (Vers 2379). Dies lässt schon ermessen, welch weiten Weg Italien noch bis zur Einigung und zur Entwicklung eines Nationalbewusstseins zurückzulegen hat. spirito di campanile und Langobardia Mit der Verlagerung des wirtschaftlichen Lebens von den Städten aufs Land und dem Zerfall des Reichs in langobardische und byzantinische Herrschaftsgebiete kommt es immer mehr zu einer Blockierung des kulturellen Austauschs. Das Bewusstsein einer Italizität weicht der Konzentration auf die nähere Umgebung. Es entwickelt sich ein spirito di campanile, der den Namen Italia zur gelehrten Reminiszenz werden lässt. Stattdessen wird das Land Langobardia (> Longobardia) genannt, ein Name, der bis heute in Lombardia zur Bezeichnung der Lombardei überlebt. 2.2.2 Die Fülle an dialektaler Differenzierung Die Zersplitterung Italiens im Mittelalter findet ihren sprachlichen Niederschlag in der Ausgliederung der italienischen Dialekte, die sich bekanntlich sehr stark voneinander unterscheiden. Die dialektale Gliederung ist natürlich in erster Linie eine räumliche, doch gibt es zusätzliche Unterschiede, die die gesellschaftlichen Schichten betreffen. Am größten ist die dialektale Aufsplitterung in der Sprache der Bauern, geringer ist sie in der Sprache der oberen Gesellschaftsschichten. Lexikalisch schlägt sich dies in einem beachtlichen Bezeichnungsreichtum in der landwirtschaftlichen Terminologie nieder. So sind die dialektalen Unterschiede bei Bezeichnungen für den Bewässerungsgraben, die Furche, Scholle oder den Dreschflegel sehr groß, ebenso bei Berufsbezeichnungen oder Bezeichnungen für Werkzeuge wie die Axt, das Beil, den Hammer, Hobel, Meißel, die Säge oder Zange. Es gibt allerdings auch Unterschiede bei Begriffen, die nicht soziolektal markiert sind („finden“, „vergessen“, „blind“). Für Begriffe, die der Sprache der Gebildeten zuzurechnen sind, existiert zumeist nur eine Bezeichnung: leggere, scrivere, libro, persona, religione, anima. Auch bei Latinismen gibt es in der Regel keine Geosynonyme. Mit einem Blick auf die wichtigsten lautlichen Merkmale, durch die sich die italienischen Dialekte unterscheiden, lässt sich Italien grob in drei Gebiete einteilen. Eine erste Gruppe bilden die ober- und norditalienischen Dialekte, die v. a. galloitalienische (Piemontesisch, Lombardisch, Ligurisch, Emilianisch- Romagnolisch) und venezische (u. a. Venezianisch und Veronesisch) Dialekte umfassen. Eine zweite Gruppe stellen die mittel- und süditalienischen Dialekte, die aufgegliedert sind in die nördlichen der Marken, Umbriens und des Latiums, die mittleren der Abruzzen, des Molise, Nordapuliens, Kampaniens und der Basilikata und die südlichen Südapuliens, Kalabriens und Siziliens. Eine dritte Gruppe bilden die toskanischen Dialekte mit dem Zentraltoskanischen (Florenz), dem Westtoskanischen (Pisa, Lucca, Pistoia), dem Senesischen (Siena) und dem Aretino-Chianaiolischen (Arezzo und Val di Chiana) (s. Abb. 2.7). Innerhalb der Romania gehören die ober- und norditalienischen Dialekte zur Westromania, das Toskanische sowie die mittel- und süditalienischen Dialekte zur Ostromania. Ost- und Westromania unterscheiden sich z. B. durch den Erhalt bzw. die Degeminierung der intervokalischen Langkonsonanten Reutner_Stb_sV-256_End.indd 40 15.08.11 15: 17 <?page no="53"?> Die Herausbildung der Volks sprache 41 Abb. 2.8 Die italienischen Dialekte Auslautendes -s (it. frutto gegenüber fr. fruit und sp. fruto) oder − wenn auch nicht systematisch − durch die Existenz eines prothetischen e (it. spezie gegenüber fr. espèce und sp.-especie, it. spagnolo gegenüber fr. espagnol und sp. español). Eines der Hauptunterscheidungsmerkmale ist das oben (S. 30) bereits vorgestellte Kriterium der Behandlung des auslautenden -s. Zwar ist in den heutigen norditalienischen Dialekten in der Regel auch kein -s mehr erhalten, doch bezeugen einzelne Wörter und alte Dokumente, dass in spätlateinischer Zeit die Isoglosse zwischen Schwund und Bewahrung des -s über den Apennin verlaufen sein muss, die norditalienischen Dialekte also mit der Westromania konform gehen. Damit zeichnet sich eine der einschneidendsten Sprachgrenzen innerhalb der Romania ab: die Grenze zwischen Ost- und Westromania. Diese Grenze verläuft als Isoglossenbündel über den Apenninkamm von La Spezia nach Rimini, entspricht also der alten Grenze der Gallia Cisalpina. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 41 15.08.11 15: 17 <?page no="54"?> 42 Vom Latein zum Volgare Intervokalische stimmlose Verschlusslaute Abb. 2.9 Intervokalische Verschlusslaute in der Ost- und Westromania Substratwirkung oder spontaner Lautwandel Als zweites Hauptkritium zur Abgrenzung von Ost- und Westromania gilt die Behandlung der intervokalischen stimmlosen Verschlusslaute -[p]-, -[t]- und -[k]-, die in der Ostromania erhalten sind (it. sapone, ruota, fuoco; rum. sapun, roată, focul). In der Westromania zeigt der heutige Sprachstand Unterschiede auf, denen jedoch zweifellos zunächst ein gemeinsames Stadium der Sonorisierung zu -[b]-, -[d]-, -[g]vorausging. Im Spanischen sind die sonorisierten Laute bis heute bewahrt (jabón, rueda, fuego), im Französischen wurden sie weiter abgeschwächt und sind teilweise ganz ausgefallen (savon, roue, feu). Der Erklärung der Sonorisierung mit keltischem Substrateinfluss, die die Verankerung in Oberitalien begründen kann, steht die Interpretation als spontaner Lautwandel gegenüber. Ein solcher erscheint als Assimiliation an die stimmhaften Vokale plausibel, kann aber die Variation des Phänomens nicht erklären. Probleme werfen die vielen Wörter des Toskanischen mit sonorisierten Verschlusslauten auf, die in der Ostromania überraschen (z. B. arrivare, luogo, povero, padre, madre, pagare, piegare, lago, riva, strada usw.). Nicht überzeugend ist sicherlich die einfache Erklärung dieser Wörter als Ausnahmen, zumal die Beispiele keinerlei Regel erkennen lassen. Ebenso wenig tragfähig ist die Erklärung als Entlehnungen aus dem Norden, da einerseits das betreffende Wort im Norden oft nicht vorkommt und es andererseits keine plausible Begründung gibt, warum diese Alltagswörter, die keinem höheren Kulturbegriff entsprechen, entlehnt sein sollten. Vielmehr sind diese Ausdrücke zusammen mit Belegen aus altitalienischen Texten und vielen Dubletten (amico − amigo) Zeugnis dafür, dass auch in Italien auf einer früheren Stufe eine partielle Sonorisierung stattgefunden hat. Untermauert wird dies durch die Existenz der gorgia toscana (vgl. S. 48). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 42 15.08.11 15: 17 <?page no="55"?> Die Herausbildung der Volks sprache 43 Norditalien Degeminierung und Sonorisierung Palatalisierung im Anlaut Italien ist auf der Ebene der toskanischen Norm Teil der Ostromania, auf dialektaler Ebene aber zweigeteilt. Die ober- oder norditalienischen Dialekte gehören mit Frankreich und der iberischen Halbinsel zur Westromania, die toskanischen, mittel- und süditalienischen Dialekte mit Rumänien zur Ostromania. Hauptkriterien der Abgrenzung zwischen Ost- und Westromania sind der Erhalt bzw. die Aufgabe des auslautenden - S und der Erhalt bzw. die Sonorisierung und weitere Abschwächung der intervokalischen stimmlosen Verschlusslaute -[p]-, -[t]- und -[k]-. rum. it. sp. frz. klat. - S capre capre cabras chèvres membri membri miembros membres klat. - P sapun sapone jabón savon klat. - T roată ruota rueda roue klat. - K focul fuoco fuego feu Ost- und Westromania Nach dieser Gesamtschau ost- und westromanischer Merkmale sind die italienischen Dialektgruppen im Einzelnen zu betrachten. Die zur Westromania gehörenden ober- oder norditalienischen Dialekte haben sich in ihrer Entwicklung am weitesten vom Latein entfernt. Dies ist primär mit den sozioökonomischen Gegebenheiten der Romanisierung zu erklären, teilweise aber auch mit dem keltischen Substrat. Die dem Substrateinfluss zugeschriebenen Entwicklungen finden sich auch in der Galloromania. Sie sind natürlich schon alt und müssen wohl in der Kaiserzeit stattgefunden haben. Auf das gallische und venetische Substrat wird zum einen die Palatalisierung von -[kt]- > [jt] > [ ] zurückgeführt (z. B. LACTE ( M ) > piem. lait, lomb. lač, FACTŬ ( M ) > piem. fait, lomb. fač; vgl. fr. lait, fait), zum anderen auch die Degeminierung der Langkonsonanten (z. B. PANNŬ ( M ) > ven. pano). Langkonsonanten werden also zu einfachen degeminiert, während einfache Okklusive sonorisiert werden oder ganz ausfallen, da die westromanische Sonorisierung der intervokalischen Verschlusslaute ja auch ein Kennzeichen der norditalienischen Dialekte ist (lat. CAP LLI > lig. caveli [kav li], ven. cavei [kavei], lat. FIATŬ ( M ) > bol. fia, lat. DOM NICA ( M ) > ven. domeniga). Die in ganz Italien erfolgte Palatalisierung der lateinischen Velarlaute [k] und [g] vor palatalen Vokalen geht in Oberitalien teilweise weiter als das ansonsten übliche [ ] bzw. [ ] und ergibt im Anlaut [ts] bzw. [dz] oder [s] bzw. [z] (lat. C NERE ( M ) > piem. senre [senre], lat. GENERU > ven. senaro [z naro]). Ebenso palatalisiert wird der anlautende Konsonantennexus [kl]bzw. [gl]- (lat. CLAVE ( M ) > lomb. čaf [ af], GLAREA ( M ) > ven. ğara [ ara]). In der Toskana entwickelt er sich zu [kj] bzw. [gj], wie das Beispiel SCLAVŬ ( M ) > schiavo zeigt. Die venezische Entwicklung führte hier hingegen zu ciao, das in ganz Italien als venezisches Lehnwort Verbreitung fand. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 43 15.08.11 15: 17 <?page no="56"?> 44 Vom Latein zum Volgare Galloitalienische Dialekte Apokope und Synkope [a] > [ ] und [e] Gerundete Palatalvokale Galloitalienische und venezische Dialekte: Konsonantismus Palatalisierung von [kt] > [jt] > [ ] LACTE ( M ) > piem. lait, lomb. lač FACTŬ ( M ) > piem. fait, lomb. fač Degeminierung der Langkonsonanten PANNŬ ( M ) > ven. pano Sonorisierung (und weitere Abschwächung) von intervokalischem -[p]-, -[t]-, -[k]- CAP LLI > lig. caveli, ven. cavei FIATŬ ( M ) > bol. fia DOM NICA ( M ) > ven. domeniga Palatalisierung von [k]- und [g]vor Palatalvokal zu [ts] bzw. [dz] oder [s] bzw. [z] C NERE ( M ) > piem. senre GENERŬ ( M ) > ven. senaro Palatalisierung von [(s)kl]- und [gl]- CLAVE ( M ) > lomb. čaf GLAREA ( M ) > ven. ğara SCLAVŬ ( M ) > ven. ciao Hinzu kommen Entwicklungen im Vokalismus, die nur die galloitalienischen Dialekte durchliefen. Diese sind zum einen dadurch gekennzeichnet, dass (abgesehen vom Ligurischen) unbetonte Auslautvokale außer -[a] meist verstummen (Apokope, z. B. NEVE ( M ) > piem. nef, F LUME ( N ) > emil. fium), während sie im Venezischen erhalten sind ( NEVE ( M ) > ven. neve, F LUME ( N ) > ven. fiume). Zudem kommt es zu einem Verstummen von Vortonvokalen (Synkope), das besonders stark im Emilianisch-Romagnolischen und im Piemontesischen auftritt ( TELARIŬ ( M ) ‘Webstuhl’ > emil. tler, romagn. DOMENICA ( M ) > dmenga). Die Aussprache der schweren Konsonanz, die dabei teilweise entsteht, wird durch den phonotaktischen Zusammenhang erleichtert. Außerdem kommt es zur Palatalisierung von haupttonigem [a] in freier Stellung > [ ] (z. B. NASŬ ( M ) > bol. nes, LANA ( M ) > lena; vgl. fr. nez, laine). Besonders verbreitet ist das Phänomen bei Infinitiven der are-Konjugation ( VOLARE > piem. vule). Ein analoger Lautwandel [a] > [e] ist durch Metaphonie bedingt, entsteht also durch die Einflussnahme eines finalen Vokales auf den Öffnungsgrad des Haupttonvokals. Er wird in den galloitalienischen Dialekten durch auslautendes -[i] ausgelöst und lässt Hauptton- und Finalvokal durch Schließung des Haupttonvokals besser harmonisieren. Bei geschwundenen Endvokalen führt dies dazu, dass der Numerus durch innere Flexion angezeigt wird. So lautet z. B. romagn. fat ‘fatto’ im Plural fet ‘fatti’. Abschließend sei noch die Palatalisierung von Ū [u] > [y] und Ŏ [o] > [ø] erwähnt. Sie wird mit dem keltischen Substrat in Verbindung gebracht, was aber trotz des geographischen Arguments umstritten ist, da sie erst im Mittelalter bezeugt ist ist (z. B. LUME ( N ) > piem. lüm, FOCŬ ( M ) > lomb. fök; vgl. fr. lume, feu). Diese Entwicklung findet sich nur in den sogenannten galloitalienischen Dialekten, die damit gerundete Palatalvokale aufweisen, wie sie auch das Franzö- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 44 15.08.11 15: 17 <?page no="57"?> Die Herausbildung der Volks sprache 45 Mittel- und Süditalien Totale progressive Assimilation Partielle progressive Assimilation sische, nicht aber das Italienische kennt. Keine der mittelalterlichen Neuerungen erfasste mehr ganz Oberitalien. Apokope NEVE ( M ) > piem. nef F LUME ( N ) > emil. fium Synkope von Vortonvokalen TELARIŬ ( M ) > emil. tler DOMENICA ( M ) > romagn. dmenga Palatalisierung von haupttonigem [a] in freier Stellung > [ ] NASŬ ( M ) > bol. nes LANA ( M ) > bol. lena VOLARE > piem. vule Metaphonie: [a] > [e] vor -[i] romagn. fat ‘fatto’ vs. fet ‘fatti’ Palatalisierung von [u] > [y], [o] > [ø] LŪMINE ( M ) > piem. lüm FŎCŬ ( M ) > lomb. fök Galloitalienische Dialekte: Vokalismus Die Dialekte in Mittel- und Süditalien haben kaum Innovationen von außen übernommen. Ihr Beharren auf dem Sprachstand der späten Kaiserzeit ist durch das Auf hören des Einflusses der Magna Graecia verursacht, die bäuerliche Kultur und die unterbrochene Kommunikation mit Rom aufgrund schwieriger, unsicherer Verkehrswege. Es manifestiert sich in besonders konservativen Sprachformen wie in der Bewahrung von Proparoxytona, die im übrigen Italien synkopiert wurden (persica ‘pesca’, pulice ‘pulce’). Die archaischsten Gebiete sind Lukanien und Nordkalabrien. In einigen Dörfern in Apulien (Salento) und Kalabrien hat sich übrigens bis heute das Griechische erhalten, was nicht das kulturelle Prestige dieser Sprache, sondern die armutsbedingte Rückständigkeit des Südens spiegelt. Nicht einmal im späteren Mittelalter haben die mittel- und süditalienischen Dialekte die Neuerungen, die zumeist aus der Galloromania kamen, mitgemacht, z. B. die Diphthongierungen von [ ] und [ ], das analytische Futur und das Konditional mit nachgestellten Formen von HABERE . Als besonders charakteristisch für den mittel- und süditalienischen Konsonantismus wird immer wieder die häufig mit oskisch-umbrischem Substrat erklärte totale progressive Assimilation von - MB - > -mm- und - ND - > -nnangeführt: GAMBA ( M ) > iamma, SAMBUCŬ ( M ) ‘Holunder’ > rom. sammuco; MŬNDŬ ( M )- > siz. munnu, MANDARE > roman. mannare, QUANDO > kal. quannu. Eine zweite Assimilation erfolgt nur partiell und umfasst die Sonorisierung der Verschlusslaute [p], [t], [k] nach Nasalkonsonant. Beispiele sind CAMPŬ ( M ) > umbr. cambo, CAMPANA ( M ) > abr. cambana; DENTE ( M ) > umbr. dende, MONTE ( M ) > neap. monde [mond ], ANTICŬ ( M ) > abr. andike [andik ], BLANKO > umbr. biango, ANCORA > abr. angora. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 45 15.08.11 15: 17 <?page no="58"?> 46 Vom Latein zum Volgare Konsonantennexus mit [l] [b]- > [v]- Palatalisierung Lenisierung Des Weiteren entwickelt sich anlautender Konsonant + [l] oft weiter als im Standarditalienischen, wo das Ergebnis Konsonant + [j] ist. Besonders auffällig ist die dialektale Entwicklung von [pl]zu [kj]- ( PLANGERE > laz. chiagne, PLOVERE > neap. chiovere, PLUS > siz. cchiù), daneben gibt es aber auch [bl]- > [j]- ( BLANCŬ ( M ) > neap. janche [ja k ]), [gl]- > [ ]- (spät lat. GLŬTTO ‘ghiotto’ > laz. lutto [ utto]) und [fl]- > [ ]- ( F LAMMA ( M ) > kamp. šamma [ amma]). Ein weiteres Anlautphänomen ist die Spirantisierung von [b]zu [v]- ( BAGNŬ ( M ) > kal. vagne [va ], BOCCA ( M ) > kal. vucca). Im Inlaut wird -[mj]- > -[ ]- ( VENDEMMIA ( M ) > kalabr. vinnigna), -[pj]- > -[t ]- ( SAPIO > kal. sacciu) und -[bj]- > -[d ]- ( HABEO > neap. agge). Als Merkmal der westromanischen Sprachen konnte oben schon die Sonorisierung intervokalischer Verschlusslaute aufgezeigt werden, die im Toskanischen nicht erfolgt [kapito]. Südlich der Toskana werden die Konsonanten jedoch lenisiert (mit geringerem Verschluss gesprochen) und teilweise sogar sonorisiert [gabid ]. Dieses Merkmal erweist sich für die Erklärung der gorgia toscana als wichtig, die als Gegenreaktion gegen die Sonorisierung im Norden und die Lenisierung/ Sonorisierung im Süden entstand. Mittel- und süditalienische Dialekte: Konsonantismus Totale progressive Assimilation -[mb]- > -[mm]- GAMBA ( M ) > siz. iamma -[nd]- > -[nn]- MŬNDŬ ( M ) > siz. munnu Partielle progressive Assimilation -[mp]- > -[mb]- CAMPŬ ( M ) > umbr. cambo -[nt]- > -[nd]- MONTE ( M ) > neap. monde [- ] -[nk]- > -[ng]- ANCORA > abr. angora Konsonantennexus mit [l] im Anlaut [pl]- > [kj]- PLANGERE > laz. chiagne PLOVERE > neap. chiovere PLUS > sizil. cchiù [bl]- > [j]- BLANCŬ ( M ) > neap. janche [- ] [gl]- > [ ]- GLŬTTŬ ( M ) > laz. lutto [fl]- > [ ]- F LAMMA ( M ) > kamp. šamma [b]zu [v]im Anlaut BAGNŬ ( M ) > neap. vagne [- ] BOCCA ( M ) > kal. vucca Palatalisierungen -[mj]- > -[ ]- VENDEMMIA ( M ) > kal. vinnigna -[pj]- > -[t ]- SAPIO > kal. sacciu -[bj]- > -[d ]- HABEO > *abjo > neap. agge Lenisierung capito [kapito] vs. [gabid ] Reutner_Stb_sV-256_End.indd 46 15.08.11 15: 17 <?page no="59"?> Die Herausbildung der Volks sprache 47 Schwa-Auslaut Metaphonie Auslautendes -u Reduktion der Auslautvokale Die Vokalphänomene betreffen die mittel- und süditalienischen Dialekte in besonders unterschiedlicher Weise. Für das Gesamtverständnis der unten vorgestellten Texte ist u. a. die Reduktion (weniger beim [a]) der unbetonten Auslautvokale zum neutralen Schwa-Laut [ ] (neap. mes ‘mese’, lup ‘lupo’) wichtig, neben dem als Ergebnis auch der vollständige Schwund möglich ist (abr. latt ‘latte’). Die Reduktion findet sich in den Dialekten der Abruzzen, des Molise, Nordapuliens, Kampaniens und der Basilikata. Typisch für den mittel- und süditalienischen Vokalismus sind Umlauterscheinungen (Metaphonie), die durch auslautendes -i und -u ausgelöst werden. Diese Endvokale lassen die geschlossenen Haupttonvokale [e] und [o] weiter zu [i] bzw. [u] schließen (neap. mes vs. mis ) sowie die offenen Vokale [ ] und [ ] in einer ersten Spielart (neapolitanischer Typ) zu [j ] und [w ] diphthongieren (siz. b dda vs. bj ddi), in einer zweiten (arpinatischer Typ) zu [e] und [o] schließen (laz. kont nta vs. kontenti). Durch den Endvokal -[i] ausgelöst, dient der Umlaut der Numerusmarkierung, durch den Endvokal -[u] ausgelöst, der Genusmarkierung. Wenn die Endvokale bewahrt bleiben, ist die Markierung durch Umlaut redundant (z. B. siz. b dda, b dde und mit Umlaut bjeddu, bjeddi). Sind die Endvokale nicht mehr differenziert, drückt der Umlaut die jeweilige grammatische Kategorie als innere Flexion aus (z. B. neap. mes und mit Umlaut mis ‘mesi’). In den Dialekten der südlichen Marken, Umbriens und des Latiums ist der Unterschied zwischen - O und - Ŭ bewahrt: z. B. OCTO > rom. otto gegenüber F GATŬ ( M ) > rom. fegatu. Auslautendes -u findet sich ebenfalls in den südlichsten Dialekten, bewahrt aber nicht den Unterschied zwischen - O und - Ŭ , sondern erklärt sich aus dem Zusammenfall von auslautendem Ŏ , Ō , Ŭ und Ū zu -u ( MANŬ ( M ) > sizil. manu, OCTO > siz. ottu). Ebenso fallen auslautendes Ī , , Ē und Ĕ zu -i zusammen ( CAN - TARE > sizil. cantari). Schwa-Auslaut oder Schwund Abruzzen, Molise, Nordapulien, Kampanien, Basilikata MESE ( M ) > neap. mes LUPŬ ( M ) > neap. lup LACTE ( M ) > abr. latt Metaphonie: Schließung/ Diphthongierung des Haupttonvokals vor -[i] und -[u] [e] > [i] neap. mes ‘mese’ vs. mis ‘mesi’ [o] > [u] neap. šor ‘fiore’ vs. šur ‘fiori’ [ ] > [j ] siz. b dda ‘bella’ vs. bj ddu ‘bello’, bj ddi ‘belli’ [ ] > [w ] kal. gr ssa ‘grossa’ vs. grw ssu ‘grosso’, grw ssi ‘grossi’ [ ] > [e] laz. kont nta ‘contenta’ vs. kontentu ‘contento’, kontenti ‘contenti’ [ ] > [o] laz. n stra ‘nostra’ vs. nostru ‘nostro’, nostri ‘nostri’ Bewahrung der Opposition zwischen - O und - Ŭ Südliche Marken, Umbrien und Latium OCTO > rom. otto F GATŬ ( M ) > rom. fegatu Mittel- und süditalienische Dialekte: Vokalismus Reutner_Stb_sV-256_End.indd 47 15.08.11 15: 17 <?page no="60"?> 48 Vom Latein zum Volgare Toskana gorgia toscana Konservativer Charakter Zusammenfall von - Ŏ , - Ō , - Ŭ und - Ū zu -u und - Ī , - , - Ē und - Ĕ zu -i Salento, Kalabrien, Sizilien MANŬ ( M ) > siz. manu OCTO > siz. ottu CANTARE > siz. cantari Die Toskana geht eigene Wege. Die Romanisierung von Etrurien verläuft anders als diejenige der Gebiete mit italischer Bevölkerung, die mit dem Latein verwandte Dialekte sprachen. Das Etruskische ist völlig verschieden vom Latein und nicht einmal eine indogermanische Sprache. Daher lernten die Etrusker Latein wie eine Fremdsprache und sprachen kein volkstümliches Latein, sondern die normgerechte Variante. Hiermit erklärt sich die große Nähe des Toskanischen zum Latein, die für die Sprachgeschichte sehr bedeutsam ist. Die einzige Neuerung, die dem etruskischen Substrat zugeschrieben wurde, ist die gorgia toscana. Es geht dabei um die Aspirierung (la k h asa) bis hin zur Spirantisierung (la hasa) der intervokalischen Verschlusslaute, die im Wortinneren auch zum Wegfall führen kann (amío). Diese ist abhängig von der satzphonetischen Stellung ([la hasa] vs. [un kane]) und tritt am stärksten bei [k] auf, schwächer bei [t] und am schwächsten bei [p]. Die gorgia toscana ist eine neuere Erscheinung, die von den Städten ausgeht und in den konservativen inseltoskanischen Dialekten ebenso wenig belegt ist wie in Dantes De vulgari eloquentia. Der angenommene etruskische Substrateinfluss ist damit schon aus chronologischen Gründen unwahrscheinlich. Plausibler erscheint die Erklärung als eine der möglichen Realisationen einer weit in der Romania verbreiteten Variation der intervokalischen stimmlosen Verschlusslaute und ganz konkret als Reaktion gegen die sonorisierende Variation, die es auch in der Toskana gegeben hat und in Gebieten Mittelitaliens noch heute gibt (vgl. S. 46). So stehen die vollständige westromanische Sonorisierung, die partielle mittelitalienische Sonorisierung und die sporadische toskanische Sonorisierung in Zusammenhang. Zunächst werden die intervokalischen Verschlusslaute vom Atlantik bis zur Adria im Wort- und Satzzusammenhang partiell sonorisiert. Dann aber stabilisieren sich die stimmhaften Verschlusslaute nur in der Westromania (Phonematisierung), während es in der Toskana meist zur Aspiration kommt und in der Ostromania zur teilweisen Rückbildung. Die gorgia toscana lässt sich so überzeugend als Hyperkorrektur erklären, mit der sich die Städter von der sonorisierenden Landbevölkerung abheben wollen. In der Antike besteht noch keine Verbindung zwischen der Toskana und Norditalien, weshalb sich die norditalienischen Neuerungen mit Ausnahme der Sonorisierung nicht in der Toskana ausbreiten. Auch die süditalienischen Substrateinwirkungen erreichen die Toskana nicht, ebenso wenig wie die typisch süditalienischen Umlauterscheinungen. Im Mittelalter bewahrt die Toskana ihre Autonomie und nimmt nicht an den verschiedenen sprachlichen Neuerungen teil, die zur Ausgliederung der Dialekte geführt haben. Andererseits gibt es eine Neuerung, die sich nur in der Toskana entwickelt hat, nämlich die Reduktion von - RI zu [j], z. B. in der Endung - ARIŬ ( M ) zu -aio ( TELARIŬ ( M ) Reutner_Stb_sV-256_End.indd 48 15.08.11 15: 17 <?page no="61"?> Die Herausbildung der Volks sprache 49 Sizilien Sardinien Korsika > telaio). Weitere Entwicklungen des Toskanischen (wie z. B. die Anaphonie) halten in den Standard Einzug und wurden bereits in Kapitel 1.2 vorgestellt. Bei der gorgia toscana handelt es sich um die Aspirierung der stimmlosen Verschlusslaute -[p]-, -[t]-, -[k]in intervokalischer Stellung. -[k]- > -[k h ]- > -[ ! ]- > -[h]- (> ˙/ .) la k h asa, la asa, la hasa amik h o, ami o, amiho, amío -[t]- > -[t h ]- (> -[ " ]-) la t h orre, la orre andat h o, anda o -[p]- > -[p h ]- ( > -[ ]-) la p h ena, la ena lup h o, lu o gorgia toscana Abschließend sei ein kurzer Blick auf die Inseln geworfen: Sizilien wurde im Altertum und Mittelalter von Griechen, Römern, Arabern und Normannen beherrscht bzw. bewohnt. Hier findet sich ein besonders „gemischter“ Wortschatz, der auch noch durch Anreicherungen aus norditalienischen Dialekten durch Einwanderer in der Normannenzeit ergänzt wird. Auch das Sizilianische hat von Anbeginn einen ganz eigenen Charakter, den schon das vulgärlateinische sizilianische Vokalsystem (vgl. S. 15) dokumentiert. Sardinien ist weder der Ostnoch der Westromania zuzurechnen. Das Sardische (bzw. die abstrakte Einheit der sardischen Hauptvarietäten mit dem Campidanesischen im Süden und dem Logudoresischen im Norden) wird auch nicht als italienischer Dialekt, sondern als eigene romanische Sprache angesehen. Von allen romanischen Sprachen steht sie dem Latein am nächsten. Die Palatalisierung von [k] vor Palatalen bleibt hier z. B. aus und auch das Vokalsystem zeigt einen archaischen Charakter (vgl. S. 14). Im Gegensatz zu den anderen romanischen Sprachen hat sich keine eigene Schriftsprache mit allmählichem Ausbau von Syntax und Wortschatz entwickelt, die für alle kommunikativen Bedürfnisse gerüstet ist. Während sich z. B. das heutige Standarditalienische durch den Ausbau des toskanischen Dialekts herausgebildet hat, das heutige Spanische durch den des kastilischen Dialekts und das Französische durch den des Franzischen, also des Dialekts der Region um Paris, Île-de-France, hat sich im Sardischen keiner der beiden Hauptdialekte als Allgemeinsprache durchsetzen können. Daneben werden in Sardinien auch noch Sassaresisch (toskanisiertes Logudoresisch), Galluresisch (südkorsischer Dialekt) und Algheresisch (katalanischer Dialekt) gesprochen. Korsika ging sprachlich zunächst mit Sardinien zusammen, gelangt aber im 11. Jahrhundert in den Besitz von Pisa und wird daher toskanisiert. Heute findet sich auf der inzwischen zu Frankreich gehörenden Insel noch ein archaisches Toskanisch. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 49 15.08.11 15: 17 <?page no="62"?> 50 Vom Latein zum Volgare Verspätung der Literatur Nähe zum Latein Hybridität der Volkssprache 2.3 Erste Anmerkungen in der Volkssprache Verglichen mit der Situation in anderen europäischen Ländern, vor allem in Frankreich, setzt die volkssprachliche Schreibtradition in Italien sehr spät ein. Der erste volkssprachliche französische Text sind die Straßburger Eide von 842, während das erste eindeutige Dokument der italienischen Sprache aus dem Jahre 960 stammt. 880 entsteht in Frankreich mit der Eulalia-Sequenz die erste religiöse Dichtung, 1040 wird mit dem Alexiuslied schon ein beachtlicher literarischer Text geschaffen und um 1100 das Rolandslied, mit dem die erste Blüte der altfranzösischen Literatur erreicht ist. Um 1100 dichtet der erste Trobador, Wilhelm IX. von Aquitanien, in Okzitanisch und kurze Zeit später beginnt die Glanzzeit der altokzitanischen Literatur, die in traditioneller Ausdrucksweise auch altprovenzalisch genannt wird, aber natürlich nicht auf die heutige Provence im engeren Sinne beschränkt ist. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts kann Frankreich mit der Trobadorlyrik im Süden und dem höfischen Roman im Norden auf eine große Literatur stolz sein, die nach ganz Europa ausstrahlt, während Italien all dem nichts an die Seite zu stellen hat. Die Suche nach Gründen lässt zunächst die größere Nähe des Italienischen zum Latein anführen. Schon das Altfranzösisch der Straßburger Eide ist vom Latein weiter entfernt als das heutige Italienisch. Die Kluft zwischen dem Volgare (der Volkssprache) und dem Latein ist in Italien nicht unüberbrückbar. Die Verschriftung eines Dialektes wäre überregional nicht brauchbar, und ein wirklich dringlicher Bedarf an einer Verschriftung der Volkssprache besteht ohnehin nicht, weil die Lese- und Schreibkundigen das Latein beherrschen. Hinzu kommt die oben beschriebene politische Zerrissenheit Italiens, das Fehlen einer höfischen Kultur, von der neue Ideen ausgehen und die z. B. in Frankreich Träger der volkssprachlichen Dichtung geworden ist. In Italien hingegen verharren die Privilegierten in kultureller Unbeweglichkeit, die auch den Klerus kennzeichnet, der die Bestimmungen des Konzils von Tours (813), die Predigt in der Volkssprache zu halten, nicht befolgt. Erst im 12. Jahrhundert ändert sich dies allmählich, und der Durchbruch erfolgt im 13. Jahrhundert mit der Entwicklung einer reichen volkssprachlichen Schreibtradition. Im Mittelalter wird das Latein also immer mehr zur Hochsprache, die von den wenigen Gebildeten verwendet wird, während die große Mehrheit der Ungebildeten eine volkssprachliche Varietät gebraucht, die sich immer weiter vom Latein entfernt. So entstehen immer mehr Texte, die auf lateinischer Basis volkssprachliche Elemente enthalten. Ein wichtiges Charakteristikum all dieser Texte ist ihre sprachliche Hybridität aus Formen des Spätlateins, der jeweils lokalen Volkssprache und anderen Volkssprachen mit besonderem Prestige (Altokzitanisch, Altfranzösisch). Ein weiteres Charakteristikum ist ihre Instabilität. Mit der Schwächung der lateinischen Norm werden auch vorhandene Orthographieregeln aufgehoben. Jeder Schreiber (oder jede Schreibschule) entwickelt ein eigenes System, um die veränderten Klänge der stark lokal geprägten Laute wiederzugeben. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 50 15.08.11 15: 17 <?page no="63"?> Die Herausbildung der Volks sprache 51 Indovinello Veronese Abb. 2.10 Manuskript mit dem Indovinello Veronese Lösung des Rätsels Latein und Volgare Die ersten schriftlichen Verwendungen des Volgare ab dem 10. Jahrhundert sind noch keine Zeugnisse für einen beginnenden Sprachausbau, sondern eher zufälliger Natur: ein kurzes Rätsel, das als Federprobe verfasst wurde, lateinische Gerichtsurteile aus Süditalien, in die volkssprachliche Schwurformeln eingebettet sind, Wandinschriften in einer römischen Katakombe und einer Basilika sowie kaufmännische Abrechnungen. 2.3.1 Das Veroneser Rätsel In der Biblioteca Capitolare von Verona befindet sich ein altes Gebetsbuch, das Anfang des 9. Jahrhunderts in Spanien auf mozarabisch verfasst wurde, über Sardinien nach Pisa und von dort nach Verona kam. Um 900 hat dort ein Schreiber aus dem Veneto, vermutlich ein Seminarist, auf dem oberen Rand einer Seite zwei Sätze notiert: se pareba boves alba pratalia araba et albo versorio teneba et negro semen seminaba gratias tibi agimus omnipotens sempiterne deus Sie trieb Ochsen an, pflügte weiße Felder, hielt einen weißen Pflug und säte schwarzen Samen./ Wir danken Dir allmächtiger und ewiger Gott. Während die Übersetzung des zweiten Satzes, eines lateinisch verfassten Dankgebets, einfach ist, wirft diejenige des ersten Schwierigkeiten auf. Insbesondere die Interpretation des se zu Beginn ist umstritten. Zurückgeführt wurde es u. a. auf klat. SEX ‘sechs’ (sie trieb sechs Ochsen an), klat. SIBI ‘sich’ (sie trieb Ochsen vor sich), klat. SI ‘wenn’ (wenn sie Ochsen antrieb/ wenn sie Ochsen glich), klat. SIC ‘so’ (hier sieht man wie sie Ochsen antrieb) oder − unter Annahme eines Lapsus bei der Reproduktion eines mündlich kursierenden Rätsels aus dem Gedächtnis − auf klat. SEPARES (sie trieb die ungeraden − also drei bzw. fünf-− Ochsen an: separes boves pareba). Aber auch der Sinn der Aussage ist nicht evident, bis 1925 eine Studentin auf des Rätsels Lösung kommt, indem sie die Anmerkung des Indovinello Veronese mit einem Kinderreim assoziiert, in dem die schreibende Hand mit einem pflügenden Bauern verglichen wird. Seither werden in den Ochsen die Finger der schreibenden Hand gesehen, in den weißen Feldern das Blatt Papier, im weißen Pflug die Feder und im schwarzen Samen die Tinte. Sprachlich handelt es sich um eine Zwischenstufe von Latein und Volkssprache. Lateinische Elemente sind boves, et und semen mit jeweils beibehaltenen Endkonsonanten. Volkssprachliche Elemente sind in Phonologie und Morphologie die Entwicklung von > e (in N GRŬ ( M ) > negro), der Fall des Endkonsonanten -t (in araba, teneba, seminaba) und die Auf hebung der Kasusunterscheidung (z. B. bei albo versorio statt album versorium); im lexikalischen Bereich parere ‘antreiben’ (statt klat. incitare, impellere; es wird manchmal aber auch im Sinne von ‘einspannen’ auf klat. PARARE zurückgeführt oder im Sinne von ‘gleichen, scheinen’ auf klat. PARERE ), pratalia ‘Feld’ (statt klat. ager, campus) und versorio ‘Pflug’ (statt klat. aratrum). Dem Schreiber ging es hier sicherlich Reutner_Stb_sV-256_End.indd 51 15.08.11 15: 18 <?page no="64"?> 52 Vom Latein zum Volgare Placito di Capua Linksversetzung Formula di confessione umbra nicht um die bewusste Stärkung des Volgare. Vielmehr verwendete er dieses rudimentäre Latein ländlicher Prägung passend zum Inhalt seines Rätsels um den pflügenden Bauern. 2.3.2 Eid- und Beichtformeln Eher zufälliger Natur sind aber auch die übrigen, zumeist sehr kurzen frühen Texte. Der erste Text, der im klaren Gegensatz zum Latein ein Sprachbewusstsein im Volgare attestiert, ist das Urteil von Capua, der Placito di Capua aus dem Jahre 960, das somit auf der Basis der bekannten Sprachzeugnisse als Geburtsjahr des Italienischen gilt − so ein solches denn trotz der kontinuierlichen Sprachentwicklung unbedingt festgemacht werden soll. Capua ist damals Teil des langobardischen Herzogtums Benevento (heute in der Region Kampanien), in dem es 960 zu einem juristischen Streit zwischen dem Abt Aligernus, dem Vorsitzenden der Abtei von Montecassino, und einem Rodelgrimo aus Aquin (Latium) kommt. Rodelgrimo erhebt Anspruch auf einige damals von der Abtei verwaltete Ländereien, während Aligernus auf das Ersitzungsrecht pocht, demzufolge ein Grundstück Eigentum desjenigen ist, der es 30 Jahre lang im Besitz hat, ohne dass ein anderer darauf Anspruch erhebt. Um dies zu bezeugen, bringt der Abt Aligernus drei Kleriker als Zeugen bei, die auf Aufforderung des Richters eine Eidesformel wiederholen, die besagt, dass die Länderein schon dreißig Jahre im Besitz der Mönche der Abtei von Montecassino sind: Sao ko kelle terre, per kelle fini que ki contene, trenta anni le possette parte S(an)c(ti) Benedicti (Carta capuana, 960). Ich weiß, dass jene Ländereien, in jenen Grenzen, die sie hier enthalten [von denen hier die Rede ist], dreißig Jahre lang [schon seit dreißig Jahren] dem Kloster des Heiligen Benedikt gehören. Der Eid wird im Volgare abgelegt, damit das anwesende, überwiegend lateinunkundige Publikum ihn auch versteht. Im ansonsten lateinisch verfassten Protokoll wird er schriftlich genau so festgehalten, wie er von den Zeugen vorgetragen wurde. Nur leicht modifiziert kommt er auch noch im Jahre 963 in Sessa Aurunca und in Teano zum Einsatz. Sprachlich auffällig ist der Verlust des Halbvokals im Labiovelar [kw] bei ko (<-klat. QUOD ), kelle (< klat. ( EC ) CU ( M ) ILLAE ) und ki (< klat. ECCU ( M ) HIC ). Dagegen ist bei que (< klat. QUAE ) der Halbvokal zumindest graphisch erhalten, was ebenso die lateinische Tradition fortsetzt wie die ausgebliebene graphische Wiedergabe der Assimilation von - CT - > -tt- und v. a. der lateinische Genitiv anstelle der vulgärlateinischen Form mit Artikel und Präposition bei parte Sancti Benedicti. Besonders bemerkenswert ist die anaphorische Wiederaufnahme von kelle terre durch le, mit der der Text den ersten Beleg für eine Dislokation nach links enthält, wie sie auch im gesprochenen Gegenwartsitalienischen sehr gebräuchlich ist. Aus Umbrien ist ferner die Formula di confessione umbra aus dem 11. Jahrhundert bekannt, eine Beichtformel, die für den Gebrauch der Gläubigen be- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 52 15.08.11 15: 18 <?page no="65"?> Die Herausbildung der Volks sprache 53 Katakombe von Commodilla Basilica San Clemente stimmt war, die kein Latein konnten. Erneut handelt es sich nicht um eine spontante Äußerung im Volgare, sondern um einen volkssprachlichen Mustertext, der wie folgt beginnt: Domine, mea culpa. Confessu so ad mesenior Dominideu et ad matdonna sancta Maria et ad s. Mychael archangelu et ad s. Iohanne Baptista et ad s. Petru et Paulu et ad omnes sancti et sancte Die, de omnia mea culpa et de omnia mea peccata, ket io feci da lu battismu meu usque in ista hora, in dictis, in factis … (Formula di confessione umbra). Herr, meine Schuld. Ich beichte dem Herrgott und der heiligen Jungfrau Maria und dem Erzengel Michael und Johannes dem Täufer und Petrus und Paulus und allen Heiligen alle meine Schuld und Sünden, die ich seit meiner Taufe bis jetzt begangen habe in Worten und Werken … Sprachlich fällt der Erhalt von auslautendem - Ŭ ( M ) anstelle der toskanischen Entwicklung zu -o auf (confessu, archangelu, Petru, Paulu, lu, battismu, meu). Die Verbform confessu so geht auf die lateinische Form CONFESSŬS SŬ ( M ) ‘ich habe gebeichtet’ zurück, die das Präsens CONFITEOR des Deponens ersetzt. Ansonsten ist die neben dem Präsens dominante Tempusform das passato remoto (feci < klat. FECI ). Das Digramm <ct> ist wohl als latinisierende Graphie für die volkssprachliche Aussprache [t(t)] zu interpretieren (sancta, sancti, sancte, dictis, factis), <ad> als latinisierende Graphie für [a]. Der im Neuitalienischen vor palatalem Vokal mit <ch> wiedergegebene velare Okklusivlaut erscheint als <k> (ket, neuit. che); die phonosyntaktische Verdoppelung (raddoppiamente fonosintattico) zeigt sich graphisch in matdonna. 2.3.3 Römische Inschriften Aus dem beginnenden 9. Jahrhundert ist auch ein volkssprachliches Zeugnis in Rom erhalten. So ist die Aufforderung, die geheimen Gebete bei der Messe nicht laut zu sprechen, als Wandinschrift der römischen Katakombe von Commodilla überliefert: Non dicere ille secrita a bboce. Sage die Geheimnisse nicht mit (lauter) Stimme. Im klassischen Latein hätte der Satz Noli dicere (illa) secreta ad vocem gelautet. Demgegenüber fällt bei der Inschrift die neue Form des verneinten Imperativs auf (non + Infinitiv) sowie die Verwendung des Demonstrativums ille als Artikel. Die römische Prägung zeigt sich im raddoppiamento fonosintattico und im Betazismus bei a bboce (< AD VOCEM ). Ein zweites Sprachzeugnis aus Rom enthält Latein und Volkssprache in klarer Trennung. Es handelt sich um die Inschrift auf einem Ende des 11.- Jahrhunderts geschaffenen Fresko mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Klemens in der Basilica San Clemente. Das Fresko stellt in einem oberen Teil seine Wahl zum Papst dar und zeigt ihn, wie er die Messe feiert, als sein heidnischer Widersacher, der römische Patrizier Sisinius, von Gott mit Blindheit und Taubheit bestraft wird. In der Überzeugung, der Heilige habe seine Frau zum Reutner_Stb_sV-256_End.indd 53 15.08.11 15: 18 <?page no="66"?> 54 Vom Latein zum Volgare Abb. 2.11 Ausschnitt aus einem Fresco der Basilica San Clemente, Rom Comic Glossario di Monza Postilla amiatina Christentum bekehrt, um sie zu verführen, hat der Patrizier versucht, den Heiligen während der Messe anzugreifen. Der untere Teil des Freskos stellt dar, wie Sisinius, der seinen Gesichts- und Gehörsinn auf Betreiben des Heiligen Klemens wiedererlangt hat, seine Sklaven Carboncello, Albertello und Gosmari antreibt, den Heiligen gefangen zu nehmen. Sie glauben dies auch zu tun, obwohl sie in Wirklichkeit eine Säule hinter sich herschleifen, die sie ebenso wie Sisinius für Klemens halten. Das Fresko zeigt von links nach rechts Carboncello, der sich abmüht, die Säule mit einer Stange anzuheben, Albertello und Gosmari, die versuchen, die gleiche Säule mit einem auf der anderen Seite angebrachten Seil zu ziehen, und den mit erhobener rechter Hand Anweisungen gebenden Sisinius, der verärgert ist, weil es den Sklaven nicht gelingt, die Säule wegzuschaffen, von der alle glauben, dass es sich um den Heiligen Klemens handelt. Neben den einzelnen Figuren erscheinen − ähnlich wie beim heutigen Comic in Wolken abgegrenzt − Sätze, die Sisinius an die Sklaven richtet. Falite dereto colo palo Carvoncelle - Albertel, Gosmari traite - Fili de le pute, traite. Stoß ihn von hinten mit der Stange, Carboncello! - Albertello, Gosmari, zieht! - Ihr Hurensöhne, schleppt ihn ab! Der Heilige hingegen sagt: „Duritiam cordis vestris saxa traere meruistis“ (Aufgrund der Härte eurer Herzen habt ihr es verdient, Steine zu ziehen). So dokumentiert dieser erste Comic der italienischen Sprachgeschichte die sprachliche Rollenverteilung: Der Heilige Klemens spricht, wie es sich für einen Papst gehört, wenn auch kein klassisches Latein, so doch Latein, während der Patrizier Sisinius seine Sklaven in der Volkssprache antreibt. 2.3.4 Rechtliche und kaufmännische Dokumente Abschließend sei auf die Verwendung des Volgare zu rein praktischen Zwecken verwiesen. Insbesondere im 14. und 15. Jahrhundert werden Glossare abgefasst, die lateinische oder sonstige Entsprechungen zu volkssprachlichen Ausdrücken geben. Konversationsführer, die ein Glossar mit fingierten Alltagsgesprächen kombinieren, sollen Kaufleuten und sonstigen Reisenden den Aufenthalt in der Fremde erleichtern, so z. B. venezianisch-süddeutsche Sprachbücher von Georg von Nürnberg (1424) oder Adam von Rottweil (1477). Das älteste italoromanische Glossar, das Glossario di Monza, entsteht aber bereits im späten 9. oder frühen 10. Jahrhundert. Es stammt aus der Poebene und stellt 66 norditalienische Ausdrücke ihren byzantinischen Äquivalenten gegenüber. Andere volkssprachliche Dokumente ergänzen lateinische Schriftstücke, so z. B. die Postilla amiatina. Ein Notar namens Rainerio fügt sie 1078 einem Vertrag bei, in dem zwei Eheleute erklären, all ihre Besitztümer der Abtei San-Salvatore am Südhang des Monte Amiata in der Provinz Siena zu vermachen: Reutner_Stb_sV-256_End.indd 54 15.08.11 15: 18 <?page no="67"?> Die Herausbildung der Volks sprache 55 Conto navale pisano Frammenti Diglossie-Situation ista car(tula) est de caput coctu ille adiuvet de ill rebottu q(ui) mal co(n)siliu li mise in corpu Dieses Dokument ist aus heißem Kopf [ersonnen] und möge ihm gegen den Bösewicht helfen, / der ihm einen schlechten Rat in den Körper gesetzt hat [eingegeben hat]. Erneut werden im schriftlichen Sprachgebrauch Entwicklungen vernachlässigt, die in der gesprochenen Sprache längst üblich sind. Auffällig sind Hyperkorrektismen wie die graphische Bewahrung von auslautendem - Ŭ ( M ) (coctu, rebottu, consiliu, corpu) und von Endkonsonanten (caput, est, adiuvet) sowie die ausgebliebene Asssimilation von - CT zu -tt- (coctu). Durchwegs pragmatisch-materialistischer Natur sind die ältesten Texte der toskanischen Volkssprache. Der Gebrauch des Volgare erklärt sich hier aus den Handelsinteressen der auf blühenden Stadtstaaten, allen voran Pisas. Ihren Auftritt als Seemacht dokumentiert der leider nur fragmentarisch erhaltene Conto navale pisano aus dem frühen 12. Jahrhundert. Der Aufstieg von Pisa als Handelsmacht geht dem von Florenz zwar voraus, doch sicherlich wurden auch im 12. Jahrhundert in Florenz volkssprachliche Handelsdokumente verfasst, deren wohl eher flüchtiger Charakter ihre Bewahrung aber nicht gewährleistete. Erhalten sind erst die ein gutes Jahrhundert später entstandenen Frammenti d’un libro di conti di banchieri fiorentini (1211), das älteste überlieferte florentinische Sprachdenkmal. Streng genommen müsste das trotz der kontinuierlichen Sprachentwicklung immer wieder gesuchte Geburtsdatum des Italienischen somit 1211 lauten, schließlich ist es ja aus dem Florentinischen hervorgegangen, während der 960 abgefasste Placito di Capua süditalienisch geprägt ist. Kulturgeschichtlich besonders bedeutsam ist, dass es auch bei den Frammenti wieder um Abrechnungen geht, die die volkssprachliche Schreibtradition der Toskana zunächst dominieren. Während das Volgare zu Beginn des 13. Jahrhunderts z. B. in Umbrien bereits in der religiösen Laudendichtung zur Blüte kommt, entsteht die erste große Lyrikbewegung in Florenz, der Dolce stil novo, erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Beide Dichtungstraditionen werden im folgenden Kapitel dargestellt. An dieser Stelle sei lediglich festgehalten, dass es sich bei den ersten volkssprachlichen Texten um juristische, religiöse und kommerzielle Gebrauchstexte handelt, die geographisch breit gestreut sind und aus ganz verschiedenen Anlässen entstehen. Das Volgare dient im 10. und 11. Jahrhundert noch nicht als Schriftsprache, sondern nur der Verschriftlichung konzeptioneller Mündlichkeit. Dies bleibt auch noch im 12. Jahrhundert so, wenngleich es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts schon vereinzelte literarische Texte gibt: das toskanische Spielmannslied Ritmo laurenziano als erstes kohärentes volkssprachliches Gedicht oder eine italienische und eine genuesische Strophe aus mehrsprachigen Liedern des altokzitanischen Trobadors Raimbaut de Vaqueiras. Nach wie vor besteht eine typische Diglossie-Situation: Das Volgare ist die Sprache der Mündlichkeit, während die schriftliche Sprache ungebrochen das Latein ist, das nur von der kleinen Minderheit gebraucht wird, die lesen und schreiben gelernt hat, vor allem von Geistlichen und Notaren. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 55 15.08.11 15: 18 <?page no="68"?> 56 Vom Latein zum Volgare Der frühe schriftliche Gebrauch des Volgare Das älteste erhaltene Zeugnis des Volgare ist das um 800 entstandene Indovinello Veronese. Doch ein wirkliches Sprachbewusstsein attestiert erst der süditalienische Placito di Capua aus dem Jahre 960, das daher oft als Geburtsjahr des Italienischen genannt wird. Das erste erhaltene Sprachdenkmal des Florentinischen sind die Frammenti d’un libro di conti di banchieri fiorentini, ein Rechnungsbuch aus dem Jahre 1211. Insgesamt reflektieren die ersten Texte kein systematisches Streben nach Verschriftlichung der Volkssprache. Vielmehr handelt es sich um beiläufig abgefasste Gebrauchstexte, die juristischen Zwecken dienen (protokollierte Zeugenaussagen, Vertragsanhängsel), religiöser Natur sind (Beichtformeln und Inschriften) oder kommerziellen Interessen gelten (Abrechnungen). Erst im 12. Jahrhundert kommt es vereinzelt und noch sehr zögerlich zur literarischen Verwendung des Volgare. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 56 15.08.11 15: 18 <?page no="69"?> Die Schriftsprache vor der Kodifizierung Religiöse Erneuerung Oberitalienische Kommunen Königreich beider Sizilien Guelfen und Ghibellinen Ausbau der Volkssprachen 3 Una gara tra i volgari: Die Anfänge volkssprachlichen Schreibens im 13. Jahrhundert Das 13. Jahrhundert ist in Italien eine Zeit des Neuanfangs. In allen Lebensbereichen sind Brüche mit dem Althergebrachten und der Wille zum Neuanfang erkennbar: Franz von Assisi gründet 1223 den Reformorden der Franziskaner und entsendet seine Anhänger in die Welt, um den Armen zu helfen. Zudem entstehen volkstümliche religiöse Erneuerungsbewegungen, die sich ausgehend von Umbrien in Italien ausbreiten (Halleluja-Bewegung 1233, Flagellanten 1260). Durch den im Gefolge der Kreuzzüge auf blühenden Handel bilden sich in Oberitalien und in der Toskana unabhängige Stadtstaaten (Comuni) mit einem Handelsbürgertum, das nun als Kulturträger eine sehr wichtige Rolle spielt. Ab dem 11. Jahrhundert werden Universitäten gegründet (Salerno um 1030, Parma 1065, Bologna 1088, Modena 1175, Arezzo 1215, Padua 1222, Neapel 1224, Siena 1246) und im 13. Jahrhundert besitzt Italien bereits mehr Hochschulen als jedes andere europäische Land. Den partikularistischen Tendenzen im Norden steht im Süden das Königreich beider Sizilien gegenüber. Auf die Normannen folgen die Staufer, deren Herrscher Friedrich II. 1220 in Rom zum Kaiser gekrönt wird. Doch die oberitalienischen Stadtstaaten und der Papst betrachten das erstarkende Kaisertum mit Argwohn und bekämpfen es nach Kräften. Nach der Schlacht von Benevent (1266) setzt der Papst das Haus Anjou als Herrscher über das Reich ein. Nach der Sizilianischen Vesper (1282) fällt ein Teilgebiet (Sizilien) an das Haus Aragon. Die Kämpfe zwischen Kaisertum und Papsttum schlagen sich in ganz Italien nieder, das seit dem Investiturstreit zwischen papsttreuen Guelfen (nach dem Welfen Otto IV., einem Rivalen der Staufer) und kaisertreuen Ghibellinen geteilt ist (nach dem Waiblinger Friedrich II., entsprechend der württembergischen Stauferstadt Waiblingen) − eine Situation, die z. B. die Guelfen Brunetto Latini oder Dante Alighieri ins Exil führen wird. Der politischen Zerrissenheit des Landes steht eine blühende Kulturlandschaft gegenüber, die sich in den oberitalienischen Stadtstaaten ebenso entwickelt, wie − wenn auch unter anderen Vorzeichen − im süditalienischen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 57 15.08.11 15: 18 <?page no="70"?> 58 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Modelle der Schriftlichkeit Franz von Assisi Abb. 3.1 Franz von Assisi, José de Ribera Stauferreich. Nach den sporadischen Zeugnissen beiläufiger Schriftlichkeit und den sehr vereinzelten und eher unbedeutenden literarischen Texten des 12.- Jahrhunderts beginnen im Verlauf des Duecento damit der eigentliche Ausbau der Volkssprachen und die Entwicklung einer reichen Literatur. Das Latein, das bisher unangefochten die Funktion der Schriftsprache innehat, bekommt ernsthafte Konkurrenz durch den Ausbau der Volgari. Dieser vollzieht sich in unterschiedlicher Weise und in verschiedenen Zentren, besonders nachhaltig aber in Florenz. Diese polyzentrisch geprägte erste Phase des Sprachausbaus wird bis zum Ende des Trecento reichen. Das Latein wird in ihr noch keineswegs abgelöst, sondern behauptet z. B. in den Universitäten eine sehr starke Stellung. Im Bereich der Schriftlichkeit koexistieren drei Modelle: Formen des Volgare, die schwach dialektal markiert sind und sich dafür stärker an das Latein anlehnen, Formen des Volgare, die stark dialektal markiert sind, und das Latein. Eine überregionale Dachfunktion hat im Grunde nur Letzteres, während die schwach und insbesondere die stark dialektal markierten Volgare-Modelle auf wenige Diskurstraditionen begrenzt bleiben: auf die Lyrik der Scuola siciliana und des toskanischen Dolce stil novo sowie auf die sie konterkarierende komisch-realistische Dichtung eines Rustico Filippi oder Cecco Angiolieri und die lehrhaft allegorische Dichtung von Bonvesin de la Riva oder Giacomino da Verona. Sie zeigen sich ferner in Form von Brunetto Latinis enzyklopädischem Tesoretto und der umbrischen Laudendichtung im weiteren Sinne mit dem Sonnengesang Franz von Assisis und im engeren Sinne mit den Lauden von Iacopone da Todi, außerdem in der erzählenden Prosa des Novellino, der Sachprosa eines Restoro d’Arezzo (Buch über die Welt) oder Bonvesin de la Riva (Mailand- Führer), den Musterbriefen des Bolognesers Guido Faba und den rhetorischen Ratschlägen des Toskaners Brunetto Latini, aber auch in der kommerziellen und juristischen Gebrauchsprosa der oberitalienischen Stadtstaaten sowie in Traktaten und Chroniken. 3.1 Umbrien und die religiöse Laudendichtung Chronologisch am Anfang der italienischen Literatur steht der Sonnengesang des Franz von Assisi (1181−1226), des bedeutendsten mittelalterlichen Ordensgründers Italiens neben Benedikt von Nursia (um 480−550), dem Initiator des Benediktinerordes und des durch Gebet, Arbeit und Gehorsam („ora et labora“) definierten westlichen Mönchswesens. Der Cantico di Frate Sole oder Cantico delle Creature entsteht um 1224 in einer Zeit großen persönlichen Leidens des Dichters, ein oder zwei Jahre vor seinem Tode. Italiens berühmtester Heiliger hinterlässt zahlreiche lateinische Texte, aber nur ein einziges Gedicht im Volgare. Es wird in Musik wie Malerei vielfach interpretiert und ist nach der Bibel wohl das am meisten übersetzte Werk des Christentums. Die Laudatio auf die Schöpfung ist in assonierender, rhythmischer Prosa verfasst. Sie besteht aus 33 Zeilen, die meist in zehn Absätze gegliedert sind Reutner_Stb_sV-256_End.indd 58 15.08.11 15: 18 <?page no="71"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 59 Laudendichtung Iacopone da Todi und neun Lobpreisungen enthalten. Die Wahl dieser Zahlen ist kein Zufall: 33- ist das vermeintliche Lebensalter Christi, drei symbolisiert die Trinität, neun entspricht drei mal drei, zehn ist die Zahl der Vollkommenheit (drei mal drei + eins, der göttlichen Einheit). Es folgt der Beginn des Cantico: Altissimu onnipotente bon signore, tue so le laude la gloria e l’honore et onne benedictione. Ad te solo, altissimo, se konfano, et nullu homo ene dignu te mentovare. Laudato si, mi signore, cun tucte le tue creature, spetialmente messor lo frate sole, lo qual’è iorno, et allumini noi per loi. Et ellu è bellu e radiante cun grande splendore, de te, altissimo, porta significatione. Laudato si, mi signore, per sora luna e le stelle, in celu l’ai formate clarite et pretiose et belle […] Höchster, allmächtiger, guter Herr, / Dein sind der Lobpreis, der Ruhm, die Ehre und jeglicher Segen. / Dir allein, Höchster, gebühren sie, / und kein Mensch ist würdig, Dich [beim Namen] zu nennen. / Gelobt seist du, mein Herr, mit allen Deinen Geschöpfen, / vor allem dem Herrn Bruder Sonne, / der der Tag ist, und Du spendest uns das Licht durch ihn. / Und schön ist er und strahlend in großem Glanz, / von Dir, oh Höchster, ist er das Sinnbild. / Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne, / am Himmel hast Du sie gebildet, hell leuchtend und kostbar und schön […]. Der Cantico ist in umbrischem Dialekt verfasst, enthält aber neben Provenzialismen (z. B. mentovare) viele Latinismen und Bibelreminiszenzen vor allem aus den Psalmen. Auch die Graphie ist latinisierend (benedictione, tucte, significatione, pretiose) und noch sehr unsicher, was sich z. B. in der Alternanz von auslautendem -u und -o zeigt. Umbrisch sind einige Verbformen (z. B. so für sono) oder die Aussprache [j] statt [ ] (iorno), doch fehlen andererseits viele Merkmale des Umbrischen wie z. B. die Assimilation von - ND - > -nn-, die dem feierlichen Text wohl ein zu volkstümliches Gepräge geben würde. Der Cantico kündigt zwar die sogenannte Laudendichtung (Lobgesänge) an, ist aber noch keine Lauda im engeren Sinne. Das Singen von Lauden setzt vermutlich mit dem Halleluja-Jahr 1233 ein, in dem die Volksfrömmigkeit besonders tief ist. Hysterische Züge nimmt es im Jahr 1260 an, für das das Jüngste Gericht vorausgesagt wurde: Flagellanten (f lagellum ‘Geißel, Peitsche’) ziehen durch das Land, singen, beten und geißeln sich. Ganze Regionen verfallen religiöser Raserei. Mit der beliebten Ballata verschmolzen, werden Lauden immer populärer. Insgesamt entstehen etwa 3000 Lauden mit meist religiösem, teilweise aber auch politischem Inhalt. Damit handelt es sich um eine der seltenen literarischen Strömungen, die wirklich vom Volk getragen werden. Sie ist für einfache, lateinunkundige Kleriker und Gläubige bestimmt, was die Wahl der Volkssprache erklärt. Der berühmteste Laudendichter ist zweifellos Iacopone da Todi (ca. 1230/ 36−1306), den der frühe Tod seiner Frau in eine tiefe Krise stürzt, die ihn 1278 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 59 15.08.11 15: 18 <?page no="72"?> 60 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Abb. 3.2 Iacopone da Todi in den Franziskanerorden eintreten lässt. Er kämpft für absolute Armut, gerät in Konflikt mit Papst Bonifaz VIII. und wird mehrere Jahre inhaftiert. Bereits mit der pejorativen Deformation Iacopone seines eigentlichen Namens Iacopo verleiht er selbstironisch seiner Weltverachtung Ausdruck. Mittelalterlicher contemptus mundi, übermächtige Gottesliebe, Lust- und Leibfeindlichkeit prägen aber auch seine Lauden, von denen etwa 100 hauptsächlich in toskanisierter Form überliefert sind. Als Höhepunkt seines Schaffens wird oft das Klagelied Donna de Paradiso genannt, ein dramatischer Dialog mit Maria, der wie folgt beginnt: „Donna de Paradiso, lo tuo figliolo è preso, Iesù Cristo beato. Accurre, donna, e vide che la gente l’allide: credo che lo s’occide, tanto l’ho flagellato“. „Com’essere porria che non fece follia, Cristo, la spene mia, om l’avesse pigliato? “ „Madonna, ell’ è traduto: Iuda sì l’ha venduto; trenta denar n’ha avuto, fatto n’ha gran mercato“. „Herrin des Paradieses, / Dein Sohn wurde gefangen genommen, / Jesus Christus, der Glückselige. / Komme her, Herrin, und siehe, / dass die Menschen ihn peinigen. / Ich glaube, dass sie ihn töten, / so sehr haben sei ihn ausgepeitscht.“ / „Wie könnte es sein, / wo er doch keine Schuld begangen hat. / Christus, meine Hoffnung, / hat man ihn gefangen genommen? “ / „Madonna, er wurde verraten: / Judas hat ihn verkauft; / dreißig Dinar hat er dafür bekommen, / so hat er ein großes Geschäft gemacht“. Wie die ältere italienische Dichtung generell enthält auch der Beispieltext sogenannte sizilianische Reime: paradiso − preso (im sizilianischen priso). Es fehlt die typisch toskanische Anhebung von vortonigem e zu i (vgl. de Paradiso). Süditalienische Merkmale sind der Erhalt von [j] anstelle der Entwicklung zu [ ] (Iesù, Iuda statt Gesù, Giuda) und die Assimilation von - ND - > -nn- (z. B. prenno ‘prendono’), doch werden die Formen mit Assimilation nicht immer gebraucht (vgl. venduto). Mit unpersönlichem om (< HOMO ) ‘man’ bahnt sich auch in Italien eine Grammatikalisierung an, die anders als in Frankreich (vgl. fr. on) nicht zum Ziel führt. Im weiteren Verlauf zeigt die Lauda zudem Umlautphänomene wie z. B. respundi, ascundi ( O > u durch i-Umlaut), die wahrscheinlich auch accurre und vide erklären, doch kann hier auch Einfluss des Lateins im Spiel sein. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 60 15.08.11 15: 18 <?page no="73"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 61 Friedrich II. - stupor mundi Abb. 3.3 Friedrich II. Volgare als Umgangssprache am Hof Abb. 3.4 Castel del Monte (Apulien) Höfische Liebe Der Cantico delle Creature von Franz von Assisi ist das erste literarisch herausragende Zeugnis des italienischen Volgare. Er geht der umbrischen Laudendichtung voran, die in der Volkssprache abgefasst ist, um ein überaus frommes, lateinunkundiges Publikum zu erreichen. Der berühmteste Autor ist Iacopone da Todi, von dem etwa 100 Lauden überliefert sind. Sonnengesang 3.2 Die weltliche Lyrik der Scuola siciliana Von dieser religiösen Laudendichtung hebt sich die weltliche Lyrik der sizilianischen Dichterschule ab. Nach byzantinischer (ab 535), arabischer (ab 827) und normannischer Herrschaft (christliche Rückeroberung ab 1061 durch Roger I.) ist Sizilien gegen Ende des 12. Jahrhunderts (1194 durch Heinrich-VI.) in den Besitz der Staufer gelangt und bildet zusammen mit Süditalien das Regnum Siciliae, dessen Verwaltungszentrum abwechselnd in Palermo, Messina und Catania war. Nach seiner Kaiserkrönung im Jahre 1220 hat sich Friedrich- II. (1194−1250) in Sizilien niedergelassen, auch wenn er später vorübergehend in Neapel residiert, wo er 1224 die Universität gründet. Er soll neun Sprachen gesprochen haben und ist Verfasser eines berühmten Buchs über die Falknerei, De arte venandi cum avibus. Auch gibt er den Bau des achteckigen Castel del Monte (Apulien) in Auftrag, eine der geheimnisvollsten Festungen des Mittelalters. Von seinen Zeitgenossen wird er stupor mundi, Weltwunder, genannt. Dies verdankt er nicht nur seinen Fähigkeiten als Herrscher, sondern auch seinen außergewöhnlichen Kenntnissen in Philosophie, Medizin, Astrologie und Mathematik. Ein mit ihm korrespondierender Freund ist z. B. der Pisaner Mathematiker Leonardo Fibonacci (1170−1240), der Entdecker der sogenannten Fibonacci-Folge, in der jedes Glied gleich der Summe der beiden vorangehenden Glieder ist (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13), womit sich zahlreiche Naturphänomene beschreiben lassen. Friedrich II. schafft einen modernen Staat und einen Beamtenapparat, eine neuartige politische Führungsschicht, die auch literarisch tätig ist. Der Kaiser und seine Hof beamten schreiben wissenschaftliche Abhandlungen auf der Grundlage der arabischen Philosophie, Medizin und Naturkunde in lateinischer Sprache. Sie dichten jedoch im Volgare, was insofern nicht selbstverständlich war, als sich z. B. ihre Vorbilder, die norditalienischen Trobadors, des Altokzitanischen bedienten. Auch unter dem Namen des eher naturwissenschaftlich interessierten Friedrich II. selbst sind einige Kanzonen überliefert. V. a. aber etabliert er die Volkssprache als Umgangssprache an seinem Hof und fördert die muttersprachliche Dichtung seiner Beamten (Juristen und Notare) durch Wettkämpfe, wodurch das Volgare zur angesehenen Dichtersprache wird. Dabei ist die sizilianische Dichterschule keine literarische Schule im strengen Sinne, sondern ein Kreis miteinander verbundener Autoren (auch aus Apulien und Kalabrien und sogar aus der Toskana), deren Lyrik auf den entpersonalisierten Konventionen höfischer Liebe nach der Konzeption der mittelalterlichen okzitanischen Trobadors fußt. Von insgesamt etwa 25 Autoren sind v. a. der Notar Giacomo da Lentini, der Kanzler Pier della Vigna, der Richter Reutner_Stb_sV-256_End.indd 61 15.08.11 15: 18 <?page no="74"?> 62 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Toskanische Kopisten Guido delle Colonne sowie die Falkner Rinaldo d’Aquino und Iacopo Mostacci bekannt. Unbestritten ist die führende Rolle von Giacomo da Lentini, dem vermutlichen Erfinder des Sonetts, das wohl aus der Kanzone abgeleitet ist, indem eine einzige Strophe separat gesetzt und dann neu gegliedert wurde. Konsequente Strukturierung führt zu vierzehn Elfsilbern (endecasillabi), die sich formal in eine Oktave mit alternierenden Reimen (abab abab) und ein Sextett mit meist wiederholenden Reimen (cde cde) aufteilen. Quartette und Terzette stehen inhaltlich häufig in spannungsgeladener Opposition (z. B. These, Antithese, Synthese) oder bilden eine inhaltliche Sequenz ab. Der Autor schreitet dann z. B. im Schönheitskatalog vom Lobpreis des Körperlichen zu dem des Geistigen voran (vgl. Dantes „Tanto gentile e tanto onesta pare“, S. 81 f., Petrarcas „Erano i capei d’oro a l’aura sparsi“, S. 94). Damit kann auch ein Diskurswechsel einhergehen, wie z. B. von der Beschreibung zum Lob oder auch zur Quintessenz bzw. Pointe, die gerade im letzten Vers häufig gebracht wird (vgl. Filippis „la rogna compie, s’ha mancanza fiore“, S. 74; Petrarcas „Piage per allentar d’arco non sana“, S. 94). Die Sprache der sizilianischen Dichtung unterscheidet sich nicht sehr von derjenigen der Dichtung späterer Jahrhunderte. Doch ist das, was in den erhaltenen Handschriften entgegentritt, keine genaue Wiedergabe des Originals, sondern eine Abschrift durch toskanische Kopisten, die viele typisch sizilianische Formen toskanisiert haben. Einen Beweis für die heute allgemein akzeptierte Annahme, dass die sizilianischen Texte in der handschriftlichen Überlieferung stark verändert wurden, liefert die sizilianische Handschrift Libro siciliano, die zwar verlorengegangen ist, aus der aber ein Autor des 16.-Jahrhunderts, Giovanni Maria Barbieri, eine Kanzone von Stefano Protonotaro und zwei Fragmente des Sohns Friedrichs II., König Enzo (König von Sardinien, 1249 gefangengenommen und 1272 in Bologna gestorben), abgeschrieben hat. Alles spricht dafür, dass es sich um eine genaue Abschrift handelt. Die erste Strophe der Kanzone von Stefano Protonatoro sieht in der Transkription von Barbieri folgendermaßen aus: betont unbetont Pir meu cori alligrari, > i, # > o U > u, E > i ki multu longiamenti > i, > u U > u, E > i senza alligranza e joi d’amuri è statu, > u E > i, U > u mi ritornu in cantari, U > u, E > i ca forsi levimenti E > i la dimuranza turniria in usatu O / U > u, E > i di lu troppu taciri; > i U > u, E > i e quando l’omu à rasuni di diri, # > o, > u O > u, E > i ben di’ cantari e mustrari alligranza, O > u, E > i ca senza dimustranza, O > u joi siria sempri di pocu valuri: > u U > u, E > i dunca ben di’ cantar onni amaduri. > u E > i Um mein Herz zu erfreuen, / das sehr lange / ohne Freude und Liebesfreude gewesen ist, / beginne ich wieder zu singen, / denn vielleicht leicht / würde ich durch Verweilen [länge- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 62 15.08.11 15: 18 <?page no="75"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 63 Kunstvolle Ausdrucksform Altokzitanismen siciliano illustre res Zögern] in die Gewohnheit verfallen, / zu schweigsam zu sein, / und wenn ein Mensch Grund zum Dichten hat, / dann muss er gut singen und seine Freude zeigen, / denn ohne gezeigt zu werden, / hätte die Freude immer wenig Wert: / daher muss jeder Liebende gut singen. Der Text enthält typische Merkmale des sizilianischen Vokalsystems (S. 15): klat. betontes Ē und werden zu i (z. B. taciri statt tacere), klat. betontes Ŭ und Ō werden zu u (z. B. amuri statt amore, rasuni statt ragione), klat. betontes Ĕ und Ŏ werden geschlossen und diphthongieren nicht (z. B. cori statt cuore, omu statt uomo). Neben diesen sizilianischen Formen gibt es in anderen Gedichten auch latinisierende Varianten, so dass z. B. amure bzw. amore in zwei Arten von Reimen auftreten kann (amuri − duluri, amori − cori). Bei den unbetonten Vokalen werden - Ŏ , - Ō , - Ŭ und - Ū zu -u sowie - Ī , - , - Ē und - Ĕ zu -i (vgl. S. 47, z. B. cori, alligrari, multu, alligranza, amuri, statu, usatu). Von solchen Texten aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die Barbieri glücklicherweise überliefert hat, ist also auszugehen, wenn es um ein getreues Bild von der Sprache der sizilianischen Dichterschule geht, deren erste Dichtungen um 1230 entstanden sein dürften. Die übrigen Texte in toskanischem Gewand erlauben bestenfalls eine Rekonstruktion der ursprünglichen Form in den Fällen, in denen ein unreiner Reim entsteht (z. B. preso < siz. priso-− miso) oder die verschiedenen Handschriften verschiedene Formen aufweisen. Die Dichtersprache der Sizilianer ist nun aber keineswegs mit dem damals gesprochenen sizilianischen Dialekt gleichzusetzen. Vielmehr ist sie eine kunstvolle Ausdrucksform auf der Basis des sizilianischen Dialekts, die durch den Gebrauch unter Gebildeten geglättet und verfeinert wurde. Dabei wurde sie einerseits nach dem Vorbild des Lateins, andererseits nach dem Vorbild der altokzitanischen Dichtersprache der Trobadors geformt. Erstmals nach der Antike schaffen diese das Modell einer Dichtersprache, deren kunstvolle Gestaltung die Einheit garantiert, die durch Selektion und Verfeinerung erreicht wird. In der Sprache wurde also die gleiche Idealität angestrebt wie in den Inhalten, was die Sizilianer mit dem Ziel nachahmten, die Trobadors noch zu übertreffen. So enthält der Wortschatz einige typisch sizilianische Wörter wie abento ‘Ruhe’, adiviniri ‘geschehen’, ghiora ‘gloria’, nutricare ‘nutrire’. Viel zahlreicher und wichtiger aber sind die Wörter galloromanischen Ursprungs, vor allem die Altokzitanismen, die insbesondere die Terminologie der Minnelyrik betreffen, z. B. die Substantive amanza, intendanza ‘sentimenti amorosi’, amistate, amistanza, drudo ‘amante’, sollazo ‘Trost’, joi, joia ‘Freude’, alma ‘anima’, coraggio, corina ‘Herz’, simblanza ‘Anblick’, speranza, rimembranza, talento ‘Lust’ oder die Adjektive avenente, gente ‘gentile’, corale. Typisch altokzitanische Suffixe sind -anza, -ore, -ura, -mento, die vor allem im Reim auffallen. In der Morphologie stechen Imperfektformen des Typs avia, putia hervor und einige Male das Konditional auf -ara (soffondara), auch wenn es − wie im Beispieltext − meist regelmäßig auf -ia (turniria, siria) lautet. Das siciliano illustre ist also eine kunstvolle Stilisierung der Alltagssprache, in der sich das Streben der sizilianischen Dichter nach einer volkssprachlichen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 63 15.08.11 15: 18 <?page no="76"?> 64 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Fehlende Nachhaltigkeit Orientierungsmodell Literatursprache manifestiert. In De vulgari eloquentia (I, XIX, 1) wird Dante die sizilianische Dichtersprache denn auch als erstes Beispiel für sein Idealbild einer entregionalisierten, überregional akzeptablen Hochsprache mit Orientierungscharakter anführen, was jedoch nicht zuletzt daran liegen mag, dass er sie in den toskanisierten Handschriften gelesen hat, also ohne die deutlichen Ausprägungen des sizilianischen Dialekts. Zwei Gründe erklären, weshalb sich das siciliano illustre langfristig nicht durchsetzen kann. Zum einen wird die Volkssprache am Hofe Friedrichs II. nur für die lyrische Dichtung verwendet, während es keine Spur einer damaligen sizilianischen Prosa im Volgare gibt. Das gesamte übrige Schrifttum ist also in lateinischer Sprache abgefasst, so z. B. auch das berühmte Falkenbuch des Kaisers. Zum anderen verliert das siciliano illustre mit dem Untergang der Staufer-Herrschaft den notwendigen sozialen Rückhalt, um sich als überregionale Norm behaupten zu können. Sizilien und Neapel fallen an Karl von Anjou, dessen Hauptinteressen in Südfrankreich liegen. Die Unzufriedenheit mit seiner Regierung entlädt sich 1282 in einem Volksaufstand, der Sizilianischen Vesper. Sizilien geht an das Haus Aragon, das sich nach der Heirat von Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon 1469 allmählich kastilianisiert. Dem Sprachausbau des Sizilianischen fehlt damit jene historische Nachhaltigkeit, die dem Toskanischen seinen außerordentlichen Erfolg sicherstellt. Es wird jedoch zum Orientierungspunkt für eine volkssprachliche Dichtung. Der in Bologna inhaftierte staufische König Enzo gibt z. B. Ideen der sizilianischen Lyrik an Studenten der Universität weiter, darunter viele Toskaner wie z. B. Bonagiunta da Lucca oder Chiaro Davanzati. So wirkt die Scuola siciliana auf die Ausbaubestrebungen in anderen Regionen ein, v. a. natürlich auf den Dolce stil novo, dessen Hauptvertreter den Gedanken der kunstvollen Stilisierung der Alltagssprache fortsetzen. Die Toskaner gehen in ihrer Nachahmung der Sizilianer sogar so weit, die Diphthonge ie und uo zu vermeiden, was sich schon in der Benennung des „neuen Stils“ beim Adjektiv novo zeigt. Eine solche Integration sizilianischen Lokalkolorits verleiht der Sprache der neuen Stilrichtung einen archaisierenden Charakter. Motiviert ist die sizilianische Prägung im bewussten Rückgriff auf Ausdrucksweisen einer früheren Epoche, auf den italienische Lyriker bis ins 19. Jahrhundert hinein Wert legen sollten und der ebenso historische Konformität garantiert, wie er literarische Weiterentwicklung hemmt. Die Scuola siciliana Der Stauferkaiser Friedrich II. ist ein Universalgelehrter, der an seinem Hof die Dichtung in der sizilianischen Volkssprache fördert. Berühmte Vertreter der Scuola siciliana (1230−1250), wie der Erfinder des Sonetts Giacomo da Lentini, dichten in einem verfeinerten und gleichzeitig entregionalisierten Sizilianisch, das v. a. in der toskanisierten Abschrift von Kopisten überliefert ist. Der Untergang der Stauferherrschaft und die fehlende Verwendung in anderen Diskurstraditionen vereiteln die Durchsetzungskraft dieser Sprache in Italien. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 64 15.08.11 15: 18 <?page no="77"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 65 Brunetto Latini Tresor Tesoretto Altokzitanisch und Altfranzösisch Marco Polo Abb. 3.5 Marco Polo vor Kublai Khan 3.3 Der französische Einfluss in Norditalien Die Ausstrahlung der französischen Kultur und Literatur ist im Mittelalter in ganz Europa zu spüren und auch in Italien sehr bedeutsam. Vom Prestige der französischen Sprache legt insbesondere Brunetto Latini (1220/ 25−ca.- 1294) Zeugnis ab, der 1260 als Botschafter der Guelfen zu Alfons dem Weisen nach Kastilien berufen wird und dessen Rückkehr nach Florenz daran scheitert, dass in der Zwischenzeit die Ghibellinen die Macht übernommen haben. So ist er bis zur Wiederherstellung der Guelfen-Herrschaft im Jahre 1266 (Schlacht von Benevent) im Exil. Latini lässt sich in Frankreich nieder und verfasst dort die erste Enzyklopädie in einer romanischen Sprache, Li livres dou tresor. Für dieses Opus wählt er das Französische mit der Begründung, es sei „plus delitable et plus commune a tous langages“, d. h. die angenehmste und am weitesten verbreitete Sprache. Frühe Übertragungen u. a. ins Kastilische, Aragonesische, Katalanische und Lateinische zeigen den Tresor als eines der einflussreichsten Bücher des Mittelalters. In ihm finden sich erstmalig die Bezeichnungen Ytalie und ytalien, v. a. aber philosophische, politische, wirtschaftliche und rhetorische Informationen, die Latini einem wissensdurstigen, aber lateinunkundigen Publikum vermittelt. Der Tresor wird bald ins Toskanische übertragen. Im toskanisch redigierten Tesoretto hingegen fasst Latini selbst Grundlagen des Tresor zusammen, allerdings nicht in Prosa, sondern in Poesieform als allegorische Wanderung eines Ichs durch die Reiche von Natur, Tugend und Liebe. Das enzyklopädische Wissen wird so nicht spröde, sondern erlebnisgeleitet vermittelt. Gleichzeitig entsteht mit dem Tesoretto das erste italienischsprachige Kompendium der damaligen Weltsicht und Wissenschaft. Das Altfranzösische und Altokzitanische machen dem heimischen Volgare auch in Norditalien Konkurrenz. Einige norditalienische Trobadors wie Lanfranco Cigala aus Genua und Sordello da Goito aus Mantua dichten in Altokzitanisch. Der Venezianer Martin da Canal fasst sein Werk Les estories de Venise in altfranzösischer Sprache ab, und der Reisebericht eines anderen Venezianers, Marco Polo (1254−1324), wird von Rustichello da Pisa ebenfalls in Altfranzösisch (Altprovenzalisch) niedergeschrieben. Marco Polos Bericht ist sicherlich das berühmteste Buch des 13. Jahrhunderts. Neben Libro delle meraviglie del mondo (fr. Livres des merveilles du monde, Devisament dou monde, lat. De mirabilibus mundi) trägt es meist den Titel Il (libro del) Milione, denn ein Zweig der Familie Polo trägt den Beinamen Emilione. Gemeinhin wird Milione aber auch als Spitzname Marco Polos interpretiert, der die Zahl gerne zur Schilderung der unglaublichen Schätze des Orients nutzt. Das Buch beschreibt die Reise des Autors mit seinem Vater, Onkel und Gefolge im Jahre 1271 über Bagdad, Persien und weiter auf dem Landweg nach Peking. Kublai Khan soll Marco Polo dort anspruchsvolle Aufgaben anvertraut haben, die ihm viel Stoff für Erzählungen geben. Nach jahrelangem Aufenthalt geht die Reise erst 1295 zurück, diesmal auf dem Seeweg über Ceylon. Der Familie Polo Reutner_Stb_sV-256_End.indd 65 15.08.11 15: 18 <?page no="78"?> 66 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Veneto-Französisch Panfilo Kontinuität des Kirchenstaates ging es um die Erschließung neuer Märkte für ihren Tuch- und Gewürzhandel. Auch die Erzählung Marco Polos ist in ihrer pragmatischen Sachlichkeit und warenkundlichen Detailgenauigkeit kaufmännisch geprägt. Vorurteilsfrei tolerant, aber natürlich aus europäischer Sicht dokumentiert er den Orient zur Zeit des europäischen Mittelalters. Er klärt den Bürger der hochentwickelten italienischen Städte über exotische Gewohnheiten und Ideen des fernen Ostens auf und hält dabei das Fremde ideologisch unverbrämt als solches fest. Im Gegensatz zu frühen Enzyklopädisten wie Brunetto Latini und Restoro d’Arezzo (vgl. 1.6) entnimmt er sein Wissen nicht Büchern, sondern kann immer auf eigene Erfahrung zurückgreifen. In Oberitalien wird ferner die französische Heldenepik (chanson de geste) rezipiert, und so entstehen Dichtungen wie z. B. die anonyme Entrée d’Espagne, die den Spanienfeldzug Karls des Großen verarbeitet, oder auch das Ritterepos Meliadus des bereits genannten Rustichello da Pisa. Abgefasst werden sie in Veneto-Französisch, einer Form des Altfranzösischen mit venezischen Beimischungen, die wenig adäquat häufig als Franko-Italienisch bezeichnet wird. Für die Verschriftung der Volgari in Italien ist diese Schriftsprache, die bis ins 14. Jahrhundert Bestand hat, jedoch ohne Bedeutung. Ansonsten fehlen Ritterepen aus Italien, was die schwache Ritterkultur in einem Land spiegelt, wo sie früh durch bürgerlich-kommunale Strukturen ersetzt wird. Letztere begünstigen das Auf kommen der in Italien geprägten Gattung der Novelle und neuere Formen der Autobiographie und erklären mit, weshalb die Anfänge der Verschriftung des Volgare primär juristischen und kommerziellen Interessen zu verdanken sind. So sind die meisten der aus dem 13. und beginnenden 14. Jahrhundert erhaltenen venezischen Texte notarielle Dokumente. Doch gibt es ebenso literarische Texte, von denen der bekannteste eine Übersetzung des mittellateinischen Pamphilus de amore aus dem 13. Jahrhundert ist. Die Komödie ist thematisch mit Ovids Ars amatoria vergleichbar und wird als Panfilo volkssprachlich bearbeitet. Altokzitanisch, Altfranzösisch und Veneto-Französisch Konkurrenten des Volgare sind nicht nur das Latein, sondern auch prestigereiche Volkssprachen wie Altfranzösisch und Altokzitanisch. Herausragende zunächst französisch redigierte Texte aus dem Veneto sind die erste Enzyklopädie in einer romanischen Sprache, Brunetto Latinis Enzyklopedie Tresor, und Marco Polos Reisebericht Il Milione. Außerdem wird altokzitanisch gedichtet und Heldenepik in einem venezisch versetzten Altfranzösisch, dem Veneto-Französischen, verfasst. 3.4 Das römische Volgare in der Geschichtsschreibung Mit dem Nachlass einiger Päpste, die ihr persönliches Besitztum der Kirche übergeben, nimmt der Kirchenstaat im 5. und 6. Jahrhundert seinen Anfang. Offiziellen Charakter erhält der neue Staat 590 durch Papst Gregor I., der zur Verteidigung gegen die sich nähernden Langobarden das Zeichen des Heiligen Petrus an den Stadtmauern anbringen lässt. Abgesehen von der Zeit des Reutner_Stb_sV-256_End.indd 66 15.08.11 15: 18 <?page no="79"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 67 Storie de Troia e de Roma Cronica Papstexils in Avignon (1308−1378) bleibt Rom die gesamte Kulturgeschichte hindurch das Zentrum des Katholizismus. Diese besondere Kontinuität stärkt es gegenüber den wechselnden weltlichen Hauptstädten des Landes. Ab der Mitte des 13. und v. a. im 14. Jahrhundert entwickelt sich in Rom eine blühende Volgare-Kultur, die noch nicht unter dem späteren starken Einfluss des Toskanischen steht und stark diatopisch geprägt ist. Mit seiner Verwurzelung in der römischen Antike und als Zentrum katholischer Macht ist Rom unabhängig von den kulturellen Zentren in Oberitalien und der Toskana und bringt ein Schrifttum eigener Prägung hervor. Mitte des 13. Jahrhunderts z. B. werden zwei mittellateinische Geschichtsbücher des vorangegangenen Jahrhunderts übersetzt, die sich zwischen historischer Wahrheit und Legende situieren: die Storie de Troia e de Roma, eine Übersetzung der mlat. Multe ystorie, und Miracole de Roma, eine Übersetzung der mlat. Mirabilia urbis. Besondere Bedeutung hat die ein Jahrhundert später verfasste Cronica (1357−1360), von deren Autor nur bekannt ist, dass er an der Universität Bologna studiert hat. Sie berichtet über die geschichtlichen Ereignisse aus der Zeit von 1325 bis 1357 und beschreibt ausführlich das Leben von Cola di Rienzo (1313−1354), der während des Exils der Päpste mit Hilfe des Volkes als Volkstribun in Rom die adligen Senatoren vertreibt und eine Neuordnung Roms und Italiens nach einem missverstandenem antiken Vorbild anstrebt. Er erzielt zunächst große demagogische Wirkung, verliert aufgrund seiner Maßlosigkeit aber bald die Gunst seiner Anhänger. Nach seiner Verbannung aus Rom 1347 kehrt er 1354 mit Unterstützung des Papstes noch einmal zurück und kommt bei einem vom Stadtadel angezettelten Volksaufstand ums Leben. An einer anderen Stelle wird eine Begebenheit in Florenz erzählt: Lo puopolo stao fore allo palazzo, armato; crudamente grida. Puoi chiamano che volevano lo conservatore in mano, lo crudele missore Guiglielmo de Ascisci. Ciò vedenno lo duca, che per aitra via non poteva campare, commannao che missore Guiglielmo essissi fora. Poni cura que fece lo crudele patre per volere campare. Voize che sio figlio issi denanzi da esso per mitigare, muorto lo figlio, la ira dello puopolo sopre de si. Quanno lo iovinetto figlio patris precepto vao denanti, appriesso della porta, como l’aino allo maciello, bene conosce soa morte, bene conosce la poca pietate dello patre. Volve la testa e dice: „Ahi patre, dove me manni? “ Das Volk ist draußen vor dem Palast, bewaffnet; es schreit laut. Dann rufen sie, dass man ihnen den Magistrat ausliefern solle, den grausamen Herrn Guiglielmo de Ascisci. Als der Herzog sieht, dass er auf andere Weise nicht entkommen kann, befiehlt er, dass Herr Guiglielmo herausginge. Jetzt pass auf, was der grausame Vater tat, um zu entkommen. Er wollte, dass sein Sohn hinausginge, um durch den Tod des Sohnes den Zorn des Volkes auf sich selbst zu besänftigen. Als der Junge auf Geheiß des Vaters vortritt, nahe zur Tür, wie ein Lamm zur Schlachtbank, erkennt er wohl, dass er sterben muss, er erkennt das geringe Mitleid des Vaters. Er wendet sich um und sagt: „Ach, Vater, wohin schickst du mich? “ Merkmale des romanesco sind in diesem Text sehr deutlich belegt: Die Diphthongierung von betontem klat. Ĕ und Ŏ durch i- und u-Umlaut (puopolo, puoi, muorto, appriesso, maciello), die progressive Assimilation von - ND - > -nn- (vedenno, commannao, quanno, manni), die Bewahrung von [j] an Stelle der Entwicklung zu Reutner_Stb_sV-256_End.indd 67 15.08.11 15: 18 <?page no="80"?> 68 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung artes liberales ars dictandi Guido Faba [ ] (iovinetto), die Palatalisierung von vorkonsonantischem L (aitra ‘altra’, voize < volse ‘volle’) und das epithetische -o, durch das ein betonter Auslautvokal vermieden wird (stao, commannao, vao). Die Abfassung der Cronica im Volgare unterstreicht das hohe Prestige, das der Stadtdialekt Roms damals bereits genießt und das erst mit der Rückkehr der Päpste aus dem Exil wieder nachlassen wird. Volgare-Kultur in Rom Mit dem Auf bau des Kirchenstaates wird Rom zum westeuropäischen Zentrum religiöser Macht. Zusammen mit der Tradition der Antike ist dies eine sichere Grundlage für ein gefestigtes Selbstbewusstsein, das sich in der blühenden regional markierten Volgare-Kultur niederschlägt. Hiervon zeugen z. B. Übersetzungen- mittellateinischer Texte in den Stadtdialekt von Rom aus dem 13.-Jahrhundert oder eine direkt im Volgare abgefasste Cronica aus dem 14. Jahrhundert. 3.5 Bologna und die Rhetorik als Bildungsziel In den oberitalienischen Kommunen entwickelt sich eine bürgerlich dominierte, wirtschaftlich florierende Stadtkultur. Hier besteht ein besonderer Bedarf an praxisorientierter Ausbildung für Kaufleute und an politischer und rhetorischer Schulung für diejenigen, die öffentliche Ämter bekleiden. Die Laienbildung, in die das Volgare bald Eingang findet, wird immer wichtiger. Erwachsen ist die Laienbildung teilweise aus den mittelalterlichen Universitäten, die in der Regel vier Fakultäten hatten: Die erste, in der die artes liberales gelehrt werden, dient als Propädeutik für die anderen drei: Theologie, Jura (bürgerliches und kirchliches Recht) und Medizin. Die artes liberales teilen sich auf in ein Trivium (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und ein Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik). Durch das Studium dieser Sieben Freien Künste erhalten alle Studenten eine rhetorische Grundausbildung, die den Boden für die sich entwickelnde volkssprachliche Literatur bereitet. Eine der ältesten und jahrhundertelang die berühmteste Universität Europas ist die 1088 gegründete Universität Bologna. Die florierende Handelskultur bewirkt hier eine universitäre Schwerpunktsetzung, die den Unterricht der Artes zu einer Art business studies werden lässt. Die Ausbildung dient vor allem der Unterweisung in der ars dictandi oder ars dictaminis, die in Bologna in den Studiengang der artes liberales integriert ist. Ein dictamen ist jede schriftliche Ausdrucksart, ob in Prosa oder Versform. Die ars dictandi bzw. dictaminis betrifft aber insbesondere die Kunst, einen Brief zu verfassen (mit den obligatorischen Bestandteilen salutatio, exordium, narratio, petitio, conclusio), und daneben auch die Kunst der öffentlichen Rede. Die ars dictandi wird noch in Latein gelehrt, das inzwischen weit vom klassischen Ideal entfernt ist. Doch der bedeutendste Bologneser Rhetoriklehrer in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhundert, Guido Faba (oder Fava, vor 1190−1245), wendet die antiken Rhetorikregeln bereits auf die Volksspra- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 68 15.08.11 15: 18 <?page no="81"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 69 Juristische Ausbildung koinè padana che an. In seinem lateinischen Traktat zur Briefgestaltung Gemma purpurea (1239−1250) lässt er fünfzehn volkssprachliche Formeln einfließen. Einen deutlich höheren volkssprachlichen Anteil enthält seine Sammlung von Rede- und Briefmustern Parlamenta et epistole (1242−1243). Auch wenn sein Beispiel damals noch nicht Schule macht, liegt mit diesen Textkorpora heute eine Reihe von Musterbriefen in der Volkssprache vor. Der nachfolgende Auszug belegt, dass Faba eine schwach diatopisch geprägte, latinisierende Sprachform verwendet, die generelle Merkmale der norditalienischen Dialekte trägt, ohne mit dem Dialekt von Bologna identisch zu sein: De filio ad patrem pro pecunia Andato sono al prato de la Filosofia bello, delectevele e glorioso, e volsi cogliere flore de diversi colori, açò ch’eo fecesse una corona de merevegliosa belleça, la quale resplendesse in lo meo capo, e in la nostra terra a li amisi e parenti reddesse odore gratioso. Ma lo guardiano del çardino contradisse, s’eo no li facessi doni placeveli e onesti. Unde in per quello che no v’è che despendere, si la vostra liberalità vole che vegna a cotanto onore, vogliatime mandare pecunia in presente, scì che in lo çardino in lo quale sono intrato, possa stare e cogliere fructo pretioso. Vom Sohn an den Vater zwecks Geld Zur Wiese der schönen Philosophie [zur Artes-Fakultät der Universität von Bologna], erfreulich und ruhmreich, bin ich gegangen und wollte bunte Blumen pflücken, um einen Kranz [des Wissens] von wunderbarer Schönheit zu binden, der auf meinem Haupt erstrahlen und für die Freunde und Verwandte in unserem Land [der Schreiber war nicht aus Bologna] einen angenehmen Duft ausstrahlen würde. Aber der Hüter des Gartens widersprach, wenn ich ihm keine angenehmen und ehrbaren Geschenke machen würde [euphemistische Umschreibung für die Studiengebühren]. Und da ich nichts auszugeben habe, möchtet ihr mir, wenn euere Freigiebigkeit will, dass es zu jener Ehre kommt, umgehend Geld senden, so dass ich im Garten, in dem ich mich aufhalte, bleiben und wertvolle Früchte ernten kann. Mit dem guardiano, der den Garten der Philosophie hütet, sind die Professoren der Universität Bologna gemeint, die von den Geldern ihrer Hörer leben mussten. Sprachlich fällt die Entwicklung von K vor palatalem Vokal zu [s] auf (z. B. amisi) und die Verwendung von [dz] anstelle des toskanischen [ ] (çardino < fr. jardin < * HORTŬ ( M ) GARDINŬ ( M ) < frk. * GARD ). Ferner belegt der Text die Palatalisierung von [s] vor [i] (scì), den Erhalt des [l] in den Konsonantennexus F L - und PL - (z. B. f lore, placeveli) und den Erhalt von - CT - (delectevele, fructo). Besonders wichtig für die Entwicklung des Volgare zu dieser Zeit ist die juristische Ausbildung der Notare, die eine zentrale Rolle im öffentlichen Leben spielen, zumal die Institution des Notars in Oberitalien entstanden ist. Bereits in den Statuti bolognesi von 1246 wird verfügt, dass der Notar in der Lage sein müsse, Dokumente in die Volkssprache zu übertragen − eine Anforderung, in der sich das Bedürfnis der frühen Kommunikationsgesellschaft manifestiert, privatrechtliche Geschäfte auch für den lateinunkundigen Bürger durchsichtig zu gestalten. Zwar werden die Kurse der Universität in Latein abgehalten, doch ist wohl davon auszugehen, dass die aus den unterschiedlichsten Regionen zusammen- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 69 15.08.11 15: 18 <?page no="82"?> 70 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Bonvesin de la Riva ars disserendi gekommenen Studenten in ihrer Freizeit eine Mischsprache verwenden, ein durch Latinismen und Dialektismen angereichertes vulgare illustre. So wundert es kaum, dass aus Bologna auch der Impuls zur Herausbildung einer oberitalienischen Literatursprache kommt. Dieser geht von der sogenannten koinè padana aus, einer sprachlich relativ einheitlichen Verwaltungs- und Kanzleisprache Norditaliens. Auf ihr baut die primär sozial definierte lingua cortigiana auf, die das Latein als Kanzleisprache ablösen und in der Questione della lingua des 16. Jahrhunderts als Alternative zum archaischen Toskanisch diskutiert werden wird (vgl. S. 106 ff., 117 f.). Nicht-bolognesische Autoren, die sich der Gemeinsprache im 13. Jahrhundert bedienen, sind u. a. der Veroneser Giacomo da Verona (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts) und der Lombarde Bonvesin de la Riva (1240−1315). Bonvesin de la Rivas lateinisches Werk De magnalibus urbis Mediolani (1288) wird auch als erster Reiseführer Mailands bezeichnet. Der Autor geht über die bis dato gepflegte Tradition des Städtebzw. Länderlobs deutlich hinaus. Er widmet sich der landeskundlichen Berichterstattung, die für den Kaufmann besonders interessant war, und schildert das Alltagsleben ebenso wie wirtschaftliche und politische Zusammenhänge. Volkssprachlich redigiert ist sein poetisches Werk, darunter mit dem Libro delle tre scritture eine Schilderung dreier Jenseitsreiche: in scrittura nera eine Darstellung der Höllenqualen, in scrittura rossa der Leiden Christi und in scrittura aurea der Himmelsfreuden. Kulturgeschichtlich bedeutsam ist Bonvesins Sittenführer De quinquaginta curilitatibus ad mensam. Dieser in Strophen gefasste „Knigge“ gibt fünfzig Anstandsregeln bei Tisch, die Verhaltenswie Kommunikationstabus enthalten. Bonvesin vermittelt dem Kaufmann damit verfeinertes Sozialverhalten, bereits bevor mit Castigliones Cortegiano (1528) oder Giovanni della Casas Galateo (1558) die großen Benimmbücher der Renaissance entstehen. Bekannt sind aber auch Bonvesins Streitgedichte (Tenzonen), ein Ausdruck der mittelalterlichen Diskussionskultur, der ars disserendi oder ars opponendi. Dahinter steht die Überzeugung der antinomischen Strukturiertheit und binären Beschreibbarkeit des Weltenlaufes. Exemplarisch sei die erste Strophe der Tenzone Disputatio rosae cum viola zitiert, in der das zarte Veilchen letztendlich über die dornige Rose siegt und so mit den gegensätzlichen Blumen gesellschaftspolitische Aussagen verbunden werden: Quilò se diffinissce la disputatïon dra rosa e dra vïora, in le que fo grand tenzon. Zascuna expressamente sì vol monstrar rason k’ella sïa plu degna per drigio e per rason. Hier wird die Lösung / der Disputation / zwischen der Rose und dem Veilchen präsentiert, / die miteinander großen Streit hatten. / Jede wollte ausdrücklich / ihre Argumente darlegen, / dass sie würdiger wäre / nach Recht und Vernunft. Der Text ist gekennzeichnet durch den Erhalt des Nexus [pl]- ( PLUS > plu), die Assibilierung von [tj] ( RATIONE ( M ) > rason, TENTIONE ( M ) > tenzon) und [k] (zascuna), das Verstummen des unbetonten Auslautvokals -e (disputatïon, grand, tenzon, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 70 15.08.11 15: 18 <?page no="83"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 71 Handel und Finanzwesen Protokapitalismus Gebrauchsprosa vol, monstrar, rason), den Liquidentausch bei dra (aus de la > d(e) la > dra) sowie durch quilò (< ( EC ) CŬ ( M ) ( H ) I ( C ) + IN LOCO / illoco). Die Notwendigkeit einer juristischen und kommerziellen Gebrauchsprosa, die allgemein verständlich und damit im Volgare abgefasst ist, wird in der florierenden Stadtkultur deutlich. Guido Faba fasst erste volkssprachliche Musterbriefe ab, und die Statuti bolognesi fordern volkssprachliche Ausdrucksfähigkeit vom Notar. Als schwach diatopisch markiertes, eklektisches Modell entwickelt sich eine oberitalienische Gemeinsprache, die koinè padana, die in der Literatur u. a. der Veroneser Giacomo da Verona oder der Lombarde Bonvesin de la Riva pflegen. Bologna und die koinè padana 3.6 Der Reichtum toskanischer Schreibkultur Zum breitesten und gleichzeitig tiefsten Ausbau der Volkssprache kommt es jedoch zweifelsohne in der Toskana, insbesondere in Florenz. Die toskanischen Städte haben einen ähnlichen Aufschwung erlebt wie die Handelsstädte im Norden (Mailand, Venedig, Genua), allerdings steht bis zum 12. Jahrhundert Florenz noch hinter Pisa, Siena und Lucca zurück. Ab dem 13. Jahrhundert übernimmt es durch seine besonders eindrucksvolle wirtschaftliche Blüte die Führungsrolle. Große Handelsgesellschaften werden gegründet, und die Florentiner Bankhäuser spielen für den Geldverkehr in Italien und darüber hinaus eine wichtige Rolle − dies alles in einer Zeit, in der mit dem Wechselbrief (cambiale) der bargeldlose Zahlungsverkehr und das Kreditwesen revolutioniert und mit der auf kommenden doppelten Buchführung (partita doppia) die Verbuchung professionalisiert wird. Sicherlich ist es kein Zufall, dass Letztere erstmals in italienischsprachigen Handbüchern beschrieben werden wird, zunächst in Della mercatura von Benedetto Cotrugli und dann als „Venezianische Methode“ tituliert in dem 1494 gedruckten Werk Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalita des Franziskanermönches Luca Pacioli. Auch der Hauptbuchhalter der Fugger, Matthäus Schwarz, wird in Mailand und Venedig eine Kaufmannslehre absolvieren und den Reichtum der Augsburger Handelsfamilie nicht zuletzt mit seinen in Italien erworbenen Kenntnissen der doppelten Buchführung mehren, die er weiterentwickeln und im deutschsprachigen Raum verbreiten wird. Der fiorino d’oro wird zum beliebtesten Zahlungsmittel Europas, eine Art Leitwährung der westlichen Welt. In diesem protokapitalistischen System geprägte Wörter wie capitale (1211), sconto (1278), contante (1312) sind noch im modernen Italienisch in Gebrauch und wurden in die verschiedenen europäischen Sprachen entlehnt, deren Finanzterminologie bis heute italienisch geprägt ist (z. B. dt. Agio, Bankrott, Giro-Konto, Kapital, Konto, Skonto; fr. agio, banqueroute, capital, comptant, compte, compte courant, escompte; sp. agio, bancarrota, capital, contante, cuenta corriente, descuento). In der Toskana sind es also die Kaufleute, die die Praxis des Schreibens in der Volkssprache begründen. Die ersten Sprachzeugnisse der Region sind Reutner_Stb_sV-256_End.indd 71 15.08.11 15: 18 <?page no="84"?> 72 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Guittone d’Arezzo Guido Guinizelli Dolce stil novo kaufmännische Dokumente, wie der Conto navale pisano aus dem beginnenden 12.- Jahrhundert, und florentinische Rechnungsbücher, allen voran die Frammenti d’un libro di conti di banchieri fiorentini von 1211 (vgl. S. 55). In der zweiten Hälfte des Duecento und zu Beginn des Trecento entsteht in den Städten der Toskana, insbesondere in Florenz, dann eine besonders ansprechende kommerzielle und juristische Gebrauchsprosa, die derjenigen anderer Zentren in Ausdrucksreichtum und -feinheit weit überlegen ist. Die wirtschaftliche Blüte geht mit einer kulturellen Blüte einher. Im aretinischen Volgare sind 36 Briefe von Guittone d’Arezzo (1230−1294) erhalten, Meisterwerke der ars dictandi, in denen die Empfehlungen Guido Fabas zur Anwendung lateinischer Vorbilder auf die Volkssprache konsequent umgesetzt sind. Guittone stammt aus dem wohlhabenden Bürgertum von Arezzo, tritt 1265 aber aus vielerlei Gründen enttäuscht in den Franziskanerorden der Cavalieri di Santa Maria ein, der u. a. das Anliegen verfolgt, die Fehden zwischen Guelfen und Ghibellinen zu schlichten. Guittones Briefe entstanden allesamt nach seiner Konversion. In ihnen ermahnt er seine Umwelt zur Besserung und unterstützt mit seinem engagierten Auftreten die Anliegen der oben bereits vorgestellten Ordensbrüder Franz von Assisi und Iacopone da Todi. Diese Haltung prägt nach 1265 auch seine Lyrik politischen, moralischen und geistlichen Anspruchs, die italienische, altokzitanische und lateinische Ausdrucksformen vereint und durch auffallend viele rhetorische Figuren gekennzeichnet ist. Um 1270 dichtet sein Schüler Guido Guinizelli (1230/ 40−1276) Kanzonen und Sonette im Volgare. Der gebürtige Bologneser ist Richter und Politiker in Castelfranco. Seine poesiegeschichtlich besonders prägnante Lehrkanzone beginnt mit folgender Stanze: Al cor gentil rempaira sempre amore come l’ausello in selva a la verdura; né fe’ amore anti che gentil core, né gentil core anti ch’amor, natura: ch’adesso con’ fu ’l sole, sì tosto lo splendore fu lucente, né fu davanti ’l sole; e prende amore in gentilezza loco così propïamente come calore in clarità di foco. Im edlen Herzen findet die Liebe stets Zuflucht / so wie der Vogel im Grün des Waldes; / weder schuf die Natur die Liebe vor dem edlen Herzen, / noch das edle Herz vor der Liebe: / denn als die Sonne da war, / war zugleich auch der Sonnenstrahl da, / aber er war nicht vor der Sonne da; / und die Liebe nimmt ihren Platz im Edlen / so angemessen ein / wie die Hitze im hellen Licht des Feuers. Guido Guinizelli wird von Dante im Purgatorio (XXVI, 97) der Divina Commedia als Stammvater der Dichter des Dolce stil novo betitelt: „il padre Mio e degli altri miei miglior che mai Rime d’amore usar dolci e leggiadre“ (der Vater von mir und Besseren, die je süße, leichte Liebesreime gedichtet haben). Die neuen Dichter fühlen sich unmittelbar durch Amor inspiriert, und so lässt Dante Reutner_Stb_sV-256_End.indd 72 15.08.11 15: 18 <?page no="85"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 73 gentilezza Guido Cavalcanti Rustico Filippi ebenfalls im Purgatorio (XXIV, 58 ff.) den Dichter Bonagiunta da Lucca erklären: „Io veggio ben come le vostre penne / di retro al dittator sen vanno strette, / che delle nostre certo non avvenne“ (Ich sehe wohl, wie eure Federn [die der Stilnovisten] / dem, der diktiert [Amor], aufs Wort gehorchen, / was mit unsern [den Federn von Giacomo da Lentini, Guittone d’Arezzo und Bonagiunta selbst] sicherlich nicht geschehen ist). Mit einem Amor, der dem Dichter „diktiert“, wird gleichzeitig eine Analogie zur Rhetorik hergestellt und schon im Vokabular deutlich, dass der Dolce stil novo auf der ars dictandi auf baut. Der Dolce stil novo entwickelt sich zwischen 1280 und 1310 v. a. in Florenz und besingt in einem weitgehend entdialektalisierten Volgare die Liebe als intellektuelles und philosophisches Konzept. Mit ihm übertreffen die Toskaner die von den Sizilianern aus dem Altokzitanischen rezipierte Lyrik und überführen sie gleichzeitig aus dem Bereich der höfischen Kultur in die bürgerliche Stadtkultur. Sie überwinden die Vorstellungen des höfischen Feudalwesens und wenden sich dem stadtbürgerlichen Ideal des Geistesadels zu. Dieser ist im Schlüsselbegriff der gentilezza kondensiert, der die zitierte Lehrkanzone Guinizellis prägt („al cor gentil“, „in gentilezza“). Der neue Stil setzt spätestens mit Guido Cavalcanti (1250/ 55−1300) ein, der mit der Kanzone Donna me prega, einer Replik auf Guinizellis Meisterwerk Al cor gentil, die Überlegungen zur Liebe verfeinert, visionär erweitert und dabei das Programm des neuen Stils entwirft. Neben anderen berühmten Namen wie Lapo Gianni, Gianni Alfani, Dino Frescobaldi, Cino da Pistoia oder Chiaro Davanzati ist auch Dante Alighieri der neuen Stilrichtung zuzurechnen, wenn er in der Vita Nuova seiner Liebe zu Beatrice Ausdruck verleiht. Damit sind die bekannten Dichter allesamt Autoren, die sich dem Frauenlob widmen, die Unerreichbarkeit der Verehrten besingen und dabei die Liebe als Prozess der individuellen Reifung und Veredelung beschreiben. Während die Stilnovisten alles daran setzen, Anklänge an die banale Alltagswirklichkeit zu vermeiden, ist anderen gerade an der wirklichkeitsbezogenen, wenn auch parodistisch überspitzten Darstellung ihrer Umwelt gelegen. Ähnlich wie die römischen Satirendichter Martial und Juvenal, die zur damaligen Zeit aber unbekannt sind, verfasst Rustico di Filippo (1230/ 40−1291/ 1300) als erster Vertreter des italienischen Mittelalters komisch-realistische Sonette. In ihnen erweckt er Urbilder des Feiglings, Gehörnten oder Geizhalses, wie sie aus der antiken Komödie und den späteren Komödien von Molière oder Goldoni bekannt sind. Um diese Figuren adäquat zu beschreiben, bereichert er die Lyrik um Ausdrücke, die zuvor völlig ungeeignet für die Dichtung erschienen. Doch für die nun behandelten gemeinen, verwerflichen, gar obszönen Inhalte ist gerade eine raue und ungeschliffen wirkende, mit Archaismen und Dialektismen durchsetzte Sprache adäquat. Einen Eindruck mag das folgende Sonett vermitteln, das in der Tradition des klassischen vituperium steht. In einer raschen Aufeinanderfolge von Hyperbeln und Vergleichen wird das Bild eines außerordentlich stinkenden Menschen entworfen und der beschriebene Zeitgenosse Lutieri damit auf durchaus sympathische Weise lächerlich gemacht: Reutner_Stb_sV-256_End.indd 73 15.08.11 15: 18 <?page no="86"?> 74 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Cecco Angiolieri Novellino und Novellentradition Ne la stia mi par esser col leone quando a Lutier son presso ad un migliaio, che pute più che ’nfermo uom di pregione o che nesun carname o che carnaio. Li suo’ cavegli farian fin buglione e la cuffia faria ric[c]o un oliaio; e li drappi de lin bene a ragione sarian per far panel di quel massaio. E’ sente tanto di viverra fiato e di leonza o d’altro assai fragore, mai nesun ne trovai sì smisurato; ed escegli disopra un tal sudore, che par veleno ed olio mescolato: la rogna compie, s’ha mancanza fiore. Es erscheint mir, als ob ich mit einem Löwen im Käfig sei, / wenn ich zusammen mit Lothar auf eine Meile Entfernung eingesperrt bin, / der stärker stinkt als ein kranker Mann im Gefängnis / oder als irgendein Aas oder Beinhaus. / Aus seinen [fettigen] Haaren ließe sich eine feine Suppe kochen, / und seine [speckige] Mütze würde einen Ölhändler reich machen, / und die Leintücher wären gerade recht, / um Putzlumpen für den Hausverwalter daraus zu machen. / Und er stinkt so sehr nach Kompost / und nach Löwe und anderem Gebrülle [dem Gebrülle anderer wilder Tiere], / dass ich noch nie jemanden so maßlos fand; / außerdem verströmt er einen solchen Schweiß, / dass es wie eine Mischung aus Gift und Öl erscheint: Die Krätze macht das Bild komplett, stattdessen fehlt die [wohlriechende] Blüte. Im besonderen Gegensatz zum Stilnovismus stehen dann die komisch-realistischen Sonette von Cecco Angiolieri (1255/ 60−1311/ 13) aus Siena. Diese Stadt ist bäuerlicher geprägt als ihr ständiger Rivale Florenz, aber u. a. mit den Bankhäusern der Tolomei und Buonsignori durchaus finanzkräftig und als Ausrichtungsort beliebter Turnierkämpfe (vgl. den bis heute gepflegten Palio di Siena) das führende Sportzentrum der damaligen Zeit. So ist es kaum verwunderlich, dass es gerade hier zur Parodie florentinischer Idealität kommt. In antiidealistischer Satire zur körperlosen Lyrikkultur seiner Zeit bedichtete Angiolieri provokant-erotisch ein Mädchen aus dem Volk, die schnippische Gerberstochter Becchina. Sie widersteht ihm, wie aus der Tradition der Minnelyrik bekannt, aber nicht etwa aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit, sondern einfach aus der pragmatischen Berechnung heraus, dass die ungleiche Verbindung sowieso in keine materiell lohnenswerte Beziehung für sie führen könne. Ein solcher Realismus ist bei Angiolieri mit ausgeprägtem Sinn für Humor gepaart, und so wird z. B. der in der aristokratischen Liebeslyrik beinahe heilige Herzensdiebstahl ähnlich eines Handtaschenraubs karikiert, als Entwendung des Organs bei einem Straßendiebstahl. Ein schönes Beispiel für stilistisch einfach gestaltete Erzählprosa im Volgare gibt der zwischen 1281 und 1300 entstandene Novellino bzw. Libro di novelle e di bel parlar gentile. Es handelt sich um die erste Sammlung volkssprachlicher Novellen der Neuzeit. Sie umfasst genau hundert Novellen, was im Mittelalter, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 74 15.08.11 15: 18 <?page no="87"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 75 Wissenschaftsprosa von Restoro d’Arezzo wie beim Cantico bereits gesehen, eine große Rolle spielt, denn 100 ergibt sich aus der Multiplikation von zehn mal zehn, der Zahl der Vollkommenheit. Gegliedert ist die Sammlung in einen Prolog und 99 Novellen, also drei (Trinität) mal 33 (Lebensalter Christi). Die numerische Perfektion in der Hundertzahl mag auf eine nachträgliche Korrektur zurückgehen, wird von nun an aber die europäische Novellentradition in ihrer Gesamtheit prägen. Ebenso zeichnen sich Novellensammlungen seither durch das Aufgreifen und Verarbeiten populärer Erzählstoffe aus, was im Novellino zu einem in historischer wie literarischer und psychologischer Hinsicht reichhaltigen Figurenrepertoire führte und u. a. Alexander den Großen, Artus, Cato, Christus, David, Diogenes, Friedrich Barbarossa, Friedrich II., Saladin, Salomo, Seneca, Sokrates, Trajan oder Tristan auftreten lässt. Dass die Gattung der Novelle in der florentinischen Handelsgesellschaft entsteht, ist kein Zufall. Denn der richtige Umgang mit dem Wort ist hier kein Privileg von Klerikern mehr, sondern Erfolgsgarant des Kaufmanns beim Anpreisen bzw. Vermarkten seiner Waren sowie bei der Abwendung eventueller Klagen. Die Fähigkeit des bel parlar entwickelt sich denn auch zum Schlüsselbegriff der Sammlung. Ihre Lektüre wird den Bürgern im Prolog zur Meisterung schwieriger Lebenslagen empfohlen, in denen sie Abschnitte aus den Novellen zur Stützung der eigenen Argumentation heranziehen könnten. Darüber hinaus stehen die Novellen aber auch am Anfang einer frühen Kommunikationsgesellschaft und stillen das Unterhaltungs- und Informationsbedürfnis des sich emanzipierenden Individuums der frühen Neuzeit. Als Beispiel sei der Anfang der Novellino-Version der berühmten Ringparabel (Novelle 73) zitiert: Come il Soldano, avendo bisogno di moneta, vuolle cogliere cagione a un giudeo. Il Soldano, avendo bisogno di moneta, fo consigliato che cogliesse cagione a un ricco giudeo ch’era in sua terra, e poi gli togliesse il mobile suo, ch’era grande oltre numero. Il Soldano mandò per questo giudeo, e domandolli qual fosse la migliore fede, pensando: s’elli dirà la giudea, io dirò ch’elli pecca contra la mia. E se dirà la saracina, e io dirò: dunque, perché tieni la giudea? Wie der Sultan, als er in Geldnot war, gegen einen Juden vorgehen wollte. Als der Sultan einmal in Geldnot war, riet man ihm, einen Vorwand zu suchen, um gegen einen reichen Juden, der im Lande wohnte, vorzugehen und ihm dann seine unermesslichen Reichtümer wegzunehmen. Der Sultan schickte nach dem Juden und fragte ihn, welches der beste Glaube sei. Dabei dachte er sich: Sagt er, der jüdische, werde ich sagen, dass er sich gegen meinen Glauben versündigt. Sagt er, der sarazenische, werde ich antworten: Weshalb hältst du dann am jüdischen Glauben fest? Aus derselben Zeit stammt auch das erste Beispiel für Wissenschaftsprosa im Volgare, La composizione del mondo (1282) von Restoro (bzw. florentinisch Ristoro) d’Arezzo. In diesem achtteiligen Traktat werden v. a. geographische und astronomische Themen behandelt und u. a. erstmals die heißen Quellen von Larderello (Toskana), Funde von fossilen Meerestieren oder die Erosion der Berge beschrieben. Die sonstige wissenschaftliche Produktion der Zeit wird durchweg lateinisch formuliert, so z. B. die theologisch-philosophischen Schriften des Dominikaners Thomas von Aquin (1225−1275) oder des Franzis- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 75 15.08.11 15: 18 <?page no="88"?> 76 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Die Rettorica von Brunetto Latini kaners Bonaventura da Bagnoregio (1221−1274). Restoro hingegen befriedigt das neu entstandene Interesse des Bürgers an Sachthemen und führt damit die von Brunetto Latini im Tresor und Tesoretto geleistete Auf klärungsarbeit fort (vgl. 8.1.1). Um hierfür das Volgare verwenden zu können, muss Restoro viel Spracharbeit leisten. Ähnlich wie für die Übersetzer Alfons des Weisen (1221−1284), der in Toledo wissenschaftliche Prosa ins Spanische übertragen lässt, gilt es auch in Italien, adäquate Ausdrücke für Dinge zu finden, über die zuvor noch nicht in der Volkssprache geschrieben worden ist. Doch Restoro geht es mehr um den Inhalt als um die Rhetorik und so wählt er syntaktisch einförmige Muster, variantenarm verknüpfte Teilsätze, einfache, direkte Ausdrücke. Gerade dadurch ist er sehr leicht verständlich und kommt dem neugierigen Kaufmann didaktisch optimal entgegen. Gleichzeitig begründet Restoro damit die literarische Prägung, die das Schreiben über Wissenschaft in der italienischen Volkssprache über Tommaso Campanella und Galileo Galilei hinaus bis hin zu Giambattista Vico behalten wird. Nach Bologna mit dem herausragendem Guido Faba wird Florenz zum zweiten Zentrum volkssprachlicher Rhetorik, die zuerst im Rechtswesen systematisch eingesetzt wird. Für den Aufschwung dieser Kunst ist wiederum Brunetto Latini maßgebend, diesmal mit seiner Rettorica (1260−1266). Es handelt sich um die Übertragung und den Kommentar der ersten siebzehn Kapitel aus Ciceros De inventione. Darin erklärt Latini seine Konzeption von Rhetorik als „scienzia d’usare piena e perfetta eloquenzia nelle publiche cause e nelle private“, also als Kunst, öffentliche wie private Angelegenheiten in perfekter Eloquenz darzulegen. Latini überträgt auch erstmalig in Europa Reden Ciceros in die Volkssprache und verbindet in den Kommentaren hierzu Sprachkunst mit Ethik. Den so formulierten moralischen Anspruch an das sprachliche Schaffen teilt er nicht nur mit antiken Autoren, sondern auch mit den späteren Humanisten, was Latini zum Vorläufer des europäischen Humanismus werden lässt. Dante wird ihn später ehrerbietig als seinen maestro bezeichnen (Inferno XV, 85) und ihm seinen Tesoro empfehlen lassen (XV, 119−120): „Sìeti raccomandato il mio Tesoro / nel quale io vivo ancora, e più non cheggio“ (Es sei Dir mein Tesoro empfohlen, in dem ich weiterlebe, dies genügt mir). Gleichzeitig wird er ihn als Sodomiten (damals u. a. Bezeichnung Homosexueller) in der Hölle platzieren, was − wenig verwunderlich − vielfältige Diskussionen über Latinis tatsächliche sexuelle Neigung aufwirft. Bei Latini finden sich jedenfalls zahlreiche lexikalische Erstbelege und syntaktisch-stilistische Neuerungen. Seine Bedeutung besteht aber insbesondere darin, dass er den Nutzen illustrer volkssprachlicher Gebrauchsprosa erkannte und sie den Florentinern zugänglich machte. Hiervon legt der bekannte Chronist Giovanni Villani (1276−1348) in seiner Nuova Cronica (ca. 1322−1348) Zeugnis ab: Nel detto anno 1294 morì in Firenze uno valente cittadino il quale ebbe nome ser Brunetto Latini, il quale fu gran filosofo, e fu sommo maestro in rettorica, tanto in bene sapere dire come in bene dittare. E fu quegli che spuose la Rettorica di Tullio, e fece il buono e utile libro detto Tesoro, e il Tesoretto, e la chiave del Tesoro, e più altri libri in filosofia, e de’ vizi e di virtù, e fu dittatore del nostro comune. Fu mondano uomo, ma di lui avemo fatta menzione, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 76 15.08.11 15: 18 <?page no="89"?> Die Anfänge volks sprachlichen S chreibens im 13. J ahrhundert 77 Differenziertes Schulwesen Späte Universitätsgründung volgarizzamenti perocch’egli fu cominciatore e maestro in digrossare i Fiorentini, e farli scorti in bene parlare, e in sapere guidare e reggere la nostra repubblica secondo la politica. Im Jahre 1295 starb in Florenz ein tüchtiger Bürger, der den Namen Brunetto Latini trug, ein großer Philosoph war und ein ausgezeichneter Meister in der Rhetorik, im Sprechen wie im Schreiben. Er widmete sich der Rhetorik Ciceros und schrieb das gute und nützliche Tesoro genannte Buch sowie den Tesoretto und den Schlüssel des Tesoro und weitere philosophische Bücher über Laster und Tugenden und er war Kanzler unserer Kommune. Er war ein weltoffener Mann, den wir erwähnt haben, weil er Initiator und Meister darin war, die Florentinier zu zivilisieren und sie ebenso zum guten Sprechen anzuleiten wie zur Fähigkeit, unsere Republik politisch zu leiten und zu regieren. Dem gleichen Chronisten ist ein wichtiger Hinweis darauf zu verdanken, dass die Laienbildung in Florenz auf breitem Fundament steht. So berichtet er über den Ausbau des Schulwesens: Troviamo ch’e’ fanciulli e fanciulle che stanno a leggere, da otto a dieci mila. I fanciulli che stanno ad imparare l’abbaco e algorismo in sei scuole, da mille in milledugento. E quegli che stanno ad apprendere la grammatica e loica in quattro grandi scuole, da cinquecentocinquanta in seicento. Wir finden zwischen acht- und zehntausend Jungen und Mädchen, die lesen können; zwischen tausend und tausendzweihundert Jungen, die [den Umgang mit dem] Abakus [ein Rechenhilfsmittel mit Kugeln] und Algorithmus in sechs Schulen lernen; und zwischen fünfhundertfünfzig und sechshundert, die Grammatik und Logik in vier großen Schulen lernen. Aus diesen, wenn auch nicht unumstrittenen Zahlen lässt sich ablesen, dass in Florenz der Anteil der Alphabetisierten gemessen an der Gesamtbevölkerung sehr hoch ist. Außerdem wird deutlich, dass Florenz ein differenziertes Schulwesen hat. Es ist gegliedert in die Grundschule, in der die „fanciulli e fanciulle“ lesen und schreiben lernen und an die sich entweder die Schule des kaufmännischen Rechnens und der Mathematik anschließt (abbaco und algorismo), die als Berufsschule bezeichnet werden könnte und in der kaufmännisches Wissen gelehrt wird, oder die Schule der Grammatik und Logik (grammatica e loica), d. h. die Lateinschule, deren Absolventen die Universität besuchen können. Für den eindrucksvollen Ausbau des Volgare in Florenz wird in der Forschung allgemein auch die Tatsache verantwortlich gemacht, dass dort erst spät eine Universität gegründet wurde (1349). Somit war Florenz weniger in der prestigereichen Tradition klassischer Bildung verwurzelt und musste intellektuelle wie praktische Bedürfnisse des interessierten Bürgers auf andere Weise stillen. Von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung der toskanischen Kunstprosa sind somit auch die vielen Übersetzungen des 13. Jahrhunderts aus dem Latein (u. a. von Brunetto Latini), aber auch aus dem Französischen. Dabei handelt es sich weniger um Versuche der wörtlichen Wiedergabe als um paraphrasierend-kommentierende Textarbeit. Der heute übliche Terminus tradurre (< klat. TRADUCERE ‘entlehnen, herüberführen’, das erst bei den Huma- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 77 15.08.11 15: 18 <?page no="90"?> 78 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung nisten durch Fehlinterpretation zu ‘übersetzen’ wurde) ist damals noch unbekannt, gebräuchlich sind translatare (< mlat. transferre), ricare, ridurre, sporre oder mettere in volgare und v. a. volgarizzare. Mit den zahlreichen volgarizzamenti werden zunehmend stilistische Ansprüche verbunden, primär aber entspringen sie dem Interesse an einer weiten Verbreitung. Den Kaufmann als Adressaten im Blick, wird ganz besonders auf praktische Verständlichkeit Wert gelegt. So zeichnet sich das Toskanische nach dem beschriebenen Ausbau durch eine außerordentliche Klarheit aus, wie sie keine der anderen romanischen Volkssprachen so frühzeitig entwickelt. Bevor sich Dante in der Divina Commedia ein ewiges Denkmal setzt und Petrarca und Boccaccio überhaupt erst zu schreiben beginnen, ist die Toskana bereits zum führenden Kulturzentrum Italiens geworden und damit eine klare Vorentscheidung der auf kommenden und später so prägenden Questione della lingua getroffen. Vorreiterrolle der Toskana Die wirtschaftliche Blüte der Toskana geht mit einer Blüte der volkssprachlichen Literatur einher. Mit dem Dolce stil novo wird die Lyrik aus dem höfischen Feudalsystem in die bürgerliche Kultur überführt (Guido Guinizelli, Guido Cavalcanti, Dante Alighieri). Als Kontrapunkt hierzu kommt die komisch-realistische Dichtung auf (Rustico Filippi, Cecco Angiolieri), in der die Toskaner ebenso Vorreiter des europäischen Mittelalters sind wie mit der ersten Novellensammlung (Novellino). Darüber hinaus ist das erste Beispiel für italienische Wissenschaftsprosa toskanischen Ursprungs (Restoro d’Arezzos La composizione del mondo) und werden weitere Gattungen wie Chronik und Geschichtsschreibung gepflegt. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 78 15.08.11 15: 18 <?page no="91"?> Kriege und Seuchen Von der Kommune zur Signoria Papstexil Tre corone Exil 4 Le tre corone: Die Blüte der italienischen Literatur im 14. Jahrhundert Das 14. Jahrhundert ist geprägt durch Wandel und Verunsicherung, gespalten durch gegensätzliche Ideologien, mittelalterliche und neuzeitliche, die langsam die älteren ablösen werden. Es ist ein instabiles Jahrhundert mit Kriegen zwischen den Kommunen, Parteienkämpfen innerhalb einzelner Stadtrepubliken, Aufständen und Revolten. Die Landflucht führt zur Übervölkerung der Städte, zu Nahrungsmangel und letztendlich zu zahlreichen Seuchen, allen voran der Pestepidemie von 1348, die Boccaccio als Rahmenhandlung seines Decamerone wählt. Die Krisen und Kriege des Trecento erfordern eine Stärkung der Administration und begünstigen das Entstehen zentralistischer Regierungsformen. Politisch ist das 14. Jahrhundert damit durch den Übergang von der Kommune zur Signoria gekennzeichnet, d. h. durch den Wandel von den republikanischen Stadtstaaten zur − später auch erblichen − Alleinherrschaft eines Signore und seiner Familie. Die Kämpfe zwischen Kaisertum und Papsttum bringen den Papst immer stärker unter französischen Einfluss. Durch das Papstexil in Avignon (1307−1377) entsteht in Rom ein Machtvakuum, das die kommunale Struktur und die Kaufmannschicht fördert, aber auch zum Machtkampf der konkurrierenden Adelsfamilien Colonna und Orsini führt und vorübergehend Cola di Rienzo die Herrschaft erlangen lässt. Angesichts des andauernden Hundertjährigen Krieges (1337−1453) in Frankreich kehrt der Papst nach einer Restrukturierung des Kirchenstaates 1370 nach Rom zurück. Bis zur Beendigung des Schismas auf dem Konstanzer Konzil (1414−1418) bleibt seine Macht aber weiterhin geschwächt. Die politisch-gesellschaftliche Heterogenität Italiens spiegelt sich auch in der Vielfalt der praktizierten Literaturformen. Im Zentrum stehen dabei natürlich die Werke der Tre corone, der großen Dichter Dante, Petrarca und Boccaccio, die in Florenz den Höhepunkt und Abschluss der ersten Ausbauphase des Volgare bilden. Das Todesjahr von Boccaccio, 1375, kann daher als Zeitmarke für das Ende dieser sprachgeschichtlichen Periode gelten. 4.1 Dante als padre della lingua Dante Alighieri (1265−1321) ist in Florenz geboren, wo sich die mit den Ghibellinen konkurrierenden papsttreuen Guelfen in Weiße Guelfen aufteilen, die kaiserfreundlich waren, und Schwarze Guelfen, die eine harte Politik gegenüber dem Kaiser verfolgen. Als Weißer Guelfe muss Dante 1302 seine Heimatstadt nach der Machtübernahme der Schwarzen Guelfen verlassen. Während seines Exils weilt er in den verschiedensten Gegenden taliens, lernt die dortigen Dialekte kennen und kommt zu der Überzeugung, dass Italien für Reutner_Stb_sV-256_End.indd 79 15.08.11 15: 18 <?page no="92"?> 80 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Vaterfigur Abb. 4.1 Dante Alighieri, Giotto di Bondone Tiefen- und Breitenwirkung Questione della lingua eine gemeinsame Literatursprache bereit sei. Er stirbt in Ravenna, wo er bis heute begraben liegt. In der Basilica Santa Croce in Florenz findet sich zu seiner Erinnerung nur ein Kenotaph, also ein leeres Grab. Für die Fortentwicklung der italienischen Sprache sind seine theoretischen Abhandlungen und v. a. seine eigene literarische Praxis wegweisend. Petrarca nennt ihn „dux nostri eloquii vulgaris“ und bis heute wird er von Italienern unterschiedlicher Provenienz als „padre della lingua“ bezeichnet. Dabei wird immer wieder gefragt, warum dieser Ehrentitel nicht anderen zuteil wurde: Franz von Assisi zum Beispiel, dem Verfasser des umbrischen Sonnengesangs und damit des ersten wichtigen Textes der italienischen Literaturgeschichte, Giacomo da Lentini, der die Sprache der ersten größeren Gruppe von Dichtern entscheidend prägte, Guittone d’Arezzo, dem religiösen Dichter von Sonetten und Kanzonen, oder Guido Faba, der als Bologneser Rhetoriklehrer die italienische Prosa auf eine Stufe mit dem Latein hob. Bereits im Duecento schrieben diese Autoren in einem Volgare, das sich wenig von der Sprache Dantes unterschied. Die Leistung Dantes übertrifft aber alles Bisherige sowohl in der Tiefe der theoretischen Reflexion als auch in der Bedeutung des praktischen Tuns. Dante ist unbestreitbar der Schöpfer der Sprache, die für alle kulturellen Ausdrucksformen geeignet ist. Vor ihm haben die Vorherrschaft des Lateins und das kulturelle Prestige Frankreichs verhindert, dass einer der italienischen Dialekte den großen Literatursprachen ebenbürtig wird. Die bisher erwähnten Versuche des Sprachausbaus sind alles in allem regional versprengte Ausnahmeerscheinungen. Erst Dante erhebt mit einem Schlag das Italienische in den Rang einer Sprache, die für große Dichtung und philosophische Spekulation gleichermaßen geeignet ist. Er löst auch in der Toskana eine sehr positive Einstellung zur Volkssprache aus und erzielt als erster eine beachtliche Breitenwirkung. Die Auseinandersetzung zwischen Latein und Volgare wird trotzdem bis in die Zeit der Renaissance und in manchen Bereichen auch noch darüber hinaus andauern. Dante ist mit seinem Eintreten für die Volkssprache damit einerseits aus der Perspektive dieser Polarität zwischen Latein und der Volkssprache zu würdigen. Andererseits schneidet er die Frage an, welche sprachlichen Formen der Volkssprache einer überregionalen Schrift- und Standardsprache angehören können − eine Frage, die unter dem Stichwort Questione della lingua die italienische Sprachgeschichte bis heute prägt. Ähnlich den Autoren des Duecento wie Guido Faba, die versucht haben, die Volkssprache mithilfe der mittelalterlichen Stillehre zu veredeln, will auch Dante neben dem Latein, und nicht gegen das Latein, eine italienische Hochsprache mit überregionalem Vorbildcharakter schaffen. Durch rhetorische Verfeinerung soll diese für die Versprachlichung jedweder Gedanken und Sachverhalte geeignet und gleichzeitig einem breiterem Publikum verständlich sein. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 80 15.08.11 15: 18 <?page no="93"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 81 Wunsch nach Verständlichkeit Abb. 4.2 Beata Beatrix, Dante Gabriel Rossetti Abstrakter Wortschatz Abb. 4.3 Dante and Beatrice, Henry Holiday 4.1.1 Volgare in der Lyrik des Dolce stil novo Zum ersten Mal äußert sich Dante zum Gebrauch der Volkssprache in der Vita Nuova (auch Vita Nova). Diese poetisierte und idealisierte Selbstdarstellung entsteht Ende des 13. Jahrhunderts. In ihrem Mittelpunkt steht die Begegnung mit Beatrice. Dante folgt dem Vorbild des Boethius (De consolatione philosophiae, entstanden um 523) und wählt die Form des Prosimetrums (Prosa + Metrum). Es umfasst bei Dante Gedichte und erklärende, mit rhetorischen Figuren geschmückte Prosatexte, in denen er das Entstehen der volkssprachlichen Liebesdichtung schildert. Ausgelöst worden sei sie durch den Wunsch des Dichters, auch ein weibliches Publikum zu erreichen, dem lateinische Verse nur schwer zugänglich sind („che volle fare intendere le sue parole a donna, a la quale era malagevole d’intendere li versi latini“) − ein Argument, das noch Jahrhunderte später genutzt werden sollte, um die Wahl einer leicht verständlichen, im Grunde auch vielen Männern entgegenkommenden Sprachform zu rechtfertigen. Die Gedichtsammlung selbst ist dem oben schon erwähnten Dolce stil novo zuzurechnen (S. 72 f.), dem in Weiterentwicklung der sizilianischen Dichterschule erreichten lyrischen Höhepunkt Italiens vor Petrarca. Als Hommage an die sizilianischen Dichter wurden die toskanischen Diphthonge auf die ursprünglichen lateinischen Formen reduziert (z. B. uo > o) und so z. B. vom Gedanken der Geliebten gesagt: „move il core dell’amante che ne more“. Ansonsten verwirklicht der junge Dante in seiner Lyrik bereits die Empfehlungen, die er später in De vulgari eloquentia geben wird. Der Wortschatz ist sehr gewählt. Volkstümliche Formen, die sich in der Divina Commedia durchaus finden, werden vermieden. Mit einer aufs Essentielle reduzierten Lexik, häufigem Gebrauch von Ausdrücken wie miracolo oder meraviglia und ohne Bezugnahme auf die Banalität der Alltagswirklichkeit beschreibt er seine Liebe zu Beatrice und ihre spirituelle Schönheit. Wie bei vorangegangenen und mit Petrarca folgenden Dichtern ist eine direkte Lobpreisung der Körperlichkeit tabu: Fesseln, Knie oder Schultern der Angebeteten werden nicht thematisiert, höchstens die Augen können evoziert werden, am besten aber als rai (raggi), was angesichts des Ideals der Kalokagathie (kalós ‘schön’, agathós ‘gut’), der Verbindung aus körperlicher, moralischer und geistiger Vollkommenheit, nicht überrascht. Doch auch ohne die allzu konkrete Beschreibung ihres Aussehens vermag es Dante, die außerordentliche Schönheit Beatrices spürbar zu machen, so auch im berühmtesten ihr gewidmeten Sonett, dem Sonett Nr. 26: Tanto gentile e tanto onesta pare la donna mia quand’ella altrui saluta, ch’ogne lingua deven tremando muta e li occhi no l’ardiscon di guardare. Ella si va, sentendosi laudare, benignamente d’umiltà vestuta; e par che sia una cosa venuta da cielo in terra a miracol mostrare. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 81 15.08.11 15: 18 <?page no="94"?> 82 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Philosophische Abhandlung Vorzüge des Lateins Rechtfertigung des Volgare Mostrasi si piacente a chi la mira, che dà per li occhi una dolcezza al core, che ’ntender no’ lla può chi no’ lla prova; e par che della sua labbia si mova un spirito soave pien d’amore, che va dicendo all’anima: Sospira. So edel und schicklich erscheint / meine Herrin, wenn sie jemanden grüßt, / dass jede Zunge zitternd verstummt [stumm wird], / und die Augen sie nicht anzusehen wagen. / Und sie geht vorüber, wenn sie sich loben hört, / gütig in Bescheidenheit gekleidet; / und es scheint, als sei sie eine Sache, / die vom Himmel auf die Erde gekommen ist, um ein Wunder zu offenbaren. / Sie zeigt sich dem, der sie ansieht, so gefällig, / dass eine Milde durch die Augen zum Herzen strömt, / die nicht verstehen kann, wer sie nicht spürt; / und es scheint, als ob von ihren Lippen / ein sanfter Hauch voll von Liebe ausgeht, / der zur Seele spricht: Seufze. Mit der Vita Nuova erreicht der Stilnovismus seinen Höhepunkt. Die vergöttlichte Beatrice wird in der Divina Commedia wieder auftreten. Mit ihrer beeindruckenden stilistischen Variation und ihrer breiten inhaltlichen Ausrichtung einschließlich substantieller Zeitkritik wird dieses Epos deutlich über die stilnovistische Minnedichtung hinausgehen. 4.1.2 Volgare in der Wissenschaftssprache Das Convivio (1303−1308) ist ein exegetischer Kommentar zu drei Kanzonen, der Dichtungstheorie mit philosophischen Überlegungen verbindet. Während Dante das Volgare in der Vita Nuova für die Liebesdichtung und deren Kommentierung empfiehlt, geht er nun einen großen Schritt weiter und verwendet es für eine philosophische und theoretische Abhandlung. Zunächst einmal stellt Dante die Überlegenheit des Lateins dar, das die Volkssprache in dreifacher Hinsicht übertreffe: „per la nobilità e per vertù e per bellezza“ (I, V, 7). Adelig sei es aufgrund seiner Unveränderlichkeit in der Zeit − was natürlich nur auf die klassisch-lateinische Orientierungsnorm zutrifft und nicht auf die lateinische Alltagssprache. Tauglichkeit attestiert er dem Latein, da es für alle Ausdrucksbedürfnisse geeignet sei. Schön sei es, da es der Grammatik und Rhetorik folge. Dass Dante das Convivio dennoch in der Volkssprache abfasst, bedarf einer ausdrücklichen Rechtfertigung. Als erstes Argument führt er an, dass der Kommentar sprachlich zur Dichtung passen solle. Latein sei der Herrscher, die Volkssprache der Untertan. Ein Herrscher diene nicht dem Untertan, doch ein Kommentar diene dem Kommentierten. Italienische Gedichte können folglich nicht auf Latein kommentiert werden. Zweitens äußert er die Absicht, einen größeren Leserkreis zu erreichen: „lo latino avrebbe a pochi dato lo suo beneficio, ma lo volgare servirà veramente a molti“ (I, IX, 4, Latein hätte wenigen genutzt, aber die Volkssprache dient vielen). Drittens begründet er seine Sprachwahl mit der Liebe zur Muttersprache, deren Entdeckung für ihn zum Schlüsselerlebnis wird. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 82 15.08.11 15: 18 <?page no="95"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 83 Mittlerfunktion Latinismen Verteidigung der Volkssprache in Latein naturalis versus artificialis Dante skizziert in dieser Schrift die Aufgaben, die sich künftig für die Volkssprache stellen, nämlich Mittler zu sein, um alles Wissen denjenigen zu vermitteln, die kein Latein können oder jedenfalls nicht genug, um literarische Werke zu verstehen. Sie sei für diejenigen gedacht, denen „die Sonne des Lateins nicht leuchtet“: Dabei ist das Latein für ihn eine untergehende Sonne: „lo usato sole che a loro non luce“ (I, XIII, 12, die verbrauchte Sonne, die ihnen nicht leuchtet), während er das Volgare mit einer aufgehenden Sonne vergleicht: „sarà […] sole nuovo, lo quale surgera là dove l’usato tramonterà, e darà luce a coloro che sono in tenebre e oscuritade“ (ib., es wird eine neue Sonne sein, die dort aufgehen wird, wo die verbrauchte untergehen wird, und sie wird denjenigen Licht spenden, die im Schatten und in der Dunkelheit sind). Es folgt eine Auseinandersetzung mit den Prestigesprachen Okzitanisch und Französisch bzw. denjenigen, die diese Sprachen der eigenen vorziehen, sowie die Verteidigung der eigenen Sprache, bei der er sich auf Cicero beruft, der das Latein gegenüber dem Griechischen verteidigte. Dantes Prosa ist nun von einer großen Anzahl an Latinismen geprägt und kaum mit seiner lyrischen Ausdrucksweise als Stilnovist vergleichbar. Die starke lateinische Beeinflussung der Prosa des Convivio zeigt schon ein Vergleich des Wortschatzes mit dem des Novellino (N). Dante verwendet im Convivio z. B. argento (N: ariento), domandare (N: adomandare), dubitare (N: dottare), lite (N: piato), onorevole (N: orrevole), strumento (N: stormento), voce (N: boce), figlio (N: figliuolo). Vielfach ist Dantes Wort ein Latinismus, dasjenige des Novellino ein Erbwort. 4.1.3 Auf der Suche nach einem vulgare illustre In seiner fragmentarischen Abhandlung über die Redekunst in der Volkssprache, De vulgari eloquentia (1303−1304), verfolgt Dante das Ziel, eine literaturwürdige italienische Sprache zu finden, die ebenso für die Poesie wie für die Prosa geeignet ist. Sie gilt es durch Regeln zu fixieren und dabei die mittelalterliche Rhetorik auf die volkssprachliche Dichtung zu übertragen. Dass er die Abhandlung über die Volkssprache in Latein verfasst, mag zunächst widersprüchlich erscheinen, erklärt sich aber damit, dass zur Zeit Dantes eine philosophische Abhandlung nur in Latein das für die Verteidigung notwendige Gewicht hatte und die lateinische Sprache grundlegend für die internationale Rezeption war. Zu Beginn unterscheidet Dante grundsätzlich zwei Arten von Sprachen: die lingua naturalis oder locutio vulgaris und die lingua artificialis oder locutio secundaria. Die lingua naturalis werde „sine omnia regula“ durch Nachahmung der Amme erlernt. Die lingua artificialis ist nach Dante das, was die Römer Grammatik nannten. Sie ist durch Konsens vieler Völker geregelt und in Raum und Zeit unveränderlich. Implizit wird hiermit gesagt, dass es in Rom auch noch eine andere, natürliche Form des Lateins gegeben haben muss, während das überlieferte Latein als eine von Gelehrten zur internationalen Verständigung konstruierte zeitkonstante Orientierungsnorm erscheint. Von diesen beiden Reutner_Stb_sV-256_End.indd 83 15.08.11 15: 18 <?page no="96"?> 84 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Babylonische Sprachverwirrung Abb. 4.4 Turm zu Babel, Pieter Brueghel Sprachtypologische Ansätze Sprachen sei die Volkssprache nobilior: „Harum quoque duarum nobilior est vulgaris“. In Unkenntnis des mittelalterlichen Lateins wurde dieser Passus lange Zeit dahingehend ausgelegt, dass die Volkssprache für Dante die edlere sei. Doch gebrauchte Dante nobilior nicht im klassischen Sinne, sondern im Sinne von non vilior, der im 14. Jahrhundert üblichen Bedeutung, wie sie den Etymologiae Isidors von Sevilla zu entnehmen ist. Damit betrachtet er die lingua naturalis als „nicht schlechter“ als die lingua artificialis, so dass beide Sprachen für ihn ebenbürtig sind. Harum quoque duarum nobilior est vulgaris: tum quia prima fuit humano generi usitata; tum qui totus orbis ipsa perfruitur, licet in diversas prolationes et vocabula sit divisa; tum quia naturalis est nobis, cum illa potius artificialis existat. Et de hac nobiliori nostra est intentio pertractare (I, I, 4). Von diesen zwei Sprachen ist die Volkssprache nicht die minderwertigere, da sie als erste von den Menschen verwendet wurde, da sie in der ganzen Welt Verbreitung findet, wenn auch in verschiedenen Aussprachen und Ausdrücken unterschieden, und da sie uns naturgegeben ist, während jene eher künstlich ist. Die nicht mindere Unserige wird zu behandeln beabsichtigt. Anschließend stellt Dante generelle philosophische Überlegungen zur Sprachfähigkeit an, die weder den Tieren, noch den Engeln, sondern nur dem Menschen eigen ist und ihm als fertiges Geschenk von Gott gegeben worden sei. Außerdem denkt er über die Verschiedenheit der Einzelsprachen nach und erklärt sie ganz in der damaligen christlichen Tradition als Folge der babylonischen Sprachverwirrung: Auf Geheiß des Giganten Nimrod hatten sich die Menschen daran gemacht, einen Turm zu bauen. Jeder übernahm unterschiedliche Aufgaben, doch alle sprachen ein und dieselbe Sprache, bis sie ein Schlag aus dem Himmel traf. Architekten, Tischler, Maurer und andere Beteiligte an diesem Projekt unterschieden sich nun sprachlich derart, dass die jeweilige Sprache umso unverständlicher wurde, je wichtiger der Einsatz des Sprechers beim Turmbau war. So zeigt sich in dieser Reinterpretation der biblischen Überlieferung bereits die legge del contrapasso (contra ‘entgegen’ + patior ‘leiden’), ein Prinzip, das die Strafe immer in Verbindung zum Vergehen bemessen lässt und auch die Divina Commedia bestimmen sollte. Auf dem Läuterungsberg können z. B. die Hochmütigen den Blick nicht mehr vom Boden lösen, den Neidischen sind die Augen mit Draht zugenäht, die Trägen sind dazu verdammt, ziel- und rastlos umherzulaufen, und die Wollüstigen werden statt von den Flammen der Leidenschaft von einer tatsächlichen Flammenwand erfasst. Der größte Sünder beim Turmbau zu Babel, Nimrod, erscheint im 31. Höllenkreis und äußert sich mit den rätselhaften Worten „Raphèl may amèch zabì almì“ (Inferno XXXI, 67). Damit verwendet er eine derart sinnentleert verunstaltete Sprache, dass er überhaupt nicht mehr verstanden werden kann. Auf die Erklärung der Sprachverwirrung folgen Dantes sprachliche Gliederungen Europas und der Romania. In beiden Fällen setzt er eine dreigeteilte Sprache an, ein ydioma tripharium (I, VIII, 2/ 5). Europa teilt er in Griechenland, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 84 15.08.11 15: 18 <?page no="97"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 85 Sprachbewertung Dialektale Gliederung Italiens Kritik des Toskanischen romanischsprachige Gebiete und den Rest. Bei den romanischen Sprachen unterscheidet er Okzitanisch, Französisch und Italienisch, je nachdem, ob mit oc, oïl oder sì bejaht wird. Wenn Dante im 33. Höllenkreis Italien als „bel paese là dove ’l sì suona“ beschreibt (Inferno XXXIII, 80), nimmt er wieder auf diese Gliederung Bezug. Bis heute ist sie nicht nur in fr. langue d’oc (> fr. occitan, it. occitano, sp. occitano, dt. Okzitanisch), sondern auch in der beliebten Bezeichnung des Italienischen als lingua del sì präsent (vgl. S. 201 ff.). Die Bejahungspartikel ist als Einteilungskriterium der romanischen Sprachen natürlich wenig geeignet, und die beiden Typologisierungsansätze sind aus heutiger Sicht nicht haltbar. Doch nimmt Dante eine Verwandtschaft wahr, die manch einen schon dazu verleitet hat, ihn zum Wegbereiter der romanischen Sprachwissenschaft, wenn nicht sogar der Indogermanistik zu erheben. Die drei romanischen Sprachen werden behutsam bewertet, und für alle drei werden gewichtige Argumente angeführt: Okzitanisch und Französisch seien delectabilis, angenehm, und im Okzitanischen entstand zudem die erste Liebesdichtung. Doch gibt Dante dem Italienischen den Vorzug und begründet dies einerseits damit, dass die italienischen Dichter des Dolce stil novo noch schöner bzw. dulcius, subtilius, viel süßer und geistreichster, gedichtet hätten. Andererseits bringt Dante das Argument der Lateinnähe des Italienischen, das auch in der weiteren Diskussion immer wieder zur Verteidigung der italienischen Volkssprache angeführt wird. Dann lässt Dante das Problem auf sich beruhen und wendet sich seinem eigentlichen Anliegen zu, der Frage, welcher der vierzehn von ihm aufgezählten italienischen Dialekte der beste und würdigste ist. Dabei zeigt er erstaunliche dialektale Kenntnisse und bewertet die Dialekte gleichzeitig nach ästhetischen Gesichtspunkten. Er beginnt mit den Römern, deren Volgare die abscheulichste aller italienischen Volkssprachen sei und als tristiloquium, als Schauersprache, abqualifiziert wird. Ausgejätet werden dann ebenfalls die Dialekte von Ancona, Spoleto, Mailand, Bergamo, Aquileia, Istrien, Casentino, Fratta und auch das Sardische, denn allein die Sarden scheinen ihm ohne eigene Volkssprache zu sein und das Latein nachzuahmen wie die Affen die Menschen („quoniam soli sine proprio vulgari esse videntur, gramaticam tanquam simie homines imitantes“; De vulgari eloquentia I, XI, 7). Damit spricht er die besondere Lateinnähe des Sardischen an, die bis heute bewahrt ist. Übrig bleibt zunächst das Sizilianische, das ja in der Dichtung schon zu Ansehen gekommen war. Im Munde der vornehmsten Sizilianer, wie es z. B. in den Kanzonen von Guido delle Colonne dokumentiert ist, akzeptiert es Dante denn auch, nicht aber als gesprochenes Sizilianisch der bodenständigen Bevölkerung, das stark von der Dichtersprache abweiche und das er daher ablehnt. Auch den Dialekt von Apulien weist er in seiner alltäglichen Form zurück, obwohl er die Raffinesse einheimischer Autoren wie Giacomo da Lentini oder Rinaldo d’Aquino durchaus lobt. Ähnlich werden mit den Dichtern des Dolce stil novo, Guido Cavalcanti, Lapo Gianni, Cino da Pistoia und „einem anderen“ (Dante selbst), einzelne Autoren aus der Toskana gelobt, dem toskanischen Volk aber ein heterogenes turpiloquium, eine schändliche Sprache, zugeschrie- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 85 15.08.11 15: 18 <?page no="98"?> 86 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Lob des Bolognesischen vulgare illustre ben. Anspruch auf die erlauchte Volkssprache würde von den Toskanern aus reiner Überheblichkeit erhoben, denn selbst die Sprechweise berühmter Toskaner, wie Guittone d’Arezzo oder Brunetto Latini, kann seiner Kritik nicht standhalten. So lässt er keinen Zweifel daran, dass die Volkssprache, die er sucht, eine andere sein muss als die des toskanischen Volkes, was Niccolò Machiavelli (1469−1527) später damit erklären sollte, dass Dante als Verbannter Hassgefühle gegen seine Vaterstadt hegte. Nach Aussonderung des von Dante als derart weiblich qualifizierten Romagnolischen, dass ein männlicher Sprecher für eine Frau gehalten werde, und des als maskulines Gegenstück präsentierten Venezianischen, das jede weibliche Sprecherin entstelle, bleibt zum Schluss nur noch die Sprache Bolognas. Diesbezüglich gibt Dante zunächst denjenigen recht, die die Sprache der Bologneser für die schönste halten. Allerdings macht er auch hier wieder die Einschränkung, dass nicht die bolognesische Volkssprache als vorbildlich gelten könne, sondern die der Begründer der neuen toskanischen Dichterschule, allen voran Guido Guinizelli. Insgesamt wird das Bolognesische deutlich besser bewertet als das Toskanische, was − neben Machiavellis Einwand − daran liegen mag, dass die Universitätsstadt Bologna starke Anziehungskraft auf viele aus Florenz Verbannte ausübt und wegen ihrer geistig-kulturellen Vorherrschaft geschätzt wird. Abschließend steht fest, dass keiner der italienischen Dialekte das gesuchte vulgare illustre darstellt. Dieses müsse sich vielmehr aus der zu engen Bindung an die einzelnen Dialekte lösen und mit Hilfe der Rhetorik zur kunstvollen Sprache werden. Es sei eine Sprache, die jeder italienischen Stadt gehöre und doch keiner ausschließlich und an der alle Stadtmundarten zu messen seien. Charakterisiert wird es durch die Eigenschaften illustre, cardinale, aulicum und curiale. Itaque, adepti quod querebamus, dicimus illustre, cardinale, aulicum et curiale vulgare in Latio quod omnis latie civitatis est et nullius esse videtur, et quo municipalia vulgaria omnia Latinorum mensurantur et ponderantur et comparantur (I, XVI, 6). […] Per hoc quoque quod illustre dicimus, intelligimus qui illuminans et illuminatum prefulgens. [..] Et vulgare de quo loquimur et sublimatum est magistratu et potestate, et suos honore sublimat et gloria (I, XVII, 2). Neque sine ratione ipsum vulgare illustre decusamus adiectione secunda, videlicet ut id cardinale vocetur. Nam sicut totum hostium cardinem sequitur ut, quo cardo vertitur, versetur et ipsum, seu introrsum seu extrorsum flectatur, sic et universus municipalium grex vulgarium vertitur et revertitur […] (I, XVIII, 1). Quia vero aulicum nominamus illud causa est quod, si aulam nos Ytali haberemus, palatinum foret […] (I, XVIII, 2). [….] Unde cum istud in excellentissima Ytalorum curia sit libratum, dici curiale meretur (I, XVIII, 4). Wir fanden also, was wir suchten, und nennen erlauchte, maßgebende, hoffähige und höfische Volkssprache in Italien, was jede italienische Stadt hat und keiner zu gehören scheint; an ihr werden die lokalen Volkssprachen der Italiener gemessen und abgewogen, mit ihr werden sie verglichen. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 86 15.08.11 15: 18 <?page no="99"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 87 illustre, cardinale, aulicum und curiale convenientia Abkehr vom Latein […] Wenn wir erlaucht sagen, meinen wir etwas, das erleuchtend und erleuchtet strahlt. […] Und die Volkssprache, über die wir hier sprechen, ist durch Bildung und Macht erhöht und erhöht die Ihrigen durch Ehre und Ruhm. Und nicht ohne Grund schmücken wir die erlauchte Volkssprache mit einem zweiten Adjektiv, nämlich maßgebend. Wie nämlich die ganze Türe der Angel folgt und sich dorthin, wohin sich die Angel wendet, auch die Tür wendet, nach innen oder außen, so bewegt sich auch die ganze Schar der Stadtsprachen hierhin und dorthin […]. Der Grund, weshalb wir sie hoffähig nennen, liegt darin, dass sie die Sprache des Hofes wäre, wenn wir Italiener denn einen Hof hätten […]. […] Da nun die Volkssprache am hervorragendsten Hof der Italiener ausgewogen wurde, verdient sie es, höfisch genannt zu werden. Die gesuchte Volkssprache sei illustre ‘erlaucht, edel’, da dank ihrer Überzeugungskraft auf den Adressaten Macht ausgeübt werden könne und sie durch die Auswahl des Besten aus den verschiedenen Dialekten Bildung signalisiere. Sie sei cardinale ‘maßgebend’, da sie die Entwicklung der Volkssprachen ebenso bestimme wie eine Angel (cardo, cardinis) die Bewegung einer Tür. Als aulicum ‘hoffähig, bei Hof gesprochen’ bezeichnet er sie, da sie die Sprache des gesamtitalienischen Hofes wäre, wenn es denn einen solchen gäbe; als curiale ‘höfisch, vornehm’, weil sie dem erhabenen, wohlabgewogenen Stil öffentlicher Rede entspreche, wie sie vor der Kurie (curia) gehalten wird. Insgesamt steht außer Frage, dass manche Dialekte mehr und andere weniger zur überregionalen Norm beitragen, die trotz Dantes tendenziös negativer Wertung seiner Heimatsprache letztendlich als ein von dialektalen Merkmalen gereinigtes und auf verschiedene Weise angereichertes Toskanisch beschrieben werden kann. Nicht umsonst bedenkt Dante die toskanischen Dichter des Dolce stil novo mit dem höchsten Lob. Außer dieser höchsten Stilart des vulgare illustre gibt es noch bescheidenere, das vulgare mediocre und das vulgare humile. Von diesen dreien handelt der zweite Teil der Schrift, in der Dante Fragen der Poetik, Stilistik und Metrik angeht. Einleitend formuliert er die Theorie der convenientia, d. h. der Notwendigkeit einer Entsprechung von Sprachstil und Themen: „Per tragediam superiorem stilum inducimus, per comediam inferiorem, per elegiam stilum intelligimus miserorum“ (II, IV, 5; Für die Tragödie benötigen wir den höheren Stil, für die Komödie den niedrigeren, und für die Elegie den Stil der Unglücklichen). Ausgeführt sind aber nur noch die Abschnitte über die Kanzone, während die niedrigeren, für Komödie, Sonett und Elegie angemessenen Stilarten nicht mehr besprochen sind. 4.1.4 Volgare in der literarischen Praxis Immer wieder wurde Dante vorgeworfen, dass die von ihm geübte Praxis seiner Theorie widerspreche. Denn nach der besagten Stillehre müsste die Divina Commedia (1307−1321) als der Tragödie nahestehendes episches Lehrgedicht eigentlich in hohem Stil abgefasst sein, entweder in Latein oder im vulgare illustre. Tatsächlich beginnt Dante nach Aussagen Boccaccios das Werk auch in lateinischen Hexametern, wechselt dann aber die Sprache. Zwei Gründe Reutner_Stb_sV-256_End.indd 87 15.08.11 15: 18 <?page no="100"?> 88 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Abb. 4.5 Dante e il suo Poema, Domenico di Michelino Inhalt Zahlenstruktur Stilmix dürften ausschlaggebend für diesen Wechsel gewesen sein: Boccaccio nennt die Rücksicht auf den Leser. Dante sei sich des Rückgangs der Lateinkenntnisse bewusst gewesen und habe befürchtet, auf Latein nicht gelesen zu werden, wie dass sein Werk von unqualifizierter Hand in die Volkssprache übertragen würde. Doch ist der Sprachwechsel sicherlich auch in Dantes eigener Sprachkompetenz begründet, denn er beherrscht das Latein nicht so vollkommen wie die späteren Humanisten, die Volkssprache hingegen außerordentlich gut. So äußert z. B. Leonardo Bruni in seiner Vita di Dante (1436) die Vermutung, dass Dante seine Vision des Jenseits nur mühsam in lateinische Hexameter hätte kleiden können und sie ungleich müheloser in der Volkssprache umsetzen konnte. Inhaltlich handelt es sich um eine detailliert beschriebene Reise durch die drei Reiche des Jenseits, in denen die Menschen Strafen, Bußen oder Belohnungen erwarten. Geführt von Vergil steigt der noch sündige Dante zunächst in die trichterförmig beschriebene Hölle ab, in der die Verdammten auf ewig Strafen erleiden (Inferno). Dann geht er den Läuterungsberg hinauf, wo Vergehen gegen die sieben Todsünden abgebüßt werden (Purgatorio). Begleitet von Beatrice fliegt der inzwischen erlöste Dante schließlich durch die zehn Himmelssphären zum Empyreum, in dem die Seligen weilen (Paradiso). Die Reise beginnt am Karfreitag des Heiligen Jahres 1300 und dauert sieben Tage bis zum darauffolgenden Donnerstag. Entsprechend der drei durchwanderten Reiche ist die Commedia in drei Cantiche geteilt, von denen jeder in 33 Gesänge (canti) gegliedert ist. Diese bestehen aus jeweils dreizeiligen Strophen (terzina oder terzarima), deren Reimverkettung (aba bcb cdc …), Gesangsanfang und -ende ausgenommen, jeden Reim dreimal erscheinen lässt. Zusammen mit dem einleitenden Gesang des Inferno ergeben die dreimal 33 Gesänge insgesamt hundert. Damit folgt das Werk im Auf bau der bereits im Zusammenhang mit dem Sonnengesang und dem Novellino angesprochenen mittelalterlichen Zahlensymbolik, in der die Zahlen drei (Symbol der heiligen Dreifaltigkeit) und zehn sowie ihre Potenzen neun und hundert als heilig gelten. Darstellungen von Jenseitsreisen in lehrhaft-allegorischer Absicht sind bereits mit den oben vorgestellten Werken von Bonvesin de la Riva (Libro delle tre scritture) und Brunetto Latini (Tesoretto) vorhanden. Doch handelt es sich bei der Divina Commedia zweifelsohne um ein Opus mit einer immensen Bandbreite an Themen. Nach der Theorie der convenientia erfordert diese auch eine große Bandbreite an Sprachstilen. So ist es durchaus angebracht, dass die Commedia nicht durchweg im vulgare illustre abgefasst ist, sondern sprachlich-stilistisch variiert. Dante selbst nannte sein Werk einerseits Commedia (bzw. Comedìa, das Epitheton divina wurde erst später von Boccaccio hinzugefügt), weil es traurig beginnt und glücklich endet, andererseits weil es im stile comico verfasst wurde, der unterschiedliche Sprachvarietäten vereint. So kommen in der Divina Commedia Wörter aus dem Sprachgebrauch vieler sozialer Schichten vor, die das diastratisch heterogene Opus teilweise auch dem Stil zuordnen lassen, den Dante als humile bezeichnet. Ausdrücke, die laut De vulgari eloquentia für das Reutner_Stb_sV-256_End.indd 88 15.08.11 15: 18 <?page no="101"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 89 vulgare humile im Inferno vulgare illustre im Paradiso vulgare illustre unzulässig sind, erscheinen im Inferno durchaus: mamma und babbo, die der Kindersprache angehörten („puerilia propter“), greggia und cetra, die ländlich seien („silvestria propter“), oder femina und corpo, die als städtisch schlüpfrig und abstoßend abgelehnt werden („urbana lubrica et reburra“; jeweils II, VII, 4). Beschreibt Dante etwa die von Teufeln verstümmelten Körper der Zwietrachtsäer im Inferno (XXVIII, 22−27), so schildert er den unappetitlichen Anblick, ohne auf Drastik zu verzichten. Die Wortwahl fällt auf realistische, ungehobelte, gar obszöne Ausdrücke, genau diejenigen also, die in der Vita Nuova sorgsam vermieden werden. Körperteile wie gambe und mento werden nun direkt genannt, mit corata und minugia werden Termini der Schlachter verwendet, die damit die Innereien und Gedärme der Tiere bezeichnen, der Magen (’l triste sacco che merda fa di quel che si trangugia) und das Gesäß (dove si trulla) werden durch triviale Paraphrasen evoziert, und mit merda erscheint sogar ein skatologischer Ausdruck. Già veggia, per mezzul perdere o lulla, com’io vidi un, così non si pertugia, rotto dal mento infin dove si trulla: tra le gambe pendevan le minugia; la corata pareva e ’l tristo sacco che merda fa di quel che si trangugia. Kein Fass, das Deckel oder Dauben verlor, / klafft so auseinander, wie ich einen sah, / der vom Kinn bis dorthin, wo man furzt, zerstört war: / Zwischen den Beinen hingen die Eingeweide; / die Geschlinge erschienen und der traurige Sack, / der Scheiße macht aus dem, was man verschlingt. Eine ganz andere Sprache findet sich im Paradiso, als Dante die Heiligen erblickt. Sie erscheinen ihm wie eine weiße Rose gruppiert, aus ihrer weißen Kleidung bzw. ihren lichtdurchfluteten Körpern ergeben sich die Blütenblätter (Canto XXXI, 1−12). Um den Flug der Engelsschar zu beschreiben, vergleicht ihn Dante mit einem Bienenschwarm, der sich zwischen leuchtenden Blüten und süßem Honig bewegt. Die zuvor schroffen Reime (lulla − trulla, minugia-− trangugia) weichen nun erhabenen Reimen (rosa − sposa). Viele Latinismen unterstreichen den hohen Stil (candida, milizia, gloria, laboro) und das stigmatisierte femina ist im gesamten Paradiso absent. In forma dunque di candida rosa mi si mostrava la milizia santa che nel suo sangue Cristo fece sposa; ma l’altra, che volando vede e canta la gloria di colui che la ’nnamora e la bontà che la fece cotanta, sì come schiera d’ape che s’infiora una fïata e una si ritorna là dove suo laboro s’insapora, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 89 15.08.11 15: 18 <?page no="102"?> 90 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Abb. 4.6 Die weiße Rose, Gustave Doré Florentinischer Charakter Wirkung nel gran fior discendeva che s’addorna di tante foglie, e quindi risaliva là dove ’l süo amor sempre soggiorna. In der Gestalt also einer weißen Rose / erschien mir die heilige Schar, / die Christus in seinem Blute zur Braut machte; / aber die andere, die im Flug schaut und / den Ruhm desjenigen besingt, der sie entzückt, / und die Güte, die sie so erschuf, / wie einen Bienenschwarm, der bald zur Blüte herabsinkt, / bald wieder dorthin zurückkehrt, / wo seine Arbeit sich in Wohlgeschmack [Honig] wandelt, / sank zur großen Blume hernieder, die sich / mit vielen Blütenblättern schmückt, und erhob sich wieder / dorthin, wo seine [Gottes] Liebe ewig weilt. Das vulgare humile wird also abgelöst, sobald im Inferno und später in den anderen Büchern der Stoff einen hohen Stil erfordert, zu dem Dante nach einem Musenanruf übergeht. So ist ein stetes Ansteigen des Stils vom Inferno über das Purgatorio zum Paradiso zu beobachten. Die Zahl der Latinismen nimmt vom Inferno zum Paradiso deutlich zu, und je feierlicher die Sprache einer Person ist, umso mehr gelehrte Ausdrücke enthält sie. Viele erscheinen bei Dante zum ersten Mal. Dante nennt seine Dichtung denn auch nur zu Beginn Commedia (bzw. Comedìa), im Paradiso hingegen poema sacro, sacrato poema. Nachdem so der Vorwurf der Widersprüchlichkeit von Theorie und Praxis entkräftet werden kann, bleibt noch die Frage, wie florentinisch der Wortschatz und die Grammatik Dantes sind. Im Vergleich zum Sprachgebrauch seiner Zeit finden sich in Dantes Sprache viel mehr Varianten, die neben den florentinischen Formen gebraucht werden: Imperfekt diceva: dicea, Konditional vorrei: vorria, Perfekt tacqui, tacque: tacetti, tacette, Lexik padre, madre: patre, matre, lasciare: lassare, mangiare: manicare, manducare, vendicare: vengiare, re: rege, imagine: imago, image, specchio: speglio, speculo, speranza: speme, spene. Manchmal ist für die Wahl einer Variante die Silbenzahl maßgebend (wenn er ein längeres Wort braucht, verwendet er z. B. viersilbiges manicare statt dreisilbigem mangiare), in anderen Fällen sind Gründe für die Wahl der einen oder anderen Variante nicht erkennbar. Hinsichtlich der florentinischen und nichtflorentinischen Formen besteht jedoch ein wichtiger Unterschied: Florentinische verwendet er ohne Weiteres, andere nur, wenn sie vorher durch literarischen Gebrauch „geweiht“ sind. Bei den älteren florentinischen Formen handelt es sich um solche, die in seiner Jugend oder eine Generation vor ihm noch gebräuchlich waren, es inzwischen aber nicht mehr sind, z. B. vederai statt vedrai. Insgesamt lässt sich die Sprache Dantes als zeitgenössisches Florentinisch beschreiben, das mit Gräzismen, Neologismen, Archaismen, Ausdrücken aus den unterschiedlichsten Dialekten Italiens, aus der Umgangswie aus der Gelehrtensprache durchsetzt und besonders offen für Latinismen jedweder Art ist: Entlehnungen aus dem klassischen Latein, aus dem Spätlatein oder aus dem Mittellatein. Dantes Wirkung in den nachfolgenden Jahrhunderten ist immens. Erreicht hat er dies nicht mit den theoretischen Ausführungen der unvollendet gebliebenen Schriften Convivio oder De vulgari eloquentia. Denn Sprache als vitales Kommunikationsinstrument lässt sich nur schwer durch linguistische Vorgaben und künstliche Empfehlungen beeinflussen, wohl aber durch den vor- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 90 15.08.11 15: 18 <?page no="103"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 91 Frühhumanismus Abb. 4.7 Francesco Petrarca, Andrea del Castagno bildhaften Gebrauch in Werken von allgemeinem Interesse − eine Erfahrung, die später auch wieder Alessandro Manzoni machen muss. Keine Nachahmer findet somit Dantes Prosa des Convivio, in dem das vulgare illustre zwar realisiert ist, der aber nur von wenigen gelesen wird. Umso mehr wirkt Dante durch die Divina Commedia, die auch dem Lateinunkundigen Zugang zu einer komplexen Weltsicht gewährt. Schon ab dem 14. Jahrhundert gilt sie gewissermaßen als die Bibel der Toskana und wird wie die Bibel gelesen, kommentiert und öffentlich vorgetragen. Ihre Vermittlung im Schulunterricht lässt sie zu einer unerschöpflichen Zitatenquelle werden. Am wichtigsten ist aber ohne Zweifel, dass Dante mit der Divina Commedia bereits weniger als ein Jahrhundert nach dem Beginn der italienischen Literatur ein literarisches Meisterwerk schafft, mit dem er zeigt, wozu die italienische Sprache fähig ist. Dante gilt als Vater der italienischen Sprache, weil er wie kein anderer vor ihm in Theorie und Praxis für die Volkssprache eintritt. Ihm geht es um die Etablierung einer überregionalen Norm, die durch vier Charakteristika bestimmt ist: illustre ‘erlaucht’ weil sie strahlend und edel über den Dialekten steht cardinale ‘maßgebend’ weil sie eine zentrale Stellung einnimmt aulicum ‘hoffähig’ weil sie die Sprache eines Königshofs sein könnte curiale ‘höfisch’ weil sie wohlabgewogen ist. Seine Gedanken zur Volkssprache legt er v. a. in der volkssprachlichen Schrift Convivio und der lateinischen Abhandlung De vulgari eloquentia nieder. Beide entstehen etwa gleichzeitig (1303−1308) und bleiben durch die Arbeit an der Divina Commedia (1307−1321) unvollendet. Auch in ihr finden sich gelegentlich Hinweise auf sprachliche Probleme. Wichtiger als diese Anmerkungen und die genannten theoretischen Schriften ist aber die in der Divina Commedia geübte sprachliche Praxis. Dante Alighieri 4.2 Petrarca als Modell für die italienische Lyrik Schon zu Lebzeiten Dantes beginnt der Humanismus (im Trecento noch preumanesimo), der die italienische Literatur lange Zeit beherrschen wird und dazu führt, dass die Rolle des Lateins vor allem für anspruchsvolle Diskurstraditionen wieder erheblich gestärkt wird. Das von Dante gepriesene und geförderte Volgare wird vor seinem endgültigen Siegeszug also zunächst noch einmal kräftig zurückgedrängt. Das beste Beispiel für den Rückzug des Italienischen aus der hohen Literatur ist Francesco Petrarca (1304−1374), der viel mehr in Latein schreibt als in Italienisch. In der Volkssprache fasst er nur die Gedichte des Canzoniere (ursprünglicher Titel Rerum vulgarium fragmenta) und die Trionfi (auch Triumphi) ab, doch verdankt er gerade diesen Werken seinen literarischen Ruhm. Petrarca geht von der früheren toskanischen Dichtung aus und entwickelt durch inhaltliche Vielfalt und formale Vollendung ein so hohes Niveau, dass er die europäische Lyrik in den nachfolgenden Jahrhunderten modellhaft prägen sollte. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 91 15.08.11 15: 18 <?page no="104"?> 92 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Toskanische Gedichte als nugellae Tagebuch einer Liebe Laura Zahl π Petrarca ist Humanist, Gelehrter und Schriftsteller. Er verfasst lateinische Dichtungen im Stil von Vergil und Horaz, eine große Anzahl an lateinischen Privatbriefen, Reden und Traktaten und übersetzt, wie andere Humanisten nach ihm, z. B. auch eine Novelle von Boccaccio (Griseldis) ins Lateinische. Dass er kein einziges Werk in toskanischer Prosa schreibt, wird u. a. damit erklärt, dass er zwar in Arezzo geboren wurde, sein Leben aber weitgehend außerhalb der Toskana verbringt (Jugend in Carpentras bei Avignon, Studium in Montpellier und Bologna, dann u. a. Neapel, Parma, Mailand, Venedig sowie Rückzugsorte in Vaucluse bei Avignon und Arquà bei Padua). So ist er mit dem Toskanischen weniger gut vertraut und fühlt sich im Lateinischen einfach sicherer. Er selbst schätzt besonders seine lateinischen Werke, denen er auch seine Dichterkrönung zum poeta laureatus in Rom (1341) verdankt. Mit der Abfassung von Lyrik im Volgare will er sich und die neue Sprache auf die Probe stellen. Er betrachtet diese Gedichte eher als Zeitvertreib, beschreibt sie als nugae, nugellae, also bedeutungslose Dinge, Lappalien, Kleinigkeiten. Dies ist allerdings primär darauf zu beziehen, dass es sich um kleinere Werke handelt, und soll nicht als Verachtung der Volkssprache gedeutet werden. Inhaltlich ist der Canzoniere der Liebe zu Laura gewidmet, einer jungen Frau, die Petrarca am 6. April 1327 in der Kirche Santa Chiara erstmals sieht und die am 6. April 1348 stirbt. Petrarcas nicht erwiderte Liebe zu ihr geht weit über ihren Tod hinaus und ist in 366 Gedichten dokumentiert. Die Sammlung beginnt mit einem Sonnet, das die Eitelkeit der Leidenschaften besingt, zeichnet dann die jeweilige Gemütslage des Dichters nach, bis in der abschließenden Kanzone, einem Gebet an die Jungfrau Maria, die menschlichen Gefühle für immer erloschen sind. Ohne das einleitende Sonett enthält die Sammlung genau so viele Gedichte wie das Jahr Tage hat. So wird der Canzoniere auch als Tagebuch einer in Versen idealisierten und durch die Erinnerung transformierten Liebe beschrieben. Wie in der vorangegangenen Minnelyrik wird auch Laura ohne konkrete Hinweise auf individuelle physische Einzelheiten beschrieben. Ihr Aussehen bleibt abstrakt, ist gekennzeichnet durch goldene Haare, ein Gesicht mit perlenartigen Zähnen und schönen Augen, die nur mit dem vagen Plural occhi anstelle des zu konkreten Singulars genannt werden. Im Gegensatz zur objektiv schönen, engelsgleich beschriebenen Angebeteten der Stilnovisten, wie sie Dantes Beatrice schon mit ihrem Namen ‘die Seligmachende’ verkörpert, entsteht die Schönheit Lauras stärker im Auge des Betrachters. Nicht umsonst gibt Petrarca Laura einen heidnisch-mythologischen Namen. Die Angebetete enthält oft Elemente seiner Selbstreflexion, wie es besonders deutlich die Kanzone 126 zeigt, in der die Wahrnehmung der Geliebten mit der Wahrnehmung der Natur einhergeht. Bei genauerer Analyse zeigt sich die Gedichtsammlung als ein kunstvoll gebautes, vom Gesetz der Zahl durchwaltetes Werk, in dem sich Petrarca der Berechnung des Kreises, d. h. der Zahl π, mit einer beeindruckenden Genauigkeit nähert, die erst wieder von Mathematikern des 16. Jahrhunderts erreicht wird. Der Name Laura bzw. die Variante Laureta kann ferner als Anagramm Reutner_Stb_sV-256_End.indd 92 15.08.11 15: 18 <?page no="105"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 93 Poetische Sprache Sprachlicher Perfektionismus Modell für die italienische Dichtung Distanz und Entkörperlichung von la vertà (mittelalterliche synkopierte Variante von la verità) gelesen werden, also Laura = π = la vertà = Erkenntnis der Wahrheit − eine Konstruktion Petrarcas, die der Nachwelt freilich nur in verschlüsselter Form erhalten geblieben ist. Zudem löst der Name Laura auch immer neue Wortspiele aus, sei es mit l’auro ‘Gold’ (für die Haare Lauras), mit l’aura ‘Windhauch’ (als Inspiration des lyrischen Ichs) oder lauro ‘Lorbeer’ (als Dichtersymbol). Petrarcas poetische Sprache steht unter dem Einfluss der Stilnovisten, Dantes, der Trobadors, mehr aber noch antiker Autoren. So ist einerseits das Bestreben erkennbar, den Wortschatz durch archaisierende und latinisierende Abweichungen zu adeln und eine stark latinisierende Orthographie und Syntax zu verwenden. Andererseits enthält die Sprache Petrarcas Sizilianismen (aggio ‘ho’, Konditional auf -ia) sowie Einflüsse des Okzitanischen (disio, lasso, onta, veglio ‘vecchio’) und ist durch zahlreiche Varianten gekennzeichnet. Diphthongierte und nicht-diphthongierte Formen wechseln einander ab, ältere stehen neben jüngeren, Erbwörter neben Latinismen (tesoro − tesauro). Die Basis für Petrarcas Sprache ist aber das Toskanische, aus dem er mit sehr viel Mühe alles deutlich regional Markierte entfernt, um die Dichtersprache nicht mit der Banalität des Alltags in Verbindung zu bringen. Unter den toskanischen Werken der Tre corone ist Petrarcas am weitesten von der gesprochenen Sprache entfernt. Dass er mit sehr viel Mühe an der sprachlichen Perfektionierung gearbeitet hat, dokumentieren lateinischsprachige Anmerkungen in seinem Manuskript wie Hoc placet pre omnibus ‘diese Version gefällt mir besser als die anderen’ oder Dic aliter hic ‘Drück dich hier anders aus’. Etwas vereinfacht lässt sich die Sprache Petrarcas als eine Verbindung der Dichtersprache der Stilnovisten mit dem Florentinischen seiner Zeit beschreiben. So schafft er eine Art Lingua franca für die Poesie, die von jedem überflüssigen Element gereinigt ist, d. h. von nicht notwendigen Latinismen, Sizilianismen, Provenzalismen und Dialektismen. Der Wortschatz ist absichtlich begrenzt und enthält keine seltenen, expressiven Wörter, die heute als typisch für Petrarca bezeichnet werden könnten. Dantes sprachlichem Expressionismus setzt Petrarca lexikalische Selektion entgegen. Die italienische Sprache bereichert er so nur um sehr wenige Wörter, dafür aber umso mehr um poetische Metaphern: esca amorosa für die Bereitschaft, sich zu verlieben, aureo nodo für die Liebe selbst, amorose punte für die Liebesqualen, doloroso fiume für die Tränen, bel velo für den Körper Lauras, terreno carcere für das Leben. Besonders einprägsam und teilweise topisch werden seine Oxymora vom süßen Schmerz, eisigen Feuer und brennenden Eis, vom Schreien ohne Zunge, Sehen ohne Augen oder weinenden Lachen. Der Wortschatz bleibt vage, abstrakt und weit entfernt von der alltäglichen Wirklichkeit. In der Folgezeit wird Petrarcas Sprache zu einem immer wieder imitierten Modell der Poesie werden, das italienische Dichter − von wenigen Ausnahmen abgesehen − bis zum beginnenden 20. Jahrhundert ihren Wortschatz nach seinem Vorbild wählen lässt. Im nachstehenden Sonett Nr. 90 kommt die Distanz zur Angebeteten in den verwendeten Vergangenheitsformen zum Ausdruck und ebenso in der Ablösung der Beschreibung konkreter Körperteile wie Haar, Augen, Gesicht in den Reutner_Stb_sV-256_End.indd 93 15.08.11 15: 18 <?page no="106"?> 94 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Quartetten, durch ihren Gang, ihre Stimme und schließlich die Sonnenmetapher in den Terzetten, in denen Laura zur übermenschlichen, himmlischen, engelsgleichen Gestalt entrückt wird. Dass es um die Wahrnehmung des lyrischen Ichs geht, wird im zweiten Quartett wie im zweiten Terzett deutlich. Bilder vom brennenden Blick, vom Liebesköder und einer unheilbaren Wunde lassen diese Liebe durch großes Leid charakterisieren. Erano i capei d’oro a l’aura sparsi che ’n mille dolci nodi gli avvolgea, e ’l vago lume oltre misura ardea di quei begli occhi, ch’or ne son sì scarsi; e ’l viso di pietosi color’ farsi, non so se vero o falso, mi parea: i’ che l’esca amorosa al petto avea, qual meraviglia se di subito arsi? Non era l’andar suo cosa mortale, ma d’angelica forma, e le parole sonavan altro che pur voce umana; uno spirito celeste, un vivo sole fu quel ch’io vidi: e se non fosse or tale, Piage per allentar d’arco non sana. Im Wind verweht waren die Haare aus Gold, / die ihr in tausend süße Knoten verstrickt waren, / und über alle Maßen glühte das sanfte Licht / jener schönen Augen, die jetzt so karg davon [blass] sind; / und das Gesicht nahm mitleidsvolle Farben an, / ich weiß nicht, ob echt oder falsch, mir schien es [so]: / Ich, der ich den Liebesköder in der Brust hatte, / wen wundert’s, wenn ich sofort entflammte? / Ihr Gang war nicht der einer Sterblichen, / sondern engelhafter Art, und die Worte / klangen anders als von rein menschlicher Stimme; / ein himmlischer Geist, eine lebendige Sonne / war das, was ich sah, und selbst wenn sie jetzt nicht [mehr] so wäre: / [Eine] Wunde heilt durch Lockerung des Bogens nicht. Francesco Petrarca Francesco Petrarca selbst schätzt insbesondere seine lateinischen Werke. Berühmt wird er aber durch den Canzoniere, eine Sammlung aus 366 Gedichten, in denen er seine Liebe zu Laura besingt. Sein dialektal gereinigtes Florentinisch, das auf das Essentielle reduziert und nur durch wenige, meist bereits anderswo belegte Latinismen, Sizilianismen und Provenzalismen angereichert ist, wird den italienischen Lyrikern bis ins 20. Jahrhundert zum Modell gereichen. 4.3 Boccaccio als Modell für die italienische Prosa Giovanni Boccaccio (1313−1375) schreibt wie Dante sowohl Italienisch als auch Lateinisch. Des Lateins bedient er sich für einige umfangreiche gelehrte Werke, doch sind auch lateinische Briefe und Gedichte von ihm überliefert. Im Toskanischen schreibt er die Vita di Dante (1360) sowie seine literarischen Werke Filocolo, Filostrato, Ameto, Teseida, Fiammetta, Ninfale und den Decamerone (1349−1353), der zum modellhaften Meisterwerk der toskanischen Prosa wird Mehrsprachigkeit Reutner_Stb_sV-256_End.indd 94 15.08.11 15: 18 <?page no="107"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 95 Decamerone Abb. 4.8 Giovanni Boccaccio, Andrea del Castagno Galeotto Sprachliche Dreiteilung Abb. 4.9 A Tale from the Decameron, John William Waterhouse Sprache der Rahmenhandlung und eine zentrale Rolle für die in den nachfolgenden Jahrhunderten erfolgende Sprachkodifizierung spielt. „Comincia il libro chiamato Decameron cognominato prencipe Galeotto, nel quale si contengono cento novelle in diece dì dette da sette donne e da tre giovani uomini“ (Hier beginnt das Buch mit Namen Decameron und Beinamen Prinz Galwein, in dem hundert Novellen enthalten sind, die an zehn Tagen von sieben Frauen und drei jungen Männern erzählt wurden) − so lautet der Anfang des Werkes. Während in Florenz die Pest wütet, treffen sich an einem Dienstag im Frühjahr 1348 zehn junge Menschen in der Kirche Santa Maria Novella und beschließen, die Stadt zu verlassen und sich vor den Schrecken der Epidemie aufs Land zu flüchten. Zehn Tage lang (daher Decamerone aus gr. deka ‘zehn’ und hemerai ‘Tage’) erzählt jeder täglich eine Novelle zu einem vom re bzw. der regina des Tages festgesetzten Thema. Die Stoffe und Motive umfassen die verschiedensten Manifestationsformen der menschlichen Existenz: Liebe und Leidenschaft, Geiz und Gier, Großzügigkeit und Nächstenliebe, Bosheit und Verrat. Nicht ohne Grund wurde der Decamerone denn auch als commedia umana beschrieben, die sich von der göttlichen Kommödie Dantes ebenso abgrenzt wie sie evoziert. Leicht erklärt sich somit der Name Decamerone, schwieriger der Beiname prencipe Galeotto: Gawain (it. Galeotto) ist ein Held der Artusepik (u. a. in Chrétien de Troyes, Le chevalier de la charrete/ Lancelot, Wolfram von Eschenbachs Parzival), der eine Verabredung einfädelt, die die leidenschaftliche Liebe zwischen Lanzelot, einem Ritter der Tafelrunde von König Artus, und Ginevra begründet, der Gattin des Königs. Im kollektiven Bewusstsein des Mittelalters wird Gawain gleichbedeutend mit Kuppler. So erzählt z. B. auch Francesca da Rimini im fünften Gesang des Inferno, dass es zu dem verbotenen Kuss Paolos durch die Lektüre des Lancelot kam, den Mittler ihrer Liebe, über den sie sagt: „Galeotto fu il libro e chi lo scrisse“ (V, 137). Und so wie Gawain Lanzelot aus Freundschaft half, die Angebetete zu treffen, möchte Boccaccio den Frauen aus Verehrung mit dem prencipe Galeotto Trost und Zerstreuung schenken. Sprachlich besonders elegant sind Teile des Rahmens (cornice), also das Proömium sowie die Einleitungen zu den einzelnen Tagen und Novellen. Hier tritt Boccacio in einen imaginären Dialog mit dem Leser, äußert persönliche Meinungen und Werturteile. Umgangssprache findet sich hingegen in Novellen, in denen sich einfache Menschen aus dem Volk spontan und unreflektiert hitzig-witzige Wortgefechte liefern. Zwischen dem ausgefeilt-eleganten Stil des Rahmens und der direkten Rede in Dialogen ist das mittlere Florentinisch angesiedelt, das in den erzählenden Passagen der Novellen Verwendung findet. Bis heute leicht verständlich sind die Dialoge, die zeigen, wie wenig sich das heutige gesprochene Italienisch vom damaligen unterscheidet. Doch sind die italienischen Schriftsteller der nachfolgenden Jahrhunderte weniger bemüht, die gesprochene Sprache des Decamerone zu imitieren als die ausgeklügelte Sprache des Rahmens (cornice). In der Einleitung zum ersten Tag stößt der Leser z. B. auf einen langen, komplex konstruierten Satz aus 86 Wörtern: Reutner_Stb_sV-256_End.indd 95 15.08.11 15: 18 <?page no="108"?> 96 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Erzählende Passagen Dico adunque che già erano gli anni della fruttifera incarnazione del Figliuolo di Dio al numero pervenuti di milletrecentoquarantotto, quando nella egregia città di Fiorenza, oltre a ogn’altra italica bellissima, pervenne la mortifera pestilenza: la quale, per operazion de’ corpi superiori o per le nostre inique opere da giusta ira di Dio a nostra correzione mandata sopra i mortali, alquanti anni davanti nelle parti orientali incominciata, quelle d’inumerabile quantità de’ viventi avendo private, senza ristare d’un luogo in uno altro continuandosi, verso l’Occidente miserabilmente s’era ampliata. Ich sage also, dass seit der heilbringenden Menschwerdung des Gottessohnes schon eintausenddreihundertachtundvierzig Jahre vergangen waren, als in die außerordentliche Stadt Florenz, die vor allen andern in Italien schön ist, die todbringende Pest gelangte, welche - entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder wegen unserer schändlichen Taten im gerechten Zorn Gottes zu unserer Besserung über die Sterblichen verhängt - einige Jahre früher im Morgenland begonnen hatte, das einer unzähligen Menge Lebender beraubt worden war, und dann, ohne anzuhalten, sich von Ort zu Ort verbreitend, elendig zum Abendland vorgedrungen war. Besondere stilistische Eleganz zeigt sich sicherlich in der Nennung des 25.- März 1348 als „erano gli anni della fruttifera incarnazione del Figliuolo di Dio al numero pervenuti di milletrecentoquarantotto“. Dabei sticht nicht nur die ausgeschriebene Jahreszahl ins Auge, sondern v. a. die raffinierte Umschreibung des Tages, an dem der Erzengel Gabriel Maria die Empfängnis als fruttifera incarnazione ‘fruchtbare Fleichschwerdung’ des Gottessohns verkündigte (Mariae Verkündigung). Der Prosastil besonders geschätzter lateinischer Autoren klingt in der Endstellung des Verbs des Nebensatzes (la quale… s’era ampliata) ebenso an wie in vorangestellten Adjektiven (fruttifera incarnazione, egregia città, mortifera pestilenza, inique opere, giusta ira, inumerabile quantità). Das Streben, die Sprache durch gelehrte Reminiszenzen zu verfeinern, dokumentiert aber auch der Wortschatz. Noch in der lateinischen Bedeutung ‘aus der Masse/ Herde hervorstechend’ erscheint das heute auf einen Teil der Briefanrede reduzierte egregio, und anstelle der volkssprachlichen Dubletten Firenze, innumerevole und miserevolmente wählt Boccaccio die gelehrten Latinismen Fiorenza, inumerabile und miserabilmente. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie weit Boccaccio den Ausbau der italienischen Prosa zu einer vollendeten Kunstsprache vorantreibt, sei der Anfang seiner Version der berühmten Ringparabel zitiert: Il Saladino, il valore del quale fu tanto che non solamente di piccolo uomo il fe’ di Babillonia soldano, ma ancora molte vittorie sopra li re saracini e cristiani gli fece avere, avendo in diverse guerre ed in grandissime sue magnificenze speso tutto il suo tesoro, e per alcuno accidente sopravvenutogli bisognandogli una buona quantità di denari, né veggendo donde così prestamente come gli bisognavano avergli potesse, gli venne a memoria un ricco giudeo il cui nome era Melchisedech, il quale prestava ad usura in Alessandria; e pensossi, costui avere da poterlo servire, quando volesse, ma sì era avaro che di sua volontà non l’avrebbe mai fatto, e forza non gli voleva fare; per che stringendolo il bisogno, rivòltosi tutto a dover trovare modo come il giudeo il servisse, s’avvisò di fargli una forza da alcuna ragion colorata. E fattolsi chiamare e famigliarmente ricevutolo, seco il fece sedere ed appresso gli disse. Valente uomo, io ho da più persone inteso che tu se’ savissimo e nelle cose di Dio senti molto avanti; e per ciò io saprei volentieri da te quale Reutner_Stb_sV-256_End.indd 96 15.08.11 15: 18 <?page no="109"?> Die Blüte der italienischen Literatur im 14. J ahrhundert 97 Psychologische Überzeugungskraft Latinismen delle tre leggi tu reputi la verace, o la giudaica o la saracina o la cristiana (Decamerone, Novelle 1,3). Saladin, dessen Trefflichkeit so groß war, dass sie ihn nicht nur von einem geringen Manne zum Sultan von Babylon machte, sondern ihm auch viele Siege über sarazenische und christliche Fürsten ermöglichte, hatte in zahlreichen Kriegen und in großartigem Aufwand seinen ganzen Schatz aufgebraucht. Als er aufgrund eines unerwarteten Zwischenfalls wieder eine große Geldsumme benötigte, wusste er nicht, wo er sie so schnell, wie er ihrer bedurfte, auftreiben sollte. Da kam ihm ein reicher Jude namens Melchisedech in den Sinn, der in Alexandria zu Wucherpreisen Geld verlieh. Und er dachte sich, dass jener wohl imstande wäre, ihm zu helfen, aber so geizig war, dass er es aus freien Stücken nie tun würde. Gewalt wollte Saladin nicht gebrauchen, aber angetrieben von der Not, stand für ihn fest, dass er eine Art und Weise finden müsse, auf die der Jude ihm hülfe. So dachte er sich einen Vorwand aus, mit dem er ihn unter dem Anschein von Recht zwingen kann. Er ließ ihn rufen, empfing ihn auf das Freundlichste, ließ ihn neben sich sitzen und sprach: „Mein Freund, ich habe schon von vielen gehört, dass Du weise bist und besonders in göttliche Dinge tiefe Einsicht hat. Darum wüsste ich von dir gern, welches unter den drei Gesetzen Du für das wahre hältst, das jüdische, das sarazenische oder das christliche“. Im Vergleich mit der auf S. 75 zitierten Version des Novellino springt sofort die unterschiedliche Länge der Sätze beider Textabschnitte ins Auge. Während der erste Satz im Novellino 32 Wörter umfasst, ist er bei Boccaccio, bedingt durch eine Reihe kunstvoll verbundener untergeordneter Gliedsätze und Gerundialkonstruktionen, nur bis Alessandria gerechnet, auf 86 Wörter angewachsen. Zwar weist auch der Ausschnitt aus dem Novellino komplexe Sätze mit Gerundialkonstruktionen (avendo bisogno…, pensando…), konditionalen Nebensätzen (s’elli dirà…), Objektsätzen (che cogliesse… e poi gli togliesse) und Relativsätzen (ch’era in su terra) auf, doch sind manche Sätze auch parataktisch verbunden (z. B. die beiden Bedingungssätze s’elli dirà… E se dirà…). Der Ausbauprozess der Syntax ist deutlich vorangeschritten. Boccaccios Satzbau ist ungleich komplexer als die schlichte Syntax des Novellino. Inhaltlich fällt die Schilderung der Situation des edlen und tapferen Protagonisten, der in eine missliche Lage geraten ist, viel detaillierter aus als im Novellino, wo nur von einem bisogno di moneta die Rede ist. Diese genaue Schilderung des Hintergrunds zeigt eine entscheidende psychologische Weiterentwicklung des Erzählstils. Häufig erfolgt sie in einem langen Block, der dem Thema (der bekannten Information) gilt und im hier zitierten Satz die 65 Wörter von il valore bis avergli potesse umfasst. Ähnlich lange spannungsschaffende thematische Blöcke, die einem spannungslösenden Rhema (der neuen Information) vorausgehen, enthalten viele Novellen Boccaccios, und zwar meist an Stellen, wo sie entscheidende Phasen der Handlung vorbereiten, seltener im Einleitungsteil, wie es in der hier vorliegenden Novelle der Fall ist. Dass das Vorbild antiker Autoren auch für Boccaccio wichtig ist, lässt sich ganz konkret an sprachlichen Beispielen belegen. Wie viele Autoren des 13.- und 14. Jahrhunderts übersetzte auch er lateinische Werke ins Volgare, und zwar Livius und Valerius Maximus. Deren Einfluss auf seinen Prosastil, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 97 15.08.11 15: 18 <?page no="110"?> 98 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Gedankenwelt der Antike Vorsprung der Toskana speziell auf die Syntax dokumentiert eine Reihe lateinischer Konstruktionen, die er in seine Übersetzungen übernommen hat. Im folgenden Beispiel zeigen dies die lateinischen Partizipialkonstruktionen in der italienischen Übersetzung: Lateinisches Original: Inde praemissi speculatores cum excepti ab custodibus Romanis deducti ad Scipionem essent, traditos eos tribuno militum iussosque omisso metu visere omnia, per castra qua vellent circumduci iussit. Boccaccios italienische Übersetzung: Quindi mandati avanti speculatori, e questi essendo presi da le guardie de’ Romani, essendo a Scipione menati, li diede Scipione ad un tribuno di militi, e comandò loro che posta giù ogni paura andassero ogni cosa veggendo per lo campo, e comandò che fussero da torno menati dovunque volessero. Nachdem die vorausgeschickten Kundschafter von den römischen Wachen gefangen genommen und zu Scipio geführt worden waren, übergab er sie dem Militärtribunal und befahl, sie ohne Furcht alles sehen zu lassen und im Lager überall hinzuführen, wo auch immer sie wollen. Giovanni Boccaccio Giovanni Boccaccio verfasst den Decamerone, eine Sammlung von 100 Novellen. So wie die Divina Commedia in den nachfolgenden Jahrhunderten Vorbildcharakter für das Epos und der Canzoniere für die Lyrik haben wird, wird der Decamerone zum Modell für die italienische Prosasprache und damit zu einem besonders wichtigen Orientierungspunkt für die spätere Kodifzierung der italienischen Sprache. Der Prähumanist Dante und die Bannerträger des Frühhumanismus Petrarca und Boccaccio führen die Volkssprache als erste auf den Gipfel der Vollkommenheit. Sie sind allesamt Persönlichkeiten, in denen eine neue Konzeption zur Reife gelangt ist, die sich aus der Sprache und der Gedankenwelt der Antike speist. Nur auf dieser Grundlage ist es ihnen möglich, dem Volgare eine verfeinerte künstlerische Form und neue Impulse zu verleihen. Die Produktion lateinischer Literatur ist Ende des 14. Jahrhundert in den verschiedensten Gegenden Italiens gleichermaßen verbreitet. In der volkssprachlichen Literatur aber kann die Toskana durch die Werke der Tre corone und die Vielzahl weiterer Dichter, Schriftsteller und Übersetzer ihre bereits im vorangegangenen Jahrhundert eingenommene Vorreiterrolle weiter ausbauen und einen Vorsprung vor allen übrigen Provinzen Italiens gewinnen, der nicht mehr aufzuholen sein wird. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 98 15.08.11 15: 18 <?page no="111"?> Humanismus Konsolidierung der Signoria Bankensystem Kulturelle Stärke und politische Schwäche Italia bilanciata 5 L’età del umanesimo: Das 15. Jahrhundert Der mittelalterliche Partikularismus wird im Quattrocento überwunden, wozu verschiedene kulturelle und politische Faktoren beitragen. Kulturell ist in erster Linie der Humanismus zu nennen: die Loslösung von der geistigen Vorherrschaft der Kirche, die Abkehr von der im Mittelalter institutionalisierten Bildung und als Gegenentwurf die Wiederentdeckung der geistig-kulturellen Erkenntnisse der griechisch-römischen Antike, die philologische Erschließung der antiken Literatur und die Nachahmung von Musterautoren des klassischen Lateins, vor allem Ciceros. Die Humanisten begründen dadurch eine kosmopolitische Kultur, die sich in ganz Europa ausbreitet und deren Medium das Latein ist. Anders als in den vorangegangenen Jahrhunderten arbeiten sie nicht mehr isoliert, sondern stehen miteinander in einem regen Gedankenaustausch. Die das Trecento charakterisierende politische Umstrukturierung Italiens von der Regierungsform der republikanischen Kommune zur zentralistischen Signoria ist gegen Ende des 14. Jahrhunderts fast überall abgeschlossen. Die neuen Höfe erlangen für die Sprachgeschichte große Bedeutung, denn die Fürsten fördern als Mäzene Literatur und Kunst: in Mailand die Visconti (ab 1450 die Sforza), in Verona die della Scala, in Ferrara die Este, in Mantua die Gonzaga und in Urbino die Montefeltro. In Florenz bleibt die republikanische Struktur länger bestehen, bis sie im 15. Jahrhundert von der Signoria der Medici abgelöst wird. In Venedig wird die Adelsrepublik unter dem Dogen bis zum Einmarsch Napoleons Ende des 18. Jahrhunderts bewahrt (Frieden von Campoformio 1797) (s. Abb. 5.1). Mit dem Ausfall der Schuldenrückzahlung Edwards III. von England zu Beginn des Hundertjährigen Kriegs brechen in Florenz die Bankhäuser der Bardi, der Peruzzi und der Acciaiuoli zusammen (1345). Die Finanzkrise hat einen Domino-Effekt und schlimme Folgen für die Realwirtschaft. In dem entstandenen Machtvakuum kann die in Papstfinanz aufgestiegene Medici-Familie ihre finanzielle und später politische Machtposition etablieren. Filippo Brunelleschis Kuppel des Florentiner Doms Santa Maria del Fiore (1418−1436) oder Sandro Botticellis Primavera (1478) sind greif bare Zeugnisse für die führende Rolle Italiens als Kulturnation. Aufgrund ihrer geistesgeschichtlichen Vorherrschaft gehen von dieser ganz entscheidende Impulse für die Fortentwicklung Europas aus. In krassem Gegensatz hierzu steht die politische Zersplitterung des Landes, die die Möglichkeiten der Einflussnahme nach außen vereitelt. Diese Zerrissenheit wird bis ins 19. Jahrhundert andauern und lässt das Land immer wieder zum Spielball der europäischen Großmächte Frankreich, Österreich und Spanien werden. Zunächst aber kommt es zur friedlichen Koexistenz von Mailand (Herzogtum unter den Sforza), Venedig (Republik mit der byzantinischen Institution des Dogen), Florenz (Republik unter starkem Einfluss der Medici), Rom (mit Reutner_Stb_sV-256_End.indd 99 15.08.11 15: 18 <?page no="112"?> 100 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Abb. 5.1 Italien 1494 Gesamtitalienisches Bewusstsein dem Papsttum) und Neapel (unter dem Haus Aragon). Im Frieden von Lodi (1454) wiegen diese fünf italienischen Großmächte ihre Interessen gegeneinander ab und schaffen ein ausgewogenes Italien, die Italia bilanciata, in der bis zum Einmarsch Karls VIII. im Jahre 1494 Friede und Wohlstand herrschen. Infolge des vergleichsweise harmonischen Miteinanders und der politischen Konzentration nimmt die interregionale Kommunikation immer stärker zu. Die Epoche ist durch intensiven Austausch unter den politischen und kulturellen Zentren und durch rege diplomatische Beziehungen zwischen den einzelnen Höfen und Kanzleien gekennzeichnet, deren bürokratischer Apparat in ähnlicher Weise organisiert ist. So verbreitet sich langsam das Bewusstsein eines gesamtitalienischen kulturellen Erbes. Der Begriff Italien ist nun Reutner_Stb_sV-256_End.indd 100 15.08.11 15: 18 <?page no="113"?> Das 15. J ahrhundert 101 Sprachliche Einigung Korruptionsthese Ciceronianisches Modell als Todesstoß Vernachlässigung der Norm keine gelehrte Reminiszenz mehr, sondern im Denken und Fühlen wie im Schrifttum verankert. Hieraus erwächst die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache, wenn auch vorerst nur bei den Gebildeten und der gesellschaftlichen Elite. Abgesehen von der Lyrik, die bereits zu einer überregional gültigen Sprachform auf der Grundlage des Tre-corone-Modells gefunden hat, beginnt die erste Phase sprachlicher Einigung am Ende des Trecento. Doch machen sich Latein und Volgare zunächst noch den Platz der überregionalen Verkehrssprache streitig. 5.1 Latein und Volgare in Konkurrenz 5.1.1 Das neue Interesse am Latein und die Krise des Volgare Durch den Humanismus wird im 15. Jahrhundert die Rolle des Lateins erheblich gestärkt. Von Florenz ausgehend erfasst die humanistische Begeisterung bald ganz Italien. Die Wiederentdeckung der Antike vollzieht sich durch intensives Suchen nach alten Codices und ihr sorgfältiges Studium. Auch die von Dante aufgeworfene Frage nach dem historischen Zusammenhang zwischen Latein und Volgare wird neu gestellt: 1435 beginnt im Vorzimmer Papst Eugens IV. darüber eine berühmte Diskussion zwischen Flavio Biondo (1392−1463) und Leonardo Bruni (ca. 1370−1444). Bruni projiziert das damalige Verhältnis von Latein und Volgare in die Antike und vertritt die These, es habe schon im alten Rom zwei Sprachformen gegeben, geschriebenes und gesprochenes Latein. Die zeitgenössischen Sprachen Latein und Volgare seien lediglich eine Fortsetzung dieser Diglossiesituation. Biondo hält dagegen, dass das antike Latein zwar eine gewisse interne Differenzierung kannte, im Prinzip aber eine Einheit gewesen sei. Die gegenwärtige Diglossie sei demnach erst durch die historische Entwicklung entstanden, v. a. durch den korrumpierenden Einfluss der Germanen − ein Gedanke, der als Korruptionsthese in der zeitgenössischen wie späteren Sprachreflexion seinen festen Platz einnehmen sollte. Doch auch das Latein der Humanisten entbehrt der Einheitlichkeit und entspringt nicht mehr dem Latein der mittelalterlichen Universitäten. Daraus ergibt sich als erste Stufe der Sprachenfrage eine Diskussion darüber, welches Latein schriftliche Verwendung finden solle. Zur Wahl stehen ein streng an Cicero orientiertes und ein eklektisches Modell. Je mehr sich in der Folgezeit das ciceronianische Modell in der Literatur durchsetzt, umso stärker wird das humanistische Latein als elitär wahrgenommen und kritisiert. Dies löst sehr bald die zweite Stufe der Sprachenfrage aus, die Diskussion, ob Latein oder Volgare als Schriftsprache fungieren sollen. Da diese letztendlich zugunsten der Volkssprache entschieden wird, wird die starke Rückanbindung des Lateins an die antike Sprache in gewisser Weise zu seinem Todesstoß als lebendige Sprachform. Doch zunächst einmal gerät die italienische Volkssprache im 15. Jahrhundert noch in eine Krise. In dem Maße, in dem sich die Humanisten für die Reutner_Stb_sV-256_End.indd 101 15.08.11 15: 18 <?page no="114"?> 102 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Mehrsprachigkeit Lorenzo Valla Abb. 5.2 Lorenzo Valla, Jean-Jacques Boissard/ Theodor de Bry Leonardo Bruni antike Literatur und das Latein begeistern, verliert das Italienische an Prestige. Die Florentiner Norm wird vernachlässigt, die Sprache entwickelt sich weiter und nimmt Formen aus anderen Dialekten auf. Wer sich um sprachliche Eleganz bemüht, schreibt ohnehin in Latein, denn die Volkssprache gilt nicht mehr als angemessenes Ausdrucksmittel für die hohe Literatur. Dafür kann sie in anderen Bereichen an Boden gewinnen, denn schließlich ist das von den Humanisten den klassischen Vorbildern angepasste Latein so kompliziert und schwierig geworden, dass es dem Volk absolut nicht mehr verständlich ist und sich damit für praktische Zwecke wie öffentliche Bekanntmachungen als ungeeignet erweist. Das kulturelle Leben in Italien ist also mindestens zweisprachig, und alle Literaten können mehr oder weniger gut Latein. Während später einige der wichtigen Autoren dazu übergehen, sich beider Sprachen zu bedienen (z. B. Sannazaro oder Poliziano, der zudem das Griechische pflegt), schreiben die meisten Autoren in den ersten Jahrzehnten des Humanismus nur oder fast nur in Latein. Die Frage der Wahl zwischen Latein und Volgare steht im Mittelpunkt vieler Debatten, genauer gesagt, die Frage, ob die Tre corone gut daran getan hätten, in der Volkssprache zu dichten. Die Bewunderung der antiken Kultur bringt eine Bewunderung des Lateins mit sich, während das Italienische als primitives und völlig unzureichendes Kommunikationsmittel dargestellt wird. Lorenzo Valla (1405−1457), Sekretär am päpstlichen Hof und Rhetorikprofessor an der Universität Rom, möchte den Glanz des klassischen Lateins wiederherstellen und mit ihm den des Römischen Reichs. In dem 1444 fertig gestellten Werk Elegantiarum linguae latinae libri sex hält er fest: „Nostra est Italia, nostra Gallia, nostra Hispania, Germania, Pannonia, Dalmatia, Illyricum, multaeque aliae nationes. Ibi namque romanum imperium est ubicumque romana lingua dominatur“ (Uns gehören Italien, Gallien, Spanien, Germanien, Pannonien, Dalmatien, Illyrien und viele andere Nationen. Denn überall dort ist das Römische Reich, wo die römische Sprache herrscht). Sprache und Herrschaft gehören hier ebenso zusammen wie wenig später in der für Spanien prophetischen Feststellung Antonio de Nebrijas (1444−1522) in der Gramática de la lengua castellana (1494): „siempre la lengua fue compan˜era del impero“ (schon immer war die Sprache Begleiterin des Imperiums). Die literarische Verwendung des Volgare betrachtet Valla hingegen als immensen Fehler und keiner näheren Betrachtung würdig. Weitere Zeugnisse der Verachtung für die Volkssprache finden sich in den Dialogi ad Petrum Paulum Histrum (1405/ 06), zwei dem Bischof Pier Paolo Vergerio aus Capodistria gewidmeten Dialogen. Der oben in der Diskussion mit Flavio Biondo von 1435 schon in Erscheinung getretene Leonardo Bruni lässt in einem ersten Dialog den Vorhumanisten Coluccio Salutati (1331−1406) aus dem Trecento bedauern, dass die Divina Commedia im Volgare abgefasst ist, und meint, dass Dante ein größerer Dichter geworden wäre als die Autoren der griechischen und römischen Antike, wenn er nur in Latein geschrieben hätte. Einen anderen Gesprächsteilnehmer, Niccolò Niccoli, lässt Bruni ausführen, dass Dante aus der Gruppe der großen Literaten verbannt werden müsse, da er Reutner_Stb_sV-256_End.indd 102 15.08.11 15: 18 <?page no="115"?> Das 15. J ahrhundert 103 Leon Battista Alberti Abb. 5.3 Leon Battista Alberti Grammatikalität des Volgare sich mit seiner Sprachwahl nicht an die Gebildeten, sondern an Handwerker und Menschen aus dem Volk gewandt habe. Im zweiten Dialog bekommt eben dieser Niccoli den Auftrag, die Tre Corone zu verteidigen. Er stellt Dante nun sogar über Vergil und erklärt die vorherige Polemik gegen die Volkssprache als reine Provokation des Lesers. Ein solches in utramquem partem disserere, also das Anführen von Pro- und Contra-Argumenten, ist aus der klassischen Rhetorik gut bekannt und kann so als konventionelles Vorgehen interpretiert werden. Doch auch eine tatsächliche Einsicht ist nicht prinzipiell auszuschließen und ebenso wenig der Verdacht des Opportunismus. Demnach entspringe Brunis gemäßigteres Urteil gegenüber der Volkssprache seinem Streben nach dem Amt des Staatssekretärs der Republik Florenz, das er später auch bekleidet. In seiner Vita di Dante (1436) äußert er jedenfalls, dass die Sprachwahl gleichgültig sei, da jede Sprache ihre Perfektion habe und ein Autor somit nur nach dem Inhalt seines Werkes beurteilt werden dürfe. 5.1.2 Der Vulgärhumanismus als neuer Impuls Doch gibt es auch Humanisten, die eine Koexistenz von Latein und Volkssprache innerhalb der Schriftlichkeit propagieren und im Laufe des Quattrocento in Florenz den sogenannten Vulgärhumanismus begründen. Der erste Vertreter ist Leon Battista Alberti (1404−1472), ein Universalgenie, das sich auf den unterschiedlichsten Feldern bewiesen hat: Mathematik, Geometrie, Pädagogik, Philosophie, Rechtslehre, Architektur, Malerei, Grafik, Poesie sind nur einige hiervon. Im Umkreis der Medici gehört Alberti zu den eifrigen Verfechtern der Volkssprache. Sein Werk De Pictura (1435), das zusammen mit seinen Traktaten De Statua (1435) und De re aedificatoria (1452) eine grundlegende Renaissancetrilogie der bildenden Künste darstellt, übersetzt er schon ein Jahr nach der Entstehung eigenhändig ins Volgare. Bis heute zitiert wird sein Plädoyer für den wissenschaftlichen Gebrauch des Volgare im Proömium zum dritten Buch seiner Libri della famiglia (1435). Hier argumentiert er, dass es einem Autor letztendlich doch immer darum gehe, verstanden zu werden. So liege ihm weniger daran, von der Minderheit Lateinkundiger gelobt zu werden, als vielmehr, der Mehrheit Lateinunkundiger zu nutzen: „scrivendo in modo che ciascuno m’intenda, prima cerco giovare a molti che piacere a pochi, ché sai quanto siano pochissimi a questi dì e’litterati“ (wenn ich so schreibe, dass mich jeder verstehen soll, suche ich eher, vielen zu helfen, als wenigen zu gefallen, denn ich weiß, dass es in unseren Tagen wenige Lateinkundige gibt). Als überzeugter Vulgärhumanist vertritt Alberti die damals noch revolutionäre Ansicht einer voll ausgebauten Grammatikalität des florentinischen Volgare. Wohl auch um zu beweisen, dass die Ordnung und Regelhaftigkeit der Grammatik nicht dem Latein vorbehalten seien, sondern auch im Volgare existieren, verfasst er um 1440 eine kleine Grammatik mit dem Titel Regule lingue fiorentine. Es gibt Belege dafür, dass sie 1495 in der Privatbibliothek der Medici vorlag. Doch erhalten ist nur eine Kopie aus dem Jahre 1508 in der Biblioteca Apostolica Vaticana, weshalb sie auch als Grammatichetta vaticana be- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 103 15.08.11 15: 18 <?page no="116"?> 104 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Deskriptive Grammatik Certame coronario Lorenzo de’ Medici Abb. 5.4 Lorenzo de’ Medici, Girolamo Macchietti kannt ist. Sie beginnt wie üblich mit der Vorstellung der Buchstaben. Doch erfolgt diese nicht in der bekannten Reihenfolge des Alphabets, sondern gemäß ihrer Form: Auf Buchstaben mit einer Linie (i, r, t) folgen solche mit zwei Linien (n, u, m) und danach Buchstaben mit Kurven (c, e, o). Wer, wenn nicht ein universalgelehrter Grafik-Fanatiker, hätte eine solche Anordnung wählen können? Doch Alberti gliedert die Buchstaben nicht nur neu, sondern schlägt auch neue Buchstaben vor: Zur Unterscheidung von offen und geschlossen gesprochenem <e> führt er das Graphem <œ> ein, das für [ ] stehen soll. Zur Unterscheidung zwischen der als <c> notieren palatalen Affrikate [ ] und des ebenso geschriebenen velaren Okklusivlauts [k] führt er für Letzteren das Graphem <k> ein. Alberti geht es darum, den Sprachgebrauch seiner Zeit (uso) in knappe Regeln zu fassen. Fernab von den Sprachnormdebatten der Grammatiker des 16. Jahrhunderts formuliert er in der Einleitung seinen deskriptiven Anspruch: „raccolsi l’uso della lingua nostra in brevissime annotazioni“. Die zur Beschreibung der Volkssprache nicht adäquate lateinische Terminologie behält er zwar noch bei und spricht z. B. von ablativo singulare oder von der declinazione der Nomen und ihrer Stellvertreter. Doch mit dem Anspruch der Orientierung am tatsächlichen Sprachgebrauch ist Alberti seiner Zeit weit voraus, und mit der Grammatichetta ist er der Autor der ersten modernen volkssprachlichen Grammatik im romanischen Sprachraum. Zur Aufwertung der volkssprachlichen Dichtung veranstaltet Alberti in der Kirche Santa Maria del Fiore im Oktober 1441 einen Dichterwettstreit zum Thema „La vera amicizia“, den er Certame coronario nennt. Der Latinismus certame bedeutet ‘Wettkampf ’, der Zusatz coronario besagt, dass dem Gewinner ein versilberter Lorbeerkranz verliehen werden soll. Die präsentierten Verse werden zum Leid Albertis von den Preisrichtern allerdings als so unwürdig betrachtet, dass keinem der Dichter die Ehrung zuteil wird. Wichtig ist das Ereignis dennoch, leitet es doch den umanesimo volgare ein, der das Ziel verfolgt, die Volkssprache wieder auf ein höheres Niveau zu heben, auf das Niveau der klassischen Sprachen. Der Vulgärhumanismus konkretisiert sich im poetischen Bereich im Œuvre von Lorenzo il Magnifico (1449−1492). Nach dem Tod seines Vaters Piero di Cosimo de’ Medici (1389−1464) übernimmt Lorenzo die Herrschaft in Florenz und prägt das goldene Zeitalter dieser Stadt entscheidend mit. Machiavelli wird auf seine Regierung später mit den Worten zurückblicken: „il fine suo era tenere la città abbondante, unito il popolo e la nobiltà onorata“ (sein Ziel war es, die Stadt im Überfluss leben zu lassen und die Einigkeit des Volkes sowie das Ansehen des Adels zu bewahren). Es ist kaum verwunderlich, dass ein Mann mit diesem Anspruch selbst literarisch tätig wird. Streckenweise erscheint Lorenzos Werk rhetorisch-exerzitienhaft, als bloßer Zeitvertreib eines Regenten auf der Suche nach Ablenkung von den Staatsgeschäften. Doch beeindrucken Vielfalt wie Umfang seiner poetischen Hinterlassenschaft, die gleichermaßen Scherzdichtung, Liebesdichtung und religiöse Dichtung umfasst. Dass er auch dichtungstheoretisch unterrichtet ist, beweist ein Selbstkommentar zu vierzig Reutner_Stb_sV-256_End.indd 104 15.08.11 15: 18 <?page no="117"?> Das 15. J ahrhundert 105 Angelo Poliziano Luigi Pulci Abb. 5.5 Luigi Pulci, Filippo Lippi Cristoforo Landino seiner Sonette (Comento sopra alcuni de’ suoi sonetti, nach 1476) nach dem Vorbild der Vita Nuova und des Convivio, aber mit neuplatonischen Zügen. Neben seinem eigenen Wirken erweist sich Lorenzo auch als wichtiger Förderer des Volgare-Gebrauchs. Seinem Kreis gehört z. B. Angelo Poliziano an (1454−1494), ein großer Experte für lateinische und griechische Philologie und zudem Autor des ersten weltlichen Dramas der Neuzeit, Favola di Orfeo, sowie der Stanze, deren Sprache Zeitgenossen „splendidior vitro“, also glänzender als Glas erscheint. Besondere Berühmtheit erlangt Luigi Pulci (1432−1484), der Verfasser des heroisch-komischen Epos Il Morgante (1478), das in der Tradition des Herrscherlobes Lucrezia Tornabuoni gewidmet ist, der Mutter Lorenzos. Dieses erste Ritterepos Italiens geht vom Rolandsstoff aus und schildert die Abenteuer Rolands (Orlando) und seines Freundes Rinaldo, die wegen der Machenschaften von Ganelon (Gano) den Hof Karls des Großen verlassen und in die Welt hinaus ziehen. Doch Pulci ergänzt den Stoff durch seine eigenen Phantasiegestalten und schafft mit dem Riesen Morgante als Orlandos Schildknappen eine neue Figur, die zusammen mit Orlando ein sich in seiner Gegensätzlichkeit ergänzendes Paar bildet, das in der späteren Literatur in den unterschiedlichsten Variationen aufgegriffen wird − Don Quijote und Sancho Panza oder Jacques le Fataliste und sein Herr sind nur zwei Beispiele. Auf seine späteren Aufgaben vorbereitet wird Lorenzo von bedeutenden Humanisten der damaligen Zeit: Giovanni Argiropulo (1393/ 94−1487) zum Beispiel, der die griechische Philologie in Italien begründet, die besonders nach dem Übergang Konstantinopels in türkische Herrschaft (1453) gestärkt wird. Denn mit dem Ende des Oströmischen Reichs gelangen zahlreiche byzantinische Gelehrte ins Land und bringen nicht selten griechische Handschriften mit. Ein anderer Lehrer Lorenzos ist Marsilio Ficino (1433−1499), der im Auftrag von Piero di Cosimo Platons Gesamtwerk ins Lateinische überträgt und in seinem Kommentar zum Gastmahl die neuplatonische Liebeslehre philosophisch fundiert. Aber auch Cristoforo Landino (1424−1498) unterrichtet Lorenzo, ein berühmter Universitätsprofessor, der in seinen Vorlesungen nicht nur die Klassiker der Antike, sondern auch die Werke der Tre corone behandelt. Damit hilft er, die humanistische Herabwürdigung Dantes zu überwinden, der z. B. in den Worten eines Niccolò Niccoli lediglich ein „poeta da ciabattini e da fornai“ gewesen sei, ein Dichter für Schuhflicker und Bäcker. In seinen Prolusioni hält Landino fest, dass die Minderwertigkeit des Volgare gegenüber dem Lateinischen nicht sprachinhärent, sondern nur im geringen Gebrauch der neuen Sprache begründet sei. Daher sollen die Gelehrten dem Beispiel Dantes und Petrarcas Folge leisten und diese Sprache verwenden, wenn sie ihr Vaterland denn lieben. Auch wenn sein Name noch zwischen volgare, fiorentino, toscano und italiano schwankt, wird das Italienische durch den Vulgärhumanismus in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts somit wieder zu einer anerkannten Literatursprache. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 105 15.08.11 15: 18 <?page no="118"?> 106 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Höfische Kultur Diglossie im Quattrocento Die Überwindung des mittelalterlichen Partikularismus belebt die Frage nach einer überdachenden Sprache. Der Humanismus stärkt zunächst das Latein, lässt die Volkssprache als korrumpiertes Latein und ihre Verwendung durch die Tre corone als groben Fehler begreifen. In der zweiten Jahrhunderthälfte etabliert der auf kommende Vulgärhumanismus das Volgare aber erneut. Wichtige Momente dieses Aufwertungsprozesses sind eine Diskussion zwischen Flavio Biondo und Leonardo Bruni über die Sprachsituation in der Antike (um 1435), Brunis Vita di Dante (1436), in der der Wert volkssprachlicher Dichtung betont wird, Leon Battista Albertis Grammatichetta ovvero Regule lingue fiorentine (um 1440), die erste moderne Grammatik einer romanischen Volkssprache, und der Certame coronario (1441), ein von Alberti organisierter Dichterwettstreit in der Volkssprache. Der Vulgärhumanismus wird v. a. im Kreis um Lorenzo de’ Medici in Florenz gepflegt und bringt neben Lorenzos Poesie mit Pulcis Il Morgante das erste italienische Ritterepos hervor. 5.2 Die Auseinandersetzung um die Art des Volgare Offen bleibt die Frage, welche Form des Volgare für die Überdachung zu wählen ist. Dabei sind von den oben in Kapitel 3 vorgestellten Ausbaudialekten v. a. zwei zu überregionalen Verkehrssprachen geworden: die oberitalienische koinè padana, die in die sogenannte lingua cortigiana eingeht, und das Toskanisch-Florentinische. Gegenüber diesen beiden Überdachungssprachen kann sich nur noch das Venezianische zumindest teilweise behaupten. 5.2.1 Die lingua cortigiana als mögliche Dachsprache Neben der starken Relatinisierung des Humanistenlateins nach dem ciceronianischen Modell ist es das Gedankengut der weltoffenen höfischen Renaissance- Gesellschaft, das dem Prestige des Lateins besonders abträglich ist. Für ihre aristokratische Ideologie, ihren Kult um Form, Raffinesse und vorbildliches Sprachverhalten, wie er in Castigliones Cortegiano beschrieben wird, kommt das Latein als Ausdrucksmittel nicht mehr in Frage. Natürlich sind unter den cortigiani auch viele Humanisten, die Latein können und im Cortegiano gerne klassische Autoren zitieren. Doch ihre Ideale und die Inhalte ihrer Kultur sind nicht befriedigend ins Latein zu transferieren. Schlüsselbegriffe dieser höfischen Kultur, in der Frauen eine wichtige Rolle spielen, sind z. B. grazia, die Anmut, sprezzatura, Lässigkeit, scheinbare Mühelosigkeit, oder discrezione, das Taktgefühl. Die galanteria wird als Verhalten erklärt, das den galantuomo von anderen bewundern und ihn fähiger und schöner einschätzen lässt. Der Höfling ist eine persona di grado, die keine derben Sitten hat, sondern feine Manieren, costumi squisiti. Er ist spiritoso, hat buon garbo, buon gusto, buona creanza, aber auch ernste Würde, sussiego. Wohl unter spanischem Einfluss entwickelte der Hof ein Zeremoniell, etichetta genannt, das u. a. die precedenza regelt. Die höfische Anrede führt zu einem Wandel der Anredeformen generell. Der Titel Reutner_Stb_sV-256_End.indd 106 15.08.11 15: 18 <?page no="119"?> Das 15. J ahrhundert 107 Calmeta Schwach diatopisch, latinisierend-archaisierend Abb. 5.6 Matteo Maria Boiardo Francesco Sforza signore, zunächst für eine hochgestellte Persönlichkeit, löst (mes)sere ab, und entsprechend wird (ma)donna durch signora ersetzt. Gleichzeitig verbreiten sich die Anredeformen ella, quella, später Lei, eine Pronominalisierung von Signoria. Der Ausdruck lingua cortigiana ist erstmals in einer nicht erhaltenen Schrift von Vicenzo Calmeta aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts belegt, war aber wohl auch im 15. Jahrhundert schon gebräuchlich. Die so benannte Sprachform löst im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Latein als Kanzleisprache ab und breitet sich durch die intensiven Kontakte zwischen den politischen Zentren an den italienischen Höfen und auch am päpstlichen Hof in Rom aus. Es handelt sich um eine von Persönlichkeiten hohen Ranges oder ihren Sekretären verwendete und damit primär sozial definierte, schwach diatopisch geprägte, stark latinisierende, eklektische Varietät. Eine Vorstellung von diesem latinisierenden Volgare, in dem sich die dialektalen Unterschiede weitgehend nivellieren, vermittelt ein Brief von Matteo Maria Boiardo, der im Dienste des Herrscherhauses Este in Ferrara steht. Visto ed intexo quanto le M(agnificentie) Vostre me scriveno circa il facto dele tasse del magnano da Saltino, olim homo d’arme dell’Ill(ustrissimo) S(ignore) Nostro, che dicite essere L(ire) XLV, s(cudi) 5 in una parte et L(ire) XI, s(cudi) 5 in una altra parte, vi rispondo como questo Marzo passato, ritrovandomi ala presentia del prefacto S(ignore) Nostro, per la impotencia et povertà di quisti mei homeni supplicai ala Excel(entia) Sua che volesse dicti homeni pagaseno in robe et non in dinari. Da Euere Magnifizenz mir wegen der Steuern des Schmiedes aus Saltino geschrieben haben, einst Waffenmann unseres illustren Herren, von denen ihr sagt, dass sie auf der einen Seite XLV Lire und 5 Scudi und auf der anderen XI Lire und 5 Scudi betragen, antworte ich euch, dass ich, wenn ich mich Ende März bei euch einfinden werde, wegen des Unvermögens und der Armut dieser meiner Männer Eure Exzellenz darum bitten werde, dass die Männer mit Sachwerten und nicht mit Geld bezahlen dürfen. Der Brief weist einerseits keine spezifisch emilianischen, sondern nur weiter verbreitete Merkmale auf (z. B. Metaphonie bei quisti, keine Diphthongierung bei homo, mei, keine Elision bei una altra, Endung -eno bei scriveno), andererseits viele graphische und lexikalische Latinismen (u. a. facto, olim, homo, dicite, homeni, dicti). Es kommen aber auch einige Toskanismen darin vor (Artikel il statt lo, ritrovando mit vortonigem e > i, -mi statt -me, di statt de), was in den Schriftstücken aus Kanzleien in der Regel nicht der Fall ist. Ein anderes Beispiel ist ein Erlass aus dem Jahre 1450 von Francesco Sforza (1401−1466), der sich nach dem Aussterben der Visconti des Herzogtums Mailand bemächtigt hatte. Im Gegensatz zu dem Boiardo-Brief sind in diesem Text abgesehen von einem einzigen Toskanismus keinerlei dialektale Merkmale erkennbar. Es geht um die Rechte der Dombauhütte in Volpedo: Perché lo logo de Vulpeo specta ala chiesia de madona Sancta Maria del domo de questa nostra cittade de Milano, volemo et così per la presente te commettemo et ordinamo, che qualunche persona mandarà li regulatori sive administratori dela fabrica del domo de questa nostra citade, per officiale del dicto loco de Vulpeo, lo debie mettere in possessione Reutner_Stb_sV-256_End.indd 107 15.08.11 15: 18 <?page no="120"?> 108 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Fehlende Nachhaltigkeit Orlando innamorato et tenuta d’esso loco eo modo et forma, che soleva stare al tempo della bona et recolenda memoria del signore olim duca passato, et non te impazare (impicciare) per niente del dicto loco de Vulpeo, perché l’havemo lassato ad dicta fabrica, come cosa spectante ad essa. Weil der Ort Volpedo zur Kirche unserer Heiligen Madonna, des Doms dieser unserer Stadt Mailand, gehört, wollen wir, befehlen wir dir und ordnen an, dass - welche Person auch immer Buchhalter oder Verwalter der Bauhütte des Doms dieser unserer Stadt als Vertreter an den genannten Ort Volpedo schicken wird - diesem [dem Vertreter] freie Verfügung über diesen Ort gewährt werden soll, in der gleichen Art und Weise, wie es zur Zeit des früheren Herrn, des Herzogs seligen Angedenkens gewesen ist, und du sollst dich nicht einmischen in die Angelegenheiten des genannten Ortes Volpedo, weil wir ihn der genannten Bauhütte überlassen haben, als in ihre Zuständigkeit gehörend. Der Einfluss des Lateins ist im Text deutlich erkennbar, so z. B. in der Graphie (havemo). Als charakteristische Merkmale der lingua cortigiana zeigen sich im Text die ausbleibende Diphthongierung (logo, domo, bona), die häufig fehlende Sonorisierung (loco), die Entwicklung von - KS - > -ss- (lassare) und die Endungen der ersten Person Plural auf -amo, -emo, -imo (volemo, ordinamo, havemo). Die lingua cortigiana, die im Zusammenhang mit der Questione della lingua im nächsten Kapitel noch einmal anzusprechen sein wird, kann sich als polyfunktionale Überdachungssprache auf Dauer nicht behaupten. Vor allem aber gelingt es ihr nicht, sich als Literatursprache durchzusetzen. Dafür sind neben dem Problem der Orientierungsnorm zwei Gründe maßgebend: Der erste ist die Konkurrenz des Lateins, das durch den Humanismus seine Funktion als überregionale bzw. internationale Bildungs- und Wissenschaftssprache stabilisieren kann, was vor allem in der Literatur zunächst zu einem gewissen Rückgang der Volkssprache führt. Der zweite Grund ist der latinisierend-archaisierende Charakter der lingua cortigiana, der für die Literatur wenig geeignet ist. Einen Versuch des literarischen Ausbaus unternimmt der Graf Matteo Maria Boiardo (1441−1494), der Verfasser des Orlando innamorato (1483, 1506). In dieser nach Pulcis Il Morgante zweiten bedeutenden italienischen Parodie auf die französische Rolandssage ist Orlando, wie andere Paladine Karls des Großen auch, bis zum Wahnsinn in die Prinzessin Angelica verliebt. Keine edle Minne, sondern individuelle Leidenschaft lassen Angelica nach Belieben mit Orlando spielen, der wegen ihr seine Ritterpflichten vernachlässigt. Eine eingeflochtene Liebesgeschichte der vermeintlichen Ahnherren der Familie Este dient dem Herrscherlob und weist dem Epos neben seinem Unterhaltungswert in bester zeitgenössischer Tradition die Funktion der Legitimation und Stabilisierung von Dynastien zu. Die Wahl der lingua cortigiana passt hierzu ausgesprochen gut, behindert jedoch eine weitere Rezeption. Erst die Wiederentdeckung einer gereinigten Version im 19. Jahrhundert lässt Boiardo den Ruhm zukommen, den er eigentlich verdient hat. Natürlich ist die anfängliche Kritik am Orlando innamorato nicht nur sprachlich bedingt. Doch stellt sie die lingua cortigiana als erfolgreiche Literatursprache ebenso in Frage wie die Toskanisierung von Werken durch die Dichter selbst, was am Beispiel Sannazaros und Ariosts noch zu zeigen sein wird (S. 110 ff.). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 108 15.08.11 15: 18 <?page no="121"?> Das 15. J ahrhundert 109 Konkurrent der lingua cortigiana Konservativer Charakter Hochentwickelte Kultur Toskanisierung Roms 5.2.2 Das Florentinische und seine Ausstrahlung Die Verbreitung der lingua cortigiana gerät v. a. gegenüber der Ausbreitung des Toskanischen als übermächtigem Konkurrenten ins Hintertreffen. Zunächst sind die lingua cortigiana und das Toskanische bzw. Florentinische mögliche Alternativen für die Kommunikation zwischen den führenden Schichten unterschiedlicher Regionen. Doch bald zeigt sich, dass das Toskanische die Oberhand gewinnt. Toskanische Einflüsse finden sich in vielen Texten der lingua cortigiana, vor allem in solchen von Autoren wie Boiardo, die mit der toskanischen Literatur vertraut sind. Aber auch die Kanzleisprache von Mailand weist um die Mitte des 15. Jahrhundert schon toskanische Einflüsse auf. Ein Grund für die Ausbreitung des Toskanisch-Florentinischen ist sicherlich das Prestige der großen Literatur. Diskutiert wird indessen noch ein weiterer Grund, nämlich der konservative Charakter des Toskanisch-Florentinischen, das auch eine Ausgleichsform zwischen nördlichen und südlichen Dialekten der Halbinsel darstellt und somit der geeignetste Kandidat für die Nachfolge des Lateins als Prestigesprache ist. Die zentrale Stellung des Toskanischen im Rahmen der italienischen Dialekte fördert seine Verbreitung zwar ebenso wie sein konservativer Charakter. Beides ist jedoch sicherlich nicht ausschlaggebend bzw. keine notwendige Bedingung, schließlich wurde z. B. im Nachbarland Frankreich mit dem Franzischen der Île-de-France ein keineswegs besonders konservativer Dialekt zur Nationalsprache und ebenso wenig konservativ ist in Spanien das Kastilische. Was nun die Bedeutung der Tre corone für die Sprachgeschichte anbelangt, so ist der Vorbildcharakter ihrer Dichtung zweifelsohne ein besonders wichtiger Faktor, aber wiederum nicht der einzige. Auch in der lebendigen Vielfalt der sonstigen Schriften zeigt sich eine hochentwickelte Kultur, in der sich die bildenden Künste ebenso entfalten wie der geistige Horizont der intellektuellen Schichten und in der die wirtschaftliche Expansion floriert. Die Ausbreitung des Toskanisch-Florentinischen vor allem (aber nicht nur) als Literatursprache wird durch unterschiedliche weitere Faktoren beeinflusst und verläuft auf vielen Wegen. Besonders wichtig sind zweifelsohne die Toskanisierung des römischen Dialektes und literarischer Werke sowie die Erfindung des Buchdrucks. Am frühesten (schon ab dem 13. Jahrhundert) und intensivsten verbreitet sich das Toskanische in Rom. Unter dem Pontifikat des Renaissancepapstes Julius II. (1503−1513), der auf eine Festigung des Kirchenstaates hinarbeitet, werden in Rom Großaufträge an Architekten, Maler und Bildhauer vergeben, die der Verherrlichung der katholischen Kirche dienen sollten. Zu dieser Zeit wirken in Rom Künstler wie Bramante, der den Neubau des Petersdoms vorbereitet, oder Raffael, der durch die Stanzen im Vatikanspalast unsterblich wird und an der Planung des Petersdoms mitwirkt. Daran ist ebenso der Toskaner Michelangelo beteiligt, der mit der Deckengestaltung der Sixtinischen Kapelle betraut ist und der Stadt mit der Pietà im Petersdom oder dem Grabmal für Julius II. (Mosè cornuto) in der Kirche San Pietro in Vincoli bildhauerische Meisterwerke hinterlässt. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 109 15.08.11 15: 18 <?page no="122"?> 110 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Medici-Päpste Abb. 5.7 Papst Leo X. mit Giulio de’ Medici, Raffael Kosmopolitisches Rom italiano parlato regionale Toskanisierung literarischer Werke Arcadia Ganz wesentlich zur Toskanisierung Roms tragen die Päpste aus dem Hause Medici bei: Leo X. (Giovanni de’ Medici, 1513−1521) und Klemens VII. (Giulio de’ Medici, 1523−1534). Nachfolger von Julius II. wird Leo X., der Sohn von Lorenzo il Magnifico, mit dessen Tod im Jahre 1492 der Niedergang von Florenz beginnt. In Rom erwächst der Arno-Stadt ein mächtiger Konkurrent als Kulturmetropole und Zentrum des Renaissancehumanismus, und das Pontifikat des Medici- Papstes Leo X. wird zur Glanzzeit für Kunst und Literatur. Gleich nach seiner Wahl zum Papst beruft der literarisch interessierte Herrscher die berühmten Humanisten Iacopo Sadoleto (1477−1547) und Pietro Bembo (1470−1547) zu Sekretären an seinen Hof und fördert mit Iacopo Sannazaro auch die Literatur in der Volkssprache, wenngleich seine Bemühungen eindeutig darauf ausgerichtet sind, den Primat des Lateins als Literatursprache zu bewahren. Mit der Wahl von Leo X. wird der päpstliche Hof zum Ausstrahlungszentrum der toskanischen Sprache und Kultur, das es das gesamte 16. Jahrhundert hindurch bleiben sollte. Mit ihm und seinem Nachfolger Klemens VII. wird Rom auf Kosten von Florenz gestärkt und sprachlich toskanisiert. Die tiefgreifende Toskanisierung ist möglich, da Rom in dieser Zeit einen hohen Anteil nichtrömischer Bevölkerung hat. Eine 1527, also kurz vor dem Sacco di Roma, der Plünderung Roms durch Truppen Karls V., durchgeführte, wenn auch sicher nicht ganz repräsentative Volkszählung belegt, dass nur 16,4 % der Bevölkerung aus Rom und dem übrigen Latium stammen, während 63,6 % aus dem restlichen Italien und 20 % aus dem Ausland kommen. Von 267 Künstlern, die im 16. Jahrhundert in Rom tätig sind, stammen nur 17 aus Rom, 193 hingegen aus dem übrigen Italien und 57 aus dem Ausland. Unter den über 100 Dichtern im Rom Leos X. finden sich nur 12 Römer. Sprachlich wirkt sich die Toskanisierung sowohl auf den mündlichen als auch auf den schriftlichen Sprachgebrauch Roms aus. Wenig überraschend ist das Verschwinden des römischen Dialekts aus dem schriftsprachlichen Gebrauch, ein Schicksal, das er mit anderen Dialekten teilt. Spezifisch römisch ist hingegen der Einfluss auf die gesprochene Sprache. Durch die toskanierte Schriftsprache und die heterogene Bevölkerungsstruktur verliert das Romanesco viele bodenständige dialektale Merkmale. An Stelle des ursprünglichen Dialekts tritt nun ein standardnahes, nur noch dialektal eingefärbtes Italienisch. Früher als in allen anderen italienischen Regionen, die diese Entwicklung erst im 19. Jahrhundert durchmachen, entsteht hier so das erste italiano parlato regionale. An den Höfen von Ferrara, Mantua, Mailand und Urbino wird die toskanische Literatur rezipiert, und ihr großes Prestige führt dazu, dass Autoren ihre ursprünglich in einer anderen Sprachform (vor allem der lingua cortigiana) geschriebenen Werke umarbeiten, um sie an das toskanische Vorbild anzupassen. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts die geographische Ausbreitung der toskanischen Schriftsprache besonders rasch vollzieht. Eines der zahlreichen Beispiele für die toskanisierende Umgestaltung zentraler Werke ist die Arcadia von Iacopo Sannazaro (1457−1530) aus Neapel, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 110 15.08.11 15: 18 <?page no="123"?> Das 15. J ahrhundert 111 Sannazaros Sprache Abb. 5.8 Iacopo Sannazaro, Tizian der bis 1501 im Dienste des aragonesischen Königshauses steht. Seine Hirtendichtung folgt antiken Vorbildern wie Theokrit und Vergil und umfasst zwölf Prosastücke mit der Rahmenhandlung, in die zwölf lyrische Darbietungen der Hirten eingebunden sind. Die Ritterwelt früherer Epen weicht nun der Hirtenwelt, in der die neuplatonische Liebe zu einer Nymphe den Hirten läutert und die bukolische Landschaft autobiographischen wie politischen Positionen ein scheinbar harmloses Gepräge verleiht. Die Arcadia wird zum Klassiker des europäischen Schäferromans und zu einem der erfolgreichsten Werke der Moderne. Im 16. Jahrhundert erscheinen allein sechzehn italienische Auflagen, und außer von italienischen Nachahmern wie Torquato Tasso (Aminta) wird der Stoff u. a. auch in Spanien von Miguel de Cervantes (La Galatea), in Frankreich von Honoré d’Urfé (L’Astrée) oder in England von Philip Sidney (Arcadia) aufgegriffen. Der durchschlagende Erfolg des Werkes und seine sprachliche Eleganz stärken das Volgare ungemein. Sannazaro erneuert gleichzeitig die Prosa Boccaccios wie die Lyrik Petrarcas, und zudem enthält sein Werk Elemente der Jenseitsreise und der Vita Nuova Dantes. Damit sind die Tre corone ebenso präsent wie antike Autoren, und Humanisten wie Vulgärhumanisten gleichermaßen bedient. Die erste Redaktion entsteht in den Jahren 1484−86 noch in einer Sprache mit Merkmalen des neapolitanischen Dialekts. Doch für den Druck der Ausgabe von 1504 wird die Arcadia gründlich überarbeitet und toskanisiert, was nicht nur die breite Akzeptanz des Toskanischen als Literatursprache dokumentiert, sondern auch die weitere Verbreitung der Sprache der Tre corone stützen sollte. Um die sprachlichen Veränderungen zu illustrieren, sei ein Ausschnitt aus einer Ekloge angeführt. Fuggite il ladro, o pecore e pastori, ch’egli è di fuori il lupo pien d’inganni e mille danni fa per le contrade. zuvor contrate Qui son due strade: or via veloci e pronti per mezzo i monti, ché ’l camin vi squadro cacciate il ladro, il qual sempre s’appiatta in questa fratta e ’n quella, e mai non dorme seguendo l’orme de li greggi nostri. Nessun si mostri paventoso al bosco, zuvor pauruso ch’io ben conosco i lupi, andiamo, andiamo, zuvor andamo ché s’un sol ramo mi trarrò da presso, zuvor me ne ’l farò spesso ritornare a dietro. Flieht vor dem Dieb, oh Schafe und Schäfer, / denn er kommt von außen, der Wolf voller Täuschung, / und tausend Schäden richtet er in der Gegend an. / Hier sind zwei Wege: jetzt schnell und hurtig weg / durch die Berge, denn den Weg dort habe ich im Auge / jagt den Dieb, der sich immer / in diesem oder jenem Gebüsch versteckt und nie schläft, / wenn er den Spuren unserer Herden folgt. / Niemand zeige sich ängstlich im Wald, / denn ich kenne die Wölfe gut, lasst uns gehen, lasst uns gehen, / denn wenn ich mir einen einzigen Ast nehmen werde, / werde ich ihn [den Wolf] nicht oft zurückkehren lassen. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 111 15.08.11 15: 18 <?page no="124"?> 112 Die S chriftsprache vor der Kodif izierung Ludovico Ariosto Masuccio Salernitano Erfindung des Buchdrucks Abb. 5.9 Porträt eines Mannes, vermutlich Ludovico Ariosto, Tizian Kodifizierungsbedarf Ein weiteres Beispiel für die Toskanisierung epochaler Literatur ist das erfolgreichste literarische Werk des folgenden Jahrhunderts, der Orlando furioso von Ludovico Ariosto (1474−1533). Ariost steht wie Boiardo im Dienste der Familie d’Este aus Ferrara, deren Ahnen er wie zuvor schon sein Vorgänger im Epos verherrlicht. Er übernimmt auch vieles aus dem Orlando innamorato, überbietet die Parodie aber immer wieder, so z. B. wenn er Orlando seinen Verstand aus Liebe ganz konkret verlieren lässt und ihm dieser dann mühsam vom Mond wieder zurückgeholt werden muss. Den Wahnsinnigen bezeichnet Ariosto direkt mit matto, einem Ausdruck, der in der hohen Epik zuvor undenkbar war. Sprachlich besonders wichtig ist, dass Ariost den Orlando 1516 zwar noch in der lingua cortigiana abfasst, allerdings auch schon mit einigen Toskanismen anreichert und die zweite Auflage von 1521 sowie insbesondere die dritte von 1532 eine klare Hinwendung zum Toskanischen dokumentieren (vgl. 6.2.3). Andere Autoren akzeptieren von vornherein das toskanische Modell, was allerdings nicht ausschließt, dass ihre Werke auch Merkmale aus den Dialekten der betreffenden Region enthalten, so z. B. das Novellino (1476) des Masuccio Salernitano (um 1410/ 1475). Die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg um 1450 spielt nicht nur für die Konkurrenz zwischen Latein und Volgare eine wichtige Rolle, sondern war auch ein wichtiger Faktor für die Ausbreitung des Toskanisch-Florentinischen. In Italien fasst der Buchdruck seit 1465 Fuß und wird von da an auf quantitativ wie qualitativ hohem Niveau praktiziert. Im 15. Jahrhundert überwiegen noch Drucke lateinischer Werke. Doch ab 1470 werden auch volkssprachliche Texte gedruckt, und zwar bezeichnenderweise die Werke der großen Drei, der Canzoniere von Petrarca 1470 in Venedig, der Decamerone 1470/ 1471 in Neapel und 1471 in Venedig, die Divina Commedia 1472 in gleich drei Auflagen in Foligno, Mantua und Iesi oder Venedig. Diese frühen Drucke können das ohnehin vorhandene literarische Prestige des Florentinischen noch einmal deutlich stärken. Als Zentrum des Buchdrucks etabliert sich Venedig. Der päpstlichen Zensur kann sich die Lagunenstadt vergleichsweise gut entziehen, was ihr u. a. auch einen ökonomischen Vorteil verschafft. Ab 1493 wird Aldo Manuzio hier tätig, dessen Druck des Canzoniere im Jahre 1501 unter Berücksichtigung der Orthographie von Bembo ediert wird. Dieser sogenannte Petrarca aldino ist sicherlich einer der Meilensteine der italienischen Sprachgeschichte (vgl. 6.3.1). Die Ausbreitung des Buchdrucks ist für die Sprachgeschichte deshalb so wichtig, weil Bücher jetzt nicht mehr für wenige Leute abgeschrieben werden, sondern weite Verbreitung finden sollen. Um diese zu gewährleisten, ist dem Drucker daran gelegen, eine weithin akzeptable Sprache zu wählen. Der Buchdruck trägt also entscheidend zur Kodifizierung von Orthographie, Grammatik und Wortschatz bei. Ein besonders wichtiger Faktor für die Durchsetzung des Toskanisch-Florentinischen ist seine durch den Vulgärhumanismus ausgelöste Kodifizierung, die bezeichnenderweise durch Autoren von grammatischen, orthographischen und lexikographischen Traktaten erfolgt, die keine Toskaner sind. Dies ist ein Indiz dafür, dass für Nicht-Toskaner offenbar ein Bedarf an Anleitungen zum richtigen Gebrauch des Toskanischen besteht, Reutner_Stb_sV-256_End.indd 112 15.08.11 15: 18 <?page no="125"?> Das 15. J ahrhundert 113 und diese Schriften fördern natürlich die Übernahme des Toskanischen durch Autoren anderer Regionen in der zweiten Jahrhunderthälfte. Bis 1550 kommt es zu einer regelrechten Flut von Grammatiken und Wörterbüchern, die von nicht-toskanischen Autoren für das restliche Italien abgefasst werden. Die erste von einem Toskaner verfasste Grammatik erscheint erst 1552 (Giambullari, De la lingua che si parla e scrive in Firenze) − aber all dies wird im folgenden Kapitel genauer zu betrachten sein (vgl. 6.3.4). Die lingua cortigiana ist eine Weiterentwicklung der koiné padana. Als latinisierendes Volgare mit schwacher diatopischer Prägung wird sie eine Zeit lang an den Höfen gepflegt (z. B. Boiardo, Orlando innamorato), kann sich langfristig und generell gegenüber dem Toskanischen jedoch nicht durchsetzen. Mit den Werken der Tre corone sowie dem Reichtum und der Vielfalt sonstiger Schriften hat das Toskanische bereits eine schwer einzuholende Vorrangstellung erreicht. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglicht 1470 den Druck des Canzoniere Petrarcas und in der Folgezeit die Verbreitung der Werke der Tre Corone in bislang unbekanntem Ausmaß. Als Autoren unterschiedlichster regionaler Provenienz dazu übergehen, das Toskanische für ihre Schriften zu verwenden (z. B. Sannazaros Arcadia, Ariosts Orlando furioso), ist dessen Siegeszug kaum mehr aufzuhalten. Die Toskanisierung Roms durch toskanische Künstler und Medici-Päpste trägt ein Übriges dazu bei. lingua cortigiana und Toskanisch in Konkurrenz Reutner_Stb_sV-256_End.indd 113 15.08.11 15: 18 <?page no="126"?> Reutner_Stb_sV-256_End.indd 114 15.08.11 15: 18 <?page no="127"?> Von der Kodifizierung bis zur Etablierung als Nationalsprache 6 Kodifizierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 6.1 Italien zu Beginn des 16. Jahrhunderts Wie bereits im vorangegangenen Jahrhundert besteht auch im Cinquecento weder eine politische Notwendigkeit noch eine politische Basis für eine sprachliche Einigung, denn Italien bleibt in eine Vielzahl von Territorien und Herrschaftsbereichen aufgeteilt. 1494 geht die seit dem Frieden von Lodi 1454 währende Epoche des Friedens und der politischen bzw. kulturellen Stabilität zu Ende, als Karl VIII. von Frankreich als Erbe der Anjou Ansprüche auf das Königreich Neapel erhebt und dieses zusammen mit Lodovico Sforza von Mailand erobert. Abb. 6.1 Italien - ein Schauplatz fremder Interventionen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 115 15.08.11 15: 18 <?page no="128"?> 116 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Die Gründe für die Suche nach einem einheitlichen Sprachmodell Damit bricht das italienische Staatensystem zusammen und die Apenninenhalbinsel wird für lange Zeit zum Objekt und Schauplatz fremder Interventionen. Die Italienkriege zwischen Frankreich und dem habsburgischen Spanien unter Karl V. dauern bis 1559. Weder den Päpsten noch den italienischen Fürsten gelingt es, diesen Großmächten Widerstand zu leisten. Spanien geht aus dem Kampf um Italien als Sieger hervor, 1504 beginnt die spanisch-habsburgische Herrschaft über Italien; die Friedensschlüsse vom Cambrai (1529) und Cateau-Cambrésis (1559) besiegeln und verstärken die spanische Herrschaft und die „Hispanisierung“ Italiens. Neapel und Sizilien werden spanische Vizekönigreiche, auch Sardinien fällt unter spanische Hoheit. In der Folge verliert Mailand seine politische Bedeutung. Venedig betreibt zwar eine vorsichtige antispanische Politik, doch unter dem Druck des osmanischen Reiches (1453 fällt Konstantinopel) und der Verlagerung des Handels nach der Entdeckung Amerikas verliert es ebenso an Macht. Demgegenüber kann Florenz unter Cosimo, der 1569 zum Großherzog ernannt wurde, seine Position wieder festigen. Auch der Kirchenstaat wird nach kriegerischen und nepotistischen Päpsten (Borgia, Medici, Farnese) in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch Sixtus V. neu organisiert. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte kehrt wieder eine relative Stabilität ein. Für ein politisch und sozial stark zerklüftetes Land wie Italien, in dem einige Bereiche der Schriftkommunikation nach wie vor vom Latein besetzt sind und in der mündlichen Kommunikation die zahlreichen Dialekte dominieren, wird die Suche nach einer einheitlichen, landesweit gültigen Hochsprache, die sich für gehobene Themen und literarische Genres eignete, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besonders brisant. Die Gesellschaft hat sich in bestimmten Bereichen der Schriftlichkeit grundlegend für den Ersatz der lateinischen Schriftsprache durch die Volkssprache (das Volgare) entschieden. Zwar bleibt das Latein weiterhin die dominierende Sprache für kirchliche und religiöse Angelegenheiten, es wird in philosophischen und wissenschaftlichen Schriften, auf gelehrten Versammlungen, vor Gericht (Richter und Anwälte sprechen Latein, die Angeklagten und Zeugen in Volgare) und in der universitären Lehre verwendet, in der Alltagskommunikation, in der gelehrten Korrespondenz, in der Diplomatie und in der Geschichtsschreibung dominiert aber zunehmend der Gebrauch des Volgare. Dem kann nun die dynamische Entwicklung des Buchdrucks besonders zuträglich werden, der in dieser Zeit einen enormen Erfolg verbuchen kann. Solange jedoch verschiedene Volgare- Modelle in der Schriftkommunikation gegeneinander konkurrieren, kann sich der durch den Buchdruck entstehende Markt für Druckerzeugnisse nur innerhalb der geographischen Reichweite der jeweils verwendeten Sprachform entwickeln. Die Selektion und Verbreitung eines gemeinsamen Sprachmodells sowie die Festlegung zuverlässiger Sprachregeln bilden deshalb das Grundanliegen eines intensiven Sprachenstreits, der in der ersten Hälfte des Cinquecento entbrennt und als die eigentliche Questione della lingua in die italienische Sprach- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 116 15.08.11 15: 18 <?page no="129"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 117 Die konkurrierenden Sprachmodelle geschichte eingeht. Er hat seinen Höhepunkt in den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. 6.2 Die Questione della lingua im 16. Jahrhundert Die verschiedenen Positionen, die in dem Sprachenstreit aufeinander treffen, lassen sich in zwei große Strömungen zusammenfassen: eine tendenziell „demokratische“ Strömung, die für den Ausbau einer hybriden Sprachform eintritt, in der Elemente verschiedener Sprachen zusammengefasst werden, sowie eine „autoritäre“ Strömung, die für den Ausbau eines regionalen Volgare plädiert. Für den Ausbau als Einheitssprache empfehlen sich insbesondere drei Sprachformen: − ein am Sprachgebrauch der Fürstenhöfe orientiertes Sprachmodell (lingua cortigiana); − der zeitgenössische Sprachgebrauch der kultivierten Florentiner Oberschicht (fiorentino contemporaneo) sowie − das textbasierte Sprachmodell der großen florentinischen Autoren des 14.-Jahrhunderts (fiorentino arcaizzante). Im Folgenden werden die konkurrierenden Sprachkonzepte anhand der Texte vorgestellt, die man in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besonders intensiv diskutiert bzw. denen retrospektiv von der Sprachgeschichtsschreibung eine Schlüsselrolle für eine bestimmte Position zugewiesen wird. Die einschlägigen Schriften (i. d. R. sog. „Sprachdialoge“) finden meist lange vor ihrer Drucklegung in Manuskriptform Verbreitung, so dass die Angabe des Erscheinungsjahrs (hin und wieder ohnehin nicht eindeutig zu ermitteln) von relativer Bedeutung ist. Die Wirkung und der Verbreitungsradius jedes einzelnen Textes stehen in engem Zusammenhang mit der politischen und sozialen Rolle und dem gesellschaftlichen Prestige seines Autors. 6.2.1 Das Modell der lingua cortigiana Unter dem Etikett lingua cortigiana wird ein eklektisches Sprachkonzept zusammengefasst, das nicht auf dem Ausbau eines regionalen Volgare beruht, sondern die lebendige Sprache der italienischen Höfe zum Vorbild nimmt (vgl. bereits II. 3.2.1). Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung der koinè padana, die im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Latein als Kanzleisprache ablöst und sich durch die intensiven Beziehungen an den norditalienischen Höfen und auch am päpstlichen Hof in Rom ausbreitet. Das Sprachmodell orientiert sich an einer von Personen gehobenen Standes verwendeten, schwach diatopischen, eklektischen und stark latinisierenden Varietät. Beispiele für die Anwendung dieser Sprachform in der literarischen Praxis sind rar. Als prominenteste Versuche ihrer Literarisierung gelten vor 1494 Boiardos Orlando innamorato sowie die erste Ausgabe von Ariostos Orlando Furioso von 1516 (vgl. 5.2.1). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 117 15.08.11 15: 18 <?page no="130"?> 118 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 6.2 Baldassare Castiglione Das eklektische Sprachkonzept einer lingua cortigiana Als das eigentliche Referenzwerk für das Konzept einer lingua cortigiana gilt allerdings das erstmals 1528 gedruckte Traktat Il libro del Cortegiano von Baldassare Castiglione (1478−1529), das als eine der bedeutendsten literarischen Leistungen der italienischen Renaissance gilt. Castiglione baut das Sprachideal einer lingua cortigiana (ohne das Etikett selbst zu verwenden) als zentralen Bestandteil in eine umfassende Theorie der Hof kultur ein, die als höfisches Bildungsideal in ganz Europa Verbreitung und Resonanz findet. Das Buch simuliert vier Unterhaltungen am Hofe von Urbino im Jahre 1507, in die Elisabetta Gonzaga, Pietro Bembo, Bernardo Dovizi da Bibbiena, Giuliano de’ Medici und andere zeitgenössische Persönlichkeiten eingebunden werden. Eine angemessene Sprachform gehört zu den „qualità sociali“ des vollendeten Hofmannes, d. h. für Castiglione stellt sich die Sprachenfrage nicht als philologisches oder ästhetisches Problem, sondern als gesellschaftliches. Der Hofmann sollte sich am „guten Geschmack“ und am lebendigen Sprachgebrauch bei Hofe orientieren, Archaismen vermeiden und nur solche Wörter gebrauchen, die im aktuellen Sprachgebrauch gängig waren. Klangharmonie und Anmut nach zeitgenössischen Maßstäben bilden demnach die zentralen Kriterien für die Auswahl des höfisch angemessenen Wortschatzes, der sich nicht auf toskanische und literarisch bereits bewährte Elemente reduziert. Dabei bildet der Usus (consuetudine) die entscheidende Auswahlinstanz. Wir haben es hier mit einem „gemäßigten“ Sprachkonzept zu tun, dass sich sowohl für die höfische Konversation als auch für das literarische Schreiben eignen soll, ohne zwischen beiden eine große Kluft entstehen zu lassen. Im folgenden Auszug aus der an den Bischof von Viseo, Don Michel de Silva, gerichteten „Lettera proemiale“ zum Libro del Cortegiano fasst Castiglione seine Sprachposition zusammen und liefert ein anschauliches Bild des eklektischen Sprachkonzepts einer lingua cortigiana, das sich nicht auf das Vorbild toskanischer Autoren beruft, deren Einfluss auf die Literatur in Volgare aber auch nicht abstreitet. […] la forza e vera regula del parlar bene consiste piú nell’uso che in altro, e sempre è vizio usar parole che non siano in consuetudine. Perciò non era conveniente ch’io usassi molte di quelle del Boccaccio, le quali a’ suoi tempi s’usavano ed or sono disusate dalli medesimi Toscani. Non ho ancor voluto obligarmi alla consuetudine del parlar toscano d’oggidí, perché il commerzio tra diverse nazioni ha sempre avuto forza di trasportare dall’’una all’altra, quasi come le mercanzie, cosí ancor novi vocabuli, i quali poi durano o mancano, secondo che sono dalla consuetudine ammessi o reprobati; e questo, oltre il testimonio degli antichi, vedesi chiaramente nel Boccaccio, nel qual son tante parole franzesi, spagnole e provenzali ed alcune forse non ben intese dai Toscani moderni, che chi tutte quelle levasse farebbe il libro molto minore. E perché al parer mio la consuetudine del parlare dell’altre città nobili d’Italia, dove concorrono omini savi, ingeniosi ed eloquenti, e che trattano cose grandi di governo de’ stati, di lettere, d’arme e negoci diversi, non deve essere del tutto sprezzata, dei vocabuli che in questi lochi parlando s’usano, estimo aver potuto ragionevolmente usar scrivendo quelli, che hanno in sé grazia ed eleganzia nella pronunzia e son tenuti communemente per boni e significativi, benché non siano toscani ed ancor abbiano origine di fuor d’Italia. (Lettera proemiale II) Reutner_Stb_sV-256_End.indd 118 15.08.11 15: 18 <?page no="131"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 119 Giangiorgio Trissino - „Entdecker“ und Übersetzer Dantes Niccolò Machiavelli Discorso o dialogo sulla nostra lingua 1524 Auf Giangiorgio Trissino (1478−1550), dessen Wirkungsfeld sich v. a. auf den Hof von Mantua erstreckt, soll an dieser Stelle als „Entdecker“ und Übersetzer von Dantes De vulgari eloquentia (er macht die Schrift ab 1514/ 1515 bekannt und gibt sie dann 1529 in italienischer Übersetzung heraus) und als Autor einer Orthographiereform verwiesen werden, der im Endeffekt kein Erfolg beschieden ist (vgl. die Epistola de le lettere nuovamente aggiunte ne la lingua italiana von 1524, abgedruckt in Pozzi ed. 1988). In seinem Dialog Il Castellano (1529) gibt Trissino der lingua cortegiana als Erster den Namen „lingua volgare italiana“ und beruft sich dabei auf Dante (vgl. 6.2.4). Das Modell der lingua cortigiana kann sich als polyfunktionale Überdachungssprache auf Dauer v. a. deshalb nicht behaupten, weil es sich nicht als Literatursprache durchzusetzen vermag. Ihr latinisierend-archaisierender Charakter macht die lingua cortigiana für die Literatur wenig geeignet. Boiardo und später auch Trissino haben zwar den Versuch eines literarischen Ausbaus unternommen, andere zeitgenössische Dichter wie z. B. Ariost gehen jedoch bald dazu über, ihr Werk zu „toskanisieren“. De facto hat das Modell der lingua cortigiana zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits keine Durchsetzungskraft mehr. Absage an das Modell der lingua cortigiana 6.2.2 Das Modell des fiorentino contemporaneo In Florenz gibt es zwar bereits im 14. und 15. Jahrhundert Diskussionen über die Sprachenfrage, daraus entwickelt sich aber keine klare Tradition eines fiorentino illustre. Die Sprache, die Alberti in seinen Regole della lingua fiorentina-− der ersten volkssprachlichen Grammatik einer romanischen Sprache − beschreibt (vgl. 5.1.2) ist eine literarisch nicht anspruchsvolle Mischung aus dem latinisierenden Volgare der Humanisten und dem Umgangs-Florentinischen, von dem sich auch Lorenzo de’ Medici und seine Höflinge kaum entfernen. In der sprachpraktischen Umsetzung schwankt der Anteil an aktuellem Florentinisch, an archaischem Florentinisch und an Latinismen erheblich. Im Zuge der von dem Kreis um Lorenzo de’ Medici kultivierten vulgärhumanistischen Tendenzen gelangen Elemente des zeitgenössischen Florentinisch auch in anspruchsvolle literarische, namentlich poetische Werke (etwa Pulci Morgante ca. 1478). Aus dem Lorenzo-Kreis kommen auch programmatische Äußerungen für die Förderung eines Volgare-Modells mit florentinischer Ausrichtung, die aber kaum überregionale Resonanz erfahren. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts sind Florenz und die Toskana dann eigentlich nur mit einer Schrift an der Diskussion um die Gemeinsprache beteiligt, dem Discorso o dialogo sulla nostra lingua, der Niccolò Machiavelli (1469−1527) zugeschrieben und auf 1524 datiert wird. Machiavelli liefert in diesem Traktat offensichtlich einen ersten Diskussionsbeitrag zur Entdeckung und Interpretation der De vulgari eloquentia durch Trissino, dessen Konzept der lingua cortigiana (hier als lingua curiale) er verwirft, um zunächst die fiorentinità der Sprache der Trecentisti nachzuweisen und schließlich dem Florentinischen eine ihm von Natur aus zukommende größere Ausbaufähigkeit und damit Reutner_Stb_sV-256_End.indd 119 15.08.11 15: 18 <?page no="132"?> 120 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Claudio Tolomei Il Cesano 1528 Überlegenheit gegenüber allen anderen Volgari zu bescheinigen. Explizit formuliert dies Machiavelli in folgendem Auszug: […] Pertanto io concludo che molte cose sono quelle che non si possono scrivere bene senza intendere le cose proprie et particolari di quella lingua ch’è più in prezzo. Et volendo li proprii, conviene andare alla fonte donde quella lingua ha havuto origine, altrimenti si fa una compositione dove l’una parte non corrisponde a l’altra. Et che l’importanza di questa lingua nella quale et tu, Dante, scrivesti, et gl’altri che vennono et prima et poi di te hanno scritto, sia derivata da Firenze, lo dimostra esser voi stati fiorentini, et nati’n una patria che parlava in modo che si poteva meglio che alcuna altra accomodare a scrivere in versi et in prosa. Al che non si potevano accommodare gl’altri parlari d'Italia. (Machiavelli 1982: 65-67) Da Machiavellis Discorso erst viel später gedruckt wird (die erste Druckfassung erscheint 1730), wird die zeitgenössische Wirkung dem tatsächlichen Wert des Textes nicht gerecht. Ein weiterer Befürworter einer Ausrichtung der Gemeinsprache an zeitgenössischen toskanischen Vorbildern ist Claudio Tolomei (1492−1556), der allerdings dem Florentinischen nicht den Vorrang gegenüber anderen toskanischen Volgari einräumt und deshalb nicht für eine fiorentinità, sondern für die toscanità der Gemeinsprache plädiert. Für die Questione della lingua relevant sind in erster Linie seine Dialoge Il Polito (1525 unter dem Pseudonym Adriano Franci) und Il Cesano (1528). Dico ben sì come gli huomini di Toscana si sonno ingegnati co le lingue e co gli scritti loro darle nome, così deve esser loro benignamente grata. E quinci non Vulgare, che ciò gran parte le toglie del pregio suo; non Italiana, quando che nissuna amorevolezza si mostra del ricevuto dono, non riconoscendo da gli altri distintamente i suoi donatori; non Cortigiana, con ciì sia che ella girebbe co le Corti miseramente errando; non Fiorentina, perché è iniqua cosa coloro che ugualmente ci hanno servito non egualmente ristorare: ma sì come ella è senza dubbio, e voglia e brami sempre Toscana chiamarsi. (Tolomei 1996: 61-62) Noch um die Mitte des Jahrhunderts wird das zeitgenössische florentinische Modell mit großem Eifer von den Gelehrten der Accademia Fiorentina verteidigt (vgl. 6.3.2). Ein wichtiger Protagonist dieser Akademie, der Florentiner Benedetto Varchi (1502−1565), schlägt in seinem Dialog L’Ercolano (1560−1565) einen Kompromiss zwischen dem zeitgenössischen und dem rückwärtsgewandten florentinischen Sprachmodell vor, um die Literatursprache von der alltäglichen Mündlichkeit abzugrenzen. 6.2.3 Das Modell des fiorentino archaizzante Die entscheidenden praktischen und theoretischen Stimuli für die Propagierung und Durchsetzung des durch die Tre corone begründeten Sprachmodells gibt der Venezianer Pietro Bembo mit der dreibändigen Schrift Prose della volgar lingua (die 1525 erstmals im Druck erscheint). Mit den Prose will Bembo ein ambitioniertes Sprachprojekt realisieren, wobei er mit seinem Konzept kein Neuerer ist, sondern der „Vollstrecker“ einer dem Zeitgeist gemäßen Entwick- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 120 15.08.11 15: 18 <?page no="133"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 121 Abb. 6.3 Pietro Bembo Die Übertragung des Nachahmungsprinzips auf die Volkssprache Abb. 6.4 Die Princeps der Prose della volgar lingua lung. Ähnliche Gedanken, wie er sie in seinem Dialog äußert, waren von zahlreichen Vorläufern bereits geäußert worden, es ist aber Bembos Schrift, die einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der italienischen Literatursprache markiert. Der humanistische Gelehrte, Literat und Kardinal Pietro Bembo gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Zeit: er verkehrt an großen italienischen Höfen wie Ferrara, Venedig, Urbino und Padua, wird 1521 zum päpstlichen Sekretär in Rom ernannt, bekleidet von 1539 bis 1543 das Bischofsamt in Gubbio und Bergamo. Er erwirbt dauerhaften Ruhm mit lateinischen und volkssprachlichen Schriften. In beiden Publikationssprachen beruht sein literarisches Konzept auf dem (latein)humanistischen Prinzip einer konsequenten Nachahmung des in der jeweiligen Sprache für Prosa bzw. Poesie gültigen vorbildlichen Sprachgebrauchs. Zu Bembos Engagement für das Volgare als Literatursprache hat zweifelsohne die Zusammenarbeit mit dem großen venezianischen Buchdrucker Aldo Manuzio beigetragen (vgl. 6.3.1), der 1505 auch Bembos ersten vulgärsprachlichen Text − den philosophischen Dialog über die Liebe Gli Asolani- − verlegt. In den Prose della volgar lingua liefert Bembo zur theoretischen Begründung für ein retrospektives schriftbasiertes Normkonzept (fiorentino arcaizzante), das auf der Nachahmung der florentinischen „Klassiker“ des Trecento basiert, auch gleich eine praktische Grundlage in Form einer in Regeln gefassten ausführlichen Beschreibung dieser Sprache (in Poesie und Prosa). Bembo gibt die Prose als Verschriftlichung eines Disputs aus, der in ähnlicher Form 1502 in Venedig stattgefunden haben soll, zwischen 1512 und 1522 in Rom niedergeschrieben wurde, um 1525 schließlich in Venedig gedruckt zu werden. Wie bei zahlreichen anderen Schriften der Questione della lingua werden also auch hier tatsächlich stattgefundene Gespräche simuliert und literarisiert. Als Protagonisten agieren authentische historische Persönlichkeiten und äußern Ansichten, die diese im realen Leben auch tatsächlich vertreten haben. Die Teilnehmer sind Giuliano de’ Medici als Verfechter des Volgare, Federigo Fregoso als Kenner und Liebhaber des Okzitanischen, Ercole Strozzi als überzeugter Latinist und Bembos Bruder Carlo Bembo, der die Ansichten des Autors vertritt. In Anlehnung an den Humanismus verlagert Bembo die Diskussion über das Volgare auf die Ebene der Schriftlichkeit und auf die Festlegung einer modellhaften und hochrangigen Literatursprache durch vorbildliche Autoren. Er Reutner_Stb_sV-256_End.indd 121 15.08.11 15: 18 <?page no="134"?> 122 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Die Begründung des Sprachmodells Die Vorbildrolle der Trecentisti geht von der Grundthese aus, dass sich das Florentinische durch die großen Dichter des Trecento zu einer dem Latein in Ausdrucksfähigkeit (copia), Größe (grandezza) und Anmut (piacevolezza) ebenbürtigen, wenn nicht gar überlegenen Literatursprache entwickelt habe. Sein Auswahlkriterium ist demnach ausschließlich ästhetisch-stilistischer Natur. Vorbildlich sei insbesondere die Sprache Boccaccios und Petrarcas („La più regolata è la lingua del Boccaccio e del Petrarca“), von dem sich das zeitgenössische Florentinische beträchtlich entfernt habe. Die Hochsprache dürfe sich allerdings nicht an den Sprachgebrauch des einfachen Volkes anlehnen („per non perdere gravità e grandezza“), insofern sei Dantes Commedia mit seinen zahlreichen volkstümlichen und niedrigen Ausdrucksweisen nicht modellfähig. Das erste Buch enthält eine aus der Konfrontation mit den anderen Positionen herausgearbeitete theoretische Darstellung und Begründung von Bembos Sprachmodell. Als Textauszüge werden im Folgenden Begründungen für die ästhetisch-stilistische Überlegenheit des Florentinischen gegenüber anderen Volgari (I.XV.) sowie für den notwendigen Ausschluss niedriger, volkstümlicher Ausdrücke aus der Literatursprache (I.XVIII.) zitiert. [1.XV.] […] - Ma perché è, - rispose lo Strozza - che quella lingua [la fiorentina lingua] piú gentile sia che la vostra? - Allora disse mio fratello: - Egli si potrebbe dire in questa sentenza, messer Ercole, molte cose; perciò che primieramente si veggono le toscane voci miglior suono avere, che non hanno le viniziane, piú dolce, piú vago, piú ispedito, piú vivo; né elle tronche si vede che sieno e mancanti, come si può di buona parte delle nostre vedere, le quali niuna lettera raddoppiano giamai. Oltre a questo, hanno il loro cominciamento piú proprio, hanno il mezzo piú ordinato, hanno piú soave e piú dilicato il fine, né sono cosí sciolte, cosí languide; alle regole hanno piú risguardo, a’ tempi, a’ numeri, agli articoli, alle persone. Molte guise del dire usano i toscani uomini, piene di giudicio, piene di vaghezza, molte grate e dolci figure che non usiam noi, le quali cose quanto adornano, non bisogna che venga in quistione. […] [1.XVIII.] Tacevasi, dette queste parole, il Magnifico, e gli altri medesimamente si tacevano, aspettando quello che mio fratello recasse allo ’ncontro, il quale incontanente in questa guisa rispose: - Debole e arenoso fondamento avete alle vostre ragioni dato, se io non m’inganno, Giuliano, dicendo, che perché le favelle si mutano, egli si dee sempre a quel parlare, che è in bocca delle genti, quando altri si mette a scrivere, appressare e avicinare i componimenti, […] La lingua delle scritture, Giuliano, non dee a quella del popolo accostarsi, se non in quanto, accostandovisi, non perde gravità non perde grandezza; che altramente ella discostare se ne dee e dilungare, quanto le basta a mantenersi in vago e in gentile stato. Il che aviene per ciò, che appunto non debbono gli scrittori por cura di piacere alle genti solamente, che sono in vita quando essi scrivono, come voi dite, ma a quelle ancora, e per aventura molto piú, che sono a vivere dopo loro: con ciò sia cosa che ciascuno la eternità alle sue fatiche piú ama, che un brieve tempo. Im zweiten Buch werden die Trecentisti auf ihre mögliche Vorbildrolle überprüft. Entscheidend für einen angemessenen literarischen Stil sind für Bembo ganz in der antiken Tradition der Rhetorik Würde (gravità), Anmut (piacevolezza) und Variation (variazione) sowie die angemessene Kombination der Stilmittel. Der Überprüfung halten nur die Prosa Boccaccios und die Poesie Petrarcas stand, die alle diese Qualitäten nach Bembos Meinung in ihren Texten verei- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 122 15.08.11 15: 18 <?page no="135"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 123 Ein Regelkatalog für die italienische Grammatik Ariosto als Anhänger von Bembo nen. Klare Vorbehalte formuliert Bembo gegen die mögliche Vorbildrolle von Dante, an dessen Sprachgebrauch er u. a. in dem folgenden Auszug die fehlende Anmut und Eleganz bemängelt. [2. V.] Il qual poeta [Dante] non solamente se taciuto avesse quello che dire acconciamente non si potea, meglio avrebbe fatto e in questo e in molti altri luoghi delle composizioni sue, ma ancora se egli avesse voluto pigliar fatica di dire con piú vaghe e piú onorate voci quello che dire si sarebbe potuto, chi pensato v’avesse, et egli detto ha con rozze e disonorate, sí sarebbe egli di molto maggior loda e grido, che egli non è; come che egli nondimeno sia di molto. Im dritten Buch stellt Bembo schließlich einen Regelkatalog für die italienische Grammatik auf, der sich als Basis für eine bis in die Gegenwart gültige normative Grammatik der italienischen Schriftsprache erweisen sollte. Die einzelnen Einträge werden an literarischen Beispielen der besten toskanischen Dichter des Trecento (in erster Linie aus dem Decameron von Boccaccio und aus Texten von Petrarca) exemplifiziert. Damit schafft Bembo eine Nachahmungsbasis, an der sich italienische Literaten künftig orientieren sollen, um zu einer eleganten und stilistisch hochwertigen Sprache zu finden (vgl.-6.3.4). Als Grundlage für die Kodifikation der italienischen Literatursprache findet Bembos Modell den größten Konsens und bildet schließlich die Basis für die Institutionalisierung der Sprachpflege mit der Gründung der Accademia della Crusca durch Leonardo Salviati (vgl. 6.3.2). Dieser konservativen Sprachdoktrin ist der Erfolg v. a. deshalb beschert, weil sie auf einer Schrifttradition auf baut, die sich bereits über die toskanischen Grenzen hinaus verbreitet hat. Diesem Umstand ist es in erster Linie zu verdanken, dass sich auch zahlreiche Nichttoskaner für die Durchsetzung von Bembos Sprachmodell einsetzen. An dieser Stelle sei auch auf den Dialogo delle lingue von Sperone Speroni (1542) verwiesen, der zwar grundsätzlich dem Modell der lingua cortigiana als Bestandteil einer entwickelten Hof kultur zugetan ist, sich aber im Endeffekt dem Tre-Corone-Modell anschließt. Speroni gibt in seinem Dialog eine recht getreue Beschreibung der zeitgenössischen italienischen Sprachdiskussion, die aufgrund der intensiven Rezeption (v. a. durch Joachim du Bellay) auf die Sprachdiskussion in Frankreich ausstrahlt. Die Wirkung der auf dem Vorbild der Trecentisti beruhenden Sprachdoktrin lässt sich eindrucksvoll am Beispiel von Ludovico Ariosto (1474−1533) illustrieren. Dieser überarbeitet seinen Orlando Furioso, der als erfolgreichstes literarisches Werk des Cinquecento gilt, gleich zweimal, wobei er sich von Fassung zu Fassung der Sprache und dem Stil der Trecentisti mehr anpasst und damit den Beweis für die Umsetzbarkeit von Bembos Sprachkonzept liefert. Die Veränderungen können in der kritischen Ausgabe (vgl. Debenedetti/ Segre 1960) nachvollzogen werden. Die erste Textversion von 1516 trägt mit ihren zahlreichen Dialektismen und Latinismen noch das Gepräge der lingua cortigiana (z. B. schwankender Gebrauch der Doppelkonsonanten und der Konsonanten c und z vor e und i). In einer zweiten Ausgabe von 1521 erweckt die Liste der „errata-corrige“ den Eindruck, nichttoskanische Formen seien versehentlich in Reutner_Stb_sV-256_End.indd 123 15.08.11 15: 18 <?page no="136"?> 124 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache den Text gelangt. So verbessert Ariosto z. B. reverire in riverire, devere in dovere, volontieri in volentieri und parangone in paragone (vgl. Migliorini/ Baldelli 1985: 162). Das Erscheinen von Bembos Prose mit der ersten umfassenden Beschreibung der Sprache der Trecentisti nimmt Ariosto zum Anlass für eine zweite Überarbeitung. Der im Folgenden zitierte Brief gibt beredtes Zeugnis für die akribische Ausrichtung an Bembos Modell: […] io son per finir di riveder il mio Furioso; poi verrò a Padova per conferire con V.S., e imparare da lei quello che per me non son atto a conoscere […] Se, terminata la revisione, nel poema è rimasto ancora qualche tratto padano o latineggiante, in complesso la fisionomia della terza edizione dell’Orlando è diventata conforme al tipo del toscano letterario. (aus einem Brief von Ariosto an Bembo, 23. Februar 1531, zitiert nach Ariosto 1862: XXIV) Als Dichter korrigiert Ariosto nicht pedantisch und mit letzter Konsequenz, seine Aufmerksamkeit richtet sich in erster Linie auf metrische und phonostilistische Einzelheiten. Er befolgt allerdings weitgehend Bembos Vorgaben für die Diphthongierung, die Doppelkonsonanz, den Gebrauch der Artikel (mask.: il, Plural i, lo vor s impurum), den Ersatz von in lo, in la, in l’ durch ne lo, ne la und nel sowie den Ersatz der Verbendungen in der ersten Person Plural -amo, -emo und -imo durch -iamo. Die letzte Fassung des Orlando Furioso kommt schließlich dem toskanisch-florentinischen Sprachgebrauch des Trecento schon sehr nahe und „besitzt für die zeitgenössische Dichtungstheoretiker Modellcharakter“ (Kapp 2007: 126). Mit den Prose della volgar lingua avanciert Bembo (wenn auch keinesfalls unumstritten) somit zum „Vater“ der italienischen Literatursprache, auf dessen Regelkanon bis heute zur Klärung von Fragen des angemessenen Sprachgebrauchs von Sprachexperten verwiesen wird. Der Erfolg des Tre-corone-Modells Der Erfolg des archaischen Tre-corone-Modells in der Questione della lingua des 16.- Jahrhunderts beruht letztendlich weder auf geographischen noch auf sprachinternen oder machtpolitischen Faktoren. Die Kritiker einer dominierenden Toskanität sind zwar zahlreich, kommen aber mit ihren Plädoyers bereits zu spät, so wie die Befürworter eines zeitgenössischen Florentinisch offensichtlich zu früh auftreten, denn es gibt keinen literarischen Kanon, auf den sie sich berufen könnten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die von politischem, religiösem und kulturellem Konformismus geprägt ist und zudem zwar viele Historiker, Gelehrte und Grammatiker, aber keine herausragenden Autoren aufweist, bietet die Imitation der Trecentisti nach Bembos Konzeption klarere Maßstäbe als der Eklektizismus der lingua cortigiana oder der regional eng begrenzte aktuelle florentinische Sprachgebrauch. Gerade dieser Umstand macht sie zu einem Modell, das für die nunmehr unumgängliche Kodifizierung die besten Voraussetzungen bietet: − Durch die überregionale Rezeption der Werke der Tre corone besteht bereits ein „italienischer“ Literaturfundus. − Die florentinische Kultur und Schriftlichkeit (auch im nichtliterarischen Bereich) genießt auch außerhalb von Florenz hohes Prestige. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 124 15.08.11 15: 18 <?page no="137"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 125 Machiavelli: „… se la lingua nella quale hanno scritto i nostri poeti et oratori fiorentini è fiorentina, toscana o italiana“ − Die nichttoskanischen Grammatiker und Lexikographen orientieren sich in der Mehrzahl am Tre-corone-Modell. Das Tre-corone-Modell hält in der zweiten Hälfte des Cinquecento Einzug in die verschiedenen Bereiche der literarischen aber teilweise auch der nichtliterarischen Schriftlichkeit. Dabei konvergieren die beiden florentinischen Modelle in der Weise, dass das aktuell-florentinische Modell im Tre-corone-Modell praktisch aufgeht. Bembos These vom ästhetischen Ideal der Literatursprache des Trecento wird 1571 in der Schrift Per le regole della lingua toscana von Vincenzo Borghini noch radikalisiert und auf das gesamte überlieferte Schrifttum des Trecento übertragen. Mit Leonardo Salviati (1539−1589), dem wichtigsten Initiator der 1582/ 1583 gegründeten Accademia della Crusca erreicht die Questione della lingua einen vorläufigen Abschluss: die Kodifizierung der italienischen Schriftsprache nach dem Modell des fiorentino arcaizzante und der „Klassiker“ des Cinquecento wird nach Salviatis Prämissen institutionalisiert. 6.2.4 Lingua italiana, toscana oder fiorentina? Die Diskussion um die Sprachbezeichnung Mit der Diskussion um die Auswahl einer Einheitssprache wird auch die Frage nach ihrer Benennung akut. Aufgrund eines fehlenden Nationalbewusstseins durch die politische und dialektale Zersplitterung tritt italiano bis zum 16. Jahrhundert als Nationym gar nicht und als Glottonym nur sporadisch auf. Leonardo da Vinci (1452−1519) verwendet als Erster das Adjektiv italiano in der Bedeutung ‘idioma che si parla e che si scrive in Italia’ (vgl. GDLI VIII, 626). In einem nicht datierten Brief an Giuliano de’ Medici bedauert er, dass ein Schweizer Bildhauer seine Gesellschaft meide und sich damit die Gelegenheit entgehen lasse, die italienische Sprache (il linguaggio italiano) zu erlernen: „[…] io lo pregai che dovessi mangiare con meco, e lavorare di lime appresso di me, perchè, oltre al conto …, elli acquisterebbe il linguaggio italiano“ (Da Vinci 1980: 648−649). Dante, der die Frage in seinem Traktat De vulgari eloquentia (DVE I, VIII) als Erster diskutiert hatte, verwendet als Bezeichnung für die Sprache der Latini (=-Italiener) vulgare latium neben vulgaris Ytaliae und volgare italico (vgl. Mengaldo 1984: 1128). Mit italico (dt. italisch) sind hier die antiken Sprach- und Kulturformen der italienischen Halbinsel gemeint. Im Rahmen der Questione della lingua des Cinquecento wird die Sprachbezeichnung nun erstmals intensiver diskutiert. Ausdrücklich widmen sich zwei renommierte Autoren in oben bereits erwähnten Texten diesem Thema: Machiavelli und Trissino. Machiavelli nimmt den Disput darüber, ob die Sprache der florentinischen Dichter sich Florentinisch, Toskanisch oder Italienisch nennen sollte, zum Anlass für seinen Discorso o dialogo intorno alla nostra lingua (ca. 1515). Streng genommen bezieht sich Machiavellis Eingangsfrage allerdings nicht auf die zukünftige Gemeinsprache, sondern auf die Bezeichnung des Idioms, das die großen Florentiner Literaten verwendet haben: Reutner_Stb_sV-256_End.indd 125 15.08.11 15: 18 <?page no="138"?> 126 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 6.5 Frontispiz Il Castellano Trissino „lingua italiana“ La cagione perché io habbia mosso questo ragionamento è la disputa, nata più volte ne’ passati giorni, se la lingua nella quale hanno scritto i nostri poeti et oratori fiorentini è fiorentina, toscana o italiana. Nella qual disputa ho considerato come alcuni, meno inhonesti, vogliono ch’ella sia toscana; alcuni altri, inhonestissimi, la chiamano italiana; et alcuni tengono ch’ella sì debba al tutto nominare fiorentina. Et ciascuno di essi s’è sforzato di difendere la parte sua; in forma che, restando la lite indecisa, mi è parso in questo mio vendemmial negotio scrivervi largamente quello che io ne senta, o per terminare la quistione o per dare a ciascuno materia di maggiore contesa. (Machiavelli 1982: 5-7) Im Ergebnis seiner Abhandlung kommt Machiavelli zu dem Schluss, dass alle nennenswerten literarischen Texte auf florentinischer Grundlage basieren und man deshalb auch nicht von einer italienischen oder höfischen Gemeinsprache sprechen könne. In seinen Abhandlungen Dubbi grammaticali und Il Castellano (1529) vertritt Trissino die These, dass man die Überdachungssprache „Italienisch“ nennen müsse, um sie von den regionalen Volgari (Toskanisch, Sizilianisch usw.) zu unterscheiden (zur Orthographie des folgenden Zitats vgl. 3.5). C ASTELLAN v . [35] Veramente tutt v il m v nd v nomina „lingua italiana“, sí c v me anch v ra fa „lingua greca“, „lingua h br a“, „lingua araba“ simili. e poi i tede chi, i spagnuoli le altre nazi v ni che hann v un poc v di c v gnizi v ne de le lingue d’Italia, ogni co a che veden v scritta in qualunque de esse dic v n v esser scritta in lingua italiana. […] (Trissino 1986: 27) Trissinos Epistola de le lettere nuovamente aggiunte ne la lingua italiana von 1524 ist in der Liste der im weitesten Sinne grammatischen Abhandlungen, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gedruckt werden, die einzige, in deren Titel der Name lingua italiana erscheint. Für die baldige Bevorzugung von toscano gegenüber fiorentino stehen auch politische Gründe. Mit der Annexion von Siena im Jahr 1555 wird der florentinische zum toskanischen Staat, Cosimo I. erhält 1569 den Titel Großherzog der Toskana. Im Zuge dieser politischen Konstellation kann sich auch toscano gegenüber fiorentino als Glottonym für die Einheitssprache immer mehr durchsetzen. 1589 wird dann in Siena auch das erste Universitätslektorat für italienische Sprache eingerichtet: Diomede Borghesi wird zum lettore di toscana favella ernannt. Da die sprachliche Identität im Unterschied zu anderen romanischen Ländern über Jahrhunderte eben nur an eine virtuelle Kulturnation ohne politische Plattform gebunden werden kann, bleiben als Bezeichnungen für die Gemeinsprache fiorentino, toscano, toscan volgare, tosco, tosco-fiorentino, lingua del sì und lingua volgare bis zur politischen Einigung im 19. Jahrhundert und sogar darüber hinaus äußerst produktiv. 6.3 I luoghi della codificazione: Die Instanzen der-Sprachnormierung Verschiedene Instanzen tragen dazu bei, dass vor, während und nach der Sprachdiskussion des Cinquecento das Toskanisch-Florentinische des Trecento kodifiziert, d. h. in feste Regeln gefasst und damit zur italienischen Schrift- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 126 15.08.11 15: 18 <?page no="139"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 127 „Lingua toscana in libro veneziano“ Aldo Manuzio als Verleger italienischer Texte Manuzios erste Ausgabe der Divina Commedia sprachnorm gekürt wird: der Buchdruck, die Akademien, die Lexikographie und die Grammatikographie. 6.3.1 Der Buchdruck − „una rivoluzione linguistica inavvertita“ Die Etablierung einer einheitlichen Sprachnorm fällt in die Zeit des Übergangs von der Handschrift zur Buchdruckkultur, die der Kodifikation eines überregionalen Volgare gerade zum richtigen Zeitpunkt einen entscheidenden Stimulus geben kann. Ihre Bedeutung für die italienische Sprachgeschichte lässt sich in drei Punkten zusammenfassen (vgl. Trifone 1993: 426): die allmähliche Vereinheitlichung einer bis dato stark schwankenden Graphie; eine ungleich schnellere und umfassende Verbreitung vulgärsprachlicher Literatur und damit auch grammatischer Normen, was schließlich die endgültige Substitution eines an der Mündlichkeit orientierten durch ein schriftbasiertes Sprachmodell bewirkt. Die Einführung des Buchdrucks ermöglicht erstmals die serienmäßige Publikation der großen Autoren des Trecento in größerer Auflage, an deren Texten sich dann ganz maßgeblich der Auf bau von Wörterbüchern und Grammatiken orientiert. Das Literaturtoskanisch besitzt aufgrund seines hohen Formalitätsgrades die passenden Eigenschaften, um im Cinquecento zur „lingua elettiva di tutta la produzione tipografica in volgare“ (Trifone 1993: 433), also zur Auswahlsprache des gesamten Druckbetriebs im Volgare zu avancieren. In den für den Durchbruch der Sprachdoktrin Bembos entscheidenden fünfzig Folgejahren hat Venedig statistisch gesehen das unumstrittene Monopol unter den Druckorten für volkssprachliche Texte (in seinem Referenztext über die Geschichte der Schriftkulturen fasst Petrucci dieses Phänomen in die Formel „lingua toscana in libro veneziano“, Petrucci 1988: 1267). Diese organisatorisch und sprachlich einheitliche Ausrichtung des Buchmarktes ist im Endeffekt für den Erfolg des Sprachmodells entscheidend. Sie beschränkt sich allerdings auf die Elitekultur und gilt nicht für die Buchproduktion, die einen wachsenden Lesebedarf in den sozialen Mittelschichten decken soll und die sprachlich wie typographisch weiterhin polyzentrischen Charakter hat. Der wohl berühmteste italienische Buchdrucker dieser Zeit, Aldo Manuzio, beginnt 1495 seine Tätigkeit als Verleger zwar mit griechischen und lateinischen Klassikern, widmet sich aber recht bald auch systematisch Ausgaben italienischer Werke. Vor dem Druck werden die Texte einer z. T. tiefgreifenden sprachlichen Revision unterzogen. Das geschieht zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch sporadisch, wie etwa im Fall der Edition des Canzoniere von Petrarca, der mit Bembos Hilfe 1501 unter dem Titel „Le cose vulgari“ erscheint oder im Fall von Dantes Divina Commedia, die 1502 mit dem Titel „Terze rime“ verlegt wird. Diese Editionen setzen nicht nur für die künftige Entwicklung der Orthographie Maßstäbe. Der Umgang mit den Textvorlagen wird im Folgenden am ersten Vers aus der Divina Commedia von Dante illustriert (nach Marazzini 2006: 108). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 127 15.08.11 15: 18 <?page no="140"?> 128 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Akademie Wort- und Begriffsgeschichte Die Graphie der Princeps weist einige Eigenheiten auf, die in der Druckfassung von 1502 vermieden werden. In der ersten Terzine finden sich Abkürzungen, die bei der Herstellung von Manuskripten üblich waren (<dinr-> für ‘di nostra’, < $ > für ‘per’), latinisierende Schreibungen (<diricta> für ‘diritta’) und Ausfall der Doppelkonsonanz (scempiamento) (<mezo> für ‘mezzo’). NEL mezo delcamin dinr- uita Mi ritrouai $ una selua oscura Che la diricta uia era smarrita (Princeps, Foligno 1472) In der Druckfassung von Manuzio (Aldina) wird die Schreibung einer toskanischen Form angepasst. Bembo fügt zudem Interpunktionszeichen ein. nEL mezzo del camìn di nostra uita Mi ritrouai per una selua oscura; Che la diritta uia era smarrita: (Aldina, Venezia 1502) Die Korrekturarbeit der Drucker oder der Gelehrten, die im Dienst der Drucker stehen, entwickelt sich im Laufe des Jahrhunderts zu einem richtigen Beruf. Allerdings beschränken sich die Herausgeber durchaus nicht immer darauf, nur die Orthographie und Interpunktion zu regularisieren, sondern nehmen auch Eingriffe in die Wahl der Lexik vor, die in der Gegenwart undenkbar wären. Das allgemeine Streben nach sprachlicher Korrektheit führt auch dazu, dass (ähnlich wie Ariosto, der sich auf die Autorität von Bembo beruft) Autoren ihre Werke vor dem Druck kompetenten Sprachgelehrten (Grammatikern) zur Korrektur vorlegen: Benvenuto Cellini bittet Benedetto Varchi um Hilfe, Giovanni Battista Guarini gibt seinen Pastor fido Leonardo Salviati zu lesen und befolgt fast alle sprachlichen Verbesserungsvorschläge. 6.3.2 Die Akademien Zur entscheidenden Instanz, die der einheitlichen Sprachnorm zum Durchbruch verhelfen soll, werden im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts die Akademien, in denen sich die Kodifizierung der Sprachnorm institutionalisieren kann. Akademía oder Akadémia bezeichnet ursprünglich einen Olivenhain außerhalb von Athen, der dem Heros Akádemos geweiht war. An diesem Ort eröffnet Platon um 387 nach seiner Rückkehr aus Sizilien seine philosophische Schule, die er nach dem Ort benennt. Platons „Akademie“ ist eine „lockere Gemeinschaft“, der Gelehrte verschiedener Altersstufen angehörten. Ihre Bedeutung für die europäische Geistesgeschichte liegt darin, dass hier zum ersten Mal eine Institution gegründet wird, die Forschung und Lehre vereint. Im Griechischen wird die Bezeichnung des Ortes bald metonymisch auf die Lehre übertragen. Lehrer und Schüler werden Akademiker genannt. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 128 15.08.11 15: 18 <?page no="141"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 129 Die Accademia della Crusca Das Symbol Il frullone In den europäischen Sprachen hat die Bezeichnung Akademie zunächst die Bedeutung ‘Ort, wo Platon lehrte’. Im 15. Jahrhundert erleben der Akademiegedanke und die Akademie in der italienischen Renaissance ihre Wiedergeburt. Die ersten Akademien fühlen sich der platonischen Tradition verpflichtet. 1433 wird von Antonio Beccadelli aus Palermo in Neapel die Academia Pontaniana begründet, zu deren hervorragenden Mitgliedern Laurentius Valla und Giovanni Pontano gehören. Größere Bedeutung erlangt jedoch die Academia Platonica, die 1459 in Florenz von Cosimo de’ Medici (dem Älteren) gegründet wird und Marsilio Ficino, Pico della Mirandola, Niccolò Machiavelli und Angelo Poliziano zu ihren Mitgliedern zählt. Sie avanciert zum Mittelpunkt des italienischen Humanismus und verschreibt sich der systematischen Erschließung von Texten der griechischen und lateinischen Antike. Die Florentiner Akademie findet dann bald in anderen italienischen Städten Nachahmer. Der enge Bezug zu Platon geht in den folgenden Jahrzehnten verloren und „Akademie“ dient nun zur Bezeichnung von gelehrten Gesellschaften bzw. Institutionen mit ganz verschiedener inhaltlicher Ausrichtung. Akademien im Sinne von ‘gelehrten Gesellschaften’ werden in Italien ab dem 15.- Jahrhundert gegründet, in Spanien, nach italienischem Vorbild, ab 1560, in Frankreich, ebenfalls nach italienischem Vorbild, ab 1570 (vgl. Knabe 1977). Während die ersten humanistischen Akademien enzyklopädisch ausgerichtet sind und sich neben der Philosophie den Künsten, Wissenschaften und der Literatur widmen, setzt im 16. Jahrhundert eine Spezialisierung ein, die in Italien ihren Anfang nimmt. Italien erfährt einen regelrechten „Akademienboom“. Es entstehen Hunderte von Akademien (mit z. T. scherzhaften Namen wie Accademia degli Eccitati, Elevati, Ardenti, Insipidi, Stravaganti), die sich mit Gegenständen aus verschiedenen Bereichen der Kunst und Wissenschaft befassen, oft aber nur kurzlebig sind. Nennenswert in die Questione della lingua eingebunden sind zwei Akademien. Um die Jahrhundertmitte versucht Cosimo I. durch die 1541 gegründete Accademia Fiorentina der Modellnorm des zeitgenössischen Toskanisch/ Florentinisch zum Durchbruch zu verhelfen. Die Gelehrten der Akademie um Pierfrancesco Giambullari und Benedetto Varchi erhalten den Auftrag, eine Grammatik des modernen Florentinisch zu verfassen, die als normgebende Instanz fungieren soll. Dieses Projekt schlägt allerdings fehl (die Accademia Fiorentina spielt jedoch eine wichtige Rolle beim Ausbau der italienischen Sprache als Wissenschaftssprache, vgl. Kap. 8.1). Einer anderen Akademie ist mehr Erfolg beschieden. Die Akademie wird 1582 auf Anregung des Dichters Anton Francesco Grazzini im Florentiner Vorort Castello gegründet, wo sie noch heute ihren Sitz hat und eine Bibliothek mit allen für die italienische Sprachgeschichte relevanten Texten beherbergt. Als Symbol der Gesellschaft wird 1590 eine Mehlmühle (frullone) und als Motto der Petrarca-Vers „il più bel fior ne coglie“ gewählt, wobei die Reinheit des Mehles als Metapher für die Reinheit der Sprache steht. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 129 15.08.11 15: 18 <?page no="142"?> 130 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Jedes Mitglied der Gesellschaft bekommt einen Beinamen und ein Motto, das in Bezug zu Kleie (crusca) steht, und widmet der Akademie ein Wappen in Form eines Scheffels. Erstes deutsches Mitglied wird im 17. Jahrhundert Ludwig von Anhalt-Köthen, der 1617 bei Gründung der deutschen Frucht bringenden Gesellschaft zahlreiche Bräuche der Crusca übernimmt. Die Florentiner Accademia della Crusca geht aus der Brigata dei crusconi hervor, einem Freundeskreis, in dem in lockerer Form und ohne programmatisches Konzept Sprachfragen diskutiert werden (der Gruppenname leitet sich ab von cruscata, Pl. cruscate in der Bedeutung ‘discorsi senza capo né coda’). Ein Programm und den endgültigen Namen verdankt die Akademie ihrem wichtigsten Initiator, Leonardo Salviati, der ab 1583 die Geschicke ganz wesentlich mitbestimmt. Die Hauptaufgabe der Akademie soll nach Salviati darin bestehen, den Wortschatz der Trecentisti („tutti i vocaboli, e modi di favellare, i quali abbiam trovati nelle buone scritture, che fatte furono innanzi all’anno del 1400“) nach Maßgabe einer „scelta fra il buono e il cattivo“ zu sortieren, zu beschreiben und in einem Wörterbuch zu fixieren. Crusconi wird durch crusca (‘Kleie’) ersetzt („Non più crusconi ci facciamo chiamare, ma Accademici della Crusca“, vgl. Migliorini/ Baldelli 1985: 159), denn das Ziel besteht fortan darin, „di separare il fior di farina [la buona lingua] dalla crusca“ (vgl. deutsch „die Spreu vom Weizen scheiden“), also nach dem Sprachmodell von Bembo den „guten“ vom „schlechten“ Wortschatz zu trennen. Bereits 1564 verfasst Salviati eine Lobesschrift auf die Sprache von Boccaccio (Orazione in lode della fiorentina lingua). Aus Anlass der berüchtigten „rassettatura“ (1573 veröffentlichen die „Deputati“ der Accademia Fiorentina eine „gereinigte Version“ des Decamerone, die auf Ablehnung stößt) wird Salviati vom Großherzog beauftragt, die dem Werk „zugefügten Wunden“ durch eine Neuausgabe wieder zu heilen. Salviatis Neuausgabe erscheint 1582 und wird kurze Zeit später durch seine philologischen und grammatischen Studien zu Boccaccio (Degli Avvertimenti della lingua sopra ’l Decamerone 1584−1586) ergänzt, in denen er die Sprache des Trecento („buon secolo“ mit einem „fiorentino puro, naturale e popolare“) zum sprachlichen Ideal stilisiert und in enger Anlehnung an Bembo eine ausführliche Beschreibung des seiner Meinung nach dem Wörterbuch zugrunde zu legenden Sprachmodells liefert. Er kann die Umsetzung seines Projekts allerdings nicht mehr erleben. Die Arbeit am Wörterbuch beginnt 1591. Die erste Ausgabe des Vocabolario degli accademici della Crusca, das mindestens bis zum späten 18. Jahrhundert mit einigen Neubearbeitungen das italienische Standardwörterbuch schlechthin darstellt, erscheint 1612. 6.3.3 Die Lexikographie Für die Durchsetzung des retrospektiven Sprachmodells zeichnen maßgeblich die Lexikographen des Cinquecento und des frühen Seicento verantwortlich, die Reutner_Stb_sV-256_End.indd 130 15.08.11 15: 18 <?page no="143"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 131 Nicolò Liburnio Le tre fontane 1526 sich der systematischen Erfassung und Beschreibung der normgerechten Lexik als zentralem Bereich der Schriftsprache widmen. Es sind auch hier zunächst nicht die Florentiner selbst, sondern überwiegend Gelehrte aus norditalienischen Städten, allen voran Venedig als privilegiertem Druckort, die sich in grammatischen, orthographischen und lexikographischen Traktaten mit der Kodifizierung der Schriftsprache befassen. Durante spricht von einem „boom delle grammatiche e dei dizionari“ und verweist auf 21 Titel aus der Zeit von 1516 (Fortunio, Regole grammaticali della volgar lingua) bis 1550 (Tani, Avvertimenti sopra le regole Toscane), „destinati all’Italia non toscana […] redatti da autori e pubblicati in centri non toscani“ (Durante 1981: 158s.). Die ersten toskanischen Wörterbücher Die ersten einsprachigen Wörterbücher werden von Nichttoskanern verfasst und überwiegend in Venedig hergestellt, das sowohl als Zentrum des Buchdrucks als auch durch den Einfluss von Bembo zum prädestinierten Ort für die- Kodifikation der florentinischen Literatursprache wird. Diese Wörterbücher sind streng philologisch ausgerichtet, d. h. es handelt sich eigentlich um Autorenwörterbücher, die vorwiegend den Wortschatz der Tre corone erfassen. Im Folgenden werden die wichtigsten Wörterbücher im Überblick vorgestellt. 1526 erscheint in Venedig das Wörterbuch von Nicolò Liburnio mit dem Titel Le tre fontane di Messer Nicolò Liburnio in tre libri divise, sopra la grammatica e l’eloquenza di Dante, Petrarca, et Boccaccio. Es handelt sich um das erste Wörterbuch in Volgare, das nicht ausschließlich zu autodidaktischem Zweck geschrieben wird, sondern ausdrücklich den Modellcharakter der Sprache der Tre corone thematisiert, auf die es auch eingegrenzt ist. Der friulanische Autor beruft sich in seiner Einleitung auf die „somma autorità di Dante, Petrarca, et Boccaccio a noi“, die den Literaten als Leitbild für seine Sprachwahl dienen soll. Er nennt zugleich explizit die Leitfunktion, die das Sprachkonzept Bembos für ihn hat. Allerdings gesteht er auch ein, dass er sich bei seiner Auswahl auch vom zeitgenössischen Usus hat leiten lassen („tutti que’ vocaboli, e quai sonomi di là dall’uso moderno paruti, furono da me avvedutamente rifiutati“). In den nach Autoren gegliederten drei Teilen werden Wortlisten (geordnet nach Wortarten) angeführt. Nur anteilmäßig erfolgt eine Bedeutungsdefinition, die nicht selten venezianische Elemente enthält (die Metasprache ist also nicht konsequent florentisch). Zudem trifft Liburnio eine bewusste Auswahl, die sich von Bembo v. a. hinsichtlich der Bewertung von Dante unterscheidet. Liburnio verteidigt ausdrücklich das Primat Dantes als Normmodell. Berücksichtigt werden auch Fachausdrücke, z. B. baccieli (‘fave fresche’) oder cinghiale (‘porco silvestre’), und Fremdwörter (forestierismi), wie chero („verbo hispagniuolo ‘chiedo’“) oder sire („vocabol francese ‘signore’“). Auch thematisiert der Autor die notwendige Unterscheidung von Dichtungs- und Prosasprache („in rima e in sciolta favella“). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 131 15.08.11 15: 18 <?page no="144"?> 132 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Lucilio Minerbi Vocabolario 1535 Die Wörterbücher von Francesco Alunno Alberto Acarisio Vocabolario, Grammatica, et ortographia de la lingua volgare 1543 Giacomo Pergamini Il Memoriale della lingua italiana 1601 Ebenfalls in Venedig erscheint 1535 das Wörterbuch von Lucilio Minerbi, das lange Zeit als das erste florentische Wörterbuch überhaupt gilt: Il Decameron di Messer Giovanni Boccaccia col Vocabolario di M. Lucilio Minerbi nuovamente stampato et con somma diligentia ridotto. Wie der Titel anzeigt, beschränkt sich dieses Wörterbuch auf die Darstellung des Wortschatzes von Boccaccio. Es umfasst ca. 4000-Eintragungen, die zum Teil durch kurze Glossen erklärt werden und jeweils mit bibliographischen Verweisen auf die entsprechenden Textstellen versehen sind. Offensichtlich wird dem Autor im Laufe der Redaktion bewusst, dass die Beschränkung auf nur einen Autor für ein normatives Werk nicht haltbar ist, denn er nimmt auch eine Reihe von Lexemen auf, die bei Boccaccio nicht belegt sind, etwa ostacolo, pigritia, schiettezza, terremoto. Auch Minerbi, der auf seine römische Abstammung verweist, lange Zeit aber in Venedig gelebt hat, verwendet eine Metasprache, die eine ganze Reihe von venezianischen Elementen enthält, was darauf hindeutet, dass dieses Wörterbuch vorzugsweise für einen norditalienischen Leserkreis konzipiert wurde. Ebenfalls in Venedig erscheinen die zwei Wörterbücher des Ferraresers Francesco del Bailo genannt Alunno: 1539 Le Osservazioni sopra il Petrarca sowie 1543 Le ricchezze della lingua volgare sopra il Boccaccio. Alunno gibt erstmals eine präzisere Definition der Bedeutung einzelner Lexeme mit Verweis auf Synonyme und bewertet die Relevanz der benannten Sachverhalte für die zeitgenössische Gesellschaft. Wie sein Vorgänger hält sich auch Alunno nicht strikt an die selbst auferlegte Einschränkung und behandelt im ersten Wörterbuch auch Wörter, die Petrarca nicht verwendet, wenn sie ihm für den Sprachgebrauch wichtig erscheinen, so etwa ameno mit dem folgenden Vermerk: „[…] non trovo questa voce esser usata né dal Petrarca né da Dante né dal Boccaccia, ma in sua vece hanno usato dilettevole, si trova però usata da alcuni buoni autori moderni, come dall’Ariosto, dal Cosmico, dal Tasso et da altri“. Schließlich soll noch Alberto Acarisios umfassendes Wörterbuchprojekt Vocabolario, Grammatica, et ortographia de la lingua volgare … con isposizioni di molti luoghi di Dante, Petrarca et del Boccaccio von 1543 erwähnt werden, das zusätzlich zu semantischen Informationen auch grammatische Aspekte behandelt, auf die Verwendung der Lexeme in der Dichtung und gezielt auf graphische Notationsregeln verweist. In seiner dem Wörterbuch vorangehenden Grammatik bezieht Acarisio nicht selten Position gegen die von Bembo aufgestellten Regeln. Auffällig ist bereits in diesen ersten Ansätzen zur systematischen Beschreibung des toskanisch-florentinischen Wortschatzes ein regelmäßiger Rekurs auf zeitgenössische Lexik, da offenbar der Wortschatz der drei großen Autoren des Trecento die zeitgenössischen Bedürfnisse der Schriftkommunikation nicht voll abgelten kann. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erscheinen dann auch Wörterbücher, die kaum noch auf Autoren-Zitate zurückgreifen und stattdessen auf den zeitgenössischen toskanischen Usus referieren und diesen mit der Sprache anderer Regionen konfrontieren. Im Wörterbuch von Giacomo Pergamini Il Memoriale della lingua italiana, das 1601 erscheint und den unmittelbaren Vorläufer des Wörterbuchs der Crusca bildet, summiert sich dann eine ganze Reihe von Aspekten, die für diese An- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 132 15.08.11 15: 18 <?page no="145"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 133 Das Vocabolario degli accademici della Crusca Abb. 6.6 Frontispiz der ersten Ausgabe von 1612 fangsphase der italienischen Lexikographie prägend sind. Es dominiert eine retrospektive Sicht, die den Florentiner Trecentisti eine Vorbildrolle zuspricht und zahlreiche Entwicklungstendenzen im Florentinischen nach dem Trecento zurückdrängt. Allerdings haben wir es (noch) nicht mit der Umsetzung einer völlig kohärenten Sprachkonzeption zu tun. Die Auswahl der als modellhaft geltenden Autoren und Texte bleibt heterogen. Ausdrücklich thematisiert werden der Unterschied von Dichtung und Prosa sowie die Existenz von durchaus angemessenen lexikalischen Varianten in anderen regionalen Sprachvarietäten. Die Metasprache weist Elemente anderer Dialekte bzw. regionaler Varietäten auf. Als Leserkreis wird ein breiteres Publikum anvisiert, wodurch die praktische Orientierung an den zeitgenössischen Bedürfnissen des Buchhandels (an der „Marktlage“) deutlich wird. Ohne die Leistung all dieser Wörterbücher schmälern zu wollen, bleibt doch festzustellen, dass erst das Vocabolario degli accademici della Crusca im Jahre 1612 den entscheidenden Schritt für die endgültige Kodifikation der italienischen Schriftsprache und ebenso für den vorläufigen Abschluss der Questione della lingua markiert. Es ist das erste große Wörterbuch der Italoromania, das eine kohärente Sprachkonzeption verfolgt und europäische Bedeutung über die Grenzen Italiens hinaus erlangt. Die Bedeutung des Akademiewörterbuchs Das Vocabolario degli accademici della Crusca Von der Bildungselite in Italien schon seit Jahren mit Spannung erwartet, wird das Vocabolario degli accademici della Crusca 1612 schließlich in Venedig gedruckt. Der Text ist eigentlich bereits 1606 abgeschlossen, als heftige Diskussionen über den Titel des Wörterbuchs entbrennen, die eine frühere Drucklegung verhindern. Die konkurrierenden Titelvorschläge definieren die zu beschreibende Sprache als „lingua toscana“ bzw. verweisen auf die literarischen Vorbilder und den lokalen Usus von Florenz, was dem Anliegen der Beschreibung einer überregionalen Schriftsprache widerspricht. Mit dem Verzicht auf jegliches Glottonym im Titel wollen die Herausgeber Diskussionen schließlich aus dem Weg gehen. Ganz abgesehen von jeglicher Polemik, die zur Entstehungszeit und darüber hinaus um dieses Wörterbuch und das Sprachmodell geführt wird, ist die strenge Kohärenz zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Umsetzung hervorzuheben. Die Situation, in der sich die Verfasser dieses Wörterbuchprojekts befinden, unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von der ihrer Vorgänger. Als 1591 die Arbeit unter der Leitung von Salviati aufgenommen wird, sind die theoretischen Grundlagen klar definiert. Waren die Wörterbuchvorläufer doch in gewisser Hinsicht noch alle von der Unsicherheit im Umgang und in der Definition des gültigen Sprachmodells getragen, so stützen sich die Verfasser des Akademiewörterbuchs definitiv auf die theoretischen Positionen Bembos, die für die praktische lexikographische Arbeit durch Salviati präzisiert werden. Diese Präzisierung oder auch Abschwächung der strengen selektiven Krite- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 133 15.08.11 15: 18 <?page no="146"?> 134 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Das theoretische Programm des Akademiewörterbuchs Die zeitliche Eingrenzung der modellhaften Texte Die Auswahl der Autoren rien Bembos bezieht sich auf die Auswahl der Texte, die in den Kanon aufgenommen werden: neben den florentinischen Autoren sind das auch sog. autori minori, Gebrauchstexte, Übersetzungen, Familienchroniken und gelehrte Korrespondenzen. Dank der Initiative Salviatis umfasst das sprachliche Material auch Schriften, die zwar dem Florentinischen des Trecento angepasst sind, sich aber in Stil und Sprachniveau deutlich von den Tre corone unterscheiden. Die folgenden Auszüge aus der Introduzione des Wörterbuchs beschreiben dieses theoretische Programm (Zitate nach der Onlineausgabe des Vocabolario auf der Homepage der Accademia della Crusca). Die Periode, in der die grundlegende Selektion der sprachlichen Vorbilder erfolgt, wird auf 1300 bis 1400 eingegrenzt. Nel compilare il presente Vocabolario (col parere dell'Illustrissimo Cardinal Bembo, de' Deputati alla correzion del Boccaccio dell'anno 1573 e ultimamente del Cavalier Lionardo Salviati) abbiamo stimato necessario di ricorrere all’autorità di quegli scrittori, che vissero, quando questo idioma principalmente fiorì, che fu da’ tempi di Dante, o ver poco prima, sino ad alcuni anni, dopo la morte del Boccaccio. […] Il qual tempo, raccolto in una somma di tutto un secolo, potremo dir, che sia dall’anno del Signore 1300 al 1400 poco più, o poco meno: perchè, secondo che ottimamente discorre il Salviati, gli scrittori, dal 1300 indietro, si possono stimare, in molte parti della lor lingua, soverchio antichi, e quei dal 1400 avanti, corruppero non piccola parte della purità del favellare, di quel buon secolo. Die Auswahl der Autoren folgt einer Zweiklassenhierarchie. Zur „prima classe“, deren gesamter Wortschatz erfasst wird, gehören die „berühmtesten und von allen anerkannten Autoren“. Nel raccoglier le voci degli scrittori, da alcuni de’ più famosi, e ricevuti comunemente da tutti, per esser l’opere loro alle stampe, che si potrebbon dir della prima classe, i quali sono Dante, Boccaccio, Petrarca, Giovan Villani, e simili, abbiamo tolto indifferentemente tutte le voci, e, per lo più, postavi la loro autorità nell’esemplo. Aus den Texten der zweiten Riege, zu der auch ausgewählte zeitgenössische Autoren gehören, werden nur einzelne Ausdrücke aufgenommen, die sich durch ihre „Schönheit“ bzw. ihr Auftreten im zeitgenössischen Sprachgebrauch legitimieren: Da alcuni altri scrittori, che forestieri più tosto ci sembrano, che nostrali, abbiamo cavate sol quelle voci, giudicate da noí belle, significanti, e dell'uso nostro, non curando dell'altre, le quali, anzi straniere, che Fiorentine, potrebbon dar più confusion, che bellezza a questa favella. Ne’ libri volgarizzati, […] Quando eglino hanno fallato, nel prendere il vero sentimento dell’autor latino, abbiamo nondímeno raccolti, e dichiarati i loro vocaboli, secondo che e’ vagliono nel nostr’uso, […] Deesi parimente avvertire, che oltre alle voci ritrovate negli autori di quel buon secolo ne abbiamo nell’uso moltissime altre, delle quali forse non venne in taglio a quegli scrittor di servirsi, però parendoci bene darne notizia, per non impoverime la nostra lingua, n’abbiam registrate alcune, e, per loro confermazíone, abbiam tal’ora usato l’esemplo d’alcuni autori moderni, tenuti da noi per migliori, de’ quali, a suo luogo, sarà la nota. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 134 15.08.11 15: 18 <?page no="147"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 135 Die Selektion der Vorbilder geht also über Bembos Konzept deutlich hinaus und definiert sich als Ideal eines „fiorentino puro, naturale e popolare“, das sich durch den „buon uso“ der Autoren legitimiert. Der Wortschatz rekrutiert sich demnach ausschließlich aus literarischen Vorbildern, so dass zahlreiche Wörter aufgenommen werden, die zum Zeitpunkt des Erscheinens des Vocabolario bereits völlig außer Gebrauch sind (was nur hin und wieder explizit durch den Vermerk „v.ant.“ gekennzeichnet wird). Trotz der genannten Restriktionen enthält das insgesamt reichhaltige Wörterbuch auch umgangssprachliche Lexik („v. bassi e plebei“) und Latinismen. Zu erwähnen sind auch die eher sparsamen Eintragungen zum Fachwortschatz, die sich oft auf generische Formeln vom Typ „animale noto“, „erba nota“ reduzieren. Die eingeschränkte Erwähnung von Fachwörtern begründen die Wörterbuchautoren mit deren geringen kommunikativen Relevanz für ein größeres Publikum. Die Lemmastruktur wird im Folgenden anhand der Einträge zu barbarismo und barbaro illustriert (Vocabolario, 1612, s.v.). Die Lemmata sind systematisch strukturiert. Der Lemmaangabe in Kapitälchen (1) folgt die Definition der Wortbedeutung (2), wobei konkreter Wortschatz i. d. R. über ein Synonym, abstrakter Wortschatz über eine Serie von Synonymen bzw. auch über Kollokationen definiert wird (vgl. barbaro → „straniero, di diverso linguaggio“; „nazion barbare“). Danach folgen die Angabe eines (oft nicht korrekten) lateinischen (in den Beispielen auch des griechischen) Etymons (3) und Beispielzitate aus dem definierten Textkanon (4) mit Quellenangabe (wo möglich jeweils aus Dichtung und Prosa). Da auch nicht gedruckte Quellen verwendet werden und häufig der Verweis auf „autori minore e minimi“ erfolgt, sind nicht alle Quellenangaben für den Leser verifizierbar. 1) BARBARISMO . 2) error di linguaggio nello scrivere, o nel parlare. 3) Lat. barbarismus. Gr. b a r b a r i s m Ú w . 4) Ret. Tull. Dividesi nelle due parti, che s’ appellano solecismo, e barbarismo. Mor. S. Greg. Io non fuggo il vizio del metacismo, ne la confusione del barbarismo. 1) BARBARO . 2) straniero, di diverso linguaggio. Onde nazion barbare diciamo noi tutte quelle di là da’ monti. 3) Lat. barbarus, extraneus. Gr. b - r b a r o w . 4) G. V. 1. 24. 5. Il quale, per sua prodezza, conquistoe Inghilterra, e deliberoe da diverse, e barbare nazioni, che la signoreggiavano. Dan. Purg. 23. Quai barbare fur mai, quai Saracine, cui bisognasse, ec. E Par. 31. Se i barbari venendo da tal plaga, Che ciascun giorno, ec. _ _ _ _ _ _ _ 2a) L’ usiamo anche per crudele, incivile, e per d’ aspri, e rozzi costumi, efferato. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 135 15.08.11 15: 18 <?page no="148"?> 136 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Die Struktur der Lemmata 3a) Lat. barbarus, ferus, crudelis. 4a) Ar. Fur. Così fa ‘l crudel barbaro in que’ piani. Beide Einträge sind inhaltlich relevant für die Sprachkonzeption der Akademie und verdeutlichen ihr sprachpuristisches Grundkonzept, das ausgehend von diesem Wörterbuch die italienische Standardsprache bis in das 20. Jahrhundert prägen soll. Auffällig ist eine Stabilisierung in der Verwendung grammatischer Kategorien, denen der Wortschatz im Einzelnen zugeordnet wird. Konsequent wird versucht, Homonyme semantisch und, wo möglich, durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wortklassen zu differenzieren. Partizipien werden unter dem Infinitiv des Verbs geführt, suffigierte Formen systematisch unter der Ausgangsform. Formen auf -mento definiert man z. B. über den entsprechenden substantivierten Infinitiv (abbellimento > l’abbellire), solche auf -tore dagegen über einen Relativsatz (abbreviatore > che abbrevia). Innerhalb der Lemmata gibt es nun auch zahlreiche Querverweise. Das Vocabolario degli accademici della Crusca Das Vocabolario degli accademici della Crusca stellt gegenüber seinen Vorläufern einen beachtlichen Fortschritt dar, doch stoßen das selektive Vorgehen und die stark archaisierende Tendenz in Gelehrtenkreisen schon bald auf heftige Kritik, die jedoch nur ganz allmählich ein konzeptionelles Umdenken bewirkt. Die Ursachen für ein solches, freilich zunächst noch behutsames Umdenken, sind zweifelsohne in der Literatursprache des 17. Jahrhunderts zu suchen, die sich theoretisch und praktisch mit zahlreichen bewussten „Verstößen“ gegen den Traditionalismus und Florentinismus auflehnt (vgl. auch 6.4.1). 6.3.4 Die Grammatikographie Zur Kodifikation einer Schriftsprache gehört neben der Auswahl geeigneter Lexik die Festschreibung von grammatischen Regeln ihrer Verknüpfung. Wie jede Sprache vor der Kodifizierung weist das Italienische eine beträchtliche morphologische und graphische Variation auf (die Syntax wird hier ausgeklammert, da sie erst viel später − ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert − zum Gegenstand systematischer Sprachbeschreibung wird). Das morphologische System ist v. a. im 16. Jahrhundert noch großen Schwankungen ausgesetzt, die auf das breite Variationsspektrum innerhalb der literarischen Prosa und Dichtung sowie im Sprachgebrauch in den verschiedenen Regionen Italiens, ja sogar innerhalb der Toskana, zurückzuführen sind. Es gilt also, zwischen konkurrierenden Formen auszuwählen und eine grammatische Modellnorm in kurze, klare und verständliche Regeln zu fassen. Die grammatische Beschreibung des florentinischen Volgare hatte bereits Mitte des 15. Jahrhunderts mit der Grammatichetta von Alberti eingesetzt, die als die erste Grammatik einer romanischen Volkssprache überhaupt gilt (vgl. 5.1.2). Größere Verbreitung finden dann allerdings aufgrund ihrer Drucklegung erst die Grammatiken des 16. Jahrhunderts. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 136 15.08.11 15: 18 <?page no="149"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 137 Theoretisch-didaktische Vorbilder der volkssprachlichen Grammatik Gian Francesco Fortunio Regole grammaticali della volgar lingua 1516 Die Grammatik von Bembo Mehr noch als die Lexikographie steht die Grammatikschreibung in der didaktischen Tradition des Lateinunterrichts. Das betrifft vorrangig die Übernahme des Grammatikmodells der klassischen Antike und der entsprechenden grammatischen Terminologie, die ihre Prägung insbesondere durch drei Referenzgrammatiken für den Lateinunterricht im Mittelalter erhalten: − Dionysios Thrax (1. Jahrhundert): Tékhnē grammatikē − Aelius Donatus (4. Jahrhundert): Ars minor, Ars maior − Priscianus Caesariensis (frühes 6. Jahrhundert): Institutiones grammaticae Damit hat zu tun, dass die frühen italienischen Grammatiken im Wesentlichen die Redeteile (Wortarten) behandeln und die Syntax kaum eine Rolle spielt. Für die Beschreibung der Redeteile wird meist die lateinische Terminologie beibehalten. So spricht man z. B. weiter von Kasus und führt als zusätzlichen Redeteil den segnacaso (die Präpositionen) ein, über den sich im Italienischen wie in anderen romanischen Sprachen die fehlende Kasusmorphologie am Nomen kompensieren lässt. Die ersten Grammatiker des Cinquecento kommen aus dem Veneto. Als erste, von einem Toskaner verfasste Grammatik erscheint erst 1552 die Grammatik von Pierfrancesco Giambullari, De la lingua che si parla e scrive in Firenze. Die Regole grammaticali della volgar lingua von Gian Francesco Fortunio aus Portenone stehen noch im Echo der humanistischen Auseinandersetzung um das Verhältnis von Latein und Volkssprache, die Polemik spielt aber bei ihm keine explizite Rolle. Nur zwei der angekündigten fünf Bücher erscheinen 1516 (die Morphologie il variar delle voci und die Orthographie l’orthographia). Fortunio orientiert sich vor allem an Priscian, von dem er die Terminologie übernimmt. Adressaten sind gebildete Nichttoskaner, die sich mit der Sprache der Tre corone vertraut machen wollen. Die Textbelege sind den Werken von Dante, Boccaccio und Petrarca entnommen. In der Behandlung orthographischer Richtlinien legt er besonderen Wert auf die Abgrenzung der toskanischen Schreibung gegen die lateinische. Dabei geht er insbesondere auf die Doppelkonsonanz ein, die Oberitalienern besondere Schwierigkeiten bereiten könnte. Anders als für Alberti hat die Grammatik für Fortunio insbesondere den Zweck, Regeln für die Schriftsprache zu formulieren, denn nur die literarischen Werke qualifizierten eine favella zur lingua. Es finden sich allerdings auch Verweise auf die Aussprache (nach dem Leitbild der prononziazione tosca). Im Vordergrund steht nicht die übersichtliche Darstellung der Redeteile und ihrer Charakteristika, sondern die Diskussion von Textzitaten aus den Werken der Trecentisti, in die er polemische Tiraden gegen davon abweichende Verwendungsweisen bei den modernen Autoren einbaut. Der empirische Grammatiktyp in Anbindung an die großen Autoren des 14.- Jahrhunderts, der die Geschichte der italienischen Grammatikographie fortan prägen sollte, erhält dann mit Bembos Prose programmatischen Charakter. Die Prose della volgar lingua haben auch als Grammatik einen durchschlagenden Erfolg: Literaten korrigieren ihre Texte nach den von Bembo aufge- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 137 15.08.11 15: 18 <?page no="150"?> 138 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Textmuster und Terminologie der Grammatik von Bembo stellten Regeln, andere Grammatiker stellen Lehrbücher nach den gleichen Prinzipien zusammen. Die Prose werden zweifellos zur bedeutendsten italienischen Grammatik des 16. Jahrhunderts. Die Kriterien für die Formulierung von Regeln haben hauptsächlich ästhetisch-rhetorischen Charakter, immer wieder tauchen qualifizierende Adjektive wie dolce, gentile, puro, oder aspro, grosso, rozzo auf. Es geht also Bembo nicht nur um abstrakte Vorschriften, sondern um den Nachweis, oft anhand der Gegenüberstellung von Positiv- und Negativbeispielen, der ästhetisch-rhetorischen Wertigkeit der zum Modell erkorenen Schreibweise. Selten werden Vorschriften ohne Akzeptanz von Ausnahmen formuliert und auch das charakterisiert dann die Schriftsprache der späteren Jahrhunderte, denn im Endeffekt lassen sich zahlreiche Phänomene, die heute ausdrücklich dem informellen Nichtstandard zugewiesen werden, immer wieder auch durch Textstellen belegen. Bembos Grammatik dient als Anleitung für das Schreiben von literarischen Texten. Sie verfolgt weder didaktischen noch wissenschaftlichen Anspruch, weshalb auch keine Verallgemeinerung der Regeln erfolgt. Insofern erklärt sich auch, dass Bembo viele grammatische Kategorien umschreibt und nur wenige traditionelle Termini der klassischen Grammatik verwendet. Struktur und Terminologie von Bembos Grammatik sollen an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Im ersten Auszug Verwendung der Personalpronomina der ersten und zweiten Person geht es um die angemessene Singular (io und tu). [3.XIII.] Ma passiamo a dire di quelle voci, che in vece di nomi si pongono, Io Tu e gli altri. De’ quali questi due, nel numero del meno e negli altri loro casi, perciò che a questa guisa detti sono nel primo, come che Io eziandio I’ si disse nel verso, ogni volta che eglino dinanzi al verbo si pongono, vicini e congiunti ad esso, né segno di caso o proponimento hanno seco alcuno, essi cosí si scrivono, Mi diede, Ti disse, finienti nella I; se dopo ’l verbo, medesimamente cosí, Diedemi, Dísseti, Amarmi, Onorarti. Bembo verwendet für die Kategorien nicht die gängigen lateinischen Termini, sondern italienische Übersetzungen: Pronomina als „voci, che in vece di nomi si pongono“; Singular als „numero del meno“. Für io wird die Regel formuliert, dass es beim Auftreten „vor Verben“ zu i’ verkürzt wird (Apokope); weiterhin werden stellungsbedingte Varianten klitischer Pronomina angeführt (in „anderen Kasus“ und unbetonter Stellung werden mi und ti auch an den Infinitiv der Verben angefügt, enklitische Pronomina). Im zweiten Auszug wird die Verwendung von betonten Subjektpronomina behandelt. [3.XVI.] Ora il nostro ragionamento ripigliando, dico che sono degli altri, che in vece di nome si pongono sí come si pone Elli, che è tale nel primo caso, come che Ello alle volte si legga dagli antichi posto in quella vece e nel Petrarca altresí, e ha Lui negli altri [casi], nel numero del meno; la qual voce s’è in vece di Colui alle volte detta, e da’ poeti, sí come si disse dal Petrarca: Morte biasmate, anzi laudate lui, che lega e scioglie, o pure: Poi piacque a lui, che mi produsse in vita; e da’ prosatori, sí come si vede nel Boccaccio, il qual disse: Ma egli fa Adamo maschio et Eva femina; e allui medesimo, che volle per la salute della umana generazione sopra la croce morire, quando con un chiovo e quando con due i piè gli conficca in quella. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 138 15.08.11 15: 18 <?page no="151"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 139 Bembos Prose als kultureller Gedächtnisort Né solamente negli altri casi, ma ancora nel primo caso pose il Boccaccio questa voce in luogo di Colui, quando e’ disse: Si vergognò di fare al monaco quello, che egli, sí come lui, avea meritato. [Regel: ] Con ciò sia cosa che quando alla particella Come si dà alcun caso, quel caso se le dà, che ha la voce con cui la comperazione si fa; […] [Negativbeispiel Dante] Anzi, se altro caso si vede che dato alcuna volta le sia, ciò si dee dire che per inavertenza sia stato detto, piú che per altro. Posela eziandio Dante nel primo caso in quella vece, quando e’ disse nel suo Convito: Dunque se esso Adamo fu nobile, tutti siamo nobili, e se lui fu vile, tutti siamo vili. Für den vorbildlichen Gebrauch seien demnach nur elli, egli bzw. ello in Subjektposition („nel primo caso“) zugelassen, lui dagegen in allen anderen Positionen zu verwenden. Bembo belegt diese Regel mit Zitaten von Petrarca und Boccaccio, zeigt aber auch, dass sie von den großen Schriftstellern durchaus nicht immer berücksichtigt wurde (wofür er auch eine schlüssige Erklärung bzw. Entschuldigung sucht). Dante wird dagegen als Negativbeispiel angeführt. Ihm wirft Bembo vor, Ausdrücke zu verwenden, die „in bocca del popolo più che nelle scritture“ verbreitet seien. Dazu zählt für Bembo auch (um im Bereich der Pronomina zu bleiben) die Verwendung der nicht „literaturfähigen“ Pluralformen eglino und elleno, die bei Dante regelmäßig auftreten („Sono nondimeno comunalmente ora, Eglino et Elleno, in bocca del popolo piú che nelle scritture, come che Dante ne ponesse l’una nelle sue canzoni. […]“). Die von Bembo formulierte Regel, dass lui, lei und loro in Subjektposition stilistisch nicht angemessen sind, kann sich dauerhaft im Schriftsprachgebrauch etablieren. Obwohl sie bereits von Manzoni im 19. Jahrhundert konsequent ignoriert wird, führt erst die Entstehung eines heute gern als italiano neo-standard bezeichneten moderateren Normkonzepts zu einer Lockerung dieser Regel. Als Beispiel dafür, dass Bembo in dieser Rolle im kulturellen Bewusstsein der Italiener bis in die Gegenwart präsent geblieben ist, sei die folgende Antwort der italienischen Sprachakademie Accademia della Crusca auf die Anfrage einiger Schüler der Scuola Media „L.B. Alberti“ in Mantova hinsichtlich der aktuell gültigen Regeln für den Gebrauch der Personalpronomina in Subjektposition angeführt. La scelta tra egli e lui, e così anche tra ella e lei e tra essi, esse e loro, ha angosciato gli scrittori italiani fin dall’inizio del’ ’500, quando i grammatici (per primi il Fortunio e il Bembo) si scagliarono contro l’uso delle forme oblique del pronome in funzione di soggetto (lui, lei, loro derivano infatti dai casi obliqui del latino, mentre le altre forme derivano dal nominativo). Quest’uso era presente già nel ’300, si ampliò molto nel ’400 e da allora permane vivo nella lingua effettivamente parlata e nelle scritture più direttamente comunicative. I puristi continuarono a censurarlo drasticamente, fin quando il Manzoni si contrappose a questa condanna, introducendo in massa nella seconda e definitiva edizione del romanzo (1840) le forme lui, lei, loro. Da allora alcune grammatiche hanno aperto un po’ la porta a quest’uso, di solito cavandosi d’impassio col dire che è adatto allo stile ‘semplice’, ‘colloquiale’, ‘più comune’ oppure elencando una minuta serie di casi in cui non può essere evitato. Altre grammatiche tacciono del tutto sull’argomento. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 139 15.08.11 15: 18 <?page no="152"?> 140 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Assodata l’antica esistenza di quest’uso, occorre darne una spiegazione, per poter formulare una regola che non sia di pura ‘autorità’. La linguistica odierna lo spiega riconducendola a due processi comunicativi […]. (La Crusca 1995: 13) Bembos Modell folgen 1536 die Grammatica volgare und 1543 der Grammatikteil des bereits erwähnten Vocabolario von Alberto Acarisio. Erst 1552 erscheint mit den Regole della lingua fiorentina che si parla e scrive in Firenze von Pierfrancesco Giambullari eine weitere Volgare-Grammatik eines Toskaners. Explizites Ziel des Autors ist zwar die Darstellung einer systematischen Grammatik des (zeitgenössischen) Florentinisch, dieses wird allerdings fast ausschließlich an Zitaten der Tre-corone-Dichter illustriert. Im Unterschied- zu den meisten Grammatiken seiner Zeit geht Giambullari im dritten Buch unter der Überschrift costruzione auch auf Fragen der Syntax ein, die er nicht mehr nur an Textzitaten, sondern auch an konstruierten Beispielen erläutert und dabei eine für die italienische Grammatik auf lange Zeit einzigartige Unterscheidung von formalen und inhaltlichen Kategorien vornimmt. Auf die parallele Fortführung morphologischer Varianten für dieselbe Erscheinung nehmen die Grammatiken nur teilweise Einfluss, und sie sind auch nicht im strengen Sinn präskriptiv, denn es werden dort Abweichungen zugelassen, wo sie in der Literatur der großen Schriftsteller auftreten. Der Polymorphismus gehört deshalb bis in die Gegenwart zu den typischen Merkmalen italienischer Schriftsprache. 6.3.5 Die Regelung der Orthographie Die moderne italienische Orthographie geht in den meisten Charakteristika auf das Cinquecento und Entscheidungen, die damals von Grammatikern, Lexikographen und Literaten getroffen wurden, zurück. Das Vocabolario della Crusca spielt hier eine wesentliche kodifizierende Rolle und wird zum Vorbild für die Schrifttypen in ganz Italien. Das traditionelle (einigermaßen kohärente) graphische System basiert auf dem modello fonologico fiorentino. Das Italienische verfügt über eine sog. phonographische Orthographie, d. h. die Unterschiede zwischen den Lauten und den Schriftzeichen sind im Vergleich zu anderen Schriftsystemen relativ reduziert. Im Vergleich dazu ist das graphische System des Französischen durch einen hohen Anteil an etymologischer Schreibweise gekennzeichnet (aus dem Latein werden graphische Elemente beibehalten, die längst nicht mehr gesprochen werden, wie z. B. Endkonsonanten clef, institut, dos bzw. das Plural-s). Der weitgehende Verzicht auf die etymologisierende Schreibweise, die in der humanistischen Tradition favorisiert wird, kann als besondere Emanzipationsleistung der italienischen Orthographie vom Latein und eine bewusste Entscheidung gegen diese Tradition (die in anderen Bereichen des Sprachsystems ja weit einflussreicher bleibt) interpretiert werden. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 140 15.08.11 15: 18 <?page no="153"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 141 Das italienische Alphabet Das Projekt einer Orthographiereform von Trissino Die Vereinheitlichung der Interpunktion Das italienische Alphabet geht (wie die meisten europäischen Alphabetschriften) auf das lateinische Alphabet zurück, das aber mit den 24−26 Buchstaben eben nur für einen Teil der Phoneme der europäischen Sprachen Entsprechungen liefert. Zur Ergänzung werden also weitere Zeichen eingeführt: diakritische Zeichen, d. h. unterscheidende Zeichen, die den Graphemen beigefügt werden, um auf Aussprachegewohnheiten hinzuweisen (wie die Akzentzeichen Akut, Gravis, Zirkumflex) oder auch Buchstabenkombinationen, die für bestimmte phonische Realisierung stehen. Im Rahmen der Sprachdiskussion des Cinquecento werden vor der Gründung der Accademia della Crusca einige Reformvorschläge unterbreitet, die sich allerdings nicht durchsetzen können. Stellvertretend sei auf das Orthographiereformprojekt von Trissino verwiesen. Trissino präsentiert dieses Projekt in seiner Grammatichetta, die 1529 im Druck erscheint, und setzt sie in seinen gedruckten Werken auch in die Praxis um (wie der bereits unter 6.2.4 kommentierte Textauszug aus dem Castellano illustriert). Maßstab für seine Orthographie ist das zeitgenössische Toskanisch mit einigen Optionen für das venezianische Volgare. Da das lateinische Alphabet für einige lautliche Realisierungen keine Lösung anbietet, ergänzt Trissino sein Alphabet durch weitere Grapheme, die er teilweise aus dem griechischen Alphabet übernimmt. Damit sollen die folgenden Merkmale graphisch markiert werden: − Unterscheidung von offener und geschlossener Qualität der Vokale e ( bzw. e) und o ( v bzw. o); − Unterscheidung der stimmhaften und stimmlosen Sibilanten s (s bzw. z) und Affrikaten z (ç bzw. % ); − Unterscheidung zwischen konsonantischem und vokalischem u und v bzw. i und j. Da sich eine solche Ausdifferenzierung der Graphie-Phonie-Beziehung nicht durchsetzen konnte, haben die historische Dichotomie von italiano scritto und italiano parlato wie auch Unsicherheiten in der normgerechten Aussprache im Sinne der florentinischen Tradition im Endeffekt eine Reihe von Anomalien in der Beziehung von Graphie und Lautung bewirkt, so dass die lautliche Realisierung des Standarditalienischen in der Gegenwart zu den problematischen Bereichen gehört. Da, wo die Graphie keine eindeutige Indikation vornimmt, tendieren regionale Aussprachevarianten dazu, sich zu stabilisieren und die Lautung des fiorentino colto zu ersetzen. Wir haben es also retrospektiv mit einer langsamen und diskontinuierlichen Entwicklung des graphischen Systems zu tun. Diese betrifft v. a. die Interpunktion, die Akzentsetzung und die Setzung von Majuskeln. Die Interpunktion spielt vor der Einführung des Buchdrucks eine eher untergeordnete Rolle und in der lateinischen Sprachreflexion wird sie kaum erwähnt, da der Akzent auf der Textstrukturierung durch rhythmische Regularitäten bzw. auf der Metrik in der Poesie liegt. Am Ende des 13. Jahrhunderts entstehen konkurrierende Satzzeichensysteme, die zunächst in den zahlrei- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 141 15.08.11 15: 18 <?page no="154"?> 142 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Modifikationen der italienischen Orthographie nach dem Cinquecento Grapheme Interpunktion Akzentsetzung chen Briefstellern zur Regelung der Brieflehre (ars dictaminis) kommentiert werden. Ohne auf diese Entwicklung ausführlicher einzugehen soll nur erwähnt werden, dass die Satzzeichen v. a. in der Bologneser und der lombardischen Tradition weiterentwickelt wurden. Es gibt zeitweise auch Tendenzen, die heute in anderen Sprachen, aber nicht im Italienischen weitergeführt werden. So etwa die Setzung des Fragezeichens zu Beginn und am Ende des Satzes, wie sie heute noch im Spanischen üblich ist. Im Trecento entsteht eine Ars punctandi (die irrtümlich Petrarca zugeschrieben wird), der Gebrauch von Satzzeichen erfolgt aber insgesamt noch sehr sparsam und uneinheitlich. Die Vereinheitlichung der Zeichensetzung beginnt mit der Einführung des Buchdrucks. Im Cinquecento werden Konventionsvorschläge für Interpunktion und Orthographie unterbreitet. Orazio Lombardelli unterstreicht in seiner Arte del puntar gli scritti (Siena 1585) den direkten Zusammenhang von Satzzeichen und mündlicher Realisierung (oralità): die Satzzeichen dienen zur optimalen Lektüre (im Sinn von Vortrag) des Textes. Für die Entwicklung der Zeichensetzung vom Cinquecento bis in die Gegenwart stehen einige Änderungen, die v. a. seit dem 18. Jahrhundert systematischen Charakter bekommen haben. Diese Chronologie hat damit zu tun, dass ab dem Settecento das Italienische verstärkt für Gebrauchstexte verwendet wird und man sich auch, was die Struktur des zusammengesetzten Satzes betrifft, an syntaktischen Modellen anderer Sprachen v. a. des Französischen orientiert (man spricht dann von einer sintassi più sciolta). Auf Manzoni geht die relativ einheitliche Verwendung des i als Graphem ab dem späten 19. Jahrhundert zurück. Das j fällt als diakritisches Zeichen aus dem graphischen Gebrauch und bleibt nur in individuellen Lösungen erhalten. Zu den graphischen Unregelmäßigkeiten gehören noch am Ende des Ottocento die Kombination von Vokalen, die nicht einzeln gesprochen werden wie i in ce/ cie, ge/ gie sowie die graphische Unterscheidung von Elision und troncamento durch Apostrophierung (z. B. tal’uno aber tal è, qual è, auch un’amico). Interpunktionszeichen bekommen allmählich spezifischen Charakter (Wegfall des punto mobile am Satzende; Ersatz durch den Punkt; Verwendung des Doppelpunkts in deiktisch-präsentativischer Funktion; Reduktion der Kommata − nicht mehr obligatorisch vor jeder Konjunktion). Die Akzente zur Kennzeichnung offener und geschlossener Aussprache der Vokale und ebenso diakritische Zeichen für stimmhafte und stimmlose Aussprache von s und z (stimmhafte Variante mit Punkt über dem s oder z) werden von zahlreichen Lexikographen noch lange verwendet und bleiben als solche dann in dialektalen Transkriptionssystemen erhalten; die Verwendung des accento grave und acuto mit distinktiver Funktion wird erst im 20. Jahrhundert eingeführt (ché, dà − Verb; è, là, né, sé − Adverb, tè − Nomen); der Gebrauch des apostrofo bleibt bis zum 20. Jahrhundert unregelmäßig (vgl. tal’uno aber qual è, auch un’amico). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 142 15.08.11 15: 18 <?page no="155"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 143 6.4 Die Normdiskussion bis zur politischen Einigung Eine Problematisierung des archaischen Sprachmodells und der damit verknüpften sprachlich-literarischen Tradition beginnt im 17. Jahrhundert, als sich die italienische Kultur in ihrem Selbstverständnis in Sprache und Stil über die antike und die eigene Klassik erhebt. Damit geht eine (wenn auch zunächst noch umstrittene und nur allmähliche) Erweiterung des kommunikativen Funktionsspektrums der italienischen Sprache einher, die nun auch als Sprache der Jurisprudenz und Philosophie (bis dahin unangefochtene Domäne des Lateinischen) verwendet wird. Im 17. Jahrhundert sind es jedoch nur wenige Literaten, die sich v. a. im lexikalischen Bereich (etwa durch Entlehnungen, Neologismen, Dialektismen und Technizismen) vom literatursprachlich fixierten Sprachmodell absetzen. Im 18. Jahrhundert ergreift die Diskussion um eine sprachliche Erneuerung als konfliktreicher, widersprüchlicher Prozess nach und nach ganz Italien. Sie erreicht ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert, als die Dominanz des archaischen Modells selbst für die literarische Produktion im engeren Sinn zur Disposition gestellt wird. 6.4.1 Italienische Sprache und Sprachdiskussion im 17. Jahrhundert Die Situation im frühen 17. Jahrhundert ist äußerst widersprüchlich. Barock, Gegenreformation, Ciceronianismus, die neue Wissenschaft Galileis oder die neue Dichtungskonzeption eines Marino gehören zu den Epochemerkmalen und sind in unterschiedlichem Grad mit der Entwicklung der italienischen Sprachsituation verquickt. Politisch gerät Italien im 17. Jahrhundert in die Peripherie Europas. Die republikanische Tradition der norditalienischen Stadtstaaten wird nun durch monarchistische Prinzipien mit absolutistischen Tendenzen ersetzt. Auch Venedig verliert seine Sonderstellung im Zuge der Verschiebung der Machtverhältnisse im Mittelmeer. Die fortdauernde Zersplitterung Italiens in einzelne Staaten behindert die Kommunikation, die zwischenstaatlichen Konflikte erreichen aber nur selten europäische Dimension. In dieser Situation sichert eine Institution wie die Accademia della Crusca längerfristig zumindest die sprachliche Basis für eine überregionale italienische Kultur. Sowohl in der Sachprosa als auch in der literarischen Prosa und Dichtung wird die Toskanisierung weitgehend umgesetzt. Grammatikographie und Lexikographie bleiben während des gesamten 17. Jahrhunderts konservativ und halten überwiegend am Trecento-Modell fest. Obwohl das Wörterbuch der Crusca die italienische und europäische Lexikographie zweifellos nachhaltig beeinflusst hat, melden sich unmittelbar nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe die ersten kritischen Stimmen zu Wort. Mit Salviatis Schriften zu Boccaccio hatte die Questione della lingua eben nur einen vorläufigen Abschluss gefunden. Aus den endlosen und kaum überschaubaren Diskussionen, in denen immer wieder mehr oder minder die glei- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 143 15.08.11 15: 18 <?page no="156"?> 144 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Die Auseinandersetzung um das Sprachmodell der Accademia della Crusca Die Argutia-Bewegung Kritik aus den eigenen Reihen Die dritte Auflage des Akademiewörterbuchs chen Argumente ausgetauscht werden, sollen hier nur einige wenige Protagonisten genannt werden. Bereits im Erscheinungsjahr der ersten Auflage des Akademiewörterbuchs veröffentlicht Paolo Beni seinen Dialog L’Anticrusca overo Il Paragone dell’Italiana lingua: nel qual si mostra chiaramente che l’Antica sia inculta e rozza: e la Moderna regolata e gentile (Padova 1612), in dem er die Festlegung auf das altflorentinische Modell und den Ausschluss einiger Autoren kritisiert (eine Antwort von Seiten der Akademie − Risposta […] all’Anticrusca − erfolgte 1613 durch Orlando Pescetti). Zu den prominenten Gegnern des puristisch-archaischen Sprachkonzepts der Crusca gehören die Vertreter der Argutia-Bewegung, die sich mit neuen sprachästhetischen Modellen nach dem Leitprinzip „Verknüpfung von Einfallsreichtum und Scharfsinn“ gegen die Festlegung auf ein bestimmtes literarisches Modell wendet. So wendet sich etwa der aus Modena stammende Dichter Alessandro Tassoni (1565−1635) gegen die drastische Einschränkung des Wortschatzes und setzt dem traditionellen Nachahmungskonzept den Versuch entgegen, alte Formen mit neuen Inhalten zu füllen und durch andere Ausdrucksmittel umzugestalten. Dazu gehört in seinem speziellen Fall z. B. die Verwendung norditalienischer Stadtdialekte als sprachliches Gestaltungsmittel der Epentravestie. Der unbefangene, oft als „respektlos“ kritisierte Umgang vieler italienischer Barockdichter mit den antiken Vorbildern setzt freilich auch den Respekt vor einer archaisierenden und ästhetisierenden Sprachnorm zurück. Für Dichter wie Giovanbattista Marino (1569−1625) gehört die freie sprachliche Gestaltung zu den Grundprinzipien literarischen Schaffens, Kreativität und Scharfsinn haben Vorrang vor der Übereinstimmung mit der Norm, ästhetische Fragen werden nach individuellem Geschmack entschieden und nicht nach Übereinkunft mit dem, was angemessen ist. Wer den freizügigen Umgang der Barockdichter mit Sprache verteidigt, wie etwa auch der Dichter Scipione Errico (1592−1670), muss sich folglich in die Reihe der Kritiker an dem archaischen Sprachkonzept des Vocabolario einreihen. Kritik am Sprachkonzept der Crusca kommt aber auch aus den eigenen Reihen, wie etwa von dem Literaten und Gelehrten Lorenzo Magalotti (1637−1712), der − obwohl selbst Akademiemitglied − die fehlende Unterscheidung von archaischen, geläufigen und poetischen Wörtern moniert. All diese kritischen Äußerungen bewirken jedoch nur ganz allmählich ein konzeptionelles Umdenken. In das Vocabolario degli Accademici della Crusca werden mit den weiteren Auflagen ( 2 1623, 3 1691, 4 1729−1738) zwar neue Wörter und Referenztexte aufgenommen, das Konzept aber nicht grundlegend geändert. Nachdem die zweite Auflage des Wörterbuchs 1623 mit nur wenigen Änderungen erscheint, entschließt sich die Akademie in der dritten Auflage, die 1691 erstmals in Florenz gedruckt wird, die restriktive Normauffassung etwas zu lockern und den Textkanon deutlich zu erweitern. In folgendem Auszug aus der Introduzione zur dritten Auflage scheint es, als schränke man die Regelhaftigkeit literarischen Schreibens drastisch ein und knüpfe literarische Erfol- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 144 15.08.11 15: 18 <?page no="157"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 145 Die innertoskanische Polemik ge an den individuellen „guten Geschmack“ fähiger Literaten, der sich nicht wirklich regeln lasse und (offensichtlich bedingt durch den Sprachgebrauch) ständiger Variation unterliege. Il buon giudizio dello Scrittore, può solamente sceglier le voci, adattar le locuzioni, accomodar le maniere, all’occasioni, alle materia, a’ tempi alle persone; né vi ha regola sí prefissa, che possa servir d’istruzione alle scritture. Onde le distinzioni da noi date talora di bassezza, d’Antichità, o simile, sottoposte sono sovente alla varietà e all’eccezione. (Aus dem Vorwort zur dritten Auflage des Vocabolario degli Accademici della Crusca, 1691) Die Akademie bildet also bereits Ende des 17. Jahrhunderts hinsichtlich der Verteidigung der retrospektiven Schriftsprachnorm nicht mehr eine unerschütterliche Burg. Das zeigt sich auch deutlich in der Aufnahme zahlreicher Autoren, die aus den ersten beiden Ausgaben ostentativ ausgeschlossen worden waren, wie etwa Machiavelli, Tasso und Martelli (der Textkanon wird um insgesamt ca. 100 Autoren verschiedener Epochen erweitert). Neben der Polemik zwischen den Anhängern der Crusca und den ausdrücklichen Gegnern des archaischen Sprachmodells prägt auch eine innertoskanische Polemik gegen das florentinisch dominierte Sprachmodell die Sprachdiskussion des Seicento. Innerhalb der Toskana kommt die heftigste Kritik am florentinischen Sprachmodell aus Siena, von den Vertretern der sog. Scuola senese. Diese wird besonders durch zwei Vertreter geprägt: Celso Cittadini (1553−1627) mit seinem Trattato della vera origine, e del processo, e nome della nostra Lingua, scritto in vulgar Sanese (1601) sowie Girolamo Gigli (1660−1722), der sich v. a. mit der Beschreibung der diatopischen Variation innerhalb des Toskanischen befasst und die Crusca wegen Nichtbeachtung der Seneser Autoren kritisiert. Zudem melden sich im 17. Jahrhundert auch Vertreter verschiedener anderer regionaler Sprachvarietäten zu Wort. Nennenswerte eigene Schrifttraditionen können sich vornehmlich auf Sizilien behaupten, wo im frühen 16.-Jahrhundert eine eigene lexikographische Tradition beginnt, die bis in die Moderne führt und das Italienische sich in der Sachprosa später als in anderen Regionen durchsetzt. Zudem werden im frühen 17. Jahrhundert auch das Neapolitanische und das Bolognesische als literarische Alternativen gepriesen. In der mündlichen Kommunikation stellt jedoch für den Großteil der Bevölkerung der jeweils lokale Dialekt das einzige Kommunikationsmittel dar. Zudem entwickelt sich in einigen Regionen eine dialektale Schreibkultur, die allerdings keine ernsthafte Konkurrenz für die gesamtitalienische Schriftsprache bildet. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 145 15.08.11 15: 18 <?page no="158"?> 146 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Das Jahrhundert der Sprachdiskussion und der Übersetzung Die Allgemeine und rationale Grammatik Die italienische Sprachdiskussion 6.4.2 Tradition und Innovation im Secolo dei lumi Im 18. Jahrhundert, dem Secolo dei lumi (Jahrhundert der Auf klärung), wird die Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache v. a. in der zweiten Jahrhunderthälfte heftiger, als sich Gedankengut der Auf klärung allmählich auch in Italien ausbreitet. Es gilt als das Jahrhundert der Sprachdiskussion, aber auch das Jahrhundert der Übersetzung. Das gesamte Settecento ist außerordentlich reich an sprachtheoretischen Schriften, da der Sprache als entscheidendem Werkzeug des geistigen Fortschritts und einer raschen Verbreitung von Wissen an ein breites Publikum ein besonderes Interesse gilt. Zu den Texten, die (nicht nur) die Sprachdiskussion des 18. Jahrhunderts nachhaltig prägen, gehören die 1660 im Kloster von Port-Royal bei Paris erschienene Grammaire générale et raisonnée, die als „Grammatik von Port Royal“ in die Geschichte eingegangen ist, und die französische Enzyklopädie (Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers), die in Italien sogleich nach ihrem Erscheinen ab 1758 nachgedruckt wird. Die Grammaire générale et raisonnée begründet ein Grammatikkonzept, das die europäische Sprachphilosophie und −theorie im Zeitalter der Auf klärung maßgeblich prägen sollte, in Italien aber erst spät und nur punktuell Fuß fassen kann. Der Titel „allgemeine“ und „rationale (vernunftbezogene)“ Grammatik leitet sich aus der sprachphilosophischen Methode ab; es geht darum: a) aufzuzeigen, welche intellektuellen Prozesse mit welchen sprachlichen Mitteln verbalisiert werden und welche allgemeinen bzw. universalen Mechanismen und Prinzipien dabei wirken und b) nachzuweisen, dass die Erkenntnis solcher Regeln und Prinzipien sich nur rational, aus der Vernunft, herleiten lässt und dass folglich auch Grammatik aus logischen Prinzipien hergeleitet werden kann. Neben der ratio spielt im 18. Jahrhundert auch die Welterfahrung via Erkenntnis über die Sinne für die Sprachbeschreibung eine Rolle, ein Konzept, das in enger Verbindung mit dem Namen von Condillac und dem von ihm auf der Grundlage des englischen Empirismus John Lockes entwickelten Sensualismus steht. Die italienische Sprachdiskussion im frühen 18. Jahrhundert konzentriert sich auf die Auseinandersetzung von Traditionalisten und „Modernisten“, die nicht zuletzt durch die zunehmende Rolle des Französischen als Sprache der europäischen Höfe und dann auch als Sprache der europäischen Gelehrtenrepublik forciert wird. Das Italienische verliert damit seine Rolle als europäische Kultursprache, eine Entwicklung, mit der sich die Protagonisten des italienischen Intellektuellendiskurses selbstredend auseinandersetzen müssen. Damit kommt ein weiterer Streitpunkt ins Spiel, der französische Einfluss auf die italienische Sprache. Mit wachsendem Interesse der Italiener für das auf klärerische Gedankengut, das v. a. aus Frankreich (aber auch aus England) kommt, wächst gegen Mitte des Jahrhunderts die Kritik am archaischen Sprachmodell, das nun aufgrund seiner rhetorisch-ästhetisierenden Ausrichtung und literarischen Ein- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 146 15.08.11 15: 18 <?page no="159"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 147 Die italienischen Grammatiken des 18. Jahrhunderts Die Mailänder Gruppe um die Gebrüder Verri Melchiorre Cesarotti grenzung als Hindernis für den Anschluss Italiens an den europäischen Fortschritt in den Wissenschaften und in der literarischen Entwicklung empfunden wird. Trotz aller Kritik bildet die traditionelle Literatursprache aber nach wie vor die Grundlage für Lexikographie und Grammatikographie. Die Sprachnormierung konzentriert sich weiterhin in der Accademia della Crusca. Die vierte Auflage des Akademiewörterbuchs erscheint 1729−1738 in sechs Bänden, erweitert um literarische Zitate aus dem „buon secolo“, sowie zeitgenössischer Autoren „in aggiunto o conferma“. Diese neue Auflage gibt dem Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Crusca-Konzepts neuen Auftrieb. In zahlreichen kritischen Schriften werden Lücken und Fehler nachgewiesen bzw. Listen von fehlenden Wörtern erstellt. Eine weitere Auflage kann durch die vorübergehende Auflösung der Crusca und ihre Zwangsvereinigung mit der Accademia Fiorentina und der Accademia degli Apatisti im Jahr 1783 nicht mehr realisiert werden. Erst ab 1811 kann die Akademie ihre sprachpflegerischen Aktivitäten unter dem alten Namen fortsetzen. Aus der Reihe der traditionellen Grammatiken des 18. Jahrhunderts sollen hier nur zwei Werke erwähnt werden: Domenico Maria Mannis Lezioni di Lingua Toscana (1737) und Salvadore Corticellis Regole ed Osservazione ridotte a metodo per uso del seminario di Bologna (1745). An der neuen, von der französischen Sprachphilosophie beeinflussten Grammatikkonzeption orientiert sich erst die Grammatica ragionata della lingua italiana von Francesco Soave (1771). Im Laufe des 18. Jahrhunderts nimmt die Kritik an der konservativen Sprachkonzeption der Accademia della Crusca stetig zu. Die radikalste Opposition gegen den arcaismo toscaneggiante kommt von einer Gruppe mailändischer Auf klärer, die von den Brüdern Pietro Verri (1728−1797) und Alessandro Verri (1741−1816) angeführt wird. Sie sind die Mitbegründer der auf klärerischen Zeitschrift Il Caffè, die zwischen 1764 und 1766 in Mailand erscheint. Alessandro Verri veröffentlicht 1764 in dieser Zeitschrift seine Rinunzia avanti notaio degli autori del presente foglio periodico al Vocabolario della Crusca, in der er die Sprache als Ausdrucksmittel freier Ideen verteidigt und daher die Einengung auf ein weitgehend mittelalterliches Vokabular ablehnt und das Recht auf sprachliche Erneuerung für sich und seine Zeit beansprucht. Die moderate Aufnahme von Fremdwörtern in die italienische Sprache wird ebenso befürwortet wie das Prinzip der „Panitalianität“, d. h. die Aufnahme von nützlichen Ausdrücken aus allen Regionen und die gemeinsame Schriftsprache. Der Paduaner Melchiorre Cesarotti (1730−1808) hat eine der wichtigsten Stimmen in der Normdiskussion. Er nimmt mit seiner Auffassung, dass sich die Entwicklung der italienischen Sprache am europäischen Maßstab orientieren müsse, damit Italien den kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Anschluss nicht verliere, eine interessante und von den Zeitgenossen heftig diskutierte Position ein (vgl. Folena 1983, Gensini 1993). Als einer der heftigsten Kritiker der universellen Autorität antiker Sprachen (bzw. Sprachstufen) gehört Cesarotti aber auch zu den bekanntesten Übersetzern seiner Reutner_Stb_sV-256_End.indd 147 15.08.11 15: 18 <?page no="160"?> 148 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Cesarottis Konzept eines Consiglio italico per la lingua Zeit aus dem Griechischen (zusammen mit seinen Übersetzungen erscheinen dann auch programmatische Schriften, in denen er gegen die Idealisierung antiker Literatur- und Sprachmuster polemisiert). Er veröffentlicht 1785 in Padua seine vielbeachtete Schrift Saggio sopra la lingua italiana (in der zweiten Auflage 1800 mit neuem Titel Saggio sulla filosofia delle lingue applicata alla lingua italiana). Im ersten und zweiten Buch liefert er eine kleine Abhandlung über die allgemeine Sprachwissenschaft, im dritten Buch beschäftigt er sich eingehend mit dem Italienischen. Er wendet sich nicht gegen den florentinischen Grundcharakter der italienischen Sprache, spricht sich aber ausdrücklich für die stetige Bereicherung durch Wörter und Wendungen aus anderen Sprachen und Dialekten aus. Die diesbezüglich wohl prägnanteste Äußerung Cesarottis fokussiert die notwendige Angleichung der italienischen Schriftsprache an die Bedürfnisse nicht nur der nationalen, sondern ebenso der europäischen Kommunikation. Le antipatie religiose e politiche non si conoscono più: le usanze e le opinioni sono in una circolazione perpetua: l’Europa tutta nella sua parte intellettuale è ormai divenuta una gran famiglia, i di cui membri distinti hanno un patrimonio comune di ragionamento, e fanno tra loro un commercio d’idee di cui niuno ha la proprietà, tutti l’uso. In tal rigenerazione di cose non è assurdo l’immaginare che il genio delle lingue possa conservarsi immutabile? (Cesarotti 1960: 395) Der sprachliche Konsens − und diesen Umstand betont Cesarotti besonders für die italienische Sprachsituation − kann demzufolge nicht von einer Handvoll Gelehrter entschieden werden, die um Traditionalismus und Eleganz streitet. Zur Demokratisierung in der Lösung der Sprachenfrage schlägt er die Gründung eines italienischen Sprachrates (Consiglio italico per la lingua, vgl. Saggio, parte IV, cap. XV) vor, ein Projekt, das aufgrund der Affinität zu einem aktuellen Gesetzesentwurf an dieser Stelle kurz vorgestellt werden soll. Cesarottis Sprachrat setzt sich aus kompetenten Vertretern aller italienischen Provinzen unter Vorsitz der reformierten Akademie (Accademia italiana) zusammen und soll angesichts des noch nicht existierenden Zentralstaates seinen Sitz in Florenz beziehen. Die detaillierte Auflistung der umfangreichen Aufgaben entspricht ganz einem auf klärerischen Zeitgeist am Ende des 18. Jahrhunderts, der (nicht nur in Italien) eine umfassende Revision und Beschreibung des gesamten Wortschatzes fordert. In Cesarottis Aufgabenkatalog spiegeln sich die Fortschritte, die in dieser Zeit die wissenschaftliche Sprachbeschreibung macht (vgl. Entstehung der historisch-vergleichenden Methode, der Etymologie, der systematischen Beschreibung der Einzelsprachen). Dieser Katalog umfasst: − die Erforschung des Ursprungs der italienischen Sprache über den Vergleich mit verwandten Sprachen („ricercar le origini italiane coll’esame e ’l confronto di tutte le lingue le quali concorsero a formar la nostra“); − die Erfassung der Etymologie der italienischen Wörter und Untersuchung ihrer Bedeutungsentwicklung („Esaminar di proposito l’etimologia delle voci“); Reutner_Stb_sV-256_End.indd 148 15.08.11 15: 18 <?page no="161"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 149 − das vergleichende Studium der Dialekte Italiens („far uno studio di tutti i dialetti nazionali“), aus denen in der Gemeinsprache bis dahin fehlende Wörter und Wendungen zu entnehmen sind; − die erneute systematische Auswertung des Wortschatzes der eigenen Klassiker zur ergänzenden Bestandsaufnahme des vorhandenen Wortschatzes („Legger di nuovo con attenzione gli autori classici“); − die Auswertung weiterer toskanischer und italienischer, von der Crusca vernachlässigter Autoren („lettura delle opere degli altri celebri scrittori sì toscani che italiani, negletti della Crusca“); − die Feststellung der wahren Reichtümer und Bedürfnisse der Sprache („conoscer con precisione le vere ricchezze assolute e comparative, e i veri bisogni della lingua“) durch Spezialisten der einzelnen Wissenszweige; − den Vergleich des italienischen Wortschatzes mit dem anderer Sprachen mit dem Ziel der Ergänzung bzw. Neuprägung („si paragoni il vocabolario italiano così accresciuto coi vocabolari dell’altre lingue“). Aus diesem Material sollen schließlich im Ergebnis zwei Wörterbücher kompiliert werden: a) ein ausführliches für Gelehrte und Wissenschaftler („l’uno d’ampia mole … per utilità delle vari classi degli eruditi e ragionatori“) und b) in kleinerem Umfang für „den täglichen Gebrauch“, für das Allgemeinpublikum („l’altro più breve … per uso giornaliero di chi vuole intendere e maneggiare la lingua scritta“). Dieses von der Nachwelt kaum beachtete Projekt findet erst in der jüngsten italienischen Geschichte (unter freilich spezifischen politischen Umständen) ein Pendant: 2001 wird von einem Senator der Berlusconi-Partei Forza Italia ein Gesetzesentwurf zur Gründung eines Consiglio Superiore della Lingua Italiana vorgelegt, der einige analoge, heute aber kaum mehr zeitgemäße Punkte enthält. Ein allseits konsensfähiges Konzept ist daraus bisher nicht entstanden. In Italien, wo die gängige Grammatik dem von Bembo propagierten Sprachmodell folgend sich nach wie vor an der sprachlichen Autorität der Trecentisti orientiert, werden rationale Grammatik und Sensualismus erst gegen Ende des 18.- Jahrhunderts Grundlage sprachbezogener Überlegungen bei Melchiorre Cesarotti und Francesco Soave, die der Diskussion eine typisch italienische Wendung geben und maßgeblich zur Relativierung der Bedeutung der rhetorischen Seite der Sprache beitragen. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die von einer Schicht bürgerlicher Intellektueller getragene idéologie (vgl. das Traktat Elémens d’Idéologie von Destutt de Tracy, 1801−1805) einen neuen Aufschwung des Sensualismus bewirkt, trifft dieser in Italien auf fruchtbaren Boden. Der in der Folgezeit wieder in Vergessenheit geratene Lombarde Giovanni Romani legt nun mit seinem Opuscolo sulla scienza grammaticale applicata alla lingua italiana (1808) einen Gegenentwurf zur traditionellen Grammatik vor, in dem die Wissensvermittlung durch Sprache das Primat vor der poetischen und rhetorischen Formung in Anlehnung an sprachliche Vorbilder aus Vorzeiten erhält. Wirkung von rationaler Grammatik und Sensualismus Reutner_Stb_sV-256_End.indd 149 15.08.11 15: 18 <?page no="162"?> 150 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Heterogenität des Sprachgebrauchs Die mündliche Kommunikation Die Rolle des Französischen Entlehnungen aus dem Französischen Im 18. Jahrhundert sind sowohl die Schriftkommunikation als auch die mündliche Kommunikation durch Polyglossie geprägt. Im Bereich der Schriftsprache reicht die Heterogenität bis zur Regelung des institutionellen Sprachgebrauchs durch die italienischen Akademien. Die zahlreichen akademischen Neugründungen in diesem Jahrhundert folgen einem europäischen Modell, das die institutionelle Absicherung des Französischen einschließt. Zudem wird Latein an einigen Akademien weiterhin als gängiges Kommunikationsmittel gepflegt. Die sprachliche Identifikation mit dem Italienischen wird damit nicht unbedingt vereinfacht. Noch heterogener gestaltet sich die Sprachsituation in der mündlichen Alltagskommunikation. Zum einen sind hier zahlreiche regionale und lokale Dialekte präsent, die in einigen Regionen lange Zeit auch einen Status als Amtssprache (Veneto) bzw. Literatursprache (Sizilien) beibehalten. Für die Legitimierung der Dialekte als vollwertige Kommunikationsmittel liefern Aufklärung und „Vorromantik“ mit ihrer Argumentation für die ästhetische und kommunikative Gleichwertigkeit aller natürlichen Sprachen zahlreiche Argumente. Hier sei zur Illustration auf zwei Meinungsäußerungen verwiesen. So schreibt etwa Francesco Oliva in seiner Grammatica della lingua napoletana von 1728: „Io per me ho sempre stimato […] che niuna lingua possa essere per se stessa né bella né brutta, né goffa né savia dirsi, né d’essere migliore d’un altra vantarsi“ (Oliva 1970: 213). Ganz ähnlich äußert sich auch der bekannte Literat Giuseppe Parini in einem Brief von 1760, wo es heißt: „le lingue […] sono tutte indifferenti per riguardo alla intrinseca bruttezza o beltà loro“. Zwischen die italienische Literatursprache und die regionalen Dialekte platziert sich in den nördlichen Regionen (Piemont, Veneto, Lombardei) zudem das Französische, das in intellektuellen Kreisen den immer stärker werdenden Bedarf nach einem einheitlichen, überregionalen und modernen Kommunikationsmittel abdeckt. Die französische Sprache wird im Norden nicht nur bevorzugtes mündliches Kommunikationsmittel, sondern von zahlreichen italienischen Gelehrten häufig sogar als Schriftsprache gewählt, so etwa von Carlo Goldoni, Giaccomo Casanova, Giuseppe Baretti. Melchiorre Cesarotti und Lazzaro Spallanzani verwenden sie in ihrer umfangreichen Korrespondenz. Carlo Denina, der an verschiedenen europäischen Höfen (u. a. als Bibliothekar in Preußen) wirkt, wo er ausdrücklich das Französische verteidigt und in vielen seiner Schriften dem Italienischen vorzieht, erklärt in seinem programmatischen Traktat Dell’uso della lingua francese (1803) das Italienische gar zur „toten Sprache“, die sich nicht weiterentwickelt habe und deshalb durch das „più eloquente“ Französisch abgelöst worden sei. Es kommt in diesem Kontext zu einer wahren Flut von französischen Entlehnungen, die bei weitem nicht nur den fehlenden Wortschatz abdecken, sondern in vielen Fällen auch schlicht als Modeerscheinung zu werten sind. Die „Gallomanie“ vieler Italiener lässt sich in diesem Sinn durchaus mit der Haltung vieler Franzosen gegenüber den italienischen Einflüssen auf die französische Hofsprache des 16. Jahrhunderts vergleichen (vgl. Kapitel 9.2). Eine Parodie auf die gallomania der Italiener liefert der eifrige Anhänger der traditi- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 150 15.08.11 15: 18 <?page no="163"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 151 Gallizismen und Französismen im italienischen Wortschatz Die Gegner der gallomania onellen italienischen Schriftsprache, Scipione Maffei, 1747 in seiner Komödie Il Raguet. Ein Blick auf die Schichtung des italienischen Wortschatzes zeigt, dass nach dem Latein das Französische die wichtigste Lehnquelle für das italienische Lexikon ist. Der Kontakt zum galloromanischen Sprachraum bildet seit dem Mittelalter einen wichtigen Stimulus. Wir unterscheiden daher heute gallicismi (französische und auch provenzalische Entlehnungen des Mittelalters bis zum Trecento) von den späteren francesismi (die ausschließlich aus französischer Quelle stammen). Beispiele für Gallizismen: einige Hundert Wörter, die sich in der Mehrzahl im Wortschatz erhalten haben: viaggio, giallo, cancelliere, cavaliere, conte, marchese, bandiera, sergente, danza, danzare, giardino, abbandonare, coraggio, leggero, mangiare, sembrare, vantaggio; Suffixe galloromanischen Ursprungs: -aggio, -ardo, -iere. Der signifikante Einfluss des Französischen beginnt erst ab Mitte des 17.-Jahrhundert mit der Ausstrahlung des Hofes von Ludwig XIV. und der inzwischen stabilisierten Norm der höfischen Sprache (des bon usage). Die Sachbereiche, aus denen zunächst entlehnt wird, sind v. a. Mode (moda, stoffa, parrucca, parrucchiere) und Abstrakta, die in der höfischen Konversation besonders produktiv sind (azzardo, a colpo sicuro, valere la pena, mettere sul tappeto, presenza di spirito). Die Flut von Französismen im Settecento betrifft die verschiedensten Bereiche, von der Mode über die Musik, die Gastronomie, die Politik bis zur Philosophie. Die politisch-administrative Terminologie aus dem Französischen etabliert sich im Zuge der französischen Besetzung und administrativen Neuordnung Italiens zwischen 1796 und 1815 und hält sich bis in die Moderne mit zahlreichen Ergänzungen im Laufe des 19. Jahrhunderts. Natürlich bildet sich auch hier eine Gegenbewegung, deren Protagonisten entweder die Übernahme französischer Elemente als „Verrat“ an der eigenen Sprache und Kultur konsequent ablehnen, oder aber eine moderate Lösung durch einen bewussten Umgang mit Neologismen anstreben (wie ihn z. B. Cesarotti in seinem Programm der Erneuerung der italienischen Sprache vorschlägt). Zu den erklärten Gegnern der gallomania gehört Carlo Gozzi (1720−1806), der in der französischem Sprache den „maggior guastatore, rovesciatore e difformatore dell’eccellente idioma nostro per una fanatica predelizione de’ leggeri spiriti d’Italia“ sieht (zitiert nach Vitale 1984: 279). Ippolito Pindemonte klagt in seiner Schrift Sul gusto presente delle belle lettere in Italia (1783) als Ursache für den Verfall der italienischen Sprache die Orientierung vieler italienischer Literaten an ausländischen, namentlich französischen Vorbildern und deren philosophischem Geist („falso spirito filosofico“) an, wodurch ein neuer, von der Wissenschaft geprägter Dialekt entstehe, der die Literatur verderbe („un nuovo dialetto che intacca non solo i discorsi ma anche le scritture, imputabile a un falso spirito filosofico“, zitiert nach Folena 1983: 206). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 151 15.08.11 15: 18 <?page no="164"?> 152 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Antonio Cesari Dissertazione sopra lo stato presente della lingua italiana 1808 Vittorio Alfieri (1749−1803) entwickelt eine Art Hassliebe zum Französischen und übersetzt französische Texte mit dem Ziel „di disfrancesarsi“. Er erstellt sogar eine Ersatzliste für französische Ausdrücke, eine Art Glossar (Appunti di lingua). Die Verteidigung der italianità della lingua wird besonders nachhaltig von dem Piemonteser Gian-Francesco Galeani Napione (1748−1830) betrieben, der sich in seiner Schrift Dell’uso e dei pregi della lingua italiana (1791−1792) ausführlich mit dem Sprachprojekt von Cesarotti befasst und dieses als Ausdruck einer „antipatriotischen Haltung“ anprangert. Napiones Patriotismus basiert auf politischen Motiven. Als Piemontese fühlt er sich der Verbreitung der italianità besonders verpflichtet und plädiert für die Errichtung eines italienischen Staates als Bollwerk gegen den „ewigen Gegner“, die Franzosen. Er verurteilt deshalb auch entschieden den Gebrauch der französischen Sprache (die im Piemont auch in der Akademie als offizielle Sprache zugelassen war) und prangert Cesarottis Sprachreformprogramm als Ausdruck der Verachtung für die eigene Sprache als nationales Identitätsetikett („disistima della propria lingua, che è l’impronta viva e più palpabile del carattere nazionale“) an. Solche Haltungen bilden gewissermaßen die Basis für eine Bewegung, die sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts unter der Federführung von Antonio Cesari entwickelt und in der die archaische Sprachnorm letztmals vehement verteidigt wird. 6.4.3 Die sprachpuristische Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts Die Bewegung des literarischen Sprachpurismus entsteht in den Fußstapfen der „Sprachpatrioten“ des 18. Jahrhunderts, wie Galeani Napione, zunächst im Veneto. Die Schlüsselfigur dieser Bewegung, der Veroneser Padre Antonio Cesari (1760−1828), veröffentlicht 1805 ein Manifest, in dem die zwei Grundprinzipien des italienischen Sprachpurismus (purismo linguistico) propagiert werden: die Erhaltung der Literatursprache als geschlossenes und perfektes System (im Gegensatz zur Theorie von Cesarotti) und die Überlegenheit des toskanischen Volgare der Trecentisti über alle anderen Volkssprachen hinsichtlich seiner Eleganz und seiner Natürlichkeit. Dieses Manifest findet sowohl Anhänger als auch Gegner. So spart etwa Vincenzo Monti in Beiträgen der populären Zeitschrift Poligrafo (1813) nicht mit ironischen Kommentaren über die ideologischen Auswüchse des Purismus seiner Zeit. Auf die Kritik antwortet Cesari mit mehreren polemischen Schriften, von denen insbesondere die Dissertazione sopra lo stato presente della lingua italiana (1808) Verbreitung findet und 1809 von der Accademia di Lettere ed Arti di Livorno im Kontext einer akademischen Preisfrage prämiert wird. Seine insbesonders auf die Lexik gerichtete archaische Sprachkonzeption setzt er in seinen eigenen literarischen Werken (etwa in dem Dialog Le Grazie 1813) praktisch um. In seiner Dissertazione glorifiziert Cesari das 14. Jahrhundert, als „goldenes Zeitalter“. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 152 15.08.11 15: 18 <?page no="165"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 153 La sola Toscana, non so se dalla postura sua montuosa e sterile (anche in questa simile all’Attica), che a’ barbari concedeva o rara, o breve dimora, oppure da altro, fu veramente privilegiata: che laddove gli altri dialetti tutti sentono del bastardume, di che sono nati, rugginosi, goffi, sregolati, smozzicati, deformi; il Toscano nacque per così dire bello e formato, soave, regolato, gentile; […] il Toscano dialetto, e ’l Fiorentino singolarmente, prese una tal grazia, purità, gentilezza e proprietà, che mai la maggiore. Tutti in quel benedetto tempo del 1300 parlavano e scrivevano bene. (Cesari 1808, ziziert nach Vitale 1984: 707) Cesari listet außerdem eine stattliche Zahl von Neologismen (stranierismi) auf, die im Sprachgebrauch vermieden werden sollten. Die anderen in Italien gesprochenen Dialekte gehören ebenfalls zu den von ihm mißachteten Sprachsystemen. Er gehört mit anderen Puristen zu den Verfechtern eines italiano dotto, das die ungebildete Bevölkerung kaum zu verstehen in der Lage war. Anklang findet das Konzept bei klassizistisch orientierten Literaten, die allerdings weniger rigoros vorgehen: etwa Giuseppe Bianchetti aus Treviso, der gebräuchliche Neologismen durchaus akzeptiert oder Michele Colombo, der in seiner Diceria in difesa dello scrivere con purezza (1830) zwar den Modellcharakter der Trecentisti anerkennt, trotzdem aber eine Anpassung an die Kommunikationsbedürfnisse der Zeit fordert. In Neapel vertritt Basilio Puoti (1782−1847) die puristische Bewegung, der allerdings das Modell auf die guten Autoren des Cinquecento ausweitet. Er unterhält einen literarischen Salon, den er dem Klassikerstudium vor dem 16. Jahrhundert widmet. Ausgeschlossen aus seinem Normkonzept bleiben sämtliche zeitgenössische Autoren, insbesondere die Franzosen, deren „verderblichem“ Einfluss er besonderen Kampf ansagt (etwa in den Regole elementari della lingua italiana von 1833). Im Unterschied zu Cesari vertritt auch er eine moderatere Auffassung und verzichtet auf bereits ungebräuchliche lexikalische Archaismen. Zu den treuen Anhängern Cesaris gehört auch der Lexikograph Giuseppe Manuzzi (1800−1876), der nach dem streng puristischen Prinzip auf der Grundlage des Akademiewörterbuchs 1833−1840 sein Vocabolario della lingua italiana herausgibt. Im Vorwort bringt er die puristische Idee auf folgende eindrückliche Formel: „[…] quell’aurea semplicità, quel candore schietto, quelle forme natie, quel finissimo gusto di favella, non di fuori portato, ma nato in casa, non si trovi fuori di quel beato e ricco secolo per la lingua del 1300“ (zitiert nach Vitale 1986: 384). 6.4.4 Die Reformierung des Sprachnormmodells durch Alessandro Manzoni Wie aus den bisherigen Darlegungen ersichtlich wird eine unità linguistica schon lange vor der unità politica angestrebt. Auch Napoleon schreibt unter seiner Herrschaft den Gebrauch des Italienischen vor, und bereits während des Risorgimento werden Minderheitensprachen wie etwa das Slowenische unterdrückt. Im Laufe der Zeit werden Sprache und Nation immer mehr gleichgesetzt. Als neuzeitlicher Begriff ist Nationalsprache eng mit der Vorstellung der Kulturnation verknüpft, die als sprachlich, kulturell und politisch einheit- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 153 15.08.11 15: 18 <?page no="166"?> 154 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 6.7 Alessandro Manzoni (1785-1873) Die Arbeit an I promessi sposi Die Entscheidung für das fiorentino vivo e colto liches Gebiet definiert wird. In Italien kann sich der Begriff ‘Nationalsprache’ bis zur politischen Einigung nur auf eine gemeinsame schriftsprachliche Tradition beziehen, denn obwohl die systematische Kodifikation einer einheitlichen und überregionalen Literatursprache in Europa im italophonen Sprachraum beginnt, kann sich das Italienische eben erst nach der Gründung eines Zentralstaats mit einer Hauptstadt als politischem Zentrum von der Schriftsprache einer Bildungselite (Literaten und Intellektuelle) zur voll funktionalen Nationalsprache entwickeln. Die erste italienische Regierung ergreift nach 1861 die Initiative für die Verbreitung und Durchsetzung eines Normmodells, das durch den gebürtigen Mailänder Alessandro Manzoni eine grundlegende Revision erfährt. Manzoni gehört zu den ersten Literaten, die nach einer sozial und politisch vertretbaren Lösung des Sprachproblems suchen. Sein lebhaftes Interesse an der Sprachfrage ist in Verbindung mit seiner eigenen dichterischen und schriftstellerischen Tätigkeit zu sehen. 1812 beginnt Manzoni die Arbeit an seinem Hauptwerk I promessi sposi, dessen Entstehungsprozess auf eindrückliche Weise das Dilemma illustriert, in dem sich der italienische Schriftsteller seiner Zeit befindet. In der ersten Fassung sucht er zunächst nach einer eklektischen Lösung und verwendet eine Mischsprache aus Lombardismen, florentinisch-toskanischen und französischen Elementen. Mit dem Ergebnis − einem „Konglomerat von Sätzen ohne eigene sprachliche Identität“ („composto indigesto di frasi un po’ lombarde, un po’ toscane, un po’ francesi, un po’ anche latine; di frasi che non appartengono a nessuna di queste categorie“) − gibt er sich nicht zufrieden. Vielmehr beginnt Manzoni nach einer „eigenen Sprache“ zu suchen, die im Unterschied zur „reinen Schriftsprache“ auch von der breiten Masse verstanden werden kann. Bereits vor Veröffentlichung der Endfassung zeichnet sich die Lösung ab, die er auch in seiner (allerdings erst viel später veröffentlichten) theoretischen Schrift Della lingua italiana erläutert. Es ist das zeitgenössische Florentinisch einer kultivierten Gesellschaftsschicht, das er bei einem Aufenthalt in Florenz 1827 eifrig studiert. Die Entscheidung für das Florentinische trifft er aus der Überzeugung heraus, dass es sich dabei aus kulturgeschichtlichen Gründen um die einzige realistische Möglichkeit handele, eine Sprachform in ganz Italien durchzusetzen: seiner Meinung nach ist das Toskanische der einzige Sprachtyp, der in den anderen Regionen akzeptiert werden könne. Manzonis Florentinisch ist dabei keineswegs identisch mit dem Modell der Puristen, denn er optiert für das gepflegte zeitgenössische Florentinisch, also ein fiorentino vivo e colto. Diese Wahl trifft er nicht aus der Überzeugung heraus, dass es sich dabei um einen „besseren“ Dialekt handele (wir etwa von Cesari postuliert). Diese Überzeugung illustriert auch der Umstand, dass Manzoni selbst Zeit seines Lebens in der familiären Umgangssprache dem Mailändischen treu geblieben ist. Zwischen 1824 und 1827 arbeitet Manzoni an der zweiten, toskanisierten Fassung seines Romans. Aufgrund der fehlenden florentinischen Sprachpraxis stützt er sich dabei auf Wörterbücher wie z. B. das Vocabolario milanese-italiano Reutner_Stb_sV-256_End.indd 154 15.08.11 15: 18 <?page no="167"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 155 Abb. 6.8 Titelseite der Ausgabe von 1840 von Cherubini (1814), die zeitgenössische Ausgabe des Vocabolario della Crusca und literarische (auch volkstümliche) Texte, die auch das gesprochene Florentinisch dokumentieren. Im Ergebnis erscheint 1827 die zweite Fassung (die sog. „ventisettana“) unter dem Titel Fermo e Lucia (das sind die ursprünglichen Namen der Hauptprotagonisten, zweier Vertreter des einfachen lombardischen Volks, deren problematischer Weg bis zur Hochzeit nachgezeichnet wird). Der Roman wird sofort zu einem großen Erfolg, aber Manzoni ist mit dem Ergebnis immer noch nicht zufrieden. Er reist 1827 nach Florenz, um vor Ort das „fiorentino delle persone colte“ zu studieren. Dieser Aufenthalt verhilft ihm zur Einsicht, dass sein Roman immer noch jede Menge archaischer und nicht toskanischer Elemente enthält, die in der täglichen Konversation der gebildeten Florentiner nicht vorkommen. Er schreibt seinen Roman also ein drittes Mal um und zwischen 1840 und 1842 erscheint dann die endgültige Fassung (die sog. „quarantana“) unter dem Titel I promessi sposi. Die sprachliche Charakteristik des Textes lässt sich in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen, die im Anschluss an Beispielen illustriert werden: 1) eine moderne Sprache, die von Archaismen befreit wurde; 2) ein mittlerer Stil, der auch als Umgangssprache geeignet ist; 3) eine in sich homogene Sprache, die frei von Mischformen ist. 1) „Una lingua moderna“ Die Umsetzung dieses Konzepts erfolgt v. a. durch den Ersatz lexikalischer Varianten und morphologischer Formen, die als typische, archaische Elemente der traditionellen Schriftsprache gelten und im zeitgenössischen Florentinisch nicht mehr verwendet werden. a) Ersatz archaischer lexikalischer Varianten [ η ] > [ndz] aggiugnere : aggiungere; piagnere : piangere Monophthongierung: [uo] > [o] giuoco : gioco; figliuolo : figliolo; spagnuolo : spagnolo; truova : trova [ie] > [i] brieve : breve Weitere Beispiele: dimandare > domandare; sclamare > esclamare; spediente > espediente; lione > leone; romore > rumore; paroco > parroco; publico > pubblico; sossopra > sottosopra b) Ersatz archaischer morphologischer Formen Vereinheitlichter Imperfekt 1. Prs. Sg.: aveva > avevo; faceva > facevo Andere vereinheitlichte Formen aus Verbalparadigmen: deggio > devo; stieno > stiano; fe’ > fece; Vergangenheitspartizipien: renduto > reso; rimaso > rimasto Weitere Beispiele: capegli > capelli; quegli > quello; nol > non lo. 2) „Uno stile medio“ Einen mittleren Stil, der auch als Umgangssprache geeignet ist, erreicht Manzoni durch a) den Gebrauch zahlreicher sprechsprachlicher Elemente, die ebenfalls typische literarische Formen ersetzen; Reutner_Stb_sV-256_End.indd 155 15.08.11 15: 18 <?page no="168"?> 156 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Verwendung von Subjektpronomina bei Manzoni Beispiele: anelito > respiro; arrestare > fermare; concedere > permettere; confabulare > chiacchierare; dinanzi a > davanti a; è d’uopo > bisogna; inchiesta > domanda; porre > mettere; rimanere > restare; intendere > sentire; venir meno > mancare; giustificazione > scusa; b) Korrekturen in der Morphosyntax, die Manzonis Sprache in die Nähe des mündlichen Sprachgebrauchs rücken; Beispiele: − Nachstellung des Determinans nach das Determinatum: a suo proprio conto > per conto suo; bugiarda strega > strega bugiarda; che così facesse > che facesse così; così essendo > essendo così; per così dire > per dir così; − keine anaphorische Wiederaufnahme des Subjektpronomens, wenn Person bereits bekannt bzw. sicher aus dem Kontext erschließbar: il Griso rispose ch’egli sperava di no: il Griso rispose che sperava di no; − lui, lei, loro anstelle von egli, ella, essi, esse v. a. in betonter Stellung: egli medesimo > lui stesso (diesen Gebrauch hatte Bembo bereits im 16. Jahrhundert auch an den Tre corone kritisiert); − Ersatz der Demonstrativa questi und quegli in Subjektfunktion durch questo und quello (obwohl auch in den Texten der Trecentisti häufig vertreten, bis zum 18. Jahrhundert von der normativen Grammatik als „errore“ abgelehnt). In den folgenden Textauszügen lässt sich erkennen, dass ella und lei auch als Anredeformen konkurrieren. Sie stehen als Pronomina ursprünglich für Vostra Signoria. Manzoni ersetzt ella systematisch durch lei in Subjektfunktion. Der Ersatz von deggio durch devo ist ein Beispiel für den Ausgleich von polymorphen Formen, d. h. eine Vereinheitlichung der Verbparadigmen, dort wo es polymorphe Formen ohne deutliche inhaltliche Varianz gibt. […] Ma, padre, ella non debbe stare in codesta positura.“ E, presolo per le braccia, lo sollevò. Fra Cristoforo, in piedi, ma col capo chino, rispose: „io posso dunque sperare ch’ella mi abbia accordato il suo perdono! E se l’ottengo da lei, da chi non deggio sperarlo? […].“ „Perdono“ disse il gentiluomo. „Ella non ne ha più bisogno. Ma pure, poiché ella lo desidera, certo, certo, io le perdono di cuore, […]. (Fermo e Lucia 1827) […] Ma, padre, lei non deve stare in codesta positura.“ E, presolo per le braccia, lo sollevò. Fra Cristoforo, in piedi, ma col capo chino, rispose: „io posso dunque sperare che lei m’abbia concesso il suo perdono! E se l’ottengo da lei, da chi non devo sperarlo? […].“ „Perdono“ disse il gentiluomo. „Lei non ne ha più bisogno. Ma pure, poiché lo desidera, certo, certo, io le perdono di cuore, […]. (Promessi sposi 1840) 3) „Un sistema omogeneo“ Um die Kompaktheit des Sprachsystems zu betonen, versucht Manzoni die Lexik systematisch zu „florentinisieren“. Dies geschieht durch den Ersatz von Lombardismen (parlar pulito > parlar bene; ragazza > tosa; pressa > fretta; venir giù > scendere; tor via > levare mo’ > ora) oder auch durch den Gebrauch von typischen Florentinismen (pranzo > desinare; cominciare > principiare; adesso > ora; guance > gote). Die überarbeitete Endfassung der Promessi sposi zeigt also gegenüber der Erstfassung zahlreiche Einflüsse der gehobenen Florentiner Umgangssprache. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 156 15.08.11 15: 18 <?page no="169"?> Kodif izierung und Verbreitung einer archaisierenden Norm 157 Eine Reihe dieser Formen sind allerdings Dialektismen geblieben und nicht in die italienische Gemeinsprache eingegangen (etwa avere a fare), mit anderen Entscheidungen hat er offensichtlich die zeitgenössische Gebrauchstendenz getroffen (Ersatz von egli durch lui). Im zeitlichen Umfeld seiner literarischen Tätigkeit bezieht Manzoni in weiteren Schriften theoretisch Stellung zu seinen Vorstellungen von einer modernisierten Nationalsprache. 1847 nimmt er die Veröffentlichung des Prontuario […] per saggio di un Vocabolario metodico della lingua italiana des piemontesischen Lexikologen Giacinto Carena zum Anlass, in einem öffentlichen Brief an den Autor seine Position im Sprachenstreit deutlich zu formulieren. Er bekennt sich zu der (mit seinen Worten) nicht „salonfähigen“ Meinung („scomunicata, derisa, compatita opinione“), dass die italienische Sprache von Florenz in ihrer Funktionalität dem Latein im alten Rom und dem Französischen in Paris gleichkäme („che la lingua italiana è in Firenze, come la lingua latina era in Roma, come la francese è in Parigi“). Die soziale Anbindung einer Sprache an eine aktive Sprechergemeinschaft ist für Manzoni das wichtigste Merkmal einer Gemeinsprache. Damit gibt er der italienischen Sprachenfrage eine neue, soziale Dimension, die für die weitere Sprachgeschichte tatsächlich einen besonderen Stellenwert bekommen sollte. Nach der nationalen Einigung wird Manzoni aktiv in die staatliche Sprachpolitik eingebunden und mit strategischen Aufgaben im neuen Staatsapparat betraut. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 157 15.08.11 15: 18 <?page no="170"?> Die italienische Sprachsituation um 1861 Die Sprache der Einheitspolitiker 7 „Fatta l’Italia, bisogna fare gli italiani“: Die italienische Sprache wird zur lingua nazionale 7.1 Sprachpolitik und Sprachkonzepte nach der Gründung des-Einheitsstaats Die endgültige Überwindung der politischen Zersplitterung und der Fremdherrschaft in Italien ebnet den Weg zu staatlichen Maßnahmen einer sprachlichen Einigung. Die großen sprachtheoretischen Debatten werden abgelöst durch eine gezielte Sprach- und Bildungspolitik zur Lösung der sprachlichen Probleme des jungen Einheitsstaates, ein Prozess, der allerdings lange andauern sollte. Wie weit Italien 1861 von dem Ideal einer wirklichen Nation noch entfernt war, macht der bis heute häufig zitierte Ausspruch des Schriftstellers, Patrioten und Einheitspolitikers Massimo d’Azeglio auf der Gründungssitzung des italienischen Parlaments 1861 deutlich: „Pur troppo s’è fatta l’Italia, ma non si sono fatti gli italiani“ (D’Azeglio 1867: 6−7). D’Azeglio bestätigt damit aus italienischer Sicht einen zum geflügelten Wort geronnenen Ausspruch Metternichs, der 1847 festgestellt hatte, dass Italien (wie im übrigen auch Deutschland) kein nationales, sondern nur ein geographisches Konzept sei („l’Italie est un nom géographique“). Sprachlich äußert sich diese Zersplitterung darin, dass zum Zeitpunkt der Proklamation des Königreichs lediglich 2,5 % der Bevölkerung das Italienische beherrschen. Diese 2,5 % setzen sich zu zwei Dritteln aus Toskanern zusammen und erfassen zudem mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch eine Reihe von sog. semianalfabeti, deren Kenntnisse bestenfalls zum Ausfüllen eines einfachen Formulars reichen. Auf 20 Mio. Italiener kommen 400.000-toskanische, 70.000 römische und 160.000 italofoni (oder besser: italografi) aus anderen Regionen (vgl. De Mauro/ Vedovelli 1999: 9). Zahlreich sind die überlieferten Belege dafür, dass selbst die „Väter“ des italienischen Einheitsstaates Schwierigkeiten mit der italienischen Sprache haben. Der erste italienische König, Vittorio Emanuele, verwendet selbst in Besprechungen mit seinen Ministern den piemontesischen Dialekt. Für Cavour, der ebenfalls den piemontesischen Dialekt und das Französische bevorzugt, ist das Italienische „una lingua di scuola, alla quale dovette faticosamente tornare negli anni della vita parlamentare“ (Romeo 1969: 205). Dem Bericht einer Zeitzeugin nach gibt es im Piemont drei „Nationalsprachen“ − das Französische, das Piemontesische und das Genuesische, von denen nur das Französische allen zugänglich ist. Für die Abgeordneten ist das Italienische eine „tote Sprache“, an deren mündlichen Gebrauch kaum jemand gewöhnt ist: Anche in Piemonte la differenza di lingua è la nostra grande difficoltà: le nostre tre lingue nazionali sono il francese, il piemontese e il genovese: di queste, solo il francese è inteso da tutti. […] Eccetto i Savoiardi, che qualche volta usano il francese, tutti i deputati parlano in Reutner_Stb_sV-256_End.indd 158 15.08.11 15: 18 <?page no="171"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 159 Die organisierte Verbreitung der „buona lingua“ und der „buona pronunzia“ Abb. 7.1 Giorgini/ Broglio Novo vocabolario della lingua italiana secondo l’uso di Firenze 1877-1897 italiano; ma questo è per loro una lingua morta, nella quale non sono nemmeno mai stati abituati a conversare. […] mai perciò essi possono adoperarlo con spirito, e neppure correntemente. Cavour è per natura un buon oratore, ma in italiano è impacciato. Vi accorgete che traduce; così Azeglio; così tutti. (Costanza Arconati, zitiert in Omodeo 1941: 178) Der Staat reagiert auf diese spezielle Sprachsituation mit einer recht energischen und breit angelegten Sprach- und Schulpolitik, in der auch Manzonis Sprachkonzeption eine Rolle spielen sollte. Verschiedene Institutionen und Kommissionen werden mit dem Entwurf von Programmen und Gesetzen beauftragt, deren Umsetzung allerdings auf eine Schulpraxis trifft, die den Anforderungen kaum entsprechen kann (vgl.- 7.2.1). Die Verbreitung des Italienischen ist an die Alphabetisierung geknüpft, die sich nur durch eine allgemein verbindliche Grundschule bewältigen lässt. Über eine sehr restriktive Sprachpolitik wird zunächst versucht, diesen Grundschulunterricht auf das Italienische umzustellen. Das Bildungsministerium erlässt zu diesem Zweck gleich 1861 (trotz anderer noch gültiger Gesetze) eine Verordnung über die Zwangsitalianisierung des Grundschulunterrichts (scuole elementari), der kein durchschlagender Erfolg beschieden ist. Im Januar 1868 setzt der Lombarde Emilio Broglio (von 1867 bis 1869 italienischer Erziehungsminister) Manzoni als Leiter einer Studienkommission ein, die den Auftrag erhält, einen Maßnahmenkatalog für die organisierte Verbreitung der „buona lingua“ und der „buona pronunzia“ in allen Schichten der Bevölkerung zu erarbeiten. Diese Kommission besteht aus einer mailändischen und einer florentinischen Sektion. Die mailändische Kommission schließt ihre Arbeit mit der von Manzoni verfassten programmatischen Schrift Dell’unità della lingua e dei mezzi di diffonderla (1868) zügig ab. Darin wird v. a. die Rolle von Grammatiken und Wörterbüchern als geeigneten Instrumenten zur Verbreitung des Italienischen hervorgehoben. Da die beiden Sektionen jedoch keine Einigung erzielen, zieht sich Manzoni noch im gleichen Jahr aus der Kommission zurück. Broglio verfolgte die anvisierten Ziele unbeirrt weiter und setzte eine weitere Kommission zur Erarbeitung eines Wörterbuchs zum Florentiner Sprachgebrauch ein, der er selbst vorsteht und der neben Manzonis Schwiegersohn, Giovan Battista Giorgini, auch Carlo Collodi angehört. Im Ergebnis entsteht 1877−1897 das vierbändige Novo vocabolario della lingua italiana secondo l’uso di Firenze. Ganz im Sinne des manzonianischen Sprachkonzepts erklärt Giorgini im Vorwort, dass die Wahl des Florentinischen gegenüber anderen Dialekten den Vorteil habe, dass dieses zum überwiegenden Teil bereits sprachliches Allgemeingut geworden und der Weg zur sprachlichen Einigung entsprechend kurz sei („[…] di questo Toscano vivente nove parti su dieci sono già di fatto lingua comune, sono nei libri e sulla bocca di tutte le persone culte d’Italia“). Manzonis Einfluss und die Orientierung an dem zeitgenössischen Florentiner Usus zeigt sich bereits in der Reduktion des Diphthongs <uo>zu <o> im Titel (novo). Manzoni hatte für diese Monophthongierung bereits einige Regeln formuliert (sie sollte erfolgen bei novo, bono, bei stammbetonten Verben wie movere sowie bei einzelnen Verbformen wie moio von morire, noto von nuotare), Reutner_Stb_sV-256_End.indd 159 15.08.11 15: 18 <?page no="172"?> 160 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 7.2 Graziadio Isaia Ascoli, Archivio Glottologico Italiano 1873 die sich aber im Endeffekt auf der lautlichen und graphischen Normebene nicht durchsetzen. Andere Florentiner Aussprachegewohnheiten (wie die sog. gorgia toscana, die zwar in einzelnen Schulgrammatiken Erwähnung findet, aber nicht zur Nachahmung empfohlen wird) lehnen die Autoren von vornherein ab. Ebenfalls kritisiert und nicht übernommen wird das Anfügen eines e-paragogica an-Wörter mit konsonantischer Endung etwa rosbif > rosbiffe oder Cavour > Cavourre. Auf Manzoni geht allerdings von nun an die relativ einheitliche Verwendung des i als Graphem zurück. Das j fällt zumindest als diakritisches Zeichen aus dem graphischen Gebrauch bis auf individuelle Lösungen heraus. Die Akzente zur Kennzeichnung offener und geschlossener Aussprache der Vokale und ebenso diakritische Zeichen für stimmhafte und stimmlose Aussprache von s und z (stimmhafte Variante mit Punkt über dem s oder z) werden von zahlreichen Lexikographen noch lange verwendet und bleiben als solche in dialektalen Transkriptionssystemen erhalten. Entsprechend sind dann die Wörterbücher der Folgezeit gestaltet, die sich nachdrücklich für die Tradition der phonologischen Orthographie aussprechen. 1861 erscheint der erste Band des Dizionario della lingua italiana von Niccolò Tommaseo und Bernardo Bellini, zwei Jahre später der erste Band der fünften Ausgabe des Vocabolario della Crusca (1863). Zur Regulierung verbliebener Unsicherheiten in Schreibung und Aussprache entstehen später eine Reihe von Traktaten, wie L’unità ortografica della lingua italiana von Giuseppe Rigutini (1885) oder die Ortoepia e ortografia italiana moderna von Giuseppe Malagoli (1912). Gabriele Goidànich gründet 1910 die Società ortografica italiana. Das Wörterbuchprojekt von Giorgini/ Broglio findet zahlreiche Kritiker. So wendet sich etwa Pietro Fanfani gegen die zu starke Betonung der Sprechsprache oder Luigi Gelmetti plädiert für die Modellfunktion der Sprache der Hauptstadt Rom. Der bedeutendste Kritiker ist aber zweifellos Graziadio Isaia Ascoli (1829−1907), der Begründer der italienischen Sprachwissenschaft und der Dialektologie. Ascoli nimmt die Form novo im Titel des Wörterbuchs von Giorgini/ Broglio zum Anlass für eine programmatische Auseinandersetzung mit Manzoni im Vorwort des ersten Bandes der von ihm begründeten Zeitschrift Archivio Glottologico Italiano (1873). Obwohl Ascoli Manzonis Rolle bei der Abschwächung des archaischen und rhetorisierenden Charakters der italienischen Schriftsprache durchaus anerkennt, formuliert er einige Kritikpunkte an dessen Sprachkonzept. Das Argument, Florenz solle (und könne) die gleiche Rolle als sprachliches Ausstrahlungszentrum spielen wie Paris in Frankreich, greife deshalb nicht, weil die französische Sprach- und Sozialgeschichte ganz anders verlaufen sei als die italienische und in Frankreich seit Ende des 15. Jahrhunderts ein geeinter Nationalstaat bestehe. Mit Italien eher vergleichbar sei die Entwicklung in Deutschland, wo die nationale Einigung ebenso spät erfolgt sei (1870); dort habe sich aber aufgrund von Faktoren, die in Italien fehlten (allgemeine Reutner_Stb_sV-256_End.indd 160 15.08.11 15: 18 <?page no="173"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 161 Der sprachliche Kompromiss Volksbildung, Protestantismus und sprachliches Modell der Lutherbibel) über einen natürlichen gesellschaftlichen Konsens und nicht per Dekret eine Nationalsprache bereits entwickeln können. Wenn man die Sprechsprache einer einzigen Stadt in der Toskana als Gemeinsprache propagiere, laufe man Gefahr, den Mythos von der Reinheit der klassischen Sprache (tersità classica) lediglich durch den neuen Mythos einer volkstümlichen Sprache (tersità popolana) zu ersetzen. Die italienische Sprachgeschichte hat Ascoli im zweiten Punkt Recht gegeben: die Durchsetzung einer nationalen Einheitssprache hat sich nicht durch die Wirkung von Grammatiken und Wörterbüchern, sondern aufgrund einer Reihe von gesellschaftlichen Veränderungen vollzogen (vgl. die weiteren Abschnitte dieses Kapitels). Ascolis Hinweis darauf, dass man gesprochene und geschriebene Sprache auseinander halten müsse, erweist sich im Lichte des heutigen Forschungsstandes als sehr weitsichtig. Ascoli schwächt seine Kritik später ab und schließt sich 1890 den Verfechtern des Toskanischen an. So endet diese zweite wichtige Phase in der Questione della lingua schließlich mit einem Kompromiss: das Florentinische sollte immer als Spiegel einer „italianità sincera e fresca“ und nie als „autorità assoluta“ fungieren; sprechsprachliche Ausdrücke dürften nicht die bereits im allgemeinen Usus etablierten literatursprachlichen Ausdrücke verdrängen, bestenfalls bei schwankendem Sprachgebrauch als Möglichkeit in Erwägung gezogen werden. [Il fiorentino] si dovrà perciò tener sempre come un vivo specchio d’italianità sincera e fresca, e solo non prenderlo a norma quante volte diverga dall’uso letterario, ove questo è saldamente stabilito; e prenderlo come un consigliero spesso prezioso, non come un’autorità assoluta, dovunque l’uso letterario ondeggi o manchi del tutto. (D’Ovidio 1982: 71, zitiert bei Serianni 1990: 55) Die praktische Umsetzung dieses Konzepts soll nun über ein wirkungsvolles Schulsystem v. a. im Grundschulbereich vollzogen werden. 7.2 Die Italianisierung der scuola postunitaria 7.2.1 Die Schulsituation nach der politischen Einigung Der Kampf gegen Analphabetentum und Dialektgebrauch spielt sich in erster Linie im Bereich der Grundschulausbildung ab, die in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich entwickelt ist. Allgemeine Bildungseinrichtungen gibt es zum Zeitpunkt der politischen Einigung lediglich in Piemont und in der Lombardei. Dort wird durch die Legge Casati von 1859 der allgemeine und kostenlose Schulbesuch eingeführt, nach der Gründung des einheitlichen Königreichs dann im ganzen Land. Ab 1877 gilt für Kinder von 6 bis 9 Jahren die allgemeine Schulpflicht, die zum Besuch der scuola elementare verpflichtet. Dennoch bleiben spürbare Erfolge lange Zeit aus, denn für die Durchsetzung einer allgemeinen Volksbildung bedarf es auch einer grundlegenden Revision Reutner_Stb_sV-256_End.indd 161 15.08.11 15: 18 <?page no="174"?> 162 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache der Mentalität der herrschenden gesellschaftlichen Klassen und Schichten und schließlich auch der Überwindung der sozialen Missstände, der verheerenden Armut großer Teile der Bevölkerung, also einer gründlichen Veränderung der sozialen Struktur der italienischen Gesellschaft. Die führenden gesellschaftlichen Schichten, katholischer Klerus, Adlige und das gehobene Bürgertum sind nicht an der Ausbildung der Volksmassen interessiert, so dass die wohlgemeinten patriotischen Maßnahmen kaum flächendeckend Resonanz finden. Hinzu kommt eine konstante Aversion gegen ein Florentinisch geprägtes Sprachmodell, für das sich durchaus nicht alle Vertreter der italienischen Bildungselite von Nord nach Süd erwärmen. So bleibt die Situation der Grundschulausbildung nach überlieferten Aussagen und statistischen Erhebungen in zahlreichen Regionen geradezu katastrophal. Viele Kinder besuchen überhaupt keine Schule, obwohl Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, mit Strafen rechnen müssen. Die Unregelmäßigkeit des Schulbesuchs hängt u. a. mit der industriellen Entwicklung zusammen, die im 19. Jahrhundert in starkem Maße auf Kinderarbeit rekurriert. Mit zwei bis drei, dann maximal fünf Jahren ist die Schulzeit insgesamt viel zu kurz, um stabile und dauerhafte Sprachkenntnisse aufzubauen. Hinzu kommt, dass selbst diejenigen, die eine Grundschulausbildung tatsächlich abschließen, außerhalb des schulischen Ambientes kaum noch Kontakt zum Italienischen haben, was bis zu einem späteren Rückfall in den Analphabetismus führen kann. Nur diejenigen, die auch die Sekundarschule erfolgreich absolvieren, erwerben dauerhafte Kenntnisse der italienischen Hochsprache, und das sind selbst in den Jahren nach der Einigung nur wenige Prozent. Zu dem ungünstigen sozialen Bedingungsgefüge treten andere Faktoren erschwerend hinzu. Die Mehrzahl der Unterrichtenden selbst ist schlecht oder gar nicht ausgebildet. Um als Lehrer zugelassen zu werden, reichen in einigen Regionen einfache Kenntnisse der italienischen Orthographie, in Sizilien ist man sogar autorisiert, wenn nötig, Analphabeten als Unterrichtende zuzulassen. Es liegen zahlreiche Berichte über den Zustand der Schulen in den einzelnen Regionen vor, aus denen sich immer wieder das gleiche Bild ergibt: in den Städten wird zumindest versucht, den Unterricht auf Italienisch abzuhalten, auf dem Land sind die wenigen Schulen hoffnungslos überfüllt, unregelmäßig geöffnet und die Lehrer unterrichten in ihrem Dialekt oder beschäftigen die Kinder nicht selten auf andere Weise. Ein Blick auf die statistische Entwicklung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt, dass der Anteil der Analphabeten bis 1911 zwar beträchtlich zurückgeht, aber immer noch hoch ist und ganz erhebliche regionale Unterschiede aufweist. Hinzu kommen deutliche Unterschiede in der Alphabetisierungsrate der beiden Geschlechter. In den südlichen Regionen Kalabrien und Basilikata liegt der Prozentsatz der weiblichen Analphabeten noch 1911 bei fast 80 %. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 162 15.08.11 15: 18 <?page no="175"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 163 Analphabetenrate in der Bevölkerung (in % der Einwohner über sechs Jahre) 1871 1911 Italia nordoccidentale 44 13 Italia nordorientale 67 29 Italia centrale 71 41 Italia meridionale 80 59 Italia insulare 85 58 (Angaben nach Vigo 1971: 137) Entwicklung der Alphabetisierung Analphabetenrate in der weiblichen Bevölkerung (%) (Einwohner über sechs Jahre) Jahr Regionen mit niedrigem Prozentsatz Regionen mit hohem Prozentsatz 1871 Piemonte 51 Basilicata, Calabria 95 1881 Piemonte 40 Basilicata, Calabria 93 1901 Piemonte 18 Calabria 79 1911 Piemonte 13 Calabria 78 (Angaben nach Vigo 1971: 153) Schulbesuch (in %) Schuljahre Gesamt männlich weiblich 1863−1864 43 47 39 1881−1882 57 60 55 1901−1902 64 66 62 (Angaben nach Vigo 1971: 177) 7.2.2 Sprachkonzeption und Sprache der Lehrmaterialien Die Situation der Lehrmaterialien für den Sprachunterricht sieht durchaus optimistischer aus. Die Schulen werden angewiesen, nur Lehrbücher in italienischer Sprache zu akzeptieren. Das Bildungsministerium läßt weitere Dialektwörterbücher als Verständnishilfe erarbeiten. Um zu verhindern, dass der Unterricht dann doch im Dialekt abgehalten wird, werden die Lehrer in Gebiete geschickt, in denen ihr Heimatdialekt nicht gesprochen wird. Die Grundlage für den elementaren Sprachunterricht bilden Schulgrammatiken, in denen das verbindliche Sprachmodell anhand von Regeln erklärt wird und Textbücher (libri di testo), in denen dieses Modell angewandt werden soll. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 163 15.08.11 15: 18 <?page no="176"?> 164 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Schulgrammatiken Die zahlreichen Sprachlehrbücher, die bis zur Jahrhundertwende für den Italienischunterricht verfasst werden, verdeutlichen ein großes Interesse für sprachliche Varianten und in dem Zusammenhang zunächst auch eine deutlich größere Toleranz als in der italienischen Grammatikographie bis dahin üblich. Die Auffassungen oszillieren zwischen dem sprachpuristischen Festhalten an der traditionellen literarischen Schriftnorm (Leopoldo Rodinò) über die Akzeptanz grundlegender syntaktischer, morphologischer und lexikalischer Merkmale des fiorentino vivo (Carlo Collodi) bis zur (freilich seltenen) Propagierung der typischen Aussprachegewohnheiten in der Florentinischen Sprechsprache (Temistocle Gradi). Der über die Grenzen Italiens hinaus berühmte Kinderbuchautor Carlo Collodi (literarisches Pseudonym nach seinem Heimatort in der Provinz Lucca), hat einige seiner Werke für didaktische Unterrichtszwecke konzipiert. Bekannt wurde er v. a. durch Le avventure di Pinocchio. Storia di un burratino (1883), das in unzähligen Auflagen bis heute erscheint und mehr als 200 Übersetzungen erfahren hat. Für den Schulunterricht konzipierte er die v. a. drei Bände aus der Reihe der Abenteuer seiner Figur Giannettino (1876−1890): Il viaggio per l’Italia di Giannettino, La geografia di Giannettino sowie La grammatica di Giannettino. In den Schullehrbüchern werden unterschiedliche sprachdidaktische Ansätze über verschiedene Textmuster umgesetzt: Erklärung sprachlicher Merkmale anhand von Beispielen in einem kurzen Prosatext, der mit einer Regel abschließt; Formulierung knapper, mit Beispielen illustrierter Regeln oder imaginäre Lehrer-Schüler-Dialoge (letztere erfreuen sich im 19. Jahrhundert besonderer Beliebtheit). Die Vielfalt der Lösungen soll anhand weniger prägnanter Beispiele vorgeführt werden. Die Auswahl dokumentiert Ergebnisse der zwei gründlichen Studien von Maria Catricalà über die italienischen Schulgrammatiken nach 1861 (vgl. Catricalà 1991 und 1995). Im späten 19. Jahrhundert stabilisieren sich die heutige Distribution der maskulinen Artikel und der Gebrauch von lo statt il nicht nur vor s impuro sondern auch vor z. Der folgende imaginäre Lehrer-Schüler-Dialog in der Grammatik von Giuseppe Raimondi (1874) versucht diese Regel über den harmonischen Klang zu begründen. Wie in anderen in Dialogform aufgebauten Grammatiken werden zur Simulation authentischer Kommunikation Merkmale gesprochener Sprache, Geosynonyme und Regionalismen eingebaut (hier: mo für ‘jetzt’ und das atonige Subjektpronomen la). Maestro: E sapete mo perché si deve dire i banchi e il libro e non il banchi e la libro? […] Lo sole, il scolaro, gli sarti: Ti pare di sentire con piacere tale lettura? Carlo: A me non piace. Maestro: La non ti piace e non ti piace e non sai dirmi la ragione. Io ti condurrò a scoprirla […] Abb. 7.3 Carlo Collodi Die italienischen Schulgrammatiken im 19. Jahrhundert Der Gebrauch des bestimmten Artikels Reutner_Stb_sV-256_End.indd 164 15.08.11 15: 18 <?page no="177"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 165 Die gorgia toscana (Il c aspirato alla fiorentina) Lui, lei, loro in Subjektposition Zu den markanten Aussprachegewohnheiten im Florentinischen gehört die Aspiration der stimmlosen Verschlusskonsonanten in intervokalischer Stellung z. B. [k] > [ ! , h], auch gorgia toscana bzw. fiorentina (vgl. auch 2.2.2) genannt. In der Schulgrammatik von Temistocle Gradi (1869) wird diese Aussprache wertungsneutral erklärt. Il suono lieve del c aspro e ch è simile a quello dell’h aspirata, come per esempio della latina nelle parole mihi nihil. E se noi diciamo questo cane della crusca il suono c non potrebbesi in altro modo rappresentare che scrivendo: questo hane della hrusca. Andere Autoren (so im folgenden Auszug aus der Grammatik von Collodi 1884) lehnen diese Aussprache als volkstümlich ab. Akzeptabel scheinen für den Autor demgegenüber lexikalische Toskanismen aus dem mündlichen Sprachgebrauch wie babbo zu sein. A proposito del c di suono duro devi sapere che i fiorentini (e fra i fiorentini ci sei anche tu) quando trovano il c duro preceduto da una vocale, lo pronunziano spesso e volentieri con un certo suono aperto e quasi aspirato, come se fosse una h; e dicono per esempio: È un magnifico havallo (invece di cavallo): sono andato alle Hascine (invece di Cascine): ho piantato un’ahacia (invece di acacia): mi pare una bella hosa (invece di cosa): è un guadagno sihuro (invece di sicuro), e via di questo passo. Bada, però, che questo modo di pronunziare il c aspirato alla fiorentina, sebbene si trovi registrato in qualche grammatica, non è nè bello nè regolare; e tutti quei fiorentini che si piccano si saper parlare e pronunziare con garbo, dicono e diranno sempre: È un magnifico cavallo: sono andato alle Cascine: ho piantato un’acacia: mi pare una bella cosa: è un guadagno sicuro. - Questo vizio di pronunziare il c apirato l’ho anch’io e il babbo mi sgrida sempre. - Il babbo fa bene a sgridarti, e tu farai benissimo a correggerti; perchè il c aspirato è forse uno dei difetti più antipatici della nostra parlata plebea. Die seit Bembo gültige Norm, lui, lei und loro nicht in Subjektposition zu verwenden, übernimmt Matteo Trenta in seiner Grammatik von 1864. Maestro: Quali sono gli altri errori intorno l’uso dei pronomi personali? Alunno: Si erra ponendo lui lei loro come soggetto: es. Lui fece, mentre deve dirsi egli fece. Dieser Regel folgen allerdings nicht mehr alle Grammatiken, sie wird häufig durch spezifischere, an Manzoni angelehnte Regeln ersetzt. Luigi Morandi, ein eifriger Befürworter Manzonis, stellt in seiner gemeinsam mit Giulio Cappuccini (1894) herausgegebenen Grammatik ein ausführliches Regelsystem auf, das anhand von Beispielen aus Texten Manzonis illustriert wird. 404. Lui e lei s’adoperano comunemente anche come soggetti, in luogo di egli ed ella: a) Quando si voglia richiamar l’attenzione più particolarmente sul soggetto: Lo crede lei. Me lo han detto lui e lei, iersera. Io non voglio? Non so se lei (vibrato) voglia. Se viene lui, vengo anch’io. Lui, paziente; lei, sempre bisbetica. Vorrebbe scrivermi? Lui venga qua, e parleremo. [Hervorh. i.O.] b) Dopo anche, tanto, quanto, più, nemmeno, e simili: […]; Son d’obbligo dopo come (nelle similitudini) e che: […] 405. Loro si usa spesso come soggetto, invece di essi, esse, nei casi del paragrafo precedente; sempre poi nelle locuzioni […] Reutner_Stb_sV-256_End.indd 165 15.08.11 15: 18 <?page no="178"?> 166 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Giosuè Carducci Die Entstehung einer prosa borghese 406. L’usar come soggetto lui, lei, loro, in tali casi, è comune alla conversazione civile di tutta l’Italia; l’usar invece il me e il te è rimasto dialettale, così in Toscana come nelle altre parti. Perciò, mentre sarebbe affettazione dire: Non pareva più egli, invece di lui; dire Non parevi più tu, è meglio assai che: Non parevi più te. […] Auffällig ist die allgemeine Tendenz, nach Autoritäten für sprachliche Gebrauchsnormen zu suchen, sei es in traditionellen oder neuen literarischen Vorbildern, sei es im Usus. Wo diese, wie etwa in der Aussprache, fehlen, greift man wieder auf traditionelle toskanische Lösungen zurück. Dieses dynamische Bild der Schulgrammatik ändert sich mit der Jahrhundertwende und führt im Zuge der Verbreitung des Sprachidealismus von Benedetto Croce zur Stagnation und einer Art „Rückfall“ in sprachpuristische Positionen, obwohl sich allmählich eine neue Norm etabliert. Textbücher und bürgerliche Prosa Abgesehen von rein sprachdidaktisch angelegten Texten tragen auch weitere schriftsprachliche Diskursbereiche zur Verbreitung des Italienischen und zur Festigung der schriftsprachlichen Kompetenz bei. Im Bereich der Textbücher bricht sich der Fortschritt allerdings nur langsam Bahn. Der „Bestseller“ unter den Textbüchern der Sekundarschule zwischen 1860−1880 sind die Fatti di Enea, eine Äneis-Übersetzung aus dem 14. Jahrhundert. Manzonis Promessi Sposi gelangen zusammen mit einer Übersetzung der Ilias von Vincenzo Monti erst 1880 durch Initiative von Giosuè Carducci auf den Lehrplan. Wie Monti in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, so trägt der italienische Nationaldichter Carducci (1906 Nobelpreis für Literatur) in der zweiten Jahrhunderthälfte wesentlich zur Modernisierung der italienischen Literatursprache bei. Ab 1870 entsteht allmählich eine bürgerliche Prosa (prosa borghese), die sich sowohl in ihrer relativen Homogenität (Ausdruck gleicher Ideen durch gleiche Worte) und auch in einer größeren Nähe zur gesprochenen Sprache von der traditionalistischen Prosa des frühen 19. Jahrhunderts abhebt. Bereits methodische Entscheidungen im Bereich der literarischen Übersetzung verdeutlichen eine gewisse Resonanz des Sprachmodells von Manzoni. So wird z. B. der Erfolgsroman des französischen Naturalisten Emile Zola L’Assommoir (Der Totschläger, Original 1877) gleich zweimal ins Italienische übersetzt: die 1879 erscheinende Übersetzung des Neapolitaners Emanuele Rocco steht noch voll in der traditionalistischen Tendenz (im Textauszug kursiv: literarischer Wortschatz etwa boccali, radunava, ove, ballonzolanti, urtar); demgegenüber entspricht die zweite italienische Übersetzung von 1880 des Toskaners Policarpo Petrocchi (der später als Autor eines Wörterbuchs und einer Grammatik bekannt wird) dem Modell einer von Archaismen freien, modernen Sprache mittleren Stils mit florentinischen Merkmalen, wie es von Manzoni postuliert worden war (im Textauszug fett): Wortschatz mittleren bzw. informellen Stils wie vasi, tirava, gran, dondolar, gomitate, stretta gola; Florentinismen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 166 15.08.11 15: 18 <?page no="179"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 167 Umsetzung des Manzonianischen Modells in der literarischen Übersetzung Edmondo De Amicis L’idioma gentile 1905 wie Gebrauch von Eigennamen mit finitem Artikel in La Gervasia bzw. in guazzo; temporale Relativkonstruktion mit che: nel tempo che; Nominalkonstruktion aus deverbalen Nomen mit Kopulaverb in c’era un affrettar di passi, un dondolar di braccia, un darsi delle gomitate). Emile Zola, L’Assommoir (Lo Scannatojo) 1877 E. Rocco 1879 P. Petrocchi 1980 Gervasia, sempre rispondendo con compiacenza, guardava attraverso i vetri, fra i boccali di frutte in acquavite, il movimento che era nella strada, ove l’ora della colazione radunava una calca straordinaria. Sui due marciapiedi, nel breve spazio che le case chiudevano in mezzo, vedevansi passi frettolosi, braccia ballonzolanti, un continuo urtar dei gomiti. La Gervasia nel tempo che rispondeva con compiacenza, guardava attraverso i vetri, tra i vasi di frutte in guazzo, il movimento della strada, dove l’ora della colazione tirava una gran calca di gente. Sopra i due marciapiedi, nella stretta gola di case, c’era un affrettar di passi, un dondolar di braccia, un darsi delle gomitate senza fine. Im Bereich der autochthonen italienischen Literatur verbindet eine Reihe von Schriftstellern die Umsetzung des manzonianischen Modells mit der Wahl von Themen, die das nationale Identitätsgefühl sensibilisieren sollen. Ähnlich wie Carlo Collodi engagiert sich auch Edmondo De Amicis (1846−1908) für die Festigung des italienischen Nationalgefühls und eine moderne italienische Einheitssprache. 1886 erscheint sein überaus erfolgreicher Jugendroman Cuore, der in den schulischen Textkanon aufgenommen wird und bis in die Gegenwart zur Grundschullektüre gehört. In seinem Buch L’idioma gentile (1905) betont De Amicis eindringlich die Rolle der Sprache für das nationale Selbstverständnis. Wissen (sapienza) und Schönheit (bellezza) stehen für stabile kulturelle Werte, die über die Sprache tradiert wurden und den Ruhm des Vaterlandes auch außerhalb der Grenzen Italiens gefestigt haben. Die italienische Sprache wird hier einerseits als Nationalsprache, andererseits als Teil des Weltkuturerbes für das kulturelle Gedächtnis der Italiener in geradezu pathetischer Weise auf bereitet. La lingua della patria. A un giovinetto Tu ami la lingua del tuo paese, non è vero? L’amiamo tutti. È inseparabilmente congiunto l’amore della nostra lingua col sentimento d’ammirazione e di gratitudine che ci lega ai nostri padri per il tesoro immenso di sapienza e di bellezza ch’essi diedero per mezzo di lei alla famiglia umana, e che è la gloria dell’Italia, l’onore del nostro nome nel mondo. Als Fazit kann schließlich festgestellt werden, dass die Einführung der Schulpflicht und die Bereitstellung von Lehrmaterial nicht hinreichend für die Beseitigung des Analphabetentums sind. Die Kluft zwischen der Elite, dem laizistischen Bürgertum und der katholischen Landbevölkerung, die noch keinen Zugang zur Bildung gefunden hat, bleibt bestehen. Es bedarf für die endgültige Durchsetzung der einheitlichen Nationalsprache einer tief greifenden Veränderung der gesamten sozialen und wirtschaftlichen Struktur des Landes. Diese vollzieht sich schließlich über drei Phänomene − die Industrialisierung, die Urbanisierung und die Migration. Begrenzte Wirkung der Schulpflicht Reutner_Stb_sV-256_End.indd 167 15.08.11 15: 18 <?page no="180"?> 168 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache 7.3 L’italiano parlato. Verbreitung und Ausbau des Italienischen in der mündlichen Kommunikation Die bisherige Darstellung rekurriert unbesehen auf die Geschichte der kodifizierten Standardsprache im Sinne einer Schrift- oder auch Literatursprache, die für das Konzept der Nationalsprache und die Ausbildung einer allgemeinen Sprachkultur in Italien ausschlaggebend und richtungsweisend ist. So fokussieren Grammatikographie, Lexikographie und der schulische Sprachunterricht traditionell immer auf Verstehens-, Lese- und Schreibkompetenzen. Davon ungeachtet wird Sprache natürlich nicht nur in der Schriftkommunikation verwendet. Die Entwicklung einer voll ausgebildeten Nationalsprache impliziert ebenso ihren Gebrauch in der mündlichen Kommunikation. 7.3.1 Historische Dimensionen des gesprochenen Italienisch Die Frage nach dem „Alter der gesprochenen Sprache“ hat in der Sprachwissenschaft keine lange Tradition. Zwar wird bereits mit Versuchen der Rekonstruktion des Vulgärlateins auf Sprechsprache rekurriert, aber erst ab den 1980er- Jahren setzen in der (deutschen) Romanistik systematische Untersuchungen zur Geschichte gesprochener Sprache (zunächst des Französischen) ein. Dieser Wandel basiert auf einer grundlegenden Neukonzeption des Verhältnisses von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, die sich nicht mehr nur über den alternativen Kanal Schrift/ Lautung (Graphie/ Phonie), sondern als eigene Varietätsdimension definiert. Seit der Einführung des Nähe-Distanzmodells wird das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit als ein Kontinuum von sprachlichen Realisierungen beschrieben, deren sprachliche Strategien durch einen Komplex von Kommunikationsbedingungen bedingt sind (vgl. Koch/ Oesterreicher 1990). Für die Beschreibung der historischen Dimension gesprochener Sprache ist dieser Ansatz entscheidend, weil sich diese eben in erster Linie nur über verschriftete Zeugnisse rekonstruieren lässt. In der bisherigen Sprachgeschichtsschreibung dominiert die Auffassung, dass im Sinne des Mottos, mit dem das vierte Kapitel unserer Sprachgeschichte eingeleitet wird („fatta l’Italia, bisogna fare gli italiani“), die Ausbreitung des gesprochenen Italienisch über die Toskana und Rom hinaus erst nach der Gründung des italienischen Zentralstaates 1861 erfolgt (vgl. Zitat). La nascita dell’italiano come lingua della maggioranza della popolazione cominciò più tardi: dopo che fu realizzata l’unità del paese, l’italiano finì di essere un privilegio dei Toscani e delle persone istruite, e cominciò ad affiancarsi ai dialetti, diventando gradatamente un patrimonio nazionale. (Bruni 1984: 133-134) Der folgende Überblick über die Ausbreitung des Italienischen in der mündlichen Kommunikation greift etwas weiter (vgl. auch den Periodisierungsansatz von Krefeld) und erfasst bereits den Zeitraum vor der politischen Einigung, in dem sich Vorstufen regionalitalienischer Varietäten herausbilden. Für die allmähliche Ausbreitung des Italienischen in der mündlichen Kommunikation sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei Phänomene Reutner_Stb_sV-256_End.indd 168 15.08.11 15: 18 <?page no="181"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 169 Charakter und Funktion der Dialektwörterbücher des 19. Jahrhunderts „… agevolare a noi Milanesi l’uso della toscana favella“ Cherubini 1814 Abb. 7.4 Frontispiz Vocabolario Bolognese 1820 bedeutsam: das Erscheinen zahlreicher Dialektwörterbücher und die Entstehung einer u. a. von Manzoni bezeugten „Zwischensprache“. Ein großflächiger Gebrauch des Italienischen als Umgangssprache ist in der Zeit des Risorgimento wohl mit Fug und Recht noch auszuschließen (was allein die verfügbaren statistischen Angaben zum Gebrauch von Italienisch und Dialekten in der italienischen Bevölkerung belegen, vgl. 7.1). Die Verbreitung des italienischen (toskanischen) Wortschatzes wird aber bereits vor der politischen Einigung mit großem Eifer über die systematische Kompilation von Dialektwörterbüchern in Angriff genommen (vgl. Lüdtke 1985). − Francesco Cherubini: Vocabolario milanese-toscano, 2 vol., Milano 1814 (die von Manzoni für die Überarbeitung der Promessi sposi benutzte 2. Auflage in 5-Bänden erscheint 1839−1853); − Casimiro Zalli: Dizionario piemontese italiano, latino e francese, Carmagnola 1815 ( 2 1830); − Giovan Battista Melchiori: Vocabolario bresciano-italiano, Brescia 1817−1820; − Claudio Ermanno Ferrari: Vocabolario bolognese, co’ sinonimi italiani e franzesi, Bologna 1820 ( 2 1835, 3 1853); − Giuseppe Boerio: Dizionario del dialetto veneziano, Venezia 1829 ( 2 1856, 3 1865); − Giovanni Casaccia: Dizionario genovese-italiano, Genova 1851 ( 2 1867) Dialektwörterbücher in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Auswahl nach Tagliavini 1973: 9) Tagliavini wertet diese Wörterbücher als Zeugnisse der beginnenden Erforschung der italienischen Dialekte, verkennt aber auch nicht, dass sie eigentlich ein ganz anderes Ziel verfolgen: es handelt sich eigentlich um sprachdidaktische Wörterbücher, die den Dialektsprechern das Erlernen der italienischen Sprache erleichtern sollen. Explizit formuliert Cherubini dieses Anliegen (Zitat 1): sein Wörterbuch diene nicht nur der Beschreibung des Mailänder Dialekts, vielmehr stelle er es seinen Mitbürgern zur Verfügung, damit diese auch in der Alltagskommunikation (über „materie famigliari o d’arti“) ein korrektes Italienisch im Sinne der „buona lingua“ (gemeint ist die „toscana favella“ im Unterschied zum Dialekt, „vernacolo linguaggio“) verwenden können. Auswahlkriterium der Lemmata ist der deutliche Unterschied zum toskanischen Wortschatz, der in knapper Form (Zitat 2) auch erklärt wird (etwa Tronchierung oder Modifikation von Lauten oder Silben wie trotta trottare, sbarleffià sberleffare, comodass accomodarsi, broccadin broccatino, dovè dovere). Aufgenommen werden zudem auch Wendungen und Sprichwörter, die von den toskanischen Entsprechungen deutlich abweichen 1) Ad essi [ai miei concittadini] propriamente è dedicata questa mia fatica, giacché non colla sola mira di giovare altrui nella conoscenza del nostro dialetto, ma con quella più particolarmente di agevolare a noi Milanesi l’uso della toscana favella I’ho io incontrata. Pochi, di fatto, si troverebbero fra noi che non sapessero ed esprimere e scrivere nel vernacolo linguaggio le cose più minute che negli usi della domestica vita s’affacciano; laddove non è raro il sentir taluno lagnarsi per non sapere qual vocabolo di buona lingua sostituire al vernacolo di cui debbe usare, e ben sovente, dopo vane consulte sui comuni dizionarj, finire con servirsi della parola appresa col latte, ingegnandosi di darle una certa tal quale Reutner_Stb_sV-256_End.indd 169 15.08.11 15: 18 <?page no="182"?> 170 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache desinenza per cui poterla pur battezzare italiana. A togliere ogni imbarazzo di tal sorta serve questo Vocabolario, nel quale cercando tu alfabeticamente la parola vernacola, ti si presenta la corrispondente toscana, e ti trae d’impiccio. 2) E prima di tutto dirò come non altre voci si troveranno registrate in questo Vocabolario se non se quelle che, o totalmente o in gran parte diverse dalle toscane, sono le ignorate dai più. […] vocaboli che o per semplice troncamento di sillabe o di qualche prima od ultima lettera, o per una leggiera trasposizione o prolungazione di lettere diversificano dalle voci di buona lingua italiana, come chi dicesse trotta trottare, sbarleffià sberleffare, comodass accomodarsi, broccadin broccatino, dovè dovere, ecc. (Cherubini 1814: VI-VIII) Aus der Verteilung der Wörterbücher geht eine deutliche Sonderstellung der oberitalienischen Dialekte hervor. Diese lässt sich aus einer insgesamt dynamischen wirtschaftlichen, demographischen und kulturellen Entwicklung des Nordens gegenüber anderen Regionen erklären, die auch ein größeres Bedürfnis am Gebrauch einer als Prestigesprache akzeptierten Modellnorm erzeugt. Für die Toskana bedarf es offensichtlich aufgrund der toskanischen Orientierung der „buona lingua“ keiner Dialektwörterbücher, im Süden werden lediglich für die Dialekte in den wirtschaftlichen und kulturellen Zentren, Neapel und Sizilien, Dialektwörterbücher erstellt. Diese Dynamik Oberitaliens zielt auch auf eine Erweiterung der traditionellen Bildungsschicht ab, denn aus den Vorworten der Wörterbücher geht hin und wieder auch hervor, dass sie sich auch an die weniger Gebildeten richten. Damit beginnt also bereits in dieser Phase der Sprachentwicklung die gezielte Erweiterung der sozialen Basis des Italienischen. Als Quelle für die Ausbreitung des Italienischen auch im Bereich der Mündlichkeit können die Dialektwörterbücher insofern dienen, als sich in ihnen erste Anzeichen einer Italianisierung der Dialekte manifestiert, die sich durch die große Zahl toskanischer Lehnwörter allmählich an das Italienische annähern. Man kann darin sicher eine erste Stufe der Ausweitung der Hochsprache auf den Bereich der Mündlichkeit sehen. 7.3.2 Gli italiani regionali. Die Regionalisierung der Dachsprache Die Dialektwörterbücher dokumentieren außerdem, dass bereits Vorläufer der heutigen italiani regionali entstanden sind. In der Sprachgeschichtsschreibung werden sie auch „Zwischensprachen“ genannt (vgl. Lüdtke 1985), da es sich offensichtlich um relativ produktive Realisierungen mit Merkmalen handelt, die zwischen Dialekt und Standardsprache anzusiedeln sind. Diese „Zwischensprache“ ist auch in einigen metasprachlichen Äußerungen dokumentiert. So verweist etwa Ilario Peschieri im Vorwort zu seinem Dizionario parmigiano-italiano 1828 auf ein solches „parlar proprio“, in dem er einen Ausdruck des Bemühens einer mittleren sozialen Schicht um einen besseren Sprachgebrauch und zudem eine soziale Schichtung der „regionalen Varietäten“ (eine Art „bürgerlichen Dialekt“) erkennen will (Zitat). Inoltre; non è forse tra noi, come io suppongo sarà in altre italiane città, diversità grandissima tra il dialetto della plebe e quello delle persone di medio stato? Le famiglie che si Reutner_Stb_sV-256_End.indd 170 15.08.11 15: 18 <?page no="183"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 171 piccano di civiltà non hanno per avventura un loro parlar proprio che non è nè dialetto né lingua? (Peschieri 1828: XIII) Die Entstehung von „Zwischensprachen“ wird auch von Manzoni bezeugt, der diejenige der lombardischen Städte als parlar finito bezeichnet: finito deshalb, weil Wörter, die im mailändischen Dialekt ihren Auslautvokal verloren haben, mit einem „toskanischen“ Auslaut versehen werden (Zitat aus seinem zu Lebzeiten nicht veröffentlichten Traktat Della lingua italiana). Voi conoscete sicuramente un’espressione che s’usa ancora qualche volta in Milano, e che, anni sono […] s’usava molto più: parlar finito. E voleva dire adoprar tutti i vocaboli italiani che si sapevano, o quelli che si credevano italiani, e al resto supplire come si poteva, e per lo più, s’intende, con vocaboli milanesi, cercando però di schivar quelli che anche ai milanesi sarebbero parsi troppo milanesi, e gli avrebbero fatti ridere; e dare al tutto insieme le desinenze della lingua italiana. (Manzoni 1974: 767) Nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht (1859 bzw. 1877) scheint diese Entwicklung sich zu forcieren, denn zu Beginn sind Lehrer und Schüler Dialektsprecher und setzen diese Sprachkompetenzen in der Verwendung der Standardsprache um, so dass die Mischformen zunächst dominieren (dazu explizit Bruni 1984: 147: „l’istruzione elementare contribuisce, piuttosto che ad una completa italianizzazione, alla quale del resto non si sarebbe in ogni caso arrivati di colpo, al potenziamento di quelle forme intermedie tra lingua e dialetto che già esistevano […] e che anche oggi conservano, in condizioni diverse, la loro importanza“). Die „Zwischensprache“ findet auch literarische Umsetzung, etwa bei den Veristen zur wirklichkeitsnahen Kennzeichnung der Protagonisten in ihrem realen Umfeld (vgl. Capuana, Verga). Durch diese „Regionalisierung der Dachsprache“ bilden sich allmählich die uns heute bekannten regionalen, sozialen und situativen Varietäten des Gegenwartsitalienisch heraus. Die Sprachenfrage bekommt damit eine neue Dimension, denn es geht nach der Fixierung von Literatur- und Nationalsprache um deren Durchsetzung in allen Regionen und allen sozialen Schichten (die Sprachgeschichtsschreibung unterscheidet diesbezüglich „horizontale“ und „vertikale“ Durchsetzung der Hochsprache, vgl. Krefeld 1988). Komplementär zur Regionalisierung der lingua nazionale erfolgt die bereits- erwähnte Italianisierung der Dialekte. Gaetano Berruto, der dieses Phänomen auführlich untersucht hat, unterscheidet diesbezüglich drei Erscheinungen: 1) eine soziale oder demographische Italianisierung, durch die wachsende Anzahl italienischer Muttersprachler; 2) eine situationelle (auch diaphasische) Italianisierung, durch die Tatsache, dass der Funktionsradius der Dialekte zugunsten des Italienischen beständig zunimmt; und schließlich 3) eine strukturelle oder innere Italianisierung, durch die Interferenz der Formen und Strukturen der Standardsprache und der Dialekte. Die Italianisierung der Dialekte Reutner_Stb_sV-256_End.indd 171 15.08.11 15: 18 <?page no="184"?> 172 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Industrialisierung, Urbanisierung und Migration als organisch verknüpfte Phänomene Ab der nationalen Einigung nehmen diese Erscheinungen systematisch zu (im Bereich des Wortschatzes setzen sie bereits vordem ein, wie die Dialektwörterbücher belegen). Einige Beispiele für die Italianisierung von traditionellen Bezeichnungen des Dialekts von Reggio Calabria (dialetto reggino) sind in der folgenden Tabelle angeführt (nach Bruni 1984). traditionelles Dialektwort italianisierte Variante kantunera (‘angolo’) kustumi (‘abito’) kustureri (‘sarto’) mukkaturi (‘fazzoletto’) naca (‘culla’) pirozzu (‘trottola’) angulu vestitu sartu fazzolettu kulla trottola Durch die Regionalisierung des Italienischen und die Italianisierung der Dialekte bildet sich das heutige Varietätengefüge heraus (vgl. 7.6.4). 7.4 Gesellschaftliche Veränderungen als Motor der Italianisierung 1861 ist Italien noch ein Agrarland mit einer kaum entwickelten Industrie. Mit der Gründung eines Einheitsstaates ergibt sich durch den Abbau der Zollbarrieren zwischen einzelnen Regionen erstmals die Möglichkeit einer industriellen Entwicklung, des Auf baus eines einheitlichen Kapital- und Arbeitskräftemarktes. Diese Industrialisierung vollzieht sich zunächst in ausgewählten und begrenzten Räumen, in denen ökonomische und menschliche Ressourcen konzentriert werden. Städtische Strukturen sind natürlich (v. a. in Norditalien) kein völlig neues Phänomen, neu sind allerdings die Dimensionen, die die Urbanisierung nach der politischen Einigung erreicht und die erst durch eine gigantische Migrationsbewegung von Süd nach Nord möglich werden. Durch Migration und Verstädterung werden einige traditionelle Strukturen der italienischen Gesellschaft endgültig erschüttert. Diese Veränderung hat nachhaltige sprachliche Folgen und bildet den eigentlichen Ausgangspunkt für den Rückgang des Dialektgebrauchs und die Verbreitung der italienischen Nationalsprache. Die postunitäre italienische Sprachgeschichte muss also in enger Verbindung mit der gesellschaftlichen Entwicklung mit all ihren Faktoren gesehen werden. 7.4.1 Sprachliche Auswirkungen von Binnenmigration und Emigration Wie in ganz Europa ist auch die demographische Entwicklung in Italien seit dem 18. Jahrhundert durch einen immer schnelleren Rhythmus gekennzeichnet. Sprachlich kommt es dabei zunächst zu einer deutlichen Distanzierung der gebildeten und wohlhabenden Schichten (die bereits vor der politischen Einigung den Einheitsgedanken auch sprachlich austragen) vom Rest der Bevölkerung. Eine Ausnahme bilden aus politischen Motiven heraus lediglich zwei Regionen, deren Identität sich weiterhin maßgeblich über den regiona- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 172 15.08.11 15: 18 <?page no="185"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 173 Migrationsbegriff und europäische Migrationsbewegungen Die italienische Migrationsbewegung Traditionelle und „neue“ Migrationsbewegung Erste Migrationsphase len Dialekt bzw. die Regionalsprache definiert: Südtirol (Deutsch) und Julisch- Venetien (Friaulisch). Von 188 Mio im Jahr 1800 verdoppelt sich die europäische Bevölkerung auf 398 Mio im Jahr 1900. Das italienische Bevölkerungswachstum vollzieht sich in etwas langsamerem Tempo von 18 Mio auf 32 Mio. Das steht v. a. in Zusammenhang mit der ausgeprägten Migrationsbewegung, die für die demographische Entwicklung des Landes negative Folgen hat, da sie sich zunächst v. a. auf das Ausland konzentriert. Weltweite Migrationsbewegungen sind eine Grunderfahrung der Geschichte der Neuzeit. Für Europa lassen sich drei Perioden des Migrationsgeschehens feststellen: von der frühen Neuzeit bis zum 18. Jahrhundert; vom 19. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und schließlich von den letzten Jahrzehnten bis in die Gegenwart. Ausschlaggebend für solche Wanderungsbewegungen waren und sind zumeist Kriege, Wohlstandsgefälle und ethnische Konflikte. Wichtig ist eine Zäsur, die zwischen erster und zweiter Periode entsteht, nämlich eine Änderung in der Bewertung der Einwanderer durch ihr neues soziales Umfeld. Mit der Entstehung von Nationalstaaten entwickelt sich eine neue Art der Abgrenzung: Durch die Definition von Staatsbürgern und nationalstaatlichen Territorien wird ein neues Modell des Fremden geschaffen, es entsteht das moderne Konzept des „Ausländers“ (vgl. Middell/ Midell 1998). Das betrifft nur eine Form der Migration, nämlich die Auswanderung (Emigration), die von der Binnenwanderung (Binnenmigration) zu unterscheiden ist. Die italienische Migrationsbewegung ab dem 19. Jahrhundert lässt sich zeitlich in drei spezifischere Phasen gliedern: 1) die Phase von der politischen Einigung bis zum Ersten Weltkrieg; 2) die Phase des Faschismus; 3) die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute. Die Migrationsbewegung betrifft in dieser Zeit in Italien nur die Migration von italienischen Staatsbürgern innerhalb des eigenen Landes oder nach außen, nicht ein Phänomen, das erst seit den 1990er Jahren die italienische Situation prägt, nämlich die Immigration von außen in das Land. Italien ist inzwischen selbst ein Einwanderungsland geworden und muss nun mit Migrationsproblemen aus einer anderen Perspektive umgehen lernen. Wir trennen die Phänomene auch terminologisch und sprechen diesbezüglich von der „nuova immigrazione“ oder den sog. „nuove minoranze“ (vgl. Bruni 2001). In der ersten Migrationsphase von der politischen Einigung bis zum Ersten Weltkrieg ist die Auswanderung vorherrschend; Italiener aus dem Norden emigrieren zunächst vorwiegend in nördliche Länder Europas, aus dem Süden vorwiegend nach Amerika. Der Höhepunkt der Emigration liegt zwischen 1900 und 1914: pro Jahr wandern oft mehr als eine halbe Million Italiener aus, im Jahre 1913 sind es 870.000. Im gleichen Zeitraum nimmt bereits durch Binnenmigration die Bevölkerung in den norditalienischen Städten stark zu. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 173 15.08.11 15: 18 <?page no="186"?> 174 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache In der zweiten Migrationsphase während der Zeit des Faschismus wird die Auswanderung ins Ausland durch Gesetze gebremst, und eine Welle von Italienern kommt aus den USA zurück. Auch der Zuzug in die Städte wird durch die Politik des Faschismus geringer. Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt im Zuge der dritten Migrationsphase die Auswanderung wieder stark zu, noch stärker aber die Binnenwanderung vom Süden in die großen Industriezentren des Nordens, Mailand, Turin und Genua. Es beginnt der sog. „esodo dalle campagne“. Erst in den 1970er Jahren geht durch die nationale und internationale wirtschaftliche Entwicklung die Migration spürbar zurück, in einigen Zentren übersteigt die Zahl der Rückkehrer sogar die der Abwanderer. Die statistischen Erhebungen ergeben im Zeitraum von 1861 bis 1985 insgesamt 29.063.000 Auswanderer, von denen 10.275.000 wieder eingebürgert werden (vgl. Tabelle der größten comunità di oriundi italiani in der Welt, Angaben nach www.cronologia.leonardo.it). Verteilung der italienischstämmigen Bevölkerung in der Welt Land Anzahl in Millionen (Anteil an Gesamtbevölkerung) Brasilien 25 (ca. 13−14 %) Argentinien 20 (ca. 50 %) USA 17,8 (ca. 6 %) Frankreich 4 (ca. 5−6 %) Kanada 1,5 (ca. 4,5 %) Uruguay 1,3 (ca. 40 %) Venezuela 0,9 (ca. 3 %) Australien 0,85 (ca. 4 %) Deutschland 0,65−0,7 (< 1 %) Schweiz 0,5−0,7 (ca. 8−9 %) Zweite Migrationsphase Dritte Migrationsphase Abb. 7.5 Italienische Emigration 1876-1915 nach Regionen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 174 15.08.11 15: 18 <?page no="187"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 175 Die sprachlichen Auswirkungen der Migrationsbewegung Emigration als die „maggiore amica dell’alfabeto“ Sprache Auswirkungen der Binnenmigration Kolonialpolitik und sprachliche Folgen Sprachliche Auswirkungen der Migration machen sich vor allem indirekt bemerkbar. Die Emigranten sind meist Personen aus sehr einfachen Verhältnissen und haben in der Regel ein niedriges Bildungsniveau, sie sprechen Dialekt. In den Einwanderungsländern wird die fehlende kommunikative Kompetenz sowohl bei der Arbeitsbeschaffung als auch im gesellschaftlichen Leben zum Problem, so dass sich allmählich (insbesondere für die zweite Generation) das Bedürnis nach höherer Bildung entwickelt, das sich zunehmend auch in der alten Heimat unter Freunden und Verwandten verbreitet. Dazu trägt maßgeblich eine Einreisebedingung bei, wie sie z. B. in den USA besteht: die Immigranten müssen Lesen und Schreiben können. Die Auswanderung bringt die Emigranten zudem mit Landsleuten aus anderen Regionen in Kontakt und fördert daher die Ausbreitung des Italienischen als gemeinsame Alltagssprache. Andererseits gibt es auch eine starke Tendenz, sich in der neuen Heimat wieder in ähnlicher Zusammensetzung anzusiedeln wie im Heimatland, ganze Dorfgemeinschaften werden rekonstruiert (etwa in Nordkalifornien Dorfgemeinschaften aus der Lucchesia oder in Neuseeland Immigranten der Äolischen Inseln). Die Emigration kann folglich mit Fug und Recht als die „maggiore amica dell’alfabeto“ bezeichnet werden. Wichtiger für die weitere Sprachgeschichte sind natürlich die sprachlichen Auswirkungen der Binnenmigration, die sich in zwei grundlegenden Formen vollzieht: als intraregionale Binnenwanderung vom Land bzw. aus den Bergregionen in die Kleinstädte und Provinzmetropolen und als interregionale Binnenwanderung: vor allem von Süd nach Nord. Vor dem Ersten Weltkrieg ist die Binnenmigration innerhalb der Regionen vorherrschend und führt allmählich zur Stärkung der urbanen Zentren in den Provinzen. Erst die intraregionale Migration hat aber dann zur Folge, dass sich hybride Sprachvarietäten festigen können, deren Entwicklung bereits seit der Jahrhundertwende beginnt. Durch die Abschwächung von ländlich lokalen Merkmalen entstehen städtische Dialekte (dialetti di tipo urbano) sowie Mischsprachen aus Italienisch und Dialekt (auch „Zwischensprachen“, vgl. 7.3.2). 7.4.2 Sprachliche Auswirkungen von Kolonialpolitik und Militärdienst Es gibt in dieser Zeit aber auch einen deutlichen Schub in der Italianisierung, der politisch motiviert und in Zusammenhang mit der sog. Ära Giolitti (1903−1914) zu sehen ist (diese verdankt ihren Namen Giovanni Giolitti, der 1903 von Vittorio Emanuele II. zum Ministerpräsidenten berufen wird und bis 1914 regiert). In dieser Zeit wird einerseits die Industrialisierung entschieden vorangetrieben und andererseits die italienische Kolonialpolitik forciert. In die Ära Giolitti fällt im Kontext des Ersten Weltkriegs auch die Einführung des obligatorischen Militärdienstes. Italien kann erst nach der politischen Einigung aktiv in die europäische Kolonialpolitik eingreifen, wobei es sich auf eine Expandierung in Ostafrika Reutner_Stb_sV-256_End.indd 175 15.08.11 15: 18 <?page no="188"?> 176 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 7.6 Die italienische Kolonialherrschaft 1914 Der Militärdienst als Stimulus für die Entwicklung eines italiano popolare unitario konzentriert. In Libyen ist es ab 1886 kolonialistisch engagiert und kann das Land schließlich ab 1911 etappenweise erobern. Der italienische Kolonialkrieg erstreckt sich weiterhin auf Eritrea und Somalia, die 1890 besetzt werden. Die Besetzung Äthiopiens umfasst nur den kurzen Zeitraum während des Ventennio fascista. Im Zuge der fascistizzazione ruft Mussolini 1936 das vereinigte „Italienische Ostafrika“ (Impero dell’Africa orientale italiana) aus. Das Italienische spielt in diesen Regionen bereits vordem als Handels- und Kanzleisprache eine gewisse Rolle (vgl. 9.1). Es soll nun systematisch verbreitet werden. Die erste Phase der Kolonialpolitik fällt mit der ersten großen Welle der Auslandsmigration zusammen. Natürlich hegt man die Hoffnung, die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes im Zuge der kolonialen Eroberungen gewissermaßen „innerhalb der Grenzen des eigenen Landes“ zu befriedigen. Kolonialbesitz wird zudem nicht nur mit politischem und wirtschaftlichem, sondern auch sprachlichem Prestige der Kolonisatoren assoziiert. Die italienische Präsenz in den genannten Ländern fördert die Verbreitung der italienischen Sprache bei der einheimischen Bevölkerung, was durch eine intensive koloniale Schulpolitik abgesichert werden soll. Bereits ab 1880 werden in Libyen italienische Sprachschulen errichtet, so dass die Sprache zu Beginn des 20.-Jahrhunderts bereits einigermaßen verbreitet war. Ein spezieller Bildungsplan tritt 1937 mit der Gründung von 37 Schulen und der Entsendung von 71-italienischen Lehrern für Eritrea in Kraft. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Italien alle Kolonien verloren, 1950 erhält es für weitere zehn Jahre die Verwaltungshoheit über Somalia. Nach der Unabhängigkeit 1960 bleibt Somalia auch das Land mit der auffälligsten sprachlichen Präsenz Italiens im afrikanischen Raum. Die 1954 gegründete Universität Mogadischu behält bis in die 1970er Jahre das Italienische als Verkehrssprache bei. Als 1972 das Somali zur offiziellen Staatssprache erklärt wird, geht der sprachliche Einfluss des Italienischen allmählich zurück. Der Militärdienst im Rahmen des Ersten Weltkrieg (im Italienischen La Grande guerra) spielt nachweislich eine entscheidende Rolle für die Italianisierung. Hier treffen erstmals männliche Vertreter der Bevölkerung aus allen Regionen Italiens aufeinander, deren regionale bzw. lokale Dialekte aufgrund Reutner_Stb_sV-256_End.indd 176 15.08.11 15: 18 <?page no="189"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 177 ihres eingeschränkten Kommunikationsradius zwangsläufig durch die italienische Gemeinsprache ersetzt werden müssen. Das Italienisch, dessen man sich in dieser Situation bedient, lässt sich recht gut aus Liedertexten (canzoni di protesta), Tagebüchern und Briefen, die von der Front oder aus der Kriegsgefangenschaft versandt werden, rekonstruieren. Interessanterweise schreiben die Soldaten auch an ihre Familien in dieser Sprache, die typische Elemente eines italiano popolare unitario aufweist. Die Abweichungen von der Normsprache betreffen erstaunlicherweise weniger die grundlegenden grammatischen Aspekte, sondern in erster Linie die Wahl der lexikalischen Mittel und die Orthographie. Zwei größere Briefsammlungen, die von Leo Spitzer (1921) und Adolfo Omodeo (1963) auf bereitet wurden, liefern wertvolle sprachliche Belege für diese Entwicklung. Im folgenden Brief aus der Sammlung von Spitzer schreibt ein palermitanischer Kriegsgefangener an seine Ehefrau in einem Italienisch, das syntaktisch und orthographisch Merkmale eines mündlich konzipierten Textes aufweist, wobei der Schreiber ohne wirkliche Planung die Informationen in einer hypotaktischen Satzkonstruktion anordnet: Mehrfachfunktion und Häufung von che (che polivalente), Simulation der Lautung einschließlich Kontraktionsformen in der Redekette (<tio>, <ai>, <me dispiace>), keine durchgängige Interpunktion und Akzentsetzung, Genusfehler <il cartolino>. Carissima mogli, tio risposto con il cartolino che mi faceva sapere che grazie a Dio ai avuto una bambina mi sono rallegrato tanto che tu non puoi immaginare con quale pensiero io stavo, poi sono più rallegrato, nell sentire che e femmina che me dispiace che ci sono io uomo che si fossero cosi che si potessero cambiare mi cambierei per tutto il tempo della mia vita per non sentire uomini. (Lettera di un palermitano da Mauthausen, in: Spitzer 1976: 115) Wenn auch nach dem Ersten Weltkrieg die Kenntnis des Italienischen in weiten Kreisen der Bevölkerung zugenommen hat, so bleiben die Dialekte doch weiterhin die dominierende Alltagssprache, so dass es zu einer ausgeprägten Diglossiesituation kommt, die sich in der regelmäßigen Verwendung mehrerer Register manifestiert. Das sprachliche Repertoire umfasst häufig Dialekt, Stadtdialekt, Regionalitalienisch und Standarditalienisch. Erst die dauerhaftere interregionale Migration nach dem Zweiten Weltkrieg führt letztendlich zur Italianisierung. Diese vollzieht sich nachweislich oft über eine Zwischenstufe von zehn bis zwölf Jahren, in welcher zunächst der Lokaldialekt des Einwanderungsortes erlernt wird. Interessant sind dabei Unterschiede, die sich in Abhängigkeit von der geographischen Herkunft der Sprecher manifestieren (vorliegende Analysen belegen z. B. eine schnellere Progression bei sardischen Einwanderern als bei Immigranten aus Kampanien). Merkmale eines italiano popolare in Kriegsgefangenenbriefen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 177 15.08.11 15: 18 <?page no="190"?> 178 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Die Bildungsreform von Giovanni Gentile 7.5 Die Sprachpolitik im Ventennio fascista und ihre Folgen Italien soll unter der faschistischen Regierung von Benito Mussolini, der 1922 zum Ministerpräsidenten ernannt wird, zu einem autarken (also wirtschaftlich unabhängigen, sich selbst versorgenden) und einheitlichen Staat nach „Vorbild des antiken römischen Weltreichs“ wachsen und als solcher auch nach außen sichtbar werden. Im politisch-ideologischen Kontext des Ventennio fascista bekommt die Nationalsprache eine entscheidende politische Funktion und die sprachliche unità bildet ein Hauptanliegen faschistischer Sprach-, Bildungs- und Medienpolitik. Um dieses Ziel zu erreichen, werden zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, die unterschiedlich zu bewerten sind und sich auch unterschiedlich auf die weitere Sprachentwicklung auswirken. Man kann jedenfalls die Periode des Faschismus nicht schlechthin auf ein bloßes „Zwischenspiel“ in der italienischen Sprachgeschichte reduzieren. Es gilt vielmehr, die von italienischen Intellektuellen (und auch Sprachwissenschaftlern) vornehmlich in der Anfangsphase der faschistischen Ära geprägten Aktivitäten von den radikalen sprachpolitischen Maßnahmen zu unterscheiden, die das Regime ab den 1930er Jahren beschließt und deren Wirkung zum großen Teil in der Nachkriegszeit wieder verblasst. 7.5.1 Die Sprach- und Bildungspolitik in der Anfangsphase In den ersten Bereich gehören zwei Initiativen, die durchaus positiv zu bewerten sind. Zum einen wird ein umfassendes Programm zur Gründung von Abendschulen für erwachsene Analphabeten (Opera contro l’analfabetismo) lanciert. Zum anderen geht man daran, das Volksschulwesen gründlich zu reformieren. Für eine solche Reform ist ein totalitärer Staatsapparat zunächst durchaus von Vorteil, da er die strikte Durchsetzung grundlegender Neuerungen ermöglicht. Den Faschisten, die kein eigenes Bildungsprogramm haben, bietet die Zusammenarbeit mit den Intellektuellen zunächst die Möglichkeit einer kulturellen Legitimation. Federführend für die Schulreform ist Giovanni Gentile, dessen schulpädagogisches Engagement bis in die Ära Giolitti zurückreicht und der sich unmittelbar zum Zeitpunkt der Machtergreifung durch Mussolini diesem als Bildungsminister anbietet. Dank eines auf ein Jahr befristeten Ermächtigungsgesetzes kann Gentile seine Reform 1923 binnen eines Jahres umsetzen und die Schulverwaltung neu organisieren, die Schultypen und Ausbildungsgänge neu ordnen sowie die Lehrpläne, -methoden und -inhalte neu gestalten. Der Einfluss der Reformpädagogik, die für die Volksschule einen lebensnahen, fröhlichen Unterricht (scuola serena) vorsieht, zeigt sich auch in der Konzeption des Italienischunterrichts, der dialektale Eigenarten zunächst nicht einfach unterdrückt, sondern als Bezugspunkt für die Hochsprache und Grundlage einer „lebendigen“ Grammatik nutzen soll. Der didaktische Ansatz lautet „vom Reutner_Stb_sV-256_End.indd 178 15.08.11 15: 18 <?page no="191"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 179 „Vom Dialekt zur Hochsprache“ Dialekt zur Hochsprache“ und stützt sich u. a. auf das sprachpädagogische Programm Manzonis. In den Volksschuljahren soll die sprachliche Erziehung hauptsächlich über den konstanten und systematischen Vergleich von muttersprachlichem Dialekt und Standardsprache laufen. Integrativer Bestandteil des Sprachunterrichts in den ersten drei Jahren sind deshalb Übersetzungsübungen aus dem Dialekt ins Italienische. Die Grammatikvermittlung erfolgt auf induktivem Weg, also von der praktischen Anwendung zur theoretischen Abstraktion in einer späteren Phase. Als Lehrmaterial dienen verschiedene Typen von Lehrbüchern: − Textbücher mit den für die Übersetzung vorgesehenen dialektalen Texten und mit Informationen über Kultur und Sprache der jeweiligen Region; − zweisprachige Vokabularien für den Schulgebrauch; − Grammatikbücher zum systematischen Vergleich von Dialekt und Italienisch. Die Namen einiger Autoren der Lehrbuchreihe Dal dialetto alla lingua sind demjenigen, der sich mit der jüngeren Geschichte der italienischen Sprachwissenschaft beschäftigt, gut bekannt. Zu ihnen gehören z. B. die bekannten Sprachhistoriker Carlo Tagliavini mit den Esercizi di traduzione dai dialetti dell’Emilia (bolognese) (1924), Benvenuto Terracini mit den Esercizi di traduzione dai dialetti del Piemonte (1924) sowie Bruno Migliorini mit den Esercizi di traduzione dai dialetti delle Venezie (1925). Die Dialekte werden somit in dieser Phase als kulturell durchaus wertvolle Sprachsysteme anerkannt, problematisch ist allerdings die Dokumentation derjenigen Dialekte, die nicht über eine eigene Schrifttradition verfügen und für die folglich auch keine Transkriptionskonventionen existieren. Dass diese Methode letztendlich scheitert, ist der Radikalisierung der faschistischen Sprachpolitik zuzuschreiben, die sich ab den 1930er Jahren zunehmend gegen die Dialekte richtet. Es liegt in der Logik einer Ideologie, die auf einem autarken Nationalismus gründet, dessen zentrales Etikett eine einzige und einheitliche Sprache ist, dass die Sprachpolitik des Regimes sich letztendlich auf die autoritäre Durchsetzung der Nationalsprache und komplementär auf die Verdrängung von Dialekten, Minderheitensprachen und fremdsprachlichen Einflüssen aus dem öffentlichen Leben richtet. 7.5.2 Die Unterdrückung der Dialekte und Minderheitensprachen In den Reihen der eifrigen Manzoni-Anhänger gibt es von Anfang an auch heftige Kritik am weiteren Gebrauch der einzelnen Dialekte (der „malerba dialettale“ mit den Worten von Mastri 1903). So widmet auch De Amicis zahlreiche Seiten seines Idioma gentile dem Kampf gegen den Dialektgebrauch. Diese Aversion gegen die Dialekte findet einen Nährboden in der faschistischen Ideologie, als die Sprachpolitik ab den 1930er Jahren in eine radikalere Phase eintritt. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 179 15.08.11 15: 18 <?page no="192"?> 180 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Verbot von dialektalem Schrifttum Verdrängung von Minderheitensprachen Die Italianisierung der Orts- und Flurnamen in Südtirol (Alto Adige) 1931 erhält die Presse die erste ausdrückliche Anweisung, die Veröffentlichung jeglichen dialektalen Schrifttums zu unterlassen. Darin inbegriffen ist auch das volkstümliche Dialekttheater (teatro vernacolo), das sich großer Beliebtheit erfreut. 1938 wird den Zeitungen die Beschäftigung mit Dialekten dann grundsätzlich untersagt. Dialekte werden von nun an als „Überreste der Vergangenheit“ gebrandmarkt, die der moralischen und politischen Doktrin des Faschismus zuwider laufen und Dialektsprecher werden fortan sozial und kulturell diskriminiert. 1934 werden die Dialekte dann auch definitiv aus den Schulprogrammen ausgeschlossen. Damit gräbt sich das faschistische Regime eine wichtige Möglichkeit der systematischen Spracherziehung selbst ab. Als ganz ähnlich kontraproduktiv, nicht nur für die einheitliche Nationalsprache, sondern ebenso für die wirtschaftliche Konsolidierung des Landes, erweist sich ein weiteres Grundprinzip faschistischer Politik. Die einheitliche Verwaltungssprache, die allgemeine Wehrpflicht und die Schulpflicht fördern die Verbreitung der Nationalsprache, die faschistische Agrarpolitik läuft dem eher dagegen. Die großzügige Unterstützung der Landwirtschaft steht in Zusammenhang mit dem Streben nach wirtschaftlicher Autarkie, die letztlich nichts anderes als eine Reaktion auf Wirtschaftssanktionen von außen ist. Das hat allerdings zur Folge, dass sich die innere Migration vom Land in die Städte deutlich reduziert und der Urbanisierungsprozess verlangsamt. Die Landbevölkerung ist nicht mehr gezwungen sich zu integrieren und ein zumindest regional einheitliches Italienisch zu praktizieren. Die sich dadurch stabilisierende sprachliche Kluft zwischen „mondo agricolo“ und „mondo industriale“ kann sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich auflösen. Wie die Dialekte sind auch Minderheitensprachen als „Einschnitt in die nationale Einheit“ radikalen Verdrängungsmaßnahmen unterworfen. Die Bekämpfung der Minderheitensprachen richtet sich insbesondere gegen die neueren, nach dem Ersten Weltkrieg erworbenen Provinzen Südtirol und Julisch- Venetien und deren deutschsprachige, ladinische und slawische Bevölkerung. Obwohl sich die italienische Sprache v. a. über ständig wachsende Industriezentren wie Bozen oder Trient gut verbreitet, geht die Regierung radikal gegen diesen „fremdländischen Einfluss“ vor. Die Italianisierungskampagne betrifft Südtirol, Istrien, Teile der historischen Region Dalmatien und das Aostatal und soll zur sprachlichen und kulturellen Unterwerfung der nicht-italienischen Bevölkerungsmehrheit führen. Geistiger Vater und treibende Kraft bei der Umsetzung der Italianisierung ist der Geograph und Philologe Ettore Tolomei (1865−1952), der bereits seit 1906 umfangreiche Sammlungen italienischer Ortsnamen als Ersatz für die deutschen Toponyme in Südtirol anfertigt und 1916 (ein Jahr nach Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg) eine Kommission zur systematischen Übersetzung aller Ortsnamen des „zu erobernden Gebietes“ einsetzt. Im Ergebnis erscheint 1916 der Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige (veröffentlicht von der Reale Società Geografica Italiana). Dieser wird nun zum Italianisierungsinstrument faschistischer Politik und bildet bis heute die Grundlage der amtlichen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 180 15.08.11 15: 18 <?page no="193"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 181 Die aktuelle Sprachsituation in Südtirol Abb. 7.7 Zweisprachiges Ortsschild in Südtirol Orts- und Flurnamen in Südtirol. Dabei handelt es sich vielfach nicht um historisch gewachsene, sondern neu übersetzte bzw. frei erfundene Namen, mit denen der „uritalienische Charakter Südtirols“ suggeriert werden soll. Verfahren der Italianisierung von Toponymen in Südtirol − Verwendung bereits vorhandener italienischer Ortsnamen, z. B. Bozen − Bolzano, Meran − Merano; − Wiederbeleben der Namen alter Römersiedlungen, z. B. Vipiteno für Sterzing nach Vipitenum; − Phonetisch-morphologische Adaption durch Anfügen einer italienischen Endung, z. B. Brennero für Brenner, Moso für Moos; − Wörtliche Übersetzung: z. B. Lago Verde für Grünsee; − Metonymie: Name des Kirchenpatrons > Ortsname, z. B. San Candido für Innichen − Geograpische Beschreibung, z. B. Colle Isarco (Hügel am Eisack) für Gossensaß aber: Alto Adige, die italienische Bezeichnung für das Etschtal, geht nicht auf Tolomei zurück sondern auf die Departementsbezeichnung Haut Adige aus der napoleonischen Besatzungszeit. Verfahren der Italianisierung deutscher Toponyme Das Beispiel Südtirol ist ein Beleg für die realpolitische Wirkung von Sprachpolitik, denn die von Tolomei beigebrachten Karten mit den italienischen Toponymen tragen offensichtlich maßgeblich dazu bei, dass Südtirol von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg Italien zugeschlagen wird. Die ursprünglichen Orts- und Flurnamen werden erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder eingeführt, haben jedoch bis heute nicht den rechtlichen Status der italienischen Übersetzungen. Auf den Ortstafeln überwiegend deutschsprachiger Orte werden sie nach dem italienischen Toponym angeführt. Insgesamt wird ein umfassender Maßnahmenkatalog zur Verdrängung der deutschen Sprache aus dem Alltag durchgesetzt, was letztendlich zwar nicht zur vollständigen Assimilation der Südtiroler, wohl aber zur Dezimierung einiger Sprachinseln führt. Weitere Versuche der Italianisierung Südtirols, etwa die Ansiedlung von ca. 56.000 Italienern im Gebiet um Bozen oder die planmäßige Auswanderung der Südtiroler und der Zimbern, scheitern ebenso. Heute sind alle Ortsnamen zweisprachig ausgezeichnet, wobei allerdings weiterhin ausschließlich die (in vielen Fällen erfundenen) italienischen Ortsnamen amtlich sind und die deutschen nur geduldet werden (auch wenn die deutschen Namen auf neueren Schildern in der Regel zuerst genannt werden). Alle offiziellen Dokumente werden ebenfalls zweisprachig ausgestellt. Viele in Südtirol ansässige Italiener beherrschen die deutsche Sprache mittlerweile, wenn auch mitunter mangelhaft. Die deutsche Sprachgruppe wächst seit den 1960er Jahren wieder kontinuierlich. Bei der Volkszählung im Jahr 2001 geben wieder 69,4% der Einwohner Südtirols Deutsch als Muttersprache an. Es kristallisiert sich zunehmend ein Reutner_Stb_sV-256_End.indd 181 15.08.11 15: 18 <?page no="194"?> 182 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Friaul/ Julisch Venetien Aostatal Abgrenzung vom neopurismo des 20. Jahrhunderts friedliches Nebeneinander der Sprachgruppen heraus − ein echtes Miteinander ist es nicht. Die Trennung zwischen Italienisch- und Deutschsprachigen wird vor allem durch das getrennte Schulsystem, aber auch durch die Konzentration der Italiener auf die größeren Ortschaften gefördert. Einer ähnlichen Zwangsitalianisierung sind insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren die kroatische und slowenische Bevölkerung in Friaul, Julisch Venetien, Teilen Dalmatiens, Istrien und Rijeka ausgesetzt. Im Zuge der „istrischen Italianisierung“ wandern viele Slowenen und Kroaten nach Jugoslawien aus, umgekehrt werden italienischsprachige Bewohner Dalmatiens zur Auswanderung nach Italien ermuntert, um den italienischen Bevölkerungsanteil in Istrien zu heben. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliert Italien einen Großteil dieser Gebiete wieder. Das Experiment der Alliierten, auf einem Teil des Territoriums einen multiethnischen Freistaat aufzubauen (Territorio libero di Trieste) scheitert: die Stadt Triest kommt 1954 zu Italien und fast ganz Istrien zu Jugoslawien (heute: Slowenien und Kroatien). Die Wanderbewegung, die darauf hin wieder in beide Richtungen einsetzt, hinterlässt weitgehend ethnisch homogene Gebiete mit nur mehr kleinen Sprachminderheiten. Friaul/ Julisch Venetien erhält später den Status einer autonomen Region, und die sprachlichen Minderheiten sind heute beiderseits der Grenze grundsätzlich geschützt. Im französischsprachigen Aostatal werden unter dem Faschismus die nichtitalienischen Schulen geschlossen, der Unterricht auf Französisch untersagt, frankophone Zeitungen verboten, alle Ortsnamen italianisiert (nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings in der ursprünglichen Version wieder eingeführt) und das Italienische zur einzigen Gerichtssprache erklärt. Die italienische Sprache kann sich dort allerdings weitgehend durchsetzen (71,5 % der Bewohner des Aostatals geben heute Italienisch als ihre Muttersprache an). Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung (16,2 %) erklärt das Frankoprovenzalische zur Muttersprache, Französisch ist dagegen heute nur noch Muttersprache von nicht einmal einem Prozent der Bevölkerung. 7.5.3 Xenophobie und sprachlicher Fremdpurismus Eine weitere Stoßrichtung der faschistischen Sprachpolitik richtete sich gegen Fremdwörter, v. a. gegen Einflüsse aus England und Frankreich. Dieser sprachpolitische Feldzug ist integrativer Bestandteil einer immer stärker auf keimenden Xenophobie, die in erster Linie politisch bzw. wirtschaftlich motiviert ist. Es gilt in diesem Zusammenhang die faschistische Kampagne zu unterscheiden von einer in dieser Zeit parallel laufenden intellektuellen Bewegung der Sprachreinhaltung, die von führenden italienischen Sprachwissenschaftlern wie Bruno Migliorini und Giacomo Devoto getragen wird. Die sprachpuristische Bewegung des 20. Jahrhunderts wird zur Unterscheidung von der Bewegung um Cesari und Puoti zur Reinhaltung der italienischen Schriftsprache zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Begriff ‘Neopurismus’ (il neopurismo) zusammengefasst. Es geht dabei um die Ausein- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 182 15.08.11 15: 18 <?page no="195"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 183 Abb. 7.8 Lingua Nostra Titelblatt der 1. Ausgabe andersetzung mit den zahlreichen sprachlichen Einflüssen, die in das postunitäre Italienisch im Zuge der Industrialisierungsschübe in Europa in erster Linie aus dem Englischen und dem Französischen kommen. Es handelt sich bei den Fremdwörtern v. a. um Ausdrücke aus den Sachbereichen Politik, Wirtschaft, Kommunikation, Mode und Nahrungsmittel. Ausgehend von der Tatsache, dass Sprache sich zwangsläufig im Laufe der Zeit entwickelt, Fremdwörter aufnimmt, adaptiert oder auch wieder eliminiert, geht es den Neopuristen nicht um eine grundsätzliche „Säuberung“ der Sprache von jeglichen Fremdeinflüssen, sondern darum, die Fremdwörter nach der Frage des „guten Geschmacks“ zu beurteilen und entweder durch italienische Ausdrücke zu ersetzen oder so zu verändern, dass sie das Italienische nicht beeinträchtigen. Dabei sollten sowohl der Respekt der „glorreichen italienischen Schrifttradition“ als auch die aktuellen sprachlichen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich somit vom Vorgehen des faschistischen Regimes. Diskutiert werden diese Fragen in speziell dafür von der Presse eingerichteten Rubriken oder in Fachzeitschriften. Hier sei v. a. auf die sprachwissenschaftliche Monatszeitschrift Lingua Nostra verwiesen, die ab 1939 unter der Leitung von Bruno Migliorini und Giacomo Devoto erscheint. Der faschistische Feldzug gegen den Gebrauch von Fremdwörtern beginnt mit einer Pressekampagne. Mussolini und seine Gefolgsleute gehen ohne Rücksicht auf soziale und sprachliche Umstände radikal gegen jedes Fremdwort vor. Sie versuchen auch selbst, allen voran Mussolini, strikt jedes Fremdwort zu vermeiden. Die teils komischen Effekte dieses Bestrebens dokumentiert eine überlieferte Rede von Mussolini, in der dieser erklärt, an einer vernice (im Italienischen eigentlich ‘Lack, Farbe’) teilgenommen zu haben, um den französischen Ausdruck vernissage zu vermeiden. Die Fremdwörter sind Gegenstand zahlreicher Erlasse. Filmszenen in fremder Sprache werden durch einen Erlass von 1930, die fremdsprachliche Benennung von Produkten und von öffentlichen Lokalen sowie jegliches Fremdwort in der Produktwerbung durch mehrere Erlasse zwischen 1938 und 1940 verboten (so z. B. der Divieto dell’uso di parole straniere nelle intestationi delle ditte e nelle varie forme pubblicitarie vom 23. 12. 1940). Im Rahmen dieser Kampagne werden 1939 auch ausländische Vornamen durch ein Gesetz strikt verboten (erst 1966 wird dieses Gesetz wieder aufgehoben). Die Accademia della Crusca muss ihre Arbeit einstellen und wird 1929 durch die Accademia d’Italia ersetzt, deren Hauptaufgabe fortan die „Reinigung und Reinhaltung“ der italienischen Sprache ist. Diese wird beauftragt, ein Wörterbuch zu erarbeiten (von dem bis Kriegsende nur der erste Band erscheint) und italienische Ersatzlisten für Fremdwörter zu erstellen. Die Veröffentlichung von fünfzehn Ersatzlisten für Xenismen (1941−1943) steht unter dem Motto: „L’italianità della lingua è l’italianità del pensiero. La lingua è la Nazione“. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 183 15.08.11 15: 18 <?page no="196"?> 184 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Schlagwörter und Symbole in der Tradition des Römischen Reiches fascista, fascismo Italienische Ersatzvorschläge für Xenismen Fremdwort Ersatzwort Lexikalisierung foot ball trainer beefsteak check, chèque guichet maquillage chauffeur calcio allenatore bistecca assegno sportello trucco autista Ersatzwörter lexikalisiert bar taxi clacson quisibeve (mescita) autopubblica tromba Fremdwörter durch Usus rehabilitiert und lexikalisiert 7.5.4 Sprachmanipulation und totalitäre Rhetorik Es liegt in der Natur totalitärer Regime, mit rhetorischen und sprachlichen Mitteln die Bevölkerung zu manipulieren und mit rhetorischen Mitteln ohne logische Argumentation für die eigene Ideologie einzunehmen. Die faschistische Rhetorik sollte Macht und Größe des Regimes suggerieren und bedingungslosen Glauben fördern. Sie bedient sich zu diesem Zweck zahlreicher Schlagwörter und Symbole, mit denen auf die vermeintliche Wiederaufnahme der glorreichen römischen Tradition angespielt wird. Aus römischer Tradition wird auch das Symbol der faschistischen Bewegung (die Faszes) übernommen, aus der sich die Ausdrücke fascista bzw. fascismo ableiten: fascio lat. fasce(m) 1. Faszes, Rutenbündel mit Beil, Abzeichen der altrömischen Liktoren als Symbol der Amtsgewalt der römischen Magistrate und ihres Rechts zu züchtigen und die Todesstrafe zu verhängen; 2. unione dei lavoratori (ab 1872); Derivation: fascista adj. und subst. (1915), fascismo subst. (ab 1918). Ebenso römischer Provenienz sind Ausdrücke zur Selbstidentifikation wie figli della lupa (in Anspielung auf die Gründungslegende Roms durch Romulus und Remus, die von einer Wölfin ernährt worden seien) oder auch die Bezeichnung triumvirato für das Machtdreigestirn der faschistischen Partei (1923 wird die PNF von dem Triumvirat Michele Bianchi, Nicola Sansanelli e Giuseppe Bastianini geleitet), in Anspielung auf den Rat der drei Mächtigen im Römischen Reich, erstmals durch Caesar, Pompeius und Crassus gebildet. Typisch für die Rhetorik des Faschismus sind zudem sog. „große Worte“ (parole vibranti), stereotype Phrasen und einfache Sätze, die durch entsprechende Intonation massenwirksam werden: etwa der Spruch Credere, obbedire, combattere, der die ideale Haltung zum faschistischen Staat zusammenfasst oder auch der Topos von der Battaglia del grano (‘Kornschlacht’), mit dem die Bevölkerung zu leidenschaftlichem Engagement bei der Erhöhung der Ernteerträge animiert werden soll. Ein entsprechender Stil prägt die öffentliche Kommu- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 184 15.08.11 15: 18 <?page no="197"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 185 Die „abolizione del Lei“ Gesellschaftliche Voraussetzungen für eine neue sprachgeschichtliche Phase nikation und wird über Massenmedien (Presse, Flugblätter, Radio und Kino), die faschistischen Jugendorganisationen und auch in den Schulen verbreitet. Zur Rhetorik des italienischen Faschismus gehört auch die Manipulation von pragmatischen Elementen wie Höflichkeitsformeln, über die eine Nivellierung der sozialen Rollen suggeriert werden soll. 1938 wurde der Gebrauch des Anredepronomens Lei als Höflichkeitsform verboten. Begründet wird diese Maßnahme mit dem Umstand, es handele sich um „ein Wort spanischer Herkunft“, das sich während der Belagerung Süditaliens durch die Spanier zunächst dort und später im gesamten Sprachgebiet verbreitet habe. Das Lei wird folglich als ein Zeugnis italienischer Knechtschaft und Unterwürfigkeit gegenüber den Invasoren und Ausdruck bürgerlichen Snobismus gebrandmarkt, verboten und durch tu (bzw. voi als Ausdruck des Respekts vor der Hierarchie) ersetzt. Damit soll das allgemeine Zusammengehörigkeitsgefühl der Nation nach dem Vorbild des römischen Reiches demonstriert werden. So wird die Duzform tu in einem Artikel des florentinischen Schriftstellers Bruno Cicognani als universeller römisch-christlicher Gruß gelobt und die Höflichkeitsform voi als Ausdruck des Respekts vor der Obrigkeit („[…] il tu espressione dell’universale cristiano e romano, e il voi segno di rispetto e di gerarchia“, Bruno Cicognani „Abolizione del ‘Lei’“, Corriere della sera 1938, zitiert nach Foresti 1978: 136). Die rigorose Umsetzung der Kampagne führt sogar zur Umbenennung der Frauenzeitschrift Lei in Annabella. Spöttische Reaktionen in der Bevölkerung sind deshalb kaum überraschend, etwa im Volksmund die Umbenennung von Galileo Galilei in Galileo Galivoi. In den fünf Jahren, in denen das Pronomen Lei verboten ist, kommt es kaum zum stärkeren Gebrauch von voi, wohl aber zu einer starken Expandierung im Gebrauch des traditionellen tu. Bis heute sind Lei und voi konkurrierende Höflichkeitsformen geblieben. 7.6 Die endgültige Durchsetzung der Nationalsprache in der zweiten Hälfte des 20.-Jahrhunderts 7.6.1 Tendenzen der Sprachentwicklung in der Nachkriegszeit Das Ende des Faschismus setzt die demokratischen Kräfte wieder frei, so dass viele durch die faschistische Sprachpolitik initiierte Entwicklungen gestoppt werden. Die sprachliche und kulturelle „Provinzialisierung“ kann schnell überwunden werden. Eine entscheidende Wende in der modernen italienischen Sprachgeschichte beginnt mit dem sog. miracolo economico der 1950er-Jahre und diese ist so umfassend, dass sie als Wendepunkt in der italienischen Sprachgeschichte bezeichnet werden kann. Dabei greifen wieder sozio-politische, ökonomische Entwicklung und Sprachentwicklung ineinander. Voraussetzung für das, was auf sprachlicher Ebene passiert, ist zum einen (in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs) die massive Aufwertung der englischen Sprache. Ihr kometenhafter Prestigezuwachs leitet sich aus der Rolle der amerikanischen Alliierten einer- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 185 15.08.11 15: 18 <?page no="198"?> 186 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Anglomanie als Reaktion auf den faschistischen Fremdpurismus Entlehnungen aus dem Englischen in der Nachkriegszeit seits und andererseits aus dem Ansehen eines Lebensstils ab, der von Amerika propagiert wird und in Europa Einzug hält: der American way of life oder auch die moderne Konsumgesellschaft. Dieses Prestige steht natürlich auch in Zusammenhang mit einem damals unvergleichlich hohen Stand der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung in Amerika. Zum anderen bewirkt die Entwicklung der Massenmedien − Presse, Kino, Radio und v. a. Fernsehen − eine grundlegende Umgestaltung der Kommunikationslandschaft, die der endgültigen Durchsetzung der Nationalsprache ungemein förderlich ist. In Reaktion auf die radikale Unterdrückung der Dialekte und Minderheitensprachen durch das faschistische Regime wird nun in Artikel 6 der Nachkriegsverfassung von 1948 der prinzipielle Schutz der Minderheitensprachen festgelegt: „La Repubblica tutela con apposite norme le minoranze linguistiche“. Gleichzeitig soll in den Schulen jedem Italiener der Zugang zur lingua nazionale eröffnet werden, ohne deren Beherrschung eine Teilnahme am modernen Leben nicht mehr möglich ist. Die Sprache der Nachkriegszeit ist geprägt von einer enthusiastischen und fast unkontrollierten „Einfuhr“ fremder Lexik. Der faschistische Fremdpurismus wird geradezu ins Gegenteil verkehrt. Einzelne Fremdwörter, die der Xenophobie zum Trotz selbst in faschistischer Zeit ins Italienische aufgenommen wurden (so z. B. spray 1927, shopping 1931, killer 1934, shampoo 1939, hobby 1942 und western 1942), können sich nun dauerhaft etablieren. Zudem setzt eine Welle von anglo-amerikanischen Entlehnungen ein, die den italienischen Wortschatz nahezu überschwemmen. Besonders relevant und Spiegel eines grundlegenden Wandels im Lebensstil der 1950er Jahre sind Anglizismen aus Sachbereichen des Alltags, die nicht an die Struktur des Italienischen angepasst werden, sich im mündlichen Sprachgebrauch verbreiten und auch dem Durchschnittsbürger zugänglich sind. Dazu gehören zahlreiche Bezeichnungen für Gegenstände und Phänomene, die vor dem Krieg in Italien nicht zum Alltag gehörten (Tabelle Punkt 1), oder auch prägnante Bezeichnungen für abstrakte Begriffe und Konzepte, deren italienische Äquivalente weit weniger einprägsam sind und sich somit im Usus nicht durchsetzen (Tabelle Punkt 2). Sprachgeschichtlich interessant sind zudem solche Erscheinungen, die auf das morphologische System der italienischen Sprache einwirken (Tabelle Punkt 3). Dazu gehört zum Beispiel der Gebrauch invariabler Adjektive, der sich bis dahin im Italienischen auf ein einziges, nämlich pari beschränkt hatte. Durch Entlehnungen aus dem Englischen, die an die italienische Morphologie angepasst werden, entsteht eine ganze Serie solcher Adjektive, wobei z. B. englische Präfixe als invariable Adjektive übernommen und den Nomen nachgestellt werden. Große Verbreitung findet bereits super, dessen adjektivische Verwendung dann auch zu analogen anderen Bildungen führt. Adjektivisch gebraucht werden nun auch englische Nomen wie beat, folk und standard, woraus sich dann selbst eine analoge Verwendung italienischer Elemente ergibt. Ebenfalls auf die Struktur anderer Sprachen (Französisch, Englisch) geht der Reutner_Stb_sV-256_End.indd 186 15.08.11 15: 18 <?page no="199"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 187 Entlehnungen in der Nachkriegszeit Sprachpuristische Reaktionen killer vs. assassino zunehmende Gebrauch von Kurzformen zurück. Im syntaktischen Bereich gehört die Ausbreitung der periphrastischen Konstruktion aus stare + Gerundium zu den wichtigsten, nach fremdem Vorbild gebildeten Veränderungen (später auch periphrastisches Futur). Eine Vorstellung von der Fülle der Anglizismen und dem jeweiligen sozio-kulturellem Hintergrund vermittelt die Monographie von Ivan Klajn Inf lussi inglesi nella lingua italiana (1972), aus der die folgenden Beispiele entnommen sind. 1) Ausdrücke für Gegenstände, Phänomene aus dem Alltag baby sitter (1950), beauty-case (1960), best-seller (1950), blue-jeans (1956), f lipper (1958), freezer (1957, heute auch: congelatore), juke-box (1950), killer (1935, 1957), motor-scooter (1949), quiz (1949, 1965), self service (1962), smog (1955), stop (‘Verkehrsschild’ 1960). 2) Prägnante Ausdrücke für abstrakte Begriffe und Konzepte background, boom, fair play, hobby, know how, mass media, performance, playboy, privacy, shock, snob. 3) Einflüsse auf das morphologische System der italienischen Sprache invariable Adjektive: biglietto gratis, gente bene; benzina super (vgl. benzina normale), profitto extra; lingua standard, musica beat; Kurzformen: bici, frigo, sub; periphrastische Konstruktionen: stare + Gerundium, z. B. mentre stava pensando (mentre pensava), che sta succedendo? (che succede). Staatlich geleitete sprachpuristische Aktivitäten gibt es in der weiteren italienischen Sprachgeschichte erst nach der Jahrtausendwende wieder (vgl. 5.5.). Bis dahin beschränkt sich Sprachpurismus in Italien auf die Appelle einzelner Intellektueller (auch Sprachwissenschaftler), die vergeblich an Traditionsbewusstsein und ästhetisches Empfinden der Italiener appellieren. Von den Neopuristen wird der massive Zustrom von Anglizismen verurteilt, aber sie sind in der Minderheit und haben keinen Einfluss auf die sprachliche Entwicklung. Einer von ihnen, Paolo Monelli (der − wenngleich selbst kein Faschist − seit den 1920er Jahren gegen die fremdsprachliche Korruption des Italienischen in der Presse und in seinem Buch Il barbaro dominio polemisiert), ist noch bis in die 1960er Jahre sprachpuristisch aktiv. In einem Interview mit der Wochenzeitschrift L’Espresso beklagt sich Monelli 1970 z. B. über den Gebrauch von killer im Corriere della sera, für den er vordem als Journalist gearbeitet hat. Berufsmörder hat es natürlich auch vordem gegeben, sie gehörten aber in Europa noch nicht zum öffentlichen Erscheinungsbild. Das italienische Äquivalent assassino hatte seinerseits Jahrhunderte vordem in Frankreich für Polemik gesorgt. Im 16. Jahrhundert, als die Franzosen sich gegen den Einfluss des Italienischen auf ihre Sprache zur Wehr setzen, wird es als Bezeichnung für ein typisches Phänomen des italienischen Alltags stigmatisiert (vgl. VI. 2). Unter den Sprachwissenschaftlern setzt sich nach Bruno Migliorini in erster Linie Arrigo Castellani als renommierter Vertreter der Accademia della Crusca für Reutner_Stb_sV-256_End.indd 187 15.08.11 15: 18 <?page no="200"?> 188 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache ein bewusstes, aber behutsames Eingreifen in die Sprachentwicklung im Sinne eines „purismo strutturale“ ein. Er verweist auf erfolgreiche Beispiele bewusster Sprachregelung (metteur en scène > regista, dt. Regisseur) und auf mögliche Strategien. Vorschläge, wie Castellani sie etwa im folgenden Zitat aus seiner programmatischen Schrift Morbus anglicus (1987) unterbreitet (fett hervorgehoben), werden lediglich belächelt. I principi del purismo strutturale […] sono semplicissimi. Forestierismi accettabili, cioè compatibili colle strutture della nostra lingua: s’accettano (tango e simili). Forestierismi che non si possono accettare senza cambiamenti: 1) s’adattano (è il caso di filme e simili); 2) si sostituiscono con voci già esistenti (barca che estromette yacht); 3) si sostituiscono con neoformazioni. Fra le neoformazioni si ricorderà per esempio regista, che grazie a Bruno Migliorini ha preso il posto di metteur en scène (in Germania régisseur). Per quel che riguarda il mio uso personale, ho citato intrèdima (composto di èdima ‘settimana’, che è dell’italiano antico e vive ancora in qualche luogo della Toscana) al posto di week-end (tra l’altro, dal punto di vista storico il concetto di ‘fine della settimana’ è meno giusto di quello di ‘tra due settimane’, visto che la domenica è il primo giorno della settimana e non l’ultimo); e potrei aggiungere fubbia (fumo + nebbia) al posto di smog (smoke + fog) o velopattine al posto di windsurf … Quanto a hobby, in italiano c’è pallino, e chi ritenesse pallino troppo poco somigliante a hobby può ricorrere alla voce antica ubino, adoperata anche dall’Ariosto, che significa esattamente ‘cavallino’, come in origine hobby, e che ha la stessa etimologia di hobby. (Castellani 1987: 142-143) Verbreitet werden Anglizismen v. a. über verschiedene Massenmedien. Für die breite Bevölkerung spielen zunächst Comics als Textsorte, die überhaupt erst aus den USA eingeführt wird, eine wesentlich größere Rolle als die Tagespresse, deren Lektüre von einer gehobenen Schriftsprachkompetenz abhängt. Zudem gehören synchronisierte Hollywood-Filme und die Texte der Rock-, Beat- und Popmusik zu den Medienbereichen, die maßgeblich zur Verbreitung und Etablierung von Anglizismen im Italienischen beitragen. 7.6.2 Die Rolle der Massenmedien für die endgültige Durchsetzung des Italienischen als Gemeinsprache Die Presse Die großen italienischen Tageszeitungen (la stampa quotidiana) entstehen bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Entstehung der Stampa Quotidiana 1876 Corriere della sera in Mailand 1878 Il Messaggero in Rom 1885 Il Resto del Carlino in Bologna 1886 Il Secolo XIX in Genua 1891 Il Mattino in Neapel 1895 La Stampa in Turin (vordem Gazzetta Piemontese) Die Presse erreicht vor der Jahrhundertwende natürlich nur ein zahlenmäßig recht begrenztes, lesekundiges Publikum. Massenwirksam werden Tageszei- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 188 15.08.11 15: 18 <?page no="201"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 189 Das Konzept des parlato trasmesso tungen erst ab den 1950er Jahren. In jedem Fall tragen sie aber bereits in der Entstehungsphase maßgeblich zur Konsolidierung des sprachlichen Prestiges der römischen Hauptstadt bei. Ab 1870 verfügen alle großen Tageszeitungen über eine römische Redaktion und Korrespondenten in der Hauptstadt. Über die journalistische Prosa werden Elemente des römischen Regionalitalienisch überall verbreitet. Dafür steht beispielhaft der Ersatz der lokalen Präposition in durch a (in Roma > a Roma), der sich italienweit durchsetzt. Zur sprachlichen Vorherrschaft Roms, die sich in der Zeit des Faschismus verstärkt hatte, tragen die politische Vormachtstellung und auch die Funktion der Hauptstadt als intellektuelles und Verwaltungszentrum des Landes auch noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg bei. Ab den 1950er Jahren verändert die traditionelle italienische Standardsprache allmählich ihr Profil, da sie zur alltäglichen Gebrauchssprache breiter Bevölkerungsschichten wird und sich damit nicht mehr gänzlich durch modellhafte literarische Werke, puristische Wörterbücher und normative Grammatiken kontrollieren lässt. An dieser Entwicklung sind die Massenmedien der Nachkriegszeit, die das Italienische in die entlegensten Winkel des Landes tragen, ganz maßgeblich beteiligt: Radio und in noch stärkerem Maß die audio-visuellen Medien wie Kino und Fernsehen besitzen eine starke Anziehungskraft. Die Simulation gesprochener Sprache in den Massenmedien wird seit den 1980er Jahren in Anlehnung an ein Konzept von Francesco Sabatini unter dem Terminus parlato trasmesso gefasst: La presenza e la forte incidenza delle comunicazioni foniche e fonico-visive ‘indirette’, cioè affidate ai moderni mezzi di comunicazione linguistica a distanza, ha ampliato enormemente gli usi della lingua non scritta e ha creato un vero e proprio terzo ‘canale’, che ho proposto di chiamare il trasmesso: attraverso questo canale il parlato, che tuttavia subisce delle trasformazioni, sta acquistando una posizione di ‘pubblicità’ e ‘ufficialità’ che non aveva mai avuto. (Sabatini 1984: 5) Kino Der Tonfilm kann sich in Italien ab 1930 schnell verbreiten. Im Unterschied zur Presse, deren Rezeption an die Alphabetisierung gebunden ist und daher nach Regionen und sozialen Schichten sehr unterschiedlich ausfällt, verteilen sich die Kinobesucher sehr viel gleichmäßiger auf alle Bevölkerungsgruppen. Nach dem Zweiten Weltkrieg steigt die Zahl der Kinogänger auf 48,6 % der Bevölkerung an. Für 1958 ermittelt eine Untersuchung der I STAT eine Quote von 64,9 % (Zahlen nach De Mauro 1998: 120). In der Kinosprache spiegeln sich − freilich in abgeschwächter und vereinfachter Form − die wesentlichen Tendenzen der italienischen Sprachentwicklung wider, da die italienischen Filme seit Beginn der Nachkriegszeit aufgrund ihrer weitgehend realistischen Prägung durchaus ein Portrait der regionalen und sozialen Schichtung der italienischen Halbinsel und der großen Variationsbreite der kommunikativen Situationen liefern. Gemessen an der authenti- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 189 15.08.11 15: 18 <?page no="202"?> 190 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Sprachliche Variation im Kinofilm Lehrbuchsprache Mischsprache Dialekt - Italienisch Sprachwahl als Ausdruck von Lebensqualität Rocco e i suoi fratelli (Luchino Visconti) Der dialetto napoletano im cinema comico schen Kommunikation ist die hier simulierte Mündlichkeit allerdings in mehr oder weniger hohem Grad normalisiert und standardisiert. Die Variationsbreite der im Kinofilm verwendeten Sprache ist immens. In einigen Filmen wird ernsthaft versucht, eine Art Lehrbuchsprache zu entwickeln, die mit dem tatsächlichen sprachlichen Alltag jedoch nichts gemein hatte. Dafür steht beispielhaft der Film Catene von Raffaello Matarese (1949), in dem regionale und soziale Unterschiede in der Sprache der Protagonisten zugunsten einer durch rhetorische Figuren und komplexe Syntax markierten Sprache weitgehend nivelliert werden. Die bürgerliche Hausfrau aus Rom spricht ebenso „neutral“ wie der neapolitanische Dieb. Anders, aber ebenso von der sprachlichen Realität entfernt, verfährt der Film Poveri ma belli von Dino Risi (1957), in dem sich (nicht immer korrekt simulierte) Dialektpassagen mit italienischen Passagen mischen. So werden etwa dem römischen Dialekt (romanesco) Merkmale zugeordnet, die er in der Realität nicht aufweist. So wird z. B. in Infinitiven der Verben nur der Endvokal und nicht (wie im römischen Dialekt die ganze Endsilbe) getilgt (etwa andare > andar (romanesco aber andà). Beliebte Sujets des italienischen Nachkriegsfilms sind Rückständigkeit und Verarmung des Südens sowie die Binnenmigration mit ihren sprachlichen Folgen. Dabei werden nicht nur Dialekt und Italienisch als sprachliche Ausdrucksformen verschiedener Lebensumstände gegenübergestellt, sondern auch Süd- und Norddialekte als Gegensatz von sozialer Misere und allmählichem Aufstieg vom Lumpenproletariat zu einem gehobenerem sozialen Status. Paradebeispiele dafür sind die Filme La terra trema (1948) und Rocco e i suoi fratelli (1960) von Luchino Visconti, einem der berühmtesten italienischen Regisseure der Nachkriegszeit. In Rocco e i suoi fratelli wird am Beispiel einer Familie, die aus dem Süden (der heutigen Region Basilicata) nach Mailand zieht, die Tragik der Einzelschicksale nachgezeichnet. Sozialer Aufstieg wird hier gleichgesetzt mit der Aufgabe des heimischen (lukanischen) Dialekts und Übernahme der mailändischen Umgangssprache. Eine besondere Rolle im italienischen Nachkriegskino spielt der neapolitanische Dialekt, der durch das cinema comico der Nachkriegszeit verbreitet wird. Er steht wiederum als Symbol für eine Lebensart, die auch als Kunst des „arrangiarsi“ definiert und als typische Eigenschaft dem neapolitanischen Kleinbürgertum zugeschrieben wird. Für italienische Emigranten fungiert er zudem oft als Identitätssymbol für die verlassene Heimat schlechthin. In der Forschungsliteratur wird gern etwas pauschal hervorgehoben, dass Kinofilme dazu beigetragen haben, den Dialektgebrauch als „provinziellen, veralteten und auch lächerlichen“ Sprachgebrauch zu stigmatisieren (mit den Worten De Mauros eine Sprachform „da considerare come relitti archeologici del passato“, De Mauro 1998: 124). Bei genauerer Analyse kann man diese Wirkung auf nur einen Publikumskreis einschränken: allein den Intellektuellen (der Bildungselite) ist es möglich, aus gewisser Distanz heraus der Konfrontation von regionalem Dialekt und überregionaler italienischer Verkehrssprache Reutner_Stb_sV-256_End.indd 190 15.08.11 15: 18 <?page no="203"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 191 Die sprachliche Komik der Filme von Totò etwas Komisches abzugewinnen. Gleiches gilt für die sprachliche Komik von Antonio de Curtis, bekannt unter seinem Künstlernamen Totò, einer herausragenden Persönlichkeit des italienischen Kinos der Nachkriegszeit, der auf vielfältige Weise den Plurilinguismus und die Entwicklungstendenzen im Italienischen der Nachkriegszeit parodiert. In Totò cerca casa (1949) wird z. B. die Vorliebe für Anglizismen im Sprachgebrauch der Nachkriegszeit parodiert. Das Wort hall (der gehobene Ausdruck dafür im Italienischen ist atrio) sorgt für Verständigungsprobleme, da es zwar schon lange im Schriftitalienisch existiert, im mündlichen Sprachgebrauch jedoch kaum gebräuchlich ist und daher phonetisch verunstaltet wird. A MALIA : Oh! Ma mi manca una valigia/ / Vai a vedere/ caro/ se l’ho lasciata nella hall/ / B ENIAMINO (Totò): Come? A MALIA : Nella hall/ / B ENIAMINO : Che cosa/ / A MALIA : Nella hall! B ENIAMINO : E chi è la ol? La portiera? A MALIA : No/ nell’atrio/ / F IGLIA : Nell’anticamera/ / Qui nei quartieri alti si dice hall/ / Fa più fino/ / B ENIAMINO : Ah sì? La hall? Bah! Allora io vado giù a vedere nella hall/ / (aspirando esageratamente la h) (zitiert nach Rossi 2007: 132) Im folgenden Ausschnitt aus Imperatore di Capri (1949) wird ein Sprachmodell parodiert, das mit der tatsächlichen Alltagssprache recht wenig zu tun hat. Die komischen Effekte entstehen durch Verwendung literarischer Ausdrücke in der mündlichen Konversation (hier: é d’uopo ‘è necessario’), wobei der fehlerhafte Gebrauch den nicht situationsgerechten Gebrauch noch unterstreicht. T OTÒ : Ha d’uopo U N TALE : È d’uopo T OTÒ (severo, riconfermando): Ha d’uopo. (zitiert nach De Mauro 1998: 122) Radio und Fernsehen Das Radio ist das erste Massenmedium, über das ein nicht an die schriftliche Realisierung gebundenes, mündliches Sprachmodell vorgegeben wird. Bis in die 1970er Jahre (mit der Entstehung von privaten Radiosendern) werden in italienischen Radiosendungen informelle Varianten des Italienischen kategorisch ausgeschlossen. Die sehr enge Orientierung an einem gehobenen Standard schränkt die Verständlichkeit für ein breites Publikum drastisch ein. Auffällig ist dabei, dass nicht die Florentiner Aussprache dieses Modell dominiert, sondern vielmehr eine in den wirtschaftlichen, demographischen und intellektuellen Zentren des Landes, Turin, Mailand und Rom, dominierenden Aussprache. Besonders prägnant sind regionale Merkmalen des Nordens (settentrionalismi). Das Fernsehen gewinnt ab Mitte der 1950er binnen kurzer Zeit einen noch wesentlich größeren Einfluss als Kino und Radio. Die erste Sendung des italienischen Fernsehens wird am 10. September 1952 ausgestrahlt, 1953 folgt Reutner_Stb_sV-256_End.indd 191 15.08.11 15: 18 <?page no="204"?> 192 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 7.9 Kollektives Erlebnis italiano televisivo „TV buona maestra“ Die Telescuola von Alberto Manzi Abb. 7.10 Il telegiornale La tv culturale die erste Nachrichtensendung. In der Konzeption der Anfangsjahre in der italienischen Fernsehgeschichte sticht die Informations- und Bildungsfunktion hervor, die dem Fernsehen in der Bekämpfung des noch verbreiteten Analphabetismus zugewiesen wird. De Mauro bezeichnet es als eine regelrechte „scuola della lingua“. Zweifellos kann das italiano televisivo der 1950er Jahre als stärkster Faktor bei der endgültigen Italianisierung angesehen werden. In den Anfangsjahren verfolgen breite Teile der italienischen Bevölkerung die Sendungen oft in öffentlichen Einrichtungen, Bars und Gaststätten. Dieses „kollektive Erlebnis“ erhöht die Motivation, Italienisch auch im Alltag zu verwenden, um sich über die Sendungen auszutauschen. Die 1954 gegründete, öffentlich rechtliche und Hörfunk- und Fernsehanstalt RAI bzw. Rai (Radiotelevisione Italiana, ursprünglich Akronym für die Radio Audizioni Italiane S.p.A.) bietet ab 1958 im Rahmen der Telescuola Grundkurse für Analphabeten und dreijährige Sprachkurse an. In regelrechten Unterrichtsstunden unterweist Alberto Manzi in seiner Sendung Non è mai troppo tardi (Corso di istruzione popolare per il recupero dell’adulto analfabeta) das Publikum im Lesen und Schreiben einer einfachen und unpretenziösen italienischen Sprache. Wenn insgesamt (auch schon in den Anfangsjahren) viel Kritisches über die schlechte Vorbildwirkung der Fernsehjournalisten gesagt wird, so wird dies durch die Telescuola zu einem Teil wieder neutralisiert. In den verschiedenen Sendungstypen der 1950er und 1960er Jahre, die Nachrichten-, Kultur-, Unterhaltungs- und Werbesendungen umfassen, werden allerdings bereits unterschiedliche sprachliche Register vorgeführt. Zu den vom Fernsehpublikum favorisierten Sendungstypen gehört die Fernsehnachrichtensendung Telegiornale (TG), die recht schnell zur wichtigsten Informationsquelle der Italiener wird. Die Fernsehnachrichten unterscheiden sich in den Anfangsjahren sprachlich-stilistisch (mit ihrer moralisierenden und erzieherischen Rhetorik) nicht wesentlich von denen des Radios. Bis 1957 wird zunächst nur eine zwanzigminütige Nachrichtensendung pro Tag ausgestrahlt. Die Rai wählt für diese Sendungen in den Anfangsjahren speaker (auch annunciatori, ‘Ansager’ ohne journalistisches Profil wie den römischen Schauspieler Riccardo Paladini) aus, die eine angenehme und weitgehend dialektfreie Diktion beherrschen (mit lautlichen Zugeständnissen an die römische Aussprache) und nach einem diatopisch neutralen sprachlichen Modell (italiano formale) ohne dialektale Einschlüsse geschult werden. Eine politische Kontrolle der Nachrichtensendungen durch die Democrazia Cristiana setzt ab 1957 ein und führt mit einer Pluralisierung der politischen Kräfte in den späteren Phasen der Fernsehgeschichte, in der weitere staatliche und später private Sender eigene Nachrichtensendungen ausstrahlen (vgl. 1961 Rai Due mit TG2 und 1979 Rai Tre mit TG3 sowie Italia 1 mit TG4 ab 1991 und Canale 5 mit TG5 ab 1992) auch zu einer größeren (wenn auch moderaten) sprachlich-stilistischen Vielfalt. Die Kultursendungen der Anfangsjahre sind v. a. als eine Art „teatro domestico“ des traditionellen Literaturkanons konzipiert: Prosalesungen kleinerer Reutner_Stb_sV-256_End.indd 192 15.08.11 15: 18 <?page no="205"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 193 La tv d’intrattenimento Idiolekte in der Fernsehsprache der 1950er Jahre Abb. 7.11 Carosello. Die erste Werbesendung im italienischen Fernsehen literarischer Formen (etwa die von einem der ersten Fernsehstars, Giorgio Albertazzi, am Freitagabend gelesene „prosa del venerdi“), Romaninszenierungen oder auch Operninszenierungen. Unterhaltungssendungen sind in den Anfangsjahren häufig durch den Idiolekt, den persönlichen Stil des Moderators (conduttore oder presentatore) geprägt. Die Moderatoren beliebter Sendungen werden zu Kultfiguren des Alltags und insofern spielt natürlich auch ihre Sprache eine (wenn auch nicht immer positive) Vorbildrolle. Zu den beliebtesten Sendungen gehört eine Quizsendung mit dem Titel Lascia o raddoppia, die von 1955−1959 im Abendprogramm ausgestrahlt und von Mike Buongiorno moderiert wird. Die Popularität dieser Sendung macht sich auch das Kino zunutze, ein Film von 1959 trägt den Titel Totò lascia o raddoppia. Mike Buongiorno liefert sprachlich den Prototypen eines lexikalisch armen, syntaktisch einfachen, unreflektierten und fragmentarischen italiano informale (Beispiel 1): im Textauszug passe-partout-Wörter und semantisch unspezifische Lexik wie cose, gruppo di persone, polyvalentes che, periphrastisches Futur (andare ad abitare). Interessant werden die Sendungen durch die Sprache der Quizteilnehmer, die oft in deutlichem Kontrast zu der des Moderators steht. Man lässt gern Autoritäten (Universitätsprofessoren, Doktoren) sprechen, deren Sprache aufgrund ihrer sozialen Rolle Vorbildcharakter zugeschrieben wird und die sich auch selbst entsprechend inszenieren. Der Turiner Philosophieprofessor Gianluigi Marianini wird etwa durch seinen Auftritt in der Sendung zu einer Kultfigur. Er inszeniert sich hauptsächlich über sein parlato letterario in der Tradition der Salonrhetorik, das in diesem informellen Kontext aufgrund einer unangemessen gewählten (fast pathetischen) literatursprachlichen und sehr bildhaften Lexik auffällt (Beispiel 2): etwa im Textauszug inquisatore, abgeleitet von inquisire, einer literarischen Variante für chiedere; preconizzatore als literarische Variante für annunciatore, congrue als literarische Variente zu adequate, relative. 1) Mike Buongiorno, Moderator von Lascia o raddoppia Guardi, questa sera le dobbiamo dire due cose molto belle: la prima è che nell’evenienza che lei non raddoppi questa sera, c’è un gruppo di persone, che non so bene quale gruppo sia, che le costruirà un appartamento che lei potrà andare ad abitare il giorno in cui si sposa. (Lascia o raddoppia? 11/ 02/ 1956; zitiert nach: De Mauro 1998: 437) 2) Gianluigi Marianini, Quizteilnehmer in Lascia o raddoppia La vita è un mistero musicale con in bocca il sapore del mondo, e perciò ha certe sue sfaccettarture …; il mio simpatico inquisatore; sono stato un preconizzatore, fu fondato da me in unione con un amico; il mio privato marmoreo domicilio; le darò congrue istruzioni. (Lascia o raddoppia? 11/ 10/ 1956; zitiert nach: De Mauro 1998: 438) Mit Carosello werden 1957 Werbesendungen eingeführt, die im Rahmen eines erzieherischen Konzepts in den Anfängen noch in nicht explizit kommerzielle Erzählrahmen mit zum Teil überaus populären Zeichentrickfiguren (etwa das schwarze Kücken Calimero oder der ungeschickte Mönch Cimabue) eingebettet sind. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 193 15.08.11 15: 18 <?page no="206"?> 194 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Formeln und Slogans aus Werbesendungen Abb. 7.12 Calimero: „Ava come lava! “ Dialekte im Fernsehen der Anfangsjahre Regionale Varianten des Italienischen Die Werbebotschaften liefern aufgrund des recht kreativen Umgangs mit Sprache kein homogenes sprachliches Vorbild, wohl aber eine Reihe von Formeln und Slogans, die durch Anwendung typischer werbesprachlicher Strategien markiert sind, in das kommunikative Gedächtnis des italienischen Fernsehpublikums eingehen und reproduziert werden. Als Beispiele seien genannt gereimte Wortspiele (das schwarze Kücken Calimero wird weiß durch „Ava come lava! “; der ungeschickte Mönch „Cimabue Cimabue, fa una cosa ne sbaglia due“; Tomatensoße „O così, o Pomì! “); Verwendung von Namen und Adjektiven in adverbialer Funktion („Vivere Shell“, „Corre giovane chi corre Agip“) oder auch von intransitiven Verben mit direktem Objekt („Camminare Pirelli”). Die Popularität solcher Formeln sei nur an einem aktuellen Beispiel illustriert. In einem Beitrag zum Internetblog Anagni caput mundi vom Februar 2011 wird die Gemeinde Anagni aufgrund von Fehlentscheidungen mit eben jenem „monaco, di nome Cimabue“ verglichen, für die jüngere Generation gibt der Schreieber eine Erklärung des historischen Kontextes (Zitat). Anagni. Comune Cimabue. Fa una cosa ne sbaglia due Quelli di mezza età, come il sottoscritto, probabilmente lo ricorderanno con simpatia. Quel cartone pubblicitario nel quale un monaco, di nome Cimabue, dimostrava gran buona volontà nel fare le cose ma, immancabilmente, combinava qualche pasticcio che rovinava tutto. Al che i confratelli gli cantavano, alla fine, il ritornello: „Cimabue, Cimabue, fai una cosa ne sbagli due! “ […] (http: / / anagnicaputmundi.blogspot.com/ 2011/ 02/ anagni-comune-cimabue-fa-unacosa-ne.html) Dialekte treten im Nachkriegsfernsehen dagegen kaum in Erscheinung. Es lässt sich im Gegenteil in Bezug auf die Dialekte eine regelrechte Zensur feststellen. Lautliche Zeugnisse reiner Dialektsprecher gibt es nur in Komödien bzw. in einzelnen Stücken des Dialekttheaters, die in den ersten Jahren ohne großen Erfolg ausgestrahlt werden. Zudem werden sie notgedrungen kurz in solchen Sendungen eingespielt, die sich thematisch mit dem italienischen Süden, der Migration oder auch mit folkloristischen Elementen der italienischen Kulturgeschichte beschäftigen, wie etwa die Sendungen Viaggio nel Sud (1958) und Meridionali a Torino (1961), bzw. in Kochwettbewerben, in deren Rahmen regionale Gerichte natürlich anhand ihrer dialektalen Namen erklärt werden müssen. Zwar lassen sich die Dialekte weitgehend aus der Fernsehsprache verbannen, nicht aber regionale Varianten des Italienischen, die über die Sprache von Ansagern, Moderatoren und Fernsehjournalisten durchaus präsent sind. Es zeichnet sich dabei allmählich eine deutliche Prestigeverschiebung ab, die im Endeffekt auch zu einer Wiederbelebung der prinzipiellen Diskussion über die Referenzsprache, die Sprachnorm, führt (siehe 6.3). Die meisten Fernsehstudios der Anfangszeit sind in Turin und Rom ansässig. Die regionalen Varianten der Hauptstadt und des industriellen Nordens sind besonders prägnant und werden zu Prestigeformen des Italienischen. Es dominiert in dieser Zeit das italiano romano. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 194 15.08.11 15: 18 <?page no="207"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 195 Insgesamt lässt der Fernsehjournalismus ein deutliches Engagement für die Verbreitung eines italiano corretto erkennen, auch wenn die Vorbilder dazu als Muster für ein italiano parlato unitario nicht immer geeignet sind. Die spontane gesprochene Sprache wird gemieden, für Interviews werden bewusst Personen gewählt, die imstande sind, sich in einem ausreichend korrekten Italienisch zu äußern. Besonders nachhaltige Wirkung hat das Fernsehen zunächst auf die Entwicklung des italienischen Wortschatzes. In thematischer Anbindung an das Medium Fernsehen verbreiten sich rasch semantische Neologismen wie accendere, canale (televisivo), andare/ mettere in onda, in diretta, lexikalische Neologismen filmato, monitor, telespettatore, il video, cantautore, cantagiro, carosello (eine Rubrik des Werbefernsehens) sowie auch morphologische Neologismen (zu einem hochfrequenten Wortbildungselement wird der Suffix tele-: telegiornale, telespettatore, telecamera etc.). Technizismen aus der Fernsehsprache finden Verbreitung und werden, nachdem sie den Sprechern vertraut sind, auch häufiger in anderen Kontexten verwendet (etwa alluminatura, sistema compattibile, segnale video, timer). Entlehnungen sind im Bereich der Fernsehsprache zahlenmäßig zunächst gering, dafür aber sehr verbreitet, allen voran die Bezeichnung für die neuen Massenmedien selbst (mass communication media > mass media) oder auch speaker als Synonym für annunciatore. Nachweislich führen v. a. die im Fernsehen vorgeführten Sprachhandlungsmuster dazu, dass auch sozial weniger favorisierte Gesellschaftsschichten (auch außerhalb der urbanen Zentren) den Dialektgebrauch drastisch einschränken bzw. den Dialekt allmählich ganz aufgeben. Massensendungen, die Millionen von Zuschauern in allen Teilen des Landes erreichen, tragen zum Ausbau des individuellen sprachlichen Repertoires bei, das über eine enge Orientierung auf den häuslichen Alltag hinaus reicht. Der Dialektgebrauch geht bis zum Ende des 20.-Jahrhunderts systematisch zurück, zum Aussterben der Dialekte − wie häufig propagiert wurde − ist es im Endeffekt nicht gekommen (dazu auch 6.4). Die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen der 1950er und 1960er Jahre (Entvölkerung des Südens und der Bergregionen und Bevölkerungskonzentration im Industriedreieck Turin/ Mailand/ Genua sowie Volksbildung und Verbreitung der Nationalsprache durch die audio-visuellen Massenmedien) führen dazu, dass Italienisch zur Sprache der Bevölkerungsmehrheit wird. Allerdings handelt es sich bei diesem Italienisch nicht mehr um ein kompaktes und homogenes Modell, sondern um verschiedene Erscheinungsformen. Italienisch wird zur Sprache der Bevölkerungsmehrheit Bevor man auf diese Entwicklung durch entsprechende schulische Programme reagieren kann und sich des Wertes dieser Variation bewusst wird, entbrennt Mitte der 1960er Jahre eine erneute Diskussion um die Sprachenfrage. 7.6.3 Eine neue Phase in der Sprachenfrage (La nuova Questione della lingua): Pasolini und Calvino In den Jahren 1964−1965 entbrennt eine journalistische Debatte über die grundlegende Bewertung und Prognose der Sprachentwicklung in Italien. Die Wirkung auf den Wortschatz Reutner_Stb_sV-256_End.indd 195 15.08.11 15: 18 <?page no="208"?> 196 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Pier Paolo Pasolini Pier Paolo Pasolini „L’italiano … è tecnologico“ Protagonisten dieser Debatte sind zwei bekannte Schriftsteller − Pier Paolo Pasolini und Italo Calvino. Pier Paolo Pasolini (1922−1975) eröffnet mit einer Reihe von Vorträgen und einem Beitrag in der 1944 von Palmiro Togliatti gegründeten kommunistischen Zeitschrift Rinascita vom 26. Dezember 1964 eine Diskussion über die sprachlichen Konsequenzen des traumatischen kulturellen und wirtschaftlichen Umbruchs. Hatte er lange Zeit die Existenz einer gemeinsamen italienischen Gebrauchssprache überhaupt geleugnet, so stellt er nun fest, dass ein „italiano tecnologico“ (eine „lingua della produzione e del consumo“ der großen Industriezentren) entstanden sei, die alle anderen sprachlichen Varianten zu nivellieren drohe. Er spricht sogar von der Gefahr einer „massificazione linguistico-culturale“ und thematisiert die Situation als ein Wiederaufleben der Sprachenfrage, eine „nuova questione della lingua“. Die vereinheitlichende Entwicklung der Sprache bedeute Verlust an Ausdruckskraft und an lexikalischer, semantischer und syntaktischer Vielfalt und das komme einem Sprachverfall gleich. Das Volk sei dazu „verdammt“, eine überregionale „lingua della produzione e del consumo“ zu gebrauchen. Pasolini fasst seine Beobachtung in der Formel zusammen: „L’italiano finalmente è nato, ma io non lo amo perché è tecnologico“. Pasolini kritisiert die italienische Sprachentwicklung als einen von sozialen Klasseninteressen bewusst gesteuerten Prozess, in dem das Literaturitalienisch der Bildungselite gegen eine „Klassensprache der Technokratie“ eingetauscht worden sei (Textauszug). La completa industrializzazione dell’Italia del Nord […] e il tipo di rapporti di tale industrializzazione col Mezzogiorno, ha creato una classe sociale realmente egemonica, e come tale realmente unificatrice della nostra società. Voglio dire che mentre la grande e piccola borghesia di tipo paleoindustriale e commerciale non è mai riuscita a identificare se stessa con la intera società italiana, e ha fatto semplicemente dell’italiano letterario la propria lingua di classe imponendolo dall’alto, la nascente tecnocrazia del Nord si identifica egemonicamente con l’intera nazione, ed elabora quindi un nuovo tipo di cultura e di lingua effettivamente nazionale. […] Perciò […] che è nato l’italiano come lingua nazionale. (Pasolini 1969, zitiert nach Vitale 1984: 774) In seiner Tätigkeit als Schriftsteller, Dichter und Regisseur simuliert Pasolini − gewissermaßen als Gegenreaktion auf diese Entwicklung − nur allzu gern die Sprache der einfachen Leute seiner Heimatregion Friaul und seiner Wahlheimat Rom. Seine Sprache ist dabei eine stetige Aushandlung der qualitativen und funktionalen Disproportion zwischen Italienisch und Dialekt. Entsprechend kennzeichnet er seine Protagonisten aus dem Subproletariat durch normabweichendes Verhalten (aber auch „guten Kern“) und eine ebenso normabweichende, hybride aber gerade deshalb ausdrucksstarke und „authentische“ Sprache, in der sich dialektale Elemente mit Merkmalen des italiano popolare (vorzugsweise der berüchtigten römischen Vorstädte, borgate, der 1960er Jahre) mischen. Beispielhaft sei auf seinen Roman Ragazzi di vita (1955) oder seinen Kinofilm Accatone (dt. Wer nie sein Brot mit Tränen aß, 1961) verwiesen. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 196 15.08.11 15: 18 <?page no="209"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 197 Italo Calvino: „L’antilingua“ Aus einer anderen Perspektive schaltet sich Italo Calvino (1923−1985) − ebenfalls über die Presse − in die Diskussion ein. Seine Kritik betrifft den öffentlich-formalen Sprachgebrauch, die Verwaltungs- und Amtssprache, die an der rhetorisch-ästhetisierenden Tradition zu ersticken drohe. Er bezeichnet sie in seinem Artikel mit gleichlautender Überschrift als regelrechte „Antisprache“ (antilingua), mit deren Verständnis der Durchschnittsbürger, v. a. aber der Beamte im öffentlichen Dienst täglich zu ringen habe (Zitat 1). Calvino gibt auch ein illustratives und abschreckendes Beispiel für dieses „Verwaltungsitalienisch“ (Zitat 2): die Schilderung eines „Tathergangs“ aus der Sicht des Zeugen ist ohne weiteres verständlich, knapp und klar formuliert. Die daraus abgeleitete amtliche Version des Carabiniere, also des Staatsbeamten, ist nicht nur wesentlich umfangreicher und umständlicher, sondern durch die zahlreichen Paraphrasierungen nicht mehr verständlich. So wird aus der Zeitangabe stamattina presto (‘am frühen Morgen’) nelle prime ore antimeridiane oder aus der konkreten Bezeichnung stufa für den Ofen die unklare Verallgemeinerung impianto termico, ebenso unklar ist der allgemeine Ausdruck quantitativo di prodotti vinicoli für fiaschi di vino (‘Weinflaschen’). 1. Ogni giorno […] per un processo ormai automatico, centinaia di migliaia di nostri concittadini traducono mentalmente con la velocità di macchine elettroniche la lingua italiana in un’antilingua inesistente. Avvocati e funzionari, gabinetti ministeriali e consigli d’amministrazione, redazioni di giornali e di telegiornali scrivono pensano parlano nell’antilingua. 2. Il brigadiere è davanti alla macchina da scrivere. L’interrogato, seduto davanti a lui, risponde alle domande un po’ balbettando, ma attento a dire tutto quello che ha da dire nel modo più preciso e senza una parola di troppo: „Stamattina presto andavo in cantina ad accendere la stufa e ho trovato tutti quei fiaschi di vino dietro la cassa del carbone. Ne ho preso uno per bermelo a cena. Non ne sapevo niente che la bottiglieria di sopra era stata scassinata“. Impassibile, il brigadiere batte veloce sui tasti la sua fedele trascrizione: „Il sottoscritto essendosi recato nelle prime ore antimeridiane nei locali dello scantinato per eseguire l’avviamento dell’impianto termico, dichiara d’essere casualmente incorso nel rinvenimento di un quantitativo di prodotti vinicoli, situati in posizione retrostante al recipiente adibito al contenimento del combustibile, di aver effettuato l’asportazione di uno dei detti articoli nell’intento di consumarlo durante il pasto pomeridiano, non essendo a conoscenza dell’avvenuta effrazione dell’esercizio soprastante“. (Italo Calvino: „L’antilingua“, Il Giorno, 3 febbraio 1965) Pasolini und Calvino sprechen mit ihrer Diskussion neue Problembereiche an, die für die weitere italienische Sprachgeschichte prägend werden. Die Verwendung der Nationalsprache durch die gesamte Bevölkerung setzt einerseits auch die allgemeine Verständlichkeit der im öffentlichen Diskurs verwendeten Sprache voraus, andererseits zieht sie zwangsläufig eine wachsende innere Ausdifferenzierung des Italienischen nach sich, denn sie wird sich den vielfältigen Kommunikationsbedürfnissen anpassen (müssen). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 197 15.08.11 15: 18 <?page no="210"?> 198 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache 7.6.4 Ausdifferenzierung und Statusbestimmung der italienischen Sprache bis in die Gegenwart Industrialisierung, Urbanisierung, Migration und der Import eines neuen Lebensstils nach amerikanischem Vorbild haben also nachhaltige sprachliche Folgen, die sich auch quantitativ an den Erhebungen über die Zahl der Dialektsprecher und die kommunikative Rolle der Dialekte illustrieren lassen. Die folgenden Zahlen illustrieren die grundlegenden sprachlichen Veränderungen nach den 1950er Jahren, in denen noch zwei Drittel der Bevölkerung des Italienischen nicht mächtig war. Die Verbreitung des Italienischen von 1861 bis 1995 1861 1955 1988 1995 Italienisch 1,5 10,0 38,0 44,4 Italienisch/ Dialekt 1,0 24,0 48,0 48,7 Dialekt 97,5 66,0 14,0 6,9 (Angaben nach De Mauro/ Vedovelli 1999: 9) Diese Zahlen allein sind aussagekräftig hinsichtlich der quantitativen Entwicklung der Diglossiesituation Dialekt − Italienisch. Wesentlich interessanter wird von nun an die innere Variation des Italienischen. Wenn Pasolini vom „italiano come lingua nazionale“ spricht, so müsste in der Gegenwart eigentlich von den italiani im Plural gesprochen werden, denn das kompakte Modell des italiano letterario ist, genau genommen, durch einen Komplex von Sprachvarietäten mit unterschiedlicher kommunikativer Funktion und Reichweite ersetzt worden: etwa die italiani regionali als geographische Varianten, auf sozialer Ebene das italiano popolare bzw. auf stilistisch-situativer Ebene die informelle Alltagssprache (italiano colloquiale) oder das Verwaltungsitalienisch (italiano burocratico). In vereinfachter Form kann man das Variationsspektrum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst über drei Variationsbereiche beschreiben. Das moderne sprachliche Repertoire umfasste nun regionale, soziale und situative Varianten: − Regiolekte bzw. italienische Regionalsprachen (italiani regionali), − Soziolekte (italiano popolare), − Register (italiano colloquiale, italiano standard letterario, italiano formale aulico oder auch das italiano burocratico). Im Konzept der Nationalsprache als offizielle Staatssprache (lingua ufficiale) wird diese Komplexität ausgeblendet und auf den einheitlichen Gebrauch einer Sprache für die offiziellen Staatsgeschäfte rekurriert. In der Verfassung ist dieser Status nicht explizit vermerkt, was man von offizieller Seite u. a. damit begründet, dass eine entsprechende Festschreibung (zumindest in der ersten Nachkriegszeit) hätte als Reminiszenz auf die nationalistische Sprachpolitik im Ventennio fascista gedeutet werden können. Wird 1848 in Art. 62 des Statuto Albertino, das die Grundlage für die Verfassung des vereinigten italienischen Königreichs bildet, noch ausdrücklich festgelegt, „la lingua italiana è la lingua Reutner_Stb_sV-256_End.indd 198 15.08.11 15: 18 <?page no="211"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 199 „La lingua ufficiale della Repubblica è l’italiano.“ Aktualität und neue Dimension der Sprachenfrage Motive und Strategien der difesa dell’italiano in der Gegenwart ufficiale delle Camere“, so verzichtet man bei der Redaktion der Verfassung von 1948 bewusst auf einen entsprechenden Passus. Erst im Kontext von Globalisierung und europäischer Sprachenpolitik wird die Notwendigkeit einer verfassungsmäßigen Verankerung der Nationalsprache (im Übrigen nicht nur in Italien) immer häufiger thematisiert. 1998 spricht sich erstmals Giovanni Nencioni als damaliger Akademiepräsident für eine Erweiterung des Artikels 12 der Verfassung um die Formel „L’italiano è la lingua ufficiale della Repubblica Italiana“ aus. Im ersten Artikel des Gesetzes zur Regelung des Schutzes und der Förderung von historischen Minderheitensprachen (Legge ordinaria n. 482 del 15-dicembre 1999 Norme in materia di tutela delle minoranze linguistiche storiche) ist der Status des Italienischen als Staatssprache mit identischem Wortlaut explizit festgeschrieben, denn: gegenüber alternativen Identitätskonstrukten zur italianità verhält sich der italienische Staat prinzipiell tolerant, ihre ausdrückliche Förderung (in Umsetzung europäischer Sprachpolitik) ist dann aber schon Anlass für eine klare Positionierung in Sachen Nationalsprache: „la lingua ufficiale della Repubblica è l’italiano“. Der von drei Vertretern der Accademia della Crusca im Oktober 2006 der ständigen Parlamentskommission für Verfassungsfragen vorgetragene Vorschlag einer entsprechenden Verfassungsänderung mündet 2007 zwar in einen Gesetzesentwurf („Proposta di legge costituzionale approvata dalla Camera il 28 marzo 2007 che prevede la modifica dell’art. 12 della Costituzione in ‘L’italiano è la lingua ufficiale della Repubblica nel rispetto delle garanzie previste dalla Costituzione e dalle leggi costituzionali’“), seine Ratifizierung steht jedoch bis heute aus. Das Engagement führender Vertreter der wichtigsten Sprachpflegeorganisation Italiens für die verfassungsmäßige Verankerung des Italienischen als Staatssprache genau sechzig Jahre nach Verabschiedung der Verfassung mag verwundern. In der Begründung des Antrags wird nicht nur auf die ganz zentrale Bedeutung von Sprachproblemen in der Gegenwart verwiesen, sondern auch auf den gegenwärtig offensichtlichen Legitimationsbedarf der europäischen Hochsprachen (Zitat): Ciò che allora poté sembrare superfluo o inopportuno, oggi invece appare necessario perché le questioni linguistiche hanno acquistato una centralità prima impensabile e le lingue dei grandi paesi hanno bisogno di acquisire una più precisa riconoscibilità. (Sabatini/ Maraschio/ Coletti 2006: 4) Die hier abzulesende Sorge um die italienische Nationalsprache in der Gegenwart kann also nicht als bloße Fortsetzung der über Jahrhunderte geführten Debatte um die italienische Sprachenfrage interpretiert werden, sondern ist zweifellos integrativer Bestandteil einer europäischen Entwicklung, in deren Folge die Identitätsfunktion zahlreicher europäischer Hochsprachen zur Disposition steht. Von Sprachpflege (tutela) und Sprachverteidigung (difesa) ist in den letzten Jahren in Italien häufig die Rede gewesen. Mehr oder weniger organisierte Aktivitäten haben einen recht heterogenen Hintergrund und reichen von spek- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 199 15.08.11 15: 18 <?page no="212"?> 200 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache „Gefahrenquelle“: Morbus anglicus „Gefahrenquelle“: inquinamento della lingua takulären Medienevents bis zur Programmierung neuer gesetzlicher Grundlagen für den Umgang mit der Nationalsprache und den anderen Idiomen. Eine Reihe von (sprach)politisch motivierten Aktivitäten seit den 1990er Jahren kulminiert in dem seit 2002 heftig umstrittenen Gesetzesentwurf über die Gründung eines Consiglio Superiore della lingua italiana (CSLI). Als Gefahrenquellen für die Nationalsprache werden verschiedene Ursachen bzw. „Verursacher“ angeprangert. Über die negativen Auswirkungen des anglo-amerikanischen Einflusses wird in den romanischen Ländern seit langem mehr oder weniger intensiv diskutiert. In Italien sind bis zur Jahrtausendwende die besorgten Stimmen eher verhalten. Wenn etwa die Prognose von Arrigo Castellani über den an akutem „morbus anglicus“ erkrankten „Patienten Italienisch“ (Zitat) in Vorschläge für italienische Ersatzwörter mündet (vgl. 7.6.1), so hat das keine konkreten Folgen für die weitere Sprachentwicklung. Nome del paziente: Italiano. Professione: lingua letteraria. Età: quatordici secoli, o sette secondo i punti di vista. Carriera scolastica: ritardata, ma con risultati particolarmente brillanti fin dall’inizio. Diagnosi: sintomi chiarissimi di morbus anglicus (con complcazioni), fase acuta. Prognosi: favorevole, […] purché: dato che il virus […] agisce in profondità, attaccando gli organi essenziali. Un medico prudente parlerebbe piuttosto di prognosi riservata. (Castellani 1987: 137) Namhafte Sprachwissenschaftler haben sich regelmäßig über den tatsächlichen „Gesundheitszustand“ der italienischen Sprache zu Wort gemeldet und beharrlich (wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg) versucht, Sprachkontakt und Sprachwandel als Ursache für die „Korruption“ der Hochsprachen zu entdramatisieren und als natürliche sprachgeschichtliche Prozesse zu erklären. Das 1995 von Mailänder Kulturschaffenden veröffentlichte Manifesto in difesa della lingua italiana richtet sich in erster Linie gegen den durch Massenmedien und Bildungswesen geduldeten bzw. gar geförderten Einfluss von Anglizismen und prognostiziert eine „catastrofe linguistica“ in Form des Verlusts der italienischen Sprache. Im Jahr 2000 wird schließlich von Politikern verschiedener Couleur, Literaten und Künstlern der kurzzeitig recht beachtete Verein La bella lingua gegründet, der sich als „movimento di resistenza attiva contro l’inquinamento della lingua“ versteht und in seinem Manifest etwas detaillierter auf vermeintliche Gefahrenquellen eingeht. Die Vorwürfe richten sich nun nicht mehr nur gegen das Vordringen des „pidgin english“ und die „Jargonisierung“ der Alltagssprache, sondern ebenso gegen die Wiederbelebung der Dialekte. Es geht letztlich um den Ausschluss alternativer Identitätskonstrukte und die Wiederbelebung der idealisierten „bella lingua“. Diese Initiative inspiriert rechte Politiker zur Forcierung einer „politica dell’italofonia“, die schließlich 2002 im o.g. Gesetzesentwurf zur Gründung eines „obersten italienischen Sprachrats“ mündet. In seiner Erstfassung gehören neben der Erstellung einer „grammatica ufficiale della lingua italiana“, also einer offiziellen Staatsgrammatik, auch die Unterweisung aller Italiener Reutner_Stb_sV-256_End.indd 200 15.08.11 15: 18 <?page no="213"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 201 Der Funktionsradius der Nationalsprache Orientierungsmuster der ‘Sprachkultur’ Gli italiani e la loro lingua im „uso corretto della buona lingua“, also im korrekten Gebrauch der guten Sprache, zu den geplanten Aktivitäten dieses staatlichen Gremiums. Das puristische Konzept einer „buona lingua“ gerät aber bereits innerhalb des Entwurfs in Konflikt mit dem gleichzeitig propagierten Anspruch auf ein „demokratisches, allen Sprechern zugängliches“ Sprachmodell („modello di lingua in cui tutti possano riconoscersi, prestando particolare attenzione alle varianti regionali dell’italiano parlato“). Trotz zahlreicher konstruktiver Vorschläge von Seiten der professionell mit Sprachangelegenheiten befassten Organisationen (Accademia della Crusca, Associazione degli Storici della Lingua Italiana, Società Dante Alighieri) ist daraus bisher kein allseits konsensfähiges Konzept entstanden. Als wirklicher Anlass zur Besorgnis gilt dagegen auch in sprachwissenschaftlichen Kreisen die Tatsache, dass in dem Moment, als die italienische Sprache ihren vollen Funktionsradius erreicht hat, ausgerechnet einige gehobene und prestigeträchtige Diskursbereiche (wie Teile des Wissenschaftsdiskurses) aus diesem herauszubrechen beginnen, was u. a. dem Desinteresse der Träger höherer Diskursuniversen (der sozialen Elite) an der Pflege ihrer Muttersprache zugeschrieben wird. Die Sorge um die Nationalsprache gipfelt in der freilich oberfächlichen Hypothese über einen schnellen Verfall des Italienischen zu einer „lingua di tipo domestico, in via di emarginazione dalla scena mondiale e destinata a un non lontano disfacimento“ (zitiert aus der „Lettera di intenti“ der 2003 von der Accademia della Crusca organisierten Tagung zum Thema Italiano e le scienze, cf. www.accademiadellacrusca.it). Wenn unter „Sprachkultur“ als Konzept für die Beschreibung und Orientierung des Sprachgebrauchs im kommunikativen Alltag bis in die 1980er Jahre immer auch die Orientierung an der Literatur gefasst wird (vgl. etwa Weinrich 1985: 17), so ist das heute nicht mehr ausreichend. Nicht mehr ausschließlich die Literatur, sondern Gebrauchs- und Funktionssprachen inklusive Fach- und Wissenschaftssprachen bilden in der Gegenwart zentrale Register mit hohem gesellschaftlichen Gebrauchswert und Breitenwirkung. Im Orientierungswechsel von der Literatur zu anderen Diskursdomänen spiegelt sich die offensichtliche Veränderung der Rangordnung sprachlicher Ausbauqualitäten im internationalen Maßstab. Die italienische Literatursprache bleibt allerdings im kulturellen Gedächtis der Italiener fest verankert und der (auch nur formelhafte) Verweis auf Dante funktioniert bis in die Gegenwart als kultureller Gedächtnisort. 7.6.5 Dove il sì suona. Die Sprache Dantes als kultureller Gedächtnisort Kulturen haben Schlüsselbegriffe und Formeln, die Gedächtnisorte („lieux de mémoire“) sind. Dove il sì suona ist nicht erst seit der gleichnamigen Ausstellung, die 2003 in den Florentiner Uffizien erstmals eine umfassende Darstellung der Geschichte der italienischen Sprache in ihren vielfältigen Facetten präsentierte, in Italien zu einer solchen Formel geronnen. Die unter der Schirmherrschaft des damaligen italienischen Staatspräsidenten maßgeblich von der Società Dante Alighieri initiierte Ausstellung Dove il sì Reutner_Stb_sV-256_End.indd 201 15.08.11 15: 18 <?page no="214"?> 202 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Eine Ausstellung zur Geschichte der italienischen Sprache 2003 „… il bel paese là dove ’l sì suona“ suona. Gli italiani e la loro lingua gliedert sich in drei inhaltliche Bereiche (Italienisch zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit; Italienisch und die Norm; Italienisch und die anderen Sprachen), innerhalb derer historischer Wandel, regionale und soziale Prägung des Italienischen sowie Wechselwirkungen mit der eigenen und mit fremden Kulturen vorgeführt werden. Als „bel paese là dove ’l sì suona“ beschreibt Dante Alighieri in der Divina Commedia (Inferno, XXXIII, vv. 79−80) ein Land, das von der sprachlichen und politischen Einheit damals noch weit entfernt ist. Das sì hat er vordem in seinem Traktat De vulgari eloquentia als ein sprachliches Identitätsmerkmal der „Italiener“ postuliert (vgl. 4.1.2). Der Dante-Vers wird wie auch der namentliche Verweis auf den Dichter selbst zum Topos der sprachlichen Selbstidentifikation mit primär kultureller Anbindung. Über Jahrhunderte hinweg wird das Italienische in der Folge mit Referenz auf Dante und seine großen Dichterkollegen und oft in Abgrenzung zu den romanischen „Schwestern“ wie dem Französischen als eine der großen europäischen Kultursprachen gehandelt. Der lange Zeit exklusive Bezug der Standardsprache auf eine historische Dichtergeneration des „buon secolo“ mündet in einen regelrechten Kult um die „Dichterkronen“ Dante, Petrarca und Boccaccio, in dessen Konsequenz das Italienische − in gewisser Weise als Alleinstellungsmerkmal gegenüber den anderen großen europäischen Nationalsprachen − bis in die Gegenwart seine archaische und literarische Prägung als dominante Merkmale bewahrt. Immer wieder wird der Umstand, dass ein Italiener noch heute die Sprache Dantes und Boccaccios unschwer als seine eigene Sprache identifizieren könne, als Beleg für die Stabilität des Italienischen herausgestellt. So unterstreicht etwa Giovanni Nencioni, damaliger Präsident der Accademia della Crusca, 1995 in einem programmatischen Aufsatz über das Schicksal des Italienischen gerade diese vermeintliche „Stabilität“ als Garant für den weiteren Erhalt der Nationalsprache: L’italiano odierno si è mantenuto quasi uguale a quello creato da Dante, e lo dimostra il fatto che noi possiamo leggere la Divina Commedia, scritta sette secoli or sono, senza troppa difficoltà, mentre i francesi non possono leggere il loro poema delle origini, la Chanson de Roland […]. (Nencioni 1995: 2) Eine kondensierte Darstellung zur Rolle der lingua del sì als kultureller Gedächtnisort der Italiener liefern die verschiedenen Begleittexte zur o.g. Ausstellung, in denen sich Politiker, Vertreter von Sprachpflegeinstitutionen und Sprachwissenschaftler zu Wort melden. So spricht sich etwa der damalige Präsident der italienischen Republik, Carlo Azeglio Ciampi, unter Bezug auf Dante für die notwendige Verteidigung der Sprache als Grundlage der italienischen Kultur und Zivilisation aus, stehe doch die Sprachgeschichte emblematisch für den langen Weg zur politischen Einheit des Landes (Zitat). Il cammino che ha portato le popolazioni italiane a convergere verso la lingua di Dante è stato lungo e complesso. Esso testimonia e riflette in modo emblematico il percorso parallelo compiuto sul terreno politico per fare dell’Italia uno Stato unitario. La difesa della lingua è indispensabile per tutelare il carattere e la vitalità della nostra civiltà, fondata sull’arte, il pensiero, la cultura, in una tradizione millenaria. (Dove il sì suona, 2003: 7) Reutner_Stb_sV-256_End.indd 202 15.08.11 15: 18 <?page no="215"?> Die italienische Sprache wird zur lingua nazional e 203 Der Präsident der Società Dante Alighieri Bruno Bottai unterstreicht das breitangelegte Kulturkonzept der Ausstellung, die eben nicht mehr nur auf die „hohe Sprachkultur“ sondern auf Vielfalt und Veränderung der italienischen Sprachlandschaft in Geschichte und Gegenwart fokussiert (Zitat). La cultura che la mostra fa oggetto della sua ricerca non è […] solo l’alta cultura, ma i dialetti nella loro vivacità, gli scambi con le altre lingue che valicano le Alpi portati dalle armi o dal commercio, la canzone popolare, il disegno industriale, la moda, le feste, la cucina. (Dove il sì suona, 2003: 9) Aus sprachwissenschaftlicher Sicht kommentiert Luca Serianni in seinem Vorwort zum Katalog neben den traditionellen sprachlichen Identitätsmerkmalen insbesondere die innere Ausfächerung des Italienischen in Hochsprache und verschiedene sprachliche Subsysteme, die neben der bis heute lebendigen dialektalen Vielfalt die Sprachlandschaft prägen: etwa das bereits im Settecento vornehmlich in Reiseberichten attestierte italiano basso der einfachen Leute mit regionalem Kolorit, das durch vielfältige Korrespondenzen überlieferte italiano della conversazione borghese oder auch die in der Fachkommunikation verwendeten italiani settoriali. Serianni hebt zudem einen für das Sprachbewusstsein der Italiener nicht unerheblichen Umstand hervor, nämlich das anhaltend breite Interesse für das Italienische als Fremdsprache als Ausweis des internationalen Prestiges, das die große europäische Kultursprache auch in der Ära der Globalisierung und Anglisierung nicht eingebüßt hat. Einigen dieser hier genannten Aspekte sind die zwei folgenden Kapitel gewidmet, die ausdrücklich über die traditionelle sprachgeschichtliche Darstellung der Entwicklung des literatursprachlichen Standards hinausgehen und auch die Rolle des Italienischen als Bildungs- und Kultursprache außerhalb Italiens behandeln. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 203 15.08.11 15: 18 <?page no="216"?> 8 Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der-italienischen Sprachkultur Die italienische Sprachgeschichte ist in den bisherigen Kapiteln v. a. in Hinblick auf die Entwicklung der italienischen Standardsprache mit besonderem Fokus auf die Geschichte einer literarisch basierten Schriftlichkeit (auch Literatursprache) dargestellt worden. Die im letzten Kapitel mehrfach zitierte Vielfalt der italienischen Sprachkultur mit vielfältigen Diskurs- und Texttraditionen auch außerhalb der „schönen“ Literatur wurde dabei kaum berücksichtigt. Das folgende Kapitel soll daher einen sehr gedrängten Überblick über andere Diskurssphären geben, die mit der Erweiterung des Funktionsradius der italienischen (National)Sprache bis in die Gegenwart eine immer größere Wichtung erfahren: die Wissenschaftssprache (italiano scientifico) und die Verwaltungssprache (italiano burocratico-amministrativo). 8.1 L’italiano scientifico. Die historische Entwicklung der-italienischen Wissenschaftssprache Wenn eine Sprache für alle Bereiche der Wissenschaft verwendet werden kann, ist die höchste Stufe ihres Ausbaus erreicht. Dieses Ziel erreicht das Italienische erst um 1800. Abhandlungen in Volgare ab dem Mittelalter bzw. in Italienisch ab der Kodifikationsphase der italienischen Schriftsprache sind bis in das 17. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich. Einzelne Persönlichkeiten setzen allerdings durch ihre Entscheidung gegen das Latein Meilensteine, auch wenn diese noch nicht zur systematischen Entwicklung einer eigenständigen italienischen Fach- und Wissenschaftsprosa führen. Dazu gehören im 16. und 17. Jahrhundert Giorgio Vasari (Kunst- und Architekturgeschichte), Tommaso Campanella (Staatstheorie) und Galileo Galilei (Mathematik, Physik, Astronomie) sowie im frühen 18. Jahrhundert Giambattista Vico (Philosophie) und Ludovico Antonio Muratori (Geschichtsschreibung). Wissenschaftssprache referiert im Folgenden entgegen der englischen Bezeichnungstradition science (‘Naturwissenschaft’) sowohl auf Naturals auch auf Geisteswissenschaften und es wird nicht trennscharf von Fachsprache unterschieden. Es geht um eine historische Überblicksdarstellung über die Entwicklung der italienischen Fach- und Wissenschaftssprache(n) in historischen Epochen, für die das moderne Wissenschaftsverständnis wie auch die heute übliche (relativ deutliche) Abgrenzung der Fach- und Wissenschaftssprachen von anderen Sprachvarietäten nicht oder nur bedingt relevant sind und Gültigkeit haben. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 204 15.08.11 15: 18 <?page no="217"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 205 Die Rolle der volgarizzamenti für die Ausbildung der italienischen Wissenschaftssprache 8.1.1 Der italienische Wissenschaftsdiskurs vom Mittelalter bis zum 16.-Jahrhundert: Latein vs. Volgare Die Abhandlung wissenschaftlicher Themen in Volgare beginnt bereits im Mittelalter, erfolgt aber zunächst in erster Linie via Übersetzung v. a. lateinischer Referenztexte (volgarizzamenti) und nur in Ausnahmefällen in Form von eigenständigen Werken. Im Unterschied zum modernen Wissenschaftsdiskurs ist für bestimmte Wissensgebiete wie Medizin, Architektur, Malerei und Technik (die sog. „äußeren Wissenschaften“) vom Altertum bis in die Neuzeit die sprachliche Umsetzung in Form ausgeprägter konzeptioneller Schriftlichkeit durchaus nicht verbindlich. Daraus erklärt sich, dass man sich bereits im 15. Jahrhundert auch des Volgare für anspruchsvollere Themen bedient. Aber auch in Bereichen, die wie etwa die Mathematik zum Kernbereich der historischen Wissenschaft gehören, geht man zum Gebrauch des Volgare über, wobei zunächst immer die Breitenwirkung im Vordergrund steht. Die mittelalterliche Wissenschaft wird wesentlich durch die Entdeckung der Libri naturales von Aristoteles, die Zirkulation griechischer, hebräischer und arabischer Fachtexte und die Gründung von Universitäten geprägt. In erster Konsequenz werden im 13. und 14. Jahrhundert zahlreiche griechische und arabische Texte ins Latein übersetzt. In zweiter Konsequenz entsteht aber bereits das Bedürfnis nach volkssprachlichen Übersetzungen, mit denen ab dem 13. Jahrhundert das Monopol der lateinischen Schriftsprache gebrochen wird. Diese Übersetzungen (auch volgarizzamenti) sind natürlich reich durchsetzt mit lateinischen, griechischen und arabischen Fachtermini. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf divulgativ-didaktischen Texten, wohingegen sich die „anspruchsvolle scholastisch-spekulative Traktatliteratur und die im engeren Sinn wissenschaftliche Literatur“ nur zögernd aus dem Latein emanzipieren (vgl. Guthmüller 1989: 235). Von großem Interesse sind Wissensenzyklopädien, in denen historische Kenntnisse kompiliert werden. So erscheint z. B. Ende des 13. Jahrhunderts eine verkürzte toskanische Übersetzung des Speculum historiale von Vincent de Beauvais (1264). Der recht freie Umgang der volgarizzatori mit ihrer Vorlage führt zu einer frischen und lebendigen Sachprosa, die allerdings nicht im engeren Sinn zur Wissenschaftsliteratur zu rechnen ist. Im medizinischen Bereich entstehen volkssprachliche Übersetzungen aus dem Latein zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Einen interessanten Vorläufer bildet hier bereits am Ende des 13. Jahrhunderts die Übersetzung der Chirurgia von Guglielmo da Saliceto, die unmittelbar nach dem Original erscheint und 1474 sogar noch zwei Jahre vor dem lateinischen Original gedruckt wird, was nicht unerheblich zum Ruhm dieses mittelalterlichen Mediziners beiträgt. Im 15. Jahrhundert erscheint eine Übersetzung der Anatomia a capite usque ad pedes von Mondino de’ Liucci (1316), nach Altieri Biagi „il primo trattato medievale di anatomia degno di questo nome“ (1968: 126). Für die Entwicklung italienischer Fachterminologien sind beide Übersetzungen interessant und signifikant. Bereits die Übersetzung der Anatomia und eine fast zeitgleich er- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 205 15.08.11 15: 18 <?page no="218"?> 206 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Volgare in Forschung und Lehre an den Universitäten Erste fachwissenschaftliche Schriften in Volgare Anzeichen für die Entwicklung eines volkssprachlichen Fachwortschatzes scheinende Übersetzung der Chirurgia von Guy de Chauliac (1480) weisen eine recht ausdifferenzierte medizinische Fachterminologie auf (die Rolle der volgarizzamenti für die Ausbildung der italienischen Wissenschaftssprache wird von Giovanardi 2006 detailliert beschrieben). In der Phase des Vulgärhumanismus führt die Laisierung der Bildung zunächst v. a. in Florenz zu einer verstärkten Rezeption antiker Fachtexte via Übersetzung. Zu nennen wären hier etwa Cristofero Landinos Plinius-Übersetzung von 1476, die 1545 erschienene Euklidübersetzung von Niccolò Tartaglia (1545) oder auch die Übersetzung von Cosimo Bartolis Protomathesis durch Orontius Finaeus („das erste korrekt geschriebene mathematische Werk“, Olschki 1922: 211). Diese Übersetzungen dienen nicht nur der Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse, sie implementieren ebenso sprachliche und textuelle Strukturen, die der Ausprägung einer eigenständigen wissenschaftlichen Schreibtradition zugutekommen sollten. In dieser Phase unternimmt Cosimo I. auch den ersten ernsthaften Vorstoß zur Implementierung des Volgare in Lehre und Forschung an den Universitäten und verschafft damit den Wissenschaften erhebliche Breitenwirkung. Er verlangt von den Professoren der Akademien, die öffentlichen Vorlesungen (für die ökonomisch und politisch stärkste Schicht ohne Lateinkenntnisse) auf Italienisch abzuhalten und ihnen jeweils eine Stelle aus der Divina Commedia von Dante zugrundezulegen. Zum einen wird damit ein ständiger sprachlicher Bezug zur eigenen literarischen Klassik hergestellt, zum anderen aber auch ein ausgeprägtes Bewusstsein der eigenen kulturellen Identität gesichert (die Commedia bereits als kultureller Gedächtnisort). Eigenständige fachwissenschaftliche Schriften in Volgare (nicht selten mit lateinischer Parallelfassung) gehören vor dem 17. Jahrhundert eher zu den Ausnahmen. Als mittelalterlicher Präzedenzfall wird die Composizione del mondo von Ristoro d’Arezzo (1282) interpretiert. Es handelt sich um eine typisch mittelalterliche Enzyklopädie mit didaktischem Anspruch nach aristotelischem Modell (vgl. 3.6). Anzeichen für die Entwicklung von volkssprachlichem Fachwortschatz lassen sich nach neueren Untersuchungen bereits im 15. und 16. Jahrhundert erkennen. Das 1494 in Venedig publizierte mathematische Kompendium Summa de arithmetica geometria proportioni et proportionalità von Luca Pacioli weist die typischen hybriden Merkmale regionaler Mischsprachen auf (Mischung aus Latinismen, Toskanismen und Regionalismen, lexikalische Polymorphie), wobei volkssprachliche und lateinische Schreibmuster alternieren. Die Sprache des großen Mathematikers Niccolò Tartaglia aus Brescia wird als „un robusto italiano settentrionale“ charakterisiert (Trovato 1994: 32). Auch im medizinischen Bereich nimmt die Kompilation von divulgativen Traktaten für ein Laienpublikum zu (Beispiele sind 1460 De regimine pregnantium des Paduaners Michele Savonarola, diverse Traktate über die Pest zwischen 1478 und 1579). Im Cinquecento beginnt sich auch ein Fachwortschatz der Mechanik herauszubilden, wobei hier der Stellenwert von gelehrten Termini gegenüber anderen Disziplinen deutlich geringer ist. Synonymie, Polysemie und ein geringer Technisierungsgrad zeichnen die musikalischen Traktate des Cinquecento aus Reutner_Stb_sV-256_End.indd 206 15.08.11 15: 18 <?page no="219"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 207 Abb. 8.1 Galileo Galilei Abb. 8.2 Aufzeichnungen zur Entdeckung der Jupitermonde (Rossi 1994 hat 41 in Volgare geschriebene Abhandlungen analysiert). Eigenständige Traktate in Volgare entstehen zudem in der Kunsttheorie und Architektur, die sich bis in die Moderne zu Italienisch geprägten Fachdisziplinen entwickeln sollten. Leon Battista Alberti, auch Autor der ersten volkssprachlichen romanischen Grammatik, verfasst seine Abhandlung zur Malerei sowohl auf Lateinisch (De pictura, erste Druckfassung 1540) als auch auf Florentinisch (Della pittura, editio princeps 1547). Mit der vom lateinischen Text deutlich abweichenden florentinischen Fassung verfolgt Alberti das erklärte Ziel, einen auf die Malerei angewandten geometrischen Fachwortschatz zu entwickeln (vgl.- 5.1.2). Der ebenfalls auf Florentinisch geschriebene Trattato di pittura von Leonardo da Vinci (ca. 1490, Druckfassung 1651) liefert ein weiteres interessantes Beispiel für florentinische Fachprosa vor der Normalisierung der Schriftsprache. 8.1.2 Galileo Galilei und die Emanzipation der italienischen Wissenschaftssprache im 17. Jahrhundert Der gezielte Ausbau einer italienischen Wissenschaftsprosa setzt neben dem „Bruch mit dem Latein auch den Bruch mit den herrschenden Denkgewohnheiten“ voraus (Olschki 1922: 63), der erst mit Giordano Bruno (1548−1600) in der Philosophie und sprachlich noch wirkungsvoller mit Galileo Galilei (1564−1642) in den Naturwissenschaften einsetzt, von der Inquisition aber auch heftig bekämpft wird. Galilei gilt heute als Begründer einer neuen italienischen Wissenschaftsprosa, die sich insbesondere durch die Ausgewogenheit zwischen literarischer und Alltagssprache auszeichnet und zur Nachahmung eignet. Galilei entscheidet sich ganz bewusst für das Volgare, das in seinen Schriften (mit wenigen lateinischen Ausnahmen wie dem Sidereus nuncius) recht bald dominiert und das Latein zur „Sprache der Gegenpartei“ degradiert. Besonders deutlich wird das in einem seiner berühmten Briefe, dem Saggiatore (1623), in welchem er die Thesen seines Widersachers lateinisch zitiert, seine eigene Argumentation dagegen auf Italienisch entwickelt (Abb. zeigt einen italienisch verfassten Brief, in dem Galilei 1609 dem Dogen von Venedig Leonardo Donato, über seine Entdeckung der Jupitermonde berichtet). Galilei nutzt das Volgare einerseits als Instrument für die Darstellung einer neuen (mathematisch-mechanischen) Sichtweise, die mit den Dogmen des spekulativen Aristotelismus und eben auch mit der daran geknüpften latinisierenden Schreibtradition bricht; andererseits kann er damit nicht nur die Experten sondern auch das nicht Reutner_Stb_sV-256_End.indd 207 15.08.11 15: 18 <?page no="220"?> 208 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Abb. 8.3 Galileio Galilei 1632: Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo Galilei als Modell für eine moderne Wissenschaftsprosa unbedingt lateinkundige Publikum erreichen. Im vollen Bewusstsein einer eingeschränkten Verbreitung seiner Ideen v. a. im Ausland (zahlreich sind die Anfragen nach lateinischen Übersetzungen), lehnt Galilei das „lebensferne akademische“ Latein ab und wendet sich in einer auch Politikern, Technikern und dem Militär verständlichen Sprache an ein weiteres Publikum. Der Bruch mit der Tradition betrifft nicht zuletzt auch die Terminologie. Im Unterschied zu seinen Vorgängern versucht Galilei neue Termini aus der volkssprachlichen Lexik und nicht aus den klassischen Gelehrtensprachen zu entwickeln, ohne bereits bewährte gelehrte Termini zu verwerfen. Beredte Beispiele sind macchie solari (‘Sonnenflecken’), candore (della luna), bilancetta oder pendolo. Er bevorzugt eine durchsichtige Terminologie, die auf bereits in der Gemeinsprache Vorhandenem auf baut. Dieses Konzept kann sich in der Wissenschaftssprache nicht dauerhaft durchsetzen, was auch die heute üblichen gelehrten Ausdrücke für Phänomene, deren Entdeckung Galilei zugeschrieben wird, belegen (wie etwa cannone bzw. occhiale, auch cannocchiale, das später der Gräzismus telescopio ersetzt). Galilei lehnt sich mit der Wahl des Dialogs an ein gängiges Textmuster der Renaissance an, ohne dabei literarische Sprachmodelle lediglich zu kopieren. Vielmehr bemüht er sich um eine sachliche und verständliche Schreibweise, mit der eine eigenständige wissenschaftliche Diskurstradition eingeleitet wird. Seine (durch längere Aufenthalte in Norditalien gemäßigte) toskanische Prägung lässt ihn zu einem eleganten und mittleren Stil in Symbiose mit terminologischer und syntaktischer Klarheit finden, der zugleich anspruchsvoll und verständlich ist. Auf populäre und niedrige Ausdrücke verzichtet er, nicht aber auf einige Einschlüsse des lebendigen und gesprochenen Toskanisch seiner Zeit (vgl. Textauszug: z. B. di già, piglieremo, ne faremo un poco di figura). Einen Eindruck von diesem für Galilei so typischen Stil, der zahlreiche Bewunderer und Nacheiferer findet, vermittelt ein Auszug aus dem ersten Kapitel des Dialogo sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano, in dem drei Protagonisten zu Wort kommen: die Gegenspieler Salviati (Sal.: Sprachrohr der neuen Ideen und sprachlicher Prototyp für den Wissenschaftsstil im Sinne von Galilei) und Simplicio (Simpl.: Vertreter der traditionellen aristotelischen Scholastik) sowie der venezianische Patrizier Sagredo (Sagr.: stellvertretend für ein imaginäres, in wissenschaftlichen Angelegenheiten mittelmäßig bewandertes Publikum). Auffällig ist das Bemühen um einen klaren, verständlichen Stil und eine anschauliche Darstellung mit formalisierten sprachlichen und illustrativen Elementen. GIORNATA PRIMA Simpl.: Io non voglio esser nel numero de’ troppo curiosi de’ misterii de’ Pittagorici; ma stando nel proposito nostro, replico che le ragioni prodotte da Aristotile per provare, le dimensioni non esser, né poter esser, piú di tre, mi paiono concludenti; e credo che quando ci fusse stata dimostrazione piú necessaria, Aristotile non l’avrebbe lasciata in dietro. Sagr.: Aggiugnetevi almanco, se l’avesse saputa, o se la gli fusse sovvenuta. Ma voi, signor Salviati, mi farete ben gran piacere di arrecarmene qualche evidente ragione, se alcuna ne avete cosí chiara, che possa esser compresa da me. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 208 15.08.11 15: 18 <?page no="221"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 209 Sal.: Anzi, e da voi e dal Sig. Simplicio ancora; e non pur compresa, ma di già anche saputa, se ben forse non avvertita. E per più facile intelligenza piglieremo carta e penna, che già veggio qui per simili occorrenze apparecchiate, e ne faremo un poco di figura. E prima noteremo questi due punti A, B, e tirate dall’uno all’altro le linee curve ACB, ADB e la retta AB, vi domando qual di esse nella mente vostra è quella che determina la distanza tra i termini A, B, e perché. (Galilei 2006: 364) Als Plädoyer für das kopernikanische Weltbild hat der Dialogo durchschlagenden Erfolg und wird deshalb 1633 auf den Index der von der Inquisition verbotenen Bücher gesetzt. Im Unterschied zu anderen Werken erscheint dieser Text zunächst auf Italienisch und erst drei Jahre später in lateinischer Übersetzung in Deutschland. Galileis Beispiel folgen seine Assistenten und Privatsekretäre Vincenzo Viviani und Evangelista Torricelli, sowie andere Mitglieder der Accademia del Cimento, unter denen sich insbesondere Francesco Redi und Lorenzo Magalotti auch aufgrund ihres „galileischen Stils“ hervortun und von der Nachwelt gerühmt werden. Die Schreibweise von Francesco Redi (1626−1698) bleibt zwar morphosyntaktisch von der literarischen Schreibtradition geprägt (hypotaktische Konstruktionen mit häufiger Verbendstellung, Voranstellung der Adjektive vor dem Nomen), er trägt aber bereits entschieden zur Modernisierung und Rationalisierung der medizinischen Terminologie (v. a. durch konsequente Eliminierung von Termini arabischen Ursprungs) bei. Obwohl nun ein Modell für eine naturwissenschaftliche Diskurstradition im Italienischen vorliegt, gestaltet sich nach Galileis Verurteilung der Bruch mit der lateinischen Wissenschaftssprache als langwieriger Prozess. Selbst die Anhänger von Galilei suchen eine Zeitlang Schutz hinter der unverfänglichen Publikationssprache Latein. Der wissenschaftliche Buchmarkt bleibt (soweit es sich nicht um popularisierende Schriften handelt) bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere in den Bereichen Astronomie, Physik, Mathematik und Medizin, in starkem Maße vom Latein dominiert. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts erhält die italienische Wissenschaftssprache allmählich eine breitere Basis und greift auf die meisten Wissenschaftsdisziplinen über. 8.1.3 Der Beitrag der europäischen Aufklärungsbewegung zur Entwicklung der wissenschaftlichen Diskurstradition Im Settecento konzentriert sich der Gebrauch des Italienischen zunächst auf angewandte Wissenschaftsgebiete mit einem weniger spezialisierten Publikumskreis. Nach Redis Vorbild schreiben auch die beiden anderen wichtigen italienischen Naturkundler Antonio Vallisneri (1661−1730) und Lazzaro Spallanzani (1729−1799) auf Italienisch. Das Italienische kann sich auch in neuen Wissenschaftsdisziplinen wie der Elektrizitätslehre problemlos implementieren. Zwar werden auch hier noch hochrangige Werke wie etwa Galvanis Reutner_Stb_sV-256_End.indd 209 15.08.11 15: 18 <?page no="222"?> 210 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Bedeutende wissenschaftliche Texte in italienischer Sprache Abb. 8.4 La fiaccola della verità in Muratori Der Beitrag der europäischen Aufklärungsbewegung Die Herausbildung moderner wissenschaftlicher Fachterminologien De viribus electricitatis in motu musculari commentarius (1791) auf Latein verfasst, nicht weniger wichtige Wissenschaftler wie Alessandro Volta (1745−1827) polemisieren allerdings ausdrücklich gegen das „idioma in or e in us“. Zu den spektakulären wissenschaftlichen Schriften, die im 18. Jahrhundert auf Italienisch verfasst werden gehören − im Bereich der Philosophie die Principi di una scienza nuova d’intorno alla natura delle nazioni (1725) von Giambattista Vico, − in den Geschichtswissenschaften die Dissertazione sopra le antichità italiane (postum 1751−1755) von Ludovico Antonio Muratori und − in den Wirtschaftswissenschaften die Lezioni di economia civile (1754) von Antonio Genovesi. Die Entscheidung immer zahlreicherer Autoren gegen das Latein trägt dazu bei, dass die toskanische Schriftsprache nun auch außerhalb der Literatur an Funktionalität gewinnt. Die Weichen für eine einheitliche und moderne italienische Wissenschaftssprache werden im späten 18. Jahrhundert gestellt und stehen in Zusammenhang mit grundlegenden sprachlichen Veränderungen, die als Ergebnis der Auf klärungsbewegung den gesamteuropäischen Wissenschaftsdiskurs betreffen. Für den internationalen Austausch zwischen den europäischen Gelehrten spielt das Französische eine immer größere Rolle, selbst innerhalb der Gelehrtenrepublik (und in noch stärkerem Maße innerhalb des immer größer werdenden wissenschaftsinteressierten Publikums) gehen die Lateinkenntnisse maßgeblich zurück. Mit der Auflösung des Jesuitenordens 1773 (dessen Journal de Trévoux zu den wichtigsten europäischen Publikationsplattformen gehört) fällt zudem eine wichtige Bastion für das Latein. Die europäische Auf klärung trägt auch in Italien maßgeblich dazu bei, dass nicht nur die modernen Fachterminologien der meisten wissenschaftlichen Fachdisziplinen entstehen, sondern sich auch ein regelrechter Wissenschaftsstil herausbildet, der sich nicht mehr über literarische Kriterien definiert. Dieser sehr komplexe und in Italien auch eher langsame Prozess, für den u. a. die übersetzerische Rezeption europäischen Schrifttums entscheidend ist, kann hier nur exemplarisch an einigen Aspekten und zentralen Persönlichkeiten dargestellt werden. Das Settecento gilt u. a. als das Jahrhundert der wissenschaftlich begründeten Nomenklaturen, die (so eines der von Diderot in der Encyclopédie formulierten Grundanliegen der Auf klärung) Ordnung in das terminologische Chaos vieler Disziplinen bringen sollen. Zu den emblematischen Texten für die Festlegung moderner Nomenklaturen gehören das Systema naturae von Carl von Linné (als Beginn der modernen zoologischen Nomenklatur wird das Erscheinen des ersten Bandes der 10. Auflage im Jahr 1758 festgelegt) sowie die Méthode de nomenclature chimique der Franzosen Lavoisier, de Morveau, Berthollet und Fourcroy (Paris 1787). Die modernen Nomenklaturen werden trotz massiver Widerstände auch in Italien eingeführt bzw. nachgebildet und bilden die Hauptquelle für die Schaf- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 210 15.08.11 15: 18 <?page no="223"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 211 Die Herausbildung der chemischen Nomenklatur fung eines angemessenen italienischen Fachlexikons. Es entsteht eine heftige Debatte um die Akzeptanz und mögliche Bezugsquellen von Neologismen. Da die theoretische Basis für den Paradigmenwechsel zu modernen Denkmodellen v. a. aus der französischen Auf klärungsphilosophie bezogen wird, werden auch zahlreiche Neologismen aus dem Französischen in den italienischen Fachwortschatz aufgenommen. Es handelt sich dabei nicht immer um Französismen im engeren Sinn (francesismi), sondern auch um gelehrte Lehnbildungen nach griechischem oder lateinischem Muster. Die neuen Fachtermini sind in der Tendenz monoreferentiell, transparent, synthetisch und frei von Expressivität und Konnotationen. Exemplarisch für diesen Prozess steht die Herausbildung der chemischen Nomenklatur, die über zwei grundlegende Verfahren systematisiert wird: den Gebrauch von Suffixen zur Bildung systematischer oppositioneller Reihen von Fachtermini (-ico für Säuren mit höherer gegenüber -oso für solche mit niedriger Wertigkeit) und gelehrte Komposita. Der Traité élémentaire de chimie des französischen Chemikers Antoine Laurent de Lavoisier wird 1791−1792 von Vincenzo Dandolo ins Italienische übersetzt und mit einem fachsprachlichen Glossar (Dizionarj vecchio e nuovo nuovo e vecchio di nomenclatura chimica, im Folgenden zitiert nach der Ausgabe von 1800) zur Erklärung der neuen Terminologie versehen. Bekannt wird das Modell auch durch die kritische Streitschrift des Chemikers Luigi Valentino Brugnatelli von 1795. Als Anhang zur Übersetzung fügt Dandolo ein Glossar mit dem Titel Dizionarj vecchio e nuovo nuovo e vecchio di nomenclatura chimica. Il secondo de’ quali contiene la chiave e le regole del nuovo sistema di Chimica ein, in dem er die Umsetzung der neuen Nomenklatur für das Italienische systematisch vorführt. In den Fällen, wo sich theoretische Basismodelle und Theorien geändert haben und bereits bestehende Bezeichnungen eine Bedeutungsmodifikation erfahren, fügt er den Lemmata Anmerkungen bei (Zitat- 1). Zudem erklärt er die Wortbildungsmuster, die für die neue Nomenklatur benutzt werden (Zitat 2) Verwendung des gelehrten lateinischen Suffixes -uro). Die Übertragung des Systems auf das Italienische führt zu einer erheblichen Reduktion der Bezeichnungsvielfalt (im Unterschied zum traditionellen Verzeichnis mit 69 Seiten umfasst das Glossar zur neuen Nomenklatur nur 23 Seiten). 1. vapore Nella nuova teoria non vi dovrebbe essere la voce vapore; ma soltanto quella di fluido aeriforme non permanente. Temendo io però, che si possano confondere una qualche volta i vapori coi fluidi aeriformi permanenti, credo bene di ricordare che il vapore non è che una sostanza o solida resa liquida, o liquida effettivamente, che per una data affinità o col calorico, o coll’aria atmosferica si solleva e si disperde in essa, ma che però a un grado forte di freddo, o di pressione si riconduce al primiero stato di liquidità. (Dandolo 1800: 215) 2. desinenza in uro Combinandosi le sostanze semplici l’una coll’altra senza che veruna di esse sia stata portata allo stato di ossido, o a quello d’acido, acquistano la desinenza in uro. Questa desinenza non indica dunque se non se una combinazione colle condizioni suespresse. Per esempio Reutner_Stb_sV-256_End.indd 211 15.08.11 15: 18 <?page no="224"?> 212 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache De corpi marini Antonio Vallisneri 1721 Die Herausbildung wissenschaftlicher Textmuster Literatursprache vs. Wissenschaftssprache Das Ringen um einen angemessenen wissenschaftlichen Stil - Lazzaro Spallanzani lo zolfo combinandosi coll’antimonio, costituirà il solfuro d’antimonio, da’vecchi Chimici chiamato antimonio crudo; combinandosi colle terre, formerà i solfuri alcalini; il carbonio unito al ferro diverrà il carburo di ferro, anticamente piombaggine, così ec. Lo stesso accader deve per tutte le altre sostanze semplici che si possono fra di loro combinare senza ossidarsi. Non tutte queste combinazioni però son conosciute e credute possibili, anzi le denominate finora sono soltanto gli azoturi, gl’idruri, i solfuri, i fosfuri, ed i carburi. (Dandolo 1800: 208-209) Die Fachterminologie konsolidiert sich nicht zuletzt mit Hilfe solcher lexikographischer Initiativen, die den fachsprachlichen Lücken des Vocabolario della Crusca abhelfen sollen. Nach Vallisneris einmaligem, aber unvollendetem Projekt eines medizinisch-naturkundlichen Wörterbuchs (Saggio alfabetico d’istoria medica, e naturale, 1726 begonnen, postum veröffentlicht) werden neben den großen Referenztexten der europäischen Auf klärung auch zahlreiche ausländische Fachwörterbücher ins Italienische übersetzt: die Enzyklopädie von Chambers (1748−1765), das medizinisch-chirurgische Wörterbuch von James (1753) oder das Wörterbuch der Chemie von Macquer (1783−1784). Im Settecento beginnt zudem eine massive Entwicklung von sog. tecnicismi collaterali, die bis in die Gegenwart (vornehmlich im medizinischen Sachbereich) eine beachtliche Rolle im Italienischen spielen. Es handelt sich dabei um stereotype Ausdrücke, die nicht Bestandteil wissenschaftlicher Terminologie sind, aber aufgrund ihrer fachlichen bzw. wissenschaftlichen Konnotation bevorzugt werden. Verbreitet sind z. B. accusare un dolore für „provare un dolore“, contrarre für „rimanere affetto“ oder esito für „uscita“. Systematisch werden solche Ausdrücke dann ab dem 19. Jahrhundert in medizinischen und pharmakologischen Texten verwendet (vgl. Giovanardi 2006). Eine fortschreitende Formalisierung der Wissenschaftsprosa zeigt sich auch in der Entstehung modellhafter und reproduzierbarer Textmuster mit prototypischen Merkmalen, die der Verständlichkeit und Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse ganz im Sinne des zentralen Anliegens der Auf klärungsbewegung dienen. Neben universellen Strategien wie dem Gebrauch von Konnektoren, anaphorischer und kataphorischer Referenz sowie Thema-Rhema-Abfolge werden auch spezielle Reformulierungsstrategien wie Wiederholung und Substitution zur Herstellung von Kohärenz entwickelt. Ein grundsätzliches Problem wissenschaftlichen Schreibens stellt die literarische Prägung vieler zeitgenössischer italienischer Gelehrter (auch Naturwissenschaftler) dar, die nicht selten zur Übertragung rhetorisch-ästhetischer Gestaltungskriterien auf die Wissenschaftsprosa und damit auch zu eingeschränkter Verständlichkeit führt. Der Naturkundler Lazzaro Spallanzani (1729−1799) gehört zu den Gelehrten, die sich gezielt um eine „Verbesserung“ ihres Stils bemühen und sich dafür auch auf „esempli stranieri“ stützen. Diese Möglichkeit bietet sich vielen Gelehrten über die internationale Vernetzung in der Repubblica delle Lettere des 18. Jahrhunderts, die auch einen intensiven Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse stimuliert. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 212 15.08.11 15: 18 <?page no="225"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 213 Abb. 8.5 Lazzaro Spallanzani Geisteswissenschaftliche Fachprosa Spallanzani, der intensive Kontakte zu französischen Fachkollegen unterhält und (wie viele andere italienische Gelehrte) auch auf Französisch publiziert, besorgt 1769−1770 eine italienische Übersetzung der Contemplations de la nature von Charles Bonnet, die er im Übrigen auch als Universitätslehrbuch für Studierende der Naturgeschichte an der Universität Pavia benutzt und damit zum Ausgleich des bestehenden Defizits an italienischsprachigem Lehrmaterial beiträgt. Spallanzanis ausführliche Vorrede ist beredtes Beispiel für sein nicht durchweg erfolgreiches Ringen um einen angemessenen Wissenschaftsstil. Sein literarisch geprägter Horizont prägt den ersten Teil der Vorrede: etwa in einer allgemeinen Definition der Naturkunde als „bellissima e nobilissima Disciplina“ oder der Übertragung rhetorischer Rezeptionskriterien wie Geschmack (gusto) und Erbauung (diletto) auf die Lektüre naturwissenschaftlicher Texte („bellissimi e dilettevolissimi Natural Studii“), es dominieren (analog zur literarischen Diskurstradition) schmückende Metaphern und expressiv-emphatische Lexik (etwa „Mi cade giù dalla penna un’altro mezzo, di cui Voi stesso ne date un lampo nella vostr’Opera“, Spallanzani 1769: 18). Dagegen liefert der zweite Teil ein durchaus modellwürdiges Stück wissenschaftlicher Prosa: die formale Gliederung in nummerierte Paragraphen dient einer sichtbaren und ökonomischen Unterscheidung der einzelnen Unterthemen; es überwiegt eine argumentative Themenprogression, wie sie für wissenschaftliche Texte in dieser Periode noch eher unüblich ist, die durch hypothetische Konstruktionen (forse è […], Gebrauch von Konsekutivsätzen, condizionale und congiuntivo) gestützt wird; die Syntax ist überwiegend parataktisch mit zahlreichen Aufzählungen, Partizipialkonstruktionen und weitgehendem Verzicht auf Inversionen; in der Lexik finden sich kaum schmückende Metaphern, ungebräuchliche Bezeichnungen werden kursiviert und fehlende italienische Fachtermini durch Paraphrasierung kompensiert. Die bisherige Darstellung fokussiert auf den Bereich der Naturwissenschaften. Im Bereich der Geisteswissenschaften setzt der Neapolitaner Giambattista Vico (1668−1744) mit seinen Principi di una scienza nuova d’intorno alla natura delle nazioni (1725), in denen er grundlegende Elemente des historischen Denkens antizipiert, das sich dann um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durchsetzt, einen Meilenstein für den Übergang zum Gebrauch des Italienischen. Der Historiker Ludovico Antonio Muratori bemüht sich in seinen italienisch verfassten Werken um die Entwicklung einer geisteswissenschaftlichen Fachprosa. Bereits in seinem Trattatello della perfetta poesia italiana (1706) vertritt er programmatisch ein „nichtpuristisch verstandenes Cinquecento-Modell des konzeptionell schriftlichen Italienisch“ (Koch 1988: 356). Sein Bemühen um terminologische Präzision wird v. a. in der eigenen Übersetzung seiner Antiquitates Italicae Medii Aevi (1738−1743) deutlich, die mit dem Titel Dissertazione sopra le antichità italiane 1751−1755 postum veröffentlicht wird. 8.1.4 Italienisch als Wissenschaftssprache in der Gegenwart In der Gegenwart gehört die italienische Wissenschaftssprache zu den Diskursbereichen, deren Entwicklung mit Sorge beobachtet wird (vgl. auch 7.6.4). Tat- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 213 15.08.11 15: 18 <?page no="226"?> 214 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Contare e raccontare. Probleme der Qualität wissenschaftlichen Schreibens sächlich sind bereits erhebliche Einschränkungen im Gebrauch des Italienischen selbst in der nationalen Wissenschaftskommunikation zu verzeichnen. So kommt etwa die Auswertung der wichtigsten Zeitschriften verschiedener Fachdisziplinen (Biologie, Medizin, Mathematik sowie Linguistik, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften) im Zeitraum von 1990 bis 2001 zu ähnlichen Ergebnissen wie analoge Untersuchungen zum deutschen Sprachraum, nämlich zu einer Dreiteilung in der „Anglisierung“ der Wissenschaftssprache: weniger als 50% in der Sprachwissenschaft, zwischen 50 und 70% in Soziologie und Wirtschaftswissenschaften und über 75% in den naturwissenschaftlichen Disziplinen (in der Physik liegt der Prozentsatz inzwischen auch in Italien bei nahezu 100%). Italienisch dominiert als Publikationssprache lediglich im Bereich der Italianistik. Hinter der Erosion nicht-anglophoner Wissenschaftssprachen stehen explizite oder implizite sprachpolitische Haltungen. Der Gebrauch des Englischen gilt als Garantieschein für „wissenschaftliche Qualität“ und den Marktwert wissenschaftlicher Zeitschriften. Eher implizit − gewissermaßen als „schleichende Anglisierung“ − schreitet der Gebrauch des Englischen über einzelne Vorgaben zur Textgestaltung fort, begonnen beim Titel der Zeitschrift (so mutiert die Rivista di Linguistica etwa in das Italian Journal of Linguistics), über englische Abstracts zu den Aufsätzen bis hin zu ausschließlich englischen Schlüsselwörtern (keywords). Wenn (so das Ergebnis von Carli 2006) 1990 noch 80 % der in Italien erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften ausschließlich italienische Aufsätze publizierten, so ist es 2001 in 75 % der Fälle theoretisch möglich, italienisch zu publizieren, bevorzugt werden eindeutig englische Texte. 25 % der wissenschaftlichen Zeitschriften akzeptieren nur noch englische Texte. Natürlich macht eine solche prozentuale Rechnung eines nicht deutlich, nämlich eine Gewichtungsverlagerung der Wissenschaftsdisziplinen im nationalen Forschungsreservoir insgesamt (im Vergleich zu den 1970er Jahren etwa, in denen Philosophie, Geschichte und auch Sprachwissenschaft einen ungleich höheren sozialen Stellenwert hatten, ist heute ein deutliches Übergewicht naturwissenschaftlicher Forschung zu verzeichnen). Beeinflusst wird die Sprachwahl natürlich auch durch das eindeutig pro-anglophone nationale Evaluationssystem für wissenschaftliche Publikationen des CIVR (Comitato di Indirizzo per la Valutazione della Ricerca). Abgesehen von dieser zunehmenden Funktionseinschränkung der italienischen Wissenschaftssprache werden gegenwärtig auch sprachqualitative Probleme diskutiert, die u. a. aus der Jahrhunderte währenden Dominanz der literaturbasierten Schriftsprachnorm entstanden sind. Im Fokus steht die Rolle der Wissenschaftssprache(n) für die Erhaltung und Entwicklung der allgemeinen Sprachkultur, zu der Wissenschaftler zweifellos ganz wesentlich beitragen. So beginnt der Disput zwischen dem Physiker Carlo Bernardini und dem Sprachwissenschaftler Tullio De Mauro, der 2003 mit dem Titel Contare e raccontare erschienen ist, mit dem Vorwurf an den Geisteswissenschaftler, die stilistische Qualität der Sprache (Eleganz und gelehrte Schreibweise) der sachlogischen Klarheit voranzustellen: „Questo ‘vostro’ […] pensiero che bada Reutner_Stb_sV-256_End.indd 214 15.08.11 15: 18 <?page no="227"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 215 Die Quellen des linguaggio burocraticoamministrativo Volgare als Kanzleisprache Abb. 8.6 Effetti del Buon Governo in città, Ambrogio Lorenzetti 1337-1340 solo a essere erudito ed elegante e non si preoccupa minimamente del rigore semantico, può avere responsabilità enorme nella formazione dell’uomo contemporaneo“ (Bernardini/ De Mauro 2003: 6). 8.2 L’Italiano burocratico-amministrativo. Italienisch als Kanzlei- und Verwaltungssprache Die Grundlage für die Entwicklung einer italienischen Verwaltungssprache bilden die mittelalterliche Kanzleisprache (linguaggio cancelleresco) bzw. die juristische Fachsprache (lingua del diritto bzw. linguaggio giuridico). Gerade letztere trägt maßgeblich zur funktionalen Ausbreitung des Italienischen auf fachliche Diskurssphären bei. Giovan Battista De Luca fordert 1673 im ersten Kapitel seines Traktats Il dottor volgare („Se sia bene trattare la legge in lingua volgare […]“) die Verwendung des Italienischen als Gesetzes- und Gerichtssprache, eine Prämisse, die er im selbigen Text auch praktisch verwirklicht. Konsequente Umsetzung erfährt diese Forderung freilich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Einführung des Zivilrechts auf der Grundlage neuer Basistexte, die nicht mehr lateinischer Provenienz sind (etwa französische Gesetzestexte des 18. Jahrhunderts und der Code Napoléon). Gerade im Bereich der juristischen Sprache manifestieren sich im 18. Jahrhundert wesentliche Änderungen im Sprachbewusstsein italienischer Gelehrter, die sich dessen bewusst werden, dass die italienische Sprache jedem Kommunikationsthema und jeder Kommunikationssituation genügen kann. Zu den ältesten Textbelegen für die Verwendung des Volgare in der Kanzleisprache gehört das (immerhin ca. 1000 Seiten umfassende) Statut der Stadt Siena, das zwischen 1309 und 1310 für die des Latein unkundige Bevölkerung (für die „povare persone“ die „non sanno gramatica“) in die Volkssprache übersetzt wird. Die Übersetzung hat dezidiert soziopolitische Funktion, ermöglicht sie doch der Bevölkerung, sich in öffentliche Angelegenheiten einzubringen. Die Geschichte dieses Textes ist emblematisch für das Bemühen der städtischen Regierung gemäß dem Ideal eines „Buongoverno“, den Bürger einzubeziehen (so verfügt die mit der Übersetzung beauftragte Kommission, dass der Text „in buona lettera grossa, bene legibile et bene formata, in buone carte pecorine“ abgefasst werde, vgl. Trifone 2006: 217). Zahlreich sind die Textbelege für eine „scrittura istituzionale“ in den Stadtstaaten des Trecento (Florenz, Pisa, Bologna, Ancona, Perugia). Im 15. Jahrhundert wird das Latein als Kanzleisprache systematisch durch das Volgare ersetzt, von Anfang an dominiert auch hier das Sprachmodell des fiorentino letterario. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 215 15.08.11 15: 18 <?page no="228"?> 216 Von der Kodif izierung bis zur Etablierung als Nationalsprache Ein gergo wie die lingua ladresca Nach der politischen Einigung Die Kanzleisprache entfernt sich damit einerseits vom „gewöhnlichen“ Sprachgebrauch, andererseits wird eine typische Terminologie entwickelt, die zur Herausbildung eines regelrechten Fachjargons führt. So beklagt Benedetto Varchi bereits im 16. Jahrhundert die „abartige Formelhaftigkeit“ der Kanzleisprache („si trovano lettere scritte non in cifra, ma in gergo, come è quella lingua ladresca“, aus: Storia di Firenze, zitiert nach Beccaria 1992: 182). Trotz dieser sicher nicht unberechtigten Kritik bleibt festzustellen, dass die Verwaltungssprache nicht unbeträchtlich zur Verbreitung des Italienischen auf der gesamten Halbinsel noch vor der politischen Einigung beiträgt. Zu nennen wäre das Beispiel Piemonts, wo bereits 1560 auf Anweisung des Herzogs Emanuele Filiberto die Verwendung des Italienischen (nicht des dialetto piemontese) obligatorisch für jegliches offizielles Schrifttum wird. Im 19. Jahrhundert spielt in Piemont wiederum der linguaggio amministrativo eine entscheidende Rolle bei der sprachlichen Vereinheitlichung. Die sich nach der politischen Einigung stabilisierende Verwaltungssprache kann also bereits auf ein recht ausgeprägtes fachsprachliches System mit zahlreichen Entlehnungen, die ab dem 18. Jahrhundert aus dem Französischen übernommen werden, zurückgreifen, und bildet in dieser Phase bereits die typischen Merkmale aus, die in der Gegenwart Gegenstand der Kritik sind (etwa unpersönlicher Stil in der dritten Person Singular, wie il sottoscritto dichiara sotto la propria responsabilità, rituelle Formeln, wie mi pregio comunicare, si riscontra, stereotype nominale Fügungen, wie avviso conforme, sollecito cenno oder auch die Vorliebe für komplexe und unübersichtliche syntaktische Fügungen). Zahlreich sind bereits im 19. Jahrhundert die Kritiker an dieser Entwicklung, wenngleich in ihnen auch immer wieder eine gewisse Toleranz aus Gründen des Respekts vor der Staatsmacht zum Ausdruck kommt. Aus puristischer Sicht richtet sich diese Kritik in erster Linie gegen die französischen Einflüsse. Hier wäre beispielhaft das Lessico dell’infima e corrotta italianità von Pietro Fanfani (Funktionär des toskanischen Bildungsministeriums und Bibliothekar) und Costantino Arlìa (kalabresischer Rechtsgelehrter mit besonderer Passion für das Toskanische) aus dem Jahr 1877 zu nennen, das gegen die zahlreichen Französismen aber auch gegen eine Reihe von bürokratischen Ausdrücken polemisiert. Die Verständlichkeit der Verwaltungssprache wird schließlich bis in die Gegenwart als Problem durchaus wahrgenommen, die Verwaltungsinstitutionen sehen sich aber nicht in der Verantwortung, hier Abhilfe zu schaffen. Wenn Italo Calvino 1965 zu einer harschen Kritik an der „antilingua“ ansetzt (vgl. 7.6.3), so bezieht er sich dabei eben auf das italiano-burocratico-amministrativo, dessen Verständlichkeit Voraussetzung für die Kommunikation zwischen öffentlichen Institutionen, staatlichem Verwaltungsapparat und Bevölkerung ist, das aber dem italienischen Durchschnittsbürger bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert weitgehend unverständlich bleibt. Auch in der jüngsten Sprachgeschichte hat die Verwaltungssprache ihren Charakter nicht grundlegend geändert. Dazu trägt allerdings auch eine konservative Haltung der Sprecher bei, die dieser Sprache der „Staatsmacht“ prinzipiell Respekt zollen. Die für den Reutner_Stb_sV-256_End.indd 216 15.08.11 15: 18 <?page no="229"?> Ausgewählte Diskurs- und Texttraditionen der - italienischen Sprachkultur 217 Reformansätze in der Gegenwart Bürger weitgehend abstrakte sprachliche Norm der öffentlich-staatlichen Institutionen wird als regelhaft für soziales Handeln hingenommen, oft ist diese von der Alltagssprache heute mehr denn je weit entfernte Sprache das einzige formale Register, mit dem er in Kontakt kommt. Das findet seinen Ausdruck in typisch bürokratischen Stilelementen, die nicht nur im italiano popolare als Ausdruck der Unsicherheit im Umgang mit formalen Registern unangemessen verwendet werden (Beispiele bei Cortelazzo 1986: 45), sondern auch zahlreich in die Gemeinsprache eingegangen sind. Dabei spielen die journalistischen Medien eine besondere Rolle, die ab dem 19. Jahrhundert die bürokratischen Stilelemente kopieren (etwa aus Polizeiberichten Ausdrücke wie entrano in collisione für ‘si scontrano’ oder si procede all’arresto für ‘si arresta’, aus der Sprache der Gewerkschaften Ausdrücke wie piattaforma, contrattuale oder quadro congiuntuale, Beispiele nach Trifone 2006: 216). Die Reformierung der Verwaltungssprache beginnt in den 1990er Jahren mit dem Erlass einer Reihe von Gesetzen, in denen die Transparenz und Zugänglichkeit öffentlicher Texte für den Bürger zu Grundprinzipien der pubblica amministrazione erklärt werden (vgl. ab 1997 die leggi Bassanini für die „riforma della Pubblica Amministrazione e per la semplificazione amministrativa“). In diesem Rahmen entstehen auf Initiative des zuständigen Ministeriums auch grundlegende sprachliche Werkzeuge in Form von Handbüchern (etwa 1993 der Codice di stile delle comunicazioni scritte ad uso delle amministrazioni pubbliche und als dessen Fortsetzung 1997 der Manuale di stile unter Leitung von Alfredo Fioritto). Ein soziales Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem burocratese 1 manifestiert in jüngster Zeit auch die italienische Linguistik. Von ihr gehen einige beachtliche Aktivitäten aus, über die gezielt auf eine Vereinfachung mit dem Ziel besserer Verständlichkeit des linguaggio amministrativo hingearbeitet wird. Neben Handbüchern mit konkreten Unterweisungen für die Redaktion von Verwaltungstexten (z. B. Corso di scrittura per gli uffici e la pubblica amministrazione von Tommaso Raso 2004) werden von verschiedenen Universitäten (u. a. Ca’ Foscari Venedig, Florenz und Pisa) seit einigen Jahren auch berufsbegleitende Schreibkurse für die Funktionäre und Angestellten staatlicher Institutionen (etwa der Agenzia delle entrate ‘Finanzamt’) bzw. spezielle Masterstudiengänge angeboten. 1 Das Suffix -ese wird in der italienischen Gegenwartssprache gern zur abwertenden Markierung von sprachlichen Subsystemen verwendet, die vom Standard mehr oder weniger abweichen, aber eine gewisse soziale Rolle haben, vgl. auch giornalese, politichese. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 217 15.08.11 15: 18 <?page no="230"?> Reutner_Stb_sV-256_End.indd 218 15.08.11 15: 18 <?page no="231"?> 9 Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungssprache Die Rolle des Italienischen als europäische Kultursprache in Vergangenheit und Gegenwart ist hinreichend bekannt und erforscht. Vom 14. bis 16. Jahrhundert reichen die Einflüsse der italienischen Literatur und Schriftkultur von Frankreich und England über Spanien bis in deutschsprachige und noch weitere Gebiete. Ein ursprüngliches Motiv für diesen exterritorialen Erfolg bilden zweifellos einige Texte von zentraler Bedeutung für die europäische Kultur- und Zivilisationsgeschichte: die Divina Commedia von Dante, der Canzoniere von Petrarca, das Decameron von Boccaccio, Tassos Orlando Furioso, aber auch der Cortegiano von Castiglione. Selbst wenn diese nicht in der Originalsprache, sondern in Übersetzung rezipiert werden, tragen die Texte in jedem Fall zur Verbreitung der italienischen Kultur bei. Zudem ist das Italienische allen europäischen Kunstinteressenten und auch Gelehrten mehr oder weniger vertraut, gibt es doch kaum einen europäischen Künstler, der nicht zumindest einen zeitweisen Aufenthalt in einer der italienischen Kunstzentren (Venedig, Florenz, Rom etc.) oder auch Universitäten (Bologna, Padova) vorweisen kann. Bis in die Gegenwart ist die italienische Sprache und Kultur begehrtes Ziel für diejenigen geblieben, die sich für Musik und bildende Künste interessieren. Ohne den Aspekt zu vertiefen, sei zudem auf den Bildungstourismus verwiesen, für den Italien eines der bevorzugten Ziele bildet. Aufgrund der spezifischen politischen Situation Italiens, das in seiner Geschichte mit wenigen Ausnahmen nie wirklich als Eroberernation in Erscheinung tritt, sondern vielmehr auf eine lange Geschichte der Besetzung des eigenen Territoriums durch fremde Mächte zurückblickt, kann die italienische Sprache weit weniger als ihre romanischen Nachbarsprachen Spanisch und Französisch aus politischen Motiven expandieren. Die Beschreibung der Italophonie außerhalb des Mutterlandes muss folglich auf andere Parameter zurückgreifen als vergleichsweise die Interpretation der Frankophonie bzw. Hispanophonie. Das Italienische spielt also im Laufe der Geschichte der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart im internationalen Rahmen in erster Linie eine Rolle als europäische Kultursprache, die sich in der Gegenwart auch auf außereuro- L’italiano nel mondo: Die Ausstrahlung des Italienischen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 219 15.08.11 15: 18 <?page no="232"?> 220 Die Aus strahlung des - Italienischen päische Sprachräume ausgeweitet hat. Es etabliert sich als europäische Kultursprache in mehreren Etappen, in denen sich seine Rolle allmählich auf bestimmte Diskursbereiche eingrenzt. Die Ausstrahlung des Italienischen 2 über das Territorium Italiens hinaus beginnt bereits im Mittelalter und erreicht ihren Höhepunkt im Zeitalter der Renaissance, als sich in Italien der höfische Verhaltenskodex mit einer entsprechenden volkssprachlichen Konversationskultur als zentralem Bereich etabliert und sich Schreibtraditionen in Volgare stabilisieren, die Auswirkungen auf das europäische Umfeld haben. Sie betrifft verschiedene Diskursbereiche, die in einzelnen Phasen der europäischen Geschichte besonders durch Sprachkontaktphänomene beeinflusst werden. Die Italophonie spielt zunächst im Mittelmeerraum eine Rolle bei der Herausbildung mittelalterlicher Handels- und Verkehrssprachen der Händler und Seeleute. Im Zeitalter des Renaissancehumanismus kommen als Diskursbereich die Literatur und die höfische Konversation hinzu, später der Fremdsprachenunterricht und die Fachkommunikation in musischen und künstlerischen Bereichen (Musik, Architektur, schöne Künste). In einer weiten Auslegung des Begriffs ‘Kultursprache’ werden darunter die folgenden Funktionsbereiche des Italienischen außerhalb Italiens in kurzen Überblicksdarstellungen erfasst: Italienisch als Handelssprache, als höfische Kultursprache, als Fremdsprache und als Sprache der Musik. 9.1 Die Italophonie mittelalterlicher Handels- und Verkehrssprachen im Mittelmeerraum Der folgende knappe Exkurs widmet sich zunächst der exterritorialen Rolle der Italophonie im Mittelmeerraum vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert. Die Darstellung betrifft also im Wesentlichen einen Zeitraum, in dem in Italien noch keine überregionale Verkehrssprache kodifiziert ist und das Glottonym italiano sich in einer weiten Bedeutung auf verschiedene regionale Varietäten der Italophonie bezieht. Im Mittelmeerraum spielen die italienischen Seerepubliken Pisa, Genua und Venedig (le repubbliche marinare italiane) bis in die Renaissance eine entscheidende politische und ökonomische Rolle und nehmen Einfluss auf den mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch. Sardinien und Korsika stehen sprachlich unter direktem Einfluss des Pisanischen und Genuesischen. Erst die Niederlage der Pisaner in der Meloria-Schlacht (sconfitta della Meloria, 1284) gegen die Genuesen besiegelt den Untergang der Seerepublik Pisa. Der Einfluss von Genua reicht bis ans Schwarze Meer und die Krim. Der Einfluss Venedigs auf den Osten wird bereits von Marco Polo in seinem Reisebericht Il Milione bezeugt (Titel der ursprünglichen Handschrift überliefert als Le livre de Marco Polo citoyen de Venise, dit Million, oú lón contre les merveilles du monde, dt.: „Das Buch des Marco Polo, Bürger der Stadt Venedig, genannt 2 Zur Vereinfachung der Darstellung wird hier bereits das Glottonym Italienisch verwendet, obwohl noch keine einheitliche Schriftsprache kodifiziert ist (vgl. dazu Kapitel III). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 220 15.08.11 15: 18 <?page no="233"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 221 Abb. 9.1 Marco Polo Il Milione Eine lingua franca venezianischer Prägung Milione, worin von den Wundern der Welt berichtet wird“), den Rustichello da Pisa zwischen 1298 und 1299 in altfranzösischer Sprache aufgezeichnet hat (vgl. 3.3). Die merkantilen Kolonien, die sich an den Handelsschauplätzen etablieren, üben sprachlichen Einfluss auf die Umgebung aus und werden ihrerseits von dieser beeinflusst. Es kommt zu einem intensiven Austausch im Wortschatz des Handels und der Seefahrt und zu Sprachkontakten zwischen romanischsprachiger, arabischer, byzantinischer und türkischer Bevölkerung. Gut dokumentiert und erforscht sind diesbezüglich Triest, Istrien und die dalmatische Küste bis zum heutigen Albanien, wo sich eine romanisch-slawische Sprachkontaktzone unter zeitweise starkem Einfluss des Venezianischen herausbildet. Auf das tergestino (den antiken Dialekt von Triest) und romanische Sprachvarietäten in Istrien folgt entlang der Küste (von der Insel Veglia − heute Krk − bis Cattaro − heute Kotor) das Dalmatische, das bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert trotz fehlender Schrifttradition überlebt (der letzte Sprecher des Dalmatischen auf der Insel Veglia stirbt 1898). Zeitzeugenberichte belegen den Gebrauch einer lingua franca, die von slawischen Mundarten unterschieden wird. Der slawisch-romanische Bilinguismus in Dalmatien wird explizit im Bericht des Inspektors Giovambattista Giustiniani belegt, der im Auftrag der Republik Venedig 1553 den östlichen Adriaraum besucht und eine intensive Sprachkontaktsituation mit diglossischem Charakter dokumentiert: lingua franca (auch synonym zu lingua italiana) und lokale slawische Mundart (schiavo). Vianello (1955: 68) zitiert aus dessen Aufzeichnungen u. a. die folgenden Passagen: „a Traù ‘hanno ben tutti la lingua franca, ma nelle case loro parlano schiavo [slavo] per rispetto delle donne, perché pocche d’esse intendono la lingua italiana’“; „e così a Spalato, dove «tutti li cittadini parlano lingua franca […] ma le donne non favellano se non la lor lingua materna“; „e a Veglia […] ‘tutti… forestamente favellano italiano francamente’“ (kursiv im Original). Eine ganz ähnliche Darstellung findet sich in einem Bericht von Francesco Sansovino aus dem Jahr 1607, der zusätzlich auf das Abhalten der Predigt „in lingua Italiana“ verweist: Quanto alla lingua, ogni giovane [maschio] sa per ordinario la lingua Italiana, che essi [gli abitanti di Ragusa] chiamano Franca: ma fra loro usano solamente la propria e materna… Conducono [invitano] parimente ogni anno un Predicatore eccellente, il quale predica solamente agli huomini, et questo perché predicando egli in lingua Italiana, le donne non lo possono intendere, come quelle che non sanno la lingua. (zitiert nach Vianello 1955: 68, Anm. 17) Bei dieser lingua franca, die auch mit lingua italiana gleichgesetzt wird, handelt es sich offenbar um eine Koiné mit starker venezianischer Prägung (Folena 1990 nennt sie auch „veneziano coloniale“ oder „veneziano de là da mar“). Vom Mittelalter bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ist im Mittelmeerraum und in der Ägäis eine starke Präsenz Venedigs und des Venezianischen zu vermerken, die auch auf die nachfolgende italienische Schriftkultur nachwirkt. Schriftsteller wie Ugo Foscolo und Niccolò Tommaseo erfahren in diesem Kulturraum ihre erste literarische Prägung. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 221 15.08.11 15: 18 <?page no="234"?> 222 Die Aus strahlung des - Italienischen Das sabir im südwestlichen Mittelmeerraum Italienisch als Sprache der Diplomatie und der Konsulate Der Mittelmeerraum funktioniert, ähnlich wie die Alpen, nicht als Grenze sondern als Netz von Handels- und Sprachbeziehungen, das in den zahlreichen Häfen geknüpft wird und zu dem italophone Elemente beigetragen haben. Das Venezianische bezieht darüber (namentlich aus dem Byzantinischen und Griechischen) eine reichhaltige Terminologie der Seefahrt, die wiederum den türkischen Wortschatz beeinflusst. Eine lingua franca mit italophonen Zügen, die bereits im Mittelalter als Verkehrssprache zwischen romanischsprachigen Christen, Arabern und Türken gedient hat, ist zudem für den südwestlichen Mittelmeerraum (die zentralen Gebiete des Maghreb) bezeugt. Sie ist u. a. durch ein in französischer Metasprache verfasstes Wörterbuch (Dictionnaire de la langue franque ou petit mauresque, suivi de quelques dialogues familiers et d’un vocabulaire de mots arabes le plus usuels; à l’usage des Français en Afrique) überliefert, das 1830 den Franzosen zu Beginn der Kolonialisierung Algeriens gute Dienste leistete. Es handelt sich dabei um eine „aus romanischem Wortstoff gebildete Vermittlungssprache“, die auch als sabir bezeichnet wird (vgl. Schuchardt 1909). Sie basiert vornehmlich auf italienischem und spanischem Wortschatz und auf grammatischen Funktionsprinzipien mit den für künstliche Vermittlungssprachen typischen Vereinfachungsmechanismen: z. B. Infinitiv und Partizipialkonstruktionen anstelle finiter Verbformen wie mi andar = ‘(io) vado, (io) andai’; mi andato = ‘(io) sono andato (mi als Subjekt anstelle von io ist typisch für die norditalienischen Dialekte und speziell das Venezianische); Futur durch Infinitiv oder Periphrase wie bisogno mi andar = ‘(io) andrò’; periphrastische Konstruktionen mit fasir, cunciar ‘fare’ wie cunciar pace, una casa = ‘far pace, costruire una casa’ (für alle Beispiele vgl. Schuchardt 1909: 445). Von dieser „Vermittlungssprache“ muss wohl der Gebrauch des Italienischen als Sprache der Diplomatie in den ottomanischen Reichen des Maghreb unterschieden werden, die anhand verschiedener Textzeugnisse (Verträge, Korrespondenzen) ab Ende des 16. Jahrhunderts v. a. für den Raum Tunis und Tripoli belegt ist. Zudem sind mehr als zwei Drittel der überlieferten französischen und englischen Konsulatsakten bis Mitte des 18. Jahrhunderts in italienischer Sprache abgefasst. Die Sprache dieser Texte weist in erster Linie toskanische Merkmale auf und orientiert sich stilistisch an der traditionellen Kanzleisprache. Allerdings ist die Wechselbeziehung zwischen diesem Italienisch und der lingua franca bis heute kaum systematisch aufgearbeitet worden. 9.2 Italienisch als höfische Kultursprache in der-europäischen Renaissance Es ist inzwischen zum Gemeinplatz geworden, dass Italien im Zeitalter der Renaissance, v. a. ab Beginn des Vulgärhumanismus zur kulturellen Leitnation Europas avanciert. Die Verbreitung und Lehre des Italienischen in Europa setzt bereits im Quattrocento ein, die Entlehnung einzelner sprachlicher Elemente noch früher. Die italienische Sprache und Kultur beginnt ab der Blütezeit der florentinischen Literatur im Trecento auch die Literaturentwicklung (literarische Stilformen und Genres) außerhalb der Landesgrenzen zu beeinflussen. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 222 15.08.11 15: 18 <?page no="235"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 223 Italienische Referenztexte für die europäische Hofkultur Abb. 9.2 Sperone Speroni Renaissance als Epochenbezeichnung Zudem bildet Italienisch eine wichtige Mittlersprache im Bereich der darstellenden Kunst (Malerei, Skulptur, Architektur), vorerst allerdings noch in geringerem Maß für die Ausbildung regelrechter Fachterminologien. Eine schlüssige Erklärung der Vorreiterrolle Italiens liefert ein Blick auf die europäische Zivilisationsgeschichte, denn für die Ausstrahlung einiger italienischer Texte auf ganz Europa ist ein Prozess verantwortlich, der sich in dieser Zeit innerhalb der sozialen Eliten vollzieht (vgl. Elias 1997: 195). Die zivilisationsgeschichtlichen Änderungen der Frühen Neuzeit bewirken in Verbindung mit dem Renaissancehumanismus eine Ästhetisierung des Verhaltens, einschließlich des Sprachverhaltens, die sich dauerhaft durchsetzt. Die Ethik der neuen gesellschaftlichen Elite (also Verhaltensnormen, zu denen auch Regeln für das Sprachverhalten gehören) basiert auf zunehmender Rücksichtnahme auf andere: Selbstachtung und Achtung anderer ersetzen nun als grundlegendes Prinzip die „urbane Heiterkeit“ der Antike bzw. das mittelalterliche „Gebot des Misstrauens“. Da sich der Distinktionswille der neuen Elite auch in exemplarischem Sprachverhalten umsetzt, steigt auch der Stellenwert des Sprachdenkens. Das Modell für einen entsprechenden allgemeinen Verhaltenskodex und für das Sprachverhalten im Besonderen liefert eben Italien, denn von dort kommen die ethisch-normativen Wegweiser und verbreiten sich in ganz Europa. Einige der Texte, die im 16. Jahrhundert auch die Questione della lingua prägen (vgl. Kapitel 6.2) gehören dazu: Castigliones Cortegiano wird bereits im 16.-Jahrhundert mehrfach ediert und in verschiedene Sprachen (zuerst ins Französische) übersetzt; der Dialogo delle lingue von Speroni, in dessen Mittelpunkt die Auseinandersetzung zwischen Latein und den romanischen Volkssprachen steht, ist zweifellos der in Europa erfolgreichste und am weitesten verbreitete Renaissancedialog (er erscheint 1551 in französischer Übersetzung und hat in Frankreich größeren Erfolg als in Italien). Eine zentrale Rolle spielt auch das Manierentraktat von Giovanni della Casa, Il Galateo (ca. 1551), das damals mindestens so bekannt und erfolgreich war, wie in Deutschland ab dem 18. Jahrhundert „der Knigge“ (Adolph Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Menschen, 1788). Genannt werden muss zudem Stefano Guazzos La Civil conversazione (1554), ein heute weniger bekannter, damals aber sehr wichtiger Text für die Modellierung der elitären höfischen Sprache in Europa. Bis 1613 wird er ins Französische, Englische, Lateinische, Deutsche, Niederländische und Tschechische übersetzt, in Italien erscheinen bis Mitte des 17. Jahrhunderts mindestens 34 Auflagen. Der Umgang mit und die Reflexion über den Einfluss des Italienischen im 16. Jahrhundert lässt sich allerdings nicht auf Bereicherung und Akzeptanz von kulturellem bzw. sprachlichem Prestige eingrenzen. Damit würde man bereits bei der Wortgeschichte der Epochenbezeichnung auf Grenzen stoßen, denn trotz der Vorreiterrolle der italienischen Kultur und Sprache setzt sich die französische Bezeichnung Renaissance europaweit durch. Das Verb renaître ist zum Ausdruck eines ‘Bewußtseins der Erneuerung’ erstmals im Französischen in Du Bellays erstem Gedichtband Olive (1549) belegt: Reutner_Stb_sV-256_End.indd 223 15.08.11 15: 18 <?page no="236"?> 224 Die Aus strahlung des - Italienischen Die europäischen Einflussbereiche Die Italomanie der Franzosen als Bild für zyklische Erneuerungsvorgänge der Natur (Jahreszeiten, Pflanzen) bzw. für die Hoffnung des Dichters auf Wiedergeburt. Es tritt hier allerdings weniger in chronologisch epochaler Bedeutung auf, sondern hat eher topischen Charakter und wird auch auf andere Zeiträume angewendet. Das Substantiv renaissance ist seit 1553 bei Belon belegt. Obwohl der entscheidende Stimulus aus Italien kommt, hat sich der französische Terminus Renaissance europaweit durchgesetzt, für den im Italienischen dagegen die Übersetzung Rinascimento üblich geworden ist. Zu den bevorzugten Einflussbereichen der italienischen Kultur und Sprache in Europa gehören in diesem Zeitraum Frankreich, England und auch bereits Deutschland. Besonders intensiv sind bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert die Einflüsse des Italienischen auf den französischen Sprach- und Kulturraum. In der Geschichte des Französischen und Italienischen wirkt die wechselseitige Orientierung auf die Sprache des Anderen über Jahrhunderte als Stimulus für die sprachliche Entwicklung. Die französisch-italienische Sprachdebatte zieht sich über mehrere Jahrhunderte und wirkt als dynamisches Element, selbst in solchen Perioden, wo die Übernahme von Elementen der anderen Sprache metadiskursiv nicht nur als Bereicherung verstanden, sondern vehement als Korruption angeprangert wird (eine solche Haltung kennzeichnet etwa die französische Sprachsituation im ausgehenden 16. Jahrhundert und das späte 18. Jahrhundert für das Italienische). In Frankreich setzt im 16. Jahrhundert eine regelrechte Italomanie ein, deren Hintergründe und Auswirkungen im Folgenden dargestellt werden. Die sprachlichen Kontakte zwischen Frankreich und Italien beginnen allerdings noch früher, was eine Reihe von Italianismen belegt, die nachweislich vor dem 16. Jahrhundert ins (Mittel)französische gelangt sind (wie etwa mangiare und tovaglia im 12. Jahrhundert; giardino und burro im 14. Jahrhundert oder auch banqueroute 3 und banque im 15. Jahrhundert). Nachdem im Mittelalter das Provenzalische und das Französische besonderen Einfluss auf den italophonen Sprachraum, v. a. auf Oberitalien genießen, beginnt ab dem späten 15. Jahrhundert von Seiten Frankreichs eine intensive Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissancekultur. Der französisch-italienische Sprach- und Kulturkontakt erfährt unter Franz-I. im Kontext der Etablierung Frankreichs als führende politische Macht auf der italienischen Halbinsel eine entscheidende Intensivierung. Während der Italienkriege werden Bezeichnungen aus dem italienischen Militärwortschatz wie attaquer, cartouche, soldatesque und alerte entlehnt. Die Entlehnungen aus dem Italienischen konzentrieren sich dann ganz besonders auf den Zeitraum der Herrschaft von Heinrich II. und Katharina de’ Medici zwischen 1540 und 1560 (Hope 1971 kommt für diese Zeit auf 462 Entlehnungen). 3 Diese Metapher geht zurück auf einen Usus bei zeitgenössischen Handelsmessen: die ersten Geldwechsler üben ihr Geschäft hinter einer Art Bank aus, die bei ungünstigen Abschlüssen zerschlagen wird (banca rotta ‘zerschlagene Bank’). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 224 15.08.11 15: 18 <?page no="237"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 225 Entlehnung von Italianismen Die französischitalienische Sprachdebatte Für die Etablierung von Italianismen in der französischen Sprache spielen Schriftsteller wie Montaigne, Rabelais und Ronsard eine wichtige Rolle. Zum Zentrum italienisch-französischer Kontakte wird zu Beginn des 16. Jahrhunderts Lyon als Schmelztiegel italienischer Kultur und Handelsbeziehungen, als Zentrum der Druckkunst und als Zentrum der Petrarchisten. Für Neologismen, die in dieser Zeit aus dem Italienischen übernommen werden, sind v. a. die vielfältigen literarischen Kontakte verantwortlich, die durch literarische Gruppierungen und Dichterschulen unterhalten werden (z. B. die Gruppe der Rhétoriqueurs, die Ecole de Lyon oder auch die Ecole de Marot in engem Kontakt zum Hof von Marguerite de Navarre). Italianismen werden (wenn auch eher zurückhaltend) im Zuge der Nachahmung von Petrarca verwendet, wobei nicht alle literarischen Italianismen auf Petrarca zurückzuführen sind (z. B. assassin, mousquette, trombone). Im Sprachdenken der Renaissance dient Sprache als Mittel der Beherrschung der Natur durch die Vernunft und das Wort. Entlehnungen werden deshalb in erster Linie als Möglichkeit zur Optimierung der Beziehung von sprachlichen Formen zu ihren Inhalten und damit der Bereicherung des Wortschatzes verstanden. Zu den favorisierten Sachbereichen, aus denen italienischer Wortschatz entlehnt wird, gehören deshalb auch nicht nur diejenigen, in denen Italien im 16. Jahrhundert die europäische Vorreiterrolle zuerkannt wird: Kulturspezifika: parmesan: fromaige parmesin (1545, später dann fromage parmigean, subst. Huls 1596); gondole (noch nicht als bevorzugtes Transportmittel venezianischer Touristen: 1549 bei Rabelais Sciomachie „Galiotes, Gondoles, Frégates“); Militär/ Kriegsführung: (v. a. in den 30er Jahren während der Herrschaft von Franz I., der eine Heeresreform nach italienischem Muster durchführt) caserma, marcia forzata, tappa; casemate, colonel, cavalier, cavalerie; Diplomatie: alleanza, colpo di stato, legalizzare; höfische Mode/ Verhaltensweisen: parrucca, parrucchiere, bello spirito, far la corte, libertinaggio; Schifffahrt: (bis zur Jahrhundertmitte) lampion (zunächst als nautischer Terminus ‘Schiffslampe’), orméger (von ormeggiare ‘ein Schiff verankern’), môle (von molo), bourrasque (von burrasca), lebeche (von libeccio). Literatur/ Dichtung/ Rhetorik: calepin (eine Art kleines Wörterbuch), cantilène, macaronique (stilistisches Mittel der Burlesken, eine Mischung aus lateinischen, literatursprachlichen und dialektalen Elementen), madrigal, sonnet, strambot (von strambotto ‘kurze satirische oder Liebesdichtung’), tercet (Versmaß, Vorform der Terzine). Dieser nachhaltige Einfluss des Italienischen auf die französische Literatur- und Hofsprache des 16. Jahrhunderts wird natürlich zum Gegenstand einer hauseigenen Debatte um die Leistungsfähigkeit der französischen Sprache, die erst im 17. Jahrhundert kodifiziert wird und im 16. Jahrhundert noch für jegliche Möglichkeiten einer (zeitweise nahezu ungezügelten) Bereicherung Reutner_Stb_sV-256_End.indd 225 15.08.11 15: 18 <?page no="238"?> 226 Die Aus strahlung des - Italienischen Jean Lemaire de Belges Concorde des deux langages 1511 Joachim du Bellay Deffence et illustration de la langue francoyse 1549 offen ist. In dieser Konstellation ist eine Sprache natürlich für Einflüsse von außen besonders empfänglich, noch dazu, wenn es sich − wie im Falle Italiens- − um Einflüsse aus dem Land handelt, das gewissermaßen den Maßstab für die europäische Literatur und den Verhaltenskodex des europäischen Höflings schlechthin vorgibt. Das Italienische (Toskanische) wird auch zum Vergleichsmaßstab, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit der französischen Schriftsprache in Konkurrenz zu den klassischen Sprachen der Antike nachzuweisen. Die Möglichkeit der Ausrichtung an einer zeitgenössischen Sprache bildet dabei einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Emanzipation. Drei Literaten setzen sich in diesem Rahmen besonders intensiv mit dem französisch-italienischen Sprach- und Kulturkontakt auseinander − Jean Lemaire de Belges, Joachim du Bellay und Henri Estienne. Jean Lemaire de Belges (1473−ca. 1515), der zu einer der Lyoner Dichtergruppen gehört, gibt mit seiner Concorde des deux langages (1511) von französischer Seite den Anstoß für eine theoretische Reflexion über den französischitalienischen Sprachkontakt und benutzt auch selbst eine ganze Reihe von Italianismen, die bei ihm zum Teil erstmals belegt sind (z. B. belvedere, bronze, cantilène, capitain, tiercet, moustache, contrebass). Er beschreibt die Beziehung beider Sprachen recht euphorisch als „amoureuse concordance“ zwischen zwei Schwestersprachen (Lemaire 1947: 3) und das Italienische als elegante, reichhaltige und anmutige Sprache, die von französischen Adligen sehr geschätzt und gern gesprochen wird („ou temps moderne plusieurs nobles hommes de France, frequentans les Ytalles, se delectent et excercitent oudict langaige toscan à cause de sa magnificence, elegance et doulceur“, Lemaire 1947: 4−5). Joachim du Bellay (ca. 1525−1560) verfasst mit seiner Deffence et illustration de la langue francoyse (1549) einen entscheidenden Beitrag zur Emanzipation der französischen Schriftsprache. Er hat insofern explizit mit dem italienischen Einfluss auf die französische Kultur des 16. Jahrhunderts zu tun, als er sich ganz nachdrücklich mit dem Dialogo delle lingue von Sperone Speroni auseinandersetzt, der für seine Sprachauffassung von entscheidender Bedeutung wird. Du Bellay übernimmt aus Speronis Text die zentralen Argumente für die Emanzipation des Französischem gegenüber dem Latein und kopiert zu diesem Zweck unverändert und ohne Angabe der Quelle ganze Textpassagen, eine Praxis, die aus heutiger Sicht auch als Plagiat interpretiert wird (entdeckt wurde diese Übereinstimmung erst 1908). Den Italienern erkennt er mit Verweis auf Petrarca, Boccaccio und Bembo eine Vorreiterrolle zu, da sie sich vor den Franzosen vom Gebrauch der klassischen Sprachen lösen und der eigenen Sprache zuwenden. Mit den Religionskriegen und der unnachgiebigen Politik des Papsttums, die Italien ab Mitte des 16. Jahrhunderts prägen, entwickelt sich allmählich eine antiitalianistische Haltung. Der Beginn einer Abwehr des italienischen Einflusses wird in der Regel auch mit der Festigung der politischen Herrschaft von Katharina de’ Medici assoziiert, die maßgeblich zur Italianisierung des französischen Hofs beiträgt, aber auch für die Bartholomäusnacht verantwort- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 226 15.08.11 15: 18 <?page no="239"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 227 Henri Estienne Deux Dialogues du nouveau langage françois italianizé 1578 lich zeichnet. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden die Entlehnungen aus dem Italienischen so dominant, dass Heinrich III. dem Grammatiker und Lexikographen Henri Estienne (ca. 1531−1598) den Auftrag erteilt, nachzuweisen, dass die französische Sprache ebenso reich, wenn nicht sogar reicher sei als die italienische. Estienne wird zum wichtigsten Sprecher der antiitalienischen Strömung. Er setzt sich insbesondere in zwei Schriften (Deux Dialogues du nouveau langage françois italianizé 1578 bzw. ein Jahr später Précellence du langage francois 1579) recht kritisch mit der „Italianisierung“ der französischen Sprache als „purer Modeerscheinung“ aufgrund des literarischen und ästhetisch-höfischen Prestiges des Italienischen auseinander, wobei er moralische, sprachliche und nationalistische Argumente vermischt. Als Beispiel sei seine Polemik gegen das Lehnwort assassin (von ital. assassino) angeführt. Henri Estienne brandmarkt diese Entlehnung als Ausdruck der Übernahme eines „furchtbaren und diabolischen Gewerbes“ von den Italienern. […] il a bien falu que l’Italie ait dict assassino longtemps devant que la France dist assassin ou assacinateur, veu que le mestier d’assaciner avoit esté exercé en ce pays-là longtemps auparavant qu’on sceust en France que c’estoit […] Et croy aussi que d’ailleurs on n’eust pris guère de plaisir à chercher un nom françois è un mestier tant horrible et diabolique et du tout incogneu è nos ancestres. (Estienne 1970: 96-97) Der Korruptionsvorwurf bezieht sich hier generell auf die Italianisierung der höfischen Konversation, in der es weniger um Bedürfnisentlehnungen als um rhetorische und lautliche Imitation der Italiener geht. Das hat allerdings zur Folge, dass auch durchaus sinnvolle Entlehnungen kritisiert und abgelehnt werden. In umgekehrter Richtung vollzieht sich dann zwei Jahrhunderte später ein ganz ähnlicher Prozess, als sich das Französische als Sprache der europäischen Gelehrtenrepublik durchsetzt und es in Italien zu einer heftigen Gegenreaktion gegen die „Gallomanie“ der Italiener kommt (vgl. 6.4.2). 9.3 Italienisch als Fremdsprache Vor dem Hintergrund der Rolle Italiens als kulturelle „Leitnation“ der europäischen Renaissance ist auch die Verbreitung und Lehre des Italienischen außerhalb Italiens zu sehen. Diese setzt in Europa (freilich zunächst in sporadischer, nicht organisierter Form) bereits im Quattrocento ein und nimmt ab dem 16. Jahrhundert allmählich systematische Formen an, als aus kulturellem Interesse heraus eine intensivere Beschäftigung der gehobenen Gesellschaftsschichten mit dem Italienischen als Fremdsprache beginnt. Vor dem 16. Jahrhundert erfolgt der Fremdsprachenerwerb nicht über systematische Lehrbücher, sondern über Auslandsaufenthalte und Muttersprachler, die als Lehrer fungierten. Der Klerus erteilt Unterricht i. d. R. auf Latein, das bis zu dieser Zeit auch die bevorzugte Metasprache von Sprachlehrwerken bleibt. Mit dem Reutner_Stb_sV-256_End.indd 227 15.08.11 15: 18 <?page no="240"?> 228 Die Aus strahlung des - Italienischen Italienisch als Fremdsprache im deutschsprachigen Raum Auf kommen des Buchdrucks im späten 15. Jahrhundert ergeben sich auch neue Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht. Die Gesprächsbücher, die vorher per Hand kopiert werden mussten, können jetzt in größerer Auflage gedruckt und verbreitet werden. Die erste italienische Grammatik für ein französisches Publikum − Jean Pierre de Mesmes Grammaire italienne composée en françois − erscheint 1548. In England verfasst William Thomas 1550 das erste Italienischlehrbuch für ein englischsprachiges Publikum − Principal Rules of the Italian Grammar, with a Dictionarie for the better understandynge of Boccace, Petrarcha, and Dante. Grundlage für diese Lehrwerke ist das nun auch bereits in Europa bekannte Sprachkonzept von Bembo (vgl. Kap. 6.2.3). Diese ersten Lehrwerke für den italienischen Fremdsprachenunterricht gehen im Allgemeinen deutlich großzügiger mit normativen Vorgaben um als die italienischen Grammatiker und Lexikographen. Der folgende knappe Überblick skizziert die Entwicklung des Italienischunterrichts im deutschsprachigen Raum, dessen frühe Geschichte eine Reihe von Parallelen zum Italienischunterricht in anderen europäischen Sprachräumen aufweist. Die Geschichte des Italienischen als Fremdsprache im deutschsprachigen Raum ist gut dokumentiert (vgl. v. a. Hausmann 1966, Gorini 1997). Ähnlich wie in Frankreich sind erste sporadische Formen des Italienischunterrichts bereits für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts belegt. Offensichtlich hat sich das Interesse in dieser Zeit v. a. auf die Kaufleute konzentriert, auf deren Druck dann Ende des 16. Jahrhunderts in den süddeutschen Handelsmetropolen Frankfurt und Ulm Italienischunterricht an höheren Schulen angeboten wird. Neben einem handkopierten Gesprächsbuch für Deutsche Lerner von 1477 sind als offensichtlich erste italienische Grammatik für ein deutsches Publikum die Regoletto e Precetti della grammatica volgare des deutschen Arztes Sigismund Kolreuter von 1579 überliefert. Für junge Adlige bilden die Ritterakademien den ersten Anlaufpunkt zum Studium des Italienischen. Als erste Institution nimmt das Collegium Illustre in Tübingen 1596 das Italienische in das Lehrprogramm auf. Die Universität Marburg bietet als erste deutsche Universität ab 1605 auch Italienisch an. Im Unterschied zum Unterricht in den klassischen Sprachen der Antike beschränkt sich bis dahin der „moderne“ Fremdsprachenunterricht i. d. R. auf den privaten Bereich. Die systematische Abfassung von Wörterbüchern, Grammatiken und Sprachlehrwerken beginnt dann im 17. Jahrhundert. Ab dem 18. Jahrhundert, als eine intensive Reisetätigkeit deutscher Gelehrter und Literaten einsetzt und Italienisch zur lingua franca am Hof Augusts des Starken wird (der selbst Italienisch in Wort und Schrift beherrscht), kommt Deutschland dann eine größere Rolle für die Verbreitung des Italienischen zu. An den Universitäten konkurriert Italienisch von Anfang an mit dem Französischen (das als erste moderne Fremdsprache an der Universität Wittenberg bereits ab 1571 gelehrt wird). Lange Zeit läuft der Unterricht in den beiden Sprachen parallel über ein und dieselbe Lehrkraft und anhand mehrsprachiger Lehrmaterialien. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 228 15.08.11 15: 18 <?page no="241"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 229 Die Rolle der Sprachmeister Die Italienisch- Lehrwerke Abb. 9.3 Niccolò di Castelli Obwohl in den historischen Quellen hin und wieder bereits von „Professoren“ (Professor Linguarum) und „Lehrstühlen“ für italienische Sprache die Rede ist, rangiert der Unterricht in den modernen Fremdsprachen bis weit in das 18. Jahrhundert außerhalb der wissenschaftlichen Ausbildung und wird von sog. Sprachmeistern (bzw. magistri linguarum, den Vorläufern der Fremdsprachenlektoren) abgehalten, deren Status dem der Tanz- und Fechtmeister gleichkommt. Dieser Umstand ist v. a. in Zusammenhang mit der praktischen Ausrichtung zu sehen, die Kenntnissen in Italienisch (und Französisch) zur damaligen Zeit beigemessen wird. Entsprechend werden die Sprachmeister in der Geschichtsschreibung der Fremdsprachendidaktik von den „richtigen“ Grammatikern (grammatici) als grammatisti unterschieden. Gemäß der praktischen Ausrichtung des Italienischunterrichts orientieren sich auch die Lehrwerke an einem kolloquialen Sprachstil, der auf die Bewältigung der Alltagskonversation fokussiert. Nach Aussage der Autoren sind die (i. d. R. zwei- oder mehrsprachigen) Lehrwerke so konzipiert, dass Lernende verschiedener Zielgruppen „in tempi brevissimi“ die notwendigen Grundkenntnisse für die Alltagskommunikation erwerben, so z. B. Deutsche, die Italienisch und gleichzeitig Italiener, die Deutsch lernen möchten (nicht selten werden auch noch Französisch und Latein einbezogen). Es handelt sich bei diesen Lehrbüchern oft um Plagiate von Vorgängertexten. Besonders häufig werden dafür zwei Lehrbücher verwendet: − M ICHELE B ERTI : L’arte d’insegnare la lingua francese per mezzo dell’italiana o verso la lingua italiana per mezzo della francese (erste Auflage 1677) und − G IOVANNI V ENERONI : Le Maître Italien (erste Auflage 1678, 1690 in der ersten italienischen Auflage von L OUIS DE L ÉPINE um einen Maître françois erweitert). Besonders bekannt wird im ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhundert der Sprachmeister Niccolò di Castelli aus Lucca, der an verschiedenen deutschen Universitäten sowohl Italienisch als auch Französisch unterrichtet. Seine Methode soll stellvertretend für viele andere Sprachmeister der Zeit kurz illustriert werden. Castelli gibt neben anderen didaktischen Texten 1713 eine überarbeitete und um einen deutschen Teil erweiterte Fassung des Lehrbuchs von Veneroni heraus. Im Vorwort verspricht er den Lesern, dass diese „ohne Beyhuelff anderer Bücher, bloß durch diese Grammatic und meine neue Methode, welche meiner besten Bücher eines ist, in kurzer Zeit das Italienische werden reden, und alle Autores so wohl in gebundener als ungebundener Rede verstehen lernen“. Die Zielsprache Italienisch wird unter Bezug auf das französische Sprachsystem erklärt, das für die Darstellung phonetischer, morphologischer und lexikalisch-semantischer Besonderheiten als Mittlersprache erscheint. Relativ breiten Raum nimmt der Versuch eines systematischen Vergleichs der Morphologie des Französischen und des Italienischen ein, wobei die französischen Formen als Ableitungen der italienischen dargestellt werden („Ob man wohl zu sagen pflegt, das Italienische sei nichts anders als verdorbenes Latein, so kommt es doch keiner Sprache ähnlicher als der Französischen, inmassen die Reutner_Stb_sV-256_End.indd 229 15.08.11 15: 18 <?page no="242"?> 230 Die Aus strahlung des - Italienischen Französischen Wörter fast alle Italienische sind, wann man sie nur ein wenig verändert“, Castelli 1713: 23). Entsprechend der in dieser Zeit gängigen Grammatik-Übersetzungs-Methode, die noch aus dem Latein-Unterricht übernommen wird, spielt die Übersetzung als Zugang zur Fremdsprache eine dominante Rolle. In den Sprachlehrbüchern sollen Übersetzungen (Dialoge oder kürzere literarische Texte) zur Verbesserung der Ausdrucksfahigkeit, zur Anwendung der Regeln und nicht zuletzt zur Erhöhung der Sicherheit im Umgang mit der Muttersprache dienen. Castellis Grammatic geht von kurzen französischen Texten aus (die er z. T. aus den Werken Molières übernimmt). Diese übersetzt er selbst ins Italienische und schließlich ins Deutsche (die drei Texte werden typographisch voneinander unterschieden: französisch: recte; italienisch: kursiv; deutsch: fett). Im italienischen Text markieren arabische Ziffern die Erscheinungen, die jeweils in einer Lektion (in einem „Thema“) behandelt werden. An die Texte schließt ein kurzer Kommentar der Phänomene in der Reihenfolge der arabischen Ziffern an, der methodisch durchaus variiert: Verweis auf die Darstellung einer Regel an anderer Stelle durch Seitenangabe, Wiederholung der Beispielsätze als nachdrücklicher Hinweis auf signifikante Unterschiede (z. B. im Gebrauch unbestimmter Artikel im Italienischen und Französischen) oder auch die Anweisung an den Leser, sich die Regel selbst herzuleiten. „Über die Articulos“. Ein Thema aus dem Italienisch- Lehrbuch von Castelli 1713 5. Abhandlung. Von der Zusammenfügung oder Composition, und den Regeln, um das Italienische recht zu schreiben und zu reden, in einige Themata gebracht Thema 1 Über die Articulos (Castelli 1713: 240−241) L’envie et le desir de mon frère pour l’étude de la langue Italienne, sont cause que les ardeurs qu’il avait pour la chasse, les jeux et les instruments de Musique, sont à présent bien moderées. S’il avait crû les avis que vous lui donniez dans le jardin de Monsieur le Président, quand vous nous parliez de l’esprit de ce Gentilhomme, qui était tant estimé du Roi; il aurait alors commencé d’en étudier les principes; il saurait maintenant une partie des difficultés et aurait fait beaucoup de voyages avec le neveu d’un grand Prince qui le voulait avoir. 1 2 3 La voglia è ’l desiderio di mio fratello per lo studio della Lingua Italiana, sono cagione, che 4 5 6 7 8 9 gli ardori, c’haveva per la caccia, i giochi, e gli stromenti di Musica, sono adesso molto 10 11 12 13 14 moderati: s’havesse creduto gli avvisi, che gli davate nel giardino del Signor Presidente, 15 16 17 18 quando ci parlavate dello spirito di quel Gentil huomo, ch’era tanto stimato dal Re, havrebbe 19 20 21 22 23 all’hora cominciato a studiarne i principi, sarebbe una parte delle difficoltà, havrebbe fatto 24 25 26 27 28 molti viaggi col nipote d’un gran Principe che lo voleva havere. Die Lust und das Verlangen meines Bruders zu dem Studieren der Italienischen Sprache sind Ursache, daß die Begierden, die er wegen der Jagd, des Spielens, und Reutner_Stb_sV-256_End.indd 230 15.08.11 15: 18 <?page no="243"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 231 Das Italienischstudium als Teilbereich der deutschen Romanistik der Musikalischen Instrumente hatte, anjetzo ziemlich gemäßigt sind. Wenn er dem Rat geglaubet hätte, den ihr ihm in dem Garten des Herrn Präsidenten gabt, da er mit uns von dem Verstande dieses Edelmanns redete, der von dem Könige so hoch gehalten wurde; so würde er jetzo einen Teil der Schwierigkeiten und hätte viele Reisen mit den Vettern eines großen Fürsten getan, der ihn wollte haben. Dieses Thema, wie auch die nachfolgenden sind aus dem Französischen von Wort zu Wort ins Italienische gesetzt worden. Die Ziffer 1 zeiget an, daß man nicht sagen müsse e il, p. 194. 3. Lo und nicht il, p. 38, 40. 5. c’haveva, p. 194. 7. giochi und nicht gioci, p. 51. 9. molto und nicht bene, p. 221. 11. gli avvisi und nicht gl’avvisi, p. 40. 13. nel und nicht in il, p. 44. 15. ci und nicht noi, p. 68. 17. quel und nicht quello, p. 196. 19. studiarne und nicht ne studiare, p.-67, 68. 21. principj und nicht principi, p. 52. 23. haverebbe und nicht averebbe, p. 192, 193. 25. viaggi und nicht viaggii, p. 52. 27. gran und nicht grande, p. 59. Die Ziffer 2 lehret, daß man sagen müsse di mio und nicht del mio, p. 90. 4. gli und nicht gl’, ibid. 6. i ist besser als li, p. 39, 40. 8. gli und nicht li, p. 39, 40. 10. havesse und nicht haveva, p.93. 12. gli und nicht lui, p.65. 14. del Sig. Pres. und nicht di Sig. Pres., p. 204. 16. dello und nicht del, p. 40. 18. dal in dem Ablativo, p. 210. 20. i und nicht li, p. 39. 22. difficoltà und nicht difficultè, p. 47. 24. molti und nicht molto, p. 221. 26. col und nicht con il, p. 45. 28. lo und nicht il, p. 43, 44. Die Sprachwissenschaft kann sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eigenständige Disziplin etablieren und ist fortan im Fächerkanon der deutschen Universitäten mit eigenen Lehrstühlen vertreten. Die Romanistik gehört neben der Germanistik zu den Vorreitern der modernen Philologie, als Begründer wird üblicherweise Friedrich Diez mit der ihm 1830 zuerkannten „Professur für mittlere und neuere Literaturen“ an der Universität Bonn genannt, die erste „Ordentliche Professur für das Fach romanische Sprachen und ihre Literatur“ erhält allerdings Ludwig Gottfried Blanc 1833 an der Universität Halle. Die erste romanistische Dissertation von Ernst Wilhelm Gottlieb Wachsmuth (Comparatio grammatica linguae Gallicae et Italicae cum matre latina 1811) steht mit ihrem historisch-vergleichenden Thema emblematisch für die wissenschaftliche Ausrichtung der frühen deutschen Romanistik. Der Schwerpunkt liegt auf der historisch-vergleichenden Untersuchung aus gesamtromanischer Perspektive, die zunächst keine unmittelbare Auswirkung auf den modernen Fremdsprachenunterricht hat. Sie führt vielmehr zu einem Bruch zwischen wissenschaftlicher und sprachpraktischer Ausbildung, der erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich überwunden wird. Häufig übernehmen die Dozenten selbst den Sprachunterricht, der deshalb im Sinne einer historischen Grammatik v. a. auf die philologische Auslegung von literarischen Texten verschiedener Epochen (Übersetzung, Wort- und Formenge- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 231 15.08.11 15: 18 <?page no="244"?> 232 Die Aus strahlung des - Italienischen Die Reformierung des modernen Fremdsprachenunterrichts Abb. 9.4 Das Lehrbuch L’Italia d’oggi 1929 Italienischunterricht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schichte) und nicht auf den Erwerb kommunikativer Fähigkeiten ausgerichtet ist. So fokussiert auch das Studium der italienischen Sprache auf Lektüre und Verständnis mittelalterlicher Texte, auf die Lectura Dantis bzw. die altitalienische Literaturgeschichte. Entsprechend dominieren in den italienischen Lehrwerken für Deutsche antike Texte (von Boccaccio bis Ariost) und Sprachbeispiele, die sich am traditionellen, literarischen Sprachmodell ausrichten (vgl. etwa das Altitalienische Elementarbuch von Berthold Wiese 1904). Die wiederholten Versuche, Italienisch neben Französisch und Englisch bereits im 19. Jahrhundert am Gymnasium als Pflichtfach einzuführen, führen lediglich in Bayern zeitweise zum Erfolg, wo Italienisch bereits 1873 in der Prüfungsordnung für das Lehramt ausgewiesen ist. In der Regel wird Italienisch aber meist nur als Wahlfach angeboten. Stimuliert wird der moderne Fremdsprachenunterricht insgesamt durch die v. a. von Wilhelm Viëtor 1882 ausgelöste Reformbewegung, in deren Konsequenz kommunikative Kompetenzen wie auch landes- und kulturkundliche Kenntnisse zu integrativen Bestandteilen des Fremdsprachenunterrichts werden. Dieser Prozess stimuliert auch die zunehmende Integration von wissenschaftlicher und sprachpraktischer Ausbildung an den Universitäten, der mit der Akzeptanz muttersprachlicher Fremdsprachenlektoren (der modernen „Nachfolger“ der Sprachmeister) als wichtiges Bindeglied zwischen beiden Ausbildungsbereichen einhergeht. Der Reformprozess bewirkt auch in den Italienischlehrwerken eine Ausweitung der Textbasis, die nunmehr auch (wieder) nicht-literarische Textbeispiele umfasst. Allerdings ist diese Neuorientierung dann ab Ende der 1920er Jahre bereits auch von der faschistischen Ideologie durchdrungen, die in der Wahl der Texte sowohl inhaltliche als auch sprachliche Umsetzung erfährt. Exemplarisch sei auf das Lehrbuch L’Italia d’oggi verwiesen (Erstauflage 1929), das über vorwiegend kurze Texte aus italienischen Zeitungen und Zeitschriften sowie Auszüge aus Werken zeitgenössischer italienischer Schriftsteller „ein Bild des heutigen Italien bieten“ will und auf einen „gemeinen Grundwortschatz“ ausgerichtet ist. Die sechste Auflage von 1938 ist um einige Texte erweitert, in denen in der für den Faschismus typischen pathetischen Rhetorik „das faschistische Italien“ behandelt wird (etwa die superlativische Darstellung von Errungenschaften der „Italiani di oggi“ als ciclopici muraglioni, ardite gallerie, audaci ferrovie bzw. giganteschi moli, vgl. auch 7.5.4). Das zeitgleich ebenfalls bei Langenscheidt publizierte Italienischlehrbuch Perfeziona il tuo italiano von Alfredo Tortori in Reminiszenz auf die radikalisierte faschistische Sprachpolitik polemisiert sogar ganz explizit gegen das klassische italienische Sprachmodell als „Lingua meschinella di quel poveraccio di Dante“, der als heimatloser Bänkelsänger („una specie di cantastorie, che girava il mondo anche lui mendicando quel pane altrui, che sapeva tanto di sale…“) diffamiert wird (Tortori 1938: 225−226). Das erste Italienischlehrbuch der Nachkriegszeit, Modernes Italienisch. Praktisches Lehrbuch der italienischen Sprache von Vladimiro Macchi, nimmt zunächst die Lehrbuchtradition des 19. Jahrhunderts mit detailliertem grammatischen Reutner_Stb_sV-256_End.indd 232 15.08.11 15: 18 <?page no="245"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 233 Regelapparat, Übungen, Wortlisten und literarischen Textauszügen (allerdings vorwiegend modernerer Autoren) wieder auf. Der Italienischunterricht konzentriert sich in den Jahren der Teilung in zwei deutsche Staaten natürlich auf die Schulen und Universitäten der Bundesrepublik (in der DDR erscheint 1982 immerhin ein Lehrbuch der italienischen Sprache, das der rudimentären Hochschullehre in diesem Fach vorbehalten ist). Nach dem „Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Schulwesens“ (Hamburger Abkommen) von 1964 bzw. 1971 kann sich Italienisch definitiv vom Status eines bloßen Beifachs emanzipieren, um fortan in allen (zunächst westlichen) Bundesländern als gleichberechtigte Fremdsprache neben Englisch und Französisch unterrichtet zu werden. Dieser Anerkennung folgt die Einrichtung eines Lehramtstudiums im Fach Italienisch. Ein reguläres Studienfach Italianistik (auch Italoromanistik) kann sich aufgrund geringer Schülerzahlen erst ab 1972 etablieren. Heute bildet es einen relativ stabilen Faktor in der deutschen Romanistik, wofür u. a. spezifische Institute und Lehrstühle (z. B. in München), spezielle italianistische Studienprogramme in derzeit mindestens 34 romanischen Instituten bzw. Seminaren (Italoromanistik, Italienstudien bzw. Deutsch-Italienische Studien) oder auch spezielle wissenschaftliche Zeitschriften (Italienische Studien, Italienisch, Horizonte oder Zibaldone) sprechen. In der Gegenwart liegt Italienisch in Deutschland seit Jahren in fast allen Bedarfsuntersuchungen unangefochten auf dem vierten Platz hinter Englisch, Französisch und Spanisch. Reimann spricht in seiner erst kürzlich erschienenen Studie über die Geschichte des Italienischunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland sogar von einer Entwicklung „vom Mauerblümchen zur Orchidee“ (Reimann 2009: 13). 9.4 Una lingua per la musica. Italienisch als lingua franca des Musiktheaters Dopo quel memorabile passo in cui Galileo Galilei parve sognare che l’italiano diventasse la lingua universale della scienza - lui che aveva abbandonato nel 1612 il latino per rendere più perspicua la sua alta lezione, mentre andavano alla sua scuola tedeschi, francesi e perfino svedesi -, la nostra lingua non conobbe più, nonostante la presenza di grandi poeti e prosatori, una forza di penetrazione tale da poter aspirare a un qualsivoglia primato se non come linguaggio delle arti figurative e della musica […]. (Zitat aus „Europa unita lingue divise“, La Stampa 19. Juni 1992) L’italiano come lingua per musica und L’italiano di Mozart sind Kapitelüberschriften eines Referenzwerks von Gianfranco Folena zur Rolle des Italienischen im Europa des 18. Jahrhunderts (Folena 1983). In der Tat avanciert das Italienische im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur zur Sprache, in der Texte für das Musiktheater abgefasst werden, sondern auch zur lingua franca, in der Musikschaffende unabhängig von ihrer Muttersprache miteinander kommunizieren. Bis in die Gegenwart hat es diesen Status als eine Art Fachsprache zumindest Reutner_Stb_sV-256_End.indd 233 15.08.11 15: 18 <?page no="246"?> 234 Die Aus strahlung des - Italienischen Musikgeschichtlicher Hintergrund Abb. 9.5 Lorenzo Da Ponte für Kunsthistoriker und Musikologen behalten, die wenigstens über passive Kenntnisse der geläufigen Terminologie verfügen. Die Verbreitung der italienischen Oper außerhalb von Italien wird durch Entscheidungen der Herrscherhäuser, den Publikumsgeschmack und natürlich durch Aktivitäten der Ausführenden (Auslandstourneen italienischer Theatergruppen) angeregt und bestimmt. Sie nimmt Mitte des 17. Jahrhunderts in Wien und Salzburg, wie auch in einigen deutschen Städten ihren Anfang. Ihre Blütezeit erlebt sie dann im 18. Jahrhundert insbesondere in Frankreich, im deutschsprachigen Raum und in England, später folgt auch Russland. In Frankreich wird die Leidenschaft für die italienische Oper durch die Aufführung von La serva padrona von Giovanni Battista Pergolesi in Paris ausgelöst und löst den bekannten Streit (die Querelle des bouffons) zwischen Traditionalisten und Anhängern der Opera buffa, zu denen im Übrigen zahlreiche Enzyklopädisten gehören, aus. Im deutschsprachigen Raum ist ihre Verbreitung recht heterogen. Für die klassische Oper (opera seria) wird bekanntlich der Wiener Hof zu Geburtsstätte, an der sich Komponisten und Librettisten versammeln. In England trägt zu Beginn des 18. Jahrhunderts maßgeblich das Wirken von Georg Friedrich Händel zum Erfolg der italienischsprachigen Oper bei, wobei das Italienisch dort wohl eher ästhetische Funktion hat und italienische Passagen bereits durch englische Rezitative (bzw. für den Zuschauer durch engliche Übersetzungen der Libretti) ergänzt werden. Zu den besonders populären Protagonisten des italienischen Musiktheaters im „musikalischen Europa“ gehört zweifellos Lorenzo Da Ponte, berühmt für seine Opernlibretti, die er für Wolfgang Amadeus Mozart verfasst. In seinen Memoiren weiß er von zahlreichen italienischen Opernlibrettisten an anderen europäischen Höfen zu berichten (etwa Pietro Metastasio in Wien, Ferdinando Moretti und Marco Coltellini in Sankt Petersburg sowie Antonio Caramondani in Berlin). Mit dem Auf kommen der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts bekommt das Italienische ernsthafte französische und deutsche Konkurrenten, bleibt aber in seiner Rolle als Opernsprache (v. a. in England und Frankreich) weithin präsent. In Deutschland wird es zunächst durch deutsche Übersetzungen der Libretti von Mozartopern (wie später auch der Opern italienischer Komponisten) verdrängt. Bis in die 1940er Jahre dominieren dort italienische Opernaufführungen in deutscher Übersetzung. Zudem bilden deutschsprachige Komponisten, allen voran Richard Wagner, eine ernsthafte Konkurrenz. Demgegenüber kann sich das italienische Operntheater in zahlreichen anderen Ländern über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg seine Popularität erhalten und ausbauen, genannt werden sollen hier exemplarisch Spanien, Portugal wie auch Griechenland und die Türkei. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfährt es dann eine starke Expansion auch außerhalb Europas in Nord- und Südamerika, eine Erscheinung, die zweifellos auch in Zusammenhang mit den ersten italienischen Emigrationswellen zu sehen ist. Komponisten wie Pietro Mascagni und Giacomo Puccini sorgen sogar dafür, dass einige Uraufführungen ihrer Opern in Übersee und nicht in Europa stattfinden. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 234 15.08.11 15: 18 <?page no="247"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 235 Recitar contando. Die Singbarkeit des Italienischen Italienische Fachterminologie Kodifikation des „dramma serio per musica“ Opernlibretti Zweifellos kommt dieser internationale Erfolg nicht von ungefähr, sondern steht in Zusammenhang mit spezifischen Strukturmerkmalen des Italienischen, die seine Singbarkeit im Vergleich zu anderen Sprachen wesentlich erhöhen. Dazu gehören etwa im lautlichen Bereich − die ausgeglichene Verteilung von Vokalen und Konsonanten; − vokalische Wortendungen; − das Fehlen von Nasalvokalen und − eine geringe Frequenz harter Konsonanten bzw. Konsonantengruppen; im syntaktischen Bereich zudem − die relative Stellungsfreiheit der Satzelemente; − eine relative Flexibilität der Kollokationen sowie − die Möglichkeit der Inversion. Damit bietet das Italienische eine optimale Voraussetzung für das Zusammenspiel von Sprache, Rhythmus und Klang, worauf bereits Claudio Monteverdi (der mit L’Orfeo von 1607 als Begründer der modernen Oper und des arienhaften Stils gilt) für das Recitar cantando Wert legt. Hierin liegt im 18.-Jahrhundert das wichtigste Auswahlmotiv für das Italienische als ein „docile idioma“,und auch der Grund für die relative Beständigkeit des Erfolgs der italienischen Oper in Originalfassung bis in die Gegenwart (in der neueren Musikhistoriographie wird dafür auch der Neologismus „associazione musilinguistica“ geprägt, vgl. Bardez 2004: 594). Die italienische Prägung der Fachterminologie steht natürlich in Zusammenhang mit dem besonderen Anteil der italienischen Musik- und Theatergeschichte an der Entwicklung eines Gattungskanons, die Namen der einzelnen Untergattungen sind bereits im Barockzeitalter italienisch (wie etwa dramma per musica, dramma giocoso) und werden im 18. Jahrhundert durch neue italienische Gattungsbezeichnungen abgelöst (opera seria, opera buffa). Die Typologie der Strukturelemente wie z. B. der Arien wird allmählich differenziert, was zu neuen (italienischen) Termini führt. Als Beispiel sei die sog. Da-capo-Arie genannt, die sich bis zum 18. Jahrhundert in fünf Untertypen ausdifferenziert (aria di bravura, ~cantabile, ~di mezzo carattere, ~concertata bzw. ~parlante), ergänzt durch die aria baule (die sog. „Kofferarie“). Die Kodifikation des „dramma serio per musica“ vollzieht sich recht geradlinig und wird maßgeblich durch Apostolo Zeno geprägt, der dem Librettisten par excellence, Pietro Metastasio, den Weg öffnet. Mit ihnen bekommt das klassische Opernlibretto seine typische Prägung (etwa mit gehobener poetischer, auch archaischer und latinisierender Wortwahl, häufiger Inversion, proklitischem Imperativ, si impersonale, infiniten Fragekonstruktionen z. B. „Merope odiarmi tanto? / De l’amor mio tanto abusarti? “, serielle Konstruktionen wie „sudo, tremo, ardo e agghiaccio“, Beispiele nach Bonomi 2006: 95). Diese Stilelemente stabilisieren sich in der Folgezeit aufgrund ihrer einzigartigen Musikalität, sind aber auch Ausdruck dichteri- Reutner_Stb_sV-256_End.indd 235 15.08.11 15: 18 <?page no="248"?> 236 Die Aus strahlung des - Italienischen scher Kreativität der Librettisten. Im Bereich der opera buffa werden dagegen auch zahlreiche regionale Sprachmerkmale (in Abhängigkeit von der Region in unterschiedlichem Grad, besonders ausgeprägt in Neapel) verarbeitet. Im 19. Jahrhundert werden die Libretti dagegen v. a. durch die Musik bestimmt. Diese Dominanz steht in Zusammenhang mit der nunmehr großen Anziehungskraft, welche das Musiktheater auf ein breiteres Publikum ausübt, zu dem nun auch mittlere und untere bürgerliche Kreise gehören. Bevorzugt werden nun große, tragische patriotische Themen. Die Sprache entfernt sich deutlich vom gemeinen Sprachgebrauch und orientiert sich nun ausschließlich an der traditionellen Dichtungssprache. Traditionsbewusstsein und gehobenes Sprachniveau kennzeichnen die Sprache der Opern von Giuseppe Verdi und erreichen z. B. in Rigoletto ihren Höhepunkt. Modernisiert wird die Opernsprache dann erst durch Giacomo Puccini: modernere, zeitgenössische Themen (La Bohème, Madama Butterf ly) werden in einer moderneren, der zeitgenössischen Prosa nahen Sprache umgesetzt. Exemplarisch sei nur der Gebrauch von kolloquialen Elementen wie ci + avere („E ci avete sorelle? “ Madama Butterf ly) oder dativus eticus („Ma stammi attento di non farti male! “ Tosca) bzw. von Anglizismen wie all right, good bye und Französismen wie coupé und champagne genannt. Mit dem Einzug moderner Massenmedien im 20. Jahrhundert verliert freilich das traditionelle Musiktheater an Resonanz, kann aber bis in die Gegenwart einen gewissen Stellenwert behaupten. Für die Präsenz der italienischen Sprache sind moderne Medien auch in diesem Rahmen förderlich, denn damit ergibt sich die (heute in Deutschland recht produktive) Möglichkeit der Opernaufführung im Original, die durch übersetzte Obertitel begleitet wird. 9.5 Italienisch als Kultur- und Bildungssprache in der Gegenwart Die internationale Rolle des Italienischen ist in der Gegenwart keineswegs marginal. Selbst als Arbeits- und Handelssprache wird es nicht durchweg durch das Englische ersetzt. Industrie und Handel sind einflussreiche Kanäle der internationalen Kommunikation. So gehört die Modeindustrie heute zweifellos zu den wichtigen Motoren der Verbreitung des Italienischen. Auch wenn die Verbreitungslinien des Italienischen heute relativ konstant bleiben, verdeutlichen doch regelmäßige Umfragen, dass sich die Rezeptionsmechanismen verändern. Dabei spielen heute verschiedene Kommunikationsmedien eine durchaus substantielle Rolle als Verbreitungsplattform und Ergänzung der Sprachvermittlung über Bildungsinstitutionen. 1987 werden die Ergebnisse einer Umfrage der Enciclopedia Italiana auf der Basis eines Fragekatalogs des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (Ministero degli Affari Esteri) veröffentlicht. Daraus ergeben sich drei zentrale Motive für die Wahl des Italienischen als Fremdsprache, die nicht nur die jüngere Generation (Schüler, Studenten) betreffen: Abb. 9.6 Pietro Metastasio Abb. 9.7 Madama Butterfly Giacomo Puccini 1904 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 236 15.08.11 15: 18 <?page no="249"?> Das Italienische als internationale Kultur- und Bildungs sprache 237 − die Rolle des Italienischen als Kultursprache; − die Rolle des Italienischen als Arbeitssprache eines expandierenden Wirtschaftssektors sowie − die Rolle des Italienischen als Sprache der italophonen Gemeinschaften in der Welt (vgl. Baldelli 1987). Gefördert wird die Verbreitung des Italienischen durch Institutionen (wie die Società Dante Alighieri) und regelmäßige Initiativen (wie die Settimana della Lingua italiana nel mondo), die durch italienische Institutionen im Ausland (in erster Linie die italienischen Kulturinstitute) maßgeblich gestützt werden. Die inzwischen bereits historische Rolle der Società Dante Alighieri ist besonders hervorzuheben. Sie wird bereits 1889 auf Initiative einer von Carducci geleiteten Gruppe von Intellektuellen gegründet und ist seit 1893 als gemeinnütziger Verein tätig. Zu den im Statut erklärten Zielen gehört die Verbreitung der italienischen Sprache und Kultur im Ausland, wobei die italienischstämmige Bevölkerung ausdrücklich einbezogen ist („tutelare e diffondere la lingua e la cultura italiane nel mondo, ravvivando i legami spirituali dei connazionali all’estero con la madre patria e alimentando tra gli stranieri l’amore e il culto per la civiltà italiana“). Derzeit verfügt die Gesellschaft über mehr als 400 aktive Vereinigungen im Ausland. Die Settimana della Lingua Italiana nel mondo ist eine gemeinsame Initiative des italienischen Außenministeriums (Ministero degli Esteri italiano) und der Accademia della Crusca zur Förderung der Verbreitung des Italienischen im Ausland. Sie wird seit 2001 alljährlich mit einem thematischen Schwerpunkt in Bezug zur aktuellen und historischen italienischen Sprach- und Kulturlandschaft (vgl. Übersicht) durchgeführt, wobei zahlreiche öffentliche und private Einrichtungen aus Bildungswesen, Kultur und Politik involviert sind. Jahr Thema 2001 La lingua italiana nel tempo, da dove viene e dove va 2002 L’italiano e le arti della parola 2003 Europa: „Il contributo della cultura e della lingua italiana al consolidamento dell’identità nazionale e alla formazione della cultura europea“; Länder mit hohem Anteil italienischer Immigranten: „La letteratura e Il giornalismo delle comunità italiane all’estero“; Übrige Länder: „Il giornalismo italiano nel mondo“ 2004 „L’italiano come lingua di poesia“ 2005 „La lingua italiana tra narrativa e cinema dagli anni Settanta ad oggi“ 2006 „Il cibo e le feste nella lingua e cultura italiana“ 2007 „La lingua italiana e il mare“ 2008 „L’italiano in piazza“ 2009 „L’italiano tra scienza, arte e tecnologia“ 2010 „L’italiano nostro e degli altri“ Themen der Settimana della lingua italiana nel mondo Die Società Dante Alighieri Die Settimana della Lingua Italiana nel mondo Reutner_Stb_sV-256_End.indd 237 15.08.11 15: 18 <?page no="250"?> 238 Die Aus strahlung des - Italienischen Bereits im Rahmen der zweiten Woche der italienischen Sprache Im Oktober 2002 wird ein für viele überraschender Aufschwung des Interesses für das Italienische verzeichnet, das von staatlichen Institutionen in Italien als Ausdruck einer Aufwertung der italianità im Weltmaßstab, eine „rivincita dell’italiano“ bzw. als Wunder, das sich in Japan, Australien und Europa abspiele, interpretiert wird. Dieses „Wunder“ wird nun wiederum unter Besinnung auf die Ursprünge der Sprache und die Autoritäten, an denen sich ihre Norm in der Kodifikationsphase orientiert hat, festgemacht. An vorderer Stelle steht Dante als Leitfigur der italienischen Sprache und Kultur, aber auch generell der europäischen Schriftkultur. Der Erfolg, den allein der italienische Anstrich (durch Markennamen, italianisierte Werbespots) vielen Produkten in aller Welt beschert, spricht für die These, dass wir es hier mit einer Art „heimlichen Leitkultur“ zu tun haben, die nicht nur in Europa den alltäglichen Lebensstil beeinflusst (vgl. Zitat). Spaghettisiert Euch! Alle Welt beklagt den amerikanischen Einfluss, doch die globale Leitkultur kommt aus Italien Es gibt eine andere Kultur, die im Windschatten der Ideologien mühelos die offene Stelle als globale Leitwährung beim Lebensstil eingenommen hat. […] Wir sind, ohne das groß zu merken wieder in einer Zeit transalpiner Kulturdominanz angekommen […] wir leben im Neo-Rinascimento. (Dirk Schümer, FAZ, 05/ 12/ 2004, 16) Mit diesem Phänomen wächst natürlich auch das Interesse für die italienische Sprache. Anhänger der „neo-italianità“ begnügen sich aber durchaus häufig mit Kenntnis rudimentärer Elemente der italienischen Sprache. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 238 15.08.11 15: 18 <?page no="251"?> Literaturhinweise Die Bibliographie umfasst die Literatur, aus der im Fließtext zitiert wird bzw. auf die sich die Darstellung inhaltlich bezieht, sowie weitere Titel, die zum vertieften Selbststudium empfohlen werden. Sie ist gegliedert in Überblicksdarstellungen über den gesamten Zeitraum der italienischen Sprach- und Kulturgeschichte und speziellere Literatur zu den einzelnen Kapiteln. Überblicksdarstellungen zur italienischen Sprach- und Kulturgeschichte Beccaria, Gian Luigi 1992: Italiano. Antico e nuovo, Milano: Garzanti. Bonomi, Ilaria 1998: La grammaticografia italiana attraverso i secoli. Antologia di testi grammaticali, con la collaborazione di Cristina Castegnaro, Milano: C UEM . Bossong, Georg 1990: Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie in der Romania, Tübingen: Narr. Bruni, Francesco 1984: L’italiano. Elementi di storia della lingua e della cultura, Torino: UTET. Cornagliotti, Anna 1988: „Italienisch: Geschichte der Verschriftung“, in: LRL IV, 379-392. Durante, Marcello 1981: Dal latino all’italiano moderno. Saggio di storia linguistica e culturale, Bologna: Zanichelli. Durante, Marcello 1993: Italienische Sprachgeschichte, Stuttgart: Steiner. Ernst, Gerhard et al. (eds.) 2003-2009: Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen, vol. 1 (2003), vol. 2 (2006), vol. 3 (2009), Berlin/ New York: De Gryuter. Kapp, Volker (ed.) 3 2007: Italienische Literaturgeschichte, Stuttgart et al.: Metzler. Koch, Peter 1988: „Italienisch: Externe Sprachgeschichte - Storia della lingua“, in: LRL IV, 343-360. Koch, Peter/ Oesterreicher, Wulf 2 2011: Gesprochene Sprache in der Romania. Französisch, Italienisch, Spanisch, Berlin: De Gruyter. Krefeld, Thomas 1988: „Italienisch: Sprachbewertung. Giudizi sulla lingua“, in: LRL IV, 312-326. Lepschy, Anna Laura/ Lepschy, Giulio 1986: Die italienische Sprache, Tübingen: Narr [italienisches Original: La lingua italiana. Storia, varietà dell’uso, grammatica, Milano: Bompiani 1981]. LRL = Holtus, Günter/ Metzeltin, Michael/ Schmitt, Christian (eds.) 1988-1995: Lexikon der Romanistischen Linguistik, Tübingen: Niemeyer. Marazzini, Claudio 4 2002: Da Dante alla lingua selvaggia: sette secoli di dibattiti sull’italiano, Roma: Carocci. Marazzini, Claudio 2006: La storia della lingua italiana attraverso i testi, Bologna: Il Mulino. Metzeltin, Michele 1988: „Italienisch: Externe Sprachgeschichte II“, in: LRL IV, 361-379. Migliorini, Bruno 1957: Saggi linguistici, Firenze: Le Monier. Migliorini, Bruno 10 1991 [1971]: Storia della lingua italiana, Firenze: Sansoni [als Taschenbuch Milano: Bompiani 2004]. Migliorini, Bruno/ Baldelli, Ignazio 1965: Breve storia della lingua italiana, Firenze: Sansoni. Serianni, Luca 1989: Saggi di storia linguistica italiana, Napoli: Morano. Serianni, Luca/ Trifone, Pietro (eds.) 1993-1994: Storia della lingua italiana, vol. I: I luoghi della codificazione, vol. II: Scritto e parlato, vol. III: Le altre lingue, Torino: Einaudi. Tagliavini, Carlo 1973: Einführung in die romanische Philologie, München: Beck [italienisches Original 6 1972: Le origini delle lingue neolatine, Bologna: Pàtron]. Vitale, Maurizio 1984 [1960]: La questione della lingua, Palermo: Palombo. Literatur zu den Kapiteln 1 bis 5 Adams, James Noel 2003: Bilingualism and the Latin Language, Cambridge: Cambridge University Press. Alighieri, Dante 1966-1967: La Commedia secondo l’antica vulgata, ed. Giorgio Petrocchi, Milano: Mondadori. Alighieri, Dante 2007: De vulgari eloquentia. Mit der italienischen Übersetzung von Gian Giorgio Trissino (1529), ed./ trad. Michael Frings/ Johannes Kramer, Stuttgart: Ibidem (RomSD 11). Reutner_Stb_sV-256_End.indd 239 15.08.11 15: 18 <?page no="252"?> 240 Literaturhinweise Alighieri, Dante 2007: La Vita Nuova. Das Neue Leben, ed. Luca Carlo Rossi/ Guglielmo Gorni, trad. Thomas Vormbaum, Berlin: BMV. Alighieri, Dante 2010: La Commedia. Die Göttliche Komödie, vol. 1: Inferno. Hölle, ed./ trad. Hartmut Köhler, Stuttgart: Reclam. Alighieri, Dante 2011: La Commedia. Die Göttliche Komödie, vol. 2: Purgatorio. Läuterungsberg, ed./ trad. Hartmut Köhler, Stuttgart: Reclam. anonym 1988: Il Novellino. Das Buch der hundert alten Novellen, ed./ trad. János Riesz, Stuttgart: Reclam. Baldi, Philip 1999: The Foundations of Latin, Berlin/ New York: De Gruyter. Bernardi Perini, Giorgio 2004: Il latino nell’età dell’Umanesimo, Firenze: Olschki. Blank, Andreas 1997: Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen, Tübingen: Niemeyer. Blasco Ferrer, Eduardo 1994: Handbuch der italienischen Sprachwissenschaft, Berlin: Erich Schmidt. Blumenthal, Peter 1982: „Satzstruktur und Kausalität bei Boccaccio und Cervantes“, in: Heinz, Sieglinde (ed.): Beiträge zur romanischen und allgemeinen Sprachwissenschaft. Festschrift für Helmut Stimm zum 65. Geburtstag, Tübingen: Narr, 13-23. Boccaccio, Giovanni 3 1996: Decamerone, ed. Vittore Branca, Milano: Mondadori. Bolelli, Tristano 1989: Dizionario etimologico della lingua italiana, Milano: UTET. Bruni, Francesco (ed.) 1992/ 1994: L’italiano nelle regioni, 2 vol., Torino: UTET. Bruni, Francesco 1989-1999: Storia della lingua italiana, 10 vol., Bologna: Il Mulino. Bruni, Francesco 1990: Boccaccio. L’invenzione della letteratura mezzana, Bologna: Il Mulino. Bruni, Francesco 2002: L’italiano letterario nella storia, Bologna: Il Mulino. Bruni, Leonardo 1994: Dialogi ad Petrum Paulum Histrum, ed. Stefano Ugo Baldassarri, Firenze: Olschki. Canepari, Luciano 2 1999: Manuale di pronuncia italiana, Bologna: Zanichelli. Castellani Pollidori, Ornella 2004: In riva al fiume della lingua. Studi di linguistica e filologia (1961-2002), Roma: Salerno. Castellani, Arrigo 2000: Grammatica storica della lingua italiana, vol. 1: Introduzione, Bologna: Il Mulino. Castellani, Arrigo 2 1976: I più antichi testi italiani. Edizione e commento, Bologna: Pàtron. Contini, Gianfranco (ed.) 1960: Poeti del Duecento, 2 vol., Milano/ Napoli: Ricciardi. Contini, Gianfranco 1976: Un’idea di Dante. Saggi danteschi, Torino: Einaudi. Cortelazzo, Manlio 1988: „Italienisch: Etymologie und Geschichte des Wortschatzes“, in: LRL IV, 401-419. Cortelazzo, Manlio/ Zolli, Paolo 2 1999: Dizionario etimologico della lingua italiana, Bologna: Zanichelli. D’Achille, Paolo 2001: Breve grammatica storica dell’italiano, Roma: Carocci. De Mauro, Tullio (ed.) 1994: Come parlano gli italiani, Firenze: La Nuova Italia. Della Valle, Valeria/ Patota, Giuseppe 2006: L’italiano, Milano: Sperling & Kupfer. Devoto, Giacomo 1974: Il linguaggio d’Italia. Storia e strutture linguistiche italiane dalla preistoria ai giorni nostri, Milano: Rizzoli. Devoto, Giacomo 4 1964: Profilo di storia linguistica italiana, Firenze: La Nuova Italia. Devoto, Giacomo/ Giacomelli, Gabriela 1991: I dialetti delle regioni d’Italia, Firenze: Sansoni. Dionisotti, Carlo 1968: Gli umanisti e il volgare tra Quattro e Cinquecento, Firenze: Le Monnier. Elwert, Theodor 1980: Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München: Francke. Ernst, Gerhard 1970: Die Toskanisierung des römischen Dialekts im 15. und 16. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer. Ernst, Gerhard 2006: „Sprachkontakt: Latein und Italoromania“, in: Ernst et al., vol. 2, 1563-1582. Ferroni, Giulio 1991: Storia della letteratura italiana, 4 vol., Torino: Einaudi. Figge, Ludwig 1966: Die romanische Anlautsonorisation, Bonn: Romanisches Seminar. Folena, Gianfranco 2002: Textus testis. Lingua e cultura poetica delle origini, Torino: Bollati-Boringhieri. Formentin, Vittorio 1996: „La ‘crisi’ linguistica del Quattrocento“, in: Malato, 159-210. Friedrich, Hugo 1964: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a.M.: Klostermann. Geckeler, Horst/ Kattenbusch, Dieter 1987: Einführung in die italienische Sprachwissenschaft, Tübingen: Niemeyer. Gensini, Stefano 2 1985: Elementi di storia linguistica italiana, Bergamo et al.: Minerva Italica. Gensini, Stefano 1988: „Italienisch: Interne Sprachgeschichte und Entwicklungstendenzen“, in: LRL IV, 393-400. Haase, Martin 2007: Italienische Sprachwissenschaft, Tübingen: Narr. Holtus, Günter 1979: Lexikalische Untersuchungen zur Interferenz: die franko-italienische Entrée d’Espagne, Tübingen: Niemeyer. Holtus, Günter/ Wunderli, Peter 2005: Franco-italien et épopée franco-italienne, Heidelberg: Winter. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 240 15.08.11 15: 18 <?page no="253"?> Literaturhinweise 241 Jens, Walter (ed.) 1988 -: Kindlers Neues Literaturlexikon, München: Kindler. Kattenbusch, Dieter 1999: Grundlagen der italienischen Sprachwissenschaft, Regensburg: Haus des Buches Lindner. Kiesler, Reinhard 2006: Einführung in die Problematik des Vulgärlateins, Tübingen: Niemeyer. Kinder, Hermann/ Hilgemann, Werner 2011: dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, München: dtv. Klein, Hans-Wilhelm 1957: Latein und Volgare in Italien. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Nationalsprache, München: Hueber. Krefeld, Thomas 1999: Wortgestalt und Vokalsystem. Plädoyer für eine gestaltphonologische Rekonstruktiion des romanischen Vokalismus, Kiel: Westensee. Krefeld, Thomas 2004: Einführung in die Migrationslinguistik, Tübingen: Narr. Kristeller, Paul Oskar 1984: „Latein und Vulgärsprache im Italien des 14. und 15. Jahrhunderts“, in: Deutsches Dante-Jahrbuch 59, 7-35. Lausberg, Heinrich 1967-1972: Romanische Sprachwissenschaft, 3 vol., Berlin: De Gruyter. Lotti, Gianfranco 2000: L’avventurosa storia della lingua italiana. Dal latino al telefonino, Milano: Bompiani. Lüdtke, Helmut 1968: Geschichte des romanischen Wortschatzes, 2 vol., Freiburg: Rombach. Lüdtke, Helmut 2005: Der Ursprung der romanischen Sprachen. Eine Geschichte der sprachlichen Kommunikation, Kiel: Westensee. Lüdtke, Jens 1985: „Geschriebenes und gesprochenes Italienisch im Risorgimento“, in: Italienische Studien 8, 101- 130. Maiden, Martin 1995: A Linguistic History of Italian, London/ New York: Longman. Malato, Enrico (ed.): Storia della Letteratura italiana, vol. 3: Il Quattrocento, Roma: Salerno. Mancini, Marco 2006: „Contatti linguistici: arabo e Italoromania“, in: Ernst et al., vol. 2, 1639-1648. Manni, Paola 2003: Il Trecento toscano, Bologna: Il Mulino. Marazzini, Claudio 3 2002: La lingua italiana. Profilo storico, Bologna: Il Mulino [auch als Breve storia della lingua italiana. Bologna: Il Mulino 2004]. Mazzacurati, Giancarlo 1965: La Questione della lingua dal Bembo all’Accademia fiorentina, Napoli: Liguori. Michel, Andreas 1997: Einführung in das Altitalienische, Tübingen: Narr. Michel, Andreas 2005: Italienische Sprachgeschichte, Hamburg: Kovacˇ. Michel, Andreas 2011: Einführung in die italienische Sprachwissenschaft, Berlin: De Gruyter. Müller-Lancé, Johannes 2006: Latein für Romanisten. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Tübingen: Narr. Neuschäfer, Hans-Jörg 1969: Boccaccio und der Beginn der Novelle. Strukturen der Kurzerzählung auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit, München: Fink. Patota, Giuseppe 1999: Lingua e linguistica in Leon Battista Alberti, Roma: Bulzoni. Patota, Giuseppe 2007: Nuovi lineamenti di grammatica storica dell’italiano, Bologna: Il Mulino. Petrarca, Giuseppe 2004: Il Canzoniere. Rerum vulgarium fragmenta, Torino: Tallone. Pfister, Max (ed.) 1979-: Lessico etimologico italiano, Wiesbaden: Reichert. Poccetti, Paolo/ Poli, Diego/ Santini, Carlo 1999: Una storia della lingua latina. Formazione, usi, comunicazione, Roma: Carocci. Pötters, Wilhelm 1987: Chi era Laura? Bologna: Il Mulino. Renzi, Lorenzo 1976: Introduzione alla filologia romanza, Bologna: Il Mulino. Renzi, Lorenzo/ Andreose, Alvise 2003: Manuale di linguistica e filologia romanza, Bologna: Il Mulino. Reutner, Ursula 2009: Sprache und Tabu. Interpretationen zu französischen und italienischen Euphemismen, Tübingen: Niemeyer. Rohlfs, Gerhard [1949] 2 1972: Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten, 3 vol., Bern/ München: Francke. Rohlfs, Gerhard 1971: Romanische Sprachgeographie. Geschichte und Grundlagen, Aspekte und Probleme mit dem Versuch eines Sprachatlas der romanischen Sprachen, München: Beck. Salvi, Giampaolo/ Renzi, Lorenzo 2 2001: Grande grammatica italiana di consultazione, Bologna: Il Mulino. Salvi, Giampaolo/ Renzi, Lorenzo 2010: Grammatica dell’italiano antico, Bologna: Il Mulino. Serianni, Luca (ed.) 2002: La lingua nella storia d’Italia, Milano/ Roma: Scheiwiller/ Società Dante Alighieri. Serianni, Luca 2 1998: Lezioni di grammatica storica italiana, Roma: Bulzoni. Serianni, Luca 2001: Introduzione alla lingua poetica italiana, Roma: Carocci. Serianni, Luca/ Trifone, Pietro (ed.) 1993-1994: Storia della lingua italiana, 3 vol., Milano: Einaudi. Sobrero, Alberto/ Miglietta, Annarita 2006: Introduzione alla linguistica italiana, Roma/ Bari: Laterza. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 241 15.08.11 15: 18 <?page no="254"?> 242 Literaturhinweise Stefenelli, Arnulf 1996: „Thesen zur Entstehung und Ausgliederung der romanische Sprachen“, in: LRL II,1, 73-90. Stefenelli, Arnulf 2003: „Die lateinische Basis der romanischen Sprachen“, in: Ernst et al., vol. 1, 530-544. Steinbauer, Dieter 2003: „Lateinische Sprachgeschichte“, in: Ernst et al., vol. 1, 504-515. Tavoni, Mirko 1992: Il Quattrocento, Bologna: Il Mulino. Tesi, Riccardo 2001: Storia dell’italiano: La formazione della lingua comune dalle origini al Rinascimento, Roma/ Bari: Laterza. Trabalza, Ciro 1908: Storia della grammatica italiana, Milano: Hoepli. Trifone, Pietro (ed.) 2006: Lingua e identità, Roma: Carocci. Trifone, Pietro 2006: „Politica, sviluppo socio-economico e storia della lingua: Italoromania“, in: Ernst et al., vol. 2, 1167-1177. Väänänen, Veikko 4 2003: L’introduzione al latino volgare, Bologna: Pàtron. Vitale, Maurizio 1996: La lingua del Canzoniere („Rerum vulgarium fragmenta“) di Francesco Petrarca, Padova: Antenora. Wehr, Barbara 1993: „A propos de la genèse du Devisement dou monde de Marco Polo“, in: Selig, Maria et al. (eds.), Le passage à l’écrit des langues romanes, Tübingen: Narr, 299-326. Wittschier, Heinz Willi 2000: Die italienische Literatur des Duecento. Einführung und Studienführer. Geschichte der Anfänge einer neuen Literatur, Frankfurt a.M. et al.: Lang. Wittschier, Heinz Willi 2009: Dantes Convivio. Einführung und Handbuch. Erschriebene Immanenz, Frankfurt a.M. et al.: Lang. Wolf, Lothar/ Hupka, Werner 1981: Altfranzösisch. Entstehung und Charakteristik. Eine Einführung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Zamboni, Alberto 2000: Alle origini dell’italiano, Roma: Carocci. Zolli, Paolo 2 1991: Le parole straniere, Bologna: Zanichelli. Literatur zu Kapitel 6 Ariosto 1532 = Debenedetti, Santorre/ Segre, Cesare (eds.) 1960: Ludovico Ariosto, Orlando furioso secondo l’edizione del 1532 con le varianti delle edizioni del 1516 e del 1532, Bologna: Commissione per i testi di lingua. Ariosto, Ludovico 1862: Lettere, a cura di Antonio Cappelli, Modena: Cappelli. Arnauld, Antoine/ Lancelot, Claude 1969 [1660]: Grammaire générale et raisonnée, Paris: Paulet. Bembo, Pietro 2001 [1525]: Prose della volgar lingua, a cura di Claudio Vela, Bologna: Clueb. Bernecker, Roland 1996: Die Rezeption der „idéologie“ in Italien. Sprachtheorie und literarische Ästhetik in der europäischen Aufklärung, Münster: Nodus. Castellani Pollidori, Ornella 1978: Niccolò Machiavelli e il „Dialogo intorno alla nostra lingua“, Firenze: Olschki. Castiglione, Baldesar 1965 [1528]: Il libro del cortegiano, a cura di Luigi Preti, Torino: Einaudi. Cesari, Antonio 1832 [1808]: Dissertazione sopra lo stato presente della lingua italiana, Venezia: Girolamo Tasso. Cesarotti, Melchiorre 1785: Saggio sopra la lingua italiana, Padova: Penada. Cesarotti, Melchiorre 1960 [1800]: „Saggio sulla filosofia delle lingue applicata alla lingua italiana“, in: Bigi, Emilio (ed.): Dal Muratori al Cesarotti Tomo IV Critici e storici della poesia e delle arti nel secondo Settecento, Milano/ Napoli: Ricciardi. Da Vinci, Leonardo 1980: Scritti scelti, a cura di Anna Maria Brizzi, Torino: UTET. Eisenstein, Elizabeth 1986: La rivoluzione inavvertita. La stampa come fattore di mutamento, Bologna: Il Mulino (engl. Orig.: The Printing Press as an Agent of Change. Communications and Cultural Transformations in Early-Modern Europe, 1979). Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettres, 1751- 1765, 17 vol., Paris: Briaisson, David l’aîné, Le Breton, Durand. Folena, Gianfranco 1983: L’italiano in Europa. Esperienze linguistiche del Settecento, Torino: Einaudi. Fortunio, Francesco 1979 [1516]: Regole grammaticali della volgar lingua, Sala Bolognese: Arnaldo Forni. Galeani Napione, Gian-Francesco 1791-1792: Dell’uso e dei pregj della lingua italiana, 2 vol., Torino: Gaetano Balbino e Francesco Prato. Giovanardi, Claudio 1998: La teoria cortigiana e il dibattito linguistico nel primo Cinquecento, Roma: Bulzoni. Kattenbusch, Dieter 2003: „Bezeichnungen für die Sprachen der Italoromania und des Ostalpenraums“, in: Ernst et al., vol. I, 164-168. Klein, Hans-Wilhelm 1957: Latein und Volgare in Italien, München: Hueber. Knabe, Peter-Eckhard 1977: „Die Wortgeschichte von Akademie“, ASNSL 214 (1977), 245-261. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 242 15.08.11 15: 18 <?page no="255"?> Literaturhinweise 243 La Crusca risponde: Lessico, ortografia, punteggiatura, sintassi, etimologia, vocaboli stranieri, influsso dei media, neologismi, dialetti: consigli e chiarimenti sulla lingua italiana, 1995, Firenze: Le Lettere. Lid’O = Lingua Italiana d’Oggi, Roma: Bulzoni, anno I, 2004. Lüdtke, Jens 1985: „Geschriebenes und gesprochenes Italienisch im Risorgimento“, Italienische Studien 8 (1985), 101-130. Ludwig, Ralph/ Schwarze, Sabine 2006: „Die Vorstellung sprachlicher ‚Reinheit‘ in der Romania. Von der stilistischen Pragmatik zur Symbolik einer nationalen und supranationalen Kultur“, in: Schwarze, Sabine/ Werner, Edeltraud (eds.): Identitätsbegründung durch Sprache im frankophonen Raum, Hamburg: Verlag Dr. Kovacˇ, 3-34. Maaß, Christiane 2002: „La lingua nostra patria.“ Die Rolle der florentinischen Sprache für die Konstitution einer florentinischen Wir-Gemeinschaft im Kreis um Lorenzo de’ Medici, Münster: Nodus Publikationen. Machiavelli, Niccolò 1982 [ca. 1524]: Discorso o dialogo intorno alla nostra lingua, a cura di Paolo Trovato, Padova: Antenore. Manzoni, Alessandro 1840-1842: I promessi sposi, 3 vol., Milano: Guglielmini und Redaelli. Maraschio, Niccoletta 1998: „Il pensiero linguistico nel Cinquecento italiano tra tradizione classica e innovazione“, in: Vox Romanica 57 (1998), 101-116. Marazzini, Claudio 1993: Il secondo Cinquecento e il Seicento, Bologna: Il Mulino. Matarese, Tina 1993: Il Settecento, Bologna: Il Mulino. Mengaldo, Pier Vincenzo 2 1984: „Volgare (VULGARE)“, Enciclopedia Dantesca 5 (1984), 1127-1129. Muljacˇic´, Zˇarko 1997: „Perché i glottonimi linguaggio italiano, lingua italiana (e sim.) appaiono per indicare ‚oggetti‘ reali e non soltanto auspicati molto più tardi di altri termini analoghi che si riferiscono a varie lingue gallo e ibero-romanze? “, Cuadernos de filología italiana 4 (1997), 253-264. Nencioni, Giovanni 1993: La lingua di Manzoni, Bologna: Il Mulino. Oliva, Francesco 1970 [1728]: „Grammatica della lingua napoletana“, in: Galiani, Ferdinando: Del dialetto napoletano, a cura di Enrico Malato, Roma: Bulzoni, 211-327. Paccagnella, Ivano 1991: „La terminologia nella trattatistica grammaticale del primo trentennio del Cinquecento“, in: Giannelli, Luciano et al. (eds.): Tra Rinascimento e strutture attuali. Saggi di linguistica italiana, Torino: Rosenberg & Sellier, 119-130. Patota, Giuseppe 1999: „Lingua, stampa e norma nel Cinquecento: le grammatiche e i vocabolari“, Storia generale della letteratura italiana V (1999), 220-240. Petrucci, Armando 1988: „Storia e geografia delle culture scritte (dal secolo XI al secolo XVIII)“, in: Asor Rosa, Alberto (ed.): Letteratura Italiana. Storia e geografia II. L’età moderna 2, Torino: Einaudi, 1193-1292. Pfister, Max 1981: „La ‚questione della lingua‘ nel Cinquecento e nel Novecento“, in: Italienische Studien 4 (1981), 101-116. Sansone, Mario 1999: Da Bembo a Galiani. Il dibattito sulla lingua in Italia, Bari: Adriatica Editrice. Serianni, Luca 1989: Il primo Ottocento, Bologna: Il Mulino. Serianni, Luca 1990: Il secondo Ottocento, Bologna: Il Mulino. Tolomei, Claudio 1996 [1528]: Il Cesano, a cura di Ornella Castellani Pollidori, Firenze: Accademia della Crusca. Trabalza, Ciro 1908: Storia della grammatica italiana, Milano: Hoepli. Trifone, Pietro 1993: „La lingua e la stampa nel Cinquecento“, in: Asor Rosa, Alberto/ Serianni, Luca/ Trifone, Pietro (eds.): Storia della lingua italiana. I luoghi della codificazione, Torino: Einaudi, I, 425-446. Trissino, Giovan Giorgio 1986: Scritti linguistici, a cura di Alberto Castelvecchi, Roma: Salerno Editrice. Trovato, Paolo 1991: Con ogni diligenza corretto. La stampa e le revisioni editoriali dei testi italiani (1470-1570), Bologna: Il Mulino. Trovato, Paolo 1994: Il primo Cinquecento, Bologna: Il Mulino. Vitale, Maurizio 1986: L’oro nella lingua. Contributi per una storia del tradizionalismo e del purismo linguistico, Milano/ Napoli: Ricciardi. Vocabolario degli Accademici della Crusca, Venezia: Alberti, 1612 (ripr. Firenze: Licosa, 1976), 2 1623, 3 1691, 4 1729-1738, 5 1863. Literatur zu Kapitel 7 Ascoli, Graziadio Isaia 1975 [1873]: „Proemio“, Archivio Glottologico Italiano I (1873), in: Ascoli, Graziadio Isaia: Scritti sulla questione della lingua, Torino: Einaudi, 3-45. Bruni, Francesco 2001: Storia della lingua italiana. La nuova immigrazione, http: / / www.italica.rai.it/ principali/ lingua/ storialingua.htm. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 243 15.08.11 15: 18 <?page no="256"?> 244 Literaturhinweise Castellani, Arrigo 1987: „Morbus Anglicus“, Studi linguistici Italiani 13 (1987), 137-149. Catricalà, Maria 1991: Le grammatiche scolastiche dell’italiano edite dal 1860 al 1918, Firenze: Accademia della Crusca. Catricalà, Maria 1995: L’italiano tra grammaticalità e testualità: il dibattito linguistico-pedagogico del primo sessantennio postunitario, Firenze: Accademia della Crusca. Cavour, Camillo Benso conte di 1962-1978: Epistolario, 4 vol., Bologna: Zanichelli. Cherubini, Francesco 1814: Vocabolario milanese-toscano, 2 vol., Milano: Stamperia Reale. Collodi, Carlo 1884: La grammatica di Giannettino, adottata nelle scuole comunali di Firenze, seconda edizione, Firenze: Felice Paggi, Napoli: Fratelli Rispoli. D’Azeglio, Massimo 1867: I miei ricordi, vol. I, Firenze: Barbera. D’Ovidio, Francesco 1982: Scritti linguistici, Napoli: Guida. De Amicis, Edmondo 1905: L’idioma gentile, Milano: Treves. De Mauro, Tullio 1998 [1963]: Storia linguistica dell’Italia unita, Roma/ Bari: Laterza. De Mauro, Tullio 1999: „Dante, il gendarme e l’articolo 3 della Costituzione“, in: De Mauro/ Vedovelli, 3-11. De Mauro, Tullio/ Vedovelli, Massimo (eds.) 1999: Dante, il gendarme e la bolletta. La comunicazione pubblica in Italia e la nuova bolletta ENEL, Roma/ Bari: Laterza. DOVE IL SÌ SUONA. Gli italiani e la loro lingua, Firenze: Giunti 2003. Edzard, Lutz 2003: „Externe Sprachgeschichte des Italienischen in Libyen und Ostafrika“, in: Ernst et al., vol. 1, 966- 972. Foresti, Fabio 1978: „Proposte interpretative e di ricerca su lingua e fascismo: la ‚politica linguistica‘“, in: Leso, Erasmo et al. (ed.) 1978: La lingua italiana e il fascismo, Bologna: Consorzio Provinciale Pubblica Lettura. Giorgini, Giovan Battista/ Broglio, Emilio 1870-1897: Novo vocabolario della lingua italiana secondo l’uso di Firenze, elektronische Ausgabe, Accademia della Crusca. Gradi, Temistocle 1869: Regole per la pronuncia italiana ricercata nell’uso, Torino, Tommaso Vaccarino. Klein, Gabriella 1986: La politica linguistica del Fascismo, Bologna: Il Mulino. Leso, Erasmo 1978: La lingua italiana e il fascismo, Bologna: Consorzio Provinciale Pubblica Lettura. Lüdtke, Jens 1985: „Geschriebenes und gesprochenes Italienisch im Risorgimento“, Italienische Studien 8 (1985), 101-130. Manzoni, Alessandro 1974: Della lingua italiana, a cura di Luigi Poma ed Angelo Stella, Milano: Mondadori. Manzoni, Alessandro 1990 [1868]: „Dell’unità della lingua e dei mezzi di diffonderla“, in: Manzoni, Alessandro: Opere, a cura di Maurizio Vitale, vol. III: Scritti linguistici, Torino: UTET, 569-599. Martini, Ferdinando 1928: Confessioni e ricordi 1859-1892, Milano: Treves. Mengaldo, Pier Vincenzo 1994: Storia della lingua italiana. Il Novecento, Bologna: Il Mulino. Middell, Matthias/ Middell, Katharina 1998: „Migration als Forschungsfeld“, in: Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik 5 (1998) 9, 6-23. Migliorini, Bruno 1990: La lingua italiana nel Novecento, Firenze: Le Lettere. Morandi, Luigi/ Cappuccini, Giulio 1894: Grammatica italiana (regole ed esercizi) per uso delle scuole ginnasiali tecniche e normali, Torino: Paravia. Nencioni, Giovanni 1995: Il destino della lingua italiana, Firenze: Accademia della Crusca. Omodeo, Adolfo (ed.) 1963: Lettere 1910-46, Torino: Einaudi. Omodeo, Adolfo 1941: L’opera politica del conte di Cavour, 2 vol., Firenze: La Nuova Italia. Peschieri, Ilario 1828-1832: Dizionario parmigiano-italiano, 3 vol., Parma: Blanchon. Raimondi, Giuseppe 1874: Le mie lezioni teorico-pratiche di lingua italiana per le scuole rurali, ossia dialoghi sulle lezioni di grammatica italiana prescritte dai programmi governativi, Cremona: Istituto Manini. Romeo, Rosario 1969: Cavour e il suo tempo (1810-1842), Bari: Laterza. Rossi, Fabio 2007: Lingua italiana e cinema, Roma: Carocci. Sabatini, Francesco 1984: „La dimensione del ‚parlato‘ negli studi linguistici“, Linguaggi 1-2 (1984), 5-7. Sabatini, Francesco/ Maraschio, Nicoletta/ Coletti, Vittorio 2006: La lingua italiana nella nostra Costituzione, Online: www.accademiadellacrusca.it/ La_lingua_italiana_nella_nostra_costituzione.shtml. Schwarze, Sabine (ed.) 2006: Siamo una nazione? Nationales Selbstverständnis im aktuellen Diskurs über Sprache, Literatur und Geschichte Italiens, Tübingen: Stauffenburg. Serianni, Luca 1990: Il secondo Ottocento, Bologna: Il Mulino. Spitzer, Leo 1976: Lettere di prigionieri di guerra italiani 1915-1918, traduzione di Renato Solmi, Torino: Paolo Boringhieri. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 244 15.08.11 15: 18 <?page no="257"?> Literaturhinweise 245 Trenta, Matteo 1864: I primi elementi della grammatica, Firenze: Felice Paggi (Online: http: / / www.bdcrusca.it/ ). Vigo, Giovanni 1971: Istruzione e sviluppo economico in Italia nel secolo XIX, Torino: ILTE. Weinrich, Harald 1985: Wege der Sprachkultur, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt. Literatur zu Kapitel 8 Altieri Biagi, Maria Luisa 1965: Galileo e la terminologia tecnico-scientifica, Firenze: Olschki. Altieri Biagi, Maria Luisa 1968: Lingua e cultura di Francesco Redi, medico, Firenze: Olschki. Bernardini, Carlo/ De Mauro Tullio 2003: Contare e raccontare. Dialogo sulle due culture, Roma/ Bari: Laterza. Carli, Augusto 2006: „La questione linguistica nella comunicazione scientifica oggi in Italia e in Germania“, in: Calaresu, Emilia/ Guardiano, Cristina/ Hölker, Klaus (eds.): Italienisch und Deutsch als Wissenschaftssprachen. Bestandsaufnahmen, Analysen, Perspektiven. Münster: Lit-Verlag, 101-137. Cortelazzo, Manlio 1986: Lineamenti di italiano popolare, Pisa: Pacini. Cortelazzo, Michele A./ Viale, Matteo 2009: „Storia del linguaggio politico, giuridico e amministrativo nella Romania: italiano“, in: Ernst et al., vol. 3, 2103-2112. Dandolo, Vincenzo 1800: Dizionarj vecchio e nuovo nuovo e vecchio di nomenclatura chimica. […] che serve di supplemento al Trattato Elementare di Chimica del Sig. Lavoisier, Napoli: Saverio d’Onofrio. Dardano, Maurizio 1994: „I linguaggi scientifici“, in: Serianni, Luca/ Trifone, Storia della lingua italiana, vol. II: Scritto e parlato, Torino: Einaudi, 497-551. Dardano, Maurizio 2006: „Storia della lingua letteraria nella Romania: italiano“, in: Ernst et al., vol. 2, 1958-1980. Fiorelli, Piero 1994: „La lingua del diritto e dell’amministrazione“, in: Serianni, Luca/ Trifone, Pietro (eds.): Storia della lingua italiana. Scritto e parlato, Torino: Einaudi, 553-597. Folena, Gianfranco 1983: L’italiano in Europa. Esperienze linguistiche del Settecento, Torino: Einaudi. Galilei, Galileo 2006: Opere, a cura di Ferdinando Flora, Milano/ Napoli: Riccardo Ricciardi. Giovanardi, Claudio 1987: Linguaggi scientifici e lingua comune nel Settecento, Roma: Bulzoni. Giovanardi, Claudio 2006: „Storia dei linguaggi tecnici nella Romania: italiano“, in: Ernst et al., vol. 2, 2197-2211. Gualdo, Riccardo (ed.) 2001: Le parole della scienza. Scritture tecniche e scientifiche in volgare (secoli XIII-XV). Atti del Convegno (Lecce. 16-18 aprile 1999), Galatina: Congedo editore. Guthmüller, Bodo 1989: „Die volgarizzamenti“, in: Jauß, Hans Robert/ Köhler, Erich/ Gumbrecht, Hans Ulrich (eds.): Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, Heidelberg: Winter, vol. 10, 201-254; 332-348. Lavoisier, Antoine Laurent (1791-1792): Trattato elementare di Chimica presentato in un ordine nuovo dietro le scoperte moderne [...], 2 vol., Venezia: Antonio Zatta e figli. Matarrese, Tina 1993 Storia della lingua italiana. Il Settecento, Bologna: Il Mulino. Mengaldo, Pier Vincenzo 1994: Storia della lingua italiana. Il Novecento, Bologna: Il Mulino. Mormile, Mario 1985: Storia polemica tra italiano e francese 1200-1800, Roma: Università di Roma La Sapienza. Olschki, Leonardo 1922: Bildung und Wissenschaft im Zeitalter der Renaissance in Italien, Leipzig/ Firenze: Olschki. Schwarze, Sabine 2004: Sprachreflexion zwischen nationaler Identifikation und Entgrenzung. Der italienische Übersetzungsdiskurs im 18. und 19. Jahrhundert, Münster: Nodus. Spallanzani, Lazzaro 1769: „Al Signor Bonnet prefazione di Lazzero Spallanzani“, in: Bonnet, Carlo 1769-1770: Contemplazione della natura del Signor Carlo Bonnet, [...], Modena: Giovanni Montanari. Trifone, Maurizio 2006: „Il linguaggio burocratico“, in: Trifone, Pietro (ed.): Lingua e identità. Una storia sociale dell’italiano, Roma: Carocci, 213-240. Trovato, Paolo 1994: Storia della lingua italiana. Il primo Cinquecento, Bologna: Il Mulino. Literatur zu Kapitel 9 Baldelli, Ignazio (ed.) 1987: La lingua italiana nel mondo. Indagine sulle motivazioni allo studio dell’italiano. Roma: Istituto della Enciclopedia Italiana. Bardez, Jean-Michel 2004: „I dibattiti sulla musica nel secolo dei Lumi“, in: Nattiez, Jean-Jacques et al. (eds.): Enciclopedia della musica, IV: Storia della musica europea, Torino: Einaudi, 588-605. Bonomi, Ilaria 2006: „La lingua dell’opera lirica“, in: Trifone, Pietro (ed.): Lingua e identità. Una storia sociale dell’italiano, Roma: Carocci, 87-112. Castelli, Niccolò di 1713: Herrn von Veneroni Italiänisch - Französisch und Teutsche Grammatica oder Sprachmeister, Frankfurt/ Leipzig: Andrea. Christmann, Hans Helmut 1992: „Italienische Sprache und Italianistik in Deutschland vom 15. Jahrhundert bis zur Goethezeit“, in: Schröder, Konrad (ed.): Fremdsprachenunterricht 1500-1800, Wiesbaden: Harrassowitz, 43-55. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 245 15.08.11 15: 18 <?page no="258"?> 246 Literaturhinweise Cremona, Joseph 2003: „Histoire externe de l’italien au Maghreb“, in: Ernst et al., vol. 1, 961-966. Della Casa, Giovanni 1985: Galateo, a cura di Giuseppe Prezzolino, Pordenone: Edizioni Studio Tesi. Elias, Norbert 1997: Über den Prozeß der Zivilisation, vol. 1: Wandlungen des Verhaltens in den westlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Estienne, Henri 1970 [1578]: Deux Dialogues du nouveau langage françois italianizé et autrement desguizé principalement entre les courtisans de ce temps, Genève 1578, Anvers 1583, Paris: Ristelhuber 1885, réimpr. Slatkine. Folena, Gianfranco 1983: L’italiano in Europa. Esperienze linguistiche del Settecento, Torino: Einaudi. Folena, Gianfranco 1990: „Introduzione al veneziano ‚de là da mar‘“, in: Folena, Gianfranco: Culture e lingue nel Veneto medievale, Padova: Editoriale Programma, 227-267. Gorini Umberto 1997: Storia dei manuali per l’apprendimento dell’italiano in Germania (1500-1950). Un’analisi linguistica e socioculturale, Frankfurt etc.: Lang. Guazzo, Stefano 1993: La civil conversazione, a cura di A. Quondam, 2 vol., Ferrara: Franco Cosimo Panini. Hausmann, Frank-Rutger 1966: „Mythos und Realität der deutschen Italianistik“, Cahiers d’Histoire des Littératures Romanes - Romanische Zeitschrift für Literaturgeschichte 20 (1966), 437-460. Hope, Theodore E. 1971: Lexical Borrowing in the Romance Languages: a critical study of Italianisms in French and Gallicisms in Italian from 1100 to 1900, 2 vol., New York: University Press. L’italia d’oggi, Berlin-Schöneberg: Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung, 1929 (6. Auflage 1938). Lemaire de Belges, Jean 1947 [1511]: La concorde des deux langages. Edition critique, édition critique publiée par Jean Frappier, Paris: Droz. Mormile, Mario 1985: Storia polemica tra italiano e francese 1200-1800, Roma: Università di Roma „La Sapienza“. Muljacic, Zarko 1971: Le Dalmate, in: Bec, Pierre: Manuel pratique de Philologie Romane, Paris: Picard, II, 395-416. Schuchardt, Hugo 1909: „Die Lingua franca“, Zeitschrift für romanische Philologie 33 (1909), 441-461. Speroni, Sperone 1975 [1542]: Dialogo delle lingue, München: Fink. Tortori, Alfredo 1938: Perfeziona il tuo italiano, Berlin-Schöneberg: Langenscheidt. Vianello, Nereo 1955: „Lingua franca di Barberia e Lingua franca di Dalmazia“, Lingua Nostra 16 (1955), 67-69. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 246 15.08.11 15: 18 <?page no="259"?> Personenregister Acarisio, Alberto 132, 140 Albertazzi, Giorgio 193 Alberti, Leon Battista 103, 104, 106, 136, 137, 207 Alfani, Gianni 73 Alfieri, Vittorio 152 Alkuin von York 37 Alunno (Francesco del Bailo) 132 Argiropulo, Giovanni 105 Ariosto, Ludovico 108, 112, 113, 119, 123, 124 Arlìa, Costantino 216 Ascoli, Graziadio Isaia 160, 161 Baretti, Giuseppe 150 Bartoli, Cosimo 206 Beccadelli, Antonio 129 Bellay, Joachim du 223, 226 Bellini, Bernardo 160 Bembo, Carlo 121 Bembo, Pietro 110, 112, 118, 120-125, 127, 128, 130-135, 137- 140, 149, 165 Benedikt von Nursia 58 Beni, Paolo 144 Bernardini, Carlo 214 Berti, Michele 229 Biondo, Flavio 101, 106 Blanc, Ludwig Gottfried 231 Boccaccio, Giovanni 2, 78, 79, 88, 92, 94-98, 111, 112 Boiardo, Matteo Maria 107, 108, 109, 113, 125, 119 Bonaventura da Bagnoregio 76 Bonnet, Charles 213 Bono Giamboni 39 Bonvesin de la Riva 58, 70, 71, 88 Borghesi, Diomede 126 Borghini, Vincenzo 125 Broglio, Emilio 159, 160 Brugnatelli, Luigi Valentino 211 Bruni, Leonardo 88, 101, 102, 103, 106 Bruno, Giordano 207 Buongiorno, Mike 193 Calmeta, Vicenzo 107 Calvino, Italo 195-197 Campanella, Tommaso 204 Cappuccini, Giulio 165 Caramondani, Antonio 234 Carducci, Giosuè 166 Casanova, Giaccomo 150 Castellani, Arrigo 187, 188, 200 Castelli, Niccolò di 229, 230 Castiglione, Baldassare 70, 78, 114, 118, 126, 227, 231 Cavalcanti, Guido 73, 78, 85 Cellini, Benvenuto 128 Cesari, Antonio 152, 153 Cesarotti, Melchiorre 147-152 Cherubini, Francesco 169, 170 Chrétien de Troyes 95 Ciampi, Carlo Azeglio 202 Cino da Pistoia 73, 85 Cittadini, Celso 145 Collodi, Carlo 164 Colombo, Michele 153 Coltellini, Marco 234 Condillac, Étienne Bonnot de 146 Corticelli, Salvadore 147 Croce, Benedetto 166 D’Azeglio, Massimo 158 Da Ponte, Lorenzo 234 Dandolo, Vincenzo 211, 212 Dante Alighieri 2, 48, 57, 62, 64, 72, 73, 76, 78-95, 98, 101-103, 105, 106, 111, 112, 201-204 Davanzati, Chiaro 64, 73 De Amicis, Edmondo 167, 179 De Beauvais, Vincent 205 De Chauliac, Guy 206 De Mauro, Tullio 214 De Mesmes, Jean Pierre 228 De Silva, Don Michel 118 Della Casa, Giovanni 70, 223 Denina, Carlo 150 Devoto, Giacomo 182, 183 Diez, Friedrich 231 Diokletian 35-37, 39 Donato, Leonardo 207 Donatus, Aelius 137 Dovizi da Bibbiena, Bernardo 118 Errico, Scipione 144 Estienne, Henri 226, 227 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 247 15.08.11 15: 18 <?page no="260"?> 248 Personenregister Faba, Guido 68, 69, 71 Fanfani, Pietro 160, 216 Federico II s. Friedrich II. Fibonacci, Leonardo 61 Ficino, Marsilio 105, 29 Finaeus, Orontius 206 Fortunio, Gian Francesco 131, 137 Francesco d’Assisi s. Franz von Assisi François I s. Franz I. Franz I. 224, 225 Franz von Assisi 57, 58, 61 Frescobaldi, Dino 73 Friedrich II. 57, 61, 64, 75 Galeani Napione, Gian-Francesco 152 Galilei, Galileo 76, 143, 185, 204, 207-209, 233 Gelmetti, Luigi 160 Gentile, Giovanni 178 Giacomo da Lentini 61, 62, 64, 73, 80, 85 Giacomo da Verona 58, 70, 71 Giambullari, Pierfrancesco 113, 129, 137, 140 Gianni, Lapo 73, 85 Gigli, Girolamo 145 Giolitti, Giovanni 175, 178 Giorgini, Giovan Battista 159, 160 Giustiniani, Giovambattista 221 Goidànich, Gabriele 160 Goldoni, Carlo 73, 150 Gonzaga, Elisabetta 118 Gozzi, Carlo 151 Gradi, Temistocle 164, 165 Grazzini, Anton Francesco 129 Gregor von Tours 2, 7 Guarini, Giovanni Battista 128 Guazzo, Stefano 223 Guinizelli, Guido 72, 73, 78, 86 Guittone d’Arezzo 72, 73, 80, 86 Händel, Georg Friedrich 234 Heinrich III. 227 Henri III. s. Heinrich III. Iacopone da Todi 58, 59, 60, 61 Isidor von Sevilla 2, 84 Julius II. 109, 110 Karl der Große 2, 33, 37, 66, 105, 108 Klemens VII. 110 Kolreuter, Sigismund 228 Landino, Cristofero 105, 206 Langobarden 32, 34 Latini, Brunetto 65, 66, 76, 77, 86, 88 Lavoisier, Antoine Laurent de 210, 211 Lemaire de Belges, Jean 226 Leo X. 110 Liburnio, Nicolò 131 Linné, Carl von 210 Liucci, Mondino de’ 205 Locke, John 146 Lombardelli, Orazio 142 Macchi, Vladimiro 232 Machiavelli, Niccolò 86, 91, 119, 120, 125, 126, 129, 145 Maffei, Scipione 151 Magalotti, Lorenzo 144, 209 Malagoli, Giuseppe 160 Manni, Domenico Maria 147 Manuzio, Aldo 112, 121, 127, 128 Manuzzi, Giuseppe 153 Manzi, Alberto 192 Manzoni, Alessandro 91, 138, 142, 153-157, 159, 160, 165, 166, 167, 169, 171, 179 Marianini, Gianluigi 193 Marino, Giovanbattista 143, 144 Mascagni, Pietro 234 Masuccio Salernitano (Guardati, Masuccio) 112 Medici, Katharina de’ 224, 226 Medici, Cosimo de’ 104, 129 Medici, Giuliano de’ 118, 121, 125 Medici, Giulio de’ 110 Medici, Giovanni de’ 110 Medici, Lorenzo de’ 104, 106, 119 Metastasio, Pietro 234, 235, 236 Migliorini, Bruno 179, 182, 183, 187, 188 Minerbi, Lucilio 132 Monelli, Paolo 187 Monteverdi, Claudio 235 Monti, Vincenzo 152, 166 Morandi, Luigi 165 Moretti, Ferdinando 234 Mostacci, Iacopo 62 Mozart, Wolfgang Amadeus 233, 234 Muratori, Ludovico Antonio 204, 210, 213 Nebrija, Antonio de 102 Nencioni, Giovanni 199, 202 Oliva, Francesco 150 Paladini, Riccardo 192 Parini, Giuseppe 150 Pasolini, Pier Paolo 195-197, 198 Pergamini, Giacomo 132 Pergolesi, Giovanni Battista 234 Pescetti, Orlando 144 Peschieri, Ilario 170, 171 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 248 15.08.11 15: 18 <?page no="261"?> Personenregister 249 Petrarca, Francesco 2, 62, 78-81, 91-94, 98, 105, 111-113 Petrocchi, Policarpo 166, 167 Petron 4, 9 Pico della Mirandola, Giovanni 129 Pindemonte, Ippolito 151 Platon 105, 128, 129 Plautus 1, 4, 9 Poliziano, Angelo 102, 105, 129 Pontano, Giovanni 129 Priscian 2, 137 Protonatoro, Stefano 62 Puccini, Giacomo 234, 236 Pulci, Luigi 105, 106, 108, 119 Puoti, Basilio 153, 182 Raimondi, Giuseppe 164 Redi, Francesco 209 Restoro d’Arezzo 58, 66, 75, 76, 78, 206 Rigutini, Giuseppe 160 Rinaldo d’Aquino 62, 85 Risi, Dino 190 Rocco, Emanuele 166, 167 Rodinò, Leopoldo 164 Rustico Filippi 58, 62, 73, 78 Sadoleto, Iacopo 110 Saliceto, Guglielmo da 205 Salutati, Coluccio 102 Salviati, Leonardo 123, 125, 130, 133, 134, 143 Sannazaro, Iacopo 110, 111 Sansovino, Francesco 221 Savonarola, Michele 206 Sforza, Francesco 107 Sforza, Lodovico 115 Soave, Francesco 147, 149 Spallanzani, Lazzaro 150, 209, 212, 213 Speroni, Sperone 123, 223, 226 Strozzi, Ercole 121 Tagliavini, Carlo 169, 179 Tartaglia, Niccolò 206 Tassoni, Alessandro 144 Terracini, Benvenuto 179 Thomas von Aquin 75 Thomas, William 228 Thrax, Dionysios 137 Tolomei, Claudio (Pseudonym Adriano Franci) 120 Tommaseo, Niccolò 160, 221 Torricelli, Evangelista 209 Tortori, Alfredo 232 Totò (Antonio de Curtis) 191 Trenta, Matteo 165 Trissino, Giangiorgio 119, 126, 141 Valla, Lorenzo 102, 129 Vallisneri, Antonio 209, 212 Varchi, Benedetto 120, 128, 129, 216 Vasari, Giorgio 204 Veneroni, Giovanni 229 Verdi, Giuseppe 236 Verri, Alessandro 147 Verri, Pietro 147 Vico, Giambattista 76, 204, 210, 213 Villani, Giovanni 76, 134 Visconti, Luchino 190 Viviani, Vincenzo 209 Volta, Alessandro 210 Von Anhalt-Köthen, Ludwig 130 Wachsmuth, Wilhelm Gottlieb 231 Wilhelm IX. von Aquitanien 50 Wolfram von Eschenbach 95 Zeno, Apostolo 235 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 249 15.08.11 15: 18 <?page no="262"?> Sachregister Academia (Platonica, Pontaniana) 129 Accademia (degli Apatisti, del Cimento, Fiorentina) 120, 129, 130, 147, 209 Accademia della Crusca 123, 125, 129, 130, 134, 139, 141, 143, 144, 147, 183, 187, 199, 201, 202, 237 Adstrat(sprachen) 25, 31, 32, 33 Adverbien 23 Affrikaten 19, 20, 104, 141 Akademie 120, 127, 128, 129, 130, 136, 139, 144, 145, 147, 148, 150, 152, 206 Akzent, accento 17, 142 Alexiuslied 50 Alphabet 104, 141 Alphabetisierung 77, 159, 163 Altlatein 1, 3, 8 analytischer Sprachbau 7, 20, 21,24, 45 Anaphonie 16, 17 Anglizismen 186, 187, 188, 191, 200 Anglomanie 186 Anredeformen 13, 96, 106, 107, 156, 185 Antepaenultima 17 Antike 36, 48, 63, 67, 68, 73, 76, 93, 97-99, 101, 102, 105, 106, 111, 122, 125, 129, 137, 223, 226 antilingua 197 Apokope 44, 45, 138 Apostroph, apostrofo 142 Appendix Probi 6, 8, 18, 19, 22 Ära Giolitti 175 Arabismen 34 arcaismo toscaneggiante 147 archaisches Vokalsystem 14, 49 Archaismen 73, 90, 118, 153, 155, 166 Archivio Glottologico Italiano 160 Argutia-Bewegung 144 ars dictandi 68, 72, 73 ars disserendi 70 artes liberales 68 Artikel 7, 25, 164 Assimilation 20, 45 Associazione degli Storici della Lingua Italiana 201 Aufklärung 146, 209-212 Autorenwörterbücher 131 Barock 143 Basilica San Clemente 53, 54 Betazismus 19, 53 Bildungsreform 178 Bilinguismus 221 Binnenmigration 172-175 Buchdruck 112, 113, 127 Buchwörter 13 Byzanz 32 Castel del Monte 61 Certame coronario 104 che polivalente 177 Christianisierung 11 Ciceronianismus 101, 143 cinema comico 190 Code Napoléon 215 codificazione s. Kodifizierung Collegium Illustre 228 commune s. Kommune condizionale s. Konditional congiuntivo s. Konjunktiv Consiglio italico per la lingua 148 Consiglio Superiore della lingua italiana 149, 200 consuetudine 118 Conto navale pisano 55 convenientia 87 Convivio 82, 83, 90, 91, 105 Da-capo-Arie 235 dativus eticus 236 Degeminierung 40, 43 Demonstrativpronomina 7, 25, 53 Deponentia 4, 25 diakritische Zeichen 141, 142, 160 Dialekt 27-37, 40-49, 169-172, 185-201 Dialektismen 70, 73, 93, 123, 143, 157 Dialektologie 160 Dialektwörterbücher 163, 169, 170,172 dialetto s. Dialekt Diminutivableitungen 10 Diphthong 15, 16, 17, 64, 81, 159 Diphthongierung 15, 16, 17, 38, 45, 46, 47, 67, 107, 108, 124 Dolce stil novo 72, 73, 78, 81, 82 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 250 15.08.11 15: 18 <?page no="263"?> S achregister 251 Doppelkonsonanten 123 Doppelkonsonanz 124, 128, 137 doppioni s. Dubletten 13 Dubletten 13 Einheitssprache 117, 125, 126, 161, 167 eklektisches Sprachkonzept 117, 118 Elision 107, 142 Emigration 172-175, 234 enklitische Pronomina 128 Entlehnung 8, 9, 13, 23, 33, 34, 150, 151, 186, 187, 225, 227 e-paragogica 160 Erbwörter 13 Etruskisch 31, 34, 48 etymologisierende Schreibweise 140 Eulalia-Sequenz 50 Euphemismen 69 Fachausdrücke 131 fiorentinità 119, 120 fiorentino (arcaizzante, colto, contemporaneo, illustre, vivo) 117, 119, 120, 121, 125, 126, 140, 154, 164 Flagellanten 57, 59 Flexion 10, 11 Florentinismen 156, 166 Frammenti d’un libro di conti 55, 56 francesismi s. Französismen Fränkisch 33, 34 Frankreich 8, 12, 22, 28-30, 33, 39, 43, 49, 50, 60, 64, 65, 79, 80, 99, 109, 111, 116, 123, 129, 146, 160, 182, 224 Französisch 1, 21, 24, 25, 28-30, 33, 39, 40, 42, 49, 65, 66, 77, 83, 85, 150, 151, 152, 182, 224-233 Französismen 151, 211, 216, 236 Fremdpurismus 182, 186 Fremdsprache 227-233 Fremdsprachenunterricht 220, 228, 231, 232 Fremdwörter 131, 147, 182, 183, 184, 186 Frikative 19 Fruchtbringende Gesellschaft 130 Futur 7, 17, 23, 45, 187, 193 Gallia 27 Gallizismen 151 Galloitalienische Dialekte 31, 34, 40, 44, 45 Gallomanie, gallomania 150, 151 Gegenreformation 143 Gemeinsprache 71, 188 Geosynonyme 40, 164 Germanismen 33, 34 Ghibellinen 57, 65, 72, 79 Glossario di Monza 54 Glottonym 125, 126, 133, 220 gorgia toscana 31, 34, 42, 46, 48, 49, 165 Gotisch 33 Graffiti von Pompeji 5, 8, 18 Grammatikalisierung 23, 60 Grammatikmodell 137 Grammatikographie 136, 137 Graphem 18, 19, 104, 141, 142 Graphie-Phonie-Beziehung 141 Gräzismen 11, 12 Guelfen 57, 65, 72, 79 Hispania 27 Hochsprache 179 Höfische Kultur 50, 61, 73, 78, 106, 118 Höflichkeitsformeln 185 Hofsprache 86, 87, 150, 225 Homonyme 136 Homophonie 23 Humanismus 2, 76, 88, 91, 92, 99, 101, 102, 106, 108, 110, 111, 121 hybride Sprachform 117 Hypotaxe, hypotaktisch 177, 209 hypothetische Konstruktion 213 Idiolekt 193 Il Caffè 147 Indovinello Veronese 51, 56 Industrialisierung 172 Infinitiv 6, 23, 25, 44, 53, 136, 138, 190, 222 Interpunktion 141, 142 Italia bilanciata 99 italiani regionali 170, 198 italiani settoriali 203 Italianisierung 161, 171, 172, 180, 181 Italianismen 224, 225, 226 Italianistik 214, 233 italianità, Italianität 39, 40, 147, 149, 152, 161, 183, 199, 216, 238 italiano burocratico-amministrativo s. Verwaltungssprache italiano (formale, informale, letterario, neo-standard, parlato, popolare, televisivo) 110, 139, 141, 168, 176, 177, 192, 193, 195, 196, 198, 217 italiano scientifico s. Wissenschaftssprache italico, italisch 14, 36, 48, 125, 148 Italienischlehrwerke 232 italisches Vokalsystem 14 Italomanie 224 Italophone, italofoni 158 juristische Fachsprache 215 Kanzleisprache 70, 107, 117, 215, 216 Karolingische Renaissance 37, 38 Kasus(system) 5-7, 21, 25 Kasusmorphologie 137 Katakombe von Commodilla 53 Katalanisch 1, 26, 49, 65 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 251 15.08.11 15: 18 <?page no="264"?> 252 S achregister Katholizismus 67 Keltisch 31, 34, 42-44 Kinosprache 189 Kirchenstaat 66, 68, 79, 109, 116 Kirchturmgeist 37-40 klitische Pronomina 17, 138 Kodifizierung 112, 115-157, 126 koinè padana 69-71, 106, 113, 117 Kollokationen 135, 235 Kolonialpolitik 175, 176 Kommune 57, 79 Komparativ 22 Konditional 23, 213 Konjunktiv 213 Konsonanten 18, 19, 20, 235 Konstituentenabfolge 25 Kontraktionsformen 177 Konzil von Tours 37, 50 Korruptionsthese 101 Kurzformen 187 Labiale 17, 19 Langkonsonanten 20, 40, 43, 44 Lateinhumanismus s. Humanismus Latinismen 13, 39, 83, 97, 104 Laudendichtung 58, 59, 61 Lectura Dantis 232 Legge Casati 161 legge del contrapasso 84 Lemma 136 Lemmastruktur 135 Lenisierung 46, 47 Lex Salica 7 Lexem 10, 16, 21, 132 Lexikographie 130, 133, 143, 147, 168 lingua cortigiana 106-110, 112, 113, 117-119, 123, 124 lingua curiale 119 lingua del diritto s. juristische Fachsprache lingua del sì 85, 126, 202 lingua franca 221, 222, 228, 233 lingua nazionale s. Nationalsprache lingua ufficiale 199 lingua volgare s. Volgare linguaggio cancelleresco s. Kanzleisprache linguaggio giuridico s. juristische Fachsprache Literatursprache 3, 80, 105, 108-111, 119-125, 136, 152, 201, 212 Lombardismen 154, 156 Majuskeln 141 Massenmedien 185, 186, 188, 189, 195, 200, 236 Mehrsprachigkeit 55, 94, 102, 228 Metapher 11, 93, 94, 129, 213, 224 Metaphonie 14, 44, 45, 46, 47, 107 Metasprache 131, 132, 133, 222, 227 Metonymie 128, 181 Migration 167, 172-177, 180, 194, 198 Minderheitensprache 153, 179, 180, 186, 199 Minnelyrik 63, 74, 93 miracolo economico 185 mittel- und süditalienische Dialekte 46 Mittellatein 2, 33, 90 Monophthongierung 16, 17, 31, 155, 159 Morphologie 4, 13, 30, 51, 63, 137,186, 229 Mulomedicina 6, 7, 25 Muttersprache 82, 181, 182, 201, 230, 233 Nationalsprache 115-217 Nationym 125 Neologismen 90, 143, 151, 153, 195, 211, 225, 235 Neopurismus, neopurismo 182 Neutrum 6, 21, 22 Nichtstandard 138 Nominalkonstruktion 167 Norm 2, 3, 4, 5, 6, 17, 37, 38, 43, 50, 64, 87, 91, 101, 102, 115-157 Normierung 126, 147 Normkonzept 121, 139, 153 Normmodell 131, 153, 154 Novellen 74, 75, 78, 95, 97, 98 Nuova Questione della lingua 195, 196 Okzitanisch 1, 21, 50, 61, 65, 66, 72, 73, 83, 85, 93, 121 opera buffa 234, 235, 236 opera seria 234, 235 Opernlibretto 235 Opernsprache 234, 236 Orthographie 50, 93, 112, 127, 128, 137, 140-142, 160, 162, 177 Orthographiereform 119, 141 Oskisch-Umbrisch 31, 34, 36, 45 Ostromania 30, 40-43, 48 Paenultima 17, 18 Palatalisierung 4, 18-20, 43-47, 49, 68, 69 Papyri 5, 6 Parataxe 97, 213 parlar finito 171 parlato trasmesso 189 Partizip 7, 24, 136, 155 Partizipialkonstruktion 98, 213, 222 passe-partout-Wörter 193 Passiv 7, 24 Peregrinatio Egeriae 6 Perfekt 7, 24 periphrastische Konstruktion 187, 222 Personalpronomina 138, 139 Placito di Capua 52, 55, 56 Plurilinguismus 191 Polyglossie 150 Polymorphismus 140 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 252 15.08.11 15: 18 <?page no="265"?> S achregister 253 Port-Royal 146 Portugiesisch 1, 28, 29 Postdetermination 6, 21, 23 Prädetermination 21, 23 Pronomina 7, 17, 21, 138, 139, 156 Proparoxytona 15, 17, 45 Protoromanisch 7 punto mobile 142 purismo linguistico s. Sprachpurismus Quantitätenkollaps 13, 14, 15 Quellen des Vulgärlateins 3-9 Querelle des bouffons 234 Questione della lingua 70, 78, 80, 108, 116, 117, 120, 121, 124, 125, 129, 130, 133, 143, 161 raddoppiamento fonosintattico 53 Rai (Radiotelevisione Italiana) 192 Randromania 29, 30 recitar cantando 235 Reformpädagogik 178 Regiolekt, Regionalsprache 2, 173, 198 Regionalismen 164, 206 Register 4, 177, 198, 201, 217 Reichenauer Glossen 8, 39 Relatinisierung 17, 106 Relativsatz 97, 136 Renaissance 2, 37, 38, 106, 118, 129, 208, 222-225, 227 repubbliche marinare italiane 34, 220 Rezitativ 234 Rhetorik 3, 68, 73, 76, 77, 83, 86, 103, 122, 184, 185, 192, 193, 225, 232 Risorgimento 153, 169 Rolandslied 39, 50 Romania submersa 28 Romanistik 2, 27, 168, 231, 233 Römisches Reich 27, 28, 35-37, 102, 184, 185 Rumänisch 1, 21, 23, 28, 29, 42 s impurum 124 sabir 222 Sacco di Roma 110 Sardisch 1, 18, 26, 49, 85 Satzzeichen 142 Scempiamente 128 Schriftsystem 140 Schulgrammatik 160, 163-166 Scuola senese 145 Scuola siciliana 58, 61, 64 Secolo dei lumi 146 Semianalfabeti 158 settentrionalismi 191 Settimana della Lingua Italiana nel mondo 237 Sibilanten 141 siciliano illustre 63, 64 Signoria 79, 99 Singbarkeit 235 Sizilianische Dichterschule s. Scuola siciliana sizilianisches Vokalsystem 15, 49, 63 Società Dante Alighieri 201, 203, 237 Società ortografica italiana 160 Sonnengesang 58, 61, 80, 88 Sonorisierung 42-46, 48, 108 Soziolekt 2, 30, 198 Spanisch 1, 24, 28, 29, 42, 49, 76, 106, 142, 219 Spätlatein 2, 7, 50, 90 spirito di campanile s. Kirchturmgeist Sprachdialoge 117 Sprachenstreit 116, 117, 157 Sprachfrage s. Questione della lingua Sprachinsel 181 Sprachlehrbücher 164, 230 Sprachmeister 229 Sprachmodell 117, 120, 122, 123, 127, 130, 133, 143-146, 149, 162, 163, 191, 201, 215, 232 Sprachnorm 127, 128, 144, 152, 194 Sprachökonomie 9, 11 Sprachphilosophie 146, 147 Sprachpolitik 32, 158, 159, 178, 179, 181, 182, 185, 198, 232 Sprachpurismus 152, 164, 166, 182, 187 Staatssprache 176, 198, 199 Stadtdialekt 68, 144, 177 stampa quotidiana 188 Standardsprache 80, 136, 168, 170, 171, 179, 189, 202 Standardwörterbuch 130 Statuto Albertino 198 Steigerung der Adjektive 6, 22, 25, 29 Straßburger Eide 50 Subjektpronomina 156, 164 Substrat(sprachen) 31, 32, 34, 36, 43-45, 48 Superlativ 13, 23 Superstrat(sprachen) 31-34 Synkope 17, 18, 44, 45, 93 Synkretismus 14 Synonym 132, 135 Syntax 3, 4, 13, 49, 93, 97, 137, 140, 190, 213 synthetischer Sprachbau 20, 21, 24 Technizismen 143, 195 tecnicismi collaterali 212 Telegiornale 192 Telescuola 192 Tergestino 221 Tersiti 161 Tesoretto, Tesoro 58, 65, 76, 77 Textkanon 135, 144, 167 Toponym 180, 181 toscanità 120 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 253 15.08.11 15: 18 <?page no="266"?> 254 S achregister toscano, tosco, tosco-fiorentino 105, 126 Toskanismen 107, 112, 165, 206 Transkriptionskonventionen 179 Tre corone 79, 93, 98, 106, 109, 111, 113, 131 Trecentisti 119, 122-124, 130, 133, 137, 149 Tre-corone-Modell 101, 123-125 Tresor 65, 66 troncamento, Tronchierung 142, 169 Überdachungssprache 106, 119, 126 Umgangssprache 2, 4, 6, 7, 61, 95, 155, 156, 190 Umlaut s. Metaphonie Urbanisierung 167, 172, 198 Usus 118, 131-133, 161, 166, 186 Variation, variazione 15, 42, 48, 82, 122, 136, 145, 190, 198 Varietätengefüge 2, 172 Velarisierung 17 Ventennio fascista 176, 178, 198 Verkehrssprache 11, 101, 106, 176, 190, 220, 222 Verwaltungssprache 215-217 Vetus Latina 6 Volgare 33, 50-56, 58, 61, 66-69, 71-77, 79-83, 85, 87, 91, 92, 97, 98, 101-103, 105-107, 111-113, 116-119, 121, 127, 131, 136, 140, 152, 204-207, 215, 220 volgare italico 125 volgarismi s. Erbwörter Völkerwanderung 28, 32-35 vulgare (humile, illustre, latium) 70, 83, 86-91, 125 Vulgärhumanismus 103-106, 112, 206 vulgaris Ytaliae 125 Vulgärlatein 1-11, 20-22, 24, 25, 27, 31-33 werbesprachliche Strategien 194 Westromania 14, 30, 40-43, 48, 49 Wissenschaftssprache 82, 204-215 Xenismen 183, 184 Zeichensetzung 142 Zentralromania 29, 30 Zwischensprache 169-171 Reutner_Stb_sV-256_End.indd 254 15.08.11 15: 18 <?page no="267"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1: © Ursula Reutner Abb. 1.2: aus: Goscinny, René/ Uderzo, Albert (Hrsg.) (1971): Asterix und die Normannen, Stuttgart: Delta Verlag GmbH, S. 10 Abb. 1.3: © Ursula Reutner Abb. 1.4: aus: Rohlfs, Gerhard (1971): Romanische Sprachgeographie. Geschichte und Grundlagen, Aspekte und Probleme mit dem Versuch eines Sprachatlas der romanischen Sprachen, München: Beck, S. 239 Abb. 2.1: aus: http: / / www.roemercohorte.de/ ? id=34&l=de Abb. 2.2: aus: Rohlfs, Gerhard (1971): Romanische Sprachgeographie. Geschichte und Grundlagen, Aspekte und Probleme mit dem Versuch eines Sprachatlas der romanischen Sprachen, München: Beck, S. 267 Abb. 2.3: © Ursula Reutner Abb. 2.4: Kaiser Karl der Große, Albrecht Dürer, 1512, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Abb. 2.5: aus: Hermann Kinder/ Werner Hilgemann: dtv-Atlas Weltgeschichte Bd. 1. Grafische Gestaltung der Abbildungen: Harald und Ruth Bukor. © 1964 Deutscher Taschenbuch Verlag, München Abb. 2.6: Karl der Große empfängt Alkuin v. York, Jean-Victor Schnetz Abb. 2.7 : Langobardische und byzantinische Gebiete Italiens Abb. 2.8: aus: Geckeler, Horst/ Kattenbusch, Dieter 1987: Einführung in die italienische Sprachwissenschaft, Tübingen: Niemeyer, S. 23 Abb. 2.9: aus: Rohlfs, Gerhard (1971): Romanische Sprachgeographie. Geschichte und Grundlagen, Aspekte und Probleme mit dem Versuch eines Sprachatlas der romanischen Sprachen, München: Beck, S. 245 Abb. 2.10: Manuskript mit dem Indovinello Veronese, Biblioteca Capitolare di Verona Abb. 2.11: Ausschnitt aus einem Fresko der Basilica San Clemente, Rom Abb. 3.1: Franz von Assisi, José de Ribera Abb. 3.2: Iacopone da Todi, Fresko im Dom von Prato, 1435-1440 Abb. 3.3: Friedrich II. Abb. 3.4: Castel del Monte, aus: http: / / www.familia-1250.de/ zeit.htm Abb. 3.5: Marco Polo vor Kublai Khan Abb. 4.1: Dante Alighieri, Giotto di Bondone Abb. 4.2: Beata Beatrix, Dante Gabriel Rossetti, 1864-1870, Tate Britain, London Abb. 4.3: Dante and Beatrice, Henry Holiday, 1883, Walker Art Gallery, Liverpool Abb. 4.4: Turm zu Babel, Pieter Brueghel der Ältere, 1563, Kunsthistorisches Museum, Wien Abb. 4.5: Dante e il suo Poema, Domenico di Michelino, 1465 Fresko in der Kuppel der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz Abb. 4.6: Die weiße Rose, Gustave Doré, 1861 Abb. 4.7: Francesco Petrarca, Andrea del Castagno, ca. 1450, Uffizien, Florenz Abb. 4.8: Giovanni Boccaccio, Andrea del Castagno, ca. 1450, Uffizien, Florenz Abb. 4.9: A Tale from the Decameron, John William Waterhouse, 1916, Lady Lever Art Gallery, Liverpool Abb. 5.1: Italien 1494 Abb. 5.2: Lorenzo Valla, Jean-Jacques Boissard/ Theodor de Bry Abb. 5.3: Statue von Leon Battista Alberti, Hof der Uffizien, Florenz Abb. 5.4: Lorenzo de’ Medici, Girolamo Macchietti, 16. Jh., Florenz Abb. 5.5: Luigi Pulci, Filippo Lippi, Cappella Brancacci, Chiesa del Carmine, Florenz Abb. 5.6: Matteo Maria Boiardo Abb. 5.7: Porträt des Papstes Leo X. mit seinen Vettern, den Kardinälen Giulio de’ Medici und Luigi de’ Rossi, Raffael, um 1518-1519, Uffizien, Florenz Reutner_Stb_sV-256_End.indd 255 15.08.11 15: 18 <?page no="268"?> 256 Abbildungsverzeichnis Abb. 5.8: Iacopo Sannazaro, Tizian Abb. 5.9: Porträt eines Mannes (L’Ariosto), Tizian, um 1510, National Gallery, London Abb. 6.1: aus: Hermann Kinder/ Werner Hilgemann: dtv-Atlas Weltgeschichte Bd. 1. Grafische Gestaltung der Abbildungen: Harald und Ruth Bukor. © 1964 Deutscher Taschenbuch Verlag, München Abb. 6.2: Baldassare Castiglione, Raffael, 1514-1515, Musée du Louvre, Paris Abb. 6.3: Pietro Bembo, Tizian, ca. 1540, The National Gallery of Art, Washington, DC Abb. 6.4: Die Princeps der Prose della volgar lingua, Venezia: Tacuino, Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana Abb. 6.5: Frontispiz von Giovanni Giorgio Trissinos Dialogo intitulato il castellano, Vicenza: Tolomeo Janiculo, 1529 Abb. 6.6: Frontispiz der ersten Ausgabe des Vocabolario degli accademici della Crusca 1612, aus: www.accademiadellacrusca.it/ img_usr/ vocabolario1612.jpg Abb. 6.7: Alessandro Manzoni, Francesco Hayez, 1841, Pinacoteca di Brera, Mailand Abb. 6.8: Frontispiz der Ausgabe I promessi sposi von 1840 Abb. 7.1: Giorgini/ Broglio Novo vocabolario della lingua italiana secondo l’uso di Firenze 1877-1897, Frontispiz des ersten Bandes Abb. 7.2: Portrait von Graziadio Isaia Ascoli Abb. 7.3: Carlo Collodi, La Fondazione Nazionale Carlo Collodi Abb. 7.4: Frontispiz Vocabolario Bolognese 1820, aus: http: / / openlibrary.org/ books/ OL14047718M/ Vocabolario_ Bolognese_co%27sinonimi_italiani_e_franzesi Abb. 7.5: Italienische Emigration 1876-1915 nach Regionen Abb. 7.6: aus: Atlante Storico Garzanti, Garzanti, Milano 1994, S. 412 Abb. 7.7: © Sabine Schwarze Abb. 7.8: Lingua Nostra, Titelblatt der ersten Ausgabe Abb. 7.9-7. 12: Website: Comitato Guglielmo Marconi International, Titel „Le origini della radiodiffusione in Italia. Cronologia 1919-2000. Note storici“ Abb. 8.1: Galileo Galilei, Justus Sustermans, 1636 Abb. 8.2: Galileo Galileis Aufzeichnungen zur Entdeckung der Jupitermonde Abb. 8.3: Titelblatt von Galileis Dialog über die zwei Weltsysteme, Aristoteles, Ptolemäus und Copernicus diskutieren miteinander Abb. 8.4: La fiaccola della verità aus dem Werk Antiquitates Italicae Medii Aevi Abb. 8.5: Lazzaro Spallanzani Abb. 8.6: Effetti del Buon Governo in città, Ambrogio Lorenzetti 1337-1340, Sala della Pace im Palazzo Pubblico, Siena Abb. 9.1: Seite aus Marco Polo Il Milione, Faksimile UB Graz Sig.: HB 15 210/ P 778 Abb. 9.2: Sperone Speroni Abb. 9.3: Niccolò di Castelli, aus: La Fontana della Crusca overo Dizionario Italiano-Tedesco e Tedesco-Italiano, Leipzig: Gleditsch, 3 1718 (Universitäts- und Landesbibliothek Halle) Abb. 9.4: Das Lehrbuch L’Italia d’oggi 1929 (Universitätsbibliothek Augsburg) Abb. 9.5: Lorenzo Da Ponte von Michele Pekenino nach Nathaniel Rogers, frühes 19. Jh. Abb. 9.6: Pietro Metastasio Abb. 9.7: Madama Butterfly von Giacomo Puccini, Illustration von Adolfo Hohenstein (1854-1928) Die Abbildungen stammen, wenn nicht anders angegeben, aus Wikimedia Commons. Leider konnten nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Rechtmäßige Ansprüche können beim Verlag geltend gemacht werden. Reutner_Stb_sV-256_End.indd 256 16.08.11 12: 05 <?page no="270"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Der Band bietet einen Überblick über die Geschichte der Medien von der Erfindung der Schrift bis zum Internet. In knapper und verständlicher Form gibt er umfassende Antworten auf Fragen nach den Gründen für die Entstehung und Etablierung von jeweils neuen Medien, ihren sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Konsequenzen und ihrer Bedeutung in der heutigen Situation. Nach einem Parcours durch die Mediengeschichte in ihren wesentlichen Etappen werden abschließend übergreifende Aspekte wie das Verhältnis von Medien und Wirklichkeit oder die Wirkung von Medien beleuchtet. Andreas Böhn Andreas Seidler Mediengeschichte Eine Einführung bachelor-wissen 2008, 232 Seiten, €[D] 14,90 / SFr 27,90 ISBN 978-3-8233-6415-3 094208 Auslieferung Oktober 2008.indd 7 22.10.2008 11: 59: 11 Uhr <?page no="271"?> Der Band Italienische Literaturwissenschaft aus der Reihe bachelorwissen richtet sich als leserfreundliche Einführung speziell an die Studierenden und Lehrenden in den literaturwissenschaftlichen Modulen der neuen italienzentrierten Bachelor-Studiengänge. Die anschauliche Aufbereitung des fachlichen Grundwissens wird dabei von anwendungsorientierten Übungseinheiten ergänzt, die eine eigenständige Umsetzung des Erlernten ermöglichen und einen nachhaltigen Kompetenzerwerb unterstützen. Darüber hinaus werden im Rahmen des umfassenden Einführungskonzepts die Grundzüge der Reformstudiengänge vorgestellt und Hinweise zur beruflichen Orientierung gegeben. Maximilian Gröne / Rotraud von Kulessa / Frank Reiser Italienische Literaturwissenschaft Eine Einführung bachelor-wissen 2007, 262 Seiten, €[D] 14,90/ SFr 26,00 ISBN 978-3-8233-6343-9 075707 Auslieferung Oktober 200719 19 17.10.2007 15: 01: 22 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de <?page no="272"?> Neue Studiengänge erfordern neue Lehrbücher, und so versteht sich auch diese Einführung in die italienische Sprachwissenschaft als ein Lehrbuch für die BA-Generation. Der Autor führt ebenso anschaulich wie sachkundig in die unabdingbaren Grundlagen des Faches ein. Der Band gliedert sich in vier übergeordnete Themenblöcke und 14 Lehr veranstaltungen, die auf alle wesentlichen Facetten der Sprache im Allgemeinen und des Italienischen im Besonderen eingehen. Die zu jeder Einheit gehörenden Übungen dienen zur Sicherung des er worbenen Wissens und gleichzeitig zur Einführung in die Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens. Martin Haase Italienische Sprachwissenschaft Eine Einführung bachelor-wissen 2007, 192 Seiten, €[D] 14,90/ SFr 26,00 ISBN 978-3-8233-6290-6 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de